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German Pages 618 Year 2018
Rechtsfragen der Globalisierung Band 21
Der Internationale Währungsfonds Status, Funktion, Legitimation
Von
Jens Burkhard Funk
Duncker & Humblot · Berlin
JENS BURKHARD FUNK
Der Internationale Währungsfonds
Rechtsfragen der Globalisierung Herausgegeben von Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, Erlangen-Nürnberg
Band 21
Der Internationale Währungsfonds Status, Funktion, Legitimation
Von
Jens Burkhard Funk
Duncker & Humblot · Berlin
Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern
Vorwort „Nein, es hat nicht zu heißen: alles, was dem Volke nützt, ist Recht, vielmehr umgekehrt: nur was Recht ist, nützt dem Volke.“ Gustav Radbruch
Die vorliegende Arbeit untersucht die Aktivitäten des Internationalen Währungsfonds im Spannungsfeld von nationalem und internationalem Recht. In diesem Sinne leistet sie einen Beitrag zur Schriftenreihe „Rechtsfragen der Globalisierung“, herausgegeben von Karl Albrecht Schachtschneider. Aufbauend auf einer dogmatischen Diskussion der grundlegenden Rechtsbegriffe bildet die Wirkung der IWF-Konditionalität auf die Souvernität der betroffenen Krisenstaaten einen Schwerpunkt dieser Arbeit, beispielhaft untersucht an der griechischen Finanzkrise. Als Ansatz für eine Lösung der verschuldungspolitischen Dilemmas wird die Einführung eines Insolvenzverfahrens für überschuldete Staaten diskutiert. Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Friedrich Ale xander Universität Erlangen-Nürnberg hat die Arbeit im Januar 2016 als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Dezember 2015 abgeschlossen. Entsprechend befindet sich die Literatur weitgehend auf dem Stand von Dezember 2015. Mein herzlicher Dank gilt meinem Lehrer Herrn Professor Dr. jur. Karl Albrecht Schachtschneider. Als Doktorvater im besten Sinne des Wortes hat er diese Arbeit in allen Stadien ihres Entstehens mit Engagement, Diskus sionsbereitschaft sowie mit Zuversicht und Nachsicht gefördert. Was er persönlich vorlebt und seinen Schülern weitergibt, ist die Leidenschaft für das Recht und den kritischen Geist es zu verteidigen. Sein Vorbild wird mir immer leuchten. Mein besonderer Dank gilt auch Frau Professor Dr. jur. Angelika Emmerich-Fritsche für die Erstellung des Zweitgutachtens. Viele ihrer Beiträge zu Fragen des Weltrechts sind in diese Arbeit eingeflossen. Frau Professor Regina Riphahn, Ph.D., danke ich für ihr Mitwirken in der Prüfungskommission sowie dem Verlag Duncker & Humblot, namentlich dem Geschäftsführer Dr. Florian R. Simon, LL.M., für die Drucklegung und die hilfreiche Zusammenarbeit.
8 Vorwort
Die Arbeit wurde im Oktober 2017 mit dem Promotionspreis der STAEDTLER-Stiftung ausgezeichnet. Berlin, im Dezember 2017
Jens Burkhard Funk
Inhaltsübersicht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Teil 1
Mandat und Struktur: Von den Anfängen bis zur Gegenwart
35
A. Niedergang westlicher Währungssysteme und Suche nach neuer O rdnung . . 35 B. Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 C. Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Teil 2
Der Fonds als Kreditgeber
152
A. Modalitäten der Kreditvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 B. Verfahren und Rechtsnatur der Bereitschaftskreditvereinbarungen . . . . . . . . . 172 C. Die Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Teil 3
Die Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
211
A. Der souveräne Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 B. Dogmatische Grundlagen der Souveränität: Freiheit, Recht und Staat . . . . . . 234 C. Der Souveränitätsbegriff als Recht auf innere Selbstbestimmung im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 D. Bindung des IWF an das Souveränitätsprinzip und das demokratische Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Teil 4
Konditionalitätspolitik des IWF
267
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 B. Die Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 C. Durchsetzung der Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
10 Inhaltsübersicht Teil 5
Demokratisches Prinzip als legitimatorische Grenze
371
A. Wesensgehalt des demokratischen Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 B. Finanzieller Notstand als Rechtfertigungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Teil 6
Völkerrechtliche Kreditverträge: Verbindlichkeit und der Umgang mit Überschuldung
458
A. Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 B. Verbindlichkeit der Kreditverträge und Auflagenprogramme gegenüber überschuldeten Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 Teil 7
Grundzüge eines Insolvenzrechts für Staaten
476
A. Völkerrechtliche Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 B. Vorschlag des IWF nach Anne Krueger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 C. Insolvenzverfahren als allgemeines Rechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 D. Die US-amerikanische Insolvenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 E. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 Teil 8
Der IWF im Umfeld globaler Finanzströme: Zur Problematik der Kapitalverkehrsfreiheit
519
A. Regelungen des IWF-Übereinkommens zur Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 B. Kritik an der Kapitalverkehrsliberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 C. Konflikt zwischen Globalisierung und nationaler Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . 549 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609
Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Teil 1
Mandat und Struktur: Von den Anfängen bis zur Gegenwart
A. Niedergang westlicher Währungssysteme und Suche nach neuer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prägende Erfahrungen aus der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gescheiterter Goldstandard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fehlendes Problembewusstsein beim Versailler Friedensvertrag . . . . . 3. Lehren aus der Weltwirtschaftskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konferenz von Bretton Woods und Etablierung des IWF . . . . . . . . . . . . . III. Der Einfluss von Keynes und White auf die Grundlagen des IWF . . . . . 1. Keynes-Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. White-Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bancor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Quote nach dem Keynes-Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. White versus Keynes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Neuausrichtung des IWF nach Ende des Bretton-Woods-Systems . . . B. Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zweck der Bretton-Woods-Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnis des IWF-Übereinkommens zur Souveränität der Staaten . . . . . III. Ziele, Aufgaben, Befugnisse und Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Stabilität des Währungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stabilitätslage im internationalen Währungssystem: Außenwert der Währung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stabilität der nationalen Währungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirtschaftswachstum und Preisstabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reduzierung der Zahlungsbilanzungleichgewichte . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stabilisierung der Währungen und Wechselkurse . . . . . . . . . . . . . . aa) Vermeidung von unfairen Währungsabwertungen . . . . . . . . . . bb) Vermeidung von Devisenverkehrsbeschränkungen . . . . . . . . . cc) Aufbau eines multilateralen Zahlungssystems für laufende Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Technische Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Überwachungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
35 35 36 38 39 43 46 47 49 50 51 52 53 55 55 57 62 64 65 66 67 69 71 71 72 72 73 75
12 Inhaltsverzeichnis aa) Koordination der Währungspolitiken der Mitgliedstaaten . . . . bb) Überwachung der Politiken der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . cc) Artikel-IV-Konsultationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Finanzierungsaktivitäten bei Zahlungsbilanzproblemen . . . . . . . . . . . . a) Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bilanztechnischer Hintergrund: „Unausgeglichenheiten in der Zahlungsbilanz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Problematik der Ausweitung der Kreditbefugnisse . . . . . . . . . . . . . aa) Historisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abgrenzung zur Weltbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Strukturelles Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bilanzielles Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Systemrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Erweiterung der Rechtsgrundlage nach der implied-powersRegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Befugnis der Kreditvergabe aufgrund Gewohnheitsrechts . . . . hh) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75 76 78 79 80 81 81
C. Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Organisatorischer Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problematik der gemeinsamen Währungspolitik der Eurozone . . . b) Exkurs: Euro-Zone als wettbewerbswidriger (unlauterer) Vorteil im Währungswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mitgliedschaftliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beendigung der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Code of Conduct . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konvertibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Devisenbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gouverneursrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Exekutivdirektorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geschäftsführender Direktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Stab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Quoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entscheidungspolitische Bedeutung der Quoten . . . . . . . . . . . . . . . b) Änderung und Überprüfung der Quoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Finanzielle Bedeutung der Quoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis13 a) Sonderziehungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Volumen der zur Verfügung stehenden IWF-Ressourcen . . . . . . . . 121 6. Entscheidungsprozess innerhalb der IWF-Organe . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) IWF-internes Verfahren der Erkenntnis und der Willensbildung . 123 b) Länderberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 c) Kreditbewilligungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 d) Stab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 e) Interpretationsbefugnis des Fonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 f) Der Einfluss der Mitgliedstaaten auf den IWF . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Völkerrechtliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Qualifizierung als Internationale Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Funktion Internationaler Organisationen im Völkerrecht . . . . . . . . . . . 136 3. Völkerrechtssubjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4. Verhältnis zu den Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5. Verhältnis zum Internationalen Gerichtshof (IGH) . . . . . . . . . . . . . . . . 142 6. Verpflichtung zur Neutralität und zum Schutz der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Neutralitätsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Bindungswirkung der Menschenrechtsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . 145 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Teil 2
Der Fonds als Kreditgeber
A. Modalitäten der Kreditvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Leitlinien zur Kreditvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundlagen der Finanzierungsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mittel aus der Reservetranche als „ständige Fazilität“ . . . . . . . . . . . . . 2. Mittel aus der Kredittranche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mittelvergabe aus dem Allgemeinen Konto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mittelvergabe aus verwalteten Konten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Programme und Fazilitäten im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bereitschaftskreditvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erweiterte Fondsfazilität (Extended Fund Facility, EFF) . . . . . . . . . . . 3. Armutsbekämpfungs- und Wachstumsfazilität (Poverty Reduction and Growth Facility, PRGF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Initiative für hochverschuldete arme Länder (HIPC) . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazilität zur Kompensierung bei Exporterlösausfällen (CFF) . . . . . . . 6. Fazilität zur Stärkung von Währungsreserven (Supplemental Reserve Facility, SRF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
152 152 152 155 156 157 157 158 161 161 162 163 163 166 168 169
14 Inhaltsverzeichnis 7. Vorsorgliche Kreditlinie (Contingent Credit Lines, CCL) . . . . . . . . . . 170 8. Notfallhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 B. Verfahren und Rechtsnatur der Bereitschaftskreditvereinbarungen . . . . 172 I. Das Verfahren zur Aushandlung von Beistandsvereinbarungen . . . . . . . . 172 II. Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Bereitschaftskreditvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Letter of Intent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Anwendbarkeit des Völkerrechts auf IWF-Kreditvereinbarungen . 178 2. Bindungswirkung der Bereitschaftskreditvereinbarungen . . . . . . . . . . . 179 a) Der völkerrechtliche Vertrag nach dem „Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Rechtsnatur der Memoranda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 C. Die Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der IWF als Lender of Last Resort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konkurrierende Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Financial Stability Board (FSB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Selbstversicherung: Das Aufschatzen von Währungsreserven . . . . . . . 3. New Development Bank (NDB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Chiang Mai Initiative Multilateralization (CMIM) . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Moral-Hazard-Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Moral-Hazard-Verhalten auf Schuldnerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Moral-Hazard-Verhalten auf Gläubigerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Liquiditätsangebot auf den Finanzmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fehlanreize auf Seiten des IWF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185 185 188 188 190 193 194 194 195 197 201 204 206 208
Teil 3
Die Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
A. Der souveräne Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Demokratieprinzip als Völkerrechtsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Verfassung als domaine réservé der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Begriff der Souveränität der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung des Souveränitätsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Integrationistischer Ansatz zur Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Souveränitätsverständnis nach Utz Schliesky . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dogmatik des integrationistischen Souveränitätsbegriffs nach Juliane Kokott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Souveränitätsverständnis nach Rolf Knieper . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Good Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
211 211 211 213 214 215 219 222 223 226 228
Inhaltsverzeichnis15 B. Dogmatische Grundlagen der Souveränität: Freiheit, Recht und Staat . 234 I. Zusammenhang zwischen Freiheit, Recht und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 1. Freiheitlicher Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Freiheitlich-demokratisches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3. Freiheitlich-republikanisches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 II. Freiheitlicher Souveränitätsbegriff nach Karl Albrecht Schachtschneider . 244 III. Integrationistischer Ansatz und Prinzip der politischen Freiheit . . . . . . . 248 C. Der Souveränitätsbegriff als Recht auf innere Selbstbestimmung im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 I. Interventionsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 II. Grenzen des Rechts auf innere Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 III. Charta der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 IV. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte . . . . . . . . . . . 258 V. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte . 261 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 D. Bindung des IWF an das Souveränitätsprinzip und das demokratische Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Teil 4
Konditionalitätspolitik des IWF
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Definition der Konditionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichtliche Entwicklung der Konditionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auflagenpolitik nach den Grundsätzen des Washington Consensus . . . 3. Kritik und Konkurrenz zum Washington Consensus . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsgrundlage der IWF-Konditionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geschäftsgrundsätze als Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Performance criteria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbindlichkeit der Geschäftsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grenzen der Richtlinien zur Konditionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kompetenzerweiternde Auslegungsregeln: implied powers und effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Befugnis der Konditionalität aufgrund Gewohnheitsrechts . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
267 267 268 269 276 280 282 283 284 287 290 291 292 295 296 296
B. Die Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 I. Die Einbindung des IWF in der Eurokrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 1. Ausgangslage der Krisenstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
16 Inhaltsverzeichnis a) Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Irland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Disput um die Einbindung des IWF in der Eurokrise . . . . . . . . . . . . . 3. Engagement des IWF in Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kreditprogramme am Beispiel Griechenlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beteiligung des IWF am Griechenland-Hilfspaket: „Was nicht passt, wird passend gemacht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anpassung der Extended Fund Facility . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verwendung der Griechenland-Hilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Memorandum of Understanding für Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zurechenbarkeit der Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Auflagen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) (Strukturelle) Haushaltskonsolidierung und Regulierung des finanziellen Sektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Quantitative Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Qualitative Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Regulierung und Aufsicht des finanziellen Sektors . . . . bb) Strukturelle Reformen am Beispiel des MoU vom 9. Februar 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Optionen und Hindernisse des Auswegs aus einer Schuldenkrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verbleib in der Euro-Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Umschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Politische Motivlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Durchsetzung der Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Konditionalität als Instrument der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zusammenschluss der Gläubiger und Rolle des IWF als Verhandlungsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reziproke Konditionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiele für die Organisation von Gläubigerinteressen . . . . . . . . . aa) Pariser Club . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Londoner Club . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Troika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der IWF als „gatekeeper“ und Verhandlungsführer . . . . . . . . . . . . 2. Auszahlung der Kredite in Tranchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebniskontrollen und Kontrollinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verbindlichkeit der Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
299 300 301 302 309 312 316 316 317 318 319 319 322 323 324 326 326 326 329 332 332 336 338 342 344 344 345 346 347 349 350 352 353 355 356 360 361
Inhaltsverzeichnis17 1. Gefahr der „ungeordneten Insolvenz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 2. Faktische Verbindlichkeit der Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 III. IWF-Auflagen als völkerrechtswidrige Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Teil 5
Demokratisches Prinzip als legitimatorische Grenze
371
A. Wesensgehalt des demokratischen Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 I. Die Verfassungsidentität des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 II. Ökonomische Sachzwänge in Wirtschaftskrisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 1. Entscheidungsfindung in der Demokratie: Verfahren der Erkenntnis des Richtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 2. Diskurs zur Frage des Richtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 3. Das Gebot parlamentarischer Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 4. Existentielle Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 III. Verletzung des demokratischen Prinzips durch die Memoranda of Understanding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 1. Budgethoheit des Parlaments: Beispiel Griechenland . . . . . . . . . . . . . . 379 a) Bezug zu den Menschenrechtstexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 b) Bezug zum Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 2. Volenti non fit iniuria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 a) Zur parlamentarischen Abstimmung über die Memoranda of Understanding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 b) Zur Frage der Freiwilligkeit bei Zwangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 aa) Entscheidung des amerikanischen Supreme Court zum Affortable Care Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 bb) Freiwilligkeit unter der Konditionalität am Beispiel Griechenlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 cc) Ausschluss der Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 3. Exekutives Übergewicht: Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips . 396 4. Handeln außerhalb der parlamentarischen Vertretungsbefugnis . . . . . . 398 5. „Implementation risks“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 6. Heilung durch Referendum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 B. Finanzieller Notstand als Rechtfertigungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dogmatischer Rechtfertigungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtfertigungsdogmatik des Ergebnis-Legitimationsmodells nach Utz Schliesky . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
407 408 413 418
18 Inhaltsverzeichnis 3. Rechtfertigung kommissarischer Sanierungsmaßnahmen am Beispiel der Griechenland-Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übergesetzlicher Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Finanzieller Notstand als Rechtfertigungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . a) Grenzen des Legalitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Finanzieller Staatsnotstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Problem des Staatsnotstands am Beispiel Griechenlands . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wissenschaftlicher Sachverstand des IWF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ökonomischer Sachverstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wissenschaftlichkeit des IWF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entscheidungsstruktur innerhalb des IWF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beispiel: Die politische Abhängigkeit des IWF in der Eurokrise . . . . 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Effizienz, Effektivität und Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Problematik übergeordneter Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wettbewerbsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschäftigungsniveau und Wirtschaftswachstum . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
423 426 428 429 429 433 436 436 436 439 441 443 445 447 449 449 451 453 456
Teil 6
Völkerrechtliche Kreditverträge: Verbindlichkeit und der Umgang mit Überschuldung
A. Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dualistische Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Monistische Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umgekehrter Monismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verbindlichkeit der Kreditverträge und Auflagenprogramme gegenüber überschuldeten Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Pacta sunt servanda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsatz der materiellen Richtigkeit des Vertrages: Das formelle Äquivalenzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Materielle Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grenzen der materiellen Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grenzen aus dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachlichkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Insolvenzprinzip: Risikosphäre des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unantastbare Rechtssphäre des Schuldners (Pfändungsfreigrenzen) . V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
458 458 458 459 460 462 462 463 465 466 466 468 472 474 475
Inhaltsverzeichnis19 Teil 7
Grundzüge eines Insolvenzrechts für Staaten
476
A. Völkerrechtliche Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 B. Vorschlag des IWF nach Anne Krueger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 C. Insolvenzverfahren als allgemeines Rechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Insolvenzfähigkeit von Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedürfnis für ein Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Empirische Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Exkurs: Problematik verbindlicher Beschlussfähigkeit der Gläubiger (Collective Action Problem) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Neutrale Instanz des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtliche Grundlagen des Insolvenzprinzips im Völkerrecht . . . . . . . . . 1. Clausula rebus sic stantibus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prinzip der staatlichen Selbständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
485 485 494 495 498 504 507 508 510 513
D. Die US-amerikanische Insolvenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 E. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 Teil 8
Der IWF im Umfeld globaler Finanzströme: Zur Problematik der Kapitalverkehrsfreiheit
A. Regelungen des IWF-Übereinkommens zur Zahlungs- und Kapital verkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der IWF als Befürworter der Kapitalverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beitrag des IWF zur Entwicklung und Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Destabilisierende Wirkung der Kapitalverkehrsfreiheit und Rolle des IWF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kritik an der Kapitalverkehrsliberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Auswirkungen der Kapitalverkehrsfreiheit im Bankensektor . . . . . . . . . . II. Problematik der Kapitalverkehrsfreiheit am Beispiel Irlands . . . . . . . . . . III. Unvereinbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit mit den Prinzipien des Rechtsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
519
521 526 529 535 539 542 546 547
C. Konflikt zwischen Globalisierung und nationaler Staatlichkeit . . . . . . . . . 549 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609
Abkürzungsverzeichnis a. a. O. am angeführten Ort Abs. Absatz Abschn. Abschnitt ACC Administrative Committee on Coordination a. E. am Ende AEMR Allgemeine Erklärung der Menschenrechte AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AFRI Action from Ireland AIIB Asian Infrastructure Investment Bank AIIFL Asian Institute of International Financial Law AktienG Aktiengesetz AKV Allgemeine Kreditvereinbarungen AMRK Amerikanische Menschenrechtskonvention Anm. d. Verf. Anmerkung des Verfassers Art. Artikel ASR Ausschuss für Internationales Währungsrecht Aufl. Auflage Ausg. Ausgabe BC Bankruptcy Code Bd. Band BDI Bundesverband der Deutschen Industrie betr. betrifft BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBL Bundesgesetzblatt BGHZ Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BIP Bruttoinlandsprodukt BIZ Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BMF Bundesministerium der Finanzen BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bn Billion BRICS Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika BuffHRLR Buffalo Human Rights Law Review
Abkürzungsverzeichnis21 BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwGE Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung bzw. beziehungsweise CAC
Collective Action Clause
CCL
Contingent Credit Lines
CCPR
Covenant on Civil and Political Rights
CDS
Credit Default Swap
CEA
Council of Economic Advisers
CERDS
Charter of Economic Rights and Duties of States
CESCR
Committee on Economic, Social and Cultural Rights
CFB
Corporation of Foreign Bondholders
CFF
Compensatory Financing Facility
CIEPR
International Economics and Policy Reform
CISDL
Center for International Sustainable Development Law
Cmd Command CMIM
Chiang Mai Initiative Multilateralization
CMS
International Centre for Settlement of Investment Disputes
COF
Catalytic Official Finance
CRA
Contingent Reserve Arrangement
CRS
Congressional Research Service
d. A.
der Ausgabe
DC
Development Committee
ders. derselbe d. h.
das heißt
dies. dieselbe DM
Deutsche Mark
doc. document DStR
Deutsches Steuerrecht
EAG Eurogruppen-Arbeitsgruppe EBRD
European Bank for Reconstruction and Development
EC
European Commission
ECA
Economic Administration Cooperation
ECB
European Central Bank
ECOSOC
Economic and Social Council
ed. editor EFF
Extended Fund Facility
EFSF
European Financial Stability Facility
EFSM
European Financial Stabilisation Mechanism
22 Abkürzungsverzeichnis EG
Europäische Gemeinschaft
EGB
Europäischer Gewerkschaftsbund
EGBGB
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche
EG-Komm. EG-Kommentar EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EJIL
European Journal of International Law
EL Entwicklungsländer EM
Emerging Markets
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
EMU
Economic and Monetary Union
EPIL
Encyclopedia of Public International Law
ESAF
Erweiterte Strukturanpassungsfazilität
ESM
European Stability Mechanism
ESMV
Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus
ESZB
Europäisches System der Zentralbanken
et al.
et aliter
etc.
et cetera
EU
Europäische Union
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EUR Euro EuR Europarecht EUV
Vertrag über die Europäische Union
evtl.
eventuell
EWF
Europäischer Währungsfonds
EWU
Europäische Währungsunion
EZB
Europäische Zentralbank
f. folgende FAS
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FBPC
Foreign Bondholders Protective Council
FDI
Foreign Direct Investment
FES Friedrich-Ebert-Stiftung ff.
fortfolgende
Fn. Fußnote FS Festschrift FSAP
Financial Sector Assessment Program
FSB
Financial Stability Board
FSF
Financial Stability Forum
Abkürzungsverzeichnis23 FSM Europäischer Stabilitätsmechanismus GA General Assembly GAB General Arrangements to Borrow GAL Global Administrative Law GATT General Agreement on Tariffs and Trade GG Grundgesetz GmbHG Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GNP Gross National Product GoC Guidelines on Conditionality GRCh Grundrechtecharta der EU G-X Gruppe der X HFSF Hellenic Financial Stability Fund HGB Handelsgesetzbuch HIPC Heavily Indebted Poor Countries HRQ Human Rights Quarterly Hrsg. Herausgeber HStR Handbuch des Staatsrechts HVPI Harmonisierter Verbraucherpreisindex ibid. ibidem ICISS International Commission on Intervention and State Sovereignty ICJ Rep. International Court of Justice; Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders ICSID International Centre for Settlement of Investment Disputes ICU International Clearing Union id. idem IDA International Development Association i. d. F. v. in der Fassung vom IDRA International Debt Restructuring Agency IF Integrated Framework IFC International Finance Corporation IFIs International Financial Institutions IFO Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung IGH Internationaler Gerichtshof IIF Institute of International Finance ILC International Law Commission ILM International Legal Materials ILO International Labour Organization IMF International Monetary Fund IMFC International Monetary and Financial Committee
24 Abkürzungsverzeichnis insbs. insbesondere InsO Insolvenzordnung IPbpR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IPRspr. Entscheidungssammlung zur deutschen Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts IPwskR Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte i. S. im Sinne ITO International Trade Organization i. V. m. in Verbindung mit IWF Internationaler Währungsfonds JBL Journal of Business Law Jg. Jahrgang JIEL Journal of International Economic Law J. Transnat’l L. Journal of Transnational Law Kap. Kapitel KJ Kritische Justiz KKP Kaufkraftparität KOM Kommission LG Landgericht lit. littera L. Rev. Law Review LSE London School of Economics and Political Science lt. laut LTCM Long-Term Capital Management MAI Multilateral Agreement on Investment MdB Mitglied des Deutschen Bundestages MDGs Millennium Development Goals MEFP Memorandum of Economic and Financial Policies Mio. Millionen MIT Massachusetts Institute of Technology MONA Monitoring of Fund Arrangements MoU Memorandum of Understanding MPEPIL Max Planck Encyclopedia of Public International Law Mrd. Milliarden MSA Mutual Security Agency m. w. N. mit weiteren Nachweisen NAB New Arrangements to Borrow NAM Non-Aligned Movement
Abkürzungsverzeichnis25 NAMA
National Asset Management Agency
NATO
North Atlantic Treaty Organization
NBER
National Bureau of Economic Research
NDB
New Development Bank
NERC
Ukrainisches Ministerium für die Energie- und Kohleindustrie
NGO
Non-Governmental Organization
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NKV
Neue Kreditvereinbarungen
No. Numero Nov. November Nr. Nummer NURC
Ukrainisches Ministerium für Kommunalwirtschaft
NYTimes
New York Times
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
OAS
Organisation Amerikanischer Staaten
OECD
Organisation for Economic Cooperation and Development
OHCHR
Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights
ÖJZ
Österreichische Juristen Zeitung
OMT
Outright Monetary Transactions
OSZE
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
para. paragraph PASOK
Panhellenische Sozialistische Bewegung
PCIJ
Permanent Court of International Justice
PDR
Policy Development and Review Department
PGF
Programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierung
PIIGS
Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien
PLC
Precautionary Credit Lines
PM
Prime Minister
PRGF
Poverty Reduction and Growth Facility
Prot. Protokoll PRSP
Poverty Reduction Strategy Paper
PSI
Private Sector Involvement
Res. Resolution RESC
Revidierte Europäische Sozialcharta
RGZ
Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Zivilsachen
RL
Long Report
Rn. / Rdn.
Randnummer
26 Abkürzungsverzeichnis ROSC
Report on the Observance of Standards and Codes
Rs. Rechtssache RUFO
Rights Upon Future Offers
S.
Seite
S&Ks
Standards und Kodizes
SAF
Structural Adjustment Facility
SAP Strukturanpassungspolitik SBA
Stand-By Arrangement
sc. scilicet SchiedsVZ
Zeitschrift für Schiedsverfahren
SCM
Agreement on Subsidies and Countervailing Measures
SDDRF
Sovereign Debt Dispute Resolution Forum
SDDS
Special Data Dissemination Standard
SDR
Special Drawing Rights
SDRM
Sovereign Debt Restructuring Mechanism
sec. section Sel. Dec.
Selected Decisions
Sept. September Slg.
Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz
sog. sogenannte SRF
Supplemental Reserve Facility
StabG
Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft
StIGH
Ständiger Internationaler Gerichtshof
StWG
Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft
SVR Sachverständigenrat SWF
Sovereign Wealth Funds
SZ
Süddeutsche Zeitung
SZR Sonderziehungsrechte TMU
Technical Memorandum of Understanding
u. a.
unter anderem
UDSSR
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
ÜIWF
Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds
UK
United Kingdom
UN
United Nations
UNESCO
United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
Abkürzungsverzeichnis27 UNO United Nations Organization UNRIAA United Nations Reports of International Arbitral Awards UNRIC United Nations Regional Information Centre UNYB Yearbook of United Nations Law u. ö. und öfter US United States USA United States of America U.S.C. United States Code vgl. vergleiche VN Vereinte Nationen Vol. Volume VölkerR Völkerrecht Vorbm. Vorbemerkung VRÜ Verfassung und Recht in Übersee VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz WEED World Economy, Ecology & Development WEO World Economic Outlook WFStG Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz WHO World Health Organization WIPO World Intellectual Property Organization WiRO Wirtschaft und Recht in Osteuropa WP Working Paper WSI Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut WTO World Trade Organization WÜRV Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge WVK Wiener Vertragsrechtskonvention WVKIO Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen WVRK Wiener Vertragsrechtskonvention WWU Wirtschafts- und Währungsunion ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht z. B. zum Beispiel ZfRVergl Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Ziff. Ziffer ZInsO Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht
Einführung Wiederholt sich Geschichte? Haben wir aus den globalen wirtschaftspolitischen Erfahrungen der Vergangenheit gelernt? Diese Fragen stellen sich wieder neu angesichts der Eurokrise und den weltweiten Verwerfungen der Finanzmärkte, zumal nach der Weltfinanzkrise im Jahr 2008, die an den New Yorker Börsenkrach im Jahr 1929 und die darauf folgende Weltwirtschaftskrise erinnerte1. Die neuen Währungskrisen im Euroraum und die divergierenden Vorschläge zu ihrer Bekämpfung, die wachsende Wirtschaftsmacht Asiens, das Handelsungleichgewicht zwischen China und den USA, verbunden mit entsprechendem Ungleichgewicht der Zahlungs- und Devisenbilanzen, der Rohstoffhunger der Industriestaaten, die beklagte Abkoppelung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft, nicht zuletzt die massive Verschuldung von Staatshaushalten sind nur einige besonders brennende Fragen, die dringend einer globalen Abstimmung, wenn nicht Regulierung der Finanzmärkte bedürfen. Damit einher geht der Ruf nach einer weltweit koordinierten Währungspolitik. Diese umzusetzen oder mindestens nachdrücklich anzumahnen, erfordert politisch und ökonomisch anerkannte internationale Institutionen, welche international nicht im rechtsfreien Raum operieren dürfen. Kann der IWF als eine solche Institution gelten, die diese Herausforderungen in der Vergangenheit bewältigte und dies auch in der Zukunft vermag? Die seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems kontrovers geführte Debatte über Status, Funktion und Legitimation des Währungsfonds, insbesondere seine problematische Funktion als Kreditgeber (Lender of Last Resort), wirft politische und wirtschaftliche, vor allem aber rechtliche Fragen auf, die den Schwerpunkt dieser Arbeit bilden. Ziel der Untersuchung ist es, die tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhänge der Kreditvergabepraxis des IWF zu beleuchten und deren Auswirkungen aufzuzeigen. Die mit den Begriffen Status, Funktion und Legitimation des IWF verknüpften Problemkreise bedingen sich gegenseitig und sind so vielgestaltig, dass sie im Rahmen dieser Arbeit nur in Schwerpunkten behandelt werden können. Die Frage, wie der IWF de lege ferenda zu reformieren ist, wird aus den im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchenden Themenbereichen ausgeklammert, wenngleich souveränitätsrechtliche Gesichtspunkte in 1 C. Reinhart/K. Rogoff, This Time Is Different: Eight Centuries of Financial Folly, 2009.
30 Einführung
eine restriktive Richtung weisen und im Ergebnis eine Einschränkung der Kreditvergabepraxis nahelegen werden. Der erste Teil der Arbeit widmet sich der Bestimmung und Eingrenzung des IWF-Mandats, das sich erst im geschichtlichen Kontext der Erfahrungen zweier Weltkriege und der dazwischenliegenden Weltwirtschaftskrise erschließt. Vor diesem Hintergrund sind die Ziele, Aufgaben und Befugnisse des Fonds sowie sein organisatorischer Aufbau und seine Stellung im Völkerrecht kritisch nachzuzeichnen. Daneben ist das Erkenntnis- und Entscheidungsverfahren innerhalb der IWF-Strukturen zu beleuchten. Gegenstand des zweiten Teils ist die Rolle des Fonds als Kreditgeber, die im Laufe der Zeit durch eine Vielzahl unterschiedlicher Vergabefazilitäten stetig ausgebaut wurde. Neben dem Verfahren, der Rechtsnatur und der Moral-Hazard-Gefahr der Kreditvereinbarungen, ist auch die Rolle, die der IWF innerhalb des internationalen Finanzsystems eingenommen hat, in den Blick zu nehmen. Insbesondere im Zuge der Asienkrise sind neue Institutionen entstanden, die den Fonds in Zukunft vor Herausforderungen stellen werden; denn sie konkurrieren in Aufgabenbereichen, die bisher unangefochten vom IWF besetzt waren. Die an strenge Auflagen geknüpfte Kreditvergabe des IWF wirft eine Vielzahl legitimationstheoretischer Probleme auf. Komplexe Kreditprogramme machen die Verantwortungszusammenhänge unübersichtlich und insbesondere bei Überschuldung des Staates verwischen die Grenzen zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung. Handelt es sich im Einzelfall um extrinsische Faktoren, die außerhalb des Einflussbereichs des Staates liegen oder um Verhältnisse, welche der eigenen existentiellen Staatlichkeit unterworfen sind? Völkerrechtliche Legitimationsfragen wie die Beurteilung der Konditionalität des IWF setzen grundlegende rechtliche Begrifflichkeiten voraus, die im Vorfeld zu klären sind (Teil 3). Insbesondere der zentrale Begriff der völkerrechtlichen Souveränität ist zu befragen: Was macht die Souveränität des Staates im Kern aus? Welche inhaltlichen Strukturen hat sie und wo verlaufen ihre Grenzen? Die Diskussion des Souveränitätsbegriffs kommt ohne ein dogmatisches Vorverständnis nicht aus. Seine Substanz gewinnt erst an Klarheit, wenn die zugrundeliegenden Rechtsbegriffe und deren Ableitungszusammenhänge in kritischer Auseinandersetzung der gegensätzlichen Positionen geschärft werden. Kategorial zugespitzt kann zwischen einem freiheitlichen und einem integrationistischen Souveränitätsverständnis unterschieden werden, wobei deren Begriffsbestimmung anhand einer präzisierten staats- und völkerrechtlichen Dogmatik zu erfolgen hat. Im Anschluss gilt es, auf der Grundlage der leitenden Prinzipien einer kantianisch-freiheitlichen Rechtslehre, die Recht
Einführung31
als ein universelles Prinzip, nicht aber als universelle Gesetzlichkeit versteht2, den Kern des Souveränitätsbegriffs und seine abstrakte völkerrechtliche Begriffsfunktion herauszuarbeiten. Die Literatur hat sich mit der Problematik der Konditionalität umfangreich auseinandergesetzt3. Gleichwohl stieß eine detaillierte Untersuchung der Auflagen häufig an Grenzen, weil der konkrete Inhalt der Auflagenprogramme zwischen dem IWF und den Programmstaaten kaum je publik gemacht wurde4. Deshalb beruhten viele Bewertungen – etwa zur Asienkrise – in großen Teilen auch auf Spekulation5. Seit dem Ausbruch der Eurokrise und im Zusammenhang mit den Kreditprogrammen gegenüber Griechenland (auch Portugal und Irland) liegen für die Untersuchung der Konditionalität (Teil 4) aber aktuelle, beurteilungsfähige Daten vor, zumal die Memoranda of Understanding zwischen den Programmstaaten und den beteiligten Institutionen veröffentlicht wurden. Dabei lässt die Konditionalität gegenüber den betroffenen Staaten einen deutlichen Wandel im staats- und völkerrechtlichen Verständnis erkennen. Freilich entfaltet sich die Problematik der Konditionalität in jeder Krise auf unterschiedliche Weise. In den Krisenstaaten der Euro-Zone müssen sie im wirtschafts- und finanzpolitischen Kontext der Europäischen Union gesehen werden, in welchem auch europarechtliche Aspekte zum Tragen kommen. Gleichwohl lassen sich in der IWF-Politik durchweg erprobte Handlungsmuster und Standardlösungen erkennen. Als Teil der sogenannten „Troika“ (später der „Institutionen“) war der Fonds neben der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank maßgebend an der Formulierung und Durchsetzung der Kreditkonditionen beteiligt, so dass die Gestaltung der Auflagen grundsätzlich (auch) dem IWF zuzurechnen ist. Nicht zu2 Eine universelle Rechtslehre muss maßgeblich auf dem Recht auf Selbstbestimmung beruhen. Die kantianisch-freiheitliche Rechtslehre beruht auf der „Idee der Freiheit als Selbstbestimmung“ und trägt als solche der Pluralität der Rechtskulturen bestmöglich Rechnung. Dazu A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, 2007, S. 244, S. 217 ff., 1038 f. 3 Im überwiegenden Teil der Literatur wird die IWF-Konditionalität im Hinblick auf wirtschafts- und politikwissenschaftliche Aspekte diskutiert. Die rechtliche Seite wird dabei häufig nicht hinreichend berücksichtigt. E. Denter, IMF Conditionality – Economic, Social and Cultural Rights, and the Evolving Principle of Solidarity, in: International Law and Development, S. 235. 4 G. Bird, The IMF and the Future, Issues and options facing the Fund, 2003, S. 97; S. Schlemmer-Schulte, Internationales Währungs- und Finanzrecht, in: Ch. Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, 2009, S. 395 Fn. 101. 5 K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds in ihrem Verhältnis zur Staatssouveränität und zu den Menschenrechten. Zugleich ein Beitrag zu den Entwicklungen staatlicher Souveränität im modernen Völkerrecht, 1999, S. 173.
32 Einführung
letzt wurde der Fonds gerade aufgrund seiner Erfahrung bei der Gestaltung und Durchsetzung von Reformprogrammen in die Kreditprogramme der Eurozone einbezogen. In der Griechenlandkrise werden die Wirkungen der Konditionalität in all ihren Facetten sichtbar und deshalb bietet das Land für die Beurteilung der Konditionalität ein besonders geeignetes Untersuchungsfeld (Teil 4 und Teil 5). In Griechenland war der IWF lange größter Einzelgläubiger des Landes und wurde für die strenge Austeritätspolitik verantwortlich gemacht. Als ihm insbesondere von Seiten der griechischen Bevölkerung heftige Kritik und massive Empörung entgegenschlugen, war er erkennbar bemüht, in der politischen Außendarstellung hinter die Staaten und Institutionen der Europäischen Union zurückzutreten, freilich ohne seine Rolle als maßgeblicher Akteur aufzugeben. Aufschlussreich ist insbesondere das erste Rettungsprogramm für Griechenland, mit dem die Weichen für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes gestellt wurden. Im Für und Wider der Meinungen zur besten Lösung der Krise müssen die angestrebten Teilziele – (1.) Griechenland in der Eurozone zu halten und (2.) auf eine umfassende Entschuldung zu verzichten – im volkswirtschaftlichen Zusammenhang betrachtet und die problematischen Folgen dieser Teilziele sichtbar gemacht werden. So gibt das Engagement des IWF in der Eurokrise Aufschluss über die strukturellen Verflechtungen zwischen dem Fonds und seinen maßgeblichen Anteilseignern. Private und staatliche Gläubiger verfolgen gerade in Krisen, in denen ihre Forderungen und Investitionen auf dem Spiel stehen, eigene Interessen. Am Beispiel der Eurokrise ist zu untersuchen, wie utilitaristische Erwägungen der Akteure im politischen Geschehen zur Geltung gebracht werden und die vorgeblich unabhängige Sachlichkeit der IWF-Expertisen beeinflussen (Teil 4). Aus der Perspektive eines freiheitlichen Souveränitätsverständnisses ist zu klären, ob und inwiefern die Auflagen des IWF mit der Souveränität der Staaten zu vereinbaren sind. In der politischen Praxis werden meist empirische Begründungskonzepte angeführt, so auch in der Griechenlandkrise. Hier ist zu fragen, inwiefern diese Ansätze als Rechtfertigung für Souveränitätsverletzungen in Überschuldungskrisen bestehen können (Teil 5). Die Untersuchung erfolgt auf der Grundlage der oben erörterten völker- und rechtsstaatlichen Prinzipien, insbesondere eines republikanischen Demokratiebegriffs, wobei das spezifische Verfassungsrecht Griechenlands außer Acht bleiben soll. Der sechste Teil wendet sich der Frage zu, ob Auflagen aus vertragstheoretischer Perspektive Verbindlichkeit beanspruchen können. Zwar gilt auch im Völkerrecht der Grundsatz pacta sunt servanda. Die Verbindlichkeit von Verträgen beruht aber auf dem Rechtsprinzip an sich und deshalb gilt auch
Einführung33
die Vertragsfreiheit nicht ohne Einschränkungen, zumal in Fällen, in denen zwischen den Vertragspartnern keine formale Äquivalenz besteht. In Bezug auf den Umgang mit überschuldeten Staaten wird über die Problematik einer sachgerechten Verteilung des Ausfallrisikos zwischen dem Schuldnerstaat und seinen Gläubigern nachzudenken sein. Es ist zu fragen, ob und inwiefern Auflagen der Gläubiger im Rahmen von Kreditverträgen dem Sachlichkeitsgebot und damit dem Schutz des Schuldners genügen müssen. Dies führt zu strukturbestimmenden Rechtsprinzipien, die für die Regelung von Kreditbeziehungen zwischen Gläubigern und Schuldnern, insbesondere auch für die Frage der Konditionalität als „legal concept“6, grundlegend sind. Verletzungen der Souveränität – so viel sei vorweggenommen – werden im Rahmen der Konditionalitätsprogramme systematisch in Kauf genommen, wie gerade am Beispiel Griechenlands anschaulich wird. Das wirft im Fortgang der Untersuchung die grundsätzliche Frage auf, ob der Umgang mit zahlungsunfähigen Staaten nicht einer Verrechtlichung des Verfahrens auf der Ebene des Völkerrechts bedarf (Teil 7). Den Gedanken an ein Insolvenzrecht unter Staaten hatte ursprünglich der IWF selbst angestoßen und obzwar der Vorschlag in Finanzkreisen lange Zeit auf Ablehnung stieß, finden darauf aufbauende Konzepte – zumal seit Ausbruch der Weltfinanz- und Eurokrise – immer mehr Resonanz7. Für die Untersuchung einer völkerrechtlichen Insolvenzordnung ist ein Vergleich mit den Regelungen des privatwirtschaftlichen Insolvenzrechts zwar hilfreich, jedoch sind jene nur begrenzt auf das Völkerrecht übertragbar und Analogien insofern problematisch. Trotz der Unterschiede zwischen Privatrecht und Völkerrecht sind Rechtsprinzipien erkennbar, die sich auch auf die besonderen Strukturen des Völkerrechts übertragen lassen. Die Frage der Einführung eines völkerrechtlichen Insolvenzverfahrens wird in diesem Zusammenhang zielorientiert geprüft; denn es geht primär darum, Leitgedanken zu formulieren, die einem solchen Verfahren Maß und Ziel geben könnten. Sie bedürfen einer weiterführenden Präzisierung, die im Umfang dieser Arbeit nicht geleistet werden kann.
6 E. Denter, IMF Conditionality – Economic, Social and Cultural Rights, and the Evolving Principle of Solidarity, in: International Law and Development, in: Waart, Paul de/Peters, Paul/Denters, Erik (Hrsg.), International Law and Development, 1988, S. 235. 7 Die Einführung an eine internationale Insolvenzordnung wurde in Deutschland zuletzt vom Sachverständigenrat vorgeschlagen. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Konsequenzen aus der GriechenlandKrise für einen stabileren Euro-Raum, Sondergutachten 07/2015, S. 31 ff., Rdn. 83 bis 88.
34 Einführung
Der letzte Teil der Arbeit erweitert den Blick auf eine der wesentlichen Ursachen der staatlichen Überschuldung (Teil 8). In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Liberalisierung des Kapitalverkehrs, je nach konjunktureller Lage, zuweilen als Segen und zuweilen als Fluch des globalen Wirtschaftssystems betrachtet. Der IWF hat die Liberalisierung der Kapitalmärkte über Jahre massiv gefördert. In der Literatur wird sie insbesondere seit Ausbruch der Weltfinanzkrise zunehmend kritisch hinterfragt. So hat die Erfahrung der letzten Finanz- und Wirtschaftskrisen deutlich gemacht, dass die Entterritorialisierung der Kapitalmärkte besondere rechtliche Probleme aufwirft, welche auch für die Stabilität des globalen Wirtschafts- und Währungssystems von großer Bedeutung sind.
Teil 1
Mandat und Struktur: Von den Anfängen bis zur Gegenwart A. Niedergang westlicher Währungssysteme und Suche nach neuer Ordnung Die Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank am 22. Juli 1944 auf der „Internationalen Währungs- und Finanzkonferenz der Vereinten und Assoziierten Nationen“ in Bretton Woods war der Versuch, auf möglichst breiter Basis eine internationale Währungsordnung zu errichten1. Ansätze dazu hatte es bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert gegeben, eine Einigung scheiterte jedoch stets am politischen Widerstand der führenden Handelsnationen, deren volkswirtschaftliche Interessen gegenläufig, meist einseitig national orientiert waren2, wobei sie die Folgen der rasch fortschreitenden wirtschaftlichen Interdependenz unterschätzten3.
I. Prägende Erfahrungen aus der Geschichte Die Entscheidung zur Gründung einer supranationalen Finanzinstitution war dann auch in erster Linie politischen Einsichten geschuldet und bei den Bretton-Woods-Verhandlungen über die Schaffung eines Weltfinanzsystems war es weniger um die Frage nach dem ökonomisch Notwendigen als um die Durchsetzung des politisch Möglichen gegangen. Dies erschließt sich im historischen Kontext und daher muss eine genauere Analyse bei den Anfängen und weltumspannenden Ursachen ansetzen. Drei globale wirtschaftspolitische Entwicklungsstadien haben zur Gründung des IWF maßgeblich beigetragen: die Erfahrungen aus dem Goldstandard, das Desaster der Weltwirtschaftskrise und die wirtschaftlichen Verwerfungen als Folge der beiden Weltkriege. 1 Siehe H. James, The IMF and the Creation of the Bretton Woods System, 1944– 58, in: Barry Eichengreen (Hrsg.), Europe’s Post-War Recovery, 1996. 2 Dazu C. Hefeker, Handels- und Finanzarchitektur im Umbruch: Globale Integration und die institutionelle Arbeitsteilung von IWF, Weltbank und WTO, 2003. 3 Zur historischen Entwicklung W. Hankel, Der lange Weg zum monetären Völkerrecht: Geschichte der Geldlehren, Lehren der Geldgeschichte, in: Rechtsfragen der Weltwirtschaft, K. A. Schachtschneider (Hrsg.), 2002, S. 32.
36
Teil 1: Mandat und Struktur: Von den Anfängen bis zur Gegenwart
1. Gescheiterter Goldstandard Der Goldstandard4, bei dem die Paritäten in Gold fixiert sind und der Bargeldumlauf an die Goldreserven gebunden ist, spielte in der internationalen Währungsordnung bis zum Jahr 1914 eine dominierende Rolle. Auf diese Weise wurde zugleich der Sicherung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts absolute Priorität eingeräumt5. Als erstes Land hatte ihn Großbritannien im Jahr 1816 eingeführt. Er verpflichtete die Zentralbank, Papiergeld nur noch gegen den Ankauf einer festgelegten Menge Goldes zu emittieren. Diesem Beispiel folgten bald andere Länder6. Konstitutionell war der Goldstandard zwar noch national definiert, weil jedes Land seine Münzdeckung selbst bestimmte. Gleichwohl war er wegen der sich daraus ableitenden stabilen Wechselkurse auch international7; denn mit der Orientierung der führenden Weltwährungen an einem feststehenden Goldstandard entstand zugleich der erste internationale WeltWährungsverbund8. Dessen Grundlage war die Garantie jedes teilnehmenden Staates, den Gegenwert der eigenen Währung als Goldreserve zu halten. Die stabilen Wechselkurse zum Goldwert ermöglichten jederzeit die Umrechnung einer nationalen Währung im Verhältnis zu anderen Währungen mit Goldstandard9.
4 Der wirtschaftstheoretische Ansatz des Goldstandards als Geldverfassungsmodell basierte auf dem im Jahr 1816 von David Ricardo in seinem Werk „Proposals for an Economical and Secure Currency“ entworfenen „Currency Principle“. Papiergeld konnte demnach jederzeit zum aufgedruckten Wert in Gold zurückgetauscht werden (100 % Golddeckung des Papiergeldes). Der Geldwert ist in den verwendeten Währungseinheiten als Wert einer festgesetzten Menge Feingold definiert. Vgl. zur Definition des Goldstandards B. Eichengreen/M. Flandreau, The Gold Standard in Theory and History, 1997, S. 5 ff. 5 Eine wesentliche Bedingung des Systems besteht darin, dass die Länder bei Zielkonflikten bereit sind, dem Ausgleich der Zahlungsbilanz Vorrang vor den binnenwirtschaftlichen Zielen einzuräumen. Vgl. U. Baßeler/J. Heinrich/W. Koch, Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft, 1994, S. 549. Nichtsdestoweniger liegt ein Ausgleich der Zahlungsbilanz im binnenwirtschaftlichen Interesse, dazu W. Koch/ Ch. Czogalla/M. Ehret, Grundlagen der Wirtschaftspolitik, 2008, S. 360. 6 Zum Beispiel folgten die Niederlande bereits zwei Jahre später im Jahr 1818, das neu gegründete Deutsche Reich im Jahr 1873. Frankreich übernahm im Jahr 1873 den Goldstandard, die USA folgten durch den sogenannten Gold Standard Act erst im Jahr 1900. 7 Siehe W. Hankel, Der lange Weg zum monetären Völkerrecht, in: Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 32. 8 Jeanne Asherman spricht vom ersten „Weltwährungsregime“, The International Monetary Fund: A History of Compromise, 1984, S. 237. 9 Das britische Pfund Sterling fungierte de facto als Leitwährung.
A. Niedergang westlicher Währungssysteme und Suche nach neuer Ordnung 37
Der Währungsverbund auf Goldbasis fand mit der militärischen Mobilmachung zum Ersten Weltkrieg ein jähes Ende. Kriegsinflation, abnehmende Flexibilität der Preise und Löhne, Goldmangel und der Übergang zum bewussten Einsatz der Geld- und Kreditpolitik für nationale Zwecke entzogen ihm die existentiellen Grundlagen. Mancherorts wurde der Goldschatz der Zentralbanken kurzerhand für Kriegszwecke beschlagnahmt. Als das britische Pfund Sterling das Vertrauen in seine Konvertierbarkeit in Gold verlor, setzten die Bank of England und in der Folge auch die Zentralbanken anderer Länder die Goldeintauschverpflichtung aus. Eine währungspolitische Sondersituation hatte sich in Deutschland durch die Hyperinflation10 im Jahr 1923 entwickelt. Ihre Ursachen gehen schon auf den Ausbruch und Verlauf des Ersten Weltkriegs zurück; denn damals hatte die Reichsregierung die immer schneller wachsenden Kriegskosten weniger durch Steuererhöhungen (wie beispielsweise in Frankreich) sondern durch die Ausgabe von Schuldtiteln (Schatzanweisungen des Reiches) finanziert. Dadurch stieg die umlaufende Geldmenge (Bar- und Buchgeld) immer mehr, während das Angebot von zivilen Gütern und Dienstleistungen sank. Schon im Jahr 1916 war die Reichsregierung daher gezwungen, die Dritteldeckung der Mark in Gold aufzugeben. Nach Kriegsende konnte das Deutsche Reich, anders als die Siegermächte, die hohen Kriegsschulden nicht auf andere Staaten abwälzen, sondern war durch den Versailler Vertrag selbst zu hohen Reparationszahlungen gezwungen. Um die steigenden Haushaltsdefizite auszugleichen, musste der Staat immer höhere Kredite aufnehmen, die über die Notenpresse der Reichsbank finanziert wurden11. Die Geldmenge M wuchs dadurch immer weiter an. Alle Dämme brachen schließlich mit der Ruhrbesetzung und dem „Ruhrkampf“ im Januar 1923, „als die Industrieproduktion an der Ruhr massiv sank und die Reichsregierung den passiven Widerstand an der Ruhr durch eine exorbitante Ausweitung des Druckes von Papiergeld finanzierte, was die Geldmenge M erhöhte“12.
10 Bei einer Hyperinflation ist die monatliche Preissteigerungsrate höher als 50 Prozent. 11 Wenn man aber bedenkt, dass nach dem Kriegsende 1918 die Reichsschulden 150 Milliarden Mark betrugen und das Volkseinkommen im Jahr 1919 bei geschätzten 142 Milliarden lag, dann ist diese Schuldenquote von 105 Prozent nicht einmal ungewöhnlich hoch im Vergleich mit den heutigen Schuldenquoten einiger EU-Staaten. So wiesen zu Beginn des Jahres 2014 Belgien mit 108 %, Irland mit 115 %, Portugal mit 131 %, Italien mit 132 % und Griechenland mit 175 % höhere Staatsverschuldungen auf (Quelle: World Economic Outlook Database, April 2014). 12 H. Braun, Historisches Lexikon Bayerns, Stichwort Inflation, 1914–1923, Bayerische Staatsbibliothek/Kommission für bayerische Landesgeschichte, einzusehen unter http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44730.
38
Teil 1: Mandat und Struktur: Von den Anfängen bis zur Gegenwart
Zwar kehrten nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die meisten Länder zum Goldstandard zurück und versuchten ungeachtet der eingetretenen Preissteigerungen die Goldparität so nahe wie möglich der Vorkriegsparität anzunähern13, was Großbritannien erst im Jahr 1926 gelang14. Die Kriegsausgaben hatten aber in den anderen europäischen Staaten zu erheblichen Auslandschulden geführt, insbesondere gegenüber den USA. Die internationale Finanzkrise des Jahres 1929 und die nachfolgende Weltwirtschaftskrise, die Aufhebung der Goldkonvertibilität des Pfund Sterlings sowie die Neufestsetzung der Dollarparität15 führten bald wieder zum Zusammenbruch des Goldstandards. Im Herbst 1931 erklärte die britische Regierung aus Sorge um die nationalen Goldreserven die abermalige Abkehr von diesem Währungssystem, das erst endgültig aufgegeben wurde, als sich der im Jahr 1933 gegründete „Goldblock“16 im Jahr 1936 auflöste17. Das Britische Pfund wurde drastisch abgewertet, die USA folgten im Jahr 1933, Frankreich drei Jahre später. In der Folge kamen sowohl der Währungsumtausch als auch der Welthandel fast gänzlich zum Erliegen. 2. Fehlendes Problembewusstsein beim Versailler Friedensvertrag Die Pariser Friedenskonferenzen – die Vorortverträge von Versailles (mit dem Deutschen Reich), St. Germain (mit Österreich) und Trianon (mit Ungarn) – beschäftigten sich vor allem mit Reparationen, der Kriegsschuldfrage und mit territorialen und militärischen Bestimmungen. Wirtschaftliche Fragen wurden allenfalls am Rande und im Hinblick auf Wiedergutmachung in Geld- und Sachleistungen diskutiert. Die Gelegenheit für eine Einigung über weltweite wirtschaftspolitische Standards wie Zölle und Wechselkurse war zumindest unter den Siegermächten günstig; denn ein gewisses Einvernehmen darüber, dass die Förderung internationaler Handelsbeziehungen einen 13 Um Gold zu sparen, gingen die meisten Länder zur Goldkernwährung und zum Gold-Devisen-Standard über. Die Zentralbank verwendet dabei Gold, um ihre Einlöseverpflichtung gegenüber anderen Zentralbanken zu erfüllen. Ein Umtausch des unterwertigen Geldes in Gold ist in diesem System nicht möglich. 14 W. Hankel, Der lange Weg zum monetären Völkerrecht, in: Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 35. 15 Es kam zu einer Abwertung des Dollars gegenüber dem Pfund-Sterling um 45 Prozent, A. Konrad, in: Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, 1987, S. 745. 16 Der Goldblock war eine Gruppe von sechs Ländern (Belgien, Niederlande, Frankreich, Italien, Polen, Schweiz), die nach dem Zusammenbruch des Goldstandards im Jahre 1931 versucht hatten, den Goldstandard zu den bestehenden Paritäten aufrecht zu erhalten. 17 Zur Situation des Goldstandards in der Zwischenkriegszeit siehe S. Pollard, The Goldstandard and Employment Policies between the Wars, 1970.
A. Niedergang westlicher Währungssysteme und Suche nach neuer Ordnung 39
wesentlichen Beitrag zum Weltfrieden leisten konnte, war durchaus vorhanden18. Eingehende wirtschaftspolitische Regelungen hielten die meisten Länder gleichwohl nicht für erforderlich. Das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes und dessen „unsichtbare Hand“19 war noch aus der Phase der wirtschaftlichen Prosperität der Vorkriegszeit sehr ausgeprägt. Schließlich hatte die Periode des Goldstandards, die auf britischer Vormachtstellung gegründet war, eine ganze Generation lang für beachtliche Währungsstabilität gesorgt20. Getreu der These des Liberalismus sollten die Regierungen auch in Zukunft möglichst nicht auf den Märkten intervenieren, dem Handel keine Schranken setzen und sich auf staatspolitische Aufgaben beschränken (laissez-faire-Politik)21. Indem die Nationalstaaten sich nicht auf globale handelspolitische Grundregeln einigten, bereiteten sie weltweit verhängnisvoller nationalistischer Wirtschaftspolitik den Weg und es ist anzunehmen, dass das Versäumnis einer supranationalen institutionellen Finanz- und Währungskoordinierung die fatale Entwicklung zum Zweiten Weltkrieg erheblich begünstigte22. 3. Lehren aus der Weltwirtschaftskrise Den entscheidenden Anstoß, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen neu zu überdenken und rechtsverbindlich zu ordnen, gaben die Erfahrungen 18 Woodrow Wilson verdeutlichte diesen Zusammenhang in seiner 14-Punkte-Rede vor dem U.S. Congress im Januar 1918: „The removal, so far as possible, of all economic barriers and the establishment of an equality of trade conditions among all the nations consenting to the peace and associating themselves for its maintenance.“ 19 Der Begriff geht auf Adam Smiths These zurück, dass ein System von Preisen die Wirtschaft wie eine „invisible hand“ steuere. An Inquirary into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, S. 354. 20 Dazu W. Hankel, Der lange Weg zum monetären Völkerrecht, in: Rechtsfragen der Weltwirtschaft. 21 Diese Phase dauerte bis in die Mitte der dreißiger Jahre und wurde anschließend durch das Gedankengut des Sozialismus (vornehmlich durch die Erfahrungen der UDSSR) und zum anderen durch die Idee eines interventionistischen Kapitalismus (nach Keynes und Beveridge) gestärkt. „By the middle of the 1930ies lassez-faire was therefore dead even as an ideal.“ E. Hobsbawm, Industry and Empire an Economic History of Britain since 1750, 1968, S. 207; dazu auch F. Rück, 1919–1939, Frieden ohne Sicherheit, 1945, S. 99. 22 Ebenda, S. 71 f.; Keynes hatte darauf bereits im Jahr 1919 hingewiesen: „To what a different future Europe might have looked forward if either Mr. Lloyd George or Mr. Wilson had apprehended that the most serious of the problems which claimed their attention were not political or territorial but financial and economic […].“ J. M. Keynes, The Economic Consequences of the Peace, 1920, Chapter V, Reparation.
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der Weltwirtschaftskrise, die als „the defining moment for the international monetary system“ betrachtet werden23. Dem Börsenkrach im Oktober 1929 waren Jahre des Börsenbooms vorausgegangen. In den USA hatten sich in den zwanziger Jahren die Aktienmärkte stetig nach oben entwickelt. Die steigenden Kursgewinne heizten die Spekulation weiter an und führten zu einer extremen Kapitalagglomeration in den Vereinigten Staaten24. Obgleich die Märkte allmählich gesättigt waren und die Nachfrage langsam erlahmte, wurde die Produktion beständig ausgeweitet25. Das Vertrauen auf weiter steigende Kurse blieb ungebrochen, die Aktienkurse stiegen höher. Um Aktien kaufen zu können, wurden Kredite zu horrenden Zinsen aufgenommen, ungeachtet bereits deutlicher Anzeichen für eine heraufziehende Konjunktur- und Finanzkrise26. Mit dem New Yorker Börsenkrach zwischen dem 23. und dem 29. Oktober 1929 platzte die Blase27 und die Aktienkurse brachen ein28.
23 M. Bordo/B. Eichengreen, Implications of the Great Depression for the Development of the International Monetary System, 1998, S. 403 ff.; dazu auch M. Bordo/C. Goldin/E. White, The Great Depression and the American Economy in the Twentieth Century, 1998, passim. 24 „Die amerikanische Zentralbank hob zur Dämpfung der Überspekulation die Zinsen an und trug so dazu bei, dass Investitionen und die Industrieproduktion schon vor dem Oktober 1929 ihren Höhepunkt überschritten.“ Ch. Buchheim, FAZ vom 28. Okt. 2009, Es war einmal: die Weltwirtschaftskrise. 25 Während des Ersten Weltkriegs war die Industrieproduktion in Europa praktisch zum Erliegen gekommen. Um die kriegsbedingt hohe Nachfrage weiter bedienen zu können, bauten vor allem die USA und Südamerika ihre Produktionskapazitäten aus. Als nach dem Ende des Krieges die europäische Produktion wieder aufgenommen wurde, entstanden Mitte der zwanziger Jahre eine Überproduktion und ein Überangebot. Zusammen mit protektionistischen Maßnahmen der betroffenen Länder (auch die USA hielten als größte Gläubigernation an ihren hohen Schutzzöllen fest) führte das zu einem weltweiten Preisverfall, zumal für Agrarprodukte und mineralische Rohstoffe. Vgl. M. Bordo/B. Eichengreen, Implications of the Great Depression for the Development of the International Monetary System. 26 Großbritannien litt bereits seit einiger Zeit „unter einer bedrohlichen Ausfuhrschwäche, geringem Wirtschaftswachstum und relativ hoher Arbeitslosigkeit. Die Industriestruktur war veraltet und der Wechselkurs des Pfundes war hoch.“ Ch. Buchheim, FAZ vom 28. Okt. 2009, Es war einmal: die Weltwirtschaftskrise. 27 C. Kindleberger, Die Weltwirtschaftskrise. 1929–1939, in: Geschichte der Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert, Bd. 4, 1973. 28 Zwischen den Jahren 1929 und 1932 fiel der amerikanische Dow Jones Industrial Average Index von 381,17 auf nur noch 42,22 Punkte und selbst im Jahr 1937 hatte er sich noch nicht erholt und lag mit 113,64 Punkten immer noch um 70,2 Prozent unter dem Ausgangsjahr der Krise 1929; Analyst, The Great Depression, volume 4, issue 1, January 2002, einzusehen unter www.longwavegroup.com/publications/special_editions/2002/pdf/v4_01_LongwaveAnalyst.pdf.
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Die Krise breitete sich rasch nach Europa aus und sorgte als Impuls für eine zusätzliche Verschlechterung der globalen wirtschaftlichen Situation. Die Industrieproduktion in den Vereinigten Staaten erlebte einen massiven Einbruch. Dies verringerte die amerikanischen Einfuhren, was wiederum die wirtschaftliche Entwicklung in anderen Ländern negativ beeinflusste und in Deutschland indirekt einen neuen Inflationsschub auslöste29. Die Vereinigten Staaten hatten nach dem ersten Weltkrieg Großbritannien als stärkste Wirtschaftsmacht abgelöst und waren zur größten Exportnation der Welt aufgestiegen. Im Jahr 1929 erzeugten sie fast die Hälfte der industriellen Güter im Welthandel. Nach dem Krieg waren die USA als größter Goldbesitzer der Welt auch der Hauptkreditgeber des Deutschen Reichs. Die in Versailles beschlossenen hohen Reparationszahlungen hatten die deutsche Volkswirtschaft stärker als andere von ausländischen, insbesondere amerikanischen Krediten abhängig gemacht. Die weiterhin hohen Reparationszahlungen wurden nicht über Steuererhöhungen und Sparprogramme, sondern über massive Kapitalimporte finanziert30. Der Staatshaushalt und die Leistungsbilanz blieben auch nach der Währungsreform im Jahr 1924 defizitär. Als die amerikanische Federal Reserve Bank als Antwort auf den Kursverfall der Börse Ende des Jahres 1929 die Zinsen drastisch erhöhte, gerieten die US-Banken in Liquiditätsnot und riefen ihre Auslandskredite zurück. Das traf die noch im Wiederaufbau befindliche deutsche Wirtschaft besonders hart. Aber auch England war seit dem Krieg in erheblichem Maß von Kapitalimporten aus den USA abhängig geworden. Die betroffenen Staaten begegneten der Krise uneinheitlich. Um ihre Devisenreserven zu schützen, koppelten viele Länder ihre Währungen vom Golddevisenstandard ab. Deutschland versuchte unter Reichskanzler Brüning seine Währung durch Hyperdeflationspolitik (Austeritätspolitik) zu stärken, was zu hoher Arbeitslosigkeit führte31. Um die eigene Wirtschaft zu schützen, griffen die meisten Volkswirtschaften zu protektionistischen Maßnahmen. Den Anfang machten die USA mit dem Smoot-Hawley-Tariff Act im Jahr 1930, der die Importzölle auf Rekordhöhe steigen ließ. Die Handelspartner antworteten mit Gegenmaßnahmen: 29 H. A. Winkler, Weimar 1918–1933: Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, 1993. Zur vorausgegangenen sogenannten Hyperinflation der Nachkriegszeit siehe C.-L. Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914–1923. Ursachen und Folgen in internationaler Sicht, 1980. 30 Wilhelm Hankel spricht von „kommerzialisierten“ Reparationen, welche durch Auslandskredite anstatt durch inneres Sparen finanziert werden, Der lange Weg zum monetären Völkerrecht, in: Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 35. 31 Zur Deflationspolitik Heinrich Brünings siehe M. North, Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick, 2005.
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Großbritannien setzte den Freihandel aus und führte im Februar 1932 einen Einheitszoll ein32. Die hohen Zölle dämpften den Welthandel erheblich. In Deutschland stiegen die Importpreise auf das Zweieinhalbfache des Weltmarktpreises. Zwischen den Jahren 1929 bis 1932 fiel der Welthandel wertmäßig auf ein Drittel des jeweiligen Vorjahresniveaus zurück33. Als England (1931) und die Vereinigten Staaten (1933) den Goldstandard aufgaben, entstand ein starkes Ungleichgewicht gegenüber Ländern wie Frankreich, die am Goldstandard festgehalten hatten (sogenannte „GoldBlock“-Länder). Die starke Abwertung des britischen Pfund Sterlings und des amerikanischen Dollars hatte im Gleichschritt eine Aufwertung des Francs zur Folge und sorgte für erhebliche Wettbewerbsnachteile französischer Produkte gegenüber Erzeugnissen aus England und den USA. Als Antwort auf diesen Handelsstreit drohte auch Frankreich, den Franc abzuwerten. Die drei Länder einigten sich schließlich inoffiziell im sogenannten „Tripartite Agreement“ im Jahr 1936 darauf, eine weitere kompetitive Abwertung der eigenen Währungen zu unterlassen und die Währungswerte auf dem bestehenden Niveau zu stabilisieren34. Diese Einigung war der Ansatz einer multilateralen Währungsstabilisierung, deren Grundsatz – „to avoid competitive exchange depreciation“ – als ein Leitprinzip in den Zielkatalog des IWF-Gründungsvertrags aufgenommen wurde35. Wirtschaftspolitisch führte die „Große Depression“ zu einem erheblichen Vertrauensverlust in die Selbstheilungskräfte des freien Marktes. Mit der Wahl Franklin D. Roosevelts im Jahr 1933 zum amerikanischen Präsidenten und seiner an Keynes orientierten „New Deal“-Politik setzte sich die Einsicht durch, nicht länger darauf zu vertrauen, dass die Marktmechanismen die Schwierigkeiten von allein lösten. Anstatt dessen ordnete Roosevelt massive 32 C. Wilcox,
A Charter for World Trade, 1949, S. 5 ff. den Jahren 1929 und 1933 ging der Welthandel um 35 Prozent zurück. K. J. Horsefield, The International Monetary Fund, 1945–1965: Twenty Years of International Monetary Cooperation, Bd. 1, 1986, S. 5; C. Kindleberger, The World in Depression, 1929–1939, 1986, S. 168 ff. 34 Diese „Bemühungen um völkervertragsrechtliche Regeln für eine internationalmultilaterale Währungskooperation waren zunächst zaghaft und wenig erfolgreich: das Abkommen konnte jederzeit auf 24 Stunden gekündigt werden, inhaltlich handelte es sich eher um eine Absichtserklärung betr. die Einhaltung gewisser Grundsätze im Rahmen der nationalen Wechselkurs- und Währungspolitiken als um einen völkerrechtlichen Vertrag stricto sensu“. Die zuvor informelle Kooperation der Zentralbanken begann sich im Jahr 1930 mit der Gründung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zu institutionalisieren. Zur völkerrechtlichen Entwicklung des Bretton-Woods-Wahrungssystems E. U. Petersmann, Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform: Wirtschaftliche Dynamik als Völkerrechtsproblem in der Praxis des Internationalen Währungsfonds, ZaöRV 1974, S. 462 ff. 35 Art. I Ziffer iii) IWF-Übereinkommen. 33 Zwischen
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staatliche Eingriffe, zum Beispiel umfangreiche staatliche Investitionsprogramme an, die öffentliche Überwachung der Börsen, Mindestpreise für Agrarprodukte, Mindestlöhne für Industriearbeiter und ein stark progressives Steuersystem36.
II. Konferenz von Bretton Woods und Etablierung des IWF Zur Weltfinanzkonferenz in Bretton Woods fanden sich die Finanzminister und Notenbankgouverneure von 44 Staaten der späteren Siegermächte zusammen. Die Verhandlungen vom 1. bis zum 22. Juli 1944 standen unter dem prägenden Eindruck der zurückliegenden beiden Jahrzehnte, besonders der verheerenden Folgen der großen Depression in den dreißiger Jahren, die auch die Finanz- und Währungssysteme erschütterten37. Die ruinöse Wettbewerbspolitik unter den Handelspartnern sollte in einem neu zu gründenden Weltwirtschaftssystem eingedämmt werden. Die sogenannte beggar-thyneighbour-Politik als „Instrument neomerkantilistischer Exportförderung“38 hatte sich als besonders verhängnisvoll erwiesen, weil sie darauf abzielte, sich gegenüber anderen Ländern unlautere Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, um so die staatlichen Deviseneinnahmen zu steigern. Dies geschah sowohl durch Erhöhung der Zollschranken zum Schutz einheimischer Produkte als auch durch konkurrierende Abwertungen der eigenen Währung, um die eigenen Erzeugnisse auf dem Exportmarkt attraktiver zu machen. Tatsächlich setzte diese Wirtschaftspolitik einen gefährlichen Kreislauf, den sogenannten „devaluation cycle“, in Gang39. Infolge dessen verteuerten sich die Importe und die Inflation wurde angeheizt, was weitere Abwertungen erforderlich machte. Als das Vertrauen in das Papiergeld immer weiter schwand und die Goldnachfrage in die Höhe trieb, gerieten die Finanzmärkte außer Kontrolle. Die zur Lösung der Weltwährungsprobleme in den dreißiger Jahren einberufenen internationalen Konferenzen hatte ergebnislos geendet. 36 Die Maßnahmen wurden von den „Monetaristen“ (Chicago School) mit ihrem Wortführer Milton Friedman bekämpft und mit der wirtschaftlichen Erholung im Jahr 1943 teilweise wieder abgeschafft. 37 Zwischen den Jahren 1929 und 1932 waren die Warenpreise weltweit um 48 Prozent gesunken und der Wert des internationalen Handels war um 63 Prozent zurückgegangen. Vgl. D. D. Driscoll, Was ist der Internationale Währungsfonds? Abteilung Öffentlichkeitsarbeit Internationaler Währungsfonds, 1998, einzusehen unter http://www.imf.org/external/pubs/ft/exrp/what/ger/whatg.pdf. 38 E. U. Petersmann, Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform, S. 274. 39 R. Nurkse, Conditions of International Monetary Equilibrium: Economic, Financial, and Transit Department, League of Nations, in: Essays in International Finance, No. 4, 1945, S. 9.
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Auch die Konferenz von Bretton Woods wäre ohne einen fundamentalen Wandel in der amerikanischen Außen- und Wirtschaftspolitik kaum erfolgreich gewesen. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg standen die USA der Idee einer internationalen Finanzorganisation noch ablehnend gegenüber. Eine multilaterale Einbindung widersprach der nach dem Ersten Weltkrieg vorherrschenden Neigung zum Isolationismus und einem traditionellen Selbstverständnis, das auf wirtschaftlicher Autarkie (begünstigt durch umfangreiche eigene Rohstoffvorkommen) und außenpolitischer Autonomie beruhte. Die strategische Neuausrichtung vom Unilateralismus zum Multilateralismus war für die USA Lehre und Konsequenz aus dem Zusammenbruch der globalen Wirtschaftsbeziehungen vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. In der Hauptsache beruhte die Zustimmung zu einer multilateralen Organisation auf den traumatischen Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs, aber auch dem Willen, dass nach Kriegsende kein „zweites Versailles“ die Weltwirtschaft in die nächste große Depression stürzen dürfe40. Dies war ausschlaggebend, Teile der internationalen Wirtschaft, insbesondere die Währungs- und Wechselkurspolitik, auf einer multilateralen Ebene zu institutionalisieren. Um den zunehmenden „Verflechtungen von Handels-, Währungs- und Finanzfragen“41 (Drei-Säulen-Modell) Rechnung zu tragen, mussten institutionelle Voraussetzungen geschaffen werden. Geplant war der Aufbau von drei Organisationen zur Koordinierung des Wiederaufbaus: die internationale Handelsorganisation (ITO) zur Liberalisierung und zum Wiederaufbau des internationalen Güterhandels (später realisiert als Welthandelsorganisation, WTO), die spätere Weltbank und der IWF zur Stabilisierung der Wechselkurse (IWF)42. Die drei zu gründenden Organisationen sollten innerhalb der Vereinten Nationen durch den Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) koordiniert werden43. 40 Nach Franz Aschinger waren „die bitteren Erfahrungen der dreißiger Jahre, als der Welthandel infolge protektionistischer Handelsmaßnahmen, Devisenkontrollen und Bilateralismus eine katastrophale Schrumpfung und starke Verzerrung erlitt, […] bestimmend dafür, dass bei der Planung des internationalen Handels- und Zahlungssystems ein möglichst freier multilateraler Handels- und Zahlungsverkehr mit an die Spitze der Prioritäten gesetzt wurde“. Das Währungssystem des Westens, 1973, S. 68; vgl. auch E. Altvater, Die Weltwährungskrise, 1969, S. 45 f. 41 Ch. Tietje, Architektur der Weltfinanzordnung, Institut für Wirtschaftsrecht, Heft 109, Mai 2011, S. 18. 42 Zu den „drei Säulen der Nachkriegsarchitektur“ C. Hefeker, Globale Integration und die institutionelle Arbeitsteilung von IWF, Weltbank und WTO, S. 10 ff. 43 D. Arner/M. Taylor, The global financial crisis and the Financial Stability Board: Hardening the soft law of international financial regulation?, AIIFL WP No. 6 June 2009, S. 185 und S. 188 f. Zur Kooperation zwischen dem IWF und den Vereinten Nationen D. Ruddigkeit, Das Mandat des IWF, S. 108 f.
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Während der Weltbank die Aufgabe zukam, die kriegsgeschädigten europäischen Volkswirtschaften wieder aufzurichten, sollte eine internationale Handelsorganisation die Handelspolitik der Mitgliedstaaten aufeinander abstimmen44. Allerdings war der Welthandel immer abstrakt und konkret durch divergierende Wechselkurse bedroht. Die Intensivierung des Welthandels erforderte Vertrauen in die Währungen der Handelspartner, welches allein über stabile Wechselkurse hergestellt werden konnte. Erste Bemühungen, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen neu zu ordnen, wurden bereits in der „Atlantic-Charta“ vom 14. August 1941 aufgegriffen. In der „Hoffnung für eine bessere Zukunft der Welt“45 sollte die Gestaltung des Friedens auf einer neuen multilateralen Weltordnung beruhen. Angestrebt wurde eine größtmögliche wirtschaftliche Zusammenarbeit aller Völker, mit dem Ziel, allen Menschen bessere Arbeitsbedingungen, wirtschaftlichen Aufstieg und soziale Sicherheit zu bieten46. Der Krieg beeinflusste die Gründung des IWF außerdem in faktischer Weise. Zwar waren die Vereinigten Staaten schon seit den zwanziger Jahren zur mächtigsten Wirtschaftsnation der Welt aufgestiegen, doch bildeten die europäischen Volkswirtschaften noch ein starkes Gegengewicht. Dies änderte sich im Verlauf des Zweiten Weltkriegs, der Europas Wirtschaft in Trümmer legte. Vor allem Großbritannien und Frankreich waren gegenüber den USA mit hohen Kriegsschulden belastet. Die Sowjetunion war politisch zunehmend isoliert. Damit hatten die USA zum Ende des Krieges die uneingeschränkte Kontrolle über die Weltwirtschaft gewonnen47. Wiederaufbau und Erholung der europäischen Volkswirtschaften waren – ähnlich der Situation des Deutschen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg – vor allem von weiteren amerikanischen Währungsexporten und US-Dollar-Krediten abhängig48. 44 Zu den heutigen Kernaufgaben der Weltbank und dem Mandatsverhältnis zwischen Weltbank, IWF und WTO siehe T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation: Die Organisationen und ihre gegenseitigen Rechtsbeziehungen im Bereich des Handels und der Subventionen, 2008, S. 101 ff. 45 Atlantic Charta vom 14. August 1941. 46 „They desire to bring about the fullest collaboration between all nations in the economic field with the object of securing, for all, improved labor standards, economic advancement and social security“ – Atlantic Charta, Joint Declaration, Common Principle No. 5. 47 Dazu K. Horsefield, IMF 1945–1965, Bd. 3. 48 Dies betrifft insbesondere den Marshallplan, kraft dessen die Vereinigten Staaten Deutschland in den Jahren 1948 bis 1953 Kredite in Höhe von insgesamt 1.412,8 Mio. US$ zur Verfügung stellten (die entsprechenden Zahlungen an Italien beliefen sich im gleichen Zeitraum auf 1.515 Mio. US$, an Frankreich auf 2.806,3 Mio. US$ und an das Vereinigte Königreich auf 3.442,8 Mio. US$). Die Gesamthöhe der durch das Abkommen geregelten Vor- und Nachkriegsschulden betrug insgesamt 14,5 Mrd.
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Gemessen an seinen Zielen war das Bretton-Woods-System im Rückblick nur in engen Grenzen erfolgreich, weil eine „internationale Integration von Handel, Investitionen, Finanzen und Währungen“ im Ergebnis nicht gelang49. Christian Tietje vermag einen „Bezug zu den ursprünglichen Bretton-WoodsIdeen kaum noch zu erkennen“. So habe sich die Weltbank – „doch in sehr weitgehender teleologischer Auslegung ihres Gründungsabkommens“ – von ihrer ursprünglich Aufgabe im Bereich der Finanzen und Auslandsinvestitionen (durch Bürgschaften und subsidiär auch durch Kredite) zu einer Entwicklungshilfeorganisation entwickelt50. Der IWF sei zwar „durchaus im Sinne seines Mandates funktionsfähig und jedenfalls bis zu Beginn der 1970er Jahre auch erfolgreich“ gewesen. Sein eigentlicher Zweck aber, die Wechselkurse mit Blick auf eine Ausweitung des Welthandels zu stabilisieren, konnte „nie tatsächlich verfolgt werden, da die von vornherein geplante und konzeptionell notwendige Rechtsordnung zur Liberalisierung des Welthandelssystems in der Form einer „International Trade Organisation“ (ITO) nicht verwirklicht wurde“51.
III. Der Einfluss von Keynes und White auf die Grundlagen des IWF Auf der Währungs- und Finanzkonferenz in Bretton Woods wurden im Wesentlichen zwei verschiedene Konzepte zum Aufbau eines internationalen Finanzsystems diskutiert. Der von britischer Seite vorgeschlagene sogenannte Keynesplan und der von amerikanischer Seite eingebrachte White-Plan52.
DM, was nach heutigem Wert über 100 Milliarden US-Dollar bedeuten würde (Quelle: Statista, Das Statistik-Portal, ECA/MSA-Zuteilungen an die Teilnehmerländer des Marshallplans in den Jahren 1948 bis 1952, einzusehen unter http://de.statista. com). Im Londoner Schuldenabkommen von 1953 erklärte sich die Bundesrepublik Deutschland bereit, Teile der Vorkriegs- und Nachkriegsschulden in Höhe von insgesamt 13,73 Mrd. D-Mark zu begleichen. „Die Zinsrückstände aus Auslandsanleihen für die Jahre nach 1945 – durch das Londoner Schuldenabkommen bis zur Wiedervereinigung Deutschlands zurückgestellt“ – wurden „seit 1996, nach der vorherigen Ausgabe von Schuldverschreibungen mit einem einheitlichen Zinssatz von 3 % und einer Laufzeit bis 2010, von der Bundeswertpapierverwaltung getilgt“. 27. Februar 2003 – 50 Jahre Londoner Schuldenabkommen, Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht 02.2003, S. 91 f. 49 Christian Tietje resümiert das Bretton-Woods-System als von Anfang an gescheitert, Architektur der Weltfinanzordnung, S. 13. 50 Ebenda, S. 11. 51 Ebenda, S. 12. 52 Dazu K. Horsefield, IMF 1945–1965, Bd. 3, S. 3 ff. und S. 37 ff.
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1. Keynes-Plan Als die Vorbereitungen zu einer internationalen Finanzkonferenz konkret Gestalt annahmen, wurde John Maynard Keynes im Jahr 1941 zum Chef unterhändler der britischen Delegation berufen53. Keynes war überzeugt davon, dass Zahlungsbilanzprobleme in einem ökonomisch interdependenten Zusammenhang stehen54 und demzufolge sah er das oberstes Ziel darin, Zahlungsbilanzungleichgewichte in der Weltwirtschaft zu vermeiden55. In den bilateralen Bilanzungleichgewichten sah Keynes einen Hauptgrund für den ruinösen Abwertungswettlauf in den zwanziger Jahren. Keynes ging es nicht um ein politisches, sondern um ein technisches Verständnis des Wirtschaftssystems, das heißt, er strebte eine zweckorientierte Institution an, die allein nach streng ökonomischen Grundsätzen wirtschaften sollte. Die Stabilisierung der Weltfinanzen und Wechselkurse erforderte aus seiner Sicht ein um ein Gleichgewicht pendelndes System. Insbesondere John Maynard Keynes machte auf die Gefahr für die Weltwirtschaft aufmerksam, die in Ungleichgewichten zwischen den internationalen Zahlungsbilanzen angelegt war. Dabei wandte er sich strikt gegen bilaterale Lösungen des Zahlungsbilanzausgleichs; denn diese böten nur einen Grund für weitere Kriege56. Anstatt dessen hielt er ein multilaterales Regelungssystem für notwendig. Keynes maß der Reduzierung von Zahlungsbilanzdefiziten besondere Bedeutung zu. Mit der Einführung einer Verrechnungsstelle und einer Verrechnungswährung (Bancor) sollten nach den Plänen von Keynes die Zahlungsbi53 Keynes war bei den Bretton-Woods-Verhandlungen der Teilnehmer, welcher über die meiste finanzpolitische Erfahrung verfügte. Als Vertreter des Schatzamtes der britischen Delegation hatte Keynes schon nach dem Ersten Weltkrieg die Versailler Friedensverhandlungen geführt. Von diesem Posten trat er jedoch kurz vor Abschluss der Verhandlungen zurück, aus Protest gegen die aus seiner Sicht volkswirtschaftlich nicht vertretbaren Reparationszahlungen, die Deutschland auferlegt wurden. Zu den Hintergründen J. M. Keynes, The Economic Consequences of the Peace, 1919. Erst im Jahr 1940 erfolgte der Wiedereintritt in das Britische Schatzamt, zunächst als ehrenamtlicher Chefberater. Seinen ersten von vier Entwürfen unter dem Titel „Proposals for an International Currency (or Clearing) Union“ legte Keynes dem britischen Schatzamt am 8. September 1941 vor. Die endgültige Fassung wurde von der britischen Regierung als White Paper (Cmd. 6347) im April 1943 herausgegeben. Vgl. dazu K. Horsefield, The International Monetary Fund 1948–1965, S. 3 ff. 54 Diese Überlegungen thematisierte Keynes bereits in seinen Analysen der Zahlungsbilanzproblematik in seiner Schrift über den Versailler Friedensvertrag (J. M. Keynes, The Economic Consequences of the Peace, 1919) und später zusammen mit dem schwedischen Ökonomen Bertil Ohlin in der sogenannten Keynes-Ohlin-Debatte im Jahre 1929. Dazu S. Brakman/C. van Marrewijk, Transfers, Non-Traded Goods, and Unemployment: An Analysis of the Keynes-Ohlin Debate, 2005. 55 D. Moggridge, Maynard Keynes: An Economist’s Biography, 1992, S. 674. 56 Ebenda.
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lanzen ausgeglichener werden57. Kapital- und Investitionsströme sollten „nach Maßstäben internationaler Bedürftigkeit“ gesteuert werden, um Zahlungsbilanzungleichgewichten entgegenzuwirken58. Als Mittelpunkt dieses Systems empfahl Keynes eine zentrale internationale Institution (Zahlungsunion), die sogenannte „International Clearing Union“ (ICU)59. Ihre Kernaufgabe sollte darin bestehen, die Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten durch Anreiz- und Druckmittel im Gleichgewicht zu halten60. Die International Clearing Union sollte die Aufgabe erhalten, in der Rolle eines passiven Vermittlers den internationalen Zahlungsverkehr zwischen den Zentralbanken abzuwickeln und Liquidität bereitzustellen. Zu diesem Zweck sollten die 57 Auch Rolf Knieper gibt im Sinne Keynes’ zu bedenken, dass die wirtschaftliche Entwicklung „durch die Notwendigkeit gekennzeichnet [sei], Konjunkturen international ausgleichen zu müssen“. „Das Postulat ‚vernünftiger‘ nationaler Wirtschaftspolitik“ verhindere nicht, „dass Konjunkturen national ungleichzeitig verlaufen, dass unterschiedliche Produktivitätsfortschritte gemacht werden, dass unterschiedliche Lohnniveaus sich entwickeln, dass Inflationsraten nicht parallel gehen; sie verhindern also insgesamt nicht die Herausbildung unterschiedlicher Realwerte der Währungen, ihr in der Tauschrelation falsches wechselseitiges Verhältnis.“ Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 140. 58 Ebenda, S. 12 ff. 59 Erste Ansätze zu seinem Konzept einer globalen Finanzordnung formulierte Keynes bereits im Jahr 1930 in seinem Werk „Vom Gelde“, J. M. Keynes, Vom Gelde, S. 619. Das Konzept bestand aus drei wesentlichen Elementen: (1) „Ein Merkmal sollte die Übertragung des Bankenprinzips auf die internationale Ebene sein, die ICU sollte eine internationale Zahlstelle für den Ausgleich der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten sein.“ J. M. Keynes, Collected Writings XXV, Activities 1940–1944, Shaping the Post-War World: The Clearing Union, S. 112, §§ 70, 73. (2) „Als Sanktion schlug Keynes Zinsen vor, die auch auf einen Überschuss gezahlt werden sollten. Zudem sollte, wenn ein Mitgliedstaat den maximalen Überschuss erreicht hatte, weiterer Überschuss zu Gunsten der ICU enteignet werden. Auch Strukturanpassungsprogramme sah der Keynes Plan vor.“ Ebenda, S. 119, § 85 (4) und (5). (3) „Drittens sah der Plan vor, dass die Mitgliedstaaten sich durch Kapitalverkehrskontrollen wirtschaftspolitischen Spielraum erhalten und dadurch ihren innerstaatlich günstigsten Zinssatz durchsetzen können sollten.“ Ebenda, S. 129 f., §§ 113 ff. 60 Keynes’ Vorschlag einer Clearing Union baute auf den Gedanken von Walther Funk, Präsident der deutschen Reichsbank, auf. Nachdem Funk seinen Plan einer neuen nicht auf dem Goldstandard basierenden internationalen Wirtschaftsordnung vorgestellt hatte, plante das Britische Informationsministerium eine Kampagne gegen Funks Konzept. Man fürchtete eine vom Deutschen Reich geprägte „New Order“ und hoffte, Keynes für eine kritische Gegenposition gewinnen zu können. Keynes aber, der die Wiedereinführung von „old laissez-faire international currency arrangements“ fürchtete, hielt Funks Pläne in weiten Teilen für „exzellent“, sofern man jeweils das Wort Deutschland mit Großbritannien ersetzte. J. Gold, Legal and Institutional Aspects of the International Monetary System, Bd. II, 1984, S. 19, zitiert aus J. M. Keynes, Collected Writings, Vol. 25, S. 1–40.
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Zentralbanken der Mitgliedsländer bei der International Clearing Union Konten unterhalten61. Die Schuldnerländer sollten verpflichtet werden, ihre Kredite innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zurückzuzahlen und ihr Defizit auszugleichen. Die nationalen Zentralbanken sollten die Wirtschaft über unabhängige Zinsbeschlüsse autonom steuern. Wesentlich für den Keynesplan war, dass auch die Gläubigerländer in die Pflicht genommen und durch Sanktionierung dazu angehalten werden, ihre Überschusspositionen abzubauen und ihre Zahlungsbilanzen auszugleichen: „The object […] must be to require the chief initiative [for adjustment] from the creditor countries, whilst maintaining enough discipline in the debtor countries to prevent them from exploiting the new ease allowed them in living profligately beyond their means62.“
In der Hauptsache folgte der Keynes-Plan britischen Interessen, insbesondere dem hohen Liquiditätsbedarf der britischen Nachkriegswirtschaft; denn ein automatischer Zugang zu Krediten hätte die britische Wettbewerbssituation gestärkt63. 2. White-Plan Eine derart weitreichende Institutionalisierung der internationalen Währungs- und Wirtschaftsordnung war für die Vereinigten Staaten schlechterdings nicht akzeptabel. Allein die Dimension der benötigten Mittel einer Clearing-Union übertraf bei weitem die amerikanischen Vorstellungen. Im Wesentlichen bedeutete der Keynes-Plan einen von Keynes beabsichtigten aber von den USA nicht hinnehmbaren Verzicht auf nationale Souveränität. Hauptkritikpunkt war der Vorschlag zur Errichtung eines automatischen Verrechnungs- und Kreditsystems. Es bedrohte die geldpolitische Autonomie der Mitgliedstaaten und finanzierte sich insbesondere auf Kosten der USA, die für den Hauptteil der Beiträge aufzukommen hätten64; denn ein autono61 Auf der einen Seite sollte auf diese Weise das Aufschatzen von Währungsreserven durch Länder mit Zahlungsbilanzüberschüssen vermieden werden. Für Länder mit einem Defizit in der Zahlungsbilanz sollte andererseits die Importquote und damit der Konsum reduziert werden, was einer expansiven Staatsverschuldung entgegenwirken sollte. 62 J. M. Keynes, Collected Writings XXV, Activities 1940–1944, Shaping the PostWar World: The Clearing Union, 1980, S. 30. 63 Hier zeigen sich Parallelen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Näher zum ESM Teil 4, B. I. 4. 64 Der Keynesplan sah einen amerikanischen Beitrag in Höhe von 23 Mrd. USDollar bei einem Gesamtvolumen in Höhe von 26 Mrd. US-Dollar vor. Siehe T. Frankl, Amerikanische IWF-Politik – die Reagan-Administration, 1991, S. 25.
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mes Verrechnungssystem bedeutete einen freien Zugang anderer Staaten zu den Fondsmitteln, faktisch also zu amerikanischen Steuermitteln. Dies aber hätte die verfassungsrechtlich garantierte Finanzhoheit des amerikanischen Kongresses verletzt und die Geldschöpfungskapazität der Clearing Union wäre einem globalen Konjunkturprogramm auf Kosten der Gläubigerländer, zumal der USA, gleichgekommen. Der Keynes-Plan, so die Befürchtung, würde im Ergebnis ein System errichten, welches die USA verpflichtete, anderen Staaten Kredite in ihrer Währung zu gewähren65. Je nach Umfang konnte ein solches System für die USA erhebliche binnenwirtschaftliche Folgen haben, zum Beispiel „crowding-out“-Effekte, die dann auftreten, wenn Maßnahmen des Staates zu einer Verdrängung privater Wirtschaftsaktivitäten führen. Als US-Vertreter verfolgte Harry Dexter White einen anderen Ansatz. Mehr als Keynes war er „multilateral“ orientiert und legte Wert auf monetäre Disziplin66. Er beabsichtigte die Errichtung eines Stabilisierungsfonds. Ziel war allein die Vorbeugung von Liquiditätsengpässen infolge kurzfristiger Zahlungsbilanzdisparitäten. Strukturelle Zahlungsbilanzungleichgewichte sollten nach seinem Plan, wie übrigens auch nach dem Keynes-Plan, von der Inanspruchnahme ausgeschlossen sein. Im Gegensatz zum Keynesplan sollten Kredite nur mit Zustimmung der Mitgliedsländer vergeben werden. Das war zwar langwierig und bürokratischer, bedeutete aber eine stärkere aktive Kontrolle über die Fondsmittel, zumal den USA als größtem Geldgeber durch einen hohen Stimmrechtsanteil ein Vetorecht zugesichert werden musste. 3. Bancor Keynes sah im Aufschatzen von Währungsreserven eine Gefahr für das weltwirtschaftliche Gleichgewicht, denn dies konnte dazu führen, dass brachliegende Liquidität den Handel blockierte. Es war also erforderlich, ein Anreizverfahren zu entwickeln, das ein Aufschatzen von Währungsreserven verhinderte. Keynes war überzeugt, dass es zur Herstellung eines Gleichgewichts durch Zahlungsbilanzanpassungen unbedingt erforderlich sei, die Weltfinanzen von 65 Nimmt zum Beispiel Großbritannien einen Bancor-Kredit in Anspruch, überweist das Land Bancor auf das Konto der USA bei der Clearing Union und erhält im Gegenzug den entsprechenden Betrag in US-Dollar. 66 „Examination of White’s economic papers shows that he was more multilateral than Keynes and placed a higher priority on monetary discipline.“ J. M. Boughton, IMF WP, WP/02/52, Why White, Not Keynes? Inventing the Postwar International Monetary System, 2002, S. 1.
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einem nationalen Zahlungsmittel – wie dem US-Dollar – zu lösen. Zahlungsbilanztransaktionen erforderten vielmehr das Instrument einer eigenen, von allen Zentralbanken akzeptierten Währung. Diese sollte lediglich als Buchwährung dienen und zu dem Zweck sollte der sogenannte „Bancor“ geschaffen werden, ein „Bank-Geld“ mit fester Goldpreisbindung. Den Goldstandard als „rules of the game“ lehnte Keynes ab; denn für ihn war er eine Form internationaler Koordinierung der Zinspolitik durch einige wenige Zentralbanken67 und damit ein System, das zum ökonomischen Ungleichgewicht beigetragen hatte. Dem gegenüber sollte sein System zu einer aktiven Diskontpolitik der Zentralbanken und damit zu einer diskretionären Geldpolitik beitragen und der Bancor darum nur eingeschränkt an den Goldpreis gebunden werden; denn einmal war der Goldwert des Bancor als veränderbare Größe geplant und zum anderen war keine reale Konvertibilität vorgesehen. Goldeinzahlungen auf ein Bancor-Konto sollten zwar erlaubt sein, aber umgekehrt konnten Bancor-Guthaben nicht in Gold eingelöst werden. Die Quoten eines Mitgliedstaates aber sollten nicht durch die Einzahlung in Gold erfüllt werden können. Der Bancor sollte also lediglich den Zentralbanken zur Verfügung stehen, um den Zahlungsverkehr zwischen den Zentralbanken abzuwickeln. Daneben sollten die jeweiligen nationalen Währungen im Wirtschaftsverkehr eines Landes bestehen bleiben. Kredite an Geschäftsbanken und Wirtschaftsteilnehmer sollten nur in nationaler Währung gegeben werden können. Für den Fall, dass ein Land hohe Exportüberschüsse erwirtschaftet und ihm dadurch mehr Devisen als für den Import benötigt zufließen, dann sollten diese Valuta nicht von der entsprechenden Zentralbank als Währungsreserve gehalten werden, sondern an die International Clearing Union abgeführt und dem Land in Bancor gutgeschrieben werden. Die Clearing Union könnte die Valuta dann einem Defizitland zur Verfügung stellen und umgekehrt dessen Konto bei der Clearingstelle belasten68. Bilaterale Ausgleichszahlungen (Clearings) würden damit überflüssig. 4. Quote nach dem Keynes-Plan Die Salden sollten durch festgelegte Quoten nach oben begrenzt und ihre Höhe für jedes Land nach den gleichen Kriterien bestimmt werden. Um die Ungleichgewichte in den Zahlungsbilanzen der Überschuss- und Defizitlän67 Siehe G. Tullio/J. Wolters, The Objectives of British Monetary Policy during the Classical Gold Standard, 1876–1913, 2003. 68 Vgl. dazu die Parallele des TARGET 2-Systems. Dazu kritisch: K. A. Schachtschneider, Staatsfinanzierung der Europäischen Zentralbank vor dem Europäischen Gerichtshof, 2014; H. W. Sinn, Die Target Falle, 2012, S. 263 ff.
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der abzubauen, sollte jedem Land eine maximale Quote zugeteilt werden, welche nach dem Anteil des Landes am Welthandel zu bemessen sei69. Sobald das Guthaben eines Landes über dessen Quote steigt oder unter dessen Quote sinkt, waren Strafzinsen in Höhe zwischen 5 und 100 Prozent an die International Clearing Union vorgesehen (Umlaufsicherung). Mit diesem Instrument würden die Überschüsse eines Landes über die Zinszahlungen wieder an die ICU zurückgeführt werden. Damit sollte jeder Anreiz für ein Aufschatzen von Devisen erstickt werden. Für die genaue Berechnung der Quote existierten unterschiedliche Vorschläge: Sollte ein Land die ihm zustehende Quote (mehr als deren Hälfte) an Devisenreserven überschreiten, trat man zunächst in Beratungsgespräche ein. In einem zweiten Schritt drohten sanktionierende Maßnahmen, wie erhebliche Strafzinsen, die Aufwertung der Währung der Gläubigernation, Zollsenkungen oder die Bereitstellung einer internationalen Anleihe. 5. White versus Keynes Den USA ging es bei Gründung des IWF in erster Linie um die „Stellung des US-Dollar als Weltgeld“. Dafür war eine „beherrschende Stellung der USA im IWF“ eine der wesentlichen Bedingungen in den Verhandlungen70. Der Konflikt zwischen den Konzepten Whites und Keynes’ spiegelt neben divergierenden ökonomischen Überzeugungen insbesondere die gegensätzlichen Interessen zwischen Geber- und Empfängerstaaten, beziehungsweise Gläubiger- und Schuldnerstaaten wider71. Während sich Keynes einen Me69 Keynes veränderte die Quotenfestlegung zwischen den Jahren 1941 und 1943 mehrfach: Ursprünglich sollte sie die Hälfte eines fünfjährigen Durchschnitts der Summe der Exporte eines Landes plus den Importen betragen. Später sollte dann ein dreijähriger Durchschnittswert als Berechnungsgrundlage ausreichen. Letztlich wurde die Quote auf 75 Prozent dieser Drei-Jahres-Durchschnittssumme festgelegt. Es war eine modifizierte Quotenregelung vorgesehen, die es erlaubte, die Quoten zu ändern, sofern es die inflationäre Situation eines Landes erforderte. Vgl. Vierter Entwurf zur International Clearing Union vom 9. November 1942; D. Moggridge, The Collected Writings of Maynard Keynes. Vols. XXV, S. 35, 324, 455. 70 Die unangefochtenen Stellung des US-Dollar als Weltgeld entwickelte sich für Rolf Knieper nicht aufgrund seiner vollständigen oder wenigstens teilweisen Golddeckung, sondern unabhängig von seiner institutionellen Verankerung. Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 93 ff. 71 Zu den unterschiedlichen Konzepten von White und Keynes siehe K. J. Horsefield, The International Monetary Fund 1948–1965, S. 67 ff., 267 ff., 321 ff.; J. Boughton, Why White, Not Keynes? Inventing the Postwar International Monetary System, IMF WP WP/02/52, 2002, passim; dazu E. Muchlinski, Kontroversen in der internationalen Währungspolitik. Retrospektive zu Keynes-White-Boughton & IMF, 2004, passim.
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chanismus für den Zahlungsbilanzausgleich wünschte, welcher Überschüsse und Defizite automatisch in Ausgleich bringen sollte, war für White als Vertreter des Hauptgläubigerstaates ein solcher „Automatismus“ nicht akzeptabel. Ihm kam es darauf an, den Einfluss der USA auf die Mittelvergabe des Fonds unbedingt zu bewahren. Obwohl von einer Konditionalität damals noch keine Rede war, fürchtete Keynes das Potential einer politischen Einflussnahme auf die Bewilligung der Fondsmittel. Mit der Einführung des Art. V Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen wurde der Streit über die Frage eines bedingungslosen Zugangs zu IWF-Mitteln auch rechtlich entschieden und der bis dahin ohnehin betriebenen Praxis der Kreditvergabe angepasst72. In jüngster Zeit hat sich die Diskussion über die Überschüsse und Defizite der Leistungsbilanzen neu entfacht, wenngleich unter umgekehrtem Vorzeichen. Auf der G 20-Konferenz im November 2010 warf die amerikanische Regierung den exportstarken Ländern wie China, Japan und Deutschland vor, „auf Kosten von Defizitländern zu leben und forderte eine Obergrenze für Überschüsse“73. Auf der anderen Seite aber finanzieren Überschussländer wie China, Japan oder Deutschland das amerikanische Leistungsbilanzdefizit mit ihren Kapitalexporten74. 6. Neuausrichtung des IWF nach Ende des Bretton-Woods-Systems Als das Par-Value-System zwischen Währungen, die direkt oder indirekt auf dem Goldwert basierten, zu Beginn der siebziger Jahre endgültig aufgegeben wurde, hatte der Internationale Währungsfonds seine originäre Aufgabe als „reiner Wächter über Währungen und Währungspolitik seiner Mitglieder“75 verloren. Mit der Einführung floatender Wechselkurse begann eine neue Epoche des internationalen Währungssystems76; denn die Wechselkurse der wichtigsten Währungen wurden nun von den internationalen Fi72 „Erst die von den USA erzwungene Praxis begründete die faktische Geltung der Bedingungen“. R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, KJ 1979, S. 275. 73 H. Steltzner, FAZ vom 13. November 2010, Für einen fairen Wettbewerb. 74 Auf diese Weise bezahlten sie einen Teil ihrer Warenlieferungen indirekt selbst. Vgl. H. Steltzner, FAZ vom 13. November 2010, Für einen fairen Wettbewerb. 75 S. Schlemmer-Schulte, Internationales Währungs- und Finanzrecht, § 9, Rdn. 3. 76 Vgl. H. Johnson, Harry, The International Monetary System and the Rule of Law, JLE, Vol. 15, No. 2, Oktober 1972, S. 277 ff.; L. Pauly, The Institutional Legacy of Bretton Woods: IMF Surveillance, 1973–2007, in D. Andrews (Hrsg.) Orderly Change: International Monetary Relations Since Bretton Woods, 2008.; Vries, Margaret G. de, The IMF in a Changing World, 1945–1985, 1986.
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nanzmärkten bestimmt77. Damit wurde der IWF in der Form, in welcher er im Jahr 1944 gegründet worden war, obsolet. Zwei Jahre nachdem US-Präsident Nixon die Goldbindung des US-Dollar aufgehoben hatte, wurden im März 1973 freie Wechselkurse eingeführt. Freilich war dieser Entwicklung mit dem IWF-Gründungsvertrag nicht zu vereinbaren und deshalb bemühte man sich um eine Revision des IWF-Übereinkommens. Die Verhandlungen über die Struktur eines neuen Wechselkursregimes erwiesen sich als schwierig. Während die USA freie Wechselkurse zulassen wollten, forderte vor allem Frankreich, am System fester Wechselkurse festzuhalten78. Schließlich fand man einen Kompromiss, der am Ziel eines stabilen Systems der Wechselkurse festhielt, dabei aber sowohl freie als auch feste Wechselkurse gestattete. Die Änderungen des IWF-Übereinkommens, welche im April 1978 in Kraft traten, „kennzeichnen den Übergang vom regelbasierten zu einem diskretionären Regime, bei dem die Staaten zwischen freien, festen oder regional verbundenen Wechselkursen wählen können“79. Allerdings konnten sich die Mitgliedstaaten über die inhaltlichen Ziele der Wechselkurspolitik schlechterdings nicht einigen und umso weniger konnte ein Konsens über einen innenpolitischen Verhaltenskodex erzielt werden. Der reformierte Vertrag greift deshalb insbesondere in Art. IV Abschnitt 1 IWFÜbereinkommen auf „weiche Formulierungen“ zurück. Nach deren Maßgabe wurde der IWF beauftragt, die Wechselkurspolitiken der Mitgliedstaaten zu überwachen (Art. IV Abschnitt 2 b) IWF-Übereinkommen). Armin Schäfer resümiert, dass „mit dieser scheinbaren Aufwertung des Währungsfonds nicht der Transfer von Entscheidungsbefugnissen oder die Ausweitung seiner Kompetenzen einhergeht“80. Im Gegenteil: Der IWF könne „zwar die Politik der Mitgliedstaaten tadeln“, habe aber keinerlei Befugnisse „einen direkten Einfluss auf sie auszuüben“. Mit dem Zusammenbruch des Systems fester Wechselkurse änderte sich die Ausrichtung des Fonds grundlegend. Neben der Überwachungsfunktion baute der Fonds auch seine Funktion als Kreditgeber immer weiter aus. Damit änderte sich auch das Profil der Kreditnehmer. Unter den Staaten, welche die Mittel des Fonds in Anspruch nahmen, befanden sich seit den siebziger 77 Vgl. B. Eichengreen/P. Kenen, Managing the World Economy under the Bretton Woods System: An Overview, in: P. Kenen (Hrsg.) Managing the World Economy: fifty Years After Bretton Woods, 1994. 78 Vgl. M. de Vries, The International Monetary Fund 1972–1978, Cooperation on Trial, Vol. II: Narrative and Analysis, 1985, S. 739 ff. 79 „Wirtschaftspolitische Koordinierung ist in einem solchen Regime schwieriger, da keine eindeutigen Regeln als Verhaltensmaßstab bestehen“. A. Schäfer, Die neue Unverbindlichkeit Wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa, 2005, S. 94. 80 Ebenda.
B. Mandat55
Jahren beinahe ausschließlich Entwicklungsländer mit Zahlungsschwierigkeiten, denen der Fonds stabile Fremdwährungen zur Verfügung stellte81. Diese hatten einen weit höheren Finanzbedarf als entwickelte Volkswirtschaften, denen allenfalls zur Überbrückung kurzfristiger Zahlungsbilanzschwierigkeiten IWF-Mittel zur Verfügung gestellt werden sollten. Die Kapitalausstattung des Fonds reichte für diese Funktion nicht mehr aus und so mussten neue Finanzierungsprogramme ins Leben gerufen werden. Die Konzentration auf die Kreditvergabe bedeutete für den Fonds einen grundlegenden Rollenwandel. Von einer ursprünglich rein monetären Institution entwickelte er sich zusehends zu einer politischen Entwicklungshilfeorganisation82. Um dieser neuen Rolle gerecht zu werden, reagierte er mit der Einführung zweier Maßnahmen, die für den Fonds aus heutiger Sicht bestimmend sind: der Einführung von sogenannten low-income-country-facilities und die Ausweitung der Finanzierungsbedingungen (dazu unten).
B. Mandat I. Zweck der Bretton-Woods-Organisationen Die in den Artikeln des IWF-Übereinkommens genannten Ziele sind mehrstufig83. Über ihnen steht der gemeinsame raison d’être des gesamten Bretton-Woods-Systems84, den grenzüberschreitenden Handel unter den Mit81 Mit dem Ausbau der Strukturanpassungsprogramme für Entwicklungsländer geriet der IWF immer stärker in Konkurrenz zur Weltbank. N. Rowohl, Weltbank und Internationaler Währungsfonds: Ihre Mandate und deren Abgrenzung, 2007, S. 229 ff. 82 Siehe zu Aufgabenwandel und Entwicklung des IWF als „einen der einflussreichsten global policy-makers“ S. Schlemmer-Schulte, BerDGVR, 2005, 149 ff.; umfassend zu Funktion und Mandat des IWF D. Ruddigkeit, Das Mandat des IWF, Zur Kooperationspflicht Internationaler Organisationen und Rechtsregime in der Weltfinanzarchitektur, 2013, insbesondere S. 109 ff., 117 ff. 83 Gablers Wirtschaftslexikon nennt folgende Ziele und Aufgaben: „Ziele: Erleichterung eines ausgeglichenen Wachstums des Welthandels. Zu diesem Zweck: Förderung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Währungspolitik, mit der Herstellung der Konvertibilität der Währung und Errichtung eines multilateralen Zahlungssystems mit Beseitigung von Devisenverkehrsbeschränkungen, Errichtung eines finanziellen Beistandsystems für Länder zur Behebung von Zahlungsbilanzungleichgewichten.“ Gablers Wirtschaftslexikon, einzusehen unter http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/iwf.html?tab=abbreviation&abbreviation=x. 84 Dazu M. Bordo, The Bretton Woods International Monetary System: An Overview, in: M. Bordo/B. Eichengreen, A Retrospective on the Bretton Woods System, S. 5; zur historischen Entwicklung des Weltmarktes M. Bordo/B. Eichengreen/J. Kim, Was there really an earlier period of international financial integration comparable to today?, 1998, S. 28 ff.
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Teil 1: Mandat und Struktur: Von den Anfängen bis zur Gegenwart
gliedstaaten zu erleichtern85. Bei Gründung der Bretton-Woods-Organisationen (einschließlich der späteren Welthandelsorganisation86) stand die Förderung einer effizienten Arbeitsteilung im Vordergrund, um die Reibungsverluste im internationalen Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr87 gering zu halten88. Art. IV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen benennt (nach Änderung des Übereinkommens im Jahr 197889) den „eigentlichen Zweck“ („essential purpose“) des Internationalen Währungsfonds als das Schaffen von „Rahmenbedingungen zur Erleichterung des Waren-, Dienstleistungsund Kapitalverkehrs zwischen den Ländern“ (Art. IV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen). Das Währungsrecht sollte als „internationale Ordnung des Geldwesens“ und Teilbereich des Währungsvölkerrechts „die Grundlagen für ein funktionierendes Privatrecht der internationalen Verkehrsgeschäfte 85 Siehe dazu auch E. Hexner, Das Verfassungs- und Rechtssystem des Internationalen Währungsfonds, 1960. 86 Neben den beiden finanzwirtschaftlichen Institutionen, dem IWF und der Weltbank, war die Internationale Handelsorganisation (ITO) als dritte Institution der Welthandelsordnung vorgesehen. Sie war als die „handelswirtschaftliche Ergänzung des neugeordneten internationalen Währungssystems auf multilateraler Ebene“ geplant. K. A. Schachtschneider, Europäisches Verfassungsrecht II, S. 490; zur Entwicklung von der ursprünglich geplanten Internationalen Handelsorganisation (ITO) zur später verwirklichten Welthandelsorganisation (WTO) D. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, 2003, S. 28 ff. 87 Dagegen blieben Kapitalverkehrskontrollen weiterhin zulässig, siehe dazu unten Teil 8, A. Zu den im Jahr 1978 in das IWF-Übereinkommen eingeführten Zielkriterien IMF, The Fund’s Role Regarding Cross-Border Capital Flows, S. 18. 88 Christian Tietje weist darauf hin, dass der IWF „im Wesentlichen auf Gesichtspunkte der Währungsstabilität im Sinne einer konditionalen Verknüpfung mit der Liberalisierung des Welthandels im Güter- und Dienstleistungsbereich beschränkt“ war. Diese Zielsetzung konnte aber „nie tatsächlich verfolgt werden, da die von vornherein geplante und konzeptionell notwendige Rechtsordnung zur Liberalisierung des Welthandelssystems in der Form einer International Trade Organisation (ITO) nicht verwirklicht wurde.“ Tietje resümiert, „dass Bretton Woods aus Gründen der tatsächlichen politischen Gegebenheiten und der wirtschaftspolitischen Vorstellungen der damaligen Zeit sowie der juristischen Konstruktion nie eine umfassende Weltfinanz- oder gar Weltwirtschaftsordnung begründete: Die internationale Integration von Handel, Investitionen, Finanzen und Währungen gelang nicht; ein tatsächlicher Lender of Last Resort wurde nicht geschaffen; Finanzmarktstabilität wurde nur im Lichte von Kapitalverkehrskontrollen durch die Staaten selbst gesehen; die gesamte Staatsschuldenproblematik wurde, von Regelungen zu Zahlungsbilanzschwierigkeiten und Kapitalverkehrsbeschränkungen abgesehen, nicht behandelt; zu einer effektiven Einbindung der Finanz- und Wirtschaftsorganisationen in ein übergeordnetes politisches System der Vereinten Nationen kam es ebenfalls nicht.“ Ch. Tietje, Architektur der Weltfinanzordnung, S. 12 f. 89 Fassung „amended effective“ April 1, 1978, by the modifications approved by the Board of Governors in Resolution No. 31–4, „adopted April 30, 1976“, einzusehen unter http://www.imf.org/External/Pubs/FT/AA/#a4s1.
B. Mandat57
schaffen“90. Davon versprachen sich die Gründungsstaaten Wohlfahrtseffekte, insbesondere einen hohen Beschäftigungsgrad („oberste Ziele der Wirtschaftspolitik“ – Art. I Ziffer ii) IWF-Übereinkommen); denn es galt als allgemein anerkannt, dass internationale Arbeitsteilung zu Vollbeschäftigung führen werde91. Dieser Zweck wurde in Art. I Ziffer ii) IWF-Übereinkommen aufgenommen, in welchem neben der Erleichterung des Welthandels auch die Ziele der „Förderung und Aufrechterhaltung eines hohen Beschäftigungsgrads und Realeinkommens“, sowie der „Entwicklung des Produktionspotentials aller Mitglieder“ genannt werden. Um die Ausweitung des Welthandels zu fördern, wurde ein System fester Wechselkurse eingeführt. Jede Notenbank war verpflichtet, zu jeder Zeit zu den garantierten Kursen „fremde Währung anzukaufen bzw. eigene Währung zu verkaufen“92. Gleichzeitig sollte das System „so elastisch sein, dass die internationale Liquidität spannungsfrei mit den Finanzierungsbedürfnissen im Welthandel wachsen konnte“93. Auf diese Weise sollte auf der einen Seite eine „ungezügelte Inflation“ wie im Deutschland der zwanziger Jahre verhindert werden. Auf der anderen Seite sollte der Fonds die Mitglieder im Krisenfall kurzfristig mit ausreichender Liquidität versorgen, damit sie nicht zum Mittel wettbewerbswidriger Währungsabwertungen greifen mussten, um sich ausländische Devisen zu beschaffen.
II. Verhältnis des IWF-Übereinkommens zur Souveränität der Staaten Die „Entscheidungsbefugnis über Auf- und Abwertungen [gehört] zu den zentralisierten Domänen nationaler Staatsgewalt“ (in Deutschland Art. 73 Abs. 1 Nr. 4 GG)94 und erfasst sowohl das Recht, die eigene Währung mit dem Instrument der Geldpolitik zu steuern, als auch das Recht, den Zah90 T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 49 f. Dort auch zur Abgrenzung des „institutionellen“ internationalem Währungsrechts und des „transaktionsbezogenen“ internationalen Devisenrechts. Letzteres ist „die Summe derjenigen Kollisionsnormen, die darüber bestimmen, ob und welche Beschränkungen des laufenden internationalen Zahlungsverkehrs und des internationalen Kapitalverkehrs vom Richter zu berücksichtigen sind“. Gemeinsam bilden sie die „tragenden Säulen des internationalen Finanzrechts“. 91 W. Hankel, Der lange Weg zum monetären Völkerrecht, in: Rechtsfragen der Weltwirtschaft, S. 42; H. James, The IMF and the Creation of the Bretton Woods System, 1944–58, S. 93 ff. 92 „Um das System abzusichern, wurde der Internationale Währungsfonds gegründet.“ T. Sarrazin, Europa braucht den Euro nicht, 2012, S. 30. 93 Ebenda, S. 29. 94 R. Knieper, Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 91.
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Teil 1: Mandat und Struktur: Von den Anfängen bis zur Gegenwart
lungsverkehr und das Bankensystem zu regulieren95. Das IWF-Übereinkommen stellt die Währungshoheit der Mitgliedstaaten nicht in Frage96. Das „Schwergewicht des Abkommens“ liegt vielmehr auf einer möglichst „harmonischen Entwicklung durch ‚vernünftige‘ nationale Wirtschaftspolitiken“97. Mit dem Beitritt zum IWF verpflichten sich die Mitgliedstaaten lediglich, im Dienst der Förderung eines stabilen Währungssystems „eine Wechselkurspolitik [zu] verfolgen, die mit den Verpflichtungen aus diesem Abschnitt vereinbar ist“ (Art. IV Abschnitt 1 Ziffer iv) IWF-Übereinkommen) und die nationalen Entscheidungen, die eigene Währung auf- oder abzuwerten, mit dem IWF abzustimmen98. Zwar ist die Missachtung der Maßgaben nach 95 Zu den fünf wesentlichen Elementen der Währungshoheit R. Lastra, Legal Foundations of International Monetary Stability, 2005, S. 22. Im Übrigen hat die Währungspolitik „wesentlichen Einfluss auf die wirtschaftliche Stabilität einer Volkswirtschaft, nicht nur auf die Preisstabilität, sondern auch auf die Beschäftigungslage, das Wachstum und das außenwirtschaftliche Gleichgewicht“, K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 247; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union. Ein Beitrag zur Lehre vom Staat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag über die Europäische Union von Maastricht, in: W. Blomeyer/K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995; ders., Wirtschaftliche Stabilität als Rechtsprinzip, 2001, S. 314 ff.; ders., Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Antrag auf andere Abhilfe, Antrag auf einstweilige Anordnung vom 25. Mai 2008, 2 BvR 1094/08, 3. Teil, C II. Bereits Jean Bodin zählte das Münzrecht zu den zentralen Souveränitätselementen des Staates. J. Bodin, Les six livres de la Republique, Buch 1, Kapitel X, 211 (223). Auch der StIGH hat als allgemeines völkerrechtliches Rechtsprinzip anerkannt „that a state is entitled to regulate its own currency“. StIGH, Case Concerning the Payment of Various Serbian Loans Issued in France, Frankreich gegen Serbien, Urteil vom 12. Juli 1929, PCIJ Reports 1929 (A, Nr. 20/1), 5 (44), zitiert nach D. Ruddigkeit, Das Mandat des IWF, S. 169. 96 Dies gilt für die zentralen Bereiche Währungsfragen und Kapitalverkehrskontrollen. Auch innerhalb des Par-value-Systems war die Verpflichtung zur Einhaltung fester Wechselkurse nur „eine Verpflichtung gegen sich selbst“. D. Ruddigkeit, Das Mandat des IWF, S. 169. Christian Tietje betont, dass „der gesamte Finanzmarktbereich in der souveränen Entscheidungsgewalt der Staaten belassen“ blieb und „sich die Rechtsordnung des IWF auf Kapitalverkehrskontrollen durch die Staaten beschränkte“ (Art. VI Abschn. 3 IWF-Abkommen). Ch. Tietje, Architektur der Weltfinanzordnung, S. 12. Zur Frage der Kapitalverkehrskontrollen siehe Teil 8. 97 R. Knieper, Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 140. So obliegt es auch den Mitgliedstaaten, die „zur Kontrolle internationaler Kapitalbewegungen notwendigen Maßnahmen“ zu treffen (Art. VI Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen). 98 Im ursprünglichen Abkommen, innerhalb des Systems fester Wechselkurse, war die Intensität der Mitspracherechte des IWF von der Höhe der Paritätenänderung abhängig. Auch wenn der IWF bei einer Paritätenänderung von über 10 Prozent
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Art. IV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen eine Vertragsverletzung, aber im Rahmen seines weiten Ermessensspielraums (Art. V Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen) sieht der IWF in der Regel davon ab, diese formal feststellen zu lassen99. Dana Ruddigkeit identifiziert im IWF-Recht ein „Spannungsverhältnis zwischen nationaler Währungshoheit und staatlicher Kooperationspflicht“100. Bei der Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds aber geht es weniger um die „Preisgabe eigenständiger nationalstaatlicher Interessen“101, etwa den Verzicht auf Abwertungen der eigenen nationalen Währung (meist zum Zweck kurzfristiger Exportförderung). Vielmehr kommt es den Vertragsstaaten darauf an, die territorial beschränkten Handelsmöglichkeiten des Staates durch gemeinsame Bindungen innerhalb eines Wechselkurssystems langfristig zu erweitern102 und damit die eigenen nationalen Interessen zu wahren103. (Art. IV Section 4) Widerspruch einlegte, führte dies nicht zur Ungültigkeit der Veränderung. Als Sanktion war (ultima ratio) der Ausschluss des Mitgliedstaats aus dem IWF vorgesehen. R. Knieper, Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 91. 99 D. Ruddigkeit, Das Mandat des IWF, S. 170. 100 Ebenda, S. 171; zu den Vorbehalten gegen eine internationale Kooperation siehe T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation. Die Organisationen und ihre gegenseitigen Rechtsbeziehungen im Bereich des Handels und der Subventionen, S. 32 f.; zum sogenannten „Gefangenen-Dilemma“ C. Hefeker, Globale Integration und die institutionelle Arbeitsteilung von IWF, Weltbank und WTO, S. 4 f. 101 Nach Elmar Altvater ist im IWF-Übereinkommen, wie in anderen völkerrechtlichen Verträgen, typischerweise „die Preisgabe eigenständiger nationalstaatlicher Interessen“ angelegt, Die Weltwährungskrise, S. 124. 102 Zur Übertragung von Staatsaufgaben auf Internationale Organisationen im Zuge der Globalisierung A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, 2007, S. 75 ff. 103 Schließlich hat der Wechselkurs einer Währung Steuerungswirkung für den Warenimport und -export und damit nachhaltigen Einfluss auf die Wettbewerbsbedingungen der heimischen Unternehmen. Die Bindung der nationalen Währungspolitik an gemeinsame Regelungen auf dem Gebiet der Wechselkurse gewährleistet wechselseitig den Schutz eigener Interessen, insbesondere den Schutz der nationalen Unternehmen, indem unlauteren Manipulationen der Wechselkurse und damit unfairen Handelsbedingungen vorgebeugt wird. Gemeinsame Regelungen der Wechselkurspolitik sind einer Volkswirtschaft grundsätzlich förderlich; denn in diesem Bereich haben auch die historischen Erfahrungen gezeigt, dass sich die Wechselkurspolitik effizienter ausüben lässt, wenn sie kooperativ, das heißt in Gemeinschaft mit anderen Staaten geregelt wird. Auf dem Feld der Wechselkurspolitik verwirklicht die vertragliche Bindung der Wechselkurspolitik internationale Regelungen über die staatliche Souveränität. Siehe zur „wohlstandsvermehrenden Internalisierung“ externer Wechselkurseffekte in einem gemeinsamen Währungssystem, sowie zu den Wohlfahrtseffekten internationaler Zusammenarbeit im Allgemeinen und der Weltwährungsordnung im Besonderen W. Lachmann, Brauchen wir eine Welt-Ordnungspolitik?, S. 115 ff.
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Schließlich erfordert der grenzüberschreitende Handelsverkehr „angesichts der Existenz prinzipiell nationaler Geldsysteme“ die „Konvertibilität nationaler Währungen untereinander“, um „[d]as Problem des Sich-Aufeinanderbeziehens verschiedener nationaler Währungen“ durch ein verpflichtendes Zusammenwirken souveräner Staaten zu regeln104. Zugleich besteht ein gemeinsames „Interesse an konstanten nationalen Währungen“, um den Äquivalententausch über Währungsgrenzen hinweg zu ermöglichen105. In der Hauptsache war die Gründung des IWF ein aus Zweckmäßigkeitserwägung entsprunges Mittel zur Erreichnung bestimmter (nationaler) Ziele. Wie beschrieben war in der Vergangenheit der Anreiz für global konkurrierende Staaten groß, sich „unfaire“106 Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, indem sie ihre Währungen zum mittelbaren Schaden eines anderen Staates abwerteten (beggar-thy-neighbour“-Politik)107. In der geopolitisch günstigen Periode zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Beginn des Kalten Krieges waren die maßgeblichen (Sieger)Staaten willens, ihre handelspolitischen Konflikte völkerrechtlich beizulegen. Zur Steigerung der eigenen volkswirtschaftlichen Wohlfahrt war man bereit, sich unter gemeinsamen Regeln zu verpflichten und sowohl die Konvertibilität der Währungen anderer, als auch die Stabilität der eigenen Währung zu gewährleisten. In diesem Sinne war der IWF „nach den Erfahrungen mit der Wirtschaftsund Währungskrise der 30er Jahre darauf angelegt, Währungspolitik aus dem nationalstaatlichen Konkurrenzkampf zu lösen und durch den Aufbau einer Weltwährungsbehörde zu internationalisieren“108. Daran hat auch der spätere 104 R. Knieper,
Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 49 und S. 72. S. 49. Werner Lachmann führt dazu aus: „Feste Wechselkurse geben Planungssicherheit. Daher präferiert die Wirtschaft sie vor flexiblen Wechselkursen, die ein Moment der Unsicherheit in die Kalkulation hineinbringen. Ein Unternehmer, der in einer anderen Währung fakturiert, braucht für seine Gewinnkalkulation die Einnahmen und Ausgaben in nationaler Währung. Bei flexiblen Wechselkursen sind daher Einnahmen und Kosten nicht mit Sicherheit kalkulierbar.“ W. Lachmann, Brauchen wir eine Welt-Ordnungspolitik?, S. 132. 106 Art. IV Abschnitt 1 Ziffer iii) IWF-Übereinkommen spricht von „Manipulationen der Wechselkurse oder des internationalen Währungssystems mit dem Ziel, eine wirksame Zahlungsbilanzanpassung zu verhindern oder einen unfairen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Mitgliedern zu erlangen“. 107 „Verfolgen alle Länder eine solche expansive Geldpolitik, bleiben Produktion und Beschäftigung in allen Ländern gleich. Die Kosten eines solchen ‚Abwertungswettlaufs‘ zeigen sich dann in einem Anstieg der Inflationsraten. Gleichzeitig beobachtet man eine Abnahme des Wohlstands in allen Ländern und eine Zunahme der Arbeitslosigkeit.“ W. Lachmann, Brauchen wir eine Welt-Ordnungspolitik?, 2005, S. 115. 108 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 271. 105 Ebenda,
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Zusammenbruch des Systems fester Währungsparitäten109 grundsätzlich nichts geändert110; denn auch „flexible Wechselkurse können nicht ohne internationale Konvention über die Einführung interventionsloser Konvertibilität auskommen, ja gerade diese setzen ein hohes Maß nationaler Regelhaftigkeit voraus“111. Die unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungen der Einzelstaaten verursachen zwangsläufig Disparitäten in den Wechselkursbeziehungen112. Dadurch entstehen erhebliche Währungsrisiken, die nicht allein durch den betroffenen Staat beseitigt werden können, sondern nach Ansicht der Mitgliedstaaten einer multilateralen Koordinierung und Überwachung der Währungspolitik bedürfen113. Das IWF-Übereinkommen ist also der Sache nach ein Ausdruck des gemeinsamen Interesses an internationaler monetärer Stabilität114. Die Mitgliedstaaten verpflichteten sich, das Wechselkursverhältnis ihrer Währungen 109 Zu dem als Triffin-Dilemma bezeichneten Konstruktionsfehler siehe R. Triffin, Gold and the Dollar Crisis: The Future of Convertibility, 1960; dazu R. Klump, Das Triffin-Dilemma, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium Band 17, Nr. 2, 1988, S. 79 ff. 110 Der Streit um die chinesische Wirtschaftspolitik, näherhin die angebliche Unterbewertung des Chinesischen Remmenbi zeigt die Aktualität der Problematik. Die USA werfen der chinesischen Wirtschaftspolitik seit langem vor, den Wechselkurs des Remmenbi zum US-Dollar „künstlich“, das heißt administrativ niedrig zu halten, um sich auf diese Weise (unlautere) Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Der Streit offenbart auch die Grenzen der Wirksamkeit gemeinsamer Regeln, zumal den beschränkten Einflusses des Fonds gegenüber großen Mitgliedstaaten. Im Übrigen ist die Problematik der wettbewerbswidrigen Währungsabwertung nicht Gegenstand des Antidumping-Übereinkommens (WTO-Recht). Gemäß Art. VI GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) und Art. 2.1 des Antiduming-Übereinkommens gilt eine Ware als gedumpt, wenn der Preis der Ware bei ihrer Ausfuhr niedriger ist als der Preis einer gleichartigen Ware im normalen Handelsverkehr (Normalwert). Das WTO-Recht versteht Dumping also nicht als die Ausnutzung geringerer Löhne, Umwelt- und Sozialstandards im Ursprungsland. Vgl. M. Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, 2012, S. 127 f.; zur Frage, ob die Unterbewertung einer Währung eines Mitgliedstaates eine verbotene Subvention im Sinne des SCM-Abkommens darstellt, T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 226 ff. (dort am Beispiel des Handelsstreits zwischen den USA und China über die „Unterbewertung“ des Yuan). 111 R. Knieper, Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 72. 112 Ebenda, S. 140. 113 Die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung in einzelnen Staaten kann zu Disparitäten bei Währungen führen. Dadurch können Währungskrisen entstehen, die nicht mehr autonom durch den betroffenen Staat selbst beseitigt werden können. Darin lag das Hauptmotiv für die Gründung des IWF. 114 „Keine der vielen ‚Nationen, ob groß oder klein‘ (sc.: Anspielung auf die Präambel der Charta der Vereinten Nationen), kann heute noch eine national autarke Währungs- und Wirtschaftspolitik betreiben.“ R. Knieper, Nationale Souveränität. Versuch über Ende und Anfang einer Weltordnung, 1991, S. 217.
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durch Intervention auf den Devisenmärkten (in der Regel An- und Verkäufe von US-Dollar-Positionen) in festgelegten Grenzen zu halten. Dabei sollte der Internationale Währungsfonds eine Überwachungs- und Koordinierungsfunktion zwischen den Mitgliedstaaten wahrnehmen115.
III. Ziele, Aufgaben, Befugnisse und Mittel Das IWF-Übereinkommen116 materialisiert das Mandat des IWF in 31 Statuten und ergänzenden Anhängen. Wie häufig bei völkerrechtlichen Verträgen unterscheiden die Bestimmungen nicht trennscharf zwischen den Zielen seiner Tätigkeit, den ihm zugewiesenen Aufgaben, seinen Befugnissen und zugewiesenen Mitteln117. Die weitreichenden Zielankündigungen des Art. I IWF-Übereinkommen bestehen aus sechs Absätzen. Als Zielsystem geben sie prima facie Raum für eine weitreichende, kaum begrenzte Auslegung des IWF-Mandats118. Art. I Ziffer i des IWF-Übereinkommens formuliert primäre und sekundäre (Teil)Ziele und Aufgaben, deren Verhältnis zueinander sich teilweise erst im historischen Kontext erschließt. Art. I Ziffer i) IWF-Übereinkommen119 enthält einen Katalog, in dessen Abschnitten 1 bis 7 die folgenden Ziele („purposes“) des Internationalen Währungsfonds numerisch aufgeführt werden: 115 „Der IWF von 1944 sollte als monetäre Institution die staatlichen Währungsordnungen in einem internationalen System stabiler Wechselkurse auf der Basis des Goldstandards fördern und überwachen.“ T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 80; zum Bretton-Woods-System fester Wechselkurse und der daraus entstehenden Gefahr von Währungskrisen W. Lachmann, Brauchen wir eine Welt-Ordnungspolitik?, S. 131 ff. 116 Vom 22.7.1944 BGBl. 1944, II, S. 638; Neufassung vom 30.4.1976, BGBl. 1978 II, S. 13; dritte Änderung vom 28.6.1990, BGBl. 1991 II, S. 814. 117 Die Abgrenzung der Zwecke, Ziele und Aufgaben ist für die Untersuchung ihrer Verbindlichkeit und Legitimation bedeutsam. Oftmals werden die Begriffe unterschiedlich verwendet oder unterscheiden sich nur im Grad ihrer Verbindlichkeit (siehe etwa H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 1977, S. 44 ff.) Zwecke sind teleologisch auf einen Endpunkt ausgerichtet, an welchem sich die Existenz des IWF legitimiert (antwortet auf die Frage, warum der IWF gegründet wurde). Der Zweck hat leitende Funktion und stellt den geschichtlichen Zusammenhang her, an welchem sich die Aufgaben des IWF auszurichten haben. Die Zwecke werden in Bezug auf Art, Umfang und Mittel ihrer Realisierung durch Ziele sachlich näher beschrieben. Diese sind von Zwecken abgeleitet und – anders als Aufgaben – stärker final ausgerichtet, ohne die Mittel zur Verwirklichung der Ziele zu nennen. Aufgaben haben einen höheren Konkretisierungs- und Verbindlichkeitsgrad (dazu U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 630). Sie sind funktionsleitend für die Befugnisse des Fonds. 118 Joseph Stiglitz sieht die Zuständigkeit des IWF immer dann gegeben, wenn eine „weltweite Depression“ droht, Die Schatten der Globalisierung, 2002, S. 26.
B. Mandat63 1. Die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Währungspolitik durch eine ständige Einrichtung zu fördern, die als Apparat zur Konsultation und Zusammenarbeit bei internationalen Währungsproblemen zur Verfügung steht; 2. die Ausweitung und ein ausgewogenes Wachstum des Welthandels zu erleichtern und dadurch zur Förderung und Aufrechterhaltung eines hohen Beschäftigungsgrads und Realeinkommens sowie zur Entwicklung des Produktionspotentials aller Mitglieder als oberste Ziele der Wirtschaftspolitik beizutragen; 3. die Stabilität der Währungen zu fördern, geordnete Währungsbeziehungen unter den Mitgliedern aufrechtzuerhalten und Währungsabwertungen aus Wettbewerbsgründen zu vermeiden; 4. bei der Errichtung eines multilateralen Zahlungssystems für die laufenden Geschäfte zwischen den Mitgliedern und bei der Beseitigung von Devisenverkehrsbeschränkungen, die das Wachsen des Welthandels hemmen, mitzuwirken; 5. das Vertrauen der Mitglieder dadurch zu stärken, dass ihnen zeitweilig unter angemessenen Sicherungen die allgemeinen Fondsmittel zur Verfügung gestellt werden und ihnen so Gelegenheit gegeben wird, Unausgeglichenheiten in ihrer Zahlungsbilanz zu bereinigen, ohne zu Maßnahmen Zuflucht nehmen zu müssen, die dem nationalen oder internationalen Wohlstand schaden; 6. in Übereinstimmung mit Vorstehendem die Dauer der Ungleichgewichte der internationalen Zahlungsbilanzen der Mitglieder abzukürzen und den Grad der Ungleichgewichte zu vermindern.
Diese Ziele des Fonds werden in Art. IV, V und VIII) IWF-Übereinkommen spezifiziert120. Art. IV der Statuten nimmt in seinem englischen Wortlaut das Wort „purpose“ noch einmal auf und bezieht sich damit auf Art. I. Die deutsche Fassung spricht von „[…] der Erkenntnis, dass der eigentliche Zweck (‚essential purpose‘) des internationalen Währungssystems die Schaffung von Rahmenbedingungen zur Erleichterung des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs zwischen den Ländern und zur Aufrechterhaltung eines gesunden Wirtschaftswachstums ist und dass ein Hauptziel (‚principle objective‘) darin besteht, die geordneten Grundbedingungen ständig weiterzuentwickeln, welche für die Währungs- und Wirtschaftsstabilität notwendig sind […].“ 119 Übereinkommen i. d. F. v. 30.4.1976, BGBl. 1978 II 13. „Die finanziellen Beziehungen aus der Mitgliedschaft Deutschlands
im IWF werden seit 1970 von der Bundesbank für eigene Rechnung wahrgenommen. Das IWF-Gesetz sieht vor, dass Weisungen an den deutschen Exekutivdirektor im Fonds von der Bundesregierung beziehungsweise vom Bundesministerium der Finanzen erteilt werden. Die Bundesbank ist an der Meinungsbildung, insbesondere wenn es um die von ihr wahrzunehmenden finanziellen Rechte und Pflichten geht, beteiligt. Näheres ist in einer zwischen Bundesregierung und Bundesbank abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung geregelt.“ – Die Beziehungen Deutschlands zum Internationalen Währungsfonds nach Einführung des Euro, Deutsche Bundesbank Monatsbericht September 1999, S. 17. 120 T. Riedel, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 51.
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Vor diesem Hintergrund hatte ein multinationaler Währungsfonds die monetären Voraussetzungen121 eines ausgewogenen Welthandels zu gewährleisten, um die bis dahin üblichen Schwierigkeiten bei internationalen Zahlungsvorgängen zu vermeiden und eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern122. Im Zentrum des Bretton-Woods-Systems123 stand die Gewährleistung der Wechselkursstabilität, welche im Wesentlichen auf dem Vertrauen der Mitglieder in die Währungspolitik der Handelspartner beruhte124. (Dagegen ist das heutige System freier Wechselkurse vor allem vom Vertrauen der Devisenmärkte, das heißt insbesondere von der Bonitätsbewertung der Ratingagenturen abhängig.) Der Tauschwert zu anderen Währungen sollte stabil gehalten werden. An diesem zentralen Ziel des IWF-Übereinkommens, „geordnete Wechselkursregelungen zu gewährleisten und ein stabiles Wechselkurssystem zu fördern“ (Art. IV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen), sind die übrigen Bestimmungen des IWF-Übereinkommens ausgerichtet. 1. Begriff der Stabilität des Währungssystems Der in der Zielbestimmung des Art. I Ziffer iii) IWF-Übereinkommen genannte Begriff der „Stabilität der Währungen“ ist im Vertrag nicht ausdrücklich spezifiziert. Materialität gewinnt der Stabilitätsbegriff im Zusammenhang mit anderen Bestimmungen. Insbesondere der Zielkatalog des Art. I Ziffer i) IWF-Übereinkommen trägt weitere Zielkomponenten in das Stabilitätsziel hinein und führt zu seiner näheren Qualifizierung. 121 Im Zusammenhang mit dem übergeordneten Zweck, der Erleichterung des Welthandels, ist die „Stabilität der Währungen“ im Sinne des Art. I Ziffer iii) IWFÜbereinkommen begrifflich eine Voraussetzung, das heißt ein Erfordernis für ein „ausgewogenes Wachstums des Welthandels“ („expansion and balanced growth of international trade“), welchem im Rahmen des IWF-Übereinkommens aber eine eigenständige Bedeutung zukommt. 122 In Abgrenzung zu den anderen Bretton-Woods-Organisationen ist es das Ziel des IWF, den langfristigen Wohlstand der Mitgliedstaaten durch stabile Wechselkurse zu fördern („[…] designed to promote long-term prosperity through stable exchange rates“), R. Haass/R. Litan, Globalization and its Discontents: Navigating the Dangers of a Tangled World, Mai/Juni 1998. 123 Siehe zum internationalen Wirtschaftssystem nach Bretton Woods, Ch. Tietje, Architektur der Weltfinanzordnung, S. 11 ff. 124 „Da der Wert einer Währung letztlich der wirtschaftlichen Leistungskraft desjenigen Raumes entspricht, der die Währung ausgibt und garantiert, steht hinter dem Vertrauen in die Währung immer das Vertrauen in die Leistungskraft und das Entwicklungspotential eines politisch verfassten Wirtschaftsraums.“ U. Di Fabio, Europa als Stabilitätsunion, in Europa. Ohne Stabilität kein Vertrauen, Sparkassenverband Baden-Württemberg (Hrsg.), 2012, S. 61 ff., 65.
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Der Begriff der „Stabilität der Währungen“ stellt einmal auf die interne Preisniveaustabilität ab, richtet sich also auf die Stabilität der jeweiligen nationalen Geldsysteme der Mitgliedstaaten125 („seine Wirtschafts- und Währungspolitik unter angemessener Berücksichtigung seiner Situation auf das Ziel eines geordneten Wirtschaftswachstums bei angemessener Preisstabilität auszurichten“ – Art. IV Abschnitt 1 Ziffer i) IWF-Über ein kommen)126. Zum anderen soll der IWF gemäß Art. I Ziffer iii) IWF-Übereinkommen dafür Sorge tragen, „geordnete Währungsbeziehungen unter den Mitgliedern aufrechtzuerhalten und Währungsabwertungen aus Wettbewerbsgründen zu vermeiden“. Art. I Ziffer iii) IWF-Übereinkommen trägt also der mittelfristigen Abhängigkeit des Binnenwertes einer Währung von ihrem Außenwert Rechnung, hat also sowohl die interne Preisniveaustabilität als auch die (externe) Stabilität des Außenwertes einer Währung zum Gegenstand. a) Stabilitätslage im internationalen Währungssystem: Außenwert der Währung Das globale Wechselkurssystem ist ein Interdependenzgeflecht, also ein dynamisches System, welches stetig der Einwirkung externer Kräfte ausgesetzt ist127. Die im Übereinkommen zum IWF angestrebte Währungs- und Wechselkursstabilität ist im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne als Gleichgewichtskonstellation zu verstehen. Ein Gleichgewichtssystem gilt als gestört, also als instabil, wenn die Gleichgewichtselemente auseinanderdriften, 125 Innerhalb der Europäischen Union ist es es Aufgabe der Europäischen Zentralbank, über die Preisniveaustabilität im Euro-System zu wachen (Art. 127 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i. V. m. Art. 7, Satzung der Europäischen Zentralbank); vgl. in diesem Zusammenhang auch die Konvergenzkriterien des Maastrichtvertrags, wonach ein Mitgliedstaat nur dann an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (und damit an der Euro-Einführung) teilnehmen darf, wenn seine Inflationsrate um nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über der Inflationsrate der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegt (Art. 140 AEUV, ex-Art. 121 EG-Vertrag, Protokoll Nr. 13). 126 Das Zielkriterium der nationalen Währungsstabilität ist keine fest definierte Zielkonstellation, sondern ein offener, nicht materialer Begriff. Er korrespondiert mit den nationalen Wohlstandszielen und ist damit „ein eigener Gegenstand mit Referenzfunktion“. Siehe zu den grundlegenden Erörterungen zum Stabilitätsbegriff H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, Die gesamtwirtschaftliche Stabilität der deutschen Wirtschaftsverfassung und die europäische Währungsunion, 2002, S. 38 ff. 127 Wegen der mannigfaltigen Stabilitätsausprägungen kann von einer „dynamischen Stabilität“ gesprochen werden. Siehe zum allgemeinen Begriffsverständnis der „Stabilität“ H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 38 ff.
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„sofern sie sich nicht zu einer neuen Gleichgewichtssituation (multiple Gleichgewichte) hin bewegen“128. Die im IWF-Übereinkommen materialisierten Ziele und Aufgaben tragen dem Umstand Rechnung, dass Ungleichgewichte häufig durch externe Anstöße verursacht werden, namentlich etwa durch unlautere nationale Währungsmanipulationen im Sinne des Art. IV Abschnitt 1 Ziffer iii) IWF-Übereinkommen. b) Stabilität der nationalen Währungspolitik Im Allgemeinen soll Stabilität im Hinblick auf ein Zuordnungsobjekt dem Einzelnen ein gewisses Maß an „Sicherheit und Verläßlichkeit suggerieren, im Idealfall beide gewährleisten und damit in bestimmter Weise Berechenbarkeit zulassen“129. Im Kontext des IWF-Übereinkommens ist der Bezugspunkt des Stabilitätszustandes die Gesamtheit der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten. Währung und Wirtschaft sind eng verknüpft und lassen sich sachlich nicht voneinander trennen. Seine Aufgabe, das Gleichgewicht des globalen Währungssystems zu ermöglichen, kann der IWF nur erfüllen, wenn die einzelnen Mitgliedstaaten ihrerseits ein volkswirtschaftliches Gleichgewicht anstreben130. Weil die angestrebte Währungsstabilität nicht ohne nationale wirtschaftliche Stabilität zu erreichen ist, verpflichtet sich jeder Mitgliedstaat131 gemäß Art. IV Abschnitt 1 Ziffer i) IWF-Übereinkommen dem Ziel, „seine Wirtschafts- und Währungspolitik unter angemessener Berücksichtigung seiner Situation auf das Ziel eines geordneten Wirtschaftswachstums bei angemessener Preisstabilität auszurichten“132. Daneben sind die übrigen Ver128 Ebenda,
S. 42.
129 H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Das Kriterium von Verlässlichkeit und Stabilität des
Verfassungsprinzip, S. 38 f. Währungssystems wird in Art. I Ziffer v) IWF-Übereinkommen aufgegriffen. Aufgabe des vom IWF zu kontrollierenden Währungssystems ist es, „das Vertrauen der Mitglieder dadurch zu stärken“, dass ihnen Fondsmittel kurzfristig zur Verfügung gestellt werden, um nicht zu systemschädigenden Maßnahmen (beggar-thy-neighbour) greifen zu müssen. Die Fondsmittel und ihre kurzfristige Vergabe an die Mitgliedstaaten ist also ein Mittel, welches dem IWF an die Hand gegeben wurde, um das Vertrauen aller Mitgliedstaaten in die Stabilität des Währungssystems, namentlich seine Liquidität, zu gewährleisten. 130 Im Vordergrund steht das Nebeneinander der Volkswirtschaften mit ihren jeweiligen Währungen, welche jeweils für sich eine stabile Ausprägung annehmen sollen. Die sogenannten Art. 4-Konsultationen dienen dazu, die einzelnen wirtschaftlichen Determinanten der Mitgliedstaaten in Erfahrung zu bringen. 131 In der Europäischen Währungsunion die Europäische Zentralbank. 132 Angestrebt wird ein makroökonomisch und wirtschaftspolitisch stabiler und beständiger Zielzustand. Dazu H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 43.
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pflichtungen des Art. I Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen unmittelbar auf das Ziel einer stabilen nationalen Währungspolitik gerichtet, insbesondere soll jedes Mitglied ii) um Stabilität bemüht sein, indem es geordnete Wirtschafts- und Währungsver hältnisse und ein Währungssystem anstrebt, das nicht dazu neigt, erratische Störungen auszulösen; iii) Manipulationen der Wechselkurse oder des internationalen Währungssystems mit dem Ziel, eine wirksame Zahlungsbilanzanpassung zu verhindern oder einen unfairen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Mitgliedern zu erlangen, vermeiden und iv) eine Wechselkurspolitik verfolgen, die mit den Verpflichtungen aus diesem Abschnitt vereinbar ist.
Die Kohärenz des internationalen Währungssystems soll also verbessert werden durch das „optimale Zusammenwirken sämtlicher Teilsysteme mit dem Ziel eines wie auch immer zu bestimmenden globalen Gemeinwohls“133. In diesem Sinne ist die Stabilität des globalen Währungssystems die Stabilität der mitgliedschaftlichen Wirtschaftssysteme in ihrer Gesamtheit134. c) Wirtschaftswachstum und Preisstabilität Wirtschaftswachstum und Preisstabilität sind zwar tragende Elemente einer nationalen Wirtschaftspolitik135, aber keine eigenständigen Ziele des Fonds136. Beide Kriterien finden in Art. IV Abschnitt 1 i) IWF-Übereinkommen Erwähnung. Danach soll jedes Mitglied „bestrebt sein, seine Wirt133 Zur
Kohärenz D. Ruddigkeit, Das Mandat des IWF, S. 45 ff. im Sinne des IWF-Übereinkommens ist ein globaler makroökonomischer Gleichgewichtszustand. Auskunft über die makroökonomische Stabilität jedes einzelnen Mitgliedstaates gibt insbesondere die Zahlungsbilanz. Als Kriterien der Stabilität bieten sich die sogenannten Konvergenzkriterien des Euro-Systems an. Das Bundesverfassungsgericht hat erkannt, dass die Konvergenzkriterien die Stabilität der Währungsunion gewährleisten, BVerfGE 89, 155 (200 ff.); kritisch zu den Konvergenzkriterien H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 226 ff. 135 Ebenda; vgl. auch § 1 StabG (Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft). 136 Auch im Rahmen der Konditionalitätsprogramme fanden sie in der Vergangenheit wenig Berücksichtigung, was sich mit Beginn der Euro-Krise aber geändert hat. Als Grund führt Lucke (neben einer beabsichtigten Abgrenzung zur Weltbank) folgendes an: „Da die erfolgreiche Bekämpfung der Inflation über den Preissenkungsdruck einer monetären Kontraktion erzeugt werden kann, und dieses Ergebnis durch die bereits im Rahmen des Zahlungsbilanzausgleichs aufgestellten Leistungskriterien zu bewirken war, hat der Fonds die Preisstabilität nicht ausdrücklich zu einem Teil seiner Konditionalität gemacht, sondern die Konditionalität als solche weicher gemacht.“ 134 Stabilität
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schafts- und Währungspolitik unter angemessener Berücksichtigung seiner Situation auf das Ziel eines geordneten Wirtschaftswachstums bei angemessener Preisstabilität auszurichten“. Der Terminus Preisstabilität findet im Zielkatalog des Art. I i) IWF-Übereinkommen keine Erwähnung und ist ausweislich Art. IV Abschnitt 1 i) IWF-Übereinkommen Sache der Mitgliedstaaten137. Preisstabilität steht verkürzt für den Begriff der Preisniveaustabilität und damit für „das Verhältnis von monetärer Nachfrage zu potentiellem Gesamtangebot im fraglichen Währungsgebiet“138. Die Preisniveaustabilität hat als „interne Stabilität“ in erster Linie einen Binnenbezug, bildet also die Stabilität der Preise innerhalb des Währungsgebietes ab139. Der Förderung des nationalen Wirtschaftswachstums als einem der makroökonomischen Teilziele der Mitgliedstaaten140 misst der IWF seit den achtziger Jahren zentrale Bedeutung zu141. Nach Peter Lucke entspricht dies auch dem historischen Zweck, nämlich dem „erwarteten Ergebnis der Handels P. Lucke, Internationaler Währungsfonds: Strukturen, Finanztransaktionen und Konditionalität aus völkerrechtlicher Sicht, 1997, S. 180 (m. w. N.). 137 Im Euro-Währungsgebiet ist die Wahrung der Preisstabilität Aufgabe und vorrangiges Ziel der Europäischen Zentralbank, gemäß Art. 105, Abs. 1 des Vertrages über die Europäische Union vom 7.10.1992 i. V. m. Art. 7 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank. 138 Zur Stabilität des Preisniveaus im Sinne des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts siehe H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 171: „Dementsprechend meint Preisniveaustabilität auch nicht die Konstanz einzelner Preise, weil die den Markt kennzeichnenden Produktivitäts- und Kostenverschiebungen sich im Markt gerade in der Veränderung der Preise abbilden – die Lenkungsfunktion des Preises –, sondern die Konstanz eines auf möglichst geeignete Weise zu bildenden und im Zeitverlauf beizubehaltenden Preisdurchschnitts.“ Im Sinne der Europäischen Währungsunion gilt dafür als Maßstab der harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI). Im Gegensatz zur Preisniveaustabilität erfasst das Kriterium der „Währungsstabilität“ sowohl Binnen- als auch Außenwert des Geldes. 139 Das Bundesverfassungsgericht misst der Preisniveaustabilität als „allgemeine ökonomische Grundlage für die staatliche Haushaltspolitik und für private Planungen und Dispositionen bei der Wahrnehmung wirtschaftlicher Freiheitsrechte“ besondere Bedeutung zu. BVerfGE 89, 155 (209). Dazu auch Hänsch, der auf die Unterscheidung zwischen Preisniveaustabilität und Geldwertstabilität, insbesondere der Währungsstabilität eingeht. Die Geldwertstabilität umfasst sowohl die interne Erhaltung der Kaufkraft, als auch die Wahrung des Außenwerts der Währung, also die „externe Stabilität“, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 173. 140 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 179. 141 Zu den Zielen der IWF-Konditionalität siehe J. Polak, The Changing Natur of IMF Conditionality, 1991. Der IWF sei daher „im Ausgangspunkt als eine reine Makro-Institution zu charakterisieren“. D. Ruddigkeit, Das Mandat des IWF, S. 25; M. Guitián, The Unique Nature of the Responsibilities of the IMF, 1992, S. 16.
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ausweitung“142. Wirtschaftswachstum gilt als „ständige Bedingung“143, um andere Zielkomponenten zu erreichen. In erster Linie handelt es sich um einen nationalen „Verfassungsauftrag zur Wachstumsvorsorge“144, welcher um internationaler Stabilität willen vom IWF gefördert werden soll. 2. Reduzierung der Zahlungsbilanzungleichgewichte Art. I vi) IWF-Übereinkommen benennt als weiteres Teilziel, die internationalen Zahlungsbilanzungleichgewichte der Mitgliedstaaten zu reduzieren145. Art. I Ziffer i) IWF-Übereinkommen unterscheidet zwischen Unausgeglichenheiten (maladjustments) innerhalb der nationalen Zahlungsbilanz (Art. I Ziffer v) IWF-Übereinkommen) und Ungleichgewichten (desequilibrium) unter den internationalen Zahlungsbilanzen (Art. I Ziffer vi) IWF-Übereinkommen). Nach Art. I Ziffer v) IWF-Übereinkommen soll der Fonds zeitweilig allgemeine Fondsmittel zur Verfügung stellen, um den Mitgliedstaaten die Gelegenheit zu geben, „Unausgeglichenheiten in ihrer Zahlungsbilanz zu bereinigen, ohne zu Maßnahmen Zuflucht nehmen zu müssen, die dem nationalen oder internationalen Wohlstand schaden“. Art. I Ziffer vi) IWF-Übereinkommen nimmt auf dieses Ziel ausdrücklich Bezug („in Übereinstimmung mit Vorstehendem“). Danach soll der IWF darauf hinwirken, „die Dauer der Ungleichgewichte der internationalen Zahlungsbilanzen der Mitglieder abzukürzen und den Grad der Ungleichgewichte zu vermindern“. Das Ziel der Mitgliedstaaten, die internationalen Zahlungsbilanzungleichgewichte zu reduzieren, steht also in Kohärenz mit dem Verbot der Währungsmanipulation146. Die Reduzierung der internationalen Zahlungsbilanzungleichgewichte 142 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 179; in Bezug auf die vertragliche Zielsetzung zweifelhaft F. Anunobi, The Implications of Conditionality: The International Monetary Fund and Africa, 1992, S. 35. 143 T. Maunz, dort zur Bedeutung des Wachstums im Grundgesetzt, Art. 109, in: Maunz/Düring, GG, Rdn. 27. 144 Vgl. A. Möller, StWG, § 1, Rdn. 8. 145 Joseph Stiglitz geht davon aus, dass der IWF eine weitreichende Steuerungsfunktion gegenüber seinen Mitgliedern habe. Nach seiner Auffassung folgt daraus die Befugnis des Fonds, „internationalen Druck auf Länder [auszuüben], die keinen angemessenen Beitrag zur Aufrechterhaltung der globalen Gesamtnachfrage leisten und so ihre Volkswirtschaft in eine Rezession trudeln [lassen]“. Die Schatten der Globalisierung, S. 26. 146 Die negative Zahlungsbilanz gegenüber einem anderen Mitgliedstaat wirkt sich auch auf das Wechselkursverhältnis und damit auf den Handel zwischen den Staaten aus. Ist die Währung eines Mitglieds beispielsweise stark inflationär, werden andere Länder mit diesem Staat keinen Handel mehr treiben, weil sie sonst (annähernd) wertlose Forderungen gegen dessen Volkswirtschaft hätten.
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formuliert kein eigenständiges Hauptziel des IWF-Übereinkommens, sondern dient als sekundäres (Zwischen)Ziel dem Zweck, die Währungen und Wechselkurse unter den Mitgliedern möglichst stabil zu halten. Dafür spricht auch der historische Kontext der Bestimmungen147. Nach der bei der Bretton-Woods-Konferenz maßgeblichen Auffassung von Harry Dexter White gab es grundsätzlich „drei Möglichkeiten, die Zahlungsbilanz eines Landes zu stärken und wieder in ein Gleichgewicht zu bringen: Wäh rungsabwertung, Importkontrollen und Kapitalkontrollen“148. Das IWFÜbereinkommen konzentriert sich auf die Gefahr von Währungsabwertungen und soll Mitgliedstaaten von manipulativen Währungsabwertungen abhalten. Diese verhindern eine „wirksame Zahlungsbilanzanpassung“ (Art. IV Abschnitt 1 Ziffer iii) IWF-Übereinkommen) und gelten als virulente Gefahr für die Wechselkurse. Die Gefahr einer manipulativen Währungsabwertung, die einen Abwertungswettlauf auslösen kann (baggar-thy-neighbour), bleibt bei unausgeglichenen Zahlungsbilanzen stets präsent. Um einen Mitgliedstaat mit unausgeglichener Zahlungsbilanz davon abzuhalten, wie in der Weltwirtschaftskrise zu „unfairen“ Währungsmanipulationen zu greifen, sollen ihm Fondsmittel zur Verfügung gestellt werden. Das heißt: Die Mittel des IWF haben eine kurzfristige Überbrückungsfunktion149, um dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit zu geben, seine Zahlungsbilanz „wirksam“150 zu bereinigen151. 147 Keynes ging es nach seinen ursprünglichen Vorstellungen um die Erhaltung eines Gleichgewichtszustandes innerhalb eines supranationalen Währungssystems. Grundlage des Systems sollte ein unabhängiges, internationales und virtuelles Zahlungsmittel sein (Bancor), mit dem der Zahlungsverkehr zwischen den Zentralbanken abgewickelt werden sollte. Die Leistungsbilanzen der Mitgliedsländer sollten über eine internationale Verrechnungsstelle auf Basis stabiler Wechselkurse ausgeglichen werden. Wie dargelegt konnte sich Keynes in Bretton Woods nicht mit dem Ziel durchsetzen, mit Hilfe eines multilateralen Ausgleichssystems zwischen den Mitgliedstaaten auf ein internationales Zahlungsbilanzgleichgewicht hinzuwirken. Der IWF wurde im Gegensatz zum Keynes-Plan nicht als eine internationale Verrechnungsstelle mit Buchgeld (International Clearing Union) konzipiert und auch nicht mit den Mitteln ausgestattet, die für eine internationale Verrechnungsstelle im Sinne Keynes’ erforderlichen gewesen wären. „Die Möglichkeiten, die der Fonds eröffnet, sind so im Grunde beschränkt auf das Maß der amerikanischen Quote.“ Zu den wirtschaftlichen Sonderproblemen des Bretton-Woods-Systems W. Lautenbach, Zins, Kredit und Produktion, S. 170. 148 M. Joswig, Die Geschichte der Kapitalverkehrskontrollen im IWF-Übereinkommen, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, Februar 2012, S. 24. 149 I. Seidl-Hohenveldern/G. Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, 2000, S. 362. 150 Art. IV Abschnitt 1 Ziffer ii) IWF-Übereinkommen spricht vom systemgefährdenden „Ziel, eine wirksame Zahlungsbilanzanpassung zu verhindern oder einen unfairen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Mitgliedern zu erlangen“.
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a) Stabilisierung der Währungen und Wechselkurse Die zentrale Aufgabe des Internationalen Währungsfonds besteht darin, „die Stabilität der Währungen zu fördern, geordnete Währungsbeziehungen unter den Mitgliedern aufrechtzuerhalten und Währungsabwertungen aus Wettbewerbsgründen zu vermeiden“152. Zur Stabilitätsvorsorge (Aufrechterhaltung der Stabilitätslage) gehört eine Vielzahl von Teilaufgaben. aa) Vermeidung von unfairen Währungsabwertungen Zur Erreichung des Stabilitätsziels des globalen Währungssystems hat der Fonds gemäß Art. I Ziffer iii) IWF-Übereinkommen in Sonderheit dafür Sorge zu tragen, dass Störungen durch systemschädliche Maßnahmen, namentlich „wettbewerbsunlautere“ Währungsabwertungen, möglichst vermieden werden („even playing field“)153. Damit korrespondiert die in Art. IV Abs. iii) IWFÜbereinkommen aufgeführte Verpflichtung der Mitgliedstaaten, wettbewerbswidrige Manipulationen der eigenen Währung zu unterlassen. Art. I Ziffer iii) IWF-Übereinkommen spricht im originären englischen Wortlaut von „competitive exchange depreciations“. In der amtlichen deutschen Übersetzung ist missverständlich von „Währungsabwertungen aus Wettbewerbsgründen“ die Rede154. Abwertungen haben immer Wettbewerbsfolgen. Eine Abwertung aus Wettbewerbsgründen kann jedoch wirtschaftlich geboten sein. Zweck der Vorschrift ist es, eine Abwertungsspirale, wie sie in der Weltwirtschaftskrise im Ergebnis zu Lasten aller Staaten praktiziert 151 „IMF financing provides member countries the breathing room they need to correct balance of payments problems.“ IWF, IWF-Homepage: http://www.imf.org/ external/about/howwedo.htm. 152 Diese Aufgabe war an die vorgesehene Liberalisierung des Welthandels im Güter- und Dienstleistungsbereich geknüpft (Art. IV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen), wenn auch die Teilnahmestaaten in Bretton-Woods letztlich nicht zu der angestrebten „internationalen Integration von Handel, Investitionen, Finanzen und Währungen“ gelangen konnten. Dazu Ch. Tietje, Architektur der Weltfinanzordnung, Institut für Wirtschaftsrecht, S. 11; S. Schlemmer-Schulte, Internationales Währungs- und Finanzrecht, § 9 Rdn. 81. Zur Gründung einer internationalen Organisation, welche die notwendige Liberalisierung des Welthandelssystems verwirklichen sollte, kam es mit dem Abkommen zur Welthandelsorganisation erst im Jahr 1994. Ch. Tietje, Architektur der Weltfinanzordnung, Institut für Wirtschaftsrecht, S. 13. 153 Siehe auch P. Welfens, Grundlagen der Wirtschaftspolitik, 2005, S. 235. 154 Der Begriff „Währungsabwertung“ ist insofern widersprüchlich, als kein Staat an sich seine Währung abwerten kann. Dazu mit Bezug auf die Europäische Währungsgemeinschaft H. Kortz, Die Entscheidung über den Übergang in die Endstufe der Wirtschafts- und Währungsunion, 1996, S. 133.
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wurde, zu verhindern. Derartige Abwertungswettläufe (beggar-thy-neighbour) führen zu einem volatilen Außenwert der Währung, der im Außenhandel keine verläßliche Preisbildung ermöglicht. Die mit Art. I Ziffer iii) IWFÜbereinkommen korrespondierende Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. IV Abschnitt 1 Ziffer ii) IWF-Übereinkommen spricht insofern genauer von „manipulating exchange rates or the international monetary system in order […] to gain an unfair competitive advantage over other members.“ bb) Vermeidung von Devisenverkehrsbeschränkungen In diesem Zusammenhang steht auch die (sekundäre) Aufgabe des Fonds, nicht-tarifäre Handelshindernisse abzubauen. Nach Art. I Ziffer iv) IWFÜbereinkommen soll der IWF bestehenden Devisenrestriktionen entgegenwirken, die den Devisenverkehr und den laufenden Handel einschränken155. Dabei besteht seine Aufgabe nicht darin, bestehende Devisenbewirtschaftungsmaßnahmen abzuschaffen oder deren Neueinführung zu verhindern156. Ihm ist jedoch gemäß Art. VI Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen eine Erforderlichkeitsprüfung vorbehalten, sollten kapitalimportierende oder -exportierende Staaten Devisenbewirtschaftungsmaßnahmen ergreifen, um auf diese Weise Kapitalübertragungen ins Inland oder nach dem Ausland zu kontrollieren. Der IWF hat keine Befugnis, Devisenbeschränkungen zu sanktionieren. Gleichwohl begründet die Verpflichtung nach Ansicht von Ralf Molzahn eine „gewisse Rechtfertigungspflicht“ gegenüber dem Fonds. Zumindest würden die Mitglieder angehalten, von „allzu leichtfertig eingeführten Restriktionen“ Abstand zu nehmen157. cc) Aufbau eines multilateralen Zahlungssystems für laufende Geschäfte Das Übereinkommen weist dem IWF die Aufgabe zu, ein „multilaterales Zahlungssystem für die laufenden Geschäfte zwischen den Mitgliedern [zu errichten] und bei der Beseitigung von Devisenverkehrsbeschränkungen, die das Wachstum des Welthandels hemmen, mit[zu]wirken“ (Art. I Ziffer iv) IWF-Übereinkommen). Das multilaterale Zahlungssystem soll zur Stabilisie155 M. Ferber/G. Winkelmann, Internationaler Währungsfonds, Weltbank, IFC, IDAS, 1985, S. 34. 156 M. Potacs, Devisenbewirtschaftung: Eine verfassungs- und verwaltungsrechtliche Untersuchung unter Berücksichtigung des Völker- und Europarechts, 1991, S. 426. 157 R. Molzahn, Die normativen Verknüpfungen von Kapitalverkehrsfreiheit und Währungsunion im EG-Vertrag, 1999, S. 25.
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rung der Währungen beitragen, indem Zahlungsbilanzungleichgewichte reduziert werden158. Die Bestimmungen des IWF-Übereinkommens richten sich auf laufende Transaktionen im Zusammenhang mit dem Außenhandel. Die Übertragung einer Kapitalsumme berührt daher nicht die Zuständigkeit des Fonds, wenn es sich beispielsweise um die Investition im Rahmen einer Beteiligung handelt und nicht um die Bezahlung von Waren und Dienstleistungen159. Im Bereich der Kapitalverkehrsfreiheit ist der IWF nicht zuständig160. Nach Keynes war die Freiheit des Kapitalverkehrs „ein wesentlicher Teil des alten laissez-faire-Systems“, weshalb er Kapitalverkehrskontrollen für „eine notwendige flankierende Maßnahme“ hielt161. Im Übrigen folgt die differenzierte Behandlung von Zahlungs- und Kapitalverkehr daraus, dass der Welthandel auch ohne eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs prosperieren kann. Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs strebt nach einer internationalen wirtschaftlichen Integration162. Art. VIII Abschnitt 2 IWF-Übereinkommen bezieht sich nur auf die Verpflichtung der Mitglieder, Beschränkungen laufender Zahlungen zu vermeiden. Erst nach Konsultation und Zustimmung des Fonds dürfen laufende Zahlungen Beschränkungen unterworfen werden163. Für die Kapitalverkehrsfreiheit findet sich keine entsprechende Klausel, wenngleich Art. IV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen die Erleichterung des internationalen Kapitalverkehrs als eines der Ziele aufführt (dazu Teil 8). Nach Art. VI Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen bleibt es grundsätzlich dem Ermessen des Mitgliedstaats vorbehalten, die zur Kontrolle internationaler Kapitalbewegungen notwendigen Maßnahmen zu treffen. b) Technische Hilfe Der IWF hat die Aufgabe, seinen Mitgliedstaaten „technische Hilfe“ zur Verfügung zu stellen. Der Bereich der „technischen Hilfe“ besteht aus drei 158 Klaus Weigeldt spricht vom Interesse an der „Aufrechterhaltung eines reibungslosen internationalen Zahlungsverkehrs“, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 4. Siehe zu den Zielen auch D. Driscoll, What is the International Monetary Fund, IMF, 1997, S. 8. ff. 159 R. Molzahn, Die normativen Verknüpfungen von Kapitalverkehrsfreiheit und Währungsunion im EG-Vertrag, S. 25. 160 Vgl. dazu die Ausführungen zur Kapitalverkehrsfreiheit Teil 8, A. 161 W. Ebke, Internationales Devisenrecht, 1990, S. 90 ff. 162 Ch. Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, 2010, S. 253. 163 Art. VIII Abschnitt 2 a) IWF-Übereinkommen.
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Teilbereichen: Der Fonds unterstützt die Staaten bei der Gestaltung und Umsetzung der Geld- und Fiskalpolitik, dem Aufbau von Institutionen (etwa bei der Errichtung und Stärkung von Zentralbanken oder Schatzämtern) sowie der Ausarbeitung und Überprüfung von Wirtschafts- und Finanzgesetzen164. Der Fonds ist ein bedeutender Teil des globalen Steuerungsnetzwerks, des sogenannten „Global Administrative Law“ (GAL)165. Seit den siebziger Jahren haben sich zwar auch andere informelle intermediäre und nichtstaatliche Kooperations- und Koordinationsforen im Finanzmarktbereich166 herausgebildet. Der Fonds hat aber eine tragende Rolle bei der „Ausformung der ersten neuen internationalen Finanzarchitektur […], u. a. im Bereich der Überwachung167, Standardisierung, der Transparenz und des Informationsaustausches“ („Aufsichts- und Regulierungsanstrengungen für private Finanzmarktakteure und -transaktionen“), namentlich im Rahmen des Financial Stability Forum (heute Financial Stability Board – FSB)168, des Financial Sector Assessment Program (FSAP) und der Reports of the Observance of Standards and Codes (ROSCs), als Teil gemeinsamer Einrichtungen und Initiativen von Weltbank und IWF sowie im Rahmen der Erweiterung der G-7 zur G-20169.
164 Siehe IMF, Informationsblatt – Technische Hilfe, 31. Juli 2000: „Der IWF bietet technische Hilfe in Bereichen innerhalb seines Kernmandats, nämlich makroökonomische Politik; Geld- und Wechselkurspolitik und -systeme; Fiskalpolitik und Haushaltsvollzug; Auslandsschulden und makroökonomische Statistik.“ Im Zuge der technischen Hilfe berät der Fonds seine Mitglieder etwa beim Kauf und Verkauf von Währungen oder bei der Annahme von Gebührenzahlungen der Länder, deren Währungen an den Transaktionen beteiligt sind (Art. V, Abschnitt 3, lit. d, Abschnitt 7, lit. h und Abschnitt 8, lit. e IWF-Statuten). Im Rahmen der sogenannten Integrated Framework (IF) unterstützt der IWF weniger entwickelte Staaten und arbeitet dabei eng mit der Weltbank und der Welthandelsorganisation (WTO) zusammen. Dazu T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 98 f. 165 B. Kingsbury/N. Krisch/R. Stewart, The Emergence of Global Administrative Law, 2005. 166 Auch Non Governmental Organizations (NGO). 167 Zu seiner Rolle als globale Finanzaufsichtsbehörde („global financial authority“) R. Lastra, The role of the IMF as a global financial authority, 2011, S. 121 ff. 168 Mit Regulierungsstandards beschäftigen sich neben dem Fonds die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) als Dachorganisation der Zentralbanken sowie das von den G20 beauftragte Financial Stability Board. Der IWF sieht seine Rolle in der Überwachung der Umsetzung des international vereinbarten Rahmens. 169 Siehe Ch. Tietje, Architektur der Weltfinanzordnung, S. 16.
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c) Überwachungsaufgaben Die ursprüngliche Aufgabe des IWF bestand darin, das System fester Wechselkurse zu überwachen. Diese Aufgabe hatte sich mit dem Zusammenbruch des Paritätensystems in den Jahren 1971 bis 1973 erledigt. Nach Ansicht von Rolf Knieper ist mit der 2. Novellierung der IWF-Statuten im Jahr 1978 auch die Konzeption einer „Weltwährungsbehörde“ weggefallen. Damit war eine internationalisierte Währungspolitik „auch juristisch zerstört und Währungspolitik re-nationalisiert [worden]“170. Heute liegt der Schwerpunkt der Auflagen des IWF auf der Überwachung geordneter Wechselkurspraktiken („To promote international monetary cooperation […] consultation and collaboration on international monetary problems“, „to maintain orderly exchange arrangements among members“, „to give confidence to members“)171. Der IWF ist als Forum „ständiger Konsultation und Zusammenarbeit bei internationalen Währungsproblemen“ konzipiert (Art. I Ziffer i) IWF-Übereinkommen)172. Der IWF dient als ständige Einrichtung, um Störungen im internationalen Währungs- und Wechselkurssystem zu korrigieren. Allerdings finden fast alle Konsultationen in diesem Bereich innerhalb der Gruppe der G5 und G7 statt, die mit dem IWF nicht verbunden sind173. aa) Koordination der Währungspolitiken der Mitgliedstaaten Grundsätzlich fügt sich ein Staat mit dem Beitritt zum IWF in die völkerrechtliche Kooperationsordnung des globalen Wechselkurssystems ein. Die Währungs- und Wechselkurspolitik bleibt freilich im Hoheitsbereich des Mitgliedstaates174. Gemäß Art. IV Abschnitt 2 a) IWF-Statuten ist ein Mitglied des IWF lediglich verpflichtet, den Fonds „über die Wechselkursregelungen, die es zur Erfüllung seiner Verpflichtungen […] anzuwenden beabsichtigt“, zu 170 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 271. 171 E. U. Petersmann, Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform, S. 457. Dort insbesondere zur Notwendigkeit einer funktionalen Völkerrechtsinterpretation nach Auflösung des Bretton-Woods-Systems. 172 Der IWF fungiert als technisches Forum der globalen Finanzmarktstabilität. In Kooperation mit der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und dem Financial Stability Board (FSB) dient das Forum dem Informationsaustausch sowie der Erarbeitung und Durchsetzung von Regulierungsstandards. 173 E. Denter, IMF Conditionality – Economic, Social, and Cultural Rights, and the Evolving Principle of Solidarity, S. 235. 174 A. Schäfer, Die neue Unverbindlichkeit Wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa, 2005, S. 94.
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unterrichten und dem Fonds „sofort jede Änderung seiner Wechselkursregelungen“ mitzuteilen175. Die Befugnisse des Fonds gegenüber seinen Mitgliedstaaten sind durch die Rechte und Pflichten der Mitglieder begrenzt176. Nach Art. IV Abschnitt 2 c) IWF-Übereinkommen ist der Fonds befugt, „mit einer Mehrheit von fünfundachtzig Prozent aller Stimmen Vorkehrungen für allgemeine Wechselkursregelungen“ zu treffen. Dies berührt jedoch nicht das Recht der Mitglieder, „Wechselkursregelungen eigener Wahl anzuwenden“, sofern sie mit den Zielen des Fonds vereinbar sind (Art. IV Abschnitt 2 c) IWF-Übereinkommen). Nach Art. IV Abschnitt 3 b) IWF-Statuten hat der IWF die weiterführende Befugnis, „besondere Grundsätze [aufzustellen], von denen sich alle Mitglieder bei ihrer Wechselkurspolitik leiten lassen“. bb) Überwachung der Politiken der Mitgliedstaaten Die primäre Aufgabe des IWF ist die Koordination177 und Überwachung178 der Geld- und Währungsbeziehungen der Mitgliedstaaten. Dazu gehört die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Währungspolitik nach 175 Ebenso dürfen die Mitglieder gemäß Art. VIII Abschnitt 2 IWF-Übereinkommen ohne die Genehmigung des IWF keine Restriktionen vornehmen. 176 Dies folgt aus Art. IV und VIII. Vergleiche zur Frage der Befugnisse im Rahmen der Völkerrechtsfähigkeit des IWF P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 59; T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 56. 177 Die Rede ist von „fördern“ (im Bereich der Zusammenarbeit), von „erleichtern“ (bei der Ausweitung des Welthandels und bei der Stabilität der Währungen) und von „mitwirken“ (bei der Errichtung eines Zahlungssystems). 178 Art. IV Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen spricht explizit von der Aufgabe des Fonds, das Währungssystem und die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu überwachen. Die Bestimmung korrespondiert folglich mit den Zielen aus Art. I Ziffer i) IWF-Übereinkommen – der Einrichtung eines Apparats zur Zusammenarbeit in Währungsfragen – und den in Abs. iii) und iv) IWF-Übereinkommen genannten Zielen, die auf die Verhinderung von Währungsmanipulationen durch Abwertungen oder Devisenbewirtschaftungen hinzuwirken. Rechtsgrundlage der Überwachungsfunktion ist Art. IV Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen: „Der Fonds überwacht das internationale Währungssystem, um sicherzustellen, dass es wirksam funktioniert und überwacht die Einhaltung der Verpflichtungen nach Abschnitt 1 durch jedes Mitglied.“ Heute besteht seine Aufgabe darin, das internationale Währungssystem (und damit auch das multilaterale Zahlungssystem) zu überwachen und sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nach Art. IV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen nachkommen (Art. IV Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen). Dazu gehören etwa die Herstellung eines „geordneten Wirtschaftswachstums bei angemessener Preisstabilität“ (i) sowie „geordnete Wirtschafts- und Währungsverhältnisse“ (ii). Der Fonds hat die Wechselkurse jedes einzelnen Mitgliedstaates, deren Liquidität und die Währungskonvertibilität zu überwachen. Dies geschieht anhand der Informa-
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Art. I Ziffer i) IWF-Übereinkommen einschließlich der Förderung der Stabilität der Währungen gemäß Art. I Ziffer iii) IWF-Übereinkommen. Der Fonds überwacht (Art. IV IWF-Übereinkommen spricht von „surveillance“) sowohl die wechselseitige Verpflichtung zur Konvertibilität der Währungen179 als auch die Verpflichtung der Mitglieder zur Stabilisierung der jeweils eigenen Währung180: „In sum, surveillance involves policy discussions between the IMF and individual members as the basis for the formulation of an international community view and assessment of specific country policies. In addition, it encompasses regular examinations of the state of and prospects for the world economy at large, or of particular aspects of the international economic scene. The end-purpose of these various activities is to promote consistency of national policies and aims, to highlight interdependencies, and to point toward a well-balanced and fair assignment of policy responsibilities among members.“
Die Evaluierungskommission des Fonds nennt für die Überwachung mitgliedstaatlicher Politik sechs spezifische Ziele181. Gemeinsam sollen sie dem Ziel eines „stabilen Systems der Wechselkurse“ im Sinne des Art. IV IWFÜbereinkommen dienen: 1. Politikberatung; 2. durch Analysen und ökonomische Prognosen die Grundlage für Politikkoordinierung schaffen182 – die allerdings nur von den Mitgliedstaaten selbst verwirklicht werden kann; 3. das Zusammentragen und Verteilen statistischer Daten und Informationen über Politiken; 4. technische Unterstützung und Expertise in wirtschaftspolitischen Fragen; 5. die Identifizierung von Schwachstellen nationaler Politik sowie 6. die Verbreitung des vorherrschenden wirtschaftspolitischen Konsenses guter Politik (dieser Punkt wird mit „delivering the message“ beschrieben). tionen, welche dem Fonds zur Verfügung zu stellen sich die Mitgliedstaaten verpflichtet haben (Art. VIII Abschnitt 5–7 IWF-Übereinkommen). 179 Das Ziel, die Konvertibilität der Währungen herzustellen, erreichte der IWF erst im Jahr 1958. 180 Aus einer IWF-Veröffentlichung, siehe M. Guitián, The Unique Nature of the Responsibilities of the International Monetary Fund, IMF Pamphlet Series 46, 1992, S. 21 f.; G. Leithäuser, Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die eingeschränkte Souveränität nationalstaatlicher Wirtschaftspolitik in seinem Einflussbereich, 1978. 181 J. Crow/R. Arriazu/N. Thygesen, External Evaluation of IMF Surveillance, 1999, S. 17 f., Übersetzung und Kommentierung in A. Schäfer, Die neue Unverbindlichkeit Wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa, 2005, S. 118. 182 J. Ostry/A. Ghosh, Obstacles to International Policy Coordination, and How to Overcome Them, IWF Research Department, 2013.
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cc) Artikel-IV-Konsultationen Die sechs Ziele leiten den Fonds auf verschiedenen Ebenen seiner Tätigkeit, insbesondere bei den jährlich stattfindenden Konsultationen mit den Mitgliedstaaten nach Artikel IV des IWF-Übereinkommens. Die Konsultationen sind das wichtigste Instrument des Fonds bei der multilateralen und regionalen Überwachung. Die Ergebnisse der Länderkonsultationen sind auch für die Berichterstattung über die weltweite Wirtschaftsentwicklung im World Economic Outlook (WEO) maßgeblich183. Bei den Artikel-IV-Konsultationen handelt es sich um ein formalisiertes Verfahren der Berichterstattung184. Art. IV Abschnitt 3 b) IWF-Übereinkommen lautet: „Der Fonds überwacht das internationale Währungssystem, um sicherzustellen, dass es wirksam funktioniert, und überwacht die Einhaltung der Verpflichtungen nach Abschnitt 1 durch jedes Mitglied [Verpflichtung jedes Mitglieds zur Zusammenarbeit mit dem Fonds und anderen Mitgliedern, um geordnete Wechselkursregelungen zu gewährleisten und ein stabiles Wechselkurssystem zu fördern].“
Der IWF beschreibt seine Aufgabe bei Überwachung der Mitgliedstaaten umfassender185: „When a country joins the IMF, it agrees to subject its economic and financial policies to the scrutiny of the international community. It also makes a commitment to pursue policies that are conducive to orderly economic growth and reasonable price stability, to avoid manipulating exchange rates for unfair competitive advantage, and to provide the IMF with data about its economy. The IMF’s regular monitoring of economies and associated provision of policy advice is intended to identify weaknesses that are causing or could lead to financial or economic instability. This process is known as surveillance.“
Um die Einhaltung der Verpflichtungen der Mitglieder zu gewährleisten, sind dem Fonds „alle für eine solche Überwachung notwendigen Informationen“ zur Verfügung zu stellen186. Sie sind als Mittel der Datengewinnung 183 A. Schäfer, Die neue Unverbindlichkeit Wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa, S. 118. „Während die geografischen Abteilungen (Area Departments) des IWF die Artikel-IV-Konsultationen vorbereiten, bei denen als Analyseeinheit einzelne Länder gewählt werden, sind für den WEO die Querschnittabteilungen (Functional and Special Services Departments) zuständig. Ihr Ausgangspunkt ist die Weltwirtschaft, aus der sich die Aufgaben und Herausforderungen für einzelne Länder ableiten.“ 184 Zum Verfahren der Artikel-IV-Konsultationen A. Schäfer, Die neue Unverbindlichkeit Wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa, S. 118. 185 IMF, Surveillance, einzusehen unter https://www.imf.org/external/about/econsurv.htm. 186 Die Kooperationspflicht ist in Art. IV Abschnitt 3 des IWF-Übereinkommens geregelt.
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besonders bedeutsam und verschaffen dem Fonds eine privilegierte Rolle auf dem Feld der Wirtschaftsanalyse. Im Rahmen der Artikel IV-Konsultationen legt der Fonds gegenüber jedem einzelnen Mitgliedstaat diejenigen Aspekte formal fest, welche für die Beurteilung der Stabilität im Sinne des IWF-Übereinkommens Relevanz entfalten können. Die Informationspflicht ist weitreichend; den Umfang bestimmt der Fonds nach eigenem Ermessen187. Die Mindestauskünfte umfassen den Katalog des Art. VIII Abschnitt 5 a) 1 bis 12 des IWF-Übereinkommens, insbesondere „möglichst ausführliche“ Angaben über Gold- und Devisenreserven, Exporte und Importe, Zahlungsbilanzen, Volkseinkommen und Wechselkurskontrollen. Wie beschrieben führte die Einführung der Überwachungsfunktion durch die zweite Statutenänderung im Jahr 1978 nicht zu einer Ausweitung der Kompetenzen des Währungsfonds. Armin Schäfer betont188: „Auch das Adjektiv „firm“ [die deutsche Fassung des Art. IV Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen spricht von „strikter Überwachung“, Anm. des Verfassers] kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei seiner Überwachung mitgliedstaatlicher Politik um ein weiches Verfahren handelt, mit dem der IWF zwar beobachten, aber nicht entscheiden kann. Das Ausmaß möglicher negativer externer Effekte erlaubt keinen Rückschluss auf die Instrumente, mit denen sie eingedämmt oder vermieden werden sollen.“ Die Überwachung der Mitgliedstaaten ist nicht darauf ausgerichtet, auf die Politiken der Mitgliedstaaten aktiv einzuwirken. Vielmehr soll der Fonds ein transnationales Forum bieten, um einen rationalen Diskurs unter den Mitgliedern als (unverbindliches) Erkenntnisverfahren für Handlungsnormen zu ermöglichen. dd) Sanktionen Zur Durchsetzung der „Verpflichtungen auf dem Gebiet der Wechselkursregelungen“ nach Art. IV IWF-Übereinkommen stehen dem Fonds gemäß Art. XII und Art. XXVI) IWF-Übereinkommen auch sanktionierende Maßnahmen zur Verfügung. Die Sanktionsmöglichkeiten sind zurückhaltend formuliert und werden restriktiv angewandt, wobei ein mehrstufiges Verfahren vorgesehen ist. Kommt das Mitgliedsland seinen Verpflichtungen nicht nach, kann der Fonds mit 70 Prozent aller Stimmen die Stimmrechte des Landes 187 Art. VIII Abschnitt 5 a) des IWF-Übereinkommens: „… alle jene Informationen […], die er für seine Tätigkeit für erforderlich hält“. 188 A. Schäfer, Die neue Unverbindlichkeit Wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa, S. 117.
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aussetzen189. Dabei erhält der betroffene Mitgliedstaat zunächst eine informelle Mitteilung des Fonds (Art. XII Abschnitt 8 IWF-Übereinkommen). Ihm folgt die formale Erklärung nach Art. V Abschnitt 5 IWF-Übereinkommen, dass dem Mitgliedstaat die Nutzung des Allgemeinen Kontos nicht mehr zur Verfügung steht. Nach Art. XXVI Abschnitt 2 IWF-Übereinkommen kann der Gouverneursrat mit 85 Prozent aller Stimmen ultima ratio beschließen, das Mitglied zwangsweise zu suspendieren190. Die vorhandenen Sanktionsbefugnisse des IWF werden in der Praxis zwar selten angewandt, wirken aber „bereits durch ihre Existenz“191. Bisher kam es zu keinen Ausschlüssen nach Art. XXVI Abschnitt 2 IWF-Übereinkommen. Darüber hinaus verfügt der Fonds über keine Druckmittel, um beispielsweise eine Flexibilisierung von Wechselkursen zu erzwingen. In diesem Bereich verbleibt dem Fonds nur „die Kraft des Wortes“192. 3. Finanzierungsaktivitäten bei Zahlungsbilanzproblemen Nach dem Zusammenbruch des Paritätensystems und insbesondere seit der Verschuldungskrise der achtziger Jahre hat der Internationale Währungsfonds die Vergabe von finanziellen Mitteln an Mitglieder massiv ausgeweitet und das Kreditvolumen des Fonds, sowohl in absoluter Höhe als auch im relativen Verhältnis zur Weltwirtschaftsleistung, in den letzten drei Jahrzehnten um ein Vielfaches gesteigert193. Die Bereitstellung von Fondsmitteln hat sich von einem Nebenprodukt zu einem Hauptgeschäft des Fonds entwickelt und heute ist die Kreditvergabe sogar die „wichtigste Form der IWF-Finanz politik“194. Im Zuge dessen schuf der Fonds umfangreiche Kreditfazilitäten, 189 Diese Maßnahmen haben vorläufigen Charakter und werden nach der Rückkehr zu organisationstreuem Verhalten wieder aufgehoben. Vgl. W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 279 Rn. 84. 190 Third Amendment, am 11. November 1992 in Kraft getreten; BGBl. 1991 II, 814. 191 E. U. Petersmann, Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform, S. 484. 192 P. Welter, FAZ vom 10. Oktober 2010, Währungsdoktor IWF, http://www.faz. net/aktuell/wirtschaft/wechselkurse-waehrungsdoktor-iwf-11057599.html. 193 Die ausstehenden Kredite beliefen sich im Jahr 1977 auf etwa 13 Mrd. SZR. Mitte der achtziger Jahre hatten sie sich mit einem Anstieg auf ca. 38 Mrd. SZR bereits verdreifacht. Im Jahr 2003 beliefen sich die Kredite auf insgesamt 71,9 Mrd. SZR. Siehe T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 83; dazu auch H. Berger/A. Weichenrieder, Der IWF: Versicherung oder Lender of Last Resort?, S. 1; zur Kreditentwicklung zwischen den Jahren 1983 und 2002 J.-H. Chang, Internationale Normen in der Hegelschen Weltgesellschaft (UNO, WTO, IWF), S. 327 f. 194 T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 86.
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welche jeweils einem speziellen Zweck gewidmet und an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft sind (Teil 2, A, IV). Rechtlich ist die Ausweitung der IWF-Kreditvergabetätigkeit problematisch; denn damit hat sich auch der Charakter des IWF fundamental von einem Währungsfonds zu einem Kreditinstitut gewandelt195. a) Rechtsgrundlage Art. I v) und Art. V Abschnitt 3 b) IWF-Übereinkommen weisen dem Fonds Aufgaben und Befugnisse im Bereich der Mittelvergabe zu. aa) Wortlaut Die Inanspruchnahme der Fondsmittel findet ihre rechtliche Grundlage zunächst in Art. I v) IWF-Übereinkommen. Danach ist es das Ziel des Internationalen Währungsfonds196, „das Vertrauen der Mitglieder dadurch zu stärken, dass ihnen zeitweilig unter angemessenen Sicherungen die allgemeinen Fondsmittel zur Verfügung gestellt werden und ihnen so Gelegenheit gegeben wird, Unausgeglichenheiten in ihrer Zahlungsbilanz zu bereinigen, ohne zu Maßnahmen Zuflucht nehmen zu müssen, die dem nationalen oder internationalen Wohlstand schaden.“
Die Bedingungen für die Inanspruchnahme der allgemeinen Fondsmittel sind in Art. V Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen in Verbindung mit den vom Fonds zu beschließenden Geschäftsgrundsätzen näher geregelt und danach ausgerichtet, „den Mitgliedern bei der diesem Übereinkommen gemäßen Lösung ihrer Zahlungsbilanzprobleme [zu] helfen und ausreichende Sicherungen dafür [zu] schaffen, dass die allgemeinen Fondsmittel nur zeitweise in Anspruch genommen werden“197. Die Bedingungen des Art. V Abschnitt 3 b) IWF-Übereinkommen lauten im Einzelnen: „i) Die Inanspruchnahme der allgemeinen Fondsmittel durch das Mitglied entspricht den Bestimmungen dieses Übereinkommens und den hiernach beschlossenen Geschäftsgrundsätzen; ii) das Mitglied legt dar, dass dieser Kauf wegen seiner Zahlungsbilanz- oder Reservesituation oder wegen der Entwicklung seiner Reserven erforderlich ist; 195 M. Guitián, The Unique Nature of the Responsibilities of the IMF, S. 41; zur Entwicklung siehe K. Alexander/R. Dhumale/J. Eatwell, Global Governance of Financial Systems: The International Regulation of Systemic Risk, 2006, S. 93, Fn. 23. 196 Vgl. dazu auch Art. IV Abschnitt 1 Ziffer i) IWF-Übereinkommen (s. S. 32 d. A.). 197 Art. V Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen. Zur Frage der angemessenen Sicherungen Teil 6, B. IV.
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iii) der beantragte Kauf stellt einen Kauf in der Reservetranche dar oder bewirkt nicht, dass die Bestände des Fonds an der Währung des kaufenden Mitglieds zweihundert Prozent seiner Quote übersteigen; iv) der Fonds hat nicht vorher […] die Berechtigung zur Inanspruchnahme der allgemeinen Fondsmittel entzogen.“
bb) Bilanztechnischer Hintergrund: „Unausgeglichenheiten in der Zahlungsbilanz“ Der zentrale Begriff der „Unausgeglichenheiten in der Zahlungsbilanz“ ist als rechtliches Tatbestandsmerkmal wenig tauglich und bedarf der Präzisierung; denn wirtschaftliche Fehlentwicklungen schlagen sich in aller Regel in der Zahlungsbilanz nieder. Ein zumindest mittelbarer Zusammenhang mit der Zahlungsbilanz lässt sich also fast immer herstellen198. Grundsätzlich versteht man unter dem Begriff Zahlungsbilanz die Abbildung aller wirtschaftlichen Transaktionen des Inlands mit dem Ausland innerhalb einer bestimmten Periode199. Definitionsgemäß ist der „Ausgleich“ der Zahlungsbilanz durch die Inanspruchnahme von Fondsmitteln oder anderen Krediten bilanztechnisch ungenau und per se nicht möglich; denn buchungstechnisch ist die Zahlungsbilanz immer ausgeglichen200. Von Zahlungsbilanzgleichgewicht spricht man bei faktischer Ausgeglichenheit der Teilbilanzen (Leistungsbilanz, Vermögensübertragungen, Kapitalverkehrsbilanz, Devisenbilanz), von Unausgeglichenheiten innerhalb der Zahlungsbilanz dagegen bei einem Missverhältnis zwischen den Teilbilanzen201. Weisen die Unterbilanzen, etwa die Bilanzen der Vermögensübertragungen, Kapital198 Mit Blick auf die verschiedenen Ursachen für Zahlungsbilanzungleichgewichte hat der IWF diverse Ziehungsmöglichkeiten geschaffen (Teil 2, A. IV.). 199 H. Hahn, Währungsrecht, 1990, S. 345. 200 Eine Kreditaufnahme des Staates führt zu einem Saldo in der Kapitalbilanz. Durch neue Kredite des IWF wird die „Unausgeglichenheit der Zahlungsbilanz“ verstärkt. Selbst wenn man die IWF-Kredite bilanztechnisch unberücksichtigt ließe, würden die vom Fonds „getriggerten“ Kredite der privaten Finanzmärkte die Zahlungsbilanz belasten. Zum außenwirtschaftlichen Gleichgewicht vgl. etwa W. Lachmann, Volkswirtschaftslehre 1, S. 285 ff.; H. Friedrich, Grundkonzeptionen der Stabilisierungspolitik, 1983, S. 26 ff.; H. Hahn, Währungsrecht, S. 345; dazu auch H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 178. 201 Vgl. etwa W. Lachmann, Volkswirtschaftslehre 1, S. 285 ff.; H. Friedrich, Grundkonzeptionen der Stabilisierungspolitik, S. 26 ff. Zur Bestimmung der Zahlungsbilanztheorie besteht kein allgemein anerkannter Maßstab. Seit dem Jahr 1968 wird auf den Außenbeitrag, „also den Saldo der sich in der Hauptsache aus Handels- und Dienstleistungsbilanz zusammensetzenden Leistungsbilanz, im Verhältnis zum nominalen Bruttosozialprodukt zurückgegriffen“. Vgl. H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 179.
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bilanzen oder Devisenbilanzen ein Defizit auf, so benötigt der Staat zusätzliches Kapital, um die Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland zu begleichen. Eine solche Finanzierung durch Auslandskredite geht zu Lasten der Kapitalbilanz mit der Gefahr, dass die Währung unter Abwertungsdruck gerät, falls die defizitäre Situation über längere Zeit andauert. Um das zu verhindern, kann die Zentralbank des Landes Devisen aus den eigenen Währungsreserven202 verkaufen. Auf diese Weise kann sie (theoretisch) eine Zeit lang das Leistungsbilanzdefizit finanzieren. Voraussetzung ist freilich, dass die Zentralbank über ausreichende Währungsreserven verfügt203. In den meisten krisenbetroffenen Staaten ist neben der Kapitalbilanz insbesondere die Leistungsbilanz defizitär, weil die Erlöse aus den Exporten nicht ausreichen, um die Importe zu finanzieren. Langfristig führt dies meist zu einer Abwertung der Währung204. Der Wechselkurs und damit die Frage der Entwicklung des Außenwerts der heimischen Währung wirkt so „über die monetäre Bewertung der Außenhandels- und Kapitalströme in die Teilbilanzen“ hinein205. b) Problematik der Ausweitung der Kreditbefugnisse Nach dem Wortlaut des Übereinkommens sind die Fondsmittel dafür zu verwenden, vorübergehende206 Unausgeglichenheiten in der Zahlungsbilanz zu bereinigen, das heißt, der betroffene Mitgliedstaat soll kurzfristig in die Lage gesetzt werden, mit den zur Verfügung gestellten Mitteln auf dem De202 Dazu IMF, Balance of Payment Manual, S. 43 f.; W. Weiß/Ch. Herrmann, Welthandelsrecht, 2003, § 15 Rdn. 735. Um einen Rückgang der Währungsreserven zu verhindern, enthielt bereits das GATT-Übereinkommen (Art. XI GATT) Ausnahmen vom Prinzip des Verbots mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen. Zum Verhältnis zwischen GATT/WTO-Recht und IWF-Recht siehe T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 152 ff. 203 Zur Wechselwirkung nationaler Währungssysteme zur Handelsbilanz und zur Aufstockung von Währungsreserven H. Wagner, Einführung in die Weltwirtschaftspolitik, 2009, 47 ff. 204 Die Zentralbank des Landes hat die Möglichkeit, einer Abwertung mittels Intervention auf dem Kapitalmarkt entgegenzuwirken. Indem die Zentralbank durch Ankauf der eigenen Währung gegen Devisenreserven eine künstliche, das heißt administrative Nachfrage schafft, kann sie die Währung stabil oder innerhalb der definierten Grenzen (bei „schmutzig“ floatenden Kursen) halten. Sollten die erforderlichen Währungsreserven nicht in ausreichendem Maß von der Zentralbank vorgehalten sein, so kann ein Überbrückungskredit des Währungsfonds kurzzeitig Abhilfe schaffen. 205 H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 178. 206 W. Lachmann, Entwicklungspolitik, S. 174.
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visenmarkt wirksam intervenieren zu können. Tatsächlich aber hat der Internationale Währungsfonds seinen wesentlichen Tätigkeitsbereich immer stärker auf eine langfristige Mittelvergabe ausgeweitet, etwa mit der Einführung der sogenannten „Erweiterten IWF-Fazilität“ (Extended Fund Facility, EFF), welche dazu dienen soll, den längerfristigen Finanzbedarf eines Staates zu decken, der meist auf strukturelle Probleme zurückzuführen ist. Es stellt sich die Frage, ob die Befugnis zur Inanspruchnahme der Fondsmittel allein auf Fälle vorübergehender, das heißt kurzfristiger Unausgeglichenheiten in der Zahlungsbilanz beschränkt ist oder ob der Fonds darüber hinaus befugt ist, seine Mittel auch an Staaten auszureichen, deren Zahlungsbilanzprobleme langfristiger Natur sind, etwa weil nachhaltige strukturelle Probleme innerhalb der staatlichen Organisation die Zahlungsbilanz belasten. Hier ist zwischen temporärem Liquiditätsengpass207 und Überschuldungssituation und entsprechend zwischen temporären Liquiditätshilfen und langfristigen Finanzierungshilfen (zur Finanzierung struktureller Haushaltsdefizite) zu unterscheiden208. Unausgeglichenheiten der Zahlungsbilanz sind nur dann kurzfristiger Natur, wenn sich ein Gleichgewicht durch frische Liquidität in absehbarer Zeit wieder herstellen lässt209. Dem gegenüber beruht die Überschuldung des Staatshaushaltes aber häufig auf strukturellen Problemen innerhalb des Staates. Um den Umfang der Befugnis zur Inanspruchnahme der Fondsmittel zu bestimmen, sind der historische Hintergrund, der Fondscharakter und die Abgrenzung des IWF-Mandates zur Weltbank genauer in den Blick zu nehmen. aa) Historisches Argument Wegen des hohen Devisenbedarfs der meisten Staaten nach Ende des Zweiten Weltkrieges war bereits bei der Gründung des IWF mit hohen strukturbedingten Zahlungsbilanzdefiziten in den meisten, namentlich europäischen Mitgliedstaaten zu rechnen. Die USA, die als größter Gläubiger über die bei wei207 In einer Liquiditätskrise ist der Staat grundsätzlich solvent, das heißt die Schuldenlast ist tragfähig. Allerdings besteht eine Diskrepanz zwischen den Einnahmen des Staates und der Fristigkeit seiner Schulden (häufig sog. „rollover-crises“). 208 Zur Unterscheidung siehe T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard: Eine Analyse aus vertragstheoretischer Sicht, 2005, S. 25 ff. 209 Die Bereitstellung kurzfristiger Kredite erlaubt den Empfängerstaaten, sich gegen Liquiditätskrisen abzusichern. Insofern sei diese Form der Versicherung durch IWF-Kredite nützlich, wobei die Moral-Hazard-Risiken aber beachtlich seien. A. Haldane/A. Taylor, Moral hazard: how does IMF lending affect debtor and creditor incentives?, Financial Stability Review Juni 2003, Bank of England, Issue No. 14, S. 122 ff.
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tem höchsten Devisenreserven verfügten und größter Beitragszahler des Fonds sein würden, waren grundsätzlich nicht bereit, den Ausgleich struktureller Defizite der Fondsmitglieder zu finanzieren210. Zudem sollte der IWF nicht in Konkurrenz zu den Mitteln des US-amerikanischen Marshall-Plans treten, der einen großen Teil des (europäischen) Finanzierungsbedarfs deckte211. Im Übrigen hatten die Gründungsstaaten den Internationalen Währungsfonds bewusst nicht als Bank, sondern als Fonds konzipiert. Der Fondscharakter kommt nicht nur im Namen der Organisation, sondern auch in der Terminologie des Abkommens zum Ausdruck. Die Begriffe „Darlehen“ und „Kredit“ werden vermieden. Anstatt dessen wurde das Rechtsgeschäft, obgleich es wirtschaftlich einem Kredit entspricht, als Kauf einer Währung mit gleichzeitiger Rückkaufverpflichtung formalisiert212. Dies sollte (unter anderem) auch den revolvierenden Charakter der Finanzhilfen verdeutlichen, die sich am schwankenden Liquiditätsbedarf der Volkswirtschaften ausrichten. Mit der zweiten Statutenänderung im Jahr 1978 wurden die Kreditbefugnisse des Fonds erweitert, der Fondscharakter des IWF blieb aber erhalten. bb) Abgrenzung zur Weltbank Die Beschränkung des Fondsmandates auf kurzfristigen Liquiditätsbedarf folgt auch aus der Abgrenzung zum Aufgabenbereich der Weltbank213. Die Mandate des IWF und der Weltbank überschneiden sich zwar insofern, als die internationalen Handels-, Zahlungs- und Finanzbeziehungen interdependent sind und Maßnahmen in einem dieser Bereiche „regelmäßig Maßnahmen in den anderen Bereichen voraussetzen“214. Gleichwohl unterscheidet 210 Ch. Ermrich, Die Zahlungsunfähigkeit von Staaten, Ein Problem der Staatenverantwortlichkeit und des Entwicklungsvölkerrechts sowie der Kontrollmechanismen des IWF, 2007, S. 322 f. 211 IMF, Financial Organizations and Operations of the IMF, S. 5. „Der MarshallPlan folgte der Einsicht, dass der Internationale Währungsfonds nicht in der Lage war, Europas wirtschaftliche Probleme zu beheben und seine Eingliederung in die Weltwirtschaft zu forcieren.“ A. Schäfer, Die neue Unverbindlichkeit Wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa, S. 19. 212 Die Mitgliedstaaten sollten durch kreditvertragliche Strukturen nicht von einer Inanspruchnahmen der Fondsmittel abgehalten werden. H. G. Petersmann, Financial Assistance to Developing Countries, The Changing Role of the World Bank and the International Monetary Fund, 1988, S. 25; J. Gold, Balance of Payments Transactions of the International Monetary Fund, in: R. Rendell (Hrsg.), International Financial Law, 1980, S. 240. 213 Im Drei-Säulen-Modell des Weltwirtschaftssystems (Handel, Finanzen/Auslandsinvestitionen, Währungspolitik) sollte der Weltbank „die Finanz-/Investitionssäule zukommen“. Ch. Tietje, Architektur der Weltfinanzordnung, S. 11. 214 E. U. Petersmann, Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform, S. 274.
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sich die Ausrichtung beider Organisationen215. Die Zielsetzung der Weltbank enthält in Art. I Weltbanksatzung die Verpflichtung „to promote the longrange balanced growth of international trade and the maintenance of equilibrium in balances of payments by encouraging international investment“216. Während die Weltbank „langfristige Entwicklungsfinanzierung unter wachstumsorientierten Politikauflagen zur Verfügung“ stellt, soll sich der IWF auf „kurzfristige Zahlungsbilanzfinanzierung unter stabilitätspolitischen Auflagen“ konzentrieren217. cc) Strukturelles Argument Art. I v) IWF-Übereinkommen spricht von der Bereinigung von „Unausgeglichenheiten in (der) Zahlungsbilanz“ (to correct „maladjustments in their balance of payments“). Die Aufgabe des IWF besteht darin, Mitgliedern mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten vorübergehend Hartwährungen zur Verfügung zu stellen, welche der Fonds von den Notenbanken anderer Länder erhalten hat218; denn im internationalen Wirtschaftsverkehr sind viele (weiche) Währungen nicht verwendbar, etwa weil sie im Wechselkursverhältnis zu starken Währungen als nahezu wertlos gelten oder weil Devisenrestriktionen bestehen. Deshalb ist die Mittelvergabe des Fonds darauf ausgerichtet, dass ein Mitglied seine eigene Währung verwenden darf, um seinen Devisenbedarf zu decken219. Die Möglichkeit eines „Kaufs mit Rückkaufverpflichtung“ erlaubt es einem Mitglied, mit der eigenen (weichen) Währung (harte) Devisen eines anderen Mitglieds zu „kaufen“, um sie dann innerhalb einer vereinbarten Frist wieder mit (harter) Währung „zurückzukaufen“220. Der Fonds will mit dieser Konstruktion seine Mitglieder dazu anhalten, die eigene Währung 215 Zur Abgrenzung der Mandate zwischen IWF und Weltbank S. Roos, Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank, 2007. 216 Entsprechend enthielt auch das GATT-Abkommen die Rechtspflicht der Unterzeichnerstaaten, mit dem IWF zu kooperieren, um dem wechselseitigen Zusammenhang zwischen Handels-, Währungs-, Kapital-, und Entwicklungshilfebeziehungen Rechnung zu tragen. Vgl. E. U. Petersmann, Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform, S. 274 ff. 217 Ch. Ermrich, die Zahlungsunfähigkeit von Staaten, S. 350. 218 NZZ vom 4. Mai 2010, Der IMF missachtet sein Mandat. 219 K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 33. 220 Ein Darlehen kommt nicht in Betracht, weil der IWF zur Auszahlung der Mittel verpflichtet ist. D. Ruddigkeit, Das Mandat des IWF, S. 111; Joseph Gold nimmt einen Vertrag sui generis an, Legal and Institutional Aspects of the International Monetary System, Bd. 1, 464 ff.; ders., Interpretation: The IMF and International Law, S. 63 und 362; von einer „unilateral decision“ spricht R. Leckow, Conditionality in the International Monetary Fund, 2002, Absatz 22.
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möglichst stabil zu halten; denn für stabile Währungen sind die Konditionen der Kreditvergabe – in Form von Kauf- und Rückkaufverpflichtung – günstiger. In Fällen starker Inflation entstehen für die Rückkaufkonditionen jedoch erhebliche Schwierigkeiten, denen der Fonds mit komplexen Berechnungen begegnet221. In diesem Sinne fungiert das System der IWF-Kredite wie eine „Genossenschaft der Notenbanken“222. Ihre Liquiditätshilfe ermöglicht es einem krisenbetroffenen Mitgliedstaat, Einfuhren aus dem Ausland, die meist in ausländischen Hartwährungen zu bezahlen sind (zum Beispiel Rohöl), weiter finanzieren zu können – und zwar „ohne zu Maßnahmen Zuflucht nehmen zu müssen, die dem nationalen oder internationalen Wohlstand schaden“ (Art. I v) IWF-Übereinkommen)223. Die Devisenreserven des IWF sollten den betroffenen Staat, genauer dessen Zentralbank, in die Lage versetzen, dem Abwertungsdruck auf die eigene Währung durch Intervention, das heißt durch (Rück-)Kauf der eigenen Währung, standzuhalten224. dd) Bilanzielles Argument Im Übrigen werden durch die Aufnahme neuer (privater oder öffentlicher) Kredite die Leistungsbilanzdefizite nicht beseitigt, sondern vertieft. Strukturelle Defizite können nur langfristig durch strukturelle Reformen beseitigt werden225 und Staatsschulden nur über langjährige Zeiträume durch volkswirtschaftlich erwirtschaftete Überschüsse abgebaut werden. In vielen Fällen erreicht die staatliche Überschuldung ein Volumen, welches nur durch umfassende Entschuldungsmaßnahmen wieder auf eine volkswirtschaftlich tragfähige Grundlage gestellt werden kann (dazu unten Teil 8). Beispielhaft ist der im folgenden Kapitel zu erörternde Fall Griechenlands226, bei denen neue 221 K. Weigeldt, 222 Ebenda.
Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 33.
223 O. Jeanne/J. Ostry/J. Zettelmeyer, A Theory of International Crisis Lending and IMF Conditionality, IWF WP/08/236, S. 5. 224 „Fund supported arrangements were meant to address flow imbalances prior to a currency crisis or devaluation. […] IMF lending was intended to be pre-crisis lending.“ [Hervorhebung im zitierten Text].“ Ebenda, S. 6; J.-H. Chang, Internationale Normen in der Hegelschen Weltgesellschaft (UNO, WTO und IWF), 2004, S. 289. 225 Die Frage, ob strukturelle Probleme durch Konditionalität gelöst werden können, wirft insbesondere eine rechtliche Problematik auf, welche im Kapitel Konditionalität in den Blick genommen wird. 226 Im Gegensatz zu Griechenland und Portugal beruht die Finanzkrise Irlands weniger auf strukturellen Problemen, als vielmehr auf der staatlichen Übernahme von Verbindlichkeiten, welche durch einen überschuldeten Bankensektor verursacht wurden.
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Kredite die eigentliche Problematik, die in den politischen Strukturen des Krisenstaates ihre Ursache hat, nicht lösen, sondern allenfalls verschleppen. Sieht man von den problematischen und später zu diskutierenden Strukturanpassungsprogrammen ab, so erfüllen die Kredite des IWF ihren währungsstabilisierenden Zweck allein bei kurzfristigen Unausgeglichenheiten; denn einem strukturellen Defizit, zum Beispiel in Form von strukturellen Haushaltsüberschüssen, kann mit kurzfristigen Krediten nicht abgeholfen werden. Die Bereinigung einer aus strukturellen Gründen unausgewogenen Teilbilanz durch neue Kreditaufnahme ist im volkswirtschaftlichen Sinn untauglich227. ee) Systemrelevanz Aus der Aufgabe des Fonds, die Zuverlässigkeit des Wechselkurssystems zu gewährleisten, folgt, dass bei der Vergabe der Mittel vor allem auf das außenwirtschaftliche Gleichgewicht eines Mitgliedstaates abzustellen ist. Die Außenwirtschaft eines Staates kann sich nachhaltig verschlechtern und zu Vertrauensverlust der Handelspartner und der Finanzmärkte führen, wenn das außenwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist, etwa weil die Importe die Exporte dauerhaft übersteigen. Art. I v) IWF-Übereinkommen setzt somit eine Konnexität zwischen der Mittelvergabe und dem Außenwert einer Währung voraus. Nur wenn die Kredite des Fonds objektiv geeignet sind, den Außenwert der Währung zu stabilisieren, kann ein Mitglied Fondsmittel oberhalb seiner Quote beanspruchen. Bei strukturellen Ursachen, insbesondere bei Überschuldung des Staates ist dies in der Regel zweifelhaft. Im Übrigen müssen die betroffenen Währungen für die Stabilität des globalen Währungssystems relevant sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn die außenwirtschaftliche Schieflage eines Mitgliedstaates das Wechselkurssystem als Ganzes gefährdet228. Bei seiner Vergabeentscheidung hat der Fonds die möglichen Auswirkungen, insbesondere die Ansteckungseffekte innerhalb eng verflochtener Wirtschaftsräume in angemessener Weise zu berücksichtigen, wobei ihm eine weite ökonomische Einschätzungsprärogative zusteht229. Dementsprechend können auch Währungen, die auf den Devisenmärkten in vergleichsweise 227 M. Kerber, Souveränität und Konkurs, Zur Institutionenökonomie der Suspendierung staatlicher Schuld im internationalen Recht, 2005, S. 89. 228 Schließlich ist ein idealer Stabilitätszustand per se nicht zu erreichen, weil das Währungssystem realiter immanent instabil ist. 229 Insbesondere die Beurteilung der tatsächlichen Gegebenheiten muss dem Fonds als ausführendem völkerrechtlichem Organ obliegen.
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geringen Volumina gehandelt werden, für das internationale Währungssystem relevant sein. Entscheidend ist, dass die Finanzhilfen des IWF als Mittel der Stabilisierung geeignet und erforderlich sind, um die damit verbundenen Gefahren abzuwenden. Nur wenn Tatsachen vorliegen, die darauf schließen lassen, dass von einer Liquiditätskrise eines Mitgliedstaates eine schwere stabilitätsgefährdende Wirkung ausgeht, darf der IWF über die Quote des Mitgliedstaates hinaus seine Ressourcen zur Verfügung stellen. Bei Solvenzkrisen eines Mitgliedstaates innerhalb einer ansonsten stabilen Währungsgemeinschaft – etwa innerhalb der Europäischen Währungsunion – ist der IWF grundsätzlich nicht zuständig. Zwischenergebnis Der IWF hat primär die Aufgabe, Mitgliedstaaten zu unterstützen, die ein kurzfristiges Zahlungsbilanzungleichgewicht aufweisen und deren Währung aus diesem Grund systemrelevant instabil zu werden droht oder bereits Abwertungen im internationalen Zahlungsverkehr erfahren hat230. ff) Erweiterung der Rechtsgrundlage nach der implied-powers-Regel Bei der Vergabe von längerfristigen Krediten zur Bereinigung struktureller Haushaltsdefizite könnte sich der IWF auf eine „Vertragsabrundungskom petenz“231 im Sinne einer dynamischen Erweiterung seiner Befugnisse aus Art. I v) IWF-Übereinkommen in Verbindung mit den Zielen des IWF stützen232. Grundsätzlich können sich die Kompetenzen, die einer internationalen Organisation ausdrücklich übertragen werden, auch auf Befugnisse erweitern, die sich allein aus dem Sachzusammenhang seiner Aufgaben erschließen233. 230 So auch die Bundesregierung: Zahlungsbilanzhilfen der internationalen Gemeinschaft an einzelne Mitglieder seien „ihrer Natur nach kurzfristig“. Dagegen sei die „Gewährung längerfristiger Kredite zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung […] Aufgabe der Weltbank und anderer Träger öffentlicher Entwicklungshilfe“. Antwort der Bundesregierung (Drucksache 10/1977 14.09.84 Sachgebiet 7401) auf die Große Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN, Drucksache 10/1600, S. 1. 231 Eine solche „Vertragsabrundungskompetenz“ hat das BVerfG im MaastrichtUrteil diskutiert. Siehe BVerfGE 89, 155, Rn. 157. 232 Sabine Schlemmer-Schulte sieht (ohne nähere Begründung) beispielsweise die Einführung von low-income-facilities durch die „Nutzung von Kompetenzen, die sich implizit aus dem IWF-Übereinkommen ergeben“, legitimiert, Internationales Währungs- und Finanzrecht, S. 394, Rdn. 96. 233 H. Köck/P. Fischer/A. Lengauer, Das Recht der internationalen Organisationen, 1997, S. 557. Aus dem Gründungsvertrag lassen sich demnach Kompetenzen ableiten,
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Sogenannte implied powers beruhen auf dem (konkludenten) Willen der Mitgliedstaaten, weil „derjenige, der einen bestimmten Zweck verwirklichen will, auch die zur Realisierung dieses Zweckes notwendigen Mittel wollen muss“234. Fraglich ist, ob implizite Handlungsbefugnisse nur aus den vertraglich zugewiesenen Befugnissen abgeleitet werden oder ob sie sich auch aus den Vertragszielen im weiteren Sinne erschließen können235. Gegen eine Schlussfolgerung von den Vertragszielen auf die Befugnisse des IWF spricht, dass die Ziele weit gefasst sind und „nicht davon ausgegangen werden [kann], dass dem Fonds alle Befugnisse zustehen sollten, die er zum Erreichen seiner weit gefassten Ziele (Art. I und IV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen) benötigt, zumal diese gemäß Art. I) IWF-Übereinkommen in einem komplexen Spannungsverhältnis stehen“236. Folglich können die Handlungsbefugnisse des IWF nur aus ausdrücklichen Befugnisnormen abgeleitet werden. Als Internationale Organisation darf der Fonds zwar eine Bestimmung mit Blick auf die Vertragsziele auslegen. Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung darf er aber Aufgaben und Befugnisse nicht begründen oder erweitern. Eine Erweiterung der Kreditvergabebefugnis etwa in strukturell verursachten Verschuldungskrisen ist keine in den Grenzen des IWF-Übereinkommens zulässige Rechtsfortbildung, sondern als eine evidente Überschreitung der Kompetenzen zu werten, die einer strukturell bedeutsamen Änderung des IWF-Übereinkommens entspricht237. die zwar nicht ausdrücklich in den Statuten genannt sind, deren Vorliegen aber zur Erreichung des Organisationszweckes angenommen werden muss, weil sonst die Organisation ihren Zweck nicht verwirklichen könnte (effet utile-Regel). Der effet utileGrundsatz lässt sich bis in das römische Recht zurückverfolgen und wurde besonders vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) maßgeblich weiterentwickelt. Dazu mit Blick auf das Prinzip der begrenzten Ermächtigung kritisch K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Antrag auf andere Abhilfe, Antrag auf einstweilige Anordnung vom 25. Mai 2008, 2 BvR 1094/08, S. 118. 234 K. Skubiszewski, Implied Powers of International Organizations, in Y. Dinstein (Hrsg.), International Law at a Time of Perplexity: Essays in Honour of Shabtai Rosenne, 1989, S. 855–868. 235 Vgl. zur Auslegung des IWF-Übereinkommens B. Steinhauer, Die Auslegung, Kontrolle und Durchsetzung mitgliedstaatlicher Pflichten im Recht des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Gemeinschaft, 1997, S. 91. 236 B. Steinhauer, Die Auslegung, Kontrolle und Durchsetzung mitgliedstaatlicher Pflichten im Recht des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Gemeinschaft, S. 89. 237 Zur Problematik der Änderung eines völkerrechtlichen Vertrages im Verhältnis zwischen europäischem Gemeinschaftsrecht und der Souveränität der Mitgliedstaaten BVerfG 89, 155, 210.
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gg) Befugnis der Kreditvergabe aufgrund Gewohnheitsrechts In Betracht käme eine Legitimation durch Zustimmung zur Aufgabenerweiterung über das Institut der ständigen völkerrechtlichen Übung238. Grundsätzlich gelten Rechtsetzungsakte und Entscheidungen Internationaler Organisationen und ihrer Organe als Binnenrecht, entfalten also keine völkerrechtliche Außenwirkung. Dies gilt unbenommen der Zustimmung der Mitgliedstaaten zum Gründungsvertrag oder der Mitwirkung innerhalb der Organe der internationalen Organisation239. Sofern Internationale Organisationen als partielle Völkerrechtssubjekte jedoch selbständig und in eigenem Namen handeln, kann den Handlungsweisen bei der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht eine gewisse Bedeutung zukommen240. Auch die Handlungsweisen des IWF können, etwa durch völkerrechtliche Übung, für den IWF und seine Mitglieder Verbindlichkeit erlangen241. Dabei ist die zulässige Rechtsfortbildung innerhalb des IWF-Übereinkommens aber streng von einer unzulässigen Rechtsetzung zu unterscheiden. Die Möglichkeiten einer Rechtsfortbildung „durch formlosen Konsens der „Herren der Verträge“242 werden in der völkerrechtlichen Literatur nicht einheitlich beurteilt243. Völkergewohnheitsrecht entwickelt sich grundsätzlich 238 Vgl. A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 451 ff.; A. Verdross, Entstehungsweisen und Geltungsgrund des universalen völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts, S. 635 ff., 640. 239 M. Ruffert/Ch. Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht: Das Recht der Internationalen Organisationen und seine wichtigsten Anwendungsfelder, 2009, S. 33, Rdn. 97. 240 Dort insbesondere zur Bedeutung des soft laws auf die Rechtswirkung der Grundsätze der Good Governance, N. M. Pyschny, Good Governance: Begriff, Inhalt und Stellung zwischen allgemeinem Völkerrecht und Souveränität, 2013, S. 155 f.; E. Klein, Human Rights, Activities of International Organizations, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Rdn. 76. 241 M. Ruffert/Ch. Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, S. 32, Rdn. 96. 242 Zur dynamischen Vertragstheorie im Sinne des „contrat de tous les jours“, E. U. Petersmann, Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform, Wirtschaftliche Dynamik als Völkerrechtsproblem in der Praxis des Internationalen Währungsfonds, S. 495. 243 Die Meinungen hängen nicht zuletzt vom völkerrechtsdogmatischen Ausgangspunkt ab. Die „realistische“ Yale-Schule nach Myres McDougal und Harold Lasswell definiert Völkerrecht als „the comprehensive process of authoritative decision“ (M. McDougal/H. Lasswell, Criteria for a Theory About Law; M. McDougal/H. Lasswell/ M. Reisman, Theories About International Law, 1971, S. 188 ff.). Normative Regeln seien lediglich als „nützliche Informations- und politische Entscheidungshilfen“ (E. U. Petersmann, Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform, S. 459) zu verstehen. Rechtsqualität erlangten sie erst durch das Hinzutreten internationaler „perspectives of authority and expectations of control“. „In order to make a realistic
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aus einer gleichartigen Übung (consuetudo) und einer sie tragenden gemeinsamen Rechtsüberzeugung (opinio iuris sive necessitatis)244. Daraus entsteht eine völkergewohnheitsrechtlich legitimierte Staatenpraxis. Voraussetzung ist aber, dass die opinio iuris mit geltendem Recht vereinbar ist. Mit der zweiten Änderung des Vertragswerkes im Jahr 1978 wurde die Kreditvergabebefugnis des IWF zwar erweitert. Gleichwohl hielt man an einer restriktiven Vergabe der Fondsmittel fest und eine Neuausrichtung des IWF als Kreditinstitution erfolgte nicht. Der reformierte Vertragstext lässt darauf schließen, dass die Parteien eine ausdrückliche vertragliche Regelung im Sinne einer restriktiven Kreditvergabe für erforderlich hielten. Die Vergabe von Krediten an Mitgliedstaaten, deren Zahlungsbilanzprobleme strukturelle Ursachen haben, welche kurzfristig nicht beseitigt werden können, ändert den Charakter des Währungsfonds; denn damit rückt die Kreditvergabefunktion in den Vordergrund seiner Tätigkeiten. Dies beeinträchtigt sein eigentliches Mandat als (möglichst) neutrale Instanz und Hüter über die Währungs- und Wechselkurspolitiken seiner Mitgliedstaaten, wie im Laufe der folgenden Kapitel noch an verschiedenen Stellen deutlich werden wird. Die Ausweitung der Kreditvergabe begründet neue Ziele und entspricht einer Rechtsetzung, welche schwerlich durch das Institut der völkerrechtlichen Übung legitimiert werden kann, zumal die im Fonds maßgeblich handelnden Organe, namentlich der Geschäftsführende Direktor und das Exekutivdirektorium, verbindliche Entscheidungen treffen, ohne dass die einzelnen Mitgliedstaaten diesen zugestimmt hätten. Deshalb erfordert die Ausweitung der Kreditvergabe eine eigenständige Legitimation durch Änderung der Verträge. Ohne eine angepasste vertragliche Grundlage ist die Kreditvergabefunktion des Fonds als eine unzulässige Rechtsetzung zu qualifizieren, welche die Grenzen des IWF-Übereinkommens sprengt und vom Willen der Mitgliedstaaten nicht mehr gedeckt ist. hh) Ergebnis Wortlaut, Sinn und Zweck des IWF-Übereinkommens gebieten eine restriktive Auslegung der IWF-Kreditvergabebefugnis. Der IWF hat kein Mandat zur allgemeinen Staatsfinanzierung, um im Rahmen konditionalisierter Krefinding of law, an observer must be able to identify several very specific components: (1) a policy content, (2) expectations of authority, and (3) expectations of control.“ M. McDougal, Law and Minimum World Public Order, 1984, S. 23. 244 Art. 38 Abs. 1 b IGH-Statut; vgl. E. U. Petersmann, Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform, S. 459, dort insbesondere zur Frage des Völkergewohnheitsrechts während der Transformationszeit vom Bretton-Woods-System zum System freier Wechselkurse; A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 469 f.
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ditprogramme strukturelle politische Reformen durchzusetzen245. Strukturelle Probleme eines Staatswesens, auch wenn sie sich negativ auf die Zahlungsbilanz eines Mitglieds auswirken, begründen daher keine Befugnisse des IWF. Ist der Haushalt eines Mitglieds strukturell unausgeglichen, sind politische Reformen geboten, deren Inhalt und Umsetzung den betroffenen Bürgern des Mitgliedstaates obliegt. Vor diesem Hintergrund stellt sich insbesondere die gegenwärtige Kreditvergabepraxis in der Euro-Krise als ein Handeln ultra vires dar (dazu im Einzelnen in folgenden Kapiteln). Der Fonds darf einem Mitglied die Fondsmittel nur „zeitweilig“ zur Verfügung stellen246, um ihm in der Funktion einer Brückenfinanzierung „Gelegenheit“ zu geben, wirtschaftliche Unausgeglichenheiten (selbständig) zu bereinigen. Der IWF soll „zeitweilige Devisenengpässe einzelner Notenbanken mit Beistandskrediten überbrücken“ und in diesem Sinne die Rolle eines Lender of Last Resort einnehmen247. Ausweislich des Vertragstextes können die Fondsmittel grundsätzlich nur beansprucht werden, wenn die Unausgeglichenheiten vorübergehender Natur sind, ein Ausgleich also bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über die Mittelvergabe absehbar ist. Insofern hat der IWF ein Entschließungsermessen248. Zwar kann der Fonds aus den gegenwärtigen Statuten keine Befugnisse zur Finanzierung struktureller Defizite ableiten. Gleichwohl ist es dem politischen Willen der Mitgliedstaaten anheimgestellt, die Aufgaben des IWF durch Änderung des IWF-Vertrages auszuweiten, freilich im Rahmen der Grenzen des Völkerrechts249. Wenn der IWF als Internationale Organisation zur Kreditvergabe, also als Bank, agieren soll, dann müssen die Mitgliedstaaten ihn dementsprechend konzipieren, das heißt, der Fonds müsste auf eine neue vertragliche Grundlage gestellt werden250, welche die Ziele, Aufgaben und Befugnisse dieses Mandats abbildet. 245 J. Gold, Balance of Payments Transactions of the International Monetary Fund, S. 241. 246 Der IWF selbst spricht von „vorübergehender Finanzhilfe an Mitgliedsländer“. Siehe IWF, Jahresbericht 2010, S. 1. 247 T. Sarrazin, Europa braucht den Euro nicht, S. 30. 248 R. Schütz, Solidarität im Wirtschaftsvölkerrecht. Eine Bestandsaufnahme zentraler entwicklungsspezifischer Solidarrechte und Solidarpflichten im Völkerrecht, 1994, S. 148 f. 249 Vgl. zur Frage einer Reform des IWF L. Gramlich, Eine neue internationale „Finanzarchitektur“, 2000, S. 399 ff.; R. Hockett, From Macro to Micro to ‚MissionCreep’: Defending the IMF’s Emerging Concern with the Infrastructural Prerequisites to Global Financial Stability, Colum. J. Transnat’l L., Vol. 41, 2002, S. 190; S. Striffler, Zur Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF), Eine Public-Choice-Analyse der nationalen Stimmrechtsverteilung, 2004, passim. 250 Die Idee einer Neuausrichtung des IWF ist nicht neu. Eine Erweiterung der IWF-Befugnisse wurde bereits mehrfach ins Auge gefasst, ohne dass eine Einigung
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C. Struktur I. Organisatorischer Aufbau Der Internationale Währungsfonds hat eine für Internationale Organisationen typische dualistische Struktur. Die wichtigsten Organe sind der Gouverneursrat als Mitgliederversammlung und das Exekutivdirektorium als Administrationsorgan. Der dualistische Aufbau trägt dem kollektiven Interesse an einer Koordinierung der gemeinsamen Handlungen auf der einen Seite und den individuellen Interessen der Mitgliedstaaten auf der anderen Seite Rechnung. 1. Mitgliedschaft Art. II) IWF-Übereinkommen regelt die Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds251. Aufgenommen werden nur Staaten mit Staatsqualität252, keine internationalen oder supranationalen Organisationen, wie die EU253. Die Anzahl der Mitglieder ist in den vergangenen 60 Jahren kontinuierlich gestiegen. Von ursprünglich 39 Gründungsstaaten ist der IWF zu einer Organisation mit 188 Mitgliedstaaten254 angewachsen. „Ursprüngliche Mitglieder“ (im Sinne des Art. II) IWF-Übereinkommens) sind die Gründungsstaaten des IWF, die bei der Finanzkonferenz von Bretton Woods vertreten waren und die Mitgliedschaft vor dem 31. Dezember 1945 erworben haben. Gründungsmitglieder waren die alliierten Siegermächte255 und ihre Verbündeten, insgesamt 39 Staaten256. unter den Mitgliedstaaten erzielt werden konnte. Der IWF hat es daher für zielführender erachtet, an dem Übereinkommen in der gegenwärtigen Fassung festzuhalten und die Befugnisse „praxisnah“ zu erweitern. 251 Vgl. J. Gold, Membership and Nonmembership in the International Monetary Fund, 1974. 252 Art. II) IWF-Übereinkommen. 253 Diesen Organisationen können jedoch Mitwirkungsrechte eingeräumt werden. Die Europäische Union ist weder Mitglied des IWF noch verfügt sie über einen Beobachterstatus (siehe unten). Auf der operativen Ebene besteht jedoch eine enge Zusammenarbeit mit dem IWF. Über einen Beobachterstatus und begrenzte Mitwirkungsrechte verfügt dagegen die Europäische Zentralbank. Sie ist berechtigt, an Sitzungen des Exekutivdirektoriums teilzunehmen, das Wort zu ergreifen und die entsprechenden Sitzungsdokumente zu erhalten. Vergleiche zu den Beteiligtenrechten der Europäischen Union/Europäischen Gemeinschaft J. Scheffler, Die Europäische Union als rechtlich-institutioneller Akteur im System der Vereinten Nationen, S. 552. 254 IMF, IMF Members’ and Quotas Power, last updated August 29, 2015, Fn. 1. 255 Auch die Sowjetunion und andere Ostblockstaaten waren Gründungsmitglieder. Mit Ausbruch des Kalten Krieges traten sie aus dem Währungsfonds und der
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Der Fonds ist als universale Organisation ausgelegt, steht also grundsätzlich allen Staaten offen257. Die nicht „ursprünglichen Mitgliedstaaten“ können über Art. II Abschnitt 2 IWF-Übereinkommen als „andere Mitglieder“ die Mitgliedschaft beantragen, ohne dass damit ein unterschiedlicher rechtlicher Status verknüpft wäre. Obwohl der IWF eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen258 (UNO) ist, müssen seine Mitglieder nicht gleichzeitig Mitglied der Vereinten Nationen sein259. Über den Zeitpunkt und die Bedingungen des Beitritts bestimmt der Gouverneursrat im Einzelfall, ohne dass der Gründungsvertrag dazu bestimmte Voraussetzungen vorsieht. Eine Entscheidung hat sich lediglich an den allgemeinen Grundsätzen zu orientieren, „welche für andere Mitglieder galten, die bereits Mitglieder sind“ (Art. II Abschnitt 2 a. E. des IWF-Übereinkommens). a) Problematik der gemeinsamen Währungspolitik der Eurozone Mit Eintritt in die 3. Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) zum 1. Januar 1999 ist die Zuständigkeit für die Währungspolitik von den Euro-Ländern auf die Gemeinschaftsebene übergegangen, während das IWFÜbereinkommen unverändert geblieben ist. Die Teilnehmerstaaten der EuroZone haben ihre währungspolitischen Befugnisse an die Europäische Union zur gemeinschaftlichen Ausführung übertragen260. Als Institution der europäWeltbank aus, was die Handlungsfähigkeit des IWF erleichterte. Zugleich verlor der IWF seinen universalen Anspruch und rückte weiter in Richtung „Westen“, das heißt seine liberale angelsächsische Prägung unter US-amerikanischer Dominanz wurde noch stärker. 256 Die Kriegsverlierer Deutschland und Japan traten erst im Jahr 1952 bei. 257 Der IWF ist damit eine sogenannte „offene Organisation“. Mit seinen 188 Mitgliedstaaten (Stand 2015) hat er weniger Mitglieder als die Vereinten Nationen (193 Mitgliedstaaten lt. UNRIC vom 05.03.2015). Die bedeutendsten Nichtmitglieder sind Kuba und Nordkorea (aus politischen Gründen). Augenscheinlich aus Finanzplatzinteressen sind daneben Monaco, Andorra, Hong Kong (China), Liechtenstein, Macao (China) und Taiwan nicht Mitglieder im IWF. Zum Vergleich der Mitgliederverteilung des IWF, der WTO und der Vereinten Nationen siehe T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 143. 258 Zum Verhältnis zwischen den Vereinten Nationen (UN) und IWF siehe unten unter „Internationale Stellung des IWF“. 259 Ebensowenig ergibt sich aus der Mitgliedschaft in den UN ein Recht auf Mitgliedschaft im IWF (anders als zum Beispiel auf Mitgliedschaft in der UNESCO gemäß Art. II. 1 UNESCO). 260 Ausweislich Art. 3 Abs. 1 lit c AEUV hat die Europäische Union die ausschließliche Zuständigkeit für die Währungspolitik der Euro-Staaten. „Demgemäß können die Mitgliedstaaten auch keine zwischenstaatlichen Vereinbarungen über ihre Währungspolitik treffen, jedenfalls nicht ohne Verstoß gegen das Vertragsrecht der
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ischen Währungsunion obliegt die Wahrnehmung der Zentralbankaufgaben innerhalb der Gemeinschaft der Europäischen Zentralbank (ESZB)261. Das europäische Zentralbanksystem verfügt über die ausschließliche Befugnis zur Gestaltung der Geldpolitik in der Euro-Zone262. Dazu gehört auch die Befugnis der Europäischen Zentralbank (des Rats) zu einer Festsetzung der Wechselkurse nach außen (Art. 111 Abs. 1 EGV)263. In ihrer Beziehung zum IWF ist die Europäische Gemeinschaft nicht in automatischer Rechtsnachfolge in die Position der an der Währungsunion teilnehmenden Mitgliedstaaten eingetreten264; denn die Europäische Gemeinschaft / Union hat keine über Koordinierungszuständigkeiten hinausgehenden Europäischen Union. Die ausschließliche Zuständigkeit der Union nimmt den Mitgliedstaaten ausweislich Art. 2 Abs. 1 S. 1 AEUV die Zuständigkeit, verbindliche Rechtsakte zu erlassen, somit auch völkerrechtliche Verträge untereinander zu schließen. Verträge in dem Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Union sind nichtig. Auch wegen dieser Zuständigkeitsordnung ist im Übrigen die Union in der Sache ein echter Bundesstaat. Nur Organe der Union sind nach den Verträgen und damit nach der in Deutschland geltenden Rechtsordnung zur Währungspolitik der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, befugt. Art. 136 AEUV zeigt, dass der Rat für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, gewisse Maßnahmen treffen kann, freilich nicht Finanzstabilisierungsmaßnahmen zugunsten einzelner Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe. Bei Beschlüssen nach Art. 136 AEUV sind nur die Mitglieder des Rates stimmberechtigt, die Euro-Staaten vertreten, aber es müssen alle Ratsmitglieder zur Sitzung eingeladen sein und haben alle das Rederecht.“ K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerden der Professoren Dres. W. Hankel, W. Nölling, K. A. Schachtschneider, D. Spethmann, J. Starbatty gegen die Griechenlandhilfe und gegen den vorläufigen Rettungsschirm vom 7. Mai und vom 5. Juli 2010, Aktenzeichen 2 BvR 987/10 und 1485/10, S. 11. 261 Vgl. auch H. Hahn/U. Häde, Kommentierung zu Art. 88 GG, in: R. Dolzer/ K. Vogel (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, 93. Aufl. 1999, Rdn. 611. 262 „Die grundlegenden Aufgaben des Zentralbanksystems bestehen in der Festlegung und Ausführung der Geldpolitik, der Durchführung von Devisengeschäften, der Haltung und Verwaltung der mitgliedstaatlichen Währungsreserven sowie der Förderung der Zahlungssysteme (Art. 105 Abs. 2 EGV; Art. 3.1 des 3. Protokolls). Zwar hat die Europäische Zentralbank nur eingeschränkte Kompetenz im Bereich der Außenwährungspolitik. Diese liegt grundsätzlich beim Europäischen Rat. Die Außenwährungspolitik ist aber innerhalb eines Systems freier Wechselkurse – anders als im Fall fixer Wechselkurse wie im Bretton-Woods-System – zu vernachlässigen. Martin Hänsch weist mit Werner Heun darauf hin, dass „die allgemeine Orientierung“ des Europäischen Rats „im Nachrang zur faktischen Wirkung der Geldpolitik des Notenbanksystems“ stehe und damit auch nicht eingreifen könne, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 276; W. Heun, Die Europäische Zentralbank in der Europäischen Währungsunion, 1998, S. 866 ff.; ähnlich auch P. Bofinger, Der Euro vor der Einführung, 1997, S. 11 ff. 263 Art. 219 AEUV sichert dem Rat „bestimmenden Einfluss“ auf den Außenwert der gemeinsamen Währung. Dazu auch K. A. Schachtschneider, Europäisches Verfassungsrecht, S. 169. 264 Ebenda, S. 18.
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Kompetenzen. Die gemeinsame Währungspolitik der Staaten der Eurozone führte in ihrem Verhältnis zum IWF zu Kompetenzüberschneidungen, welche bestimmte Modifikationen erforderlich machten. Abgesehen davon, dass die Mitglieder der Europäischen Währungsgemeinschaft ihre Beiträge dem IWF in Euro zur Verfügung stellen, wurden die Modalitäten dahingehend geändert, dass die Höhe des Beitrags der einzelnen Euro-Geberstaaten zum Währungsbudget sich nicht mehr auf Grundlage der die Reservepositionen der einzelnen am Budget beteiligten Länder bemisst; denn für „Länder mit gemeinsamer Währung liefern die Reserven als Maßstab keinen sinnvollen Ansatz. Wegen der Bedeutung der Euro-Länder hat der IWF deshalb sein Verfahren für alle Teilnehmerländer geändert. Sie werden seit Jahreswechsel 1998 / 99 entsprechend ihren IWF-Quotenanteilen herangezogen“265. Gemäß Art. 219 Absatz 4 AEUV (vormals Artikel 111 Absatz 5 EGV) haben die Mitgliedstaaten weiterhin „das Recht, unbeschadet der Unionszuständigkeit und der Unionsvereinbarungen über die Wirtschafts- und Währungsunion in internationalen Gremien Verhandlungen zu führen und internationale Vereinbarungen zu treffen“. Um einen „einheitlichen Standpunkt“ der Gemeinschaft herzustellen, trifft der Rat im Zusammenwirken mit der Europäischen Zentralbank und der Kommission verbindliche Vereinbarungen für die Aushandlung und den Abschluss von Vereinbarungen, „[w]enn von der Union mit einem oder mehreren Drittstaaten oder internationalen Organisationen Vereinbarungen im Zusammenhang mit Währungsfragen oder Devisenregelungen auszuhandeln sind“ (Art. 219 Absatz 3 AEUV). Auch über die Mitwirkung der Europäischen Zentralbank in den Gremien des IWF wurde nach Beratungen unter Euro-Staaten, EZB-Rat und IWFExekutivdirektorium und IWF-Management eine pragmatische Einigung gefunden: Die EZB hat im Exekutivdirektorium des IWF zwar kein Stimmrecht, ihr wird aber ein Beobachterstatus eingeräumt, das heißt die EZB wird im IWF-Board durch einen Beobachter vertreten266. Er wird zu Sitzungen des Exekutivdirektoriums eingeladen, sofern eines der folgenden Themengebiete betroffen ist267: •• die Artikel-IV-Konsultation über die Geld- oder Wechselkurspolitik der Euro-Länder insgesamt, •• die Artikel-IV-Konsultation eines Euro-Landes; die Rolle des Euro im internationalen Währungssystem, 265 Die Beziehungen Deutschlands zum Internationalen Währungsfonds nach Einführung des Euro, Deutsche Bundesbank Monatsbericht September 1999, S. 23. 266 Ebenda, S. 19. 267 Ebenda, S. 19.
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•• die weltwirtschaftlichen Aussichten (World Economic Outlook), •• die internationalen Kapitalmärkte und die Entwicklung von Märkten und der Weltwirtschaft. Daneben impliziert die Beziehung der Euro-Staaten zum IWF auch „gewisse Überschneidungen mit der Währungs- beziehungsweise Geldschöpfungshoheit des ESZB“268. So kann es bei den Euro-Staaten zu „expansiven oder kontraktiven Geldschöpfungseffekten“ kommen. Um Konflikten vorzubeugen wurde vereinbart, dass die EZB über die Zahlungsvorgänge zwischen der Bundesbank und dem IWF „umfassend informiert“ wird, insbesondere bei der Zusammenstellung von Finanzierungspaketen für Krisenländer269; denn die Europäische Zentralbank muss auch bei hohen Transaktionsvolumina der nationalen Zentralbanken der Euro-Staaten jederzeit in der Lage sein, die erforderliche Liquidität sicherzustellen. Aus der ausschließlichen Kompetenz des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) für die Geldpolitik folgt dessen gemeinschaftsrechtlich verankerter Anspruch auf Außenvertretung in der europäischen Geldpolitik. Deshalb waren auch die Art. IV-Konsultationen mit den Euro-Staaten zu modifizieren. Derartige Veränderungen sind grundsätzlich nur mit Mitgliedsländern möglich270, obwohl die Euro-Staaten für weite Teile der Währungsund Wirtschaftspolitik nicht allein verantwortlich sind271. Damit der Fonds seine Überwachungsaufgaben erfüllen kann, wurde vereinbart, „dass der IWF mit der EZB, der Europäischen Kommission und gegebenenfalls anderen europäischen Institutionen regelmäßig Konsultationsge spräche über die Geld- beziehungsweise Währungspolitik und andere relevante Politikbereiche führen soll. Diese überstaatlichen Konsultationen gelten formal jedoch als Teil der in Artikel IV vorgesehenen Konsultationen mit den einzelnen Euro-Ländern“272.
268 Ebenda, S. 24. Zur Frage der Vertretung der EU-Staaten innerhalb des IWF L. Smaghi, A Single European Seat in the IMF?, 2004, S. 229. 269 Die Beziehungen Deutschlands zum Internationalen Währungsfonds nach Einführung des Euro, Deutsche Bundesbank Monatsbericht September 1999, S. 24. 270 „Über- und zwischenstaatliche Institutionen beziehungsweise Organisationen haben gegenüber dem IWF, da sie nicht Mitglied sein können, keine besonderen Rechte oder Verpflichtungen.“ Ebenda, S. 20. 271 Art. 105 EGV regelt die Zuständigkeit des ESZB für die Geldpolitik, Art. 99 EGB die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Wirtschaftspolitik. Zur Abgrenzung der Politiken M. Danzmann, Das Verhältnis von Geldpolitik, Fiskalpolitik und Finanzstabilitätspolitik. 272 Ebenda, S. 20. Diese Verbindung führte später in der Euro-Krise zur sogenannte „Troika“, welche die Verhandlungen mit den Euro-Krisenstaaten führte.
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b) Exkurs: Euro-Zone als wettbewerbswidriger (unlauterer) Vorteil im Währungswettbewerb Eine dauerhafte Unterbewertung der eigenen Währung verschafft den einheimischen Exporteuren Preis- und damit Wettbewerbsvorteile, welche grundsätzlich zu anhaltenden Zahlungsbilanzüberschüssen führen können. Weil die Zahlungsbilanzüberschüsse des einen Landes notwendig die Zahlungsbilanzdefizite eines anderen sind, stellt sich die Frage, ob unterbewertete Währungen eine verbotene Subvention im Sinne des Übereinkommens über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen vom 15. April 1994 (SCMAbkommen) darstellen273. Ein aktuelles Beispiel ist der Handelsstreit zwischen den USA und China274. Dabei werfen die Vereinigten Staaten China vor, sich durch die Unterbewertung des chinesischen Yuan (oder Renminbi) gegenüber dem USDollar unlautere Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Trotz eines stetig steigenden Leistungsbilanzüberschusses, großer Währungsreserven und hoher ausländischer Direktinvestitionen hielt China an einem festen Wechselkurs des Yuan gegenüber dem US-Dollar (im Verhältnis 1 US-Doller = 8,277 Yuan) fest275, was zu anhaltenden Exportüberschüssen Chinas gegenüber den USA beziehungsweise umgekehrt zu Importüberschüssen der USA gegenüber China führten. Diese Währungsmanipulationen – so der Vorwurf der USA – verstärkten die ungleichen Handelsströme und das Ungleichgewicht in den Leistungsbilanzen beider Staaten, was zu wirtschaftlichen Problemen und Arbeitsplatzverlusten in den USA führe276. Im August 2015 wertete die chinesische Notenbank den Yuan erneut um gut vier Prozent ab und versetzte damit die Märkte in Panik277. 273 Siehe zu handelspolitischen Schutzinstrumenten K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung mit Welthandelsordnung, § 12 X, S. 560 ff.; ders., Unechter Freihandel, in: Aufklärung und Kritik, 2015, S. 14 ff. 274 Zur Frage wettbewerbswidriger Währungspolitik am Beispiel des Handelsstreits zwischen den USA und China über die „Unterbewertung“ des Yuan siehe T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 226 ff. 275 G. Hufbauer, US-China Trade Disputes: Rising Tide, Rising Stakes, 2006, S. 11 f. 276 Einlenkend hatte China den Yuan seit Ende des Jahres 2005 gegenüber USDollar zwar sukzessiv aufgewertet. Diese teilweisen Aufwertungen gingen den USA aber nicht weit genug. Siehe dazu das von den USA in Auftrag gegebene Gutachten zur Vorbereitung eines evtl. gegenüber China einzuleitenden Streitbeilegungsverfahrens innerhalb der WTO; D. Hartquist, Prepared Statement on Behalf of the China Currency Coalition vom 4. April 2006, S. 1 f.; dazu T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 227. 277 Handelsblatt vom 13.08.2015, Yuan-Abwertung „im Wesentlichen beendet“.
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Nach Art. XVI GATT ist eine Subvention „jede Form von Einkommensoder Preisstützung“. Ergänzung findet dieser Artikel durch das Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen vom 15. April 1994 (SCM Agreement / SCM-Abkommen)278. Das SCM-Abkommen materialisiert unter anderem Verbote bestimmter Subventionen. Um deren Verbindlichkeit zu stärken, wurde ein Ausschuss für Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen eingerichtet (Art. 24 SCM-Abkommen), sowie Regeln für das Streitbeilegungsverfahren festgelegt (Art. 4 und 7 SCM-Abkommen). „Subventionen im Sinne dieses Übereinkommens liegen vor, wenn durch einen finanziellen Beitrag einer Regierung oder öffentlichen Körperschaft im Gebiet eines Mitglieds bzw. durch irgendeine Form der Einkommens- oder Preisstützung im Sinne des Art. XVI GATT 1994 ein Vorteil übertragen wird (Art. 1 Abs. 1 SCM-Abkommen). Neben einem finanziellen Beitrag bzw. einer Einkommens- oder Preisstützung muss ein Vorteil übertragen werden und eine Spezifität vorliegen. Der Zweck einer Intervention seitens der Regierung spielt also keine Rolle279.“ In der Literatur wird kontrovers diskutiert, ob die Unterbewertung eines Wechselkurses durch einen Staat eine verbotene Subvention im Sinne des SCM-Abkommens darstellt280. Für die Annahme eines Vorteils kommt es allein darauf an, ob eine Währung tatsächlich unterbewertet ist281. Allerdings fehlt es bei einer allgemeinen Unterbewertung der Währung wohl an der erforderlichen Spezifität. Dass Währungsvorteile vor allem der exportorientierten Industrie zugute kommen, 278 Es
ist dem WTO-Übereinkommen als Anhang 1 A beigefügt. Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 286; vgl. auch C. Grave, Der Begriff der Subvention im WTO-Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen, 2001, S. 259. 280 Bejahend D. Harquist, der davon ausgeht, dass die Unterbewertung des Yuan eine verbotene Exportsubvention sei und Art. 1, 2 und 3 des SCM-Abkommens verletze. Daher seien Ausgleichsmaßnahmen der USA gerechtfertigt. Der konvertible Umtausch des US-Dollars in Yuan seitens der Chinesischen Regierung sei ein finanzieller Beitrag gegenüber allen exportierenden Unternehmen. In der Beschränkung des Vorteils auf exportierende Unternehmen erkennt Hartquist auch eine hinreichende Spezifität. Der Wechselkurs sei eine Unterbewertung, die einen wettbewerbswidrigen Vorteil erzeuge. D. Hartquist, Prepared Statement on Behalf of the China Currency Coalition vom 4. April 2006, S. 1 f.; mit ähnlicher Argumentation M. Benitah, China’s Fixed Exchange Rate for the Yuan: Could the United States Challenge it in the WTO as a Subsidy?, 2003, S. 1 f.; ablehnend, insbesondere mit Verweis darauf, dass eine Unterbewertung des Yuan nur schwer nachweisbar sei und skeptisch bezüglich der Annahme der Tatbestandsmerkmale des „finanziellen Beitrags“ und der „Spezifität“: R. Bhala, Modern GATT Law, 2005, S. 173 f.; zusammenfassend und im Ergebnis skeptisch: T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 229. 281 G. Hufbauer, US-China Trade Disputes: Rising Tide, Rising Stakes, S. 21. 279 T. Riedel,
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reicht dafür nicht aus282. Auch bestehen Zweifel, ob eine unterbewertete Währung einen finanziellen Beitrag darstellt. Dies käme nach Thomas Riedel nur in Betracht, „wenn die Unterbewertung durch den Geldumtausch zu einer Art Einfuhrgebühr für die ausländischen importierenden Unternehmen oder einer Art Unterstützung für die inländischen exportierenden Unternehmen führt“283. Deshalb ist nach überwiegender Auffassung eine verbotene WTO-Subvention nicht gleichbedeutend mit einer Wechselkursmanipulation im Sinne von Art. IV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen284. Die Problematik wettbewerbswidriger Wechselkurse zeigt sich auch innerhalb der Euro-Zone, insbesondere seit Ausbruch der Euro-Krise. Die Hauptaufgabe des Fonds besteht darin, „die Stabilität der Währungen zu fördern, geordnete Währungsbeziehungen unter den Mitgliedern aufrechtzuerhalten und Währungsabwertungen aus Wettbewerbsgründen zu vermeiden“ (Art. I Ziffer iii) IWF-Übereinkommen). Wie oben dargestellt, hat der IWF gemäß Art. I Ziffer iii) und iv) IWF-Übereinkommen dafür Sorge zu tragen, dass die Mitgliedstaaten nicht zu unlauteren Abwertungen ihrer Währung greifen, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Aber unter welchen Umständen ist die Abwertung einer Währung legitim? Mit der Einbindung in eine verhältnismäßig schwächere Gemeinschaftswährung könnten Deutschland und andere ehemalige Hartwährungsländer, etwa Österreich und die Niederlande, gegen das Verbot der unlauteren Währungsabwertung verstoßen haben. Zwar erfolgte die Abwertung der eigenen Währung nicht administrativ. Der verbotene Zweck aber, die Förderung der eigenen Exporte durch Unterbewertung der eigenen Währung, wurde durch Anbindung an eine verhältnismäßig schwächere Gemeinschaftswährung ebenso erreicht. Schließlich entsprach es der Zielsetzung der internationalen Wirtschaftsverträge, Maßnahmen abzuwehren, welche den Wettbewerb gefährden. Eine unlautere Abwertung der eigenen Währung kann auch darin bestehen, dass in einer Währungsgemeinschaft die Währung durch die Einbeziehung wirtschaftlich schwacher Staaten im Verhältnis zur eigenen Wirtschaftsleistung künstlich niedrig gehalten wird. Der Grundsatz, dass Wohlstand nicht durch unfaire Handelspraktiken auf Kosten anderer Staaten erreicht werden 282 So auch T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 228 f. 283 Skeptisch bezüglich der Nachweisbarkeit T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 228 f. 284 Es sei daher ohne Bedeutung für die Annahme einer verbotenen WTO-Subvention, wenn der IWF die Unterbewertung des Yuan nicht als eine Wechselkursmanipulation nach dem IWF-Übereinkommen betrachte. Der IWF hatte damals grundsätzlich festgestellt, dass der Yuan gegenüber dem US-Dollar unterbewertet sei. D. Hartquist, Prepared Statement on Behalf of the China Currency Coalition vom 4. April 2006, S. 3 f.
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darf, entspricht dem legitimen Interessenschutz, welcher durch internationale Konventionen, wie die Antisubventionskonvention oder die Antidumpingkonvention bei der WTO, völkerrechtlich materialisiert ist285. Grundsätzlich soll die Währung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Staates zu abbilden286. Indem Deutschland der Währungsunion beitrat, wurde die ehemals starke Deutsche Mark an die vergleichsweise schwächeren Wechselkurse der übrigen Staaten der Euro-Zone gebunden. Auf diese Weise ist in Deutschland der Wechselkurs der eigenen Währung im Vergleich zur Wirtschaftsleistung bis heute niedrig. Bei der gegenwärtig vergleichsweise starken wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands hätte die Deutsche Mark im Verhältnis zu den Währungen seiner Handelspartner stark aufwerten müssen. Ein niedriger Wechselkurs des Euro verschafft der deutschen Exportindustrie ebenso wie den anderen Eurostaaten (unlautere) Wettbewerbsvorteile, die in ihrer Wirkung durchaus mit einer willkürlichen Abwertung vergleichbar sind. Disparitäten können aber auch innerhalb der Eurozone zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten entstehen. Dies geschieht, wenn deren wirtschaftliche Entwicklung unterschiedlich verläuft und nationale Abwertungen untereinander nicht mehr möglich sind. So sind beispielsweise Warenanbieter aus südeuropäischen Staaten wie Griechenland oder Portugal, und ähnlich auch aus Spanien und Italien infolge zu hoher Lohnstückkosten Deutschland gegenüber nicht wettbewerbsfähig. Beide Faktoren, die Außenwirkung und die Binnenwirkung der Gemeinschaftswährung, waren neben anderen Faktoren maßgebliche Ursachen für das enorme Anwachsen der deutschen Exporte287. Eine paritätenverzerrende Manipulation innerhalb einer Währungsgemeinschaft wie der Eurozone ist zwar nicht als Staatsinterventionismus im engeren Sinn zu qualifizieren. Sie entfaltet aber eine vergleichbar manipulative und damit systemwidrige Wirkung. c) Mitgliedschaftliche Pflichten Wie in allen internationalen Organisationen ist jedes Mitglied des IWF zugleich Vertragspartner des Gründungsvertrages288, das heißt der Staat tritt in vollem Umfang in den Rechten- und Pflichtenkreis des IWF-Übereinkom285 Dazu näher K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung mit Welthandelsordnung, § 12 X, S. 560 ff. 286 Vgl. P. Krugman, Außenwirtschaftstheorie. 287 Außerhalb der Eurozone, so die Auffassung der Ökonomen „the [Deutsche] Mark would raise, the German economy would be dampened.“ J. Stiglitz, Interview vom 26. Januar 2015, Nobel winner: Germany’s the problem, not Greece, einzusehen unter http://www.cnbc.com/id/102367704. 288 W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 270 Rdn. 61.
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mens ein. Während sich die Mitgliedstaaten ursprünglich zur Aufrechterhaltung der Paritäten verpflichtet hatten289, haben sich die Verpflichtungen in einem gemischten Währungssystem grundlegend geändert290. Der Katalog enthält umfassende monetäre Verpflichtungen im Umgang mit der eigenen Währung. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich zur Zusammenarbeit in den Hauptbereichen •• Gewährleistung geordneter Wechselkursregelungen (Art. IV Abschnitt 1 S. 1 IWF-Übereinkommen), •• Gestaltung von Devisenkontrollbestimmungen (Art. VIII Abschnitt 2 lit. b S. 2 IWF-Übereinkommen), •• Verwendung der Sonderziehungsrechte im Rahmen der Reserve- und Liquiditätspolitik (Art. VIII Abschnitt 7 und Art. XXII) IWF-Übereinkommen). Um ein stabiles Wechselkurssystem zu gewährleisten, formuliert Art. IV Abschnitt 1 des IWF-Übereinkommens zunächst die sehr allgemein gehaltene Verpflichtung zur „Zusammenarbeit mit dem Fonds und anderen Mitgliedern“ in Fragen der Wirtschafts- und Währungspolitik291. Dazu gehört die Pflicht jedes Mitgliedstaates, im eigenen Land auf ein „geordnetes Wirtschaftswachstum bei angemessener Preisstabilität“ (Art. IV Abschnitt 1 i) IWF-Übereinkommen) und auf „geordnete Wirtschafts- und Währungsver289 Vgl. R. Knieper, Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 90 ff., insbesondere zu der völkerrechtlichen Verpflichtung der USA, US-Dollar in Gold einzulösen. So sei die Aufkündigung der Konvertibilitätszusage im Jahr 1971 als Völkervertragsbruch zu qualifizieren. Dazu E. U. Petersmann, Zum Rechtswandel des IWFParitätensystems, 1974, S. 134 f. 290 Dazu B. Steinhauer, Die Auslegung, Kontrolle und Durchsetzung mitgliedstaatlicher Pflichten im Recht des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Gemeinschaft. 291 Die Transaktionsbeziehungen zwischen IWF und den Mitgliedstaaten werden in der Regel über die jeweilige Zentralbank abgewickelt. Die finanziellen Transaktionen werden von jedem Mitgliedstaat über einen von ihm bestimmten „Fiskalagenten“ durchgeführt. Formal ist er der ‚Geschäftspartner‘ des IWF, dient als Hinterlegungsstelle, das heißt er führt die Transaktionskonten mit dem IWF. „Für Deutschland ist die Bundesbank sowohl Fiskalagent als auch Hinterlegungsstelle. Diese national festgelegte Zuständigkeit hat sich mit der Einführung des Euro nicht verändert. Verantwortlich für die finanziellen Beziehungen zum IWF bleiben als IWF-Mitglieder die einzelnen Euro-Länder. Diese Auffassung wird durch den EG- Vertrag gestützt (Art. 307 Abs. 1 EGV). Im übrigen gibt es keine ökonomische oder technische Notwendigkeit und aus Sicht der Mitgliedsländer derzeit auch nicht die Absicht, die Funktion des Fiskalagenten und der Hinterlegungsstelle mit Blick auf den Euro zu zentralisieren.“ Die Beziehungen Deutschlands zum Internationalen Währungsfonds nach Einführung des Euro, Deutsche Bundesbank Monatsbericht September 1999, S. 22.
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hältnisse […] ohne erratische Störungen“ (Art. IV Abschnitt 1 Ziffer ii) IWFÜbereinkommen) hinzuwirken. Daneben verpflichtet sich ein Mitglied gemäß Art. IV Abschnitt 1 Ziffer iii) IWF-Übereinkommen, unlautere „Manipulationen der Wechselkurse“ zu vermeiden. Art. VIII) IWF-Übereinkommen materialisiert die Pflichten der Mitgliedstaaten, insbesondere in den Bereichen Devisenkontrollen und Währungskonvertibilität. Nach Art. VIII Abschnitt 2 a) IWF-Übereinkommen darf ein Mitglied nicht ohne Zustimmung des Fonds den Zahlungen für laufende internationale Geschäfte Schranken setzen292. Die Wirksamkeit der Devisenkontrollen, denen der IWF zugestimmt hat, wird dadurch gewährleistet, dass die Mitgliedstaaten keinen Rechtsschutz gewähren dürfen, wenn aus Kontrakten geklagt wird, die den rechtmäßigen Beschränkungen zuwiderlaufen. Neben ihren primärrechtlichen Verpflichtungen sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich auch an Sekundärrecht gebunden, zumindest in jenen Fällen, in denen das Sekundärrecht dazu dient, primärrechtliche Vorschriften zu konkretisieren. Andernfalls würden sich die Mitgliedstaaten in Widerspruch zu ihrem eigenen Beitritt setzen. d) Beendigung der Mitgliedschaft Die Mitgliedschaft (und die Vertragsparteistellung) endet durch die Auflösung des IWF, durch wirksamen Austritt oder durch Ausschluss aus der Organisation. Der Austritt aus der Organisation ist gemäß Art. XXVI Abschnitt 1 des IWF-Übereinkommens jederzeit durch einseitige Kündigung möglich. Die mit dem Fonds bestehenden Konten werden dann unverzüglich abgerechnet293. Das Recht, aus dem IWF auszuscheiden, gewährleistet die Souveränität der Mitgliedstaaten, wenn auch ein Austritt gerade von Empfängerstaaten realiter schwerlich in Betracht kommen dürfte. 2. Code of Conduct Der Code of Conduct bestimmt die Verhaltensnormen, welche das Verhältnis der Mitglieder zum Währungsfonds und die Beziehungen untereinander bestimmen. Konstituierend ist die allgemeine Pflicht zur Zusammenarbeit 292 Der Begriff „Zahlungen für laufende Transaktionen“ wird in Art. XXX d) ÜIWF genauer definiert als „Zahlungen, die nicht der Übertragung von Kapital dienen“. Darunter fallen vor allem Zahlungen, die im Zusammenhang mit dem Außenhandel geschuldet werden, sowie Zahlungen auf Dienstleistungsgeschäfte und kurzfristige Bankgeschäfte. 293 Allerdings befreit der Austritt nicht von den bereits entstandenen (finanziellen) Verpflichtungen gegenüber dem Fonds.
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mit dem Fonds und seinen Mitgliedern in Fragen der Währungspolitik294 mit dem Ziel der „restoration of convertibility“ und der „elimination of discrimination“295. Explizit geregelt sind die Durchführung von Devisen- und Finanztransaktionen, die Wahl der Wechselkurs- und Währungssysteme sowie die Ausgeglichenheit der Zahlungsbilanzen. Die Änderungen durch das 2. IWF-Übereinkommen haben das Paritätensystem der festen Wechselkurse grundlegend reformiert. Basis des neuen gemischten Währungssystems ist die freie Wahl des Wechselkurssystems. Art. IV Abschnitt 2 lit. b des IWF-Übereinkommens erklärt grundsätzlich alle Wechselkursregelungen für zulässig, sofern sich deren Stabilität nicht am Goldwert orientiert296. Die Mitgliedstaaten sind lediglich verpflichtet, dem Fonds die Wahl und die konkrete Ausgestaltung des von ihnen gewählten Systems mitzuteilen. a) Konvertibilität Die Konvertibilität ist für das internationale Währungssystem konstituierend. Sie ermöglicht internationale Kapitalbewegungen und fördert den Waren- und Dienstleistungsaustausch unter den Mitgliedern. Gemäß Art. VIII Abschnitt 4 des IWF-Übereinkommens verpflichteten sich die Mitglieder zum gegenseitigen Umtausch ihrer Währungen, wenn diese kürzlich aus laufenden Geschäften angefallen oder zur Zahlung für laufende Geschäfte erforderlich sind. Der IWF duldet für eine Übergangszeit auch ausnahmsweise nichtkonvertible Währungen (Art. XIV Abschnitt 2 IWF-Übereinkommen), die Mitgliedstaaten verpflichten sich aber, Zahlungsbeschränkungen möglichst bald aufzugeben und die Konvertibilität so bald wie möglich herzustellen (Art. VIII Abschnitt 2 IWF-Übereinkommen). Eine Rückkehr zu Devisenrestriktionen ist nach Ablauf der Übergangsfrist nicht mehr möglich297. 294 Art. IV
Abschnitt 1 des IWF-Übereinkommens. International Monetary Cooperation Since Bretton Woods, 1996,
295 H. James,
S. 76 f. 296 Art. IV Abschnitt 2 b i bis iii) IWF-Statuten: „Im Rahmen eines internationalen Währungssystems sind unter anderem folgende Wechselkursregelungen zulässig: i) Aufrechterhaltung des Wertes einer Währung durch das betreffende Mitglied in Sonderziehungsrechten oder in einem anderen, vom Mitglied gewählten Maßstab außer Gold, ii) Gemeinschaftsregelungen, nach denen Mitglieder den Wert ihrer Währungen im Verhältnis zum Wert der Währung oder Währungen anderer Mitglieder aufrechterhalten, oder iii) andere Wechselkursregelungen nach Wahl des Mitglieds.“ 297 F. Aschinger, Das Währungssystem des Westens, S. 72; P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 16.
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b) Devisenbeschränkungen Art. VIII Abschnitt 2 IWF-Statuten konkretisiert die Verpflichtung der Mitglieder, Devisenverkehrsbeschränkungen zu vermeiden. Ähnlich der Übergangsregelung für den Bereich Konvertibilität räumt der IWF Ausnahmen für die Fälle ein, in denen Devisenbeschränkungen im Zeitpunkt des Beitritts bereits in Kraft sind. Auch diese Ausnahmeregelung gilt nur für eine Übergangszeit, während der ständig zu prüfen ist, ob die Beschränkungen weiterhin mit den Zielen des IWF vereinbar sind (Art. XIV IWF-Übereinkommen). Diese Aufzählung der mitgliedschaftlichen Pflichten ist nicht abschließend. Daneben besteht noch eine Reihe weiterer Verpflichtungen gegenüber dem Fonds, etwa zu seinem Status innerhalb der Mitgliedstaaten, namentlich die Befreiung des Fonds von Steuern298 sowie Immunitäten299 für Gouverneure, Exekutivdirektoren und andere IWF-Mitarbeiter im Rahmen ihrer amtlichen Handlungen300. 3. Organe Grundlage für die organische Struktur des Fonds ist Art. XII des IWFÜbereinkommens. Danach setzt sich der Fonds aus drei Hauptorganen zusammen: dem Gouverneursrat, dem Exekutivdirektorium und dem Geschäftsführenden Direktor mit seinem Mitarbeiterstab. Ebenso ermöglicht Art. XII) IWF-Übereinkommen, einen Rat auf Ministerebene einzurichten. Von dieser Möglichkeit hat der Fonds allerdings bisher keinen Gebrauch gemacht. Anstatt dessen nimmt das International Monetary and Finance Committee (IMFC)301 dessen Aufgaben wahr. Die Kompetenzverteilung ist im IWF nicht fixiert. Vielmehr hat der Gouverneursrat die Möglichkeit, vielfältige Kompetenzen auf andere Organe zu übertragen.
298 Art. IX
Abschnitt 9 a) des IWF-Übereinkommens. Head sieht in diesen Privilegien und Immunitäten, die sich der IWF vorbehält, staatsähnliche Rechte, welche den Status des IWF als unabhängige rechtliche Einheit sichern sollen. Ohne diese Privilegien und Immunitäten wäre eine effektive Erfüllung der Aufgaben nicht möglich. Diese Rechte garantieren den Anspruch, dass die Mitarbeiter nur den Weisungen des IWF unterworfen sind. The Future of Global Organizations, An Evaluation of the Criticisms Leveled at the IMF, the Multilateral Development Banks, and the WTO, 2005, S. 30. 300 Art. IX Abschnitt 8 i) des IWF-Übereinkommens. 301 Das IMFC ist der Nachfolger des im Jahr 1974 gegründeten Interimsausschusses und besteht aus den IWF-Gouverneuren derjenigen Länder, die einen Sitz im Exekutivrat des Fonds haben. 299 John
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Das Prinzip der Gewaltenteilung, das grundsätzlich auch für die Struktur Internationaler Organisationen gilt, ist im IWF nur schwach ausgeprägt. Das einflussreiche Exekutivdirektorium302 und die öffentlichkeitswirksame Stellung des Geschäftsführenden Direktors303 verschaffen dem Fonds ein starkes exekutives Übergewicht. Eine legislative Gewalt wird in der Literatur teilweise darin erkannt, dass die Exekutivdirektoren zu informellen Auslegungen ermächtigt sind304. Allerdings kann von einer funktionstüchtigen Gewaltenteilung kaum gesprochen werden, weil das Exekutivdirektorium der Sache nach das Vollzugsorgan des Fonds ist, die Gewalten unter den IWF-Organen damit also gerade nicht geteilt sind. Im Übrigen ist eine judikative Gewalt im IWF schlechterdings nicht vorhanden305. a) Gouverneursrat Oberstes Beschlussfassungsorgan des IWF ist der Gouverneursrat als Repräsentativorgan. Ihm obliegen nach Art. XII Abschnitt 2 a) des IWF-Übereinkommens alle Befugnisse aus dem Vertrag, sofern er sie nicht unmittelbar
302 Das Exekutivdirektorium des IWF berät und beschließt über Kooperationsabkommen mit anderen internationalen Organisationen, etwa über das Verwaltungsabkommen zwischen der WTO und dem IWF (WTO-IWF-VA). Dazu T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 165. 303 Die exponierte Stellung des Geschäftsführenden Direktors ergibt sich unter anderem aus der Teilnahme an Tagungen und Sitzungen (des Allgemeinen Rats, des Internationalen Währungs- und Finanzausschusses, des Entwicklungsausschusses von IWF und Weltbank, des ECOSOC sowie anderen zwischenstaatlichen Tagungen); ebenso aus den Konsultationen auf oberster Arbeitsebene, etwa zwischen den internationalen Organisationen wie der Weltbank und der WTO, der sogenannten „High-level coordination“. 304 Thomas Riedel erkennt im IWF eine „funktionstüchtige legislative Gewalt“. Er vermisst aber „eine Neuausrichtung des judikativen Bereichs“. Siehe T. Riedel, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 146 mit Verweis auf: T. Cottier/S. Takenoshita, Außenwirtschaft, 2003, S. 171, 205; Deutsche Bundesbank, Quoten und Stimmrechtsanteile im IWF, September 2002, S. 65; R. Falk, Die Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF), Zwischenbilanz und Perspektiven der internationalen Debatte, in: Weltwirtschaft, Ökonomie & Entwicklung, 2001, S. 13. 305 Die Institution der judikativen Gewalt innerhalb des Völkerrechts ist insofern systemfremd, als eine über den Staaten stehende rechtsprechende Gewalt mit dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker im Konflikt steht. Anders dagegen beim Streitbeilegungsverfahren innerhalb der Struktur der Welthandelsorganisation (WTO). Siehe dazu R. Reusch, Die Legitimation des WTO-Streitbeilegungsverfahrens, 2007; D. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 131 ff.
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anderen Organen zuweist. Die meisten Befugnisse kann der Gouverneursrat aber an das Exekutivdirektorium übertragen306. Der Rat setzt sich aus Vertretern aller Mitgliedstaaten zusammen. Jedes Land bestimmt einen Gouverneur und seinen Stellvertreter (ohne zusätzliches Stimmrecht), meist den Finanzminister oder Präsidenten der Notenbank des Landes307. Die Gouverneure (oder ihre Vertreter) treten zu einer Sitzung zusammen, sofern sie vom Gouverneursrat oder dem Exekutivdirektorium einberufen wurde. In der Regel versammeln sich die Gouverneure einmal im Jahr offiziell308. Der Gouverneursrat trifft seine Entscheidungen nach einem gewichteten Stimmrechtsverfahren, welches sich nach der Höhe der Beitragszahlungen richtet. Er berät über Grundsatzfragen und beschließt außerdem über die Aufnahme neuer Mitglieder, die Anpassung der Quoten der Mitgliedstaaten309 und die Zuteilung der Sonderziehungsrechte310. In bestimmten Fällen, wie der Änderung der Quoten oder der IWF-Statuten, ist eine Mehrheit von 85 % der Stimmen erforderlich311. b) Exekutivdirektorium Das Exekutivdirektorium ist das administrative Organ des Fonds und auf die Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen gerichtet. Gegenüber den einzelnen Mitgliedstaaten ist er nicht weisungsgebunden. Dem Exekutivdirektorium mit Sitz in Washington D.C. obliegt gemäß Art. XII Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen die allgemeine Geschäftsführung des Fonds. Über deren genauen Umfang befindet der Gouverneursrat. Nach Art. XII Abschnitt 3 des IWF-Übereinkommens setzt sich das Direktorium aus 20 Exekutivdirektoren und einem Geschäftsführenden Direktor zusammen312. Die fünf Mitgliedstaaten mit den größten Quoten sind jeweils 306 Davon ausgenommen sind nur diejenigen Befugnisse, welche das Übereinkommen dem Gouverneursrat unmittelbar überträgt. 307 Deutschland wird vom Präsidenten der Bundesbank im Gouverneursrat vertreten. 308 Oft nehmen an diesen Treffen auch die Gouverneure der Weltbank teil, sowie Vertreter verschiedener anderer Internationaler Organisationen und Banken. M. Ferber/ G. Winkelmann, Internationaler Währungsfonds, Weltbank, IFC, IDA, S. 25. 309 Vgl. Art. III Abschnitt 2 (c) IWF-Übereinkommen. 310 Vgl. Art. XV Abschnitt 2 IWF-Übereinkommen. 311 Vgl. Art. III Abschnitt 2 c) bzgl. Quotenänderung, Art. XXXVIII Abschnitt a), bzgl. Statutenänderung und bezüglich Änderung der Basisstimmen Art. XII Abschnitt 5 b) IWF-Übereinkommen. 312 Die genaue Anzahl der Exekutivdirektoren variiert nach Beschlusslage des Gouverneursrats. Derzeit besteht das Direktorium aus einem 24-köpfigen Vorstand. Nach Auffassung desBundesfinanzministeriums (BMF) träfe dies „das richtige Ver-
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mit einem Repräsentanten kraft Gründungsvertrags (ohne Wahl) im Direktorium vertreten313. Russland, Saudi-Arabien und China sind ebenfalls mit jeweils einem Direktor (und Stellvertreter) im Exekutivkomitee vertreten, wobei die Vertreter auf zwei Jahre gewählt werden314. Die übrigen 15 Exekutivdirektoren werden von den anderen Ländern in sogenannten Stimmrechtsgruppen (sogenannten „Constituencies“) für zwei Jahre gewählt315. Im Durchschnitt besteht eine Ländergruppe aus 11 Staaten, die von einem Direktor und seinem Stellvertreter repräsentiert wird. Das Direktorium tritt etwa drei mal pro Woche in einer formalen Sitzung zusammen316. Entscheidungen werden dabei selten durch eine formale Abstimmung317 sondern möglichst im Konsens getroffen, um dem kooperativen Charakters des Fonds gerecht zu werden318. In der Praxis kommt es häufig zu einer internen Verständigung über strittige Fragen, noch bevor eine formale Abstimmung anberaumt wird. Einstimmigkeit ist aber nicht vorgeschrieben. Kommt es ausnahmsweise zu einer formalen Abstimmung, gilt ein gewichtetes Stimmrecht, bei welchem sich das Stimmengewicht nach der Höhe der Beitragszahlungen des Landes (Anteils-Quote) richtet. Eine rechtsgültige Entscheidung wird gemäß der allgemeinen Beschlussklausel des Art. XII Abschnitt 5 c) des IWF-Übereinkommens grundsätzlich nach der Mehrheitsregel (Mehrheit der abgegebenen Stimmen nach Quote) getroffen.
hältnis“ zwischen Effizienz und ausreichender Vertretung. Die Anzahl von 24 Sitzen beruht auf einer Ausnahmeregelung, welche regelmäßig verlängert werden muss. Deutschland hat einen festen Sitz im Board. Nach einer Quotenreform im Jahr 2010 verzichteten die Euro-Staaten im Board im Wege der Rotation auf zwei Sitze, siehe FAZ vom 23. Oktober 2010, Einigung auf IWF-Reform: Schwellenländer erhalten mehr Macht. 313 USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. 314 Eine Wiederwahl ist grundsätzlich nicht möglich, jedoch inzwischen die Regel. Vgl. L. van Houtven, Governance of the International Monetary Fund (IMF): Decision Making, Institutional Oversight, Transparency and Accountability, IMF Pamphlet Series No. 53, 2002, S. 16. 315 So bildet zum Beispiel die Schweiz mit Aserbeidschan, Kirgisien, Polen, Serbien, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan eine Stimmrechtsgruppe mit einem Sitz im Exekutivrat. 316 Insgesamt etwa 600 Sitzungsstunden pro Jahr. Näher dazu L. van Houtven, Governance of the International Monetary Fund (IMF), S. 14. 317 Die Exekutivdirektoren sind an Weisungen ihrer Heimatstaaten gebunden. Zur Untersuchung, wie die US-amerikanischen Exekutivdirektoren konkrete Anweisungen vom Kongress oder den zuständigen Ausschüssen erhalten, R. Gerster, Accountability of Executive Directors in Bretton Woods Institutions, 1993, S. 97 und Annex 2 und 3. 318 J. Head, The Future of the Global Economic Organizations: An Evaluation of the Criticisms Leveled at the IMF, the Multilateral Development Banks, and the WTO, 2005, S. 27.
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Als zentrales operatives Organ hat das Exekutivdirektorium wegweisende Befugnisse in Fragen der Verwaltung und der der Haushaltsführung. Das Exekutivdirektorium überwacht die Währungs- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten im Rahmen regelmäßig stattfindender, bilateraler Artikel-IVKonsultationen. Daneben ist es zuständig für die Finanzierungshilfen, die Mitgliedsländern gewährt werden, also für „alle Entscheidungen in Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Fondsmitteln sowie die Regelung der Kreditzusage der Mitgliedsländer“319. c) Geschäftsführender Direktor Das Exekutivdirektorium wählt als Vorsitzenden einen Geschäftsführenden Direktor (sogenannter „Managing Director“) für fünf Jahre ins Amt. Die Amtszeit ist nicht beschränkt, das heißt eine Wiederwahl ist nicht ausgeschlossen. Das Amt des Geschäftsführenden Direktors ist neben Gouverneursrat und Exekutivdirektorium ebenfalls ein eigenständiges Organ. Nach Art. XII Abschnitt 4 a) IWF-Übereinkommen darf er „weder Gouverneur noch Exekutivdirektor sein“. Ihm steht – außer bei Stimmengleichheit320 – kein eigenes Stimmrecht zu. Seine Hauptaufgabe besteht in der Führung der Tagesgeschäfte des Fonds und in der Leitung des Personals321. Dabei unterliegt er den Weisungen und der Kontrolle des Exekutivdirektoriums (Art. XII Abschnitt 4 b) IWF-Übereinkommen). Der Geschäftsführende Direktor steht dem Exekutivrat des IWF vor und führt dessen Versammlung gemäß dem „sense of the meeting“322. Um den stetig vermehrten Verwaltungsaufgaben besser gerecht zu werden, wurde im Jahr 1994 die Zahl der Stellvertreter des Geschäftsführenden Direktors zunächst von einem auf drei und inzwischen auf vier erhöht323. Das Amt des Geschäftsführenden Direktors verfügt in der Praxis über erheblichen Einfluss. Er repräsentiert den Fonds nach außen und dementsprechend kommt ihm auch bei politischen Entscheidungen eine maßgebende Rolle zu. Um den „internationalen Charakter“ des Fonds nicht durch nationale Interessen zu gefährden, sind der Geschäftsführende Direktor und sein Personal ausschließlich dem Fonds „und keiner anderen Stelle“ verantwortlich324. 319 H.-J.
Jarchow/P. Rühmann, Monetäre Außenwirtschaft II, 2002, S. 88. Stimmengleichheit dient seine Stimme als sogenannter „Tie-Breaker“. 321 „Zum 30. April 2013 zählte der IWF 2.119 Fach- und Führungskräfte sowie 459 Stabsmitarbeiter auf Verwaltungsebene“ (Internationaler Währungsfonds, Jahresbericht 2014, S. 74. 322 Zum Einfluss der USA auf den IWF J. Vreeland, The International Monetary Fund – Politics of Conditional Lending, 2007, S. 41. 323 Internationaler Währungsfonds, Jahresbericht 2014, S. 83. 324 Art. XII Abschnitt 4 c) des IWF-Übereinkommens. 320 Bei
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Gemäß einer (informellen) Konvention ist der Geschäftsführende Direktor des Währungsfonds stets ein Europäer, während der Weltbank traditionell ein US-Amerikaner vorsteht. d) Ausschüsse Neben diesen Organen sind im Fonds verschiedene unterstützende Ausschüsse tätig. Zu nennen sind zwei Unterausschüsse: das International Monetary and Financial Committee (IMFC) und das Development Committee (DC), welche dem Gouverneursrat beratend zur Seite stehen. Ende des Jahres 1999 wurde der Internationale Währungs- und Finanzausschuss (International Monetary and Financial Committee, IMFC) ins Leben gerufen, um die Länderregierungen unmittelbarer in den Entscheidungsprozess des Fonds einzubeziehen325. Dieses Komitee besteht aus 24 Gouverneuren und tritt zweimal im Jahr zusammen326. Der Entwicklungsausschuss (DC) wurde im Jahr 1974 gegründet. Seine Aufgabe ist die gemeinsame Beratung über entwicklungspolitische Themen in Zusammenarbeit mit der Weltbank327. Auch das Entwicklungskomitee setzt sich aus 24 Repräsentanten zusammen. Es tritt in der Regel zweimal im 325 Das IMFC ist der Nachfolger des sogenannten Interimskomitees (löste im Jahr 1974 den sogenannten Zwanziger-Ausschuss ab), das im Jahr 1999 in das IMFC umgewandelt wurde. Ursprünglich beschäftigte sich das Committee mit den Auswirkungen des Ölpreisschocks, der Inflation und der Rezession der Weltwirtschaft. Heute ist seine Aufgabe die Überwachung und Fortentwicklung der internationalen Währungsordnung. Es analysiert die Geschäfte und unterbreitet Vorschläge zur Änderung des IWF-Übereinkommens. Es besteht aus 24 Vertretern. Davon stammen 11 Mitglieder aus Industrienationen und 11 Mitglieder aus Entwicklungsländern. Das IMFC kommt normalerweise zweimal im Jahr zu Konsultationen zusammen (im Frühjahr und im Herbst, zur Jahrestagung des Gouverneursrats). Weitere Mitglieder sind die Gouverneure jener Länder, welche auch im Exekutivdirektorium vertreten sind. Der Interimsausschuss hat lediglich eine Beratungsfunktion und dennoch ein erhebliches politisches Gewicht. Inzwischen hat er sich sogar zum eigentlichen politischen Lenkungsorgan des Fonds entwickelt. Er kann in einen Rat auf Ministerebene umgewandelt werden, wenn dies der Gouverneursrat mit 85 % aller Stimmen beschließt. Der Interimsausschuss hat maßgeblichen Anteil an der zweiten Änderung des IWF-Abkommens nach dem Zusammenbruch des Par-ValueSystems. 326 Dabei kam man überein, dass die Treffen der Mitglieder (Finanzmister und Vorsitzende der Zentralbanken der Länder) des Komitees durch ein Treffen ihrer Stellvertreter vorbereitet werden. Diese Entscheidung hat nach Ansicht von Francois Gianviti die Rolle des Exekutivdirektoriums geschwächt, The Reform of the International Monetary Fund (Conditionality and Surveillance), The International Lawyer, Vol. 34, No. 1, 2000, S. 115. 327 H.-J. Jarchow/P. Rühmann, Monetäre Außenwirtschaft II, S. 87.
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Jahr, zeitgleich mit dem Treffen des International Monetary and Financial Committees zusammen. e) Stab Der Stab des IWF bestand im Jahr 2015 aus 2600 Mitarbeitern328, die aus 147 Ländern kamen. Die USA stellen mit über 1.000 Mitarbeitern die meisten Ökonomen329. Der IWF-Stab ist in Funktions- und Gebietsabteilungen sowie entsprechenden Unterabteilungen organisiert. Diese entwerfen und kontrollieren die Kreditprogramme des IWF. Ihre Aufgaben sind die bi- und multilaterale Überwachung, die Durchführung der periodischen Artikel-IVKonsultationen mit den Mitgliedern, Diskussionen mit den Mitgliedern bezüglich der Verwendung von IWF-Mitteln, die Vorbereitung von Policy-Papieren, systemische und operative Forschung sowie technische Hilfestellungen330. Die Organisationshierarchie reicht vom Ökonomen über den Divisonsleiter bis zum Abteilungsleiter331. 4. Quoten Das System der Finanzleistungen des Fonds baut auf sogenannten Quoten auf, die für jeden Mitgliedstaat individuell festgelegt werden332. Nach der Länderquote richtet sich die Anzahl der Sonderziehungsrechte333, die jedem Mitgliedstaat anteilig eingeräumt werden. Die Quoten beeinflussen neben der Stimmengewichtung im Abstimmungsverfahren auch den Zugang eines Mitgliedstaates zu den Finanzreserven des Fonds. Die Länderquote eines Mitgliedstaates bestimmt die Kredithöhe aus den Finanzreserven des Allgemeinen Kontos des Fonds334. Art. III) IWF-Übereinkommen verpflichtet die Mitglie328 IMF, Factsheet, The IMF at a Glance, March 27, 2015; Paul Blustein hat in seiner Untersuchung festgestellt, dass der IWF-Stab im Wesentlichen aus angelsächsischen Elite-Universitäten, namentlich Harvard, Stanford, Massachusetts Institute of Technology (MIT), Chicago, Princeton, Oxford, Cambridge und London School of Economics (LSE) rekrutiert wird. Das Einstiegsgehalt lag im Jahr 2001 zwischen 63.000 und 100.000 US-Dollar, The Chastening. Inside the Crisis that Rocked the Global Financial System and Humbled the IMF, 2001, S. 19 ff.; vgl. auch Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 81. 329 Siehe L. van Houtven, Governance of the International Monetary Fund, S. 18. 330 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 81. 331 Ebenda. 332 Das auf Quoten basierende IWF-System war bereits Teil des ursprünglichen Bretton-Woods-Vertrags. Verändert haben sich sowohl die Länderquoten als auch deren Berechnungsgrundlage. 333 Sogenannte Special Drawing Rights (SDR). 334 Art. V Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen.
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der, eine Subskription335 bei der Hinterlegungsstelle des Fonds einzuzahlen und dort zu halten. Ihre Höhe entspricht der Quote des Mitgliedslandes. Die Höhe der Quote wird anhand einer mathematischen Formel errechnet, deren wichtigste Faktoren das Volkseinkommen, die Handels- und Leistungsbilanzen, die Devisenreserven und die Position des Landes in der Weltwirtschaft sind336. Sie spiegelt die relative Größe einer Volkswirtschaft im Verhältnis zu den anderen Mitgliedern wider. Neben der Wirtschaftsleistung soll insbesondere auch die Offenheit einer Volkswirtschaft eine maßgebende Bestimmungsgröße sein337. Die Quoten werden in regelmäßigen Abständen von fünf Jahren überprüft und gegebenenfalls angepasst338. Neumitglieder einigen sich mit dem Exekutivdirektorium auf eine bestimmte Quote, welche abschließend vom Gouverneursrat bestätigt wird339. Die bereits im Jahr 2010 beschlossene Reform der Quoten ist nach wie vor nicht in Kraft getreten, weil sich der US-Kongress bislang weigerte, diese zu ratifizieren340. a) Entscheidungspolitische Bedeutung der Quoten Nach Art. III Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen wird jedem Mitglied „eine in Sonderziehungsrechten ausgedrückte Quote zugeteilt“. Die Berechnung der Quoten, ein zentraler Baustein im System des IWF, hat weitreichende Bedeu335 Die Subskription ist ein vorher festgesetzter Betrag, welcher zu 75 Prozent in der Währung des Mitgliedslandes zu leisten ist. Die übrigen 25 Prozent waren ursprünglich in Gold zu hinterlegen. Diese Verpflichtung ist entfallen. 336 Näher zu den Gleichungssystemen bei der Ermittlung der Quoten und ihre Auswirkung auf die Entscheidungsstrukturen des Fonds S. Striffler, Zur Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF), Eine Public-Choice-Analyse der nationalen Stimmrechtsverteilung, S. 20 ff. 337 Dazu R. Wade/J. Vestergaard, NY Times vom 4. Februar 2014, The I.M.F. Needs a Reset, einzusehen unter http://www.nytimes.com/2014/02/05/opinion/theimf-needs-a-reset.html?_r=0. 338 Art. III, Abschnitt 2 IWF-Übereinkommen. 339 Gegenwärtig beansprucht insbesondere Brasilien eine stärkere Rolle innerhalb des IWF und hat sich längst bereit erklärt, den eigenen Kapitalanteil aufzustocken. Das Bruttoinlandsprodukt Brasiliens ist inzwischen größer als das britische, doch haben die Brasilianer nur einen Stimmanteil von 1,72 Prozent, während die Briten über 4,29 Prozent verfügen. Die Europäer und die USA jedoch „stemmen sich dagegen und ließen unter dem Druck der Staatsschuldenkrise zuletzt nur eine kleine Verschiebung der Stimmgewichte zu“. Aus dieser Situation heraus erkläre sich, dass sich Brasilien im IWF vehementer als andere Staaten gegen eine Ausweitung der Eurohilfen aussprach. Vgl. P. Sester, FAZ vom 6. Juli 2012, Missverständnisse und Stillstand in der deutsch-brasilianischen Wirtschaftspolitik. 340 Monatsbericht des Bundesministeriums der Finanzen vom 21. November 2014 zur IWF-Jahrestagung 2014 in Washington D.C.
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tung für die Rechte und Pflichten der Mitglieder, sie ist maßgebend für die Stimmgewichtung und damit für den politischen Einfluss auf die Beschlussfassung des Fonds341; denn gemäß Art. XII Abschnitt 5 c) IWF-Übereinkommen fasst der Fonds seine Beschlüsse zwar grundsätzlich nach der Mehrheitsregel342 also der Anzahl abgegebener Stimmen. Anders als beispielsweise in der UN-Vollversammlung oder beim Allgemeinen Rat der WTO gilt beim IWF (und bei der Weltbank) aber nicht das völkerrechtliche Prinzip „onecountry-one-vote“, bei dem allen Mitgliedstaaten das gleiche Stimmengewicht zusteht. Vielmehr wird das Stimmpotential der Mitglieder „gewogen“ (Prinzip des gewichteten Stimmrechts). Die Höhe der Quote und damit auch das Stimmgewicht berechnen sich nach der volkswirtschaftlichen Leistungskraft eines Staates. Damit hat sich beim IWF das Prinzip „one-dollar-one-vote“ durchgesetzt, bei welchem die Stimmrechte der Mitgliedstaaten von ihren Quoten, das heißt ihrem währungspolitischen Gewicht, besser: der Höhe der Kapitalzeichnung, und der Anzahl der Basisstimmen abhängig sind. Das Prinzip der Stimmengewichtung steht zwar im Widerspruch zum Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten; die Durchbrechung soll aber den (entsprechend ihrer Einlage) unterschiedlichen Haftungsrisiken343 der einzelnen Mitglieder Rechnung tragen und Beschlüsse zu Lasten der Hauptgeldgeber verhindern344. Dieses Beschlussverfahren sichert den wirtschaftlich potenten Industrieländern eine ständige Mehrheit in der Organisation345. Auf der Grund341 Das üblicherweise praktizierte Konsensprinzip soll bei Abstimmungen ausgleichend wirken; denn die Industriestaaten verfügen gegenüber den weniger entwickelten Staaten über eine Stimmenmehrheit. 342 Entscheidungen von besonderer Tragweite erfordern jedoch qualifizierte Mehrheiten von 70 % oder 85 % im Gouverneursrat, etwa zur Änderung der Quote (Art. 3 Abschnitt 2 c) IWF-Übereinkommen), zur Wiedereinführung fester Wechselkurse 85 % (Art. IV Abschnitt 4 IWF-Übereinkommen) zur Änderung des Vertrages oder des Wahlsystems selbst 85 % und 3/5 der Mitgliedstaaten (Art. XXVIII a) IWF-Übereinkommen) der Stimmen im Gouverneursrat oder im Exekutivdirektorium. 343 Das Prinzip der Stimmrechtsgewichtung nach Einlage, welches das Stimmrecht an den Kapital- und Haftungsanteil knüpft („money buys vote“), findet sich auch in den Bestimmungen zu den Kapitalgesellschaften, etwa § 47 Abs. 2 GmbHG oder § 134 AktG. 344 Zur Problematik unzureichender Repräsentation auch N. Woods/D. Lombardi, Uneven patterns of governance: how developing countries are represented in the IMF, 2006, S. 480 ff. 345 Hector Torres kritisiert, dass die Allocation der Quoten auf dem gegenwärtigen Wohlstandsniveau eines Mitgliedstaates basiert, welches aber nur von kurzfristiger Gültigkeit und mithin schnell überholt sei. Im Übrigen sei die Formel für die Ermittlung der Quoten undurchsichtig und kaum nachvollziehbar. Reforming the International Monetary Fund – Why its Legitimacy is at Stake, JIEL, 2007, S. 5 f. Ein System, in welchem die Ziehungskapazitäten eines Mitglieds von dessen Quoten abhängen, die Mitgliedstaaten mit den höchsten Quoten aber kaum je in die Verlegenheit geraten, Mittel zu beanspruchen, sei widersinnig. Torres folgert: „The current governance
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lage dieses Prinzips verwirklicht sich im IWF, was auch in anderen Organisationen, etwa dem UN-Sicherheitsrat vollzogen wurde, nämlich „eine Verdichtung von Kräfteverhältnissen im internationalen Raum“346. Der Gesamtwert des nationalen Stimmrechts setzt sich aus zwei Komponenten zusammen, einer fixen und einer variablen Stimmenanzahl, die von Land zu Land verschieden ist und von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes abhängt: Gemäß Art. XII Abschnitt 5 a) des IWF-Übereinkommens stehen jedem Mitglied, unabhängig von seiner Quote, 250 Basisstimmen zu. Dieser fixe Teil der Quote ist damit unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes. Er erhöht sich aber entsprechend der jeweiligen Quote des Landes um eine Stimme pro 100.000 Sonderziehungsrechte347. Die konkrete Anzahl der Stimmen ergibt sich aus einer „formelbasierten Berechnung, in welche Variablen wie das nationale BIP, der Bestand an Währungsreserven, sowie das Außenhandelsvolumen einer Volkswirtschaft Eingang finden“348. Sozioökonomische Faktoren, wie Bevölkerungswachstum und Pro-Kopf-Einkommen spielen bei der Ermittlung der Quote keine Rolle349. Deutschland verfügt zur Zeit über einen variablen Quotenanteil von etwa 13,008 Milliarden SZR350. Zusammen mit den 250 Basisstimmen verfügt Deutschland über insgesamt 130.330 Stimmen im Fonds, (14.565,5 Mio. SZR), was einem Anteil von 6,12 Prozent der Gesamtstimmen im IWF entspricht351. Im Vergleich dazu verfügt ein Land wie Indonesien mit 2.079,3 SZR über einen Stimmrechtsanteil von 0,87 Prozent352. Die USA sind mit structure of the Fund, beyond being inkonsistent with its multilateral nature, is dysfunctional to both [its surveillance and lending] roles“ (S. 17). 346 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 19. 347 H.-J. Jarchow/P. Rühmann, Monetäre Außenwirtschaft II, S. 88. 348 S. Striffler, Zur Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF), Eine Public-Choice-Analyse der nationalen Stimmrechtsverteilung, S. 9; „Die aktuelle Quotenformel ist ein gewichteter Durchschnitt aus BIP (50 Prozent Gewicht), Offenheit (30 Prozent), wirtschaftlicher Variabilität (15 Prozent) und internationalen Reserven (5 Prozent). Zu diesem Zweck wird das BIP durch eine BIP-Mischung gemessen: basierend auf Devisenkursen des Marktes (Gewichtung 60 Prozent) und auf KKPWechselkursen (40 Prozent). Die Formel umfasst auch einen „Kompressionsfaktor“, der die Dispersion in berechneten Quotenanteilen über die Mitglieder hinweg reduziert. Siehe IWF Jahresbericht 2014, S. 49. 349 So verfügt die Schweiz mit 7,8 Mio. Einwohnern über einen Stimmrechtsanteil von 1,61 Prozent, Indien mit 1,2 Mrd. Einwohnern über einen relativen Stimmrechtsanteil von 1,93 Prozent. Die Daten beruhen auf der Grundlage des Standes 06.01.2004. 350 Dies entspricht 130.080 Stimmen. 351 IWF, IMF Member’s Quotas and Voting Power, and IMF Board of Governors, 29. August 2015. 352 Ebenda.
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einer Quote von 17,68 Prozent353 das Land mit der höchsten Quote im Fonds. Damit besitzen sie als einziger Staat ein Vetorecht im Fonds, weil alle wesentlichen Beschlüsse eine Stimmenmehrheit von 85 % der gesamten Quote erfordern. Von den 186 Mitgliedern im Fonds zählen 154 Länder zu den Entwicklungs- und Transformationsländern, lediglich 30 Nationen gelten als Industriestaaten354. Die Gruppe der Industriestaaten verfügt mit 65,07 Prozent über zwei Drittel der Stimmrechte des Fonds. Dem stehen 33,5 Prozent Stimmrechte der übrigen 154 Entwicklungs- und Transformationsländer gegenüber. Die relative Stimmrechtsverteilung auf die Ländergruppen hat damit eine große Bedeutung. Die Stimmenformel und die assymetrische Stimmenverteilung sind in der Praxis in erster Linie ein Politikum, das in der Diskussion um Quotenänderungen regelmäßig zutage tritt355. b) Änderung und Überprüfung der Quoten Die Änderung der Quoten richtet sich nach Art. III Abschnitt 2 c) und d) IWF-Übereinkommen. Erforderlich ist eine 85-prozentige Stimmenmehrheit und eine Zustimmung des Landes, welches von der Quotenänderung betroffen ist. Die Quote soll zwar die relative Position eines Mitgliedstaates in der Weltwirtschaft repräsentieren, die Art und Weise der Quotenberechnung ist aber in den IWF-Statuten nicht explizit geregelt. (Auf der Gründungskonferenz in Bretton Woods wurden die Quoten der Gründungsmitglieder von den Ländervertretern mehr oder weniger frei ausgehandelt.) Die nationalen Quoten werden in regelmäßigen Abständen von mindestens fünf Jahren vom Gouverneursrat überprüft356. Ein Mitgliedsland kann aber jederzeit beim Exekutivdirektorium des Fonds eine Prüfung seiner Quote beantragen. Das Direktorium legt daraufhin das Anliegen dem Gouverneursrat vor, der in Beratung mit dem Mitgliedsland eine Entscheidung über die Quotenänderung trifft. Für eine solche Quotenänderung ist eine Mehrheit von 85 % der Stimmen erforderlich357. Ad-hoc-Anpassungen können jederzeit erfolgen, wenn sich Länder 353 Ebenda.
354 Länderklassifizierung nach World Economic Outlook (WEO)-Klassifizierung des IWF. 355 Dazu R. Wade/J. Vestergaard, NY Times vom 4. Februar 2014, The I.M.F. Needs a Reset, einzusehen unter http://www.nytimes.com/2014/02/05/opinion/theimf-needs-a-reset.html?_r=0. 356 Meist erfolgt diese Überprüfung im Rahmen einer allgemeinen Quotenüberprüfung. H.-J. Jarchow/P. Rühmann, Monetäre Außenwirtschaft II, S. 7. 357 Es wird zwischen äquiproportionaler, selektiver und ad-hoc Quotenänderung unterschieden. Erstere findet regelmäßig im Rahmen der allgemeinen Quotenüberprüfungen statt. Dabei setzt der Fonds die Quoten der Mitgliedsländer in gleichen Teilen
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nach Ansicht des IWF „out of line with their relative positions in the world economy“358 befinden. c) Finanzielle Bedeutung der Quoten Darüber hinaus ergibt sich aus der Quote auch die Subskriptionsverpflichtung eines Mitgliedstaates. Die Subskriptionen bilden als finanzielle Beiträge die Grundlage der Kapitalausstattung des Fonds. Jedes Mitglied hat zunächst 25 Prozent seiner Quote in Sonderziehungsrechten (SZR) oder konvertibler Währung, das heißt in „Reserveaktiva“359, in den Fonds einzuzahlen360. Dabei muss es sich um konvertible und für den IWF „annehmbare Währung(en)“ handeln361. 75 Prozent der Quote dürfen in der jeweiligen Landeswährung eingezahlt werden362. 5. Finanzierung Der IWF finanziert sich in erster Hinsicht aus Mitgliedsbeiträgen und den daraus erwirtschafteten Erträgen363. Die Höhe der Subskription eines Landes nach oben. Auf diese Weise erhöht sich lediglich die Quotensumme; der Quotenanteil eines Landes bleibt unberührt. Bei der selektiven Quotenänderung erfolgt eine relative Anpassung der Quoten. Dies geschieht entweder durch die Korrektur der relativen Quoten einzelner Mitglieder (dabei sind die erhöhten Quoten auf die Mitglieder zu verteilen) oder durch Veränderung der relativen Quoten aller Mitgliedstaaten (hierbei sind die Quoten nicht an alle Mitglieder zu verteilen). 358 IWF, Overview of the IMF as a Financial Institution, S. 3. 359 Reserveaktiva, welche der Fonds in Form von konvertiblen Währungen und Sonderziehungsrechten vorhält, sind gleichbedeutend mit der sogenannten „Reservetrancheposition“ eines Landes, auf die es jederzeit ohne besondere Bedingungen zurückgreifen kann. 360 „Eine effektive Zahlung in Landeswährung erfolgt bei Ziehungen anderer Länder beziehungsweise bei Abruf durch den IWF. […] Ob und in welcher Weise die IWFMitgliedsländer beziehungsweise deren Landeswährungen zur Finanzierung der Kreditvergabe des IWF herangezogen werden, ist im IWF-Übereinkommen und darüber hinausgehenden Richtlinien des Exekutivdirektoriums geregelt. Ausschlaggebend dafür, ob ein Mitgliedsland überhaupt als Geldgeber für das Währungsbudget (operational budget) in Betracht kommt, ist grundsätzlich eine ausreichend starke Zahlungsbilanz- und/ oder Reservelage. Dafür werden außenwirtschaftliche Indikatoren wie die Währungs reserven, die Leistungsbilanzsalden und externe Verschuldungsindikatoren herangezogen.“ Die Beziehungen Deutschlands zum Internationalen Währungsfonds nach Einführung des Euro, Deutsche Bundesbank Monatsbericht September 1999, S. 22. 361 H.-J. Jarchow/P. Rühmann, Monetäre Außenwirtschaft II, S. 88. 362 Quotenerhöhungen nach Art. II, Abschnitt 3 a IWF-Übereinkommen sind zu 25 % in Sonderziehungsrechten und zu 75 % in der Eigenwährung zu leisten. 363 IWF, Die Kreditvergabe des IWF, Informationsblatt, einzusehen unter https:// www.imf.org/external/np/exr/facts/deu/howlendd.htm.
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richtet sich gemäß Art. III Abschnitt 1 des IWF-Übereinkommens nach der Quote des Landes im IWF364. Mit der Schaffung neuer Sonderziehungsrechte kann der Fonds die eigenen Mittel aufstocken. Die neu geschaffenen Sonderziehungsrechte werden der Quote entsprechend den Mitgliedsländern zugeteilt365. Dieses Verfahren verschafft den Mitgliedstaaten mit den größten Quoten ein erhebliches politisches Einflusspotential. Der Fonds berechnet für Auszahlungen im Rahmen einer Bereitschaftskreditvereinbarung marktübliche Zinssätze, welche dem gewichteten Durchschnitt der Marktzinssätze kurzfristiger Instrumente auf den Kapitalmärkten von Frankreich, Deutschland, Japan, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten entspricht366. Die Höhe des Zinssatzes richtet sich nach dem Zinssatz, welcher an die Gläubiger gezahlt wird (Vergütungssatz). Darüber hinaus enthält er eine Marge für Aufstockungen der IWF-Reserven und zur Zahlung der Verwaltungskosten des Fonds367. Grundsätzlich kann der Fonds aus den Rücklagen, die viele Mitglieder mit weichen Währungen beim Fonds einzahlen, keinen wirtschaftlichen Nutzen ziehen. Daher stellt der Fonds den Mitgliedstaaten bankenähnliche Gebühren in Rechnung368. Daneben kann der Fonds auch selbst Kredite aufnehmen. Um seine Quotenbeiträge zu ergänzen, hat der Fonds mehrere Kreditvereinbarungen getroffen, insbesondere die im Jahr 1998 in Kraft getretenen sogenannten „Neuen Kreditvereinbarungen (NKV)“, in denen 25 Mitgliedstaaten dem Fonds im Im April 2013 billigte das Exekutivdirektorium für das Geschäftsjahr 2014 Nettoverwaltungsausgaben (Haushaltsausgaben insgesamt) in Höhe von 1.007 Mio. US$ sowie eine Grenze für Bruttoausgaben in Höhe von 1.227 Mio. US$ (IWF-Jahresbericht 2014, S. 68 f.). Thomas Riedel vergleicht das IWF-Jahresbudget mit dem wesentlich geringeren Haushalt der WTO und führt den Unterschied insbesondere auf die geringere Mitarbeiterzahl der WTO zurück. So hatte die WTO im Jahr 2006 etwa 600 Mitarbeiter, während dem IWF etwa 3.000 Mitarbeiter zur Verfügung standen. Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 144. Darüber hinaus hat der IWF noch die Möglichkeit, sich über zwei bestehende Kreditvereinbarungen Mittel zu verschaffen, was er aber seit einigen Jahren nicht mehr in Anspruch genommen hat. Eine Mittelbeschaffung über private Geldgeber ist ebenfalls möglich, wurde vom IWF aber bisher nicht beansprucht. 364 Die Sonderziehungsregelung des IWF folgte der ersten Vertragsänderung (First Amendment) im Jahr 1970. 365 Die letzten Zuteilungen fand 1970–1972 und 1979–1981 statt. 366 T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 88, Fn. 313. 367 IMF, Die Kreditvergabe des IWF, Informationsblatt, einzusehen unter https:// www.imf.org/external/np/exr/facts/deu/howlendd.htm. 368 Art. V Abschnitt 8 IWF-Übereinkommen.
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Bedarfsfall Kredite bis zu ca. 46 Milliarden US-Dollar (34 Milliarden SZR) zur Verfügung stellen. Die Mittel dienen dem Zweck „Beeinträchtigungen des internationalen Währungssystems zu verhindern oder zu bewältigen oder um eine außergewöhnliche Situation zu beheben, die die Stabilität dieses Systems gefährdet“369. Daneben kann der IWF auch auf Kredite in Höhe von ca. 23 Milliarden US-Dollar (17 Milliarden SZR) zu marktgestützten Zinssätzen im Rahmen der im Jahr 1962 mit 11 Industrieländern eingerichteten sogenannten „Allgemeinen Kreditvereinbarungen“ (AKV) zurückgreifen370. Im Übrigen ist der IWF einer der größten Inhaber von Goldreserven371. a) Sonderziehungsrechte Nachdem der Fonds in den fünfziger Jahren vornehmlich mit der Einführung des Paritätensystems beschäftigt gewesen war, entwickelte er in den sechziger und siebziger Jahren das System der Sonderziehungsrechte372, um den Bestand internationaler Liquidität sicherzustellen373. Sonderziehungsrechte dienen dem Fonds als „Recheneinheit in den Finanzbeziehungen zu seinen Mitgliedsländern“374. Rolf Knieper weist darauf hin, dass die Vereinbarung von festen Wechselkursen und Währungskonvertibilität „die Einrichtung eines Fonds nicht erfordert“ hätte. Bei den Beratungen zur Neuordnung des internationalen Währungssystems seien „weitaus anspruchsvollere Vorstellungen über internationale Währungskooperation entwickelt worden“375. Geschaffen werden sollte – zumindest nach den Vorstellungen Keynes’ – eine „internationale Währung, […] die den tatsächlichen gegenwärtigen Anforderungen des Welthandels“376 Rechnung tragen sollte. Nachdem das Bretton-Woods-Sys369 IWF, Die Allgemeinen Kreditvereinbarungen (AKV), Die Neuen Kreditvereinbarungen, Informationsblatt, 2000, einzusehen unter https://www.imf.org/external/np/ exr/facts/deu/gabnabd.htm. 370 Weitere 2 Milliarden US-Dollar Kreditvolumen stehen durch die assoziierte Kreditvereinbarung mit Saudi-Arabien zur Verfügung. 371 Gold in the IMF, IWF Factsheet vom 3. Oktober 2014, einzusehen unter https:// www.imf.org/external/np/exr/facts/gold.htm. 372 BGBl. 1968 II, 1225. 373 Nach Auffassung von Rolf Knieper ist dieses Ziel zu „nur marginaler Wirksamkeit gelangt“, Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 87. 374 Die Beziehungen Deutschlands zum Internationalen Währungsfonds nach Einführung des Euro, Deutsche Bundesbank Monatsbericht September 1999, S. 24. 375 R. Knieper, Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 92. 376 Text des Keynes-Plan; British Information Services I (c), zitiert in R. Knieper, Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 92.
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tem den Dollar auch rechtlich zum „Zentrum des Weltwährungssystems“ gemacht hatte377, einigte man sich mit den allgemeinen Ziehungsrechten auf einen Kompromiss, „der inhaltlich weitgehend den Quotenbestimmungen des US-Planes“ entsprach378. Die Sonderziehungsrechte wurden durch die am 28. Juli 1969 in Kraft getretene Änderung bestimmter Satzungsbestimmungen eingeführt379, formal gemäß Art. XVII) IWF-Übereinkommen. Mit der Schaffung der Sonderziehungsrechte wandelte sich der IWF „in eine zentralbankähnliche Institution, die zum ersten Mal in der internationalen Währungsgeschichte eine rationale Steuerung der internationalen Liquidität nach völkerrechtlich vereinbarten Regeln“380 anstrebte. Der IWF kann bei Liquiditätsproblemen eine anteilige Volumenerhöhung der Sonderziehungsrechte für alle Teilnehmer der Sonderziehungsrechtsabteilung beschließen381. Die Devisen für Kreditzusagen des Fonds stellen die jeweiligen Notenbanken bereit382. Die Sonderziehungsrechte bilden eine Währungseinheit383, in der alle Transaktionen und Berechnungen durchgeführt werden. Sie sind die offizielle internationale Währungsreserve384, welche der Fonds jederzeit zum aktuellen Tageskurs in andere nationale Währungen umtauscht. Ihr Wert wird täglich auf der Basis eines Währungskorbes ermittelt, in dem die fünf bedeutendsten Währungen, insbesondere US-Dollar, Euro, Yen und Pfund enthalten sind. Darüber hinaus werden nur frei konvertierbare Währungen385 in den Währungskorb aufgenommen386. Dadurch sind die Sonderziehungsrechte 377 R. Knieper,
Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 93. S 92. 379 Zuvor vom Gouverneursrat in Res. 23-5 vom 31. Mai 1968 gebilligt. 380 E. U. Petersmann, Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform, Wirtschaftliche Dynamik als Völkerrechtsproblem in der Praxis des Internationalen Währungsfonds, S. 463. 381 Art. XV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen. 382 Im Juli 2009 hat der IWF erstmals einer Rahmenvereinbarung zur Ausgabe von Anleihen zugestimmt, um seine Finanzmittel zu erhöhen. Die Anleihen mit einer Laufzeit von maximal fünf Jahren basieren auf den Sonderziehungsrechten des Fonds. Siehe NZZ Online vom 1. Juli 2009, Währungsfonds billigt Ausgabe von Anleihen. Im September 2009 hat etwa China den Kauf von IWF-Anleihen in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar zugesagt. 383 Am 5. März 2015 betrug der Euro-Gegenwert eines Sonderziehungsrechts 1,2612 Euro. 384 Art. VIII Abschnitt 7, XXII) IWF-Übereinkommen. 385 Daher stößt die Forderung, der chinesischen Währung „einen Weg zur Aufnahme in den Währungskorb hinter den Sonderziehungsrechten des IWF aufzuzeigen“, auf Widerstand. Siehe P. Welter FAZ vom 15. Oktober 2011, S. 13, Weltwährungsvisionen. 386 Für den Währungskorb kommen nur Währungen in Frage, die im allgemeinen Konto des IWF geführt werden. Die Sonderziehungsrechte waren nicht Bestandteil 378 Ebenda,
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weniger schwankungsanfällig als die einzelnen nationalen Währungen, ihre Verwendung ist aber auf Staaten beschränkt und nur den Teilnehmern der Sonderziehungsrechtsabteilung möglich387. Ihrem Wesen nach knüpfen sie damit an die keynesianische Idee des Bancors an und in diesem Sinne fordert insbesondere China die Aufwertung der Sonderziehungsrechte zu einer selbständigen internationalen Währung, letztlich um der Dominanz des US-Dollars entgegenzuwirken. b) Volumen der zur Verfügung stehenden IWF-Ressourcen Das individuelle Kreditlimit, auf das ein Staat bei Bedarf zurückgreifen darf, richtet sich grundsätzlich nach der Höhe der Quote des Mitgliedslandes. Ursprünglich durfte ein Land lediglich auf Mittel in Höhe seiner absoluten Quote (100 Prozent) zurückgreifen. Diese Tranche wurde jedoch als zu streng erachtet und auf grundsätzlich 300 Prozent, Anfang der achtziger Jahre sogar auf 600 Prozent der Quote angehoben. Im November 1992 wurden die Ziehungen wieder auf eine Obergrenze von 300 Prozent begrenzt. In der Eurokrise wurden diese Grenzen aufgegeben. So erhielt Griechenland im Rahmen des zweiten Rettungspaketes IWF-Mittel im Umfang von 2.400 Prozent der griechischen Anteilsquote am IWF, im Rahmen des ersten Rettungspaktes sogar im Umfang von 3.212 Prozent (dazu unten). Die Doppelfunktion der Quoten – nämlich sowohl als Maß für die Subskriptionspflichten eines Landes und zugleich als Maß für dessen Ziehungsrechte zu gelten – führt zu ökonomischen Widersprüchen; denn die Quote soll die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft, insbesondere dessen Fähigkeit, Fondsmittel zur Verfügung zu stellen, abbilden, begrenzt im Gleichschritt aber dessen Kreditlimit. Die Industrienationen mit den höchsten Quoten verfügen über umfangreiche Ziehungsrechte, die sie wegen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kaum benötigen. Die Entwicklungs- und Transformationsländer dagegen haben einen hohen potentiellen Bedarf an Ziehungsrechten, können aber wegen ihrer verhältnismäßig geringen Leistungsfähigkeit schwerlich finanzielle Beiträge an den Fonds leisten. Diesem Konflikt hat der IWF durch die Einführung von Fazilitäten, die nicht an ein quotenbezogenes Kreditlimit gebunden sind und deren Höhe vom Beschluss des IWF abhängig ist, entgegenzuwirken versucht388. des ursprünglichen Gründungsabkommens, sondern wurden erst durch die ersten und zweiten Ergänzungen des IWF-Übereinkommens eingeführt. Ursprünglich entsprach ein Sonderziehungsrecht 0,888671 Gramm Gold. 387 Durch den Ausschluss von Unternehmen und privaten Personen soll eine Spekulation auf den Währungsmärkten unterbunden werden. 388 Im Dezember 1997 wurde mit der „Supplemental Reserve Facility“ eine neue Kreditfazilität ins Leben gerufen. Dieser folgte im Jahr 1999 die „Contingent Credit
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6. Entscheidungsprozess innerhalb der IWF-Organe Das Entscheidungssystem innerhalb des IWF ist weder „proportional repräsentativ, noch nach dem Bild der Staatengleichheit verfasst“389. Zwar setzt sich der Gouverneursrat aus allen Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen, jedoch hat er sich weitgehend aus der Rolle des politischen Entscheidungsträgers zurückgezogen, indem er dem Exekutivdirektorium die Aufgabe übertragen hat, die Geschäftsgrundsätze der Konditionalität zu beschließen390. Im Rahmen der Geschäftsgrundsätze zur Konditionalität formuliert das Exekutivdirektorium die allgemeinen Anforderungen, welche das Exekutivdirektorium im Anschluss selbst kontrolliert und – im Fall von Zuwiderhandlungen – sanktioniert. Es befindet im Einzelfall auch über die Auflagen gegenüber einem Mitgliedstaat. Im Zuge dessen wird ihm ein weitgehender „Gestaltungsspielraum“ zugestanden391. Durch die im Oktober 2010 beschlossene Reform der Stimmrechte (die aufgrund der Blockierung des US-Kongresses noch nicht in Kraft getreten ist) würde nach Ansicht des damaligen geschäftsführenden Direktors StraussKahn die demokratische Legitimation des Fonds verbessert werden, weil künftig alle Mitglieder des Exekutivdirektoriums gewählt werden392. Bislang waren die fünf größten Anteilseigner – USA, Japan, Deutschland, das VereiLine“. Dazu S. Fischer, Strengthening Crisis Prevention: The Role of Contingent Credit Lines, Rede vom 15. November 2000, einzusehen unter https://www.imf.org/external/np/speeches/2000/111500.htm. 389 BVerfGE 89, 155, (271). 390 Jens Weidmann (Präsident der Deutschen Bundesbank und damit Vertreter Deutschlands im IWF-Gouverneursrat) befürchtet, dass die viel beschworene Unabhängigkeit der Bundesbank ausgehebelt wird, wenn es um die Ressourcenaufstockung des Internationalen Währungsfonds geht (siehe Manager Magazin vom 14. Dezember 2012, Bundesbank droht mit Nein zum IWF-Kredit, einzusehen unter http://www. manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/0,2828,803676,00.html). Diese Sorge scheint nicht unberechtigt; denn die Bundesbank ist durch das IWF-Gesetz gezwungen, ihre Tätigkeit und damit ihr Abstimmungsverhalten einvernehmlich mit der Bundesregierung auszuüben: „(1) Der Gouverneur sowie das Mitglied im Rat auf Ministerebene üben ihre Tätigkeit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen aus, der das Benehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie herstellt. (2) Die sonstigen Erklärungsberechtigten im Gouverneursrat und im Rat auf Ministerebene sowie die Erklärungsberechtigten im Exekutivdirektorium handeln auf Weisungen des Bundesministeriums der Finanzen.“ Gesetz zu dem Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds/IWF-Gesetz in der Fassung von 1976, Art. 6. 391 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 152. 392 P. Welter FAZ vom 27. Oktober 2010, Laufbursche der G 20; zu den Änderungen im Einzelnen FAZ vom 25. Oktober 2010, Der Währungsfonds wird umgebaut und gestärkt.
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nigte Königreich und Frankreich – als feste Mitglieder des Direktoriums gesetzt393. Die mit der Reform erforderliche allgemeine Wahl der Direktoren wird mutmaßlich dazu führen, dass im Vorfeld der Wahl informelle Kompromisse unter den Mitgliedern ausgehandelt werden394. Die USA behalten mit einem Stimmenanteil von über 15 Prozent ihre Sperrminorität. a) IWF-internes Verfahren der Erkenntnis und der Willensbildung Das Erkenntnisverfahren ist auch in internationalen Organisationen das substantielle Legitimationselement und deshalb kommt der Frage, wie der IWF Erkenntnisse gewinnt, das heißt, wie er sich innerhalb seiner spezifischen Organisationsstruktur über die ökonomischen Zusammenhänge verständigt, Informationen sammelt, austauscht und Entscheidungen trifft, große Bedeutung zu. b) Länderberichte Ein direkter Austausch zwischen dem IWF und den einzelnen Mitgliedstaaten findet regelmäßig im Rahmen der sogenannten „staff missions“ statt395. Auf Seiten des IWF nehmen an diesen Missionen der „area department desk officer“ und der für das Mitglied verantwortliche „division chief“ teil. Begleitet werden sie von Vertretern der jeweiligen Fachbereiche des IWF396. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die länderspezifischen Aspekte, die innerhalb der „area departments“ erarbeitet werden, mit 393 Im Jahr 2010 hatten im Exekutivdirektorium auch China, Saudi-Arabien und Russland einen eigenen Direktor, der aber gewählt worden war. Die anderen Länder teilten sich in Stimmrechtsgruppen 16 Sitze. 394 Die umstrittene Sitzverteilung wurde so gelöst, dass zwei entwickelte europäische Industriestaaten ihren Sitz zugunsten von Schwellen- und Entwicklungsländern abgeben. Zugleich blieb aber die Zahl der Sitze im Exekutivdirektorium auf 24 beschränkt. Damit setzen sich die Europäer gegen die Forderung der USA durch, die eine Verringerung der Sitze auf 20 gefordert hatten. Dafür kamen die Europäer den Bedenken der Vereinigten Staaten entgegen, wonach die im Exekutivrat vertretenen Stimmrechtsgruppen künftig zwar nur einen Vorsitz aber zwei Vertreter haben sollen. Siehe FAZ vom 25. Oktober 2010, Der Währungsfonds wird umgebaut und gestärkt. 395 Bedeutsam für den IWF ist regelmäßig auch die Jahreskonferenz der Mitglieder in Washington, bei welcher die Finanzminister und zuständigen Staatssekretäre der Mitgliedstaaten zusammenkommen. Daneben sind in der Praxis auch die G20-Treffen wichtig, weil sich die Hauptanteilseigner des IWF dort regelmäßig über aktuelle Fragen abstimmen. 396 R. Harper, Inside the IMF: An Ethnograph of Dokuments, Technology, and Organizational Action, 1998, S. 108; dort insbesondere zur Entwicklung der Länderberichte nach Artikel IV sowie der Artikel-IV-Missionen (Kapitel „Arcadia“).
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der allgemeinen technischen Expertise der Fachbereiche kombiniert werden397. Die IWF-Vertreter treffen im Rahmen dieser Missionen in der Regel mit Regierungsbeamten oder anderen Interessenvertretern zusammen. Der IWF-Bericht zu einer Länder-Mission berichtet über die gegenwärtigen Politiken des Staates im Einzelnen. Die Vorhaben werden in einem kurzen historischen Kontext beschrieben und bewertet. Häufig enthalten sie eine Erklärung der politischen Motive sowie Einschätzungen zu der Frage, in welchem Umfang die Verantwortlichen mit dem IWF zu kooperieren bereit sind398. Sie werden von den beteiligten IWF-Akteuren aus dem „area department“, der Fachabteilung und dem IWF-Management bearbeitet und entlang der „chain of command“ dem Exekutiv-Direktorium vorgelegt. In der Diskussion der Exekutiv-Direktoren sind die Länderberichte ausschlaggebend und darum entfalten sie nach außen besondere Autorität399. Die Länderberichte sind weitgehend standardisiert400. Das erleichtert die Transparenz und Analyse von spezifischen Problemen in einem Mitgliedstaat. Bei der Lösung kann dann auf bewährte Methoden zurückgegriffen werden401 und wesentlich effizienter vorgegangen werden als bei aufwendigen Einzelfalluntersuchungen, die der Besonderheit eines jeden Falles Rechnung tragen. Von einer Gleichbehandlung der Mitglieder nach einem einheitlichen IWF-Ansatz verspricht sich der Fonds auch, dass die Maßnahmen von den betroffenen Mitgliedern als „fair and even-handed“ angesehen und daher besser akzeptiert werden402. 397 A. Broome, The Currency of Power – The IMF and Monetary Reform in Central Asia, 2010, S. 35. 398 Ebenda, S. 37 f. 399 Ebenda, S. 39. 400 B. Momani, Limits on streamlining Fund conditionality: the International Monetary Fund’s organizational culture, JIRD, Vol. 8, Nr. 2, June 2005, S. 142 ff.; I. Clark, Should the IMF Become More Adaptive?, IMF Working Papers, Nr. 96/17, 1996, S. 177. 401 A. Broome, The Currency of Power – The IMF and Monetary Reform in Central Asia, S. 36. 402 Mit diesem Argument beansprucht der IWF eine „prozedurale Legitimität“ („procedural legitimacy“). Siehe C. Cottarelli, Efficiency and Legitimacy: Trade-Offs in IMF Governance, IMF WP WP/05/07, 2005, S. 19. Eine solche Gleichbehandlung in der Praxis wird von Bessma Momani in Abrede gestellt. Die Erfahrung zeige, dass die Mitglieder insbesondere im Rahmen der politic surveillance durch den Fonds sehr unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, ob sie in die Schuldner- oder Gläubigerkategorie fallen, American Politicization of the International Monetary Fund, S. 895 ff.; A. Broome/L. Seabrooke, Seeing like the IMF: institutional change in small open economies, in: Review of International Political Economy 14, 4, 2007, S. 576 ff.; N. Woods/D. Lombardi, The politics of influence: an analysis of IMF surveillance, 2008, S. 709 ff.
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In der Literatur wird aber beklagt, dass bei der Anwendung von abstrakten, interpretationsoffenen Wirtschaftstheorien häufig der Praxisbezug zur spezifischen Lage des betroffenen Mitglieds verloren geht403. Auf diese Weise werde der besondere Kontext zwischen einem Mitgliedstaat und seinen Handelspartnern zu wenig berücksichtigt. Zwar mögen standardisierte Lösungen die betriebliche Effektivität des IWF steigern, vernachlässigten aber den Einfluss von außerordentlichen Faktoren. Wenn die besonderen Umstände des Mitgliedstaates keine hinreichende Berücksichtigung finden, werden die Maßnahmen nur unwillig und kaum effektiv umgesetzt. Außerdem gehe die besondere Kompetenz der Fachleute zur Berücksichtigung von Einzelfällen durch die Weitergabe von Standardberichten an höhere Instanzen verloren. Aus einer Einzelfallbeurteilung werde ein Standardfall, in welchem die besonderen Einflussfaktoren kaum mehr sichtbar würden. Entscheidend für den Erfolg der IWF-Empfehlungen ist auch nach Ansicht von Leonard Seabrooke ein länderspezifisches Verständnis für die Besonderheiten jedes einzelnen Mitgliedstaates, das „maßgeschneiderte Lösungen“ erfordere404. Auf diese Weise werde die Legitimation der IWF-Maßnahmen gesteigert405. André Broome stellt in seiner Untersuchung des Erkenntnisprozesses von Analysen auf die IWF-interne Meinungsbildung der IWF-Mitarbeiter ab. Die Auswertung von Mitarbeiter-Gesprächen und einschlägigen Dokumenten zeigten, dass einzelne Mitarbeiter, die beim IWF eingestellt werden, rasch zu einem „technocratic and intellectually homogenous approach to economic policy“ erzogen werden. Diese Art fachlicher Sozialisation fördere eine eher einseitige Einsicht darüber, „wie sich nationale Volkswirtschaften entwickeln und wie sie sich entwickeln sollten“406. Nach Broomes Untersuchung, fördere die formale organisatorische Struktur des IWF die „intellektuelle Angepaßtheit“ („intellectual conformity“)407. So würden Mitarbeiter ein wesentlich geringeres Risiko eingehen, für ein späteres Scheitern ihrer Vorschläge ver403 N. Woods, The Globalizers: The IMF, the World Bank, and their Borrowers, 2006, S. 54 f.; kritisch auch B. Momani, IMF staff: Missing link in fund reform proposals, in: The Review of International Organizations, A. Dreher (Hrsg.), 2007, S. 39 ff.; M. Kahler, Internal Governance and IMF Performance, in: Reforming the IMF for the 21st Century, 2006. 404 A. Broome, The Currency of Power – The IMF and Monetary Reform in Central Asia, S. 35. 405 L. Seabrooke, Legitimacy Gaps in the World Economy: Explaining the Sources of the IMF’s Legitimacy Crisis, 2007, S. 250 ff.; M. Beesona/A. Broome, Watching from the sidelines? The decline of the IMF’s crisis management role, 2008. 406 A. Broome, The Currency of Power – The IMF and Monetary Reform in Central Asia, S. 35. 407 Ebenda.
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antwortlich gemacht zu werden, wenn sie die überkommenen IWF-Überzeugungen weiterhin in der Praxis umsetzten408. Diese Übereinstimmung in den wirtschaftspolitischen Überzeugungen unter den IWF-Mitarbeitern erlaube es dem Fonds, seine Maßnahmen als sachgerechte Anwendung der universalen Regeln vernünftiger Wirtschaftspolitik („objective application of universal rules for sound economic management“) weiterzuempfehlen409. Christian Kellermann erkennt in der ökonomischen Ausrichtung des IWFMitarbeiterstabes, in ihrer Ausbildung und Rekrutierung sowie ihrer Fortbildung in den IWF-Instituten ein „institutionalisiertes reproduktives Fundament für den technokratischen Charakter des Fonds“410. Weil die Führungsstruktur des Fonds weitgehend politisch beeinflusst sei, komme es häufig zu Spannungen zwischen dem Stab und der IWF-Führung411. Kellermann kommt zu dem Ergebnis, dass „der Einfluss des Stabes auf die Initiierung einer Policy“ eng begrenzt ist und sich im Wesentlichen auf deren Ausführung beschränkt412. c) Kreditbewilligungsverfahren Die Erkenntnisse des Fonds zur wirtschaftlichen Situation der einzelnen Mitgliedstaaten werden insbesondere durch den internen Verfahrensablauf und seine „technokratische“413 Organisation geprägt. Diese folgt einer „clear hierarchical chain of command“ mit einem „set of internal review procedures“414. So werden die „area departments“, welche für das einzelne Mitglied verantwortlich sind, von einigen anderen Departments kontrolliert um sicherzustellen, „that their policy dialogue with member states takes place within the framework of a „single corporate line“ presented by the IMF“415. Sowohl vor als auch nach einer Mission zu den Mitgliedstaaten entwirft der Missionsverantwortliche Empfehlungen, welche den jeweiligen Fachabteilungen des Fonds vorzulegen sind416. Dort werden Hinweise und 408 Auf diese Weise werde ihre Karriere innerhalb des IWF nicht gefährdet. N. Woods, The Globalizers: the IMF, the World Bank, and Their Borrowers, S. 63. 409 M. Barnett/M. Finnemore, Rules for the World: International Organizations in Global Politics, 2004, S. 68 f. 410 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 82. 411 R. Leiteritz, Ideas, Interests, and Power: The International Monetary Fund and Capital Account Liberalisation in the 1990s, 2004. 412 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 84. 413 Ebenda, S. 82. 414 A. Broome, The Currency of Power – The IMF and Monetary Reform in Central Asia, S. 37. 415 Ebenda, S. 36; M. Breen, The Politics of IMF Lending. 416 A. Broome, The Currency of Power – The IMF and Monetary Reform in Central Asia, S. 36.
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Korrekturen eingearbeitet. Die bearbeiteten Dokumente werden daraufhin an den „area department director“ weitergeleitet und schließlich vom IWF-Management freigegeben. Das Verfahren, nach welchem der IWF zu Erkenntnissen zu den einzelnen Mitgliedstaaten und Empfehlungen an diese gelangt, beschreibt André Broome als „Weisungskette“ („chain of command“417): IWF-Executive Board → IWF-Management → Functional Departments → Area Department Director → Area Department Division Chief → Country Desk Instiutional Memory (Member State Information and Resident Representative (where applicable)). d) Stab Die richtungsweisenden Entscheidungen werden vom Exekutivdirektorium innerhalb des Internationalen Währungsfonds und im Rahmen des Finanzausschusses (IMFC) getroffen418. Bei der Ausarbeitung der Kreditprogramme kommt dem Stab des IWF maßgebende Bedeutung zu. Der Stab ist, wie oben dargestellt, in Funktions- und Gebietsabteilungen sowie jeweilige Unterabteilungen gegliedert, welche die Überwachungs- und Finanzierungsaufgaben des IWF wahrnehmen. Die Aufgaben des IWF-Stabes sind bi- und multilaterale Überwachung, die periodische Übernahme der Artikel-IV-Konsultationen mit den einzelnen Mitgliedern, Diskussionen mit den Mitgliedern bezüglich der Verwendung der IWF-Mittel, die Vorbereitung von Policy-Papieren, systemische und operative Forschung sowie technische Hilfestellungen419. Der Stab ist streng hierarchisch organisiert420. Seine Struktur erlaubt schwerlich eigene Initiativen und lässt abweichenden Meinungen innerhalb des Fonds wenig Raum421. Die Kontrolle darüber, welche Meinungen des Fonds nach außen getragen werden, führt das „Policy Development and Review Department“ 417 Siehe dazu die Darstellung in A. Broome, The Currency of Power – The IMF and Monetary Reform in Central Asia, S. 38, Figure 1.4: Generating IMF Country Knowledge. 418 Zur technokratischen Struktur der IWF-Entscheidungsgremien siehe Schaubild 4 bei Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 83. 419 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 80. 420 „The staff is a tightly stuctured, hierarchic, and homogeneous meritocracy.“ L. van Houtven, Governance of the IMF, S. 18. Aus diesem Grund seien die Karrierewege langfristig. Vor dem Erreichen des 40. Lebensjahres sei es „im Grunde unmöglich, eine Mission zu leiten. Paul Blustein resümiert: „The result is a staff headed mainly by people who have worked at the IMF for two decades or even longer.“, The Chastening, Inside the Crisis that Rocked the Global Financial System and Humbled the IMF, S. 27. 421 P. Blustein, The Chastening, Inside the Crisis that Rocked the Global Financial System and Humbled the IMF, S. 28.
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(PDR). Leo van Houtven bezeichnet diesen Prozess als das „Ausbügeln von Meinungsverschiedenheiten“ („ironing out differences“)422, Paul Blustein spricht gar von „Gedanken-Polizei“ (thought-police)423. In den Entscheidungsgremien ist der Einfluss abweichender Meinungen demzufolge eng begrenzt. Im „Policy Development and Review Department“ (PDR) wird der Entwurf der Programme mit vorangegangenen Programmen verglichen und auf Übereinstimmung mit der bisherigen Auflagenpolitik überprüft, bevor er dem Geschäftsführenden Direktor und später dem Exekutivdirektorium vorgelegt wird424. e) Interpretationsbefugnis des Fonds Rechtsetzende Auslegungsentscheidungen trifft der IWF in Form von formellen oder informellen Entscheidungen425. Die informellen Entscheidungen des IWF werden in der Regel im Modus von Richtlinien oder Grundsatzentscheidungen getroffen und sind „in der Praxis ein wichtiges Instrument zur Auslegung“ des Vertragstextes426. Eine Besonderheit in diesem Zusammenhang regelt Art. XXIX IWF-Übereinkommen. Er betrifft die Auslegung des Vertragstextes und bestimmt, dass der Gouverneursrat und das Exekutivdirektorium die alleinige Interpretationskompetenz haben. Einem Mitgliedstaat ist es verwehrt, eine nationale gerichtliche Instanz in einer Auslegungsfrage anzurufen427. Die alleinige Interpretationskompetenz führt in der Praxis zu einer „Interpretationsherrschaft“428 durch den Fonds. In der Literatur wird kritisiert, dass dieses Entscheidungsverfahren gegen den auch im Völkerrecht geltenden Grundsatz nemo iudex in re sua verstößt429. Die Auslegungsmacht des Fonds 422 L. van
Houtven, Governance of the International Monetary Fund, S. 18. The Chastening, Inside the Crisis that Rocked the Global Financial System and Humbled the IMF, S. 28. 424 Trifft das Programm beim Executive Board auf Widerspruch, so verfasst es ein „Memorandum für die konkreten Letter of Intent, welches dann richtungsweisend für künftige Missionen ist“. Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 82. 425 Zur Auslegung des IWF-Übereinkommens: B. Steinhauer, Die Auslegung, Kontrolle und Durchsetzung mitgliedstaatlicher Pflichten im Recht des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Gemeinschaft, S. 91. 426 T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 145. 427 E. Denters, Law and Policy of IMF Conditionality, 1996, S. 18 f. 428 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 276. 429 Kritisch zur „Interpretationsherrschaft“ über den Inhalt der IWF-Statuten nach Art. XXIX IWF-Übereinkommen Rolf Knieper: Dem Chef-Juristen des IWF komme 423 P. Blustein,
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beruht zwar insofern auf einer Legitimation, als die Mitgliedstaaten über ein ihrer Quote entsprechendes Mitspracherecht an den Entscheidungen des Fonds besitzen. Die Stimmengewichtung innerhalb des Fonds ist zwar aus Gründen der Funktionalität und Haftung gerechtfertigt, kann darüber hinaus aber kein Rechtfertigungsgrund für die Interpretationsbefugnis des IWF darstellen. Die Befugnis zur Interpretation von Rechtsfragen entspricht einer Entscheidungsinstanz, die regelmäßig nach dem Prinzip der Gewaltenteilung von Gerichten oder Schlichtungs- bzw. Streitbeilegungsinstanzen wahrgenommen wird. Typisch für diese Entscheidungsinstanzen ist, dass sie institutionell unparteiisch sind. Dies ist gerade nicht gewährleistet, wenn der IWF, welcher in Streitfragen mit (kleineren) Mitgliedstaaten häufig selbst Partei ist, die alleinige Befugnis zur Interpretation der umstrittenen Rechtsfragen hat. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der IWF weder über wirksame interne Kontrollstrukturen verfügt noch äußeren Kontrollinstanzen unterworfen ist430. f) Der Einfluss der Mitgliedstaaten auf den IWF In der Literatur sind sowohl das Bezugssystem („intellectual frameworks“) als auch die Organisationsstruktur („organizational norms“), innerhalb deren der IWF seine politische Erkenntnis gewinnt und Empfehlungen an die Mitglieder ausspricht, eingehend untersucht worden431. Grundsätzlich ist der IWF bei der Vergabe seiner Mittel allein an die im IWF-Übereinkommen formulierten ökonomischen Kriterien gebunden432. In der Literatur wird vielfach der Frage nachgegangen, wie sich insbesondere der Einfluss der USA auf den Fonds auswirkt433. Die USA als größter mit seiner Kommentierung der Statuten „praktisch eine ex-cathedra-Funktion“ zu. R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 276; kritisch auch T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 68 ff. 430 In diesem Sinne sei der IWF „one decade behind“ B. Ghazi, The IMF, the World Bank Group and the Question of Human Rights, 2004, S. 213 ff., 240. 431 Siehe dazu A. Broome, The Currency of Power – The IMF and Monetary Reform in Central Asia, S. 34 ff. 432 „The IMF’s stated decision-making procedures prohibit the consideration of political factors. Loans are made strictly on the basis of the monetarist „Financial Programming“ model and a „Doctrine of Economic Neutrality“ that is blind to such factors as international politics and the nature of developing country regimes.“ S. Thacker, The High Politics of IMF Lending, 1999, S. 40; dort mit Bezug auf Ch. Payer, The Debt Trap: The International Monetary Fund and the Third World, 1974; R. Swedberg, The Doctrine of Economic Neutrality of the IMF and the World Bank, 1986, S. 377 ff. 433 Siehe dazu P. Blustein, The Chastening: Inside the Crisis that Rocked the Global Financial System and Humbled the IMF; vgl. auch R. Stone: „[…] autonomy can
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Anteilseigner kontrollieren 16,75 Prozent der Stimmen im IWF (Stand 2015). Weil die bedeutenden Entscheidungen eine Stimmenmehrheit von 85 Prozent erfordern, haben die USA, wie bereits erörtert, ein Vetorecht. Entscheidungen werden in aller Regel nicht durch Abstimmungen getroffen, sondern durch Feststellung des Konsenses. Abweichende Meinungen können zwar offen und individuell geäußert werden, gehen aber im Konsensverfahren unter. Auch der Geschäftsführende Direktor handelt nur in Ausnahmefällen entgegen dem Willen der USA, zumal den USA auch ein Vetorecht über die Ernennung und Abberufung des Geschäftsführenden Direktors zusteht434. Tony Killick hat eine Vielzahl von Fällen untersucht, in welchen der IWF Mittel bewilligt und dabei festgestellt, dass häufig einflussreiche Fondsmitglieder aus politischen Gründen zu Gunsten des betroffenen Staates votiert hatten435. Strom Thacker weist eine massive Einflussnahme der USA nach. Er geht der Frage nach, ob sich ein Zusammenhang zwischen dem Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen und der Neigung des IWF, dem Land finanzielle Hilfen zu gewähren, beobachten lässt436. Dabei stellte er fest, dass Länder, die sich in ihrem Abstimmungsverhalten ähnlich wie die USA verhalten, statistisch häufiger IWF-Mittel zugesprochen bekommen als Länder, die sich bei Abstimmungen den USA entgegenstellt hatten437. be revoked when the United States exercises its informal influence over the process of program design. This intervention distorts the application of conditionality and contributes to the IMF’s credibility problems.“ The Scope of IMF Conditionality, 2008, S. 616. 434 S. Thacker, The High Politics of IMF Lending, S. 41; M. Kahler, The United States and the International Monetary Fund: Declining Influence or Declining Interest?, in: M. Karns/K. Mingst (Hrsg.), The United States and Multilateral Institutions: Patterns of Changing Instrumentality and Influence, 1990, S. 91 ff. 435 T. Killick, IMF Programs in Developing Countries, 1997, S. 118 f. Die Untersuchung von Kendall Stiles bestätigt den Befund und gelangt zu der Erkenntnis, dass sich in sechs von sieben Fällen eine externe Einflussnahme aus politischen Interessen auf die Fondsentscheidung feststellen lasse, Negotiating Debt: The IMF Lending Process, 1991; dazu kritisch James Vreeland, der auch den größeren Studien vorwirft, dass sich nicht nachvollziehen lasse, wie systematisch das Muster der politischen Einflussnahme sei. Im Übrigen würden die Studien allein solche Länder betrachten, welche tatsächlich IWF-Mittel im Rahmen eines IWF-Programms erhalten hätten. Dies lasse die Frage offen, ob z. B. die USA möglicherweise in anderen Fällen, in welchen der IWF keine Kredite gewährte, vergeblich versuchten, auf den IWF Einfluss zu nehmen, The International Monetary Fund – Politics of Conditional Lending, S. 42. 436 S. Thacker, The High Politics of IMF Lending, S. 41; diesen Befund bestätigen auch die jüngeren Untersuchungen von Graham Bird und Dane Rowlands, IMF Lending: How is it affected by Economic, Political and Institutional Factors?, Journal of Policy Reform, No. 4, 2001, S. 243 ff. 437 Strom Thacker bezog allein diejenigen UN-Abstimmungen in die Untersuchung ein, welche vom US State Department als sogenannte „key votes“ bezeichnet
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Auch eine Vielzahl weiterer Untersuchungen legt nahe, dass die Vergabe von IWF-Mitteln mit US-amerikanischen Interessen korrespondiert438. Randall Stone hat den Zusammenhang zwischen der US-Entwicklungshilfe und IWF-Sanktionen für nicht eingehaltene Konditionen untersucht439. Dabei geht Stone von der Vermutung aus, dass sich aus der Höhe des Betrages, welchen ein Land zur Entwicklungshilfe erhält, eine Aussage treffen lässt, wie politisch bedeutend der Staat für die Interessen der USA sei. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass Länder, welche durch US-amerikanische Entwicklungshilfeleistungen begünstigt werden, mit großer Wahrscheinlichkeit auch günstige Entscheidungen vom IWF erwarten dürfen. Insgesamt sieht Stone die Vermutung bestätigt, dass die Vereinigten Staaten zwar über keine absolute Stimmenmehrheit im IWF verfügen aber dennoch „indeed call the shots at the IMF“440. Axel Dreher führt den Nachweis, dass politische Partner der USA in IWF-Programmen mit geringeren Auflagen rechnen dürfen441. Eine weitere Studie kam zu dem Ergebnis, dass die IWF-Kreditprogramme als „bribes and rewards“ für Staaten verwendet werden, die sich in der Generalversammlung der Vereinten Nationen dem Stimmverhalten der wurden, Entscheidungen also, welche für die Vereinigten Staaten für besonderes bedeutsam eingestuft wurden. 438 Bessma Momani hat untersucht, welche afrikanischen Staaten während des Kalten Krieges vom IWF unterstützt wurden. Dabei stellte er einen signifikanten Unterscheid zwischen solchen Staaten fest, die auf amerikanischer Seite standen (zum Beispiel Zaire) und jenen Staaten, die dem sowjetischen Einflussbereich zugerechnet wurden (zum Beispiel Angola), American Politicization of the International Monetary Fund, 2004, S. 880 ff.; ebenda zum Fall der Finanzhilfen des IWF gegenüber Ägypten in den Jahren 1987–1991, welche den Machtanspruch des ägyptischen Präsidenten Mubarak sicherte; ebenda zum Fall Pakistans, welches im Dezember 2001 einen insbesondere in der Höhe auffälligen IWF-Kredit erhielt, möglicherweise als Gegenleistung für die Kooperation mit dem amerikanischen Militäreinsatz in Afghanistan, ders., The IMF, the US War on Terrorism, and Pakistan, S. 41 ff.; dazu kritisch J. Vreeland, The International Monetary Fund – Politics of conditional lending, S. 41 f.; zur Einflussnahme der Hauptanteilseigner des Fonds M. Breen, The Politics of IMF Lending, 2013. 439 R. Stone, Lending Credibility in Africa, 2004, S. 577 ff.; ders., Lending Credibility: The International Monetary Fund and the Post-Communist Transition, 2002. Beiden Studien, die Randall Stone über den Zusammenhang von US-Entwicklungshilfe und IWF-Bestrafung unternommen hat (sowohl über die ehemaligen OstblockStaaten als auch über afrikanische Staaten) bestätigen die Hypothese, dass je mehr Entwicklungshilfe ein Land von den USA erhält, desto geringer ist die Dauer der Bestrafung, welcher ein Land für die Nichteinhaltung der Konditionalität des IWF entgegensieht. 440 R. Stone, Lending Credibility: The International Monetary Fund and the PostCommunist Transition, S. 62. 441 A. Dreher/N. Jensen, Independent Actor or Agent? An Empirical Analysis of the Impact of US Interests on IMF Conditions, JLE 50, No. 1, 2007.
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mächtigsten IWF-Mitgliedstaaten USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien anschlossen442. Lawrence Broz und Michael Hawes untersuchen die Abstimmungen im amerikanischen Kongress in den Jahren 1983 und 1998 zur Frage einer IWFQuotenerhöhung mit dem Ziel einer besseren Finanzausstattung des IWF443. Dabei stellen sie einen Zusammenhang zwischen dem Abstimmungsverhalten der Abgeordneten und den Präferenzen der größten Wahlkampf-Spender fest. Abgeordnete, die Wahlkampfspenden von Unternehmen wie der Citibank erhalten hatten, stimmten weit häufiger für eine Erhöhung der Quoten444. Dies ist insofern erklärlich, als Banken, die internationale Investitionen getätigt hatten, wie die Citibank, J. P. Morgan Chase, Bank of America, Citicorp, First Chicago und Bankers Trust, ein evidentes Interesse daran haben, dass der IWF den Schuldnerstaaten Mittel zur Verfügung stellt. Je stärker sich der IWF in den Schuldnerstaaten engagieren kann, desto geringer ist das Risiko eines Zahlungsausfalls für die privaten Banken. 442 A. Dreher/J.-E. Sturm, Do IMF and World Bank Influence Voting in the UN General Assembly?, 2006. Eine weitere Studie gelangt zu dem Schluss, dass Staaten, welche als nichtständige Mitglieder dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angehören, ebenfalls einer begünstigenden Behandlung durch den IWF gewärtig sein dürfen. Dies wirke sich sowohl auf die Bewilligung von Kreditprogrammen als auch auf die Anzahlung der Auflagen im Rahmen der Konditionalität aus. Dabei gehen die Autoren davon aus, dass die begünstigende Behandlung durch den IWF als Entlohnung dafür diene, dass die IWF-Mitglieder in ihrer Funktion als nichtständige Mitglieder des Sicherheitsrates wichtige politische Interessen der Hauptanteilseigner des IWF unterstützt haben (etwa Entscheidungen zur Auferlegung von Sanktionen und über militärische Interventionen), A. Dreher/J.-E. Sturm, Jan/J. Vreeland, Does Membership on the UN Security Council Influence IMF Decisions?, 2006, S. 44. 443 L. Broz/M. Hawes, U.S. Domestic Politics and International Monetary Fund Policy, 2006. 444 Je größer der Anteil der Wahlkampfspenden von Geldinstituten, desto eher waren die Abgeordneten geneigt, für eine Quotenerhöhung des IWF zu stimmen. Einen Zusammenhang im Abstimmungsverhalten konnten Lawrence Broz und Brewster Hawes auch in der Frage der Präferenz der Wähler nachweisen. Je besser ausgebildet die Wähler in einem bestimmten Wahlbezirk waren, desto eher wurde für eine Quotenerhöhung gestimmt. Dies sei dem Umstand geschuldet, dass gut ausgebildete Wähler von einem stetig liberalisierten Wirtschafts- und Finanzverkehr profitieren, ohne mit Arbeitnehmern in Entwicklungsländern zu konkurrieren. Umgekehrt stimmten Abgeordnete, die überwiegend geringqualifizierte Wähler in ihrem Wahlbezirk hatten, eher gegen eine Quotenerhöhung. Die Förderung des freien Waren- und Kapitalverkehrs werde, so die These, unter Geringqualifizierten eher als Bedrohung angesehen, da die amerikanischen Produkte dadurch stärker der Konkurrenz aus Entwicklungsund Schwellenländern ausgesetzt sei. Insgesamt lasse sich feststellen, dass die USamerikanischen Wähler auf den Kongress durchaus Einfluss ausübten. Der US-amerikanische Kongress wiederum ist maßgeblich für die Bestimmung des Finanzvolumens, welches dem IWF zur Verfügung gestellt wird.
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Broz und Hawes zeigen in ihrer Studie auch, dass die Höhe der bilateralen US-amerikanischen Kredite signifikant darauf hinweist, ob und in welcher Höhe dem Land IWF-Mittel zur Verfügung gestellt werden445. Dabei wurde der gleiche Effekt in Bezug auf andere Staaten untersucht, deren Kreditinstitute ebenfalls in bedeutendem Umfang Engagements in einem IWF-Mitgliedstaat eingegangen waren. Ein ähnlicher Effekt wie in den USA ließ sich für andere Staaten nicht feststellen. Dies sei ein starkes Indiz dafür, dass USamerikanische Kreditinstitute ihren Einfluss auf den IWF über Kanäle wie den Kongress, den amerikanischen Präsidenten und den amerikanischen Vertreter im Exekutivrat geltend machten. In einer weiteren Studie weisen Thomas Oatley und Jason Yackee nach, dass die Höhe der Ausleihungen von US-Kreditinstituten in einem Entwicklungsland entscheidend für die Höhe eines IWF-Kredits ist446. Neben den Indizien für eine mittelbare Einwirkung US-amerikanischer Kreditinstitute auf Fondsentscheidungen ist Erica Gould der Frage nachgegangen, ob sich auch ein direkter Einfluss der Banken auf den Fonds nachweisen lässt447. Gould untersucht den Einfluss von „supplemental financiers“ in den Jahren 1952 bis 1995 und beobachtet, dass der IWF seine Konditionen oft besonders bankenfreundlich gestaltet, wenn die ausgereichten Kredite den Bedarf des Empfängerlandes nicht decken und private Kreditinstitute als Co-Financiers auftreten448; denn häufig ist der Fonds entscheidend auf die Hilfe Dritter angewiesen, um ein Kreditprogramm erfolgreich finanzieren zu können. Für diese Fälle steht der Begriff des „supplemental financ ing“, das heißt unterstützende Kredite von privaten Instituten. Im Rahmen eines Kreditprogramms verhandelt der IWF dann häufig mit internationalen Institutionen – wie ausländischen Regierungen von Industriestaaten, multilateralen Kreditorganisationen und privaten Kreditinstitutionen. Offensichtlich bestehe in diesen Fällen ein Interesse der „supplemental financiers“ an einer bestimmten Auflagenpolitik des IWF. So werde einem Mitgliedstaat häufig die konkrete Auflage gemacht, den Kredit eines bestimmten Kreditinstitutes zurückzuzahlen449. 445 Ebenda.
446 T. Oatley/J. Yackee, American Interests and IMF Lending, American Interests and IMF Lending, International Politics 41, No. 3, 2004, S. 415 ff. 447 E. Gould, Money Talks: Supplementary Financiers and International Monetary Fund Conditionality, 2003, S. 551 ff. 448 Ein Zusammenhang zwischen der Beteiligung von „supplemental financiers“ und bankenfreundlichen Auflagen war nur nachweisbar, wenn es sich um private Geldgeber handelte. Bei Kreditprogrammen unter Beteiligung von Staaten wie den USA ließen sich keine gläubigerfreundlichen Auflagen feststellen. 449 J. Vreeland, The International Monetary Fund – Politics of conditional lending, 2007, S. 47. Erica Gould nennt beispielhaft das Kreditprogramm zwischen dem IWF
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Teil 1: Mandat und Struktur: Von den Anfängen bis zur Gegenwart
James Vreeland stimmt dem Befund zu, dass private Banken sich die Macht des IWF zu Nutze machten, um ihre individuellen Interessen zu wahren, insbesondere die Kreditverpflichtungen des Mitgliedstaates durchzusetzen450 und ergänzt: „Supplemental financiers are thus in a strong position to make demands on the Fund about the design of an IMF program. These financiers have an interest in specifying the precise policy conditions that are attached to an IMF loan451.“ Weiter führt er aus452: „They lend for profit, not for aid.“ Diese privaten Kreditgeber verfolgten andere Interessen als Staaten und drängten in der Regel zur Auferlegung von Auflagen, welche in ihrem individuellen bankenspezifischen Interesse liegen453. Wenn auch Einzelbeispiele wenig geeignet sind, eine maßgebliche Kontrolle der USA über den IWF zu belegen454, so finden sich in der Forschung doch zahlreiche Belege, dass zwar die wirtschaftliche Bedürftigkeit eines Mitgliedstaates bei der Entscheidung der Mittelvergabe Beachtung findet455 aber geringer gewichtet wird als die jeweiligen Interessen der größten Anteilseigner des IWF. In der Regel gilt der IWF den einflussreichen Mitgliedstaaten, insbesondere den USA, als ein Werkzeug der eigenen Außenpolitik456. Gould und Ghana im Jahr 1983. Ghana wurde verpflichtet, die IWF-Mittel direkt bei der Bank von Ghana zu deponieren. Von dort wurden sie an die Bank von England weitergeleitet und schließlich zur Standard Chartered Bank transferiert, um einen dort ausstehenden kurzfristigen Kredit abzulösen. Der Mitgliedstaat erhielt also tatsächlich keine Mittel vom IWF zur eigenen Verwendung. Supplementary Financiers and International Monetary Fund Conditionality, S. 564 f. 450 Der betroffene Mitgliedstaat erhält vom IWF keine weitere Auszahlung, solange die Kredite des privaten Geldgebers nicht zurückgezahlt wurden. J. Vreeland, The International Monetary Fund – Politics of conditional lending, S. 47. 451 Ebenda. 452 Ebenda. 453 Gould nennt beispielhaft folgende bankenfreundliche Auflagen gegenüber dem Mitgliedstaat: Der Mitgliedstaat müsse (1) einen bestimmten Anteil der Staatseinnahmen verwenden, um die internationalen Verbindlichkeiten des Staates zu decken, (2) einen bestimmten Anteil der IWF-Hilfen für den Schuldendienst oder die Aufstockung der Währungsreserven verwenden, um (3) vereinbarungsgemäß die Verbindlichkeiten gegenüber Geschäftsbanken und öffentlichen Gläubigern zu bedienen. E. Gould, Money Talks: Supplementary Financiers and International Monetary Fund Conditionality, S. 564. 454 J. Vreeland, The International Monetary Fund – Politics of conditional lending, S. 42. 455 S. Thacker, The High Politics of IMF Lending, S. 41. James Vreeland resümiert: „The economic need for an IMF loan is a determinant of participation in an IMF program.“ The IMF and Economic Development, 2003, S. 43. 456 J. Vreeland, The International Monetary Fund – Politics of conditional lending, S. 44; E. Gould, Delegating IMF conditionality: understanding variations in control
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kommt zu dem Ergebnis, dass die Vereinigten Staaten den IWF instrumentalisieren, um – insbesondere über die Konditionalität – Freunde zu belohnen und Feinde zu strafen457. Tendenziell unterstützt der Fonds Staaten, „die zur Verfolgung politischer, insbesondere US-amerikanischer Interessen wichtig sind“458. Macht und Legitimation des IWF, seine „accountability“, beruht in der Praxis auf den politischen Interessen der einflussreichsten Mitgliedstaaten. Für diese Staaten gilt: „The chain of command runs clearly from the governments of member countries to the IMF and not vice versa“459. Der IWF bewilligt Kredite insbesondere auch unter geopolitischen Gesichtspunkten460. Aufschlussreich sind die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine, deren Lage zwischen Russland und der Europäischen Union, näherhin der NATO geopolitisch besonders brisant ist461. and conformity, in: D. Hawkins/D. Lake/D. Nielson/M. Tieney (Hrsg.), Delegation and Agency in International Organizations, 2006. 457 E. Gould, Money Talks: Supplementary Financiers and International Monetary Fund Conditionality, S. 564; dies., Delegating IMF conditionality: understanding variations in control and conformity. So würden etwa gegenüber einem befreundeten Staat weniger intensive und großzügigere Auflagen aufgegeben als gegenüber Staaten, die mit den USA in keiner freundschaftlichen Beziehung stehen, J. Vreeland, The International Monetary Fund – Politics of conditional lending, S. 47, mit Verweis auf R. Vaubel, A Public Choice Approach to International Organization, S. 39 ff. 458 T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 167. 459 D. Driscoll, Was ist der Internationale Währungsfonds?, S. 8. 460 Vgl. J. Reynaud/J. Vauday, IMF Lending and Geopolitics, IMF WP Series, No. 965, 2008. 461 Geopolitisches Tauziehen zwischen EU und Russland – siehe FAZ vom 4. Februar 2014, Neue Chance im geopolitischen Monopoly; Die USA etwa forderten umgehend ein Engagement des IWF, um die Ukraine aus dem russischen Einflussbereich zu entfernen. „US-Finanzminister Jack Lew hat die Ukraine aufgefordert, wegen Finanzunterstützung zügig auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) zuzugehen. Sobald eine Übergangsregierung stehe, sollte sich das Land um Hilfen bemühen, sagte Lew einem Vertreter des Ministeriums zufolge. Sowohl die USA als auch Europa seien bereit, den IWF zu unterstützen.“ Spiegel-Online vom 24. Februar 2014, Angst vor Staatsbankrott – Amerikaner und Briten bieten Ukraine Finanzhilfe, einzusehen unter http:// www.spiegel.de/politik/ausland/drohender-bankrott-usa-und-briten-bieten-ukraine-fi nanzhilfen-an-a-955230.html. Zu den Auflagen gegenüber der Ukraine, insbesondere der vom IWF seit Jahren geforderten Anpassung der Gaspreise siehe Christine Lagarde, IMF, Letter of Intent vom 22. April 2014, einzusehen unter https://www.imf.org/external/np/loi/2014/ ukr/042214.pdf. „[…] by April 10, 2014 the gas price regulator NERC will adopt and officially publish a decision to raise end-user gas tariffs for households by 56 percent, effective May 1, 2014; (ii) similarly, by April 18, 2014, the utility price regulator NURC will adopt decisions to raise the heating tariffs for households by 40 percent on average,
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II. Völkerrechtliche Stellung 1. Qualifizierung als Internationale Organisation Der IWF ist ein auf Dauer angelegter und mitgliedschaftlich strukturierter Zusammenschluss von Staaten zur kooperativen Stabilisierung der Wechselkurse462 und besitzt folglich den Status einer Internationalen Organisation463. Mit dem Gouverneursrat, dem Exekutivdirektorium und dem Geschäftsführenden Direktor verfügt der IWF über eigene Organe, welche die dem Fonds übertragenen Aufgaben selbständig wahrnehmen. Er ist ein Verbund von souveränen Staaten, deren völkervertragsrechtliche Grundlage das Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds ist. 2. Funktion Internationaler Organisationen im Völkerrecht Nachdem sich mit der Gründung des Völkerbundes als erstem zentralen politischen Organ der Staatengemeinschaft das klassische Völkerrechtsverständnis kontinuierlich von einem Völkerrecht der Koexistenz und Koordination464 zu einem Völkerrecht der Kooperation gewandelt hatte465, regte sich das Bedürfnis nach einer fortschreitenden Organisation der internationalen Gemeininteressen. In diesem Sinne sind Internationale Organisationen als „ein Instrument der internationalen Kooperation“ zu verstehen466 und damit effective July 1, 2014 (prior action). We will also complete the required legislative changes so that, going forward, all tariff increases will become effective within 40 days of their announcement. Full-cost retail gas and heating tariffs will be reflected on consumers’ utility bills to promote awareness of the importance of the reform for the medium term.“ Siehe dazu: FAZ vom 27. März 2014, Hilfspaket vom IWF: Hält die Ukraine dieses Mal ihre Zusagen ein?, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ wirtschaftspolitik/hilfspaket-vom-iwf-haelt-die-ukraine-dieses-mal-ihre-zusagenein-12866846.html. 462 T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 50 f. 463 Siehe zum Begriff der Internationalen Organisation und den Qualifizierungsanforderungen A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 692 f.; M. Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, 1993, S. 11 ff. Zur Abgrenzung der vertraglich festgeschriebenen Form intergouvernementaler Kooperation von Internationalen Organisationen M. Pechstein/Ch. Koenig, Die Europäische Union, 2000, Rdn. 62. Zur Definition und Abgrenzung Internationaler Organisationen vergleiche W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 255 Rdn. 12. 464 Zum Völkerrecht als Koordinationsrecht, A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 111 ff. 465 Ebenda, S. 687 ff., 1059. 466 C. Hefeker, Handels- und Finanzarchitektur im Umbruch: Globale Integration und die institutionelle Arbeitsteilung von IWF, Weltbank und WTO, 2003, S. 4.
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begann die Institutionalisierung der völkerrechtlichen Beziehungen der Staaten467. Einen wesentlichen Beitrag leistete die Charta der Vereinten Nationen, welche in Art. 1 Nr. 3 das Ziel formuliert, „eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle [….] zu fördern und zu festigen“468. Die internationalen Organisationen schaffen in diesem Sinne einen institutionellen Rahmen der Zusammenarbeit, welcher dem wachsenden Kooperationsbedürfnis Rechnung trägt469. Reinhold Zippelius beschreibt Internationale Organisationen als Institutionen, welche „zur gemeinsamen Wahrnehmung gemeinsamer, zur Koordinierung verschiedenartiger und zum Ausgleich widerstreitender Interessen, die über den Bereich der einzelnen Staaten hinausreichen, nötig sind“; denn durch „völkerrechtliche Vertragspflichten herkömmlicher Art“ sei dies nicht sachgerecht zu bewältigen470. Die Erfordernisse eines globalisierten Wirtschaftsraums üben auf die Staaten, welche miteinander im Wettbewerb stehen, einen wachsenden Anpassungsdruck aus, welcher durch den Einfluss der Finanzmärkte noch verstärkt wird. Dieser Druck zur internationalen Kooperation zielt auf die weitgehende Vereinheitlichung der Rechtsordnungen, das heißt deren Internationalisierung, ab471. Dieser Entwicklung ist die wachsende Bedeutung der internationalen Organisationen in den letzten Jahrzehnten zuzuschreiben. Dementsprechend ist der Zweck der internationalen Organisationen in der Hauptsache die „Anpassung [der] politischen Verhältnisse“472. Sie wird durch eine gemeinsame kooperative Gestaltung der Lebensverhältnisse in einem sachlich begrenzten Bereich vollzogen, wobei sich „das Maß und die Materie der Rechtsgemeinschaft nach dem Maß und der Materie der Lebensgemeinschaft“ zu richten haben473. Internationale Zusammenarbeit in internationalen 467 Zur partiellen Völkerrechtssouveränität der internationalen Organisationen E. Klein, Die Internationalen und Supranationalen Organisationen als Völkerrechtssubjekte, in W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 1997, Rdn. 32 ff. 468 R. Wolfrum, Zu Art. 1, in: B. Simma (Hrsg.) Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, Rdn. 14, 21. 469 G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 330 f. 470 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 1999, S. 403. 471 Ziel ist die größtmögliche Berechenbarkeit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Dabei drängen die Finanzmärkte darauf, Unsicherheiten und Unwägbarkeiten durch eine internationale Verrechtlichung möglichst zu beseitigen. Bezweckt wird also eine weitgehende Verdrängung des mitgliedstaatlichen Rechts zugunsten eines einheitlichen Rechts. 472 K. A. Schachtschneider, Freiheit – Recht – Staat, S. 680. 473 Ebenda, S. 675.
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Organisationen eröffnet die Möglichkeit, gemeinsame Regelungsbereiche effektiver zu gestalten, als das von den Nationalstaaten hätte wahrgenommen werden können474. 3. Völkerrechtssubjektivität Kann der IWF gemäß dem Völkerrecht Träger von Rechten und Pflichten sein? Diese Frage ist nicht eindeutig geklärt; denn grundsätzlich haben nur Staaten die Fähigkeit, Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten zu sein475. Sie sind die originären Völkerrechtssubjekte und eine etwaige Völkerrechtssubjektivität des IWF lässt sich daher allenfalls von seinen Mitgliedstaaten ableiten476. Dementsprechend ist seine Völkerrechtsfähigkeit funktionell begrenzt (derivative, partielle Völkerrechtsfähigkeit)477. Artikel IX Abschnitt 2 IWF-Übereinkommen überträgt dem Fonds zwar ausdrücklich die „volle Rechtsfähigkeit“, „insbesondere die Fähigkeit […] Verträge zu schließen“. Dieser Artikel bezieht sich jedoch zunächst nur auf das Rechtsverhältnis des IWF zu seinen Mitgliedstaaten („in den Hoheitsgebieten eines jeden Mitglieds“, Artikel IX Abschnitt 1 IWF- Übereinkommen). Auch die den IWF-Mitarbeitern eingeräumte Immunität beschränkt sich auf die Rechtsstellung auf dem Territorium des Mitgliedstaates. Insofern besitzt der IWF innerstaatlich die volle Rechtspersönlichkeit, das heißt Rechts- und Geschäftsfähigkeit; denn damit kann er in vollem Umfang am Rechtsverkehr teilnehmen, hat die Fähigkeit, bewegliches und unbewegliches Vermögen zu erwerben, Verträge abzuschließen und vor staatlichen Gerichten zu klagen 474 „Nur wer sich aus Einsicht in die Notwendigkeit friedlichen Interessenausgleichs und in die Möglichkeiten gemeinsamer Gestaltung bindet, gewinnt das erforderliche Maß an Handlungsmöglichkeiten, um die Bedingungen einer freien Gesellschaft auch künftig verantwortlich gestalten zu können.“ – BVerfGE 123, 267, Rdn. 221. Das Bundesverfassungsgericht nennt dies eine „Ordnung des wechselseitigen friedlichen Interessenausgleichs und ein organisiertes Miteinander“, ebenda, Rdn. 222. 475 Zur Definition der Völkerrechtssubjektivität siehe V. Epping, Völkerrechtssubjekte, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, vor § 4. 476 A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 106. Völkerrechtssubjektivität entsteht entweder durch ausdrückliche Verleihung (etwa im Gründungsvertrag einer Internationalen Organisation), durch implizite Verleihung nach der implied-powers-Lehre (wenn einer internationalen Organisation die Möglichkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge eingeräumt wird) oder durch fortschreitende Anerkennung Dritter (wenn etwa beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge das fragliche Subjekt als Vertragspartner anerkannt wird), vgl. M. Herdegen, Völkerrecht, § 10, Rdn. 4 f.; K. Ipsen, Völkerrecht, § 6, Rdn. 5 und 8 f.; A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, 104 ff. 477 W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 324 Rdn. 189 und Rdn. 95.
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und verklagt zu werden478. Nach deutschem Recht hat der IWF den Status einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Ob der IWF auch auf der Ebene des Völkerrechts rechtsfähig ist, bleibt damit aber offen. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat in seiner Bernadotte-Entscheidung aus dem Jahr 1949 die Völkerrechtsfähigkeit für die Vereinten Nationen bejaht, obwohl die UN-Charta hierzu keine Regelung enthielt479. Entscheidendes Kriterium für deren Völkerrechtsfähigkeit waren nicht nur Ziel und Zweck der Organisation sondern auch die Frage, „ob die Organisation Funktionen und Rechte ausübt, die nur auf der Ebene des Völkerrechts ausgeübt werden können“480. Ob und in welchem Umfang dies auch für den IWF gilt, muss sich aus dem Willen seiner Mitglieder ergeben. Dieser materialisiert sich in den satzungsrechtlichen Vorschriften seiner „Verfassung“481, dem Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds. Für den IWF wird diese Frage und damit zumindest die – partielle482 – Völkerrechtsfähigkeit überwiegend bejaht483. Das IWF-Übereinkommen stattet den Fonds „mit eigenen sachlichen Mitteln und Organen aus […], die ihn in die Lage versetzen, mit souveränen Staaten und anderen internationalen Organisationen auf der Ebene der Gleichheit zu verkehren“484. Der IWF verfügt auch über eigene, selbständig beschlussfähige Organe. Fragen des Beitritts und der Mitgliedschaft regelt der Fonds abschließend. Für eine zumindest partielle Rechtsfähigkeit des Fonds spricht auch dessen Fähigkeit, 478 Auf diese Rechtsgeschäfte findet das nationale Recht der Mitgliedsländer Anwendung, unter Berücksichtigung der eingeräumten Privilegien und Immunitäten. 479 Siehe J. Drohla, Völkerrechtssubjekte, in: W. Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Casebook Völkerrecht, 2005, Rdn. 105 f. 480 Siehe dazu K. Weigeldt, S. 48; T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 54 ff. 481 Vgl. E. Klein, Die Internationalen und Supranationalen Organisationen, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 1997, 4. Abschn. Rdn. 94, Rdn. 37. 482 V. Epping, Völkerrechtssubjekte, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht § 4 Rdn. 6; dazu auch P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 59. 483 Eine umfassende Rechtsfähigkeit des IWF, begrenzt durch die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten, befürwortet T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 54 ff.; K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 49; P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 61; zur Völkerrechtssubjektivität von Nicht-Staaten auch D. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 198. 484 T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 55; Walter, Franz, Die Sonderziehungsrechte, 1974, S. 27. Zum Ausdruck käme die Völkerrechtspersönlichkeit etwa in der Ratifizierung des Verwaltungsabkommens zwischen der WTO und dem IWF (WTO-IWFVA). Daneben verweist Riedel auf die Vereinbarungen zwischen dem IWF und der Schweiz, die damals noch kein Mitglied des IWF war.
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völkerrechtliche Verträge abschließen zu können. Dies hat das Wiener Übereinkommen über die Verträge der Internationalen Organisationen (WVKIO) international geregelt485. 4. Verhältnis zu den Vereinten Nationen Gemäß den Plänen der Atlantik Charta sollte der IWF, wie auch die übrigen Bretton-Woods-Organisationen, vollständig in das System der Vereinten Nationen integriert werden486. Es war beabsichtigt, dass die politische Leitfunktion nach Art. 57 und 63 UN-Charta vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen wahrgenommen wird487. Dieser Plan wurde jedoch nicht verwirklicht. Anstatt dessen ist der Fonds als Sonderorganisation („Specialized Agency“) der Vereinten Nationen konzipiert488 und seit dem Jahr 1947 in einem Kooperationsabkommen (Art. 57, 63 UN-Charta) und durch Koordinationsorgane489 mit den Vereinten Nationen verbunden490. Dabei verfügt der IWF über ein eigenes Budget und einen eigenen Mitgliederbestand, welcher von dem der Vereinten Nationen abweicht. Im System der Vereinten Nationen hat der IWF eine monopolartige Stellung zur Überwachung des internationalen Finanzwesens im Allgemeinen und des internationalen Finanzverkehrs im Besonderen491, was auch im Beziehungsabkommen zu den Vereinten Nationen deutlich wird. 485 Nach Art. 6 WVKIO bestimmt die Organisationsverfassung, ob eine Internationale Organisation die Fähigkeit besitzen soll, Verträge zu schließen. 486 M. Bennouna, Non-Aligned Movement (NAM), in: Wolfram (Hrsg.), MPEPIL, 2011. 487 Wegen des sich verstärkenden Ost-West-Konflikts wurde eine effektive Aufgabenwahrnehmung verhindert. Ch. Tietje, Architektur der Weltfinanzordnung, S. 12. 488 Allgemein zu den UN-Sonderorganisationen E. Klein/S. Schmahl, Die Internationalen und die Supranationalen Organisationen, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2010, S. 263 ff. 489 Der Verwaltungsausschuss für Koordinierung (Administrative Committee on Coordination, ACC) harmonisiert die Tätigkeiten zwischen Sonderorganisationen und den Vereinten Nationen. Im Jahr 1999 wurde er durch das „UN System Chief Executives Board for Coordination“ (CEB) abgelöst. Es setzt sich aus den geschäftsführenden Verwaltungsdirektoren der Sonderorganisationen und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zusammen und tagt zweimal im Jahr. 490 Im Gegensatz etwa zur Weltgesundheitsorganisation (WHO), welche eine autonome Organisation innerhalb des UN-Verbandes ist. Zum Verhältnis, insbesondere den Abstimmungsproblemen zwischen IWF und WTO siehe W. Weiß/Ch. Herrmann, Welthandelsrecht, § 15 Rdn. 739. Zum Verhältnis zwischen der Sonderorganisationen IWF und Weltbank zu den Vereinten Nationen siehe D. Bradlow, The Governance of the IMF, S. 20. 491 Zu seiner Rolle als globale Finanzaufsichtsbehörde („global financial authority“) R. Lastra, The role of the IMF as a global financial authority, 2011, S. 121.
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Grundsätzlich sind Sonderorganisationen im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung weitgehend unabhängig und unterliegen keiner zentralen Kontrolle durch die Vereinten Nationen. Das jeweilige Beziehungsabkommen begründet aber regelmäßig bestimmte Pflichten, insbesondere Informationspflichten der Sonderorganisation gegenüber den Vereinten Nationen. So besteht für die World Health Organization (WHO) und die International Labour Organiation (ILO), beides ebenfalls Sonderorganisationen, eine umfassende Informationsverpflichtung gegenüber den Vereinten Nationen. Das Kooperationsabkommen mit dem IWF dagegen ist restriktiver gefasst und enthält „allenfalls Berücksichtigungspflichten im Rahmen der Auslegung des IWF-Mandats“492. Es räumt den Vereinten Nationen zwar verschiedene Rechte ein, insbesondere das Recht, Empfehlungen an den IWF zu richten, bekräftigt aber dessen Unabhängigkeit493: „By reason of the nature of its responsibilities and the terms of its Articles of Agreement, the Fund is, and is required to function as, an independent international organization.“ (Art. I Abs. 2 S. 2 des IWFUNO-Abkommen). Der IWF ist als ökonomisch-technische Einrichtung kaum einer Überprüfung seiner Tätigkeiten zugänglich. Dies wird teilweise darauf zurückgeführt, dass ursprünglich Zweifel bestanden, ob eine den Fonds kontrollierende Institution in ökonomischen Fragen hinreichend kompetent sein könne, um die Tätigkeiten des IWF zu beurteilen494. Plausibler erscheint, dass insbesondere die IWF-Mitgliedstaaten mit den meisten Stimmrechten kaum bereit sind, ihre Entscheidungsmacht innerhalb des IWF zu beschränken. Wie bereits dargelegt, begründet das innerhalb des IWF geltende Prinzip der Stimmengewichtung („one Dollar one vote“) die Entscheidungsmacht der Mitgliedstaaten mit den größten Anteilsquoten. So gesehen garantiert die Unabhängigkeit des IWF von den Vereinten Nationen die Abhängigkeit des IWF von den Hauptmitgliedstaaten. Dafür spricht auch der Umstand, dass sich der IWF bislang jedem Versuch widersetzt hat, die Letztverbindlichkeit seiner Entscheidungen in Frage zu stellen und die Rechtsprechung des IWF im Rahmen des IWF-internen Auslegungsverfahrens neu zu gestalten495. Der nach 492 D. Ruddigkeit,
Das Mandat des IWF, S. 109. Bradlow spricht sogar von einer „Unabhängigkeitserklärung“ des Währungsfonds gegenüber den Vereinten Nationen, The Governance of the IMF, The Need for Comprehensive Reform, G24 WP September 2006, S. 20. 494 F. Gianviti, Decisionmaking in the International Monetary Fund, in: IWF (Hrsg.), Current Developments in Monetary and Financial Law, Band 1, 1999, S. 31, 36. Dazu auch D. Ruddigkeit, Das Mandat des IWF, S. 106 ff. 495 So widersetzte sich der IWF dem Vorschlag, ein neutrales Schiedsgericht einzusetzen. Kritisch zur Rolle des IWF als „Richter in eigener Sache“ und dem Verstoß gegen das Rechtsprinzip des nemo judex in re sua, T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 68 f. 493 Daniel
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Art. XXIV b IWF-Übereinkommen grundsätzlich vorgesehene Auslegungsausschuss innerhalb des IWF ist bis heute nicht zustande gekommen, ganz abgesehen von fehlenden Elementen der Gewaltenteilung außerhalb des IWF, etwa einem Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH), die insbesondere „mangels Zustimmungswillen der USA“ nicht durchsetzbar waren496. Die außergewöhnliche institutionelle Unabhängigkeit des IWF unterstreicht auch der Umstand, dass der IWF nicht unmittelbar an die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates gebunden ist. In Art. IV des Kooperationsabkommens zwischen dem IWF und den Vereinten Nationen heißt es lediglich, dass er „in the conduct of its activities, have due regard for decisions of the Security Council under Articles 41 and 42 of the United Nation Charter“. 5. Verhältnis zum Internationalen Gerichtshof (IGH) Auch das Verhältnis des IWF zum Internationale Gerichtshof (IGH) wird im Kooperationsabkommen zwischen IWF und Vereinten Nationen geregelt497. Gemäß Art. VIII des Abkommens ist der IWF befugt, den IGH um ein Rechtsgutachten nach Art. 96 Abs. 2 UN-Charta zu ersuchen, um sämtliche Rechtsfragen zu klären, die sich im Rahmen seiner Aufgabenwahrnehmung stellen. Die Klärung des Verhältnisses des IWF zu anderen Organisationen ist dabei aber keine zulässige Rechtsfrage. Im Übrigen entfalten die Rechtsgutachten des IGH keine Verbindlichkeit. Bislang hat der IWF zu keiner Frage beim Internationalen Gerichtshof ein Rechtsgutachten angefordert498. 6. Verpflichtung zur Neutralität und zum Schutz der Menschenrechte Die Diskussion, ob Internationale Organisationen an völkerrechtliche Menschenrechtsstandards gebunden sind499, wirft Licht auf den völkerrecht496 T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 69. 497 Siehe D. Ruddigkeit, Das Mandat des IWF, S. 108 f. 498 T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 69. 499 B. Ghazi, The IMF, the World Bank Group and the Question of Human Rights, S. 92, 112; K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds in ihrem Verhältnis zur Staatssouveränität und zu den Menschenrechten, insbes. S. 236 ff.; S. Skogly, The Human Rights Obligations of the World Bank and the IMF, 2001, S. 65 ff.; C. Janik, Die Bindung Internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards; zur Frage des Menschenrechtsschutzes der Weltbank S. Roos, Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsied
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lichen Kontext und beleuchtet die völkerrechtlichen Grundsätze, welche die gesamte Problematik der IWF-Kreditvergabe begleiten. Sie werden im Rahmen dieses Kapitels angesprochen und im weiteren Verlauf der Untersuchung präzisiert. a) Neutralitätsgebot Während die Weltbank ausweislich Art. IV Abschnitt 10 ihrer Satzung ausdrücklich zur politischen Neutralität verpflichtet ist500, kennt das IWFÜbereinkommen ein entsprechendes Neutralitätsgebot nicht. Gleichwohl geht eine politische Neutralitätspflicht aus den IWF-Statuten hervor. Sie schützt die Integrität der gemeinsamen Zweckverwirklichung und korrespondiert mit dem allgemeinen Gebot der Nichteinmischung in innerstaatliche Angelegenheiten nach Art. 2 Nr. 7 UN-Charta501. In der Literatur wird daraus vielfach die Auffassung abgeleitet, der IWF sei im Rahmen der ihm zuerkannten Aufgaben an Rechtsquellen außerhalb des IWF-Übereinkommens nicht gebunden. Zumindest sei das allgemeine Völkerrecht „als Rechtsquelle […] im IWF heutzutage mangels einer bestehenden judikativen Überprüfungsinstanz ohne größere Relevanz […]“502. Um seinen Auftrag zur Stabilisierung der Weltwirtschaft effektiv erfüllen zu können, sei der Fonds bei den Modalitäten der Kreditvergabe allein ökonomischen Maßstäben verpflichtet503. Insbesondere menschenrechtliche Verträge seien für den Fonds grundsätzlich unverbindlich, zumindest müssten sie um der Durchsetzung effektiver Reformen willen im Krisenfall zurücktreten. Dies ergebe sich aus der Funktion des IWF als Stabilisator des Währungsund Wechselkurssystems und unterscheide ihn gerade von anderen interna tionalen Organisationen wie den Vereinten Nationen; denn die Berücksichtigung der Menschenrechte und des demokratischen Prinzips würden den IWF lungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank, insbesondere S. 363 ff. 500 Vgl. zur ähnlichen Problematik der Verbindlichkeit der Menschenrechte für die Weltbank S. Roos, Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank, S. 361 ff. 501 Dazu auch U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, Eine Untersuchung unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten an den Beispielen Weltbank, des Währungsfonds und regionaler Entwicklungsbanken, 1999, S. 92 ff. 502 T. Riedel, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 144. 503 Siehe K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF in ihrem Verhältnis zur Staatssouveränität und zu den Menschenrechten, S. 225 (m. w. N.).
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Teil 1: Mandat und Struktur: Von den Anfängen bis zur Gegenwart
bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben beeinträchtigen, er würde letztlich zu einer politischen Organisation transformiert und zum „Spielball rein politischer Erwägungen“ (Lucke). Insbesondere wäre er „dem Druck der Vereinten Nationen“ ausgesetzt. Weil „sich zu jeder politischen Einflussnahme ein irgendwie gearteter wirtschaftlicher oder zahlungsbilanztechnischer Bezug herstellen lässt“, bestünde „de facto keine wirksame Grenze“504. Eine Politisierung des IWF würde seine Effektivität und die Effizienz seiner Handlungsmöglichkeiten beeinträchtigen und in der Folge die Stabilität des gesamten Währungssystems nachhaltig gefährden. Praktische Bedeutung erlangt die Frage der politischen Neutralität des IWF bei der Kreditvergabe, zumal bei Kreditanträgen von Staaten, welche die Menschenrechtsverpflichtungen nicht anerkennen505. Relevant wurde die Problematik vor allem in den achtziger Jahren im Zuge der Kreditanfrage des Apartheidregimes in Südafrika506. Obwohl der IWF in einer Empfehlung der Generalversammlung der Vereinten Nationen aufgefordert worden war, die Kreditanfrage Südafrikas angesichts der evidenten Menschenrechtsverletzungen der Regierung abzulehnen, setzte sich der Fonds mit Unterstützung der Hauptgeberländer USA, Deutschland und Großbritannien über diese Empfehlung hinweg und stellte der südafrikanischen Regierung die beantragten Fondsmittel zur Verfügung507. Damals berief sich der Fonds auf seine Verpflichtung zur politischen Neutralität. Bei der Kreditvergabe habe er allein die ökonomischen Voraussetzungen Südafrikas zu berücksichtigen508.
504 P. Lucke,
Internationaler Währungsfonds, S. 222. Die Bindung Internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards, S. 109 f. 506 Siehe dazu K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF in ihrem Verhältnis zur Staatssouveränität und zu den Menschenrechten, S. 225 (m. w. N.); P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 222; D. Bradlow, Debt, Development, and Human Rights: Lessons from South Africa, 1991, S. 656; V. van Themaat, Some Notes on IMF Conditionality with a Human Face, 1988, S. 230. 507 Mitte der achtziger Jahre änderte der Fonds seine Kreditvergabepraxis aufgrund einer innenpolitischen Entscheidung des US- Kongresses. Dieser wies im Jahr 1983 durch den „Bretton Woods Agreement Act“ (Section 43 (b)) den amerikanischen Exekutivdirektor verbindlich an, „to actively oppose any facility involving use of Fund credit by any country which practices apartheid“. Diese Anweisung wurde in den neunziger Jahren wieder zurückgenommen. Dazu P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 222. 508 Der Fonds sei gemäß Art. I Ziffer v) IWF-Übereinkommen i. V. m. § 4 GoC nur berechtigt, „in einer ökonomischen Sphäre zu agieren“. Er sei darüber hinaus aber zur politischen Neutralität verpflichtet. P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 221 ff. 505 C. Janik,
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b) Bindungswirkung der Menschenrechtsverträge In der Literatur wird vielfach die Auffassung vertreten, dass menschenrechtliche Normen nicht dem domaine réservé des Staates vorbehalten seien, sondern aufgrund ihrer Strukturmerkmale unmittelbare subjektive Rechte begründeten509. Diese seien auch vom IWF zu berücksichtigen510. Gegen eine unmittelbare Bindung des IWF an völkervertragsrechtliche Pflichten spricht der Umstand, dass grundsätzlich nur Staaten Vertragsparteien und damit unmittelbar durch völkerrechtliche Menschenrechtsverträge verpflichtet sind511 (Art. 26 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge – WÜRV). Zwar haben die Mitgliedstaaten dem IWF in bestimmten Bereichen Völkerrechtsfähigkeit verliehen. Wie oben dargestellt, haben Internationale Organisationen aber nur derivative, von ihren Mitgliedstaaten abgeleitete Völkerrechtsfähigkeit512. Nur souveräne Staaten haben als originäre Völkerrechtssubjekte513 die unbeschränkte Fähigkeit, Träger aller Rechte und Pflichten der Völkerrechtsordnung zu sein, insbesondere die Menschenrechte einzuhalten und durchzusetzen514.
509 A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 20 mit Verweis auf H. H. v. Arnim/A. v. Bogdandy, Rechtsgleichheit, Rechtssicherheit und Subsidiarität im transnationalen Wirtschaftsrecht, EuZW, 2001, S. 363. Nach Angelika Emmerich-Fritsche leidet die völkerrechtliche Verankerung der Menschenrechte „an einem Paradox, der zum Teil in der Natur des Völkerrechts begründet liegt“. Die Menschenrechtserklärungen enthalten nur zwischenstaatliche Verpflichtungen, deren Geltung „vom guten Willen der Staaten“ abhängt. Aus der völkerrechtlichen Geltungsbegründung ergebe sich noch keine Menschheitsverfassung. A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 478. 510 B. Ghazi, The IMF, the World Bank Group and the Question of Human Rights, S. 92, 112. Zur Bedeutung des Verbots der politischen Einmischungen siehe auch C. Janik, Die Bindung Internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards, S. 363 ff. 511 Zur Geltung der Menschenrechte A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 462 ff. Die Begründung subjektiver Rechte aus Menschenrechtsverträgen sei daher „ein paradigmatischer Wechsel“ zum Weltrecht (S. 475, 931 ff.). 512 K. Hailbronner, Staat, 3. Abschn. Rdn. 9. Der Staat ist also nicht der eigentliche Träger von Rechten und Pflichten, sondern wirkt lediglich als „Legitimationsmittler“ zwischen dem Einzelnen und der Völkerrechtsordnung. R. Reusch, Die Legitimation des WTO-Streitbeilegungsverfahrens, S. 125. 513 K. Hailbronner, Staat, 3. Abschn. Rdn. 8. 514 S. Roos, Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank, S. 353; K. Schmalenbach, Multinationale Unternehmen und Menschenrechte, 2001, S. 61 f.; A. Rosas, The Right to Development, 1995, S. 253: „[…] human rights concern, above all, the relations between the State and its own population, where individuals and groups are the beneficiaries while the obligation lie on the States.“.
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Auch aus dem Status des IWF als Sonderorganisation der Vereinten Nation kann eine formelle Menschenrechtsverpflichtung nicht unmittelbar begründet werden515. Der IWF ist nicht Mitglied der Vereinten Nationen und damit – anders als die Mitgliedstaaten (Art. 56 UN-Charta) – nicht gemäß Art. 55 c) UN-Charta der allgemeinen Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten verpflichtet. Die Verpflichtung einer internationalen Organisation zum Schutz der Menschenrechte hängt von Inhalt und Umfang ihres Mandates ab, welches sich aus dem Gründungsabkommen und dem darin festgelegten Organisationszweck erschließt. Das IWF-Übereinkommen enthält keinen unmittelbaren Hinweis auf die Menschenrechte. Zwar existierten bei Gründung des IWF weder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, noch die beiden Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, der IPbpR und der IPwskR516. Allerdings wurden auch in den späteren Ergänzungen des Vertrages keine Änderungen im Vertragstext vorgenommen. Die Aufgabe des IWF, die Stabilisierung des Wechselkurssystems, ist ihrem Wesen nach eine ökonomische Aufgabe und aus diesem Grund sind in erster Linie wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend. Ein Auftrag zur Sicherung und Wahrung der Menschenrechte lässt sich aus den Zielen des Fonds nicht ableiten. Es stellt sich die Frage, ob sich die Menschenrechtspflichtigkeit einer internationalen Organisation mittelbar aus den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten ableiten lässt. Sind die Exekutivdirektoren, die von den Mitgliedstaaten betraut werden, in ihrem Stimmverhalten an die völkerrechtlichen Verträge ihrer Heimatstaaten gebunden? Stephanie Roos bejaht dies für die Exekutivdirektoren der Weltbank und beruft sich dabei auf die „Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social, and Cultural Rights“517: „The obligations of States to protect economic, social and cultural rights extend also to their participation in international organisations, where they act collectively. It is particularly important for States to use their influence to ensure that violations 515 So auch Roos mit Blick auf die Weltbank, die ebenfalls eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen ist. Dem IWF wird im Beziehungsübereinkommen mit den Vereinten Nationen eine größere Unabhängigkeit von den Vereinten Nationen zugesichert als der Weltbank. Vgl. S. Roos, Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank, S. 369 f. 516 Klaus Weigeldt weist darauf hin, dass die Vorschriften des UN-Sozialpaktes noch nicht in das Beziehungsabkommen mit dem Fonds integriert wurden, weshalb eine unmittelbare Rechtsbindung ausgeschossen sei, Die Konditionalität des IWF, S. 250; ebenso T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 96. 517 The Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural Rights vom 26. Januar 1997.
C. Struktur147 do not result from the programmes and policies of the organisations of which they are members.“
Dies gilt zwar der Sache nach nur für jene Mitgliedstaaten des IWF, die selbst auch Vertragsparteien völkerrechtlicher Menschenrechtsverträge sind. Sofern sie aber Mitglied der Vereinten Nationen sind, sind diese Staaten mittelbar nach Art. 55 c) UN-Charta der allgemeinen Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten verpflichtet. Gemäß General Comment Nr. 12 sind die Staaten sowohl zum Schutz der Menschenrechte gegenüber dem eigenen Volk, als auch gegenüber anderen Völkern verpflichtet518: „[…] not only in relation to their own peoples but visà-vis all peoples […] Shall promote the realization of the right of self-determination, and shall respect that right, in conformity with the provisions of the Charter of the United Nations“.
Dies führt dazu, dass das Exekutivdirektorium keine völkervertragsrechtswidrigen Entscheidungen treffen darf, weil es ganz überwiegend aus Staaten besteht, welche zumindest nach Art. 55 c) UN-Charta verpflichtet sind519. Auf diesem Weg gelangt auch die Odious-Debts-Doktrin zu einer Bindungswirkung der Menschenrechte520. Dass die menschenrechtliche Gewährleistungspflicht auch Internationale Organisationen verpflichten, haben nunmehr auch die „Maastricht Principles on Exterritorial Obligations of States in the Area of Economic, Social and Cultural Rights“ anerkannt521. Für eine „über die mitgliedstaatlichen Verpflichtungen mediatisierte“ Bindungswirkung des UN-Sozialpakts auf Maßnahmen des IWF spricht nach Auffassung von Andreas Fischer-Lescano auch, dass der UN-Sozialausschuss zwar keine rechtsverbindlichen Urteile 518 UN-Dok.
HRI/GEN/1/Rev.6 vom 13. März 1984. Konfliktfall, so bestimmt Art. 103 UN-Charta, haben die Verpflichtungen der UN-Charta Vorrang: „Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten Nationen aus dieser Charta und ihre Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser Charta Vorrang.“ 520 Vgl. A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, Rechtspflichten der Unionsorgane beim Abschluss von Memoranda of Understanding, S. 22. Zur Debatte um die Doktrin der „Odious Debts“ siehe ders., Odious Debts und das Weltrecht, 2003, S. 225 ff.; S. Michalowski, Ius cogens, transnational justice and other trends of the debate on odious debts, 2009, S. 59 ff.; V. Nehru and M. Thomas, The Concept of Odious Debt: some Considerations, World Bank, Economic Policy and Debt Department, Mai 2008; siehe auch F. Schneider, Odious Debts, Status quo und Regelungsmodell unter besonderer Berücksichtigung internationaler Menschenrechte, 2015. 521 Maastricht Principles on Exterritorial Obligations of States in the Area of Economic, Social and Cultural Rights, 28.11.2011, Rdn. 15 und 16; dazu R. Hoffmann/ M. Krajewski, Staatsschuldenkrise im Euro-Raum und die Austeritätsprogramme von IWF und EU, 2012, S. 2 ff., 11. 519 Im
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Teil 1: Mandat und Struktur: Von den Anfängen bis zur Gegenwart
fällt, seine Stellungnahmen „aber im Rahmen von Art. 38 As. 1 lit. d) des IGH-Statutes heranzuziehen sind“522. Die Menschenrechtsverträge binden also die einzelnen Unterzeichnerstaaten in ihren Handlungen (und Abstimmungsverhalten) innerhalb der Internationalen Organisationen und damit auch die Organe der internationalen Organisationen selbst523. Daneben folgt eine Verpflichtung des IWF zur Förderung der Menschenrechte auch aus Völkergewohnheitsrecht. Schließlich ist die Verpflichtung des Art. 55c UN-Charta zur allgemeinen Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten völkergewohnheitsrechtlich anerkannt524. Ius cogens ist für alle Staaten verbindlich, auch „ohne und sogar gegen deren Willen“525. Die Verpflichtung zu den Menschenrechten ist demnach ein allgemeiner Völkerrechtsgrundsatz, welcher gleichermaßen für Staaten, als auch Internationale Organisationen gilt526. Dies gilt für den völkergewohnheitsrechtlichen Kernbestand, die sogenannte „International Bill of Rights“, das heißt die Allgemeine Menschenrechtserklärung („jeder einzelne und alle Organe der Gesellschaft“ – Präambel), den Internationalen Pakt über bürgerliche und zivile Rechte (IPbpR) und den Pakt über wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte (IPwskR)527 sowie die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)528. Zwar sind die Vorschriften des UN-Sozialpaktes bisher weder in 522 Dort insbesondere zur Erstreckung des UN-Sozialpakts auf die Organe der Europäischen Union A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 16. Allerdings ist im Hinblick auf dieses Argument zu beachten, dass die Maßnahmen des IWF von der Rechtsprechung des IGH grundsätzlich ausgenommen sind. 523 C. Janik, Die Bindung Internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards, S. 146 ff. 524 Stefanie Roos resümiert, dass das Völkerrecht „bislang – sieht man einmal von der allgemeinen Beachtungs- und Förderungspflicht ab – nämlich noch keine konkreten Menschenrechtspflichten nichtstaatlicher Akteure entwickelt“ hat und es diesbezüglich noch einer „Konkretisierung“ bedürfe. Dies., Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank, S. 371; O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 2004, S. 392. 525 J. Kokott, Souveräne Gleichheit und Demokratie im Völkerrecht, S. 522, mit Verweis auf H. Schermers, Different Aspects of Sovereignty, 2002, S. 185 ff. 526 Siehe dazu O. Kimminich/S. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 392. 527 Dazu G. Westerveen, The International Bill of Human Rights, 1995. 528 Auch die ILO-Kernarbeitsnormen sind Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts. A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 21; Ph. Alston, ‚Core Labour Standards‘ and the Transformation of the International Labour Rights Regime, in: EJIL 15, 2004, S. 457 ff., S. 493; zu den ILO-Standards als Materialisie-
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das Beziehungsabkommen mit dem Fonds integriert worden529, noch ist der IWF über Art. 53 WVK530 unmittelbar an ius cogens gebunden531. Jus cogens gilt als „internationaler ordre public“ aber völkergewohnheitsrechtlich. In der völkerrechtlichen Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass ius cogens selbst dem Primärrecht gegenüber vorrangig sei532. Sowohl das Namibia-Gutachten des IGH533 als auch die Entscheidung des IGH im Verfahren Barcelona Traction534 werden in Teilen der Literatur so verstanden, dass die Menschenrechte „über den nationalen Bereich hinauswirken“535 und die UN-Charta eine Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte durch die UN-Mitgliedstaaten entfalte („subject of international concern and not strictly a government’s internal affair“)536. c) Stellungnahme Nachdem festgestellt ist, dass der IWF zumindest mittelbar an die Menschenrechtstexte gebunden ist, stellt sich die Frage, welche praktische Konsequenz daraus zu ziehen ist. Cornelia Janik schlussfolgert, die Good Governance Regeln des IWF seien so anzuwenden, dass „die Berücksichtigung von Menschenrechten der ersten Generation nach dem Selbstverständnis des IWF zumindest nicht gegen das rung des menschheitlichen Sozialprinzips und als Verfassungsprinzipien A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 782 ff. 529 Daher keine unmittelbare Rechtsbindung, K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 250; ebenso T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 96. 530 Die Haushaltshoheit eines Staates gehört zum Kernbestand seiner Souveränität und damit grundsätzlich zum zwingenden Völkerrecht im Sinne des Art. 53 WVK, welches „von den Staaten weder einseitig noch vertraglich abbedungen“ werden kann, vgl. BVerfGE 112, 1 (28). 531 Auch weil das parallele Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen noch nicht in Kraft getreten ist. A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 20. 532 Ch. Tomuschat, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 281 EG, Rdn. 43. 533 V. Marmorstein, World Bank Power to Consider Human Rights Factors in Loan Decisions, J. Int’l L. & Econ., 1978–1979, S. 124 f. 534 IGH, Barcelona, Light and Fire Company, Limited (Second Phase), ICJ Rep. 1970, S. 3 ff. 535 C. Janik, Die Bindung Internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards, S. 364. 536 V. Marmorstein, World Bank Power to Consider Human Rights Factors in Loan Decisions, S. 125.
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dem IWF-Abkommen abgeleitete Verbot der politischen Betätigung“ verstoße537. Diese Forderung ist insbesondere in der Praxis der Staatenfinanzierung schwerlich realisierbar. Das Verhältnis von Menschenrechten und politischem Neutralitätsprinzip538 ist völkerrechtlich dergestalt, dass die Menschenrechtsverträge die Mitgliedstaaten des IWF verpflichten, die Menschenrechte bestmöglich zu verwirklichen (Gewährleistungsverantwortung). Das Neutralitätsgebot verpflichtet den IWF und soll grundsätzlich der Gefahr politischer Bevormundung entgegenwirken, die gerade innerhalb des IWF mit seinen die quotenstarken Mitglieder privilegierenden Entscheidungsprozessen (one-Dollarone-vote) ständig akut ist. In diesem Verhältnis gewährleistet das Neutralitätsprinzip mittelbar die Verwirklichung der Menschenrechte. Freilich sind in der Praxis das Neutralitätsgebot und die Kreditvergabe zur Finanzierung eines Staates schwer zu vereinbaren; denn die Entscheidungen, ob ein krisenbetroffener Staat durch IWF-Kredite gestützt wird, in welchem Umfang und zu welchen Bedingungen die Kredite vergeben werden, entfalten erhebliche innenpolitische Wirkung. Die IWF-Auflagen im Rahmen der Kreditprogramme sind stets politisch und an wirtschaftspolitischen Ideologien ausgerichtet539. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn das Regime eines Mitgliedstaats die Menschenrechte seiner Bürger evident verletzt. In diesen Fällen kollidiert das Neutralitätsgebot mit den Menschenrechtstexten. Der IWF darf sich um der menschenrechtlichen Verpflichtungen willen schlechterdings nicht mittelbar an Unrechtshandlungen beteiligen, indem er ein „Unrechtsregime“ mit finanziellen Mitteln unterstützt. Freilich öffnet die Frage, ob ein Staat im Einzelfall die Menschenrechte evident verletzt, einer politischen Instrumentalisierung von Kreditzusagen (oder deren Ablehnungen) Tür und Tor. In einer Funktion als Lender of Last Resort, kann der IWF diesem Dilemma nicht entgehen. Um einer Instrumentalisierung so weit als möglich vorzubeugen, sind an die Feststellung evidenter Menschenrechtsverletzungen zumindest hohe Ansprüche zu stellen. Die in diesem Zusammenhang schwierigen Einzel- und Ermessensfragen sollten außerhalb der von wenigen Mitgliedern dominierten IWF-Strukturen, etwa im Rahmen einer (freilich ebenfalls politisch motivierten) UN-Resolution, getroffen werden.
537 C. Janik, Die Bindung Internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards, S. 306. 538 Ch. Payer, The Debt Trap: The International Monetary Fund and the Third World; R. Swedberg, The Doctrine of Economic Neutrality of the IMF and the World Bank, S. 377 ff. 539 J. Stiglitz, Globalisation and Its Discontents, S. 222.
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7. Ergebnis Um seine wesentliche Aufgabe – nämlich die Gewährleistung eines stabilen Währungs- und Wechselkurssystems – zu erfüllen, hat der Fonds wirtschaftliche Kriterien möglichst unparteiisch und sachlich neutral zu wägen. Zwar ist der IWF der Sache nach eine ökonomische Institution, er agiert aber stets in einem politischen Kontext, der im Übrigen durch die hochpolitischen Entscheidungsstrukturen innerhalb des IWF verstärkt wird. Mit der Funktion des IWF als Kreditgeber von Staaten ist der IWF einem Dilemma zwischen seinem an ökonomischen Stabilitätsgesichtspunkten orientierten Mandat und politisch geleiteten Interessen ausgesetzt. In der Praxis hat sich der IWF bei seiner Kreditvergabe vom völkerrechtlichen Gebot der politischen Neutralität de facto dispensiert. Der Währungsfonds hat kein Mandat zur Überwachung der Menschenrechte (Menschenrechtsmonitoring). Gleichwohl entfalten die menschenrechtlichen Kodifikationen auch Wirkung für den IWF und zwar insofern, als sie den Schutz der staatlichen Souveränität durch das Verbot der politischen Betätigung komplementieren. Für den IWF bedeutet das Neutralitätsgebot, dass er den Menschenrechtskodifikationen Rechnung zu tragen hat, indem er deren Verwirklichung dem jeweiligen Mitgliedstaat überlässt und nicht mit Maßnahmen eingreift, welche die staatliche Aufgabe zur Verwirklichung der Menschenrechte desavouieren540.
540 So wird dem IWF in Teilen der Literatur vorgeworfen, dass die von ihm insbesondere in Entwicklungsländern durchgesetzten Maßnahmen Bevölkerungsgruppen betreffen, die ohnehin besonderen Vulnerabilitäten ausgesetzt sind. Insbesondere im Rahmen der Armutsprogramme wird dem IWF vorgeworfen, das allgemeine Pauperisierungsrisiko zu erhöhen und die Grundversorgung der Bevölkerung durch strenge Auflagen zu gefährden: „In addition, the structural adjustment plans imposed by the IMF and regional banks in order to balance capital accounts can aggravate the food situation, particularly when these plans call for the elimination of public subsidies for basic foods intended to help the poorest social sectors.“ United Nations Economic and Social Council, Economic, Social and Cultural Rights, The right to food Report by the Special Rapporteur on the right to food, Mr. Jean Ziegler, submitted in accordance with Commission on Human Rights resolution 2000/10 vom 7. Februar 2001.
Teil 2
Der Fonds als Kreditgeber A. Modalitäten der Kreditvergabe I. Leitlinien zur Kreditvergabe Die Eingriffe des Fonds in die rechtliche und damit auch politische und gesellschaftliche Struktur der Programmstaaten begann im Zuge der lateinamerikanischen Verschuldungskrise in den achtziger Jahren. Damals wurden „Komplexität und Reichweite“ der IWF-Auflagen „signifikant“ erhöht1. Zuvor hatten sich die Auflagen des IWF im Wesentlichen auf makroökonomische Maßnahmen beschränkt. In der Folge der lateinamerikanischen Verschudlungskrise waren „zwei Drittel der Konditionalitäten […] im Bereich der Fiskalpolitik, der Finanzsektorreform und der Privatisierung angesiedelt“2 mit der Begründung, dass angebotsorientierte Maßnahmen besser zum Wachstumsziel beitrügen3. Die Konditionierung der Mittelvergabe wurde in der Mexikokrise weiter ausgebaut, indem internationale Standards und Kodizes implementiert wurden4. Dabei dienten die Letters of Intent als „Vehikel für die Durchsetzung partikularer politischer Reformen in den Schuldnerländern“5. Die Auflagenprogramme des IWF waren von Beginn an äußerst umstritten6. Einer der wesentlichen Kritikpunkte bestand darin, dass sich die Fondsauflagen an der angebotsorientierten neoklassischen Theorie7 orientierten (Washington Consensus). Als Antwort auf die zunehmende Kritik an der 1 IMF Factsheet Conditionality, einzusehen unter https://www.imf.org/external/ np/exr/facts/conditio.htm. 2 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 193. 3 Dazu interne Evaluierung des IWF, IMF, IMF Board Agrees on Changes to Fund Financial Facilities. 4 M. Goldstein, An Evaluation of Proposals to Reform the International Financial Architecture, 2001, S. 34 ff. 5 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 193. 6 Dazu etwa R. Tetzlaff, Weltbank und Währungsfonds – Gestalter der BrettonWoods-Ära. Kooperations- und Integration- Regime in einer sich dynamisch entwickelnden Weltgesellschaft, 1996. 7 Sie ist in diesem Zusammenhang insbesondere der „Chicago School“ um Milton Friedman zuzuordnen.
A. Modalitäten der Kreditvergabe153
„Ausuferung der Konditionalitäten“8 wurden die Richtlinien zur Konditionalität in der Bush / Köhler-Periode (September 2002) im Hinblick auf folgende Prinzipien überarbeitet9: •• Ownership, •• Parsimony, •• Tayloring, •• Coordination, •• Clarity. Der Begriff „country ownership“ bedeutet, dass der betroffene Staat an der Erarbeitung der Programme maßgeblich mitgewirkt hat oder dass die Organe des betroffenen Staates zumindest über das Programm informiert wurden, nachdem es von anderer Seite, in der Regel vom IWF oder der Weltbank erarbeitet worden war10. Der Begriff hat sich trotz – oder gerade wegen – seiner mangelnden Klarheit innerhalb der internationalen Finanzinstitutionen (IFIs) durchgesetzt. „Ownership“ bezieht sich auf Programme, Pläne oder Strategien, an welchen in der Regel ein Staat und eine Institution außerhalb des Staates beteiligt sind11. Nach dem Ownership-Prinzip soll nationalen Akteuren innerhalb der Schuldnerstaaten ein größeres Mitspracherecht im „Konditionalitätenprozess“ zugestanden werden12; denn es bestehe bei den meisten Auflagenprogrammen ein „policy space in which members’s choices would not affect the IMF’s willingness to support the program“13. Die Programme, die sich auf ownership berufen, sind etwa die Poverty Reduction and Growth Facility (PRGF), die Heavily Indebted Poor Country (HIPC) 8 Vgl. Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 195; IMF Staff Paper, International Monetary Fund Conditionality, S. 33; IMF, Guidelines of Conditionality vom 25. September 2002. 9 Zu den neuen Konditionalitätsrichtlinien siehe Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 193 ff.; zur Entwicklung der überarbeiteten Richtlinie siehe IMF Staff Paper, International Monetary Fund Conditionality, S. 33 ff.; A. Buira, An analysis of IMF conditionality, 2003, S. 10 ff. 10 W. Buiter, ‚Country ownership‘: a term whose time has gone, 2005, S. 27 ff.; Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 27. 11 Ebenda. Außerstaatliche Institutionen sind in erster Linie die internationalen Finanzinstitutionen sowie andere multilaterale Institutionen (die Beschreibung gilt auch für bilaterale Beziehungen zu anderen Staaten oder der Europäischen Union). 12 W. Buiter, Country Ownership, S. 27 ff.; S. Park/A. Vetterlein, Owning Development: Creating Policy Norms in the IMF and the World Bank, 2010; Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 194. 13 Dazu IMF Staff Paper, International Monetary Fund Conditionality, S. 35. Nach einer Studie des IWF aus dem Jahr 2004 hätten zwei Drittel der Programmstaaten angegeben, der IWF sei „ ‚rather‘ or ‚very‘ flexible in taking the authorities’s views into account during program design“, IMF, Strengthening IMF-World Bank Collaboration on Country Programs and Conditionality.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
Initiative, aber auch die IWF Stand-by Arrangements und Structural Adjustment Facilities (SAF). Im Zuge des streamlining-Prozesses sollen Regierung und zivilgesellschaftliche Organisationen in die Verhandlungen integriert werden, um Verantwortungszusammenhänge zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und der Regierung zu stärken und so ein höheres Legitimationsniveau zu erreichen. „Conditionality, if well designed and established through a mutually acceptable collaborative process, can promote and strengthen ownership, in particular by demonstrating the authorities’ commitment to a course of action14.“ Der Fonds war zu einer Kreditvergabe nur bereit, sofern er vom „commitment“ der Autoritäten überzeugt war und davon ausgehen konnte, dass sich das Empfängerland die Auflagen zu eigen machen werde15. Im Rahmen bestimmter Programme, etwa dem Poverty Reduction Strategy Papers (PRSPs) bemüht man sich, möglichst viele sogenannte „Repräsentanten“ in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, welche für eine erfolgreiche Umsetzung der Programme als hilfreich angesehen werden. Dazu gehören nicht nur Regierungsorgane, sondern auch das Parlament und andere nationale Akteure, wie Lobby-Gruppen und politische, umweltpolitische, kulturelle und religiöse Nichtregierungsorganisationen (stake holder). Der Parsimony-Grundsatz sollte ebenfalls Bestandteil der neuen Konditionalitätspolitik des Währungsfonds werden16. Der Grundsatz besagt, dass von mehreren gleich validen Hypothesen die einfachste auszuwählen ist, das heißt, dass die komplexeren Hypothesen, welche ungewisse Parameter voraussetzen, hinter der einfacheren zurückstehen müssen. Im Rahmen der Konditionalität sollten die Auflagen auf ein notwendiges Minimum reduziert werden und nur solche Konditionen auferlegt werden, welche den Zielen des Fondsprogramms unmittelbar förderlich sind oder die fristgerechte Umsetzung von Maßnahmen gewährleisten17. Mit dem Tayloring-Ansatz sollten die Programme passgenau auf die jeweilige wirtschaftliche Problematik der krisenbetroffenen Staaten zugeschnitten werden. Damit sollten bestimmte Schwerpunkte gesetzt werden, um den diversen Ursachen von Leistungsbilanzungleichgewichten besser Rechnung zu tragen18, wobei der Fonds den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Mitglie14 IMF,
Guidelines on Conditionality, S. 8. IMF Conditionality and Country Ownership of Programs, IMF WP 01/142, 2001. 16 Siehe dazu J. Boughton, Ownership and Conditionality in IMF-Supported Programs, IMF WP WP/03/191, 2003, S. 11. 17 IMF, Guidelines on Conditionality, S. 8; IMF Staff Paper, International Monetary Fund Conditionality, S. 35 f. 18 Zum Versuch des Fonds, die Analyse der globalen Ungleichgewichte auf eine neue analytische Grundlage zu stellen, bei welcher „die aktuellen Leistungsbilanzen 15 M. Khan/S. Sharma,
A. Modalitäten der Kreditvergabe155
der zu beachten habe; eine „gewisse Uniformität“ sei daher unvermeidlich19. Tayloring bezieht sich daher in erster Linie auf den Zeitplan und die Akzentuierung der Konditionalitätsprogramme. Je langfristiger die Kreditprogramme konzipiert sind, desto mehr müssen sich die Auflagen auf strukturelle Reformen in den Schuldnerstaaten beziehen20. Die Koordinationsmaxime war auf eine verbesserte Zusammenarbeit mit anderen multilateralen Organisationen gerichtet. Damit sollte ein kohärentes, länderspezifisches Programm erarbeitet werden, dessen „komplementärer Bestandteil“ die Auflagen des IWF sein sollten21. Verantwortlich für die Konzeption der Programme sollte weiterhin der IWF bleiben. In erster Linie war der Ansatz auf die Zusammenarbeit mit der Weltbank gerichtet. Zwischen IWF und Weltbank wurde das Konzept der „lead agency“ vereinbart, um die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche klar abzugrenzen22. Außerdem sollen sich die Programme am Prinzip der „clarity“ orientieren, das heißt die Auflagenprogramme sollen „klar verständlich und transparent“ sein23. Das Erfordernis der Klarheit der Auflagen steht dabei in einer Wechselwirkung zur Forderung nach Flexibilität im Hinblick auf country’s ownership und Zurückhaltung (parsimony)24.
II. Kritik In der Bush-Köhler-Periode sollte dem Problem der „Mission creep“ durch Reduzierung und Öffnung der Konditionen begegnet und so auch der „öfmit einem fiktiven Saldo [verglichen werden], der sich ergäbe, wenn die Regierungen den wirtschaftspolitischen Ideen des IWF folgten“. Siehe FAZ vom 1. August 2012, IWF will Ungleichgewichte abbauen. Nach dieser Analysemethode des IWF wäre eine Leistungsbilanz allein in dem Ausmaß „ungleichgewichtig“, „in dem sie mit fundamentalen Wirtschaftsdaten und einer ‚wünschenswerten‘ Politik nicht übereinstimmen“. 19 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 195. 20 „[…] it is expected that arrangements supporting longer-term programs will have more extensive structural conditionality than shorter-term arrangements, because structural reforms are more likely to be critical for the achievements of longerterm goals.“ IMF, Guidelines on Conditionality, S. 10. 21 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 195. 22 Siehe dazu IMF, Strengthening IMF World Bank Collaboration on Country Programs and Conditionality vom 23. August 2001. Die Zuständigkeiten wurden in den Bereichen wie Finanzsektor, öffentlicher Sektor, Transparenz, Governance, Korruption, Gesetzgebung, Handelspolitik und Schuldenmanagement zugeteilt. Dazu IWF Jahresbericht 2012, S. 11; Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 195. 23 Ebenda. 24 Dazu IMF Staff Paper, International Monetary Fund Conditionality, S. 36 ff.
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fentlichen Politisierung“ der Kreditvergabepraxis entgegengewirkt werden25. In der Praxis wurden die Ziele, welche durch die Orientierung an den Prinzipien Ownership, Parsimony, Tayloring, Coordination und Clarity erreicht werden sollten aber kaum erfüllt. Insbesondere die Konzentration auf das Element der Ownership konnte in der Praxis nur wenig Wirkung entfalten26. In Fällen, in welchen der IWF nicht davon überzeugt war, dass sich Regierung und Institutionen des Schuldnerstaates die Programmauflagen in hinreichendem Maße zu eigen machen würden, wurde auf die herkömmliche Verfahrensweise einer strengen Konditionalisierung der Kredite zurückgegriffen: „In such cases, the IMF might need to rely on prior actions and a strengthening of conditionality to assure program implementation27.“ Der Ownership-Ansatz des IWF ist in der Praxis oft kaum mehr als ein legitimatorisches Feigenblatt. Er soll den Anschein demokratischer Legitimation erwecken und sorgt für einen „pleasant buzz to distract the uniformed and unwary“28. Die Legitimation des Ownership-Konzepts scheitert schon an der Frage der Repräsentation. In welcher Form diese Gruppen in den Entscheidungsprozess einbezogen werden „remains a mystery“29. Jedenfalls bedeutet die Einbeziehung einer nicht gewählten Interessengruppe gegenüber den Völkern des betroffenen Mitgliedstaates (nicht nur in republikanisch verfassten Mitgliedstaaten mit demokratisch gewählten Repräsentanten) eine willkürliche und damit rechtswidrige Umgehung der Verfassung30.
III. Grundlagen der Finanzierungsprogramme Der Fonds stellt den Mitgliedern seine finanziellen Ressourcen unter verschiedenen Modalitäten zur Verfügung. Die Höhe der Ziehungen, deren Laufzeit und die Ausgestaltung des Reformprogramms richten sich nach der voraussichtlichen Anpassungsdauer der Zahlungsbilanz des Mitglieds. Zu 25 Ch. Kellermann,
Die Organisation des Washington Consensus, S. 198. S. 199. 27 IMF 2002, Jahresbericht, S. 44; dazu M. Khor, The IMF’s Role and Policy Conditionality. The Relationship between Ownership, Conditionality, 2001, S. 21 ff. Eva Riesenhuber erkennt in der Wirkung der neuen Richtlinien keine wesentlichen Veränderungen, The International Monetary Fund under constraint: Legitimacy of Its Crisis Management, 2001, S. 20. 28 W. H. Buiter, Country ownership, S. 27. 29 Ebenda, S. 28. 30 Das Konzept der country ownership bedeute gerade in Staaten ohne republikanisches Staatswesen meistens die Stabilisierung der Oligarchie. So stehe die Bezeichnung country ownership für wenig mehr als: „this program is supported by the people who owns the country“. W. Buiter, Country Ownership, S. 32. 26 Ebenda,
A. Modalitäten der Kreditvergabe157
unterscheiden sind Ziehungen aus der Reservetranche, Ziehungen aus der Kredittranche sowie Ziehungen zur Notfallfinanzierung. 1. Mittel aus der Reservetranche als „ständige Fazilität“ Jeder Mitgliedstaat überweist eine Reservetrancheposition in eigener Währung an den Fonds. Die Höhe der Tranche bemisst sich danach, in welchem Verhältnis die Quote eines Mitglieds zu den IWF-Beständen an der eigenen Währung steht. Bei Bedarf kann ein Mitglied ohne Bedingungen den vollen Betrag seiner Reservetranche in Anspruch nehmen31. Diese Ziehung ist kein Kredit des Fonds; denn es besteht keine Verpflichtung zur Rückzahlung der Ziehung, vielmehr gilt die Reserveposition eines Mitglieds als Teil seiner staatseigenen Devisen32. Der IWF erhebt auf die Ziehungen aber Gebühren (Art. V Abschnitt 8 IWF-Übereinkommen). 2. Mittel aus der Kredittranche Wenn die Liquiditätslücke eines Mitglieds die Reservetranche übersteigt, kann der Fonds zusätzliche Mittel aus der Kredittranche33 zur Verfügung stellen. Im Gegensatz zur Reservetranche, die den Mitgliedstaaten jederzeit ohne Bedingungen zur Verfügung steht (Art. V Abschnitt 3 c) IWFÜbereinkommen)34, ist die Inanspruchnahme dieser Fazilität an Konditionen gebunden. Die Kredittranche macht bei weitem den größten Teil aller Vergabemittel aus, wobei die Mittel meist im Rahmen einer sogenannten Bereitschaftskreditvereinbarung („stand-by arrangement“) ausgezahlt werden35. Nach den Voraussetzungen, welche die Länder für die Inanspruchnahme zu 31 „Die Ziehungen in den oberen Kredittranchen (über 25 %) werden von der Einhaltung bestimmter Konditionen (Auflagen) abhängig gemacht und in der Regel in Teiltranchen abgerufen. Hierbei sollte die reguläre Zugangsgrenze i-H-v. 300 % der Quote der einzelnen Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht überschritten werden.“ T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 87; IMF, Informationsblatt – IWF-Quoten und Quotenprüfung, 31. Juli 2000. 32 Informationsblatt des IWF, Der IWF auf einen Blick. 33 Diese Finanzpositionen werden unter der Position IV „Outstanding Purchases and Loans“ verzeichnet. 34 Ziehungen aus der Reserveposition wirken sich nicht auf das Allgemeine Konto („General Resources Account“) des Mitgliedstaates aus, das heißt mit der Ziehung erhöht sich nicht deren Währungsbestand. Der Mitgliedstaat muss allein einen Zahlungs- und Reservebedarf geltend machen (Art. V Abschnitt 3 b ii) IWF-Übereinkommen). 35 K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 36.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
erfüllen haben, ist zunächst zwischen Finanzhilfen aus dem Allgemeinen Konto des Fonds und den verwalteten Konten des Fonds zu unterscheiden. 3. Mittelvergabe aus dem Allgemeinen Konto Die Ziehungsmöglichkeiten und regulären Fazilitäten36 werden den Mitgliedsländern aus dem Allgemeinen Konto des Fonds zur Verfügung gestellt37. Das Allgemeine Konto des Fonds wird im Wesentlichen aus den Subskriptionen der Mitgliedsländer finanziert. Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme dieser allgemeinen Fondsmittel ist Art. V Abschnitt 3 a) und b) des IWF-Übereinkommens mit dem Wortlaut: „Für die Inanspruchnahme seiner allgemeinen Mittel […] beschließt der Fonds Geschäftsgrundsätze […]; diese Geschäftsgrundsätze sind darauf auszurichten, dass sie den Mitgliedern bei der diesem Übereinkommen gemäßen Lösung ihrer Zahlungsbilanzprobleme helfen und ausreichende Sicherungen dafür schaffen, dass die allgemeinen Fondsmittel nur zeitweise in Anspruch genommen werden.“
Die Voraussetzungen der Mittelvergabe regelt Art. V Abschnitt 3 b) IWFÜbereinkommen. Danach ist „ein Mitglied […] unter den folgenden Bedingungen berechtigt […], vom Fonds gegen Zahlung eines entsprechenden Betrags in seiner Währung die Währungen anderer Mitglieder zu kaufen: Die Inanspruchnahme der allgemeinen Fondsmittel durch das Mitglied entspricht den Bestimmungen dieses Übereinkommens und den hiernach beschlossenen Geschäftsgrundsätzen; das Mitglied legt dar, dass dieser Kauf wegen seiner Zahlungsbilanz- oder Reservesituation oder wegen der Entwicklung seiner Reserven erforderlich ist; der beantragte Kauf stellt einen Kauf in der Reservetranche dar oder bewirkt nicht, dass die Bestände des Fonds an der Währung des kaufenden Mitglieds zweihundert Prozent seiner Quote übersteigen; (kein Entzug der Berechtigung zur Inanspruchnahme der allgemeinen Fondsmittel).“
Die Inanspruchnahme muss den „Bestimmungen des Übereinkommens“ entsprechen, insbesondere dem Zielkatalog des Art. I Ziffer i) IWF-Übereinkommens, demzufolge die Mittel „zeitweise unter angemessenen Sicherun gen“38 zu vergeben sind. Darüber hinaus werden die Einzelheiten der Mittel36 Für die Nutzung der allgemeinen Ressourcen des Fonds werden überwiegend sogenannte stand-by-arrangements eingegangen. Die stand-by-arrangements sind neben den low-income-countries-facilities, die über verwaltete Konten finanziert werden (vgl. unten), das wichtigste Instrument zur Finanzierung der sogenannten Anpassungsprogramme. 37 Zu den regulären IWF-Fazilitäten gehören insbesondere die Bereitschaftskreditvereinbarungen und die Erweiterte Fondsfazilität (EFF). 38 Art. I v) IWF-Übereinkommen.
A. Modalitäten der Kreditvergabe159
vergabe in Geschäftsgrundsätzen geregelt, welche das zuständige Exekutivdirektorium erlässt39. Die Geschäftsgrundsätze müssen ihrerseits im Einklang mit den Bestimmungen des Übereinkommens stehen und sind darauf auszurichten, den Mitgliedern „bei der diesem Übereinkommen gemäßen Lösung ihrer Zahlungsbilanzprobleme (zu) helfen“40. Die Voraussetzungen der Inanspruchnahme der Fondsmittel gemäß dem IWF-Übereinkommen richten sich nach Art. I Ziffer v und Art. V Abschnitt 3. Danach ist ein Mitglied zur Ziehung aus dem Allgemeinen Konto berechtigt, wenn 1. die Hilfen zur Stabilisierung der „Zahlungsbilanz- oder Reservesituation oder der Entwicklung seiner Reserven“ erforderlich sind, 2. der Bedarf an Finanzhilfen zeitlich befristet ist, 3. angemessene Sicherungen zur Verfügung gestellt werden, 4. die eigene Währung hinterlegt wurde, 5. der „Kauf“ in die Reservetranche 200 % der Quote des Mitglieds nicht überschreitet, 6. das Mitglied von der Inanspruchnahme der Fondsmittel nicht suspendiert ist, 7. die Finanzhilfen im Einklang mit den Bestimmungen des Übereinkommens und den hiernach beschlossenen Geschäftsgrundsätzen stehen. Der Kredit wird in Tranchen zu jeweils 25 Prozent der Quote eines Mitgliedslandes ausgezahlt, wobei der Fonds in der Praxis die Freigabe jeder Tranche von der Erfüllung bestimmter Bedingungen abhängig macht41. In der Regel verpflichtet sich der Mitgliedstaat zur Erfüllung der sogenannten performance criteria (zielabhängige Leitgrößen) im Rahmen eines Letter of Intent42. Will das Mitglied eine Ziehung in der ersten Kredittranche vornehmen, so muss es dem Fonds nachweisen, dass es zur Überwindung der Zahlungsbilanzschwierigkeiten „angemessene Anstrengungen“ („reasonable efforts to solve its problems“) unternimmt. 39 Der Fonds passte die Geschäftsgrundsätze regelmäßig an die Bedürfnisse der Mitglieder an. Das System der Kredittranchen blieb unverändert. 40 Art. V Abschnitt 3 a) und b) i) IWF-Übereinkommen. 41 Eine Ausnahme sind Fazilitäten im Rahmen der Notfallhilfe. Diese sind nicht an Bedingungen geknüpft, um schnelle Hilfe zu gewährleisten. 42 Das IWF-Übereinkommen regelt weder die Auszahlung der Mittel in Tranchen, noch die Konditionalität der Ziehungen. Diese Problematik ist im Rahmen der Konditionalität der Mittelvergabe zu erörtern (Teil 4, A. I. 2.).
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
Während die erste Ziehung als Gesamtbetrag abgerufen wird, erfolgt die Ziehung in die nächsten Kredittranchen in der Regel nur in Teilbeträgen43. Vor der Ziehung in die oberen Tranchen muss das Mitglied mit dem Fonds eine Bereitschaftskreditvereinbarung abschließen, in welcher die performance criteria im Einzelnen festgelegt werden. Die Teilbeträge in die oberen Tranchen werden vom Fonds nur freigeben, wenn das Mitglied die vereinbarten Bedingungen erfüllt hat44. Die Bedingungen für die Ziehungen in die höheren Tranchen sind strenger. Der Fonds erwartet, dass das Mitglied seine Wirtschaft einer „substantial justification“ unterzieht. Technisch erfolgt die Rückzahlung der Kredite über den Rückkauf der eigenen Währung. Im Jahr 2000 führte der Fonds zeitabhängige Rückkaufserwartungen ein, die zwischen Erwartungs- (expectation schedule) und Verpflichtungszeitplan (obligation schedule) unterscheiden45. Das Exekutivdirektorium kann den Erwartungszeitplan auf Anfrage des Mitglieds auf einen Verpflichtungszeitraum verlängern, sofern die Reserveposition in Form von Devisen, die mittleren Erwartungen für die Entwicklung der Zahlungsbilanz und der Zugang des Mitglieds zum internationalen Kapitalmarkt eine Verlängerung sinnvoll erscheinen lassen46. Zahlt das Mitglied den Kredit im vereinbarten Zeitraum nicht zurück, so verliert es den Anspruch auf zukünftige Ziehungen beim Fonds47. Die allgemeinen Ziehungsrechte spielen im Verhältnis zu den anderen Weltwährungsreserven nur eine „randständige Rolle“. Sie sind im Prinzip an Einzahlungen gebunden und „konnten und sollten das internationale Liquiditätsproblem nicht lösen“48.
43 Zu den Ziehungsansprüchen der Mitgliedstaaten R. Schütz, Solidarität im Wirtschaftsvölkerrecht. Eine Bestandsaufnahme zentraler entwicklungsspezifischer Solidarrechte und Solidarpflichten im Völkerrecht, S. 138 ff. 44 Informationsblatt des IWF, Der IWF auf einen Blick. 45 Über die allgemeine Regelung des Art. V Abschnitt 7 IWF-Übereinkommen hinaus, ist der Zeitraum der Ziehungen in den Kredittranchen nicht gesondert geregelt. Die Laufzeit für Ziehungen in die Kredittranche entspricht der Laufzeit der Bereitschaftskreditabkommen, also zwischen 12 und 18 Monaten, die auf höchstens drei Jahre verlängert werden darf (IWF, Entscheidung vom 25. Sept. 2002, Nr. 12865(02/102) unter Nr. 3; in: Sel. Dec. 2003); zu den Einzelheiten der Rückzahlung siehe IMF, Factsheet Lending, einzusehen unter http://www.imf.org/external/np/exr/facts/ howlend.htm. 46 IMF, Review of Fund Financial Facilities, S. 2; IWF, Jahresbericht 2003, S. 78. 47 Von dieser Bestimmung sind die Notfallhilfen ausgenommen. 48 R. Knieper, Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 93.
A. Modalitäten der Kreditvergabe161
4. Mittelvergabe aus verwalteten Konten Neben den Ziehungen und Fazilitäten aus dem Allgemeinen Konto kann der Fonds auch Finanzhilfen aus Konten vergeben, die von Mitgliedern zur Verfügung gestellt, aber vom Fonds verwaltet werden. Die verwalteten Konten werden teilweise über das Konto für Sonderverwendungen finanziert. Diesem Konto fließen die Erträge aus dem Verkauf von Goldvorräten des Fonds zu. Die Finanzhilfen aus den verwalteten Konten richten sich nicht nach den strengeren Bestimmungen des Art. V Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen, der nur für die allgemeinen Fondsmittel gilt, sondern nach der allgemeinen Regelung des Art. I der Statuten. Der Fonds ist damit nicht verpflichtet, die Mittel den Mitgliedern in gleicher Weise zugänglich zu machen und auf den revolvierenden Charakter der Fondsmittel zu achten, also die Fondsmittel nur kurzfristig zu vergeben. Unter den vom Fonds verwalteten Konten kommt der Fazilität für Armutsreduzierung und Wachstum (Poverty Reduction and Growth Facilitiy, PRGF) die größte Bedeutung zu49. Er gestattet den Programmstaaten ein Kreditlimit von 185 Prozentpunkten der eigenen Quote gegenüber sonst üblichen 140 Prozentpunkten50.
IV. Die Programme und Fazilitäten im Einzelnen Der Fonds verfügt über eine Vielzahl unterschiedlicher Finanzierungsinstrumente, um Liquidität zu gewährleisten. Zu unterscheiden sind reguläre IWF-Fazilitäten51, Sonderfazilitäten52 und konzessionäre Hilfe53. Die in der Praxis bedeutendsten Programme sind die kurzfristigen stand-by-arrangements und die längerfristigen low-income-contries-facilities.
49 Zur Fazilität für Armutsreduzierung und Wachstum siehe Informationsblatt des IWF, Der IWF auf einen Blick. 50 Dazu auch Ph. Völk, Zur Gläubigerrangfolge bei souveränen Schuldnern, 2008, S. 193. 51 Reguläre Fazilitäten sind Mittel aus der sogenannten Reservetranche (Art. XXX c) IWF-Übereinkommen) und der sogenannten Kredittranche, die in vier Bereiche unterteilt sind. Der Fonds knüpft an Ziehungen aus der Reservetranche keine Bedingungen. Vgl. dazu K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 34 f. 52 Zu den Sonderfazilitäten zählen die Fazilität zur Kompensierung bei Exporterlösausfällen (CFF), Die Fazilität zur Stärkung von Währungsreserven (SRF) und die Vorsorgliche Kreditlinie (CCL). 53 Zur konzessionären Hilfe gehören die Armutsbekämpfungs- und Wachstumsfazilität (PRGF) und die Initiative für hochverschuldete arme Länder (HIPC).
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
1. Bereitschaftskreditvereinbarungen Die Voraussetzungen für die Vergabe der allgemeinen Fondsmittel, zu der auch Bereitschaftskredite zählen, sind eng gefasst54. Der Fonds wollte sich auf diese Weise vor einer ausufernden Inanspruchnahme seiner Ressourcen schützen. Mit den Bereitschaftskreditvereinbarungen verfolgt der IWF das Ziel, kurzfristige Zahlungsbilanzdefizite eines Mitglieds zu überbrücken55; denn häufig hat ein Mitgliedstaat Schwierigkeiten, seinen Auslandsverbindlichkeiten zeitgerecht nachzukommen. Entscheidend ist, dass das Defizit des betroffenen Mitgliedstaates zeitweiliger und zyklischer Natur ist. Ein typischer Bereitschaftskredit erstreckt sich über einen Zeitraum von 12 bis 18 Monaten56. Die Bereitschaftskreditvereinbarungen werden in Art. 5 Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen als Teil der Inanspruchnahme der allgemeinen Mittel explizit aufgeführt. Die Voraussetzungen zur Vergabe gemäß Art. 5 Abschnitt 3 b) IWF-Übereinkommen gelten für Bereitschaftskredite entsprechend. Voraussetzung der Inanspruchnahme ist, dass der Kredit für das betroffene Mitglied „wegen seiner Zahlungsbilanz- oder seiner Reservesituation oder wegen der Entwicklung seiner Reserven erforderlich ist“57. Die Regelung entspricht dem einleitenden Abschnitt des Art. V Abschnitt 3 a) des IWFÜbereinkommens, welcher die allgemeinen Mittel zum Zweck der „Lösung (von) (…) Zahlungsbilanzproblemen“ freigibt. Die allgemeinen Fondsmittel dürfen zu einem anderen Zweck also nicht verwendet werden. Außerdem darf der Kredit 200 Prozent der Quote des Mitglieds nicht übersteigen58. Im 54 Ziehungen im Rahmen der Bereitschaftskreditvereinbarungen (SBAs) unterliegen unterschiedlichen Voraussetzungsstufen. Bei Ziehungen in der ersten Kredittranche sind die Bedingungen zurückgenommen. Das Mitglied muss dem IWF einen Sanierungsplan vorweisen, nach welchem die begründete Aussicht besteht, dass der Mitgliedstaat seine Zahlungsbilanz werde in Ausgleich bringen können. Auf weitere Bedingungen wird bis zu Ziehungen in den oberen Kredittranchen verzichtet. Bei letzteren kommt die Konditionalität voll zum Tragen. Unter Einbeziehung des IWF hat der krisenbetroffene Staat ein umfassendes Programm zur Bewältigung seiner Zahlungsbilanzprobleme auszuarbeiten. (Bei der Inanspruchnahme von Sonderfazilitäten sind darüber hinaus die spezifischen Bedingungen zu erfüllen.) Vergleiche zu den tatbestandlichen Voraussetzungen einer Inanspruchnahme: P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 186; T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 95. 55 „IMF facilities can usefully be considered as a kind of insurance policy. Shortterm liquidity support from the IMF offers some insurance against the short-term liquidity problems facing countries.“ A. Haldane/A. Taylor, Moral hazard: how does IMF lending affect debtor and creditor incentives?, S. 122. 56 Informationsblatt des IWF, Der IWF auf einen Blick. 57 Art. V Abschnitt 3 b) ii) IWF-Übereinkommen. 58 Art. V Abschnitt 3 b) iii) IWF-Übereinkommen.
A. Modalitäten der Kreditvergabe163
Übrigen muss die Inanspruchnahme den Bestimmungen des IWF-Übereinkommens und den nach Art. V Abschnitt 3 a) S. 1 IWF-Übereinkommen beschlossenen Geschäftsgrundsätzen entsprechen. 2. Erweiterte Fondsfazilität (Extended Fund Facility, EFF) Die EFF59 ist eine Fazilität, welche mit den Bereitschaftskreditvereinbarungen nahe verwandt ist. Im Unterschied dazu ist sie aber auf ein mittelfristiges Programm ausgerichtet und geht auf die in den siebziger Jahren gewonnene Erfahrung zurück, dass nicht allein zyklische, sondern auch strukturelle Fehlentwicklungen in Produktion und Handel zu Ungleichgewichten einer Zahlungsbilanz führen können. Die Korrektur solcher Fehlanpassungen bedarf eines Zeitraums, der über die bis dahin in den Bereitschaftskreditvereinbarungen vorgesehenen 12 bis 18 Monate hinausgeht, und daher erstreckt sich die Fazilität seit dem Jahr 1974 auf eine Laufzeit von drei Jahren. Ebenso wie der Bereitschaftskredit soll also auch sie zur Überwindung von Zahlungsbilanzdefiziten beitragen, die jedoch in diesem Fall makroökonomische und strukturelle Ursachen haben müssen. Dem entsprechen auch die Auflagen, die an die Inanspruchnahme geknüpft sind. Weil es sich um ein strukturelles Zahlungsbilanzproblem handelt, wird die Auszahlung von einem Programm begleitet, welches neben Stabilisierungsmaßnahmen auch strukturpolitische Reformen umfasst (erweitertes Abkommen). Die Rückkäufe erfolgen in einem Zeitraum zwischen viereinhalb und zehn Jahren60. 3. Armutsbekämpfungs- und Wachstumsfazilität (Poverty Reduction and Growth Facility, PRGF) Im Rahmen seiner Initiative zur Strukturanpassungspolitik (SAP) hatte der Fonds auch langfristige Kreditfazilitäten aufgelegt61. Sie waren „eng verbunden mit den Interessen der Marktakteure, die darin das zentrale Mittel zur Schaffung marktwirtschaftlicher Strukturen in den Entwicklungs- und Schwellenländern sahen“62. Auf Grund vielfältiger Kritik wurden die Strukturanpassungsprogramme „unter dem Deckmantel der Armutsreduzierung“63 reformiert und die Initiative zur Entschuldung der höchstverschuldeten armen 59 IWF, Entscheidung vom 13. Sept. 1974, Nr. 4377-(74/114) zuletzt geändert durch Entscheidung vom 28. Nov. 2000, Nr. 12343-(00/117); in: Sel. Dec. 2003. 60 Informationsblatt des IWF, Der IWF auf einen Blick. 61 Zu den Zielen öffentlicher Entwicklungshilfe und struktureller Anpassungsprogramme W. Lachmann, Entwicklungspolitik, S. 122 ff. 62 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 185. 63 Ebenda, S. 185.
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Mitgliedstaaten (HIPC-Initiative, siehe unten) als Bestandteil in die Programme aufgenommen. Die Strukturanpassungspolitik des Fonds wurde aber auch nach der Reform „fortgesetzt und gefestigt“64. Um die „konzessionäre Hilfe“65 zu verbessern, wurde neben der Aufnahme der Entschuldungsinitiative die sogenannte Armutsbekämpfungs- und Wachstumsfazilität (Poverty Reduction and Growth Facility, PRGF) eingerichtet66. Sie war bereits im Jahr 1987 unter dem Namen ESAF für Länder, die mit besonderen Armutsproblemen konfrontiert waren, ins Leben gerufen worden67. Die Fazilität sollte dazu beitragen, „die Zahlungsbilanzpositionen beträchtlich und nachhaltig zu stärken, (…) dauerhaftes Wachstum zu fördern und so den Lebensstandard zu erhöhen und die Armut zu verringern“68. Die PRGF ist ein langfristiges Finanzierungsprogramm mit einer Laufzeit bis zu 10 Jahren. Das Programm wurde im Jahr 1994 verlängert und im Jahr 1999 weiter aufgestockt, „um die Armutsbekämpfung zu einem ausdrücklichen Kernelement zu machen“69. Die PRGF war auf der Grundlage der Strategiepapiere zur Armutsreduzierung (Poverty Reduction Strategy Papers, PRSP) „an eine Reihe fester Konditionalitäten gekoppelt“70. Dabei sollte der neue Ansatz der sogenannten „ownership“ zum Tragen kommen; denn die Programme sollten nicht mehr extern verordnet werden, sondern eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz erreichen, indem ein nationaler Dialog zu den Strukturreformen gefördert werden sollte („PRSPs are prepared by governments with the active participation of civil society and other development partners.“71). Das ownershipKonzept sorgte dafür, dass die Auflagen teilweise flexibler als in anderen Programmen gestaltet wurden, wobei der IWF aber weiterhin auf bestimmten Strukturanpassungsauflagen in den Bereichen „Wechselkurs- und Steuerpoli64 Ebenda,
S. 185.
65 Informationsblatt
des IWF, Der IWF auf einen Blick. IMF, Financial Organizations and Operations of the IMF, S. 119 f. 67 Die PRGF wurde als Nachfolger der Enhanced Structural Adjustment Facility (ESAF, begründet im Jahr 1987) im Jahr 1999 aufgelegt, wobei nur der Name der Fazilität geändert wurde. Die ESAF war für Entwicklungsländer als erweiterte Strukturanpassungsfazilität entwickelt worden. Sie sollte über ein Kreditprogramm von drei Jahren zur Verbesserung der Zahlungsbilanzen und zur Stärkung des Wachstums beitragen; vgl. dazu ausführlich und unter Einbeziehung der Kritikpunkte: International Monetary Fund, The IMF’s Enhanced Structural Adjustment Facility (ESAF): Is it Working?, September 1999. 68 Informationsblatt des IWF, Der IWF auf einen Blick. 69 Ebenda. 70 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 186. 71 IMF Factsheet zu Poverty Reduction and Growth Facility (PRGF) vom 31. Juli 2009. 66 Dazu
A. Modalitäten der Kreditvergabe165
tik, Fiskalmanagement, Haushaltspolitik und in Bereichen des Zolls“ bestand72. Neben dem ownership-Konzept waren „Ergebnisorienierung, Langfristigkeit und die Anerkennung der Komplexität von Armut“ die wesentlichen Elemente der Strategiepapiere zur Armutsreduzierung (PRSPs)73. Bei der Art der Mittelvergabe handelt es sich nicht um eine Ziehung, die in Form eines Währungskaufs durchgeführt wird, sondern um ein reines Darlehen, dessen Auszahlung an bestimmte Erfüllungskriterien und die Durchführung von Programmüberprüfungen gebunden ist. Die Darlehen werden nicht zu marktüblichen Zinsen, sondern zu einem subventionierten Zinssatz in Höhe von 0,5 Prozent und einer tilgungsfreien Zeit von fünfeinhalb Jahren vergeben74. Die Darlehenshöhe ist üblicherweise auf 280 Prozent der Quote beschränkt und kann in Sonderfällen bis auf 370 Prozent erhöht werden75. Die PRGF ist „die zentrale Fazilität des Fonds für sein langfristiges und strukturelles Engagement in Entwicklungsländern“76. Kellermann betont die große Bedeutung der Konditionalität für den Washington Consensus im Hinblick auf die Fortführung der langfristigen Programme des IWF77. Der angestrebten Verlagerung der Strukturpolitik auf die Weltbank sei der Fonds mit dem Ausbau seines Engagements im Rahmen des Poverty Reduction Strategy Papiers (PRSP) zuvorgekommen. Die an die Fazilitäten geknüpften Auflagenprogramme des Fonds hätten „zusätzlich zum Inhalt auch noch die nationalen Prozesse“ geprägt78. Auf diese Weise habe sich „die Vorstellung der Finanzgemeinde am Ende stets [durchgesetzt]“79.
72 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 186. Die Konditionalitäten der PRSPs wurden in Kooperation mit der Weltbank konzipiert und überwacht, wobei sich die Weltbank auf den Bereich der Armutsbekämpfung und soziale Fragen konzentrierte. 73 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 187. Dazu gehörten auch die Millennium Development Goals (MDGs) der Vereinten Nationen, das heißt das Ziel, die Armut in der Zeit von 1990 bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Die Ziele wurden in die Strategiepapiere aufgenommen. 74 „Loans under the PRGF carry an annual interest rate of 0.5 percent, with repayments made semiannually, beginning 5½ years and ending 10 years after the disbursement.“ IMF, The Poverty Reduction and Growth Facility (PRGF), Juli 2009. 75 Ebenda. 76 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 185 (m. w. N. zur quantitativen Bedeutung der Fazilität). 77 Ebenda, S. 199. 78 Ebenda; S. Griffith-Jones/J. Ocampo, What Progress on International Financial Reform? Why so Limited?, EGDI, 2002, S. 13. 79 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 199.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
4. Initiative für hochverschuldete arme Länder (HIPC) Ebenfalls im Rahmen der konzessionären Hilfe hatte der Fonds im Jahr 1996 die HIPC-Initiative ein Programm für die höchstverschuldeten Mitgliedstaaten verabschiedet, um die Schulden der ärmsten Länder zu reduzieren80. Der Zugang zu diesen Mitteln wurde auf bestimmte Länder beschränkt, die außerordentliche Hilfe zur Senkung ihrer Auslandsverschuldung benötigen. Die Initiative verfolgt das Ziel, anspruchsberechtigte Länder in die Lage zu versetzen, „ihre Auslandsschulden zu bedienen, ohne eine weitere Schuldenerleichterung zu benötigen und ohne ihr Wachstum zu beeinträchtigen“81. Das Programm wendet sich an multilaterale Gläubiger, den Pariser Club sowie andere öffentliche und bilaterale Gläubiger. Die Schuldnerländer müssen nachweisen, „dass sie die Erfüllungskriterien im Rahmen von PRGF- und IDA-unterstützten Programmen einhalten“82. Für die Initiative qualifizieren sich nur solche Länder, deren Auslandsverschuldung nicht mehr tragfähig ist, eine Bedingung, die nach Vorgabe des Fonds bei einer Schuldendienstquote von mindestens 10 bis 15 Prozent erfüllt ist83. Die Bewertung führt der Fonds in Zusammenarbeit mit der Weltbank durch. Qualifizieren können sich nur diejenigen Staaten, welche bereits gut in den Weltmarkt integriert sind, das heißt Exporteinnahmen von mindestens 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und ein Steueraufkommen von mindestens 15 Prozent des BIP aufweisen können. Außerdem kann das Programm nur von denjenigen Ländern beansprucht werden, welche auch Anspruch auf PRGF und Kredite der Weltbanktochter International Development Association (IDA) haben. Bevor sich ein Land qualifiziert, muss es einen Prozess von mehreren Schritten durchlaufen84: Zunächst ist ein „threeyear track record“ erforderlich, das heißt, das Land muss sich einem mindestens dreijährigen Strukuranpassungsprogramm unter Aufsicht des IWF unterziehen. Am Ende des Programms trifft der Fonds eine abschließende Entscheidung („decision-point“), ob das Programm erfolgreich war und ob es 80 Die HIPC-Initiative ist keine Kreditfazilität, sondern ein Bestandteil der Programme, insbesondere der PRGF-Programme (siehe oben); siehe dazu auch IWF, Die Logik der Schuldenerleichterung für die ärmsten Länder, September 2000, http:// www.imf.org/external/np/exr/ib/2000/deu/092300g.htm. 81 Informationsblatt des IWF, Der IWF auf einen Blick. 82 Ebenda. 83 IWF Jahresbericht 2002, S. 52. Als Schwellenwert für die Tragfähigkeit der Auslandsverschuldung wurde festgelegt, dass die Verschuldung nicht über 150 Prozent der jährlichen Exporterlöse oder 250 Prozent gemessen an den Staatseinnahmen betragen dürfte. Vgl. Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 188. 84 Dazu IMF, Debt Relief for Low-Income Countries.
A. Modalitäten der Kreditvergabe167
an der Initiative zur Entschuldung teilnehmen darf. Bei einer positiven Entscheidung muss der Staat im Rahmen eines „second track record“ ein weiteres Strukuranpassungsprogramm erfüllen, das sich nochmals über drei Jahre erstreckt. Dies ist die Voraussetzung für den „floating completion point“, den Erfüllungszeitpunkt des Schuldenerlasses. Der „floating completion point“ ist erreicht, wenn das Land das PRSP umgesetzt hat „involving agreed key structural and social reforms and macroeconomic framework designed to promote growth. All creditors provide equal reduction […] on their claims after the application of Naples terms sufficient with interim relief to reach sustainability target. This debt relief is provided with no further policy conditionality“85. Durch die Verknüpfung der Verschuldungsinitiative mit IWF-Programmen und die „Einbeziehung des Schuldenerlasses in den Kompetenzbereich des Fonds“86 wurden die langfristigen Engagements des IWF weiter ausgebaut, wobei weder das ownership-Konzept noch die Zusammenarbeit mit der Weltbank die bisher praktizierte Strukturanpassungspolitik des IWF in den Mitgliedstaaten wesentlich veränderte. Christian Kellermann spricht von der „Fortschreibung des status quo“87: „Vor dem Hintergrund des heterodoxen Ursprungs der HIPC-Initiative wurde ein emotional aufgeladener Topos in die offizielle Reformagenda aufgenommen, der jedoch ebenfalls im Sinne des Washington Consensus transformiert wurde.“ Einen Erlass der Schulden der ärmsten Länder ohne Auflagenprogramme kam für den IWF nicht in Frage, weil bei einem Schuldenerlass ohne Bedingungen falsche Anreize geschaffen würden. „Unconditional debt relief is not the right tool for promoting the ultimate goal of sustainable development and poverty reduction. […] Conditionality is an integral part of this process88.“ Im Ergebnis war die Schuldeninitiative, deren Dynamik im Wesentlichen aus dem globalisierungskritischen Lager vorangetrieben wurde, mit der Einbindung des IWF gescheitert; denn der IWF hat sich des Entschuldungsprojekts primär deshalb angenommen, um „die Kontinuität seines langfristigen 85 IMF, Debt Relief for Low-Income Countries. Zum Jahresende 2002 erreichten 20 Länder den „descision point“. Der „completion point“ aber wurde zum Ende des Jahres 2002 nur von sechs Ländern (Bolivien, Burkina Faso, Mauretanien, Mosambik, Tansania und Uganda) erreicht. Ende des Jahres 2007 erreichten 23 den postcompletion-point. Weitere 9 Staaten erreichten den den „decision point“.; dazu IMF, A Factsheet, Debt Relief under the Heavily Indebted Poor Countries (HIPC) Initiative. 86 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 189. 87 Ebenda. 88 IMF, Overview – Transforming the ESAF and the Debt Initiative vom 9. Februar 2000, einzusehen unter http://www.imf.org/external/np/esafhipc/1999/index.htm.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
Engagements“ zu legitimieren89. Durch die vollständige Integration der Entschuldungsinitiative in seinen Zuständigkeitsbereich konnte der Fonds „seine Vorstellungen einer richtigen Strukturpolitik (Wirtschafts-, Wechselkurs- und Finanzpolitik) in den Schuldnerländern durchsetzen“90. Allerdings wäre ohne die Einbindung des IWF auch nicht mit der Unterstützung der Finanzgemeinde zu rechnen gewesen, welche unter Zurückstellung erheblicher vertragsrechtlicher Bedenken einen Schuldenerlass zur Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit eines Staates für „sinnvoll erachtete“, sofern er von strengen strukturellen Auflagenprogrammen begleitet werde91. Die Unterstützung der Finanzgemeinde relativiert sich insofern, als von der HIPCInitiative allein offizielle bilaterale Schulden erlassen werden sollten und der Bereich der privaten Auslandsverschuldung von den Programmen ausgeschlossen war. Mit der finanziellen Entlastung der Schuldnerstaaten gegenüber staatlichen Gläubigern wurde die Wahrscheinlichkeit einer Rückzahlung gegenüber privaten Gläubigern erhöht92. In Verlauf der Asienkrise wurde die Kritik insbesondere an den strukturellen Auflagen des IWF immer lauter. Der IWF reagierte mit einer Überprüfung und Reform seiner Konditionalitätsrichtlinien (der ersten seit dem Jahr 1979): Die Auflagenprogramme wurden während der Bush / Köhler-Periode einem „streamlining“ unterzogen, dessen Ziel die „Reduzierung, Auslagerung und Öffnung des Strukturanpassungsprozesses“ war93. Nach Kellermanns Auffassung wurde aber auch damit nur „die Rolle des IMF im Rahmen des langfristigen Strukturengagements festgeschrieben“94 (zur Neuausrichtung der Konditionalitätsrichtlinien siehe oben). 5. Fazilität zur Kompensierung bei Exporterlösausfällen (CFF) Die Fazilität zur Kompensierung bei Exporterlösausfällen (CFF) wurde schon 1963 ins Leben gerufen und im März 2004 durch den Executive Board neu überprüft.95 Sie dient der Überbrückung von zeitweiligen Zah89 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 190. „Durch die Komplementarität aus der Armutsbekämpfungsstrategie und der Eingliederung des Entschuldungstopos konnte der IMF die Kritik am langfristigen Strukturengagement des IMF letztlich neutralisieren und für sich nutzen.“ Ebenda, S. 191. 90 Ebenda. 91 Ebenda, S. 190. 92 Vgl. in diesem Zusammenhang die Problematik eines Moral-Hazard-Verhaltens auf Gläubigerseite Teil 2, C. II. 2. 93 Ebenda, S. 192. Dazu auch IMF Jahresbericht 2002, S. 45. 94 Ebenda, S. 192. 95 International Monetary Fund, IMF Concludes Review of the Compensatory Financing Facility, April 2004.
A. Modalitäten der Kreditvergabe169
lungsausfällen im Exportgeschäft oder der Abdeckung von Mehrkosten für Getreideeinfuhren, sofern beide durch externe Schocks verursacht wurden. Die Mittel sind innerhalb von dreieinviertel bis fünf Jahren an den Fonds zurückzuführen. 6. Fazilität zur Stärkung von Währungsreserven (Supplemental Reserve Facility, SRF) Die Supplemental Reserve Facility (SRF) wurden im Jahr 1997 während der Asienkrise als reine Krisenfazilität mit dem Merkmal „hohe Volumina bei kurzen Laufzeiten“ aufgelegt. Sie sollte die Kreditmöglichkeiten des IWF erweitern, „wodurch auf die Schaffung eines Lender of Last Resort abgezielt wurde“96. Entsteht bei einem Mitgliedstaat durch einen Vertrauensverlust des Marktes ein kurzfristiger Finanzierungsbedarf, der zu außergewöhnlichen Zahlungsbilanzschwierigkeiten führt, dann kann der IWF aus der Fazilität zur Stärkung von Währungsreserven Fondsmittel zur Verfügung stellen97. Die Kredithöhe ist nicht begrenzt und der Umfang der Konditionalitäten ist mit den Stand-by-Arragements vergleichbar98. Allerdings verlangte der IWF im Rahmen der SRF-Fazilität, dass auch andere private und öffentliche Gläubiger in das Finanzierungsprogramm einbezogen werden müssen, um Moral-hazard-Effekte möglichst gering zu halten99. Die Laufzeit ist grundsätzlich auf ein bis eineinhalb Jahre begrenzt, kann aber im Bedarfsfall auf zwei bis zweieinhalb Jahre verlängert werden. Für diese Kredite berechnet der IWF einen Zinsaufschlag von 3,0 bis 5,0 Prozentpunkten100, um Anreize für eine frühzeitige Rückzahlung zu geben. Die SRF wurde als „Projekt des Weißen Hauses“101 kritisiert, als ein „taktisches Moment der Clinton-Administration“, um den avisierten Ausbau des IWF 96 Ch. Kellermann, 97 International
Die Organisation des Washington Consensus, S. 180. Monetary Fund, IMF Approves Supplement Reserve Facility, De-
zember 1997. 98 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 181. 99 IMF, „IMF Approves Supplemental Reserve Facility“, 17. Dezember 1997, einzusehen unter http://imf.org/external/np/sec/pr/1997/PR9759.htm. 100 Die Zinsaufschlagrate (surcharge) ist der durchschnittlichen Zinsrate hinzuzurechnen. Im Jahr 1997 lag sie bei 4,7 Prozent. Die Zinsrate steigt von 300 Basispunkten in stufenweiser Erhöhung um 50 Basispunkte pro Halbjahr auf bis zu 500 Basispunkten (100 Basispunkte entsprechen 1 Prozent). Die Zinsaufschlagrate der SRFFaziliät ist damit deutlich höher als bei anderen Fazilitäten, welche bei 100 bis 200 Basispunkten bei Laufzeiten von 2 1/2 bis 10 Jahren liegen. Siehe International Monetary Fund, IMF Approves Supplement Reserve Facility, Dezember 1997; IMF Jahresbericht 2001, S. 42 ff. 101 P. Blustein, The Chastening. Inside the Crisis that Rocked the Global Financial System and Humbled the IMF, S. 334.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
als Lender of Last Resort voranzutreiben102. Die SRF wurde Ende des Jahres 2003 abgeschafft. 7. Vorsorgliche Kreditlinie (Contingent Credit Lines, CCL) Die Vorsorglichen Kreditlinien (CCL) sind eine allgemeine präventive Fazilität mit dem Ziel, die Ausbreitung von Krisen zu verhindern103, welche typischerweise durch Interdependenzen mit dem freien Kapitalverkehr entstehen104. Im Gegensatz zur SRF gewährt diese Fazilität Hilfen an Mitglieder, bei denen eine wirtschaftliche Krise zwar noch nicht ausgebrochen ist, bei denen jedoch die Befürchtung besteht, dass benachbarte externe Marktstörungen auf das Land übergreifen und das Vertrauen in dessen Wirtschaft gefährden. Die drohende Krise muss jedoch auf Umständen beruhen, die vom Mitgliedstaat selbst nicht zu verantworten sind. Die Besonderheit der Fazilität besteht darin, dass sie vorbeugenden Charakter hat (ex-ante-Qualifikation) und an keine weiteren Voraussetzungen gebunden ist (Aktivierungs automatismus)105. Die CCL-Fazilität steht aber ausschließlich Staaten zur Verfügung, die eine „erstklassige Wirtschaftspolitik“ verfolgten106. Der Stellvertretende Geschäftsführer des IWF, Stanley Fischer, führte im Jahr 2000 dazu aus107: „There is obviously a risk of moral hazard here. Countries have an incentive – in theory at least – to run weaker policies if they have an extra financial cushion in place. Perhaps more importantly, investors have an incentive to lend to countries with weaker policies if they believe that the presence of an IMF credit line increases the chances that they will be repaid if things go wrong. To counter the problem, the CCL is aimed explicitly at members with first-class policies […].“
In der Praxis beschwor diese Praxis die Gefahr einer Stigmatisierung von Schuldnerstaaten herauf108; denn das Qualifizierungsrating der Staaten be102 Ch. Kellermann,
Die Organisation des Washington Consensus, S. 185. des IWF, Der IWF auf einen Blick. 104 „The CCL is intended to provide members maintaining strong policies with a precautionary line of defense against balance of payments problems arising from international financial contagion.“ IMF Jahresbericht 2001, S. 43; dazu auch Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 181. 105 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 181. 106 IWF, Review of Contingent Credit Lines, 11. Februar 2003, einzusehen unter http://www.imf.org/external/np/pdr/fac/2003/021103.pdf. 107 S. Fischer, Strengthening Crisis Prevention. The Role of Contingent Credit Lines, Rede vom 15. November 2000, einzusehen unter https://www.imf.org/external/ np/speeches/2000/111500.htm. 108 S. Griffith-Jones/J. Ocampo, What Progress on International Financial Reform?, S. 12. 103 Informationsblatt
A. Modalitäten der Kreditvergabe171
wirkte, dass solche Länder, denen der IWF die CCL-Qualifizierung absprach, einen sofortigen Rückzug privater Kapitalgeber befürchten mussten109. Gerade wegen dieser Gefahren stand die CCL-Fazilität von Anfang an in der Kritik110. Die Contingent-Credit-Lines (wie auch die Supplemental-Reserve-Fazilität) wurde während der Clinton-Camdessus-Ära111 geschaffen und folgte den „Bestrebungen der Finanzgemeinde“, welche die Rolle des IWF als eigenständiger Lender of Last Resort gestärkt sehen wollte112. Im Rahmen der Rechtsgrundlage des IWF zur Vergabe seiner Mittel und damit der Rechtsgrundlage der Fazilitäten stellt sich die Frage, welche Kriterien für die Liquiditätsrisiken eines Staates gelten und wer die Qualifikation und das Mandat zu deren Bewertung hat. Dabei gehen die jüngsten Kreditfazilitäten sogar noch darüber hinaus, vermutete Liquiditätsrisiken zu versichern. Mitglieder erhalten ungeachtet ihrer Länderquoten über diese Fazilitäten einen kaum begrenzten Zugang zu IWF-Mitteln113. Mit den SRF- und CCL-Fazilitäten entfernt sich der IWF immer weiter von seinem Mandat, Finanzhilfen nur bei kurzzeitigen Leistungsbilanzstörungen zu gewähren114.
109 Ebenda.
110 J. Williamson, The Role of the IMF, A Guide to the Reports, Institute for International Economics, 2000; P. Kenen, The International Financial Architecture: What’s new? What’s missing?, 2001; M. Goldstein, An Evaluation of Proposals to Reform the International Financial Architecture. 111 Die Schaffung der CCL wurde von US-Präsident Clinton und Finanzminister Rubin innerhalb des G-7-Forums angestoßen. „We encourage the use of market based tolls aimed at preventing crises and facilitating adjustment to shocks, including through the use of innovative financial arrangements, including private market-based continent credit lines in emerging markets […].“ Report of the G-7 Finance Ministers at the Köln Economic Summit, Köln, 18.–20. Juni 1999, § 41 (b). 112 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 182. 113 Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass eine Verdoppelung der Refinanzierungsmöglichkeiten des Fonds durch die New Arrangements to Borrow (NAB) ermöglicht wurde. Die NAB entstand während der Mexikokrise auf dem G-7-Gipfel in Halifax im Jahr 1995, um die „Kapazität des internationalen Währungssystems zu unterstützen“. Die zuvor durch die General Arrangement to Borrow (GAB) zur Verfügung gestellten Kapazitäten in Höhe von 16 Mrd. SZR wurden unter der NAB auf 34 Mrd. SZR erhöht. Dazu auch Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 182 ff.; IMF, Selected Decisions and Selected Documents of the IMF, S. 581 ff. 114 E. Riesenhuber, The International Monetary Fund Under Constraint; Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 182.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
8. Notfallhilfe Die Notfallfinanzierung ist Teil der Sonderfazilitäten und dient „der Überwindung von Zahlungsbilanzproblemen […], die auf plötzliche unvorhersehbare Naturkatastrophen zurückgehen oder nach Beendigung schwerer Konflikte entstanden sind“115.
B. Verfahren und Rechtsnatur der Bereitschaftskreditvereinbarungen I. Das Verfahren zur Aushandlung von Beistandsvereinbarungen In der Vergangenheit hatte der Exekutivdirektor der USA regelmäßig von seinem Veto-Recht Gebrauch gemacht, wenn die Anträge auf IWF-Mittel nicht den Konditionalitätskonzepten entsprachen. Dies führte dazu, dass sich die antragstellenden Staaten zunächst an die USA wandten, bevor sie IWFMittel beantragten116. Grundsätzlich beantragt der krisenbetroffene Staat den IWF-Kredit117. In der Praxis geschieht dies auch auf Betreiben des IWF, der sich nicht selten veranlasst sieht, den Mitgliedstaat zur Antragstellung zu drängen118. Häufig üben auch private Kreditgeber Druck auf den Fonds aus, „als erster tätig zu werden, um bereits erfolgte Kreditvergaben nachhaltig zu sichern“119. 115 Informationsblatt des IWF, Der IWF auf einen Blick, Juli 2000, einzusehen unter www.imf.org/external/np/exr/facts/deu/glanced.htm. 116 R. Peet/B. Born/K. Feher/M. Feinstein, Unholy Trinity: The IMF, World Bank and WTO, 2003, S. 66. 117 Zum Ablauf der Antragstellung und dem Aushandeln von Beistandsvereinbarungen U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 223 ff.; R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 273 ff. 118 Beispielhaft sind die von der „arabischen Rebellion“ betroffenen Staaten Nordafrikas. In Ägypten wollte der Währungsfonds als Partner in bestehende Finanzierungkooperationen zwischen Ägypten und den Golfstaaten eintreten, was in Ägypten angesichts der IWF-Auflagen aber lange auf Widerstand stieß. Siehe FAZ vom 18. Januar 2012, Ägypten bittet IWF um Hilfe; FAZ vom 11. Oktober 2013, Währungsfonds bietet Ägypten Wirtschaftshilfe an, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/ staatskrise-waehrungsfonds-bietet-aegypten-wirtschaftshilfe-an-12613400.html. Auch im Fall Italiens bemühte sich der IWF „unter Führung von Christine Lagarde darum, eine aktive Rolle bei der Sanierung Italiens und des Euro zu spielen“. Siehe FAZ vom 20. Januar 2012, IWF will Italien helfen. 119 O. Mayer, Der politische Dialog zwischen multilateralen Institutionen und Entwicklungsländern, in: B. Gemper (Hrsg.), Internationale Koordination und Kooperation: stille Diplomatie, politischer Dialog, innovativer Wettbewerb, 1990, S. 104 f.
B. Verfahren und Rechtsnatur der Bereitschaftskreditvereinbarungen 173
Mit der Anrufung des IWF signalisieren die Regierungen der Mitgliedstaaten die „Bereitschaft, ein Austeritätsprogramm durchzuführen“120 – häufig nach dem gescheiterten Versuch, die gesellschaftlichen Interessengegensätze politisch auszugleichen121. Als erste Antwort auf die Kreditanfrage entwirft der Fonds ein sogenanntes „briefing paper“. Verfasst wird es vom Managementstab des IWF und erhält mit Billigung durch den geschäftsführenden Direktor offiziellen Status. Das briefing paper enthält ein Konzept für die Planung und Durchführung eines Stabilisierungsprogramms, in der Regel mit dem Schwerpunkt der Kreditauflagen, welche „das Land nach Meinung des Fonds zu verwirklichen gewillt sein müsste, um sich für eine Beistandsvereinbarung zu qualifizieren“122. Das briefing paper des IWF-Managements beschränkt sich nicht allein auf wirtschaftliche Maßnahmen, sondern nimmt auch auf soziale und politische Gegebenheiten Bezug123. Dem briefing paper folgen weitere Vorverhandlungen, meist im Rahmen einer IWF-Mission durch eine sogenannte IWF-Task-force in das Mitgliedsland. Gegenstand der Verhandlungen ist der Inhalt einer Absichtserklärung (letter of intent), welche vom Mitglied abgegeben wird124. Die Absichtserklärung enthält bereits die „Auflagen“, die das Mitglied zu erfüllen beabsichtigt125 und insofern handelt es sich um einen bereits „ausgehandelten Kreditantrag“126. Die Absichtserklärung ist formal-rechtlich unverbindlich, dient dem IWF aber dennoch als „Garantie für die Reformbestrebungen des Nehmerlandes“127. In der Praxis geht dem Absichtsbericht des Schuldnerstaates im Rahmen eines diplomatischen Verfahrens oft eine Vielzahl „fragender“ Entwürfe voraus, um 120 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 280. 121 Rolf Knieper vermutet, dass Regierungen häufig bemüht sind, den bisherigen Begünstigten ihrer Politik keine Nachteile zuzumuten. Eine solche Politik führe regelmäßig zu „Enttäuschungen“ und häufig zu einer beschleunigten Inflation (Anm. des Verf.: durch überhöhte Staatsausgaben). Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 280 f. 122 U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 223. 123 Vgl. K. Stiles, Structure and Process of I.M.F. Decision-making, 1987, S. 56 ff. 124 Diese Absichtserklärung wird als unverbindliche einseitige Deklaration des Empfängerstaates qualifiziert. Zur problematischen Rechtsnatur der Kreditvereinbarungen Teil 2, B. II. 2. 125 Zu den weiteren Details der Entscheidungsfindung vergleiche R. Edwards, Is an IMF Stand-by Arrangement a Seal of Approval on Which Other Creditors Can Rely?, 1985, S. 577 ff. 126 T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 90. 127 U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 223.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
an der Reaktion zu ermessen, ob der Schuldnerstaat eine Reformmaßnahme einführen darf, soll oder muss. Teilweise führt dieses Verfahren zu einem System vorauseilenden Gehorsams. In der Griechenlandkrise wird bei der Erarbeitung der letter of intent von einem „Pendelverfahren“ gesprochen, das heißt die Reformentwürfe zirkulieren zwischen Athen, Brüssel, Washington und einzelnen Hauptstädten, um die Maßnahmen abzustimmen und so eine Ablehnung der Reformliste durch die Troika zu vermeiden128. Die Kreditwürdigkeit des Mitglieds wird am Anfang der Verhandlungen, das heißt vor Auszahlung der ersten Darlehensrate geprüft. Im Zuge dessen werden makroökonomische Variablen, sogenannte „Eingangsvoraussetzungen“ festgeschrieben, welche über die gesamte Laufzeit der Vereinbarung vom Fonds kontrolliert werden. Die Vorbedingungen129 (Preconditions) betreffen insbesondere den „inwärtige[n] und auswärtige[n] Verschuldungsgrad, die Höhe der Sparrate, das Haushaltsdefizit und das Vorhandensein internationaler Währungsreserven“130. Im Rahmen der Bereitschaftskreditvereinbarung mit dem IWF werden den Empfängerstaaten in der Regel, zusätzlich zu den Vorbedingungen, sogenannte Erfüllungs- und Überprüfungskriterien131 („performance criteria“) auferlegt132. Sie sind das „eigentliche Kernstück der Konditionalität“133 und müssen vom Schuldnerland über die gesamte Laufzeit des Kredits umgesetzt werden. Inhalt dieser Kriterien sind politische Maßnahmen und die Formulierung von Zwischen- und Endzielen, welche der Kreditbewerber bei der Durchführung des Anpassungsprogramms zu erfüllen hat134. Übliche Konditionen sind etwa die Unterbindung von „Zahlungsbegrenzungen und anderen diskriminierenden Maßnahmen, die Beachtung von Kreditplafonds im öffent128 FAZ vom 24. Februar 2015, Nr. 46/9R0, S. 1, Griechenland feilt bis zuletzt an Reformliste. 129 Zu den Vorbedingungen, die im Vorfeld der Kreditbewilligung festgesetzt werden, T. Killick, Quest for Economic Stabilization, 1984, S. 190 f.; U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 224 f. 130 W. Meng, Conditionality of IMF and World Bank Loans: Tutelage over Sovereign States?, VRÜ, 1988, S. 268. 131 Die sogenannten performance criteria beruhen auf einem Konzept aus dem Jahr 1957. Siehe dazu J. Kranz, Entre l’influence et l’intervention: certains aspects juridiques de l’assistance financière multilatérale, 1994, S. 202, zitiert bei U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 225, Fn. 2074. 132 U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 225. 133 Ebenda, S. 225. 134 B. Bernstein/J. Boughton, Adjusting to Development: The IMF and the Poor, 1994, S. 42 ff.; W. Meng, Conditionality of IMF and World Bank Loans, S. 268.
B. Verfahren und Rechtsnatur der Bereitschaftskreditvereinbarungen 175
lichen und privaten Sektor und von Wechselkursraten, die Steigerung von Exporten, die Verminderung von Importen, die Festlegung der Zinsraten, die Reduzierung von Zahlungsrückständen, die Begrenzung der Neuverschuldung, steuerliche Maßnahmen sowie die Liberalisierung von Handel- und Kapitalverkehr“135. Die Erfüllungskriterien beschränken sich nicht allein auf makroökonomische Kriterien, sondern enthalten auch mikroökonomische Maßnahmen, wie das Preisniveau von Waren und Dienstleistungen, das Subventionsniveau, bestimmte Steuern und Erhebungen, die Struktur der öffentlichen Ausgabenpolitik, sowie die Kontrolle der Lohn- und Gehaltsstruktur136. Mit der Einführung neuer Vergabefazilitäten, insbesondere der SAF137 und ESAF gehören auch Maßnahmen zur Liberalisierung des Handels, der Privatisierung staatlicher Unternehmen, der Struktur von Steuern, öffentliche Ausgaben „sowie zuletzt auch zunehmend soziale Gesichtspunkte“ zum Gegenstand der Erfüllungskriterien138. Die Erfüllungskriterien sind in die Beistandskreditvereinbarung integriert139. Sie sind nicht Gegenstand der Verhandlungen zwischen IWF und Mitgliedstaat, sondern werden „nach Maßgabe eines Beschlusses einseitig vom Währungsfonds festgelegt“140. Erfüllt ein Mitglied die Erfüllungskriterien oder die Kriterien des letter of intent nicht, so bedeutet dies keine Verletzung einer Rechtspflicht. Allerdings hat die Nichterfüllung zur Konsequenz, dass das Mitglied automatisch von 135 U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 225. 136 T. Killick, Quest for Economic Stabilization, S. 191 ff. 137 Nachfolger der Structural Adjustment Facility (SAF) der achtziger Jahre war die Poverty Reduction and Growth Facility (PRGF). 138 G. Bird, The International Monetary Fund and developing countries: a review of the evidence and policy options, Int’l Organisation, 1996, S. 481 ff. 139 In der Literatur wird die Frage diskutiert, ob es sich bei den Erfüllungskriterien der Rechtsnatur nach um eine Auflage oder eine Bedingung handelt. Nach der Definition von Savigny entfalten Auflagen im Gegensatz zu Bedingungen eine Zwangswirkung: „Die Bedingung […] suspendiert, zwingt aber nicht; der Modus (die Auflage) zwingt, suspendiert aber nicht.“, v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. III, 1840, S. 231. Peter Lucke nimmt daher an, dass die Erfüllungskriterien als Auflage zu qualifizieren seien. Auflagen seien für den Schuldner günstiger, weil sie die begünstigende Wirkung sofort und unbedingt entfalten. Für die Annahme einer Zwangslage kann diese Unterscheidung aber kaum relevant sein; denn die Zwangswirkung ergibt sich daraus, dass der Auflagenadressat keine zumutbare Alternative hat, als dieser nachzukommen; zur Unterscheidung von Auflage und Bedingung nach deutschem und anglo-amerikanischem Recht siehe P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 180 ff. 140 U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 225.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
einer weiteren Ziehung der Kredittranche suspendiert wird, worauf sich gegebenenfalls neue Verhandlungen mit dem Fonds anschließen141. Auch nach der Kreditvergabe bleibt die Konditionierung für die abschließende Kontrolle, Analyse und Bewertung der erfolgten Umsetzung des Kreditprogramms weiterhin bedeutsam; denn zukünftige Kreditvergaben hängen nicht zuletzt von der Erfüllung der Kreditbedingungen früherer vom IWF unterstützter Programme ab142. Im Rahmen einer neuen Kreditvergabe bemisst der Fonds die Risiken an der Bewältigung der alten Konditionalitäten. Dabei werden auch Faktoren wie „ungünstige politische Entwicklungen“, „Ausrutscher“ und „allgemeinpolitische und sicherheitspolitische Probleme“ für die Kreditvergabe relevant143. Der IWF hat für Staaten mit langfristigen Zahlungsrückständen ein besonderes Bewertungssystem, das sogenannte „Programm zur Akkumulation von Rechten“ (rights accumulation program) eingerichtet, welches den herkömmlichen vom IWF unterstützten Stabilisierungs- und Anpassungsprogrammen ähnelt144. Eine neue Kreditgewährung macht der Fonds in der Regel davon abhängig, ob dieses Programm zufriedenstellend durchgeführt wurde. Die Auszahlung der Kreditsumme erfolgt erst nachdem ausstehende Verbindlichkeiten gegenüber dem Fonds getilgt wurden145. Bei ungenügender Erfüllung der Kreditauflagen wird dem Mitglied vor Bewilligung eines neuen Kredits aufgegeben, spezielle politische Maßnahmen umzusetzen146.
II. Rechtliche Bewertung 1. Bereitschaftskreditvereinbarung Im Rahmen seiner weitreichenden Aufgaben handelt der IWF rechtlich auf vielfältige Weise. Die hier anzustellende Untersuchung beschränkt sich auf die Rechtsnatur der Vergabe der Fondsmittel im Rahmen von Bereitschafts141 S. Black, Effectiveness of the International Monetary Fund, Bretton Woods Commission, Bretton Woods: Looking to the Future, 1995, S. 266. 142 Guidelines on Conditionality, Abschnitt 10, 11; IMF Annual Report 1995, S. 144–147. 143 U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 226. 144 Unter diesem Programm können Mitglieder Ziehungsrechte akkumulativ erwerben. Siehe U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 226. 145 IMF Annual Report 1995, S. 147. 146 U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 226.
B. Verfahren und Rechtsnatur der Bereitschaftskreditvereinbarungen 177
kreditvereinbarungen, welche in der Praxis einer der wichtigsten Rechtsakte des Fonds mit Außenwirkung sind147. a) Letter of Intent In der Literatur wird die Rechtsnatur der Bereitschaftskreditvereinbarungen kontrovers diskutiert148. Der IWF wertet den letter of intent, also die Absichtserklärung des kreditbeantragenden Staates, lediglich als eine einseitige Deklaration des Mitglieds gegenüber dem Fonds. Die darin enthaltenen Absichten seien von der Einflussnahme des IWF unabhängig und würden allein vom Mitgliedstaat gefasst. Der Fonds wirke lediglich beratend bei der Formulierung der Absichtserklärung149. Diese Ansicht ist insofern zweifelhaft, als der Fonds mit dem Mitgliedstaat aktiv über den Inhalt der letter of intent verhandelt. Bereits vor Aufnahme der offiziellen Verhandlungen setzt sich das kreditersuchende Mitglied in Kontakt mit dem IWF. Dabei werden dem Mitgliedstaat die Erwartungen des IWF bekannt gegeben. Würden die Absichten der letter of intent tatsächlich vom Mitgliedstaat in autonomer Willensbildung gefasst, so bestünde kaum ein Bedürfnis an Vorverhandlungen und der Fonds könnte sich auf Konsultationen beschränken. In der Praxis ist der IWF tatsächlich intensiv in die Aushandlungen über die Auflagen einbezogen150. Die Mitgliedstaaten werfen dem Fonds häufig vor, er entscheide über die Auflagen selbst, während das betroffene Mitglied nur begrenzte Möglichkeiten zur Mitsprache erhalte. Stiles bewertet die letter of intent und deren Aushandlung wie folgt: „The mission will have in their briefcases the letter of intent drafted in Washington, while the country officials will have in either minds, usually, a rough idea of what type of concessions they are willing and not willing to make in order to obtain the maximum funds from the IMF. […] Thus, although it is ostensibly a ‚government‘ document, it is far from a unilateral gesture151.“ 147 Organisationsinterne Akte sollen wegen ihrer mangelnden Außenwirkung in der folgenden Untersuchung außer Betracht bleiben. 148 J. Gold, The Stand-by Arrangements of the International Monetary Fund, 1970, S. 45 f.; P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 77 ff.; K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 55 ff., T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 92 ff. 149 Shailendra Anjaria (Direktor der IWF-Abteilung („auswärtige Beziehungen“), zitiert bei V. Khanna, IMF won’t divert support from Developing Countries to former socialist economies, IMF Survey, 1993, S. 99. 150 So auch U. Suchsland-Maser, die es für „verfehlt“ hält, „von einer gänzlich freiwilligen oder einseitig zustandegekommenen Absichtserklärung des jeweiligen Landes“ auszugehen; Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 223. 151 K. Stiles, Structure and Process of I.M.F. Decision-making, S. 48.
178
Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
In den Verhandlungen zur Mittelvergabe besteht ein starkes Ungleichgewicht zwischen dem kreditsuchenden Mitgliedstaat und dem Fonds; denn das Mitglied befindet sich meist in einer Situation dringenden Bedarfs, während die Entscheidung zur Bewilligung der Mittel im freien Ermessen des Fonds steht. In der Praxis sind die Auflagen des IWF, die sogenannte Konditionalität, von entscheidender Bedeutung152; denn über sie nimmt der IWF maßgeblichen Einfluss auf die Politik des Nehmerstaates. In seiner Funktion als Katalysator für private Kredite folgt der IWF dabei auch den Erwartungen der privaten Gläubiger und potentiellen Geldgeber auf den Finanzmärkten. Deren Vertrauen beruht maßgeblich auf der Durchsetzung der Auflagen gegenüber den Empfängerstaaten und veranlasst die Geldgeber, gegebenenfalls weitere Kredite an den betroffenen Staat auszureichen. In diesem Kontext ist davon auszugehen, dass der IWF bereits im frühen Stadium der Verhandlungen maßgeblichen Einfluss auf die Formulierung des letter of intent ausübt. Häufig versuchen Mitglieder aber auch die Erwartungen des Fonds zu antizipieren, was erfahrungsgemäß die Chance einer Mittelbewilligung durch den Fonds erhöht153. b) Anwendbarkeit des Völkerrechts auf IWF-Kreditvereinbarungen Ob die Kreditvergabe des Fonds völkerrechtlicher Natur ist, wird nicht einheitlich beurteilt154. Eine Auffassung spricht den Kreditvereinbarungen den völkerrechtlichen Charakter ab. Die Gleichwertigkeit der handelnden Parteien sei ein typisches Merkmal für Rechtshandlungen auf der Ebene des Völkerrechts. Wegen des starken Machtgefälles zwischen dem Fonds als Gläubiger und Kreditgeber und dem Mitgliedstaat als notleidender Schuldner könne allenfalls von einer formalen Gleichwertigkeit zwischen den Völkerrechtssubjekten gesprochen werden. Der Fonds handle bei der Kreditvergabe wie eine juristische Person des nationalen Rechts auf wirtschaftlichem Gebiet155. Sein Handeln sei in diesem Bereich eher mit allgemeinen Geschäftsbedingungen oder administrativem Innenrecht als mit gleichberechtigtem Völkerrecht zu vergleichen. Dem ist entgegenzuhalten, dass dies allenfalls ein Indiz sein kann, zumal eine faktische Ungleichheit für die Rechtsbeziehungen zwischen Völker152 Zur
Problematik der Konditionalität Teil 4 und 5. The IMF and the World Bank in Africa, Scandinavian Institute of African Studies, Uppsala, 1987, S. 27; U. Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute, S. 223 f. 154 Zur Diskussion der Rechtsnatur der Bereitschaftskreditvereinbarungen K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 56 f. 155 Ebenda, S. 56. 153 K. Havnevik,
B. Verfahren und Rechtsnatur der Bereitschaftskreditvereinbarungen 179
rechtssubjekten eher die Regel als die Ausnahme ist156. Außerdem kann der IWF als internationale Organisation nicht privatrechtlich handeln; denn er ist eine öffentliche Institution, für welche andere Maßstäbe gelten als für private Rechtssubjekte. Zu nennen sind hier insbesondere das Willkürverbot als allgemeines Rechtsprinzip des öffentlichen Rechts. Stufte man IWF-Rechtsakte als privatrechtliches Handeln ein, so hätte der Fonds sehr viel weitergehende rechtliche Möglichkeiten; denn er könnte als private Institution Kredite vergeben, ohne an das Willkürverbot gebunden zu sein. So kann ein privates Kreditinstitut in einem anderen Rechtsrahmen handeln, als ein dem Völkerrecht unterliegender Fonds. Der Sache nach könnte sich der Fonds unter Berufung auf den privatrechtlichen Charakter der Kreditvergabe der völkerrechtlichen Rechtsordnung weitestgehend entziehen. Dies ist praktisch und rechtlich nicht hinnehmbar. Der IWF handelt insofern immer auf der Ebene des Völkerrechts. 2. Bindungswirkung der Bereitschaftskreditvereinbarungen a) Der völkerrechtliche Vertrag nach dem „Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge“ Völkerrechtliche Verträge sind ausweislich Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut eine der vier Rechtsquellen des Völkerrechts157. Das allgemeine Recht über den Abschluss, die Gültigkeit und die Beendigung völkerrechtlicher Verträge hat seine Grundlage im Völkergewohnheitsrecht. Die wesentlichen Grundsätze sind im „Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge“ (WVK) vom 23. Mai 1969158, sowie zwei weiteren Abkommen materialisiert. Gemäß Art. 1 findet die WVK aber nur „auf Verträge zwischen Staaten Anwendung“. Für Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen findet das „Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und Internationalen Organisationen oder zwischen Internationalen Organisatio nen“159 Anwendung. Diesem Übereinkommen liegt die Wiener Vertragsrechtskonvention zugrunde. 156 Im
Ergebnis auch K. Weigeldt, a. a. O. dem Völkergewohnheitsrecht und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen sind sie die wichtigste Völkerrechtsquelle. Dazu Ch. Kreuzer, Die unmittelbare Anwendung völkerrechtlicher Verträge, 1998, S. 731; D. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 199; W. Heintschel v. Heinegg, Völkerrecht, § 9; G. Ress, Wechselwirkungen zwischen Völkerrecht und Verfassung bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 1982, S. 9. 158 BGBl. 1985 II, 926. 159 Beschluss 41/420 der Generalversammlung vom 3. Dezember 1986 im Namen der Vereinten Nationen; BGBl. 1990 II, 1414. 157 Neben
180
Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
Art. 2 Abs. 1 lit. a WVK macht deutlich, dass eine Vereinbarung nicht notwendigerweise als „Vertrag“ bezeichnet werden muss, um sie als einen völkerrechtlichen Vertrag zu qualifizieren. Art. 2 WVK definiert einen Vertrag als „eine in Schriftform geschlossene und vom Völkerrecht bestimmte internationale Übereinkunft zwischen Staaten, gleichviel ob sie in einer oder in mehreren zusammengehörigen Urkunden enthalten ist und welche besondere Bezeichnung sie hat“. b) Rechtsnatur der Memoranda Problematisch ist der rechtliche Verpflichtungscharakter der Memoranda of Understanding, der wesentlich von der Beurteilung ihrer Rechtsnatur abhängt. In der Literatur werden die Memoranda of Understanding teilweise als völkerrechtliche Verträge, teilweise als Rechtsakte sui generis oder lediglich als unverbindliche Empfehlungen qualifiziert160. Bei Einführung der Bereitschaftskreditvereinbarungen ging der IWF noch davon aus, dass er mit den betroffenen Mitgliedern einen völkerrechtlichen Vertrag schließt161. James E. Fawcetts Nachfolger in der Rechtsabteilung, James Gold (Amtszeit 1960–1979), rückte von dieser Auffassung ab162 und stellte einen bindenden Charakter der Bereitschaftskreditvereinbarungen in Abrede163. Bei den Bereitschaftskreditvereinbarungen handle es sich um 160 Zur Diskussion über die völkervertragsrechtliche Bindungswirkung der Bereitschaftskreditvereinbarungen J. Gold, The Legal Character of the Fund’s Stand-By Arrangements and Why it Matters, IMF Pamphlet Series, No. 35, 1980; P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 111 ff.; K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 60 ff.; R. Leckow, Conditionality in the International Monetary Fund, S. 59 f.; J.-D. Kramer, Die Rechtsnatur der Geschäfte des Internationalen Währungsfonds, 1967, S. 108. 161 So der Sache nach der ehemalige Leiter der Rechtsabteilung des IWF (1946– 1960), James Edmund Sandord Fawcett. Dies werde auch durch die in den Bereitschaftskreditabkommen geläufigen Begriffe wie „Gegenleistung“ und „Bindung“ indiziert. Dazu K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 59 f. 162 J. Gold, Stand-By Arrangements, S. 44 ff. 163 Der Begriff „Vereinbarung“ sei insofern widersprüchlich; denn damit sei lediglich der zweite Teil des Verfahrens, nämlich der Beschluss des Exekutivdirektoriums gemeint. Es sei insofern begrifflich vorzugswürdig, von „Bereitschaftskreditdokumenten“ zu sprechen. Später wurde in Art. XXX b) IWF-Übereinkommen die Formulierung aufgenommen: „Unter Bereitschaftskredit-Vereinbarung ist ein Beschluss des Fonds zu verstehen, durch den einem Mitglied zugesichert wird, dass es Käufe vom Allgemeinen Konto nach Maßgabe des Beschlusses innerhalb eines bestimmten Zeitraumes und bis zu einem bestimmten Betrag vornehmen kann.“ Siehe zum Wortlautargument T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 92.
B. Verfahren und Rechtsnatur der Bereitschaftskreditvereinbarungen 181
zwei Dokumente, nämlich das eigentliche Abkommen sowie die Absichts erklärung des Partnerstaates. Die Bedingungen seien in der Absichtserklärung niedergelegt, welche einseitig vom Partnerland verfasst werde und „lediglich von Repräsentanten dieses Landes unterzeichnet sei“. Zwar nehme das eigentliche Abkommen auf die Absichtserklärung Bezug, dies stehe einer Qualifizierung jedoch nicht entgegen, „weil auch diese Urkunde nicht als Vertrag qualifiziert werden könne“164. Gegen die Qualifizierung als völkerrechtlichen Vertrag im Sinne des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut165 spricht der Umstand, dass die Bereitschaftskreditvereinbarungen nicht von den nationalen Parlamenten der Empfängerstaaten ratifiziert werden166. Der (späteren) Argumentation des IWF zufolge ist ein völkerrechtlicher Vertrag auch deshalb ungeeignet, weil er Publizitätspflichten auslöst und den Vertragsparteien nicht die notwendige Flexibilität bei der Kreditvergabe erlaube167. Die Veröffentlichung der BereitschaftskreDie Nichteinhaltung der Auflagen stellt keinen Vertragsbruch dar. Nach Rolf Knieper solle dem Programmstaat „die Demütigung erspart werden, bei Nichterfüllung bestimmter Bedingungen eines Vertragsbruchs bezichtigt werden zu müssen“, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 276. „Die einzige praktische Konsequenz der Nichterfüllung von Finanzierungsbedingungen ist, dass die ursprünglich dem Kreditnehmer in verschiedenen Raten zur Verfügung zu stellenden Gelder nicht zugänglich gemacht werden“, es sei denn, der IWF erteilt einen sogenannten „Waiver“. S. Schlemmer-Schulte, Internationales Währungs- und Finanzrecht, S. 397, Rdn. 58. Ein Mitgliedstaat wird aber vertragsbrüchig, wenn es den Kredit nicht fristgerecht zurückbezahlt, technisch gesprochen, wenn es die eigene Währung nicht innerhalb des vereinbarten Zeitraums vom IWF zurückkauft. Dies kann zur Suspendierung des Stimmenabgaberechts im Exekutivdirektorium und Gouverneursrat führen, ultima ratio auch mit dem Ausschluss aus der Mitgliedschaft des IWF. Ebenda. 164 J. Gold, Stand-by Arrangements, S. 44 ff. 165 J. Klabbers, The Concept of Treaty in International Law, 1996. 166 Peter Lucke hält eine Ratifizierung auch nicht für erforderlich, „weil die Mitgliedstaaten bereits beim Eintritt zum Fonds ihre handelnden Staatsorgane autorisieren, innerhalb genau vorgegebener Kategorien zu handeln“, P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 297. Thomas Riedel hält diese Argumentation für „nicht haltbar“. Einmal würden „Bereitschaftskreditvereinbarungen nicht vom Sekretariat der Vereinten Nationen registriert“ (Art. 80 WVK, 102 UN-Charta), zum anderen sei jeder Mitgliedstaat mit Beitritt zum IWF bestrebt, „den eigenen Souveränitätsverlust so gering wie möglich zu halten“, T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 94 mit Verweis auf K. Blöcker, Die rechtlichen Aspekte der Zusammenarbeit des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit der Russischen Föderation, 2000, S. 41; Denkers, Law and Policy of IMF Conditionality, S. 101; Gold, Stand-By Arrangements, S. 47. Bereitschaftskreditvereinbarungen seinen „somit Zuteilungsentscheidungen des Fonds unter Auflagen bzw. Bedingungen“. 167 K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 60 ff.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
ditvereinbarungen würde den Inhalt der Auflagen in dem betroffenen Staat zur politischen Diskussion stellen168. Die fehlende Ratifizierung steht einer Qualifizierung als völkerrechtlichem Vertrag aber nicht per se entgegen. Schließlich liegt es im Ermessen der Staaten, wie sie ihre Zustimmung zum Ausdruck bringen wollen. Zwar soll in der völkerrechtlichen Praxis eine Bindungswirkung über die Wahl der Form hergestellt oder ausgeschlossen werden. Ob ein Rechtsakt als völkerrechtlicher Vertrag zu qualifizieren ist, hängt gleichwohl nicht allein von seiner Ratifikation ab169. Entscheidend ist, „ob sich aus dem Inhalt der Vereinbarung deutliche Hinweise auf den übereinstimmenden Willen der handelnden Völkerrechtssubjekte ergeben, rechtlich gebunden zu sein“170. In den Memoranda of Understanding kommt deutlich zum Ausdruck, dass sich die Vertragsparteien rechtlich binden und die eigenen Handlungszwecke aufeinander einrichten wollen171. Auch Rolf Knieper erkennt in den Bereitschaftskreditvereinbarungen einen völkerrechtlichen Vertrag172. Die Abkommensbedingungen seien aufgrund ihrer „Bestimmungsmerkmale und Zielsetzungen“, also ihrer „Abstraktheit und Allgemeinheit“ mit materiellen Gesetzen vergleichbar. Als „Grundlage für Vorhersehbarkeit und formale Rationalität“ entfalteten sie eine gesetzestypische „sanktionsgestützte Autorität“173. Das portugiesische Verfassungsgericht hat die Rechtsbindungs 168 Ziffer 9 der Richtlinien zur Konditionalität (GoC) zeigt die formalistische Rechtsauffassung des IWF: „Fund arrangements are not international agreements and therefore language having a contractual connotation will be avoided in arrangements and in program documents.“ 169 Auch einem nicht beabsichtigten Verhalten kann eine rechtliche Wirkung zukommen (So etwa IGH, Quatar vs. Bahrein, Case Concerning Maritime Delimitation and Territorial Questions between Qatar and Bahrain, Jurisdiction and Admissibility – Urteil, ICJ Rep. 1994, S. 112). 170 A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 35. 171 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 111 f. 172 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 270 ff., S. 270. 173 Rolf Knieper führt aus: „Wenn Anwendung ohne Rücksicht auf konkrete Umstände des Unterworfenen […] wenn also Abstraktheit und Allgemeinheit – nicht zuletzt als Grundlage für Vorhersehbarkeit und formale Rationalität – zentrale Kriterien zur Bestimmung von Gesetzen sind, und selbst wenn die Anforderungen erweitert werden um sanktionsgestützte Autorität, dann handelt es sich bei Abkommensbedingungen um Gesetze in diesem Sinne.“ Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 270 ff. Knieper weist weiter darauf hin, dass die Muster-Abkommen ganz „in der Form juristischer Gesetzeskommentierungen“ „Paragraph um Paragraph“ kommentierbar seien. Dies belege, dass die Abkommen der Sache nach Gesetzen entsprächen „mit dem für juristische Interpretation typischen Ziel, Vorhersehbarkeit und Sicherheit für (potentielle) Partner“. Ebenda, S. 276.
B. Verfahren und Rechtsnatur der Bereitschaftskreditvereinbarungen 183
wirkung der Memoranda of Understanding damit begründet, dass die Auflagen eine normative Struktur aufwiesen, die konkrete Verhaltenserwartungen konkretisierten174. In der Literatur werden die Memoranda – teilweise aufgrund ihrer faktischen Verbindlichkeit – auch als Rechtsakte sui generis qualifiziert175. Andreas Fischer-Lescano führt aus, dass die Memoranda ihre Bindungswirkung unbenommen der Begründung eines völkerrechtlichen Vertrages zumindest aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes entfalten176. In den Memoranda würden „Zahlungserwartungen an Konditionalisierungen“, also an Rechtsfolgen geknüpft177. Auch die Memoranda of Understanding gegenüber den Euro-Krisenstaaten seien so zu werten. Schließlich formulierten die Auflagen „weitreichend und detailliert die Voraussetzungen“, welche die „Konditionalisierungen finanzieller Transaktionen abstützen und begleiten“. Die Memoranda entfalten demnach „völkerrechtliche Konsequenzen, die die jeweiligen Konditionierungen exakt festlegen“178. Damit würden Vertrauenstatbestände geschaffen, welche die „gegenseitigen Verhaltenserwartungen“ strukturierten und „die Grundlage darauf aufsetzender synallagmatischer Beziehungen“ bildeten179. Auch der Europäische Gerichtshof hat eine Wertung der Memoranda als unverbindliche Empfehlungen abgelehnt. Sie seien nicht lediglich ein „Instrument zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten“ sondern verbindliche „Auflagen“ im Sinne des Art. 13 Abs. 3 ESMV180. Ihre (europarechtliche) Verbindlichkeit gründen die Memoranda darin, dass die 174 Tribunal Constitucional, Acórdão n.° 187/2013, Lei do Orçamento do Estado, Urteil v. 05.04.2013, Rdn. 29. 175 So im Ergebnis auch A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 34 f. 176 Fischer-Lescano verweist auf behördliche Memoranda zu denen Christoph Möllers ausführt: „Nichtbindende Vereinbarungen können Ausdruck eines gegenseitigen Vertrauens sein, das die Völkerrechtsordnung auch dann anzuerkennen vermag, wenn unmittelbare Bindungen von den Parteien nicht beabsichtigt waren.“ Trans nationale Behördenkooperation, 2005, S. 351 ff., 370. 177 A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 35 mit Verweis auf IGH, Cambodia vs. Thailand – Urteil, ICJ Rep. 1962, S. 6 ff.; A. Aust, Modern Treaty Law and Practice, 2007, S. 49 ff. und S. 54. 178 Zuwiderhandlungen könnten im Hinblick auf EU-Recht auch „gegenseitige Schadensersatzansprüche auslösen“. A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 37. 179 A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 35. 180 Die Memoranda „sollen die Vereinbarkeit der Tätigkeiten des ESM insbesondere mit Art. 125 AEUV und den von der Union getroffenen Koordinierungsmaßnahmen gewährleisten“. EuGH, Rs. C-370/12, Pringle, Urteil vom 27. November 2012, Rdn. 111.
184
Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
Europäische Kommission maßgeblich an ihrer Aushandlung und Festsetzung beteiligt ist181. Zwar überschreitet die Europäische Kommission damit ihre Befugnisse, der (faktischen) Verbindlichkeit steht dies gleichwohl nicht entgegen. Für den IWF gilt das analog182. Thomas Riedel diskutiert eine stufenweise Abgrenzung des Vertragsbindungswillens. Im Rahmen des Art. V IWF-Übereinkommen könne man „auf der Stufe des ‚ob‘ eine Bereitschaftskreditvereinbarung einzugehen ist“ an einen „Kontrahierungszwang“ denken183. Auf der Stufe des „wie“ käme dann das „Konsensprinzip zur Anwendung“. Im Ergebnis lehnt Riedel eine stufenweise Abgrenzung des Vertragsbindungswillens ab. Es sei zwar „vertretbar, eine Bereitschaftskreditvereinbarung als völkerrechtlichen Vertrag einzustufen“, allerdings gehe es wohl zu weit, dabei einen „freien Parteiwillen“ zur Abgabe eines eigenständigen Angebots zu erkennen. Die Bereitschaftskreditvereinbarungen seien daher eher dem „mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt“ (deligierten Rechtsakt) nach deutschem Recht vergleichbar. Trotz der formellen Gleichwertigkeit der Staaten habe der IWF eine hoheitsähnliche Stellung im Bereich der Kreditvergabe; denn gegenüber dem einzelnen Mitgliedstaat besitze er eine übergeordnete Rechtsmacht. Im Übrigen seien die Gestaltungsmöglichkeiten des Mitgliedstaates bei der Konzeption der Auflagen gering. Ob die Beziehung zwischen dem IWF und seinen Mitgliedern im Bereich der Konditionalität einem verwaltungsähnlichen Über- / Unterordnungsverhältnis gleichzuachten ist, bleibt indessen zweifelhaft. Auf der einen Seite lassen die Struktur des IWF und der Zwangscharakter der Auflagen an die Rechtsfigur eines (rechtsetzenden) zustimmungsbedürftigen Verwaltungsakts nach deutschem Recht184 denken185. Die betroffenen IWF-Programmstaaten sind de 181 EuGH,
Rs. C-370/12, Pringle, Urteil vom 27. November 2012. wenn man die Memoranda nicht als völkerrechtliche Verträge oder als Rechtsakte sui generis sondern als Realakte qualifizieren würde, wäre gleichwohl von einer zumindest mittelbaren Rechtsbeeinträchtigung auszugehen. Als „Maßnahmen gleicher Wirkung“ wäre ihnen auch ohne Rechtsförmigkeit Eingriffsqualität zuzusprechen. (Vgl. A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 37 mit Verweis auf die seit EuGH, Rs. 8/74, Dassonville, Urteil v. 11.07.1974 ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.) Dies ergibt sich aus der Schutzpflicht, die nicht nur „den Unionsorganen für die Grundrechte obliegt“, sondern auch dem Internationalen Währungsfonds. 183 T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 93 f. 184 K. Obermayer/D. Janßen, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, Rdn. 138 zu § 35. 185 So etwa K. Blöcker: ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt setzt in der Regel einen Antrag des Betroffenen voraus. Die Sicherungsinstrumente seien nach deutschem Recht mit Nebenbestimmungen im Sinne des § 36 VwVfG vergleichbar. 182 Selbst
C. Die Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem185
facto weisungsunterworfen. Das Parlament verfügt zwar de jure, nicht aber de facto über ein „Letztentscheidungsrecht“ (siehe unten). Auf der anderen Seite folgt die Befugnis der Verwaltung, verbindliche Rechtsakte zu setzen und Rechtssubjekte einseitig zu verpflichten, aus der Hoheit der Verwaltung. Der IWF hat hingegen keinen Hoheitsanspruch, weil er den Mitgliedstaaten völkerrechtlich nicht übergeordnet, sondern formal gleichgestellt ist. Ein vertraglich begründetes Weisungsrecht des Fonds gegenüber seinen Mitgliedern trägt der völkerrechtlichen Äquivalenz der Subjekte wohl besser Rechnung. Gleichwohl mag eine abschließende Bewertung dahinstehen, weil jedenfalls von einer Bindungswirkung der Bereitschaftskreditvereinbarungen auszugehen ist.
C. Die Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem I. Der IWF als Lender of Last Resort Häufig wird dem IWF attestiert, er fungiere im internationalen Währungssystem als ein internationaler Lender of Last Resort186. Generell bezeichnet der Begriff „Lender of Last Resort“ („Kreditgeber der letzten Zuflucht“ oder der „letzten Instanz“) die Aufgabe einer nationalen Zentralbank, dem Geschäftsbankensystem bei Liquiditätsengpässen kurzfristig Liquidität zur Verfügung zu stellen und zwar grundsätzlich in unbegrenzter Höhe, da im Falle einer Panikwelle eine partielle Versicherung von Forderungen wirkungslos wäre. Das Ob, Wann und Wie einer solchen Liquiditätsnothilfe darf für die Banken nicht vorhersehbar und nicht Teil ihres Risikokalküls werden („constructive ambiguity“)187. Schon aus diesem Grunde ist es problematisch, auch dem Internationalen Währungsfonds eine solche Funktion zuzuspreDie rechtlichen Aspekte der Zusammenarbeit des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit der russischen Föderation, S. 41. 186 Siehe zur Rolle des IWF als Lender of Last Resort Vgl. H. Berger/ A. Weichenrieder, Der IWF: Versicherung oder Lender of Last Resort, CESifo WP June 2002, S. 3.; T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 100 ff.; J. Sachs, Do We Need an International Lender of Last Resort?, 1995, passim; kritisch C. Calomiris, The IMF’s Imprudent Role as Lender of Last Resort, 1998, S. 275 ff.; zur Effektivität des IWF bei der Versorgung mit Liquidität im Zusammenhang mit privaten Geldgebern G. Corsetti/B. Guimaraes/N. Roubini, International Lending of Last Resort and Moral Hazard: A Model of IMF’s Catalytic Finance, NBER, 2003. In der Literatur wird eine Funktion des Fonds als Lender of Last Resort teilweise gefordert, teilweise als bereits praktiziert angenommen. So etwa Stanley Fischer: Internationale Kapitalströme seien sehr volatil und führten zu Instabilität. Dies solle durch einen internationalen „Gläubiger der letzten Instanz“ im Ansatz unterbunden werden. On the Need for a Lender of Last Resort, JEP, 1999, S. 85 ff. 187 60 Jahre Bretton Woods-Institutionen: Standortbestimmung und Ausrichtung, Gemeinsame Broschüre von BMF und BMZ, S. 23.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
chen188, zumal dieser im Gegensatz zu den Notenbanken nicht über das Instrument der Geldmengenerweiterung (Geldschöpfungsmonopol) verfügt, mithin auch keine unbegrenzten Kreditzusagen geben kann189. „Geldgeber der letzten Zuflucht“ ist der Fonds allenfalls in dem Sinne, „bei Verschuldungskrisen souveräner Staaten als multilateraler Kreditgeber einzugreifen, [um] durch die Zusage großzügiger Unterstützungsprogramme letztlich die Stabilität der internationalen Finanzmärkte zu gewährleisten“190. In dieser Rolle wirkt der IWF auch als „Katalysator“191 für private Kapitalzuflüsse in krisenbetroffene Staaten. Im gegenwärtigen Währungssystem ist die Fokussierung des Fonds als „Kreditgeber der letzten Instanz“ umstritten192. Die Deutsche Bundesbank kritisiert die Rolle des IWF als Lender of Last Resort, weil „angesichts seines Status als vorrangiger Kreditgeber die Gefahr [bestehe], dass private Kreditgeber vom IWF verdrängt würden“193. Die bevorrechtigte Stellung in188 Eine Funktion als Lender of Last Resort würde bedeuten, „dass sich IWFMitgliedsländer ohne Auflagen beim Fonds unbeschränkt mit Liquidität versorgen können“. Dazu prognostiziert Heribert Dieter: „Jenseits dieser konzeptionellen Probleme wären zudem erhebliche politische Hemmnisse zu überwinden. Der Einfluss der OECD-Länder würde erheblich sinken, weil Kredite des IWF nicht mehr zur Erlangung von politischen Konzessionen genutzt werden könnten. Der Fonds würde in erster Linie ein Instrument, auf das seine Mitgliedsländer in Notfällen zurückgreifen können, ohne sich dem Fonds unterwerfen zu müssen.“ Globalisierung ordnungspolitisch gestalten, Die internationale Finanzarchitektur nach den Finanzkrisen, 6. Mai 2003, einzusehen unter http://www.bpb.de/apuz/27837/globalisierung-ordnungspoli tisch-gestalten?p=all#footnodeid_30-30. 189 Siehe dazu die Kritik des damaligen Staatssekretärs im britischen Finanzministerium Edward Balls, der das Engagement des IWF in der Eurokrise als „de facto central bank of the euro area“ kritisierte. The Telegraph vom 20. April 2012, Debt crisis: as it happened, einzusehen unter http://www.telegraph.co.uk/finance/debt-cri sis-live/9215598/Debt-crisis-as-it-happened-April-20-2012.html. 190 T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 7 f.; A. Dreher, Verursacht der IWF Moral Hazard? Ein kritischer Literaturüberblick, 2003, S. 268 ff.; A. Meltzer, The Report of the International Financial Institution Advisory Commission, 2000, kommt zu dem Ergebnis: „The IMF should be a quasi Lender of Last Resort, not first resort, providing liquidity when markets close.“ (S. 5). 191 Zur Effektivität von „catalytic finance“ siehe auch G. Corsetti/B. Guimaraes/ N. Roubini, International Lending of Last Resort and Moral Hazard, 2003. („[…] the presence of the IMF means that, over some crucial range of fundamentals, private investors are more likely to rollover their positions than roll them off – this is the essence of ‚catalytic finance‘.“ S. 4). 192 Dazu P. Nunnenkamp, The Moral Hazard of IMF Lending: Making a Fuss about a Minor Problem?, 1999, S. 3. 193 A. Dombret (Mitglied im Vorstand der Bundesbank) FAZ vom 14. August 2012, S. 10, Bundesbank warnt vor immer größeren IWF-Krediten.
C. Die Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem187
ternationaler und staatlicher Gläubiger führe dazu, „dass die verbleibenden privaten Gläubiger ein höheres Risiko tragen, je mehr Schulden die öffentliche Hand übernimmt“194. Aus diesem Grunde solle der IWF nur begrenzt Liquidität bereitstellen, da die private Verantwortung für die Krisenbewältigung Vorrang habe“195. Aber auch eine umgekehrte Gefahr wird von der Bundesbank als Argument ins Feld geführt: Die hohen Kredite des IWF tendierten nämlich dazu, krisenbedingte private Kapitalabflüsse auszugleichen, was faktisch zu einem Bail-out des Privatsektors führe. Dies sei unter stabilitäts- und ordnungspolitischen Gesichtspunkten bedenklich, da es das marktwirtschaftliche Prinzip, dass Investoren nicht nur Gewinnchancen realisieren, sondern auch Verlustrisiken tragen sollten, untergrabe. Letztlich werde damit eine Art kostenlose staatliche Einlagensicherung für private Investoren geschaffen196. Heute wird von einigen Mitgliedern, etwa Korea, angeregt, dem IWF grundsätzlich das Recht zu kurzfristigen Liquiditätskrediten zu geben. Damit sollen angebliche globale Liquiditätslücken geschlossen werden, wobei die Euro-Schuldenkrise als „erstes Testfeld“ dienen solle197. Ziel dieser kurzfristigen Kreditvergabe ist es, die Geldversorgung aufrecht zu erhalten. Damit aber träte der IWF in Konkurrenz zu den nationalen Zentralbanken, deren Aufgabe die Geldversorgung ist. Außerdem wäre die kurzfristige Liquiditätsversorgung mit den IWF-Auflagen schwerlich zu vereinbaren198.
194 FAZ vom 23. August 2012, S. 17, Schlechterer Gläubigerstatus der EZB lässt Zinsen sinken. Investoren verlangen dementsprechend höhere Risikoaufschläge, um ihr Risiko zu kompensieren. Sven Steinkamp und Frank Westermann zeigen, „dass die Risikoaufschläge der Krisenländer um so stärker steigen, je größer der Prozentsatz der öffentlich gehaltenen „Senior Tranche“ (inklusive der mit Staatsanleihen besicherten Target-Verbindlichkeiten der Zentralbank) wurde“. S. Steinkamp/F. Westermann, What explains high interest rates in Europe? On creditor seniority and sovereign bond markets, 2012. 195 Vgl. Die Rolle des IWF, Pressemitteilung der Deutschen Bundesbank vom 14. September 2000. 196 60 Jahre Bretton Woods-Institutionen, Standortbestimmung und Ausrichtung, S. 23. 197 P. Welter, FAZ vom 15. Oktober 2011, Weltwährungsvisionen, S. 13. 198 „Die kreditnehmenden Regierungen erhielten so einen Freibrief.“ Außerdem würde der Fonds mit dieser Aufgabe „zum Geldgeber der letzten Instanz“ und damit „zur Konkurrenz zu den Zentralbanken“. P. Welter, FAZ vom 15. Oktober 2011, Weltwährungsvisionen, S. 13.
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II. Konkurrierende Einrichtungen Der IWF gilt zwar bis heute als der bedeutendste Akteur der Weltwirtschaft, aber seine Position ist nicht mehr unangefochten. In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Initiativen zu beobachten, die als mittelbare oder unmittelbare Konkurrenz zum IWF wahrgenommen werden, weil sie sich mit wesentlichen Tätigkeitsbereichen des IWF überschneiden. Teilweise betrifft dies die Tätigkeit des IWF zur Beratung und Analyse, teilweise auch die Vergabe von Krediten unter alternativen Voraussetzungen. 1. Financial Stability Board (FSB) Das Financial Stability Forum (FSF) wurde im Jahr 1999 gegründet, um wirtschaftspolitische Beratung und Anleitung anzubieten199. Zu den Teilnehmern gehörten Mitarbeiter der Finanzministerien, der Zentralbanken und der gesetzgebenden Institutionen, sowie Gruppen, welche für die Regulierung der „developing standards and Codes of good practice“ verantwortlich zeichneten. Ziel war es, eine Vielzahl von maßgeblichen Akteuren zusammenzubringen, um Einfluss auf die Wirtschaftspolitik der Industriestaaten zu nehmen. Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 entschieden die Finanzminister der G-20-Staaten200, das Mandat der FSF auszuweiten. Aus dem Financial Stability Forum (FSF) entstand das Financial Stability Board (FSB)201. Neben den Mitgliedern des Financial Stability Forums sind daran die Repräsentanten von allen G20-Staaten, sowie Spanien und die Europäische Kommission, insgesamt 64 Institutionen beteiligt202. 199 Es wurde im Jahr 1999 von den Finanzministern der G7-Staaten und den Gouverneuren der Zentralbanken auf Initiative des ehemaligen Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer gegründet. Siehe dazu FSB, History, einzusehen unter www.financial stabilityboard.org/about/history.htm. 200 Innerhalb des Kreises der G7-Staaten waren die für die Weltwirtschaft maßgeblichen Akteure nicht hinreichend repräsentiert. Das Financial Stability Board ist als Erweiterung und Weiterentwicklung der G7 gedacht. Volkswirtschaftlich bedeutende, vormals ausgeschlossene Staaten sollten zunächst in die G22, später in die G33 aufgenommen werden. 201 D. Arner/M. Taylor, The Global Financial Crisis and the Financial Stability Board, AIIFL Working Paper No. 6 June 2009, S. 3. 202 Das Ziel des Financial Stability Board besteht in der Förderung der Stabilität des Finanzsystems mit folgenden Aufgaben: 1. potentielle Gefahren im internationalen Finanzsystem erkennen und Hilfestellung geben, wie sie politisch zu lösen sind; 2. Informationen zwischen den Staaten und ihren Regierungen, welche für die Stabilität des Finanzsystems besonders relevant sind, austauschen und koordinieren; 3. laufende Ereignisse der Weltwirtschaft beobachten und Ratschläge anbieten, welche Folgen für die nationalen Regelungen der Mitglieder zu erwarten sind;
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Chris Rogers sieht die Gründung von Foren wie das Financial Stability Board als „explicit attempt on the part of the world’s leading economies to address the kind of legitimacy deficits that have been identified within the governance structures of the IMF“203. Das Financial Stability Forum verbessere die Kontrolle der internationalen Finanzführung204. Tatsächlich markiere die Gründung des FSB einen weiteren Schritt in Richtung internationaler Regulierung. Dabei verfolge seine ökonomische Führung einen pragmatischen Ansatz „to act as a conduit, an instrument of information exchange and policy formulation in a collaborative effort with the many separate insti tutions“205. Analoges gilt für die G20- Gruppe206. Die Finanzminister der G20-Gruppe beanspruchen, die größten und bevölkerungsreichsten Staaten zu repräsentieren, insbesondre China, Russland und Indien. Damit vertreten sie 87 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes und 65 Prozent der Bevölkerung207. Dennoch ist unübersehbar, dass die Gruppe bestimmte Akteure bevorzugt, während sie andere ausschließt. Trotz des Anspruchs der G20, die sozialen Probleme einer weltweiten Globalisierung zu diskutieren, sind die Entwicklungsländer so gut wie nicht beteiligt208. Dies ist der gleiche Vorwurf, der gegenüber dem IWF erhoben wird209. Weder das Financial Stability Forum noch die G20 sind in der Lage, die fundamentalen Probleme der Weltwirt 4. 5.
in Fragen der good economic governance, best practice and Standards beraten; strategische Analysen zu der Frage anbieten, auf welche Weise sich Regelungen im Kontext mit der globalen Wirtschaft entwickeln lassen; 6. Richtlinien und Strukturen für die Beobachtung und Aufsicht des internationalen Finanzsystems entwickeln; 7. Erarbeitung von Krisenplänen; 8. Zusammenarbeit mit dem IWF beim Aufbau eines Frühwarnsystems. Zu den Gebieten, auf die sich das Mandat erstreckt, siehe D. Arner/M. Taylor, The Global Financial Crisis and the Financial Stability Board, AIIFL Working Paper No. 6 June 2009, S. 12 f. 203 Ch. Rogers, The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality, 2012, S. 158. 204 J. Liberi, The Financial Stability Forum: A Step in the Right Direction. Not Far Enough, 2003, S. 568 f. 205 J. Liberi, The Financial Stability Forum, S. 568. 206 Fred Bergsten bemerkt, die G20 „is the ideal forum within which the rich and poor countries can push each other to adopt more constructive policies, rather than meeting solely on their own trying to reach the other group through communiqés and the media“, The G-20 and the World Economy, 2004, S. 31. 207 T. Porter, The G-7, the Financial Stability Forum, the G-20, and the Politics of International Financial Regulation, 2000, S. 14 f. 208 Ebenda, S. 438. 209 Kritisch auch R. Germain, Global Financial Governance and the Problem of Inclusion, 2001, S. 411 ff.
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schaft zu verbessern, insbesondere nicht jene, die mit dem US-amerikanischen Übergewicht und ihrem ideologischen Konsens in Verbindung gebracht werden210. Chris Rogers sieht darin einen Hinweis für einen neuen Ansatz zur Lösung der Legitimationsproblematik eines internationalen Währungssystems, welche die Finanzkrise der neunziger Jahre offenlegte. Dieser richtet sich auch gegen die Rolle eines IWF, der zunehmend als US-amerikanischer und europäischer Club wahrgenommen werde211. Das Financial Stability Board und die G20 seien unzweifelhaft zu einem Forum gereift, welches mit dem IWF konkurriere, jedenfalls sofern sie wirtschaftspolitische Beratung und technische Anleitung (tutelage) anbieten. Zwar erstreckt sich die Forschung des IWF auf alle Felder der Weltwirtschaft. Alternative Ideen entstünden jedoch nur in alternativen Foren, welche eine wesentlich breitere Basis mit Einfluss auf die Konsensbildung haben212. Außerdem sei die Rolle des Financial Stability Boards, welcher auch Belastungen der Weltwirtschaft beobachtet, eine Konkurrenz zur surveillance-Funktion des IWF. In diesem Bereich hat der Fonds damit sein Alleinstellungsmerkmal verloren. Auch im Hinblick auf das Basel Committee on International Banking’s Proposal ist der Fonds inzwischen nur noch „one aspect of a diverse system of surveillance incorporaring both macro- and micro-prudential spheres“213. 2. Selbstversicherung: Das Aufschatzen von Währungsreserven Eine große Bedeutung kommt der Anhäufung von ausländischen Währungsreserven insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern zu. Als das Bretton-Woods-System im Jahr 1973 zusammenbrach, ging man überwiegend davon aus, dass die Nachfrage nach internationalen Währungsreserven zurückgehen werde. Tatsächlich trat das Gegenteil ein. Als Lehre aus der Asienkrise waren die Währungsreserven der Schwellen- und Entwicklungsländer in den Jahren 1997 und 2004 um 60 Prozent angestiegen214, woran die 210 Ebenda,
S. 422. The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality,
211 Ch. Rogers,
S. 160. 212 Eine homogene Gruppe der traditionellen Industrienationen sei kaum geeignet, einen anerkannten Regelungsstandard hervorzubringen, der weltweit geachtet und für die Stabilität des Finanzsystems förderlich sei. Deshalb sei die Etablierung der G20 ein richtiger Schritt gewesen. F. Bergsten, The G-20 and the World Economy, S. 27 ff. 213 Ch. Rogers, The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality, S. 161. 214 R. Mendoza, International Reserve-Holding in the developing world: self insurance in a crisis-prone era?, Emerging Markets Review, 5, 2004, S 61 f.
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Staaten China, Süd-Korea, Mexiko und Indien einen Anteil von über 40 Prozent hatten215. Gemäß der von Oliver Jeanne genannten216 drei wesentlichen Parameter sind Fremdwährungsreserven volkswirtschaftlich sinnvoll, sofern die Zentralbanken und multilateralen Finanzinstitutionen Fremdwährungsreserven nur im notwendigen Umfang vorhielten217. Jeanne hat aber festgestellt, dass die ausländischen Währungsreserven der Entwicklungs- und Schwellenländer den Betrag, welcher nach diesen Grundregeln für ausreichend erachtet wird, weit übersteigen218. Die Anhäufung von Währungsreserven wird von einigen Autoren zwar als Gefährdung der Finanzstabilität kritisiert219, die umfangreiche Devisenauf215 Ebenda, S. 75. Allein Chinas Währungsreserven betrugen im Jahr 2012 über 3.383 Milliarden US-Dollar, gefolgt von Russland, Indien, und Brasilien. R. Moghadam, High International Reserves: An Embarrassment of Riches?, 2009. Demgegenüber betrugen die Währungsreserven der Vereinigten Staaten lediglich 148 Milliarden US-Dollar und die der Europäischen Zentralbank 78 Milliarden US-Dollar. Vgl. IMF, Time Series Data on International Reserves and Foreign Currency Liquidity Official Reserve Assets, 30. Juni 2012, einzusehen unter http://www.imf.org/external/np/sta/ir/ IRProcessWeb/data/8802.pdf. 216 Ch. Rogers, The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality, 165 f. 217 Weil ein Teil der ausländischen Währungsreserven stets für Importe benötigt wird, sollten die Währungsreserven zumindest ausreichen, um über einen Zeitraum von drei Monaten die Importe weiterfinanzieren zu können. Der Teil der Reserven, der für kurzfristige Auslandsverschuldungen reserviert ist, sollte die auswärtigen Rückzahlungs- und Tilgungsverpflichtungen in den kommenden 12 Monaten decken können. Der dritte Anteil sei als Reserve für die Geldmenge M2 vorzuhalten, deren Höhe sich an einer Bandbreite von 5 bis 20 Prozent orientiere. O. Jeanne, International Reserves in Emerging Market Countries: Too Much of a Good Thing?, 2007, S. 7, Fn. 5. 218 Ebenda, S. 7. Dani Rodrik stellt in seiner Untersuchung fest, dass die Währungsreserven in den siebziger und achtziger Jahren bei durchschnittlich sechs bis acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes lagen. Im Jahr 2004 lag der Anteil bereits bei 38 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Wegen seiner signifikanten Ausnahmestellung wurde China in der Daten-Untersuchung nicht berücksichtigt). The social cost of foreign exchange reserves, 2007, S. 255. 219 R. Mendoza, International Reserve-Holding in the developing world, S. 65. Die Effektivität von Währungsreserven sei an den Opportunitätskosten zu messen. Reza Moghadam argumentiert, dass die Anhäufung von Währungsreserven auf Kosten der Förderung des Binnenwachstums sowie auf Kosten von Bildung und Infrastruktur erfolge, High International Reserves: An Embarrassment of Riches?. Die Anhäufung von Währungsreserven koste Entwicklungsstaaten etwa ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts. D. Rodrik, The social cost of foreign exchange reserves, 2007, S. 254. Michael Fini bezeichnet diese Strategie als eine Form des fiskalischen Merkantilismus. So mit Blick auf den Sovereign Wealth Funds (SWF), Financial Ideas, Political Constraints, 2010, S. 47.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
schatzung der Entwicklungs- und Schwellenländer jedoch als Antwort auf die legitimatorischen Defizite des IWF und seine Rolle als internationaler Kreditgeber gesehen220. Mit den Währungsreserven wollten sich die Staaten von Finanzhilfen des IWF im Krisenfall unabhängig machen (self-insurance). Die Höhe der südamerikanischen Überschüsse und die frühe Rückzahlung der IWF-Kredite werden als Beleg für „the independence movement“ der Staaten gewertet221. Weil das Verhältnis ausländischer Währungsreserven zur Höhe der kurzfristigen Verbindlichkeiten eines Staates als ein bedeutender Indikator für die Bedrohung durch eine Währungskrise gilt, dient das Aufschatzen von Währungsreserven als Vorsichtsmaßnahme, um zukünftigen Währungskrisen mit der Folge einer Kapitalflucht begegnen zu können222. Dani Rodrik sieht dies als Beleg dafür, dass „developing countries cannot rely on the International Monetary Fund or reform in the ‚International financial architecture‘, sieht dies als Beleg dafür, dass „developing countries cannot rely on the International Monetary Fund or reform in the ‚International financial architecture‘ to protect themselves from such crises“223. Auch Schwellenländer versuchen, hohe Währungsreserven zu bilden um sicherzustellen, nicht auf ein Kreditprogramm des IWF angewiesen zu sein und sich nicht dessen Konditionalität unterwerfen zu müssen224; denn als ein „seal of approval“ können hohe Fremdwährungsreserven eine Alternative zu IWFKrediten sein225. Chris Rogers sieht die dominante Rolle des IWF als globaler Kreditgeber zunehmend in Gefahr226. Einmal schützen sich krisenanfällige Staaten durch das Aufschatzen von Währungsreserven vor spekulativen Wetten gegen ihre Währung. Dann stehen im Falle einer Liquiditätskrise in Verbindung mit sinkenden Wechselkursen ausreichende Mittel zur Verfügung, welche den Staat unabhängig von den konditionierten Finanzhilfen des IWF machen. Zum anderen sind Schwellenländer wie China aufgrund ihrer hohen Über220 Zur „Self-insurance“ von Staaten, B. Eichengreen, A Blueprint for IMF Reform: More than Just a Lender, International Finance, 2007, S. 153 ff.; D. Rodrik, The social cost of foreign exchange reserves, S. 253 ff. 221 B. Eichengreen, A Blueprint for IMF Reform, S. 154. 222 J. Aizenman/L. Summers, International Reserves in Emerging Market Countries: Too Much of a Good Thing?, 2007, S. 56 ff. 223 D. Rodrik, The social cost of foreign exchange reserves, S. 254. 224 B. Eichengreen, A Blueprint for IMF Reform, S. 153 f. 225 Beispielhaft nennt Rogers den Fall Sri Lankas. Das Land hatte im Juli 2009 vom IWF einen Kredit in Höhe von 2,6 Mrd. US-Dollar erhalten, um die eigenen Reserven aufzustocken, nachdem diese zuvor stark zurückgegangen waren. Ch. Rogers, The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality, S. 167 f. 226 Ch. Rogers, The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality, S. 168 f.
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schüsse bereit, selbst bilaterale Kredite zu vergeben. Dann treten sie in Konkurrenz zu den IWF-Krediten. 3. New Development Bank (NDB) Auch die Gründung des Contingent Reserve Arrangement (CRA) und der New Development Bank (NDB) mit Sitz in Shanghai im Juli 2014 ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Insbesondere während der Ostasien-Krise wurde die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Legitimationsdefizite des IWF gelenkt. Pläne, einen asiatischen Währungsfonds zu schaffen, existierten schon lange, aber erst mit der Gründung des Contingent Reserve Arrangement und der New Development Bank wurden Institutionen geschaffen, die bei der Kreditvergabe in Konkurrenz zum IWF treten227. Die New Development Bank wurde als eine multilaterale Entwicklungsbank gegründet und wird häufig auch als BRICS-Entwicklungsbank228 bezeichnet. Nicht zuletzt geht es der Institution darum, alternative wirtschaftspolitische Ansätze zum gerade in der Asienkrise stark kritisierten und in Verruf geratenen Washington Consensus zu entwickeln229. Die Erklärung zur Gründung des CRAFonds beruft sich denn auch auf die langjährige Kritik am IWF: „Wir sind weiter enttäuscht und ernsthaft besorgt über die Nichtumsetzung der 2010-Reform beim Internationalen Währungsfonds, woraus sich negative Auswirkungen auf die Legitimität, die Glaubwürdigkeit und die Effektivität des IWF ergeben230.“
227 In direkter Konkurrenz zur Weltbank, dem IWF und der Asiatischen Entwicklungsbank wurde nunmehr die Asiatische Investmentbank für Infrastruktur (AIIB) gegründet. Dazu Spiegel Online vom 17. März 2015, AIIB: Chinas Weltbank-Konkurrent gewinnt Deutschland als Partner, einzusehen unter http://www.spiegel.de/ wirtschaft/soziales/chinas-weltbank-konkurrent-aiib-gewinnt-partner-in-europa-a-102 3882.html; FAZ vom 17. März 2015, Amerika verliert Machtkampf mit China, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/amerika-verliert-macht kampf-mit-china-13487605.html. 228 Der Terminus „BRICS“ steht für die Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. 229 SZ Online vom 16. Juli 2014, Schwellenländer gründen eigene Bank und Währungsfonds, einzusehen unter http://www.sueddeutsche.de/news/politik/internationalschwellenlaender-gruenden-eigene-bank-und-waehrungsfonds-dpa.urn-newsml-dpacom-20090101-140716-99-00796. Eine ähnliche Funktion wird auch der Association of South East Asian Nations (ASEAN), einer Organisation, die lokale Finanzhilfen zur Verfügung stellt, zugesprochen. B. Eichengreen, A Blueprint for IMF Reform, S. 154. 230 Ebenda.
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4. Chiang Mai Initiative Multilateralization (CMIM) In diesem Zusammenhang ist auch die Chiang Mai Initiative Multilateralization (CMIM) zu nennen. Sie verwirklicht das Konzept einer multilateralen Währungsswapvereinbarung, das im Jahr 2010 aufgelegt wurde und dessen Leistungsgremien sich aus den Finanzministern und Gouverneuren der Zentralbanken der Mitglieder der sogenannten „ASEAN+3“231 sowie der Hong Kong Monetary Authority zusammensetzt. Die Initiative hat die Aufgabe, ihren Mitgliedern US-Dollar-Reserven im Rahmen von sogenannten „currency swap transactions“ zur Verfügung zu stellen. Die Einrichtung schöpfte ursprünglich aus einem Devisenreserven-Pool mit einem Wert von 120 Milliarden US-Dollar, der im Jahr 2012 auf 240 Milliarden US-Dollar erweitert wurde. 5. Ergebnis Seit der Gründung diverser alternativer Institutionen, die sich zumindest in weiten Teilen dem Aufgabenbereich des IWF widmen, nehmen auch sie Einfluss auf die Kreditpolitik und Finanzgebarung der Mitgliedstaaten232. Nach Ansicht von Alain Greish ist die frühzeitige Rückführung der IWF-Kredite durch Russland233, Thailand, Argentinien, Brasilien, Bolivien und Serbien als Zeichen zu werten, dass mit Zusammenbruch der US-amerikanischen subprime-mortgage-Märkte und dem Vordringen des Beijing Consensus die Rolle und der Einfluss des IWF auf die Weltwirtschaft nachhaltig geschwächt wurden. Die Rolle des IWF als einflussreicher Aufseher über die globalen wirtschaftlichen Verhältnisse und als Krisenmanager sieht er immer stärker in Frage gestellt234.
231 Dazu gehören die zehn Mitglieder der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN), die Volksrepublik China (einschließlich Hongkong), Japan und Südkorea. 232 Ch. Rogers, The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality, S. 165. 233 Zum IWF in der Russlandkrise siehe K. Blöcker, Die rechtlichen Aspekte der Zusammenarbeit des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit der russischen Föderation. 234 Der IWF und seine Ideen müssten mit anderen Ideen, aus anderen kulturellen und politischen Kontexten und anderen politischen Foren konkurrieren. Seinen alten Einfluss behalte der IWF wohl allein in Staaten, in welchen die Ideen des IWF zum politischen Konsens gehören, insbesondere den angelsächsischen Staaten, namentlich den USA und Großbritannien, sowie der Europäischen Union. A. Greish, Understanding the Beijing Consensus, 2008, S. 2, einzusehen unter http://mondediplo.com/ 2008/11/03beijingconsensus.
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III. Moral-Hazard-Problematik Befördert der IWF durch seine Rolle als „Kreditgeber der letzten Instanz“ Fehlanreize und Moral-Hazard-Verhalten235? Diese Frage ist Gegenstand zahlreicher Analysen, welche Moral-Hazard-Verhalten236 sowohl auf der Seite der Schuldnerstaaten als auch auf Seiten der Gläubigerinstitutionen aus unterschiedlichen Perspektiven empirisch untersuchen. Zwar beeinflussen makroökonomische Finanzhilfen grundsätzlich die Erwartungen der Akteuere, das Phänomen moralischer Risiken ist im Einzelfall aber nur schwer und allenfalls indiziell nachweisbar237. Die empirischen Analysen gelangen zu uneinheitli235 Robert Barro warf dem IWF vor, er fungiere nicht mehr als ein Währungsfonds, sondern als ein „IMH – the Institute for Moral Hazard“, Business Week vom 7. Dezember 1998, „The IMF Doesn’t Put Out Fires, It Starts Them“, einzusehen unter http://scholar.harvard.edu/barro/files/98_1207_imf_bw.pdf. 236 Unter Moral Hazard versteht man rationale Handlungen ökonomischer Akteure, welche ihren eigenen Nutzen auf Kosten anderer maximieren. Das Phänomen wurde aus den Erfahrungen des Versicherungswesens abgeleitet, nach welchen Versicherte eine höhere Unfallwahrscheinlichkeit haben als Nichtversicherte. Als ökonomisches Phänomen rezipiert man den Umstand, dass ökonomische Akteure ungeachtet der Unsicherheit einer Situation (zum Beispiel der mangelnden Zahlungsfähigkeit eines Schuldners) keine Konsequenzen ableiten. Siehe Y. Kotowitz, Moral Hazard, in: J. Eatwell/M. Milgate/P. Newman (Hrsg.), The New Palgrave, Allocation, Information and Markets, 1987, S. 207. 237 Xiaoming Zhang untersucht in einer Studie zu den Jahren 1992 bis 1997 die Entwicklung der Risikoaufschläge für Anleihen der Schwellenländer nach der Mexikokrise und gelangt zu dem Ergebnis, dass Moral-Hazard-Effekte nicht feststellbar seien. Testing of moral hazard in emerging market lending, 1999. Giovanni Dell’Ariccia, Isabel Schnabel und Jeromin Zettelmeyer können Moralhazard-Wirkungen nachweisen, Moral Hazard and International Crisis Lending, IMF WP 02/181, 2002, einzusehen unter http://www.imf.org/external/pubs/ft/wp/2002/ wp02181.pdf. Timothy Lane und Steven Phillips betrachten die Wirkung, welche öffentliche Ankündigungen von IWF-Interventionen auf die Risikoaufschläge von Anleihen aus Schwellenländern in den Jahren 1994 bis 1999 entfalten. Aus den Daten lassen sich signifikante Steigerungen der Risikoaufschläge lediglich im Falle des Zahlungsausfalls Russlands im Jahr 1998 erkennen. Daraus leiten die Autoren die Schlussfolgerung ab, dass nur vereinzelte Hinweise auf Gläubiger-Moral-Hazard bestünden. Does IMF Financing Result in Moral Hazard?, IMF WP 00/168, 2000, S. 4. Auch Steven Kamin beschäftigt sich in seiner Studie zum Zeitraum der Jahre 1992 bis 2001 mit dem Phänomen des Gläubiger-Moral-Hazard in der Mexikokrise und vergleicht die Entwicklung der Anleihen von Schwellenländern und Kapitalzuflüssen mit empirischen Modellen. Danach sei ein Gläubiger-Moral-Hazard-Verhalten allenfalls anhand der die Modellprognosen weit übertreffenden Kapitalzuflüsse in den Jahren 1996 und 1997 nachweisbar. Identifying the role of moral hazard in international financial markets, Identifying the role of moral hazard in international financial markets, Board of Governors of the Federal Reserve System, FRB International Finance Discussion Paper No. 736, 2002.
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chen, teilweise widersprüchlichen Ergebnissen238, auch wenn die meisten Studien auf ein Moral-Hazard-Verhalten der Schuldner und Gläubiger hindeuten. Die Kreditvergabe des IWF spielt für die Erwartungen der Marktakteure aber Francesco Spadafora beobachtete die Entwicklung langfristiger Kredite und vergleicht die zwischen den Jahren 1991 und 1997 gesammelten Datensätze mit den Werten nach dem Ende der Mexikokrise. Sie gelangt zu dem Schluss, dass ein MoralHazard-Verhalten auf Seiten der Gläubiger nach der IWF-Intervention nachweisbar sei. So seien die Risikoaufschläge der untersuchten Bankdarlehen signifikant gesunken, was als Hinweis auf ein steigendes Moral-Hazard-Verhalten zu werten sei. Financial Crises, Moral Hazard and the „speciality“ of the International Interbank Market: Further Evidence from the Pricing of Syndicated Bank Loans to Emerging Markets, Banca d’Italia Working Paper Nr. 438, 2002. Andrew Haldane analysiert mit Ashley Taylor und (in einer weiteren Untersuchung) Jörg Scheibe, wie sich die Marktwerte der Gläubigerbanken zwischen den Jahren 1995 und 2002 als Reaktion auf insgesamt 26 IWF-Interventionen innerhalb von fünf Tagen nach Bekanntwerden entwickeln. Sie stellen fest, dass die Kursentwicklung die durchschnittliche Entwicklung signifikant übersteigt. Dies sei ein deutlicher Beleg für Moral-Hazard auf Seiten der Gläubiger. A. Haldane/A. Taylor, Moral hazard: how does IMF lending affect debtor and creditor incentives?, S. 122 ff.; A. Haldane/J. Scheibe, IMF lending and creditor moral hazard, WP No. 216, Bank of England, 2004. Ayse Evrensel und Ali Kutan erforschten anhand von Datensätzen aus den Jahren 1996 und 2003, wie sich die IWF-Interventionen auf Aktien- und Wechselkurse in Korea und Indonesien ausgewirkt haben. Die Autoren gelangen zu dem Schluss, dass IWF-Ankündigungen lediglich die Aktien- und Wechselkurse desjenigen Landes beeinflussten, auf welches sich die IWF-Ankündigung beziehe. Dies sei als ein Hinweis auf Gläubiger-Moral-Hazard zu interpretieren (Gläubiger-Moral-Hazard sei aber jenseits des von der Ankündigung betroffenen Landes nicht feststellbar). Testing Creditor Moral Hazard in Sovereign Bond Markets: A Unified Theoretical Approach and Empirical Evidence, in: The William Davidson Institute WP No. 665, 2004. Stephan Müller-Eicker hat die Arbeiten zum Moral-Hazard-Phänomen in den Finanzkrisen in Mexiko, Russland und Ostasien analysiert und gelangt zu dem Schluss, dass eine „eindeutige Zustimmung oder Ablehnung der Gläubiger-Moral-Hazard-Hypothese […] jedenfalls mit den bisherigen Studien nicht möglich“ sei (S. 52). MüllerEicker gelangt in seiner Analyse der Studien zu dem Schluss, dass sich „in der empirischen Literatur keine breite Basis für den katalytischen Effekt des IWF“ nachweisen lasse. Vielmehr sei dieser von einer Vielzahl länderspezifischer Bedingungen abhängig. Am ehesten sei er bei Staatsanleihen nachweisbar, sofern „die Finanzkrise noch nicht zu weit fortgeschritten“, die Bonität der Staaten also „noch immer durchschnittlich“ sei und das IWF-Programm strenge präventive Maßnahmen für das Land vorsehe. Strategien zur Restrukturierung von Staatsverschuldung in Schwellenländern: Auswirkungen auf die internationalen Finanzmärkte, 2011, S. 55 ff. (dort auch ein Überblick zu den Forschungen zum Moral-Hazard-Verhalten). 238 Auch die Forschungsabteilung des IWF sieht widersprüchliche Hinweise in den Analysen zu Moral-Hazard durch IWF-Kredite: „Overall […] the evidence on the existence of moral hazard in IMF loans is somewhat mixed […]“ – K. Rogoff, Moral Hazard in IMF Loans – How Big a Concern?, Finance & Development, September 2002, Vol. 39, No. 3; J. Kim, Unconditional IMF Financial Support and Investor Moral Hazard, IMF WP/07/104, Policy Development and Review, 2007.
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durchaus eine maßgebliche Rolle. So gelangte die Meltzer-Kommission in ihrem Abschlussbericht zur Reform der internationalen Finanzinstitutionen zu dem Ergebnis: „The importance of the moral hazard problem cannot be overstated“239. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sich die moral hazardAnreize wechselseitig verstärken, dadurch zu einem immer schnelleren Anstieg der Verschuldung führen und schließlich sogar die globale Finanzstabilität gefährden. Das folgende Kapitel beschränkt sich darauf, die Problematik struktureller Fehlanreize bei der IWF-Kreditpolitik zu beleuchten. 1. Moral-Hazard-Verhalten auf Schuldnerseite Teilweise wird argumentiert, dass auf Schuldnerseite kein Moral-HazardVerhalten zu befürchten sei, sofern die Kredite fristgerecht an den IWF zurückgezahlt werden und die Zinssätze die Kreditausfallrisiken korrekt widerspiegeln240. Außerdem wirke die ex-post-Konditionalität des IWF dem Moral-Hazard-Verhalten von Schuldnerstaaten präventiv entgegen241; denn der drohende Verlust von Einfluss, Prestige und Macht, sowie die strenge Konditionalität wirke bereits im Vorfeld der Kreditaufnahme disziplinierend auf die Regierungsverantwortlichen der betroffenen Staaten. So ließen die drohenden Auflagen der IWF-Kreditprogramme Regierungen oftmals davor zurückschrecken, Kredite des Fonds in Anspruch zu nehmen. Diese Argumentation ist wenig überzeugend. Schließlich tragen die Kürze der Wahlzyklen und die zu beobachtende „Parteienoligarchie“ in den meisten (demokratischen) Mitgliedstaaten dazu bei, dass politische Projekte zugunsten der eigenen Klientel durchgesetzt werden und sich Staaten immer höher verschulden242. 239 Dazu die sogenannte „Meltzer Commission“ („Report of the International Financial Institution Advisory Commission“) die das Problem des moral hazard für in höchstem Maße problematisch hält; ähnlich Deutsche Bundesbank, Annual Report 2000. 240 N. Roubini/B. Setser, Bailouts or Bail-ins? Responding to Financial Crises in Emerging Markets, 2004, S. 108 f. 241 Olivier Jeanne, Jonathan Ostry, und Jeromin Zettelmeyer plädieren insbesondere für eine ex-ante-Konditonalität, die bereits vor der Kreditvergabe ansetzt, um auf die „richtige“ Politik hinzuwirken. Ex-ante-Konditionalität sei besonders geeignet, das Ausfallrisiko des IWF zu begrenzen. A Theory of International Crisis Lending and IMF Conditionality, A Theory of International Crisis Lending and IMF Conditionality, IWF WP WP/08/236, 2008. So auch Roland Vaubel, der klare Bedingungen bei der Mittelvergabe fordert, etwa „ein niedriges Haushaltsdefizit und eine niedrige Inflationsrate, keine Enteignungen, Freihandel und freien Kapitalverkehr“. FAZ vom 14. August 2012, Bundesbank warnt vor immer größeren IWF-Krediten, S. 10; kritisch M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 41 ff. 242 Selbst eine Regierung, welche für die wirtschaftliche Schieflage unmittelbar verantwortlich ist, muss kaum fürchten, für eine eventuelle Überschuldung zur Re-
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Eine prinzipielle Gefahr besteht auch darin, dass die Finanzhilfen den politischen Elitarismus fördern, indem sie den einflussreichen Eliten der Schuldnerstaaten einen Anreiz bieten, durch die in Aussicht gestellten Auszahlungen des IWF korrumpiert zu werden. Freilich sind die Zusammenhänge spekulativ und in aller Regel keinem Nachweis zugänglich. Zumindest kann aber vermutet werden, dass hier beachtliche individuelle (Partei)Interessen im Spiel sein können243. Wenn ein Mitgliedstaat des IWF damit rechnen kann, dass der Fonds ihm im Krisenfall Kredite zur Verfügung stellt, wird er sein Ausgabeverhalten grundsätzlich auf diese Erwartung einstellen244. Empirische Untersuchungen konnten eine signifikante Wahrscheinlichkeit für ein derartiges Verhalten nachweisen245. Analog zum Moral-Hazard-Phänomen bei privatrechtlichen Versicherungskontrakten tritt der IWF bei seiner Kreditvergabe an überschuldete Staaten „als eine Art internationale Versicherungsagentur“246 auf, welche zugunsten der Kreditempfänger als Versicherungsnehmer „die Kosten im Schadensfall übernimmt“247. In der Euro-Krise schürt der IWF gezielt die Erwartung der Gläubiger, dass er den betroffenen Staaten im Krisenfall ausreichendes Kapital zur Verfügung stellen werde. So spricht die Geschäftsführende Direktorin Christine Lagarde vom IWF als einer „Versicherungsagentur, die auch vorchenschaft gezogen zu werden; denn die Wirkungen der Überschuldung treten meist erst unter einer zukünftigen Nachfolgerregierung ein. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist die Verschuldungskrise Griechenlands. Die jahrelange Manipulation der Wirtschaftsdaten der ehemaligen griechischen Regierung hat gezeigt, dass potentielle Risiken, wie ein drohender Reputationsverlust, Regierungen kaum von sittenwidrigem Verhalten abhalten, sofern dies machtpolitisch nützlich erscheint. 243 In Griechenland etwa ist zu beobachten, dass sich die politischen Eliten während der Krise an der Regierungsspitze zwar abgewechselt, aber im Wesentlichen doch in ihren politischen Ämtern halten konnten. 244 Zu Moral Hazard auch W. Bratton/G. Gulati, Sovereign Debt Reform and the Best Interest of Creditors. 245 Zum Nachweis der Existenz von Schuldner-Moral-Hazard auf dem Kreditmarkt siehe etwa J. Stiglitz/A. Weiss, Asymmetric information in credit markets and its implications for macro-economies, 1992. 246 T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 9. Hinsichtlich seiner Rolle im Fall eines Zahlungsausfalls souveräner Staaten. Dabei wirke der IWF wie eine „Kreditversicherung gegen Zahlungsprobleme“. Ebenda, S. 191 f. 247 T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 166. Frech beobachtet den Versicherungseffekt auch bei IWF-Finanzhilfen. Diese sicherten die Gläubiger gegen volkswirtschaftliche Schäden ab. Der Versicherungseffekt führe zu einer „ineffizienten Ressourcenallokation im Schuldnerland“ (S. 124).
C. Die Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem199
beugend breite sogenannte Schutzschirme über Länder aufspannt“248. Droht ein Land zahlungsunfähig zu werden, erhält es „einen subventionierten Kredit von der internationalen Gemeinschaft“249. Auf der anderen Seite können sich die Kredithilfen von multilateralen Institutionen wie dem IWF im Idealfall für den betroffenen Mitgliedstaat stabilisierend auswirken, indem sie den Schuldnerstaat vor Liquiditätsproblemen schützen250. Michael Bordo und Anna Schwartz sehen in den regelmäßigen Überbrückungskrediten des Fonds einen „impliziten Versicherungsvertrag“, der den kreditaufnehmenden Staat vor einen Zahlungsausfall schützen soll251. Dieser aber wirke in der Regel destabilisierend, weil eine Regierung, welche Hilfeleistungen des Fonds antizipiert, länger an (finanz-)politischen Fehlentscheidungen festhalten könne. Während der Anreiz, nachhaltige Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit zu ergreifen, verloren gehe, werde der Anreiz zu opportunistischem Verhalten je nach Ausmaß der Verschuldung immer stärker252. Wie oben dargelegt gewährt der IWF seine Kredite nicht zuletzt entsprechend den geopolitischen Interessen der Hauptmitgliedstaaten. Dies führt dazu, dass Regierungen im Bewusstsein der geostrategischen Bedeutung ihres Landes ex ante auf ein Engagement des IWF vertrauen (dürfen)253. Ähn248 FAZ vom 6. Oktober 2011, IWF denkt an Kauf spanischer und italiensicher Staatsanleihen. 249 T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral Hazard: Eine Analyse aus vertragstheoretischer Sicht, S. 166. Die erwarteten Hilfen veranlassen die Regierung des Schuldnerlandes ex ante, also vor Schadenseintritt, nicht alles Erforderliche zu unternehmen (oder zu unterlassen), um den Schadensfall eintreten zu lassen. Dies geschehe auf Kosten der Geberstaaten, also „auf Kosten eines globalen Steuerzahlers, der letztlich das Geld für den Kredit aufbringen muss“. 250 A. Haldane/A. Taylor, Moral hazard: how does IMF lending affect debtor and creditor incentives?, S. 122. 251 M. Bordo/A. Schwartz, Under What Circumstances, Past and Present, Have International Rescues of Countries in Financial Distress Been Successful?, NBER Working Paper No. 6824, Dec. 1998, S. 45. 252 Die Moral-Hazard-Problematik auf Schuldnerseite kann bei Ländern, die kurz vor dem Zahlungsausfall stehen, besonders ausgeprägt auftreten. So kann ein Land versucht sein, Informationen über die Höhe der Verschuldung und eine drohende Zahlungsunfähigkeit möglichst lange zurückzuhalten, um in der Zwischenzeit zu versuchen, durch riskante Geschäfte die Einnahmensituation zu verbessern. Dieses risikofreudige Geschäftsgebaren, das auch als „Flucht nach vorne“ („gambling for resurrection“) bezeichnet wird, verschiebt die Risiken letztlich auf die internationalen Kreditgeber, letztlich also den IWF. Dazu T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 167, Fn. 114. 253 Im Zuge der russischen Verschuldungskrise und des vom IWF gewährten großzügigen Kredites wurde der Begriff „too-nuclear-to-fail“ geprägt. Vgl. N. Roubini,
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
liches gilt, wenn die Staaten enge Handelsbeziehungen mit Hauptgläubigerstaaten des Fonds pflegen. Ein Blick auf die Fonds-Programme, die sich auf geopolitisch und weltwirtschaftlich gewichtige Mitglieder konzentrieren, belegt, dass der Umfang der Kreditprogramme dort wesentlich höher ist und die Auflagen „unüblich lax“ sind254. Auch ex post, also nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, droht ein MoralHazard-Verhalten auf Schuldnerseite255. Werner Lachmann erklärt dies damit, dass die Schuldnerländer regelmäßig „keinen Anreiz [sehen], ihre Zahlungsunfähigkeit zu verbessern, da sie bei einer Wiedergewinnung der Zahlungsfähigkeit keinen Schuldenerlass bekommen können“256. Dies hat häufig zur Folge, dass eigenverantwortliche Reformbemühungen des Schuldnerlandes nachlassen257. Dazu kann auch eine zu niedrige Verzinsung von Krediten beitragen, wie Olivier Jeanne und Jeromin Zettelmeyer nachweisen258. Das Zinsniveau sei in der Regel nicht marktgerecht, entspreche also nicht dem Zinssatz, den die Staaten am privaten Kapitalmarkt zu bezahlen hätten. Dadurch werde der Wettbewerb auf dem Kapitalmarkt verzerrt259 mit der Folge einer suboptimalen Allokation der Produktionsfaktoren bei Investitionsvorhaben und Sanierungsmaßnahmen. Bail-In, Burden-Sharing, Private Sector Involvement (PSI) in Crisis Resolution and Constructive Engagement of the Private Sector, 2000, S. 22. 254 T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 168, dort Fn. 117 (m. w. N.). 255 Zu ex-post-Schuldner-Moral-Hazard T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 168 ff. 256 W. Lachmann, Volkswirtschaftslehre 2, S. 516. 257 Dieser Gefahr versucht der Fonds durch strenge Reformauflagen entgegenzutreten. Teilweise werden die Kredite verstärkt kurzfristig eingesetzt, beispielsweise für Bürgschaften und Garantien für nationale Banken und Unternehmen oder zur Stützung eines festen Wechselkursregimes. Häufig verschärft die falsche Allokation der Mittel und die Neuaufnahme der Kredite die prekäre Finanzsituation weiter und führt dazu, dass die Regierung bald erneut auf Hilfspakete des Fonds angewiesen ist. 258 O. Jeanne/J. Zettelmeyer, International Bailouts, Moral Hazard, and Conditionality, S. 414. Griechenland etwa bezahlte im Rahmen seines Kreditprogramms nur „etwa 5 Prozent“ Zinsen, wobei „die Bedingungen am Markt […] freilich für den Staat vor der Hilfszusage noch ungünstiger“ waren. FAZ vom 23. November 2010, Das erste Geld fließt im Januar, S. 12; „Der IWF-Kredit ist noch niedriger verzinst. Für 8,2 Milliarden Euro verlangt der Fonds lediglich 1,28 Prozent per annum, Beträge darüber hinaus werden mit 3,28 Prozent per annum verzinst. Auf diese Sätze kommt eine Bearbeitungsgebühr von 0,5 Prozent.“ D. Meyer, Kredithilfe für Griechenland, S. 20. 259 Dem wird entgegnet, dass das Zinsniveau des IWF für die Staaten zwar günstiger sei als am privaten Kapitalmarkt. Dies sei aber gerechtfertigt, weil der IWF aufgrund seiner Macht, insbesondere mittels der Konditionalität auf die Politik des Schuldnerstaates einwirken könne. Dies verringere die Risiken des IWF im Vergleich zu den Risiken von privaten Gläubigern, die einen solchen Einfluss nicht ausüben könnten.
C. Die Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem201
2. Moral-Hazard-Verhalten auf Gläubigerseite Der Fehlanreiz besteht nicht allein auf der Nachfrageseite, das heißt auf Seiten der Regierung des Schuldnerlandes. Er spiegelt sich auch auf der Angebotsseite wider, also bei den Gläubigern und potentiellen Geldgebern. Wie beim Schuldner-Moral-Hazard werden auch beim Gläubiger-Moral-Hazard die Risiken des eigenen Verhaltens ausgeblendet, zumindest nicht angemessen in die Entscheidungen einbezogen, wenn zu erwarten ist, dass ein Dritter das Ausfallrisiko übernehmen wird. Die immer umfangreichere Bereitstellung von Krediten durch den IWF führt dazu, dass private Investoren immer höhere Risiken einzugehen bereit sind, „[…] die man bei symmetrischer privater Zurechnung von möglichen Gewinnen und Verlusten (vermieden) hätte“260. „If the IMF was going to come in with cash, prudent borrowing made no sense.261“ Zu diesem Ergebnis gelangt auch die Meltzer-Kommission262: „The lenders act on the presumption that they will collect the risk premium but will not bear the full risk. This is moral hazard.“ Die Kredite des IWF beeinflussen in zweifacher Hinsicht die Verhaltensweisen der internationalen Investoren263: Einmal, so argumentiert Tim Frech, führt es dazu, dass „Investoren […] nicht die Risiken ihrer Kreditvergabe, respektive ihrer Investitionsentscheidung, internalisieren“264. Zum anderen stünden die vom IWF erhobenen (teilweise auch marktüblichen) Risikoprämien in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Kreditausfallrisiko. Infolge dessen würden Währungsrisiken häufig gar nicht erst abgesichert. Beides führe dazu, dass „internationale Investoren übermäßig viel Geld in Schwellen- und Entwicklungsländern anlegen“265. Mit Beginn einer Finanzkrise werden die Staatsanleihen des krisenbetroffenen Staates zu einem Spekulationsobjekt, weil die Anleger darauf wetten, dass die Schuldtitel, die am Markt mit erheblichen Abschlägen vom Nennwert gehandelt werden, doch noch voll bedient werden. Sofern ein Bail-out 260 H.-J.
Jarchow/P. Rühmann, Monetäre Außenwirtschaft II, S. 268. Sovereign Debt Reform and the Best Interest of Creditors, Vanderbilt Law Review, No. 1/57; Januar 2004, S. 9. 262 A. Meltzer, The Report of the International Financial Institution Advisory Commission: Comments on the Critics, CMU Research Showcase, 2000, S. 9. Siehe zur US-amerikanischen Diskussion der Reformvorschläge im Rahmen der Meltzer-Kommission: The Meltzer Commission: The Future of the IMF and World Bank, Hearing before the Committee on Foreign Relations United States Senate, 23. Mai 2000. 263 T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 170 ff. 264 Ebenda, S. 171. 265 Ebenda, S. 172. 261 W. Bratton/G. M. Gulati,
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stattfindet, werden die Anleihen zu hochrentierlichen Investitionen266. Diese vorauseilende Spekulation durch die Marktteilnehmer beruht meist auf einem Bail-out durch den IWF267. Der IWF bietet damit den Investoren quasi eine Versicherung gegen Zahlungsausfall in überschuldeten Staaten, der zur Sorglosigkeit verführt268, weil die Investoren keine adäquate Verantwortung für ihre Investitionsentscheidungen tragen. Außerdem geben die Spekulationen auf Kredite des Fonds einen Anreiz zum sogenannten „free riding“269. Auch die privaten Investoren antizipieren, dass der IWF im Krisenfall oftmals mit Hilfspaketen intervenieren muss, wenn die Zahlungsunfähigkeit eines Mitgliedstaates unter allen Umständen verhindert werden soll. Die Gläubiger, zumal die Geschäftsbanken, sehen in dieser Erwartung keine Veranlassung, ihre Forderungen abzuschreiben oder mit einem Abschlag zu verkaufen, obgleich dies mit Blick auf die Zahlungsschwierigkeiten des Schuldnerlandes eigentlich ökonomisch geboten wäre; denn wenn der Kredit ausfällt, können die Akteure damit rechnen, dass es zu einem Bail-out durch den IWF kommt270. Nach Werner Lachmann äußert sich das Phänomen des „free ridings“ darin, dass die Geschäftsbanken „von Abschreibungen bzw. ausgehandelten Abschlägen anderer Geschäftsbanken 266 Vgl. zum Moral Hazard als Verhaltensmuster bei Bankinvestitionen J.-H. Chang, Internationale Normen in der Hegelschen Weltgesellschaft (UNO, WTO und IWF), S. 273 f.; zurückhaltend P. Nunnenkamp, der in Entwicklungsländern private Investoren unabhängig vom IWF agieren sieht, The Moral Hazard of IMF Lending, S. 11 ff. 267 Beispielhaft ist der Verlauf der griechischen Staatsanleihe vor Entscheidung über den Schuldenschnitt. Die Anleihe mit einem Volumen von 14,5 Milliarden Euro wurde im 20. März 2012 fällig. Wurde sie Mitte Februar noch zu einem Kurs von 45 Prozent ihres Nennwerts gehandelt, waren es eine Woche später nur noch 28 Prozent. Siehe FAZ vom 24. Februar 2012, Chart des Tages, S. 23. 268 „Die Rettungspakete sehen den vollständigen Freikauf der Gläubiger vor, ohne dass diese Gläubiger einen Teil der Risiken, die sie eingingen, tragen müssen. Die Schonung der Gläubiger verführte wieder zur Sorglosigkeit bei der Kreditvergabe und erzeugte ein Übermaß an Zinskonvergenz. Die Korrekturfunktion der Kapitalmärkte würde abermals unterminiert, und der Anreiz, die staatlichen Budgetdefizite unter Kontrolle zu halten, würde geschwächt.“ C. Fuest/M. Hellwig/H.-W. Sinn/W. Franz, Zehn Regeln zur Rettung des Euro, in: FAZ vom 18. Juni 2010, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/appell-an-die-bundesregierung-zehnregeln-zur-rettung-des-euro-1597057.html. 269 Vgl. zur Free-Rider-Problematik J. Tirole, Financial Crises, Liquidity and the International Monetary System, 2002. 270 So auch W. Lachmann, der in einer inadäquaten Regulierung wie zu Beginn der Asienkrise einen Auslöser für Moral-Hazard-Verhalten auf Seiten der Gläubigerbanken erkennt, da „man sich auf bailing out des Staates“ verlassen habe. W. Lachmann, Volkswirtschaftslehre 2, S. 510.
C. Die Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem203
profitieren könnten, wenn dadurch ihre eigenen Forderungen wieder bedient werden würden“271. Damit werde der Schaden auf andere Institutionen und Marktteilnehmer abgewälzt. Die erwarteten Wohlfahrtseffekte können „katalytische Effekte“ auslösen272, deren praktische Wirkungen in zahlreichen Untersuchungen empirisch nachgewiesen wurden273. 271 W. Lachmann,
Volkswirtschaftslehre 2, S. 516. zur Entwicklung und Definition von katalytischen Effekten, insbesondere in Bezug auf öffentliche Finanzierung (Catalytic Official Finance, COF) C. Cottarelli/ C. Giannini, Global capital markets and the catalytic effect of IMF crisis lending, IMF WP WP/02/193, 2002; zur Effektivität von „catalytic finance“ siehe auch G. Corsetti/B. Guimaraes/N. Roubini, International Lending of Last Resort and Moral Hazard; T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 169. Der katalytische Effekt, welchen der IWF zu erreichen sucht, beruht nach Stephan Müller-Eicker auf drei Elementen: 1. Dem Schuldnerland fließen private Kapitalinvestitionen zu. (Die Investoren erwarten, dass sich die Rahmenbedingungen ihrer Investitionen ändern, indem der IWF den Schuldnerstaat zu einer Änderung der Haushaltsführung und Wirtschaftspolitik zwingt.) 2. Die Kapitalzuflüsse sorgen dafür, dass die Risikoaufschläge und damit die durchschnittlichen Kapitalbeschaffungskosten sinken. S. Müller-Eicker, Strategien zur Restrukturierung von Staatsverschuldung in Schwellenländern, S. 53 ff. Dina Dreisbach, Hans Fehr und Fabian Kindermann haben die katalytischen Effekte von Kredithilfen untersucht und dabei festgestellt: „Wenn die Fundamentaldaten extrem schwach sind und mit Sicherheit eine Solvenzkrise vorliegt, kann der so genannte „katalytische Effekt“ von Finanzhilfen nicht auftreten. In diesem Falle beeinflussen Finanzhilfen weder das Verhalten des Schuldnerlandes noch das der Gläubiger. Sie haben gar keine Wohlfahrtseffekte und verpuffen völlig. Sind jedoch die Fundamentaldaten nicht völlig abwegig, können selbst schwache Unterstützungs maßnahmen den spekulativen Abzug von Krediten verhindern (bzw. die Gewährung von neuen Krediten zu marktüblichen Bedingungen sicherstellen) und einen signifikant positiven Wohlfahrtseffekt auslösen. […] In Bezug auf die aktuelle Diskussion um Finanzhilfen für Griechenland lässt sich feststellen, dass selbst die Institutionen der Europäischen Währungsunion die prekäre Lage Griechenlands nicht zur Kenntnis nehmen konnten oder wollten.“ Daher seien etwa im Fall der Griechenlandkrise Finanzhilfen etwa des IWF aufgrund der „großen fundamentalen Unsicherheit“ „empfehlenswert“. Finanzhilfen bei internationalen Verschuldungskrisen?, 2010, S. 17 f. Eine Gefahr für Moral Hazard sieht indessen Clemens Fuest. Es verfestige sich die „Wahrnehmung der Märkte, dass die Eurozone de facto zur Bailout-Gemeinschaft geworden ist“. C. Fuest/F. Heinemann/Ch. Schröder FAZ vom 18. Juli 2014, Nr. 164, S. 16, Geregelt in die Staats-Insolvenz. 273 Nach einer Untersuchung von Barry Eichengreen und Ashoka Mody sei zwischen Ländern mit mittlerer und hoher Bonität zu unterscheiden. Moral-Hazard-Verhalten von Gläubigern sei zumindest in Ländern mit mittlerer Bonität nachweisbar. Die Investoren erwarten, dass die Einbindung des IWF für die Gläubiger positive Effekte entfalte. Bei Staaten mit hoher Bonität wirke das Engagement des IWF je272 Siehe
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
3. Liquiditätsangebot auf den Finanzmärkten Bei günstigen Zinssätzen ist es einem Staat möglich, auch bei mäßiger volkswirtschaftlicher Leistung Kredite in signifikanter Höhe aufzunehmen. Dies geschieht in der Regel über die Platzierung von Schuldverschreibungen, doch negativ, weil für die Akteure bislang unbekannte Probleme zu vermuten seien. In Staaten mit geringer Bonität erwarteten die Staaten auch von Mitteln des IWF keine Besserung der wirtschaftlichen Probleme. Bail-Ins, Bailouts, and Borrowing Costs, IMF Staff Papers, Vol. 47, 2001. Ashoka Mody und Diego Saravia gelangen nach ihrer Studie zu der Erkenntnis, dass Programmländern vor allem dann Kapital zufließt, wenn das IWF-Programm einen präventiven Charakter hat und die ökonomischen Bedingungen sich noch nicht signifikant verschlechtert haben. Ein langfristges Engagement des IWF führt nicht zu Kapitalzuflüssen, weil die Investoren vermuten, dass die wirtschaftlichen Reformen des IWF nicht umgesetzt würden. A. Mody/D. Saravia, Catalyzing Capital Flows: Do IMF-supported Programs Work as Commitment Devices?, IMF WP/03/100, 2003. Roberto Benellis Untersuchung gelangt zu dem Schluss, dass die Kapitalzuflüsse abnehmen, je umfangreicher das IWF-Programm ist. R. Benelli, Do IMF Programs Boost Private Capital Inflows?, The Role of Program Size and Policy Adjustment, IMF WP WP/03/231, 2003. Barry Eichengreen, Kenneth Kletzer und Ashoka Mody suchen in ihrer empirischen Studie nach Hinweisen für katalytische Effekte auf dem Anleihemarkt und dem Markt für Bankdarlehen. Im Ergebnis sei der katalytische Effekt auf dem Anleihemarkt größer als auf dem Markt für Bankdarlehen. Banken verfügten über interne Informationen aus ihren Geschäftsbeziehungen mit dem Schuldnerstaat. Auf dem Anleihemarkt dagegen stünden den Investoren grundsätzlich nur begrenzte Informationen zur Verfügung. Das Monitoring des IWF im Rahmen seiner Kreditprogramme versorge die Anleihegläubiger darüber hinaus mit Informationen, welche im Umfang mit denen der Banken vergleichbar seien. In diesem Sinne nehme der IWF allein durch seine Präsenz (mehr als durch seine Rolle als Kreditgeber) eine Rolle als wertvoller „Koordinator“ der Gläubiger ein. Die Informationen führten zu sinkenden Risikoaufschlägen. Die Autoren erkennen eine Kausalität zwischen IWF-Monitoring, IWF-Konditionalität und IWF-Kreditvergabe auf der einen und dem Verschuldungsniveau des Schuldnerlandes auf der anderen Seite. Sobald eine länderspezifische Toleranzschwelle überschritten sei und das Insolvenzrisiko gegenüber dem Liquiditätsrisiko in den Hintergrund trete (üblicherweise bei einem debt-to-GDP-Verhältnis von 30 Prozent bis 55 Prozent), sei ein Rückgang der Risikoaufschläge zu beobachten. Stehe das Insolvenzrisiko im Vordergrund (bei einem debt-to-GDP-Verhältnis von über 55 Prozent), so reiche die Präsenz des IWF und die von ihm gesammelten Informationen den Gläubigern nicht mehr aus, sondern es seien IWF-Kredite erforderlich, um katalytische Effekte hervorzurufen. Monitoring International Borrowers: The IMF’s Role in Bank and Bond Markets, IMF, 2004. Michael Bordo, Ashoka Mody und Nienke Oomes konnten in ihrer Studie nachweisen, dass Länder mit IWF-Programmen umfangreichere und stabilere Kapitalzuflüsse verzeichnen konnten als vergleichbare Staaten ohne IWF-Programm, sofern sich die Länder in einer durchschnittlichen ökonomischen Verfassung befänden. Bei Programmstaaten mit einer schlechten wirtschaftlichen Verfassung ließen sich solche Aussagen aber ebensowenig treffen, wie bei Programmstaaten mit einer vergleichs-
C. Die Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem205
die insbesondere dann aussichtsreich sind, wenn bei hoher Liquidität auf den den globalen Finanzmärkten nach Anlagemöglichkeiten gesucht wird. Der Sachverständigenrat hat im Zuge der Weltfinanzkrise auf die systematischen Fehlanreize aufmerksam gemacht, welche insbesondere die Geldgeber zu fahrlässigen Kreditangeboten ermutigen274: „Die kurzfristig unvermeidbare, ungewöhnlich hohe Liquiditätsbereitstellung durch die Zentralbanken hat auf mittlere und längere Sicht das Risiko des moral hazard auf den Finanzmärkten erheblich vergrößert. Wenn die Akteure davon ausgehen können, dass sie über Jahre hinweg hohe Renditen aus riskanten Geschäften erzielen können und bei auftretenden Problemen verlässlich im Sicherheitsnetz des Lender of Last Resort aufgefangen werden, sind für die Zukunft Fehlentwicklungen vorprogrammiert.“
Institutionelle Investoren wie Pensionsfonds oder Investmentgesellschaften müssen oft sehr hohe Beträge in Finanzanlagen unterbringen und dabei gelten Staatsanleihen – bedingt durch oft zweifelhaft hohe Bonitätsnoten – als „sichere Häfen“. Staatsanleihen gelten als eine besonders sichere Anlageform, in Deutschland zählen sie grundsätzlich zu den sogenannten „mündelsicheren Anlagen“ im Sinne des § 1807 BGB. Damit ist es insbesondere Lebensversicherungen gestattet, die eingesammelten Gelder mittels großer Investitionsfonds auch in risikoreichen Staaten anzulegen. Die Anleihen hoch verschuldeter Staaten sind wegen der überdurchschnittlichen Renditeerwartung für Investoren attraktiv. Darüber hinaus werden Zins- und Tilgungszahlungen auf Staatsanleihen von Gläubigervereinigungen wie dem Pariser Club dadurch besonders geschützt, dass sie in der Regel von den Umschuldungsmaßnahmen ausgenommen werden, um ihren Ruf als sichere Anleiheformen an den Weltkapitalmärkten nicht zu gefährden275.
weise
stabilen Volkswirtschaft. Keeping Capital Flowing: The Role of the IMF, WP/04/197, 2004; S. Morris/H. Song Shin, Catalytic finance: When doe s it work?, Journal of International Economics 70, 2006, S. 161 ff. 274 Jahresgutachten Sachverständigenrat, 2007/2008, S. 92. 275 Dies entspricht nicht zuletzt auch dem Interesse der Industrieländer, die auch eigene Anleihen platzieren (wollen). Die Sicherheit der Anleihen wird zudem dadurch verstärkt, dass sich Schuldnerländer vor ausländischen Gerichten nicht auf die staatliche Immunität berufen können. Die Kapitalaufnahme von Staaten bei privaten Gläubigern wird als nicht-hoheitlicher Akt des Staates qualifiziert. Dies hat zur Folge, dass Staaten, die vor ausländischen Gerichten verklagt werden, sich nicht auf ihre Immunität berufen können. Dazu A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 378 f.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
4. Fehlanreize auf Seiten des IWF Verstärkt werden die Fehlanreize durch die enormen Ressourcen, die dem IWF in den letzten Jahren insbesondere von Seiten der G-20-Staaten zur Verfügung gestellt wurden276. Seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise hat der Fonds seine finanziellen Ressourcen um das Dreifache erhöht, und in einer globalen Finanzanalyse einen Bedarf von einer Billionen USDollar errechnet277. Problematisch an dieser „Tendenz zur politischen Selbstverstärkung“278 ist vor allem, dass sich jedes Angebot seine Nachfrage schafft, der Fonds also „immer mehr bedürftige Krisenländer entdeckt“279. Es zählt nicht mehr die Notwendigkeit, sondern das neu verfügbare Geld, welches über die Pläne im IWF bestimmt280. 276 Der Wirtschaftshistoriker des IWF, James Boughton, hatte bereits früh eine stärkere Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem eingefordert: „The main challenge for the future is safeguarding the [IMF’s] identity and its resources, so that it can continue to provide adequate support to its now universal membership.“ Press Release, IMF Survey, 1994, S. 222; siehe auch G. Häusler/T. Geithner/F. Gianviti, IWF, Further Considerations of the Good Faith Criterion, IMF Financing and Moral Hazard, 2002. 277 Mit dem Betrag sollen Ansteckungsrisiken verhindert werden. Siehe dazu Interview mit Andreas Dombret (Mitglied des Vorstands der Bundesbank), FAZ vom 23. April 2012, „Brandmauern lösen die Krise nicht“. 278 So mit Blick auf die EU-Organe BVerfGE 89, 155, Rn. 237. 279 Ebenda. Mit der Aufstockung der IWF-Mittel wurden auch Finanzhilfen an Italien diskutiert. So wollte der IWF im Jahr 2011 Italien mit einem Kreditvolumen von bis zu 600 Milliarden Euro unterstützen, „um die neue Regierung von Mario Monti bei der Durchsetzung der notwendigen Reformen mit einer stabileren Finanzlage zu entlasten“. Manager Magazin vom 27. November 2011, IWF will Italien mit 600 Milliarden Euro helfen, einzusehen unter http://www.manager-magazin.de/poli tik/artikel/0,2828,800215,00.html. 280 „Wer dem Fonds immer mehr Geld in die Hand gibt, darf sich nicht wundern, wenn er immer mehr bedürftige Krisenländer entdeckt.“ P. Welter, FAZ vom 23. April 2012, In Deckung. Ein typischer Fall für Hilfekredite des IWF sind kurzfristige Probleme der Mitglieder, welche ihre Kapitalverkehrsbilanzen belasten. Beispielhaft für ein typisches „Problem in der Kapitalbilanz“ waren die IWF-Hilfen für Uruguay 2001. Die meisten Anleger hatten ihr Vermögen in Dollar-Konti angelegt und nicht in Pesos. Als die Dollar-Reserven der Zentralbank zurückgingen, forderten die Anleger die Auflösung ihrer Dollar-Konti. In dieser Situation stellte der IWF dem Land Mittel in Dollar zur Verfügung, um einen Run auf die Banken zu verhindern. Siehe NZZ vom 10. Mai 2010, Der IWF missachtet sein Mandat, einzusehen unter http://www.nzz.ch/nach richten/wirtschaft/aktuell/der-imf-missachtet-sein-mandat-1.5629543. Der Einsatz von sehr hohen Fonds-Mitteln kann nach einer Revision im Jahr 2009 nun aber auch mit einem hohen Leistungsbilanzdefizit begründet werden. „Diese Legitimation wird man denn auch bemühen, da Hellas‘ Leistungsbilanzdefizit im letzten
C. Die Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem207
Tim Frech sieht den IWF zunehmend in der Gefahr, sich opportunistisch zu verhalten281. Das Nutzenmaximierungskalkül spiele bei bürokratischen Institutionen282 wie dem IWF eine maßgebliche Rolle283. Für den Fonds besteht stets der Anreiz, seinen Einflussbereich innerhalb der Krisenbewältigung auszubauen, um seine „Existenz zu rechtfertigen und nachhaltig abzusichern“284. Damit stehe der IWF in der Versuchung, „Kreditgesuche von Ländern verstärkt zu genehmigen und diese seltener abzulehnen“. Die erweiterte finanzielle Ausstattung des Fonds werde oft dazu verwendet, „zu oft und zu hohe Kredite zu vergeben (Budgetmaximierung)“285. Auch Roland Vaubel hat in seinen Untersuchungen statistisch nachgewiesen, dass der IWF sich in vielen Bereichen seiner Politik über sein Mandat hinaus verselbständigt hat und dort weitgehend ohne Kontrolle der Mitgliedstaaten operiert286. Vaubel kommt zu dem Schluss, dass „international buJahr 11 % des Bruttoinlandproduktes (BIP) ausmachte. Dahinter dürfte wiederum das gewaltige Staatsdefizit stecken, das 2009 13,6 % des BIP ausmachte.“ Siehe NZZ vom 10. Mai 2010, Der IWF missachtet sein Mandat. 281 T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 173. 282 Vgl. zum Eigennutzkalkül bürokratischer Institutionen R. Wintrobe, Modern Bureaucratic Theory, in: D. Mueller (Hrsg.), Perspectives on Public Choice, 1997, S. 429. 283 Zum IWF als „Eigennutzmaximierer“ unter Verweis auf die sogenannte „Bürokratietheorie“ C. Hefeker, Handels- und Finanzarchitektur im Umbruch: Globale Integration und die institutionelle Arbeitsteilung von IWF, Weltbank und WTO, S. 7. 284 T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 173. 285 Ebenda. 286 Roland Vaubel untersucht den IWF-Mitarbeiterstab, der über die Jahre stetig gewachsen ist. Durch den Anstieg der internationalen Finanzströme allein sei der Mehrbedarf an Mitarbeitern nicht zu erklären. Vaubel integriert eine „accountability variable“ in seine statistische Untersuchung, mit welcher eine Aussage über den Einfluss der Mitgliedstaaten auf die IWF-Handlungen getroffen werden könne und zwar abhängig vom Anteil der Stimmen, welche die zehn größten Mitgliedstaaten haben. Während der Anteil an Stimmen, welche von den zehn größten Mitgliedstaaten kontrolliert werden, über die Jahre stetig gesunken ist, hat sich die Anzahl der IWF-Mitarbeiter im selben Zeitraum stark vergrößert. Vaubel erkennt einen signifikanten Zusammenhang zwischen der „accountability variable“ und dem Umfang der IWF-Mitarbeiterschaft. Dies sei ein Beleg dafür, dass das Anwachsen der IWF-Mitarbeiterschaft das Ergebnis einer Bürokratie sei, über welche die Mitgliedstaaten über die Jahre zunehmend die Kontrolle verloren hätten. Siehe R. Vaubel, A Public Choice Approach to International Organization, A Public Choice Approach to International Organization, Public Choice, S. 39 ff.; zu den empirischen Untersuchungen R. Vaubel/A. Dreher/ S. Müller/U. Soylu, Staff Growth in International Organizations: A Principal-Agent Problem? An Empirical Analysis, 2003. In einer anderen Untersuchung hat Vaubel einen weiteren Beleg für eigendynamisches Handeln des IWF im sogenannten „hurry-up lending“ erkannt. Gemäß dem
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
reaucracies […] try to maximize their power in terms of budget size, staff, and freedom of discretion and appreciate some leisure on the job“287. In der europäischen Schuldenkrise hat der IWF seine zentrale Stellung im globalen Finanzsystem gestärkt. Der Fonds hat „sieben seiner zehn größten Krisenkredite aller Zeiten […] seit 2008 zugesagt. Sechs davon gingen an Länder der Europäischen Union288.“ Domenico Lombardi sieht den IWF als „großen Gewinner“ aus der Krise hervorgehen. Der damalige IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn habe „geschickt die Uneinigkeit der Europäer ausgenutzt“ und „dem IWF gegen alle Widerstände eine größere Rolle in Europa verschafft“289. 5. Stellungnahme Der Fonds konzipiert sich durch die Fülle seiner Kredit- und Liquiditätslinien immer mehr als eine „globale Versicherungsanstalt“, „die gefragt oder ungefragt finanzielle Schutzschirme über scheinbar bedrohte Länder aufspannt und die Mitgliedstaaten vor finanziellen Risiken vorbeugend IWF-Übereinkommen hat der IWF die Quoten der Staaten, aus welchen der IWF seine Mittel bezieht, im Abstand von jeweils 5 Jahren zu überprüfen. Während die IWF-Mitarbeiter kurz nach einer Überprüfung der Quoten kaum mehr IWF-Mittel ausreichen, stieg im Zeitraum vor einer Überprüfung die Mittelvergabe des IWF signifikant an. Dies geschehe, um die Forderung des IWF nach einer Erhöhung der IWF-Mittel begründen zu können. Kredite würden also nicht allein an Mitgliedstaaten vergeben, welche sich in einer wirtschaftlichen Notlage befinden, sondern auch ausgereicht, um die Forderung nach einer Steigerung des IWF-Haushalts durch Quotenerhöhung rechtfertigen zu können. R. Vaubel, Bureaucracy at the IMF and the World Bank: A Comparison of the Evidence, 1996, S. 195 ff.; J. Vreeland, The International Monetary Fund – Politics of conditional lending, S. 48. 287 R. Vaubel, A Public Choice Approach to International Organization, S. 39 ff.; zu den empirischen Untersuchungen siehe R. Vaubel/A. Dreher/U. Soylu, Staff Growth in International Organizations. 288 Patrick Welter weist auf die rasante Steigerung des Kreditvolumens des IWF hin. Nachdem der damalige geschäftsführende Direktor Horst Köhler Brasilien im Jahr 2002 einen Kredit in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar zugesagt hatte, um die Sorge der internationalen Investoren zu zerstreuen, das Land könne seine Auslandsschulden nicht mehr bedienen, kündigte er an, dass die Zeit der Großkredite nun vorbei sei. Im Zuge der Finanzkrise hat der IWF sein Kreditvolumen dann aber doch massiv ausgeweitet. Das wirtschaftlich gesunde Mexiko erhielt im Jahr 2011 eine vorbeugende Kreditlinie in Höhe von 72 Milliarden US-Dollar, Griechenland erhielt 2010 im Rahmen des ersten IWF-Kredits 40 Milliarden US-Dollar. Irland erhielt im selben Jahr 30 Milliarden US-Dollar. P. Welter, FAZ vom 16. August 2012, S. 9, Der Währungsfonds auf dem Rückzug. 289 D. Lombardi, NTV Wirtschaft vom 25. April 2010, Neue Weltmacht Währungsfonds, IWF avanciert zur Kriseninstanz, einzusehen unter http://www.n-tv.de/ wirtschaft/IWF-avanciert-zur-Kriseninstanz-article840941.html.
C. Die Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem209
bewahrt“290. Der Sache nach entspricht dies einem „institutionalisierten Bailout durch den Fonds“291 und auf diese Weise wird er zu einem permanenten Beistandsfonds292. Ein solcher ist für die Haushaltsdisziplin kontraproduktiv, weil er verhindert, dass die Märkte eine exzessive Verschuldungspolitik entsprechend sanktionieren. Wie die Versicherungsökonomie lehrt, lösen antizipierte Wohlfahrtseffekte bei den Versicherten ein angepasstes Verhalten aus. Das bedeutet im Fall des IWF, dass staatliche Garantien ebenso wie IWF-Hilfsprogramme „einen gewissen Grad an Moral-Hazard-Verhalten des Versicherten“ nach sich ziehen293. Diese Gefahr wächst, je nachdem wie hoch die Erwartung ist, dass ein anderer für die eigenen Verbindlichkeiten einsteht294. Der Anreiz zu opportunistischem Verhalten der Regierungen von Schuldnerländern, die vom IWF Hilfsprogramme erwarten, führt zu einer systemischen Verschleppung notweniger Strukturreformen. Diese werden dem betroffenen Staat im Krisenfall nachträglich vom IWF in Form von Kreditkonditionen aufgenötigt. Dann freilich unterliegt der Reformprozess im Wesentlichen der Willkür der Geldgeber. Die versicherungsähnliche Wirkung der expansiven Finanzpolitik des IWF ist auch aus rechtlicher Sicht bedenklich, weil sie Tendenzen zu einem hohen subjektiven Risiko fördert und zu einem Finanzsystem beiträgt, das im Wesentlichen auf die Sekurität der Marktteilnehmer ausgerichtet ist, anstatt der 290 P. Welter, Währungsfonds im Zwischenhoch, FAZ vom 26. April 2010. Auf lange Sicht solle der IWF in Konkurrenz zu den Zentralbanken zu einem echten Anbieter von Reservewährungen, letztlich zu einer Weltzentralbank werden (Vgl. zur Funktion der Sonderziehungsrechte als Reservewährung Interview mit dem Stellvertretenden Geschäftsführer John Lipsky, FAZ vom 14. April 2011, „Nachfolgeprogramm für Griechenland ist immer möglich“, einzusehen unter http://www.faz.net/ aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/john-lipsky-vom-iwf-im-gespraech-nachfol geprogramm-fuer-griechenland-ist-immer-moeglich-1627812.html). 291 Nach der Asienkrise war dieser Vorwurf Teil der Kritik am IWF; denn Finanzkrisen werden üblicherweise durch ähnliche Fehlanreize der Finanzinstitute hervorgerufen. Siehe P. Welter, FAZ vom 26. April 2010, Währungsfonds im Zwischenhoch, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/bedeutung-des-iwf-waehrungsfonds-im-zwischenhoch-1970343.html. 292 Teilweise wird dem Fonds vorgeworfen, als eine weltweite Kreditgenossenschaft im Sinne einer „Genossenschaft der Notenbanken“ zu fungieren. NZZ vom 4. Mai 2010, Der IMF missachtet sein Mandat, einzusehen unter http://www.nzz.ch/ aktuell/wirtschaft/uebersicht/der-imf-missachtet-sein-mandat-1.5629543. 293 T. Frech, Internationale Verschuldungskrisen, die Kreditvergabepolitik des IWF und Schuldner-Moral-Hazard, S. 168; A. Haldane/A. Taylor, Moral hazard: how does IMF lending affect debtor and creditor incentives?, S. 122. 294 „Moral hazard depends on the expectation of receiving a subsidy.“ C. Calomiris, When will Economics Guide IMF and World Bank Reforms?, The Search for Global Monetary Order, Cato Journal, 2000, S. 96.
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Teil 2: Der Fonds als Kreditgeber
Verantwortung der Akteure, zumal der Souveränität der betroffenen Staaten Rechnung zu tragen. Diese Sekurität gefährdet nach der Erfahrung die Sittlichkeit295, weil die Akteure, Schuldner und Gläubiger, sich weniger um die eigenen vernunftgebotenen Verhaltensprinzipien sorgen, als um nutzenmaximierende Zuwendungen Dritter. Dies gilt sowohl für die Schuldnerstaaten, welche Kredite übermäßig in Anspruch nehmen, als auch für die Gläubiger, welche die Kredite leichtfertig bereitstellen. Auch nach Ansicht von Werner Lachmann führt der Bail-out der privaten Geschäftsbanken im Falle eines faktischen Zahlungsausfalls des Schuldnerlandes zu dem auch „verantwortungsethisch nicht zu [rechtfertigenden]“ Ergebnis, dass die Geschäftsbanken nicht „die Konsequenzen ihres Handelns tragen, d. h. zumindest einen Teil der Verluste, die durch eine überzogene und weitgehend unkonditionierte Kreditvergabe entstanden sind, selbst ausgleichen“ müssen296. Ob der „Bail-out-Moral-Hazard-Nexus“297 durch die Einführung eines völkerrechtlichen Insolvenzverfahrens unterbrochen werden kann, ist Gegenstand des 7. Teils.
295 „Man sorgt sich weniger um den Diebstahl als um die Ersatzleistung der Versicherung.“ K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 288. 296 Mit diesem Argument lehnt Werner Lachmann den Vorschlag ab, die bereits erhaltenen Kredite zu den vereinbarten Konditionen von den Entwicklungsländern zurückzahlen zu lassen, Volkswirtschaftslehre 2, S. 515. 297 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 210.
Teil 3
Die Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker A. Der souveräne Staat Das IWF-Übereinkommen setzt für die Vergabe der Fondsmittel kaum positivrechtliche Maßstäbe. Dementsprechend sind die Reformprogramme für die Empfängerstaaten im Wesentlichen dem Gestaltungsermessen des Exekutivdirektoriums anheim gegeben1. Ungeachtet der unzureichenden vertragstextlichen Begrenzung der Ermessensbefugnisse ist der Fonds an juridische Pflichten2 gebunden. Die Rechtmäßigkeit seiner Handlungen ist vornehmlich am Maßstab seiner Verfassung, dem Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds, zu beurteilen. Zu klären ist, ob und inwiefern der Fonds neben diesem Vertrag auch anderen Rechtsmaßstäben verpflichtet ist, insbesondere welche Bindungswirkung die Souveränität der Staaten und das demokratische Prinzip entfalten.
I. Demokratieprinzip als Völkerrechtsnorm Ob sich das demokratische Prinzip bereits zur zwingenden Völkerrechtsnorm entwickelt hat, wird in der Literatur nicht einheitlich beurteilt3. Gegen 1 Siehe
auch P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 198. zum Begriff der juridischen Pflicht im Allgemeinen K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 38, 47 f., auch S. 100 ff. 3 Siehe zum Demokratieprinzip in der Weltrechtsordnung A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 616 ff.; dies. zum Selbstbestimmungsrecht als universale Grundlage des Rechts, Internationaler und globaler Diskurs über ethische Grundlagen, universaler Rechtsgeltung: Selbstbestimmung als Verhinderung oder Grundlage einer globalen Ethik?, S. 28 ff.; dies. Recht auf Demokratie – Politische Selbst- und Mitbestimmung als Menschen- und Völkerrecht, MenschenRechtsMagazin 2012/2, S. 227 ff.; J. A. Frowein, Demokratie als Rechtsanspruch? Zu den inneren Aspekten des Rechtes auf Selbstbestimmung, in: K. Ginther/G. Hafner/W. Lang/ H. Neuhold/L. Sucharipa-Behrmann (Hrsg.), Völkerrecht zwischen normativem Anspruch und politischer Realität, FS für K. Zemanek, 1994, S. 367. Das sich aus den Menschenrechten ableitende Demokratiegebot sei als „natürliches Anliegen des modernen Völkerrechts“ zur Völkerrechtsnorm erstarkt. Vgl. T. Franck, The Emerging 2 Vgl.
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Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
das Demokratieprinzip als allgemein verbindliches Prinzip des Völkerrechts spricht prima facie, dass dieses Prinzip nicht, zumindest nicht in gleicher Weise, von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (und auch nicht von allen Mitgliedstaaten des IWF) anerkannt wird. Die Staaten sind auf der Grundlage verschiedener politischer Modelle organisiert und dementsprechend unterschiedlich sind die Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten des IWF. Die Mitgliedschaft im Währungsfonds ist ebenso wenig an eine politische Regierungsform gebunden wie die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen und steht auch Staaten offen, welche das westlich geprägte Demokratieverständnis nicht teilen4. Unstreitig hat das Demokratiegebot seit den neunziger Jahren an Akzeptanz gewonnen5, und das jüngere Völkerrecht kennt viele Normen, in welchen das Demokratieprinzip verankert ist6. Als völkerrechtliches „soft law“7 ist es in verschiedenen Menschenrechtsverträgen kodifiziert. Zu nennen sind etwa Art. 25 UN-Menschenrechtspakt, Art. 3 Abs. 1 Prot. Nr. 1 zur EMRK, Art. 1 und 25 IPbpR, Art. 21 AEMR, Art. 23 AMRK, Art. 13 Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker8. Auch die Teilnehmerstaaten der OSZE bekennen sich in der Charta von Paris zu dem Grundsatz, dass der Wille des Volkes die Basis der Staatsgewalt ist9. Ungeachtet dieser einzelvertraglichen Verpflichtungen geht das Völkerrecht vom Pluralismus der politischen Kulturen aus und erkennt jedem Staat Right to Democratic Governance, 1992, S. 50 f., 76 f.; J. Kokott/T. Vesting, Konsequenzen von Europäisierung und Internationalisierung, S. 7 ff., 41 ff. Zum völkerrechtlichen Anspruch auf Demokratie B. Bauer, Der völkerrechtliche Anspruch auf Demokratie, Zur Rolle internationaler Organisationen im weltweiten Demokratisierungsprozess, 1998. 4 Dazu C. Ake, The Unique Case of African Democracy, International Affairs 69, 1993, S. 241. 5 Nachweise in J. Kokott Souveränität, Rdn. 50: Grundlegend T. Franck, The Emerging Right to Democratic Governance, S. 50 f., 76 f.; J. Kokott/T. Vesting, Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Europäisierung und Internationalisierung, 2004, S. 7 ff., 41 ff. 6 Zum Demokratieprinzip im Völkerrecht. A. Emmerich-Fritsche, Recht auf Demokratie – Politische Selbst- und Mitbestimmung als Menschen- und Völkerrecht, S. 228 ff. 7 Zum Rechtsbegriff des „soft law“ M. Goldmann, Zur Dogmatik von Soft Law und Informationsakten im Recht der internationalen Institutionen, 2013. 8 Dazu und mit weiteren Nachweisen J. Kokott, Souveränität, S. 526. 9 Charta von Paris für ein neues Europa vom 21.11.1990, Kapitel „Ein Neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Freiheit“, Unterkapitel „Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, S. 517; siehe auch Art. 2 a) Charta der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und Art. XX der Amerikanischen Menschenrechtserklärung; Report of the Secretary-General, UN-Doc. A/46/609/Add.1.
A. Der souveräne Staat213
das Recht zu, seine inneren Angelegenheiten selbstbestimmt, das heißt frei und ohne äußere Einmischung zu gestalten10. Demzufolge sind innerstaatliche Fragen, „grundsätzlich von einer völkerrechtlichen Regelung ausgenom men“11 und dem „Laissez-faire“ des Staates zu überlassen.
II. Die Verfassung als domaine réservé der Staaten Obschon weitgehend Einigkeit besteht, dass dem Gebot der Verwirklichung der Menschenrechte und damit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker „hinsichtlich ihres innerstaatlichen Aspekts ein Moment des Rechts auf Demokratie innewohnt“12, so bleibt doch die entscheidende Frage offen, welche rechtlichen Konsequenzen daraus abzuleiten sind. Die völkerrechtliche Verpflichtungskraft des demokratischen Prinzips ist nach wie vor unklar13. Selbst wenn man das demokratische Prinzip als Völkerrechtsnorm anerkennt, so bleibt dessen Verwirklichung nach klassischem Völkerrechtsverständnis doch eine innere Angelegenheit der Staaten. Daraus folgt, dass zwar jeder Staat, jedes Volk, verpflichtet ist, demokratische, die Menschenrechte verwirklichende Verhältnisse herzustellen. Die Staatengemeinschaft aber ist zu deren Durchsetzung nicht ermächtigt. Im Gegenteil: Der für das Völkerrecht konstituierende Grundsatz des domaine réservé schützt und garantiert eben jene Regelungshoheit über die inneren Angelegenheiten, welche dem Völkerrecht entzogen und allein dem Einzelstaat vorbehalten ist.
10 Wie der Internationale Gerichtshof (IGH) im Nicaragua-Fall (ICJ Rp. 1986, S. 14, Rdn. 205) ausgesprochen hat, umfassen die inneren Angelegenheiten die Bestimmung des politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Systems innerhalb des eigenen Staates sowie die Gestaltung der auswärtigen Politik. 11 H.-J. Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Demokratisierung, in: Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1999, E. Reiter (Hrsg.), S. 35. Weiter führt er aus: „Die innere Struktur eines Staates und dessen staatstragende Ideologie interessieren das Völkerrecht mithin ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Friedfertigkeit dieses staatlichen Systems. […] Das zeigt sich an der UN-Charta, die in Art. 4 die Aufnahme neuer Mitglieder von deren ‚Friedensliebe‘ abhängig macht und nicht von der Existenz demokratischer Institutionen. Der Versuch, eine Bestimmung in die UNCharta aufzunehmen, die das Kriterium einer demokratischen Staatsordnung als Bedingung für die UN-Mitgliedschaft enthalten sollte, war bei der Ausarbeitung der Charta gescheitert, weil dies von der Mehrheit der teilnehmenden Staaten als Einmischung in innere Angelegenheiten angesehen wurde.“ Siehe dazu auch K. Ginther, Art. 4, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, 1991, S. 123, Rdn. 21. 12 H.-J. Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Demokratisierung, S. 48. 13 A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 539 ff. (m. w. N.); dies., Recht auf Demokratie – Politische Selbst- und Mitbestimmung als Menschenund Völkerrecht, S. 228 ff.
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Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
III. Der Begriff der Souveränität der Staaten Der Begriff der staatlichen Souveränität ist in der Rechtswissenschaft einem ständigen Wandel unterworfen. Ursprünglich geprägt als ein Begriff des aufgeklärten Absolutismus, bewegt sich der Diskurs um die Souveränität heute im Spannungsfeld multilateraler Verflechtungen, gekennzeichnet durch Schlagworte wie Good Governance oder das Postulat globaler Verantwortung14. Im Souveränitätsbegriff spiegelt sich je nach Denkansatz „das Verhältnis von Sein und Sollen, von Interesse und Recht“15. Fraglos stößt die Ausübung der staatlichen Souveränität im Zuge der fortschreitenden globalen Wirtschafts- und Finanzverflechtungen immer häufiger an Grenzen16. Die Souveränität der Staaten hat auch eine ökonomische Kategorie, die „nicht ohne einen Bezug auf den Weltmarktzusammenhang“ auskommt17. In Zeiten globaler Finanzströme, so wird argumentiert, verfügen die Einzelstaaten nicht mehr über die erforderliche Problemlösungsfähigkeit18. Einige Autoren betrachten die staatliche Souveränität daher als anachronistisches Phänomen19; sie sei weniger als Rechtsbegriff denn als eine empirische Zustandsbeschreibung zu deuten, welche sich in Abhängigkeit 14 M. Albrow, Auf dem Weg zu einer globalen Gesellschaft?, in: U. Beck (Hrsg.), Perspektiven der Weltgesellschaft, 1998, S. 411 ff.; U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 586 ff. 15 A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 151. 16 Nach Thomas von Danwitz würden Staaten, welche in „souveränitätsorientierter Selbstgenügsamkeit“ verharrten, ihre Gestaltungsmöglichkeiten aufgeben, FAZ vom 22. März 2012, Unabhängig – und dann?, S. 8. 17 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 282. Der Begriff der Souveränität habe sich – unbenommen rechtlicher Legitimationsfragen – historisch vor allem „auf der Basis nationaler Ökonomie“ entwickelt. Erst im Laufe der Zeit hätten sich politische und kulturelle Inhalte herausgebildet. Ebenda, S. 283. 18 Siehe U. Di Fabio, Der Verfassungsstaat in der Weltgesellschaft, 2001, S. 15 ff.; O. Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 1999, S. 13 ff.; K. P. Sommermann, Der entgrenzte Verfassungsstaat, in: D. Merten (Hrsg.), Der Staat am Ende des 20. Jahrhunderts, 1998, S. 19, 30 ff. Beispielhaft für diese verbreitete Ansicht fordert etwa Thomas Darnstädt die Staaten auf, sich mit dieser Entwicklung um der Globalisierung willen abzufinden. Die „Bedingungen der Freiheit“ und des Wohlstands könnten nicht mehr in den Nationalstaaten verwirklicht werden, weil auch diese Bedingungen „globalisiert“ seien. T. Darnstädt, Mehrheit und Wahrheit, in: Der Spiegel 21/2010, S. 37. 19 Rolf Knieper etwa spricht vom „Anachronismus der souveränen Territorialstaaten als Ordnungsprinzip der Weltpolitik“, Nationale Souveränität, S. 159 ff., 202. Utz Schliesky erkennt in den zentralen Begriffen „Staat“, „Souveränität“ und „Legitimation“ „Auflösungserscheinungen“, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 439 ff.
A. Der souveräne Staat215
von weltwirtschaftlichen und weltrechtlichen Entwicklungen außerhalb staatlicher Kontrolle (exogene Einflussfaktoren) stetig verändere. Die Frage, wie die Entwicklung zunehmend globaler Lebensverhältnisse politisch zu gestalten ist, begleitet alle großen politischen Debatten von der Bündnis- und Verteidigungspolitik bis zur Wirtschafts- und Währungspolitik. Im Kern geht es um die Frage, was die staatliche Souveränität substantiell ausmacht und in welchem Umfang sie verwirklicht werden soll und kann. Auch die Kontroverse um die Legitimation der Kreditprogramme des Internationalen Währungsfonds basiert im Kern auf dieser Problematik. In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um den richtigen Umgang mit den europäischen Verschuldungskrisen hat die Frage der staatlichen Souveränität wieder an Aktualität gewonnen und es ist zu beobachten, dass die Souveränität als völkerrechtlicher Strukturbegriff in die Debatte zurückgekehrt ist. Eine rechtliche Bestimmung der Substanz staatlicher Souveränität stößt auf grundlegende, insbesondere begriffliche Schwierigkeiten. Einer Antwort auf die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Fonds die Souveränität seiner Mitgliedstaaten verletzt, ist aber nur näher zu kommen, wenn der Begriff der Souveränität, das heißt seine Materie und Relevanz geklärt und subsumtionsfähig definiert wird. Dafür ist es erforderlich, die grundlegenden rechtlichen Begriffe zu erörtern. 1. Entwicklung des Souveränitätsbegriffs Der Begriff der Souveränität ist wegen seiner historischen und dogmatischen Vieldeutigkeit seit jeher umstritten20 und häufig als politischer „Konflikts- und Kampfbegriff“21 missbraucht worden22. Im klassischen Völkerrecht gilt die Souveränität als zentraler Maßstab der internationalen Rechtsordnung und als das elementare Prinzip des allgemeinen Völkerrechts (so das Prinzip der souveränen Gleichheit, Art. 2 Absatz 1 UN-Charta)23. Auch für 20 Einen ideengeschlichtlichen Überblick verschafft A. Dehnhardt, Dimensionen staatlichen Handelns, 1996, S. 82 ff. 21 P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion über das Problem der Souveränität, in: Verfassung als öffentlicher Prozeß, Materialien zu einer Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 2. Auflage 1978, S. 372; so auch K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 12. 22 Vgl. zu den einzelnen Leitgedanken der Diskussion um den Begriff der Souveränität P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion über das Problem der Souveränität, S. 364 ff. 23 Die Völkerrechts- und Staatsrechtslehre versteht unter souveräner Gleichheit im Allgemeinen die zentrale Eigenschaft des Staates im Verhältnis zu anderen Staaten. Zur Souveränität als Grundprinzip des Völkerrechts A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 150 ff.
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Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
das Wirken internationaler Organisationen ist die Souveränität der Staaten von höchster Relevanz. Dies gilt auch für den Internationalen Währungsfonds, dessen Handlungsweise, respektive Konditionalitätspolitik, die Souveränität der Programmstaaten nachhaltig berührt24. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Konditionalitätspolitik des IWF ist die Souveränität der Staaten Grundlage und Referenzpunkt. Der Souveränitätsbegriff prägt das klassische Völkerrecht trotz seiner begrifflichen Unschärfe seit seiner ersten ausdrücklichen Erwähnung im Dokument des Westfälischen Friedens im Jahr 164825, damals als Eigenschaft der von Kaiser und Papst unabhängigen Fürsten26. Die Entwicklung des Souveränitätsbegriffs soll anhand ihrer wichtigsten Vertreter in einem kurzen Überblick dargestellt werden. Jean Bodin hat mit seinem Werk „Les Six Livres de la Rèpublique“ aus dem Jahr 1576, das Souveränitätsverständnis des neuzeitlichen Staates nachhaltig geprägt27 und verstand die Souveränität („summa potestas“, auch und vor allem „suprema potestas“) so: „Maiestas est summa in cives ac subditos legibusque soluta potestas“28. Nach Bodin besteht die Souveränität innerhalb der „Grenzen Gottes und der Natur“29. Es stehe nicht in der Macht der Fürsten, sich über sie hinwegzusetzen, ohne sich eines Majestätsverbrechens an Gott schuldig zu machen30. Die „summa potestas“ war nach Auffassung Bodins daher dem Völkerrecht („lex omnium gentium communis“) unterworfen31. Nach Thomas Hobbes, der in seinem Werk „Der Leviathan“ den Staat vertraglich konzipiert, wird dem „großen Leviathan“ („dem sterblichen Gott“) die „höchste Gewalt“ übertragen32. Der Leviathan ist der Vertreter „eines jeden einzelnen“33, das heißt ein Vertreter des Volkes34. Das Volk 24 W. Engshuber, Die Auflagenpolitik des Internationalen Währungsfonds aus rechtlicher Sicht, VRÜ, Bd. 19, 1986, S. 21 ff. 25 O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 54 f.; W. Rudolf, Wandel des Staatsbegriffs im Völkerrecht?, 1986, S. 11 f. 26 Näher dazu K. A. Schachtschneider, der die Entwicklung des Souveränitätsbegriffs von der Fürstensouveränität über die Staatssouveränität zur Volks- und Bürgersouveränität kritisch nachzeichnet, Die Souveränität Deutschlands, S. 70 ff. 27 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1966, S. 251 f. 28 Frei übersetzt: „Majestät ist die höchste und von den Gesetzen unabhängige Gewalt über die Bürger und Untertanen“, J. Bodin, Les six livres de la république, Ausg. von G. Maier, 1993, 8. Kapitel. 29 Ebenda, S. 214. 30 Ebenda. 31 Vgl. A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht: Theorie und Praxis, 1984, § 32. 32 T. Hobbes Leviathan, II, 17. Kap., S. 155. 33 Ebenda, S. 151 ff. 34 Vgl. K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 73.
A. Der souveräne Staat217
überträgt dem Leviathan Befugnisse zum Zwecke des Friedens und des Schutzes von Leben und Eigentum des Volkes. Wie Bodin weist auch H obbes die „höchste Gewalt“ in die Grenzen des Rechts wenn er zum Beispiel die „Gleichheit der Untertanen in Gegenwart des Stellvertreters des Staates“35 betont. Auch der Souverän ist „in eigenen Angelegenheiten an sein Gesetz gebunden“36; Hobbes’ Leviathan ist durch die Grenzen des Naturrechts37 eingeschränkt: „Es ist gewiss, dass alles, was dem Naturgesetz nicht zuwiderläuft, von der höchsten Gewalt zu einem bürgerlichen Gesetz gemacht werden kann“38. Ähnlich und noch ausgeprägter basiert John Lockes Staatsund Souveränitätsverständnis auf der Vorstellung eines Vertrags der bürgerlichen und politischen Gesellschaft. Im Gegensatz zu Hobbes’ absoluter Staatsgewalt sind bei ihm die Rechte des Souveräns beschränkt: „Where the prince ist not absolute, there every individual subject is under the fear of the king and his people as also the prince himself is under the fear of breaking that golden chain and contexture between him and his people by making his interest contrary to that they justly and rightly claim“39. Friedrich Hegels Souveränitätsverständnis ist nach innen und außen absolut. Demzufolge gilt er als der Begründer der Staatssouveränität40. Entsprechend dieser „Lehre vom absoluten Staat“41 beansprucht die Herrschaftsgewalt des Staates nach innen ebenso unbeschränkte Wirkung wie im Umgang mit anderen Staaten. Der Staat ist als „überlegene Macht“42 konzipiert, dem „das Recht der Menschen und Bürger wie das Recht der Völker und Staaten“43 untergeordnet ist. Hegels Souveränitätsbegriff unterliegt nicht den Grenzen des Naturrechts oder des göttlichen Rechts44; denn Hegel identifiziert den Staat mit der höchsten Sittlichkeit. Staat und bürgerliche Gesell35 T. Hobbes, Leviathan, II, 18. Kap., S. 165; der Einfluss Hobbes’ auf die Entwicklung des Souveränitätsbegriffs trat besonders in England um das Jahr 1640 in Erscheinung und zwar im Streit zwischen dem Anspruch des Königs über dem Gesetz zu stehen (Prärogative) und dem Selbstverständnis des englischen Parlaments als Vertretung des Volkes (vgl. L. v. Ranke, Englische Geschichte, 1937, 2. Bd., S. 101 und S. 612 ff.). 36 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 73. 37 T. Hobbes, Leviathan, II, 31. Kap., S. 295. 38 T. Hobbes, Leviathan, 27. Kap., S. 242. 39 J. Locke, A Letter from a Person of Quality to his Friend in the Country (1675) in: Works of John Locke in Nine Volumes, the Twelfth Edition, London 1824, Bd. 9, S. 222. 40 Siehe vertiefend U. Thiele, Hegels Überlegungen zur Weltgeschichte des Staatsrechts; K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, 2008, S. 76 ff. 41 Ebenda, S. 79. 42 Ebenda, S. 27. 43 Ebenda, S. 27. 44 Ebenda, S. 28.
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Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
schaft würden auf der Grundlage der Familien, die das Volk bilden, die Sittlichkeit verwirklichen45. Die bürgerliche Gesellschaft ist das „System der Bedürfnisse“ der „bürgerlichen Gesellschaft“46, eine Arbeits- / Erwerbs- und Konsumgesellschaft47 und eine Eigentumsgesellschaft48. Einer sittlichen Grenze der staatlichen Souveränität bedarf es nicht, weil der Staat kraft seiner Existenz sittlich ist49. Ein noch immer von Hegel beeinflusstes Verständnis von Souveränität entwickelt Hermann Heller: „Souveränität ist die Eigenschaft einer universalen Gebietsentscheidungs- und Wirkungseinheit, kraft welcher sie um des Rechts willen sich gegebenenfalls auch gegen das Recht absolut behauptet“50. Auf dem Hegelschen Souveränitätsverständnis, welches die Macht über das Recht stellt51, baut auch Carl Schmitts Souveränitätslehre auf52. Nach seiner vielzitierten Formel „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“53, steht der Staat über der Verfassung und über dem Recht54. Die Souveränität ist dem rechtlichen Anspruch der Verfassung nicht unterworfen. Wer die Ordnung gewährleistet, setzt sich ins Recht, weil er das Recht schützt55. Schmitt erkennt die Rechtlichkeit nicht als das höchste Ordnungsprinzip. Über dem Recht steht nach seinem Verständnis die Ordnung: „Die Ordnung muss hergestellt werden, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat56.“ Der damit begründete Dezisionismus legitimiert die Macht und bildet die dogmatische Grundlage ihrer Verwirklichung, der Machtpolitik57. 45 F. Hegel,
Rechtsphilosophie, § 181, S. 191 f. § 188 ff., S. 197 ff. 47 Ebenda, Rechtsphilosophie, § 196 ff., S. 201 ff. 48 Ebenda, Rechtsphilosophie, § 188, S. 197, § 208, S. 208. 49 Siehe zur kritischen Auseinandersetzung mit der Hegelschen Lehre von der Staatssouveränität K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 76 ff. 50 H. Heller, Die Souveränität, Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts, 1927, S. 185; kritisch zur Souveränitätslehre Hellers K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 81 ff. 51 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 28. 52 Dazu kritisch ebenda, S. 83 ff. 53 C. Schmitt, Politische Theologie, Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 1922, 2. Aufl. 1934, 7. Aufl. 1996, S. 11; kritisch H. Hoffmann, „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, Der Staat, 2005, S. 184 f. 54 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 28. 55 Seine Diktaturlehre gipfelt nach dem „Röhm-Putsch“ im Jahr 1934 in dem Satz: „Der Führer schützt das Recht.“ C. Schmitt, in: Deutsche Juristen-Zeitung, S. 945 ff.; dazu K. A. Schachtschneider, der die Widersprüche der Diktaturlehre Schmitts zu einer freiheitlichen Rechtslehre herausstellt, Die Souveränität Deutschlands, S. 89. 56 C. Schmitt, Politische Theologie, S. 20. 57 Daraus leitet sich im Kern auch die Rechtfertigungslehre der Output-Legitimation ab. Dazu näher unten. 46 Ebenda,
A. Der souveräne Staat219
Nach der überkommenen Völkerrechtslehre sind die staatliche Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Völker getrennt zu betrachten58. Dass zum souveränen Selbstbestimmungsrecht der Völker „auch die politische Freiheit des Menschen gehört“59, hat sich in der herrschenden Lehre des Völker- und Staatsrechts noch nicht durchgesetzt und so wird die Staatssouveränität noch immer als Herrschaft des Staates interpretiert60. Zwar erkennt das Bundesverfassungsgericht mit Ferdinand von Martitz die Souveränität als „völkerrechtlich geordnete und gebundene Freiheit“ und verbindet damit die Souveränität mit dem demokratischen Prinzip61. Seine Rechtsprechung entzieht sich aber einer inhaltlichen Bestimmung des Begriffs, indem es den „Souveränitätsvorbehalt“ Deutschlands als „weit zurückgenommen“ erklärt62. 2. Integrationistischer Ansatz zur Souveränität Den Souveränitätslehren von Bodin bis Schmitt ist gemeinsam, den Staat im Sinne des ursprünglichen Verständnisses der „prima potestas“, das heißt der Souveränität des Fürsten, mit Herrschaftsgewalt zu identifizieren. Es handelt sich der Sache nach um Machtlehren der Staatssouveränität, nach welchen „Macht“ und „Herrschaft“ im Staat „in die Form des Rechts gegossen“ sind63. Den dogmatischen Konzeptionen dieser Anschauung ist die Trennung von Volk und Staat wesentlich; Souveränität wird „als Eigenschaft der Staatsgewalt, nicht des Staates verstanden und vom Selbstbestimmungsrecht der Völker unterschieden“64. Auch der in der heutigen Völkerrechtspraxis vorherrschende Argumentationstopos steht in dieser – im Wesentlichen an Hegel und Schmitt orientierten – herrschaftlich geprägten Begriffstradition. Im Kern geht es um die Rechtfertigung einer für notwendig befundenen Herrschaft, oftmals unter Berufung auf die Alternativlosigkeit globaler Integrationsprozesse (dazu 58 A. Emmerich-Fritsche, 59 Ebenda.
Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 367.
60 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 114 ff.; zur Souveränität als Herrschaft siehe auch A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 151 ff. 61 BVerfGE 123, 267, Rn. 223. 62 BVerfGE 111, 307, Rn. 319; kritisch K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 115. 63 W. Mäder, Vom Wesen der Souveränität, Ein deutsches und europäisches Problem, 2007, S. 161; kritisch K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 118. 64 Dazu grundlegend K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 119.
220
Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
Teil 5). Dementsprechend sucht das integrationistische Souveränitätsverständnis Begriff und Inhalt der Souveränität an die Erfordernisse der Weltwirtschaft anzupassen, um sie auf diese Weise stetig zu relativieren65. Dieser deskriptive Deutungsansatz reduziert die Souveränität des Staates auf den Umfang einer „Mitwirkungsbefugnis“. In diesem Sinne haben unter dem Stichwort der „neuen Souveränität“66 die Begriffe von der „geteilten Souveränität“67, der „gemeinsamen Souveränität“68 oder der „popular sov ereignty“69 im Völkerrecht Einzug gehalten. Ein absolutes Souveränitätsverständnis, so die Argumentation, sei heute nicht mehr aufrecht zu erhalten, vielmehr müsse dem Wandel des Völkerrechts von einer Koordinations- zu einer Kooperationsordnung Rechnung getragen werden70. Nach dem „neuen“ Souveränitätsverständnis sei der Staat als Teil einer Staatengemeinschaft mit eigener Rechtsordnung zu betrachten. Souveränität beschreibt danach einen Zustand, welcher die Staaten an die völkerrechtlichen Regeln der internationalen Gemeinschaft bindet71. Der Begriff sei heute vor allem als (äußere) Souveränität, nämlich als Unabhängigkeit von der Fremdbestimmung durch andere Staaten und als freie Selbstbestimmung im Rahmen des Völkerrechts zu begreifen72: „Nicht die Souveränität bestimmt die Grenzen des Völkeroder des Staatsrechts, sondern das Völker- oder Staatsrecht bestimmt die Grenzen der Souveränität“73. 65 J. Kokott spricht von „Souveränitätsmodifikation“, Souveräne Gleichheit und Demokratie im Völkerrecht, ZaöVR 64, 2004, S. 522 f. 66 Zum Begriff der „new sovereignty“ A. Chayes/A. Chayes, The New Sovereignty: Compliance with International Regulatory Agreements, 1998, S. 123: „It is increasingly clear that no single country – or small group of countries – no matter how powerful, can consistently achieve its objectives through unilateral action or ad hoc coalition. It is this condition that we call the new sovereignty.“ 67 Stephen Krasner wirbt für eine „geteilte Souveränität“, Alternativen zur Souveränität, Neue Institutionen für kollabierte und scheiternde Staaten, 2005, S. 44 ff. In diesem Sinne sieht auch Juliane Kokott zum Beispiel die Europäische Gemeinschaft in einer Entwicklung „geteilter Souveränität“, J. Kokott, Souveräne Gleichheit und Demokratie im Völkerrecht, S. 530 f.; dazu kritisch A. Gawrich, Für den Primat der Souveränität, 2005, S. 86 ff. 68 U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 546 ff. 69 E.-U. Petersmann, Human Rights and International Economic Law, in: JIEL 2001, S. 3, 22. 70 Vgl. R. Wolfrum, International Law of Cooperation, in: R. Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. II, 1995, S. 1242; G. Vitzthum/K. Hailbronner/M. Kau, Völkerrecht, S. 178 f., Rdn. 84. 71 A. Chayes/A. Chayes, The New Sovereignty, S. 27. 72 M. Herdegen, Souveränität heute, in FS für R. Herzog, 2009, S. 117, 119. 73 G. Roellecke, Menschenrechte und Souveränität erneut bedacht, in: Kraus/ Wolff, Souveränitätsprobleme der Neuzeit, 2010, S. 71, 86.
A. Der souveräne Staat221
Ernst-Ulrich Petersmann hat den völkerrechtlichen „Paradigmenwechsel“74, der dem integrationistischen Souveränitätsverständnis zugrunde liegt, damit begründet, dass „[…] from a democratic perspective, rights of states are merely derivative of the rights of their citizens, sovereignty must be understood not as ‚Freedom of governments‘, but as ‚popular sovereignty‘, constitutionally limited by human rights and democratic principles“75. Ein so verstandener (integrationistischer) Souveränitätsbegriff76 wechselt den Bezugspunkt und „bezieht sich nicht mehr auf den Staat als solchen“77, sondern dient der Sicherung der „freien Selbstbestimmung des jeweiligen Volkes im Gehäuse seines Staatswesens“78. Er begründet eine „treuhänderische Mitverantwortung“79 für die Sicherung elementarer Menschenrechte80, welche etwa im interventionistischen Konzept der „responsibility to protect“81 massive Einschränkungen der Souveränität zu legitimieren sucht. 74 So
N. M. Pyschny, Good Governance, S. 178. Petersmann, Constitutionalism and WTO Law: From a state-centered approach towards a human rights approach in international economic law, PEITL, 2002, S. 49 f. 76 In enger Verwandtschaft dazu, quasi als dessen idealistische Ausbreitung, steht das kosmopolitische Modell im Sinne des sogenannten kosmopolitischen Rawlsianismus. Es versteht die Weltgemeinschaft als eine Gesellschaft, in der jedes Individuum als freies und gleiches moralisches Subjekt zu behandeln sei. C. Beitz, Political Theory and International Relations, 1979, S. 151: „There is no reason to think that the content of the principles would change as a result of enlarging the scope of the original position.“ Dazu kritisch Rawls selbst, J. Rawls, The Law of Peoples, 1999, S. 118 f., W. Kersting, Suffizienzorientierung versus Gleicheitsorientierung, in: Graf Ballestrem (Hrsg.), Internationale Gerechtigkeit, 2001, S. 290 f. Siehe dazu im Rahmen eines Begründungsansatzes für ein internationales Insolvenzrecht M. Dab rowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 28. 77 N. M. Pyschny, Good Governance, S. 178. 78 S. Oeter, Souveränität – ein überholtes Konzept?, in FS für H. Steinberger, 2002, S. 259, 282; zum staatsgebundenen Demokratiebegriff und den Grundlagen kosmopolitische Demokratie A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 620 ff. 79 N. M. Pyschny, Good Governance, S. 178. 80 M. Herdegen, Souveränität heute, S. 117, 123. 81 „Each individual State has the responsibility to protect its populations from genocide, war crimes, ethnic cleansing and crimes against humanity. […] The international community should, as appropriate, encourage and help states to exercise this responsibility […].“ Zur „responsibility to protect“ siehe Resolution adopted by the General Assembly, GA Res. A/60/1, World Summit Outcome 2005, Ziff. 138 f., einzusehen unter http://www.ifrc.org/docs/idrl/I520EN.pdf; W. Magnuson, The Responsibility to Protect and the Decline of Sovereignty, 2010, S. 255, 267 ff.; vgl. zur „responsibility to protect“ auch S. Simon, 15 Jahre Responsibility to Protect, in: Archiv des Völkerrechts, Hrsg. S. Boysen/M. Kotzur/R. Uerpmann-Wittzack, Bd. 54, 1. Heft, März 2016, S. 1–40. 75 E.-U.
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Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
a) Souveränitätsverständnis nach Utz Schliesky Utz Schliesky gibt die Souveränität, die er als „bedeutende Eigenschaft der Herrschaftsgewalt“82 verstanden wissen will, als Rechtsbegriff nicht auf, sondern entwickelt das Konzept einer „gemeinsamen Souveränität“83, welche sich den gewandelten Realitäten anzupassen habe. Eine „Herrschaftsgewalt“ sei bereits im Ursprung innerhalb eines (europäischen) Mehrebenensystems „mit pluralen Herrschaftsgewalten […] denklogisch ausgeschlossen“84. Der Souveränitätsbegriff müsse dementsprechend eine Weiterentwicklung erfahren und sich insbesondere an den politischen Realitäten orientieren. Dabei müsse das „monistische Grundmodell durch eine plurale Souveränitätskonstruktion ersetzt werden, die in ihrer Wirkung die Funktionen souveräner Herrschaftsgewalt, nämlich die rechtliche Konturierung von Herrschaftsgewalt und dadurch die Gewährleistung von Frieden und Sicherheit, wahrt“. Maßgebend sei nicht mehr (allein) die „monistische Ableitung als einzige Quelle der Souveränität“ (nämlich das Staatsvolk als Ursprung der Herrschaftsgewalt), sondern ihre Auswirkung bei dem Adressaten85. „Um Sou veränität zu erlangen, müssen die Voraussetzungen in der Auswirkungsdimension der jeweiligen Betätigung vorliegen“. Für die Beurteilung der Souveränitätseigenschaft komme der Auswirkungsdimension, welche Schliesky insbesondere mit der „Einzigkeit der Herrschaftsgewalt“86 identifiziert, maßgebliche Bedeutung zu: Während die klassische (Bodinsche) Souveränitätslehre eine „Einzigkeit (und Unteilbarkeit) der Herrschaftsgewalt im Ursprung“87 für erforderlich hielt, komme es heute entscheidend auf deren Wirkung an. Die Einzigkeit sei gewahrt, „wenn der Bürger bzw. Herrschaftsunterworfene sich nur einer Maßnahme hoheitlicher Gewaltausübung gegen82 U. Schliesky,
Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 547. Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 529 ff. Den Begriff der „gemeinsamen Souveränität“ hält Schliesky gegenüber dem Terminus der „geteilten Souveränität“ für vorzugswürdig, weil Souveränität die Aufteilung von Kompetenzen zur Ausübung von Herrschaftsgewalt bedeute, welche „erst in ihrem rechtlich koordinierten Zusammenwirken den Souveränitätsbegriff inhaltlich ausfüllen und in der Mehrebenen-Rechtsordnung als Rechtsbegriff konzipieren“. Ebenda, S. 545. 84 Ebenda, S. 586. 85 Unter „Auswirkungen“ rezipiert Schliesky „Suprematie, Einseitigkeit, Einzigkeit und Einheitlichkeit der Herrschaftsgewalt“. Diese müssten in einem pluralen Mehrebenensystem, welches offen für kooperative Verflechtungen ist, vorliegen. Ebenda, S. 587. 86 Ebenda, S. 563. Das europäische „Mehrebenensystem“ etwa produziere „mit seiner Herrschaftsgewalt in jedem Einzelfall eine einzige rechtliche Lösung, eine letztverantwortliche Betätigung von Herrschaftsgewalt, und zwar unabhängig von der Ebene, der die maßgebliche Rechtsnorm entstammt“ (S. 565). 87 Ebenda, S. 563. 83 U. Schliesky,
A. Der souveräne Staat223
übersieht“, die als „einheitliches und widerspruchsfreies Auftreten der Herrschaftsgewalt gegenüber dem Gewaltunterworfenen“ erscheint88. Im Ergebnis würde diese Konzeption der Souveränität der Wirklichkeit Rechnung tragen, indem „nicht mehr ‚der Staat‘ allein die Verantwortung für seine Bürger trägt, sondern die Aufgabenverantwortung entsprechend einer mehrstufigen Aufgabenerfüllung geteilt ist, wodurch die Verantwortlichkeit, ein zentraler souveränitätstheoretischer Begriff, nur noch gemeinsam möglich ist“89. Die Wahrnehmung der Verantwortlichkeit – für Schliesky der zentrale souveränitätstheoretische Begriff – sei „nur noch gemeinsam möglich“90. Nicht mehr der Staat allein trage die Verantwortung für seine Bürger, sondern die Aufgabenerfüllung sei „entsprechend einer mehrstufigen Aufgabenerfüllung geteilt“91. b) Dogmatik des integrationistischen Souveränitätsbegriffs nach Juliane Kokott Die völkerrechtliche Dogmatik eines Souveränitätsbegriffs, der sich nicht von den Nationalstaaten, sondern von der Staatengemeinschaft ableitet, wird von Juliane Kokott auf die Menschenrechte und deren universalen Geltungsanspruch gestützt92. An die Stelle des Prinzips der Gleichheit der Völker93 (und damit anders als John Rawls; denn Rawls versteht das Recht der Völker als „Ausweitung einer liberalen Gerechtigkeitskonzeption für eine heimische Ordnung auf eine Gesellschaft von Völkern“94) stellt Kokott die Gleichheit der Individuen. Diese müsse auch völkerrechtlich zur Geltung gebracht werden, etwa durch die Abkehr vom Prinzip „one-country-one-vote“. Im klassischen Völkerrecht sieht sie die Menschenrechte „unter dem Postulat der Staatengleichheit begraben“95. Weil der Einzelne gerade nicht im Staat aufgehen dürfe, sei auch der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten nicht mehr haltbar. Das „staatszentrierte Souveränitätsverständnis“ berge das „Risiko demokratie- und menschenrechtsfeindlicher Auswirkungen“96. Ange88 Ebenda. 89 Ebenda, 90 Ebenda. 91 Ebenda.
S. 586.
92 Vgl. R. C. Meier-Walser/A. Rauscher, Die Universalität der Menschenrechte, 2005. 93 Zum Prinzip der Staatengleichheit siehe P. H. Kooijmans, The Doctrine of the Legal Equality of States: An Inquiry into the Foundations of International Law, 1964, S. 194 ff. 94 J. Rawls, Das Recht der Völker, 2002, S. 9. 95 J. Kokott, Souveräne Gleichheit und Demokratie im Völkerrecht, S. 529. 96 Ebenda.
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sichts von Unrechtsregimen, welche die Autonomie ihrer Völker nicht zur Entfaltung kommen lassen, könne von einer „Volkssouveränität“ kaum die Rede sein, das heißt das Staatsvolk könne allenfalls „metaphorisch“97 als selbstbestimmt angesprochen werden. Sie greift auf den Begriff der Volkssouveränität zurück, der nicht in der Staatlichkeit des Volkes aufgehe, sondern auch einen Anspruch auf völkerrechtlichen Schutz der Menschenrechte begründe. Staaten seien im Einzelfall nicht legitimiert, für die einzelnen Bürger zu sprechen. Kokott rechtfertigt die Abkehr von der „Staatssouveränität“ und Hinwendung zur „Volkssouveränität“ dogmatisch insbesondere mit dem Rückgriff auf die Menschenrechte. Einmischungen in die inneren Angelegenheiten der Staaten könnten wegen der Schutzverantwortung98 – der „responsibility to protect“ – im Einzelfall gerechtfertigt sein99. So bestehe ein Durchgriffsrecht der internationalen Gemeinschaft auf die Legitimationsgrundlagen des souveränen Staates100. Den Begriff der „Volkssouveränität“ verwendet Kokott dabei irreführend nicht etwa als Souveränität des jeweiligen Volkes, sondern als Anspruch des Einzelnen gegenüber der Staatengemeinschaft101. Sie spricht von „Volkssouveränität“, meint aber eine „Individualsouveränität“102. Durch die „Volkssou97 W. Kersting, Bewaffnete Intervention als Menschenrechtsschutz?, in: R. Merkel (Hrsg.), Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, 2000, S. 200. 98 Völkerrechtlich gilt die Schutzverantwortung der Staatengemeinschaft als soft law und ist in der International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS) von einer Vielzahl an Staaten anerkannt worden. Siehe UN Doc. A/RES/60/1 vom 24. Oktober 2005, Abs. 138 f. Durch die Schutzverantwortung wird das absolute Interventionsverbot, wie es Art. 2 Ziff. 7 der Charta der Vereinten Nationen materialisiert, aufgegeben und die Souveränität des Staates relativiert; denn wird ein Verstoß des Staates gegen seine Schutzverantwortung festgestellt, verwirkt er sein Recht auf Nichteinmischung in seine inneren Angelegenheiten. 99 Siehe zur „umstrittenen Güterabwägung“ zwischen staatlicher Souveränität und Menschenrechtsschutz J. Kübler, Vom Interventionsverbot zum Interventionsgebot? Chancen und Hindernisse internationaler Konsensbildung über Legalität und Legitimität humanitärer Interventionen, 2005, S. 14 ff. 100 Mit Blick auf den Nato-Einsatz im Kosovo identifiziert Reinhard Merkel in diesem Argumentationsmuster den „Knoten des Legitimationsproblems“ als „zwei miteinander kollidierende Maximen“: „normative Begrenzung der staatlichen Souveränität nach innen durch Entnormativierung ihrer Handlungsfreiheit nach außen. Globales Zwangsrecht gegen internen Staatsterror – und rechtsfreier Raum zum Krieg?“. R. Merkel, in: Die Zeit vom 12. Mai 1999, Das Elend der Beschützten, einzusehen unter http://www.zeit.de/1999/20/Das_Elend_der_Beschuetzten. 101 Siehe zur Volkssouveränität K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 90 ff. 102 „Über eine rein abwehrrechtliche Funktion der Menschenrechte hinaus ist das Selbstbestimmungsrecht des Menschen als generelle Grundlage nationalen und globa-
A. Der souveräne Staat225
veränität“ und das demokratische Prinzip werde der Einzelne zum Subjekt des Völkerrechts103. Die Völkergemeinschaft als Institution der Ordnung legitimiert sich nach dieser Auffassung direkt aus den Rechten des Einzelnen, ohne dass der verfasste Staat eine originäre Legitimation beanspruchen könne. Nach Kokotts Souveränitätsverständnis delegiert die internationale Gemeinschaft die Souveränität an die einzelnen Staaten104. Ähnlich argumentiert auch Michael Dusche, demzufolge „unter rechtsethischen Gesichtspunkten die Wahrung individueller Menschenrechte Vorrang vor dem Recht auf die politische Selbstbestimmung einer Gemeinschaft“ habe105. Der integrationistische Ansatz betrachtet Volk und Staat nicht als Einheit, sondern den Staat als eine selbständige, vom Volk unabhängige Institution106. Daher spricht Kokott von der Verpflichtung der „Fürsorge des Staalen Rechts eine weltbürgerliche Forderung, die zwar vernunftrechtlich begründet, praktisch und auf globaler Ebene aber noch in der Entwicklung ist. Sie entfaltet sich jedoch zunehmend in der Weltgesellschaft und im Kampf der Völker um Selbstbestimmung.“ A. Emmerich-Fritsche, Internationaler und globaler Diskurs über ethische Grundlagen, universaler Rechtsgeltung: Selbstbestimmung als Verhinderung oder Grundlage einer globalen Ethik?, S. 38. 103 J. Kokott, Souveräne Gleichheit und Demokratie im Völkerrecht, S. 530 f. 104 Kokott spricht von „Souveränitätsmodifikation“, a. a. O., S. 522 f. 105 M. Dusche, Anwendungsbedingungen globaler Gerechtigkeit, 2000, S. 211. Ähnlich argumentiert auch der Ansatz des sogenannten „kosmopolitischen Rawlsianismus“, wie er etwa von Charles Beitz (C. Beitz, Political Theory and International Relations) und Thomas Pogge (Rawls and Global Justice, 1988, S. 227 ff.) vertreten wird. Dieser Ansatz versucht, die Rawlsche Gerechtigkeitstheorie auf das Völkerrecht anzuwenden, so dass allen Individuen aufgrund ihres moralischen Status als Personen die gleichen Rechte und Pflichten gegeneinander zuzuschreiben seien. Sie gehen „von einem normativen Individualismus aus, demzufolge nicht die Staaten und Völker, sondern die Individuen als letzte moralische Einheiten betrachtet werden sollten“ (M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 28). So sei nach Thomas Schaber ein „staatenzentriertes Modell internationaler Gerechtigkeit nicht in der Lage, für eine ausreichende globale Gleichbehandlung der einzelnen Individuen zu sorgen“. T. Schaber, Globale Gerechtigkeit: die Anwendung von Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit in den internationalen Beziehungen, 1991. Rawls selbst lehnt eine Übertragung von Gerechtigkeitsprinzipien auf die Ebene des Völkerrechts allerdings ab. Demzufolge weist er auch Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wonach alle Menschen „frei und gleich an Würde und Rechten“ sind, als „Ausdruck liberaler Hoffnung“ zurück, J. Rawls, Das Recht der Völker, S. 236, Fn. 23; siehe insgesamt zum anglosächsischen Liberalismus A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, 2002, S. 246 ff. 106 So auch der kosmopolitische Rawlsianismus. Nach Thomas Pogge könne die Rawlsche Gerechtigkeitskonzeption universale Geltung beanspruchen. Zwar gehe Rawls von intuitiven Grundüberzeugungen aus, die einem bestimmten kulturellen Kontext entstammten. Dennoch könne ein „archimedischer Punkt“ angenommen werden, „von dem aus alternative globale Grundstrukturen hinsichtlich ihrer Nähe oder Distanz zum globalen Gerechtigkeitsideal bewertet werden können.“ Th. Pogge,
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tes für die Bevölkerung“. Die Aufgabe der national verfassten Staatlichkeit, die Lebensverhältnisse nach dem Willen des jeweiligen Volkes bestmöglich zu organisieren, sieht Kokott kontinuierlich in Frage gestellt. Dem Konzept des Staates gegenüber sei Misstrauen angebracht; denn in den Händen des Staates seien die demokratischen Rechte der Bürger grundsätzlich abstrakt gefährdet. Recht setzen und Recht wahren erkennt Kokott nicht als genuine Aufgabe des Staates, sondern als eine erste Pflicht der Staatengemeinschaft. Ihr komme die Aufgabe zu, die Politik der Einzelstaaten zu kontrollieren und gegebenenfalls einzuschreiten, wo der Staat seiner Aufgabe nicht gerecht wird. Die Wahrung der Menschenrechte sei „keine innere Angelegenheit“ des Staates. Vielmehr sei das Demokratiegebot, das sich auch in den Regeln der Good Governance materialisiere, „natürliches Anliegen des modernen Völkerrechts“107. In diesem Sinne seien die Regeln der Good Governance, neben der Einhaltung der wesentlichen Menschenrechte, der entscheidende Gesichtspunkt „im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und bei der Vergabe von Projekten durch die Europäische Union und durch Internationale Organisationen wie die Weltbank und den Weltwährungsfonds“108. c) Souveränitätsverständnis nach Rolf Knieper Auch Rolf Knieper kritisiert, dass grundsätzlich nur Staaten Völkerrechtssubjekte und nach Art. 34 IGH-Statut parteifähig sind und plädiert um der Demokratisierung willen dafür, dass „die supranationalen Institutionen der UNO-Familie“109, vor allem aber alle Menschen „als Eigentümer von Kapital oder Arbeitskraft“ Völkerrechtssubjekte werden110. Ausgehend von einem ökonomistischen Souveränitätsverständnis lehnt Knieper die Souveränität der Staaten als völkerrechtliches Ordnungsprinzip ab111. Die Souveränität der Territorialstaaten sei ursprünglich ein Produkt des Rawls and Global Justice, in: Canadian Journal of Philosophy 18, 1988, S. 227 ff.; M. Dusche, Anwendungsbedingungen globaler Gerechtigkeit, S. 153, 157. 107 Ebenda. 108 J. Kokott, Souveräne Gleichheit und Demokratie im Völkerrecht, S. 526 f.; S. R. Roos, Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwicklungsbedingten Zwangsumsiedlungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank; dies., Die Weltbank als Implementierungsgarant menschenrechtsschützender Völkerrechtsnormen, ZaöRV 63, 2003, S. 1035 ff. 109 R. Knieper, Nationale Souveränität. Versuch über Ende und Anfang einer Weltordnung, 1991, S. 196 ff., 210, 218 f. 110 Ebenda, S. 57, 121, 194 f., 200, 206 f., 209. Individuen müssten deshalb Beschwerdemöglichkeiten gegen Verletzungen des „positiven Völkerrechts“ haben, insbesondere aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ebenda, S. 219 f. 111 Ebenda, S. 202.
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Kapitalismus112, um ungleiche Arbeitsbedingungen aufrechtzuerhalten113 und heute kaum noch in der Lage, eine „substantielle Kraft“ zu entfalten. Sie habe „nicht Unabhängigkeit zur Folge“, sondern das Gegenteil bewirkt: „die Aufrechterhaltung des Scheins technisch-professioneller Verhandlungen verhindert demokratische, öffentlich-politische Entscheidungsprozesse“114. Die heute zu beobachtende „Transnationalität des Kapitals“ erfordere die entsprechende „Transnationalität“ des Politischen und damit die „Überwindung territorialstaatlicher Souveränität“115. Das Politische müsse also dem Ökonomischen folgen: „Einer denationalisierten Ökonomie aber muss eine denationalisierte Politik entsprechen, die Beibehaltung nationaler Politiken, nationaler Gesetze wird nicht nur zunehmend wirkungslos, sondern kontraproduktiv“116. Die „Transnationalisierung der Produktion“ mache die „Aufhebung des Völkerrechts im Weltrecht notwendig“, weil „das alte System des europäisch begründeten Völkerrechts und der Weltordnung die heutige Welt weder ordnen noch beherrschen kann“117. Knieper folgt der Vision einer „anationalen Weltordnung“118, eines Menschheitsstaatsrechts. Es sei an der Zeit, „die Integration der Weltökonomie aufzunehmen und ihr integrierte Wirtschafts-, Währungs-, Fiskal-, Sozial-, Regionalpolitiken an die Seite zu stellen“119. Dazu bedürfe es „einer Instanz, die außerhalb der Konkurrenz, außerhalb des unmittelbaren Zwanges zur Rentabilität steht“. Nur eine solche Instanz „kann den Schutz des Eigentums aller übernehmen, kann Sozialausgaben bestreiten, unrentable, aber nützliche Infrastrukturen herstellen, kann das gesellschaftlich Notwendige, aber partikular nicht Profitable durchsetzen, kann das Allgemeininte resse vertreten“120. Den Schutz des Eigentums (also Kapital und Arbeitskraft), die „Schaffung und Erhaltung des Weltgeldes“ und die „Festlegung der Wirtschaftspolitiken“ und „Weltsteuern“ sollten nach Knieper die „sup112 So sei territoriale Souveränität geprägt von der „Herrschaft“ als der „Verfügung über und Zugriff auf Boden“. („Wer mehr Herrschaft will, muss mehr Land unter seine Kontrolle bringen“, R. Knieper, Nationale Souveränität, S. 61, auch S. 196). Souveränität sei also mit dem Eigentum von Grund und Boden verbunden, passe aber nicht zu der modernen Welt einer weltweiten Wirtschaftseinheit, ebenda, S. 58 ff., 61 ff., 82, 216 f. 113 Ebenda, S. 135. 114 Ebenda, S. 179. 115 Ebenda, S. 92 ff., auch S. 118 ff., 194 ff., 205 f. 116 Ebenda, S. 86, 205 f. 117 Ebenda, S. 194 ff.; dazu umfassend A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht. 118 R. Knieper, Nationale Souveränität. Versuch über Ende und Anfang einer Weltordnung, S. 225. 119 Ebenda, S. 217. 120 Ebenda, S. 197 f.
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Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
ranationalen Institutionen“, etwa die Weltbank und der Internationale Währungsfonds übernehmen121. 3. Good Governance In die völkerrechtliche Literatur und Praxis hat seit den neunziger Jahren der Terminus „Good Governance“ Einzug gehalten. Er beschreibt ein „neues transnationales Leitbild der Staatlichkeit“122. Das ursprüngliche Konzept „guter Regierungsführung“ wurde maßgeblich innerhalb der Weltbank entwickelt und vorangetrieben123 und beschränkte sich zunächst auf Reformen des öffentlichen Sektors, insbesondere auf technische Aspekte wie die Effizienz und Effektivität staatlichen Handelns124. Good Governance war zunächst ein „Instrument zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und ohne überwiegenden menschenrechtlichen Bezug“125. Erst später traten weitere Aspekte wie Korruptionsbekämpfung126, Partizipation127, Accountability128, Reform des Justizwesens129, Transparenz130 sowie Menschenrechte131 hinzu. 121 Ebenda,
S. 218 f. Good Governance: Neues transnationales Leitbild der Staatlichkeit?, in: ZaöRV 2004, S. 535 ff.; Franz Nuscheler spricht von einem „normativen Leitbild“, Good Governance, Ein universelles Leitbild von Staatlichkeit und Entwicklung, 2009, S. 17. 123 „Bei der Weltbank, die sich satzungsgemäß nicht in die Politik ihrer Mitgliedstaaten einmischen darf, kam schließlich der Begriff „Good Governance“ auf, der die EL [Entwicklungsländer, Anm. d. Verf.] vorsichtig in Richtung Marktwirtschaft stoßen sollte. Die Regierungen sollten sich fortan stärker selbst verantwortlich für die Entwicklung ihrer Länder fühlen.“ W. Lachmann, Entwicklungspolitik, S. 125. 124 N. M. Pyschny, Good Governance, S. 180. 125 Ebenda, S. 169. 126 M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 2011, § 7, Rdn. 5; ders., Der Beitrag des modernen Völkerrechts zu Good Governance, in: Dolzer/Herdegen/Vogel (Hrsg.), Good Governance, 2007, S. 107 ff.; N. M. Pyschny, Good Governance, S. 164 ff. 127 Ebenda, S. 157 ff. 128 Zur Bedeutung der Accountability als disziplinarische und strafrechtliche Verantwortlichkeit öffentlich Bediensteter: B. Rudolf, Is Good Governance a Norm of International Law?, 2006, S. 1007, 1021. 129 L. Doswald-Beck, Fair Trial, Right to, International Protection, in: R. Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, 2008, Rdn. 4 ff.; W. Vitzthum/K. Hailbronner/M. Kau, Völkerrecht, 5. Auflage 2010, S. 243, Rdn. 286. 130 N. M. Pyschny, Good Governance, S. 164 ff. 131 Good Governance gilt heute als „Konsequenz der Entwicklung der Menschenrechte“. N. M. Pyschny, Good Governance, S. 168. Zur Kritik an der Good-Governance-Agenda als Rechtfertigung neoliberaler Wirtschaftspolitik S. Seppänen, Good Governance in International Law, 2003, S. 114; J. T. Gathii, Good Governance as a Counter Insurgency Agenda to Oppositional Transformative Social Projects in International Law, in: BuffHRLR, Vol. 5, 1999, S. 145 f. 122 R. Dolzer,
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Teilweise wird auch die Schaffung einer marktwirtschaftlichen Ordnung als Bestandteil der Good-Governance-Agenda gefordert, weil eine „freie und damit marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung in der Logik von Good Governance“ liege132. Mittlerweile sei die Entwicklung der Good-Governance-Agenda im Völkerrecht so weit fortgeschritten, dass nach Auffassung von Nicole Pyschny das Leitbild von Good Governance heute völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen könne133. Das Prinzip der Good Governance134 hat der IWF in den neunziger Jahren offiziell in den Zielkatalog der Anpassungsprogramme aufgenommen135. In der „Declaration on Partnership for Sustainable Global Growth“ aus dem Jahr 1996 verschreibt sich der IWF dem Ziel, alle Volkswirtschaften in die globale Weltwirtschaft einzubinden („promoting full participation of all economies, including the low income countries, in the global economy136“). Sein Augenmerk liegt auf „Good Governance in all its aspects, including by ensuring the rule of law, improving the efficiency and accountability of the public sector, and tackling corruption, as essential elements of a framework within which economies can prosper“137. Damit hat sich der Aufgabenfokus des IWF weit über die Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte hinaus erweitert. Für Cornelia Janik hat sich „die Einsicht herausgebildet, dass in manchen Ländern auch institutionelle Reformen im weiteren Umfang notwendig sind, um Wachstum zu generieren“138. Die Empirie habe gezeigt, „dass die Durchführung ihres jeweils in der Satzung niedergelegten Auftrags die Beachtung der Good Governance nicht nur fördert, sondern auch fordert“139. 132 M. Herdegen, Der Beitrag des modernen Völkerrechts zu Good Governance, in: Dolzer/Herdegen/Vogel (Hrsg.), Good Governance, 2007, S. 107, 110, 127. 133 N. M. Pyschny, Good Governance, S. 169. 134 Dazu S. Schlemmer-Schulte, Internationales Währungs- und Finanzrecht, S. 426 Rdn. 136. 135 „The Fund works with its member countries to promote good governance and combat corruption“, IMF, Factsheet, 9. April 2015, The IMF and Good Governance; A. Drazen, Conditionality and Ownership in IMF Lending: A Political Economy Approach, IMF Staff Papers, Vol. 49, 2002. 136 IMF, Partnership for Sustainable Global Growth, Interim Committee Declaration vom 29. September 1996. 137 Ebenda. 138 C. Janik, Die Bindung Internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards, S. 300; vgl. IMF, IMF Adopts Guidelines Regarding Governance Issues, S. 233; vgl. N. Serra/S. Spiegel/J. Stiglitz, The Washington Consensus Reconsidered, Towards a New Global Governance, 2008. 139 R. Dolzer, in W. Graf Vitzthum/A. Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, Rdn. 39.
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Der Grundsatz guter Regierungsführung gilt heute als ein wesentliches Element bei der Zusammenarbeit in Internationalen Organisationen140. Auch der IWF vergibt seine Kredite nach Good Governance Standards141 und rezipiert seine wirtschaftspolitischen Empfehlungen als „world’s best practice“142. Die ursprünglichen Good-Governance-Richtlinien des IWF143 „betrafen Maßnahmen zur Stärkung der nationalen Rechtssysteme, zur Erhöhung der Rechenschaftspflicht und Effizienz des öffentlichen Sektors, zur Bekämpfung von Korruption sowie allgemeine Richtlinien zu einem ‚förderlichen‘ Preissystem, zum Wechselkurs- und Handlungsregime und zum Finanzsystem“144. Im Jahr 1997 hat der IWF den Umgang mit „governance issues“ im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme und Art. IV-Konsultationen in einer Richtlinie näher geregelt. Dort wird das Engagement des Fonds auf „economic aspects of governance“ beschränkt145. Als zentrale Aspekte betrachtet der IWF Aufgabenbereiche wie „institutional reforms of the treasury, budget preparation and approval procedures, tax administration, accounting and auditing mechanism, central bank operations, and the official statistics function“146. Der IWF übernimmt aber auch andere Bereiche, die außerhalb des ökonomischen Kompetenzbereiches liegen, insbesondere Kriterien der Weltbank und integriert diese in seine Programme. Zu nennen sind die Neuorganisation öffentlicher Unternehmen, die Erneuerung der öffentlichen Ver140 „[I]ncreasingly, we find that a much broader range of institutional reforms is needed if countries are to establish and maintain private sector confidence, and thereby lay the basis for sustained growth. (…) every country that hopes to maintain market confidence must come to terms with the issues associated with Good Govern ance.“ – IMF Declaration, Partnership for Sustainable Global Growth, S. 2. Das Governance-Konzept ist heute „ein integraler Bestandteil der vom IWF unterstützten Programme“. N. M. Pyschny, Good Governance, S. 125; IMF Factsheet, The IMF and Good Governance, S. 1. 141 J. Kokott, Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Europäisierung und Internationalisierung, VVDStRL 63, 2004, S. 99. 142 „One of its key functions, […] is to create ‚world’s best practice‘ in economic policy.“ L. Seabrooke, Resolving the International Monetary Fund’s Legitimacy Crisis, Working paper No 35, 2006, S. 2. 143 Die Formulierung der ursprünglichen Richtlinien zur Good Governance geht auf das Interim Committee und ihre Partnership for Sustainable Global Growth aus dem Jahr 1996 zurück und wurde vom Gouverneursrat auf der Jahrestagung in Hongkong im September 1997 verabschiedet. 144 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 173. 145 „[…] the IMF’s involvement in governance should be limited to economic aspects of governance“, IMF Survey, The Role of the IMF in Governance Issues, 1997, S. 234 ff. 146 IMF Survey, The Role of the IMF in Governance Issues, S. 4; Vgl. C. Janik, Die Bindung Internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards, S. 301.
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waltung und die Reformierung der Eigentumsrechte sowie Vertragsdurchsetzung und Vergabepraktiken147. Unter dem Stichwort Good Governance hat der IWF Standards und Kodizes (S&Ks) erarbeitet und etabliert, welche insbesondere im Zuge des Ausbaus der Überwachungsfunktion des IWF die Transparenz erhöhen sollen148. Sie beziehen sich auf die Veröffentlichung von Daten zu fiskalischen und monetären Indikatoren149. Weil zur Erfüllung der Standards und Kodizes insbesondere in Entwicklungsländern die „technische Hilfe“ des IWF erforderlich wurde, bedeuten die Standards der Sache nach „nichts anderes als Strukturanpassungspolitik (SAP)“150. Ende der neunziger Jahre machte sich der Fonds bei seinen Reformen (unter anderem der Konditionalitätsrichtlinie) den Konsenscharakter des Konzepts der Good Governance zu Nutze, um damit der Kritik an den Konditionalitätsprogrammen zu begegnen151. Insofern sei das Good-Governance147 C. Janik, Die Bindung Internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards, S. 301; IMF Survey, The Role of the IMF in Governance Issues. 148 „Aufgabe des IWF wurde die Anfertigung der Berichte über die Einhaltung von Standards und Kodizes (Reports on Observance of Standards and Codes, ROSCs) in Form von Kurzberichten, welche die Fortschritte der Mitgliedsländer bei der Implementierung einzelner international entwickelter S&Ks bewerteten und Empfehlungen aussprachen, wie die Umsetzung noch weiter verbessert werden könnte.“ Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 172. Handlungsanweisungen wie jene des Code of Good Pracitices on Fiscal Transparency, des Code of Good Practice on Transparency in Monetary and Financial Policies wurden am 23. März 2001 vom Exekutivdirektorium vereinbart. 149 Dazu S. Griffith-Jones/J. Ocampo, What Progress on International Financial Reform? 150 Darin habe „auch der spezifische Gehalt des Transparenzansatzes“ bestanden. Die Good-Governance-Richtlinien und das Financial Sector Assessment Program (FSAP) dienten als Reformansatz gegen „Probleme mit Cronyism“, „wobei letztlich unter dem Deckmantel der Transparenz Strukturpolitik betrieben wurde, wie dies insbesondere der Kodex der Fiskaltransparenz zeigte. Der IMF rechtfertigte diese Politik mit der Förderung wirtschaftlicher Entwicklung, wenngleich gerade dies nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fiel.“ Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 176 f. 151 Willem Buiter weist auf die unterschiedlichen Zielrichtungen der IWF-Konditionalität hin. Sie seien auf Handlungen, Ergebnisse oder Verfahren (processes) gerichtet. Konditionalität, die sich auf das Verfahren beziehe („process or institutional conditionality“) „focuses on promoting Good Governance“. Ein Beispiel für „process-“ oder „institutional conditionality“ sei der Ansatz, finanzielle Hilfen allein für Staaten mit effektiven Regierungsstrukturen zur Verfügung zu stellen. Die Mindestvoraussetzungen seien nach internationalen Standards zu bewerten. Die European Bank for Reconstruction and Development (EBRD) habe diese Voraussetzung bereits im Rahmen ihres Mandats umgesetzt. Buiter plädiert dafür, dass der IWF (und die Weltbank) bei dieser konsequenten Umsetzung des country ownership-Prinzips in Kauf nehmen
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Projekt „a highly effective strategy“152. Christian Kellermann identifiziert Good Governance als „Instrument zur Durchsetzung marktwirtschaftlicher Strukturen in den Entwicklungs- und Schwellenländern“153 und stimmt insofern dem Befund von Ion Taylor zu, „as state elites in the periphere are encouraged to lock-in the liberalization process by enacting Good Governance prescriptions that serve to isolate, and at the same time legitimize economic reforms along neoliberal lines“154. „Der Konsenscharakter des Transparenz ansatzes transportierte gleichzeitig Good Governance als ‚Sachzwang‘, wodurch Eliten in den peripheren Ländern nationale Widerstände besser zu marginalisieren vermochten und eine höhere Akzeptanz in der Zivilgesellschaft aufbauen konnten155.“ Kellermann erkennt Good Governance „insofern auch als Teil eines größeren Projekts, die politische Autorität neoliberaler Eliten im Süden zu legitimieren“156. Der Grundsatz guter Regierungsführung ist ein Element der sogenannten „global governance“, einem „Schlagwort vom globalen Recht ohne Staat“157. Es beschreibt die „Suche nach Formen öffentlicher Herrschaft jenseits von staatlichem Regieren“158. Nach Auffassung von Nicole Pyschny enthält der Grundsatz der Good Governance zwar keine direkten Gebots- oder Verbotsnormen; das Konzept wirke aber im „Spannungsfeld zwischen Good Governance und der Souveränität der Staaten“159 und legitimiere damit einen „nicht unerheblichen Eingriff in die Souveränität der Staaten“160. Die Gebote der Guten Regierungsführung nähmen direkten Einfluss auf die innerstaatlichen sollten, dass sich deutlich weniger Länder für finanzielle Hilfen des Fonds qualifizieren würden. Das sei zumindest in jenen Fällen geboten, in welchen ein offenkundig undemokratisches Regime durch IWF- oder Weltbankkredite unterstützt wird („Such illegitimate programs do not deserve to be implemented.“). W. Buiter, Country Ownership, S. 30 f. 152 I. Taylor, Hegemony, Neoliberal „Good Governance“ and the International Monetary Fund, 2004, S. 134. 153 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 207 unter Verweis auf I. Taylor, Hegemony, Neoliberal „Good Governance“ and the International Monetary Fund, S. 135. 154 I. Taylor, Hegemony, Neoliberal „Good Governance“ and the International Monetary Fund, S. 133. 155 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 207. 156 Ebenda. 157 T. Vesting, Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Europäisierung und Internationalisierung, S. 58. 158 Ch. Möllers, Der vermisste Leviathan: Staatstheorie in der Bundesrepublik, 2008, S. 95. 159 N. M. Pyschny, Good Governance, S. 176. Zur Wirkung im Einzelnen a. a. O., S. 170 ff. 160 Ebenda, S. 176.
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Angelegenheiten des Staates und seien inhaltlich derart substantiiert, dass sie dem domaine réservé nur „wenig Raum“ ließen161. Auch Pyschny identifiziert einen „Konflikt zwischen der sich entwickelnden Völkerrechtsordnung“, nämlich den menschenrechtlich garantierten Individualfreiheiten, dem Recht auf demokratische Teilhabe also und dem Grundsatz der staatlichen Souveränität als Grundprinzip der Völkerrechtsordnung. Die Anerkennung von Menschenrechten sei ungeachtet „massivste[r] Einschränkung der staatlichen Souveränität“ die „innovativste Modifikation des Souveränitätsgrundsatzes im modernen Völkerrecht“162. Unter Berufung auf die Verantwortung der Staatengemeinschaft für die Menschenrechte führt dieser Ansatz im Ergebnis dazu, dass der souveräne Staat „in vieler Hinsicht als Exekutive der internationalen Gemeinschaft“ funktioniere163. Nach Ansicht von Nicole Pyschny steht die Good-Governance-Agenda nicht im Widerspruch zum völkerrechtlichen Grundsatz der staatlichen Souveränität, sondern prägt heute als „klare Inhaltsbestimmung“ maßgeblich das Leitbild der Staatlichkeit164. Das Recht auf innere Selbstbestimmung bewege sich „nur innerhalb der Grenzen von Good Governance“165, müsse sich also den international anerkannten Werten und völkerrechtlich gefestigten Inhalten von Good Governance unterordnen166. In diesem Licht sei Souveränität heute „in erster Linie als Mechanismus zur Sicherung der Werte der internationalen Gemeinschaft zu verstehen“167. Gute Regierungsführung sei „sowohl Ausdruck als auch Produkt dieses veränderten Souveränitätsverständnisses“ und bestimme „den Inhalt von Souveränität heute maßgeblich mit“168. Damit er161 Ebenda;
R. Dolzer, Good Governance, S. 1007, 1027. Good Governance, S. 178. 163 Ebenda, S. 179 mit Verweis auf H. Schermers, Different Aspects of Sovereignty S. 185 f.; R. Jennings, Sovereignty and International Law, in: State, Sovereignty, and International Governance, G. Kreijen (Hrsg.), 2002, S. 27, 32 f. 164 N. M. Pyschny, Good Governance, S. 180. 165 Pyschny spricht in diesem Zusammenhang nicht vom Recht auf innere Selbstgestaltung, sondern mit Blick auf die angelsächsische Terminologie von „country ownership“. Ebenda, S. 176. 166 Ebenda, S. 180. 167 Ebenda, S. 179. 168 Resolution of the council on human rights, democracy and development (einzusehen unter http://www2.ohchr.org/english/law/compilation_democracy/councilres. htm): „While sovereign States have the right to institute their own administrative structures and establish their own constitutional arrangements, equitable development can only effectively and sustainably be achieved if a number of general principles are adhered to: sensible economic and social policies, democratic decision-making, adequate governmental transparency and financial accountability, creation of a marketfriendly environment for development, measures to combat corruption, as well as respect for the rule of law, human rights, and freedom of the press and expression.“ 162 N. M. Pyschny,
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halte die Souveränität über die bloß „formale Freiheit von Fremdbestimmung“ auch eine Materialität „mit Werten der internationalen Gemeinschaft“169. Moderne Souveränität sei „nicht mehr als wertfrei zu verstehen“, sondern die inneren Angelegenheiten der Staaten würden „dem Ziel der Entwicklung untergeordnet und damit inhaltlich neu bestimmt“170. Auch Rudolf Dolzer erkennt in Good Governance eine „fühlbare Einschränkung“ der Souveränität der Empfängerstaaten und insofern sei es „nicht verwunderlich, dass die Regeln deswegen auch als unangebracht ausgeweitete Konditionalität kritisiert werden“. Letztlich erwiesen „sie sich aber im Kern als die Kehrseite eines ernstgenommenen Rechts auf Entwicklung, welches auf den langfristigen Wohlstand aller Schichten der Bevölkerung ausgerichtet“ sei171. Fraglos ist auch das normative Gebot der Good Governance, das per definitionem moralische Richtigkeit beansprucht, ein Produkt abendländischer Geistes- und Politikgeschichte. Mit welchem Recht kann es dann aber Anspruch auf eine allgemeine Weltgeltung erheben?
B. Dogmatische Grundlagen der Souveränität: Freiheit, Recht und Staat Der Konflikt zwischen dem demokratischen Prinzip und der Rechtsordnung einer Staatengemeinschaft, die von wenigen Staaten dominiert wird, wirft die grundlegende Frage nach der „personalen Basis“172 des Rechts auf. Wer bestimmt, was Recht ist? Wem obliegt es, das Richtige für das gute Leben aller zu erkennen? Sind es die Nationalstaaten oder ist es die „Staatengemeinschaft“, repräsentiert durch die Internationalen Organisationen, die sich zu einer „Weltstaatlichkeit“ entwickeln?
I. Zusammenhang zwischen Freiheit, Recht und Staat Dem herrschenden, weitgehend deskriptiven Souveränitätsverständnis, das – meist unausgesprochen, aber doch weitgehend die Lehre Carl Schmitts weiterträgt – ist eine normative Dogmatik der Souveränität entgegenzustel169 N. M. Pyschny, Good Governance, S. 179. Dabei geht sie davon aus, dass der den Staaten verbleibende Handlungsspielraum durch die Betonung sozio-kultureller Besonderheiten in der Ausfüllung der Gebote durch das Konzept Guter Regierungsführung durchaus gestärkt werde. 170 Ebenda, S. 179. 171 R. Dolzer, in W. Graf Vitzthum/A. Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, Rdn. 41. 172 K. A. Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, hrsg. von D. I. Siebold/A. Emmerich-Fritsche, 2005, S. 668 ff., 671 ff. (Zitat S. 672) 675 ff., 678 ff.
B. Dogmatische Grundlagen der Souveränität: Freiheit, Recht und Staat 235
len173. Diese reicht tief in das Fundament der Legitimation des Staates überhaupt. Die republikanische Lehre vom Staat wurzelt in der Idee jener Freiheit, die mit dem Menschen geboren ist. Sie ist Sinn und Grundlage der staatlichen Ordnung. Dementsprechend ist der freiheitliche Souveränitätsbegriff geprägt durch die Identität von Freiheit, Demokratie und Souveränität. Insofern ist Souveränität als rechtlich geordnete Freiheit zu verstehen. In Abgrenzung zum herrschaftlichen Souveränitätsverständnis im Sinne einer Fürstensouveränität174 konstituiert Karl Albrecht Schachtschneider die Souveränität als republikanischen Rechtsbegriff. Damit wird die Souveränität zu einem Freiheits- und zugleich auch zu einem Staatsprinzip, weil die Freiheit grundsätzlich im Staat verwirklicht wird. Von der überkommenen Ordnung unterscheidet sie sich dadurch, dass sie nicht herrschaftlich, sondern freiheitlich begründet ist. Die zentralen Begriffe „Freiheit“, „Recht“ und „Staat“ bedingen sich wechselseitig175 und bilden die maßgebenden Elemente einer freiheitlichen Souveränitätslehre. 1. Freiheitlicher Rechtsbegriff Immanuel Kant erkennt in der Freiheit das „einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht“176. Sie wird nicht gewährt, weder durch den Staat, noch eine andere Institution, sondern ist mit dem Menschen geboren177. Dieses „Urrecht“178 der Menschen ist das Wesen der Menschenwürde179 und der archimedische Punkt der freiheitlichen Rechtslehre. Sie wurzelt im „Eigenwert und der Würde des zur Freiheit fähigen Menschen“180, in seiner unantastbaren Menschenwürde, also auf den 173 Karl Albrecht Schachtschneider entwickelt den Souveränitätsbegriff auf der Grundlage der Kantianischen Freiheitsidee, Die Souveränität Deutschlands, passim. 174 Peter Häberle fordert die Entwicklung des Begriffs der Souveränität vom „Grenz- und Ausnahmebegriff“ zum „Normativ- und Normalbegriff“, Zur gegenwärtigen Diskussion über das Problem der Souveränität, Verfassung als öffentlicher Prozess, S. 376 ff. 175 „Es gibt kein Recht ohne Staat und kein Recht ohne Freiheit“, K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 3. Siehe zur Trinitas der Freiheit, des Rechts und des Staates ders., Freiheit – Recht – Staat, passim. 176 I. Kant, Metaphysik der Sitten (Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre), S. 345. 177 I. Kant, a. a. O.; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 19 ff., 238, 281 f., 306, 409 u. ö. 178 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 19 ff., S. 238, 281 f. u. ö. 179 Ebenda, S. 19 ff. 281 ff., 307 u. ö. 180 BVerfGE 123, 267, Rn. 212: „Demokratie wurzelt im „Eigenwert und der Würde des zu Freiheit befähigten Menschen.“
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(„vorstaatlichen“181) Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Daher muss das Prinzip der allgemeinen Freiheit als das „fundamentale Rechtsprinzip der Menschheit“182 universale Gültigkeit beanspruchen183. Das „Menschenwürdeprinzip“184 der allgemeinen Freiheit ist in Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) vom 10. Dezember 1948185 völkerrechtlich verankert186: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“
Weil der Mensch mit der Fähigkeit zu vernünftigem Handeln, zur praktischen Vernunft, begabt ist, ist die Freiheit als rechtliche Kategorie „ihrer Idee nach Bestimmung der Menschheit des Menschen“187, und Karl Albrecht Schachtschneider bezeichnet sie daher als die „Verfassung der Menschheit des Menschen“188. Als solche steht sie „nicht zur Disposition der Politik“189; sie ist in ihrem Kern unantastbar. Die Menschenrechte verwirklichen die allgemeine Freiheit und sind mit den Worten des deutschen Grundgesetzes die „Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der 181 K. A.
Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 278, 281 u. ö. S. 440 ff. 183 Zur Universalität der Menschenrechtsethik der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte A. Emmerich-Fritsche, Internationaler und globaler Diskurs über ethische Grundlagen, universaler Rechtsgeltung: Selbstbestimmung als Verhinderung oder Grundlage einer globalen Ethik?, in: Ancilla Iuris (anci.ch) 2012, 16, International Law and Ethics 16, S. 26 ff.; dies., Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 490 ff. 184 Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte deklariert insofern ein „Weltrechtsprinzip“, welches für alle Menschen und für alle Völker Verbindlichkeit beansprucht, K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 275 ff., 325 ff., 410 ff., 427 ff., 978 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 281 ff.; zur Menschenwürde als menschliche Grundverfassung A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 492 f. 185 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verbindet die Individualrechte und die Gruppenrechte, aus welchen sich das demokratische Fundamentalprinzip, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, ableitet. 186 Zur Menschenwürde im Völkerrecht als „verbindlichem Menschenrechtskern“ A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 493 ff. 187 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 283. 188 Grundlage der republikanischen Verfassung ist „die Verfassung, welche mit dem Menschen geboren ist, nämlich die Verfassung der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, deren Geltung keines Gesetzes und keines Vertrages bedarf, weil sie die Würde des Menschen ausmacht“. K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 24; ders., Freiheit in der Republik, S. 19 ff., 282; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, 2006, S. 86 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 462 ff. 189 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, 2006, S. 86. 182 Ebenda,
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Welt“ (Art. 1 Abs. 2 GG)190. Als Vernunftwesen ist die „Menschheit des Menschen seine politische Freiheit, nur unter Gesetzen zu leben, die er sich selbst, freiheitlich mit allen anderen Bürgern gemeinsam, gegeben hat“191. Jedes Handeln hat Wirkung auf die Handlungsmöglichkeiten des anderen. Die Freiheit des Einen wird durch die gleiche Freiheit des Anderen eingeschränkt, weil sie ihn nötigt, in einer durch das Handeln veränderten Wirklichkeit zu leben. Daher kann die Freiheit rechtlich nicht als allgemeine (individualistische) Handlungsfreiheit verstanden werden, welche lediglich durch staatliche Gesetze beschränkt wird. Unter Menschen, die miteinander zusammenleben, kann Freiheit nur das gleiche Recht auf Freiheit aller Bürger sein, welche mittels Gesetzlichkeit in gemeinsamer Freiheit leben können. Das Gesetz leistet, weil es die Einstimmung aller, unmittelbar oder mittelbar erfordert, den Ausgleich der Interessen des Einen mit den Interessen der Anderen192. Dies ist die Idee der allgemeinen Freiheit193. Dementsprechend definiert Kant das Recht als den „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“194. Die Idee der allgemeinen Freiheit ist keine Freiheit im liberalistischen Sinne. Ein solcher Begriff würde „die staatliche wie die private Lebensverwirklichung der Herrschaft“ ausliefern195. Die Lehre einer allgemeinen Handlungsfreiheit, die lediglich durch Gesetze eingeschränkt wird („die Freiheit als Schutzgut von Abwehrrechten“) ist eine „undeterminierte Freiheit zur Beliebigkeit“196 und stellt im Ergebnis den Staat gegen seine Bürger197. Ge190 Zur Frage, „ob die mit dem universalen Menschenrechtsstandard erfasste Freiheit nicht nur liberalistisch herrschaftsbegrenzend (im Sinne Lockes), sondern auch als Recht auf Recht(mit)gestaltung, orientiert an der Autonomie (im Kantischen Sinn), zu verstehen ist“ A. Emmerich-Fritsche, Internationaler und globaler Diskurs über ethische Grundlagen, universaler Rechtsgeltung: Selbstbestimmung als Verhinderung oder Grundlage einer globalen Ethik?, S. 29 ff. 191 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 11; ders., Freiheit in der Republik, S. 67 ff., 281 ff. 192 Ebenda, S. 77, 304. 193 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 598 (m. w. N.): „Das Materiale der Freiheit und damit Zweck der Republik ist die Selbstzweckhaftigkeit jedes Bürgers oder die Allgemeinheit der Freiheit.“ 194 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 337. 195 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 266. Das Gemeinwesen aus freien Bürgern muss der Vernunft verpflichtet sein. Ein liberalistischer Freiheitsbegriff steht dem entgegen, weil er „die Freiheit von der Sittlichkeit löst“ und auf Herrschaft beruht. 196 J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 14, passim. 197 Grundlegend zur Kritik an der liberalistischen Freiheitslehre K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 343 ff.
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setze, welche die Willensautonomie der Bürger materialisieren, also sittlich sind, können deren Freiheit nicht verletzen. Vielmehr verwirklicht sich die Freiheit, also die Willensautonomie des Bürgers, durch die allgemeinen Gesetze und auf Grund der allgemeinen Gesetze198; denn das Handeln der Bürger hat sich nach den Gesetzen zu richten, die legales Verhalten des Bürgers und seiner Mitbürger bestimmen sollen199. Während die Freiheit im republikanischen Sinne die Autonomie des Willens ist, steht der liberalistische Begriff der Freiheit für „bestimmte, meist grundrechtlich geschützte, Freiheiten (Grundrechte) […], die der Untertan der Obrigkeit entgegenhalten kann, um die Obrigkeit konstitutionalistisch einzuschränken200. Das sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den obrigkeitlichen Staat201. Der Untertan ist Bürger allenfalls insoweit, als er durch Wahlen die Ausübung der Staatsgewalt legitimiert, wenn nicht Abstimmungen der Bürger ermöglicht sind“202. Gesetze, welche die Freiheit einschränken würden, wären keine Gesetze, sondern Vorschriften, die keinen Geltungsgrund hätten203 und daher keine Verbindlichkeit beanspruchen könnten. Die Freiheit selbst verlangt nach „der allgemeinen Gesetzlichkeit, also nach den Gesetzen, die der Wille aller sind“, weil Menschen, die mit ihrem Handeln aufeinander einwirken204, einer „befriedenden Ordnung“ bedürfen205. Freiheit, die „wesentlich Autonomie des Willens“ ist, verwirklicht
198 Ebenda,
S. 288. schützt das GG durch Art. 2 Abs. 1 GG das Recht des Bürgers auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Es schützt die Befugnis des Bürgers, Recht zu setzten. Siehe K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 67 ff., 281 ff., 288 ff. 200 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345; dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 441 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 343 ff. 201 BVerfGE 7, 198 (204). 202 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 441 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 363 ff., 599 f. 203 Siehe K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 293 ff.; C. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 199 f.; vgl. i. d. S. auch ders., Legalität und Legitimität, S. 20 ff., insb. S. 24. 204 Die Welt ist „konfliktträchtiger Wohnplatz der Menschen“, ein Ort „der Knappheit des Raumes und der Dinge“ (S. 181), „der Endlichkeit“ und daher „ein Ort der Konkurrenz und des Konflikts“, „wo Menschen nicht vermeiden können, einander in der Verteilung der Güter ins Gehege zu kommen.“ W. Kersting, Weltfriedensordnung und globale Verteilungsgerechtigkeit. Kants Konzeption eines vollständigen Rechtsfriedens und die gegenwärtige politische Philosophie der internationalen Beziehungen, in: R. Merkel/R. Wittmann (Hrsg.), Zum ewigen Frieden, Grundlagen, Aktualität und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant, 1996, S. 180. 205 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 121 f. („Die Ordnung soll die Freiheit verwirklichen, das vermag nur eine Rechtsordnung“); ders., Freiheit in der Republik, S. 44 ff. 199 So
B. Dogmatische Grundlagen der Souveränität: Freiheit, Recht und Staat 239
sich daher in der „allgemeinen Gesetzgeberschaft“206. Nur der allgemeine Wille kann gesetzgebend sein. Das folgt aus der „Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze gehorcht, als dem, das es zugleich selbst giebt“207. „Nur wer unter dem eigenen Gesetz lebt, das logisch zugleich ein Gesetz all derer sei, die zusammen leben, ist frei, nämlich unabhängig von eines anderen nötigender Willkür“208. Die politische Freiheit macht den Menschen zum Bürger und zum Gesetzgeber209. Eine Freiheit, welche die Maximen des Handelns anders bestimmt als durch allgemeine Gesetze, ist keine Freiheit, sondern deren Gegenteil210. Die Maximen des Handelns müssen die allgemeine Freiheit wahren. Soweit geboten, legen die Bürger die Maximen gemeinsam fest. Diese allgemeinen Gesetze sind Recht. Allgemeine Gesetze materialisieren den allgemeinen Willen aller Bürger, also des Volkes. Die Allgemeinheit des Willens, die praktische Vernunft oder die Sittlichkeit also211, wahrt die Allgemeinheit der Freiheit; denn jeder lebt unabhängig von anderer nötigender Willkür und somit äußerlich frei212, weil auch sein Wille das Gesetz gibt (Willensautonomie). Der Primat des Rechts ist logisch mit der allgemeinen Freiheit verbunden213. Die Freiheit als die Autonomie des Willens schafft die Gesetze des Rechts214. „Die Allgemeinheit des gesetzgebenden Willens verwirklicht (der Idee nach) zugleich die Brüderlichkeit, das Sozialprinzip, also bestmöglich das gute Leben aller im Gemeinwesen215.“
206 K. A.
Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 288 ff., 602. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 67. 208 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 67 ff., 274 ff.; „Von dem Willen gehen die Gesetze aus“, I. Kant, Grundlegend zur Metaphysik der Sitten, S. 332; dazu K. A. Schachtschneider, ebenda, S. 445. 209 K. A. Schachtschneider, Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff, S. 422 ff., 429 ff.; ders., Die Republik der Völker Europas, S. 156. 210 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 53, 424, auch S. 288 ff. 211 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 41 ff. 58 ff., 81 ff.; dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 67 ff., 83 ff., 281 ff. 212 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345. 213 K. A. Schachtschneider, Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik. Ein Staatsstreich der politischen Klasse, 2011, S. 247. 214 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 274 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 30 ff., 50 ff. 215 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 12. 207 I. Kant,
240
Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
2. Freiheitlich-demokratisches Prinzip Aus der politischen Freiheit erwächst das jedem Bürger zuteil werdende Recht, das Gemeinwesen so zu organisieren, dass sich die allgemeine Freiheit bestmöglich verwirklichen kann, das Recht auf Recht also; denn der „Wesensgehalt [der allgemeinen Freiheit] ist die politische Freiheit des Menschen, also dessen Recht, Bürger zu sein“216. Das Prinzip der allgemeinen Freiheit verwirklicht sich durch die Materialisierung des gemeinsamen Willens der in Gemeinschaft lebenden Menschen. Der allgemeine Wille kann aber nur ermittelt werden und zur Geltung kommen, wo die Willensbildung in Gleichheit und Freiheit, also demokratisch, gewährleistet wird. Das Verfahren weist den Weg zur Feststellung des Richtigen und verwirklicht „das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit“217. Darin liegt die Legitimationskraft, verbindlich Recht zu setzen218. Weil die Freiheit selbst ein formales Recht, nämlich das „Recht zur Autonomie des Willens“219 ist, liegt sie allem objektiven Recht und allen subjektiven Rechten zugrunde220. Auf der Grundlage dieser Freiheit gewinnen Gesetze, welche sich die Bürger geben, eine Materie. Das formale Recht der Freiheit wird in der Republik durch die Verfahrensrechte (prozedurale Rechte) geschützt. Das Verfahren gewährleistet die „Autonomie des Willens auf Grund des Rechts auf allgemeine Gesetzlichkeit“221. Das Prinzip der Menschenwürde gebietet eine „Verfassung der Freiheit“ und damit eine „freiheitliche demokratische Ordnung“222. „Jede Staatlichkeit rechtfertigt sich aus dem Freiheitsprinzip, das wegen der Allgemeinheit 216 K. A. Schachtschneider, Gemeinwohl und Verantwortung, Demokratierechtliche Grenzen der Gemeinschaftsrechtsprechung, S. 779; ders., Freiheit in der Republik, passim, insb. S. 44 ff., 281 ff. 217 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1 ff., 54 ff., 297 ff., 350 ff., 494 ff., 573 ff., 625 ff.,; ders, Freiheit in der Republik, S. 60 ff., 143 ff., 297 ff., 484 ff., u. ö. 218 Ebenda, S. 288 ff., 318 ff. 219 Ebenda, S. 284 f., auch S. 288 ff., 318 ff. u. ö. 220 Ebenda, S. 283; Für die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes existiert kein materieller Maßstab, „weil das Prinzip der Freiheit durch Formalität bestimmt ist“ (Ebenda, S. 295.). Die praktische Vernünftigkeit der Gesetze judiziert das BVerfG als das Willkürverbot oder als das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Ebenda, S. 295.). Aus der Erkenntnis der Freiheitlichkeit des Gemeinwesens folgt: „Die Rechtsprinzipien sind die Verfassung jedes menschlichen Gemeinwesens und bedürfen keiner Gesetze. Aber die Gesetze einschließlich der Verfassungsgesetze dürfen diesen nicht widersprechen.“ K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 13. 221 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 281 ff. 222 Ebenda, S. 281.
B. Dogmatische Grundlagen der Souveränität: Freiheit, Recht und Staat 241
der Freiheit mit dem republikanisch, also freiheitlich, verstandenen Demokratieprinzip223 verbunden ist.“ Demokratie ist eine Form des Politischen, eine Staats- und Regierungsform224. Freiheitlichkeit ist in der Republik „vernünftige Gesetzlichkeit, welche die Menschheit der Menschen, also die Menschenrechte, achten muss“. „In der Autonomie des Willens als der Freiheit, also im bürgerlichen Status als Mitgesetzgeber, zeigt sich die Formalität der Freiheit225.“ Die Staatsform des freiheitlichen Gemeinwesens ist die Republik, die „politische Form der Freiheit“226. Mit der Qualität der Gesetze, ihrer Richtigkeit, steht und fällt das demokratische Prinzip und damit die Republik227. 3. Freiheitlich-republikanisches Prinzip Die Würde des Menschen, die allgemeine Freiheit und die sie verwirklichende Republik, „welche die gleiche Freiheit und somit die Autonomie des Willens aller Bürger verfasst“228, stehen in einem untrennbaren Zusammenhang; denn Freiheit findet ihre Wirklichkeit im Staat229. Deshalb hielt Kant die Etablierung staatlicher Verhältnisse für unerlässlich, um den Naturzustand zu überwinden. Josef Isensee bezeichnet den Staat als „institutionelle Überwindung des Bürgerkrieges“230. Im Staat verwirklicht sich „ein System der öffentlichen Gerechtigkeit, in dem das Recht eines jeden durch Gesetze und Gerichte zuverlässig bestimmt wird“231. Erst indem sich die Bürger im Staat organisieren, kann sich das Prinzip der Gesetzlichkeit verwirklichen, denn dieses „bedarf der Gesetzgebung durch die Legislative, des Vollzugs der 223 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 14 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 48 ff. 224 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 26. 225 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 297. 226 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 8. 227 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 291. 228 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 275 ff., 560 ff., 637 ff., 707 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 28 ff., 50 ff. (52 f.), 94 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 203 ff., 274 ff., 440 ff. („welche die gleiche Freiheit und somit die Autonomie des Willens aller Bürger verfasst, in der die Bürger die Gesetzgeber sind, vertreten durch die Vertreter des Volkes in den Organen des Staates“). 229 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 284 f., 405, 409; insb. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, I, 8, S. 22 f.; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345, 430 f. u. ö.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 146, 148; ders., Zum ewigen Frieden, S. 203; vgl. auch J. Isensee, HStR, Bd. V, § 115, Rdn. 45 ff. („Staat als Voraussetzung der Menschenrechte“); P. Kirchhof, HStR, Bd. III, § 59, Rdn. 30. 230 J. Isensee, Staat und Verfassung, 1987, § 13, Rdn. 62. 231 Dazu W. Kersting, Weltfriedensordnung und globale Verteilungsgerechtigkeit, S. 178.
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Gesetze durch die Exekutive und der Klärung des Rechts durch die Judikative232.“ Das Prinzip der Gesetzlichkeit aufzugeben würde bedeuten, die Autonomie des Willens der Bürger, also deren Freiheit aufzugeben. Weil dies einen rechtlosen Zustand begründen würde, kann dieses Rechtsprinzip nicht zur Disposition des Staates und der Gesetze stehen233. Der Zweck des Staates ist die Verwirklichung der allgemeinen Freiheit234. Daher gehört zur „Verfassung der Menschheit des Menschen“ das Recht auf einen Staat, der das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit verwirklicht, auf die „bürgerliche Verfassung“ also235. Die Verwirklichung der (materialen) Freiheiten schafft die „Möglichkeiten des Lebens, die sich dem Menschen bieten“236. Diese müssen unter den Bürgern im Staat gerecht verteilt werden237. Kant dogmatisiert somit das „Recht auf eine bürgerliche Verfas sung“238. Die Staatlichkeit ist „ein fundamentales Prinzip des gemeinsamen Lebens in Freiheit, weil die bürgerliche Freiheit sonst nicht gesichert ist“. Die Menschen haben also ein „Recht auf Staat“239, also auf die Bedingungen, „unter denen allein sie ihres Rechtes sicher sein können“240. Der Staat, der die Freiheit als Recht schützt, ist eine Republik. „Das Bekenntnis zur Freiheit führt zur Republik als der spezifischen Form der freiheitlichen, genauer der herrschaftsfreien Demokratie“241. Aus dem vorstaatlichen Urrecht der Freiheit wird in der Republik die politische Freiheit. Diese materialisiert sich in den Gesetzen, welche auf dem übereinstimmenden Willen des Volkes242, dem allgemeinen Willen (Gemeinwillen), der Volonté 232 K. A.
Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 15. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 284 f. 234 Ebenda. 235 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 15. 236 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 305. 237 J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, S. 223 ff., 291 ff., 308 ff. (i. S. des „fairen Werts der gleichen Freiheiten“); i. d. S. auch K. A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, S. 61 ff. (Grundrechte als „kollektiv-soziale Rechtspositionen“ oder „Als-Ob-Freiheiten“); ders., Freiheit in der Republik, S. 551 ff. 238 I. Kant, Methaphysik der Sitten, S. 366, 374. 239 Dazu W. Kersting, Kant und die politische Philosophie der Gegenwart, in: ders., Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie, 1993, S. 11 ff. 240 W. Kerstin, Bewaffnete Intervention als Menschenrechtsschutz?, S. 197. 241 K. A. Schachtschneider, Res pupuli res publica, S. 116. 242 Zur Frage eines Volonté générale mondiale als Konzeption einer globalen Willensbildung, die nicht an ein bestimmtes Volk gebunden ist A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 619 f. 233 K. A.
B. Dogmatische Grundlagen der Souveränität: Freiheit, Recht und Staat 243
générale243, beruhen (sowie dem besonderen Willen der Menschen, der sich in privaten Verträgen materialisiert244). Entscheidend für den Begriff des Staates ist die Frage, ob er über Personalität verfügt. Die herrschende Staatslehre versteht den Staat als eigenständige Institution, welche neben dem Staatsvolk existent ist. Aber nur unter einem herrschaftlich geprägten Staatsverständnis kann einem vom Staatsvolk losgelösten Staat Existenz zugesprochen werden245. Allein eine herrschaftliche Konzeption des Staates, welche den Staat als Herrscher über das Volk behandelt, vermag eine Trennung von Staat und Gesellschaft zu begründen246. Diese ist mit dem demokratischen Prinzip, nach welchem die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, nicht vereinbar; denn die Menschenwürde gebietet247: „Der Staat ist um der Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“ Ein herrschaftlicher Staat kann kein Rechtsstaat248 im freiheitlichen Sinne sein249. Der Staat existiert nicht etwa, weil Bürger gegen ihren Willen 243 J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, II, 1 ff., 7, S. 27 ff., 43 ff. Rousseaus Demokratieverständnis beruht auf dem Homogenitätsprinzip, welches auf Konsens abzielt. Die Idee der Freiheit fordert Einstimmigkeit. Der Kompromiss ist die „reale Annäherung“ an die Idee der Freiheit (H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1929, S. 67.). „Der Bürger hat seinen Willen auf das Richtige gerichtet, das im Parlament beschlossen werden soll“, K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 718. 244 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 502, auch S. 506 ff. 245 Zur Republikwidrigkeit der Herrschaftsdoktrin K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 115 ff. Der Staat kann nicht gegen die Gesellschaft stehen, ebenda, S. 207 ff. 246 Eine Trennung von Staat und Gesellschaft wird von der herrschenden Staatsrechtslehre propagiert. So G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 429 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. I, Grundlagen von Staat und Verfassung, 1987, § 22, Rdn. 28; H. H. Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, HStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 31, Rdn. 20; P. Badura, Die parlamentarische Demokratie, 1987, Rdn. 28 f.; K. Stern, Staatsrecht, S. 592 ff., 604 ff.; J. Isensee, Staat und Verfassung, § 13, Rdn. 161 ff. Ebenso vom Bundesverfassungsgericht BVerfG 83, 37 (52); 83, 60 (72). 247 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 11. 248 Der Rechtsstaat hat sich aus dem „Kampf gegen die Privilegienordnung der alten Ständegesellschaft“ entwickelt, letztlich aus der „Überzeugung, dass Freiheit durch Recht gesichert werden könne und müsse.“ R. Merkel, Strafrecht und Satire im Werk von Karl Kraus, S. 25. 249 Herrschaft hat, „wer seinen Willen notfalls auch gegen den Willen anderer durchzusetzen die Möglichkeit hat, gleichviel worauf diese Chance beruht“, lehrt Max Weber, Grundriss der Sozialökonomik, Wirtschaft und Gesellschaft, II. Halbband, 1925, Kapitel 1, § 16. „Herrschaft und Freiheit sind somit unvereinbar.“ K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 12. „Der Mensch ist in der Republik nicht zum Teil Bürger und zum Teil Untertan der Obrigkeit“, ders., Freiheit in der Republik, S. 297, auch S. 127 ff.
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verbunden werden, sondern allein aufgrund des Willens der Bürger, das heißt „nur durch die und nach Maßgabe der Gesetze“250. Der Staat verwirklicht die Autonomie des Willens der Bürger. Sie ist „der Grund, auf dem Recht und Staat gründen251.“ So organisiert die Verfassung, die sich die Menschen geben, „zur Verwirklichung des Rechts den Staat“252.
II. Freiheitlicher Souveränitätsbegriff nach Karl Albrecht Schachtschneider Nach Karl Albrecht Schachtschneider kann in einem aufgeklärten Staat eine Definition der Souveränität nur freiheitlich erfolgen; denn sie dient der Verwirklichung der Freiheit insofern, als sie logisch aus ihr hervorgeht253. Der freiheitliche Souveränitätsbegriff ist eng mit dem Rechtsbegriff verbunden. Weil der Staat „von vornherein rechtlich konstituiert ist“254, identifiziert Karl Albrecht Schachtschneider die Volkssouveränität255 als eine sich 250 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, „Das Staatliche ist die (allgemeine) Gesetzlichkeit als
S. 285. Wirklichkeit der Freiheit und damit des Rechts.“ K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 285; ders. Res publica res populi, S. 637; ders. Prinzipien des Rechtsstaates, S. 42 ff. auch S. 92 ff., 121 ff., 157 ff.; i. d. S. auch J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 265 ff., 271; auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, 1997, S. 324 ff.; K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 75 ff.; ders. (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 29 ff., 50 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 42 ff., auch S. 92 ff., 121 ff., 157 ff. 251 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 283. 252 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 122. 253 Auch Angelika Emmerich-Fritsche identifiziert das Souveränitätsprinzip als Prinzip der Selbstbestimmung der Völker, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 1047. Das Selbstbestimmungsrecht sei aber „zugleich ein (welt-)rechtlicher Maßstab für die einzelstaatlichen Verfassungen“. Der Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht zeige sich darin, dass das Subjekt des Selbstbestimmungsrechts „der Bürger und in seiner Vielheit ein Volk“ sei (S. 1048). 254 P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion über das Problem der Souveränität, S. 387. 255 Angelika Emmerich-Fritsche beobachtet, dass die Staatssouveränität in der Völkerrechtspraxis zunehmend als Volkssouveränität verstanden wird und weist auf die Entscheidung der UN-Vollversammlung vom 16. September 2011 hin. Die UN‐ Vollversammlung entschied mit nur 17 ausdrücklichen Gegenstimmen, „dass der Nationale Übergangsrat Libyen bei den Vereinten Nationen vertreten sollte“. Nach Emmerich-Fritsche kündige sich in dieser „Bevorzugung der Selbstbestimmung des Volkes vor der Souveränität des Herrschers […] ein Paradigmenwechsel von der Staatssouveränität zur Volkssouveränität an“. Internationaler und globaler Diskurs über ethische Grundlagen, universaler Rechtsgeltung: Selbstbestimmung als Verhinderung oder Grundlage einer globalen Ethik?, S. 30.
B. Dogmatische Grundlagen der Souveränität: Freiheit, Recht und Staat 245
im Recht verwirklichende Bürgersouveränität256: „Souveränität besteht aus den Handlungsbefugnissen und Handlungsmöglichkeiten des Volkes insgesamt, die gemäß der Verfassung, des Verfassungsgesetzes und der Gesetze vom Volk selbst oder von den Organen des Volkes in dessen Namen gehandhabt werden257.“ Sowohl nach innen als auch nach außen ist Souveränität die Freiheit der Bürgerschaft. Innere und äußere Souveränität bilden „eine Einheit“258, nämlich die „Freiheit des Volkes im Staat“ (innere Souveränität), aber auch die Freiheit des Volkes als Staat (nach außen). Die Freiheit des Volkes im Staat wurzelt in der Freiheit und der Würde des Menschen, welche sich in den elementaren Menschenrechten materialisieren. Die politische Freiheit ist die eigentliche Identität der republikanischen Verfassung; denn auf der Grundlage dieser Freiheit vereinigen sich Menschen unter Rechtsgesetzen und geben sich ein Verfassungsgesetz, welches dem freiheitlichen Staat, dem Rechtsstaat, grundgelegt ist259. In diesem Sinne verwirklicht sich die innere Souveränität, indem der gemeinsame Wille, die volonté générale, durch allgemeine Gesetzgebung Geltung erlangt260. Die innere Souveränität lässt sich nicht auf der Grundlage eines liberalistischen Freiheitsverständnisses entwickeln, nach welchem jeder tun und lassen kann, was ihm beliebt, solange er bestimmte Grenzen einhält, sondern entspricht dem materiellen Rechtsstaat, der nur Rechtsstaat sein kann, sofern seine Gesetzgebung freiheitlich ist, also die Verfassung der Menschheit des Menschen achtet. Grundlage dieser allgemeinen Freiheit der Bürger ist (1) deren Sittlichkeit, welche der praktischen Vernunft entspricht, (2) die Achtung des prozeduralen demokratischen Prinzips und material der menschheitlichen Rechtsprinzipien, zumal des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Die innere Souveränität entspricht also dem Recht des Volkes auf eine eigene, alle Bürger bindende allgemeine Gesetzgebung, welche dem allgemeinen Willen der Bürger Wirkung verschafft. Weil die Souveränität die staatliche „Verwirklichung der allgemeinen Freiheit durch Rechtlichkeit“ ist, setzt auch das 256 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 104 ff. Auch für Peter Häberle „dient [Souveränität] einzig und allein der Verwirklichung des Rechts“, P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion über das Problem der Souveränität, S. 387. 257 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 129. 258 Ebenda, S. 136. 259 Auch Wolfgang Kersting sieht den Schutz der fundamentalen Menschenrechte nur im Staat gewährleistet: „Menschenrechte sind daher wesentlich staatsadressierte Institutionalisierungsaufträge.“ Plädoyer für einen nüchternen Universalismus, S. 8 ff. 260 „Die innere Souveränität erweist sich somit als die Verfassung, die mit den Menschen geboren ist, als die Freiheit des Menschen, als dessen Würde und dessen Freiheit.“ Ebenda, S. 138.
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Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
Recht, das durch die Verfassung und die Gesetze näher materialisiert wird, die Grenze der Souveränität261. Das sind material insbesondere die Menschenrechte, formal die „Verfahren der Verwirklichung der allgemeinen Freiheit“ (Gesetzlichkeit durch Gesetzgebung und Rechtsprechung) und gesetzesgemäße Verwaltung „gemäß dem allgemeinen Willen des Volkes“262. Die innere Souveränität unterliegt Einschränkungen, nämlich den Grenzen, welche sich das Volk selbst gesetzt hat, indem es sich an die Regeln des Völkerrechts bindet. Das Volk darf also keine Gesetze erlassen, welche gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts (zunehmend des Weltrechts) verstoßen. „In der Republik als dem freiheitlichen Gemeinwesen ist die Achtung des demokratischen Prinzips und zugleich des Rechtsprinzips die innere Grenze der Souveränität263.“ Die äußere Souveränität ist ein völkerrechtlicher Begriff und insofern „lediglich vermittelter Ausdruck originärer menschenrechtlicher oder individualrechtlicher Rechtsstellungen“264. Sie besteht in der „mit allen Staaten gleichberechtigten Völkerrechtssouveränität“265 und verwirklicht sich im Umgang mit anderen Völkerrechtssubjekten durch Außenpolitik und Verträge. Grundlage dieses Umgangs sind die Regelungen des Völkergewohnheitsrechts und des Vertragsrechts. Die äußere Souveränität eines Staates beansprucht die „Unabhängigkeit von fremdem Willen“266. Die Unabhängigkeit aller Staaten verwirklicht sich unter einem allgemeinen Gesetz, von welchem das Völkerrecht mangels eines Systems der Rechtsdurchsetzung freilich noch weit entfernt ist267. Die äußere Souveränität wird durch die Sätze des zwingenden Völkerrechts, insbesondere die Verpflichtung zur Einhaltung von Verträgen begrenzt268. 261 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 132. „Was immer Recht sei, es ist die Grenze staatlichen Handelns und damit auch der Souveränität, also die innere Grenze derselben, die mehr und mehr weltrechtlich auch zur äußeren Grenze wird, etwa gewisse elementare Menschenrechte.“ Ebenda, S. 136. 262 Ebenda. 263 Ebenda, S. 133. 264 W. Kersting, Bewaffnete Intervention als Menschenrechtsschutz?, S. 196. 265 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 137, m. w. N. 266 BVerfGE 123, 267, Rdn. 231; so auch das Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 UNCharta: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ 267 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 148. 268 Ebenda, S. 153.
B. Dogmatische Grundlagen der Souveränität: Freiheit, Recht und Staat 247
Das Recht, Verträge zu schließen und – auf der anderen Seite – die Verpflichtung, Verträge einzuhalten, gilt nicht uneingeschränkt, sondern findet seine materielle Grenze in der Verpflichtung zur Wahrung der existentiellen Staatlichkeit269. Völker können sich nicht wirksam vertraglich binden, wenn sie durch diesen Vertrag ihre existentielle Staatlichkeit, ihre Verfassungsidentität, preisgeben. Die formalen Elemente der äußeren Souveränität sind die Gleichheit und die Unabhängigkeit von fremdstaatlicher Herrschaft270. Darin liegen zugleich Anspruch und Verpflichtung. Weil die Freiheit des Volkes durch die gleiche Freiheit anderer Völker eingeschränkt ist, sind auch die Rechte eines Staates durch die Rechte anderer Staaten begrenzt. Auf dieser äußeren Souveränität beruhen das Selbstbestimmungsrecht und das Friedensrecht271. Dem Grundsatz, die Rechte der anderen Staaten zu respektieren, folgen sowohl das zwingende Völkerrecht als auch die allgemeinen Regeln des Völkerrechts (umgekehrter Monismus, dazu Teil 6, A. III.: der Staat muss die von ihm geschlossenen Verträge auch staatsrechtlich einhalten272). Die äußere Souveränität, also die Unabhängigkeit von anderen Staaten, ist gewahrt, wenn die existentielle Staatlichkeit respektiert wird. Die Souveränität, die innere wie auch die äußere, erfordert Macht, das heißt die notwendigen „Handlungsmöglichkeiten und Handlungsbefugnisse“, um „das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit“273 zu verwirklichen. Materiale Elemente, die für die Souveränität seit Bodin weitgehend übereinstimmend für erforderlich gehalten werden, sind die Rechtsgewalt (Gesetzgebung und Rechtsprechung), Militär (Entscheidung über Krieg und Frieden), Ernennung von Beamten und Magistraten, Steuererhebung, Finanzen sowie die Entscheidung über die Währung274. Die „koordinationssrechtliche Seite“275 der äußeren Souveränität, das heißt der Anspruch auf Unabhängigkeit von fremder Willkür, schützt also die 269 Ebenda, S. 156 ff.; vgl. zu der Problematik auch Ch. B. Fulda, Demokratie und pacta sunt servanda, 2002, S. 93 ff. 270 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 148 ff. 271 Zur Souveränität als Selbstbestimmung A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 155 ff. 272 Ebenda, S. 156. 273 Zum „guten Leben aller in allgemeiner Freiheit und damit der Gleichheit und Brüderlichkeit“ siehe K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1 ff., 54 ff., 297 ff., 350 ff., 494 ff., 573 ff., 625 ff.,; ders,: Freiheit in der Republik, S. 60 ff., 143 ff., 297 ff., 484 ff. 274 Diese Elemente hatte bereits Bodin als unverzichtbar erkannt. Siehe J. Bodin, République, I, 9, I, 10, p. 223 f., 162 f.; dazu K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 150. 275 Im Völkerrecht wird der äußere Souveränitätsanspruch auch als „koordinationsrechtliche Seite“ bezeichnet, im Gegensatz zur inneren Souveränität, der „subordi-
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„subordinationsrechtliche Seite“ nach innen im Sinne einer „Herrschaft über das Recht“276, welche die „Freiheit des Volkes im Staat“277, nämlich seinen Willen verwirklicht. „Der Wille des Volkes wird im demokratischen Verfahren ermittelt, erkannt und beschlossen. Das heißt: Jede Politik, die dem demokratischen Prinzip der politischen Willensbildung nicht genügt, verletzt die Souveränität des Volkes278.“
III. Integrationistischer Ansatz und Prinzip der politischen Freiheit Ein freiheitliches Rechts- und Staatsverständnis, aus welchem ein freiheitlicher Souveränitätsbegriff hervorgeht, lässt sich mit der oben dargestellten integrationistischen Dogmatik nicht vereinbaren. Während ersterem die Identität von Freiheit, Demokratie und Souveränität wesentlich ist, entwickelt die holistische Lehre den Souveränitätsbegriff auf der Grundlage eines im Entstehen begriffenen Weltstaates279. In diesem Sinne erklärt Juliane Kokott die staatliche Souveränität für „teilbar“. „Souveränitätselemente“ könnten sowohl „nach oben, zu „supra- und internationalen Organisationen, als auch nach unten, zu Regionalkörperschaften und anderen unter- und nichtstaatlichen Gruppen, einschließlich von Nichtregierungsorganisationen“ übertragen werden280. Dieses Verständnis einer teilbaren und übertragbaren Souveränität stellt die Identität des freiheitlich verfassten Gemeinwesens zur Disposition und löst das demokratische Prinzip seinem Wesen nach auf. Es beruht auf derselben herrschaftlich geprägten Idee wie die im Rahmen des Demokratiebegriffs zu diskutierende Lehre von der Output-Legitimation (Teil 5, B., I.), deren dogmatische Grundlage ebenfalls die Trennung von Staat und Bürgerschaft ist. Schliesky spricht von der „gedanklichen Unterscheidung zweier Sphären – Herrschaftsordnung einerseits und Gesellschaft als Summe der mit einationsrechtlichen Seite“. Vgl. P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion über das Problem der Souveränität, S. 366. 276 Ebenda. 277 Und auf diese Weise verwirklicht sich der materielle Rechtsstaat (innere Souveränität). Dazu K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 129 ff. 278 „Die Souveränität des Volkes als dessen Freiheit verlangt strikte Einhaltung des demokratischen Prinzips.“ Ebenda, S. 106. 279 A. Emmerich-Fritsche, Internationaler und globaler Diskurs über ethische Grundlagen universaler Rechtsgeltung: Selbstbestimmung als Verhinderung oder Grundlage einer globalen Ethik?; dies., Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 188 ff. 280 J. Kokott spricht von „Souveränitätsmodifikation“, Souveräne Gleichheit und Demokratie im Völkerrecht, S. 522 f.
B. Dogmatische Grundlagen der Souveränität: Freiheit, Recht und Staat 249
genen Rechten ausgestatteten Individuen“281 und fordert, die Staatsgewalt des Staates „durch die Herrschaftsgewalt als neues Bezugsobjekt von Souveränität“282 zu ersetzen. Die Souveränität beschränke sich schließlich auf die „Rechtsetzungs- und Rechtsdurchsetzungsbefugnis“283. Entsprechend diesem Verständnis von Souveränität kann bei Vorliegen der Begriffsbestandteile auch Zusammenschlüssen wie der Troika eine „Herrschaftsgewalt im europäischen Mehrebenensystem“284 zugesprochen werden. Die Einzigkeit der Herrschaftsgewalt kann auch bei den Maßnahmen der Troika – ebenfalls ein Ableitungsbeispiel für „Pluralität von Herrschaftsgewalten“ – bejaht werden; denn auch die Troika erfüllt nach Schlieskys Dogmatik das Kriterium des Souveränitätsbegriffs, nämlich „die rechtliche Koordinierung von Herrschaftsgewalt(en) zur Einzigkeit und Einheitlichkeit in der jeweils konkreten Entscheidung bzw. Handlung, d. h. bezüglich der Wirkungsdimension von Herrschaftsgewalt“285. Dogmatisch begründet wird der integrationistische Ansatz – mehr moralisch als rechtlich – unter Berufung auf die universale Geltung der Menschenrechte, respektive mit einem Anspruch der „nicht hinreichend repräsentierten Menschen“ auf „Beachtung der Volkssouveränität“286. Die Argumentation zielt auf einer Ausweitung des völkerrechtlichen Pflichtenkreises und sucht den „Durchgriff durch die Staatssouveränität“287 über die Konstruktion einer rechtfertigenden Pflichtenkollision zu legitimieren. Auf der einen Seite bestehe die Verpflichtung zur Anerkennung staatlicher Souveränität, auf der anderen Seite stehe die Staatengemeinschaft in der Pflicht, die Verwirklichung der Menschenrechte notfalls selbst in die Hand zu nehmen. Indem der Integrationismus dem Einzelnen auf der Ebene des Völkerrechts Völkerrechtspersönlichkeit zuerkennt, begründet er eine allgemeine Beistandspflicht und damit Interventionsrechte, welche sich nach verbreiteter Auffassung bereits in der „responsibility to protect“ völkergewohnheitsrechtlich materialisiert haben288. 281 Ebenda,
S. 564. S. 586. 283 Ebenda, S. 587. 284 Ebenda, S. 586. 285 Ebenda, S. 545. 286 Ebenda, S. 532. 287 Ebenda, S. 532. 288 „Immer energischer wird der Wille bekundet, den traditionellen Aufgabenbereich der Sicherung und Wiederherstellung des internationalen Friedens um die Ziele des Schutzes und der Durchsetzung der Menschenrechte zu erweitern und das Gewaltvermeidungsgebot entsprechend einzuschränken. Die Umrisse eines neuen Interventionismus zeichnen sich ab.“ W. Kersting, Plädoyer für einen nüchternen Universalismus, S. 3. 282 Ebenda,
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Jürgen Habermas spricht von der allmählichen „Transformation des Völkerrechts in ein Recht der Weltbürger“289. Unter dem integrationistischen Ansatz verliert der Staat sein Recht auf souveräne Gleichheit innerhalb der Staatengemeinschaft290, indem seine innere Legitimität der äußeren Legitimität weitgehend gleichsetzt wird291. Verliere ein Staat seine innere Legitimität, könne er auch keine äußere Legitimität beanspruchen und wenn auf diese Weise bestimmte politische Standards nicht eingehalten werden, sollen Interventionen gerechtfertigt sein, um die betroffenen (Welt)Bürger zu schützen292. Die integrationistische Lehre redet einem häufig unkritischen Interventionismus das Wort (Stichwort: Souveränität als „save heaven“ für Unrechtsregime), obgleich dessen Überwindung recht eigentlich das Ziel der modernen Völkerrechtsentwicklung war293. Der Sache nach bedeutet das eine Verfor289 J. Habermas, Bestialität und Humanität, Ein Krieg an der Grenze zwischen Recht und Moral, in: Die Zeit Nr. 18/99, S. 1; umfassend zur Materie des Weltbürgerrechts Angelika Emmerich-Fritsche, die den Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht vor allem darin erkennt, dass nicht mehr wie im Völkerrecht der Staat, sonder der Mensch Subjekt des Weltrechts ist. Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 561 ff. Im weltrechtlichen Paradigma gelte zwar das Prinzip der Einmischung, welches dem Souveränitätsprinzip grundsätzlich vorgehe. Das Gewaltverbot sei „als zwingendes Recht […] aber immer zu beachten“. Deshalb sei ein „Prinzip ‚wechselseitiger Einmischung‘ zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts und der rule of law“ nicht uneingeschränkt anzuerkennen (S. 1048). 290 Zur Gleichheit der Staaten A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 158 ff. 291 Jürgen Habermas versteht unter Legitimität die Anerkennungswürdigkeit einer politischen Ordnung, J. Habermas, Zur Rekonstruktion des historischen Materialismus, 1976, S. 272; vgl. auch G. Palazzo, Die Mitte der Demokratie, Über die Theorie deliberativer Demokratie von Jürgen Habermas, 2002, S. 43 ff. Die Menschenrechte sind der universale Maßstab jeder Legitimität. Als deren Verwirklichung beansprucht das demokratische Prinzip daher allgemeine Verbindlichkeit. 292 H. Schermers, Different Aspects of Sovereignty, S. 191. Thomas Pogge fordert als Antwort darauf, dass sich ein Regime falsch, das heißt menschenrechtsfeindlich verhält, den Entzug des Kreditprivilegs, also des international anerkannten nationalstaatlichen Rechts, im Namen eines Landes Kredite aufzunehmen. Damit könne der Handlungsspielraum unliebsamer Regime empfindlich beschnitten werden. In besonderen Fällen geht die Staatenpraxis darüber hinaus und verwehrt dem Regime nicht nur den Zugang zu Krediten, sondern auch zu den im Ausland verwalteten eigenen Vermögensbeständen (etwa im Umgang mit dem Iran, dessen Konten in den USA eingefroren wurden). Th. Pogge, Menschenrechte als moralische Ansprüche an globale Institutionen, in: S. Gosepath/G. Lohman (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, 1998, S. 386 f.; ders., Priorities of Global Justice, in: Metaphilosophy, Vol. 32, 1–2, 2001, S. 20; ders. Internationale Gerechtigkeit. Ein universalistischer Ansatz, in: Ballestrem, K. Graf (Hrsg.), Internationale Gerechtigkeit, 2001, S. 47, 50 ff. 293 „UNO-Verwaltung unter völkerrechtlich gebotener Berücksichtigung der Interessen und Partizipation der Bevölkerung kann nicht unter dem Hinweis auf
B. Dogmatische Grundlagen der Souveränität: Freiheit, Recht und Staat 251
mung des Völkerrechts als einer Koexistenzordnung, in welcher die Koexistenz der Staaten durch die Anerkennung ihrer Souveränität gewährleistet ist. Schließlich institutionalisiert das Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten das Friedensprinzip im Völkerrecht. Dagegen erkennt Juliane Kokott die Legitimation des Staates nicht originär im Willen seiner Bürger, sondern im Willen der Staatengemeinschaft, der sich insbesondere im Wirken Internationaler Organisationen materialisiert. Ein Staatsrechtsverständnis, nach welchem der Staat seine Souveränität von der Staatengemeinschaft übertragen erhält, verschiebt aber die Grenzen außerhalb des Rechts „ins machtpolitisch Disponible“294 (von der rights-based zur power-based Konfliktlösung), weil die Art und Weise wie ein Volk seine inneren Angelegenheiten verwirklicht, einer politischer Bewertung von außen anheim gestellt wird. Das darin zum Ausdruck kommende Vertrauen auf eine überlegene Vernunft und Rechtsetzungsfähigkeit der Staatengemeinschaft scheint in Anbetracht der politischen Realitäten zweifelhaft und weder empirisch noch rechtlich hinreichend begründbar. Internationale Organisationen können Macht besitzen, aber keine Souveränität. In Organisationen der Staatengemeinschaft, namentlich den Organen der Vereinten Nationen, der Weltbank, der Welthandelsorganisation oder des IWF, werden nicht die Menschenrechte der einzelnen Bürger verwirklicht, sondern es wird in aller Regel Macht ausgeübt295. Eine Beurteilung der inneren Angelegenheiten eines Staates nach rechtlichen Kriterien ist in der Praxis – abgesehen von Fällen schwerster Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord – kaum möglich, wie nicht zuletzt die stets kontrovers diskutierten Menschenrechtsberichte des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen beispielhaft vor Augen führen. Eine Bewertung erfolgt regelmäßig Staatensouveränität abgewehrt werden. Das die staatliche Souveränität schützende Interventionsverbot wird also eingeschränkt […].“ J. Kokott, Souveräne Gleichheit und Demokratie im Völkerrecht, S. 532. Kritisch dagegen Reinhard Merkel: Nach geltendem Völkerrecht verliere ein Staat seine äußere Legitimität allein in Fällen, in welchen er „die Grundpflichten jedes Staates, die seine Existenz als zwangsrechtliche Ordnung allererst legitimieren, missachtet, ja in ihr Gegenteil verkehrt: mit der systematischen Vernichtung der eigenen Zivilbevölkerung oder großer Teile von ihr im Modus völkerrechtlicher Verbrechen“. R. Merkel zur Lage des Völkerrechts im Bürgerkrieg, FAZ vom 22. März 2011, Die Militärintervention gegen Gaddafi ist illegitim. 294 So R. Merkel zur Schwelle des völkerrechtlichen Interventionsverbots bei Bürgerkriegen, ebenda. 295 Die Frage der demokratischen Legitimation und der Wahrung der Menschenrechte stellt sich nicht nur dort, „wo es ein Volk gibt, sondern [überall] dort, wo Macht entsteht“ (S. Puntscher Riekmann, Die kommissarische Neuordnung Europas, 1998, S. 204), also auch beim IWF.
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außerhalb rechtlicher Maßstäbe und sucht sich stattdessen politisch-moralistisch, letztlich herrschaftlich zu legitimieren, in der Praxis nicht selten orientiert an den sachfremden Interessen der einflussreichen globalen Akteure. Die völkerrechtliche Verpflichtung zur politischen Korrektur der Nationalstaaten durch Intervention von außen, die Kokott am Beispiel evident undemokratischer Staaten entwickelt, ersetzt im Ergebnis die Willkür des Einen mit der Willkür des Anderen. Jedenfalls wird der politischen Freiheit der betroffenen Bürger durch Intervention der Staatengemeinschaft noch keine Geltung verschafft296. Im Übrigen steht eine solche Dogmatik im Widerspruch zum geltendem Völkerrecht. Völkerrecht ist keine genuine Rechtsquelle. Dementsprechend vermag die Staatengemeinschaft nicht, Souveränität zu erzeugen, sondern wendet den Grundsatz der souveränen Gleichheit im Umgang der Staaten untereinander an. Wolfgang Kersting weist mit John Rawls darauf hin, dass „internationale Gerechtigkeitsprinzipien allein die rechtliche Ordnung von zwischenstaatlichen Machtbeziehungen betreffen“297. Dies trägt dem Gedanken Rechnung, dass Souveränität aus dem autonomen Willen der Bürgerschaft entsteht und sich im Staat verwirklicht, indem sie das Recht zwischen den Staaten und innerhalb des Staates gewährleistet. Der Anspruch des Individuums auf gleiche Freiheit, das heißt „auf eine äußerlich ungestörte selbstbestimmte gerechtigkeitspolitische Entwicklung der inneren gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse“, entfaltet sich grundsätzlich nur innerhalb des Staates298; denn die Souveränität des Staates schafft im Kantschen Sinn erst „die Bedingung der Möglichkeit von Recht überhaupt“299. Sie ist der völkerrechtliche Strukturbegriff, „der das Miteinander weltanschaulich verschiedenartiger Staaten ermöglicht“300.
296 Beispielhaft zu den Problemen sogenannter „Peace-building-Missionen“ in der völkerrechtlichen Praxis P. Fischer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Demokratisierung im Irak, 2008. 297 W. Kersting, Weltfriedensordnung und globale Verteilungsgerechtigkeit, S. 227 f. 298 Ebenda. Gegenüber anderen Staaten bestehe nur das individuelle „Recht auf eine äußerlich ungestörte gerechtigkeitspolitische Entwicklung der inneren gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse“. W. Kersting, Weltfriedensordnung und globale Verteilungsgerechtigkeit, S. 209. 299 T. Rademacher, Kants Antwort auf die Globalisierung, 2010, S. 195. 300 P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion über das Problem der Souveränität, S. 364.
C. Souveränität und Völkerrecht: das Recht auf innere Selbstbestimmung253
C. Der Souveränitätsbegriff als Recht auf innere Selbstbestimmung im Völkerrecht Die „Beziehungen zwischen den Nationen“, wie sie die Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta) regelt, beruht „auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker“ (Art. 1 Nr. 2 UN-Charta)301; denn Staaten können „nur unabhängig vom Willen anderer Staaten, also souverän sein, wenn sie sich ungeachtet ihrer wirtschaftlichen oder politischen Macht untereinander rechtlich als gleich (souverän) achten“302. Art. 2 Nr. 1 UN-Charta positiviert das grundlegende völkerrechtliche Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten303. Art. 2 Nr. 7 UNCharta korrespondiert mit diesem Grundsatz und stellt klar: „Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden.“
Die äußere Souveränität erfordert Unabhängigkeit „im Sinne der Abwesenheit einer den Staaten übergeordneten Autorität“304. Die Unabhängigkeit der Staaten ist das elementare Wesensmerkmal des Völkerrechts, und begründet die Völkerrechtssubjektivität der Staaten305. Ein Staat ist souverän, wenn er „seine inneren Angelegenheiten frei und unabhängig von jeder Einflussnahme und Bevormundung durch andere Staaten gestalten kann“306. Zur Souveränität gehört gleichermaßen die Freiheit, „selbständig und ohne äußeren Druck über sein eigenes politisches, wirtschaftliches, soziales und kulturelles System zu entscheiden“307. 301 Zum völkerrechtlichen Anspruch eines Volkes auf (demokratische) Selbstbestimmung A. Emmerich-Fritsche, Internationaler und globaler Diskurs über ethische Grundlagen, universaler Rechtsgeltung: Selbstbestimmung als Verhinderung oder Grundlage einer globalen Ethik?, S. 29 ff. 302 A. Emmerich-Fritsche, Völkerrecht zum Weltrecht, S. 158. 303 Zum Gleichheitsprinzip als Ausdruck der Souveränität der Staaten G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, S. 236. Dabei handelt es sich grundsätzlich um eine Gleichheit vor dem Recht, also einen formalen Gleichheitsbegriff. W. Graf Vitzthum, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 31, Rdn. 84; zur Stimmengewichtung in internationalen Organisationen als Ausdruck des Gleichheitsprinzips Ch. Tomuschat, The Founding Principles of the International Legal Order, 1999, S. 191 ff. 304 J. Kokott, Souveräne Gleichheit und Demokratie im Völkerrecht, S. 519. 305 F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, 1975, S. 180. 306 D. Murswiek, Die Vereinigung Deutschlands, S. 21. 307 M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 6, Rdn. 4. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker gewannt insbesondere durch die 14-Punkte-Erklärung von US-Präsident Wilson im Jahr 1918 völkerrechtliche Bedeutung. Dazu W. Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, 1994.
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Gemäß der Prinzipiendeklaration308 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 24. Oktober 1970309 umfasst das Prinzip der souveränen Gleichheit das Recht jedes Staates, sein politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles System frei zu wählen und zu entwickeln310. Die Verfassungsautonomie ist also ein Wesensmerkmal des souveränen Staates311. In diesem Sinne hat der Internationale Gerichtshof (IGH) im NicaraguaUrteil erkannt312: „However the regime in Nicaragua be defined, adherence by a State to any political doctrine does not constitute a violation of customary international law, to hold otherwise would make nonsense of the fundamental principle of State sovereignty on which the whole international law rests, and the freedom of choice of the political, social, economic and cultural system of a State.“
Das Prinzip der Selbstbestimmung erstreckt sich neben dem Recht auf äußere Selbstbestimmung, der Personalhoheit und der Gebietshoheit, auch auf das Recht der inneren Selbstbestimmung313. Der Staat kann sich selbstbestimmt eine Verfassung geben, beliebige Gesetze für seine Staatsbürger erlassen und „jede Einwirkung fremder Staaten oder Internationaler Organisationen in seine inneren Angelegenheiten untersagen oder missachten“314. 308 Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Cooperation among States in accordance with the Charter of the United Nations, GA Res. 2625 (XXV), UNYB 1970, S. 788 ff. Zur Frage des Rechtscharakters der Deklarationen der UN-Generalversammlung E. Klein/K. Hailbronner, Art. 10, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, 1991, Rdn. 43 ff. 309 Generalversammlung, Erklärung über völkerrechtliche Grundsätze für freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Sinne der Charta der Vereinten Nationen, A/Res/2625 (XXV) vom 24.10.1970. 310 Siehe A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 454. 311 A. Puttler, Gleichheit im Völkerrecht, in: P. Kirchhof/R. Mellinghoff (Hrsg.), Gleichheit im Verfassungsstaat, 2008, S. 220. 312 Vgl. ICJ Rep. 1986, para. 263, S. 133. Military and Paramiliary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua vs. United States of America), ICJ Reports 1986, para. 263, S. 133; U. Beyerlin, Nichteinmischung, in: Seidl-Hohenveldern, Lexikon des Rechts, 2. Aufl., 1992, S. 379, Rdn. 4. 313 Angelika Emmerich-Fritsche resümiert, dass „für die Frage, inwieweit Selbstbestimmung auch Self-governance beinhaltet und im konkreten Fall als politischer Status gewählt wird, vornehmlich der Wille der Völker entscheidend [ist]. Das ist der Kern ihres Rechts auf Demokratie“. A. Emmerich-Fritsche, Recht auf Demokratie – Politische Selbst- und Mitbestimmung als Menschen- und Völkerrecht, S. 236 ff., 243; vgl. dazu auch F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, S. 181. 314 D. Murswiek, Die Vereinigung Deutschlands, S. 22; siehe zum Unterschied zwischen Selbstbestimmungsrecht und Demokratiegebot R. Arajuo, Sovereignty, Human Rights, and Self-Determination: The Meaning of International Law, Fordham International Law Journal, Bd. 24, 2001, S. 1490 ff.; M. Reisman, Sovereignty and Human Rights in Contemporary International Law, 1990, S. 866.
C. Souveränität und Völkerrecht: das Recht auf innere Selbstbestimmung255
I. Interventionsverbot Die Souveränität eines Staates ist durch die gleiche Souveränität jedes anderen Staates begrenzt und deshalb ist „Souveränität als ‚Handlungsfreiheit‘ und ‚Selbstbestimmung‘ […] im modernen Völkerrecht kein Recht zur Beliebigkeit und Willkür“315. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit wird durch das Interventionsverbot gewährleistet316. Es verbietet Staaten, sich in die inneren und äußeren Angelegenheiten anderer Staaten unter Androhung oder Anwendung von Zwang einzumischen317. Inhaltlich gewährleistet das Verbot die Grenzen der äußeren Souveränität, welche um der inneren Souveränität willen gezogen sind (Komplementärfunktion)318. Der Interventionsbegriff des Art. 2 Abs. 4 UN-Charta ist deshalb weit gefasst. Geschützt ist die territoriale Integrität und die politische Unabhängigkeit des Staates. Das Interventionsverbot geht über die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt hinaus. Es schützt die Entscheidungsgewalt des Staates, die nicht nur durch „dictatorial interference“, sondern auch durch andere Verhaltensweisen beeinträchtigt werden kann319. Deshalb werden auch „wirtschaftliche, politische und subversive Eingriffe, mit denen ein Staat einen anderen zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen versucht“ vom Interventionsbegriff erfasst320. Problematisch ist, dass weite Bereiche staatlichen Handelns zugleich auch Gegenstand völkerrechtlicher Regelungen, bi- oder multilateraler Verträge und Abkommen Internationaler Organisationen sind321. Die Abgrenzung zur inneren Angelegenheit im Sinne des Art. 2 Abs. 4 UN-Charta wird nach überwiegender Ansicht danach getroffen, „ob es den Streitpunkt betreffende 315 A. Emmerich-Fritsche,
Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 156 f. zum Interventionsverbot A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 380 ff. 317 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 300. Das Interventionsverbot wird durch die Interventionsbefugnisse des UN-Sicherheitsrats nach Kapital VII der UN-Charta zur Wahrung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit durchbrochen. 318 H.-J. Siegert, Die völkerrechtliche Bewertung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen: Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Interventionsverbotes, in: H.-J. Heintze (Hrsg.), Von der Koexistenz zur Kooperation, 1992, S. 119. 319 Vgl. Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua vs. United States of America), ICJ Reports 1986, S. 14, 108; U. Beyerlin, Nichteinmischung, in: Seidl-Hohenveldern, Lexikon des Rechts, S. 379, Rdn. 4; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 300; G. Dahm/J. Delbrück/ R. Wolfrum, Völkerrecht, S. 802. 320 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 300; G. Dahm/J. Delbrück/ R. Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, S. 802; N. M. Pyschny, Good Governance, S. 175. 321 Dazu H. Kelsen, Principles of International Law, 1966, S. 290 ff. 316 Siehe
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Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
internationale Regeln gibt“322. Das Interventionsverbot schützt nur diejenigen Bereiche staatlichen Handelns, welche in die alleinige Zuständigkeit des Staates fallen (domaine réservé)323. Inwiefern die Konditionalität des IWF als völkerrechtswidrige Intervention zu subsumieren ist, bedarf der Klärung (dazu Teil 4, C., III.). Zuvor aber sind Inhalt und Wesen der Konditionalitätspolitik näher zu erörtern.
II. Grenzen des Rechts auf innere Selbstbestimmung Das Recht auf innere Selbstbestimmung unterliegt den allgemeinen Regeln des Völkerrechts324. Insbesondere die Bestimmungen, welche dem Schutz der Menschenrechte dienen, setzen der innenpolitischen Gestaltungsfreiheit Grenzen325, innerhalb derer die Menschenrechte zu verwirklichen sind. Art. 28 AEMR positiviert einen Anspruch „auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können“. Nach Art. 29 AEMR sind Rechtsstaatsprinzip und demokratische Gesellschaft Grundlage für eine Verwirklichung der Menschenrechte. In der Literatur wird vertreten326, dass der völkerrechtliche Schutz der Menschenrechte bereits völkergewohnheitsrechtlich anerkannt sei327. Angelika Emmerich-Fritsche resümiert, dass die „in Art. 28, 322 N. M. Pyschny, Good Governance, S. 176 mit Verweis auf H. Kelsen, Principles of International Law, S. 297. Mit Blick auf die Vielzahl internationaler Regelungen erscheint dies fragwürdig; denn das hätte zur Folge, dass der Bereich der inneren Angelegenheiten weit zurückgedrängt würde. Als weiteres Kriterium müsste die Frage hinzutreten, ob in der fraglichen Angelegenheit auch andere Staaten unmittelbar betroffen sind. Bei innerstaatlichen Angelegenheiten ist dies in der Regel zu verneinen. So dürfte auch das von Pyschny zur Begründung zitierte Urteil des StIGH zu verstehen sein: „The words ‚solely within the domestic jurisdiction‘ seem rather to contemplate certain matters which, though they may very closely concern the interests of more than one State, are not, in principle, regulated by international law. As regards such matters, each State is sole judge.“ – Nationality Decrees Issued in Tunis and Morocco, PCIJ, Series B, No. 4, S. 24. Angelegenheiten, die andere Staaten betreffen, sind innere Angelegenheiten der Staaten, sofern sie nicht international geregelt sind. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass alle Angelegenheiten, die international geregelt sind, nicht mehr Teil des vom Interventionsverbot geschützten Bereich des domaine réservé sind. 323 Dazu K. Ipsen/H. Fischer, Völkerrecht, § 59, Rdn. 50. 324 Souveräne Staaten verwirklichen durch vertragliche Vereinbarungen ihre Gestaltungsfreiheit. Vgl. D. Murswiek, Die Vereinigung Deutschlands, S. 22. 325 Dazu J. Delbrück, Menschenrechte im Schnittpunkt zwischen universalem Schutzanspruch und staatlicher Souveränität, 1979, S. 384 ff. 326 So zum Beispiel G. Dahm/J. Delbrück, Völkerrecht, I/1, S. 217. 327 So sei der Schutz fundamentaler Menschenrechte, wie das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit, allgemein anerkannt. Zumindest sei die Behand-
C. Souveränität und Völkerrecht: das Recht auf innere Selbstbestimmung257
29 AEMR angesprochene Forderung, die Freiheit oder – neutraler formuliert – die Interessen des einen mit denjenigen des anderen durch das Recht zu vereinbaren, […] die universale ethische Grundlage eines sich ‚konstitutionalisierenden‘ universalen Rechts“ ist328. Wieweit ein völkergewohnheitsrechtlicher Schutz fortgeschritten und anzuerkennen ist, mag insofern dahinstehen, als der Schutz der Menschenrechte durch die UN-Menschenrechtspakte bereits vertragsrechtlichen Bindungen unterliegt, welche inhaltlich über ein eventuelles Völkergewohnheitsrecht hinausgehen329.
III. Charta der Vereinten Nationen Die UN-Charta verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht zu einer bestimmten Gestaltung ihrer innerstaatlichen Ordnung330, wohl aber zum Schutz der Menschenrechte331, etwa in der Präambel (dort als Grundrechte), in Art. 1 Nr. 3 oder Art. 55 c) UN-Charta. In der Präambel formulieren die Mitgliedstaaten den gemeinsamen „Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit und an die Gleichberechtigung von Mann und Frau“. Art. 1 Nr. 3 UN-Charta enthält die Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit, um die „Achtung vor den Menschenrechten […] zu fördern und zu festigen.“ Insgesamt steht die UN-Charta auf einem gemeinsamen Wertefundament, welches die Mitgliedstaaten als universell gültig anerkennen und nennt als Ziele der UNO die „Erhaltung und Stärkung des Weltfriedens auf der Grundlage von Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Achtung der grundlegenden Menschenrechte. Für Angelika Emmerich-Fritsche ist aus der in den Vereinten Nationen (UNO) gebildeten lung von Ausländern, die sich auf fremdem Territorium aufhalten, gewohnheitsrechtlich geregelt, F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, S. 406 ff. Ob der Schutz der eigenen Staatsangehörigen ebenfalls völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist, ist jedoch fraglich. Zustimmend zum Beispiel T. in: J. Kokott/K. Doehring/T. Buergenthal, u. a., Grundzüge des Völkerrechts, 3. Auflage 2003, S. 111. Skeptisch D. Murswiek, Die Vereinigung Deutschlands, S. 23. 328 A. Emmerich-Fritsche, Internationaler und globaler Diskurs über ethische Grundlagen, universaler Rechtsgeltung: Selbstbestimmung als Verhinderung oder Grundlage einer globalen Ethik?, S. 37. 329 So auch D. Murswiek, Die Vereinigung Deutschlands, S. 23: Der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz basiere heute auf einer „umfassenden vertragsrechtlichen Basis“ und die Frage nach der völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung habe daher „vor allem akademischen Charakter“. 330 A. Emmerich-Fritsche, Recht auf Demokratie – Politische Selbst- und Mitbestimmung als Menschen- und Völkerrecht, S. 230 ff. 331 C. Janik, Die Bindung Internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards, S. 146 ff.
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Rechtsüberzeugung der Staatenvertreter „im Sinne von soft law eine gemeinsame (ethische) Auffassung über das richtige Handeln ableitbar“332. Diese Werte stellen die Würde des Menschen, die Freiheit und die Gleichheit, in den Mittelpunkt der internationalen und der nationalen Rechtsordnung. Dieter Murswiek stellt klar, dass der Gegenstand dieses Ziels nicht die Gewährleistung der Menschenrechte, sondern die Förderung der internationalen Zusammenarbeit ist333. Daraus ergibt sich keine Verpflichtung zu einer „konkreten Gestaltung der innerstaatlichen Ordnung“334. Im Gegenteil gilt im klassischen Völkerrecht der in Art. 2 Nr. 1 UN-Charta positivierte Grundsatz, dass die Staaten für „die Regelung ihrer inneren Angelegenheiten allein verantwortlich“ sind und „das Völkerrecht grundsätzlich in diese inneren Angelegenheiten nicht hineinregiert“335. Dementsprechend deklariert Art. 1 Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (CERDS) vom 12. Dezember 1974 zu den ökonomischen Rechten und Pflichten der Staaten: „Every State has the sovereign and inalienable right to choose its economic system as well as its political, social and cultural systems in accordance with the will of its people, without outside interference, coercion or threat in any form whatsoever.“
IV. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, namentlich der Zivilund Sozialpakt, haben eine herausgehobene völkerrechtliche Bedeutung. Sie verschaffen dem wesentlichen Inhalt der Allgemeinen Menschenrechtserklärung völkerrechtliche Verbindlichkeit336. Außerdem materialisieren sie die Grundsätze der UN-Charta, insbesondere den Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker337. Während nach klassischem Völkerrecht die Gestaltung der inneren Ordnung „ausschließlich eine innere Angelegenheit eines jeden Staates“338 ist, enthält der Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 332 A. Emmerich-Fritsche, Internationaler und globaler Diskurs über ethische Grundlagen, universaler Rechtsgeltung: Selbstbestimmung als Verhinderung oder Grundlage einer globalen Ethik?, S. 22. 333 D. Murswiek, Die Vereinigung Deutschlands, S. 30 f. 334 Ebenda, S. 31. 335 Ebenda, S. 31. 336 A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 467. 337 Die Übereinstimmung des Inhalts mit der UN-Charta bestätigt auch der General Comment Nr. 12 des Menschenrechtsausschusses zum Selbstbestimmungsrecht in Art. 1 (vom 13. März 1984, UN-Dok. HRI/GEN/1/Rev.6, S. 134.). Siehe A. Emmerich-Fritsche, Recht auf Demokratie – Politische Selbst- und Mitbestimmung als Menschen- und Völkerrecht, S. 230. 338 D. Murswiek, Die Vereinigung Deutschlands. S. 24.
C. Souveränität und Völkerrecht: das Recht auf innere Selbstbestimmung259
19. Dezember 1966 (IPbpR)339 eine inhaltlich umfassende Verpflichtung der Vertragsstaaten auf die Gestaltung der inneren Ordnung340. Innerhalb des Umfangs der Verpflichtungen des Vertrages unterliegt die Souveränität des Staates und die Gestaltung seiner Verfassung also materiellen Grenzen341. Der Pakt ist neben dem UN-Sozialpakt und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte eines der grundlegenden Menschenrechtsabkommen. Er garantiert individuelle Freiheitsrechte, politische Rechte, sowie „Ansätze zu Ve rfassungsstrukturprinzipien“342. Art. 1 Abs. 1 IPbpR führt zum Selbstbestimmungsrecht der Völker, zur inneren Verfassung, weiter aus: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“
Art. 25 IPbpR garantiert ein staatsbürgerliches Mitwirkungsrecht. Danach hat jeder Bürger das Recht und die Möglichkeit, (a) an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen, (b) bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet ist, zu wählen und gewählt zu werden, (c) unter allgemeinen Gesichtspunkten der Gleichheit zu öffentlichen Ämtern seines Landes Zugang zu haben. Ob der Pakt eine völkerrechtliche Verpflichtung zum demokratischen Prinzip enthält, ist umstritten343. In der Literatur wird teilweise die Auffassung 339 BGBl. 1973 II; S. 1534. Vgl. dazu H. Floretta/T. Öhlinger, Die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, 1978; E. P. Goose, Der internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, NJW 1974, S. 1305 ff.; R. Hofmann, Erläuterungen zu dem IPBPR, in: Das Deutsche Bundesrecht, 1986; A. Khol, Der Menschenrechtskatalog der Völkerrechtsgemeinschaft, 1968; W. Lauff, Der Schutz bürgerlicher und politischer Rechte durch die Vereinten Nationen, NJW 1981, S. 2611 ff.; M. Nowak, UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll: CCPRKommentar, 1989. 340 D. Murswiek, Die Vereinigung Deutschlands, S. 24. Diesen Pakten müsse man daher für die Auslegung der Charta der Vereinten Nationen Bedeutung zusprechen. 341 Das Selbstbestimmungsrecht, welches Art. 1 der UN-Menschrechtspakte ausdrücklich anerkennt, steht nicht in Widerspruch zu den Verpflichtungen zur innerstaatlichen Ordnung. Bei den Verpflichtungen der UN-Menschenrechtspakte handelt es sich um den „universalen Konsens der Völkerrechtsgemeinschaft“, welchem sich die Vertragsstaaten im Übrigen freiwillig vertraglich verpflichtet haben. D. Murswiek, Die Vereinigung Deutschlands, S. 25. 342 Ebenda. 343 So John Rawls: „Wenn von allen Gesellschaften gefordert würde, liberale Gesellschaften zu sein, fehlte es der Idee des politischen Liberalismus an der gebühren-
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Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
vertreten, dass Art. 25 IPbpR das Prinzip der Volkssouveränität materialisiere344. Art. 25 IPbpR und die im Vertrag garantierten Menschenrechte legen die Vertragsstaaten zwar implizit auf gewisse fundamentale Verfassungsstrukturprinzipien. Gleichwohl ergibt sich aus Art. 25 IPbpR keine Verpflichtung zu einem bestimmten demokratischen Modell und der Pakt enthält auch keine ausdrücklichen Bestimmungen, wie die Verfassungsstrukturprinzipien im Einzelnen auszugestalten seien. Insoweit wahrt der Pakt die souveräne innere Gestaltungsfreiheit der Vertragsstaaten. Nach Dieter Murswiek enthält der Pakt keine Festlegung der Vertragsstaaten auf das demokratische Prinzip345. Es sei nicht zureichend, das Prinzip der Volkssouveränität damit zu begründen, dass „irgendwelche Gremien oder Organe in periodischen Wahlen vom Volk gewählt“ würden. Murswiek erkennt jedoch an, dass der Pakt die Staaten zu den fundamentalen Prinzipien des Rechtsstaates, insbesondere den Menschenrechten als „klassische Grundrechte des freiheitlichen Rechtsstaates“, zum Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes, den klassischen Justizgarantien und zu einem unabhängigen Gerichtswesen, verpflichtet. Diese wesentlichen Prinzipien des Rechtsstaates implizieren aber zwingend, dass die Ausübung der staatlichen Gewalt vom Volk ausgeht. So garantiert der Pakt individuelle Freiheitsrechte, welche zugleich die Funktion staatsbürgerlicher Aktivrechte (oder politischer Freiheitsrechte) haben346, wie zum Beispiel das Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 19), die Versammlungsfreiheit (Art. 21) und die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit (Art. 22)347. Angelika Emmerich-Fritsche weist die demokratische Dimension des Selbstbestimmungsrechts aus dem Zusammenhang zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung, insbesondere aus dem gleichen ideengeden Toleranz gegenüber anderen Möglichkeiten gesellschaftlicher Ordnung.“ Das Recht der Völker, S. 8. 344 Daniel Thürer erkennt im Selbstbestimmungsrecht demokratische Elemente als „Voraussetzung und internationales Korrelat der Volkssouveränität“, Self-Determination, in: Rudolf Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Bd. IV 2000, S. 115; W. Nowak, CCPRKommentar, Art. 25, Rdn. 11. Der unbestimmte Wortlaut des Art. 25 IPBPR sei darauf zurückzuführen, dass man ein Grundrecht auf demokratische Partizipation habe anerkennen wollen, die nähere Ausgestaltung aber den Vertragsstaaten überlassen wollte. Ablehnend D. Murswiek, welcher für eine solche „extensive Interpretation“ der staatlichen Verpflichtungen keine zwingenden Gründe erkennt, Die Vereinigung Deutschlands, S. 25. 345 Ebenda, S. 22 ff. 346 Ebenda, S. 26. 347 Vgl. zu den Menschenrechtsverträgen A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 466.
C. Souveränität und Völkerrecht: das Recht auf innere Selbstbestimmung261
schichtlichen Ursprung beider Prinzipien sowie aus dem Wortlaut des Art. 21 Abs. 3 S. 1 AEMR nach. Während das Souveränitätsprinzip in der Absolutismuslehre gründe, habe die Aufklärung das Selbstbestimmungsrecht als ein „individuelles, bürgerliches Selbstbestimmungsrecht“ entdeckt: „Selbstbestimmung als Autonomie im Sinne der Aufklärung und der entsprechenden Praxis der Völker betrachtet den Menschen zugleich als Bürger und diesen nicht als bloßen Untertan, sondern auch als ‚gesetzgebendes Glied’“348. Im übrigen postuliere der Wortlaut des Art. 21 Abs. 3 S. 1 AEMR – „The will of the people shall be the basis of the authority of government […]“ – „nicht nur willkürfreie Herrschaft, sondern das Prinzip der Self-governance im Sinne eines anspruchsvollen Demokratieverständnisses“349. Entscheidend ist, dass die Vertragsstaaten des Zivilpaktes die gemeinsame Verpflichtung anerkennen, dass die Regierung dem Volk verantwortlich ist, von diesem kontrolliert, eingesetzt und abgesetzt wird. Das heißt, jene Staatsorgane, auf welche sich die rechtliche und tatsächliche Macht konzentriert, müssen hinreichend demokratisch legitimiert sein. Insofern materialisiert der Zivilpakt das demokratische Legitimationsprinzip350.
V. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966 (IPwskR)351 ist integraler Bestandteil der Charta der Vereinten Nationen. Er materialisiert den völkerrechtlichen Anspruch des Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, indem er das innere Selbstbestimmungsrecht der Völker garantiert und näher bestimmt. Art. 1 Abs. 1 348 A. Emmerich-Fritsche, Recht auf Demokratie – Politische Selbst- und Mitbestimmung als Menschen- und Völkerrecht, S. 236 (dort mit Verweis auf Kant, Metaphysik der Sitten (Fn. 55), S. 432 (A166/B 196), S. 469 (A 220/B 250); Rousseau (Fn. 55), I, 6. Kap.). 349 Ebenda. 350 Für Angelika Emmerich-Fritsche deutet der Umstand, dass der Zivilpakt von 167 Staaten ratifiziert wurde, „jedenfalls auf einen global weitgehend erreichten Konsens über zentrale demokratische Rechte“ hin. Recht auf Demokratie – Politische Selbst- und Mitbestimmung als Menschen- und Völkerrecht, S. 229. 351 BGBl. 1973 II, S. 1570. Dazu z. B. H. Floretta/T. Öhlinger, Die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen; H. Guradze, Die Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen vom 16. Dezember 1966, Inhalt – Verfahren – Bedeutung, 1971, S. 242 ff.; zu den sozialen Grundrechten allgemein D. Murswiek, in: Handbuch des Staatsrechts, V, § 112, Rdn. 41 ff.
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Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
IPwskR ist im Wortlaut identisch mit Art. 1 Abs. 1 IPbpR und unterstreicht die zentrale Bedeutung dieses Grundsatzes: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung“.
Der Pakt formuliert ebenfalls Verpflichtungen der Staaten zur innerstaatlichen Ordnung, insbesondere zum Sozialprinzip. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedingungen zu schaffen, um bestimmte fundamentale Rechte wirksam zu gewährleisten. Dazu gehören vor allem das Recht auf Arbeit (Art. 6), das Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen (Art. 7), das Recht auf soziale Sicherheit (Art. 9), das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen (Art. 9), das Recht auf Gesundheit (Art. 12), sowie das Recht auf Bildung (Art. 13). Die Staaten sind verpflichtet, die Maßnahmen zu treffen, um „mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen“ (Art. 2 Abs. 1).
VI. Zwischenergebnis Der „Begriff des äußeren Rechts“, der „gänzlich aus dem Begriffe der Freiheit im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander“352 hervorgeht, formuliert den elementaren Anspruch völkerrechtlicher Souveränität. Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten materialisiert die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“353 und setzt den Maßstab für die Beziehung zwischen den souveränen Mitgliedstaaten und internationalen Organisationen wie dem IWF. Legt man dem Souveränitätsbegriff eine freiheitliche Dogmatik zugrunde, so entspricht die völkerrechtliche Souveränität der Sache nach der Verwirklichung des demokratischen Prinzips innerhalb des Staates354. In diesem Sinne ist sie ein institutionalisiertes Menschenrecht. Herbert Krüger hat erkannt, dass die Souveränität „in ganz besonderem Maße unter dem Gesetz [steht], nichts anderes als die Vollmacht zum freien Finden und Verwirklichen des Richtigen zu sein“355. Für Jürgen Habermas bedeutet demokrati352 I. Kant, Über den Gemeinspruch, in: Werkausgabe, Hrsg. W. Weischedel 1977, Bd. XI, S. 144. 353 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345. 354 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 129 ff. 355 „Insbesondere ist sie am allerwenigsten imstande, sich hierbei der Gebundenheit an die Werte zu entwinden, unter denen alle staatliche Tätigkeit steht.“ H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 856.
C. Souveränität und Völkerrecht: das Recht auf innere Selbstbestimmung263
sche Selbstbestimmung, „dass die Adressaten zwingender Gesetze zugleich deren Autoren sind. In einer Demokratie sind Bürger einzig den Gesetzen unterworfen, die sie sich nach einem demokratischen Verfahren gegeben haben. Dieses Verfahren verdankt seine legitimierende Kraft einerseits der (wie auch immer vermittelten) Inklusion aller Bürger in die politischen Entscheidungsprozesse und andererseits der Verkoppelung von (erforderlichenfalls qualifizierten) Mehrheitsentscheidungen mit einer deliberativen Meinungsbil dung“356. Anderseits weist Angelika Emmerich-Fritsche darauf hin, dass die partizipatorisch-deliberative Meinungsbildung ihre legitimatorische Kraft einbüßt, wo sie „im System der global governance nicht über die Zugehörigkeit zu irgendeiner territorial definierbaren Gesamteinheit […], sondern durch eine möglichst vollständige Beteiligung sektoraler Referenzgruppen“ erfüllt wird357: „Weil partizipatorisch-deliberative Demokratie Beratungsrechte und echte Mitwirkungsrechte egalisiert, wird durch solche Umdefinitionen der Begriff „Demokratie“ verwässert und das Erfordernis der Selbstgesetzgebung zum Teil aufgegeben.“ Den souveränen Staat, verkörpern die Bürger in ihrer Gesamtheit358. Ebenso wie das demokratische Prinzip als das „Gemeinwesen der Freiheit“359 empfängt auch die Souveränität des Staates ihren Gehalt aus der Selbstbestimmung360, das heißt der Willensautonomie des Volkes. Für Udo Di Fabio sind daher „der souveräne Staat und die Volkssouveränität, die im Demokratieprinzip verankert ist, […] im Grunde identisch“361. Das Prinzip der Souveränität ergänzt das demokratische Prinzip als verbindlicher Rechtsmaßstab362 und verschafft dem Staat auf der Ebene des 356 J. Habermas,
Zur Verfassung Europas, 2011, S. 49. Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 665. 358 BVerfGE 123, 267, (248, 281 u. ö.); K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 51. 359 K. A. Schachtschneider, Freiheit – Recht – Staat, S. 677. 360 Angelika Emmerich-Fritsche erkennt den Kern des Demokratieprinzips ebenfalls im Selbstbestimmungsrecht. Dieses aber sei gegebenenfalls auch jenseits des Staates auf alle Betroffenen durch entterritorialisierte Verfahren freiheitlicher Selbstbestimmung zu ergänzen. Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 620 ff., S. 685. 361 „Der Verzicht auf staatliche Souveränität ist zugleich ein Verzicht auf Volkssouveränität. […] der souveräne Staat und die Volkssouveränität, die im Demokratieprinzip verankert ist, [sind] im Grunde identisch und vor grundlegenden Veränderungen geschützt.“ U. Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes. Positivierung vollzogenen Verfassungswandels oder Verfassungsneuschöpfung?, in: Der Staat, Bd. 32, 1993, S. 191, 206; ebenso E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhoff, HdBStR, Bd. I, § 22, Rdn. 5 ff. 362 Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist damit nicht nur „Programmsatz, sondern ein verbindliches Rechtsprinzip und als solches fester Bestandteil des geltenden Völkerrechts“. S. Roos, Der internationale Menschenrechtsschutz vor entwick357 A. Emmerich-Fritsche,
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Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
Völkerrechts eine in Art. 2 Abs. 1 UN-Charta normierte Rechtsposition, die das demokratische Prinzip innerstaatlich gewährleistet, indem es die Voraussetzungen der Freiheit garantiert. Zwar erkennen nicht alle Mitgliedstaaten des IWF das demokratische Prinzip an; für dessen Verbindlichkeit ist dies jedoch unerheblich, weil der IWF zumindest verpflichtet ist, die staatliche Souveränität seiner Mitglieder zu respektieren.
D. Bindung des IWF an das Souveränitätsprinzip und das demokratische Prinzip In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, die Vorschriften des UN-Sozialpaktes363 seien für Internationale Organisationen wie den IWF, der über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt, ohne Bindungswirkung, weil sie nicht in das Beziehungsabkommen mit dem Fonds integriert worden sind364. Dagegen spricht, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten des IWF Vertragspartner der Menschenrechtspakte sind. Die vertragliche Kooperationspflicht innerhalb des IWF gestattet es den Vertragsstaaten nicht, die völkerrechtlichen Bindungen zu umgehen. Art. 2 Abs. 1 UN-Sozialpakt betont die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit, „wie sie in der Arbeit Internationaler Organisationen zum Ausdruck kommt“365: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit, insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art, unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen.“ lungsbedingten Zwangsumsiedlungen und seine Sicherstellung durch Recht und Praxis der Weltbank, S. 202 ff.; K. Doehring, Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: B. Simma (Hrsg.), nach Art. 1, Rdn. 18. 363 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte., einzusehen unter http://www.igfm.de/menschenrechte/abkommen-und-vertraege/ipwks/# c814. 364 K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 250; kritisch T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 96 f.; E.-U. Petersmann plädiert für einen ergänzenden ‚Global Compact‘ zwischen der UN und deren Unterorganisationen, „… so as to integrate universally recognized human rights into the law and practice of intergovernmental organizations“; Time for a United Nations ‚Global Compact‘ for Integrating Human Rights into the Law of Worldwide Organizations: Lessons from European Integration, EJIL (2002), Vol. 13 No. 3, S. 621 f.; Ludwig Gramlich verweist auf Ansätze des Fonds zu einer stärkeren Berücksichtigung des „human factor“, L. Gramlich, Buchbesprechung zu K. Weigeldt: Die Konditionalität des IWF, ZaöRV, Bd. 60, 2000, S. 535. 365 A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 14.
D. Bindung des IWF an das Souveränitätsprinzip265
Der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialausschuss) hat daraus nicht nur eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, sondern auch der Internationalen Organisationen abgeleitet, „den Rechten des UN-Sozialpaktes zum Durchbruch zu verhelfen“366. Der Ausschuss geht in seinem General Comment zur sozialen Sicherheit davon aus, dass Internationale Organisationen unmittelbar an die im Sozialpakt enthaltenen Rechte gebunden sind367. So heißt es im General Comment No. 8368: „Just as the international community insists that any targeted State must respect the civil and political rights of its citizens, so too must that State and the international community itself do everything possible to protect at least the core content of the economic, social, and cultural rights of the affected peoples of that State.“
Der General Comment No. 19 stellt klar369: „The international financial institutions, notably the International Monetary Fund and the World Bank, should take into account the right to social security in their lending policies, credit agreements, structural adjustment programmes and similar projects, so that the enjoyment of the right to social security, particularly by disadvantaged and marginalized individuals and groups, is promoted and not compromised.“
Der IWF ist auch an Rechtsquellen außerhalb des Primärvertrages gebunden, namentlich an die von ihm geschlossenen völkerrechtlichen Verträge und jene, die seine Beteiligung vorsehen – etwa Art. 13 ESM-Vertrag –, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, einschließlich der Menschenrechte370. Die Souveränität der Mitgliedstaaten ist auch für den IWF ein verbindliches Rechtsprinzip371 und markiert die Grenze seiner Handlungsmöglichkeiten. 366 A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 15; CESCR, General Comment No. 8 (1997), UN Doc E/C.12/1997/8, Rdn. 11. 367 C. Janik, Die Bindung Internationaler Organisationen an Internationale Menschenrechtsstandards, S. 147; A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 15. 368 CESCR, General Comment No. 8 (1997), UN Doc E/C.12/1997/8, Rdn. 7. 369 UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights (CESCR), General Comment No. 19 (2008), E/C.12/GC/19, Rdn. 83. 370 Dazu S. Skogly, The Human Rights Obligations of the World Bank and the IMF, S. 65 ff.; M. Darrow, The World Bank, the International Monetary Fund and International Human Rights Law, 2006, S. 280 ff. Daneben stellt sich die Frage, ob der IWF auch an das ILO-Übereinkommen gebunden ist, welches etwa 190 Übereinkommen umfasst. Zwar ist der IWF selbst nicht Mitglied der Internationale Arbeitsorganisation (ILO), aber auch dieses Abkommen entfaltet eine mittelbare Geltung für den IWF. 371 Der formale Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Mitgliedstaaten ist auch für das IWF-Übereinkommen charakteristisch, zumal die IWF-Statuten – im Gegensatz zu den (ehemaligen) Art. XVIII, XXXVI ff. GATT-Übereinkommen – nicht zwischen Industrie- und Entwicklungsländern unterscheiden: E. U. Petersmann, Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform: Wirtschaftliche Dynamik als Völker-
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Teil 3: Grenzen des Mandats: Selbstbestimmungsrecht der Völker
Der Fonds legitimiert sich nicht aus sich selbst, sondern empfängt seine Legitimation aus der Souveränität der Mitgliedstaaten. Sie „verbietet die Herrschaft eines Staates oder einer Internationalen Organisation über einen anderen Staat“372. Deren Legitimation wiederum kommt von Seiten der Bürger der einzelnen Mitgliedstaaten, welche dem IWF durch völkerrechtlichen Vertrag bestimmte Aufgaben und Befugnisse zugewiesen haben. Übergriffe in die Souveränität der Mitgliedstaaten sind dem IWF wie jeder anderen internationalen Organisation grundsätzlich verwehrt; denn das den IWF legitimierende Verhältnis, das von Seiten seiner Mitglieder hergestellt wird, vermag der Fonds dem einzelnen Mitglied gegenüber nicht einseitig zu kündigen.
E. Ergebnis Internationale Organisationen wie der IWF sind in ihrem Handeln an jene Grenzen gebunden, welche ihnen durch die Souveränität der Mitgliedstaaten gesetzt sind. Sie wirken in der Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des IWF-Übereinkommens weiter fort und materialisieren den Legitimationsmaßstab der IWF-Handlungen. Das bedeutet in der Konsequenz, dass keine Maßnahme des IWF rechtmäßig sein kann, wenn sie das demokratische Prinzip verletzt373. Oder positiv formuliert: Die Handlungen des IWF sind nur rechtmäßig und verbindlich, wenn sie mit dem demokratischen Prinzip vereinbar sind.
rechtsproblem in der Praxis des Internationalen Währungsfonds in Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, ZaöRV, 1974, S. 478. Der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Mitgliedstaaten ist nach J. Gold die Grundlage des IWF-Übereinkommens, welches diskriminierende Wirkungen zu vermeiden sucht: The Rule of Law in the International Monetary Fund, 1980, S. 70; dazu auch K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 90 ff. 372 A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 155. 373 Vgl. BVerfGE 37, 271, Rn. 76.
Teil 4
Konditionalitätspolitik des IWF A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität Die Konditionalität gegenüber den Schuldnerstaaten rückte in den letzten drei Jahrzehnten immer stärker in den Mittelpunkt der IWF-Politik und wurde damit zu einem wesentlichen und zugleich zum umstrittensten Instrument des Fonds1. Verstärkte Kritik erfuhr die Konditionalitätspolitik des IWF Anfang der achtziger Jahre mit dem Beginn der sogenannten „Reagonomics“Periode2. Zwar hatte der Fonds seine Kredite schon zuvor an Auflagen geknüpft, unter der Reagan-Administration aber wurde die Konditionalität vor allem als politisches Machtinstrument eingesetzt. Im Zentrum der Kontroverse um diese Strategie stand damals wie heute der Konflikt zwischen den IWF-Auflagen und der Souveränität seiner Mitglieder. Weil die Verhandlungen zwischen dem IWF und den Programmstaaten unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden und die Auflagen selten öffentlich wurden, verlief die Diskussion über Inhalt und Umfang der Konditionalität in der Literatur über viele Jahre weitgehend im Ungefähren. Im Verlauf der Eurokrise wurden die Auflagen der Troika aber publiziert, gewährten damit Einblick in die Kreditgeschäfte und verliehen der Kritik an den Auflagen des IWF (und der beiden anderen Mitglieder der Troika) neue Nahrung. Die folgende Untersuchung zur Konditionalität stellt daher insbesondere auf das Engagement des IWF in der Euro-Krise und insbesondere sein Wirken in Griechenland ab, berührt darüber hinaus jedoch die Problematik der Konditionalität im Grundsätzli-
1 Zur Konditionalität der Weltbank siehe etwa S. Koeberle, Conditionality: Under What Conditions? in: S. Koeberle/H. Bedoya/P. Silarsky/G. Verheyen, Conditionality Revisited, Concepts, Experiences, and Lessons, 2005, S. 57 ff.; kritisch E. Wolff, Weltmacht IWF: Chronik eines Raubzugs, 2014. 2 Peter Cornelius analysierte in einer Untersuchung aus dem Jahr 1988 die stetig wachsenden Finanzierungsaktivitäten des Fonds und gelangte zu dem Ergebnis, dass die Fondskredite und die Rolle des IWF als Kreditgeber insgesamt kontraproduktiv seien. P. Cornelius, Das Prinzip der Konditionalität bei Krediten des Interna tionalen Währungsfonds, 1988, S. 303; W. Engshuber, Die Auflagenpolitik des Internationalen Währungsfonds aus rechtlicher Sicht, S. 21 ff.
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
chen und gilt über weite Strecken auch analog für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)3.
I. Definition der Konditionalität Unter Konditionalität versteht man im Allgemeinen ein System, das die Kreditvergabe mit Auflagen gegenüber dem Schuldner verknüpft („mechanism that links financing and policies“)4. Art. V Abschnitt 3 a i. V. m. Art. I v) IWF-Übereinkommen spricht allgemein von den „vom Fonds in Hinsicht auf seine allgemeinen Mittel oberhalb der Reservetranche angenommenen Geschäftsgrundsätze, die den Mitgliedern bei der abkommensgemäßen Lösung ihrer Zahlungsbilanzprobleme helfen und ausreichende Sicherheit dafür schaffen, dass die allgemeinen Fondsmittel nur zeitweise in Anspruch genommen werden“5. Die Konditionalität hat verschiedene Funktionen6. Sie dient •• als Mittel zur Zahlungsbilanzanpassung7, •• der Sicherung des revolvierenden Charakters der Fondsmittel8, •• der Integration in die Strukturen der Weltwirtschaft, •• der Wiederherstellung des Vertrauens in die Kreditwürdigkeit der betroffenen Staaten9, 3 Dazu M. Sankowsky, Demokratische Legitimation der EU und des ESM, Steuerung und Koordinierung in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, 2013, S. 46 ff.; zu den Instrumenten des ESM K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 273 ff. 4 IWF, Conditionality in Fund-Supported Programs, Absatz 6. „[…] the mechanism by which IMF credit is made dependent on the country’s implementation of agreed economic and financial policies“. A. Giustiniani/R. Kronenberg, Financial Sector Conditionality: Is Tougher Better?, IMF WP/05/230, 2005, S. 4. 5 Vgl. T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 88. 6 Vgl. P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 198. 7 Ebenda. 8 G. Bird, The International Monetary Fund and Developing Countries: A Review of the Evidence and Policy Options, International Organization, Vol. 50, No. 3, 1996, S. 477 ff.; V. Büttner, Die Auflagenpolitik des Internationalen Währungsfonds im Kontext der internationalen Schuldenkrise, in: Simonis, U. Ernst (Hrsg.), Externe Verschuldung – Interne Anpassung, 1984, S. 83; M. Hübener, Die Politik des Internationalen Währungsfonds (IWF) gegenüber zahlungsunfähigen Staaten und die Auslandsverschuldung von Entwicklungsländern seit 1973, 1984, S. 56. 9 K. M. Meessen, IMF Conditionality and State Sovereignty, in: Th. Oppermann/ E. U. Petersmann (Hrsg.), Reforming the International Economic Order, 1987, S. 179.
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität269
•• der Begrenzung der Inanspruchnahme der Fondsmittel und •• der Vorbeugung von Moral-hazard auf Schuldnerseite. Dabei verwendet der Fonds folgende Sicherungsinstrumente (adequate safeguards): •• Vorbedingungen (preconditions), •• Leistungskriterien (performance criteria), •• Überprüfungen (reviews), •• Abrufstaffelungen (phasing), •• sonstige Faktoren (other variables and measures). Joseph Gold definiert die Konditionalität des IWF als „the policies the Fund expects a member to follow in order to be able to use the Fund’s general resources“10. Klaus Weigeldt bezeichnet die Konditionen als „die wirtschaftspolitischen Kriterien des IWF, die jeder Schuldnerstaat als Bedingung für die Inanspruchnahme der finanziellen Reserven des Fonds zu akzeptieren hat“11. Das Wesen der Konditionalität geht aber über die Formulierung von Kreditbedingungen hinaus. Die folgenden Kapitel werden zeigen, dass diese Definitionen insofern zu kurz greifen, als es der Konditionalität vor allem um die Herstellung eines möglichst hohen Verbindlichkeitsgrades geht. Das charakteristische Merkmal der IWF-Konditionalität ist die effektive Durchsetzung von Auflagen gegenüber den Krisenstaaten innerhalb eines gläubigerdominierten Systems, in welchem die Auflagen gegenüber dem Schuldnerstaat faktisch verbindlich gemacht werden. 1. Geschichtliche Entwicklung der Konditionalität In den ersten Jahren seiner Tätigkeit stellte der Fonds die Vergabe seiner Mittel nicht unter Auflagen12. Jedes Mitglied sollte einen Bedarf im Sinne des Art. I v) IWF-Übereinkommen anmelden können, wenn es Mittel benö10 J. Gold, Conditionality, 1979, S. 1; dazu auch P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 150. Der IWF definiert seine Konditionalität als „a policy program supported by financing is designed by the national authorities in close cooperation with the IMF. Continued financial support is conditional on the effective implementation of this program.“ Siehe IMF, Overview: How we do it, einzusehen unter http:// www.imf.org/external/about/howwedo.htm. 11 K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 36 f. 12 Vgl. zur Entwicklung der Konditionalität S. Dell, On Being Grandmotherly: The Evolution of IMF Conditionality, Princeton’s Essays in International Finance, Bd. 144, 1981, S. 7 ff.
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
tigte, um kurzfristige Ungleichgewichte in der Zahlungsbilanz auszugleichen13. Die Möglichkeit, die Mittelvergabe mit der Erfüllung bestimmter politischer Auflagen zu verknüpfen, war im IWF-Gründungsvertrag nicht vorgesehen14; denn dies hätte der präventiven Konzeption eines Währungsfonds, dessen wesentliche Aufgabe in einem möglichst selbstwirksamen Ausgleich von Zahlungsbilanzdefiziten unter den Mitgliedern bestehen sollte, widersprochen. Eine Ermächtigung des Fonds zu politischen Konditionen wäre damals auch für Staaten wie Großbritannien nicht akzeptabel gewesen, weil es als künftiger Schuldnerstaat die eigene Souveränität zur Disposition des IWF gestellt hätte15. Den ersten Vorstoß, die Vergabe von Fondsmitteln von bestimmten politischen Handlungen des Mitgliedstaates abhängig zu machen, unternahm der Fonds durch die Einführung der sogenannten „Stand-by-Arrangements“16. Dieses Instrument ist heute die „rechtliche Hauptform der Zahlungsbilanzhilfen“ des IWF17. Der Exekutivrat beschloss in seiner Entscheidung vom 13. Februar 1952, dass die Fondsmittel den Mitgliedern zur Verfügung ge13 Zur Praxis der Kreditvergabe in den 50er und 60er Jahren vergleiche: J. M. Fleming, The International Monetary Fund: Its Form and Functions, 1964; E. Spitzer, Stand-By Arrangements: Purposes and Form, in J. K. Horsefield (Hrsg.), The International Monetary Fund 1945–1965, 1969; J. Boughton, The International Monetary Fund 1979–1989, Chapter 13 mit kurzer Zusammenfassung. 14 Der ursprüngliche Artikel lautete: „The Fund shall adopt policies on the use of its resources that will assist members to solve their balance of payments problems“, IMF Annual Report 1968, S. 155; J. Vreeland, The International Monetary Fund, S. 22. Eine allgemeine Befugnis zur Besicherung der Fondsmittel, die nach Ansicht des Fonds die primärvertragliche Rechtsgrundlage der Konditionalität im heutigen Sinne bietet, wurde erst in den Jahren 1968/1969 mit der Einführung des Art. I v) und Art. V Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen in den Vertragstext aufgenommen (vgl. K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 163). Bereitschaftskreditabkommen finden erst in der 2. Novellierung im Jahr 1978 Eingang in die IWF-Statuten. R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 275. 15 „Das IWF-Übereinkommen enthält jedoch keine weitergehende Vorschrift, die die Kompetenzverteilung durch die Organe des Fonds näher regelt. Eine klare Festlegung, wie sie in nationalstaatlichen Verfassungen anzutreffen ist, unterblieb, da die Regierungsvertreter bei der Ausarbeitung des Abkommens nicht dazu bereit waren, Eingriffe in die Souveränität ihrer Regierungen ausdrücklich zu autorisieren.“ G. Riedel, a. a. O., S. 66 mit Verweis auf E. P. Hexner, Das Verfassungs- und Rechtssystem des IWF, S. 56. 16 J. Vreeland, The International Monetary Fund, Politics of Conditional Lending, S. 22; A. Giustiniani/R. Kronenberg, Financial Sector Conditionality: Is Tougher Better?, 2005, S. 4. 17 E. U. Petersmann, Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform, S. 482.
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität271
stellt werden sollten, sofern die politischen Reformen, welche die Mitglieder in Angriff zu nehmen hätten, nach der Auffassung des IWF „geeignet sind, um die Probleme zu lösen“18. Die Kreditvergabe unter einem Stand-byArrangement sollte einen Zeitraum von sechs Monaten nicht überschreiten19, weil der Exekutivrat davon ausging, dass die wirtschaftliche Entwicklung eines Krisenstaates über einen längeren Zeitraum nicht hinreichend überschaubar war20. Allerdings konnte der IWF im Einzelfall auf Antrag des kreditsuchenden Mitglieds ein Kreditprogramm über die Sechsmonatsgrenze hinaus verlängern, wenn er zu der Auffassung gelangte, dass die politischen Reformen erst nach längerer Zeit Wirkung entfalten könnten21. Als Peru – als erstes Land aus dem Kreis der Entwicklungsländer22 – im Jahr 1954 den Fonds um eine einjährige Stand-by-Vereinbarung ersuchte, wurde die Auszahlung zwar zugesagt, allerdings in Verbindung mit der Auflage, „die Haushaltslage des Landes zu stabilisieren, indem einige bereits begonnene Investitionsprojekte verlangsamt und zukünftig geplante Investitionen verschoben werden“23. Während die Bedingungen mit Rücksicht auf die Souveränität des Mitgliedstaates anfangs noch zurückhaltend und unbestimmt formuliert waren, wurden sie in den folgenden Stand-by Arrangements mit Peru in den Jahren 1954, 1963 und 1993 immer umfangreicher und differenzierter24.
18 „[…] the policies the members will persue will be adequate to overcome the problem.“ Der IMF Annual Report des Jahres 1953 erklärt, dass Kredite bewilligt würden, so dass „members should find it possible, without risking a loss of reserves, to modify their policies so as to conform more closely to the Fund’s objectives.“ IMF, Annual Report 1953, S. 52. 19 O. Jeanne/J. Ostry/J. Zettelmeyer, A Theory of International Crisis Lending and IMF Conditionality, S. 6. 20 E. Spitzer, Stand-By Arrangements: Purposes and Form, S. 470. 21 „The Fund will give sympathetic consideration to a request for a longer standby arrangement in the light of the problems facing the member and the measures being taken to deal with them“, IMF Annual Report 1954, S. 131. 22 J. Vreeland, The International Monetary Fund, S. 22. 23 IMF Annual Report 1954, S. 90. 24 Der Vertragstext eines Stand-by Arrangements ließ sich im Jahr 1954 auf lediglich zwei Seiten festhalten und hatte im Jahr 1963 schon einen Umfang von sechs Seiten. Diese Programme enthielten bereits konkrete haushalts- und geldpolitische Zielvorgaben. Programme aus dem Jahr 1993 umfassten dann sogar 13 Seiten mit spezifischen Vorgaben für die Haushalts- und Geldpolitik, für internationale Währungsreserven, die Begrenzung der Auslandsschulden, das Verbot von Importrestriktionen, weitere Vorgaben zur Liberalisierung des Handelsverkehrs sowie Bedingungen bezüglich der Privatisierung von Staatseigentum und der Deregulierung des Arbeitsrechts (hier am Beispiel Perus). Siehe J. Vreeland, The International Monetary Fund, S. 22; S. Babb/A. Buira, Mission Creep, Mission Push and Discretion: The Case of IMF Conditionality, in: A. Buira, The IMF and the World Bank at Sixty, 2005, S. 59 ff.
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Ursprünglich bestand der IWF auf sogenannten „prior notice“-Klauseln, welche in die Stand-by-Abkommen mit den Schuldnerstaaten inkorporiert wurden25. Damit behielt sich der Fonds das Recht vor, die Ziehungsbewilligung jederzeit einseitig zu widerrufen, sollte der Fonds der Meinung sein, das Stabilisierungsprogramm entfalte nicht die erwünschte Wirkung26. Zwischen den Jahren 1954 und 1960 wurden „Prior-notice“-Klauseln in mehr als 30 Stand-by-Vereinbarungen aufgenommen27. Die Kritik an der willkürlichen Anwendungspraxis führte dazu, dass Ende der fünfziger Jahre die „Prior-notice“-Klausel durch sogenannte „performance criteria“ ersetzt wurde, welche bestimmtere, meist quantitativ überprüfbare Standards formulierten28. Die Verpflichtung des Mitgliedstaates zur Erfüllung dieser Kriterien wurde regelmäßig in die Kreditvereinbarung mit dem Schuldnerstaat integriert, zusammen mit weiteren Elementen, die bis heute charakteristisch für die Konditionalität des IWF sind. Eingeführt wurden sogenannte „periodic reviews“, also regelmäßige Kontrollen durch IWF-Mitarbeiter sowie das sogenannte „phased drawing“, das heißt – je nach Empfehlung der Kontrollkommission – die tranchenweise Auszahlung oder Zurückhaltung der bewilligten Mittel. Außerdem erlaubten die Richtlinien sogenannte „waiver“, das heißt Sonderfreigaben, die einem Mitglied unter bestimmten Umständen ungeachtet der Verfehlung der vereinbarten Kriterien eine Auszahlung gestattete. Wenn ein Mitglied die Kriterien verfehlte und kein „waiver“ erteilt wurde, stellte der IWF weitere Kreditauszahlungen ein, bis entweder die Kriterien erfüllt oder eine neue Vereinbarung mit dem Fonds gefunden wurde. Mit den eingeführten Instrumenten konnten die Kredite nur noch unter der strengen Kontrolle des IWF abgerufen werden29. Im Jahr 1979 erließ das Exekutivdirektorium eine Richtlinie, in welcher die Grundzüge der Konditionalität normiert wurden, insbesondere die Forderung nach strukturellen Reformen als einem zentralen Element für nachhaltiges Wachstum und finanzpolitische Stabilität in den betroffenen Mitgliedstaaten. Der Fonds entwickelte die Auflagen in den achtziger und neunziger 25 A. Buira, An analysis of IMF conditionality, G-24 Discussion Paper Series No. 22, 2003, S. 2 f. 26 O. Jeanne/J. Ostry/J. Zettelmeyer, A Theory of International Crisis Lending and IMF Conditionality, S. 5. 27 Ebenda. 28 Ebenda, S. 5 f. 29 Damit entwickelte sich die IWF-Konditionalität zu einem „unique institutional apparatus“, der in der privaten oder öffentlichen Kreditwirtschaft ohne Beispiel ist. O. Jeanne/J. Ostry/J. Zettelmeyer, A Theory of International Crisis Lending and IMF Conditionality, S. 6.
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität273
Jahren maßgeblich weiter30 und institutionalisierte eine Konditionalität, welche den Ländern einen umfangreichen strukturpolitischen Maßnahmenkatalog auferlegte (Washingtoner Consensus, später Post-Washington-Consensus, siehe unten)31. Während strukturelle Reformen Mitte der achtziger Jahre nur vereinzelt in die Bedingungen eines IWF-Kredits aufgenommen wurden, war „structural conditionality“ Mitte der neunziger Jahre bereits die Regel32. Die abschreckende Wirkung eines weitgehenden Souveränitätsverlustes, der als Folge nicht erfüllter Auflagen drohte, sollte einer leichtfertigen Inanspruchnahme der Mittel durch die Mitgliedstaaten entgegenwirken33. Die Konditionalitätspolitik des IWF geriet im Zuge der mexikanischen Schuldenkrise der achtziger Jahre verstärkt in die Kritik34. Zuvor hatte der Fonds seine Mittel vor allem Industriestaaten zur Verfügung gestellt. Die Kreditvergabe erfolgte in erster Linie aus politischen Gründen. Die damalige US-Regierung unter Präsident Reagan hatte ein starkes Interesse an der Sicherung der Zahlungsfähigkeit Mexikos, konnte jedoch im amerikanischen Kongress keine Zustimmung für bilaterale Hilfen gewinnen. Daraufhin entschieden sich der damalige Vorsitzende der amerikanischen Zentralbank Paul Volcker und sein Kollege im US-Finanzministerium Don Regan, die Kreditvergabe an Mexiko über den Internationalen Währungsfonds abzuwickeln. Als größter Anteilseigner im Fonds konnten die USA die Kreditvergabe entscheidend beeinflussen. Der damalige Geschäftsführer des IWF, Jacques de Larosière, erklärte sich bereit, die formalen Verhandlungen über ein Kreditprogramm mit Mexiko aufzunehmen. Damit begann der IWF, sich de facto 30 A. Giustiniani/R. Kronenberg, Monetary and Financial Systems Department Financial Sector Conditionality, S. 4. 31 Zu Geberkonditionen und Strukturanpassungen siehe W. Lachmann, Entwicklungshilfe: Motive, Möglichkeiten und Grenzen, Problemfelder, S. 233. Joseph Stiglitz wirft dem IWF vor, die wirtschaftspolitischen Leitlinien des Washington Consensus als Selbstzweck zu betrachten und dabei ein gerecht verteiltes und nachhaltiges Wachstum zu vernachlässigen, Die Schatten der Globalisierung, 1. Aufl., S. 78. 32 A. Giustiniani/R. Kronenberg, Monetary and Financial Systems Department Financial Sector Conditionality, S. 5. 33 Jeanne, Ostry und Zettelmeyer weisen darauf hin, dass das Instrument der Konditionalität zur Minimierung des Moral Hazard Risikos auf Schuldnerseite, das heißt mit Rücksicht auf das Innenverhältnis der Mitglieder zum Fonds, entwickelt wurde. Moral Hazard Risiken in Bezug auf die Beteiligung von Dritten, zum Beispiel anderen Gläubigerstaaten und insbesondere privaten Geldgebern, spielten ursprünglich keine Rolle. Im Vordergrund stand die Durchsetzung der IWF-Statuten, das heißt „not to interfere with current payments, and not to adjust exchange rate parities except with the permission of the Fund“. A Theory of International Crisis Lending and IMF Conditionality, S. 6. 34 Siehe zur Rolle des IWF in der Mexikokrise J. Boughton, Silent Revolution, The International Monetary Fund 1979–1989, Kap. II 7., The Mexican Crisis: No Mountain Too High?, 2001, S. 281 ff.
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einen neuen Aufgabenbereich zu erschließen, zumal die Überwachung der Währungsparitäten als wesentliche Aufgabe des Fonds nach dem Zusammenbruch des Systems fester Wechselkurse weggefallen war. Bei dem Überbrückungskredit an Mexiko handelte es sich „um ein von Mitarbeitern des US-Finanzministeriums wesentlich mitentwickeltes Auflagenprogramm, das Mexiko umsetzen musste, um einen Überbrückungskredit des Fonds in Anspruch nehmen zu können“35. Im Zuge der Krisenbewältigung in Mexiko wurde ein politisches Programm entwickelt, welches später als Grundsatzprogramm unter dem Begriff „Washington Consensus“ bekannt wurde36. Der Fonds verpflichtete Mexiko dazu, die heimischen Märkte zu deregulieren und zu liberalisieren, sowie die mexikanischen Staatsbetriebe zu privatisieren37. Die Freigabe der Wechselkurse, die zu Beginn der siebziger Jahre das Ende des Bretton-Woods-Systems markiert hatte, wirkte sich auch auf die Kreditvereinbarungen zwischen dem IWF und den Empfängerstaaten, sowie auf das Verhältnis zu privaten Gläubigern, aus. Mit der Aufgabe des Systems fester Wechselkurse kam es zu einer zunehmenden Liberalisierung des Kapitalverkehrs und damit zu erleichterten Finanzierungsmöglichkeiten für die Entwicklungsländer. Der IWF-Code-of-Conduct, welcher die Politik der Mitglieder nach dem Gründungsvertrag des IWF zu einer koordinierten Wechselkurspolitik verpflichtet hatte, verlor an Bedeutung38 und der Fonds gewährte nun nicht mehr nur präventive Finanzhilfen, sondern ein breites Spektrum unterschiedlicher Kreditfazilitäten, etwa nach dem Ausbruch einer Währungs-, Schulden- oder Bankenkrise. Davon waren auch die Interessen Dritter berührt, insbesondere jene der privaten und öffentlichen Gläubiger 35 S. Striffler, Zur Reform des Internationalen Währungsfonds, S. 35; Ch. Grefe/ M. Greffrath/H. Schumann, Attac – Was wollen die Globalisierungskritiker?, 2002, S. 34. 36 Joseph Stiglitz versteht unter dem „Washington Consensus“ ein „programmatisches Konzept für die Reform von angeschlagenen Volkswirtschaften […]. Ihm liegt eine neoliberale Überzeugung (makroökonomische Stabilität, Minimierung der Rolle des Staates und Liberalisierung der Märkte als zentrale Voraussetzungen für Wachstum) zugrunde.“ J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 304. Siehe dazu auch S. Striffler, Zur Reform des Internationalen Währungsfonds, S. 33 ff. Die Auflagen wurden immer weitreichender und betreffen heute neben ökonomischen auch politische Forderungen (sogenannte Governance-Auflagen) gegenüber den Mitgliedern. 37 Daneben enthielten die Auflagen Forderungen zur Kürzung der Staatsausgaben und zu restriktiver Geldpolitik mit dem Ziel, ausländisches Kapital einzuwerben. Kritisch Ch. Grefe/M. Greffrath/H. Schumann, Attac – Was wollen die Globalisierungskritiker?, S. 35. 38 A. Giustiniani/R. Kronenberg, Monetary and Financial Systems Department Financial Sector Conditionality, S. 7.
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität275
eines Programmstaates39. Nach den großen Krisen der neunziger Jahre verdichteten sich die Befürchtungen, dass die „bailouts“ des IWF falsche Anreize auslösen könnten und um moral hazard Risiken vorzubeugen, wurde in Literatur und Politik die Forderung nach der Einführung einer sogenannten ex-ante-Konditionalität erhoben40. Als Antwort darauf rief der Fonds eine neue Fazilität, die „Contingent Credit Line“ (CCL)41 ins Leben, welche für Länder mit guten politischen Grundstrukturen bestimmt war, ohne die geforderten ex-ante-Konditionen explizit zu benennen. Diese Fazilität wurde von den Kreditnehmern aber kaum in Anspruch genommen, wohl weil die Voraussetzungen schwerer zu erfüllen waren als die ex-post-Konditionalität der übrigen Fazilitäten42. Als Mitte der neunziger Jahre die Konditionalität besonders ausgeprägt angewendet wurde43 und die Kritik an dieser Auflagenpolitik des IWF weiter zunahm44, verabschiedete der Exekutivrat im Jahr 2002 neue Richtlinien zur Konditionalität. Sie konzentrieren sich jetzt auf wenige Grundsätze, die bei der Gestaltung der Hilfsprogramme zu beachten sind45, wurden im Jahr 2005 vom IWF selbst überprüft und für ökonomisch zielführend befunden.
39 Ebenda.
40 Siehe R. Vaubel, The Moral Hazard of IMF Lending, 1983, S. 291 ff.; ders., The Political Economy of International Organisations in International Money and Finance, 1988. 41 IMF, The IMF’s Contingent Credit Lines (CCL), IMF Factsheet 2004. 42 O. Jeanne/J. Ostry/J. Zettelmeyer, A Theory of International Crisis Lending and IMF Conditionality, S. 7 f. 43 Zum Anstieg der Konditionalität in Kreditprogrammen des IWF und der Weltbank A. Dreher, The Development and Implementation of IMF and World Bank Conditionality, 2002; ders., Die Kreditvergabe von IWF und Weltbank. Ursachen und Wirkungen aus politisch-ökonomischer Sicht, 2003. 44 Zur Kritik an der Konditionalität im Überblick A. Giustiniani/R. Kronenberg, Monetary and Financial Systems Department Financial Sector Conditionality, S. 5. 45 Die fünf Grundsätze der neuen Richtlinie zur Konditionalität lauten: (1) Orientierung an der Notwendigkeit für die Ziele des IWF („minimum necessary“, „related to IMF’s core areas of responsibility“, „critically important to achieving the program’s goals“), (2) Primäre Verantwortlichkeit liegt beim Mitgliedstaat („conducive to national ownership“), (3) Anpassung an die Umstände des Einzelfalls/Mitglieds („tailored to members’ circumstances“), (4) Effektive Koordination mit anderen Internationalen Finanzorganisationen (IFIs), (5) Konditionalität ist deutlich zu spezifizieren („should be clearly specified“), A. Giustiniani/R. Kronenberg, Monetary and Financial Systems Department Financial Sector Conditionality, S. 6.
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2. Auflagenpolitik nach den Grundsätzen des Washington Consensus Seit den achtziger Jahren folgt die Auflagenpolitik des IWF dem Konzept des sogenannten Washington Consensus46. Der Begriff wurde Ende der achtziger Jahre von John Williamson geprägt47 und gilt heute als Inbegriff einer „neoliberalen“48 oder als kapitalistisch bezeichneten Wirtschaftsordnung49. Im Zuge der lateinamerikanischen Verschuldungskrise hatten sich die in Washington ansässigen Institutionen, namentlich der IWF, die Weltbank, das US-amerikanische Wirtschafts- und Finanzministerium sowie der Rat der Federal Reserve Bank auf einen umfassenden Ziel- und Methodenkonsens geeinigt50, dessen ökonomische Logik auf Angebotspolitik sowie „weitestgehenden Liberalisierung und Deregulierung des Kapitalverkehrs“ beruhte51. Nach Williamson umfasst der Washington Consensus zehn Aktionsfelder für wirtschaftliche und fiskalische Reformen52: 46 Vgl. zum Washington Consensus W. Lachmann, Entwicklungshilfe: Motive, Möglichkeiten und Grenzen, Problemfelder, Kap. 5.1.6 und 5.1.7. 47 Vgl. J. Williamson, From the Washington Consensus towards a new Global Governance, 2004; N. Serra/S. Spiegel/J. Stiglitz, Towards a New Global Governance. 48 Der Begriff „Neoliberalismus“ wird unterschiedlich interpretiert. In der politischen Diskussion dient er häufig als Schmähwort gegen einen rigorosen Marktfundamentalismus. Ursprünglich und in seiner wissenschaftlichen Bedeutung ist er aber eine wertneutrale Bezeichnung für die Fortentwicklung des klassischen laissez faireLiberalismus zu einer auf Marktwirtschaft gründenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. In Deutschland (ursprünglich geprägt von Alexander Rüstow) wird er als Oberbegriff für verschiedene Schulen gebraucht: für die Freiburger Schule um Franz Böhm (vgl. ders., Die Idee des ORDO im Denken Walter Euckens, 1950, S. XVI ff.), Walter Eucken und Hans Großmann-Doerth (vgl. H. Großmann-Doerth, Unsere Aufgabe, 1937, S. VII ff.), für den Ordoliberalismus im engeren Sinne (vgl. W. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 1959, S. 239 ff.), daraus für die Soziale Marktwirtschaft von Müller-Armack abgeleitet und ebenso gebraucht von Wilhelm von Hayek (vgl. J. Starbatty, Ordoliberalismus, 1984, S. 187 ff.). Im angloamerikanischen Sprachgebrauch wurde der Begriff von Milton Friedman und der Chicagoer Schule insbesondere zur Befürwortung freier Wechselkurse aufgegriffen (vgl. I. Pies/M. Leschke, Milton Friedmans ökonomischer Liberalismus, 2004, S. 21 ff.). Im Rahmen dieser Arbeit soll die Bedeutung nur in diesem zweiten, wissenschaftlichen Sinne verstanden werden. 49 Kritisch zur IWF-Wirtschaftsphilosophie, „die ihre wesentlichen Impulse vom Chicago-Liberalismus und -Monetarismus empfängt“, R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 270 ff. 50 A. B. Nunes, The International Monetary Fund Stand-By Arrangements With Portugal: An Ex-ante Application of the Washington Consensus?, 2010, S. 2. 51 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 111. 52 S. Schlemmer-Schulte, Internationales Währungs- und Finanzrecht, § 9, B. Rdn. 53, S. 395.
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität277
Drei Maßnahmen konzentrieren sich auf haushaltspolitische Zielsetzungen: •• Haushaltsdisziplin (fiscal discipline)53, •• Steuerreformen (tax reform)54, •• Überprüfung und Neuordnung der wichtigsten öffentlichen Ausgaben (reordering public expenditure priorities)55. Zwei weitere Maßnahmen widmen sich der Geld- und Finanzpolitik: •• freie, am Markt orientierte Zinssätze (liberalizing interest rates)56, •• auf Wettbewerb beruhende Wechselkurse (competitive exchange rates)57. Weitere Instrumente zielen darauf ab, die Integration in die weltwirtschaftlichen Strukturen zu fördern: •• Freihandel (trade liberalization)58, •• Liberalisierung der ausländischen Direktinvestitionen (liberalization of inward – foreign direct investment, FDI)59. Zentrale institutionelle Maßnahmen sind außerdem: •• Privatisierung60,
53 Die Hauptursache für Zahlungsbilanzprobleme und hohe Inflationsraten sah man in einer unzureichenden Haushaltsdisziplin, welcher ein negativer Einfluss auf die Ressourcenallokation und Einkommensverteilung zugeschrieben wurde. 54 Das Steuersystem sollte auf einer breiten Bemessungsgrundlage basieren. Die Steuersätze (marginal tax rate) sollten auf einem moderaten Niveau gehalten werden. 55 Die Neuordnung der öffentlichen Ausgaben sollte ebenfalls zu einer besseren Ressourcenallokation führen. Gefördert werden sollten Investitionen in das Humankapital, insbesondere Bildung. Außerdem sollten mehr öffentliche Mittel zur Infrastrukturverbesserung investiert werden. 56 Die Liberalisierung der Leitzinsen sollte zu einer effektiveren Ressourcenallokation führen. Insbesondere höhere Leitzinssätze galten als sinnvoll, da sie einer Kapitalflucht entgegenwirkten und die Sparquote erhöhten. 57 Wettbewerbsfähige Wechselkurse galten als unverzichtbares Instrument, um das Exportwachstum zu fördern, ohne dabei Inflationsrisiken hervorzurufen und Haushaltsinvestitionen zu reduzieren. 58 Handelsliberalisierungen, insbesondere Importliberalisierungen (Abkehr von Importlizenzen), galten als eine der wichtigsten Maßnahmen. Zollbeschränkungen sollten möglichst vermieden, jedenfalls aber begrenzt werden. Importe für die Verarbeitung zu Exportgütern sollten zumindest nicht mit Zöllen belastet werden. 59 Es sollte ein für ausländische Direktinvestitionen attraktives und unbürokratisches Umfeld geschaffen werden. 60 Privatisierungen sollten das Haushaltsdefizit kurzfristig reduzieren und die Effizienz durch privates Management und Wettbewerb steigern.
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•• Deregulierung61, •• Wahrung der Eigentumsrechte (property rights)62. Der Washington Consensus sowie die daraus abgeleiteten Maßnahmen und Instrumente des IWF sind von der Theorie des Monetarismus geprägt63. Der Paradigmenwechsel von der Nachfrage- zur Angebotspolitik, wie er sich auch im Washington Consensus manifestiert, hatte sich in den siebziger Jahren durchgesetzt64. Bis dahin hatte in der Wirtschaftstheorie und -politik noch die Lehre von Keynes dominiert65. Aus den Grundsätzen des Washington Consensus hat der IWF eine „homogene Wirtschaftsphilosophie“ entwickelt66. Seine Auflagenpolitik folgt über 61 Strenge Regulierungen galten als wachstumsschädlich, da sie Raum für Willkür öffnen und damit die Korruption fördern (Ausnahmen im Bereich Sicherheit, Umweltschutz und zur Regulierung der Kosten in konkurrenzfreien Tätigkeitsbereichen). 62 Diese Maßnahmen sollten die Transaktionskosten und damit die Schattenwirtschaft reduzieren. 63 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 270 ff.; zur Grundposition des Monetarismus J. Altmann, Wirtschaftspolitik, 2007, S. 246 ff. Der Monetarismus entstand, ausgehend von der sogenannten Chicagoer Schule (Hauptvertreter Milton Friedman), in den USA als Gegenbewegung zum New Deal der dreißiger Jahre unter Franklin D. Roosevelt und zu den Lehren von Keynes. 64 Auch in der Pfund-Krise im Jahr 1976 machte der IWF Großbritannien stark angebotsorientierte Auflagen und zwang die Regierung zu rigorosen Kürzungen. Der Wirtschaftshistoriker Harold James resümiert, „dass der britischen Labour Party der Keynesianismus ausgetrieben worden sei“. FAZ vom 5. März 2010, Der IWF hilft auch Ländern in Währungsunionen; C. Hay, The ‚Crisis‘ of Keynesianism and the Rise of Neo-Liberalism in Britain: An Ideational Institutionalist Approach, in: J. Campbell/O. Pedersen (Hrsg.), The Rise of Neo-Liberalism and Institutional Analysis, 2001. 65 Auch der deutsche Verfassungsgesetzgeber war seinerzeit diesem wirtschaftspolitischen Ansatz in Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG gefolgt. Danach durfte der Haushaltsgesetzgeber ausnahmsweise zur Abwehr einer Störung des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ eine Ausnahme von der Regelgrenze der Kreditaufnahme beschließen, „damit auch in einer Störungslage, insbesondere bei einem Konjunkturabfall, dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht […] Rechnung getragen werden kann“ (BVerfGE 119, 96, Rn. 126). Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft trat im Jahr 1967 in Kraft (BGBl I S. 582) mit der „Verpflichtung von Bund und Ländern, dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht Rechnung zu tragen“ (Art. 109 Abs. 2 GG. Dazu BVerfGE 119, 96, Rn. 123). Das Stabilitätsgesetz gilt als „gesetzliche Kodifikation der auf John Maynard Keynes aufbauenden antizyklischen Stabilitätspolitik“. J. Starbatty, Stabilitätsgesetz, in: Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, 1987, S. 606. 66 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 270.
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität279
wiegend einer angebotsorientierten, auf Deregulierung und Geldpolitik ausgerichteten Wirtschaftspolitik67, im Gegensatz zur Nachfrageorientierung der Keynesianischen Wirtschaftstheorie, die eine diskretionäre, antizyklische Stabilitätspolitik und Globalsteuerung empfiehlt68. Die wirtschaftliche Zweck mäßigkeit der Auflagen nach dem Washington-Consensus-Modell wird seit ihrer Einführung kontrovers diskutiert69. In den Jahrzehnten nach Einführung der Bereitschaftskreditabkommen im Jahr 1952 hat sich nach Ansicht von Rolf Knieper eine „vollständig generalisierte Anwendung der Beistandskreditabkommen entwickelt“, bei welchen sich die Nebenbedingungen zwar durchaus unterscheiden, die „Kernbedingungen in ihrer Substanz und relativen Anwendung [aber] so gleichförmig sind, dass nicht ohne Berechtigung von ihnen als einem ‚eisernen Gesetz‘70 gesprochen“ werden könne71. Neben ökonomischen Fehlanreizen und den als wenig differenziert kritisierten „one-size-fits-all“-Maßnahmen72 des Programms werden meist die negativen sozialen Folgen der Auflagen beklagt, insbesondere in Entwick67 In den siebziger Jahren erfolgte auch in der deutschen Wirtschaftspolitik ein Paradigmenwechsel von diskretionärer Nachfragepolitik zu Angebotsorientierung und Regelbindung. Vgl. J. B. Donges/A. Freytag, Allgemeine Wirtschaftspolitik, 3. Aufl. 2009, S. 321 ff. 68 Die Keynesianer bezweifeln, dass das Ziel eines ausgeglichenen Budgets innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens erreicht werden kann, zumal dann, wenn die Einsparungsmaßnahmen mit einer starken Rezession und steigender Arbeitslosigkeit einhergehen. Der Rückgang der Nachfrage in den europäischen Programmländern wird nach einer vom IWF in Auftrag gegebenen Studie durch die Austeritätspolitik verursacht. J. Guajardo/D. Leigh/A. Pescatori, Expansionary Austerity: New International Evidence, IMF WP, 2011. Zu berücksichtigen ist, dass eine durch staatliche Stimulation beförderte nachfrageorientierte Politik für überschuldete Staaten nur in Betracht kommt, wenn fremde Geldgeber zur Finanzierung einer solchen Politik bereit sind. 69 Nach Werner Lachmann bergen die Maßnahmen des IWF „makroökonomische Probleme“: „Eine Reduzierung der staatlichen Ausgaben und die notwenige Absenkung der heimischen Absorption führen zu einer Reduzierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit zu einer Abnahme des Volkseinkommens sowie einer Verringerung der Beschäftigungshöhe. Der IWF sollte also bei seiner Therapie nicht nur von der Nachfrageseite ausgehen, vielmehr muss er auch die Angebotsseite stärker in seine Strategieüberlegungen einbeziehen.“ Entwicklungspolitik, S. 233. 70 J. Bray, Escaping from the IMF Straitjacket, in: New Statesman vom 14.01.1977, S. 46, zitiert in: R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 275, Fn. 17. 71 R. Knieper, a. a. O., S. 275. 72 A. Broome, The Currency of Power, S. 34. Randall Stone bewertet die Auflagen des Fonds dagegen als durchaus variabel, The Scope of IMF Conditionality, 2008, S. 589 ff.
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lungsländern73. Die Auflagen sind nach Ansicht ihrer Kritiker ein probates Mittel, um die Interessen des IWF und partikulare Eigeninteressen der Geberländer durchzusetzen74. Dem wird entgegengehalten, dass die Maßnahmen häufig daran scheiterten, dass die Staaten die Auflagen nur unwillig und unzureichend umsetzten. Der Washington Consensus müsse dann oft als „Sündenbock“75 für eine inkonsequente Wirtschaftspolitik der politischen Eliten in den Krisenstaaten herhalten76. 3. Kritik und Konkurrenz zum Washington Consensus Die wirtschaftspolitischen Strategien des Washington Consensus, die sich teils ausschließen, teils kombinieren lassen, beruhen zwar auf wissenschaftlichen Lehrmeinungen, stellen letztlich aber politische Überzeugungen dar, die im Einzelfall schwer zu beweisen oder zu widerlegen sind. Überdies bestehen tiefgreifende Unterschiede zwischen den Wirtschaftsverfassungen. Deshalb sind die Handlungsmuster des Washington Consensus nicht universell für jedes Land anwendbar, zumal ihr Erfolg wesentlich vom jeweiligen sozioökonomischen Umfeld und der wirtschaftspolitischen Tradition abhängen wird. Im Nachhinein werden sich auch keine Ursache-Wirkungszusammenhänge darüber nachweisen lassen, welche Aktivitäten im Einzelnen den Ausschlag für das Gelingen oder Scheitern eines Maßnahmenbündels gegeben hatten. In den Augen vieler Staaten verbirgt sich hinter dem Washington Consensus die Chance, das „westliche“ Wirtschaftssystem zu exportieren, letztlich ein Missionarismus angloamerikanischer Prägung, der anderen Staaten aufgezwungen werden soll. Besonders sein vom Marktliberalismus geprägter Ansatz wurde in den neunziger Jahren unter dem wachsenden Einfluss der BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) infrage gestellt77. Aus der Kritik am Washington Consensus der achtziger Jahre hat sich der sogenannte „Beijing Consensus“ als alternatives wirtschaftspolitisches Modell herausgebildet. Der von Joshua Ramo geprägte Begriff78 steht für das 73 Kritisiert wird beispielsweise die neoliberale Formel „Wirtschaftliche Liberalisierung = Wachstum = Armutsbekämpfung“ in Verbindung mit der Hoffnung auf einen Trickle-down-Effekt. Kritisch zu den „Structural Adjustment Facility Programs“ (SAP) und im weiteren zur Konditionalität von IWF und Weltbank G. Cornia/R. Jolly/F. Stewart, Wege aus der Schuldenkrise, UNICEF, 1989. 74 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 193. 75 W. Lachmann, Entwicklungspolitik, S. 234. 76 A. Broome, The Currency of Power, S. 34. 77 Alain Greish nennt beispielhaft die festgefahrenen Verhandlungen der Doha Runde der Welthandelsorganisation, Understanding the Beijing Consensus, S. 1 f. 78 J. Ramo, The Beijing Consensus, 2004, passim.
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität281
chinesische Wirtschaftsmodell. In Abgrenzung zum Washington Consensus distanziert sich Ramo von Schock-Therapien und einem „one-size-fits-all“Ansatz. Der Beijing Consensus sei dagegen ideologisch neutral, anpassungsfähig und „does not believe in uniform solutions [but] emphasises development based on a country’s own characteristics“79. Maßstab für die wirtschaftliche Entwicklung einer Volkswirtschaft sei nicht allein das Wirtschaftswachstum, welches im Bruttoinlandsprodukt und Pro-Kopf-Einkommen zum Ausdruck komme, sondern mindestens ebenso sehr die Verteilungsgerechtigkeit80. Ramo sieht im Beijing Consensus einen „gigantic affect outside of China“81. Auch Gill und Huang erkennen in dem wachsenden Einfluss Chinas auf die Weltwirtschaft82 nicht allein Chinas wirtschaftliche und militärische Macht, sondern insbesondere dessen „soft and cultural power“. Das Land sei damit ein Vorbild für andere Entwicklungs- und Schwellenländer: „China’s economic miracle presents the developing world with a recipe for success“83. Dennoch ist bei dem scheinbar so neuen Ansatz des Beijing Consensus, der auch auf andere Entwicklungs- und Schwellenländer übertragbar sein soll, Skepsis angebracht. Vor allem ist er zu unpräzise, als dass man von ei79 B. Gill/Y. Huang,
Sources and Limits of Chinese ‚Soft Power‘, 2006, S. 20. The Myth of the Beijing Consensus, 2010, S. 468; J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, 1. Aufl., S. 78 f., 108. 81 „China is marking a path for other nations around the word who are trying to figure out not simply how to develop their countries, but also how to fit into the international order in a way that allows them to be truly independent, to protect their way of life and political choices in a world with a single massively powerful centre of gravity.“ J. Ramo, The Beijing Consensus, S. 3. 82 B. Gill/Y. Huang, Sources and Limits of Chinese ‚Soft Power‘, S. 17. 83 Gill und Huang haben in ihrer empirischen Studie den Einfluss des Modells des Beijing Consensus, insbesondere in Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan, Uzbekistan und Turkmenistan, untersucht. Diese Staaten hätten sich eher am wirtschaftlichen Aufstieg Chinas orientiert als an den Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds. Nach Gill und Huang sei der Washington Consensus und die Konditionalität des IWF während der Asiatischen Finanzkrise der späten neunziger Jahre überwiegend auf Ablehnung gestoßen, während der Einfluss Chinas auf die Weltwirtschaft im Verhältnis zum Einfluss der USA als positive Entwicklung gewertet wurde. Sources and Limits of Chinese ‚Soft Power‘, S. 20, 23 f; zum Einfluss des Beijing Consensus auch A. Nathan, The Beijing Consensus: How China’s Authoritarian Model Will Dominate the Twenty-first Century, 2014. Auch Joseph Stiglitz lobt (mit Einschränkungen) das chinesische Modell: „China entschied sich für eine allmähliche Liberalisierung, die freigesetzte Ressourcen einer effizienteren Verwendung zuführt. […] Die chinesische Führung war der Ansicht, dass es sowohl politisch als auch wirtschaftlich wichtiger sei, die gesellschaftliche Stabilität zu bewahren.“ Die Schatten der Globalisierung, 1. Auflage, S. 243, S. 241. 80 S. Kennedy,
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
nem eigenständigen Konzept sprechen könnte, und das chinesische Erfolgsmodell beruht im Vergleich zum Washington Consensus letztlich auf analogen Liberalisierungsstrategien84. Zwar sieht der Beijing Consensus vor allem die Reform des staatlichen Sektors, einschließlich der Fiskalpolitik und der (Teil)privatisierung staatlich kontrollierter Unternehmen als herausragende Wachstumstreiber, jedoch, so Yasheng Huang, ließen sich alle Erfolgsfaktoren der chinesischen Wirtschaft auch mit dem Modell des Washington Consensus erklären85.
II. Rechtsgrundlage der IWF-Konditionalität Ursprünglich beschränkten sich die Auflagen des IWF auf ausgewählte makroökonomische86 Kriterien87. Später kamen immer häufiger strukturelle Zielsetzungen (structural benchmarks) in Form sogenannter Erfüllungskritierien hinzu und auch die Vorbedingungen88 (prior actions) wurden ausgeweitet89. Bereits zu Beginn der neunziger Jahre enthielten die meisten Kreditprogramme auch strukturpolitische Elemente90 und heute bilden die auf flächen84 Nach Yasheng Huangs Auffassung hat der Beijing Consensus zu einer Verlangsamung des Pro-Kopf-Einkommens und einer Verringerung des chinesischen Konsums beigetragen, Debating China’s Economic Growth: The Beijing Consensus or The Washington Consensus, 2010, S. 46; ebenso S. Kennedy, The Myth of the Beijing Consensus, S. 469. 85 Y. Huang, Debating China’s Economic Growth: The Beijing Consensus or the Washington Consensus, S. 31 ff. 86 Zur problematischen Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroökonomik K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 44 f. 87 Während sich die früheren Auflagen auf fiskalpolitische Austerität konzentrierten, ging es in den späteren Programmen verstärkt um strukturelle und institutionelle Reformen der hilfsbedürftigen Staaten. Dazu der damalige geschäftsführende Direktor Michel Camdessus: „In short, the three programs particularly reflect a change in the traditional design of our programs; their emphasis is now much less on the austerity measures required to restore macroeconomic equilibrium and much more on a package of firm, forceful measures of considerable structural scope aimed at establishing the condition for sustainable growth in the next context of globalization.“ Reflections on the Crisis in Asia, 1998; vgl. dazu K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 179. 88 A. Thomas/U. Ramakrishnan, The Incidence and Effectiveness of Prior Actions in IMF-supported Programs, IMF WP WP/06/213, September 2006. 89 „The expansion of structural conditionality was reflected in increasing performance criteria, structural benchmarks, and prior actions“, S. Koeberle/H. Bedoya/ P. Silarszky/G. Verheyen, International Monetary Fund Conditionality, S. 33. 90 „[…] by the 1990s almost all programs included some element of structural conditionality.“ S. Koeberle/H. Bedoya/P. Silarszky/G. Verheyen, International Monetary Fund Conditionality, S. 33.
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität283
deckende strukturpolitische Reformen ausgerichteten Auflagen (structural conditionality)91 den zentralen Bestandteil der Kreditprogramme92. Erfasst werden alle wesentlichen ausgabewirksamen Bereiche, welche im nächsten Kapitel anhand des Reformprogramms gegenüber Griechenland beispielhaft untersucht werden. 1. Wortlaut Der IWF leitet seine Befugnis, die Instrumenten der Konditionalität, namentlich Konsultationen93, Vorbedingungen (preconditions)94, Abrufstaffelungen95 („phasing“) und Leistungskriterien96 („performance criteria“), zu nutzen, aus den Art. I v) und Art. V Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen sowie den modifizierten Richtlinien zur Konditionalität (Guidelines on Conditionality – GoC) ab97. Art. I Ziffer v) IWF-Übereinkommen lautet: „Der Internationale Währungsfonds hat [das Ziel, …] das Vertrauen der Mitglieder dadurch zu stärken, dass ihnen zeitweilig unter angemessenen Sicherungen die allgemeinen Fondsmittel zur Verfügung gestellt werden und ihnen so Gelegenheit gegeben wird, Unausgeglichenheiten in ihrer Zahlungsbilanz zu bereinigen, ohne zu Maßnahmen Zuflucht nehmen zu müssen, die dem nationalen oder internationalen Wohlstand schaden.“
Art. I Ziffer v) korrespondiert mit Art. V Abschnitt 3 a) IWF Übereinkommen98: „Für die Inanspruchnahme seiner allgemeinen Mittel, auch im Rahmen von Bereitschaftskredit- oder ähnlichen Vereinbarungen, beschließt der Fonds Geschäftsgrundsätze, wobei er für besondere Zahlungsbilanzprobleme besondere Geschäftsgrundsätze beschließen kann; diese Geschäftsgrundsätze sind darauf auszurichten, dass sie den Mitgliedern bei der diesem Übereinkommen gemäßen Lösung ihrer Zahlungsbilanzprobleme helfen und ausreichende Sicherungen dafür schaffen, dass die allgemeinen Fondsmittel nur zeitweise in Anspruch genommen werden.“ 91 Siehe
dazu IWF Evaluation Report 2007.
92 S. Koeberle/H. Bedoya/P. Silarszky/G. Verheyen,
International Monetary Fund Conditionality, S. 33 ff. Die „Enhanced Structural Adjustment Facility“ ist ausdrücklich mit strukturellen Auflagen an die Programmstaaten verknüpft. 93 Siehe dazu P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 157 f. 94 Ebenda, S. 160 ff. 95 Ebenda, S. 166. 96 Ebenda, S. 167 ff. 97 K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 163. 98 Der Terminus „adequate safeguards“ wird mit Aufnahme des Art. V Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen im Jahr 1969 nochmals aufgegriffen und spezifiziert.
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
Der Wortlaut der Artikel I Ziffer v) und Art. V Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen spricht jeweils von „Sicherungen“ (safeguards) und bezieht sich damit auf den zeitlichen Aspekt der Inanspruchnahme der Fondsmittel. Zu den Sicherungen zählen alle Maßnahmen, die gewährleisten, „dass die allgemeinen Fondsmittel nur zeitweise in Anspruch genommen werden“ (Art. V Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen). Textlich spricht der Begriff „Safe guards“ im Sinne von allgemeinen Gewährleistungen dafür, dass der Fonds grundsätzlich dazu ermächtigt ist, seine Kredite an Auflagen zu knüpfen, wenn Mitglieder aus dem allgemeinen Konto Fondsmittel in Anspruch nehmen wollen. Im Übrigen ist das Exekutivdirektorium ermächtigt, in Form von Geschäftsgrundsätzen abstrakt-generelle Regeln aufzustellen, um die Mittelvergabe organisationsintern zu regeln. 2. Systematik Nach überwiegender Ansicht formulieren Artikel I Ziffer v) und Art. V Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen eine umfassende, tatbestandlich uneingeschränkte Ermächtigung zu Auflagen gegenüber Mitgliedstaaten im Rahmen von IWF-Kreditprogrammen99. Aus den weit gefassten Zielbestimmungen des IWF-Übereinkommens sei eine Befugnis für eine Konditionierung der Fondsmittel abzuleiten100, welche neben wirtschaftlichen Kriterien auch strukturelle, insbesondere sogenannte Government-Bedingungen umfasse101. Peter Lucke argumentiert, dass das IWF-Übereinkommen „über die Behandlung der eigentlich geschützten Bereiche der internen Politik eines Mitgliedslandes“ keine Aussage treffe102. Im Gegensatz zum Weltbank-Abkommen findet sich in den IWF-Statuten kein Verbot, auch politische Kriterien in die Auflagenprogramme einzubeziehen103. Im Umkehrschluss folge daraus, dass die Auflagenpolitik des IWF sowohl an ökonomischen als auch an politischen Kriterien auszurichten sei, zumal sich der IWF „aus dem Beziehungsgeflecht internationaler Politik“ ohnehin nicht herausnehmen lasse. 99 Der Umfang der Konditionalität wird nach Peter Lucke nur außervertraglich durch das Prinzip der Selbstbindung der Verwaltung, das völkerrechtliche Neutralitätsgebot und das Selbstbestimmungsrecht der Staaten begrenzt, Internationaler Währungsfonds, S. 217 ff. 100 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 217 ff. 101 Die Konditionalität entwickelte sich im Kontext der Stand-by-Programme des IWF, P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 155. 102 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 219. Die Richtlinien enthielten keine Aussage „wann wirtschaftliche Maßnahmen eine Beschränkung der Souveränität darstellen“. Daher seien dem Fonds auch „keine wirksamen Grenzen gesetzt“ (S. 223). 103 Ebenda.
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität285
Freilich kommt eine derart weite Auslegung der Befugnisse einer uferlosen Generalermächtigung nahe, weil die Entscheidungen über Kreditgewährung, Kredithöhe und Konditionalität weitgehend der Willkür des IWF anheim gestellt ist. Einschränkungen ergeben sich bereits aus der vertragsinternen Systematik. Der Begriff der „Konditionalität“ findet an keiner Stelle des IWF-Übereinkommens ausdrücklich Erwähnung. Art. I Ziffer v) und Art. V Abs. 3 a) IWF-Übereinkommen sprechen jeweils von „Sicherungen“, im englischen Originaltext von „adequate safeguards“. Darin spiegelt sich der Interessenkonflikt zwischen der Funktion der Konditionalität als einem „Instrument zur Sicherung eines wirksamen Anpassungsprozesses eines Mitgliedstaates“ und dem gemeinsamen Interesse aller Mitgliedstaaten am „Funktionieren des internationalen Zahlungsverkehrs und an der schnellen und sicheren Rückzahlung der Mittel“104. Auf der einen Seite sollen die Sicherheiten dem Ziel („dafür … dass“) dienen, dass der Fonds die ausgereichten Mittel kurzfristig zurückerhält105; andernfalls wäre der revolvierende Charakter der Mittelvergabe gefährdet. Im Lichte der vorstehenden Ausführungen kommen alle Arten von Gewährleistungen in Betracht, von vertraglichen Verpflichtungen bis zur Überlassung klassischer Sicherheiten, wie sie im Privatrecht zur Besicherung einer Forderung üblich sind, zum Beispiel Pfandrechte in Form von Auslandsdevisen, Goldreserven106, Bodenschätzen, Förderrechten107 oder Immobi104 Für den Interessenkonflikt sei kennzeichnend, dass die angewandten Instrumente zur Kreditsicherung „aufgrund mangelnder Transparenz nur schwer nachvollziehbar“ seien. T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 88. 105 Aus der Aufgabe des Fonds, den Mitgliedstaaten bei der „Lösung ihrer Zahlungsbilanzprobleme [zu] helfen“, kann sich nichts anderes ergeben; denn dabei handelt sich lediglich um eine Befugnisnorm zum Abschluss von Geschäftsgrundsätzen, die von sich aus keine Verbindlichkeit entfaltet (siehe unten). 106 So hat zum Beispiel Deutschland in den siebziger Jahren an Italien Kredite in Höhe von 5 Milliarden Deutsche Mark ausgereicht, welche durch die Verpfändung von italienischen Goldreserven in gleicher Höhe besichert wurden. Als Sicherheit käme das Instrument goldgedeckter Anleihen in Betracht. Portugal zum Beispiel verfügt über Goldreserven in Höhe von 382,5 Tonnen, Griechenland von 282 Tonnen. – FAZ vom 13. November, Goldgedeckte Anlegen statt der EZBAnkäufe, S. 13. Problematisch ist allerdings, dass das Gold bei den Zentralbanken liegt und eine Besicherung wohl gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung verstoßen würde. 107 Zum Streit um vermutete Rohstoffvorkommen vor der griechisch-zyperischen Küste: Der Spiegel Online vom 28. Dezember 2012, Riesiges Erdgaslager vor Küste Zyperns entdeckt, einzusehen unter http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/energieriesiges-erdgaslager-vor-kueste-zyperns-entdeckt-a-806135.html; zum Streit um die
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
lien108. Bei staatlichen Schuldnern kommt auch die Verpfändung von staatlichem Vermögen in Betracht, um den Gläubigern Sicherheiten zu bieten und die Zinsen zu senken109. Der IWF trägt seinem Sicherungsinteresse nicht zuletzt dadurch Rechnung, dass er sich den Status eines bevorrechtigten Gläubigers zusichern lässt und diesen sogenannten „Superstatus“ zur Bedingung seiner Finanzhilfen macht110. Neben diesen Instrumenten zur Besicherung der Kreditforderung kommen grundsätzlich auch weitergehende Förderrechte: The New York Times Online vom 30. August 2012, Race for Gas by Cypriot Rivals Adds to Tensions, einzusehen unter http://www.nytimes.com/2012/08/ 31/world/europe/in-cyprus-race-for-natural-gas-adds-to-tensions.html?pagewanted=all &_r=0. 108 Eine ähnliche Sicherungsvereinbarung wurde von der finnischen Regierung im Rahmen des Griechenland-Hilfspakets im August 2011 in Form der sogenannten Finnland-Klausel durchgesetzt: „Erforderlichenfalls wird eine Besicherungsvereinbarung getroffen, damit das den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets aus ihren Garantien für die EFSF erwachsende Risiko abgedeckt wird.“ – FAZ vom 20. August 2011, Die Folgen der Finnland-Klausel. Zuvor hatten sich die Finanzminister Finnlands und Griechenlands darauf verständigt, dass Finnland für seine Beteiligung Geld erhält, FAZ vom 18. August 2011. Athen sollte etwa eine Milliarde Euro in sichere Anleihen anlegen und im Falle eines Staatsbankrotts an Finnland zurückzahlen. Der IWF wandte sich gegen diese Sicherheiten als Gegenleistung für das zweite Griechenland-Rettungspaket, weil diese Pläne gegen seinen Status als bevorrechtigter Gläubiger verstießen. Außerdem würden nach Ansicht des IWF durch einen solchen Schritt auch die Rechte von Eigentümern griechischer Anleihen verletzt. Siehe FAZ vom 3. September 2011, Griechenland muss Haushalt nachbessern; zur ähnlichen Debatte in den USA vgl. Tagesspiegel vom 19. Mai 2010, US-Senat stimmt gegen Hilfe für Athen. 109 Vgl. FAZ vom 13. August 2012, S. 15, Finnen schlagen Verpfändung von Staatsbesitz vor. 110 Der IWF besteht im Rahmen eines Kreditprogramms auf den Status eines bevorrechtigten Gläubigers (preferred creditor), das heißt andere Gläubiger werden automatisch zu nachrangigen Gläubigern. Durch den Status als bevorrechtigter Gläubiger soll die Rückzahlung der Mittel des IWF gesichert werden. Dieser Status ist zwar nicht juristisch kodifiziert, wird aber allgemein anerkannt (L. Rieffel, Restructuring Sovereign Debt, 1985, S. 30: „[…] debt service to the IMF is by tradition exempt from rescheduling.“). Damit genießen die Forderungen des IWF ein Rückzahlungs vorrecht gegenüber allen anderen Gläubigern. Siehe Ph. Völk, Zur Gläubigerrangfolge bei souveränen Schuldnern, S. 138 ff: In den vergangenen Jahren wurden immer häufiger außergewöhnlich hohe Kredite vergeben bei gleichzeitigem Entgegenkommen im Hinblick auf die Vergabestandards. Damit ist das Risiko des IWF, dass Schuldnerländer ihren Zahlungsverpflichtungen in Zukunft in größerem Umfang nicht nachkommen könnten, erheblich gestiegen. Demgegenüber ist die Deckung für potenzielle Zahlungsausfälle durch Rücklagen des IWF mit rund 11 % Ende 2012 – gemessen an den Kreditaußenständen – unzureichend. Auch weist der für solche Fälle eingerichtete Lastenteilungsmechanismus (Burden Sharing Mechanism) nicht annähernd ausreichende Kapazitäten auf, um größere Zahlungsrückstände abfedern zu können. Vgl. T. Marauhn, Restrukturierung ausländischer Staatsschulden, S. 76.
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität287
politische Konditionen in Betracht. Auch Auflagen zu wachstumsorientierten Strukturreformen können gegebenenfalls gewährleisten, dass die Hilfen des Fonds nur zeitweilig in Anspruch genommen werden. Auf der anderen Seite greift Art. I v) IWF-Übereinkommen das Gebot der Verhältnismäßigkeit der Kreditbedingungen auf („under adequate safe guards“)111. Einmal müssen die auferlegten Maßnahmen im ökonomischen Sinne erforderlich und zielführend sein, zum anderen müssen die Auflagen dem Gebot der „Angemessenheit“ im rechtlichen Sinne genügen112. Dazu gehört auch die Vereinbarkeit mit völkerrechtlichen Prinzipen, insbesondere der Souveränität der Mitgliedstaaten. Wie im Laufe der nächsten Kapitel deutlich werden wird, korrespondiert die ökonomische Maßstäblichkeit einer angemessenen Konditionalität mit deren rechtlichen Maßstäblichkeit; denn im Rahmen von Austeritätsprogrammen auferlegte Maßnahmen, die ökonomisch fatal sind, können rechtlich nicht richtig sein113. 3. Geschäftsgrundsätze als Rechtsgrundlage Der Fonds ist gemäß Art. V Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen befugt, zur Inanspruchnahme seiner allgemeinen Mittel Geschäftsgrundsätze zu beschließen114. Damit soll sichergestellt werden, dass die Bewilligung der allgemeinen Fondsmittel anhand hinreichend objektiver Kriterien erfolgt115. Von 111 Der deutsche Vertragstext differenziert: Während gemäß Art. I Ziffer v) IWFÜbereinkommen die allgemeinen Fondsmittel „unter angemessenen Sicherungen“ zur Verfügung gestellt werden sollen, ist in Art. V Abs. 3 a) IWF-Übereinkommen von „ausreichenden Sicherheiten“ die Rede. 112 Zur Problematik der Verhältnismäßigkeit der Konditionen vergleiche die Ausführungen unten Teil 6, B. IV. 1. 113 Siehe zur Evaluierung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Sondergutachten des Sachverständigenrats vom Juli 2015, Konsequenzen aus der GriechenlandKrise für einen stabileren Euro-Raum, Rdn. 53–58. Zur völkerrechtlichen Vereinbarkeit der Austeritätspolitik siehe Teil 5, A. III. 1. b). 114 „Für die Inanspruchnahme seiner allgemeinen Mittel, auch im Rahmen von Bereitschaftskredit- oder ähnlichen Vereinbarungen, beschließt der Fonds Geschäftsgrundsätze […]“. – Art. V Abschnitt 3 A) IWF-Übereinkommen. 115 Mit der Ermächtigung zur Formulierung von Verfahrensbestimmungen wird der Fonds aber nicht ermächtigt, die Bedingungen der Inanspruchnahme allein nach eigenem Ermessen zu bestimmen. Die Kriterien der Kreditvergabe werden ausweislich Art. V Abschnitt 1 a) IWF-Übereinkommen nicht dem Exekutivdirektorium überlassen: „Diese Geschäftsgrundsätze sind darauf auszurichten, dass sie den Mitgliedern bei der diesem Übereinkommen gemäßen Lösung ihrer Zahlungsbilanzprobleme helfen und ausreichende Sicherungen dafür schaffen, dass die allgemeinen Fondsmittel nur zeitweise in Anspruch genommen werden.“ Im Übrigen ist bemerkenswert, dass
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
dieser Befugnis hat er Gebrauch gemacht und im Jahr 1979 Richtlinien zur Konditionalität (Guidelines on Conditionality, GoC) erlassen116. In der Entscheidung Nr. 6056-(79 / 38) einigte sich das Exekutivdirektorium des Fonds auf allgemeine Grundsätze117, in welchen die bis dahin übliche Praxis der Konditionalität nachträglich normiert wurde118. Nach anhaltender Kritik an den IWF-Auflagen, insbesondere dem Vorwurf, der IWF handle außerhalb seines Mandates119, traten im September 2002 überarbeitete Richtlinien in Kraft. Gemäß Ziffer 6) der Richtlinien zur Konditionalität (GoC) sind die Auflagen des IWF an zwei Hauptzielen auszurichten: 1. „solving the member’s balance of payments problem without recourse to measur es destructive of national or international prosperity“, 2. „achieving medium-term external viability while fostering sustainable economic growth“.
Die Richtlinien sollen Unausgeglichenheiten der (negativen) Zahlungsbilanz des betroffenen Mitgliedstaates beseitigen und ein tragfähiges Wirtschaftswachstum generieren120. Eine ausgeglichene Zahlungsbilanz ist im Wesentlichen das Ergebnis eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts einer Volkswirtschaft. Dies wiederum ist von der Entwicklung des Außenbeitrags (Exporte abzüglich Importe) abhängig und dementsprechend sind die Auflagen des IWF auf die „Hebung des Außenbeitrags“121 des betroffenen Mitgliedstaates gerichtet122. die Regelung zurückhaltend formuliert ist. Eine explizite Ermächtigung zu Eingriffen in den Kernbereich der staatlichen Souveränität wäre auch unter den Mitgliedern kaum mehrheitsfähig gewesen. 116 IWF-Exekutivdirektorium Entscheidung Nr. 6056 – (79/38) vom 2. März 1979, abgedruckt in Selected Decisions of the IMF, 19. Ausgabe vom 30. Juni 1994, Washington, D.C.: International Monetary Fund 1994, S. 519 ff. Diese Entscheidung ersetzte die Entscheidung zur Konditionalität aus dem Jahr 1968. Dazu K. Weigelt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 166 Rdn. 351; E. Denters, Law and Policy of IMF Conditionality, S. 96. 117 IMF-Survey, September 1992, S. 12. Die Richtlinien wurden zuletzt im Jahr 1991 bestätigt. 118 Dazu S. Koeberle/H. Bedoya/P. Silarszky,/G. Verheyen, International Monetary Fund Conditionality, S. 33. 119 „Over time, however, the IMF was seen, in some cases, as overstepping its mandate and core areas of expertise, using its financial leverage to promote an extensive policy agenda, and thus short-circuiting national decision making processes and overtaxing countries’ implementation capacity.“ S. Koeberle/H. Bedoya/P. Silarszky/ G. Verheyen, International Monetary Fund Conditionality, S. 33. 120 Vgl. zu den Richtlinien zur Konditionalität auch A. Buira, An analysis of IMF conditionality, S. 10 ff. 121 N. Rowohl, Abgrenzung der Mandate zwischen IWF und Weltbank, S. 107. 122 IWF Guidelines on Conditionality, Dec. No. I, Nr. 6 (a) und (b): „solving the member’s balance of payments problem without recourse to measures destructive of
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität289
Neben der Wiederherstellung einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz hat sich die Konditionalität an den Zielen Preisstabilität und angemessenes Wirtschaftswachstum zu orientieren123. Dabei hat sie sich grundsätzlich auf makroökonomische Erfüllungskriterien zur Behebung der Zahlungsbilanzdefizite zu beschränken, kann in besonderen Fällen aber auch auf mikroökonomische Maßnahmen zurückgreifen: „Conditions will normally consist of macroeconomic variables and structural measures that are within the Fund’s core areas of responsibility. Variables and measures that are outside the Fund’s core areas of responsibility may also be established as conditions but may require more detailed explanation of their critical importance. The Fund’s core areas of responsibility in this context comprise: macroeconomic stabilization; monetary, fiscal, and exchange rate policies, including the underlying institutional arrangements and closely related structural measures; and financial system issues related to the functioning of both domestic and international financial markets.“ – Ziffer 7 b) Richtlinien zur Konditionalität (GoC).
Die Richtlinien sollen dem Fonds einen möglichst weiten Entscheidungsrahmen für die inhaltliche Ausgestaltung der Auflagen an die Hand geben124; sie sehen sowohl makro-, als auch mikroökonomische Maßnahmen vor. Die makroökonomische Stabilisierung betrachtet der Fonds als Teil seines zentralen Verantwortungsbereichs („core areas of responsibility“). Darunter versteht er die Geld-, Fiskal- und Wechselkurspolitik, inklusive der verantwortlichen nationalstaatlichen Institutionen, sowie Strukturmaßnahmen, die mit diesen Politiken in engerem Zusammenhang stehen. Zu den makroökonomischen Auflagen im unmittelbaren Kompetenzbereich des IWF gehören die Steuerung der Geldmenge, Reduzierung der Auslandsverschuldung, Lohnkontrollen, Verringerung staatlicher Subventionen, Kreditaufnahmeschranken, Änderungen in der Steuerpolitik, die Liberalisierung des Handels und des Zahlungsverkehrs125. Auch die Maßnahmen des Washington Consensus beruhen auf eben jenen Richtlinien, welche den Fonds im Dienste eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zu Maßnahmen wie der „Liberalisierung der national or international prosperity; and achieving medium-term external viability while fostering sustainable economic growth“. 123 Siehe N. Rowohl, die in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass wirtschaftliche Stabilität seit der Einführung flexibler Wechselkurse nicht mehr an der Stabilität der Wechselkurse gemessen werden kann. Anstelle dessen trete nun die Preisstabilität. Abgrenzung der Mandate zwischen IWF und Weltbank, S. 107. 124 Nach Joseph Gold, dem ehemaligen Leiter der Rechtsabteilung des IWF, beabsichtigt der Fonds mit der begrifflichen Unbestimmtheit der Richtlinien, sich bei der Gestaltung der Maßnahmen ein Höchstmaß an Flexibilität zu sichern, The Growing Role of the IMF’s SBAs, 1984, S. 308, 312. 125 W. Engshuber, Die Auflagenpolitik des Internationalen Währungsfonds aus rechtlicher Sicht, S. 22; F. O. Anunobi, The Implications of Conditionality: The International Monetary Fund and Africa, 1992, S. 165.
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
Zahlungs- und Handelsbeschränkungen“, der „Exportförderung“, der „Verbesserung des Klimas für Auslandsinvestitionen“, der „wechselkurspolitischen Maßnahmen“ und der „maximalen Öffnung der Volkswirtschaft“ ermächtigen126. Daneben beansprucht der Fonds eine zentrale Verantwortung für alle Bereiche, welche für die Funktionsfähigkeit der nationalen und internationalen Finanzmärkte relevant sind. Bereiche, die nach Ansicht des Fonds außerhalb seines zentralen Verantwortungsbereichs liegen, können nach den Richtlinien ebenfalls Gegenstand der Konditionalität sein. Der Fonds muss deren Hinzuziehung im Einzelfall aber näher begründen („more detailed explanation“). Für Natalie Rowohl besteht die Konditionalitätsbefugnis deshalb insgesamt aus einem „Dreiklang an Politikreformen“, „nämlich der Wiederherstellung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts, der Wiederherstellung gesunder Staatsfinanzen und dem Ausbau der Marktwirtschaft“127. a) Performance criteria Im Rahmen der Konditionalität kommt den Leistungskriterien („performance criteria“) besondere Bedeutung zu128. Sie bestehen aus rein monetären wirtschaftlichen Größen und dienen als Indikatoren, deren Ausprägung Aufschluss über den Erfolg der Maßnahme geben soll (objektive Maßgrößen zur Bewertung des Zielerreichungsgrades). Als verbindliche Zielgrößen bilden sie einen Maßstab zur Beurteilung des Erfolgs von Sanierungsprogrammen. Die Auswahl technischer Kennzahlen mit der Festlegung entsprechender quantifizierbarer Ziele und die Identifizierung qualitativer Indikatoren des Zielerreichungsgrades trifft der Fonds grundsätzlich nach eigenem Ermessen, in praxi freilich oft mehr nach politischen Erwägungen als nach ökonomischem Sachverstand, wie das Beispiel Griechenlands in den folgenden Kapiteln zeigen wird. Die Leistungskriterien werden vor Ausreichung der Kredite im Rahmen des Kreditprogramms festgelegt und begründen eine objektive129 Bindungswirkung des Fonds130. Solche Kriterien sichern ein 126 Siehe N. Rowohl, Abgrenzung der Mandate zwischen IWF und Weltbank, S. 108 f. 127 Ebenda, S. 108. 128 Vgl. zur Rechtsnatur der Leistungskriterien P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 180 ff. 129 John Williamson nennt „objectivity, timely availability of data to assess compliance; and the significance of the variable as an indicator of overall compliance with the agreed program“, The Lending Policies of the IMF, 1983, S. 38. 130 Nach Ansicht von Joseph Gold und Peter Lucke macht der IWF von der Vereinbarung der Leistungskriterien nur „zaghaften“ Gebrauch, um sich „bei der Entwicklung eigener Lösungsmodelle“ „großzügige Freiräume“ offen zu lassen, P. Lu-
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität291
gewisses Maß an Objektivität, weil auf diese Weise „Erfolg oder Misserfolg eines Fondsprogramms nicht von einer Ermessensentscheidung des Fonds abhängig“ ist. Dass die Mitglieder daher keinen „unvorhersehbaren“ und „ungerechtfertigten“ Beurteilungen ausgesetzt seien, wie Peter Lucke meint131, ist indes zweifelhaft, weil Auswahl, Kontrolle und Bewertung der wirtschaftspolitischen „Performance“ des Programmstaates letztlich doch dem Ermessen des Fonds vorbehalten bleiben. b) Verbindlichkeit der Geschäftsgrundsätze Fraglich ist, ob die Richtlinien zur Konditionalität eine über die Art. I Ziffer v) und Art. V Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen hinausgehende Befugnis des Fonds begründen können. Zwar enthält Art. V Abschnitt 3 a) IWFÜbereinkommen die Befugnis, für die Ausgestaltung der Zugangsbedingungen zu den Fondsmitteln Richtlinien zu erlassen. Die Richtlinien können außerhalb des Vertrages aber keine eigenen Befugnisse für den Fonds begründen132. Sie dienen in erster Linie dem Ziel, eine „einheitliche Grundlage“ zu schaffen, um die „Gleichbehandlung aller Mitgliedstaaten“ bei der Mittelvergabe zu gewährleisten133. Dessen ungeachtet schaffen die Richtlinien keine klaren Zugangsvoraussetzungen zu den Fondsmitteln und sind derart allgemein gehalten – Joseph Gold spricht von „panoramic scope“134 –, dass sie sich bereits aufgrund ihcke, Internationaler Währungsfonds, S. 183. Nach Gold entwickelt der IWF regelmäßig zwischen einem und zehn Kriterien, The Growing Role of the IMF’s Stand-By Arrangements, 1984, S. 149. In der gegenwärtigen Praxis der Konditionalität kann von einem zurückhaltenden Gebrauch keine Rede mehr sein [siehe Teil 4, B. II. 4. b)]. Der IWF sichert sich seinen Entscheidungsfreiraum, indem er die quantitativen Erfüllungskriterien mit qualitativen Kriterien, insbesondere mit sogenannten Governance-Bedingungen, kombiniert, deren Bewertung allein im Ermessen des Exekutivdirektoriums liegt. 131 Peter Lucke bezeichnet sie als „Schutzvorrichtung“ zugunsten der Kreditnehmerländer, Internationaler Währungsfonds, S. 183. Diese Bezeichnung ist angesichts der Kombination mit qualitativen, objektiv nicht überprüfbaren Kriterien zu weitgehend und lässt sich heute kaum noch aufrechterhalten. 132 Die in Art. V Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen enthaltene Befugnis des Fonds, zur Kreditvergabe gesonderte Geschäftsgrundsätze zu formulieren, ist keine Interpretation des Exekutivdirektoriums im Sinne des Art. XXIX IWF-Übereinkommen. So auch K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 166. 133 So K. Weigeldt, der aus den Geschäftsgrundsätzen eine Wirkung ableitet, die „vergleichbar mit der Selbstbindung der Verwaltung“ ist, Die Konditionalität des IWF, S. 167 f. 134 Das Gebot, die politischen Umstände der Länder zu berücksichtigen, sei kaum bestimmbar, J. Gold, Conditionality, S. 23.
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
rer geringen Bestimmtheit kaum zu einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage hochstufen lassen135. Im Übrigen werden die Richtlinien vom Exekutivdirektorium beschlossen, sind also ein innerorganisatorischer Akt136. Im Gegensatz zum Primärvertrag entfalten die Richtlinien keine Verbindlichkeit gegenüber den Mitgliedstaaten137. c) Grenzen der Richtlinien zur Konditionalität Grundsätzlich materialisiert eine Befugnisnorm, wenn sie hinreichend bestimmt ist, auch deren Grenzen. Die Formulierung des Art. I v) IWF-Übereinkommen ist indessen denkbar offen und macht eine Bestimmung und Begrenzung der IWF-Befugnisse aus dem Wortlaut schwierig. Auch Art. V Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen wurde so „vage“ formuliert, dass er „kaum die bis dahin entwickelte Verwaltungspraxis“ fixierte138. Die vielen „unbestimmten Rechtsbegriffe“ sollten dem Fonds einerseits eine möglichst freie Hand bei den Stabilisierungsmaßnahmen lassen139, andererseits aber auch 135 Klaus Weigeldt gelangt mit Joseph Gold (The Rule of Law in the International Monetary Fund, S. 11) zu dem Ergebnis, dass die Richtlinien innerorganisatorisch eine rechtliche Bindungswirkung entfalten. Die Richtlinien seien daher als rechtliche „Grenzen der Auflagen im Rahmen von Konditionalitätsprogrammen“ zu verstehen. Dies führe dazu, dass der Fonds ultra vires und damit rechtswidrig handle, wenn er gegen seine eigene Vergaberichtlinie verstößt. Die Konditionalität des IWF, S. 167 f.; ähnlich P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 153. Die Geschäftsgrundsätze seien ob ihrer Unbestimmtheit kaum geeignet, das Konditionalitätsprogramm für die (potentiell) betroffenen Mitgliedstaaten des Fonds vorhersehbar zu machen. 136 Zwar wirken im Exekutivrat auch die Vertreter der (einzelner) Mitglieder mit, jedoch werden die Richtlinien nicht von den Mitgliedern selbst ratifiziert. So auch K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 166 ff. 137 So auch J. Gold, The Rule of Law in the International Monetary Fund, S. 11; zustimmend K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 167. 138 Ebenda. 139 Nach Ansicht von Peter Lucke enthalten die in Art. I Ziffer IWF-Übereinkommen aufgeführten Vertragsziele eine implizite Ermächtigungsgrundlage für eine umfassende Konditionalität, welche sich auch auf qualitative politische Kriterien erstreckt. Dem Fonds stehe bei seinen Entscheidungen folglich ein weitreichender „administrativer Gestaltungsspielraum“ zu, welcher sich insbesondere aus den weit gefassten Zielbestimmungen, der Ermächtigung des Exekutivrates zu abstrakt-generellen Entscheidungen (Geschäftsgrundsätze), einem weiten Ermessensspielraum auf Rechtsfolgenseite (im Rahmen der qualitativen Prüfungsmerkmale) und aus der Lehre von den implied-powers ableite. Lucke gelangt letztlich zu dem Ergebnis, dass auch politische Auflagen vom IWF-Übereinkommen gedeckt seien. Innerhalb seines Ermessens unterliege der Fonds freilich Grenzen, wie der Pflicht zur politischen Neut-
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität293
dem kreditsuchenden Staat eine flexible Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten ermöglichen140. In den rechtswissenschaftlichen und politischen Debatten gibt es unterschiedliche Auffassungen über die materiale Reichweite der Befugnis zur Konditionalität141. So ist nicht geklärt, ob Art. I Ziffer v) und Art. V Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen in Verbindung mit den Richtlinien den Fonds auch in concreto dazu ermächtigt, einem Programmstaat beispielsweise Maßnahmen zur Neuorganisation der Rentenpolitik oder des Gesundheitswesens aufzuerlegen142. Die Guidelines on Conditionality (GoC) sind operative Leitkriterien, setzen der Konditionalität des IWF aber Grenzen, indem sie ein gewisses Maß an Kontinuität bei den Kreditprogrammen gewährleisten. Zwar trifft der Fonds die Entscheidung über eine Kreditvergabe an einen Mitgliedstaat im Einzelfall143, die Ermessensentscheidung ist aber insbesondere an das Gebot der politischen Neutralität und die eigene Vergabepraxis144 gebunden. § 5 GoC erkennt im Bereich der Konditionalität den Grundsatz der Gleichbehandlung ausdrücklich an145, der im Übrigen auf dem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung aller Mitglieder basiert (principle of uniformity of ralität oder der Selbstbindung der Fondsverwaltung. P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 221 ff. 140 Siehe Begründung im Report by the Executive Directors to the Board of Governors: Proposed Second Amendment to the Articles of Agreement, 1976, S. 20, zitiert in R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 275. 141 W. Engshuber, Die Auflagenpolitik des Internationalen Währungsfonds aus rechtlicher Sicht, S. 21 ff. 142 Zur Auslegung der Bestimmungen P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 148 ff. 143 Zu den Ansprüchen der Mitgliedstaaten auf Kapitalhilfen und dem Ermessensspielraum des Fonds R. Schütz, Solidarität im Wirtschaftsvölkerrecht. Eine Bestandsaufnahme zentraler entwicklungsspezifischer Solidarrechte und Solidarpflichten im Völkerrecht, S. 138 ff., 344. 144 Das Prinzip der Selbstbindung, welches sich aus dem prägenden Völkerrechtsprinzip der Staatengleichheit ableitet, findet sich indirekt im Diskriminierungsverbot des § 8 GoC (als Teil des völkerrechtlichen Begriffs der „uniformity“). So entfalten die eigenen Entscheidungen des Fonds Bindungswirkung für künftige Ermessensentscheidungen. Zur Frage der Selbstbindung der Verwaltung J. Gold, Conditionality, S. 30; insbesondere auch P. Lucke, der zurecht darauf hinweist, dass eine (willkürliche) Missachtung des Gleichbehandlungsgebotes ob der wirtschaftlichen Unterschiedlichkeit der Sachverhalte in der Praxis kaum nachweisbar ist, Internationaler Währungsfonds, S. 223 ff. Allerdings können evidente Willkürentscheidungen des Fonds durchaus im Einzelfall gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. 145 „The Fund will ensure consistency in the application of policies relating to the use of its resources with a view to maintaining the uniform treatment of members.“
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treatment of members) und insofern deklaratorische Bedeutung hat. Verletzt der IWF das Gebot der Gleichbehandlung, so verstößt er gegen bindendes Recht. In diesem Fall ist von einem kompetenzüberschreitenden Handeln ultra vires auszugehen146. Die Grenzen der Konditionalität ergeben sich auch insbesondere aus den Ziffern 3), 4) und 7) der Richtlinien zur Konditionalität (GoC)147. Ziffer 3) GoC betont die „ownership“ der Kreditprogramme, letztlich das Gebot der Souveränität der Staaten: „National ownership of sound economic and financial policies and an adequate administrative capacity are crucial for successful implementation of Fund-supported programs.“
Damit korrespondiert Ziffer 4) GoC: „In helping members to devise adjustment programs, the Fund will pay due regard to the domestic social and political objectives, the economic priorities, and the circumstances of members, including the causes of their balance of payments problems.“
Diese Richtlinie wird durch Ziffer 7) GoC ergänzt: „A member may be expected to adopt some corrective measures before a stand-by arrangement is approved by the Fund, but only if necessary to enable a member to adopt and carry out a program consistent with the Fund’s provisions and policies.“
Die Ziffern 3), 4) und 7) der Richtlinien zur Konditionalität (GoC) formulieren Grenzen der Konditionalität, welche sich aus dem Grundsatz der Souveränität der Mitgliedstaaten ohnehin zwingend ergeben. So ist dem IWF aufgegeben, die sozialen und politischen Ziele des betroffenen Staates im Rahmen der Anpassungsprogramme zu respektieren, das heißt, die Ziele des Staates sind für den Fonds verbindlich. Die Regelung ist deklaratorisch und entspricht insofern geltendem Völkerrecht, als die inneren Angelegenheiten des Staates und der daraus hervorgehende domaine réservé unter besonderen Schutz gestellt und allein den Mitgliedstaaten vorbehalten sind (dazu unten).
146 Ausbrechende Rechtsakte, das heißt die Fortentwicklungen außerhalb der Verträge und damit außerhalb der Zustimmung der Parlamente entfalten keine Verbindlichkeit gegenüber den Mitgliedstaaten; denn die Bürger der Mitgliedstaaten haben dem IWF kein Mandat erteilt, über die eingeräumten Befugnisse hinaus tätig zu werden und die politischen Strukturen in den betroffenen Ländern zu reformieren. So auch K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF, S. 167 f.; P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 218. 147 Dazu auch Eva Riesenhuber mit Blick auf die Konditionalität des IWF gegenüber Indonesien, The International Monetary Fund Under Constraint: Legitimacy of Its Crisis, S. 301 f.; vgl. P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 221 f.
A. Inhalt und Rechtsgrundlage der Konditionalität295
4. Kompetenzerweiternde Auslegungsregeln: implied powers und effet utile Grundsätzlich darf der IWF seine Tätigkeit nur im Rahmen der ihm vertraglich zugewiesenen Befugnisse ausüben148. Im Rahmen einer kompetenzerweiternden Auslegung nach der Lehre von den implied powers149 und der effet utile Regel könnte der Fonds zu Auflagen berechtigt sein, die über den vertraglich vereinbarten Umfang, das heißt die Befugnis zu begrenzten wirtschaftlichen Sicherheiten, hinausgehen. Eine solche Vertragsabrundungskompetenz käme in Betracht, wenn der IWF seine Aufgaben ohne Rückgriff auf das Instrument strukturpolitischer Auflagen gegenüber Mitgliedstaaten nicht wirksam würde erfüllen können. Die Befugnis des IWF, Kredite unter „angemessenen“ und „ausreichenden Sicherungen“ an die Mitglieder auszureichen, ist mit Blick auf die Ziele des Fonds auszulegen150. In diesem Sinne fordert Peter Lucke eine an Ziel und Aufgabe orientierte Auslegung bei der Bestimmung der IWF-Befugnisse. Seit Aufnahme der Art. I Ziffer v) und Art. V Abschnitt 3 a) in das IWFÜbereinkommen sei der IWF ermächtigt, die Ausreichung der Fondsmittel an umfassende, auch strukturpolitische Auflagen zu knüpfen, um seiner Aufgabe effektiv nachkommen zu können151. Das Ziel des IWF, die einzelnen Teilbilanzen der Zahlungsbilanz der Mitgliedstaaten zu verbessern, rechtfertige weitreichende Befugnisse zu strukturellen Auflagen gegenüber den Mitgliedstaaten152. Dabei wird verkannt, dass dem IWF gerade keine vertraglich zugewiesenen Kompetenzen zur aktiven Kontrolle der Zahlungsbilanz seiner Mitgliedstaaten übertragen wurden, vielmehr liegt diese Kompetenz ausweislich Art. I Ziffer v) IWF-Übereinkommen allein im Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten („um ihnen [sic: den Mitgliedstaaten] so Gelegenheit zu geben“, ihre Zahlungsbilanzprobleme zu lösen). Eine Verschiebung des Kompetenz148 Ein Rückschluss von der Aufgabe auf die Befugnisse ist grundsätzlich nicht zulässig. So mit Bezug auf den Vertrag von Maastricht BVerfGE 89, 155, Rn. 156. 149 K. Skubiszewski, Implied Powers of International Organizations, in Y. Dinstein (Hrsg.), International Law at a Time of Perplexity: Essays in Honour of Shabtai Rosenne, 1989, S. 855–868. 150 Vgl. zu den Grundsätzen im Rahmen der Europäischen Integration auch BVerfGE 89, 155, Rn. 18: „Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung kann zwar eine einzelne Bestimmung, die Aufgaben oder Befugnisse zuweist, mit Blick auf die Vertragsziele ausgelegt werden; das Vertragsziel selbst genügt jedoch nicht, um Aufgaben und Befugnisse zu begründen oder zu erweitern.“ 151 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 217 ff.; K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 23. 152 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 198.
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gefüges zwischen dem Fonds und seinen Mitgliedstaaten wäre mit der staatlichen Souveränität auch schlechterdings nicht vereinbar, weil die Zahlungsbilanz einen substantiellen Teil der Staatlichkeit abbildet. 5. Befugnis der Konditionalität aufgrund Gewohnheitsrechts In der Literatur wird diskutiert, ob „allein die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten über viele Jahre die Praxis der Bereitschaftskreditvereinbarungen akzeptiert haben, ausreicht, um eine von den beschriebenen Grenzen abweichende Auslegung des Organisationsrechts zu begründen“153. Eine völkergewohnheitsrechtliche Befugnis zur Konditionalität nach Art. 31 Abs. 3 b) WVK ist mangels einer „fortdauernden freien Übereinstimmung der Vertragsparteien“ jedoch abzulehnen154. Der Geschäftsführende Direktor und das Exekutivdirektorium treffen als Organe des Fonds im Rahmen der Kreditprogramme die maßgeblichen Entscheidungen über die Gestaltung der Auflagen, ohne dass die Mitgliedstaaten dem zugestimmt hätten. Klaus Weigeldt verweist zurecht auf die „durch wirtschaftliche Not begründete Zwangssituation“ der betroffenen Mitgliedstaaten im Zeitpunkt der Herbeiführung der Stabilisierungsmaßnahmen155. Im Übrigen ist eine opinio iuris und eine darauf aufbauende Staatenpraxis mit der völkerrechtlich geschützten Souveränität der Mitgliedstaaten unvereinbar. 6. Ergebnis Die normativen Komponenten, welche Inhalt und Grenzen der Auflagen bestimmen, ergeben sich bereits aus der Systematik des Vertragstextes, nämlich sowohl aus dem Primärvertrag als auch aus den Richtlinien zur Konditio nalität156. Danach müssen die Auflagen im Grundsatz 153 K. Weigeldt,
Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 190 ff. S. 191. 155 Mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit sei eine Bereitschaftskreditvereinbarung als Einheit zu sehen. Es sei deshalb unzulässig, die Auflagen im Einzelnen danach zu unterscheiden, ob die „vermeidbaren“ negativen Folgen der Bereitschaftskreditvereinbarungen“ Art. 31 Abs. 3 b) WVK entsprechen oder „seiner Anwendung entgegenstehen“. K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 192. 156 Ohne ausdrückliche Bezugnahme zum IWF-Übereinkommen hält Joseph Gold inhaltlich vier normative Komponenten für unabdingbar, allerdings ohne das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit: „First to qualify for the use of the Fund’s resources in order to deal with a balance of payments problem, a member must be prepared to pursue policies that are designed to overcome its problem. […] Second the policies must be consistent with the purposes of the Fund. […] Third, the policies must be designed to overcome the members’s problem within a moderate („tem154 Ebenda,
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•• geeignet sein, die Unausgeglichenheiten in der Zahlungsbilanz kurzfristig zu bereinigen, •• dem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht und nachhaltigen Wachstum der betroffenen Volkswirtschaft förderlich sein, •• mit den übrigen Zielen des Fonds, insbesondere der Wahrung eines hohen Beschäftigungs- und Einkommensniveaus, vereinbar sein, •• in Abwägung der Interessen zwischen Fonds und Schuldnerstaat verhältnismäßig sein. Strukturpolitische Auflagen, welche den Kernbereich der Souveränität der betroffenen Staaten beeinträchtigen, gehen über eine „aktive Lückenfül lung“157 hinaus und können weder als wirksame Kompetenzauslegung noch durch völkerrechtliche Übung legitimiert werden. Darüber hinaus ergeben sich die Grenzen der Konditionalität vor allem aus den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen, die in verschiedenen Rechts texten materialisiert sind (dazu im Einzelnen Teil 3, C.). Wie diese sich auf die Befugnis des IWF zur Konditionalität in der Praxis auswirken, ist im folgenden Kapitel am Beispiel Griechenlands zu untersuchen. Der Konflikt mit dem Souveränitätsanspruch des betroffenen Staates zwingt im Ergebnis zu einer völkerrechtskonformen, letztlich zu einer restriktiven Auslegung des IWF-Mandats158. Überschreitet der IWF seine Befugnis im Rahmen der Kreditprogramme, so ist dies grundsätzlich als ultravires-Akt zu qualifizieren159. Das bedeutet, dass der Fonds lediglich zu sachlich gerechtfertigten Auflagen ermächtigt ist, welche darauf gerichtet sind, die Rückzahlungsfähigkeit der Kreditnehmerländer wirtschaftlich abzusichern160 (dazu Teil 6, B., IV., 2.) porary“) period. Fourth, the policies must be likely to result in augmenting the member’s monetary reserves so that it will be able to repurchase its currency.“ Financial Assistance by the Fund, 1979, S. 19 f. Lucke kommt durch Auslegung der Bestimmungen inhaltlich zu denselben normativen Komponenten („Geschäftsgrundsätzen“) der Konditionalität, siehe P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 150 ff. 157 Ebenda, S. 218. 158 Peter Lucke zieht die Grenzen, welche dem IWF bei der Konditionalität gesetzt sind, außerhalb des Vertrages, namentlich im Prinzip der Selbstbindung der Verwaltung und den Grenzen, welche sich aus der staatlichen Souveränität der Mitgliedstaaten ableiten. Im Ergebnis hält Lucke auch qualitative politische governanceBedingungen für rechtmäßig, Internationaler Währungsfonds, S. 217 ff. 159 Vgl. K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 168 ff. Die sich daraus ergebenden Grenzen sind allerdings nicht allein sekundärrechtlicher Natur, sondern ergeben sich unmittelbar aus dem Primärvertrag. 160 Auch Chang sieht den einzig legitimen Zweck der Mittelvergabe in der „Zahlungsbilanzfinanzierung bei kurzfristigem Ungleichgewicht und die Eindämmung des
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Die Frage, ob und inwieweit der betroffene Mitgliedstaat zu umfassenden Strukturreformen bereit ist und wie diese auszugestalten sind, ist allein Sache des Staates. Auflagen des IWF, die über eine sachlich gerechtfertigte Besicherungsfunktion hinausgehen, schon gar strukturelle Reformprogramme, sind von einer völkerrechtskonform auszulegenden Konditionalitätsermächtigung nicht gedeckt.
B. Die Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise I. Die Einbindung des IWF in der Eurokrise Obwohl die Konditionalität des IWF in der Literatur schon in der Vergangenheit umfangreich untersucht worden war161, stieß eine genaue Betrachtung der Auflagen und Erfüllungskriterien im Einzelfall oft an Grenzen162. Weil der Fonds und seine Mitglieder die Bereitschaftskreditvereinbarungen nicht als völkerrechtlichen Vertrag, sondern als einseitige Kreditzusage des Fonds behandeln, werden keine völkerrechtlichen Veröffentlichungspflichten ausgelöst, was dazu führte, dass die Bedingungen, welche der IWF im Rahmen eines Kreditprogramms an einen Mitgliedstaat stellt, in der Vergangenheit meist vertraulich behandelt wurden. Erst die Hilfsprogramme gegenüber den Eurostaaten Griechenland, Irland und Portugal ermöglichten einen speziHandelsprotektionismus“. „In der strengen und richtigen Interpretation von Art. I v) IWF-Übereinkommen sollten deshalb Zinsen und Gebühren als Gegenleistung für die IWF-Kreditvergabe ausreichend sein“, J.-H. Chang, Internationale Normen in der Hegelschen Weltgesellschaft (UNO, WTO, IWF), S. 330. 161 Siehe W. Lachmann, Entwicklungshilfe: Motive, Möglichkeiten und Grenzen, Problemfelder, 2010, S. 233 ff.; K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 173 (Fn. 379); zum Inhalt der Bereitschaftskreditabkommen, siehe auch R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 273 ff. mit Verweis auf das Muster-Abkommen bei J. Gold, The Stand-by Arrangements of the International Monetary Fund, S. 57 ff. 162 Klaus Weigeldt beruft sich bei seiner Untersuchung zur IWF-Konditionalität maßgeblich auf die Erkenntnisse der Kreditvereinbarung mit Indien im Jahr 1981 (vgl R. Saxena, IMF loan to India: An economic assessment, 1986), welche aufgrund einer Indiskretion veröffentlicht wurde, sowie auf einen ebenfalls publizierten Letter of Intent Südkoreas aus dem Jahr 1998. Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 173 ff.; vertiefend zur Indienkrise, insbesondere den Auswirkungen wirtschaftspolitischer Liberalisierungen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des Landes V. Hagemann, Der Zahlungsbilanzkredit des IWF an Indien vom November 1981, ein Fallbeispiel für eine erfolgreiche Sanierungspolitik durch den IWF?, 1990, S. 43; P. Chaudhry/V. Kelkar/V. Yadav, The Evolution of „Homegrown Conditionality“ in India: IMF Relations, Journal of Development Studies Vol. 40, No. 6, 2004, S. 59 ff.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise299
fischen Einblick in die Auflagenpolitik des IWF und der beteiligten Europäischen Institutionen. Im Folgenden ist das Engagement des IWF in den Euro-Krisenstaaten zu erörtern. 1. Ausgangslage der Krisenstaaten Die Kreditprogramme und Konditionen der drei Mitgliedsländer des europäischen Währungsraums – Griechenland, Irland und Portugal – sind nur bedingt vergleichbar, weil die Ursachen der jeweiligen Krisen unterschiedlich waren und auch Struktur und Wirtschaftskraft der drei Staaten voneinander abweichen163. In Irland löste der aufgeblähte Bankensektor mit seinen hochspekulativen Auslandsengagements die Krise aus. In Griechenland war es die nicht mehr wettbewerbsfähige Wirtschaftsstruktur, verbunden mit geringer Effizienz sowie hohen Personalkosten der staatlichen Verwaltung. In Portugal waren die Ursachen ebenfalls generelle Strukturprobleme, wie die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft und zu hohe Staatsausgaben. Allen gemeinsam war die Verletzung der Maastrichtkriterien, hohe Verschuldung im Ausland und ein sich stetig verschlechterndes Bonitätsrating. a) Griechenland Griechenland hatte in den Jahren 1997 bis 1999, dem Referenzzeitraum für seine Aufnahme in die Europäische Währungsunion, wiederholt unzutreffende Angaben über sein staatliches Haushaltsdefizit gemeldet164, „which led to a breach of obligations under Article VIII, Section 5 of the Fund’s Articles of Agreement“165. Weil das Defizit oberhalb des Maastrichter Referenzwertes von drei Prozent des BIP gelegen hatte, wäre ein Beitritt zur Europäischen Währungsunion (noch) nicht möglich gewesen. Nach der Euro-Einführung im Jahr 2000 wuchs das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zu den anderen EU-Ländern überdurchschnittlich (4 % gegenüber 2 % Durchschnittswert), die Reallöhne und damit die Inlandsnachfrage stiegen rapide, verbunden mit erhöhten Staatsausgaben und unterstützt von der Liberalisierung des finanzi163 Zu den Ursachen der Eurokrise O. Holtemöller/T. Knedlik/A. Lindner, Die Europäische Schulden- und Vertrauenskrise: Ursachen, Politikmaßnahmen, Aussichten, IWH Online 3/2013, 2013, S. 17 ff. 164 IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, IMF Country Report No. 10/110, May 2010, S. 6. 165 Ebenda, S. 139.
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ellen Sektors sowie niedrigen Zinsen166. Zusammen mit anderen Faktoren führte dies zu einem steigenden Haushaltsdefizit und zum Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Mit wachsender Auslandsverschuldung, der Verschlechterung der Bonität (Verfall der Ratingcodes), unausgeglichenen Leistungsbilanzen und steigenden Zinsen für die Refinanzierung der Auslandskredite kam eine Abwärtsspirale in Gang. Im Jahr 2009 war das Haushaltsdefizit schon auf 13,6 Prozent der Wirtschaftsleistung angewachsen und der Schuldenberg auf 273 Milliarden Euro, entsprechend 115 Prozent des BIP167. b) Irland Am 3. Dezember 2010 beantragte Irland als nächstes Euro-Land einen Kredit, diesmal gemäß der „Extended Fund Facility“ (EFF) in Höhe von 19.4685 Sonderziehungsrechten (€ 22,5 Mrd.) und mit einer Laufzeit von 36 Monaten, den der IWF am 16. Dezember 2010 genehmigte168. Irland begründete sein Hilfsgesuch mit einer „economic crisis without parallel in its recent history“169. Auslösender Faktor – wenn auch nicht alleinige Ursache der Krise – war in diesem Falle das fragile Bankensystem Irlands. Unkalkulierbare Risiken dort hatten das Vertrauen in die gesamte irische Wirtschaft untergraben und den Staatshaushalt vor unlösbare Herausforderungen gestellt170. Die Banken hatten im Wertpapiergeschäft hohe Verluste erlitten, ihr Zugang zu den Kapitalmärkten war dadurch erschwert und sogar ver166 Vgl. European Economy, The Economic Adjustment Programme for Greece, 26. Mai 2010. 167 Die Zeit vom 23. April 2010, EU will Kredite schnell freigeben, einzusehen unter http://www.zeit.de/wirtschaft/2010-04/rettungspaket-reaktionen. Eine Prognose der EU-Kommission schätzte die Gesamtschulden für das Jahr 2015 auf 180,2 Prozent des BIP. Eurostat/EU-Kommission, Stand Mai 2015. 168 „The Executive Board of the International Monetary Fund (IMF) today approved a three-year Extended Fund Facility (EFF) arrangement for Ireland to support the authorities’ economic adjustment and financial stabilization program.“ IMF, Press Release No. 10/496 vom 16. Dezember 2010. Die Kreditgenehmigung erfolgte im Rahmen eines umfassenden Kreditprogramms, welches mit weiteren Kreditlinien der europäischen Partner (European Financial Stabilization Mechanism EFSM, European Financial Stability Facility EFSF), sowie bilateralen Krediten von UK, Schweden und Dänemark in Höhe von insgesamt 85 Mrd. Euro verknüpft wurde (vgl. Memorandum of Economic and Financial Policies, MEFP, 3. Dezember 2010). Dort zur Begründung des Kapitalbedarfs insbesondere unter Punkt 29 („Programme Financing“, S. 10). 169 Schreiben der griechischen Regierung und Zentralbank an den Geschäftsführenden Direktor des IWF vom 3. Dezember 2010. 170 Vgl. Memorandum of Understanding between the European Commission and Ireland vom 3. Dezember 2010, S. 5.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise301
sperrt171. Folglich waren sie gezwungen, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, was bei Irlands aufgeblähtem Bankensektor zu einer extremen Etatbelastung führte: „Decisive actions to restore the strength of the financial sector and re-establish fiscal credibility are needed now“172, so das alarmierende Signal der irischen Regierung an den IWF. Irland hatte vor Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 eine Staatsverschuldung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von lediglich 24 Prozent ausgewiesen173. Hohe Verluste aus faulen Immobilienkrediten sorgten jedoch für massive Verluste der irischen Banken, der Staat sah sich zur Bankenrettung gezwungen und damit explodierte die Schuldenquote des Staates. Zu dieser Entwicklung trug auch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank entscheidend bei; denn Irland hatte über Jahre auf einem um 500 Basispunkte (5 Prozent) zu niedrigen Zinsniveau Schulden aufnehmen können und damit den Boom ausgelöst. Der irische Staat benötigte infolgedessen massive Finanzhilfe und diese erhielt er aus vier Töpfen: Die EU-Staaten gewährten Kredite in Höhe von 60 Mrd. Euro, die über den EU-Haushalt abgesichert und von der EU-Kommission im sogenannten „European Financial Stability Mechanism“ (EFSM) verwaltet wurden. Das zweite Element der Finanzierungshilfe war die „European Financial Stability Facility“ (EFSF) mit einem Volumen von 440 Mrd. Euro174. Das dritte Element stammte aus bilateralen Krediten Großbritanniens und Schwedens, die als Nicht-Euro-Staaten nicht am EFSF beteiligt waren. Als vierte Finanzierungsquelle fungierten schließlich Mittel des IWF, wobei der IWF-Anteil aber ein Drittel des Gesamtpaketes nicht überschreiten durfte175. c) Portugal Im Mai 2011 diagnostizierte der IWF in Portugal als drittem Euro-Land tiefgreifende Strukturprobleme, wie niedrige Produktivität, schwache internationale Wettbewerbsfähigkeit und eine hohe Schuldenlast mit schwerwiegenden Folgen für das außenwirtschaftliche Gleichgewicht176. Aus Furcht vor 171 Ebenda. 172 Ebenda.
173 Öffentlicher Bruttoschuldenstand: Prozentanteil des BIP und Millionen EUR, in: Eurostat, einzusehen unter http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&plu gin=1&language=de&pcode=tsdde410. 174 Er ist über Garantien der Euro-Staaten abgesichert und nimmt Kredite am Markt auf, welche anschließend an Irland weitergereicht werden. 175 FAZ vom 23. November 2010, Das erste Geld fließt im Januar. 176 IMF, Portugal: Request for a Three-Year Arrangement under the Extended Fund Facility vom 17. Mai 2011.
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
einem Dominoeffekt im gesamten Euroraum sagte der IWF am 20. Mai 2011 Portugal ebenfalls einen Kredit unter der „Extended Fund Facility (EFF)“ zu. Das Kreditvolumen betrug hier 23,742 Mrd. SZR (Sonderziehungsrechte, ca. 26 Mrd. €177) mit einer (vorläufigen) Laufzeit von drei Jahren178. Diese EFFFazilität verpflichtete Portugal zu einer strategischen Neuorientierung und einer Politik, die auf Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung, unterstützt durch fiskalische Reformen und auf finanzwirtschaftliche Stabilität zur Vermeidung einer Kreditklemme abgestimmt war179. Wie in den beiden erstgenannten Fällen basierten auch hier Kredit und Fazilitäten auf einer gemeinsamen Vereinbarung zwischen dem IWF und der EU im Rahmen der Troika. 2. Disput um die Einbindung des IWF in der Eurokrise Das finanzielle Engagement des IWF in Staaten der Euro-Gruppe im Jahr 2010 war höchst ungewöhnlich, zumal die letzte Nicht-Routine-Aktivität des IWF mit europäischen Staaten im Jahr 1976 beendet worden war180. Seit die Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion ihre staatliche Währungshoheit gemeinschaftlich ausüben, war die Zuständigkeit des IWF durch den Ausbruch der Krisen in Griechenland, Irland und Portugal nach den IWFStatuten nicht berührt. Noch im Jahr 1999 hatte die Deutsche Bundesbank den Zahlungsbilanzbedarf eines Euro-Staates für „wenig wahrscheinlich“ und Fragen zum problematischen Verhältnis zwischen dem IWF, den Zentralbanken der Euro-Staaten und der Europäischen Zentralbank deshalb für „nicht dringlich“ gehalten181. 177 Süddeutsche Zeitung vom 21. Mai 2011, Krise in Portugal, IWF gibt milliardenschwere Hilfen frei, einzusehen unter http://www.sueddeutsche.de/geld/krise-inportugal-iwf-gibt-milliardenschwere-hilfen-frei-1.1100054. 178 IMF, Press Release No. 11/190: IMF Executive Board Approves an €26 Billion Extended Arrangement for Portugal. Die IWF-Untersuchungskommission hatte das „Extended Arrangement“ in dieser Höhe empfohlen, ebenda, Punkt 53 des „Staff Appraisal“, S. 25. 179 Zu den „main elements of the program“, ebenda. 180 Ch. Rogers, The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality, S. 2. 181 „Nach weitverbreiteter Auffassung kann es einen individuellen Zahlungsbilanzbedarf von geographischen Teilgebieten des Eurogebiets nicht geben. Diese Teilgebiete haben keine eigene Währung. Insoweit sind die Transaktionen der einzelnen Euro-Länder mit dem Ausland irrelevant. Der Euro hat die nationalen Landeswährungen abgelöst und definiert den neuen Währungsraum. Einen Zahlungsbilanzbedarf kann es folglich nur für den Euroraum geben.“ Weiter heißt es: „Ungeachtet dessen wäre aber denkbar, dass ein solcher Bedarf von einem einzelnen Land ausgelöst würde, beispielsweise durch übermäßige öffentliche Verschuldung in Fremdwährung. Im übrigen sind nur IWF-Mitgliedsländer berechtigt, einen Kreditantrag zu stellen, also auch nur einzelne Euro-Länder – und insbesondere nicht die
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise303
Grundsätzlich verfügen die Mitgliedstaaten einer Währungsgemeinschaft allenfalls über eine eingeschränkte Währungssouveränität, weil sie ihre Geldpolitik nicht über eine eigene Zentralbank steuern können. Auch Griechenland, Irland und Portugal hatten weite Teile ihrer Währungssouveränität an die Europäische Zentralbank abgetreten. Als Mitglieder einer Währungsunion sind sie somit nicht mehr in der Lage, klassische monetäre Maßnahmen, wie die Zins- und Geldmengensteuerung oder Maßnahmen zur Inflationskontrolle selbstständig zu ergreifen. In der Literatur wurde die Inanspruchnahme der IWF-Mittel durch Staaten der Europäischen Währungsgemeinschaft vielfach kritisiert. Allan Meltzer vertritt die Auffassung, dass Griechenland kein Ziehungsrecht gegenüber dem IWF habe, weil es Mitglied des Euro-Raums, also einer Währungsunion, sei182. Das finanzielle Engagement des IWF sei deshalb nicht „nicht systemgerecht“183 und statutenwidrig. Überdies befand sich die Euro-Währung nicht in einer Krise184; denn weder war die Kaufkraft des Euro beeinträchtigt, noch war die Inflationsrate rapide angestiegen. Im Gegenteil lag die Inflationsrate des Euro in den zwölf Jahren vor der Krise sogar auf einem historisch niedrigen Niveau185 und insgesamt betrachtet umfasste der Euro einen prosperierenden Währungsraum186 mit stabilem Außenwert gegenüber ausländischen Währungen, respektive im Verhältnis zum US-Dollar. Gemeinschaft. Vor diesem Hintergrund muss ein pragmatischer Weg gefunden werden, der es den Euro-Ländern ermöglicht, gegebenenfalls IWF-Kredite zu beantragen und den Kreditbedarf – nach den Regeln des IWF – auch zu begründen. Angesichts des wenig wahrscheinlichen Ziehungsbedarfs von Euro-Ländern ist diese Frage allerdings nicht dringlich.“ Die Beziehungen Deutschlands zum Internationalen Währungsfonds nach Einführung des Euro, Deutsche Bundesbank Monatsbericht September 1999, S. 23. 182 Allan Meltzer geht so weit, Mitglieder einer Währungsunion prinzipiell von Ziehungen auszuschließen. Schließlich dürften auch die föderalen Einzelstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika keine Ziehungen vornehmen. Review of International Organizations, 2010, S. 443 ff.; kritisch zur Flexibilisierung der IWF-Kreditlinie an Krisenstaaten in der Euro-Gruppe A. Broome, The International Monetary Fund, S. 51 f. 183 T. Sarrazin, Europa braucht den Euro nicht, S. 30. 184 „Wir haben kein Problem mit dem Euro als solchem. Der Euro ist eine stabile Währung, er ist im Vergleich zum US-Dollar stark. Aber wir haben ein Schuldenproblem.“ – Bundeskanzlerin Merkel, siehe FAZ Online vom 2. Juni 2011, Merkel: Euro-Krise keine Währungsschwäche, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/ wirtschaft/eurokrise/kanzlerin-in-singapur-merkel-euro-krise-keine-waehrungsschwae che-1653320.html. 185 So auch Helmut Schmidt in: Der Spiegel, 43/2011. 186 Auch Werner Lachmann argumentiert: „Die drohende Insolvenz Kaliforniens oder Oregons hat dem Dollar nicht geschadet und die Verschuldung Bremens und des Saarlandes beeinflussten den Wert der DM nicht! Die Stabilität des Euro ist daher so
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Die wirtschaftlichen Krisen in Griechenland, Irland oder Portugal sind deshalb nicht als Währungskrisen, sondern als Verschuldungskrisen zu qualifizieren187. Daneben werfen auch die eigenen Kriterien des IWF Zweifel auf, ob Griechenland im Vorfeld der Hilfsprogramme in „good-faith“ gehandelt hatte; denn Griechenland hatte der Europäischen Statistikbehörde Eurostat über längere Zeiträume falsche Zahlen zum öffentlichen Defizit gemeldet, um seine immer bedrohlicher werdende finanzielle Lage zu verschleiern188. Einige Mitglieder des IWF, zumal die Schwellenländer, standen einem finanziellen Engagement des Fonds in Staaten der Euro-Zone skeptisch gegenüber189. Die Mitglieder der Euro-Zone seien durchaus in der Lage, wirtschaftliche Krisen innerhalb ihrer Währungsgemeinschaft selbständig, also ohne die Devisen des Internationalen Währungsfonds zu lösen. Ein Rückgriff und eine Erhöhung der Ressourcen der übrigen IWF-Mitglieder seien weder lange nicht in Gefahr, wie die EZB eine geldwertstabile Geldpolitik betreiben darf.“ W. Lachmann, Können Staaten Pleite gehen?, S. 290. 187 „Der Euro, den es jetzt seit 10 Jahren auch als Bargeld gibt, ist stabil und nach dem Dollar die wichtigste Reservewährung der Welt. Wir haben keine EuroKrise, sondern eine Schulden-Krise einiger Euro-Länder.“ – Interview mit Finanzminister Wolfgang Schäuble, Die Bundesregierung, 2. Januar 2012, einzusehen unter http://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/Interview/2012/01/201101-02-schauble-bild.html. 188 Die Qualität der Finanzstatistiken sei im Fall Griechenlands insbesondere „durch politische Einflussnahme und den Wahlkalender beeinträchtigt“. Europäische Kommission, Bericht zu den Statistiken Griechenlands über das öffentliche Defizit und den öffentlichen Schuldenstand, Januar 2010, S. 4. Zum good-faith-Prinzip bei der Kreditvergabe des IWF siehe unten dazu Teil 6, B., IV., 1. 189 „Fast ein Drittel aller Mitglieder in dem Gremium, die zusammen mehr als 40 außereuropäische Staaten repräsentieren, hatten den Akten zufolge damals erhebliche Bedenken gegen den griechischen Rettungsschirm. Viele wandten ein, dass das Rettungsprogramm den Griechen die ganze Last der Veränderungen aufbürde, von den europäischen Gläubigern hingegen gar nichts verlange. Mehrere IWF-Vertreter sagten damals, die Rettungsaktion würde schief gehen, wenn die Gläubiger Griechenland nicht gleichzeitig einen Teil seiner schwindelerregenden Schulden erlassen würden.“ Wall Street Journal vom 8. Oktober 2013, Griechenrettung offenbart tiefe Risse; Wall Street Journal 8. Oktober 2013: Geheime IWF-Dokumente: „Die Risiken des Programms sind enorm“. Der Amerikanische Kongress wollte den US-Vertreter beim Internationalen Währungsfonds ursprünglich dazu verpflichten, die Finanzhilfen an Griechenland mit einem Veto zu verhindern, weil die Rückzahlung der IWF-Hilfen schon damals gefährdet erschien. Siehe Manager Magazin vom 18. Mai 2010, US-Senat lehnt Finanzhilfen ab; dazu auch FAZ vom 22. April 2012, Europa bleibt in der Kritik. Kritisch war auch die Reaktion einiger Ländern, die zur Aufstockung der Mittel des Internationalen Währungsfonds (IWF) für verschuldete EU-Staaten auf die eigenen Währungsreserven zurückgreifen mussten, wie beispielsweise Tschechien.
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angemessen noch vom Mandat des IWF gedeckt; denn „the IMF’s job is […] not to support a whole monetary union which cannot agree the necessary steps to maintain itself. The IMF cannot and should not become the de facto central bank of the euro area“190. Dagegen vertrat insbesondere die Bundesregierung die Auffassung, dass der IWF „mit seiner langjährigen Erfahrung bei der Sanierung von hochverschuldeten Staaten, bei der Erarbeitung eines Sanierungsprogramms und bei der konsequenten Überwachung bei der Umsetzung des Programms“ einen „unverzichtbaren“ Beitrag leisten könne191. Nach dem Willen der Bundesregierung sollte der IWF die Gläubiger durch seine fachliche Autorität bei der Sanierung unterstützen und auf Schuldnerstaaten disziplinierend einwirken192. Ein Kreditprogramm nach Maßgabe des IWF ließ sich darüber hinaus mit Auflagen verknüpfen, die im Rahmen der Kreditgarantien der übrigen Euro-Staaten nicht ohne weiteres möglich war: „Loan guarantees from Germany and / or the EU are less desirable than an IMF program, as it is very hard to design and credibly implement conditionality in such guarantees. IMF support, on the other hand, is paid out in tranches and is conditional on achieving policy targets over time193“.
Der Druck auf Griechenland, Irland und Portugal sollte daher möglichst „von außerhalb Europas kommen, um Spannungen innerhalb der Währungsunion zu vermeiden“194. Neben seiner finanziellen Unterstützung stand auch die Funktion des IWF als „Blitzableiter“195 im Vordergrund der politisch-strategischen Erwägun190 So der damalige Staatssekretär im britischen Finanzministerium Edward Balls, The Telegraph vom 20. April 2012, Debt crisis: as it happened, einzusehen unter http://www.telegraph.co.uk/finance/debt-crisis-live/9215598/Debt-crisis-as-it-happened-April-20-2012.html; The Guardian vom 25. Mai 2012, Christine Lagarde: can the head of the IMF save the euro?, einzusehen unter http://www.guardian.co.uk/ world/2012/may/25/christine-lagarde-imf-euro. 191 Bundeskanzlerin A. Merkel, Rede vor dem Deutschen Bundestag vom 5. Mai 2010, einzusehen unter http://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/ Regierungserklaerung/2010/2010-05-05-merkel-erklaerung-griechenland.html. 192 „Wenn es den Griechen nicht selbst gelingt, müssen Führung und Überwachung stärker von außen kommen.“ (Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler mit Blick auf die Auflagen gegenüber Griechenland), Zeit Online vom 30. Januar 2012, Deutschland stößt mit Forderung nach Sparkommissar auf Kritik, einzusehen unter http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-01/eu-gipfel-sparkommissar-griechenland. 193 N. Roubini, Teaching Greece and the other debt PIIGS to fly, 2010, einzusehen unter http://www.theglobeandmail.com/globe-debate/teaching-greece-and-theother-debt-piigs-to-fly/article1208819/. 194 FAZ vom 26. März 2010, Europa hat mehr Gewicht als Amerika. 195 Nach Rolf Knieper komme dem IWF die Aufgabe zu, „den Unmut neu Benachteiligter von der Regierung abzulenken, die sich als hilfloses Oper internationa-
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gen196. Die politische Empörung, welche die geplanten Austeritätsprogramme in den betroffenen Staaten erwartungsgemäß entfachen würde, sollte von den Euro-Staaten und den europäischen Institutionen möglichst auf den IWF abgelenkt werden. Andernfalls, so die Befürchtung im deutschen Bundestag, sei davon auszugehen, dass „zu großzügig mit den Reformen“197 umgegangen werde. Es sei damit zu rechnen, dass der Reformeifer im gleichen Maße nachlassen werde, wie der äußere Druck abnimmt. Mit der Einbindung des IWF seien die Geldgeber in der Lage, bei der Durchsetzung der Konditionen eine „größere Durchschlagskraft“198 zu entfalten. Insgesamt müsse der Fonds zur „Leitplanke der Rettungsstrategie“199 der Gläubigerstaaten werden. Unter dem Erwartungsdruck der internationalen Finanz- und Kapitalmärkte setzte sich letztlich die Bundesregierung200 mit ihrer Position durch, den len Oktrois darzustellen vermag und nicht selten in die nationale Verdammung des harten IWF mit einstimmt“. Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 282. 196 „Meine Präferenz ist, dass man den IWF einschaltet, denn Griechenland ist Mitglied des IWF, nicht aber die Europäische Union.“ – Otmar Issing (ehemaliger Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank) in der öffentlichen Sitzung des Europaausschusses des Bundestages im Februar 2010. Die Einschaltung sei für ihn die „vorziehenswerte Position“; denn sie schaffe einen „Sündenbock“, der nicht Teil des europäischen Systems sei. Siehe Sitzung des Europaausschusses des deutschen Bundestages vom 24. Februar 2010, einzusehen unter http://www.bundestag.de/dokumente/ textarchiv/2010/28701910_kw08_ausschuss_europa/index.html. Ebenso das Institut der Deutschen Wirtschaft: „Wenn schon ein Staat der EuroZone gerettet werden muss, dann am besten vom IWF. Nicht nur, dass der bereits strenge Regeln für solche Fälle entwickelt hat, die den Europäern noch fehlen. Der IWF ist auch weit weg, darum fällt es ihm leichter, strikte Sparprogramme rigoros durchzusetzen. Wenn dagegen Nachbarländer wie Deutschland die Griechen zum Sparen verdonnern würden, nachdem sie ihnen Kredit gäben, zögen sie damit gewiss den Zorn auf sich.“ Zitiert in FAZ vom 8. Februar 2010, Wer rettet die Griechen?, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/europa-zittert-werrettet-die-griechen-1943266.html. 197 Michael Meister, (Unionsfraktionsvizevorsitzender), FAZ vom 29. August 2012, S. 13, Westerwelle kritisiert IWF-Hilfe. 198 „Durch die Beteiligung des IWF erhalten die Auflagen, die mit dem Paket verknüpft sind, eine wesentlich größere Durchschlagskraft; wir erhalten bessere Kontrollmechanismen.“ Norbert Barthle, MdB, parlamentarische Rede zur Hilfe für Griechenland vom 5. Mai 2010, einzusehen unter https://www.cducsu.de/themen/europaeische-union/stabilitaet-des-euro-gewaehrleisten. 199 Michael Meister (Unionsfraktionsvizevorsitzender), Westerwelle kritisiert IWF-Hilfe, FAZ vom 29. August 2012, S. 13. 200 „Ohne Deutschland wäre es zu einer Einbeziehung des IWF nicht gekommen.“ Bundeskanzlerin A. Merkel, Rede vor dem Deutschen Bundestag vom 5. Mai 2010, einzusehen unter http://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/ Regierungserklaerung/2010/2010-05-05-merkel-erklaerung-griechenland.html.
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IWF bei den Kreditprogrammen gegenüber den Euro-Krisenstaaten zu beteiligen201. Im Verlauf der Krise nahmen die Unstimmigkeiten unter den IWF-Mitgliedstaaten weiter zu, zumal die regionalen Risiken in der Euro-Zone weiter anstiegen202. Widerstand regte sich insbesondere in den Schwellenländern im Zuge der Verhandlungen über ein zweites griechisches Rettungspaket im Frühjahr 2012203; denn damit verdoppelte sich der Anteil der Zusagen an Euro-Staaten im Kreditportfolio des Internationalen Währungsfonds auf 80 Prozent204. Gemessen am Kapitalanteil am IWF war die Kreditzusage an Griechenland über 28 Milliarden Euro205 höher als in irgendeinem anderen 201 Materialisiert im Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik vom 7. Mai 2010 (WFStG). 202 Auch innerhalb des IWF-Mitarbeiterstabes wurde die Sorge geäußert, dass der Fonds bei der Rettung der europäischen Krisenländer weniger unabhängig agiere als bei der Kapitalversorgung von Schwellenländern. FAZ vom 29. Juli 2012, Scheidender Ökonom kritisiert IWF. Vorbehalte gegen eine kurzfristige Erhöhung der Ausleihkapazitäten kamen auch aus Brasilien, China, Kanada und den wichtigsten Entwicklungsländern. Auf der Frühjahrstagung des IWF im April 2012 schlug der kanadische Finanzminister James Flaherty vor, dass die außereuropäischen Staaten im Fonds in Anbetracht des kaum kalkulierbaren Risikos der Euro-Hilfen ein Vetorecht bei weiteren Krediten an EuroStaaten erhalten sollten. Mit dieser Forderung konnte sich Kanada im IWF-Direktorium nicht durchsetzen. Siehe FAZ vom 21. April 2012, Finanzminister Schäuble: Europa hat alle Zusagen eingehalten. 203 Brasilien forderte bei der Frühjahrstagung des IWF im Jahr 2012 ein verbindliches Versprechen der IWF-Mitgliedstaaten, dass als Gegenleistung für Finanzzusagen der Einfluss der Schwellenländer innerhalb des Währungsfonds gestärkt werden müsse. Vgl. FAZ vom 21. April 2012, Finanzminister Schäuble: Europa hat alle Zusagen eingehalten. 204 Hinzu kam, dass die Laufzeiten der IWF-Programme länger waren, als diejenigen der Euro-Staaten, womit auch höhere Risiken verknüpft waren. Während das Griechenlandprogramm der EU-Staaten bereits zum Ende des Jahres 2014 auslaufen sollte, endet die Laufzeit des IWF-Hilfsprogramms für Griechenland erst zum ersten Quartal 2016. 205 Für den Kredit an Griechenland über zunächst drei Jahre wurde ursprünglich ein Zinssatz von fünf Prozent vereinbart. Siehe Tagesspiegel vom 12. April 2010, Europa verspricht 30 Milliarden. Finanziert wird das IWF-Engagement an die Euro-Krisenstaaten durch bilaterale Kredite. Auf der Frühjahrstagung des IWF im April 2012 hat der IWF von Mitgliedstaaten Zusagen über 456 Milliarden US-Dollar an bilateralen Kreditzusagen erhalten und damit das Ausleihvolumen des Fonds verdoppelt. Diese bilateralen Kredite sollen allen 188 Mitgliedstaaten des IWF für einen Zeitraum von zwei bis vier Jahren zur Verfügung stehen. Deutsche Bundesbank, Der Internationale Währungsfonds in einem veränderten globalen Umfeld, Monatsbericht September 2012, S. 17 ff. Das Geld für die Kredite an die Euro-Staaten konnte nur über das allgemeine IWFKonto verbucht werden, weil ein Sonderkonto für die Euro-Länder eine verbotene
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Fall zuvor und bedeutete damit große Risiken für die finanzielle Solidität des IWF206. Aufgrund der regionalen Konzentration auf Europa wurde bereits überspitzt von einem „EWF, das heißt einem Europäischen Währungsfonds“ gesprochen207. Die zweifelhafte Schuldentragfähigkeit Griechenlands sorgte zusehends für Unstimmigkeiten unter den IWF-Mitgliedern208 und führte letztlich zur Gründung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)209. Die Erwägung innerhalb des IWF, den Fonds auch als Käufer von Staatsanleihen am Sekundärmarkt eingreifen zu lassen, wurde zwar verworfen210, später hat Staatsfinanzierung bedeutet hätte, an welcher sich die Bundesbank nicht beteiligen wollte. Manager Magazin Online vom 8. Dezember 2012, EU will IWF mit 150-Milliarden-Paket einspannen, http://www.manager-magazin.de/politik/artikel/0,2828,8025 29,00.html. 206 Die Kreditzusagen an Athen waren „viereinhalb mal so groß wie die Vorsichtskasse des IWF. […] Ende 2013 hatten allein die Fondskredite fast 16 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung betragen. Der Schuldendienst für die Notkredite beläuft sich 2015 auf fast 20 Prozent der Staatseinnahmen, 11,3 Prozent für die IWFKredite und 8,6 Prozent für die europäischen Kredite.“ FAZ vom 19. März 2012, S. 13, Ein neues Finanzloch in Griechenland. Siehe zur Evaluation der finanziellen Risiken des Fonds: IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, Impact on the Fund’s Liquidity Position and Risk Exposure, IX, 2010, S. 133. 207 P. Welter, FAZ Online vom 19. März 2012, Der EWF, http://www.faz.net/ak tuell/wirtschaft/eurokrise/kommentar-der-ewf-11689116.html. 208 Zum Beispiel kam es im Zuge der Vorbereitungen zum dritten griechischen Rettungspaket (Ende 2012) zu offenen Unstimmigkeiten über die Refinanzierung Griechenlands. Im Gegensatz zu den Geberstaaten, namentlich Deutschland, sprach sich der IWF für einen Forderungsverzicht der Geberstaaten aus. Siehe dazu Der Spiegel Online vom 25. November 2012, EZB und IWF plädieren für radikalen Schuldenschnitt, http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-ezb-und-iwfplaedieren-fuer-radikalen-schuldenschnitt-a-869128.html. Streitig war etwa, unter welchen Bedingungen die griechische Staatsschuld wieder als tragfähig angesehen werden könne. In Griechenland galt das wenig realistische Ziel einer Gesamtverschuldung von 120 Prozent der Wirtschaftsleistung bis zum Jahr 2020. Siehe FAZ vom 13. November 2012, Aufschub für Athen kostet etwa 32 Milliarden Euro, S. 11. 209 Dazu K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 271 ff. 210 Der Direktor der Europa-Abteilung des IWF hatte den Ankauf spanischer und italienischer Staatsanleihen über spezielle Kreditlinien, sogenannte Precautionary Credit Lines (PLC) vorgeschlagen und angeregt, neben den vorbeugenden Kredit linien für die Staaten auch eine Zweckgesellschaft zu gründen, um italienische und spanische Anleihen anzukaufen. Die Zweckgesellschaft sollte bilaterale Kreditlinien bündeln und so „einen speziellen finanziellen Puffer für Europa bieten“. FAZ vom 6. Oktober 2011, IWF denkt an den Ankauf spanischer und italienischer Staatsanleihen. Die Finanzmärkte hatten in dem Vorschlag die Chance für einen Bail-out durch den IWF erkannt und mit vorübergehenden Kurssprüngen reagiert. Manager Magazin Online vom 05. Oktober 2011, IWF will zweites Rettungspaket nachbessern, http:// www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/0,2828,790079,00.html.
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jedoch die Europäische Zentralbank diesen Gedanken wieder aufgenommen und in ihrer Politik umgesetzt211. 3. Engagement des IWF in Griechenland Im Jahr 2010 betrug die Quote Griechenlands im IWF 823 Millionen SZR212. Auf dieser Grundlage hatte das im Jahr 2010 bewilligte Kreditvolumen einen Umfang von 3200 Prozent der griechischen Quote am IWF213. Die Finanzhilfen des IWF gegenüber Portugal und Irland erreichten ebenfalls unübliche Höhen und beliefen sich auf jeweils mehr als 2300 Prozent der jeweiligen Quote214. Das außergewöhnliche finanzielle Engagement des IWF in der Griechenlandkrise beruht auf der Bewilligung eines „exceptional access“215 zu den IWF-Mitteln216. „The authorities are requesting a three-year SBA with access of SDR 26,43 billion (3212 percent of quota or 2399 percent of post second-round quota). The arrangement would have a frontloaded purchase schedule with a first purchase of SDR 4,81 billion (584 percent of quota) upon approval, followed by twelve purchases of varying amounts as shown in Table 1. Access during the first year would reach almost 1550 percent of quota and the last purchase under the arrangement would be available in May 2013.“ 211 Dazu M. Danzmann; Das Verhältnis von Geldpolitik, Fiskalpolitik und Finanzstabilitätspolitik. Seine Implikationen für das finanzstabilitätspolitische Mandat der Zentralbank am Beispiel der Eurorettungspolitik. 212 IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, S. 140. 213 „The Stand-By Arrangement, which is part of a cooperative package of financing with the European Union amounting to €110 billion (about US$145 billion) over three years, entails exceptional access to IMF resources, amounting to more than 3200 percent of Greece’s quota, and was approved under the Fund’s fast-track Emergency Financing Mechanism procedures.“ IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, S. 137. 214 Siehe Deutsche Bundesbank, Weltweite Organisationen und Gremien im Bereich von Währung und Wirtschaft, März 2013, S. 65 f. 215 Nach der sogenannten „Execeptional Access Policy“ des IWF werden den Mitgliedern üblicherweise Kredite im Rahmen von 200 Prozent der Quote in einem Jahr und 600 Prozent kumuliert über drei Jahre zur Verfügung gestellt. U. Vollmer, Geld- und Währungspolitik, 2005, S. 234. Der bisherige Höchstwert der Ziehung im Verhältnis zur Landesquote wurde von Korea in Anspruch genommen, „dem 1997 ein Stand-by-Kredit eingeräumt wurde, der 20-mal die Quote ausmachte“. Siehe NZZ vom 4. Mai 2010, Der IWF missachtet sein Mandat. Zu den Kriterien einer außerordentlichen Ziehungsberechtigung IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, S. 19 f. 216 IWF, Greece: Assessment of the Risks to the Fund and the Fund’s Liquidity Position, S. 124.
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
Kreditvergabevolumen des IWF217
Bei der Einbindung des IWF als „zentrale Instanz“218 der Kreditprogramme für die Euro-Krisenstaaten dominierten politisch-funktionalistische, letztlich (macht)politische Erwägungen219. Sie kamen auch im Zuge der Verhandlungen über ein drittes Rettungspaket für Griechenland im Juli 2015 zum Tragen, als die Geldgeber darauf bestanden, dass der Fonds – ungeachtet der säumigen IWF-Raten – weiterhin in das griechische Kreditprogramm eingebunden bleibt220.
217 Quelle: The New Stand-By Arrangement – Risks and Impact on Fund’s Finances, in: Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, May 2010 IMF Country Report No. 10/110, S. 128. 218 Der IWF „schwingt sich zur zentralen Instanz im europäischen Krisenmanagement auf“. Siehe Manager Magazin Online vom 29. Dezember 2012, Internationaler Währungsfonds, http://www.manager-magazin.de/magazin/artikel/0,2828,806105, 00.html. 219 Siehe zur zweifelhaften Rechtsgrundlage der „Euro-Rettungspolitik“, insbesondere den Verstoß gegen die sogenannte No-Bailout-Klausel K. A. Schachtschneider, Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik. 220 FAZ vom 14. Juli, Nr. 160, S. 3, Das war doch wohl der Gipfel.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise311
Dabei bilden die unterschiedlichen Standpunkte die widerstreitenden Interessen zwischen (potentiellen) Schuldner- und Gläubigerstaaten ab221. Das außergewöhnlich hohe Engagement des IWF in den Euro-Staaten stützt sich vor allem auf die Entscheidungsmacht der europäischen Staaten innerhalb des IWF222, die sich gegenüber den skeptischen nicht-europäischen Staaten regelmäßig durchsetzten. Die Motivlage für die Krisenpolitik erschließt sich maßgeblich mit Blick auf die Identifikation der Betroffenheit der Hauptgeberstaaten Deutschland und Frankreich. Für die Bundesregierung mögen dabei die Interessen der deutschen Exportwirtschaft maßgeblich gewesen sein. Schließlich hatten deutsche Exporteure lange Jahre in erheblichem Maße von der Kreditierung der Konsumenten deutscher Güter in Griechenland und den übrigen Schuldnerstaaten profitiert223. Das Augenmerk der französischen Rettungspolitik gegenüber Griechenland lag von Anfang an auf den drohenden Verlusten französischer Banken, die in außergewöhnlich hohem Maß in Griechenland investiert waren und dementsprechend erhebliche Risiken in ihren Bilanzen trugen224. Im Jahr 221 Neben Deutschland machten etwa auch die EU-Nettozahlerländer Niederlande und Finnland ihre Zustimmung zum Rettungspaket für Griechenland vom Engagement des IWF abhängig. Der Spiegel, IWF will Griechenland-Hilfen stoppen, Heft 30/12, einzusehen unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/euro-krise-iwfwill-griechenland-hilfen-stoppen-a-845718.html. 222 So auch Ch. Rogers, The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality, S. 185 f. 223 Das Festhalten Griechenlands am Euro ist überwiegend im partikularen Interesse deutscher Unternehmen, die nach Griechenland exportieren; denn die gemeinsame Währung gewährleistet den Absatz ihrer Produkte in Griechenland und nimmt ihnen die Währungsrisiken ab. Ein Ausscheiden aus der Eurozone würde dem Absatz ihrer Produkte schaden. Von einem Bail-out-Programm und einem Rettungsschirm für den Euro hatte der damalige geschäftsführende Direktor Strauss-Kahn die deutsche Regierung nach eigenen Angaben im Mai 2010 persönlich überzeugt: „Die Blockade hat sich gelöst, nachdem ich die verschiedenen parlamentarischen Gruppen in Deutschland überzeugt hatte, dass die Existenz des Euro und damit auch die direkten Interessen Deutschlands auf dem Spiel standen. […] Ich habe die Europäer überzeugt, dass man eine massive Anstrengung unternehmen muss, damit Griechenland für 18 Monate nicht mehr Kredite vom Markt brauchte.“ – FAZ Online vom 16. Mai 2011, Der freundlich-aggressive Hilfsanbieter, einzusehen unter http://www.faz.net/ aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/iwf-chef-dominique-strauss-kahn-der-freund lich-aggressive-hilfsanbieter-1643254.html. Vor allem mit diesem Argument drängte die Bundesregierung auch innenpolitisch darauf, Griechenland in der Euro-Zone zu halten. Alles andere verstoße „gegen Landesinteressen“ und sei „geradezu unpatriotisch“. So der damaliger Außenminister Guido Westerwelle, siehe FAZ vom 29. August 2012, S. 13, Westerwelle kritisiert IWF-Hilfe. 224 Französischen Banken waren über ihre griechischen Tochterfirmen in Griechenland massiv investiert und wären von einem Zusammenbruch der griechischen
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
2010 war Frankreich – gefolgt von Deutschland – der größte ausländische Direktinvestor in Griechenland225. Vor diesem Hintergrund wäre die französische Wirtschaft bei Ausbruch der Krise von einer Umschuldung Griechenlands besonders intensiv betroffen gewesen226. 4. Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) Der IWF ist im Rahmen der Troika227 zentral an den Kreditprogrammen gegenüber den Euro-Staaten beteiligt. Die Troika erfüllt als eine „Kooperationsverbindung“ Internationaler Organisationen nicht selbst die formalen Anforderungen an eine Internationale Organisation, wie sie der IGH im Bernadotte-Gutachten formuliert hat228. Deshalb sind die Maßnahmen der Troika als „gemeinsame Maßnahmen unterschiedlicher Völkerrechtssubjekte – der Europäischen Union, des Europäischen Stabilitätsmechanismus und des Wirtschaft besonders hart betroffen gewesen. Die Forderungen französischer Institute an griechische Unternehmen und Verbraucher beliefen sich Ende 2010 auf fast 40 Milliarden Dollar. Allein die Großbank Crédit Agricole hatte über ihre Toch tergesellschaft Emporiki, der fünftgrößten Bank Griechenlands, Ende März Kredite über 21,1 Milliarden Euro in ihren Büchern. Siehe zu der Verteilung der Risiken Spiegel Online vom 26. Juni 2011, Wer die größten Griechen-Risiken trägt, einzusehen unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,770392,00.html; FAZ vom 15. Juni 2011, Risiko für europäische Banken, einzusehen unter http://www.faz. net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/kreditwuerdigkeit-bedroht-risiko-fuer-eu ropaeische-banken-13624.html. 225 Siehe FAZ vom 22. Mai 2012, Frankreich: Hohe Risiken in Griechenland. 226 Neben der deutschen und der französischen Regierung traten auch die übrigen quotenstarken Mitglieder des IWF, welche nicht Mitglied der Europäischen Währungsunion sind, etwa Großbritannien, entschieden für einen Bail-out und Verbleib Griechenlands in der Eurozone ein. FAZ vom 25. Mai 2012, Vince Cable für Griechenlands Verbleib im Euro. Gewichtig waren insbesondere auch die Interessen der größten Investoren von europäischen Staatsanleihen, an erster Stelle die USA, die Rückwirkungen auf die amerikanische Konjunktur befürchteten sowie China, dessen staatliche Investitionsgesellschaft in massivem Umfang Abschreibungen hätte hinnehmen müssen (FAZ vom 24. Mai 2012, Asiens Sorge vor Griechenlands Austritt). Chinesische Staatsfondsmanager äußerten gegenüber der Bundesregierung ihre Besorgnis über einen eventuell bevorstehenden Euroaustritt Griechenlands. China werde sein Vertrauen in den Euroraum verlieren und damit auch keine Anlagen anderer Staaten und Unternehmen innerhalb des Euroraums mehr kaufen. Der Spiegel, Heft 50/2012, Kein Wunder, S. 22. 227 Auf Wunsch der griechischen Regierung inzwischen in „Institutionen“ umbenannt. Aus Gründen der Kontinuität wird im Folgenden der Terminus „Troika“ weiter verwendet, da sich an der formalen Struktur letztlich nichts geändert hat. 228 A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 8 mit Verweis auf IGH, Bernadotte-Gutachten, ICJ. Rep. 1949, S. 1 ff.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise313
IWF“ – zu qualifizieren229. Völkerrechtlich zurechenbar sind die Maßnahmen der Troika „(1) dem Mitgliedstaat im Hinblick auf die Umsetzungsmaßnahmen, (2) den im Gouverneursrat des ESM repräsentierten Mitgliedstaaten, (3) dem ESM, (4) dem IMF, (5) den im Gouverneursrat des IMF repräsentierten Nationalstaaten und (6) der EU selbst, da an der Aushandlung der MoU nach Art. 13 ESMV mit KOM und EZB Unionsorgane im Wege einer besonderen Form der Organleihe, bei der kein vollständiger Verantwortungs übergang stattgefunden hat, beteiligt sind“230. Der Euro-Rettungsfonds ist eine völkerrechtliche Organisation, deren Aufgabe darin besteht, im Interesse der Finanzstabilität des Euroverbundes hilfebedürftige Staaten zu finanzieren. Mit dem neuen Vertrag zur Einrichtung eines europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wurde das im Bail-outVerbot des Art. 125 AEUV verbriefte Verbot der Fremdfinanzierung im Interesse der Eurorettung umgangen (Art. 136 Absatz 3 AEUV231) und die Zusammenarbeit der Europäischen Institutionen mit dem IWF auch vertraglich institutionalisiert232. In Ziffer (8) der Präambel zum Vertrag heißt es233: „Der ESM wird bei der Bereitstellung von Stabilitätshilfe sehr eng mit dem Internationalen Währungsfonds („IWF“) zusammenarbeiten. Eine aktive Beteiligung des IWF, sowohl auf fachlicher als auch auf finanzieller Ebene, wird angestrebt. Von einem Mitgliedstaat des Euro-Währungsgebiets, der um eine Finanzhilfe durch 229 Ebenda.
230 A. Fischer-Lescano,
Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 8. Absatz 3 AEUV lautet: „Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“ Diese nachträgliche Vertragsergänzung wurde durch Beschluss der Staats- und Regierungschefs im Vereinfachten Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 Absatz 6 EUV in Kraft gesetzt. 232 Nach dem Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 9./10. Mai 2010 stützt sich der Mechanismus „auf Artikel 122 Absatz 2 des Vertrags sowie auf eine zwischenstaatliche Vereinbarung der Mitgliedstaaten des Euro‑Währungsgebiets. Seine Aktivierung unterliegt strengen Auflagen im Kontext einer gemeinsamen Unterstützung durch die EU und den IWF und wird zu Modalitäten erfolgen, die denen des IWF vergleichbar sind.“ Siehe Mitteilung an die Presse, Außerordentliche Tagung des Rates, Wirtschaft und Finanzen, Brüssel, den 9./10. Mai 2010. Dazu M. Sankowsky, Demokratische Legitimation der EU und des ESM, Steuerung und Koordinierung in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, S. 46 ff., zur Legitimation des ESM S. 62 ff.; kritisch K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 271 ff. 233 Vertrag zur Einrichtung eines europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), S. 4 und 5. Kritisch zur Staatsfinanzierung der Europäischen Zentralbank über den ESM K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht zum OMT-Beschluss der EZB (BVerGE 2 BvR 2729/13, Vorabentscheidungsverfahren des EuGH: C – 62/14). 231 Art. 136
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
den ESM ersucht, wird erwartet, dass er, soweit möglich, ein ähnliches Ersuchen an den IWF richtet.“
Ausweislich Artikel 5 sieht der Vertrag vor, dass auch Vertreter des IWF an Sitzungen des Gouverneursrates als Beobachter teilnehmen. Der Vertrag weist zahlreiche Parallelen und Bezugnahmen zur IWF-Praxis auf. Er versteht sich als europäische Ergänzung zum IWF und nimmt sich die Praxis der Konditionierung von Finanzhilfen durch den IWF zum Vorbild, das heißt Finanzhilfen werden nur unter „strengen Auflagen“ an die betroffenen Staaten vergeben234. Im Rahmen des Verfahrens zur Gewährung von Finanzhilfen „überträgt der Gouverneursrat der Europäischen Kommission die Aufgabe – im Benehmen mit der EZB und nach Möglichkeit zusammen mit dem IWF – mit dem betreffenden ESM-Mitglied ein Memorandum of Understanding („MoU“) auszuhandeln, in dem die mit der Finanzhilfefazilität verbundenen Auflagen im Einzelnen ausgeführt werden. Der Inhalt des MoU wird der Erheblichkeit der zu beseitigenden Schwachstellen und dem gewählten Finanzhilfeinstrument Rechnung tragen235.“
Dabei soll die Bewertung, ob die Verschuldung des betroffenen Staates tragfähig ist, „zusammen mit dem IWF durchgeführt werden“236. Die Überwachung der Auflagen sieht ebenfalls die Einbeziehung des IWF vor237: 234 Dies wird an verschiedenen Stellen ausdrücklich angeführt. Zum Beispiel spricht Ziffer (6) der Präambel zum ESM davon, dass Finanzhilfen nur „auf der Grundlage strenger Auflagen, die dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessen sind“, gewährt werden sollen. Artikel 3 spricht in seiner Zweckbestimmung ebenfalls von „strikten Auflagen“. Ziffer (2) der Präambel greift den Beschluss 2011/199/EU des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist auf. Zitiert wird Artikel 136, in dessen angefügtem Absatz es heißt: „Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“ Dies führen die in Artikel 12 Ziffer 1 ESM-Vertrag niedergelegten „Grundlagen“ näher aus: „Ist dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner „Mitgliedstaaten unabdingbar, so kann der ESM einem ESM-Mitglied unter strengen Auflagen, die dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessen sind, Stabilitätshilfe gewähren. Diese Auflagen können von einem makroökonomischen Anpassungsprogramm bis zur durchgängigen Einhaltung von vorab festgelegten Zugangsbedingungen reichen.“ 235 Art. 13 Ziffer 3 ESM-Vertrag. 236 Artikel 13 Ziffer 1 b) ESM-Vertrag. 237 Artikel 13 Ziffer 7 ESM-Vertrag.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise315 „Die Europäische Kommission wird – im Benehmen mit der EZB und nach Möglichkeit zusammen mit dem IWF – damit betraut, die Einhaltung der mit der Finanzhilfefazilität verbundenen Auflagen zu überwachen.“
Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs hat der ESM-Vertrag nicht die Aufgabe, die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten zu koordinieren; er stelle nur einen Finanzierungsmechanismus bereit238. Der Europäische Gerichtshof hat für die Maßnahmen im Rahmen des ESM-Vertrages Vorbehalte geltend gemacht und mit Blick auf die Kohärenzklausel des Art. 13 Abs. 3 ESMV klargestellt, dass die Betätigung unter dem ESM-Vertrag im Einklang mit Unionsrecht stehen müsse239. Die neuen Aufgaben, die den Organen durch den EU-Vertrag und den AEU-Vertrag übertragen werden, dürfen seine Befugnisse also nicht verfälschen240. Damit bindet der Europäische Gerichtshof „im Ergebnis auch die Zulässigkeit der Tätigkeit der Unionsorgane im Rahmen des ESM daran, dass diese im Einklang mit Art. 282 Abs. 2 AEUV die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union fördern“241. Andreas Fischer-Lescano sieht den ESM-Vertrag gleichwohl kritisch, weil er „einen Hybrid aus intergouvernementaler und unionaler Governance-Methode“ etabliere, „der die vermeintlich souveräne Staatlichkeit der von MoU betroffenen Mitgliedstaaten massiv beschneidet“242. Dabei würden die „Kontrollfunktionen von Europäischem Parlament und Europäischem Gerichtshof ausgeschaltet“, während die Regulierungsstruktur von Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank eingeschaltet werde. Im Jahr 2013 hat der Europäische Gerichtshof in der sogenannten „Pringle“-Entscheidung erkannt, dass die nationalen Vertragsstaaten den ESM-Vertrag bewusst nicht auf der Grundlage von Unionsrecht geschlossen haben243. Aus diesem Grund hat der Europäische Gerichtshof sich auch zu der Vorlagefrage aus Portugal in der Rechtssache „Sindicatos dos Bancarios“ für nicht zuständig erklärt244. 238 EuGH,
Rs. C-370/12, Pringle, Urteil vom 27. November 2012, Rdn. 110. Rdn. 69. 240 Ebenda, Rdn. 158. 241 A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 41 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-370/12, Pringle, Urteil vom 27. November 2012, Rdn. 165. 242 A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 4, S. 43, unter Verweis auf R. Uerpmann-Wittzack, Völkerrecht als Ausweichordnung – am Beispiel der Euro-Rettung, 2013, S. 55. 243 EuGH, Rs. C-370/12, Pringle, Urteil vom 27.11.2012, Rdn. 179 f. 244 EuGH, Rs. C-128/12, Sindicatos dos Bancarios, Beschluss v. 07.03.2013, Rdn. 9 f. Die Klage berief sich auf Fragen der Konformität des nationalen Umsetzungsgesetzes mit der Europäischen Grundrechte-Charta, betrifft also nicht die Frage der Durchführung des Unionsrechts nach Art. 51 GRCh. Mit ähnlicher Argumentation 239 Ebenda,
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
II. Kreditprogramme am Beispiel Griechenlands 1. Beteiligung des IWF am Griechenland-Hilfspaket: „Was nicht passt, wird passend gemacht“ Am ersten Kreditprogramm für Griechenland im Mai 2010 beteiligte sich der IWF mit 30 Milliarden Euro (entsprechend 26,4 Mrd. SZR)245, was einem Anteil von etwa 27 Prozent des Gesamtkredits entspricht246. Nachdem das erste griechische Hilfsprogramm die Erwartungen des Fonds nicht erfüllt hatte, stieß die Vergabe weiterer IWF-Mittel in den Verhandlungen über das zweite Rettungspaket auf Widerstand innerhalb des Fonds, weil nach Ansicht vieler Mitglieder die Höhe der Finanzzusage in Anbetracht der Risiken nicht länger zu verantworten sei247. Schließlich müsse der IWF seine Ressourcen und seinen Ruf als erstklassiger Kreditgeber schützen248. Gleichwohl befanden sich im Exekutivdirektorium diejenigen Staaten, welche neuen Finanzhilfen für Griechenland skeptisch gegenüberstehen, in der Minderheit. Lediglich drei bis vier der 24 Direktoriumsmitglieder hatten grundsätzliche Einwände gegen ein Rettungspaket für Griechenland249, wobei die Kritiker insbesondere mit Blick auf die Schuldentragfähigkeit Griechenlands Bedenken erhoben. Die Befürworter dagegen verwiesen darauf, „dass es sich um ein systematisches Programm handele, mit dem nicht nur Griechenland stabilisiert, sondern auch andere Länder vor Ansteckungsrisiken geschützt werden sollten“250. EuGH, Rs. C-434/11, Corpul National al Politistilor, Urteil v. 14.12.2012, Rdn. 12 ff.; kritisch A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 9. 245 „On 9 May, the IMF Board approved a EUR 30 bn Stand-By-Arrangement.“ European Economy, Occasional Papers 61/May 2010, Punkt 8, S. 8. 246 FAZ vom 20. Februar 2012, IWF-Anteil am Griechenland-Paket wird kleiner. 247 Ebenda. Nach Ansicht des Vertreters Brasiliens im IWF-Direktorium, Paulo Nogueira Batista, handelte es sich um eines der riskantesten Programme in der Geschichte des Fonds. Siehe FAZ vom 12. März 2012, 18 Milliarden Euro neuer Kredit vom IWF. Wegen der Einflussnahme der europäischen Staaten, insbesondere der Mitglieder der Euro-Gruppe und dem Engagement zugunsten der Eurozone spricht Batista spottend von einem „Nordatlantik-Währungsfonds“. Die Euroländer missbrauchten ihre Macht im IWF. Europäer und Amerikaner seien „vor allem damit beschäftigt, ihre Besitzstände zu verteidigen“. Der Spiegel, Heft 23/2013, S. 68, Ritter der Tadelrunde. 248 FAZ vom 20. Februar 2012, IWF-Anteil am Griechenland-Paket wird kleiner. 249 FAZ vom 20. Februar 2012, IWF-Anteil am Griechenland-Paket wird kleiner. Insbesondere Kanada meldete schwerwiegende Bedenken gegen das umfangreiche Engagement des IWF in Euro-Staaten, insbesondere in Griechenland an. Kanada forderte daher auf der Frühjahrstagung des IWF im April 2012 ein Veto-Recht für alle außereuropäischen Staaten bei weiteren Krediten an Euro-Staaten, „um die Risiken des IWF im Euroraum im Griff zu halten“. Siehe FAZ vom 21 April 2012, Finanzminister Schäuble: Europa hat alle Zusagen eingehalten. 250 FAZ vom 20. Februar 2012, IWF-Anteil am Griechenland-Paket wird kleiner.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise317
Im Ergebnis konnten sich die kritischen Stimmen nicht durchsetzen. Die Beteiligung des Fonds am zweiten Hilfspaket betrug 18 Milliarden Euro, womit sich der Anteil des Fonds am gesamten Rettungspaket (offiziell) auf 14 Prozent reduzierte251, auch um dem wachsenden Zweifel innerhalb des Exekutivdirektoriums entgegenzuwirken252. Aufgrund der inzwischen erfolgten Kapitalerhöhung des Fonds entsprach dies „nur“ noch 2400 Prozent der griechischen Anteilsquote am IWF253. 2. Anpassung der Extended Fund Facility Um einem zweiten griechischen Rettungspaket den Weg zu bereiten, machte es das Exekutivdirektorium im März 2012 mit einer als „lex Athen“ bezeichneten Änderung der Kreditvergabekriterien der sogenannten „Erweiterten“ Fondsfazilität (Extended Fund Facility, EFF)254 möglich, Kredite an Programmstaaten nunmehr auch über einen längerfristigen Zeitraum von vier Jahren zu vergeben. Ursprünglich hatten die Bedingungen der EFF eine Kreditvergabe (nach Maßgabe des Exekutivdirektoriums) über die Dauer von grundsätzlich nur drei Jahren erlaubt, um die Risiken für den Fonds möglichst überschaubar zu halten255.
251 Gemessen an den Gesamthilfen aber blieb – je nach Rechnung – die Beteiligung des IWF mit etwa 27 Prozent konstant. Der IWF beteiligte sich nicht an den 30 Milliarden Euro für Garantien, welche die Eurostaaten den privaten Gläubigern zugesichert hatten, um ihnen die Umschuldung zu erleichtern. Auch die Hilfen zur Bankenkapitalisierung wurden allein von den Eurostaaten finanziert. Siehe FAZ vom 12. März 2012, 18 Milliarden Euro neuer Kredit vom IWF. 252 Mit dem zweiten Kreditprogramm wurde der Finanzbedarf Griechenlands bis zum Jahr 2014 gedeckt. Nach der damaligen Einschätzung der geschäftsführenden Direktorin des IWF Christine Lagarde seien die Risiken des zweiten Hilfsprogramms „extrem hoch“, weshalb es „keinen Raum für Fehler“ gebe. Vor dem Hintergrund, dass die Kredite des IWF über 8,3 Mrd. Euro erst nach dem Jahr 2014 fällig wurden und zu diesem Zeitpunkt das europäische Programm bereits beendet sein sollte, verlangte der Fonds, dass die bereits absehbare Finanzierungslücke Griechenlands ab dem Jahr 2014 dadurch geschlossen werden würde, dass es weitere Zusagen der europäischen Partner erhielte, wenn Griechenland bis dahin nicht an den Kapitalmarkt zurückkehren könne. Siehe FAZ vom 16. März 2012, Griechenland erhält mehr Geld als bisher bekannt. 253 Die Obergrenze der Ziehungen liegt seit 1992 bei 300 Prozent der Quote. Vgl. auch FAZ vom 20. Februar 2012, IWF-Anteil am Griechenland-Paket wird kleiner. 254 Die Erweiterte Fonds Fazilität ermöglicht Ziehungen bis 100 % der Quote jährlich, kumulativ 300 %, wobei die Ziehungen in den höheren Kredittranchen angerechnet werden. 255 Nach Ablauf dieses Zeitraums bestand eine Option, die Kreditlaufzeit auf vier Jahre verlängern zu lassen.
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
3. Verwendung der Griechenland-Hilfen Grundsätzlich kann die Aufnahme von Krediten die allgemeinen Handlungsmöglichkeiten erweitern und nach wirtschaftlichen Maßstäben vernünftig sein, sofern „mit Krediten die Ertragskraft zumindest mittel- oder langfristig gesteigert werden kann“256. Häufig aber werden die durch einen IWF-Bail-out generierten Mittel in der Hauptsache nicht für investive Zwecke verwendet, sondern sind dafür bestimmt, den Programmstaat im Stande zu halten, die Zins- und Tilgungsforderungen der privaten und öffentlichen Gläubiger zu bedienen. Die Hilfszahlungen sind zum überwiegenden Teil nicht für die Finanzierung laufender Ausgaben vorgesehen, sondern zur Ablösung fälliger Verbindlichkeiten auf dem Kapitalmarkt bestimmt. Um dies sicherzustellen wurden die Kredite des Griechenland-Programms großenteils zweckgebunden257. Aus dem ersten Rettungspaket zum Beispiel wurde Griechenland vom IWF und den europäischen Partnern 73 Milliarden Euro an Darlehen ausgezahlt. Von diesen Mitteln profitierten fast ausschließlich die Gläubiger Griechenlands. So flossen von den 73 Milliarden Euro, die seit Mai 2010 aus dem ersten Hilfspaket an Griechenland ausgezahlt wurden, in den Jahren 2010 und 2011 rund 70 Milliarden Euro durch Zins- und Tilgungszahlungen direkt in die Hände von Banken und anderen privaten Gläubigern258. Im Ergebnis werden mit den „Rettungspaketen“259 die bisherigen Gläubiger der griechischen Staatsschulden (356 Milliarden Euro zum Ende des Jahres 2011, geplant 327 Milliarden Euro zum Ende des Jahres 2012) substituiert260. Ein Großteil der Griechenlandhilfen fließt somit in die Gläubigerstaaten zurück261. 256 BVerfGE
119, 96, Rn. 170. vom 20. Februar 2012, IWF-Anteil am Griechenland-Paket wird kleiner. 258 Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum zwischen Mai 2010 und Dezember 2011. Im Zeitraum Mai 2010 bis Dezember 2011 sind 73 Milliarden Euro aus dem ersten Hilfspaket an Griechenland ausgezahlt worden, einzusehen unter http:// ec.europa.eu/economy_finance/eu_borrower/greek_loan_facility/index_en.htm. Im gleichen Zeitraum von Mai 2010 bis Ende 2011 sind fällige Anleihen in Höhe von 47,1 Mrd. Euro (Bloomberg, veröffentlicht auf Spiegel-Online) getilgt worden. Die Zinszahlungen betrugen Mai bis Dezember 2010 ca. 8 Mrd. Euro (Eurostat) und 2011 15 Mrd. Euro (Prognose Europäische Kommission Herbst 2011). 259 Das Prinzip ist aus Sicht der privaten Gläubiger mit der Ausweitung der Personalsicherheiten vergleichbar: „Bei den Personalsicherheiten geht es um die Gewinnung zusätzlicher Schuldner mit deren Gesamtvermögen als zusätzlicher Haftungsmasse. Gesetzliche Regelungen solcher zusätzlicher Sicherheiten finden wir in der Gesamtschuld (§§ 421 ff. BGB), in der Bürgschaft (§§ 765 ff. BGB) und in der Gesellschafterhaftung bei der Personalgesellschaft (§ 128 HGB).“ 260 Inzwischen befindet sich der überwiegende Teil der griechischen Staatsanleihen in der Hand der Europäischen Zentralbank und der Euro-Gläubigerstaaten. Siehe D. Marsh, FAZ vom 8. Juli 2011, „Euroland wird auf einen harten Kern reduziert“. 257 FAZ
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise319
4. Memorandum of Understanding für Griechenland Das Kreditprogramm für Griechenland (wie auch für die anderen Programmstaaten der Euro-Zone) ist insofern außergewöhnlich, als der IWF nicht alleinverantwortlich, sondern in enger Abstimmung mit den EU-Institutionen agiert. Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu klären, auf welcher Grundlage die Zusammenarbeit der Institutionen erfolgt und inwiefern die Konditionalität des Kreditprogramms dem IWF zugerechnet werden kann. a) Zurechenbarkeit der Auflagen Grundsätzlich übernimmt der IWF die volle Verantwortung für die Konditionalität im Rahmen seiner Kreditprogramme. Ziffer 8 der Richtlinien zur Konditionalität (GoC) stellt klar: „The Fund is fully responsible for the establishment and monitoring of all conditions attached to the use of its resources. There will be no cross-conditionality, under which the use of the Fund’s resources would be directly subjected to the rules or decisions of other organizations.“
Das Engagement des IWF in Griechenland erfolgte im Mai 2010 auf der Grundlage einer informellen Rahmenvereinbarung („Framework for Cooperation between the Fund, the European Commission, and the ECB“)262. Sie „Von der gesamten Kreditsumme von 172,7 Mrd. Euro, die die Euro-Staaten und der IWF in den kommenden Jahren für Griechenland aufbringen, steht nur ein kleiner Teil der Regierung in Athen unmittelbar für den Schuldendienst oder für Ausgaben zur Verfügung. Ein Großteil der neuen Kreditzusagen der Euro-Staaten ist für andere Zwecke gebunden. 48 Mrd. Euro gehen in die Rekapitalisierung der griechischen Banken. 35 Mrd. Euro dienen als Garantie, um die Kreditrisiken für die griechischen Staatsanleihen der Notenbanken im Euroraum abzusichern. Die Euro-Staaten hoffen, dass diese Garantien hinfällig werden, wenn die Anleihen von den Ratingagenturen wieder besser bewertet werden. 30 Mrd. Euro sollen den privaten Gläubigern Verluste beim Anleihetausch „versüßen“. Direkt bleiben der Regierung von den Kreditzusagen nur 59,7 Mrd. Euro.“ – FAZ vom 16. März 2012, Griechenland erhält mehr Geld als bisher bekannt. Von diesem Betrag hat der griechische Staat seine Schulden zu bedienen. 261 Liz Alderman und Jack Ewing haben die ökonomische Fragwürdigkeit des Kreditgeschäfts wie folgt pointiert: „Die europäischen Behörden leihen also praktisch Griechenland Geld, damit Griechenland das Geld zurückzahlen kann, das es sich bei ihnen geliehen hat.“ L. Alderman/J. Ewing, in: New York Times vom 30. Mai 2012, „Most Aid To Greece Circles Back“. 262 IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, Mai 2010, S. 5, einzusehen unter http://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2010/cr10110.pdf. Zur Zusammenarbeit mit anderen Internationalen Institutionen heißt es in Ziffer 8 der Richtlinien zur Konditionalität (GoC): „The Fund’s policy advice, program design, and conditionality will, insofar as possible, be consistent and integrated with those of
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
beschreibt die Hauptmerkmale der „engen Zusammenarbeit“ zwischen IWF, Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank in den Bereichen Gestaltung („Program design“), Überwachung („Program monitoring“) sowie der finanziellen Ausstattung des Kreditprogramms („Financing arrange ments“)263. Der IWF-Report betont auf der einen Seite die „Ownership“264 der griechischen Regierung für das Kreditprogramm. Diese könne sich bei der Gestaltung und Umsetzung der Auflagen auf eine „breite Mehrheit des griechischen Volkes“ berufen265: „The strong ownership of the program on the part of the authorities is supported by the vast majority of the Greek people.“
Auch im späteren Memorandum of Understanding vom Jahr 2012 heißt es266: „However the ownership of the programme and all executive responsibilities in the programme implementation remain with the Greek Government.“
Auf der anderen Seite lassen die Memoranda of Understanding an der Verbindlichkeit der Auflagen keinen Zweifel267: „[…] the Government will fully cooperate with the Commission, the ECB and the IMF staff teams to strengthen the monitoring of programme implementation, and will provide the staff teams with access to all relevant data and other information in the Greek administration.“
Die Erwartungen der Troika an die Gesetzgebungsreformen in Griechenland sind in Form zahlreicher Auflagen sowohl im Memorandum of Economic and Financial Policies (MEFP) / Technical Memorandum of Understanding other international institutions within a coherent country-led framework. The roles of each institution, including any relevant conditionality, will be stated clearly in Fundrelated program documents.“ 263 Ziffer 11) der Principles Underlying the Guidelines on Conditionality: „Coordination with other multilateral institutions is often necessary in order for the Fund to provide consistent and effective assistance to members. Accordingly, the Fund’s policy advice, work on program design, and conditionality should strive to be consistent with that of other institutions and, whenever possible, should be integrated within a coherent country-led framework. Responsibility and accountability for all conditions attached to the use of Fund resources reside with the Fund.“ 264 Damit soll formal Ziffer 3 der Richtlinien zur Konditionalität (GoC) Rechnung getragen werden: „National ownership of sound economic and financial policies and an adequate administrative capacity are crucial for successful implementation of Fund-supported programs.“ Vgl. zum Begriff „ownership“ Teil 2, A. I. 265 IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, S. 144. 266 Memorandum of Understanding on Specific Economic Policy Conditionality, Fassung vom 9. Februar 2012, S. 1. 267 Ebenda.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise321
(TMU) des IWF als auch im Memorandum of Economic and Financial Policies (MEFP) / Memorandum of Understanding (MoU) der Europäischen Kommission inkorporiert268. Der Griechenland-Report konstatiert, dass der Fonds im Rahmen der beiden Dokumente „Memorandum of Economic and Financial Policies (MEFP) / Technical Memorandum of Understanding (TMU)“ vor allem für die makroökonomischen Reformen zuständig zeichnet269: „Given the large structural reform agenda with leadership of the EC, structural benchmarks for the Fund-supported SBA are set on fewer but more macrocritical reforms. They include modernizing public administration, streamlining the local authorities, improving data reporting and budget framework, reforming social security, reducing risks from the state-owned enterprises, and enhancing tax administration.“
Während das Memorandum of Economic and Financial Policies (MEFP) einen makroökonomischen Schwerpunkt setzt und weniger umfangreiche Strukturmaßnahmen vorsieht, bestimmt das Memorandum of Understanding (MoU) „the full structural reform agenda agreed between the authorities and the EC“270. Die Troika-Institutionen betrachten die Reformbereiche zwar aus ihrer jeweiligen Perspektive und gewichten die Schwerpunkte der Reformagenda entsprechend unterschiedlich. Gleichwohl stellt der IWF-Report klar, dass sich die Memoranda als Bestandteile eines einheitlichen Kreditprogramms verstehen: „The authorities’ program represents a coordinated framework for policy adjustment and financing supported by the EC, the ECB and the IMF. Program discussions were conducted on a quadrilateral basis between the authorities and the three institutions, resulting in a unified and consistent set of macroeconomic and structural policy parameters. These are set out in the MEFP / TMU of the IMF and the MEFP / MoU of the EC“271.
Die Einheit des Kreditprogramms wird auch durch die gemeinsam ausgeübte Kontrolle der griechischen Reformen auf den Ebenen der Legislative und Exekutive sowie durch das unter den Kreditgebern gleichwertig aufgeteilte finanzielle Risiko verdeutlicht. So sieht die Rahmenvereinbarung eine enge Abstimmung der Troika-Institutionen bei der Überwachung der Umsetzung der Auflagen vor272. Die Konditionalität des IWF und der Europäischen Kommission273 „is set on the basis of regular end-quarter test dates, with joint review missions consisting of IMF, EC and ECB staff “274. 268 IMF,
Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, S. 5. S. 19. 270 Ebenda, S. 5. 271 Ebenda. 272 Ebenda. 273 „Conditionality for Fund Board reviews is based on a standard quarterly framework of performance criteria and structural benchmarks. For the EC, condi269 Ebenda,
322
Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
Die Finanzierung des auf drei Jahre angelegten ersten Kreditprogramms erfolgte zwar auf jeweils bilateraler Basis mit den 15 Staaten der EuroGruppe, jeweils entsprechend ihrer Anteile an der Europäischen Zentralbank. Verwaltet werden die bilateralen Kredite aber im Rahmen einer einzelnen gemeinsamen Kreditvereinbarung zwischen Griechenland und den EuroStaaten, welche von der Europäischen Kommission vertreten wird275. Die Kredite sind auf die Vertragslaufzeiten des IWF abgestimmt. Die Auszahlung jeder Tranche erfolgt während der gesamten Dauer des Kreditprogramms im Verhältnis drei zu acht zwischen dem IWF und den Europäischen Finanzierungsmechanismen. Die Zinsvereinbarung sieht einen flexiblen Rahmen floatender Zinssätze vor276. b) Die Auflagen im Einzelnen Im Vorfeld der Verhandlungen über die Bewilligung eines IWF-Kredits für Griechenland im Jahr 2010 hatte der Fonds die von Griechenland ursprünglich vorgesehenen Haushaltsreformen zunächst als „nicht überzeugend“ verworfen277, weil sie einer hinreichenden Maßnahmengrundlage entbehrten. Beim Umgang der griechischen Regierung mit der Krise diagnostizierte der Fonds „the slippage of confidence in the sovereign“ und bezeichnete die von Griechenland angestrebten Maßnahmen als „failing to calm the market“278. Anstatt dessen habe sich die Stimmung auf den Finanzmärkten zusehends verschlechtert. Um das Vertrauen der Märkte wiederherzustellen, benannte der IWF drei Hauptziele seines Kreditprogramms279: •• Wiederherstellung des Vertrauens der Finanzmärkte und einer nachhaltigen Haushaltspolitik, tionality is based on an overall assessment of progress against the structural agenda in the MoU as well as the macroeconomic targets. The EC conducts this assessment in liaison with the ECB, and then makes a recommendation to the Euro Group committee of finance ministers, to approve the disbursement.“ IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, S. 5. 274 Ebenda. 275 Ebenda. 276 „The loans […] will carry floating rate interest rates (3-month Euribor) plus a spread of 3 percentage points, rising to 4 percentage points for amounts outstanding beyond three years.“ IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, S. 5. 277 „Initial attempts by the new government in January 2010 to address these vulnerabilities were not convincing.“ IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, S. 7. 278 Ebenda. 279 Ebenda, S. 8.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise323
•• Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit, •• Gewährleistung der Stabilität des griechischen Finanzsektors. Dementsprechend verpflichteten die Kreditvereinbarungen – das Memorandum of Economic and Financial Policies (MEFP) und das Technical Memorandum of Understanding (TMU) – die griechische Regierung zu fiskalpolitischen Reformen (fiscal policy), zu strukturellen Reformen (structural reforms) sowie zu einer Neuorganisation des Finanzmarktsektors (financial sector policy). Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen sahen den Einsatz bestimmter legislativer, teilweise auch exekutiver Instrumente vor, welche breit gefächert sind und wesentliche Felder wie den Bankensektor, das Schulwesen, die Krankenversicherung, das Renteneintrittsalter oder die regionalen Verwaltungsebenen neu gestalten. Der Schwerpunkt lag in „comprehensive monitoring of the fiscal performance“280, deren Wirksamkeit anhand von bezifferten Zielwerten beurteilt werden sollte. Die in den Memoranda festgelegten Konditionen sind Steuerungsinstrumente der Reformen, dienen der Kontrolle des Reformverlaufs und bilden zugleich die konkrete Auszahlungsvoraussetzung für die nächste Kredittranche281. In den Kreditprogrammen für Griechenland (ebenso für Portugal und Irland) folgt die Troika einem Schema mit den Einteilungskriterien •• fiscal consolidation, •• structural fiscal reforms, •• financial sector regulation and supervision, •• structural reforms. aa) (Strukturelle) Haushaltskonsolidierung und Regulierung des finanziellen Sektors Das Memorandum definiert den Erwartungshorizont der Zielerreichung anhand von quantitativen (numerischen) und qualitativen Indikatoren282. 280 Ebenda,
S. 19. Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bedeutet die Aussetzung von IWF-Tranchen zwar nicht automatisch die Unterbrechung oder den Abbruch von Budgethilfebeiträgen. Dennoch kommt der Koordination und dem Dialog mit dem IWF eine wichtige Rolle zu. Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; BMZ Konzepte 146: Konzept zur Budgetfinanzierung im Rahmen der Programmorientierten Gemeinschaftsfinanzierung (PGF), ohne Datumsangabe S. 17. 282 „The release of the tranches will be based on observance of quantitative performance criteria, and a positive evaluation of progress made with respect to policy criteria in the MEFP and in this Memorandum, which specifies the detailed criteria 281 Im
324
Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
(1) Quantitative Indikatoren Quantitativ, das heißt numerisch messbar, sind im Falle dieses Memorandums vor allem fiskalische Maßnahmen, die in Einnahmen und Ausgaben untergliedert sind. Die Einnahmen beziffern in erster Linie direkte und indirekte Steuern, insbesondere Umsatzsteuer und Mineralöl- / Tabak- / Alkoholsteuern, sowie Mehreinnahmen durch eine effektivere Steuerverwaltung. Auf der Ausgabenseite sind feste Vorgaben oder Mindestsummen für bestimmte Etatkürzungen vorgesehen, beispielsweise die Senkung von Bonusund Pensionszahlungen, von sozialen Leistungen oder die Verpflichtung zu Einsparungen auf den verschiedenen Ebenen in der staatlichen Verwaltung. Ein Drittel der vorgesehenen Einsparungen (ca. 10 Milliarden Euro auf die Jahre 2012, 2013 und 2014 verteilt) wird aufgrund der unsicheren Erwartungen während der langen Planungsperiode nicht genauer spezifiziert, aber in den folgenden Memoranda nachgeschoben (dazu unten). Tabelle 1 Fiskalische Konditionen aus dem SBA für Griechenland (zusammengefasst)283 fiskalische Maßnahmen
2010 EURO
Einnahmen
2011
2012
2013
2014
∑
% EURO % EURO % EURO % EURO % BIP BIP BIP BIP BIP 0,5
3,3
0,7
–0,3
–0,4
3,8 %
Umsatzsteuer: Erhöhung/Basis erweiterung
800
0,3
2.000
0,8
300
0,1
3.100
Verbrauchssteuern: Alkohol Treibstoff, Zigaretten, nichtalkoholische Getränke, Luxussteuer
450
0,2
700
0,2
300
0,1
1.450
Einkommenssteuern
200
0,1
200
Umweltsteuer
300
0,1
300
Unternehmenssteuern
1.400
0,7
–600
–0,2 800
[…]“ – Präambel des Memorandum of Understanding on specific Economic Policy Conditionality. 283 Ermittelt aus: Greece memorandum of understanding, specific economic policy conditionality, May 2, 2010.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise325 fiskalische Maßnahmen
2010 EURO
2011
2012
2013
∑
% EURO % EURO % EURO % EURO % BIP BIP BIP BIP BIP
Spielsteuer u. Spiellizenzen
700
0,3
625
0,3
Grundsteuer
900
0,4
200
0,1
Mehreinnahmen durch effektivere Steuererhebung
400
0,2
100
0,0
Einsparungen
2014
1,9
1,0
–725
600
–0,3 –450
100
1,2
–0,2 650 600
0,0
0,5
1,9
6,5 %
Öffentlicher Dienst – Bezüge/Personal abbau
1.100
0,5
500
0,1
600
0,3
500
0,2
2.700
– Pensionen: Kürzung Einfrieren, Kappung
1.850
0,7
750
0,3
250
0,1
200
0,1
3.050
500
0,2
Arbeitslosen unterstützung nach Bedürftigkeits prüfung
500
weitere Staatsausgaben – Kalikrates-Plan – Rückführung Investitionen
500
0,2
500
0,2
500
0,2
500
0,2
500
0,2
1.500
800
0,4
800
– Kürzung der Zahlungen an öffentliche Einrichtungen – Etat-Posten „Solidarität“
400
0,2
– intermediärer Staatsverbrauch
700
0,3
Summe 2010–2014
5.800
2,5
1.500
0,2
400 300
9.150
1.000
0,1
nicht identifizierte Maßnahmen Summen pro Jahr
500
4,1
900
0,4
4.200
1,8
5.750 2,4 10.850
5.575
2,4
4.775
2,0
4.700 1,9 30.000 30.000 13,0
326
Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
(2) Qualitative Indikatoren Dem Troika-Schema folgend fallen unter den Begriff „fiskalische Strukturreformen“ die Regulierung und Aufsicht des Finanzsektors und allgemeine Strukturreformen. Diese Konditionen betreffen die Organisation und Transparenz der staatlichen Verwaltung, und bilden zugleich die Voraussetzung für die Erfüllung und Zuverlässigkeit der numerisch messbaren fiskalischen Maßnahmen. Unter dieser Rubrik sind eine Reihe von Verwaltungsreformen vorgesehen, beispielsweise eine Neuorganisation der Steuerverwaltung, die Einführung einer rollenden 3-Jahres-Ausgabenplanung für Staatshaushalt, Sozialversicherung und lokale Verwaltungsebenen, die Veröffentlichung von monatlichen Haushaltsstatistiken und die Stärkung der Position des Finanzministers gegenüber den übrigen Ressortministern284. (3) Regulierung und Aufsicht des finanziellen Sektors Unter der Regulierung und Aufsicht des finanziellen Sektors versteht der IWF im Falle Griechenlands beispielsweise die Gründung eines unabhängigen Stabilitätsfonds der griechischen Zentralbank zur Aufrechterhaltung der Liquidität, die Förderung der Wirtschaft und Sicherung der Kapitalausstattung der Banken, die Revision des Insolvenzrechts im privaten Sektor sowie die Reformierung der Bankenaufsicht285. bb) Strukturelle Reformen am Beispiel des MoU vom 9. Februar 2012 Unter den qualitativen Konditionen ist dieser Aufgabenkatalog für strukturelle Reformen am umfangreichsten. Er umfasst so unterschiedliche Bereiche wie die Neuorganisation der öffentlichen Verwaltung, des Gesundheitswesens, des Arbeitsmarktes oder die Öffnung geschützter Berufsbereiche. Wie weitreichend die Reformauflagen sind, zeigt beispielhaft das griechische Memorandum of Understanding in der Fassung vom 9. Februar 2012286. 284 Vgl. Greece, Memorandum of Understanding on Specific Economic Policy Conditionality, Fassung Mai 2010. 285 Ebenda, S. 2. 286 Deutscher Bundestag, Antrag des Bundesministeriums der Finanzen, Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik vom 24. Februar 2012, Drucksache 17/8731, darin enthalten: Memorandum of Understanding on Specific Economic Policy Conditionality, S. 53 ff., deutsche Übersetzung S. 101 ff., Greece – Memorandum of Economic and Financial Policies, S. 155 ff., deutsche Übersetzung S. 185 ff.; ebenso IWF-Dokumente im Anhang des Letters of Intent vom 9. März 2012, S. 51 ff.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise327
Die Bestimmungen regulieren sämtliche haushaltsrelevanten Bereiche des Gemeinwesens287, zum Beispiel: •• Regelungsaufträge in der Gesundheitsvorsorge (der Verwendung und Preisgestaltung von Medikamenten, Verschreibungsrichtlinien für Ärzte), •• eine umfassende Reform der Steuerverwaltung (organisatorischer Aufbau der Verwaltung, Personalzahlen und Arbeitsanweisungen an Steuerprüfer), •• Umstrukturierung der öffentlichen Verwaltungen, •• sozialpolitische Maßnahmen (Entlassung von 150.000 Beschäftigten im öffentlichen Sektor, Versetzung von 15.000 Angestellten in eine Arbeitsreserve), •• Reformierung der Renten (Berechnungsgrundlage individueller Rentenleistungen, Struktur der Pensionskassen), •• Anweisungen zur Neugestaltung des öffentlichen Beschaffungswesens, •• Reformierung des Arbeitsmarktes (Senkung der Mindestlöhne um 22 bis 32 Prozent, Reformierung der Lohnfindung „zum Zweck der Neuverhandlung von Tarifverträgen“, Aussetzung tarifvertraglicher Regelungen), •• Privatisierung von staatlichen Unternehmen (etwa den Verkauf des Stromanbieters PPC und des staatlichen Gasversorgers DEPA an Investoren), •• Reformierung des Justizwesens (Reform der Organisation der Gerichte, Einführung außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren, umfassende Revision der griechischen Zivilprozessordnung; hier sind die Neuregelungen „an die international bewährte Praxis“ anzupassen288, •• Regulierung und Aufsicht des Finanzsektors, 287 Das Memorandum vom 9. Februar 2012 wurde vom griechischen Parlament drei Tage später, in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 2012, gebilligt, begleitet von Protesten von mehr als 100.000 Menschen und gewaltsamen Ausschreitungen vor dem Parlament. Siehe FAZ Online vom 13.02.2012, Parlament billigt Sparprogramm. 288 Die Auflagen bezeichnen folgende Änderungsbereiche: „i) Behandlung von Gerichtsfällen, einschließlich der Möglichkeit, ruhende Verfahren aus dem Gerichtsregister streichen zu lassen; ii) Entlastung der Richter von nicht unmittelbar der Rechtsprechung zuzuordnenden Aufgaben wie beispielsweise der Vorverfahren zur hypothekarischen Belastung von Immobilien, der Gründung und Auflösung von eingetragenen Unternehmen und Körperschaften und der einvernehmlichen/nicht streitigen Anwendung von Familienrecht, iii) Durchsetzung von Entscheidungen und Zahlungsverfügungen insbesondere in Fällen mit geringem Streitwert, iv) Durchsetzung der gesetzlich bestimmten Fristen für Gerichtsverfahren, insbesondere für einstweiligen Rechtsschutz, Zwangsvollstreckung und Insolvenzverfahren. Für die Zwecke der vorliegenden Absichtserklärung bezeichnet der Begriff „Behandlung von Gerichtsfällen“ die Möglichkeit, bei der Ermittlung der wesentlichen, zwischen den Parteien streitigen Fragen des Sachverhalts und Rechtsfragen frühzeitig Richter hinzuzuziehen, Anwälte und Streitparteien zur Teilnahme an Besprechungen vor Verhandlungsbeginn zu verpflichten sowie die allgemeine Verfahrensführung und Be-
328
Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
•• Änderungen in den Zulassungsvorschriften reglementierter Berufe, •• Reformierung der Anwaltsordnung (Festsetzung von Honoraren und Beitragssätzen für Rechtsanwälte und Ingenieure), •• Maßnahmen zur Deregulierung privatwirtschaftlicher Tätigkeiten (Vereinfachung von Umwelt- und Baugenehmigungen, Reduzierung der für den Export benötigten Voraussetzungen), •• Liberalisierung des Taximarktes, des Linienbusverkehrs, des Schienenverkehrs, •• Reform der Subventionen für erneuerbare Energien, •• Änderungen in der Gestaltung der elektronischen Kommunikation. Im Zentrum des Memorandums stehen die Reformierung der Gesetzgebung zur Steuerverwaltung (200 Finanzämter sollten bis Dezember 2012 geschlossen und 1.000 Steuerprüfer eingestellt werden), die Reduzierung der Lohn- und Lohnnebenkosten sowie der Ausgaben für Sozialleistungen, insbesondere des Arbeitslosengeldes. Das Sozialleistungsprogramm sollte bis Juni 2012 bewertet, überprüft und umstrukturiert werden, mit der Vorgabe, mindestens ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts einzusparen. Die Auflagen der Troika sind überwiegend als unmittelbare Handlungsanweisungen an die griechische Regierung formuliert289. Im Bereich der Liberalisierung des Kapitalverkehrs wird die griechische Regierung auch zu einem Unterlassen verpflichtet290 oder es wird ihr aufgegeben, bereits in Kraft getretene Gesetze zu widerrufen291. Das Memorandum ist in der Regel durch legislative Maßnahmen umzusetzen. In Schlüsselbereichen ist es derart eng gefasst, dass der griechischen Regierung nur ein geringer Gestaltungsspielraum bleibt; in einigen Sektoren formuliert es gar präzise Detailregelungen292. In weniger relevanten Bereischleunigung von Gerichtsfällen, um zu einer frühestmöglichen und kostengünstigen Beilegung des jeweiligen Rechtsstreits zu gelangen.“ 289 Zum Beispiel: „The Government will revise …“, „The Government stands ready to offer for sale …“; „The Government repeals or appropriately amends …“; „The Government will continuously transfer …“; „The Government appoints …“; „The Government will prepare a tax reform that …“; „The Government will define ‚tax refunds in arrears,‘…“; „The Government issues decisions to appoint …“; „The Government presents a detailed plan for …“; „The Government will move towards (more centralised procurement)“. 290 Etwa Ziff. 2.1 des Memorandums zur Privatisierung: „The Government will neither propose nor implement measures which may infringe the rules on the free movement of capital.“ 291 „In particular, the Law on Strategic Companies (Law 3631/2008, Art 11) is repealed or appropriately amended. [Q2-2012]“.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise329
chen setzten die Auflagen eher allgemeine Ziele, welche im Wege von konkreten exekutiven Akten wie Präsidial- und Ministerialerlassen zu konkretisieren und umzusetzen waren293. Zahlreiche Auflagen sehen Veröffentlichungspflichten vor, die nicht nur dem Publizitätsgebot Rechnung tragen sollen, sondern offenkundig auch einer wirksamen Erfolgskontrolle durch die Troika zu dienen bestimmt sind294. Auf einigen Regelungsfeldern lässt sich die Troika sogar die unmittelbare Mitwirkung an der konkreten Ausgestaltung der Gesetze zusichern. Besonders relevante Bereiche wie die Neugestaltung der Altersversorgungssysteme sind „in Absprache mit Mitarbeitern der Europäischen Kommission, der EZB und des IWF zu gestalten“. Dabei wird die Regierung zu einer Revision der bestehenden Gesetze verpflichtet, wobei die erwarteten Ergebnisse der Revision bereits im Memorandum definiert sind („The revision achieves […]“). In anderen Bereichen, etwa der Justizreform, ist es der griechischen Regierung aufgegeben, um technische Unterstützung zu ersuchen, welche entweder von den EU-Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission oder dem IWF zur Verfügung gestellt wird. c) Bewertung Die Auflagen gegenüber Griechenland (ähnlich gegenüber Irland, Portugal oder Ungarn295) verfolgen das Ziel einer strengen Austeritätspolitik und sind 292 Etwa zur personalen Zusammensetzung innerhalb des Hellenic Financial Stability Fund (HFSF). Zur Regulierung und Beaufsichtigung des Finanzsektors (Ziffer 3) heißt es: „Die Regierung erweitert die Führungsstruktur des HFSF um einen Allgemeinen Rat und ein Exekutivdirektorium. Der Allgemeine Rat umfasst fünf Mitglieder: zwei Mitglieder, u. a. der Vorsitzende mit umfangreicher Erfahrung im internationalen Bankwesen, ein weiteres Mitglied, einen Vertreter des Ministeriums für Finanzen und ein von der Griechischen Zentralbank ernanntes Mitglied. Sämtliche Mitglieder werden vom Ministerium für Finanzen mit Zustimmung der Euro-Arbeitsgruppe (EAG) ernannt, wobei der Vertreter des Ministeriums für Finanzen und das von der Griechischen Zentralbank ernannte Mitglied ausgenommen sind. Die Europäische Kommission und die EZB werden weiterhin eigene Beobachter in den Rat entsenden.“ 293 Das Memorandum verpflichtet die Regierung etwa zur Reform der Dienstleistungsrichtlinie zum Stichdatum Juni 2012, zu einem Präsidialerlass zur Abschaffung einer Gewerbeprüfung vor Eröffnung eines Schlachthauses, zum Erlass von Ministerialbeschlüssen etwa zu Umweltschutzbestimmungen oder zum Erlass eines Ministerialbeschlusses zur Genehmigung von „Projekten und Tätigkeiten nach den Umweltschutzbestimmungen“. 294 So lässt sich etwa die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank im Rahmen der Auflagen zum Hellenic Financial Stability Fund (HFSF) die Entsendung eigener Beobachter zusichern. 295 Auch in Ungarn hat der IWF Austeritätsgesetze durchgesetzt. Nachdem Ungarn Anfang des Jahres 2011 eine neue Verfassung in Kraft gesetzt und das ungarische Parla-
330
Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
konzeptionell an die Maßnahmen des Washington Consensus angelehnt296. Sie unterscheiden sich im Detail, gemeinsam aber ist ihnen die Kombination von ähnlichen Maßnahmen, um „das oberste Prinzip der Förderung des Marktes bei möglichst weitgehender Reduktion öffentlicher Wirtschafts aktivitäten“297 zu erreichen. Die „reduced role of the state in the economy“ hebt der IWF als Ziel ausdrücklich hervor298. Alle Maßnahmen stehen darüber hinaus „im Dienste der angestrebten möglichst weitgehenden weltwirtschaftlichen Integration“299 und basieren auf einer Öffnung der Märkte300 sowie einer „Neuordnung des Preissystems“301, die aufgrund der Einbindung Griechenlands in die Währungsunion nur durch innere Abwertung erfolgen kann („the program includes nominal wage and benefit cuts and structural reforms to reduce costs and improve price competitiveness“302). Maßnahmen zur Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung bilden den Maßstab für die Reformauflagen des IWF und finden sich mehr oder ment eine Reform der ungarischen Zentralbank verabschiedet hatte, welche die Unabhängigkeit der Zentralbank einschränkte, „brachen die EU und der IWF im Dezember eine Mission ab, bei der die Vergabe von Hilfen in Höhe von bis zu 20 Milliarden Euro geprüft werden sollte“. Auf Kritik der Institutionen stieß insbesondere die vom ungarischen Parlament beschlossene Sonderabgabe des Finanzgewerbes (Banken, Versicherungen, Fonds). Mit diesen Mitteln sollten die von IWF und EU-Kommission präferierten Einsparungen zur Haushaltssanierung kompensiert werden. Siehe FAZ vom 31. Dezember 2011, Orbán verbittet sich Einmischung, S. 6. Im Zuge der Verhandlungen mit Ungarn kursierte die These, „wonach gerade Ungarn für die internationalen Kreditoren IWF und EU jener Schuldner ist, der sich ideal zum Statuieren eines abschreckenden Exempels eignet“. Das Land sei zu klein, um einen Domino-Effekt auszulösen. Daher könne man am ungarischen Beispiel „vorexerzieren […], was Sparunwilligen droht“. „Budapest eignete sich folglich als Rute, die Brüssel anderen Hauptstädten ins Fenster stellen könnte, in denen der Euro gilt, am ehesten Athen und Lissabon, aber auch Madrid oder Rom.“ R. Olt, FAZ vom 29. Juli 2010, Ungarn als Drohkulisse? 296 Der Geschäftsführende Direktor Dominique Strauss-Kahn vertrat die Ansicht, eine Deflation (als Folge einer Austeritätspolitik) sei für Griechenland der einzig gangbare Weg aus der wirtschaftlichen Krise. Die EU-Kommission habe dies „vollkommen korrekterweise empfohlen“ – und dieser Prozess werde schmerzhaft sein, da er sinkende Löhne und Preise bedeute.“ – FAZ vom 12. April 2010, Hilfspaket für Griechenland beruhigt die Märkte; S. Lütz/M. Kranke, The European Rescue of the Washington Consensus? EU and IMF Lending to Central and Eastern European Countries, LSE ‚Europe in Question‘ Discussion Paper Series, 2010. 297 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 178. 298 IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, S. 8. 299 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 178. 300 V. Büttner, Die Auflagenpolitik des IWF im Kontext der internationalen Schuldenkrise, in: Simonis (Hrsg.), Externe Verschuldung – Interne Anpassung, 1984, S. 90; P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 178 (m. w. N.). 301 Zur „Neuordnung des Preissystems im Sinne der wirtschaftsliberalen Philosophie des Fonds“ schon P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 178. 302 Ebenda, S. 8.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise331
weniger ausgeprägt in den quantitativen und qualitativen Indikatoren der Memoranda wieder303. Sie folgen den Effizienzvorstellungen des IWF von fiskalischer Produktivität304 und offenbaren eine genaue Vorstellung davon, auf welche Weise der Staat nach Ansicht des Fonds in die Wirtschaft eingreifen soll. Im Vordergrund stehen sozialpolitische Strukturreformen, insbesondere Kürzungen im Bereich des öffentlichen Dienstes305 und eine Liberalisierung der Arbeitsmarktpolitik306, um die Wettbewerbsfähigkeit privater Unternehmen zu erhöhen. Sektorspezifische Ziele sind in erster Linie Einsparungen auf den Feldern der Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Daneben sollen Steuererhöhungen einen weiteren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Die Troika betrachtet die „reale Absenkung der Lohnkosten“ in den EuroKrisenstaaten als eine entscheidende Voraussetzung wirtschaftlicher Stabilisierung307; denn die Erfahrung der siebziger Jahre habe gelehrt, dass dies der „nachhaltigere Weg“ sei, „um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen“308. Demgegenüber sehen Kritiker mit diesen Maßnahmen einen neuen „Kostensenkungswettbewerb“ in Europa in Gang gesetzt309. 303 Dass der IWF an diesen Auflagen seit den achtziger Jahren weitgehend festgehalten hat, zeigt A. Dreher, The Development and Implementation of IMF and World Bank Conditionality, 2002. Insbesondere die Einbeziehung institutioneller Komponenten in die Wirtschaftsprogramme wurde geändert, vgl. A. Gosh, The Design of IMF-Supported Programs. 304 Dazu allgemein W. Leisner, Grundlagen des Berufsbeamtentums: mit einer Studie über das Leistungsprinzip, 1971, S. 59, 31, 31, zur Zielerreichungseffizienz „ohne Rücksicht auf Verluste“, S. 44 ff. 305 Die auferlegte umfangreiche Streichung öffentlicher Stellen führe „meist zu einem gewollten Dominoeffekt“ mit der Folge, „dass auch die Gehälter in der Privatwirtschaft sinken“. Siehe S. Vogel, Sparpolitik und Demokratieabbau in der Eurokrise, 2013, S. 47. 306 Die Auflagen umfassen regelmäßig die Befristung von Arbeitsverträgen, die Ausweitung der Probezeit, die „Dämpfung der Lohnsteuerungsraten“, die Einführung von „Lohnstopps“, sowie die Erleichterung von Kündigungen. Auch die Ausgaben in den sozialen Sicherungssystemen sollen verringert werden, indem die Renten gekürzt, das Renteneintrittsalter erhöht und die Höhe und die Dauer des Arbeitslosengeldes reduziert werden. S. Vogel, Sparpolitik und Demokratieabbau in der Eurokrise, S. 47. 307 Interview mit EZB-Präsident Mario Draghi, FAZ vom 24. Februar 2012, „Stabile Preise ohne monetäre Staatsfinanzierung“. 308 Andernfalls wäre eine „Inflation mit dauerhaft hohen sozialen Kosten“ die Folge, M. Draghi, ebenda. Aussagefähiger als die reinen Lohnkosten sind aber die Lohnstückkosten als Vergleichsmaßstab für die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. 309 „Länder wie Tschechien und Kroatien geraten unter Druck, ebenfalls ihr ohnehin niedriges Lohnniveau zu senken, um mit den niedrigeren Standards in den peripheren Eurostaaten konkurrieren zu können.“ Damit werde „altbekannte[n] Forderun-
332
Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
aa) Optionen und Hindernisse des Auswegs aus einer Schuldenkrise Die Maßnahmen der Troika sind in der Literatur vielstimmig kritisiert worden310. Grundsätzlich bestanden von Anfang an erhebliche Zweifel, ob der wirtschaftspolitische Ansatz des IWF geeignet sei, Griechenland aus der Krise zu führen. Zwar identifiziert der Griechenland-Report des IWF die hohe Verschuldung und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des Landes als wesentliche Ursachen der Krise, geht dabei aber nicht auf das grundlegende Problem ein, dass das Land als Mitglied der Euro-Zone keine Währungsanpassungen vornehmen kann. Außerdem zog der ursprüngliche Report ungeachtet der massiven Staatsverschuldung Griechenlands die Möglichkeit eines Schuldenmoratoriums nicht einmal in Betracht, sondern setzte allein auf austeritätspolitische Maßnahmen, die über eine strenge Konditionalität der Kredite kontrolliert werden sollten. Dementsprechend sind zunächst zwei grundsätzliche Fragen kritisch zu beleuchten, die essentiell für die wirtschaftliche Stabilisierung Griechenlands sind: einmal die Frage nach dem Verbleib des Landes in der Eurozone und zum zweiten die Möglichkeit einer Umschuldung. Danach ist zu erörtern, welche Motive den IWF zu der praktizierten Wirtschaftspolitik bei Ausbruch der Krise bewegt haben. bb) Verbleib in der Euro-Zone Die mangelhafte Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft war im Wesentlichen dem hohen Preisniveau griechischer Produkte im Verhältnis zu seinen Handelspartnern geschuldet311. Unter diesen Umständen war und ist gen der Unternehmer“, insbesondere der „exportorientierten Industrie“ nach sinkenden Arbeitskosten entsprochen. S. Vogel, Europas Revolution von oben, Sparpolitik und Demokratieabbau in der Eurokrise, 2013, S. 49. 310 So etwa H. W. Sinn, Spiegel, 34/2001, S. 71; W. Lachmann, Können Staaten Pleite gehen?, S. 288 ff.; kritisch auch V. Wieland, FAZ vom 6. Juli 2011, Der Euro befindet sich nicht in einer Krise; Interview mit Kenneth Rogoff: „Es muss Umschuldungen geben in den Peripherie-Staaten, von privater Schuld und von öffentlicher Schuld.“ FAZ vom 11. Februar 2011, „Einige Länder sollten eine Euro-Auszeit nehmen“, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/kennethrogoff-im-gespraech-einige-laender-sollten-eine-euro-auszeit-nehmen-1355029.html. Andreas Fischer-Lescano hält die Defizitobergrenzen grundsätzlich für unverhältnismäßig und deren Aufweichung für ein geeignetes Mittel, um den Schutz sozialer Menschenrechte zu gewährleisten, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 48. 311 Nach Ansicht von Hans-Werner Sinn sind die Produktionskosten in Griechenland um etwa 20 bis 30 Prozent zu hoch, um auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu sein. Erst nach einer Abwertung könnte Griechenland wachsen wie die wirtschaftlich
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise333
die Gefahr „to be prized out of the markets“ virulent312. Die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit hätte nur Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn das Land nach Ausbruch der Krise die eigene Währung abgewertet hätte. Schließlich ist es bisher noch keinem Land gelungen, „ohne Wirtschaftswachstum und ohne die Fähigkeit abzuwerten nur über interne Anpassungsmaßnahmen […], einen Schuldenberg zu stabilisieren oder gar abzubauen“313. Griechenland (wie den anderen Krisenstaaten der Eurozone) ist dieser Weg durch die gemeinsame Währungsunion jedoch versperrt. Seitdem die Geldpolitik im Euroraum in den Händen der Europäischen Zentralbank liegt, ist eine autonome Stabilitätspolitik der europäischen Programmstaaten nicht mehr möglich. Damit ist auch eine marktgerechte Anpassung des Außenwerts der Währung für ein einzelnes Euro-Land ausgeschlossen314 und ein Ausgleich des Haushaltsdefizits ist nur mit langfristigen Transferzahlungen aus anderen Ländern der Währungsunion oder mit Hilfe des OMT-Programms (Outright Monetary Transaction)315 der Europäischen Zentralbank zu erreichen316. prosperierende Wirtschaft des Nachbarstaates Türkei, welcher sich durch eine Abwertung der Lira stets wettbewerbsfähig gehalten hat. Interview, Der Spiegel, Heft 34/2001, S. 71. 312 Dazu R. Knieper, Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, S. 142 (m. w. N.). 313 „Das Schlimmste wären ein schwaches Wachstum und immer höhere Schulden.“ FAZ vom 27. März 2010, Kapitalgeber in der City bleiben skeptisch. 314 Vgl. D. Spethmann, in: W. Hankel/K. A. Schachtschneider/W. Nölling/D. Spethmann/J. Starbatty, Das Euro-Abenteuer geht zu Ende, S. 191. 315 Das Outright Monetary Transactions (OMT) ist ein von der Europäischen Zentralbank offeriertes Programm, unter dem die EZB am Sekundärmarkt Geschäfte über kurzfristige Anleihen von Staaten im Euro-Währungsgebiet durchführen kann. Technisch handelt es sich bei Transaktionen im Rahmen des OMT-Programms um Outright Offenmarktgeschäfte. Das OMT-Programm steht in der Kritik, weil es gegen das Bail-out-Verbot des Art. 125 AEUV verstößt, welches gerade sicherstellen soll, dass ein Euro-Teilnehmerland nicht für Verbindlichkeiten und Schulden anderer Teilnehmerländer haften oder aufkommen muss. 316 Im Zusammenhang mit den IWF-Krediten für überschuldete Euro-Staaten muss deshalb auch kurz auf die Rolle der Europäischen Zentralbank eingegangen werden. Ihr wird vorgeworfen, sie betreibe mit dem OMT-Programm monetäre Staatsfinanzierung, was ihr per Mandat verboten ist. Auch das Bundesverfassungsgericht äußerte Bedenken und richtete mit Beschluss vom 14. Januar 2014 mehrere Vorlagefragen zur Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof. Hauptgegenstand der Vorlage war die Vereinbarkeit des OMT-Beschlusses mit dem Mandat der Europäischen Zentralbank. Das Bundesverfassungsgericht äußert in seinem Beschluss, dass die EZB nicht zu einer eigenständigen Wirtschaftspolitik ermächtigt, sondern darauf beschränkt sei, „die Wirtschaftspolitik in der Union zu unterstützen (Art. 119 Abs. 2, Art. 127 Abs. 1 Satz 2 AEUV; Art. 2 Satz 2 ESZB-Satzung)“. Vorbehaltlich der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union ist der OMT-Beschluss
334
Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
Vor diesem Hintergrund ist nach überwiegender Auffassung der Sachverständigen ein Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone mit den Zielen der Wiederherstellung der Konkurrenzfähigkeit der griechischen Wirtschaft und der Steigerung des Wachstums nicht zu vereinbaren317. Nach Auffassung von Hans-Werner Sinn besteht für Griechenland als Mitglied des Euroraums „keine Chance […] wettbewerbsfähig zu werden“318. Bei einer Rückkehr zur Drachme und unvermittelter Währungsabwertung wäre auch die rigorose Austeritätspolitik vermeidbar, wie sie die Troika dem Land in Form schwer erfüllbarer Auflagen aufgenötigt hat. Zusätzlich wäre die Gefahr einer übermäßigen Kreditaufnahme, die das Land immer weiter in die Überschuldung treibt, gemindert319. Auch der ehemalige Chef-Volkswirt des IWF Kenneth Rogoff sieht im Verlassen der Euro-Zone den einzig gangbaren Weg, um in Ländern wie Griechenland oder Portugal die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen320. Der Ausbruch der Krise der Eurostaaten wirft auch ein Schlaglicht auf die Konstruktionsdefizite der Europäischen Währungsunion. Bereits vor ihrer Einführung war von vielen Sachverständigen kritisiert worden, dass eine Europäische Währungsunion, die überwiegend politischem Kalkül folge, angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Disparitäten in der Union nicht nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Primärrecht unvereinbar; „Art. 123 Abs. 1 AEUV verbietet der Europäischen Zentralbank, Staatsanleihen unmittelbar von den emittierenden Mitgliedstaaten zu erwerben. Es liegt auf der Hand, dass dieses Verbot nicht durch funktional äquivalente Maßnahmen umgangen werden darf“. Siehe Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 9/2014 vom 7. Februar 2014; vgl. dazu insbesondere M. Danzmann, Das Verhältnis von Geldpolitik, Fiskalpolitik und Finanzstabilitätspolitik. Seine Implikationen für das finanzstabilitätspolitische Mandat der Zentralbank am Beispiel der Eurorettungspolitik. 317 „A bailout […] does nothing to fix the misguided policies that have generated Greece’s existing debt and ongoing deficits [and] therefore merely postpones the day of reckoning“. J. Miron, Let Greece Default, Forbes vom 29. April 2010. 318 Um Griechenland nachhaltig zu helfen, wäre es sinnvoll, dem Staat „Geld als Austrittshilfe“ zur Verfügung zu stellen. H.-W. Sinn, FAZ vom 18. Februar 2012, „Wir sitzen in der Falle“. Ähnlich argumentiert auch Joseph Stiglitz: „If Greece leaves, I think Greece will actually do better. […] There will be a period of adjustment. But Greece will start to grow.“ Auch für Staaten wie Portugal und Spanien werde dann eine echte Alternative sichtbar. J. Stiglitz, Interview vom 26. Januar 2015, CNBC, Nobel winner: Germany’s the problem, not Greece, einzusehen unter http:// www.cnbc.com/id/102367704. 319 K. A. Schachtschneider, Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik, S. 167. 320 Nach Ansicht von Kenneth Rogoff sei es „sinnvoll, einige Länder zu einer Euro-Auszeit zu ermuntern. Sie würden den Euro-Raum verlassen mit einem genau definierten Weg zum Wiedereintritt, vielleicht in zehn oder fünfzehn Jahren“, FAZ vom 11. Februar 2011, „Einige Länder sollten eine Euro-Auszeit nehmen“.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise335
stabil sein könne und die bestehenden Ungleichgewichte sogar verstärken werde321. Gemäß der Theorie optimaler Währungsräume322 handelte es sich bei der Euro-Zone von Anfang an nicht um einen geeigneten Währungsraum, weil sowohl die realwirtschaftlichen Gegebenheiten als auch die Wirtschaftsstrukturen (und Wirtschaftskulturen) in den Eurostaaten regional erhebliche Unterschiede aufwiesen und wirtschaftliche Schocks daher unterschiedliche Auswirkungen haben müssten; denn letztlich entscheidet auch in einer Währungsunion „die Leistungsbilanzposition eines jeden Landes […] über Beschäftigungsmöglichkeiten, Kapitaltransaktionen und Wohlfahrtsgewinne“323. In der damaligen Debatte um die Währungsgemeinschaft war bereits prophezeit worden, dass ungeachtet des formellen Haftungsausschlusses (No-Bail-
321 Insbesondere in der Euro-Klage war vorgetragen worden, dass die Konvergenzlage innerhalb der Währungsunion von Anfang an sehr große Unterschiede aufwies, welche sich seit der Einführung des Euro noch deutlich verstärkten. W. Hankel/W. Nölling/K. A. Schachtschneider/J. Starbatty, Die Euro-Klage, S. 111, S. 113 ff. (Sozialproduktstrukturen), S. 116 ff. (Produktivität und Kaufkraftparitäten), S. 118 ff. (Arbeitslosigkeit und Erwerbsquoten), S. 121 f. (Investitionen und Kapazitätsauslastung). Die Kritiker der Währungsunion hatten frühzeitig und insbesondere im Rahmen der Euro-Klage vor den verheerenden Folgen einer Währungsunion ungleicher Volkswirtschaften gewarnt. Bereits damals war abzusehen, dass sich die Disparitäten zwischen den Ländern der Währungsunion negativ auf das Beschäftigungsniveau einzelner Staaten auswirken würde. Ebenso war davor gewarnt worden, dass die Disparitäten mangels der Möglichkeit zur Wechselkursanpassung durch expansive Fiskalpolitik kompensiert werden würde, was mittelfristig zu steigende Zinsen führen würde. K. A. Schachtschneider, Ohne Sozialunion keine erfolgreiche Währungsunion, in: W. Hankel/W. Nölling/K. A. Schachtschneider/J. Starbatty, Die Euro-Illusion. Ist Europa noch zu retten? 2001, S. 47 ff. So auch D. Löhr, Chancen und Risiken der Europäischen Währungsunion unter besonderer Berücksichtigung des Arbeitsmarktes, WSI Mitteilungen 1997, S. 322 f.; D. Dohse/Ch. Krieger-Boden, Währungsunion und Arbeitsmarkt. Auftakt zu unabdingbaren Reformen, Institut für Weltwirtschaft, 1998. 322 Zur Theorie optimaler Währungsräume vgl. W. Lachmann, Können Staaten Pleite gehen?, S. 284 ff. Der Wechselkurs kommt als Anpassungsinstrument nicht mehr in Frage und verliert seinen „unschätzbaren Wert“ als „Notventil“, um wirtschaftliche Schocks aufzufangen. N. Berthold, Gibt es in der Europäischen Union mehr sichere Arbeitsplätze?, 1997, S. 141 ff.; ders., Europa nach Maastricht – sind die währungspolitischen Fragen gelöst?, 1992, S. 23 ff.; Ch. Knoppik, Stabilitätseinbußen durch die Europäische Währungsunion, 1997, S. 15 ff.; G. Aschinger, Die Theorie optimaler Währungsgebiete und die europäische monetäre Integration, 1993, S. 9 ff.; ders., Währungs- und Finanzkrisen, Entstehung, Analyse und Beurteilung aktueller Krisen, 2001, S. 118 ff.; M. Willms, Die Währungsunion im Lichte der Theorie optimaler Währungsräume, 1998, S. 41 ff.; W.-D. Becker, Perspektiven einer „WährungsUnion“ à la Maastricht, in: W. Nölling/K. A. Schachtschneider/J. Starbatty (Hrsg.): Währungsunion und Wirtschaft. FS für W. Hankel, 1999, S. 3 ff., insb. S. 7 ff. 323 W. Nölling, in: D. Spethmann, in: W. Hankel/K. A. Schachtschneider/W. Nölling/ J. Starbatty, Das Euro-Abenteuer geht zu Ende, S. 69.
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
out-Klausel) binnen 10 Jahren mit beachtlichen Transfersteigerungen zwischen den Mitgliedstaaten der Währungsunion zu rechnen sei324. Innerhalb einer Währungsgemeinschaft kann eine Anpassung des Lohnund Preisniveaus nur durch Senkung der Preise, das heißt durch Senkung des Lohnniveaus, erfolgen (sogenannte innere Abwertung)325. Diesem Ziel dient der wesentliche Teil der strukturellen Gesetzesreformen des Memorandums of Understanding326. Im Griechenland-Report des IWF zum ersten Kreditprogramm im Jahr 2010 führt der Fonds zum Ziel der inneren Abwertung aus327: „The needed adjustment in prices is expected to come from domestic demand tightening, both through fiscal adjustment and efforts to moderate public wages and pensions, and other costs in the economy. Demonstration from improved public wage dynamics should contribute to a moderation of private sector wages. This will help restore price competitiveness over time.“
cc) Umschuldung In Griechenland war bereits im Jahr 2010 die Schuldenquote auf 115 Prozent und das Haushaltsdefizit auf 13,6 Prozent angewachsen und damit „hö324 H. Siebert, Zu den Voraussetzungen der Europäischen Währungsunion, 1997, S. 9 ff. (S. 11 ff.); R. Pfeffekoven, Wird die Währungsunion zu einer Transferunion?, in: H.-U. Jörges (Hrsg.): Der Kampf um den Euro. Wie riskant ist die Währungsunion?, 1998, S. 291 ff.; W. Hankel/W. Nölling/K. A. Schachtschneider/J. Starbatty, Die Euro-Klage, S. 126 ff., S. 130 ff.; zur Gefahr von Transferforderungen wegen hoher Arbeitslosigkeit siehe Jahresgutachten des Sachverständigenrats 1997/1998, S. 234, Ziffer 416; N. Berthold, Arbeitslosigkeit, Sozialstaat und Europäische Währungsunion: Eine etwas andere Sicht, in: R. H. Hasse/W. Schäfer (Hrsg.): Die ökonomischen Außenbeziehungen der EWU, 1998, S. 297 ff. 325 Die Einführung des Euro hatte zu unterschiedlichen Entwicklungen in den Lohnkosten geführt. Insbesondere in den südeuropäischen Staaten waren die Lohnkosten im Verhältnis zu Deutschland stark angestiegen. Siehe Handelsblatt vom 21. Januar 2009, Das Eurozonenexperiment auf dem Prüfstand. Die Lohnstückkosten kletterten hier um ein Vielfaches, nicht zuletzt auch durch die expansive Haushaltsund Wirtschaftspolitik, die seit der Einführung des Euro, zum Beispiel in Griechenland 2002, betrieben wurde. Dies war insbesondere möglich, weil (wegen der Niedrigzinsländer, insbesondere Deutschland) die Zinsen für Eurokredite nunmehr wesentlich günstiger waren als vor dem Beitritt. Vgl. D. Spethmann, in: W. Hankel/K. A. Schachtschneider/W. Nölling/J. Starbatty, Das Euro-Abenteuer geht zu Ende, S. 191 f. Ähnlich argumentierend auch der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank Otmar Issing FAZ vom 6. Januar 2012, Die Währungsunion auf dem Weg zur Fiskalunion? 326 „This strategy should aim at reducing nominal unit labour costs in the business economy by 15 percent in 2012–14.“ Memorandum of Understanding on Specific Economic Policy Conditionality, Draft of 9 February 2012, S. 75. 327 IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, S. 9.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise337
her als bei jeder anderen vergleichbaren Schuldenkrise“328. Am Ende des Jahres 2014 betrug die Verschuldungsquote schon 177,1 Prozent des BIP329. Angesichts der massiven Staatsverschuldung hatte sich bereits vor Beginn des ersten Kreditprogramms ein Schuldenschnitt als Instrument zur Konsolidierung des Haushalts geradezu aufgedrängt, dies zumal der IWF im Rahmen des Pariser und des Londoner Clubs330 seit Jahren an zahlreichen Umschuldungsmaßnahmen beteiligt ist und über langjährige Erfahrungen mit Umschuldungsmodellen verfügt331. Für überschuldete Staaten hat insbesondere der Pariser Club im Laufe der Jahre verschiedene Konstruktionen entwickelt, die meist aus einer Kombination von Einzelmaßnahmen wie einer partiellen Streichung der Schulden („haircut“), einer Verlängerung der Rückzahlungsfristen, einer Ermäßigung oder vorübergehenden Aussetzung von Zinszahlungen bestehen332. Der IWF äußerte im Rahmen des Kreditbewilligungsverfahrens für Griechenland Zweifel, ob Griechenland das zweite IWF-Kriterium für ein außerordentliches Ziehungsrecht erfüllt333, welches voraussetzt: „A rigorous and systematic analysis indicates that there is a high probability that the member’s public debt is sustainable in the medium term.“
Die Prognose, dass Griechenland seine Staatsverschuldung mittelfristig auf ein tragfähiges Maß würde zurückführen können, sei zwar mit „erheblichen Unsicherheiten“ belastet. Gleichwohl empfiehlt der IWF-Report über dieses Kriterium hinwegzusehen334: 328 FAZ Online vom 27. April 2010, Griechenland – Umschuldung erscheint unausweichlich, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/grie chenland-umschuldung-erscheint-unausweichlich-1575398.html. 329 Eurostat Pressemitteilung Euroindikatoren 72/2015 – 21. April 2015; entsprechend der gleichen Quelle beliefen sich zum gleichen Zeitpunkt die Verschuldungsquoten Irlands auf 109,7 Prozent und Portugals auf 130,2 Prozent. 330 Der Pariser und der Londoner Club sind inoffizielle Gremien für Umschuldungsverhandlungen überschuldeter Staaten, wobei der Pariser Club in Zusammenarbeit mit dem IWF die Interessen der staatlicher Gläubiger und der Londoner Club die Interessen der privaten Geldgeber (Banken) bündelt. 331 Zwischen den Jahren 1956 und 2005 hat der Pariser Club 419 Neuordnungen von Staatsschulden für 88 verschiedene Länder in einem Gesamtvolumen von 545 Milliarden Dollar beschlossen. Innerhalb der Vereinbarungen des Pariser Clubs werden in der Regel aber nur „die innerhalb eines relativ kurzen Konsolidierungszeitraums fällig werdenden Tilgungs- und Zinsverpflichtungen umgeschuldet“. T. Marauhn, Restrukturierung ausländischer Staatsschulden, S. 88. 332 FAZ vom 27. November 2010, Reichhaltige Erfahrungen mit Umschuldungen; zur Überschuldung von Staaten im historischen Rückblick C. Reinhart/K. Rogoff, This Time Is Different: Eight Centuries of Financial Folly, 2009. 333 IMF, Greece: Staff Report on Request for Stand-By Arrangement, S. 19. 334 Ebenda, S. 20.
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
„Even so, Fund support at the proposed level is justified given the high risk of international systemic spillover effects“.
Die Möglichkeit einer Umschuldung Griechenlands war politisch früh zum Tabu erklärt worden335. Zwar wurde nach langen Diskussionen eine „sanfte“, das heißt „freiwillige“ Umschuldung in Form von Laufzeitverlängerungen336 und zum Ende des Jahres 2011 dann ein 50 prozentiger Abschlag auf die privaten Schulden Griechenlands vereinbart337; jedoch war dieser Schuldenschnitt „too little too late“, um die Staatsverschuldung des Landes nachhaltig zu senken; denn nachdem die griechischen Staatsschulden zunächst von 368 auf 280 Milliarden Euro zurückgegangen waren, hatten sie ein Jahr später im Juni 2012 schon wieder das Niveau von 303,5 Milliarden Euro erreicht338. dd) Kritik Der IWF wertet in seinem Rückblick zum griechischen Kreditprogramm des Jahres 2010 den Verbleib des Landes in der Euro-Zone als „notable 335 Siehe FAZ Online vom 17. April 2011, IWF und EU gegen Umschuldung, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/grie chenland-iwf-und-eu-gegen-umschuldung-1620022.html. Auch der IWF hatte sich letztlich gegen ein nachhaltiges Entschuldungsprogramm ausgesprochen. „Im September 2010 bezeichneten Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) in einer Denkschrift Zahlungsausfälle als unnötig und nicht wünschenswert – gerade in Bezug auf die Euroländer Portugal, Irland, Spanien und nicht zuletzt Griechenland.“ FAZ vom 2. Mai 2011, Nützt eine Umschuldung?, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/griechenlandnuetzt-eine-umschuldung-1233838.html. 336 FAZ vom 17. Mai 2011, EU plant „sanfte Umschuldung“ für Griechenland, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/schuldenkrise-euplant-sanfte-umschuldung-fuer-griechenland-1636982.html. 337 Im Zuge des zweiten Rettungspakets für Griechenland wurde im Juli 2011 vereinbart, private Gläubiger mit einer Haftungsquote von 21 Prozent zu beteiligen. Legt man statt des Nominalwerts den damaligen Marktwert der Forderungen zugrunde, der im Übrigen durch Stützungskäufe der Europäischen Zentralbank ohnehin ständig erhöht wurde, so war die Umschuldung im März 2012 durchaus ein lohnenswertes Geschäft für die Investoren. Mit dem teilweisen Forderungsverzicht konnten die Banken noch knapp die Hälfte des Nominalwertes ihrer Forderungen retten. Diese Vereinbarung galt nur für private Gläubiger, nicht aber für die staatlichen Gläubiger, den IWF und die EZB. Vgl. FAZ vom 29. Mai 2012, „Die Euro-Rettung ist ein Fiasko“, S. 13; siehe die in der Quelle enthaltene Graphik für die im Jahr 2012 beschlossenen Umschuldung Griechenlands, FAZ vom 24. Februar 2012, Griechenland: Der Schuldenschnitt, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europasschuldenkrise/griechenland-der-schuldenschnitt-11659846.html. 338 Spiegel Online vom 17. August 2012, Griechenlands Schulden steigen trotz aller Hilfe.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise339
success“339. Doch selbst wenn man die Beibehaltung des Euro als Teilzielerreichung konzediert, wiegt der Erfolg die damit in Kauf genommenen negativen Wirkungen nicht auf. Die von Seiten der Troika auferlegten Maßnahmen zur Kürzung des Staatshaushalts und zur Anhebung besonders der indirekten Steuern ließen die Einkommen und damit die Binnennachfrage in Griechenland und teilweise auch in den anderen Programmstaaten sinken, und in der Folge verstärkte sich das wirtschaftliche Ungleichgewicht im gesamten Euroraum340. Ein Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts war mit der Beibehaltung des Euro und unter den Bedingungen der Austeritätsprogramme nicht zu erreichen. Insofern muss von einer Zielverfehlung gesprochen werden, zumal keines der drei eingangs genannten Hauptziele des Kreditprogramms bis dato erreicht wurde: Weder die Wiedergewinnung des Vertrauens der Finanzmärkte noch eine nachhaltige Haushaltspolitik und ebenso wenig die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und Gewährleistung der Stabilität des griechischen Finanzsektors. Im Gegenteil: Der Blick auf die realwirtschaftliche Entwicklung Griechenlands dokumentiert, dass die zugrundeliegende Datenbasis anfänglichen Feststellungen von vornherein für Fachleute erkennbar unseriös war und die Bewertung dieses Zahlenwerks sowie die darauf aufbauenden Einschätzungen und Prognosen seit Ausbruch der Krise im Wesentlichen an den Tatsachen vorbeigegangen waren341. Griechenland war auch im Jahr 2014 „mit 175 Prozent Staatsverschuldung und seinem begrenzten Wachstumspotential immer noch überschuldet“, zumal das Land zu „risikogerechten Konditionen […] seinen Zinsdienst kaum leisten, geschweige denn mit der Rückführung der Schuldenquote beginnen“ konnte342. Inwieweit aber trug die Wirtschaftspolitik des IWF, dessen makroökonomische Expertise für die Troika maßgeblich war, dazu bei, dass die Erfolge dieser Politik ausblieben und sich sogar Fehlentwicklungen einstellten? Weit verbreitet ist die Kritik, dass besonders die austeritätspolitischen Maßnahmen, „also die Forderung einer raschen Defizitreduktion, das Wachstum und somit die Überwindung (der) Krise nicht gefördert sondern sogar 339 „Greece remained in the euro area, which was its stated political preference.“ IMF, Country Report: Greece. Ex Post Evaluation of Exceptional Access under the 2010 Stand-By Agreement. 340 J. Starbatty, Der Riss durch die Eurozone, Fakten zur Krise der Währungsunion und des Euro, in: W. Hankel/K. A. Schachtschneider/W. Nölling/J. Starbatty, Das Euro-Abenteuer geht zu Ende, S. 231. 341 J. Starbatty, Der Riss durch die Eurozone. Fakten zur Krise der Währungsunion und des Euro, in: W. Hankel u. a., Das Euro-Abenteuer geht zu Ende. Wie die Währungsunion unsere Lebensgrundlagen zerstört, 2011, S. 213 ff., 238 ff. 342 C. Fuest/F. Heinemann/Ch. Schröder, FAZ vom 18. Juli 2014, Nr. 164, Geregelt in die Staats-Insolvenz, S. 16.
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
verhindert hätten“343. Der deutsche Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten begründet, warum er diese Position nicht stützt344. Er sieht die Hauptursache für das bisherige Scheitern der Rettungspolitik weniger in den rigorosen Einsparungsmaßnahmen als darin, dass zu wenig Reformanstrengungen auf den „Aufbau eines funktionierenden und effizienten Staatswesens gelegt wurde; denn damit wäre nach seiner Auffassung „eine deutliche Verbesserung der nicht-preislichen Wettbewerbsfähigkeit einhergegangen“345. Aber selbst wenn man die Austeritätspolitik nicht für Fehlentwicklungen verantwortlich macht, so waren zumindest die Auflagen im Falle Griechenlands schwerlich mit den Erfordernissen einer sozial ausgewogenen Wirtschaftspolitik vereinbar. Der Sache nach betreibt Griechenland nunmehr unter dem Kreditprogramm der Troika eine umgekehrte beggar-thy-neighbour-Politik – quasi eine „beggar-thyself-Politik“ – indem durch einen zu hohen Wechselkurs Handelsnachteile in Kauf genommen werden. Barry Eichengreen sieht mit Blick auf die Entscheidung gegen Umschuldungsmaßnahmen erhebliche Versäumnisse auf Seiten des IWF und weist darauf hin, dass bei einer derartig hohen Staatsverschuldung wie in Griechenland mehr als zehn Prozent der jährlichen Haushaltseinnahmen allein für den Schuldendienst346 aufgebracht werden müssten347. Eine Schuldenrestrukturierungsvereinbarung hätte der IWF bereits in das erste Rettungspaket für Griechenland aufnehmen müssen. Anstatt dessen sei der IWF auf die spätere Umschuldung von 50 Prozent des Nennwertes auf bond exchange nicht vorbereitet gewesen348. Vor diesem Hintergrund habe sich der IWF in der europäischen Schuldenkrise ökonomisch und politisch als überfordert erwiesen349. 343 Sachverständigenrat, Konsequenzen aus der Griechenland-Krise, Sondergutachten 2015, S. 22 Rdn. 53. 344 Ebenda, S. 22 ff. Der Sachverständigenrat argumentiert, „die Krisenländer wären, hätte es keine koordinierte Rettungspolitik der europäischen Partner gegeben, durch die Finanzmärkte erst recht in eine harte Phase der Austerität gezwungen worden. Nur massive dauerhafte Transfers von Mitgliedstaaten (mit teilweise geringerem Pro-Kopf- Einkommen) an Griechenland hätten diese harte Phase vermeiden können“ (S. 19). 345 Ebenda, S. 24, Rdn. 58. 346 Die Höhe des Kapitaldienstes hängt vom Zinsniveau und damit vom Leitzins ab. Der extrem niedrige Leitzins (Satz der Hauptrefinanzierungsgeschäfte der EZB am 10.09.2014 bei 0,05 %) und das ESF-Programm sollen dazu dienen, die Schuldentragfähigkeit der Programmstaaten zu erhöhen. 347 B. Eichengreen, It’s not too late for Europe, in: VOX DEPR’s Policy Portal, Mai 2010, einzusehen unter, http://voxeu.org/index.php?q=node/5019. 348 Ebenda. 349 Dazu kritisch Ch. Rogers, The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality, S. 192.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise341
Zu den Fehleinschätzungen des IWF-Programms bemerkt auch der IWF im Rückblick selbstkritisch350: „Market confidence was not restored, the banking system lost 30 percent of its deposits, and the economy encountered a much-deeper-than-expected recession with exceptionally high unemployment. Public debt remained too high and eventually had to be restructured, with collateral damage for bank balance sheets that were also weakened by the recession. Competitiveness improved somewhat on the back of falling wages, but structural reforms stalled and productivity gains proved elusive.“
Weiter heißt es: „[…] the Fund had misgivings about debt sustainability. There was, however, a tension between the need to support Greece and the concern that debt was not sustainable with high probability (a condition for exceptional access). In response, the exceptional access criterion was amended to lower the bar for debt sustainability in systemic cases. The baseline still showed debt to be sustainable, as is required for all Fund programs. In the event, macro outcomes were far below the baseline and while some of this was due to exogenous factors, the baseline macro projections can also be criticized for being too optimistic.“
Wie jede internationale Organisation ist der Fonds gegenüber seinen Mitgliedern an das Gebot der Haushaltswahrheit gebunden, um die Leitung, Kontrolle und Transparenz seiner Tätigkeiten (durch seine Mitglieder) zu gewährleisten351. Aus dem Gebot der Haushaltswahrheit folgt die Pflicht zu sorgfältiger Schätzung in Bezug auf Einnahmen, Ausgaben, insbesondere aber auch in Bezug auf die anhängigen Investitionsrisiken des IWF. Bevor sich der IWF in einem Krisenstaat engagiert, hat er dessen Schuldentragfähigkeit zu evaluieren, um unerlaubte Risiken zu definieren und absehbare Risiken zu vermeiden oder mindestens in das Kalkül einzubeziehen. Die wirtschaftspolitischen Entscheidungen zur Austeritätspolitik in Griechenland (insbesondere zum Festhalten am Euro und Verzicht auf eine hinreichende Umschuldung) sind mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden und hohen Prognose-Unsicherheiten belastet352. Gerade deshalb darf das Vorsichtsprinzip nicht außer Acht gelassen werden. Ebenso wie jeder andere unabhängige Sachverständige hat auch der IWF seine Prognosen 350 IMF, Country Report: Greece. Ex Post Evaluation of Exceptional Access under the 2010 Stand-By Agreement, S. 1 f. 351 Aus dem Verfassungsgebot der Haushaltswahrheit folge vor allem die Pflicht zur Schätzgenauigkeit „mit dem Ziel, die Wirksamkeit der Budgetfunktionen im parlamentarischen Regierungssystem – Leitung, Kontrolle und Transparenz durch Öffentlichkeit der staatlichen Tätigkeiten – zu gewährleisten.“- BVerfGE 119, 96, Rn. 104; dazu auch W. Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 1989, S. 264. 352 T. Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, S. 740 f.
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nach dem Gebot des sichersten Weges zu treffen353. Auf der Erkenntnisebene ist es gemäß dem Grundsatz „in dubio pro securitate“354 in Krisensituationen geboten, nicht von der optimistischen, sondern von der „worst-case“-Prognose auszugehen355. d) Politische Motivlage Ein Blick auf die politische Motivlage bei Ausbruch der Eurokrise macht das Dilemma des IWF deutlich, der nach außen als Institution unabhängigen ökonomischen Sachverstands auftritt, in seiner internen Entscheidungsfindung aber unübersehbar politisch agiert. Selbst innerhalb des IWF wurde kritisiert, dass zu den Fragen, ob in Griechenland ein Festhalten am Euro tatsächlich sinnvoll und ob die griechische Staatsschuld mittel- und langfristig überhaupt tragfähig ist, eine objektive, das heißt wissenschaftliche Erfassung der Wirklichkeit kaum zugelassen worden sei356. Anstatt dessen ist die wirtschaftspolitische Ausrichtung Griechenlands von den jeweiligen nationalen Erwägungen der Geberstaaten geprägt, welche sich der IWF im Rahmen seines Kreditprogramms zu eigen machte. 353 Roland Vaubel weist darauf hin, dass der IWF regelmäßig „zu optimistische Wirtschaftsprognosen“ für die Programmstaaten aufstellt. Damit leiste der Fonds nicht zuletzt auch „Wahlhilfe“, indem er die Regierung bei der Wiederwahl unterstütze, sofern diese bei der Umsetzung der Strukturprogramme mit dem Fonds zu kooperieren bereit ist. R. Vaubel, Principal-Agent-Probleme in internationalen Organisationen, 1986, S. 10, mit Verweis auf P. Kenen/S. Schwartz, The Assessment of Macroeconomic Forecasts in the International Monetary Fund’s World (1986) und auf M. Artis, How accurate is the World Economic Outlook?, Staff Studies for the World Economic Outlook, IMF (1988). Beide gelangen zu dem Ergebnis, dass die Prognosefehler des IWF systematisch in Richtung Optimismus verzerrt seien. 354 Dazu K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“ im Atom- und Immissionsschutzrecht, in: W. Thieme (Hrsg.), Umweltschutz im Recht, 1988, S. 81 ff., 120 ff. 355 Zum Grundsatz „in dubio pro securitate“ auch K. A. Schachtschneider, Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik, S. 224. 356 Peter Doyle, der ehemalige Divisionschef der Europaabteilung des IWF, kritisierte die aufgestellten Prognosen des IWF zur Schuldenentwicklung als „prozessaber nicht analysegetrieben“. Teilweise seien maßgebliche Analysen, die mit der eingeschlagenen Eurokrisen-Politik nicht in Einklang standen, absichtlich unter Verschluss gehalten worden: „the substantive difficulties in these crises [Globale Finanzkrise und Eurokrise, Anmerkung des Verfassers], as with others, were identified well in advance but were suppressed here [at the IMF, Anmerkung des Verfassers].“ P. Doyle, The Telegraph vom 20. Juli 2012, Debt crisis: IMF ‚suppressed signs that Europe was facing debt crisis‘, einzusehen unter http://www.telegraph.co.uk/finance/ financialcrisis/9416608/Debt-crisis-IMF-suppressed-signs-that-Europe-was-facingdebt-crisis.html.
B. Konditionalität am Beispiel der Euro-Krise343
Die Option einer umfassenden Umschuldung der griechischen Staatsschuld (verbunden mit dem Austritt aus der Euro-Zone) kam für die Euro-Geberstaaten nicht in Betracht357. Eine Umschuldung hätte auf Seiten der privaten Investoren massive Abschreibungen erforderlich gemacht. Willem Buiter und Ebrahim Rahbari sehen den Umstand, dass der IWF auf eine Schuldenumstrukturierung in Griechenland anfänglich verzichtet hatte, denn auch den Interessen der europäischen Banken geschuldet358. Die Tatsache, dass die Finanzinstitute der Eurozone in hohem Maße in Staatsanleihen Griechenlands investiert waren, hatte die Regierungen der Euro-Zone vor die Wahl gestellt, mit eigenen Finanzhilfen entweder die eigenen Banken zu retten oder Griechenland vor der Insolvenz zu bewahren359. Angesichts des hohen Investitionsrisikos französischer und deutscher Banken weist Chris Rogers darauf hin, dass eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands auch die Bonität „systemrelevanter“ Banken bedrohte. Es sei nicht auszuschließen, dass im Anschluss auch die Geberstaaten in die Verlegenheit geraten wären, Sparprogramme im eignen Land auflegen zu müssen, um ihre Banken zu retten360. Auch mit Blick auf die Deregulierung des Finanz- und Bankensektors sieht Rogers die IWF-Politik maßgeblich durch die innenpolitischen Interessen der Regierungen der Hauptgeldgeberstaaten dominiert361. So habe die Entscheidung, Griechenland in der Euro-Zone zu halten, von Fehlern bei der Deregulierung des Finanz- und Bankensektors ablenken und das Argument bedienen sollen, die „Schuld“ für die Misere läge allein bei Griechenland. Die Antwort auf die Krise, so Rogers, habe sich an der Frage orientiert, welche Lösung in den Geberstaaten Deutschland und Frankreich innenpolitisch 357 Ein Zahlungsausfalls Griechenlands hätte schwer kalkulierbare Folgen für die übrigen Staaten der Euro-Zone mit sich gebracht. W. Buiter/E. Rahbari, Greece and the fiscal crisis in the EMU, 2010. 358 W. Buiter/E. Rahbari, Greece and the fiscal crisis in the EMU, S. 17 ff. 359 Ebenda, S. 17. 360 Ch. Rogers, The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality, S. 194. Bei einer Umschuldung würde nach den Worten des damaligen Chefs des internationalen Bankenverbands Josef Ackermann „eine neue Büchse der Pandora geöffnet“. Dies bedeute ein erhebliches Risiko für andere Euro-Staaten, weil die Renditen für die Anleihen der übrigen Euro-Krisenstaaten wohl dramatisch steigen würden. Spiegel Online vom 6. Februar 2012, Euro-Retter nehmen Griechen in die Mangel. 361 Ch. Rogers, The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality, S. 192. Auch Jeffrey Miron sieht die Rettungsmaßnahmen gegenüber Griechenland dominiert durch innenpolitische Interessen der Geberstaaten. Er kritisiert, dass die privaten Banken der Euro-Zone das Risiko, in Griechenland zu investieren, bewusst eingegangen waren. Deshalb wäre es sachgerechter gewesen, auf Rettungsmaßnahmen gegenüber einem souveränen Staat zu verzichten und im Einzelfall systemrelevante private Banken durch staatliches Bail-out zu retten. Let Greece Default, 2010, passim.
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am besten vermittelbar sei. Insbesondere die deutsche Regierung habe sich für einen „discourse of external blame“ entschieden362, zumindest sollte ein Forderungsausfall, insbesondere aus wahltaktischen Gründen so lange wie möglich aufgeschoben werden. Vor diesem Hintergrund sei es der Troika in erste Linie darum gegangen, auf Griechenland Druck auszuüben, um das Land zu den strukturellen Reformen zu bewegen. Nach Rogers Ansicht wäre bei einer zu Beginn des Programms vorgenommen Umschuldung zu besorgen gewesen, dass Griechenland keine Massnahmen zur Beseitigung seiner grundlegenden strukturellen Schwierigkeiten ergriffen hätte363.
C. Durchsetzung der Auflagen I. Konditionalität als Instrument der Gläubiger Wie oben dargelegt, müssen Mitgliedstaaten des IWF, die einen Kredit beantragen, damit rechnen, dass sie damit auch gezwungen werden, den politischen „Empfehlungen“ des IWF Folge zu leisten. In den Verträgen verpflichten sie sich zwar zu politischen Reformen, jedoch entfaltet diese Zusage für sich genommen keine hinreichende Verbindlichkeit, zumal die Zustimmung zu den Auflagenprogrammen auch de iure nicht rechtsverbindlich sein soll. Dies schwächt die Position der Gläubiger; denn es fehlt ihnen an Durchsetzungsmöglichkeiten, um Handlungsdruck gegen unerwünschte Budgetentscheidungen des Schuldners auszuüben oder um ihn für Reformen zu motivieren, die aus Gläubigersicht erforderlich sind364. Die Gläubiger haben einen Ausweg in der Konditionalität des IWF gefunden. Mit Hilfe seiner Instrumente entfaltet sich ein Mechanismus, der eine faktische Verbindung zwischen der Zusage der Regierung nach außen und der Umsetzung der Auflagen nach innen herstellt. Die Macht des IWF, das heißt seine Möglichkeit, auf die finanzwirtschaftliche und damit auch auf die politische Ordnung eines Krisenstaates Einfluss auszuüben, gründet nicht allein auf seinen finanziellen Ressourcen; vielmehr 362 Ch. Rogers, The IMF and European Economies, Crisis and Conditionality, S. 193 ff. „[…] in the event of bailouts of these financial institutions, questions would also have to have been asked about the regulatory systems and domestic, European, and global levels that allowed this situation to develop.“ (S. 194). 363 Ebenda. 364 K. Konrad/H. Zschäpitz, Schulden ohne Sühne? Warum der Absturz der Staatsfinanzen uns alle trifft, 2010, S. 174 mit Verweis auf U. Panniza/F. Sturzenegger/ J. Zettelmeter, The economics and law of sovereign debt and default, Journal of Economic Literature 47 (3), 2009, S. 654.
C. Durchsetzung der Auflagen345
ist sie im gesamten Verfahren der Mittelvergabe angelegt. Der IWF kooperiert in seiner Kredit- und Konditionalitätspolitik eng mit den übrigen Gläubigern und potentiellen Geldgebern, verstärkt damit den Handlungsdruck auf den Programmstaat und hält diesen Druck über die gesamte Dauer der Laufzeit eines Kreditprogramms aufrecht. Im Zentrum dieses Machtsystems steht die IWF-Konditionalität, welche ihre Wirksamkeit im Wesentlichen aus dem Zusammenwirken dreier Elemente erzielt: •• Zusammenschluss der Gläubiger mit dem IWF als „Gatekeeper“, •• Auszahlung der Kredite in Tranchen („Phasing“), •• begleitende Kontrollinstrumente. 1. Zusammenschluss der Gläubiger und Rolle des IWF als Verhandlungsführer Grundsätzlich haben einzelne Gläubiger aufgrund der Souveränität des Schuldnerstaates nur sehr begrenzte Möglichkeiten, ihre Forderungen zu vollstrecken365. Sie sind nicht in der Lage, etwa auf die Haushaltspolitik des Schuldnerstaates in ihrem Sinne einzuwirken, geschweige denn, Auflagen auszuhandeln, deren Umsetzung durchzusetzen und zu überwachen366. Wenn die externe Kreditfinanzierung eines Staates aus vielen unterschiedlichen Quellen gespeist wird, werden die Gläubiger versuchen, ihr Vorgehen aufeinander abzustimmen und organisatorisch zu bündeln, um so ihre schwache Rechtsposition de facto zu kompensieren. Regelmäßig formiert sich eine strategische „Phalanx der Gläubiger“, um den Schuldnerstaat rechtlich und ökonomisch zu einem „kooperativen Schuldenmanagement“ zu bewegen367. Zentrales Element eines solchen – nicht selten kollusiven368 – Zusammenwirkens der Gläubiger ist das Engagement des IWF369. 365 M. Kerber,
Souveränität und Konkurs, S. 32. A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 95 f., mit Verweis auf: Ph. Wood, Project Finance, Securitisations, Subordinated Debt, Vol. 5, 2007, S. 163; M. Walker/L. Buchheit, Legal Issues in the Restructuring of Commercial Bank Loans to Sovereign Borrowers, in: International Borrowing: Negotiating and Structuring International Debt Transactions, D. Bradlow (Hrsg.), 1984, S. 467 ff. 367 A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 77. 368 John Perkins beschreibt in seinem biographischen Buch „Bekenntnisse eines Economic Hit Man“ polemisch überspitzt aber cum grano salis das systematische Verfahren, um insbesondere korruptionsanfällige Entwicklungsstaaten mit großen Kreditversprechen in Abhängigkeit zu bringen, was häufig in einer Schuldenfalle endet. Dann schalte sich der IWF mit Unterstützungskrediten ein und übernehme die Koordination. Regierungen der Dritten Welt sollten mit Krediten „in ein Netzwerk aus US-Interessen“ hineingezogen und „in eine finanzielle Abhängigkeit“ gebracht werden, „die sie für die USA wirtschaftlich und politisch steuerbar macht“. J. Per366 Ebenda;
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a) Reziproke Konditionalität Ursprünglich war ein IWF-Kreditprogramm ausgeschlossen, sofern sich ein Mitgliedstaat noch im Zahlungsrückstand gegenüber privaten Gläubigern befand. Der Staat musste zuvor eine Einigung mit seinen privaten Gläubigern gefunden haben, wie mit den ausstehenden Verbindlichkeiten umzugehen sei. Im Zuge der lateinamerikanischen Schuldenkrise gab der IWF dieses Junktim auf und stellte seine Mittel unter bestimmten Bedingungen auch ohne vorherige Einigung mit den privaten Gläubigern zur Verfügung (lending into arrears)370. So hat das IWF-Exekutivdirektorium im Jahr 1999 offiziell beschlossen, die Mittel des IWF auch an Schuldnerstaaten zu vergeben, welche gegenüber privaten Gläubigern im Zahlungsrückstand sind, unter der Voraussetzung dass „(1) die gewünschten IWF-Kredite essentiell für die gesamtwirtschaftliche Erholung im Rahmen eines IWF-Programms sind, (2) Verhandlungen mit privaten Gläubigern begonnen haben, und (3) eben diese Verhandlungen jedenfalls von Seiten des Schuldnerstaates nach Treu und Glauben geführt werden“371. Umgekehrt besteht der IWF vor der Bewilligung eines Kreditprogramms häufig darauf, dass auch die internationalen Geschäftsbanken bereit sind, kins, Bekenntnisse eines Economic Hit Man, 2007, zitiert in: D. Müller, Der Kampf um Europa und unser Geld, 2013, S. 128. 369 Vgl. A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 77. 370 Siehe zur sogenannten „Lending-into-Arrears-Politik“: IMF, Policy on Lending into Arrears to Private Creditors. 371 A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 159. Szodruch sieht den Ermessensspielraum des Schuldnerstaates damit weiter eingeschränkt (S. 161); denn von einem Schuldnerstaat verlangt der IWF, dass er ein Gläubigerkomitee als Verhandlungspartner anerkennt, wenn „(1) die Komplexität des Einzelfalls dies gebietet, wenn (2) das Komitee hinreichend repräsentativ ist und (3) in angemessenem Zeitabstand konstituiert wird.“ (S. 15). Diese Vorgaben wurden über die „Special Data Dissemination Standard“ (SDDS) des IWF bereits in viele Staatsanleihe inkorporiert (International Primar Markets Association, Guidance Note 16 – Information Claudes in Sovereign debt Issues, Verweis bei: A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 166). Dabei versucht der IWF einen Ausgleich zwischen Transparenz und Geheimhaltungsinteresse herzustellen und differenziert nach der Relevanz der Information für die Gläubiger (S. 166; IWF Further Considerations on the Good Faith Criterion, S. 10.) Bezüglich der Informationspflichten hat der IWF angeregt, „dem Geheimhaltungsinteresse der Schuldnerstaaten durch die Bestellung von Gläubigerrepräsentanten Rechnung zu tragen, welche die einzelnen Investoren über den allgemeinen Stand von Umschuldungsverhandlungen (overall merits) informieren dürften, gleichzeitig aber berechtigt würden, den Gläubigern bestimmte klassifizierte Informationen vorzuenthalten“. Szodruch hält diesen Vorschlag mit Hinweis auf die Pflichten im Rahmen eines solchen Geschäftsbesorgungsvertrages, näherhin die Auskunftsansprüche der Gläubiger aus § 666 BGB, zurecht für untauglich (S. 164; IWF, Reviewing the Process, S. 12).
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ebenfalls „fresh money“ zur Verfügung zu stellen. Die Literatur spricht in diesem Zusammenhang von „reziproker Konditionalität“372. Die Gläubigerbanken partizipieren an der „Verhandlungsmacht und makroökonomischen Expertise“373 des IWF, indem sie zu Beginn der achtziger Jahre Vertragsklauseln einführten, in welchen der Schuldnerstaat zusichert, „Mitglied des IWF zu sein und Zugang zu IWF-Ressourcen zu besitzen“374. Auf diese Weise wird „ein IWF-Programm jedenfalls indirekt auch zum Gegenstand der Umschuldungen im Londoner Club“375 und die „klassische Konditionalitätspolitik“376 des IWF zum Bestandteil privatrechtlicher Kreditvereinbarungen. Der Fonds hat mit seiner Einbindung in die Verträge zwischen Geschäftsbanken und Schuldnerstaat damit auch Einfluss auf das Verhalten des Staates gegenüber seinen privaten Gläubigern377. Die übliche Praxis der privaten Geldgeber, IWF-Auflagenprogramme per Referenz in die privatrechtlichen Umschuldungsverträge der Gläubigerbanken aufzunehmen, verdeutlicht die „enge Verzahnung des internationalen Finanzrechts (welches sich maßgeblich in der Konditionalitätspolitik des IWF niederschlug) mit dem klassischen privaten Vertragsrecht“378. b) Beispiele für die Organisation von Gläubigerinteressen Die Bündelung der Gläubigerinteressen gegenüber den Schuldnerstaaten ist ein bekanntes Phänomen und wird seit langem in unterschiedlichen Formen praktiziert379. Dabei haben sich sowohl feste als auch temporäre Institutionen gebildet. 372 Siehe Rory Macmillan, der von „reciprocal requirement“ spricht, R. Macmillan, The Next Sovereign Debt Crisis, J. Int’l L. 31 1995, S. 320. Philip Power verwendet den Begriff „triangular dependency“, P. Power, Sovereign Debt: The Rise of the Secondary Market and its Implications for Future Restructurings, 1996, S. 2712 f. 373 A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 96. 374 Ebenda, mit Verweis auf B. Semkow, Syndicating and Rescheduling International Financial Transactions, 1984, S. 922. 375 Ebenda. 376 A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 96. 377 Ebenda, S. 158 ff., S. 364 ff.; IMF, Policy on Lending Into Arrears to Private Creditors, vii. ff.; IMF, Sovereign Debt Restructuring: Recent Developments and Implications for the Fund’s Legal and Policy Framework. 378 Ebenda, S. 98. 379 Ein bedeutendes Gläubigerforum war beispielsweise die „Corporation of Foreign Bondholders“ (CFB). Sie verknüpfte die Kredite mit strikten Auflagen, teilweise griff sie auch zu Maßnahmen wie Gebietsübernahmen und Pfändung staatlicher Eisenbahngesellschaften. Vgl. P. Mauro/Y. Yafeh, Corporation of Foreign Bondholders, IMF WP No. 03/107, 2003, S. 24; A. Fishlow, The International Debt Crisis in Historical Perspective, 1990, S. 94 ff. Deren scharfe Finanzkontrolle ist für Szodruch mit
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Bereits im 19. Jahrhundert schlossen sich die Gläubiger eines Staates in Komitees zusammen, „welche die Interessen der einzelnen Gläubiger bündelten und so die Verhandlungsmacht sowohl gegenüber den Schuldnerstaaten als auch gegenüber den Heimatregierungen der Gläubiger vergrößerten“380. Charakteristisch für ein solches Gläubigerkomitee war die englische „Corporation of Foreign Bondholders“ (CFB), welche einen starken Einfluss auf den Schuldnerstaat ausüben konnte381. Die heute prominentesten Beispiele informeller Organisationen382, in welchen sich die Gläubiger organisieren, sind der Pariser Club und der Londoner Club383. der Konditionalität des IWF „durchaus vergleichbar“. Die Auflagen reichten von Steuer- und Zollerhöhungen bis zur Durchsetzung von Währungsreformen in den Schuldnerstaaten. A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 78. Ein historisches Beispiel für den Umgang mit zahlungsunfähigen Staaten bietet die Praxis der „Corporation of Foreign Bondholders“ (CFB), dazu P. Mauro/Y. Yafeh, The Corporation of Foreign Bondholders, IMF WP WP/03/107, 2003, S. 22. Bereits im Jahr 1820 lehnte es die Londoner Börse ab, neue Staatsanleihen zu listen, solange sich ein Schuldnerstaat mit Zahlungen im Rückstand befindet und nicht bereit ist, mit seinen Gläubigern „in good faith“ zu verhandeln. In der Großen Depression gerieten Einfluss und Macht der Gläubigerkomitees an ihre Grenzen. Die USA, die aus dem Ersten Weltkrieg als größter Gläubigerstaat hervorgingen, gründeten im Jahr 1933 durch Gesetz das „Foreign Bondholders Protective Council“ (FBPC), um die Interessen der amerikanischen Anleihegläubiger zu bündeln. Weil die Kapitalmärkte weitgehend zum Erliegen gekommen waren, entfaltete die Drohung, die Schuldnerstaaten vom Zugang zu den Kapitalmärkten auszuschließen, keine Wirkung mehr. Dazu E. Jorgensen/J. Sachs, Default and Renegotiation of Latin American Foreign Bonds in the Interwar Period, B. Eichengreen/P. Lindert (Hrsg.), The International Debt Crisis in Historical Perspective, 1989, S. 69; A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 78. 380 Ebenda, S. 77. 381 Die „Corporation of Foreign Bondholders“ setzte im Falle der (angekündigten) Zahlungsunfähigkeit regelmäßig einen Ad-hoc-Ausschuss ein. Die Mitglieder reisten in den Schuldnerstaat, um über eine politische oder finanzielle Lösung der Zahlungskrise zu beraten. Dazu P. Mauro/Y. Yafeh, Corporation of Foreign Bondholders, S. 14 ff. Die „Corporation of Foreign Bondholders“ (CFB) erhielt im Jahr 1868 als privatrechtlich organisierte Entität und durch einen Beschluss des britischen Parlaments einen semioffiziellen Status. Dazu B. Eichengreen/R. Portes, Debt Restructuring With and Without the IMF, 2000, S. 7; A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 77. 382 Im Gegensatz zu den Komitees der Anleihegläubiger vor dem Jahr 1945, etwa der „Corporation of Foreign Bondholders“, besaßen die Ad-hoc-Komitees keine eigene Rechtspersönlichkeit. Siehe A. Mudge, Sovereign Debt Restructure, Colum. J Transn’l L. 194, 1985, S. 64. 383 Siehe zu den „Schlüsselprinzipien“ des Pariser Clubs: „case by case“, „consensus“, „conditionality“, „solidarity“, „comparability of treatment“, Club de Paris, The six principles, einzusehen unter http://www.clubdeparis.org/en/communications/
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aa) Pariser Club Der Pariser Club besteht aus 19 Industrienationen als festen Mitgliedern384. Er ist kein formales Gremium, sondern eine informelle Plattform für Umschuldungsverhandlungen zwischen den Gläubigern und Schuldner staaten,385 auf welcher der IWF die etwas fragwürdige Rolle eines Vermittlers und zugleich Gläubigers einnimmt. Eine Vereinbarung des Schuldnerlandes mit dem Internationalen Währungsfonds über ein gesamtwirtschaftliches Reformprogramm bildet dort regelmäßig die Voraussetzung für eine Umschuldung386. Private Gläubiger sind im Pariser Club zwar nicht vertreten, jedoch fließen die Forderungen nichtstaatlicher Finanzinstitutionen, auch wenn sie nicht Gegenstand der Pariser Verhandlungen sind, indirekt in die Verhandlungen ein, weil der IWF grundsätzlich „erst dann ein Anpassungsprogramm billigt und finanziell unterstützt, wenn die Umschuldung mit den privaten Gläubigern geglückt ist“387. page/the-six-principles; näher zur Rolle des Pariser und Londoner Clubs als „wichtigste bilaterale Gläubiger“ Ph. Völk, Zur Gläubigerrangfolge bei souveränen Schuldnern, S. 139 ff. 384 Zur Umschuldung bilateraler Schulden im Pariser Club J. Benninghofen, Die Staatsumschuldung, 2014, S. 76 ff. 385 „The Paris Club only negotiates debt restructurings with debtor countries that: […] have a demonstrated track record of implementing reforms under an IMF program. This means in practice that the country must have a current program supported by an appropriate arrangement with the IMF (Stand-By, Extended Fund Facility, Poverty Reduction and Growth Facility, Policy Support Instrument). The level of the debt treatment is based on the financing gap identified in the IMF program. In the case of a flow treatment, the consolidation period coincides with the period when the IMF arrangement shows a need for debt relief. When the flow treatment extends over a long period of time (generally more than one year), the Paris Club agreement is divided into phases. The amounts falling due during the first phase are treated as soon as the agreement enters into force. Subsequent phases are implemented following completion of conditions mentioned in the Agreed Minutes, including non-accumulation of arrears and approval of the reviews of the IMF program.“ – Club de Paris, Five Key Principles of the Paris Club: Conditionality, S. 3, Homepage des Pariser Clubs zur Konditionalität und zur Kooperation mit dem IWF als Voraussetzung für Verhandlungen (Stand Dezember 2014). 386 „It is a basic condition of Paris Club understandings that the country in difficulty will obtain a stand-by or extended arrangement from the IMF.“ R. W. Edwards, Is an IMF Stand-by Arrangement a Seal of Approval on Which Other Creditors Can Rely?, 1985, S. 573. 387 K. Konrad/H. Zschäpitz, Warum der Absturz der Staatsfinanzen uns alle trifft, S. 174. Private Gläubiger sind „bei den Verhandlungen im Pariser Club oftmals gegenüber den multilateralen Gläubigern (IWF und Weltbank) benachteiligt“. M. Dabrowski/ A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 134, mit Hin-
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Die Mitglieder des Pariser Clubs setzten vor Aufnahme der Verhandlungen regelmäßig das Zustandekommen eines sogenannten „arrangements“ mit dem IWF voraus, das heißt der Fonds muss sich mit dem Schuldnerstaat im Vorfeld über ein Anpassungsprogramm verständigt haben388. Grundlage des „arrangements“ ist eine Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF (debt sustainability analysis)389 und zwar gelten die Staaatsschulden dann als tragfähig, wenn „[…] a borrower is expected to be able to continue servicing its debts without an unrealistically large future correction to the balance of income and expenditure“390. Die IWF-Analyse beurteilt, ob das Land unter einem Liquiditätsproblem (liquidity problem), einem Verschuldungsproblem (debt systainability problem) oder beidem leidet. Die Mitglieder des Pariser Clubs sind an die Empfehlungen des IWF nicht gebunden, folgen ihnen aber in der Regel. Die Konditionalität ist in den Verhandlungen des Pariser Clubs das „absolut zentrale“ Element, welches mehr als jeder andere Faktor über den Erfolg oder Misserfolg einer Umschuldung entscheidet391. bb) Londoner Club Auch der Londoner Club ist eine informelle Vereinigung, in diesem Fall jedoch von Gläubigerbanken, um Umschuldungsverhandlungen mit hochverschuldeten Staaten zu führen392. Gegenstand der Verhandlungen sind dort weis auf K. Raffer, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Finanzausschusses zur Entwicklung der Internationalen Finanzmärkte am 14. März 2001 in Berlin, S. 8. Auch Gläubiger zahlen für den IWF-Bail-out einen Preis; denn sie fallen in der Gläubigerrangfolge hinter den IWF – in Anbetracht der Vorteile ist ihnen das aber nicht unwillkommen; denn ihre Stellung bei der Verfolgung ihrer Interessen verbessert sich insgesamt. 388 T. Marauhn, Restrukturierung ausländischer Staatsschulden, S. 88. 389 IMF, Assessing Sustainability, 28. Mai 2002. 390 Ebenda, S. 4. 391 „IMF conditionality is absolutely central to the Paris Club process, because, more than any one single factor, it determines success or failure of the debt relief operations.“ A. Rieffel, The Role of the Paris Club in Managing Debt Problems 1985, S. 8. 392 Die informelle Institution des Londoner Clubs als Interessenvertretung der Gläubiger entwickelte sich aus den in den siebziger Jahren erheblich ausgeweiteten sogenannten „Konsortialkrediten“ (dazu unten). Aufgrund der Vielzahl der Konsortien setzten die Gläubigerbanken Verhandlungsvertreter in Form von informellen, das heißt nicht rechtsverbindlich verhandelnden Ad-hoc-Ausschüssen ein. Ein Ausschuss trat zusammen, wenn der betroffene Schuldnerstaat eine Umschuldung seiner Verbindlichkeiten anstrebte und setzte sich in der Regel aus 12 bis 14 Mitgliedern zusammen; den Vorsitz führte die Bank, welche gegenüber dem Schuldnerstaat die höchsten Außenstände zu verbuchen hatte. Der Ausschuss vertrat das GläubigerKonsortium auch gegenüber dem IWF und betroffenen Industrieländern. Dazu
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nur Verbindlichkeiten gegenüber im Ausland ansässigen nichtstaatlichen Gläubigern in fremder Währung393; die Forderungen staatlicher Gläubiger, welche innerhalb des Pariser Clubs verhandelt wurden, stehen nicht zur Disposition394. Die Verhandlungen des Londoner Clubs befassen sich, je nach Einzelfall, nicht ausschließlich mit Verbindlichkeiten des Schuldnerstaates, sondern beziehen auch die Schulden des privaten Sektors ein. Dabei wird häufig eine sogenannte „governmentalization of debts“ ausgehandelt, das heißt, der Schuldnerstaat wird als Bürge eingesetzt oder tritt gar als neuer Schuldner für die Verbindlichkeiten privater Unternehmen ein, welche in seinem Hoheitsgebiet ansässig sind395. Auch die Verhandlungen im Londoner Club setzen in der Regel voraus, dass der betreffende Schuldnerstaat Mitglied im Internationalen Währungsfonds ist oder diesem beitritt. Ziel der Verhandlungen ist es, die Stundung von Zinszahlungen oder den partiellen Erlass von Schulden an Restrukturierungsmaßnahmen zu koppeln, welche der Schuldnerstaat umzusetzen hat.
A. Mudge, Sovereign Debt Restructure, S. 65 f. Die Verhandlungsergebnisse eines solchen Ad-hoc-Ausschusses waren nicht bindend, sondern wurden zunächst der Gemeinschaft der Mitglieder zur Annahme vorgelegt. Zum Umschuldungsverfahren K. Hudes, Coordination of Paris and London Club Rescheduling, in: D. Bradlow (Hrsg.), International Borrowing: Negotiating and Structuring International Debt, 1986, S. 451 ff. 393 M. Walker/L. Buchheit, Legal Issues in the Restructuring of Commercial Bank Loans to Sovereign Borrowers, S. 460. 394 Teilweise wurden auch Handelskredite von Umschuldungen ausgenommen, um dem Schuldnerstaat den Zugang zum Welthandel offenzuhalten und eine wirtschaftliche Erholung zu ermöglichen. Später wurden auch Inhaber von Staatsanleihen von den Umschuldungen ausgenommen, insbesondere weil sich die Transaktionskosten für eine Umschuldung von Anleihen auf Grund der Anonymität der Gläubiger als unverhältnismäßig hoch erwiesen. A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 94; dazu näher H. D. Krekeler, The Law of International Debts and International Investment Law, in: K. Meessen (Hrsg.), Internationale Verschuldung und wirtschaftliche Entwicklung aus rechtlicher Sicht, 1988, S. 88 ff.; M. Walker/L. Buchheit, Legal Issues in the Restructuring of Commercial Bank Loans to Sovereign Borrowers, 1983, S. 461; J. Hurlock, Advising Sovereign Clients on the Renegotiation of Their External Indebtedness, 1984, S. 35. 395 Bei den Verhandlungen waren allerdings Forderungen aus Staatsanleihen ausgenommen, um deren Ruf als sichere Anlageform nicht zu gefährden. Außerdem wurde vereinbart, dass „alle Schulden gegenüber dem IWF, Entwicklungsbanken und Staaten, deren Schulden vom Pariser Club umstrukturiert wurden, weiter bedient und zurückgezahlt würden“. G. Braunberger/B. Schulz, FAZ vom 27. November 2010, Neuordnung von Staatsschulden – Reichhaltige Erfahrungen mit Umschuldungen.
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cc) Troika Die zu Beginn der Euro-Krise formierte „Troika“396 ist beispielhaft für einen temporären Zusammenschluss von Gläubigerinteressen. Sie setzt sich aus Vertretern des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank zusammen und dient dem Zweck, die öffentlichen Finanzhilfen für die sogenannten Krisenstaaten zu koordinieren und zu kontrollieren397. Außerdem konzipiert die Troika die einzelnen Auflagen in den Memoranda of Understanding. Sie entscheidet über die Auszahlung der Kredittranchen und überwacht die Umsetzung von Auflagen gegenüber den Programmstaaten. Wie oben dargelegt, hat die Troika im ESM-Vertrag nunmehr auch eine vertragliche Grundlage gefunden. Im Gegensatz zu IWF-Programmen außerhalb der Euro-Zone sind an diesen Verhandlungen neben dem Fonds auch andere öffentliche Geldgeber, insbesondere die Mitglieder der Euro-Gruppe und die Europäische Zentralbank finanziell und politisch beteiligt. Dies führt dazu, dass die Einzelinteressen staatlicher Gläubiger – insbesondere der Hauptgläubiger Deutschland und Frankreich, die in jeder der drei Institutionen über ein maßgebliches Stimmengewicht verfügen – stark zur Geltung kommen, während die privaten Gläubiger ihre Interessen meist nur mittelbar über die jeweiligen Geberstaaten einbringen können (dazu im Einzelnen unten). Als größter Einzelgläubiger spielt der IWF aber auch hier eine entscheidende Rolle; denn aus Sicht der Finanzmärkte kommt dem Fonds bei der Sanierung überschuldeter Staaten eine zentrale Funktion zu, zumal er, anders als die weniger erfahrene Europäische Kommission, ihr Vertrauen genießt. Ein IWF-Programm gilt den institutionellen Investoren als „Gütesiegel“398 und fördert deren Bereitschaft, die Schulden der Krisenstaaten (weiterhin) zu kreditieren399. Neben der technischen Ebene der Troika haben die Interessenvertreter der Gläubiger und Geldgeber auch andere informelle Gruppen auf politischer 396 Auf Wunsch der griechischen Regierung agiert die Troika seit dem Jahr 2015 unter neuem Namen, ohne dass deren Zusammensetzung verändert wurde. Offiziell ist seitdem mal von „den Institutionen“, mal von der „Brüsseler Gruppe“ die Rede. Um der Kontinuität willen soll im Rahmen dieser Arbeit der ursprüngliche Begriff der „Troika“ beibehalten werden. 397 „Each of the Troika institutions acts within its own constitutional and legal responsibilities.“ European Commission, Press Release Database, 13. Januar 2014. 398 W. Engshuber, Die Auflagenpolitik des Internationalen Währungsfonds aus rechtlicher Sicht, S. 21. 399 J. Gold, The Stand-by Arrangements of the International Monetary Fund, S. 37 f., S. 191, S. 240.
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Ebene etabliert, etwa die sogenannte „Frankfurter Runde“400 oder die „Frankfurt Dinner Group“401, die den Kreis der Troika erweitert. Als Gremium zur Koordination der Vorschläge für eine Insolvenzordnung auf europäischer Ebene wurde der zeitweilig so genannte „Berliner Club“ geschaffen402. Gläubigerplattformen perpetuieren mit der Einbindung des IWF die Abhängigkeit des betroffenen Staates von seinen Kreditgebern. Die Auflagen, welche der Fonds dem Schuldnerland auferlegt, werden zur conditio sine qua non, weil auch andere Geldgeber finanzielle Zusagen so lange zurückhalten, bis die Auflagen von der Regierung des Schuldners akzeptiert werden. Damit werden die Auflagen des IWF auch zu den Kreditbedingungen aller anderen Gläubiger. c) Der IWF als „gatekeeper“ und Verhandlungsführer Durch das informelle Zusammenwirken der Gläubiger wird die Auszahlung neuer Mittel (fresh money) an den Schuldnerstaat orchestriert und kanalisiert. Ein „Teaming-up“ der Gläubiger soll verhindern, dass der Schuldnerstaat die Gläubiger gegeneinander ausspielen kann, indem er bei einzelnen Geldgebern Kredite prolongieren lässt oder neue aufnimmt und im Gegenzug verspricht, diese vorzugsweise zu bedienen. Im Verhältnis zwischen dem Schuldnerstaat und privaten Investoren erfüllt der Fonds die Funktion eines „Torwächters“ (Gatekeeper); denn häufig machen alte und potentiell neue Geldgeber ihre Finanzierungszusagen davon abhängig, ob eine Einigung zwischen dem Schuldnerstaat und dem Interna tionalen Währungsfonds insbesondere im Rahmen der Memoranda of Under400 Die Frankfurter Runde trat erstmals am 19. Oktober 2011 in der Alten Oper in Frankfurt am Main zusammen. Vor allem im Herbst des Jahres 2011 bereitete sie wichtige Beschlüsse vor. Neben Angela Merkel und Nicolas Sarkozy gehörten diesem Kreis die IWF-Geschäftsführerin Christine Lagarde, Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker, EZB-Präsident Mario Draghi, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und der EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn an. Vgl. in diesem Zusammenhang S. Vogel, der darauf hinweist, dass auch der Druck auf Griechenland und Italien auf die Frankfurter Runde zurückgeht, Sparpolitik und Demokratieabbau in der Eurokrise, S. 85 f. 401 Bei der „Frankfurt Dinner Group“ handelt es sich um ein im Jahr 2015 etabliertes informelles Gesprächsforum „ranghoher Mitarbeiter von EZB-Präsident Mario Draghi, von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, von IWF-Chefin Christine Lagarde und vom griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras“, das mehrmals wöchentlich konferiert und technischen Fachleuten Arbeitsaufträge erteilt, um politische Entscheidungen vorzubereiten. Siehe FAS vom 19. April 2015, Nr. 16 D, Großes Ringen um Athen. 402 Dazu K. v. Lewinski, Öffentlichrechtliche Insolvenz und Staatsbankrott, S. 454.
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standing zustande kommt (siehe auch Regeln des Pariser Clubs). Nur wenn dies der Fall ist, gewähren sie neue Kredite oder sind zu einer Umschuldung alter Kredite bereit. Kommt es hingegen zu keiner Einigung, werden keine weiteren Gelder vergeben und dem Mitglied droht die „ungeordnete“ Zahlungsunfähigkeit403. Umgekehrt macht der IWF sein Engagement davon abhängig, ob die Gläubigerbanken bereit sind, „dem Schuldnerstaat eine kritische Masse an frischem Kapital zur Verfügung zu stellen“404. Diese Politik führte zu einer immer stärkeren Einbindung des Londoner Clubs in die Verhandlungen mit den Schuldnerstaaten und auch in diesem Zusammenhang lässt sich der IWF (ebenso wie die Entwicklungsbanken) die Position eines privilegierten Gläubigers zusichern405. Der IWF sucht mit seiner Vorgehensweise das Vertrauen der Finanzmärkte auf die Rückzahlung privater Kredite zu stärken und wird so zu einem Katalysator auch für frische Kredite. Diese Politik trägt zu einem massiven 403 Siehe zu dieser Frage umfassend W. Lachmann, Können Staaten Pleite gehen?, S. 271 ff. 404 Die Bedingung, dass sich zunächst die Gläubigerbanken bereit erklären müssten, dem Schuldnerland neue Kredite einzuräumen bevor der IWF als Geldgeber einspringt, ist eine Forderung des US-Kongresses, die während der Schuldenkrisen in den achtziger Jahren erhoben wurde. Der Kongress wollte die privaten Banken zur Kooperation zwingen und damit ihre allzu fahrlässige Kreditvergabe durch IWF-bailouts verhindern, weil die Finanzierung hauptsächlich zu Lasten des amerikanischen Steuerzahlers ging (22 U.S.C. 286dd § 46 vom 30. November 1983). „The Secretary of the Treasury shall instruct the United States Executive Director of the Fund … to oppose and vote against any Fund drawing of a member country, where, in his judgement, the Fund resources would be drawn principally for the purposes of repaying loans which have been imprudently made by banking institutions to the member country.“ – U.S.C. 286dd § 46 (30. November 1983); A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 91; Dazu K. Vocke, Die Zusammenarbeit zwischen dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbankgruppe und internationalen Geschäftsbanken vor dem Hintergrund der Schuldenkrise, 1998, S. 279. Im Gegensatz dazu wurde in der zweiten Mexikokrise (Mitte der neunziger Jahre, sogenannte „Tequila-Krise“) ein Bail-out privater, insbesondere US-amerikanischer Banken bewusst durch IWF-Kredite finanziert. Zu diesem „Paradebeispiel eines public sector bailouts“ (Szodruch) umfassend N. Lustig, Mexico in Crises, the U.S. to the Rescue: The Financial Assistance Packages of 1982 and 1995, 2 UCLA J. Int’l L. & For. Aff. 25, 1997, S. 25 ff. Zu den Finanzierungsbedingungen des IWF siehe auch Ph. Power, Sovereign Debt, S. 2710 f.; S. Goldman, The Emerging Problem of HoldOuts in Sovereign Debt Restructuring, 2000, S. 169; K. Vocke, Die Zusammenarbeit zwischen dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbankgruppe und internationalen Geschäftsbanken vor dem Hintergrund der Schuldenkrise, S. 279. 405 A. Gelpern, Building a Better Seating Chart for Sovereign Restructurings, 2004, S. 1127; J. Hurlock, Advising Sovereign Clients on the Renegotiation of Their External Indebtedness, S. 35; zur Vorzugsbehandlung des IWF A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 191.
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Machtzuwachs bei; denn der Fonds wird durch die strategische Allianz der Gläubiger quasi zum „Herrn über die Kredite“. 2. Auszahlung der Kredite in Tranchen Die Auszahlung der Kredite in Tranchen – das sogenannte „Phasing“406 – ist für den IWF ein Instrument, mit dessen Hilfe er die Umsetzung der Konditionen effektiv steuern und überwachen kann; denn die Tranchen sind meist so bemessen, dass damit nur der kurzfristige, dringende Liquiditätsbedarf eines Staates gedeckt werden kann, der meist vorrangig dafür verwendet werden darf, um fällige Auslandsverbindlichkeiten zu bedienen und einen Zahlungsausfall zu verhindern. Diese Taktik des IWF und der anderen Geberländer macht die Finanzplanung des defizitären Staates weitgehend von der Auszahlungspolitik des IWF abhängig, Konditionalität und „Phasing“ dienen dann gleichsam als „goldene Zügel“407 mit denen es dem IWF gelingt, haushaltsrelevante Entscheidungen des Programmstaates in die gewünschten Bahnen zu lenken. Ein anschauliches Beispiel für den Einsatz des Phasings als externes IWFSteuerungsinstrument liefert Griechenland408. Das Land hatte im September 2011 Zinszahlungen in Höhe von 800 Mio. Euro und im Oktober 2011 in Höhe von 1,1 Mrd. Euro zu leisten. Zusätzlich war im September 2011 eine Verbindlichkeit in Höhe von 8 Mrd. Euro fällig. Über Tranchen und Bedienung der Verbindlichkeiten kam es im September 2011 zum Konflikt mit der 406 Die Praxis der Abrufstaffelung hat suspendierende Wirkung, wenn der Staat die an ihn gestellten Auflagen nicht umsetzt. „Phasing“ wird regelmäßig im Rahmen der Bereitschaftskreditvereinbarungen eingesetzt (ab der zweiten Kreditziehung). § 4 Decision Nr. 2 – Stand-by Arrangements, 25. September 2002, SM/02/276, Revision. 407 Der Begriff des „goldenen Zügels“ wurde im Spannungsfeld zwischen Ländern und Gemeinden geprägt und im deutschen Verfassungsrecht insbesondere vor dem Hintergrund der Finanzausstattung (Finanzverfassungsreform von 1967/1969) gebraucht, mit welcher der Bund die Länder außerhalb seines Kompetenzbereichs lenkte. 408 „Über die nächste Tranche werden wir nach dem Bericht der Troika entscheiden“, sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn, auch um den Griechen den Ernst der Lage zu verdeutlichen. FAZ Online vom 29. Mai 2011, Streit über Sparbemühungen wird schärfer. Nach den griechischen Parlamentswahlen im Mai 2012 wurde lediglich die teilweise Auszahlung der Tranche zugesagt. Die restliche eine Milliarde Euro sollte „abhängig von den finanziellen Bedürfnissen Griechenlands“ überwiesen werden, schrieb der Fonds. Der EFSF betonte, dass – wie bereits zuvor – die 4,2 Milliarden Euro auf ein separates Konto fließen, das Griechenland allein zur Rückzahlung seiner Schulden nutzen darf.“ Siehe Spiegel Online vom 9. Mai 2012, Jetzt ist Venizelos dran, http://www.spiegel.de/politik/ausland/regierungschaos-in-griechenland-jetzt-istsozialist-venizelos-dran-a-832341.html.
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Troika, weil Griechenland die Auflagen nicht zur Zufriedenheit der Troika umgesetzt hatte409. Dabei wurde der griechischen Regierung bedeutet, dass die nächste für Oktober 2011 geplante Tranche aus dem 110-MilliardenEuro-Hilfspaket von EU und IWF nur ausbezahlt werden könne, „wenn die Troika die Bemühungen der griechischen Regierung zur Sanierung des Budgets und der Neuausrichtung der Wirtschaft für ausreichend hält“; damit war die Drohung verbunden, dass andernfalls die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands nicht mehr abzuwenden sei410. Ein ähnliches Szenario ereignete sich im November 2012 und im Juni 2015, als Griechenland erneut vor der Zahlungsunfähigkeit stand411. Die Situation lässt sich in der Rolle der Troika im Rahmen der gesamten Euro-Krise beobachten. Die Geldgeber machten dort ihre Entscheidung für weitere Finanzhilfen regelmäßig und ausdrücklich von den Quartalsberichten der Troika über die Umsetzung der Konditionen abhängig. Damit wurde nach außen der Druck auf die Programmstaaten aufrecht erhalten, wenn auch mit Blick auf die politischen Interessen der Geberstaaten erhebliche Zweifel angebracht sind, ob weitere Kreditierungen wirklich davon abhängen412. 3. Ergebniskontrollen und Kontrollinstrumente Regelmäßige Kontrollen der Zielvereinbarungen sollen sicherstellen, dass die in den Memoranda vereinbarten Maßnahmen überprüfbar und zeitnah umgesetzt werden. Die „begleitende Kontrolle“ wird auf mannigfache Weise ausgeübt. Zunächst muss sich der betroffene Staat im Rahmen eines Kreditprogramms verpflichten, dem Fonds Zugang zu sämtlichen Informationen und Daten der öffentlichen Verwaltung zu gewähren. Besondere Bedeutung kommt dabei den Quartalsberichten des IWF zu, welche Auskunft über die Fortschritte und Ergebnisse bei der Umsetzung der Auflagen geben sollen. Zur Methodik der Kontrollen liefert die Euro-Krise ein weiteres Beispiel, weil damals eine ganze Reihe verschiedener Kontrollinstrumente zum Ein409 FAZ
vom 12. September 2011, Berlin verliert die Geduld mit Griechenland. mit Troika – Zitterpartie um Griechenland geht weiter, FAZ Online vom 20. September 2011; FAZ Online vom 16. Juni 2011, GriechenlandHilfe: Die EU-Kommission drängt zur Eile, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/griechenland-hilfe-die-eu-kommission-draengt-zur-eile-1651280. html. 411 Siehe FAZ vom 13. November 2012, EZB ringt um Notfinanzierung für Athen. 412 Auch potentielle Geldgeber außerhalb der Euro-Gruppe, wie Großbritannien und Schweden, stellen ihre Finanzhilfen unter den Vorbehalt einer Einigung der Krisenstaaten mit der Troika über die Memoranda of Understanding und deren Umsetzung. Siehe FAZ vom 23. November 2010, Das erste Geld fließt im Januar. 410 Telefonkonferenz
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satz gekommen war. So reiste eine Delegation des IWF zusammen mit Vertretern der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank vierteljährig in die Hauptstädte der Programmstaaten Griechenlands, Portugals und Irlands, kontrollierte dort den Stand der Auflagenerfüllung und verfasste jeweils einen Bericht zur Lage, der den Gläubigern vorgelegt wurde. Die Geberstaaten der Eurogruppe und der IWF machten die Auszahlung der Tranchen von diesen Berichten abhängig413. Ein weiteres besonders wirksames Instrument zur Kontrolle der Sparauflagen ist die Einrichtung eines Sonderkontos zur Verwaltung der Finanzhilfen. Dieses Instrument hatte der IWF zuvor im Umgang mit Entwicklungsländern eingesetzt. Seine Aufgabe besteht darin, eine „Zweckentfremdung“ der Mittel durch den Programmstaat zu verhindern und damit sicherzustellen, dass das Land seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommt, also die Kredite dafür verwendet, in erster Linie die Zins- und Tilgungsansprüche der privaten und öffentlichen Gläubiger zu bedienen414. In Griechenland setzte die Troika ebenfalls ein solches Sperrkonto ein. Zuvor hatte die griechische Regierung versucht, seine Gläubiger unter Druck zu setzen, indem sie dem IWF und den Euro-Staaten mit Insolvenz und deren Folgen für den Euro drohte. Letztlich konnte aber Griechenland die Einrichtung eines Sperrkontos nicht verhindern. Auf diesem wurden die zur Verfügung gestellten Kredite und der Mittelabfluss für den Schuldendienst jeweils für die nächsten sechs bis neun Monate verbucht415. Griechenland 413 Auch außerhalb eines IWF-Kreditprogramms dienen die Berichte des Fonds der Kontrolle der Gläubiger. So wurde der IWF etwa beauftragt, auch die Reformfortschritte in Italien zu überwachen, obgleich Italien kein IWF-Programmland war. Die Kontrolle durch den IWF hielt aber insbesondere die deutsche Regierung für wirkungsvoller als die bereits bestehenden Kontrollmechanismen der Europäischen Kommission, welche zuvor die Aufgabe hatte, die italienischen Reformschritte zu überwachen. Der IWF sei „wesentlich erfahrener“ und genieße „an den Märkten ein hohes Vertrauen“. Siehe Spiegel Online vom 4. November 2011, Der IWF übernimmt das Krisenkommando, http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/strategiewechsel-aufg-20-gipfel-iwf-uebernimmt-das-krisenkommando-a-795891.html. Siehe auch Spiegel Online vom 4. November 2011, IWF und EU überwachen Berlusconis Sparkurs, einzusehen unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/schul denkrise-in-italien-iwf-und-eu-ueberwachen-berlusconis-sparkurs-a-795813.html. 414 Das Sperrkonto diene dazu sicherzustellen, dass die Zinsen gezahlt und auslaufende Kredite getilgt werden („Die Regierung soll den Druck der Geldgeber spüren, dass wir jederzeit auch anders können.“) Siehe Spiegel Online vom 17. Oktober 2012, Tranche des Hilfspakets für Griechenland wird ausbezahlt, einzusehen unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/tranche-des-hilfspakets-fuer-griechenland-wird-ausgezahlt-a-861855.html. 415 Das Sperrkonto sollte dazu dienen, „in Zukunft die Situation zu vermeiden, dass Athen seine Gläubiger mit einer drohenden Insolvenz unter Druck setzen kann“. FAZ Online vom 19. Februar 2012, Ohne Einigung Pleite „unvermeidlich“, einzuse-
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hatte sich zunächst gegen die Einführung eines Sonderkontos gewehrt, musste aber schließlich einwilligen, um noch strengere Vorgaben für seine Finanzplanung und Mittelverwendung zu verhindern416. Von deutscher Seite und von Seiten der Euro-Gruppe war sogar gefordert worden, Griechenland müsse zur Kontrolle seiner Finanzgebarung einen Sparkommissar einsetzen, „ein zentrales Kontrollsystem […], das alle griechischen Staatsausgaben überwacht – und notfalls auch blockiert“417. Ein solcher Haushaltskommissar sollte gewährleisten, dass Griechenland seine Verpflichtungen aus dem Memorandum of Understanding einhält, womit die griechische Regierung nach dem Vorbild der Gläubigerkomitees um die Jahrhundertwende418 – quasi unter Aufsicht gestellt worden wäre. Griechenland konnte aber ein solches Verdikt ebenso abwenden wie die Forderung zur Entsendung von externen Finanzbeamten aus Geberländern wie Deutschland419. Diese sollten eine effizientere Steuerverwaltung in Griechenland aufbauen und eine engere Kontrolle über die Einnahmen Griechenlands herstellen. De facto hätte dies einen weiteren signifikanten Souveränitätsverlust für das Land bedeutet420. hen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/neue-hilfen-fuerathen-erwartet-ohne-einigung-pleite-unvermeidlich-11655648.html. 416 FAZ Online vom 19. Februar 2012, Ohne Einigung Pleite „unvermeidlich“. 417 Die Welt Online vom 29. Januar 2012, Angela Merkel treibt die Griechen auf die Barrikaden, einzusehen unter http://www.welt.de/wirtschaft/article13840358/An gela-Merkel-treibt-die-Griechen-auf-die-Barrikaden.html. 418 In einigen Fällen setzten die Gläubigerkomitees mit Unterstützung ihrer Heimatländer durch, die „Abgaben anstelle des Schuldnerstaates selbst einzuziehen, zu verwalten und an die betroffenen Anleihegläubiger auszukehren“. (Noch im Jahr 2008 bezeichnete Alexander Szodruch derartige Maßnahmen als „aus heutiger Sicht undenkbar“, weil sie tief in die nationale Souveränität des Schuldnerstaates eingriffen.) Die Gläubigerkommission Commission de la caisse de la dette publique kontrollierte beispielsweise die Finanzen Ägyptens, insbesondere die staatliche Eisenbahngesellschaft in den Jahren 1877 bis 1882 in einem Maße „dass Ägypten zu dieser Zeit nicht mehr als unabhängiger Staat gelten konnte“. A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 79; Nommel verweist dabei auch auf die Finanzkontrollen gegenüber Griechenland im Jahr 1898, Serbien im Jahr 1902 und Bulgarien im Jahr 1905. H. Nommel, Der Kommissar für die verpfändeten Einnahmen nach dem Londoner Protokoll vom 16. August 1924, 1929, S. 12; zu Tunesien im Jahr 1869 siehe P. Lindert, The International Debt Crisis, S. 227, S. 237. 419 „Wir stehen seit geraumer Zeit bereit, den Griechen mit Finanzbeamten beim Aufbau einer effizienteren Steuerverwaltung zu helfen. Das Angebot wird bis heute nicht genutzt.“ (Finanzminister Schäuble) – FAZ Online vom 19. Februar 2012, Griechische Regierung setzt Sparbeschlüsse in die Tat um, einzusehen unter http://www. faz.net/aktuell/wirtschaft/vor-treffen-der-euro-finanzminister-griechische-regierungsetzt-sparbeschluesse-in-die-tat-um-11654355.html. 420 Von deutscher Seite wurde Griechenland davor gewarnt, wegen mangelnder Konsolidierungsbemühungen Einschränkungen seiner Hoheit über seine Haushaltspo-
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Durchgesetzt wurde in den Verhandlungen zum dritten Rettungspaket im November 2012 aber, dass Griechenland „technische Hilfe und Überwachung“ durch die Troika akzeptieren musste. Wie in der Diskussion des griechischen Memorandums aus dem Jahr 2012 dargelegt, erfolgt die „technische Hilfe“ heute in einer Reihe von Bereichen, „die für den Erfolg des Programms von entscheidender Bedeutung sind, wie beispielsweise die Steuerverwaltung und die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, das öffentliche Finanzwesen, die Reform der öffentlichen Verwaltung sowie eine Anzahl von Projekten zur Verbesserung des Wirtschaftsumfelds“ (siehe Memoranda)421. Im Rahmen dieses Memorandums war außerdem die Gründung einer regierungsunabhängigen Privatisierungsagentur nach dem Vorbild der deutschen Treuhandanstalt diskutiert worden. Im Jahr 2012 wurde im Zwischengutachten der Troika zur Lage Griechenlands vorgeschlagen, ein Gesetz zur schärferen Kontrolle der Haushaltspolitik durchzusetzen. Gefordert wurde ein gesetzlicher Automatismus. Für den Fall, dass Griechenland die Reformen nicht wie vereinbart umsetzte, sollten etwa die Steuern automatisch erhöht und die Staatsausgaben gekürzt werden422.
litik hinnehmen zu müssen. Siehe FAZ vom 27. Januar 2012, Griechenland braucht noch mehr Finanzhilfe. Geld für Griechenland werde es nur geben, „wenn das Land straff geführt wird – notfalls bis hin zu einem Staatskommissar, der von der EU oder den Euro-Staaten eingesetzt wird“. Spielgel Online vom 26. Januar 2012, Kauder droht Griechen mit Zahlungsstopp, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/unions fraktionschef-zur-euro-krise-kauder-droht-griechen-mit-zahlungsstopp-a-811492.html; FAZ vom 2. Februar 2012, Griechenland plant eigenen Sparkommissar, einzusehen unter http://m.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/schuldenkrise-griechen land-plant-eigenen-sparkommissar-11635234.html. Die Diskussionen beruhten auf einem Papier des deutschen Finanzministeriums und gingen auf einen EU-Gipfelbeschluss zurück. Siehe FAZ vom 31. Januar 2012, Merkel will keinen Sparkommissar für Griechenland. 421 Griechenland erhält fachliche Unterstützung, die von der Arbeitsgruppe der Kommission koordiniert und von der Kommission, den Mitgliedstaaten, dem IWF und aus anderen Quellen geleistet wird. Siehe „Das zweite wirtschaftliche Anpassungsprogramm für Griechenland – Erste Überprüfung“, Kapitel: „Technische Unterstützung und Überwachung“, November 2012, S. 66; einzusehen unter http://dip21. bundestag.de/dip21/btd/17/116/1711669.pdf. 422 Spiegel Online vom 28. Oktober 2012, Troika schlägt Schuldenerlass für Griechenland vor, einzusehen unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/troikaschlaegt-schuldenschnitt-fuer-griechenland-vor-a-863826.html; relevant wurden die Forderungen nach einem Treuhandsfonds für griechisches Staatsvermögen und einer automatischen Kürzung der Staatsausgaben bei Verfehlung der Haushaltziele auch bei den Verhandlungen zum 3. Rettungspaket im Juli 2015, FAZ vom 14. Juli 2015, Nr. 160, S. 3, Das war doch wohl der Gipfel.
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Ebenfalls der Durchsetzung der Auflagen dienen technokratische Übergangsregierungen423, wie die griechische Interimsregierung unter Ministerpräsident Papademos424, der vom 10. November 2011 bis zum 16. Mai 2012 einer Übergangsregierung vorstand425 oder die italienische Interimsregierung unter Mario Monti (Regierungschef vom 16. November 2011 bis zum 28. April 2013)426. 4. Stellungnahme Das mit dem Schuldnerstaat vereinbarte Kreditprogramm institutionalisiert die Abhängigkeit des betroffenen Krisenstaates. Zugleich verschafft es dem IWF Einfluss auf die Gesetzgebung des Schuldnerstaates und de facto eine Befugnis, seine eigene Sicht für erforderliche Strukturreformen im Schuldnerstaat durchzusetzen. Dieser Hebel steht privaten Gläubigern ohne die Mitwirkung des IWF nicht zur Verfügung. Außerdem verfügt der IWF über einen großen Mitarbeiterstab, so dass er die Umsetzung seiner Auflagen zu kontrollieren vermag. Die disziplinierende Wirkung insbesondere auf die Budgetentscheidungen des Schuldnerstaates kommt letztlich allen Gläubigern zugute427. 423 Dirk Schümer weist darauf hin, dass Griechenland und Italien zwar demokratische Staaten seien, doch gehörten die Ministerpräsidenten weder einer Partei an, noch hätten sie einen Wahlkampf geführt. Auch im Amt hätten sie nicht vor, „politische Bewegungen zu bilden und damit je um die Zustimmung der Bevölkerung zu werben“. Es handle sich „um bloße Notstandsverwaltungen, die Reformen beschließen, Einsparungen durchsetzen, Personalentscheidungen treffen“. D. Schümer, FAZ vom 30. Januar 2012, Europa schafft sich ab, einzusehen unter http://www.faz.net/ aktuell/feuilleton/postdemokratie-europa-schafft-sich-ab-11630285.html. 424 Papademos war als ehemaliger Vizechef der Europäischen Zentralbank (bis 2010) mit der Troika eng verbunden. „Seine Aufgabe sei es, das jüngste Rettungspaket für Griechenland (und den Euro) umzusetzen und die entsprechenden Reformen einzuleiten.“ Die Welt Online vom 10. November 2011, Aufschrei der Öffentlichkeit bringt Papademos ins Amt, einzusehen unter http://www.welt.de/politik/ausland/article13710195/Aufschrei-der-Oeffentlichkeit-bringt-Papademos-ins-Amt.html. 425 Seine ursprünglich bis Februar 2012 befristete Amtszeit wurde bis April 2012 verlängert, wobei ihm die Parteien „freie Hand für die Verhandlungen mit der Troika eingeräumt“ hatten. Siehe FAZ vom 6. Januar 2012, Der griechischen Regierung läuft die Zeit davon. 426 „And when you see how a situation can be turned around by one individual – get Mr Berlusconi out, you bring Mr Monti in, he’s dedicated, he couldn’t care less about his political future because he’s not interested. And he does the job.“ (Lagarde zu Expertenregierungen) – The Guardian, 25. Mai 2012, Christine Lagarde: can the head of the IMF save the euro?, http://www.guardian.co.uk/world/2012/may/25/ christine-lagarde-imf-euro. 427 Dazu K. M. Meessen, The IMF Conditionality and State Sovereignty, S. 120 ff.; A. Galano, Whether the Effects of Conditionality Have Undermined Brazil’s National
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In seiner Funktion als „Sanierer“ krisenbetroffener Staaten, der die Oberaufsicht über die Strukturreformen des Staates führt, wird dem IWF daher vorgeworfen, als eine „Beitreibungsagentur für Gläubigerforderungen“428 zu agieren. Tatsächlich verschafft ihm seine Doppelrolle als maßgeblicher Kreditgeber und „Konkursverwalter“ einen scheinbar legitimen Zugriff auf (wirtschafts)politische Entscheidungen des Schuldners. Man kann die Konditionalität insofern auch als ein Instrument politischer Herrschaft im Sinne Max Webers429 interpretieren, weil sie die Gläubiger befähigt, ihren Willen notfalls auch gegen den Willen des Volkes oder mindestens unabhängig von ihm durchzusetzen430.
II. Verbindlichkeit der Auflagen In der Regel befinden sich Staaten, die den IWF um Kredit ersuchen, in einer wirtschaftlichen Zwangslage. Ihre Wirtschaftsleistung ist oft schwach und wenig wettbewerbsfähig. Sie können nicht in ausreichender Höhe Devisen erwirtschaften und damit Liquidität bereitstellen, um ihre Auslandsschulden zu bedienen. In der Folge werden finanzielle Engpässe unvermeidbar und solche „Krisenstaaten“ sind dann permanent auf frisches Geld und damit existentiell auf immer neue Kredite angewiesen. Wenn die Gläubiger nicht mindestens teilweise auf ihre Forderungen verzichten – und ohne ein Zusammenwirken mit den entsprechenden IWF-Programmen wird das kaum je der Fall sein – droht der „ungeordnete“ Zahlungsausfall dieses Staates. Irgendwann ist eine Regierung in solchen Fällen zwischen zwei unheilvollen Alternativen gefangen: „Sie kann entweder den Staatsbankrott erklären und die Zins- und Tilgungszahlungen einstellen oder die Finanzmärkte zu besänftigen Sovereignty?, 1994, S. 340 ff.; H. Scott, in: A. Guzman/A. Sykes (Hrsg.), 2006, S. 407 f. 428 Reiner Falk beschreibt die Rolle des IWF kritisch als ein „Inkassobüro“, mit dessen Hilfe die Gläubiger den Schuldnerstaat „ins Joch“ zwängen. R. Falk, Die Reform des Internationalen Währungsfonds, S. 25. Auch David Graeber hat in seiner umfassenden Analyse der Geschichte und Gegenwart der Verschuldungsproblematik herausgestellt, dass der IWF „als der Schuldeneintreiber der Welt“ fungiere. D. Graeber, Schulden, Die ersten 5.000 Jahre, 2012, S. 8. „In diesem neuen Zeitalter des Kreditgelds […] wurden globale Institutionen wie der IWF geschaffen, die schützen sollten – aber nicht die Schuldner, sondern die Gläubiger.“ Ebenda, S. 10. 429 M. Weber, Grundriss der Sozialökonomik, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 607 ff. und S. 614. 430 Zur „Macht als das Vermögen, das Verhalten anderer zu lenken“, K. Wolprecht, Machtbegrenzungsmechanismen in Internationalen Organisationen – am Beispiel der Vereinten Nationen und der Welthandelsorganisation, 2009.
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versuchen“, regelmäßig, indem sie sich einem Kreditprogramm und damit der Konditionalität des IWF unterwirft431. 1. Gefahr der „ungeordneten Insolvenz“ In der Debatte werden häufig die Begriffe „geordnete“432 und „ungeordnete Insolvenz“ verwendet. Dabei handelt es sich zwar nicht um juristische oder ökonomische Fachtermini, doch ist es Sprachgebrauch, von „geordneter Insolvenz“ zu sprechen, wenn damit die verfahrensgeleitete Abwicklung eines Unternehmens gemeint ist, während man unter „ungeordneter Insolvenz“ dessen sofortige Zerschlagung versteht. Im Völkerrecht kommt weder die Zerschlagung eines Staates noch die „verfahrensgeleitete“ Abwicklung in Betracht, weil für Staaten (noch) kein geordnetes Insolvenzverfahren existiert (dazu unten). Übertragen auf die Ebene des Völkerrechts, versteht man unter einer „ungeordneten Insolvenz“ das Szenario eines staatlichen „Kon kurschaos“433. Ein kollabierender Staatshaushalt bringt die innere Ordnung in Gefahr; denn in der Lage ökonomischer und rechtlicher Unsicherheit entfalten sich unabsehbare Folgen, zumal soziale Verwerfungen, die im schlimmsten Fall außer Kontrolle geraten können434. Typischerweise ist dabei mit dem Zusammenbruch des gesamten Finanzsektors mit seinen Banken, privaten Versicherungen und dem staatlichen Sozialversicherungssystem zu rechnen. In diesem Fall setzt regelmäßig ein Banken-Run und eine Kapitalflucht ins Ausland ein435. Am Ende ist ein solches Staatswesen häufig nicht einmal im Stande, die Hauptaufgaben der Daseinsvorsorge zu erfüllen, wie die Gesundheitsvorsorge, die Leistungen der Sozialhilfe, die Aufrechterhaltung des Schulwesens und der Rechtspflege sowie die Auszahlung von Gehältern und Pensionen im öffentlichen Dienst.
431 K. Konrad/H. Zschäpitz, 432 Die
Schulden ohne Sühne?, S. 112. Welt vom 11. September 2011, Europa braucht ein Insolvenzverfahren für
Staaten. 433 D. Benninghoff, in: Stern vom 13. September 2011, Röslers Pleite – Griechenland und die geordnete Insolvenz. 434 Geschichtlich betrachtet hätten Staatsverschuldungen mit anschießenden Inflationen „stets in gesellschaftlichen Katastrophen geendet“. W. Lachmann, Können Staaten Pleite gehen? S. 288 (mit Verweis auf D. H. Fischer, The Great Wave. Price Revolutions and the Rhythm of History, 1996). 435 Siehe T. Pfeiffer, Zahlungskrisen ausländischer Schuldner im deutschen und internationalen Rechtsverkehr, ZVglRWiss 2003, S. 162; S. Schill, Der Völkerrechtliche Staatsnotstand: Anachronismus oder Avantgard?, 2008, S. 48; Ch. Ohler, Der Staatsbankrott, 2005, S. 592.
C. Durchsetzung der Auflagen363
Für jeden Staat ist es daher von existentieller Bedeutung, dass ihm der Zugang zu neuem Kapital niemals ganz versperrt wird436; denn im Krisenfall muss er mindestens die Möglichkeit einer Zwischenfinanzierung haben, um seine unabdingbaren staatlichen Funktionen aufrechterhalten zu können. Das Schreckensszenario437 einer „ungeordneten Insolvenz“ verleiht den Gläu bigern in Umschuldungsverhandlungen eine starke Verhandlungsmacht438; denn wenn sich ein Staat als „nicht kooperativ“ erweist, drohen ihm ökonomische Sanktionen bis hin zu der Gefahr, vom Zugang zu frischem Kapital ausgeschlossen zu werden. Der krisenbetroffene Staat muss in solchen Fällen also „zwischen zwei verschiedenen Übeln“439 wählen: entweder der (ungeordneten) Zahlungsunfähigkeit oder der Unterwerfung unter die Reformprogramme des IWF440. Das bedeutet freilich, dass er in Wirklichkeit kaum eine andere Wahl hat, als den Auflagen zuzustimmen; denn einen vollständigen Zahlungsausfall kann er schwerlich in Kauf nehmen. Die Erfüllung der Auflagen wird selbst in Notlagen immer das „kleinere Übel“441 sein. Zu berücksichtigen ist aber auch die Perspektive der Gläubiger. Wenn ein Krisenstaat seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann – und dieses 436 Nach der wirtschaftswissenschaftlichen „reputation theory“ ist das Hauptmotiv des Staates, seine Verbindlichkeiten zu bedienen oder im weitesten Sinne mit seinen Gläubigern zu kooperieren, der Umstand, dass der Staat auch in Zukunft auf den Zugang zu neuem Kapital angewiesen ist. „The only state tagt repudiates its debt is the state that never plans to borrow again“, G. Lipworth/J. Nystedt, Crisis Resolution and Private Sector Adaptation, 47 IMF Staff Papers, 2001, S. 189 f.; vgl. M. Eaton/J. Gersovitz, Debt with Potential Repudiation: Theoretical and Empirical Analysis, 1981, S. 289 f.; W. Bratton/M. Gulati, Sovereign Debt Reform and the Best Interest of Creditors, S. 14 f. 437 So etwa die Aussichten in Griechenland in den ersten zwei Jahren nach Ausbruch der Krise: „Eine unkontrollierte Insolvenz wird möglicherweise zu blinder Gewalt und Chaos führen. Deswegen muss der Bankrott verhindert werden.“ To Vima Online – Griechenland vom 13. Februar 2012, Bei Insolvenz droht ein Feuersturm, einzusehen unter http://www.eurotopics.net/de/home/presseschau/archiv/results/archiv_ article/ARTICLE100540-Bei-Insolvenz-droht-ein-Feuersturm. 438 Mit Rückblick auf die Staateninsolvenzen vor dem Jahr 1945, A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 87. 439 Vgl. zu Begriff und Wirkung der Drohung im Anfechtungsrecht, J. v. Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 10./11. Auflage, 2012, § 123 Rdn. 65 ff. 440 Für Griechenland etwa würde ohne Zustimmung zu den Auflagen der Troika die baldige Zahlungsunfähigkeit eintreten und damit eine „schwierige Situation entstehen“. Siehe Die Welt vom 18. Februar 2015, Schäuble: „Am 28. Februar, 24 Uhr, is over“, einzusehen unter http://www.welt.de/print/die_welt/article137566944/Schaeuble-Am-28-Februar-24-Uhr-is-over.html. 441 Das Angebot wird inhaltlich nicht dadurch rechtmäßig, dass es im Vergleich zur Alternative das „kleinere Übel“ darstellt (dazu unten).
364
Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
Szenario steht bei Verschuldungskrisen immer im Raum – dann bedeutet der Zahlungsausfall auch eine wirtschaftliche Bedrohung für die Gläubiger. Im Falle eines Schuldenmoratoriums müssen sie ihre Forderungen abschreiben und damit die Verluste realisieren442. Vom Zahlungsausfall unmittelbar betroffen sind meist große internationale Kreditinstitute, auch Investitions- und Hedge Fonds, welche ihren Unternehmenssitz ganz überwiegend in den G-20-Staaten haben. Weil es sich dabei meist um globale und als „systemrelevant“ eingestufte Wirtschaftsunternehmen handelt, deren Existenz der Staat bei umfassendem Zahlungsausfall nicht gefährden kann oder will, werden damit zugleich die Interessen der Heimatstaaten jener Unternehmen berührt. Diese Verknüpfung bestimmt nachhaltig die Interessenlage und Motive der Geberländer und folglich auch das Abstimmungsverhalten innerhalb des IWF, wie bereits am Beispiel Griechenlands aufgezeigt wurde. Aus Sicht der Gläubigerstaaten dient die Konditionalität daher auch dem Ziel, einen Zahlungsausfall oder ein Schuldenmoratorium zu Lasten der Gläubigerbanken zu verhindern. Aus dieser Perspektive besteht der eigentliche Zweck eines IWF-Kreditprogramms darin, die Bedienung fälliger Altschulden zu sichern (siehe oben). Die Finanzierung laufender Staatsausgaben steht aus Sicht der Gläubiger erst an zweiter Stelle. Bei einem umfassenden Zahlungsausfall, verbunden mit einem Schuldenmoratorium ist vor allem auf den Fall der letzten großen Staatsinsolvenz, den Zahlungsausfall Argentiniens im Jahr 2001, zu verweisen. Er hat die Folgen für Schuldner und Gläubiger beispielhaft vor Augen geführt443. Vor diesem Hintergrund wird eine Zahlungsunfähigkeit möglichst lange hinausgeschoben – regelmäßig mit Krediten des IWF – bis entweder ein selbsttragender Aufschwung in Gang kommt (was bei Überschuldung eines Staates kaum je der Fall ist) oder die Gläubiger die Uneinbringlichkeit ihrer Forderungen eingestehen. Schließlich befinden sie sich bei Umschuldungsverhandlungen selbst in einer „ungünstigen strategischen Lage“444 und wenn beispielsweise die Europäische Währungsgemeinschaft dem Krisenstaat 442 Dieses Szenario ist mehr noch als die Staatsinsolvenz mit erheblichen Unwägbarkeiten belastet; denn regelmäßig sind die Gläubiger der staatlichen Verbindlichkeiten und ihre Verknüpfungen mit anderen Unternehmen nicht zur Gänze transparent. Teilweise wird versucht, solche Szenarien mit sogenannten „Streßtests“ zu simulieren, etwa durch die Europäische Zentralbank. Zu den Instrumenten der Finanzstabilitätsüberwachung M. Danzmann, Das Verhältnis von Geldpolitik, Fiskalpolitik und Finanzstabilitätspolitik. Seine Implikationen für das finanzstabilitätspolitische Mandat der Zentralbank am Beispiel der Eurorettungspolitik, S. 107 f. 443 Vgl. zum Fall Argentiniens J. Isensee/P. Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V., S. 839, m. w. N. 444 C. Fuest/F. Heinemann/Ch. Schröder, FAZ vom 18. Juli 2014, Nr. 164, S. 16, Geregelt in die Staats-Insolvenz.
C. Durchsetzung der Auflagen365
droht, „die Finanzierung einzustellen“, so kann man dies auch als einen „leicht durchschaubaren Bluff“ betrachten. Diesen „Bluff“ offenzulegen, war im Jahr 2015 die griechische Regierung unter Tsipras angetreten. Seine Strategie, den Gläubigern mit ihrer eigenen Verwundbarkeit zu drohen, führte die Eurokrise bald zu einem vorläufigen Höhepunkt. 2. Faktische Verbindlichkeit der Auflagen Der Begriff der Verbindlichkeit hat sowohl eine rechtliche als auch eine faktische Komponente. Die rechtliche Verbindlichkeit stellt die Frage nach der Legalität der Rechtssätze (siehe zur Verbindlichkeit im Völkerrecht Teil 6, A). Davon zu unterscheiden ist die tatsächliche Verbindlichkeit, welche sich unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Rechtssätze nach den tatsächlichen Umständen bemisst. Ein Memorandum of Understanding entfaltet keine unmittelbare Außenwirkung, ist also de jure nicht verbindlich. Es erlangt seine rechtliche Geltung erst durch Umsetzungsakte in nationales Recht. Entscheidend für die Verbindlichkeit des Memorandums aber ist deren faktische Rechtssatzhaftigkeit. Entwickelt ein Memorandum einen selbständigen Verpflichtungscharakter oder ist es lediglich als unverbindliche Empfehlung im Sinne einer vorbereitenden konsultativen Tätigkeit zu werten? In zweiten Fall käme eine Souveränitätsbeeinträchtigung durch die Auflagen nicht in Betracht; denn eine rechtliche und faktische Verbindlichkeit würde nicht durch das Auflagenprogramm, sondern erst durch den Umsetzungsakt als selbständigen und unabhängigen Rechtsakt hergestellt. Die Beantwortung der Frage ist freilich vom Einzelfall abhängig. Im Fall Griechenlands zum Beispiel spricht für eine unabhängige parlamentarische Willensentscheidung prima facie, dass das Auflagenprogramm in vielen Bereichen so offen formuliert ist, dass es dem Parlament bis zur Finalisierung des Memorandums durch weitere Rechtsakte einen gewissen Gestaltungsspielraum lässt, insbesondere im Bereich der qualitativen Maßnahmen. Aus dem Offenheitsgrad der Auflagen (teilweise wird von „produktiver Undeutlichkeit“ gesprochen445) ist aber nicht ohne weiteres auf eine mangelnde Verbindlichkeit zu schließen. Bei den Memoranda für Griechenland handelt es sich um (Vor)Entscheidungen, die materiell so weit vorstrukturiert sind, dass sie dem Parlament zumindest keinen substantiellen Entscheidungsspielraum lassen. Zwar sind 445 Die Welt vom 27. Februar 2015, Griechische Reformliste absichtlich unbestimmt, einzusehen unter http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/ article137890123/Griechische-Reformliste-absichtlich-unbestimmt.html.
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
damit Einwirkungsmöglichkeiten des nationalen Parlaments auf die Umsetzung der Memoranda nicht gänzlich ausgeschlossen. Die komplexen Verhandlungspakete lassen sich aber kaum mehr aufschnüren; vielmehr sind die Gesetzesreformen bereits in den Memoranda normativ vorweggenommen. Auch der künftige Vollzugsverlauf ist schon in den Memoranda angelegt und durch Fristen voraussehbar bestimmt. Wie oben dargelegt besteht nachgerade der Zweck und die Wirkung der Konditionalität darin, die Schuldnerstaaten möglichst eng an die Auflagen zu binden446, um „über die auflagenorientierte Kreditvergabe [möglichst] großen Einfluss auf die Politik der Mitgliedstaaten auszuüben“447. So sind die Memoranda als „ius strictum“ in dem Sinne zu werten, dass sie Weisungen für das Parlament darstellen und zwar mit einer Zielsetzung, die ihnen von Seiten des IWF ausdrücklich zugedacht wurde und die unbedingt beizubehalten ist. Im Fall Griechenlands etwa dürfen Abweichungen ausweislich des Vertragstextes der Memoranda nur nach Rücksprache und nur mit besonderer Begründung vorgenommen werden, wobei das Parlament die besonderen Gründe darzulegen hat. Vor diesem Hintergrund kann bestenfalls von einem gebundenen Ermessen des Parlaments bei der Umsetzung der Auflagen gesprochen werden. In diesem faktischen Sinne schaffen die Memoranda of Understandig eine Verbindlichkeit, deren Wirkung nicht geringer ist, als die von Rechtssätzen. Die Auflagen regeln einen bestimmten Sachverhalt nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß. Darin liegt eine Handlungsanweisung an die Regierung und das Parlament zum „Wie“ der staatlichen Aufgabenerfüllung, also ein Sollenssatz. Insofern kann von einem Memorandum als einer Funktion externalisierter Gesetzgebung gesprochen werden, die mittels einer strengen Konditionalität verbindlich gemacht wird. Deshalb wird der IWF (wie auch die Weltbank) in der Literatur zurecht „als policy-maker“448 bezeichnet.
III. IWF-Auflagen als völkerrechtswidrige Intervention Wenn die Memoranda of Understanding unabhängig vom Willen der betroffenen Staaten mittels Konditionalität faktisch verbindlich gemacht wer446 Dazu J. Gold, The Legal Character of the Fund’s Stand-By Arrangements and why it matters, S. 36 f. 447 T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 90; G. Stratmann, Der IWF – Seine Aufsichtsund Lenkungsbefugnisse, 1972, S. 199 f. 448 Dies gilt insbesondere für die Kreditaktivitäten des IWF in Entwicklungsländern. S. Schlemmer-Schulte, Internationales Währungs- und Finanzrecht, S. 409, Rdn. 91.
C. Durchsetzung der Auflagen367
den, wirft das die Frage auf, ob die Auflagenprogramme als eine völkerrechtswidrige Intervention zu qualifizieren sind449. Das völkerrechtliche Interventionsverbot450 ist zwar als lex specialis in Art. 2 Abs. 7 UN-Charta für die Organe der Vereinten Nationen kodifiziert451. Aber obgleich der IWF eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen ist, gilt für ihn nicht Art. 2 Abs. 7 UN-Charta, sondern das allgemeine Interventionsverbot des Völkerrechts, welches als allgemeines Völkergewohnheitsrecht auch für Internationale Organisationen wie den IWF verbindlich ist452. Das Völkerrecht unterscheidet verschiedene Arten von Interventionen453. In der Literatur besteht neben allen Abgrenzungsschwierigkeiten dahingehend Einigkeit, dass eine Intervention als eine „Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates verstanden [wird], wobei diese nur dann verboten sein soll, wenn sie sich erstens in dem betroffenen Staat auf dessen ausschließlich inner- oder außerstaatliche Angelegenheiten bezieht und zweitens unter Androhung oder Anwendung von Zwang („coercion“) erfolgt“454. Dies folgt aus den Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen 2131 (XX) und 2625 (XXV)455, sowie dem Nicaragua-Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH)456. Im Nicaragua-Urteil hat der IGH ausgeführt, was unter ausschließlich innerstaatlichen Angelegenheiten zu verstehen ist, nämlich die freie Wahl, die Ausführung eines politischen, wirtschaft449 Dazu K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 93 ff.; P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 202 ff. 450 Zum Interventionsverbot im Völkerrecht A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 167 ff. 451 T. Oppermann, Intervention, S. 1436 ff.; K. Ipsen, Völkerrecht, § 57, Rdn. 51; J. Delbrück, A Fresh Look at Humanitarian Intervention under the Authority of the United Nations, 1992, S. 887 ff.; R. Gordon, United Nations Intervention in Internal Conflicts, 1994, S. 643 ff. 452 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 203 (m. w. N.). 453 Die Anwendung wirtschaftlichen und politischen Drucks fällt nach heute ganz überwiegender Meinung nicht unter den Gewaltbegriff im Sinne des Art. 2 Abs. 4 UN-Charta, obzwar wirtschaftlicher Druck vergleichbar intensive Wirkungen entfalten kann wie die Anwendung von Gewalt (G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, S. 824, § 169.) Das Interventionsverbot aus Art. 2 Abs. 1 ist im wirtschaftlichen und politischen Bereich lex specialis. A. Randelzhofer, Art. 2 (4), in: B. Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations, 2002, Rdn. 17 ff. 454 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 204. 455 Sogenannte „Friendly-Relations“-Deklaration (GA Res. 2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970), abgedruckt in: ILM, Bd. 9, 1970, S. 1292 ff. und die Deklaration zur „Inadmissibility of Intervention in the Domestic Affairs of States and the Protection of their Independence and Sovereignity“ (GA Res. 2131 (XX) vom 21. Dezember 1965), abgedruckt in: VN 1978, S. 138 ff. 456 IGH, ICJ Rep. 1986, S. 106.
368
Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
lichen, sozialen und kulturellen Systems sowie die Gestaltung der eigenen Außenpolitik. Der Begriff des Eingriffs beschränkt sich nicht auf unmittelbare Eingriffe457, sondern betrifft alle Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, den Schutzbereich der Souveränität der Staaten zu beeinträchtigen458. Ursprünglich war der Begriff des völkerrechtlichen Zwanges allein militärischer Natur459; heute umfasst er auch wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen460. Art. 32 der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (CERDS) vom 12. Dezember 1974461 stellt klar462: „No State may use or encourage the use of economic, political or any other type of measures to coerce another State in order to obtain from it the subordination of the exercise of its sovereign rights.“
Die Einwirkung des IWF wird spätestens dann problematisch, wenn die Intensität des angewandten oder angedrohten Zwanges derart hoch ist, dass sie einen krisenbetroffenen Mitgliedstaat in „existentielle Bedrängnis bringt oder die staatliche Funktionsfähigkeit als selbständiges Leitungszentrum gefährdet“463. Staaten, die den IWF um Finanzhilfe ersuchen, befinden sich zwar häufig in Finanznot, aber zunächst nicht in einer Zwangslage, die durch den Druck des IWF verursacht worden wäre. In Krisensituationen sind Anpassungen unvermeidlich und werden dem Staat unabhängig vom Einwirken 457 Bezüglich der berührten Menschenrechte gelten grundsätzlich auch solche Maßnahmen als Eingriffe, die eine Beeinträchtigung von Menschenrechten bezwecken. Zumindest verfolgen die Memoranda den Zweck, die Beeinträchtigungen zu veranlassen. Die grundrechtliche Beeinträchtigung Dritter ist eine notwendige Folge der Auflagen (siehe oben). Insofern sind die Beeinträchtigungen final bezweckt und als mittelbarer Eingriff zu qualifizieren. 458 „Nur wo die nationale Umsetzung weiter geht, also die Regelung in den jeweiligen MoU ist der Zurechnungszusammenhang unterbrochen.“ Zum Eingriffscharakter in Bezug auf die Unionsorgane A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 38. 459 U. Beyerlin, Nichteinmischung, in: Seidl-Hohenveldern, Lexikon des Rechts, Rdn. 3. 460 W. Kewenig, Die Anwendung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen im Völkerrecht, 1982, S. 7 ff.; B.-O. Bryde, Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln, 1981, S. 227 ff.; D. Dicke, Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln im Völkerrecht, Zugleich ein Beitrag zu den Fragen der wirtschaftlichen Souveränität, 1978, S. 147 ff. 461 General Assembly Resolution 3281 (XXIX), einzusehen unter http://www. un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=a/res/3281(XXIX) oder http://www.un-docu ments.net/a29r3281.htm. 462 Zur Charter of Economic Rights and Duties of States Ch. Tomuschat, Die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten, Zur Gestaltungskraft von Deklarationen der UN-Generalversammlung, ZaöRV, 1976, einzusehen unter http://www.zaoerv.de/36_1976/36_1976_1_3_a_444_491.pdf. 463 B.-O. Bryde, Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln, S. 237.
C. Durchsetzung der Auflagen369
des IWF kaum erspart bleiben464. Die IWF-Auflagen sind aber dadurch charakterisiert, dass sie politische Reformprogramme auf konkreten Druck und unter Anleitung des Fonds im betroffenen Krisenstaat durchsetzen. Das Wesen der Konditionalität besteht also darin, dass die erforderlichen Strukturreformen nicht länger allein dem betroffenen Staat anheim gestellt bleiben, sondern diese konkret, also nach Inhalt, Umfang und Zweck vorgeschrieben werden. Der hohe faktische Verbindlichkeitsgrad der IWF-Auflagen unterbindet einen autonomen Selbstbestimmungsakt und entfaltet somit eine knebelnde Wirkung, die an „Erpressung“ denken lässt465. Die Konditionalität 464 Peter Lucke unterscheidet, ob der Fonds gegenüber seinen Mitgliedstaaten Druck auf deren ökonomische Empfindlichkeiten ausübt „oder ob die Zwänge nicht bereits durch die wirtschaftliche Situation eines Landes erzeugt worden sind“, Internationaler Währungsfonds, S. 249. 465 So zu den Krediten gegenüber Griechenland, K. A. Schachtschneider, Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik, S. 165. Wenn man die Konditionalität gegenüber den Schuldnerstaaten strafrechtlich betrachtet, so liegt eine Nötigung und – sofern damit Vermögensverfügungen veranlaßt werden – auch eine Erpressung nahe. Das geschützte Rechtsgut der Selbstbestimmung des Betroffenen ist auch aus völkerrechtlicher Perspektive in Form der autonomen Willensentschließung- und Willensbetätigung, dem Recht auf Selbstbestimmung, also der Souveränität des Volkes berührt. Die Drohung des IWF mit dem Entzug der Auszahlungen der Tranchen ist kausal für die politische Zustimmung zu den Memoranda, wie sich regelmäßig im Rahmen der parlamentarischen Abstimmungen über die Rettungspakete etwa in Griechenland gezeigt hat. Die Auflagen nötigen sowohl zur Zustimmung zu den Reformgesetzen, also zu einem eigenen Handeln und weiterhin zu einem Unterlassen eigener Handlungen, nämlich der Verabschiedung von Gesetzen, welche den Auflagen zuwiderlaufen. Ob die Entscheidungen des Parlaments noch selbstbestimmt sind oder bereits eine willensbeugende Fremdbestimmung den Ausschlag gibt, ist aus dem tatsächlichen Handlungs- und Wirkungszusammenhang zu werten (H. Tröndle/T. Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 53. Auflage, 2006, § 240, Rdn. 4). Zwar ist es auch für den Straftatbestand der Nötigung nicht ausreichend, wenn lediglich eine objektive Zwangslage ausgenutzt wird (ebenda, Rdn. 5), aber mit der Konditionalität wird die Zwangslage wie oben dargestellt systematisch perpetuiert. Der IWF stellt dem Programmstaat fortlaufend und insbesondere vor jeder Entscheidung die unmittelbare Zahlungsunfähigkeit in Aussicht. Die Staatsinsolvenz würde zeitnah eintreten, wenn es der IWF unterlassen würde, die benötigten Tranchen auszuzahlen. Gegenüber den Krisenstaaten stellt der IWF also ein künftiges Übel in Aussicht, auf dessen Eintritt er als „Herr über die Kredite“ Einfluss hat und welches verwirklicht werden soll, wenn der Schuldnerstaat nicht zu der vom Fonds gewünschten Kooperation bereit ist. In Krisensituationen besteht das Übel in erster Linie in einem Unterlassen, nämlich dem Unterlassen der Auszahlung der bewilligten Tranchen im Rahmen des IWF-Programms. Während des gesamten Verfahrens ist der IWF in seiner Rolle als „gatekeeper“ in Fragen der Kreditgewährung „Herr des Geschehens“ (ebenda, Rdn. 34). Die drohende Zahlungsunfähigkeit entfaltet eine motivierende Kraft; denn sie veranlasst die betroffenen Staaten zu dem gewünschten Verhalten, das heißt der Zustimmung zu den Auflagen. Grundsätzlich ist dabei die „Wirkung der Drohung auf den Bedrohten“ entscheidend (ebenda Rdn. 34). Die gravierenden Folgen eines ungeordneten Zahlungsausfalls in Kauf zu nehmen, ist
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Teil 4: Konditionalitätspolitik des IWF
der Memoranda of Understanding ist insofern als Eingriff zu qualifizieren466. Das aus der Souveränität der Staaten abgeleitete völkerrechtliche Interventionsverbot lässt souveränitätsdurchbrechende Maßnahmen, wie sie sich der IWF im Zuge der Konditionalität anmaßt, nicht zu467.
nicht zumutbar; denn es kann nicht erwartet werden, dass der Staat der Drohung standhält und sich sehenden Auges einer ungeordneten Staatsinsolvenz anheim gibt. Die Drohung mit der Nichtauszahlung der Tranchen ist zu dem angestrebten Zweck, nämlich der Implementierung der Auflagen, verwerflich im Sinne einer Mittel-ZweckRelation (zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Konditionalität, siehe unten), weil der Zweck der Konditionalität gerade darin besteht, eine autonome Willensbildung des Parlaments zu unterbinden, um auf diese Weise die Willensbildung des betroffenen Mitgliedstaats in die vom Fonds gewollte Richtung zu lenken. Die Vermögensverfügung besteht im Übrigen darin, dass die Kredite in der Regel zum Großteil dazu verwendet werden müssen, die Forderungen der Kreditinstitute großer Geberstaaten zu befriedigen, in Griechenland etwa, um den Euro als Währung zu retten, welcher (vermeintlich) dem Vorteil der Gläubigerstaaten, etwa Deutschland „die größten wirtschaftlichen Vorteile bringt“. 466 Peter Lucke dagegen will „die staatliche Haushalts- und Finanzpolitik kaum mehr zum selbstverständlichen Eigenbereich“ rechnen, Internationaler Währungsfonds, S. 205. 467 Vgl. W. Engshuber, Die Auflagenpolitik des Internationalen Währungsfonds aus rechtlicher Sicht, S. 29 ff.
Teil 5
Demokratisches Prinzip als legitimatorische Grenze A. Wesensgehalt des demokratischen Prinzips Wie oben dargestellt, bietet das IWF-Übereinkommen zwar keine hinreichende rechtliche Befugnis für die Konditionalitätspolitik des IWF; völkerrechtliche Verträge lassen sich jedoch ändern. So wird seit Beginn der achtziger Jahre gefordert, das IWF-Übereinkommen an die Verfahrenspraxis der Kreditvergabe anzupassen, also das Mandat des IWF formal zu erweitern, um die sogenannte „mission creep“ zu schließen. Aber inwieweit lässt sich die Konditionalität des IWF – jenseits von formalen Ermächtigungsgrundlagen – völkerrechtlich überhaupt legitimieren? Oder ganz grundsätzlich: Wo setzt die staatliche Souveränität dem Wirken internationaler Organisationen Grenzen? Diese Fragen zwingen zu grundsätzlichen völker- und staatsrechtlichen Überlegungen. Am Beispiel des Kreditprogramms gegenüber Griechenland soll untersucht werden, ob und in welchem Maße Auflagen, die auf bestimmte strukturpolitische Reformen des betroffenen Staates abzielen, überhaupt mit dem Grundsatz der staatlichen Souveränität und – der begriffliche Zusammenhang wurde bereits hergestellt – dem demokratischen Prinzip vereinbar sein können. Zu bedenken ist, dass die rechtliche Problematik der Konditionalität über die Auflagenpolitik des IWF hinaus geht und das völkerrechtliche (Schuld) Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldnern im Grundsätzlichen berührt. Es betrifft in wesentlichen Teilen auch die anderen Mitglieder der Troika, namentlich die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank sowie den Europäischen Rettungsmechanismus (ESM). In Ausübung ihrer jeweiligen Aufgaben sind sie ebenfalls der Souveränität der Staaten und dem demokratischen Prinzip verpflichtet.
I. Die Verfassungsidentität des Staates Der Kontrollmaßstab, der an die Politik des IWF anzulegen ist, materialisiert sich im Grundsatz aus der Logik der Formalität der Freiheit. Das heißt: Die Ermächtigung des IWF zur legitimen Durchsetzung und Kontrolle von Kreditprogrammen findet ihre Grenze in der völkerrechtlichen Souveränität
372
Teil 5: Demokratisches Prinzip als legitimatorische Grenze
seiner Mitgliedstaaten. Diese wiederum wird im Wesentlichen durch das demokratische Prinzip bestimmt; denn wie oben ausgeführt, ist die Volkssouveränität, also die Selbstbestimmung des Volkes, mit dem demokratischen Prinzip identisch1. Sie ist verletzt, wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung eines Mitgliedstaates – das Bundesverfassungsgericht spricht von demokratischer Verfassungsidentität2 – missachtet wird. Für die Handlungen des IWF bedeutet das: Die Grenze der Souveränitätsverletzung verläuft dort, wo die Einflussnahme des IWF die existentielle Staatlichkeit, also die (demokratische) Verfassungsidentität des Mitgliedstaates, angreift. Der substantielle Kern des völkervertraglich nicht definierten Demokratiebegriffs3 ist der allgemeine Wille des Staatsvolkes, welcher sich in einer autonomen Gesetzgebung äußert. Das demokratische Prinzip, das sich formal in einem verfassungsgerechten Willensbildungsverfahren verwirklicht4, bildet den Maßstab, an welchem die Legitimation politischer Entscheidungen – national und international – zu messen ist.
1 „Kern des Demokratieprinzips ist das Selbstbestimmungsrecht.“ A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 629. 2 So zum Beispiel BVerfGE 123, 267, Rn. 208, 240, 340. 3 Das Bundesverfassungsgericht hat die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung definiert, „die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“ – BVerfGE 2, 1 (12 f.); 5, 85 (140); 44, 125 (145). 4 „Dort wo letzte Gründe nicht mehr konsensfähig mobilisiert werden können, muss zur Legitimierung von politischen Ordnungen auf die formalen Bedingungen, die Prozeduren vernünftiger Einigung, zurückgegriffen werden. Es ist nicht der Konsens selbst, der diese legitimierende Kraft erhält, sondern die Prozeduren möglicher Konsensbildung.“ G. Palazzo, Über die Theorie deliberativer Demokratie von Jürgen Habermas, S. 44. Vgl. auch J. Habermas, Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, S. 278; siehe dazu auch N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1983, insbesondere S. 38 ff.; zum partizipatorisch-deliberativen Demokratiebegriff auch A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 660 ff.
A. Wesensgehalt des demokratischen Prinzips373
II. Ökonomische Sachzwänge in Wirtschaftskrisen Zunächst ist auf einen Einwand einzugehen, der in der Diskussion um die Konditionalität immer wieder vorgebracht wird, nämlich die angebliche Alternativlosigkeit politischer Entscheidungen in den Programmstaaten. Freilich sind die Handlungsmöglichkeiten, welche die Hoheit des Staates ausmachen5, in wirtschaftlichen Krisensituationen erheblich eingeschränkt und dies gilt umso mehr, wenn der öffentliche Haushalt durch Zins- und Tilgungszahlungen massiv vorbelastet ist6. Insbesondere sind Entscheidungen, ob und in welcher Höhe der Staat weitere Überbrückungskredite in Anspruch nehmen kann, seiner Hoheit und damit seiner souveränen Bestimmung entzogen. Knappe finanzielle Ressourcen erzeugen Sachzwänge, welche den haushaltspolitischen Dispositionen Grenzen setzen und den politischen Handlungsspielraum limitieren. Auch ist es unbestritten, dass die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen regelmäßig von strukturellen Reformen begleitet werden muss. Doch obgleich die wirtschaftlichen Optionen erheblichen Einschränkungen unterliegen, sind die politischen Handlungsmöglichkeiten keinesfalls auf Null reduziert. Gerade in Krisensituationen bestehen in fiskalisch relevanten Bereichen bedeutende politische Entscheidungsspielräume, deren Wahrnehmung gerade die Souveränität des Staates und die Aufgabe des Parlaments auszeichnen. Akute Verschuldungskrisen machen neben meist gebotenen strukturellen Reformen grundlegende wirtschaftspolitische Richtungsentscheidungen dringlich, schon gar zur Frage der richtigen Währungs- und Zinspolitik sowie zum Umgang mit den bestehenden Verbindlichkeiten, wie der Fall Griechenland beispielhaft vor Augen führt. Regelmäßig sind Entscheidungen zu treffen, die Weichen für die langfristige Wirtschaftspolitik und damit für den zukünftigen Wohlstand des Volkes stellen. Dabei sind häufig schwer kalkulierbare und kaum reversible Folgewirkungen zu bedenken, die selbst nachfolgende Generationen binden7.
5 K. A.
Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 51. ist die Materialität der gesetzlichen Maßnahmen von den finanziellen Verhältnissen abhängig. K. A. Schachtschneider, Politisch korrektes Recht, Rechtsprechung, Rechtsbewußtsein?, S. 83. 7 Dieter Grimm erkennt eine grundsätzliche Gefahr für die Demokratie darin, dass „unter Ausblendung der Zielfrage heute Entscheidungen“ getroffen würden, „die morgen Folgezwänge entfalten und die Antwort auf die Zielfrage präjudizieren“. Europa ja – aber welches?, Zur Verfassung der europäischen Demokratie, 2016, S. 28. 6 Dementsprechend
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Teil 5: Demokratisches Prinzip als legitimatorische Grenze
1. Entscheidungsfindung in der Demokratie: Verfahren der Erkenntnis des Richtigen Insbesondere wirtschaftliche Krisen stellen den Staat, also das Volk und in dessen Vertretung das Parlament und die Regierung vor die Aufgabe, die richtigen politischen Antworten auf die Krisensituation zu erkennen und umzusetzen. Die Frage der Richtigkeit der Maßnahmen ist im Grundsatz eine Frage der praktischen Vernunft8 und diese ist als solche erkennbar, also objektiv9. Gleichwohl existiert für die Frage nach der Richtigkeit politischer Maßnahmen kein materieller Maßstab; denn Richtigkeit ist eine von jeder Materie unabhängige kognitivistische Erkenntnis10, eine Formalität also11. Die Formalität gewährleistet die Richtigkeit12 und das bedeutet, dass die Richtigkeit nicht in einer bestimmten Politik angelegt ist, sondern dass sie durch das rechtsstaatliche Erkenntnisverfahren indiziert wird13. Allein im Rahmen 8 Dazu K. Kastendieck, Der Begriff der praktischen Vernunft in der juristischen Argumentation, Zugleich ein Beitrag zur Rationalisierung und ethischen Legitimation von rechtlichen Entscheidungen unter Unsicherheitsbedingungen, 2000, S. 228. 9 K. A. Schachtschneider, Politisch korrektes Recht, Rechtsprechung, Rechtsbewußtsein?, S. 81 ff.; zur Frage der Richtigkeit als relativem Begriff R. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 109 und S. 124 ff.; zur Richtigkeit als „Optimierungsprodukt“, das in einem rationalen Entscheidungsprozess erreicht werden muss auch Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 646 ff. 10 K. A. Schachtschneider, Politisch korrektes Recht, Rechtsprechung, Rechtsbewußtsein?, S. 85; zu Legitimation der Staatsgewalt aus der Funktion des Rechts als ein Anstreben von Richtigkeit siehe W. Maihofer, Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, 1981, S. 15 ff. 11 „Prinzipiell können richtige Gesetze das Urrecht der gleichen Freiheit aller nicht verletzen, aber die Richtigkeit ist eine Frage der Formalität.“ K. A. Schachschneider, Freiheit in der Republik, S. 291, auch S. 428 ff. u. ö. (Die demokratische Erkenntnis ist also material nicht gebunden.) Die Formalität des Rechts verwirklicht das Vermögen des Menschen zur vernünftigen Praxis. Die Formalität ist damit selbst ein „Ausdruck der Subjekthaftigkeit/der Persönlichkeit aller Bürger, der Würde des Menschen“. Siehe K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 291. [Richtigkeit steht in enger Verbindung zum Recht; denn jede gesetzliche Entscheidung erhebt Anspruch auf Richtigkeit. Vgl. R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 2002, S. 64 f. 12 Rudolf von Jhering erkannte im 19. Jahrhundert „die Form“ als „die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit“, Geist des römischen Rechts Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Teil 2, 1858, S. 471 f. 13 BVerfGE 5, 85 (199); nach John Rawls gewährleistet vor allem das faire Verfahren die Richtigkeit, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 19 ff. Die „institutionelle Ausdifferenzierung von Organisation und Verfahren ist insoweit eine Antwort auf die Begrenztheit menschlicher Erkenntnis und die Relativität von Gemeinwohl“. K. Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung, S. 245. Der
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dieses Verfahrens können die Kriterien des „Richtigen“ identifiziert, definiert und konsentiert werden. Das demokratische Verfahren hat die Aufgabe, Gesetze hervorzubringen, welchen alle Bürger zustimmen können, „weil sie das gute Leben aller in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bezwecken14, niemanden diskriminieren und niemanden privilegieren, im Sinne der Sachlichkeit die allgemeine Gleichheit wahren, eben praktisch vernünftig sind“15. Auf diesem Zweck der Vernunft beruhen Legitimation und Verbindlichkeit demokratischer Entscheidungen. 2. Diskurs zur Frage des Richtigen Grundlage des demokratischen Erkenntnisverfahrens ist die Selbstbestimmtheit des Volkes, also der Anspruch, unabhängig und frei von fremder Willkür die eigenen Interessen zu erkennen und wahrzunehmen. Die Erkenntnismethode des demokratisch verfassten Staates ist der öffentliche Diskurs16, das heißt der „allseitige und gelungene Diskurs um das Richtige“17, an welchem mitzuwirken alle Bürger die Möglichkeit haben müssen18. Auf ihm beruht die legitimatorische Wirkung und damit die allgemeine Verbindlichkeit, welche die Beschlüsse entfalten. Der öffentliche Diskurs um (normative) Richtigkeit und (empirische) Wahrheit19 setzt eine „ständige freie Auseinandersetzung zwischen sich beWesensgehalt des Freiheitsprinzips ist verletzt, „wenn die allgemeine Willensautonomie prozedural verletzt wird“. K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 436; P. Kirchhof, HStR, Bd. V, § 124, Rdn. 235 ff. 14 Zu diesem Staatszweck K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 6 ff., 9 ff., 15 ff.; ders., Res publica res populi, S. 567 ff., 978 ff., 990 ff. 15 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 94. 16 Zur Diskurstheorie J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 2. Band, 2011, S. 113 ff.; ders., Faktizität und Geltung, S. 109 ff.; dazu A. EmmerichFritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 486 f.; K. Kastendieck, Der Begriff der praktischen Vernunft, S. 169 ff.; R. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 94 ff., 109 ff. Vgl. zu der von Kant vorgedachten „demokratischen Notwendigkeit einer frei räsonierenden Öffentlichkeit“ auch J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, 1990, S. 178 ff. 17 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 428; zur Richtigkeit auf der Grundlage eines rationalen Diskurses J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 151 ff., 272 ff., 626 ff.; zur prozeduralen Rationalität R. Alexy, Recht Vernunft, Diskurs, S. 230 f. 18 K. A. Schachtschneider, Politisch korrektes Recht, Rechtsprechung, Rechtsbewußtsein?, S. 86. 19 Vgl. K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 442 ff., 655 u. ö. Die Vertretung des ganzen Volkes „lässt sich nur diskursiv verwirklichen, als größtmögli-
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gegnenden sozialen Kräften, Interessen und Ideen voraus, in der sich auch politische Ziele klären und wandeln und aus der heraus eine öffentliche Meinung den politischen Willen vorformt“20. Der allgemeine Diskurs verlangt die Öffentlichkeit21, weil ohne Transparenz die richtigen Gesetze nicht hervorgebracht werden können22. Er wird im Parlament stellvertretend für das Volk zu Beschlüssen geführt23. Nur dort, wo ein verständigungsorientierter „praktischer Diskurs“24 stattfindet, können die Vertreter des ganzen Volkes das Richtige für alle verbindlich erkennen25. Dass ein empfohlenes Gesetz im „allgemeinen Interesse“ ist und „soziale Geltung“ haben soll, kann „nur in Gemeinschaft mit allen übrigen“ gewährleistet werden26. Daher soll der Diskurs „die Vertreter des ganzen Volkes zur Erkenntnis der richtigen Politik des Volkes führen, die im Allgemeinen Gesetz ihre für das ganze Volk verbindliche Form findet“27. 3. Das Gebot parlamentarischer Verantwortung In der Republik ist die Gesetzgebung, also die Erkenntnis des gemeinsamen Willens des Volkes, grundsätzlich einer formalen Organisationsstruktur übertragen, im Wesentlichen dem Parlament, welches als Bürgerkammer die che Mühe aller Abgeordneten um die bestmögliche Erkenntnis des Wahren und Richtigen, des Seins und des Sollens.“ Ders., Politisch korrektes Recht, Rechtsprechung, Rechtsbewußtsein?, S. 87 f. 20 „Demokratie setzt eine ständige freie Auseinandersetzung zwischen sich begegnenden sozialen Kräften, Interessen und Ideen voraus, in der sich auch politische Ziele klären und wandeln und aus der heraus eine öffentliche Meinung den politischen Willen vorformt. Dazu gehört auch, dass die Entscheidungsverfahren der Hoheitsgewalt ausübenden Organe und die jeweils verfolgten politischen Zielvorstellungen allgemein sichtbar und verstehbar sind.“ BVerfGE 89, 155 (185). Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet diese Faktoren als „vorrechtliche Verfassungsvoraussetzungen“. BVerfGE 89, 155 (185); BVerfGE 97, 350 (369); Colin Crouch spricht von „Vorannahmen“, Postdemokratie, 2008, S. 9. Diese vorrechtlichen Verfassungsvoraussetzungen werden jedoch von Art. 38 Abs. 1 GG „nicht grundrechtsgleich gewährleistet.“ – BVerfGE 97, 350 (78). 21 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 602 ff. 22 Das Transparenzgebot ist auch ein Gebot der Rückkoppelung der politischen Entscheidungen. Ohne Transparenz des politischen Handelns geht die klare Zuordnung von Entscheidungen verloren. Damit sind die Verantwortungszusammenhänge für den Bürger kaum greifbar. 23 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 584 ff., 637 ff., 707 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 427 ff., 609 ff. 24 K. A. Schachneider, Res publica res populi, S. 599. 25 J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 2. Band, S. 113, 132 ff. 26 Ebenda, S. 145. 27 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 585.
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Öffentlichkeit institutionalisiert28. Als Legislativorgan hat es die Aufgabe29, das „Recht als Erkenntnis des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit“ in Form allgemeiner Gesetze stellvertretend für die Bürger hervorzubringen30. Darin verwirklicht sich der allgemeine Wille und somit das allgemeine Wohl. Nach dem Prinzip der repräsentativen Erkenntnis31 bringen die Vertreter des Volkes nicht ihren eigenen Willen zur Geltung, sondern verwirklichen die ihnen obliegende Erkenntnisaufgabe im Namen und im Auftrag der Bürger32. Der Wille des Parlaments entspricht also strukturell dem Willen des Volkes und ist das abstrakte Ergebnis des Gesamtwillens, welcher sich formal durch Abstimmungen gemäß der Mehrheitsregel materialisiert33.
28 J. Habermas, Zur Kritik an der Geschichtsphilosophie, in: ders., Kultur und Kritik, 1973, S. 358; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 210. Das Parlament ist „die freie republikanische Institution der Verwirklichung der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aller“ (S. 213). 29 „Jede wirkliche Gesetzgebung ist repräsentative Erkenntnis des Rechts, sei sie unmittelbar oder mittelbar demokratisch, plebiszitär vom Volk selbst oder im engeren Sinne repräsentativ von den Organen des Volkes, etwa der parlamentarischen Legislative, verabschiedet.“ K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 52. Das Parlament ist die „repräsentative Identität des Volkes“. Zur Problematik der Begriffe Identität und Repräsentation K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 662 ff., 735 ff., 763 ff., auch S. 101 ff., 142 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 6. Aufl. 2003, S. 257 ff. 30 Zu diesem Staatszweck: K. A. Schachtneider, Freiheit – Recht – Staat, S. 679; ders., Res publica res populi, S. 350 ff., 573 ff., 617 ff., 990 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 5, 6 f.; ders., Freiheit in der Republik, passim. 31 Das Prinzip der repräsentativen Erkenntnis wird am Beispiel des Richters deutlich, der „im Richterspruch nicht seinen Willen, sein Gesetz, zur Geltung zu bringen, sondern das Gesetz des Volkes anzuwenden, zu erkennen [hat], welche Erkenntnis und Entscheidung dem Gesetz entspricht.“ K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 111; dazu vertiefend ders., Res publica res populi, S. 584 ff.; Freiheit in der Republik, S. 154, 164 f. 32 Die Erkenntnis, welche der öffentliche Diskurs hervorbringt, repräsentiert die Erkenntnis der Bürgerschaft. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 603. Der Beschluss der Mehrheit der Volksvertreter im Parlament „substituiert die Einigkeit der Bürger“, weil das Organ entscheidet. Ebenda, S. 637 f., 715 ff. Nach Jürgen Habermas beruht die objektive Intention der Öffentlichkeit auf der Idee, „die Tätigkeit des Staates durch öffentliches Räsonnement mit dem Interesse der Nation, faktisch mit dem bürgerlichen Klasseninteresse in Übereinstimmung zu bringen.“ Zur Kritik an der Geschichtsphilosophie, S. 358. 33 C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 1923, 4. Aufl. 1969, S. 41 ff.; ders., Legalität und Legitimität, 1932, 7. Aufl. 1998, S. 20 ff.
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4. Existentielle Staatlichkeit Das demokratische Prinzip gebietet, dass das Parlament alle wesentlichen, schon gar grundrechtsrelevanten Bereiche selbst verantwortet, gegebenenfalls sogar Detailentscheidungen trifft (Wesentlichkeitstheorie)34. Das Völkerrecht spricht komplementär von der „domaine réservé“, dem Schutzbereich substantieller innerer Angelegenheiten, die ausschließlich der Regelungshoheit der Staaten vorbehalten sind35. Dieser Grundsatz setzt nicht nur der Über tragung von Hoheitsrechten, sondern jeder Ausübung von Kompetenzen außerhalb des Parlaments Grenzen36. Das Prinzip der „repräsentativen Volks herrschaft“37, verbürgt durch die Wahlgrundsätze, ist verletzt, wenn die Rechte des Parlaments derart eingeschränkt werden, dass ein wesentlicher Substanzverlust demokratischer Gestaltungsmacht eintritt38. Dies betrifft insbesondere Sachbereiche, welche die Lebensumstände der Bürger nachhaltig und unmittelbar prägen, vorrangig die „fiskalischen Grundentscheidungen über Einnahmen und Ausgaben“, also den Bereich der Entstehung und Verwendung des Staatseinkommens39, das heißt die Budgethoheit.
III. Verletzung des demokratischen Prinzips durch die Memoranda of Understanding Die Konditionalitätspolitik entfaltet ihre Wirkung auf das innerstaatliche Gefüge und stellt die gesamte Institution demokratischer Gewaltenteilung in Frage. 34 „Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen.“ BVerfGE 83, 130 (142); näher zur sogenannten Wesentlichkeitslehre K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 116 f.; ders. auch, Freiheit in der Republik, S. 420 ff., 526 u. ö. 35 Siehe dazu die grundlegende Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes (IGH) im Nicaragua-Fall (ICJ Rep. 1986, S. 14, Rdn. 205). 36 Dem Parlament müssen „Aufgaben und Befugnisse von substantiellem politischem Gewicht verbleiben“. So mit Blick auf die Übertragung von Hoheitsrechten von der nationalen auf die europäische Ebene BVerfGE 89, 155, Rn. 102; BVerfGE 123, 267 Rn. 246. Die Regierung darf lediglich „ausführungshaft“ agieren. Vgl. K. A. Schachtschneider, Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik, S. 246. 37 BVerfGE 123, 267, (341). 38 Vgl. ebenda. 39 Diese Gestaltungsmacht betrifft grundsätzlich alle Positionen auf dem Einkommenskonto des Staates, wie Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und die staatlichen Faktoreinkommen; auf der Ausgabenseite sämtliche Transferzahlungen und den staatlichen Eigenverbrauch. In verschuldeten Staaten kommt meist den Transferzahlungen im Sozialbereich eine besondere Bedeutung zu.
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1. Budgethoheit des Parlaments: Beispiel Griechenland Der IWF verfolgt mit der Kontrolle der Haushaltsentscheidungen das Ziel einer „Verbesserung der Einnahmen-Ausgaben-Relation in den unterstützten Ländern“40. Um die staatlichen Einnahmen zu steigern, haben der IWF und die übrigen Mitglieder der Troika Griechenland zahlreiche fiskalpolitische Maßnahmen41 auferlegt. Für das Haushaltsjahr 2011 wurden beispielsweise gefordert42: •• Erhöhung der Umsatzsteuer (im Haushaltsjahr 2010 um 0,3 % des BIP entsprechend 800 Mio. Euro zusätzlichem Steueraufkommen, im Jahr 2011 um 0,8 % oder 2000 Mio. Euro und im Jahr 2012 nochmals um 0,1 %, entsprechend einer Erhöhung des Steueraufkommens um weitere 300 Mio. Euro), •• Erhöhung der Verbrauchssteuer um 700 Mio. Euro, •• Erhöhung der Einkommenssteuer um 200 Mio. Euro, •• Erhöhung der Umweltsteuer um 300 Mio. Euro, •• Erhöhung der Unternehmenssteuer um 1400 Mio. Euro, •• Erhöhung der Spielsteuer um 700 Mio. Euro und •• Erhöhung der Grundsteuer um 900 Mio. Euro. Auch zur Reduzierung der Ausgaben forderte die Troika detaillierte Maßnahmen, hier beispielhaft aus dem Memorandum of Understanding für das Haushaltsjahr 2012: •• Personalabbau und Kürzung der Bezüge im öffentlichen Dienst in Höhe von mindestens 600 Mio. Euro, •• Pensionskürzungen in Höhe von mindestens 250 Mio. Euro, •• Deckelung der Arbeitslosenunterstützung in Höhe von mindestens 500 Mio. Euro, •• Umsetzung des sogenannten „Kalikates-Plans“ in Höhe von mindestens 500 Mio. Euro, 40 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 285. 41 Das primäre Ziel der Fiskalpolitik besteht darin, hinreichende Einnahmen zu erzielen, um damit alle staatlichen Ausgaben finanzieren zu können. Daneben verfolgt sie Verteilungsziele. Zur Definition der Fiskalpolitik, M. Danzmann, Das Verhältnis von Geldpolitik, Fiskalpolitik und Finanzstabilitätspolitik. Seine Implikationen für das finanzstabilitätspolitische Mandat der Zentralbank am Beispiel der Eurorettungspolitik, S. 47 ff.; D. Brümmerhoff, Finanzwissenschaft, 2007, S. 7. 42 Vgl. dazu die Tabelle „Fiskalische Konditionen aus dem SBA für Griechenland“, S. 201.
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•• Rückführung der Investitionen in Höhe von mindestens 500 Mio. Euro und •• Kürzung der Zahlungen an öffentliche Einrichtungen in Höhe von mindestens 800 Mio. Euro. Die Auflagenprogramme enthalten sowohl mittel- als auch langfristige Einnahmen- und Einsparungsverpflichtungen und erstrecken sich auf fast alle Bereiche der Fiskalpolitik. Ihre Auswahl und Gewichtung dient erkennbar dem wirtschaftsliberalen Ziel einer effizienten Allokation begrenzter Ressourcen43 und damit dem makroökonomischen Konzept des IWF. In ihrer Gesamtheit konstituieren die Zielgrößen des Memorandums ein politisches Programm, welches in seiner Regelungsdichte die Funktion eines staatlichen Haushaltsplans erfüllt. Die darin getroffenen materiellen Vorentscheidungen44 sollen zu strukturellen Reformen in Griechenland anleiten. Die Einsparungsvorgaben der Memoranda of Understanding führen nach Art und Umfang zu einer massiven Beeinträchtigung der Haushaltsautonomie des betroffenen Mitgliedstaates. Auflagen und Kontrollen über die Einhaltung der Zielkriterien unterwerfen den Staat einer umfassenden Wirtschaftsaufsicht45, welche an den Grundsätzen des Washington Consensus orientiert ist46. In diesem Sinne kommen die Memoranda einer „haushaltlichen und damit wirtschaftspolitischen Sequestration der Verfassungsorgane der hilfebedürftigen Staaten“ gleich47.
43 Kritisch zum Begriff der optimalen Allokation als Zustand vollkommener Konkurrenz auf allen Märkten K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 283; zum optimalen Faktorensatz im Einzelnen vgl. J. Donges/A. Freytag, Allgemeine Wirtschaftspolitik, S. 126 ff. 44 Siehe H. Dreier, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, S. 59, 101. 45 So auch K. A. Schachtschneider. Die strengen Auflagen erinnerten an die Bismarck’sche Reichsaufsicht. Nach Art. 4 der Reichsverfassung von 1871 war „dem Reich in der Praxis gegenüber den Ländern jedwede Maßnahme erlaubt, welche vom Reichswohl gefordert war“. Ders. in: W. Hankel/K. A. Schachtschneider/W. Nölling/ J. Starbatty, Das Euro-Abenteuer geht zu Ende, S. 171. 46 „Der Einfluss greift direkt: der Respekt vor nationalstaatlicher Souveränität beschränkt sich auf die Beachtung diplomatischer Verkehrsformen, inhaltlich unterwerfen sich die Partnerstaaten einheitlichen politischen Bedingungen.“ R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskredit abkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 270. 47 Ebenda.
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a) Bezug zu den Menschenrechtstexten Die Ausgaben im Sozialbereich sind in demokratischen Staaten meist der größte Budgetposten des Staatshaushaltes. Aus diesem Grund nehmen die Sanierungsauflagen diesen Bereich besonders in den Blick. Sie reformieren Regelungen zu Gehältern, Löhnen, Renten, Pensionen und Sozialhilfen und treffen wesentliche Entscheidungen in Bezug auf die Einkommens- und Vermögensverteilung. Damit wirken sie in alle Lebensbereiche hinein, inter alia in die Sozial-, Arbeitsmarkt-, Renten- und Gesundheitspolitik. In der Literatur wird diskutiert, ob bestimmte Menschenrechtsverträge einer Implementierung der Memoranda of Understanding material entgegenstehen48. Schließlich setzen die Memoranda den Bürger erheblichen Eingriffen in seine Lebensumstände aus und berühren ihn in seinem Anspruch auf soziale Sicherheit. Nach herrschender Lehre sind Menschenrechte strukturell nicht in der Lage, subjektive Grundrechtspositionen mit Anspruchscharakter zu begründen. Gleichwohl berühren die Memoranda internationale Menschenrechtskonventionen49. Beispielsweise schützen Art. 6 bis 8 IPwskR das Arbeitsleben, insbesondere die Berufsfreiheit, die Tarifautonomie und den Anspruch auf ein gerechtes Arbeitsentgelt. Die Expertenkommission der International Labor Organization (ILO)50 erkennt in den Memoranda of Understanding einen Rückbau von Arbeitnehmerrechten und kritisiert die Memoranda of Understanding für Griechenland als schwerwiegenden Eingriff in die Tarifautonomie51. 48 Zu den einzelnen Menschenrechten, die durch Tätigkeit des IWF (und der Weltbank) tangiert sind, siehe R. Abouharb/D. Cingranelli, Human Rights and Structural Adjustment: The Impact of the IMF and World Bank, 2007, S. 133 ff. 49 A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 24. 50 Siehe zur Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 778 ff. 51 „The commitments undertaken by the Government in this framework, and in particular as set out in Act No. 3845 based on the May 2010 Memoranda, have been translated into a series of legislative interventions in the freedom of association and collective bargaining regime which raise a number of questions in particular with regard to the need to ensure the independence of the social partners, the autonomy of the bargaining parties, the proportionality of the measures imposed in relation to their objective, the protection of the most vulnerable groups and finally, the possibility of review of the measures after a specific period of time. […] The High Level Mission understands that associations of persons are not trade unions, nor are they regulated by any of the guarantees necessary for their independence. The High Level Mission is deeply concerned that the conclusion of ‚collective agreements‘ in such conditions would have a detrimental impact on collective bargaining and the capacity of the trade union movement to respond to the concerns of its members at all levels, on existing employers’ organizations, and for that matter on any firm basis on which
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Teil 5: Demokratisches Prinzip als legitimatorische Grenze
Andreas Fischer-Lescano hat die Maßnahmen der Troika im Hinblick auf die Grund- und Menschenrechtskonformität der Auflagen gegenüber Griechenland untersucht und gelangt zu der Auffassung, dass die Maßnahmen zur Herabsetzung des Mindestlohns, Kürzung von Gehaltsansprüchen, Sanktionierung Arbeitsuchender, Kürzung des Arbeitslosengeldes, Absenkung von Kündigungsschutzvorschriften und zu Einschränkungen der Tarifautonomie den Schutzbereich verschiedener Menschenrechtsverträge berühren52: •• Arbeit53: Art. 27 bis 32 GRCh, Art. 1 bis 6, 24 RESC, Art. 6 bis 8 UNSozialpakt, Art. 11 EMRK und ILO-Core Labour Standards. •• Soziale Sicherheit54: Art. 34 GRCh, Art. 12 und 13, RESC, Art. 9 und 11 UN-Sozialpakt, sowie Art. 2, 3, 8, 14 EMRK. •• Gesundheit55: Art. 35 GRCh, Art. 11 RESC, Art. 12 UN-Sozialpakt, Art. 2, 3, 8 EMRK. •• Bildung: Art. 14 GRCh, Art. 9, 10 RESC, Art. 13 UN-Sozialpakt. •• Eigentum56 (durch Entwertung von Erwerbsansprüchen, etwa Rentenkürzungen, Erhöhung des Renteneintrittsalters): Art. 17 GRCh, Art. 1 AP I EMRK. •• Verstoß gegen die Niveausicherungsklausel des Art. 53 GRCh durch die EU-Organe, die hier im Hinblick auf den UN-Sozialpakt zur Anwendung kommt. social dialogue may take place in the country in the future.“ ILO, Report on the High Level Mission to Greece, Athen (19.–23.09.2011), Ziff. 304 ff. 52 Siehe zum menschenrechtlichen Verletzungspotential durch Eingriffe in die staatliche Souveränität C. Janik, Die Bindung Internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards, S. 122 ff.; M. Darrow, The World Bank, the International Monetary Fund and International Human Rights Law, S. 104. 53 Zur Dogmatik des Rechts auf Arbeit, auch mit Blick auf die menschenrechtlichen Texte (Art. 23 Nr. 1 AEMR; Art. 6 Abs. 1 IPwsktR; Art. I Ziff. 1 Europäische Sozialcharta 1961) K. A. Schachtschneider, Recht auf Arbeit – Pflicht zur Arbeit, S. 827 ff. 54 Zur Verarmung in Griechenland durch Austeritätsmaßnahmen FAZ vom 28. Oktober 2014, Unicef-Studie: 2,6 Millionen Kinder leben wegen der Finanzkrise in Armut. 55 Auflagen im Bereich Gesundheit, etwa Behandlungskosten, Medikamente und ärztliche Versorgung, berühren Art. 25 UN-Behindertenkonvention und in Art. 12 UN-Sozialpakt. „Die Gewährleistungspflicht nach dem UN-Sozialpakt bezieht sich auf „the provision of a public, private or mixed health insurance system which is affordable for all.“ Siehe CESCR, General Comment No. 14 (2000), UN Doc E/C.12/2000/4, Rdn. 36. 56 Zur Dogmatik des Rechts auf Eigentum K. A. Schachtschneider, Das Recht am und das Recht auf Eigentum, in: J. Isensee/H. Lecheler (Hrsg.), Freiheit und Eigentum, FS für W. Leisner, 1999, S. 755 ff.
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Fischer-Lescano sieht die betroffenen Menschenrechte in ihrem Wesen durch die Memoranda of Understanding verletzt, „sofern die MoU diese Pflichten durch die Verhinderung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung, zu Wohnung und sozialen Sicherheitssystemen desavouieren, aber auch sofern sie zu konkreten Absenkungen des Mindestlohnes verpflichten, der das sozioökonomische Existenzminimum unterschreitet“57. Mit Blick auf die Organe der Europäischen Union vertritt er die Auffassung, dass diese nichts unternehmen dürften, „was die Inanspruchnahme der Kernrechte verunmöglicht“, das heißt, dass sie die Mitgliedstaaten „nicht in Einzelregelungen […] auf eine Absenkung der Kernrechte verpflichten“58 dürfen. b) Bezug zum Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights Der Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights hat im Hinblick auf die sozialen Menschenrechte folgende Anforderungen an Austeritätsmaßnahmen formuliert59: „In ensuring compliance with their human rights obligations when adopting austerity measures, States should demonstrate: (1) the existence of a compelling State interest; (2) the necessity, reasonableness, temporariness and proportionality of the austerity measures; (3) the exhaustion of alternative and less restrictive measures; (4) the non-discriminatory nature of the proposed measures; (5) protection of a minimum core content of the rights; and (6) genuine participation of affected groups and individuals in decision-making processes.“
Der Report bekräftigt im Wesentlichen das demokratische Prinzip, insbesondere das Rechts- und Sozialstaatsprinzip. Er ist an die Vertragsstaaten adressiert und verlangt im Kern, dass die Maßnahmen im zwingenden öffentlichen Interesse des Staates liegen müssen60. 57 A. Fischer-Lescano, 58 Ebenda.
Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 52.
59 Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Austerity measures and economic, social and cultural rights, E/2013/82 (07.05.2013), Rdn. 15 ff. 60 Fischer-Lescano münzt dies auf die Europäische Union um. Anstatt der Interessen des Staates seien die Interessen der Europäischen Union maßgeblich. A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 43 f. Dass diese insbesondere in Wirtschaftskrisen nicht deckungsgleich sind, ist unten näher zu erläutern.
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Teil 5: Demokratisches Prinzip als legitimatorische Grenze
Das Austeritätsprogramm für Griechenland erfüllt diese Anforderungen nicht, weil die vom IWF oktroyierte Wirtschaftspolitik61 das demokratische Prinzip und damit die Verfassungsidentität des Staates verletzt, im Ergebnis aus folgenden Gründen: (1) Die Memoranda sind nicht im öffentlichen Interesse des betroffenen Staates, solange es mindestens umstritten ist, ob sie in dieser Form überhaupt einen Beitrag zur Stabilisierung der Haushaltslage leisten. Zum anderen ist das öffentliche Interesse nicht materiell determiniert, sondern materialisiert sich im Rahmen des demokratischen Erkenntnisverfahrens, welches unter der Konditionalität der Troika gerade blockiert wird. (2) Das Kreditprogramm für Griechenland ist kein einmaliger Akt, sondern muss durch ständig neue Rettungsprogramme revolviert werden. Ohne umfassende Entschuldung ist ein Ende nicht absehbar (siehe oben). (3) Das Austeritätsprogramm ist auch im engeren Sinne nicht verhältnismäßig, weil es andere Optionen gegeben hätte, wie beispielsweise eine Entschuldung und (mittelfristig) die Rückkehr zur eigenen Währung, die ebenso gangbar waren. Ausschlaggebend ist hier bereits die Tatsache, dass alternative Optionen nicht erwogen wurden und ihre Verhältnismäßigkeit62 nicht geprüft wurde, schon deshalb nicht, weil man die Folgen aufgrund unzuverlässiger Prognosen von vornherein falsch eingeschätzt hatte. (4) Der diskriminierende Charakter der Auflagen63 ist bereits in der Willkür des Erkenntnisverfahrens formal angelegt, in dem im Wesentlichen extern erarbeitete Standards adaptiert werden. Das intransparente Gestaltungsverfahren kann nicht gewährleisten, dass die auferlegten Strukturmaßnahmen „im Sinne der Sachlichkeit die allgemeine Gleichheit wahren“64. (5) Die Maßnahmen berühren grundsätzlich den Wesensgehalt einschlägiger Menschenrechte65. In welcher Weise die Menschenrechte verwirklicht werden, ist zwar Sache des jeweiligen Staates. Insbesondere die Materi61 Insbesondere mit Blick auf die Rettungsmaßnahmen der Europäischen Zentralbank W. Lachmann, Können Staaten Pleite gehen?, S. 291. 62 X. Contiades/A. Fotiadou, Social Rights in the Age of Proportionality: Global Economic Crisis and Constitutional Litigation, 2002, S. 660 ff. 63 CESCR, Concluding Comments, fifth periodic report of Spain (18.05.2012), E/C.12/ESP/C0/5, Ziff. 8. 64 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 89, 93 ff., auch S. 420 ff. 65 Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR), „Report on the impact of the global economic and financial crises on the realization of all human rights and on possible actions to alleviate it“ (A/HRC/13/38), Rdn. 21 und 25.
A. Wesensgehalt des demokratischen Prinzips385
alisierung der gesellschaftlichen Zuteilungs- und Ausgleichsansprüche muss aber durch das allgemeine Gesetz erfolgen, dessen Erkenntnis einen öffentlichen Diskurs voraussetzt und im Wesentlichen der legislativen Verantwortung der Volksvertreter anheim gegeben ist66. Das Parlament hat die grund- und menschenrechtsrelevante Abwägung und Prioritätensetzung mit Blick auf die abschätzbaren sozialen Folgen67 selbständig und unabhängig zu beurteilen, sowie die Vor- und Nachteile der Handlungsmöglichkeiten im parlamentarischen Verfahren zu wägen und zu gewichten. Die Verletzungshandlung ist im Falle der Auflagen darin zu sehen, dass der IWF eine selbstbestimmte Verwirklichung der Menschenrechte durch die Konditionalität der Kreditprogramme aktiv verhindert. (6) Das Verfahren zur Ausgestaltung der Austeritätsprogramme trägt dem Partizipationserfordernis nicht Rechnung, weil die betroffenen Gruppen und Individuen in die Entscheidungsfindung nur unzureichend einbezogen sind68. Das Entscheidungsverfahren zwischen dem IWF, der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission, unter (gradueller) Mitwirkung der griechischen Regierung findet weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt (ungeachtet des abschließenden Beschlusses durch das Parlament). Der betroffene Bürger kann den Prozess weder kritisch beobachten, noch die Entscheidungen den Verantwortlichen personell und inhaltlich zurechnen69, weil eine ergebnisoffene öffentliche Debatte schlechterdings nicht stattfindet. Auch wenn in der Haushaltskrise fiskalpolitische Reformen unausweichlich erscheinen, so obliegt es doch dem griechischen Parlament, Art und Umfang der Maßnahmen in Vertretung des griechischen Volkes zu erkennen und frei von materieller Determination durch die Troika in allgemeinen Gesetzen zu beschließen70. Die Erkenntnis des Richtigen, das Allgemeinwohl, letztlich das 66 Wenn
wird.
sie nicht in einer unmittelbaren Entscheidung des Volkes abgebildet
67 Für die sozialen Folgen hat das Parlament den erforderlichen Ausgleich der Staatsfinanzen sicherzustellen. 68 Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Austerity measures and economic, social and cultural rights, E/2013/82 (07.05.2013), Rdn. 21. 69 BVerfGE 123, 267, Rdn. 268. 70 Demokratierechtliche Bedenken äußert auch Andreas Fischer-Lescano. Er stellt dabei insbesondere die Ausübung der Organkompetenz beim Abschluss der Memoranda of Understanding „hinsichtlich der Wahrung des im Primärrecht in Art. 10 EUV geschützten Grundsatzes der Demokratie“ unter Zweifel (A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 42). Allerdings sieht er das demokratische Prinzip nicht im Hinblick auf die Mitgliedstaaten, sondern auf die Europäische Union angetastet, weil das Europäische Parlament „derzeit beim Vollzug des ESMV […]
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demokratische Prinzip, verwirklicht sich in existentiellen Krisensituationen in erster Linie in strenger Verfahrenssicherung. Keiner der außerstaatlichen Entscheidungsträger ist ein legitimierter Gesetzgeber und verfügt über das Mandat, das Richtige für das betroffene Volk zu erkennen. Dies gilt umso mehr, als die ausfächernden Strukturreformen „den Umbau der Gesellschaft einleiten“71, das gesamte Gemeinwesen neu ordnen und in einem Umfang dem entsprechen, den man sozio-politisch als „Nation-Building“ bezeichnet72. c) Stellungnahme Grundsätzlich ist es problematisch, mit Blick auf die Maßnahmen eine pauschale Verletzung der einschlägigen Menschenrechte zu subsumieren. Schließlich ist das Sozialprinzip ein dynamisches Prinzip73, welches dem Staat den Auftrag gibt, sich jedem Wandel der wirtschaftlichen Bedingungen – auch und gerade in Wirtschaftskrisen – ständig anzupassen und bestmöglich zu verwirklichen74. Realpolitische Offenheit erfordert freilich auch, bestimmte soziale Ansprüche situativ anzupassen, wenn sie sich nicht mehr als lagegerecht erweisen. Der Bereich der Sozialgesetzgebung berührt in besonderem Maße die grundrechtsbedeutsame Verantwortung des Parlaments für eine gerechte Sozialordnung. Die Offenheit des Sozialprinzips (dazu unten) verpflichtet den Gesetzgeber, „die Möglichkeiten im gemeinsamen Leben gerecht zu vertei nicht in dem Maße eingebunden“ sei, „wie das Unionsrecht dies verlangt“ (Ebenda, S. 42). 71 Die Welt Online vom 13. Februar 2012, EU-Diktat kommt Neugründung Griechenlands nahe, einzusehen unter http://www.welt.de/wirtschaft/article13867057/ EU-Diktat-kommt-Neugruendung-Griechenlands-nahe.html. 72 Zum Begriff „Nation-Building“ M. Forster, Nation Building durch die internationale Gemeinschaft: eine völkerrechtliche Analyse der Verwaltungsmissionen der Vereinten Nationen im Kosovo und in Ost-Timur, 2005, S. 4 ff. 73 „Sozialstaatlichkeit darf nicht statisch, sondern muss dynamisch verstanden werden. Sie existiert in „Spannung und Bewegung“.“ – K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, § 21, 1984, S. 892. Zum „dynamischen Charakter“ des Sozialstaats Ch. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat, 1990, S. 7 ff., 36; zur progressiven Offenheit des Sozialprinzips H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 66 ff.; vgl. dazu auch: § 1 StWG (Beachtung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts): „Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenen Wirtschaftswachstum beitragen.“ 74 H. Zacher, Das soziale Staatsziel, 2004, § 25, Rdn. 24.
A. Wesensgehalt des demokratischen Prinzips387
len“75. Dabei hat er die Materialität der Sozialgesetzgebung innerhalb des sozial, kulturell und historisch gewachsenen Zusammenhangs zu entwickeln76. Nur das betroffene Volk, vertreten durch das Parlament, hat die Zwecksetzungskompetenz bei der sozialen Gesetzgebung77. Grundrechtsund menschenrechtsrelevant ist also nicht die konkrete Materialität der einzelnen Regelung im Memorandum, sondern die Verletzung des demokratischen Prinzips im formalen Sinne78. Eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung des Sozialprinzips ohne demokratisches Erkenntnisverfahren ist ausgeschlossen. Der IWF und die übrigen Mitglieder der Troika können über die Verteilung sozialstaatlicher Leistungen schlechterdings nicht entscheiden, weil darüber nur nach Maßgabe des verfassungsrechtlich vorgesehenen Erkenntnisverfahrens entschieden werden kann79. Das bedeutet: Die Frage, ob die aufgeführten menschenrechtsrelevanten Auflagen im Einzelfall materiell rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig sind80, entzieht sich einer völkerrechtlichen Beurteilung und kann allenfalls auf der Grundlage der nationalen Verfassungs- und Rechtslage, in diesem Fall von Griechenland bewertet werden81. Die menschenrechtliche Pflichtentrias verlangt vom einzelnen Staat, die grundlegenden Menschenrechte zu schützen, zu achten und zu verwirklichen („duty to protect, respect and fulfill“82). 75 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 287; D. Suhr, Gleiche Freiheit, allgemeine Grundlagen und Reziprozitätsdefizite in der Geldwirtschaft, 1988, S. 110 ff.; J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, insb. S. 291 ff. 76 Vgl. BVerfGE 123, 267, Rd. 249. 77 Zum Sozialprinzip als Teil der existentiellen Staatlichkeit vgl. H. M. Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S. 531 ff. Die „sozialpolitisch wesentlichen Entscheidungen [müssen] in eigener Verantwortung der deutschen Gesetzgebungsorgane getroffen werden“. BVerGE 123, 267, Rd. 259. 78 In diesem Sinne hat auch das Bundesverfassungsgericht die Willensautonomie des Volkes bekräftigt und ausgesprochen, dass es insbesondere im politisch-sozialen Bereich nicht genüge, „wenn eine Obrigkeit sich bemüht, noch so gut für das Wohl von ‚Untertanen‘ zu sorgen“. Entscheidend ist, dass die politische Freiheit des Bürgers zur Geltung kommt; denn „der Einzelne soll vielmehr in möglichst weitem Umfange verantwortlich auch an den Entscheidungen für die Gesamtheit mitwirken“. BVerfGE 5, 85 (204 f.). 79 K. A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 103 ff.; ders. Res publica res populi, S. 247 ff. 80 Ebenda, S. 43. 81 Zu berücksichtigen ist, dass die Anpassung der wirtschaftlichen und sozialen Lasten durch eine Vielzahl normativer Vorgaben determiniert ist, „insbesondere die Verfassung, also alle Rechtsprinzipien, internationale Vereinbarungen, also völkerrechtliche Verträge, somit das gesamte Rechtssystem, das nicht widersprüchlich sein darf“. K. A. Schachtschneider, Politisch korrektes Recht, Rechtsprechung, Rechtsbewußtsein?, S. 85. 82 O. De Schutter, International Human Rights Law, 2010, S. 242.
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Völkerrechtlich relevant ist also nicht die Frage, ob ein Menschenrecht durch eine Bestimmung des Memorandums material verletzt ist, sondern die Tatsache, dass der betroffene Staat unter den Bindungen der Kreditprogramme nicht in der Lage ist, die Menschenrechte entsprechend dem autonomen Willen des Volkes unabhängig, also souverän zu verwirklichen. 2. Volenti non fit iniuria Zu bedenken ist, dass die Memoranda of Understanding keine unmittelbare Verbindlichkeit entfalten, sondern der Umsetzung in nationales Recht durch parlamentarische Ratifizierung bedürfen. Es stellt sich die Frage, ob die dargelegte Verletzung des demokratischen Verfahrens durch die Letztverantwortung, das heißt über den Zustimmungsvorbehalt des Parlaments kompensiert werden kann. a) Zur parlamentarischen Abstimmung über die Memoranda of Understanding Dafür spricht prima facie, dass die Regierung und das Parlament mit dem IWF kooperieren und dem Reformprogramm auf der Grundlage des Memorandums of Understanding im Ergebnis durch Parlamentsbeschluss formal zustimmen. Grundsätzlich schließt ein Einverständnis des Rechtsträgers eine Rechtsverletzung tatbestandlich83 aus. Das allgemeine Rechtsprinzip „volenti non fit iniuria“, abgeleitet aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit, gilt auch im Völkerrecht84 und so wird in der Literatur unter Verweis auf diesen allgemeinen Rechtsgrundsatz die Ansicht vertreten, dass die Auflagen des IWF – ungeachtet der Überschreitung seiner Befugnisse – zumindest vertraglich durch das Stand-by Agreement zwischen dem IWF und dem Mitgliedstaat legitimiert seien85. Schließlich, so die Argumentation, erfolge die Aufnahme 83 Diese Rechtsfigur wirkt tatbestandsausschließend. Im Gegensatz dazu ist später im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob eine festgestellte Verletzung des demokratischen Prinzips in Ausnahmesituationen gerechtfertigt sein kann. 84 K. Doehring, Völkerrecht, S. 198 f. 85 Klaus Weigeldt vertritt die Ansicht, dass ultra vires-Handlungen des IWF die Souveränität des betroffenen Mitgliedstaates nicht verletzen könnten. Mit der Einwilligung der Mitgliedstaaten in die Auflagen sei der Souveränität des betroffenen Staates Rechnung getragen („volenti non fit iniuria“). Allein auf dem Gebiet der Menschenrechte könnte die Staatssouveränität verletzt und damit eine völkerrechtswidrige Intervention verwirklicht sein. Weigeldt lehnt dies aber im Ergebnis ab, weil die Menschenrechte allenfalls mittelbar verletzt würden und der Fonds an die Vorschriften des UN-Sozialpaktes nicht unmittelbar gebunden sei. Mittelbare Menschenrechtsverletzungen seien nicht justiziabel. K. Weigeldt, Die Konditionalität des IWF,
A. Wesensgehalt des demokratischen Prinzips389
von Krediten regelmäßig auf Initiative, also mit Einverständnis des kreditsuchenden Staates86. Darüber hinaus stehe es „im freien Ermessen des Kreditnehmerlandes, jederzeit von der Erfüllung der Finanzierungsbedingungen Abstand zu nehmen“87. b) Zur Frage der Freiwilligkeit bei Zwangslage Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob unter der Konditionalität des IWF die Zustimmung zu den Auflagen freiwillig erfolgt. Zwar ist die Zustimmung des Parlaments grundsätzlich eine willensgetragene Äußerung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers. Die Zustimmung kann aber „allein aus der Handlungsfreiheit des selbstbestimmten Volkes heraus geschehen“88. Die vom Parlamentsgesetz vermittelte Legitimation steht unter der Voraussetzung der Freiheitlichkeit der Entscheidung. Ausschlaggebend für die demokratische Legitimation ist „nicht die Form staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität“89. Die Verbindlichkeit von Gesetzen liegt also im Willen des Volkes begründet, nicht in der formalen Organfunktion des Parlaments90. Die Willensäußerung ist nur dann Ausdruck souveräner Selbstbestimmung, wenn sich die Willensbildung frei, also unabhängig vollzogen hat. aa) Entscheidung des amerikanischen Supreme Court zum Affortable Care Act In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des amerikanischen Supreme Court zum Affortable Care Act („Obamacare“) beachtenswert. Darin hat das Gericht zum ersten Mal ausgesprochen, dass ein Gesetz, welches S. 193 f., 254; zustimmend T. Riedel, Rechtsbeziehungen zwischen dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation, S. 96 f. 86 Allerdings sind krisenbetroffene Mitgliedstaaten angesichts des drohenden Verlustes der staatlichen Souveränität oft wenig geneigt, einen solchen Antrag zu stellen. Griechenland zum Beispiel stellte seinen Kreditantrag beim IWF erst nachdem insbesondere die Regierungen Frankreichs und Deutschlands darauf insistierten. 87 S. Schlemmer-Schulte, Internationales Währungs- und Finanzrecht, § 9, S. 398, Rdn. 60. Ein solches Verhalten werde „weder als Vertragsbruch, noch als sonstige Verletzung eines Versprechens eingeordnet“. 88 So in Bezug auf „eine weitgehende Verselbständigung politischer Herrschaft für die Europäische Union durch die Einräumung stetig vermehrter Zuständigkeiten und eine allmähliche Überwindung noch bestehender Einstimmigkeitserfordernisse oder bislang prägender Regularien der Staatengleichheit“ BVerfGE 123, 267, Rn. 233. 89 BVerfGE 93, 37, Rn. 133. 90 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 707 ff.; 718 ff.; 725 ff., 730 f.; K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 39; P. Badura, Die parlamentarische Demokratie, Bd. I, Rdn. 36 ff.
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aufgrund von massivem Druck von Seiten des Kongresses in den Gliedstaaten umgesetzt wird, nicht freiwillig implementiert wird und daher im Grundsatz rechtswidrig ist91. Obwohl die Gliedstaaten kein Anrecht darauf haben, sei die Drohung des Kongresses, die Finanzierung des Programms bei Nichtzustimmung zu verweigern, ein unzulässiges Zwangsmittel, welches die verfassungsmäßig geschützte Souveränität der Gliedstaaten verletze92. Zwar sei der Kongress in seiner Entscheidung zur Finanzierung grundsätzlich frei und auch den Gliedstaaten sei es anheim gestellt, sich Bundesprogramme zu eigen zu machen93. Den Programmen aber müßten sie im Bewusstsein der Folgen freiwillig („voluntarily and knowingly“) zustimmen94. Maßgeblich sei die Frage, ob die Staaten eine tatsächliche Wahl („a genuine choice“) hätten. Dabei sei zwischen Beeinflussung („persuasion“) und Zwang („coercion“) zu unterscheiden95. Zwar dürfe der Kongress seine finanziellen Hilfen an die Gliedstaaten an Auflagen binden, um den mit den Mitteln verfolgten Verwendungszweck sicherzustellen96. Wenn die Mittel aber dergestalt konditioniert werden, dass sie nicht mehr nur als Ermunterung zur Zustimmung, 91 Allerdings ist die Entscheidung des Supreme Court in der Hinsicht anders gelagert, als der Kongress den Gliedstaaten damit drohte, bei Ablehnung der Gesetze die laufende Finanzierung von Gesundheitsprogrammen, deren Finanzierung bereits zugesagt worden war, nachträglich zu entziehen. Die wesentlichen Entscheidungsmotive sind dennoch vergleichbar, zumal der Kongress nicht verpflichtet ist, die Finanzierung der bereits existierenden Programme fortzusetzen. 92 „Congress may offer the States grants and require the States to comply with accompanying conditions, but the States must have a genuine choice whether to accept the offer. The States are given no such choice in this case.“ – Opinion of Chief Justice Roberts, S. 58. 93 Such measures „encourage a State to regulate in a particular way, [and] influenc[e] a State’s policy choices“. New York, supra, at 166. The conditions imposed by Congress ensure that the funds are used by the States to „provide for the general Welfare“ in the manner Congress intended.“ – Opinion of Chief Justice Roberts, S. 46. 94 „[…] legitimacy of Congress’s exercise of the spending power“ thus rests on whether the State voluntarily and knowingly accepts the terms of the ‚contract.‘ “ – Opinion of Chief Justice Roberts, S. 47. 95 The Court in Steward Machine did not attempt to „fix the outermost line“ where persuasion gives way to coercion. […] The Court found it „[e]nough for present purposes that wherever the line may be, this statute is within it.“ „We have no need to fix a line either. It is enough for today that wherever that line may be, this statute is surely beyond it.“ – Opinion of Chief Justice Roberts, S. 55. Der Grund ist folgender: „[…] a State has a legitimate choice whether to accept the federal conditions in exchange for federal funds. In such a situation, state officials can fairly be held politically accountable for choosing to accept or refuse the federal offer. But when the State has no choice, the Federal Government can achieve its objectives without accountability.“ – Opinion of Chief Justice Roberts, S. 49. 96 „Congress may attach appropriate conditions to federal taxing and spending programs to preserve its control over the use of federal funds.“ – „a means to safe
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sondern durch das Inaussichtstellen schwerwiegender Nachteile als massive Bedrohung wirken, überschreite dies die Grenze zum Zwang97. Die mit einer ablehnenden Entscheidung in Aussicht gestellten Nachteile wirkten für die betroffenen Staaten wie „eine Pistole am Kopf“98. In dieser „Friss oder stirb-Situation“ verbleibe den Staaten keine echte Wahl99 und das verletze die verfassungsrechtlich garantierte Souveränität der Mitgliedstaaten100. bb) Freiwilligkeit unter der Konditionalität am Beispiel Griechenlands In Griechenland befindet sich das Parlament bei der Ratifizierung der Memoranda in einer vergleichbaren „Friss-oder-stirb-Situation“. Eine parlamentarische Debatte über das Memorandum of Understanding findet erst im Rahmen des Zustimmungsverfahrens zu den Strukturreformen statt, wobei die meisten Maßnahmen bereits feststehen. „Die Möglichkeit der parlamentarischen Einflussnahme im Umsetzungsverfahren wird lediglich auf Randkorrekturen beschränkt, in welchen die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen im Bereich des Unerheblichen verbleiben.“ (Parlament als „rubber stamp“ für andernorts getroffene Entscheidungen). Aus dem Demokratieprinzip folgt aber mehr als „ein Gebot staatlicher Letztverantwortung für das Entscheidungsergebnis“101. Im Prozess der Ausarbeitung der Reguard [the Federal Government’s] own treasury.“ – Opinion of Chief Justice Roberts, S. 49. 97 „When, for example, such conditions take the form of threats to terminate other significant independent grants, the conditions are properly viewed as a means of pressuring the States to accept policy changes.“ – Opinion of Chief Justice Roberts, S. 50. „We accordingly asked whether „the financial inducement offered by Congress“ was „so coercive as to pass the point at which ‚pressure turns into compulsion’(Id., at 211, quoting Steward Machine, supra, at 590).“ – Opinion of Chief Justice Roberts, S. 50. 98 „In this case, the financial ‚inducement‘ Congress has chosen is much more than‚ relatively mild encouragement‘ – it is a gun to the head.“ – Opinion of Chief Justice Roberts, S. 51 f. 99 „The threatened loss of over 10 percent of a State’s overall budget, in contrast, is economic dragooning that leaves the States with no real option but to acquiesce in the Medicaid expansion.“ – Opinion of Chief Justice Roberts, S. 51 f. 100 „Respecting this limitation is critical to ensuring that Spending Clause legislation does not undermine the status of the States as independent sovereigns in our federal system. […] when‚ pressure turns into compulsion,‘ ibid., the legislation runs contrary to our system of federalism.“ – Opinion of Chief Justice Roberts, S. 47. 101 Dabei gilt auch für die IWF-Programme, was Calliess mit Bezug auf das Beispiel der „Standardsetzung des Baseler Ausschusses“ erkannt hat: Die „legitimationssichernden Verfahrensregelungen wie Repräsentativität und demokratische Allge-
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formprogramme wird das Parlament um seine Gestaltungsrechte gebracht und im anschließenden Zustimmungsverfahren vor vollendete Tatsachen gestellt. Das hat zur Folge, dass unter den IWF-Kreditprogrammen die politischen Richtungsentscheidungen „nicht mehr von Wahlen oder Legislaturperioden bestimmt [werden], sondern von Tranchen“102. Unter den Umständen der Konditionalität ist der parlamentarische Umsetzungsakt kein Ausdruck unabhängiger Erkenntnisfindung, weil er nicht in der Lage ist, einen „gemeinsamen Wert“103 hervorzubringen. Mit der Zustimmung des Parlaments werden lediglich vorgegebene Regelungen in Gesetzestexten verwirklicht. Der Zustimmungsakt folgt im Wesentlichen dem Druck, die Auszahlung der existentiell benötigten Finanzhilfen nicht zu gefährden, in erster Linie also dem „Gesetz der antizipierten Reaktion“104; denn stets muss das Parlament befürchten, dass der IWF mit der Verweigerung der nächsten Tranchenauszahlung reagiert und das Land damit in eine ungeordnete Zahlungsunfähigkeit stürzen könnte. Die Regierung und auch die Vertreter des Volkes im Parlament sind von der Bewilligung der Mittel existentiell abhängig und damit in ihrer Entscheidung nicht frei. Dass bei den Entscheidungen des Parlaments über die Auflagen der Troika gewichtige Zweifel an der Freiwilligkeit bestehen, verdeutlichen die Zustimmungsverfahren im griechischen Parlament, welche im Wesentlichen stets nach dem selben Muster ablaufen105. Zwar stoßen die Memoranda im griechischen Parlament zunächst auf breite Ablehnung106. Nachdem die griechische Regierung (unter Ministerpräsident Papademos) unter dem Druck der meinheit und Gleichheit“ werden durch die Bindung an die Auflagen des IWF aufgehoben, „so dass die insoweit entwickelten Legitimationsmodelle am Maßstab der deliberativen Demokratietheorie hieran scheitern müssen“. C. Calliess, Staat, Demokratie und Finanzmarkt, Zwischen Globalisierung, Privatisierung und Re-Regulierung, 2013, S. 17. 102 M. Martens, Von Teilzahlung zu Teilzahlung, FAZ vom 31. Dezember 2011, S. 1. So kommt es vor Auszahlung der Tranchen regelmäßig zu innenpolitischen Erschütterungen in Griechenland, weil die Überweisungen stets an umfangreiche Auflagen gebunden sind. 103 W. Leisner, Das demokratische Reich: Reichsidee und Volksherrschaft in Geschichte und Recht, 2004, S. 901. Das Verfahren bleibe „ein Schein, wenn das Verfahren um des Verfahrens willen betrieben wird“, letztlich nur, um Entscheidungen die „Weihe des Demokratischen“ zu verleihen. 104 C. Friedrich, Constitutional Government and Democracy, 1968, S. 203 f. 105 FAZ Online vom 22. Juni 2011, Griechische Regierung beschließt Sparpläne, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/nach-vertrauensvotumgriechische-regierung-beschliesst-sparplaene-1657501.html; FAZ vom 6. Februar 2012, Und täglich droht der Staatsbankrott. 106 FAZ vom 16. Februar 2012, Wachsende Zweifel am Erfolg eines neuen Hilfspakets für Athen.
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Troika die Auflagen aber akzeptiert hat, wird der Druck auf außerparlamentarische Gruppen und vor Abstimmungen im Parlament auch auf die einzelnen Abgeordneten107 weitergegeben108. Es drohe der Absturz des Landes in „Bankrott“ und „Armut“109. Im Vergleich zu dem, was dem Land im Fall eines ungeordneten Bankrotts drohe, würde sich Griechenland eines Tages noch gern an die jetzige Zeit erinnern (Finanzminister Evangelos Venizelos)110. Daher sei die Zustimmung zu den Auflagen ein Teil des „nationalen Selbsterhaltungsinstinkts“111. Auch bei den Verhandlungen im Jahr 2015 zum neuen Reformprogramm für Griechenland hätten die Geldgeber Griechenland keine Wahl gelassen, sondern Griechenland „das Messer um den Hals gelegt“. Ministerpräsident Tsipras resignierte, das Reformprogramm für Griechenland sei „ein Text, an den ich nicht glaube, aber den ich unterzeichnet habe, um ein Desaster für das Land zu vermeiden“112.
107 Die griechische Parlamentsabgeordnete Vasso Papandreou etwa lehnte die Auflagen ab und hatte vor der Abstimmung im griechischen Parlament angekündigt, „ ‚aus symbolischen Gründen‘ gegen einen Artikel des Sparpakets stimmen zu wollen, um zu demonstrieren, dass das griechische Parlament […] noch eine Rolle spiele. Ministerpräsident Papandreou machte ihr jedoch deutlich, dass die Auszahlung der nächsten Hilfstranche selbst dann in Gefahr gerate, wenn nur ein Artikel nicht durch das Parlament komme. Diese Verantwortung habe sie nicht auf sich nehmen wollen.“ FAZ vom 21. Oktober 2011, Griechenlands Parlament unter Druck. 108 FAZ Online vom 27. Mai 2011, Griechenland droht abermals die Zahlungsunfähigkeit, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkri se/streit-in-athen-griechenland-droht-abermals-zahlungsunfaehigkeit-1643251.html. Beispielhaft sind auch die spannungsgeladenen Abstimmungen des griechischen Parlaments zu den Memoranda of Understanding, etwa in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 2012. Die griechische Regierungskoalition schloss unmittelbar im Anschluss jene Abgeordneten aus der Partei aus, die gegen den Gesetzentwurf gestimmt hatten. FAZ Online vom 13. Februar 2012, Parlament billigt Sparprogramm, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/griechenland-parlament-bil ligt-sparprogramm-11647542.html; Spiegel Online vom 7. November 2012, Griechi sches Parlament billigt Sparpaket trotz heftiger Proteste. http://www.spiegel.de/wirt schaft/soziales/griechenlan-parlament-verabschiedet-sparpaket-a-865963.html. 109 FAZ Online vom 13.02.2012, Parlament billigt Sparprogramm, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/griechenland-parlament-billigtsparprogramm-11647542.html. 110 FAZ Online vom 5. Februar 2012, Und täglich droht der Staatsbankrott, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/griechenland-und-taeglichdroht-der-staatsbankrott-11638816-p2.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2. 111 FAZ Online vom 21. Juni 2011, Denn sie wissen was sie tun, http://www.faz. net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/griechenlands-regierungsgegner-dennsie-wissen-was-sie-tun-1652637.html. 112 Spiegel Online vom 14. Juli 2015, Tsipras wirft Gläubigern Rachsucht vor, einzusehen unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-tsipras-wirft-glaeubigern-rachsucht-vor-a-1043539.html.
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cc) Ausschluss der Opposition Die Konditionalität blockiert auch die Rechtsstellung der Opposition als Instanz der Kontrolle und Korrektur im demokratischen Gefüge113. Wenn selbst die Regierung nur geringen Einfluss auf die geforderten Maßnahmen zur Strukturreform hat, so gilt dies erst recht für die Opposition114. Sie kann ihre Aufgabe, politische Alternativen sichtbar zu machen, nicht wirkungsvoll wahrnehmen, wenn sie in den Ausschüssen nicht vertreten ist, in welchen die Troika (unter gewisser Beteiligung der Regierung) die Auflagen federführend konzipiert. Die Troika verlangte vor Auszahlung der Kredittranche im Jahr 2012 vorsorglich die Zusicherung der beiden potentiellen Regierungsparteien Nea Dimokratia und PASOK, im Falle eines Wahlsieges den Auflagen weiterhin verpflichtet zu bleiben115. Alle damals maßgeblichen potentiellen Regierungsparteien wurden zu der selbstverpflichtenden Erklärung veranlaßt, die Auflagen der Troika auch im Falle eines Wahlerfolges in Regierungsverantwortung umzusetzen116. Mit der Verpflichtung der Opposition soll verhindert 113 Eine demokratische Verfassung organisiert den „politischen Wettbewerb zwischen den politischen Kräften, im Verhältnis zwischen verantwortlicher Regierung und parlamentarischer Opposition“. BVerfGE 123, 267, Rn. 213. 114 FAZ Online vom 23. Juni 2011, Oppositionsführer Samaras unter Druck Europas, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/ griechenland-oppositionsfuehrer-samaras-unter-druck-europas-1654464.html; FAZ On line vom 27. Mai 2011. 115 Am 15. Februar 2012 gab Giorgos Papandreou in seiner Funktion als Vorsitzender der PASOK-Partei in einem Brief an die IWF-Direktorin Christine Lagarde, den Vorsitzenden der Eurogruppe Jean-Claude Juncker, den EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn und den EZB-Präsidenten Mario Draghi folgende Erklärung im Namen der Pasok ab: „Wir erkennen an, dass für das Erreichen der vorgenannten Ziele und wichtigsten Maßnahmen politische Entschlossenheit und eine unbeirrte Maßnahmenumsetzung über viele Jahre hinweg erforderlich sind. In dem Fall, dass wir als Griechenlands nächste Regierung gewählt werden, stehen wir weiterhin voll und ganz hinter der wirksamen Umsetzung der Programmvorhaben und -ziele wie oben beschrieben […].“ – „Finmin: some want Greece out of eurozone“, Ekathimerini English Edition, 15.02.2012, zitiert in S. Vogel, Sparpolitik und Demokratieabbau in der Eurokrise, S. 59, Fn. 79 und 80. Für die Partei Nea Dimokratia gab Antonis Samaras folgende Erklärung ab: „Insbesondere verpflichtet sich meine Partei, […] die tief greifenden Strukturreformen auf den Arbeits-, Produkt- und Dienstleistungsmärkten sowie das ehrgeizige Privatisierungsprogramm zu unterstützen. […] Sollte Nea Dimokratia die kommenden Wahlen in Griechenland gewinnen, bleiben wir den […] beschriebenen Programmvorhaben und -zielen sowie seinen wichtigsten Maßnahmen weiterhin verpflichtet.“ – Ebenda, S. 227 f.; Der Spiegel vom 6. Februar 2012, Schuldendrama: Euro-Retter nehmen Griechen in die Mangel, einzusehen unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ schuldendrama-euro-retter-nehmen-griechen-in-die-mangel-a-813451.html. 116 Siehe Spiegel vom 14. Februar 2012, Juncker sagt Euro-Treffen zu Griechenland ab.
A. Wesensgehalt des demokratischen Prinzips395
werden, dass sich andere Parteien im Falle eines Wahlerfolges nicht an die Auflagen der Memoranda gebunden fühlen und eine von den Gläubigern unabhängige Politik betreiben117. Damit ist die der Opposition im parlamentarischen Gefüge zukommende Kontrollfunktion weitgehend aufgehoben. dd) Zwischenergebnis Unter dem Druck des IWF erfolgt die vertragliche Verpflichtung zu den Auflagen nicht freiheitlich und autonom entsprechend dem „Prinzip der umkehrbaren Selbstbindung“118; denn die Beschlüsse des Parlaments sind nicht unabhängig, beruhen also nicht auf dem autonomen Willen des Volkes119. Unter der beherrschenden Einflussnahme der Troika120 hat die Zustimmung des Parlamentes nur rituellen Charakter, bei dem von freiwilliger Selbstbestimmtheit keine Rede mehr sein kann121. Aber Gesetze, die nicht legitimiert sind, entfalten keine innere Verbindlichkeit und eben darum auch keine Akzeptanz innerhalb des Gemeinwesens und seiner Institutionen122. 117 Dieses Szenario wurde der Öffentlichkeit im Januar 2015 vor Augen geführt, als die Partei SYRIZA in die Regierungsverantwortung gewählt wurde. Diese zu Beginn der Krise wenig einflussreiche Partei hatte ironischerweise auch als Reaktion auf die strenge Konditionalitätspolitik wachsende Zustimmung unter den Wählern erfahren, zumal die Politik der etablierten Parteien gegenüber der Troika als allzu botmäßig empfunden wurde. 118 Vgl. BVerfGE 123, 267, Rn. 233. 119 Die Gewährung von finanzieller Hilfe sei „einseitig diktiert, häufig, ohne den betroffenen Völkern, vertreten durch ihre Regierungen und Parlamente, ausreichend Zeit für Beratungen zu lassen“. A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 77. 120 Der griechische Finanzminister Yannis Varoufakis sprach von „„fiskalischem Waterboarding“, The Guardian vom 27. Januar 2015, Greek PM Alexis Tsipras appoints radical economist to new government, einzusehen unter http://www.theguardian.com/world/2015/jan/27/greek-pm-alexis-tsipras-economist-yanis-varoufakis. 121 Die Auflagen sind „Vertragssache, aber die Vertragsform ist nur formal“. K. A. Schachtschneider, in: W. Hankel/K. A. Schachtschneider/W. Nölling/J. Starbatty, Das Euro-Abenteuer geht zu Ende, S. 167. 122 Leonard Seabrooke resümiert: „As the Fund now operates in a range of economic and social policy areas not within the ambit of its original Articles of Agreement, its realm of political action clearly extends beyond what rightful conduct permits. The Fund’s acts clearly reverberate through societies and generate attitudes that have an impact on formal economic programme success. As such, the Fund’s claims to legitimacy are made within a much broader context than its rightful membership permits.“ Legitimacy Kaps in the World Economiy: Explaining the Sources of the IMF’s Legitimacy Crisis, International Politics, 44, 2007, S. 254. Zum von ihm untersuchten Legitimationsdilemma („social constituency of legitimation“), ders., Legitimacy Kaps in the World Economiy: Explaining the Sources of the IMF’s Legitimacy Crisis, International Politics, 44, 2007, S. 250–268. Roberto Frenkel identifiziert fünf
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3. Exekutives Übergewicht: Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips Innerhalb des Staates gilt das rechtsstaatstragende Prinzip der Gewaltenteilung123, welches den Prozess der Rechtsverwirklichung funktional gliedert124. Es ist verletzt125, wenn die Regelung fundamentaler Sachfragen dem Parlament als dem Ort demokratischer Selbstbestimmung entzogen und auf die Exekutive verlagert wird126. In der „Auseinandersetzung um die richtige und zeitgemäße Rolle“ innerstaatlicher Gewaltenteilung, entfaltet die Konditionalität des IWF auch eine Problematik der „inneren (‚Volks‘-) Souveränität“127. Bereits das Verfahren zur Aushandlung der politischen Strukturreformen leidet unter einem starken exekutiven Übergewicht. Wenn eine Regierung den Antrag auf Kredithilfen gestellt hat, handelt sie mit dem IWF die Auflagen des Kreditprogramms zunächst im letter of intent und später im Memorandum of Understanding on Economic Conditionality aus, meist hinter verschlossenen Türen und ohne Beteiligung der Opposition. In der Eurokrise sind die maßgeblichen Akteure bei den Verhandlungen neben der Regierung und dem IWF auch andere Institutionen außerhalb des betroffenen Staates, wie die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank sowie nicht zuletzt die Hauptgläubigerstaaten innerhalb der Euro-Zone128. Der umfassende Schlüsselprobleme der Legitimation des IWF, Current Problems with the IMF and Challenges Ahead: A Latin American Perspective, FES Briefing Paper, FES, 2007, S. 2. 123 Das Bundesverfassungsgericht erkennt im Gewaltenteilungsprinzip ein tragendes Organisations- und Funktionsprinzip, welches jeder Gewalt einen unveränderbaren Kernbereich zuschreibt. BVerfGE 3, 225 (247); 34, 52 (59); 95, 1 (15) u. ö.; H. Schulze-Fielitz, Art. 20 (Rechtsstaat), in: H. Dreier (Hrsg.), GG II, Rdn. 62. 124 Zur horizontalen und vertikalen Gewaltenteilung K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 167 ff. 125 Zur Verschiebung des Gewaltenteilungsmodells auf supranationaler Ebene U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 405 ff. 126 Kritisch zur Verantwortungsdiffusion in supranationalen und internationalen Rechtsräumen Ch. Möllers, Verantwortungsdiffusion in den supranationalen und internationalen RechtsräumenDie drei Gewalten: Legitimation der Gewaltengliederung in Verfassungsstaat, Europäischer Integration und Internationalisierung, 2008. 127 L. Gramlich, Buchbesprechung zu „Weigeldt, Klaus: Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds in ihrem Verhältnis zur Staatssouveränität und zu den Menschenrechten“, S. 536, einzusehen unter http://www.zaoerv.de/60_2000/60_2000_ 1_s_527_536.pdf. 128 In der Finanzkrise werde ein Trend zur Intergouvernementalisierung erkennbar. Die Regierungschefs umgehen beim Krisenmanagement „sowohl die Gemeinschaftsinstitutionen Parlament und Kommission als auch die nationalen Parlamente“. K.-D. Frankenberger, FAZ vom 4. April 2012, Mehr Parlament, mehr Politik.
A. Wesensgehalt des demokratischen Prinzips397
maßgebende (öffentliche) Diskurs über die Urteilszusammenhänge, der dem Inhalt der Strukturreformen zugrunde liegt, findet weder in der Öffentlichkeit, noch im Parlament des betroffenen Staates statt, das erst dann zur Zustimmung aufgefordert wird, wenn das Reformprogramm bereits erarbeitet ist. Wenn der IWF mit Auflagenprogrammen interveniert, wird Wirtschaftspolitik zum Krisenmanagement, die Innenpolitik de facto zu einem exekutivistischen Teil der Außenpolitik129. Zwar ist die Außenpolitik, zu der grundsätzlich auch der Umgang mit internationalen Organisationen wie dem IWF oder der Europäischen Kommission zu rechnen ist, ein Bereich, welcher überwiegend in den Zuständigkeitsbereich der Exekutive fällt130. Allerdings betreffen die in den Memoranda of Understanding aufgegebenen politischen Reformen in ihrem materialen Regelungsgehalt nicht die Außenpolitik, sondern die Neuordnung innenpolitisch hochrelevanter Sachbereiche, wie die Rentenpolitik, das Gesundheitswesen oder die Infrastruktur. Der IWF, der den Haushaltsplan des Krisenstaates maßgebend (mit)erarbeitet, übt funktional die Aufgabe der politischen Legislative aus. Das Parlament als eigentlich zuständiges Legislativorgan verliert seine Entscheidungsmacht und gerät im Zuge der Kreditprogramme „in die Lage eines permanenten Nachvollzuges“131. Unter der Konditionalität der Auflagen wird das Parlament der Sache nach zur vollziehenden Gewalt, welches die Beschlüsse des IWF nachvollzieht, ohne selbst gestaltende Befugnisse ausüben zu können132. Die auferlegten Strukturreformen führen im Ergebnis zu einem „Maßnahmenstaat“133, dessen Kennzeichen es ist, dass wesentliche Teile des Gesetzgebungsverfahrens de facto vom Parlament zur Exekutive verschoben 129 Das Griechische Kabinett, so der damalige Finanzminister Venizelos, nehme keine Regierungsaufgaben mehr wahr, sondern es erfülle nur noch: „Wir machen, was angeordnet wird und was man uns erlaubt“. FAZ Online vom 29. Juni 2011, Griechisches Exempel, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/politik/kommentar-grie chisches-exempel-13311.html. 130 Die Grenze der Verantwortung des Parlaments besteht hauptsächlich im Kontext der Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative. Das Rechtsstaatsprinzip fordert zwingend die Teilung der Befugnisse zwischen Exekutive und Legislative (gewaltenteilige Funktionenordnung). 131 U. Di Fabio, in: Der Spiegel, Heft 52/2011, „Der Bundesstaat ist ein Irrtum“, S. 34 ff. 132 Für eine Abweichung oder Modifizierung der in den Auflagen formulierten Maßgaben bleibt auch im Umsetzungsverfahren wenig Raum, zumal das Parlament unter dem Druck steht, die Konditionen rasch umzusetzen, um die benötigten Auszahlungen nicht zu gefährden. 133 G. Kritidis, Griechenland – auf dem Weg in den Maßnahmestaat?: Autoritäre Krisenpolitik und demokratischer Widerstand, 2014.
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werden134. Die verfahrenswidrige Inanspruchnahme von Zuständigkeiten, die verfassungsgemäß eigentlich dem Parlament zustehen, erzeugt eine gubernative Rechtsetzung135; denn Effizienz und Effektivität erfordern „exekutive Dominanz“136. 4. Handeln außerhalb der parlamentarischen Vertretungsbefugnis Die Problematik der Selbstbindung wirft die rechtsstaatliche Frage auf, ob eine Regierung oder ein Parlament überhaupt Verträgen zustimmen darf, die auf eine Art und Weise entstanden sind, welche dem verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahren zuwiderläuft und mit dem demokratischen Prinzip unvereinbar ist. Verantworten kann das Volk und damit das Parlament nur, was nach seinem Willen geschieht137. Die Bürger erteilen den Vertretern des Volkes Vertretungsmacht durch das Verfassungsgesetz, welches ihre Befugnisse begrenzt138. Außerhalb der Vertretungsmacht hat das Parlament keine Prokura für Vertragsbindungen139; denn „über die Vertretungsmacht hinaus ist niemand das Volk zu verpflichten ermächtigt, darf also auch niemand namens des Volkes und für das Volk handeln“140. Das Parlament hat „seine Vertretung dem Recht unterzuordnen, also […] dem Kern der Verfassungsidentität, […]; denn eine andere Vollmacht hat [es] nicht“141. Die Memoranda of Understanding verfügen über die Budgethoheit und wesentliche Teile der Sozialgesetzgebung. In diesen Kernbereichen der substantiellen Staatlichkeit muss das Parlament seine durch die Verfassung gegebene Verantwortung für die Gesetzgebungserkenntnis selbstbestimmt, das 134 „Aus der rationalen Gestaltung wird ein pragmatisches Funktionieren. […] Statt geregelt wird verhandelt. […] Die Parlamente wechseln von der Rolle der Entscheider zum Beobachter.“ Paul Kirchhof, FAZ vom 12. Juli 2012, Verfassungsnot! 135 In diesem Sinne A. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 28 ff., 35 ff., 107 ff., 304 ff. (S. 443 ff.). 136 U. Di Fabio, in: Der Spiegel, Heft 52/2011, „Der Bundesstaat ist ein Irrtum“, S. 34 ff. 137 K. A. Schachtschneider, Freiheit – Recht – Staat, S. 473. 138 Im Rahmen dieser Weisungen sind die Vertreter der praktischen Vernunft und ihrem Gewissen verpflichtet. 139 Nach Kant folgt die Konsequenz des Repräsentationsprinzips dem Rechtskriterium: „Was ein Volk über sich selbst nicht beschließen kann, das kann auch der Gesetzgeber nicht über das Volk beschließen.“ I. Kant, Über den Gemeinspruch, AA VIII. 140 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 192. 141 K. A. Schachtschneider, Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik, S. 205.
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heißt unabhängig von der Einflussnahme Dritter wahrnehmen. Weil die Souveränität diese Materie von Verträgen nicht zulässt142, sind darüber verfügende Bindungen gegenüber Dritten nicht mehr von der Vertretungsbefugnis der staatlichen Repräsentanten gedeckt. Der Sache nach handelt es sich um einen Vertrag zu Lasten Dritter, der die Lebensmöglichkeiten eines Dritten, nicht unmittelbar am Vertrag Beteiligten beschränkt und damit das Freiheitsprinzip verletzt. Die Memoranda entfalten Bindungswirkung auch für das betroffene Volk, ohne dass es ihnen zugestimmt hätte, ja obwohl es dem sogar ausdrücklich widersprochen hat, wie im griechischen Referendum im Juli 2015, gerade weil es die Kartellvertragsparteien bindet und damit Bindungswirkung für den Dritten entfaltet, der nicht zugestimmt hat, also der Freiheit beraubt wird. Nicht die (vermeintliche) Bindung der Kartellvertragspartner untereinander ist das eigentliche Unrecht, weil diese deren Wettbewerb (gegeneinander) beschränkt, sondern, falls Vertragsgegenstand, die Bindung des Dritten, der nicht zugestimmt hat und nicht zustimmen konnte. Einen dogmatisch ähnlichen Ansatz verfolgt auch die Lehre von den „Odious Debts“143. Sie spricht Verträgen die Verbindlichkeit ab, sofern sie von der Vertretungsbefugnis des Volkes offenkundig nicht gedeckt sind. Insbesondere gelten Staatsschulden als illegitim und sind nicht zurückzuzahlen, wenn sie ohne Zustimmung der Bevölkerung entstanden waren, die Gelder zur Unterdrückung des Staates verwendet wurden und die Kreditgeber von beidem Kenntnis gehabt hatten144. Weil die Memoranda of Understanding auf demokratiewidrige Weise zustande kommen und das Gemeinwohl des betroffenen Volkes berühren, kom142 „Die existenzielle Staatlichkeit des Volkes als existenzieller Staat steht nicht zur Disposition der Außenpolitik, weil […] die Verfassungsidentität, nicht politisch disponibel ist.“ K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 156. 143 Zur Debatte um die Doktrin der „Odious Debts“ siehe V. Nehru and M. Thomas, The Concept of Odious Debt: some Considerations, World Bank, Economic Policy and Debt Department, Mai 2008; S. Michalowski, Ius cogens, transnational justice and other trends of the debate on odious debts, S. 59 ff.; F. Schneider, Odious Debts, Status quo und Regelungsmodell unter besonderer Berücksichtigung internationaler Menschenrechte. 144 In diesem Fall sei die Vergabe von Krediten als ein feindlicher Akt gegen die Bevölkerung des Schuldnerstaates zu qualifizieren. A. N. Sack, Les effets de transformations des États sur leurs dettes publiques et autres obligations financiéres, 1929; weiterentwickelt wurde die Rechtsfigur von Ashfaq Khalfan, Jeff King und Bryan Thomas, Advancing the Odious Debt Doctrine, 2003, einzusehen unter http://cisdl. org/public/docs/pdf/Odious_Debt_Study.pdf.; zu „Odious Debts“ siehe auch Ch. Paulus, Stellen ‚Odious Debts‘ eine Rechtsfigur dar?, 2005, S. 53 ff.; S. Michalowski, Ius cogens, transnational justice and other trends of the debate on odious debts, S. 59 ff.; F. Schneider, Odious Debts, Status quo und Regelungsmodell unter besonderer Berücksichtigung internationaler Menschenrechte.
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men demnach die Verpflichtungen aus der UN-Charta gemäß Art. 103 UNCharta145 vorrangig zur Geltung146. Zum gleichen Ergebnis gelangte im Jahr 2015 auch die sogenannte „Wahrheitskommission“ des Griechischen Parlaments. Der Report spricht von einer unmittelbaren Verletzung fundamentaler Menschenrechte der griechischen Bürger („direct infringement on the fundamental human rights of the residents of Greece“). Die Verbindlichkeiten seien im Ergebnis deshalb „illegal, illegitimate, and odious“147. Unter dem im Januar 2015 gewählten Ministerpräsidenten Tsipras hat Griechenland angekündigt, sich von den Auflagen der Troika lösen zu wollen148. Die wirtschaftliche Entwicklung unter den Auflagen der Troika lasse keine Hoffnung auf eine selbstgestaltete Zukunft erkennen. Mit der Aufkündigung der Bindungen der Vorgängerregierung hat Griechenland das Völkerrecht auf seiner Seite, weil es damit seine staatliche Souveränität wahrt. Nach dem Prinzip der umkehrbaren Selbstbindung obliegt es grundsätzlich dem Willen Griechenlands, ob die Auflagen aufgekündigt oder umgesetzt werden, das heißt innerstaatlich durch Parlamentsgesetze, also griechische Gesetze verbindlich gemacht werden (zum völkerrechtlichen Dualismus unten). 5. „Implementation risks“ Ein öffentlicher Diskurs, welcher die Differenzen der einzelnen Interessengruppen innerhalb der Bürgerschaft zur Sprache und zu Gehör bringt, gewährleistet, dass politische Konflikte vernunftbestimmt und verbindlich befriedet werden. Die strukturellen Reformauflagen, die das griechische Parlament auf der Grundlage der Vorgaben der Troika umzusetzen hatte, vermochten die erhoffte „legitimitätserzeugende“ und „protestabsorbierende Wirkung“149 nicht 145 „In the event of a conflict between the obligations of the Members of the United Nations under the present Charter and their obligations under any other international agreement, their obligations under the present Charter shall prevail.“ – Art. 103 UN-Charta. 146 Über den „organisationshierarchischen Ansatz der „Odious Debts“ mit Blick auf die Memoranda of Understanding A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 22. 147 Hellenic Parliament’s Debt Truth Committee Preliminary Findings – Executive Summary of the report. 148 Handelsblatt Online vom 30. Januar 2015, „Wir arbeiten nicht mehr mit der Troika zusammen“, http://www.handelsblatt.com/politik/international/eklat-zwischengriechenland-und-eu-wir-arbeiten-nicht-mehr-mit-der-troika-zusammen/11306996. html. 149 W. Bottke, Materielle und formelle Verfahrensgerechtigkeit im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 78.
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zu entfalten150. Die von Seiten der Troika immer wieder beklagte Verschleppung der Reformzusagen führte zum typischen Phänomen der Gruppensolidarisierung und belegt, „dass der Druck von außen seine Grenzen hat“151. Teilweise führt er zu Ausprägungen „politischen Ungehorsams“, etwa wenn aus griechischen Ministerien der Rat erteilt wurde, „den Vorschlägen der Troika zwar zuzustimmen, diese dann aber nicht umzusetzen“152. Obgleich das Memorandum of Understanding noch unter der Übergangsregierung von Lukas Papademos kurz vor den Wahlen im April 2012 durch das Parlament ratifiziert wurde, kam es in der Folge zu einem weitgehenden Reformstillstand. Für die Anwendung der Reformgesetze fehlten „nicht nur die Ausführungsbestimmungen, sondern generell der Wille zu Veränderun gen“153. Es stockten die Haushaltsplanung, das Privatisierungsprogramm sowie die Modernisierung der Verwaltung; auch die Steuermoral hatte sich „wegen des politischen Stillstandes“ weiter verschlechtert154. Andreas Fischer-Lescano verweist mit Aristea Koukiadaki und Lefteris Kretsos auf den engen Zusammenhang zwischen finanzieller und sozialer Stabilität155. Das durch die Strukturprogramme entstandene Legitimationsvakuum zerstört die Solidarität unter den Bürgern und die Loyalität der Bürger gegenüber dem Gemeinwesen, mithin das Sozialprinzip in seinen vorrechtlichen Voraussetzungen156. Sie vertiefen „die ökonomischen und 150 Der Chefberater von Premierminister Loukas Papademos, Gikas Hardouvelis, zu dem Grund, warum die Reformen nicht wirkten: „Weil die zuständigen Minister nicht wollten, dass sie funktionieren.“ Der Spiegel vom 14. Mai 2012, S. 26, Abschied vom Euro S. 26. 151 P. Welter, FAZ vom 16. August 2012, S. 9, Der Währungsfonds auf dem Rückzug. 152 Der Spiegel vom 14. Mai 2012, Abschied vom Euro S. 26. 153 FAZ vom 25. Mai 2012, Griechen zahlen immer weniger Steuern. 154 Ebenda. 155 A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 46; A. Koukia daki/L. Kretsos, Opening Pandora’s Box. The Sovereign Debt Crisis and Labour Market Regulation in Greece, in: Industrial Law Journal 41, 2012, S. 276 ff., 303. 156 Nach Ansicht von Hans Vorländer entsteht damit ein Elitarismus, „die reine Elitendemokratie, in der Funktionsträger und Interessenten eine oligarchisch zu nennende Herrschaft der Wenigen etablieren. Der Bürger wird – jenseits des Wahlaktes – allenfalls zur Akklamation von hinter den öffentlichen Kulissen getroffenen Entscheidungen benötigt oder aber zum Stillhalten genötigt.“ Es entsteht ein „verselbständigtes Entscheidungssystem“, ein System „als geschlossene Veranstaltung von Funktionseliten, von wirtschaftlichen Interessenenten und eines politisch-bürokratischen Komplexes“. Vorländer leitet daraus die Forderung ab, dass repräsentative Demokratie verstärkt direkte Formen der Beteiligung von Bürgern aufnimmt. Dies „verschränkt die demokratische Lebensform und demokratische Entscheidungsstruktur auf verschiedenen Ebenen“ (zum Beispiel die Beteiligung von Bürgern in transpa-
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sozialen Problemlagen und verschärfen die Konfliktpotentiale“157, die sich etwa in regelmäßigen Generalstreiks158, steigender Korruption, geringer Steuermoral und teilweise auch in gewaltsamen Protesten Bahn brechen159. Grundsätzlich können Widerstandshandlungen, sofern sie verhältnismäßig sind, Legitimität beanspruchen; denn „im Fall schwerer und nachhaltiger Unterdrückung des Volkswillens mit entsprechenden Menschenrechtsverletzungen steht dem Volk ultima ratio das Widerstandsrecht zur Durchsetzung des Rechts auf Selfgovernance zu“160. Der Widerstand gegen die Konditionalitätspolitik der Troika belegt, dass die Frage des Legitimationsniveaus nicht nur einen im Recht begründeten formalen Eigenwert, sondern auch eine empirisch begründbare wirtschaftliche Dimension hat161, welche nicht ohne Wirkung auf die Wohlstandsentwicklung des Staates ist. Die fragwürdige Erfolgsbilanz der Strukturreformprogramme des IWF liegt neben den oben diskutierten politisch motivierten und häufig ökonorenten, kommunalen Planverfahren). Siehe H. Vorländer, FAZ vom 12. Juli 2011, S. 8, Spiel ohne Bürger. 157 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 288. 158 Die Regelungen stoßen auf Widerstand und „zivilen Ungehorsam“. Zum Beispiel streiken im Oktober 2011 in Griechenland die Angestellten der Nahverkehrsmittel, die Journalisten und Beschäftigten der Medien, Bankangestellte, griechische Seeleute, Ärzte, Rechtsanwälte, Zollbeamte und Finanzbeamte gegen die Sparpolitik der Regierung Papandreou – die Zeitung „Eleftehrotypia“ berichtete angesichts dieses „gigantischen Aufstandes“ von einer zu erwartenden „Lähmung der Wirtschaft“. FAZ vom 15. Oktober 2011, Griechenland vor großer Streikwelle, S. 1; FAZ Online vom 15. Juni 2011, Griechen protestieren gegen Sparprogramm, http://www.faz.net/aktu ell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/generalstreik-griechen-protestieren-gegen-spar programm-1651495.html. 159 Etwa die häufigen gewaltsamen Auseinandersetzungen in Athen in den Jahren 2010 und 2011. Siehe Süddeutsche Zeitung Online vom 19. Oktober 2011, Demons tranten legen Griechenland lahm, einzusehen unter http://www.sueddeutsche.de/poli tik/schuldenkrise-demonstranten-legen-griechenland-lahm-1.1168053. 160 A. Emmerich-Fritsche, Recht auf Demokratie – Politische Selbst- und Mitbestimmung als Menschen- und Völkerrecht, MenschenRechtsMagazin 2012/2, S. 243. 161 Daron Acemonglu und James Robinson haben in ihrer Untersuchung „Why Nations Fail“ empirisch nachgewiesen, dass für den Erfolg umfassender struktureller Reformen die „prinzipielle Loyalität der großen Mehrheit eines Volkes“ maßgeblich sei. Dabei komme Institutionen im wirtschaftlichen Entwicklungsprozess besondere Bedeutung zu, wobei zwischen zwei Institutionsformen zu unterscheiden sei, nämlich „extractive“ (im Sinne von herrschaftlich) und „inclusive“ (im Sinne von die gesamte Gesellschaft umfassend). Die Untersuchung hat gezeigt, dass nur „inclusive“ Institutionen und demokratische Regierungsformen den wirtschaftlichen Wohlstand nachhaltig gewährleisten können. D. Acemonglu/J. Robinson, Why Nations Fail: The Origins of Power, Prosperity, and Poverty, 2012.
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misch schädlichen Auflagen nicht zuletzt auch an sogenannten „implementation risks“. Das Implementierungsrisiko beschreibt die Erfahrung, dass der Mangel an Legitimität kaum Bereitschaft generiert, die Politiken entsprechend dem Sinn und Zweck der Auflagen umzusetzen162. Erträge, die vor allem den Gläubigern zufließen, motivieren den Schuldnerstaat kaum, Anstrengungen zur Gläubigerbefriedigung zu unternehmen163. Der IWF versucht dieser Gefahr zu begegnen, indem er den Programmstaaten in Teilen die sogenannte „ownership“ über die Programme überträgt. In der Praxis ist dies meist kaum mehr als eine Formalität, weil die IWFProgramme nur einen engen politischen Gestaltungsspielraum zulassen und die Konditionalität der Kredite die eigentliche Verbindlichkeit entfaltet164. 6. Heilung durch Referendum In Krisensituationen stellt sich die Frage, ob ein Referendum den Auflagen des IWF eine (nachträgliche) Legitimation vermitteln kann. Grundsätzlich bedarf die rechtsstaatliche Materialisierung struktureller Reformen einer Erkenntnisbildung im Rahmen eines öffentlichen Diskurses, welche die Sache „der Vertreter des ganzen Volkes“ (mittelbare Legitimation) oder des „Volkes in seiner Gesamtheit“165 (unmittelbare Legitimation) ist. Dementsprechend wird der Wille der Bürgerschaft entweder durch Abstimmungen der stimmberechtigten Bürger oder mittels organschaftlicher Vertretung zum Ausdruck 162 So kritisierten die Kontrolleure des IWF im Februar 2011 die griechische Bevölkerung, die Reformauflagen nicht ausreichend umzusetzen, was einen Proteststurm auslöste. Im Gegenzug warf der IWF den griechischen Demonstranten vor, „durch ihr Festhalten an Privilegien die Reformen zu behindern und der Gesellschaft insgesamt eine große Last aufzubürden“. Siehe FAZ vom 14. Februar 2011, Athen klagt über „IWF-Befehle“. 163 Dagegen beruht das unten zu diskutierende Insolvenzprinzip („fresh-start“) nicht zuletzt auf der Motivation des Schuldners, Anstrengungen im Eigeninteresse zu unternehmen. 164 So steht das offizielles Eingeständnis des griechischen Ministerpräsidenten Tsipras, nicht an einen Erfolg der auferlegten Strukturreformen im Zuge des dritten Rettungspaket zu glauben (Spiegel Online vom 14. Juli 2015, Tsipras wirft Gläubigern Rachsucht vor, einzusehen unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-tsipras-wirft-glaeubigern-rachsucht-vor-a-1043539.html.), in auffälligem Wi derspruch zu der Voraussetzung der Ziffer 5) Richtlinien zur Konditionalität (GoC): „A member’s request to use Fund resources will be approved only if the Fund is satisfied that the member’s program is consistent with the Fund’s provisions and policies and that it will be carried out, and in particular that the member is sufficiently committed to implement the program.“ 165 K. A. Schachtschneider, Quo vadis Europa, in: W. Lachmann/R. Haupt/ K. Farmer (Hrsg.), Zur Zukunft Europas, S. 19.
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gebracht166. Entscheidend ist, dass der Wille der Bürger effektiv zur Geltung kommt167. Problematisch ist, dass ein Referendum keine Einflussnahme auf den Gestaltungsprozess der Reformen erlaubt, sondern nur eine binäre Entscheidung im Sinne einer Zustimmung oder Ablehnung gestattet. Gleichwohl ließe sich auf diese Weise das rechtsstaatlich gebotene Legitimationsniveau zumindest verbessern. In der Griechenlandkrise wurden bislang zwei Anläufe für ein Referendum unternommen. So kündigte die griechische Regierung im Jahr 2011 ihre Absicht an, das Legitimationsdefizit der Strukturreformen durch ein Referendum des griechischen Volkes zu heilen. Diese Pläne wurde von Seiten der Geldgeber zunächst verhindert, um die Verbindlichkeit der Auflagen nicht zu gefährden168. Vier Jahre später, im Jahr 2015, wurde das Auflagenprogramm der Troika dem griechischen Volk zu Abstimmung169 vorgelegt170. Das Referendum im Jahr 2015 stellte dem griechischen Volk folgende Frage: 166 „Die Organe sind Einrichtungen, mittels derer das Volk vertreten wird. Sie dienen dem Volk für dessen Zwecke, das gemeine Wohl nach Maßgabe der Verfassung und des Verfassungsgesetzes zu verwirklichen.“ K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 97; vgl. ders., Freiheit in der Republik, S. 288; ders., Res publica res populi, S. 707 ff. 167 „Aus verfassungsrechtlicher Sicht entscheidend ist nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität.“ BVerfGE 83, 60 Rn. 39. 168 Der griechische Präsident Papandreou kündigte am 02. November 2011 an, den Inhalt der Reformgesetze dem griechischen Volk in einem Referendum zur Abstimmung vorzulegen. Diese Entscheidung wurde von allen Akteuren, die an den Verhandlungen über die Rettungsmaßnahmen beteiligt sind, als äußerst „gefährlich“ erachtet und auf Druck der Geldgeber letztlich verworfen. FAZ Online vom 20. September 2011, Zitterpartie um Griechenland geht weiter. 169 Art. 44 Nr. 2 der Griechischen Verfassung sieht die Möglichkeit eines Referendums in einer wesentlichen Frage des öffentlichen Wohls ausdrücklich vor: The President of the Republic shall by decree proclaim a referendum on crucial national matters following a resolution voted by an absolute majority of the total number of Members of Parliament, taken upon proposal of the Cabinet. A referendum on Bills passed by Parliament regulating important social matters, with the exception of the fiscal ones shall be proclaimed by decree by the President of the Republic, if this is decided by three-fifths of the total number of its members, following a proposal of two-fifths of the total number of its members, and as the Standing Orders and the law for the application of the present paragraph provide. No more than two proposals to hold a referendum on a Bill can be introduced in the same parliamentary term. 170 Zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Referendums The Wall Street Journal Online vom 1. Juli 2015, Greek Referendum Not in Line With European Standards, einzusehen unter http://www.wsj.com/articles/greek-referendum-not-in-line-with-european-standards-says-watchdog-1435761444; Die Zeit Online vom 28. Juni 2015, Ein Referendum im Expressverfahren, einzusehen unter http://www.zeit.de/politik/ ausland/2015-06/griechenland-referendum-im-expressverfahren.
A. Wesensgehalt des demokratischen Prinzips405 „Muss der Entwurf einer Vereinbarung von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds akzeptiert werden, welcher am 25.06.2015 eingereicht wurde und aus zwei Teilen besteht, die in einem einzigen Vorschlag zusammengefasst sind?“ Nicht angenommen / NO Angenommen / YES
Die Materialität der zur Abstimmung gestellten Strukturreformen wurde außerhalb der zuständigen Institutionen, namentlich des Parlaments ausgearbeitet („Vereinbarung von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds“). Das Referendum über ein gesamtes politisches Strukturprogramm vermag daher nur eine eingeschränkte Legitimation zu entfalten. So ging es bei dem Referendum von vornherein nicht um eine verbindliche Willensentscheidung des Volkes, sondern nach den Worten des Ministerpräsidenten Tsipras lediglich um „eine Stärkung unserer Verhandlungsposition“. Eine Ablehnung der Auflagen ebne den Weg, in den Verhandlungen mit den Gläubigerinstitutionen möglicherweise zu einer besseren Lösung zu gelangen171. Zwar sprach sich das griechische Volk am 5. Juli 2015 mit deutlicher Mehrheit gegen die Auflagen aus. Dessen ungeachtet wurden die Auflagen (inhaltlich strenger als vor dem Referendum) später von Seiten der griechischen Regierung akzeptiert172. Unter anderem musste sich Griechenland der Forderung der Geldgeber beugen und sich verpflichten, auch nach dem Ende des laufenden Programms des IWF im März 2016 weitere Hilfen beim in Griechenland „verhassten“173 IWF zu beantragen, der in Griechenland „bekannt dafür ist, die härtesten Spar- und Reformauflagen zu machen“174. Die Willensäußerung des griechischen Volkes blieb damit ohne jede Wirkung, auch das ein Beleg für den Zwangscharakter der Konditionalität, unter welcher nicht die rechtliche, sondern allein die faktische Verbindlichkeit zur Geltung kommt. 7. Ergebnis Das demokratische Prinzip175 garantiert „das Recht aller und jedes Einzelnen, das allgemeine Gesetz als Recht zu geben und im Recht und damit in allgemeiner Gesetzlichkeit zu leben“176. Dieser Anspruch auf Teilhabe an der 171 FAZ
vom 1. Juli 2015, ‚Nein ist historische Verantwortung‘. vom 14. Juli 2015, Nr. 160, S. 3, Der Griechenland-Kompromiss. 173 FAZ vom 14. Juli, Nr. 160, S. 3, Das war doch wohl der Gipfel. 174 Der Tagesspiegel vom 14. Juli 2015, Nr. 22459, S. 3, Tage der Entscheidungen. 175 Dessen Wesensgehalt ist „die konstruktive Identität von Regierenden und Regierten“. A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 618. 176 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 286. 172 FAZ
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demokratischen Ausübung der Staatsgewalt177, das heißt an allen Einrichtungen, die mit der Ausübung von Hoheitsrechten betraut sind, verwirklicht sich im Wahlrecht des Bürgers178. Die wirtschaftspolitischen Grundentscheidungen in den Memoranda of Understanding bilden ein System von Rechtssätzen innerhalb eines Urteilszusammenhangs, der maßgeblich von den Erkenntnissen des IWF (in den Eurostaaten der Troika) manifestiert wird. Die Legitimationsdefizite der Auflagen liegen im Kern darin begründet, dass die Gesetzgebung durch die Konditionalität an diese Erkenntnisse und Urteile inhaltlich gebunden ist. Damit wird der Verantwortungszusammenhang zwischen dem Bürger und der allgemeinen Gesetzgebung aufgelöst179, das heißt der Bürger kann sich mit den Entscheidungen des Staates, die seine Freiheit (identitas) verwirklichen sollen, nicht mehr identifizieren. Er ist in seinen subjektiven Rechten verletzt, weil er nicht gemäß dem Rechtsprinzip vertreten wird. Unter der Konditionalität des IWF können die betroffenen Bürger weder mit der Wahl ihrer Abgeordneten noch mit der Abstimmung im Parlament selbst ihren gemeinsamen politischen Willen wirksam bilden oder betätigen. Der Anspruch der Bürger auf „demokratische Selbstbestimmung“, ihr „Recht auf freie und gleiche Teilhabe“ an der demokratischen Legitimation der Staatsgewalt, „sowie auf die Einhaltung des Demokratiegebots einschließlich der Achtung der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes“180 verliert trotz Wahlen seine Substanz. Eine Repräsentativvertretung, welche das Volk nicht mehr wirksam vertreten kann, weil es die wesentlichen Entscheidungen nicht mehr selbstbestimmt 177 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts wird dieser Anspruch des Bürgers durch das Wahlrecht gewährleistet: „Das Wahlrecht begründet einen Anspruch auf demokratische Selbstbestimmung, auf freie und gleiche Teilhabe an der im Staat ausgeübten öffentlichen Gewalt sowie auf die Einhaltung des Demokratiegebots einschließlich der Achtung der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes.“ BVerfGE 123, 267, Rn. 208. Hector Torres hält die Rückkoppelung der IWF-Entscheidungen an die Bürger der Mitgliedstaaten insbesondere in jenen Staaten für zu unzureichend, die von KreditProgrammen betroffen sind und im Exekutivdirektorium nicht ständig vertreten sind, sondern ihrer Stimme durch Koalitionen Gewicht geben müssen. Umgekehrt, so Torres, hätten die rechtlichen Verpflichtungen innerhalb der Reichweite der Article-IVÜberwachungsaktivitäten des Fonds insbesondere den IWF-Geberstaaten einen wichtigen Einflusskanal verschafft, „to influence international economic oversight“, Reforming the International Monetary Fund – Why its Legitimacy is at Stake, Journal of International Economic Law, 2007, S. 7 f. 178 BVerfGE, 89, 155 Rn. 104. 179 H. Vorländer, FAZ vom 12. Juli 2011, Spiel ohne Bürger, S. 8. 180 BVerfGE 123, 267, Rn. 208.
B. Finanzieller Notstand als Rechtfertigungstatbestand407
treffen kann, ist demokratiewidrig181. Das heißt: Unter der Konditionalität des Internationalen Währungsfonds ist den betroffenen Bürgern die Souveränität genommen182.
B. Finanzieller Notstand als Rechtfertigungstatbestand Im letzten Kapitel wurde (auf Tatbestandsebene) festgestellt, dass die Souveränität des betroffenen Volkes und damit das demokratische Prinzip durch die IWF-Konditionalität unter verschiedenen Aspekten nachhaltig verletzt ist. Vor dem Hintergrund einer schwerwiegenden Wirtschaftskrise erhebt sich die Frage, ob im Einzelfall eine Relativierung des demokratischen Verfahrens um übergeordneter Ziele willen gerechtfertigt sein kann. Muss die Missachtung des verfassungsrechtlichen Verfahrens und die Umgehung des demokratischen Prinzips als „Kollateralschaden“183 – die angelsächsische Literatur spricht von „sovereignty-cost“184 – hingenommen werden, um strukturelle gesetzliche Reformen durchzusetzen und die Liquidität des Staatshaushaltes kurzfristig, das heißt (unmittelbar vor Fälligkeit der nächsten Verbindlichkeit) sicher zu stellen? Diese Frage prägt im Kern die Legitimationsproblematik der Konditionalität im Allgemeinen und der Memoranda of Understand ing gegenüber den Euro-Krisenstaaten im Besonderen185. Die beim IWF und 181 Andreas Fischer-Lescano hält die Auflagen zwar im Ergebnis ebenfalls für rechts- und demokratiewidrig, äußert aber Bedenken gegen eine „nationalstaatliche Rahmung der Konfliktlinien“ in der Eurokrise. „Die Betonung der souveränen Staatlichkeit in der Krise [helfe] zur Lösung dieser grenzüberschreitenden Probleme nicht weiter“; denn damit würden „soziale in zwischenstaatliche Gestaltungsfragen“ verfälscht (A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 4 f.). Er sieht die Lösung der Krise in der Einbeziehung und Stärkung der europäischen Kontroll institutionen, namentlich dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission. Fischer-Lescano übersieht, dass auch die Europäische Kommission Teil der Exekutive und nicht ausreichend demokratisch legitimiert ist. Sie verfügt allenfalls über eine von den EU-Mitgliedstaaten abgeleitete Legitimation. Die betroffenen Staaten haben in der Kommission keinen maßgebenden Einfluss. Dies gilt um so mehr für die EZB, die dem Zugriff der nationalen Politik weitgehend entzogen ist. 182 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 134. 183 So Jürgen Neyer in Bezug auf die schleichende Aushöhlung demokratischer Prozesse durch den europäischen Integrationismus, J. Neyer, FAZ vom 7. April 2013, Europa: Integration und Demokratie. 184 J. Vreeland, The International Monetary Fund, Politics of Conditional Lending, S. 59. 185 Dieselbe Problematik stellt sich zum Beispiel auch bei der Frage der Legitimation der „European Financial Stability Facility“ (EFSF). Diese begründet keine Zuständigkeiten für die Renten- und Sozialpolitik, umso weniger für das Budgetrecht der betroffenen Staaten. Dennoch sind die am EFSF beteiligten Staaten (in Verbindung mit dem IWF und der EZB) die maßgeblichen Befürworter strenger Konditio-
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der übrigen Troika vorherrschende Auffassung, nach welcher Einschränkungen des demokratischen Prinzips eine graduelle Frage des „Legitimations niveaus“186 und im Ergebnis gerechtfertigt seien, beruft sich der Sache nach auf die Dogmatik der sogenannten Ex-post- oder Ergebnislegitimation. Demnach sei die Problematik einer Rechtfertigung der Konditionalitätspolitik in finanziellen Notstandslagen im Kern eine Abwägungsfrage187. Diese Argumentation soll sowohl in ihrer rechtlichen Dogmatik, als auch in ihren praktischen Auswirkungen am Beispiel der Euro-Krise, näherhin am Fall Griechenlands, kritisch in den Blick genommen werden.
I. Dogmatischer Rechtfertigungsansatz Der in der Euro-Krise angeführte Legitimationstopos wird damit begründet, dass das politische Verfahren zur Lösung der griechischen Finanzkrise zwar demokratierechtlich bedenklich, um eines Verbleibens in der EuroGruppe willen aber unausweichlich sei und jedenfalls durch das richtige Ergebnis legitimiert werden könne. Diese Argumentation beruht auf der Überzeugung, Legitimation werde durch das richtige Ergebnis hergestellt und liege bereits darin begründet, dass das „allgemeine Wohl im jeweiligen Gemeinwesen“188 gefördert werde. Ein Defizit an demokratischer (Input-) nalität gegenüber den Schuldnerstaaten, auf deren nationale Politik die Memoranda of Understanding im Rahmen der Kreditprogramme entscheidend einwirken. 186 Utz Schliesky spricht „angesichts der Ergebnisbeurteilung“ von „Legitimitätsniveau“, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, Die Weiterentwicklung von Begriffen der Staatslehre und des Staatsrechts im europäischen Mehrebenensystem, S. 621 f. 187 Nach Katharina Sobota sei im Fall einer Kollision von gleichrangigen Verfassungsprinzipien (S. 244 ff., 430 ff.) eine Kollisionslösung durch Abwägung im Sinne der Herstellung einer praktischen Konkordanz geboten, Das Prinzip Rechtsstaat, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte, 1997, S. 442; zustimmend und näher zum „Abwägungsvorgang im Optimierungsprozess“ U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 618 ff., 621. Das demokratische Prinzip enthalte seinem Wesen nach lediglich ein Optimierungs- und Maximierungsgebot; denn das demokratische Prinzip sei kein „demokratischer Absolutismus“. Als Staatsziel könne es niemals vollständig erfüllt sein, sondern sei lediglich als ein „idealer Orientierungspunkt“ zu versehen, der insofern auf „Optimierung angelegt“ und daher auf unterschiedlichem Legitimationsniveau realisierbar sei. Ebenda, S. 617 f. 188 So Fritz Scharpf mit Blick auf die demokratische Legitimation europäischer Rechtsakte, Regieren in Europa, 1999, S. 16, 20. Mangels einer „kollektiven Identität“ sei eine Legitimation durch Output-Faktoren möglich und zur Förderung des Gemeinwohls geboten. Ders., Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1975, S. 21 ff.; ders., Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaates, in: G. F. Schuppert/I. Pernice/U. Haltern (Hrsg.), Europawissenschaft, 2005, S. 705, 711 ff., 716 f.; ebenso M. Höreth, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma: Zur Rechtfertigung des Regierens jenseits der Staatlichkeit, 1999, S. 88; zur Berück-
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Legitimation werde in dem Sinne kompensiert, wie es ohne Finanzhilfen und ohne Auflagen mangels Liquidität schließlich nichts mehr zu verteilen gebe. Die Auflagen seien daher als Alternative zum Szenario einer ungeordneten Zahlungsunfähigkeit, das heißt gleichsam als Maßnahmen des geringeren Übels, im Ergebnis gerechtfertigt. Dogmatisch beruht diese Argumentation auf dem Modell einer am Ergebnis orientieren ex-post-Legitimation. Dieser Legitimationsansatz nimmt konzeptionelle Anleihen bei der von Hans-Peter Ipsen mit Blick auf die Europäische Union entwickelten Zweckverbandslehre und wendet sie auf internationale Organisationen an189. Unter einem Zweckverband versteht Ipsen einen Verband, der durch die „Nicht-Totalität seines Wirkungskreises“ auf bestimmte Sachaufgaben beschränkt ist190. Ein solcher Zweckverband bedürfe keiner demokratischen Legitimation, wenn er sich mit „nicht kontroversen Agenden unpolitischer Technizität und prozesshafter Berechenbarkeit“ befasst191. Giandomenico Majone vertritt mit seinem „nicht-majoritären Demokratiemodell“ eine modifizierte Zweckverbandstheorie192. Sie gründet auf dem Prinzip der Machtteilung („separation of powers“) und zielt darauf ab, politische Entscheidungsverantwortung auf unabhängige Institutionen zu verteilen. Entscheidungen sollen der (partei-)politischen Einflussnahme entzogen werden. Dies mache eine effektivere demokratische Kontrolle möglich, als sie durch direkte Verantwortung gegenüber den Bürgern erreicht werden könne. Unabhängige Fachinstitutionen unterlägen keiner direkten demokratischen Verantwortlichkeit. Damit würden besondere Eigenschaften, wie die Fähigkeit zur sachlichen Expertise, Unabhängigkeit und Fairness gefördert193. Der Zugewinn wöge eine direkte politische Verantwortung im Ergebnis auf. Majone sieht die Anwendung seines Modells auf „regulatory agencies“ beschränkt, bei welchen es um Sachbereiche geht, in denen Effektivität ein sichtigung des „Outputs“: T. Oppermann/C. Classen/M. Nettesheim, Europarecht, 2014, § 16, Rdn. 14 ff. 189 Diese Überlegungen stellt auch Matthias Schlingmann in Bezug auf die World Trade Organization an, lehnt sie aber zurecht ab, Welthandelsrecht und Demokratieprinzip, 2012, S. 70 ff. 190 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 197 f. 191 Ebenda, S. 1044.; kritisch dazu W. Schroeder, Demokratie, Transparenz und die Regierungskonferenz, 1998, S. 433 ff.; ders., Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 478 ff. 192 G. Majone, The Regulatory State and its Legitimacy Problems, IHS Political Science Series No. 56, 1998. Dazu kritisch M. Höreth, Zur Rechtfertigung des Regierens jenseits der Staatlichkeit, S. 324 ff. 193 G. Majone, The Regulatory State and its Legitimacy Problems, S. 285 f.
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maßgeblicher Stellenwert zukommt. Beispielhaft nennt er die wachsende Bedeutung unabhängiger Zentralbanken, von Gerichten und der Europäischen Kommission, sowie die Erfahrung mit den US-amerikanischen unabhängigen Regulierungskommissionen. Majone hält das Modell nicht in allen Sachbereichen für anwendbar und unterscheidet zwischen regulativen und distributiven Entscheidungen. Bei distributiven Entscheidungen könne das Modell keine hinlängliche Legitimation entfalten. Im Übrigen sei die angestrebte Unabhängigkeit nur zu erreichen, wenn die Transparenz und die gerichtliche Kontrolle der Entscheidungsprozesse gewährleistet ist194. Rechtsdogmatische Begründungsansätze nicht (formal)demokratischer Entscheidungsfindung195 finden sich in der Literatur unter dem Begriff der sogenannten Output-Legitimation, deren Befürworter und Namensgeber Fritz Scharpf ist196. Die Output-Legitimation unternimmt den Versuch einer „technokratisch-utilitaristischen Begründung von Legitimation“197. Politische Herrschaftsausübung gewönne in dem Maße an Legitimität, wie sie die Fä194 Ebenda,
S. 284. der Literatur werden diese Legitimationsmodelle häufig relativierend als Konzepte (ergebnisorientierter) „demokratischer Legitimation“ bezeichnet. So zum Beispiel, K. Baltes, Die demokratische Legitimation und die Unabhängigkeit des EuGH und des EuG, 2011, S. 113. An Stelle des Prinzips der „Herrschaft durch das Volk“ trete bei dem Ergebnislegitimationsmodell das Prinzip der „Herrschaft für das Volk“. Auch wenn der Bezugspunkt dieses Modells der einzelne Bürger bleibt, ist die Bezeichnung irreführend, weil es sich bei diesem Legitimationsmodell in der Sache gerade nicht um ein demokratisches Verfahren, sondern um die (versuchte) Recht fertigung eines an und für sich undemokratischen Verfahrens handelt. So auch: A. v. Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts, S. 853, 866; mit der Forderung nach einer „durchgehenden Legitimationskette“ E. Rumler-Korinek, Kann die EU demokratisch ausgestaltet werden?, 2003, S. 337. 196 Vertreter dieser These sind insbesondere: F. Scharpf, Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats; zum Out-put-Modell einer „Legitimation durch Bewährung“, A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 411 ff., 580 ff., 647 ff.; dazu kritisch: U. Volkmann, Setzt Demokratie den Staat voraus? 2002, S. 575, 607; A. v. Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts, 2003, S. 853, 866; M. Baumbach, Vertragswandel und demokratische Legitimation, 2007, S. 135 f.; A. Voßkuhle/A. B. Kaiser, Demokratische Legitimation, 2009, S. 803 ff. Freilich enthält auch das demokratische Prinzip Elemente der Output-Legitimation. Diese äußern sich darin, dass demokratische, das heißt allgemeine, freie und gleiche Wahlen auch eine Kontrollfunktion besitzen. Der wahlberechtigte Bürger trifft nicht nur eine auf die Zukunft bezogene Richtungsentscheidung, sondern bewertet auch die Ergebnisse der vergangenen Legislaturperiode. Nach Kathrin Baltes seien im Nationalstaat beide Legitimationsperspektiven koexistent und verstärkten und ergänzten sich gegenseitig. K. Baltes, Die demokratische Legitimation und die Unabhängigkeit des EuGH und des EuG, S. 109. 197 A. v. Bogdandy, Entstaatlichung und Vergemeinschaftung in staatstheoretischer Perspektive, 1993, S. 220. 195 In
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higkeit besitzt, die Funktionstüchtigkeit des gesamtgesellschaftlichen Systems und die Befriedigung der Bedürfnisse der Bürger zu gewährleisten198. Dagegen sei eine „input-orientierte Legitimation“, welche auf einen direkten Verantwortungszusammenhang zwischen Bürger und Regierung besteht, auf transnationaler Ebene kaum tauglich, weil deren wesentliche Voraussetzungen fehlten199. Nach Scharpfs Ansicht seien politische Entscheidungen und Hoheitsakte, welche sich nicht unmittelbar vom Volk ableiten, allein durch das Ergebnis legitimierbar. Bedingung sei, dass sie „auf wirksame Weise das allgemeine Wohl im jeweiligen Gemeinwesen fördern“200. Eine Hoheitshandlung könne demnach gerechtfertigt sein, wenn sie in einer nachträglichen Bewertung „durch ihre (weitgehend indirekten) Leistungen, also ihren Output, zum Wohlergehen (einschließlich der Selbstbestimmung) der Bürger beiträgt“201. Entscheidend für die Legitimation seien „Leistung und Effizienz, also die Ergebnisse des hoheitlichen Handelns“. Diese könnten entweder hypothetisch, das heißt ex ante (wie das formale Legitimationskettenmodell) oder tatsächlich, das heißt ex post berücksichtigt werden202. Demzufolge könnten gesetzgebende Entscheidungen auch durch andere (oder unter Mitwirkung anderer) als die demokratisch legitimierten Institutionen getroffen werden, sofern zumindest ein hinreichend großer Bestand gemeinsamer Interessen bestünde203. Ein am Ergebnis orientierter Legitimationstatbestand müsse freilich „zur Erleichterung einer effektiven Problemlösung“ beitragen, auf dem Vertrauen der Wähler basieren und im Gleichschritt einen Missbrauch öffentlicher Macht verhindern204. Eine effektive Problemlösung könne insbesondere durch Sachverständige („Expertokratie“) und intergouvernementale Vereinbarungen erreicht werden. 198 M. Höreth,
1998.
Warum sich das Vereinte Europa mit der Demokratie schwer tut,
199 Dazu F. Scharpf, Demokratische Politik in der internationalisierten Ökonomie, 1998, S. 93 f.; ders., Demokratie in der transnationalen Politik, in: Ulrich Beck (Hrsg.), Politik der Globalisierung, 1998; ders., Versuch über Demokratie im verhandelnden Staat, in: R. Czada/M. Schmid, Verhandlungsdemokratie, Interessenvermittlung, Regierbarkeit, 1993, S. 27. 200 F. Scharpf, Regieren in Europa, 1999, S. 16, 20; ders., Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 21 ff.; ders., Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaates, S. 705, 711 ff., 716 f. 201 A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, S. 580, 647. 202 K. Baltes, Die demokratische Legitimation und die Unabhängigkeit des EuGH und des EuG, S. 108. 203 F. Scharpf, Regieren in Europa, S. 16, 20; ders., Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 21 ff. 204 K. Baltes, Die demokratische Legitimation und die Unabhängigkeit des EuGH und des EuG, S. 109.
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Diese wirke der „Uneinigkeit traditioneller demokratischer Verfahren“ bei der Entscheidungsfindung entgegen, zumal die Experten über einen überlegenen Sachverstand verfügten („Wissensfaktor“205), der zur Bewältigung komplexer Problemstellungen notwendig sei206. Nach Anne Peters’ Ex-post-Konzept einer „Legitimation durch Bewährung“ sei das klassische demokratische (ex-ante-)Modell einer unmittelbaren Rückbindung der öffentlichen Gewalt an den Volkswillen in Krisensituationen zu wenig flexibel, da es „keine Legitimation für Abweichungen vom Ex-ante-Urteil“207 vorsehe. Oftmals seien gerade in Krisensituationen flexible Lösungen unentbehrlich, zumal wenn „im Umgang mit einer ungewissen Zukunft“ keine ausreichenden Erfahrungswerte und vergleichbaren Fälle zur Lösung der Probleme zur Verfügung stünden208. Eine strenge Bindung an eine ex ante erfolgte Willensentscheidung des Volkes gestatte die Problembewältigung nur innerhalb eines „Systems von Versuch und Irrtum“209. Traditionelle demokratische Verfahren seien daher zu langwierig und in Krisensituationen ungeeignet, gemeinwohldienliche Entscheidungen zu treffen. In diesen Fällen sei also die Perspektive einer „Legitimation durch Bewährung“ sachgerecht und geboten; denn der Faktor der Bewährung ermögliche eine „anpassungsfähige und etappenweise Legitimation nach variablen Kriterien“, deren Zustimmung oder Ablehnung sich später im Wahlakt (Wiederwahl oder Abwahl der Entscheidungsträger) verwirkliche210. Im Übrigen sei ein hinreichendes Maß an Verantwortung gegenüber den Betroffenen gewährleistet, weil sich demokratisch legitimierte Institutionen notfalls über die Expertenentscheidung hinwegsetzen könnten211. 205 A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 517 ff., 524 ff., 539 ff., 552 ff., 556 ff., 586 ff. 206 Die Kontrolle erfolge dann im Rahmen von Fachdiskussionen. Siehe K. Baltes, Die demokratische Legitimation und die Unabhängigkeit des EuGH und des EuG, S. 110. 207 A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 582; 615 ff., 647 ff. Das Konzept der „Legitimation durch Bewährung“ legitimiere sowohl die Europäische Verfassung, als auch die Ausübung europäischer Hoheitsgewalt. Peters ist sich bei der Entwicklung ihres Modells der Legitimation durch Bewährung durchaus bewusst, dass „Funktionalität […] allein nicht legitimiert. Im Übrigen sind die praktischen Schwierigkeiten des Konzepts schwer zu lösen: Wer legt die Festlegung der Regelungsziele innerhalb komplexer politischer Prozesse fest? Wie sind die Zielerreichung und ihre Nebenwirkungen zu messen? Wer legt die Bewertungsmaßstäbe bei der Folgenevaluierung fest? Wer befindet über die Bewertungskriterien […], wer die Evaluierung durchführen soll und wer zu beteiligen ist“? Ebenda, S. 583 f. 208 Ebenda, S. 587. 209 Ebenda, S. 616. 210 Ebenda, S. 582. 211 F. Scharpf, Regieren in Europa, S. 24 (m. w. N.).
B. Finanzieller Notstand als Rechtfertigungstatbestand413
1. Die Rechtfertigungsdogmatik des Ergebnis-Legitimationsmodells nach Utz Schliesky Utz Schliesky lehrt eine Dogmatik zur „Rechtfertigung von Herrschafts gewalt“212 im Staats- und Völkerrecht. Er beobachtet „eine gewandelte Struktur der Herrschaftsordnung […], die sich als dynamisches Mehrebenensystem darstellt“213. Grundsätzlich müsse eine verändernde tatsächliche Situation ihre „Abbildung in den normativen Anforderungen einer Legitimationskonstruktion finden“214. Deshalb mache das „Hinzutreten einer Herrschaftsgewalt“ auf internationaler Ebene sowohl rechtliche als auch tatsächliche Anpassungen erforderlich. Schlieskys Lehre bietet der gegenwärtig in den Euro-Krisenstaaten praktizierten Krisenpolitik im Besonderen, darüber hinaus auch der gesamten IWF-Kreditpolitik im Allgemeinen, eine dogmatische Rechtfertigungsgrundlage und als solche soll sie im Folgenden exemplarisch diskutiert werden. Das Demokratieverständnis im klassischen Sinne widersetzt sich jeder Form der Herrschaftsordnung. Deshalb setzt Schliesky bereits auf der begrifflichen Ebene an und sucht tragende Rechtsbegriffe wie das demokratische Prinzip (und auch die staatliche Souveränität215) von ihren „überkommenen Begriffsinhalten“216 zu lösen und weiterzuentwickeln217. Der Ausweg aus der „Entwicklungsfalle“ eines absolut gesetzten bestimmten Verständnisses demokratischer Legitimation“218 sei im Wege einer anderen „Konkretisierung des Demokratieprinzips“219 zu suchen. Dieses erschöpfe sich nicht im formalen in-put einer Volkssouveränität, bei welcher alle Staatsgewalt vom Volk abgeleitet werden müsse220. Daneben beanspruche Demokratie eine materielle Komponente, welche sie „erst als ethisch-werthafte Herrschaft für das Volk erscheinen“ lasse221. 212 Sowohl der Legitimations- als auch der Legitimitätsbegriff seien „ganz allgemein mit Rechtfertigung von Herrschaftsgewalt“ zu umschreiben. Es gehe also um „die Frage nach der Rechtfertigung, nach dem ‚Warum?‘ der Betätigung von Herrschaftsgewalt“. U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 590. 213 Ebenda, S. 596. Das am weitesten entwickelte Beispiel sei das europäische Mehrebenensystem. 214 Ebenda, S. 438. 215 Dazu Teil 3, A. 216 Ebenda, S. 437 f. 217 Ebenda, S. 438. 218 Ebenda, S. 438. 219 Ebenda, S. 611. 220 Schliesky spricht vom „formalen Bauprinzip der Herrschaftsableitung“. Ebenda, S. 622. 221 Ebenda, S. 622.
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Teil 5: Demokratisches Prinzip als legitimatorische Grenze
Die Mängel an demokratischer Legitimation, die auch das Bundesverfassungsgericht in vielen Bereichen festgestellt hat, seien einer Bewertung aus der nationalstaatlichen Perspektive geschuldet222. Demokratie sei heute weder an ein Volk noch an einen Staat gebunden, also „nicht mehr (nur) als Staatsform, sondern wieder als Herrschaftsform zu begreifen, die auch in anderen Herrschaftsorganisationen außerhalb (oder innerhalb) des klassischen Staates im Sinne der Drei-Elemente-Lehre Verwendung finden“ könne223. Jene demokratierechtlichen Defizite seien „Nachweis des Bedarfs einer funktionsadäquaten Neubestimmung oder Neujustierung der Begriffsinhalte und Funktionsanforderungen […] wie sie auch nach Wegfall des monarchischen Prinzips für den demokratischen Verfassungsstaat des 20. Jahrhunderts erforderlich war“224; andernfalls bildeten sie nicht die Realität ab225. Das demokratische Prinzip sei kein „demokratischer Absolutismus“226. Schließlich sei es schlechterdings unmöglich, dieses Staatsziel jemals vollständig zu erfüllen. Vielmehr könne das Demokratieprinzip nur als ein „idealer Orientierungspunkt“ dienen und sei allein auf „Optimierung angelegt“227. Daraus folge, dass Demokratie auf unterschiedlichem Legitimationsniveau realisierbar sei228. Utz Schliesky unterscheidet mit Robert Alexy zwischen Prinzipien und Regeln. Kennzeichnend für das Demokratieprinzip sei die für Prinzipien charakteristische „Offenheit des Norminhalts“229. Das demokratische Prinzip – nach klassischem Verständnis: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ – könne nicht im Sinne einer Regel „nur erfüllt oder nicht erfüllt sein“; denn ein unmittelbarer Vollzug sei „nicht möglich“230. Daraus folge, dass 222 Ebenda,
S. 589. S. 542, dort auch zur Demokratie als Herrschaftsform. 224 Ebenda, S. 408. 225 Zur Realitätsnähe als Gesichtspunkt der Verfassungsinterpretation F. Müller, Juristische Methodik, Rdn. 380. 226 Ebenda, S. 617. 227 Ebenda, S. 617. 228 Ebenda, S. 618. Die verfassungsrechtlichen Garantien aus Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG und Art. 79 Abs. 3 GG stünden diesem Demokratieverständnis nicht entgegen. Die „Ewigkeitsklausel“ des Art. 79 Abs. 3 GG sei lediglich ein Grundsatz zum Schutz des Verfassungskerns, der nicht überdehnt werden dürfe. Jede dogmatische Konkretisierung würde die Schutzgarantie „aufgrund der inflationären Substanzzunahme relativieren und die übrige Verfassung entwerten“. Ein „allmähliche[r] Verfassungswandel“, der dem gesellschaftlichen Entwicklungsprozess folge, würde damit „unmöglich“ gemacht und geradezu „die Gefahr einer Verfassungsbeseitigung hervorrufen“. Ebenda, S. 607. 229 Ebenda S. 617. Den „ ‚Prinzipiencharakter‘ des Demokratieprinzips“ leitet Schliesky von der Lehre Alexys ab. 230 Ebenda, S. 617. 223 Ebenda,
B. Finanzieller Notstand als Rechtfertigungstatbestand415
dem Demokratieprinzip „keine unmittelbar subsumtionsfähigen Aussagen im Sinne einer Regel entnommen werden können“, sondern dass das Prinzip der „weiteren Konkretisierung“ bedürfe, um subsumtionsfähig zu werden231. Dementsprechend genieße Demokratie als Prinzip „keinen automatischen Vorrang“232, sondern sei einer Abwägung mit anderen (konfligierenden) Prinzipien im Rahmen eines Optimierungsproblems / -gebots zugänglich233. Weil das demokratische Prinzip ein Optimierungsauftrag und als solcher in den Abwägungsvorgang einzustellen sei, konzentriere sich die Legitimationsproblematik nicht auf das „Ob“, sondern auf das „Wie“, „mithin auf das ‚Legitimitätsniveau“234. Wie für Fritz Scharpf so hat auch für Schliesky der Legitimitätsbegriff eine starke „materielle Komponente“. Ein Demokratie-Konzept, welches „der Realität pluraler Herrschaftsgewalten“, etwa im europäischen Mehrebenensystem, besser gerecht werde, bedürfe „materieller Orientierungspunkte“; denn materielle Komponenten hätten eine „klassische Legitimationsbedeu tung“235. Das formelle Legitimationsverfahren sei „kein Selbstzweck“, sondern habe lediglich „dienende Funktion“; andernfalls würde der Legitimitätsbegriff „entmaterialisiert“, das heißt von „inhaltlich-moralischen“ Vorstellungen abgekoppelt236. Die Legitimitätsbeschaffung sei nicht „allein formalen Prozessen“ überlassen. Anstatt eines Rechtsformalismus gäbe die Erwartung des Volkes bezüglich „Inhalt und Ergebnis der Herrschaftsbetätigung“ den Ausschlag, weil „Demokratie gerade auch Herrschaft für das Volk“ sei237. Eine Herrschaftsgewalt dürfe sich nicht auf ein formales Verfahren, also nicht mehr auf „rein positivistisch gesetzte Rechtsakte oder auf fiktive Vereinbarungen eines ursprünglichen Gesellschaftsvertrages stützen“, sondern 231 Ebenda,
S. 617. S. 618. 233 Im Kollisionsfall mit anderen Prinzipien realisiere sich das Optimierungsgebot als „Maximierungsgebot“, so Schliesky unter Berufung auf N. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1994, S. 80 f. Fn. 37, dort mit Verweis auf die Ausnahmen des Bundesverfassungsgerichts. Sofern die Ausnahmen auf das „unvermeidbare Minimum beschränkt blieben“. U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 619. Daraus folge das Gebot einer „möglichst weitgehenden Verwirklichung des Demokratieprinzips“, ebenda, S. 620. 234 Ebenda, S. 621. Innerhalb des Abwägungsvorgangs erfolge „die Konkretisierung der Legitimationsanforderungen mit Blick auf widerstreitende, ebenfalls zu realisierende Verfassungsprinzipien“. Auch vom Bundesverfassungsgericht seien Abweichungen unter den Kriterien der Sachnähe und Richtigkeit zugelassen, eine materielle Ergebnisorientierung der Sache nach also bestätigt worden. Ebenda, S. 622. 235 U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 589. 236 Ebenda, S. 598. 237 Ebenda. 232 Ebenda,
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müsse auf die „individuelle Vernunft“ in Form von Herrschaftszwecken Bezug nehmen, die „sich an den Ergebnissen ihrer Betätigung vor dem Hintergrund der bestmöglichen Annäherung an die Herrschaftszwecke messen“238 lasse. In diesem Sinne sei Richtigkeit als „materiale Rationalität“ und daher als „Herrschaftszweck und Herrschaftsziel“ zu verstehen239. Richtigkeit impliziere eine „Ergebnisbewertung“ und sei damit „ein Synonym für die materielle Legitimationskomponente, die output-Legitimation“240. Je besser es gelänge, die „Herrschaftsziele“ zu verwirklichen, „desto mehr Legitimation wird der Herrschaftsgewalt zugeführt“241. Die Dogmatik, auf welcher Schliesky seinen Demokratiebegriff stützt, beruft sich auf ein funktionales Herrschaftsverständnis, stellt also auf den Herrschaftszweck ab. Schon Anne Peters hatte kritisiert, das sogenannte Allgemeinwohl sei zu „unbstimmt, um als praktikables Legitiamtionskriterium zu fungieren“242. Für Schliesky läßt sich der Herrschaftszweck allgemein als „Gemeinwohlwahrung“ beschreiben; denn Herrschaftsgewalt finde ihre Rechtfertigung „auch in der Ausrichtung an Herrschaftszwecken und der bestmöglichen Erreichung von Herrschaftszielen“. Orientiere man sich am Herrschaftszweck, müssten die Ergebnisse der Herrschaftsgewalt „bei der Legitimitätsbewertung demnach eine Rolle spielen“243: „Die Herrschaftsgewalt kann nur legitim sein, wenn sie zur Erreichung bestimmter Zwecke und Ziele tätig wird244.“ Schliesky stellt auch das Staatsvolk als personale Basis des Rechts in Abrede. Mit der „souveränitätstheoretischen Grundauffassung des überkommenen Nationalstaates“245 seien die gegenwärtigen Verhältnisse nicht mehr vereinbar. Der Demokratiebegriff sei nicht ausschließlich auf den Staat und ein Volk bezogen246, Demokratie demzufolge auch keine ausschließlich (staatsgebundene) Staatsform247. Diese Vorstellung hänge heute überkomme238 Ebenda,
S. 639. Zusammenhang mache das Ergebnis als materiale Legitimationskomponente erforderlich. Entscheidend sei das „Ergebnis der Herrschaftsgewalt für das Volk“, das heißt, es komme „auf effiziente, effektive und richtige Problemlösungen“ an. Ebenda, S. 649. 240 Ebenda, S. 649. 241 Ebenda, S. 648 f. 242 A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 569 ff., 774. 243 U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 591; vlg. auch A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 567 ff. 244 U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 599. 245 Ebenda. 246 Ebenda. 247 Ebenda; vgl. auch A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 639 ff. 239 Dieser
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nen historischen Entwicklungen nach248. Anstatt dessen sei Demokratie keine Staatsform, die sich von einem Volk ableite, sondern eine allgemeine Herrschaftsform, die unabhängig von Volk und Staat auch für „überstaatliche Herrschaftsstrukturen“ offen sei249. Um der „gewandelten Struktur der Herrschaftsordnung“250 gerecht zu werden, müsse neben der formellen demokratischen Ableitung der Herrschaftsgewalt vom Volk (diesen „input-Strang“ versteht Schliesky als Volkssouveränität) „diese Ableitung nun entsprechend von mehreren Trägern gemeinsamer Souveränität konstruiert und koordiniert werden“251. Schliesky verweist auf die politische Praxis, in welcher angesichts komplexer Entscheidungsfindungsprozesse fachkompetente Beratungsgremien eine „erhebliche Rolle“ spielten252. Dabei garantiere die Berücksichtigung einer materiellen Komponente der Legitimation, dass auch Akteure, die „formal-rechtlich nicht am Entscheidungsprozess [beteiligt sind], einbezogen werden können“253. Im Sinne materieller Orientierungspunkte müsse eine „Herrschaftsbetätigung für das Volk“254 hinzutreten. Ein rein formaler Entscheidungsprozess sei „für eine adäquate demokratische Legitimation unbefriedigend“255. Zur Begründung verweist Schliesky auf einen „formalen Entscheidungsbegriff (im Sinne der letzten, das Verfahren abschließenden Entscheidung)“256. Würde man bei der Legitimation allein auf die formale Entscheidung (ohne materielle Komponente) abstellen, so könne nicht gerechtfertigt werden, dass „z. B. Beratungsgremien erheblichen faktischen Einfluss auf staatliche Entscheidungen haben, indem die staatliche Entscheidungsinstanz die Voten der Beratungsgremien oftmals nur bestätigt“257. „Erst die hinzutretende Herrschaftsbetätigung für das Volk, d. h. ausgerichtet an den Herrschaftszwecken und -zielen und damit zum Wohle der Legitimationssubjekte, garantiert eine größtmögliche inhaltliche Übereinstimmung der Herrschaftsgewalt mit dem Willen der Legitimationssubjekte“258. Die dargelegte herrschaftslegitimierende Dogmatik ermöglicht die „Berücksichtigung anderer Verfassungsprinzipien bei der Legitimitätsbeur tei 248 U. Schliesky, 249 Ebenda. 250 Ebenda, 251 Ebenda, 252 Ebenda, 253 Ebenda, 254 Ebenda, 255 Ebenda, 256 Ebenda. 257 Ebenda. 258 Ebenda,
Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 599 f.
S. 596 (dort mit Bezug zur Europäischen Union). S. 595. S. 600 mit Verweis auf EuGH, Slg. 1991, I-5469 (5500 f.). S. 600. S. 605. S. 600, Fn. 62. S. 605.
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lung“259. „Damit wird die Problemlösungsfähigkeit der Herrschaftsgewalt zum maßgeblichen Kriterium dieses Output-Aspektes demokratischer Legitimation.“ Herrschaftsgewalt müsse „anhand konkreter Entscheidungen auf ihre inhaltliche Rationalität und effektive Gemeinwohldienlichkeit am Maßstab der Herrschaftsziele und -zwecke beurteilt“ werden260. 2. Kritik Schlieskys Lehre von der Output-Legitimation leitet aus der Beobachtung gegenwärtiger Zustände eine Herrschaftsdoktrin ab, begreift das Recht also als eine rein empirische Wissenschaft. Legitimation entsteht aber nicht durch die Verallgemeinerung von Empirie. Der Ansatz zur Rechtfertigung an und für sich rechtswidriger Zustände ist im Wesentlichen auf „Relativierung“261 grundlegender Rechtsbegriffe angelegt. Rechtsbegriffe wie das „demokratische Prinzip“, die „staatliche Souveränität“, das „Staatsvolk“, ja selbst der Begriff des „Rechtsprinzips“ sind für die Vertreter dieser Lehre dem ständigen Wandel unterliegende, liquide, letztlich nicht subsumtionsfähige Begriffe262, deren Bedeutung über eine bestimmte Gewichtung innerhalb eines alles vereinigenden „Abwägungsgesetzes“263 nicht hinausgeht. Das demokratische Prinzip wird bereits in sich relativiert264, wenn Prinzipien grundsätzlich als abwägungsfähig und abwägungspflichtig erklärt werden. Zum wesentlichen Maßstab wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dementsprechend das demokratische Prinzip nur als eine „Dimension des Gewichts“ anerkannt wird, welches zu anderen Prinzipien ins Verhältnis zu setzen ist. Freilich bleibt Schliesky die Antwort schuldig, welche anderen Prinzipien das konkret sein sollen. Mit dieser Dogmatik der „Vorzugsrela 259 Ebenda,
S. 623. mit Hinweis auf M. Höreth, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, S. 85 und F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 22; ders., Demokratie in der transnationalen Politik, S. 242. 261 Ebenda, S. 616 mit Verweis auf K.-E. Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, 1999, S. 159 f. Es handle sich um Leitgedanken, „die in der Anwendung auf Relativierung angelegt seien“. 262 Sie enthielten „keine subsumtionsfähigen“ Festlegungen, ebenda, S. 614. 263 Ebenda, S. 615. „Das anzuwendende Abwägungsgesetz bilde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, so dass die Wichtigkeit der Erfüllung des einen Prinzips um so größer sein müsse, je höher der Grad der Nichterfüllung der Beeinträchtigung des anderen Prinzips sei.“ Ebenda, S. 615 mit Verweis auf N. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 146 ff.; ders. Recht, Vernunft, Diskurs, S. 226. 264 Sein Prinzipiencharakter, das heißt die „offenen Strukturen“ und die „große Allgemeinheit“, legten keine Entscheidung fest, sondern allenfalls Gründe, „die für eine zu treffende Entscheidung sprechen“. Ebenda, S. 613. 260 Ebenda
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tion“265 wird das Recht schlechthin der Willkür subjektiver Verhältnismäßigkeitsbetrachtungen anheim gestellt und jede objektive Substanz des Rechts im Ansatz aufgelöst. Wenn Schliesky postuliert, Demokratie sei ein Prinzip, dessen Substanz durch Abwägung mit einer Vielzahl anderer Prinzipien zu ermitteln ist266, verkennt er das demokratische Prinzip in seinem Wesen. Recht besteht aus Begrifflichkeiten, über deren Substanz im Einzelnen zu streiten ist, deren objektiver Gehalt aber nicht in Abrede gestellt werden kann. Substantiierte Begriffe sind ihrer Natur nach grundsätzlich subsumtionsfähig, andernfalls wären Sachverhalte unter Rechtsgesichtspunkten kaum je beurteilbar. Recht dient gerade dazu, der Willkür undefinierter Rechtfertigungserwägungen („Was nicht passt, wird – durch Abwägung – passend gemacht“) mittels substantiierter Rechtsbegriffe den Boden zu entziehen. Wo es nur um die „Möglichkeit einer graduellen Erfüllung“267 elementarer Rechtsprinzipien geht – immer abhängig von tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten268 – wird die „für die aufklärerische Rechtslehre grundlegende Unterscheidung von Sein und Sollen“269 ignoriert. Eine freiheitliche Rechtslehre aber kann ohne die Ethik der Lehre des Sollens270 nicht erfasst werden271. Einer freiheitlichen Dogmatik folgend (dazu oben), verwirklicht das demokratische Prinzip die allgemeine Freiheit des Menschen, also seine Würde. Sie ist im demokratischen Prinzip angelegt. Die Menschenwürde – ebenfalls ein Rechtsprinzip – ist seiner Natur nach nicht abwägungsfähig und damit auch nicht seine Verwirklichung, das demokratische Prinzip. Das demokra265 Ebenda, S. 615. Die Vorzugsrelation müsse „jeweils im konkreten Fall ermittelt werden, woraus folgt, dass Prinzipien abwägungsfähig und -bedürftig seien“. 266 Schliesky warnt sogar vor der „Gefahr einer Verfassungsbeseitigung“, wenn die politischen Herrschaftsstrukturen nicht dem integrativen Entwicklungsprozess angepasst würden. Das drängt die rhetorische Frage auf, ob aus Furcht vor einer Verfassungsbeseitigung die Verfassung beseitigt werden soll. Ebenda, S. 607. 267 Ebenda, S. 613. 268 Ebenda, S. 614. „Die Gesamtheit der gegenläufigen Regeln und Prinzipien bestimmt den Bereich der rechtlichen Möglichkeiten“. 269 Dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 33. 270 Zur Ethik als Freiheitslehre Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 13 ff.; ders., Metaphysik der Sitten, S. 337 f.; ders., Über den Gemeinspruch, S. 144 f., 148; O. Höffe, Politische Gerechtigkeit: Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat, 1989, S. 108; ders., Kategorische Rechtsprinzipien, 1993, S. 135 ff.; E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, 1980, S. 81 ff., insb. S. 86 f. 271 „Denn in Betracht der Natur gibt uns Erfahrung die Regel an die Hand und ist der Quell der Wahrheit; in Ansehung der sittlichen Gesetze aber ist Erfahrung (leider!) die Mutter des Scheins, und es ist höchst verwerflich, die Gesetze über das, was ich tun soll, von demjenigen herzunehmen, oder dadurch einschränken zu wollen, was getan wird.“ – K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 31 ff.
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tische Prinzip hat also keine „dienende Funktion“, wie Schliesky behauptet, sondern gerade in seiner Nichtabwägungsfähigkeit liegt sein fundamentaler Eigenwert begründet. Schliesky beruft sich bei seiner Herrschaftsdogmatik (insbesondere der materiellen Komponente der Legitimationsbedeutung) auf Thomas von Aquin272, welcher die „Gemeinwohlorientierung als Aufgabe des Königs für ein gutes Leben des Volkes“ (Über die Herrschaft der Fürsten) betrachtet273 und (grundsätzlich die Monarchie als beste Regierungsform empfehlend) damit die Herrschaft der Fürsten legitimiert hat. Die Orientierung am Ergebnis, welches eine „effektive Gemeinwohldienlichkeit als Maßstab“274 nimmt, verkennt die Bedeutung des Verfahrens zur Erkenntnis des Wahren und Richtigen. Diese macht die eigentliche Substanz der Volkssouveränität, besser der Bürgersouveränität275 aus; denn die Entscheidungsergebnisse, die Materialisierung des Allgemeinwohls also, steht nicht von Anfang an fest. In diesem Sinne beruht das Ergebnis-Legitimationsmodell auf einem unzulässigen Zirkelschluss; denn das Ergebnis des demokratischen Verfahrens, die Erkenntnis der Ziele, wird im Modell einer ex-post-Legitimation zur Voraussetzung für dessen Suspendierung. Wenn der „legitimierende Faktor“276 in der „Ergebnisbewertung“277 zu suchen ist, birgt dies die Gefahr eines „unbedingten Dezisionismus“, und dessen ist sich Schliesky auch durchaus bewusst. Er meint diese Gefahr gleichwohl ausräumen zu können, indem er der materiellen Komponente eine formale Legitimation zur Seite stellt278. Damit sucht Schliesky keinen ergänzenden, sondern einen anderen – eigenen – Legitimationsweg und findet ihn unter Rückgriff auf den „Grundkonsens“ und die „Akzeptanz als empirisch-analytischer Kategorie“279. Für Schliesky scheint das Richtige be272 Vgl. zur ethischen Geltungslehre des Th. v. Aquin, Summa theologica, Katholischer Akademikerverband (Hrsg.), 1934, I, S. 22, Art. 1.2 und I–II, S. 91, Art. 1, 2. 273 Materielle Komponenten hätten von jeher eine Legitimationsbedeutung beansprucht. 274 Ebenda, S. 623. 275 Zur Entwicklung des Begriffs der Bürgersouveränität K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 101 ff. 276 Ebenda, S. 645. „Die Legitimationsverfahren sollen die Richtigkeit der Entscheidung(en) bewirken.“ 277 Ebenda, S. 649. 278 Schliesky spricht von unterschiedlichen Legitimationssträngen, wobei unklar bleibt, wie unterschiedliche Stränge eine einheitliche demokratische Legitimation begründen können, zumal sie auf jeweils eigene (institutionelle) Legitimationsquellen zurückführen. 279 Ebenda, S. 642. „Angesichts relativ gefestigter demokratischer Verfahren und Institutionen scheint sich der Grundkonsens der Bürger in der Bundesrepublik Deutschland (und anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union) stärker auf die
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reits festzustehen und eben in dieser materiellen Determination liegt der Dezisionismus, von welchem sich Schliesky eigentlich distanzieren will. Die Richtigkeit als „Zielmaßstab für Entscheidungen, Handlungen und andere Maßnahmen der Herrschaftsgewalt“ wird zur entscheidenden „Bezugsgröße für die Herrschaftsziele und ihre einfach- oder untergesetzlichen Konkretisierungen“280. Bestimmte Ziele mögen in Form allgemeiner Staatsziele und -zwecke feststehen und diese sind auch verbindlich. Aber sie sind eben offen, allgemein und gerade nicht materialisiert. Von diesen abstrakten Staatszielen kann nicht auf andere konkrete Ziele und Problemlösungen geschlossen werden281. Letztere müssen die Staatsziele berücksichtigen, sind aber gerade unklar, denn keiner hat sich auf diese Ziele festgelegt. Sie bedürfen der bestmöglichen Annäherung und sind daher dem Erkenntnisverfahren anheim gegeben. Dabei kommt es auf den input und gerade nicht auf den output an. Die Erkenntnis, die den Willen des Volkes durch allgemeine Gesetze hervorbringt, materialisiert das Recht als das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit282. Die Richtigkeit der Gesetzte ist in der Formalität des Verfahrens indiziert283. In ihm verwirklicht sich der Legitimationsbegriff der Selbstbematerielle Komponente der Legitimation verlagert zu haben, indem zunehmend eine Beurteilung der Ergebnisse von Herrschaftsgewalt auf dem Weg zur Realisierung von Herrschaftszwecken und Herrschaftszielen eine Rolle spielt.“ Ebenda, S. 643. 280 Ebenda, S. 645. 281 Ebensowenig lässt sich eine output-Legitimation mit einer angeblichen Materialität durch praktische Vernunft begründen; denn aus der praktischen Vernunft folgt an sich noch keine Materialität, sondern sie ist Grundlage des Erkenntnisverfahrens. 282 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 603. In ähnlichem Sinne auch J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, 1973, S. 234 ff.; ders., Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, 1983, S. 73 ff.; ders., Erläuterungen zur Diskursethik, 1991, S. 119 ff., 161 ff.; ders., Faktizität und Geltung, S. 135 ff. (147 ff.), 349 ff., 435 ff.) Nur wenn Politik bürgerliche Erkenntnis ist, dient sie dem „allgemeinen Vorteil“, also dem Recht aller, nicht der Herrschaft. Vgl. D. Sternberger, Machiavellis „Principe“ und der Begriff des Politischen, 1974, S. 54 f.; zum Kognitivismus der Politik K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 560 ff., 584 ff., 657 ff., 707 ff. 283 Der Prozeduralismus als Erkenntnissystem steht im Gegensatz zu Carl Schmitt, dessen politisches System von einem bedingungslosen Dezisionismus ausgeht. Demokratie aber ist kein materiales System. Die Legitimation wird durch das Verfahren verwirklicht, wobei bestimmte materielle Prinzipien nicht zur Disposition stehen und auch nicht prozeduralistisch gerechtfertigt werden können. Der Dezisionismus als Rechtfertigung der Herrschaft stellt den Menschen als seine Person in Frage (die Menschheit in seiner Person, siehe Kant). Nach Hans Jürgen Pawlowski ist das Wesen der Legitimation, dass das Parlament entscheidet (H. J. Pawlowski, Theorie der Norm und des Gesetzes, 1981). Parlamentarische Entscheidung gewährleistet Sachlichkeit, im Gegensatz zur Willkür. Was sachlich ist, kann nur in Stellvertretung durch das Volk vom Parlament erkannt werden (Sachlichkeitsprinzip). Nicht der Wille des
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stimmung, also die politische Freiheit des Bürgers. Sie kann sich nicht entfalten, wenn das Ergebnis des Erkenntnisverfahrens, das Richtige also, bereits feststeht, weil es durch „inhaltlich-moralische“284 Vorstellungen materiell vorbestimmt ist. Ein Eigenwert des Rechtsstaats besteht darin, dass offene Rechtsbegriffe und Rechtsprinzipien im Rahmen des verfassungsrechtlichen Entscheidungsverfahrens materialisiert werden. Diese Erkenntnis ist nicht zuletzt eine der Errungenschaften der europäischen Aufklärung, nämlich der Emanzipation des Bürgertums von herrschaftlicher Fremdbestimmung. Die Lehre von der Output-Legitimation ersetzt das Prinzip des „government by the people“ mit dem „government for the people“ und setzt damit eine Herrschaftsdoktrin ins Werk, welche das demokratische Prinzip in sein Gegenteil verkehrt. Es liegt im Wesen der Demokratie als „Volksherrschaft“, dass der allgemeine Wille des Volkes und die „Herrschaftsgewalt“ identisch sind. Schlieskys demokratisches Verständnis und ebenso sein Souveränitätsbegriff (dazu oben) sind mit dem Begriff des Staatsvolks als Legitimationssubjekt (und Souveränitätsträger) schlechthin unvereinbar und weil er das erkennt, lehnt er das Staatsvolk als einziges Legitimationssubjekt ab. An Stelle eines selbstbestimmten Volkes und mündigen Bürgers als Gesetzgeber fordert er ein „Legitimationsverfahren von verschiedenen Legitimationssub jekten“285. Akteure, die „formal-rechtlich nicht am Entscheidungsprozess beteiligt sind“, müssten ebenfalls in den Legitimationsprozess einbezogen werden. Das würde der Sache nach auch außerstaatliche Organisationen wie den IWF oder die Troika einschließen. Der Ansatz, die „Herrschaftsgewalt“ nicht allein vom Staatsvolk, sondern „von mehreren Trägern“286 gemeinsam abzuleiten, ist auch dem Legitimationskonzept der „gemeinsamen Souveränität“ (dazu oben) grundgelegt287. Aber gerade in der Begrenzung von Herrschaft liegt seine wesentliche legitimierende Kraft. In der politischen Praxis werden die beiden Komponenten – Auflösung des Begriffs des Staatsvolks als einzigem Legitimationssubjekt und materielle Orientierung am Ergebnis – zum Einfallstor für die Teilnahme außerstaatlicher Einrichtungen am Legitimationsprozess. „Eine Kongruenz der Willen Parlaments also bestimmt die Gesetze, sondern der Wille des Volkes, der volonté générale. 284 Ebenda, S. 598. 285 Ebenda, S. 597. 286 Ebenda, S. 595. 287 Schliesky beruft sich auf eine sogenannte „Bausteinlegitimation“. Das Legitimationsmodell sei „mehrdimensional zu konzipieren“, wobei er vage von „mehreren rechtlich miteinander verzahnten Faktoren“ spricht. Das erinnert im Ansatz an das Konzept der „geteilten Souveränität“, vgl. J. Kokott, die Souveränität auf mehrere nationale und supranationale Ebenen verteilen will. J. Kokott/T. Vesting, Konsequenzen von Europäisierung und Internationalisierung.
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der Legitimationssubjekte mit der Betätigung der Herrschaftsgewalt“ werde ohnehin nur „im Idealfall“ erreicht und dieser werde „kaum jemals eintreten“288. Der fragwürdige Zustand der Konditionalitätspolitik und die damit verbundene Einflussnahme außerstaatlicher Institutionen wie dem IWF auf die inneren Angelegenheiten des Staates sollen ins Recht gesetzt werden, wenn sie „zur Problemlösung und Aufgabenerfüllung erforderlich“289 sind. Die herrschaftslegitimierende Dogmatik soll der Funktion externalisierter Gesetzgebung Legitimation verschaffen, um der stetig fortschreitenden Integration in globale Strukturen dogmatisch den Weg zu bereiten. Deshalb erfasst Schlieskys Lehre Demokratie nicht als die politische Form der allgemeinen Freiheit, die sich im Staat verwirklicht, sondern als allgemeine Herrschaftsform, die unabhängig von Volk und Staat auch für „überstaatliche Herrschaftsstrukturen“ offen sein soll. Herrschaftssysteme über alternative Legitimationsträger und materielle Vorfestlegungen werden den demokratischen Anforderungen nicht gerecht. Sie sind nicht – wie Schliesky es betrachten will – demokratische Strukturen auf „unterschiedlichem Legitimationsniveau“290, sondern entsprechen dem Konzept „autokratischer Halbdemokratien“291 und sind schlechthin nicht legitimierbar. 3. Rechtfertigung kommissarischer Sanierungsmaßnahmen am Beispiel der Griechenland-Krise Der Argumentationstopos des „Ducunt fata volentem, nolentem trahunt“292 beherrscht auch die politische Praxis in der Griechenland-Krise. Der strukturelle Reformstau, den der IWF293 Griechenland zu Beginn der Krise bescheinigt hatte, machte dringende Strukturreformen erforderlich294. Solche Reformen hatte der Fonds dem Land im Rahmen einer strengen Konditionalität aufgegeben, zumal sie – nach Auffassung des IWF – auch im nationalen Interesse Griechenlands lagen. Insofern galten sie als notwendig und richtig; denn sie wirkten auf ein legitimierendes Ergebnis (Output) hin, welches die 288 Ebenda, 289 Ebenda,
S. 600. S. 643 f. Beispielhaft nennt er Integrationsverbände wie die Europäi-
sche Union. 290 Ebenda, S. 618. 291 U. Di Fabio, FAZ vom 16. September 2013, Nr. 215, S. 79, Last der Freiheit. 292 „Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es mit sich.“ 293 Damals noch nicht formell im Rahmen der Troika mit der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank verbunden. 294 Diesem Ziel dienen ausweislich Art. 13 Ziffer 3 ESM-Vertrag die Memoranda of Understanding. Die Auflagen sollen „der Erheblichkeit der zu beseitigenden Schwachstellen […] Rechnung tragen“.
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demokratischen Strukturen des Landes letztlich festigen sollte, indem es dazu beitrug, die Zahlungsunfähigkeit des Staates zu verhindern. Im Übrigen war der politische Reformdruck durch den IWF auch der Regierung nicht immer unwillkommen, weil sie in der Krisensituation ohne äußeren Druck schwerlich in der Lage gewesen wäre, die nötigen Reformen gegen Opposition und Lobbygruppen durchzusetzen. Es ist symptomatisch, dass gerade in der Eurokrise von Anfang an bezweifelt wurde, dass ein Erkenntnisverfahren durch vom Volk gewählte Vertreter zu sachdienlichen Lösungen führen könne. Die vom demokratischen Prinzip geforderte formale Herleitungslegitimation galt als nicht effizient und es wurde befürchtet, dass sie in der Verschuldungskrise notgedrungen an ihre Grenzen stieß; denn die ökonomischen Zusammenhänge waren komplex und erforderten besonderen ökonomischen Sachverstand, der nach Ansicht externer Beobachter im vorgesehenen Verfassungsverfahren nicht gewährleistet war295. Als erforderlich sah man vielmehr die Einsetzung von „Expertenkommissionen“ an, welche sich der Sachzwänge, insbesondere der Dringlichkeit einer raschen Haushaltskonsolidierung bewusst waren296. Öffentlicher Diskurs und Wahlen dagegen hemmten, so die Befürchtung, die Effektivität und entfachten Populismus, zumal parlamentarische Abgeordnete von der kurzfristigen Zustimmung des Volkes abhängig und daher politisch kaum willens gewesen wären zu erkennen, was langfristig für das allgemeine Wohl des Volkes notwendig war. Schließlich hätten parlamentarische Entscheidungen den Staat überhaupt erst in die Verschuldung geführt. Im Zuge der „Wechselspiele der Politik“297, so glaubte man, würde das öffentliche Wohl mehr gefährdet als gefördert. Soweit die Situation in Griechenland. Bei der Überschuldung eines Staates hängt die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit stets vom Vertrauen der Geldgeber ab und dieses kann am ehesten dann zurückgewonnen werden, wenn die erforderlichen Maßnahmen möglichst effektiv umgesetzt werden. Hierbei wirkt die Einbeziehung von externem Sachverstand vertrauensbildend, weil aus Sicht der Finanzmärkte die politischen Richtungsentscheidungen dadurch kontrollierbar und verlässlicher sind. Noch weiter geht die Ansicht, dass eine über der Parteipolitik stehende „höhere Vernunft“ sogar nur 295 So argumentierend etwa M. Hilf/F. Schorkopf, Das Europäische Parlament in den Außenbeziehungen der Europäischen Union, 1999, S. 185 ff. Der nationale Gesetzgeber sei kaum noch im Stande, „die Gesellschaft und hier insbesondere die Wirtschaft zu steuern“ (Hervorhebungen im Original). 296 Etwa die so bezeichneten „Expertenregierungen“, wie die Ernennung des ehemaligen Zentralbankchefs Lukas Papademos zum geschäftsführenden Ministerpräsident oder die Ernennung Mario Montis zum italienischen Ministerpräsidenten. 297 U. Speck, in: Neue Züricher Zeitung vom 11. Juli 2012, Die EU leidet unter einer Unwucht.
B. Finanzieller Notstand als Rechtfertigungstatbestand425
durch außerstaatliche Autoritäten wie den Internationalen Währungsfonds und die europäischen Institutionen „ins Werk gesetzt“ werden kann298 und liefert damit die Begründung für die Auflagen in den Memoranda of Understanding. Darüber hinaus unterstellt der IWF, dass durch seinen Sachverstand ein „hinreichend großer Bestand gemeinsamer Interessen“299 mit dem Schuldnerland erzeugt werde, welcher dauerhaft genug sei, um ein kollektives Handeln durch den IWF zu legitimieren. Aus rein wirtschaftlicher Sicht mag externe Expertise und Einflussnahme vernünftig sein und sogar im Interesse des Schuldnerstaates liegen. Wann aber wird die Grenze überschritten, an der die Legitimation des Verfahrens und die Souveränität des Staates verletzt werden? Wohl dann, wenn parlamentarische Entscheidungen dadurch unter Druck geraten und sogar umgangen werden. Man könnte einwenden, dass ein Ausnahmezustand in Form eines (außergesetzlichen) finanziellen Staatsnotstands300 solche Einflussnahme gestatten oder sogar gebieten kann. Als Rechtfertigung dient dann die folgende Argumentationskette: (1) Der betroffene Staat befindet sich in einer existentiellen Notstandslage, weil er unmittelbar von Zahlungsunfähigkeit bedroht ist. (2) Es müssen umfangreiche Sanierungs- und Auflagenprogramme zur Verhinderung der Zahlungsunfähigkeit ergriffen werden. Sie sind unausweichlich, das heißt nach Maßgabe der praktischen Vernunft alternativlos, weil die Liquidität des Staates sichergestellt werden muss und auf andere Weise nicht möglich ist301. Um größeren Schaden abzuwenden, sind die erforderlichen Maßnahmen auf möglichst effektive (und effiziente) Weise umzusetzen. (3) Zur Erkenntnis dessen, was richtig ist, ist in erster Linie wissenschaftlicher Sachverstand erforderlich, welcher von der kurzfristigen Zustimmung der Wähler möglichst unabhängig zur Geltung kommen soll. 298 Ebenda.
299 So mit Blick auf europäische Rechtsakte: F. Scharpf, Regieren in Europa, S. 16, 20; ders., Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 21 ff.; ders., Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaates, S. 705, 711 ff., 716 f.; ebenso M. Höreth, Zur Rechtfertigung des Regierens jenseits der Staatlichkeit, S. 88. 300 Andreas Fischer-Lescano diskutiert die Frage, ob ein „Ausnahmezustand vorläge, in dem das Recht suspendiert sei“, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. S. 2 f. 301 Für eine Fortzahlung der Finanzhilfen der Troika gebe es „keinen anderen Weg als den, den wir in zwei Jahren gemeinsam gefunden haben“ (Finanzminister Wolfgang Schäuble). Siehe Spiegel Online vom 9. Mai 2012, Sparen oder raus, einzusehen unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/regierungschaos-schaeuble-stelltgriechenland-vor-die-wahl-euro-a-832281.html.
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(4) Weil die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Staates nur durch Implementierung umfangreicher Reformprogramme wiederhergestellt werden kann, wird angenommen, dass sich die Interessen des Krisenstaates mit den Interessen der Gläubiger und Geldgeber weitestgehend decken. Halten diese in vier Punkten zusammengefassten Argumente einer kritischen Überprüfung stand? 4. Übergesetzlicher Notstand Eingriffe in die Souveränität und Verletzungen des demokratischen Prinzips – von außen wie von innen – erfolgen regelmäßig unter Berufung auf eine staatliche Notstandslage. Grundsätzlich sind Einschränkungen des demokratischen Prinzips auch dem deutschen Verfassungssystem nicht fremd302 – das Bundesverfassungsgericht spricht von „Modifikationen“303 – und sie können mit dem demokratischen Prinzip aus „zwingende[n]“ Gründen im Einzelfall304 vereinbar sein. Modifikationen zugunsten eines exekutiv-technokratischen Übergewichts finden sich in der Rechtsprechung an verschiedenen Stellen305, etwa dem Gesetz zur Wahrung der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (früher der Deutschen Bundesbank)306 und zur Europäischen Integra302 Ein Beispiel sind die Notstandsgesetze (sogenannte Notstandsverfassung). Deren Einführung war wegen der Gefahr eines Missbrauchs – wie im Zuge der Machtergreifung der Nationalsozialisten geschehen – gesellschaftlich und politisch heftig umstritten. Die traumatischen Erfahrungen der 1920er und 1930er Jahre, in welchen das Regieren unter Berufung auf den Staatsnotstand eher die Regel als die Ausnahme war (und die Machtergreifung Hitlers erst ermöglichte), waren in der Debatte um die Notstandsgesetze in den 1960er Jahren noch gegenwärtig. Aufgrund der historischen Erfahrungen sind die Voraussetzungen für ein Inkrafttreten der deutschen Notstandsverfassung daher auf besondere Ausnahmefälle, namentlich Naturkatastrophen, Aufstand und Krieg beschränkt worden. Siehe dazu K. A. Schachtschneider, Souveränität, S. 101 ff. 303 Vgl. BVerfGE 30, 1 (24); 84, 90 (121); 89, 155 (154). Die Modifikation des Demokratieprinzips sei aus sachlichen Gründen – begrenzt auf die Währungspolitik – gerechtfertigt. (Rn. 207). Dies sei mit Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar, sofern ausreichende Erklärungsgründe vorlägen. Dazu P. Kirchhof, Die Mitwirkung Deutschlands an der Wirtschafts- und Währungsunion, in: FS für F. Klein, 1994, S. 61 ff., S. 83, 74 f. 304 BVerfGE 28, 220 (225); 42, 312 (340 f.); BVerfG, NVwZ 2002, 69 f. 305 Zur Funktionenteilung zwischen Regierung und Verwaltung: BVerfGE 93, 37 (67), BVerwGE 106, 64 (74). Zur Sicherung der Geldwertstabilität: BVerfGE 89, 155, (207 ff.); 97, 350 (373 ff.); dazu auch F. Brosius-Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, 1997, S. 204 ff. Zur Mitbestimmung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst BVerfGE 93, 37 (70 ff.). 306 Eine Modifikation des Demokratieprinzips hat das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Europäische Zentralbank als rechtmäßig erkannt. BVerfGE 89, 155,
B. Finanzieller Notstand als Rechtfertigungstatbestand427
tion307. Diese Einschränkungen sollen dem Umstand Rechnung tragen, dass es in bestimmten Ausnahmesituationen und -bereichen gerechtfertigt sein kann, das demokratische Legitimationsniveau um der Effektivität willen zurückzunehmen und exekutiv-technokratischen Entscheidungsverfahren den Vorrang zu geben308. Teilweise wird dem Ausnahmezustand eine gewisse Suspensivkraft zugemessen309. Es geht darum, dem bestehenden Recht durch Ausnahmemaßnahmen wieder zur Geltung zu verhelfen. Grundsätze wie das demokratische Prinzip seien, so das Bundesverfassungsgericht, als solche nicht „berührt“, solange ihnen im Allgemeinen Rechnung getragen werde und sie nur für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus evident sachgerechten Gründen modifiziert würden310. Analog zu hic et nunc auftretenden Notstandstatbeständen wie Naturkatastrophen, so die Argumentation, seien auch Staatskrisen besser, das heißt: efRn. 207 ff.; dazu auch H. M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 280 (m. w. N.). Die Geldpolitik der am Währungssystem teilnehmenden Mitgliedstaaten ist durch die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (früher der Bundesbank) weitgehend entpolitisiert und entdemokratisiert worden. Zum Beispiel waren die Zentralbanken in Frankreich und Italien vor der Währungsunion keine politisch weitgehend unabhängigen Institutionen, sondern unterlagen e iner umfassenden demokratischen Kontrolle (insbesondere durch das jeweilige F inanzministerium). Die Modifikation des Demokratieprinzips im Dienste der Sicherung des in eine Währung gesetzten Einlösungsvertrauens hat das Bundesverfassungsgericht für vereinbar mit dem Demokratieprinzip erkannt. Aus sachlichen Gründen sei ein Demokratiedefizit gerechtfertigt, sofern es inhaltlich auf die Währungspolitik beschränkt bleibe: „Diese Modifikation des Demokratieprinzips im Dienste der Sicherung des in eine Währung gesetzten Einlösungsvertrauens ist vertretbar, weil es der – in der deutschen Rechtsordnung erprobten und, auch aus wissenschaftlicher Sicht, bewährten – Besonderheit Rechnung trägt, dass eine unabhängige Zentralbank den Geldwert und damit die allgemeine ökonomische Grundlage für die staatliche Haushaltspolitik und für private Planungen und Dispositionen bei der Wahrnehmung wirtschaftlicher Freiheitsrechte eher sichert als Hoheitsorgane, die ihrerseits in ihren Handlungsmöglichkeiten und Handlungsmitteln wesentlich von Geldmenge und Geldwert abhängen und auf die kurzfristige Zustimmung politischer Kräfte angewiesen sind. Insofern genügt die Verselbständigung der Währungspolitik in der Hoheitskompetenz einer unabhängigen Europäischen Zentralbank, die sich nicht auf andere Politikbereiche übertragen lässt, den verfassungsrechtlichen Anforderungen, nach denen das Demokratieprinzip modifiziert werden darf (vgl. BVerfGE 30, 1 [24]; 84, 90 [121].“ – BVerfGE 89, 155, Rn. 154. 307 Zur europäischen Integration BVerfGE 89, 155 (182 ff.). 308 K. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 442. 309 Ernst-Wolfgang Böckenförde spricht vom „Rekurs auf den Ausnahmezustand, der das Recht der Normallage suspendiert“, in: Neue Züricher Zeitung vom 21. Juni 2010, Kennt die europäische Not kein Gebot?, einzusehen unter http://www.nzz.ch/ aktuell/startseite/kennt-die-europaeische-not-kein-gebot-1.6182412; dazu kritisch A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 2 ff. 310 So etwa im BVerfGE, 30, 1, Rn. 99.
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fektiver und effizienter auf administrativem Vollzugsweg mit kurzen Entscheidungswegen zu bewältigen als im parlamentarischen Erkenntnisverfahren. Ist aber ein finanzieller Staatsnotstand mit den herkömmlichen Notstandstatbeständen gleichzusetzen? Bietet auch er einen sachgerechten Grund, bestimmte Einschränkungen des demokratischen Prinzips hinzu nehmen?311. 5. Finanzieller Notstand312 als Rechtfertigungstatbestand Eine Voraussetzung wäre zunächst, dass die demokratischen Mindeststandards gewahrt bleiben, das heißt die Maßnahmen dürften nicht in wesentliche Souveränitätsrechte eingreifen, nur innerhalb eines begrenzten Zeitraums stattfinden und müssten auf unbedingt erforderliche Maßnahmen beschränkt bleiben, etwa um eine schnellstmögliche Rückkehr an die privaten Finanzmärkte zu ermöglichen. Die Verletzung der demokratischen Legitimation könnte daher zum Beispiel durch Einsetzung eines „IWF-Kommissars“ bei finanziellen Staatsnotständen ausnahmsweise „innerhalb des Rahmens der Verhältnismäßigkeit und der Verantwortungsgrenze“313 gerechtfertigt sein. Der Befugnis des Staates, unter Berufung auf einen Staatsnotstand Notstandsmaßnahmen einzuleiten, sind aber materielle Grenzen gesetzt. Das reklamierte „Gebot der Not“, das heißt die systematische Berufung auf Sachzwänge in Krisensituationen, reicht für eine Legitimation allein nicht aus314. Fraglich wäre, ob wenigstens eine Modifizierung des demokratischen Prin311 Diese Analogie bemühte jedenfalls die Bundesregierung zur Rechtfertigung des Euro-Rettungsschirms für Griechenland, um sich, augenscheinlich aus politischen Motiven, über die Bail-out-Klausel in den Europäischen Verträgen hinwegzuhelfen. Der Europäische Gerichtshof hat das Bail-out-Verbot mit fragwürdiger Begründung nicht verletzt gesehen (EuGH, Rs. C-370/12, Pringle, Urteil v. 27.11.2012). Kritisch K. A. Schachtschneider: „Die Notklausel des Art. 122 Abs. 2 AEUV ist von ihrem Gegenstand her eine Ausnahmevorschrift und bestätigt durch nichts eine Regel, etwa das Recht zur gegenseitigen Finanzhilfe.“ Ders., Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Europäischen Stabilitätsmechanismus, einzusehen unter http://www. kaschachtschneider.de/en/news/2-aktuelles/36-das-urteil-des-europaeischen-gerichts hofs-zum-europaeischen-stabilitaetsmechanismus.html. 312 August Reinisch bejaht in Grundsatz eine völkerrechtliche Anerkennung eines finanziellen Notstands und führt dabei zahlreiche völkerrechtliche Entscheidungen an. Häufig stehe einer Rechtfertigung der Nichterfüllung finanzieller Verpflichtungen aber entgegen, dass der Beitrag des Staates zu seiner Notstandslage „hinreichend substantiell“ (S. 19) ist. Sachverständigengutachten zur Frage des Bestehens und der Wirkung des völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrundes „Staatsnotstand“, ZaöRV 68, 2008, S. 10 ff., einzusehen unter http://www.zaoerv.de/68_2008/68_2008_1_a_3_44. pdf. 313 BVerfG 93, 37, Rn. 94. 314 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 84 f.
B. Finanzieller Notstand als Rechtfertigungstatbestand429
zips aus „evident sachgerechten Gründen“, etwa einem übergesetzlichen Notstand, legitimierbar sein könnte315. a) Grenzen des Legalitätsprinzips Das Legalitätsprinzip ist ein integraler Teil des demokratischen Prinzips316 und gebietet, die Tatbestandsvoraussetzungen eines Notstands in einem (Notstandsverfassungs-)Gesetz explizit zu regeln317. Deshalb kann es einen nicht geregelten Ausnahmezustand in einer demokratischen Rechtsordnung nicht geben318. Auch der Umgang mit Notstandstatbeständen bedarf einer gesetzlichen Materialisierung319. Der Konfliktfall und die daraus erwachsenden sachlichen Aufgaben werden erst durch ein geordnetes Verfahren, wie die Zuweisung von Ämtern und Kompetenzen „kontrollierbar“ gemacht320. Ein nicht gesetzlich geregelter finanzieller Notstand wie ein finanzieller Engpass entfaltet keine Rechtfertigungskraft für außergesetzliche Maßnahmen, weil sonst das Legalitätsprinzip aufgegeben würde. b) Finanzieller Staatsnotstand Selbst wenn man diese materiellen Bedenken zurückstellt, bleibt die grundsätzliche Frage, ob Notstandsmaßnahmen zum Zweck der finalen Abwehr der Störung, das heißt eines drohenden Zahlungsausfalls, mit dem demokratischen Prinzip vereinbar sein könnten. 315 Vgl.
BVerfGE 30, 1, Rn. 99. zum Legalitätsprinzip K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 74 ff. Für Legalität ist „durch ein wirksames allgemeines Gesetz zu sorgen, bevor eine Handlung vollzogen wird; denn ohne ein wirkliches Gesetz oder gar entgegen einem Gesetz kann eine Handlung nicht legal sein, nicht dem ‚(vereinigten) Volkswillen‘ entsprechen, von dem doch ‚alles Recht ausgeht‘.“; vgl. auch ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 152 ff.; auch ders., Souveränität, S. 249 ff. 317 Näher dazu D. Esklony, Das Recht des inneren Notstands, Verfassungsgeschichtliche Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung der tatbestandlichen Voraussetzungen von Notstandsmaßnahmen und ihrer parlamentarischen Kontrolle, 2000. 318 Einen übergesetzlichen Notstand lehnt E.-W. Böckenförde zu Recht ab, weil eine „offene Generalklausel“ die „Grundstrukturen einer rechtsstaatlichen Verfassung“ auflösen würde, Der verdrängte Ausnahmezustand, NJW 1978, S. 1882. Nach Ansicht von Gerhard Anschütz gelange das Staatsrecht im Ausnahmezustand an seine Grenzen, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 359, 906; vgl. T. Darnstädt, in: Der Spiegel, Heft 21/2010, S. 37, Mehrheit und Wahrheit. 319 K. A. Bettermann, Die Notstandsentwürfe der Bundesregierung, in: Der Staatsnotstand, 1965, S. 190 ff. (192). 320 P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion über das Problem der Souveränität, S. 387. 316 Siehe
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Eine Notstandslage setzt allgemein voraus, dass evidente Indizien für schwerwiegende Nachteile des Allgemeinwohls erkennbar sind321. Ein finanzieller Notstand bedeutet eine Ausnahmesituation, welche den Finanzhaushalt des betroffenen Staates bedroht. Existentiell wird die Bedrohung, wenn zu besorgen ist, dass die Mittel für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben und Verpflichtungen, namentlich die Finanzierung der öffentlichen Sicherheit (Polizei, Feuerwehr usw.), der Sozialsysteme (Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Rentenleistungen), des Gesundheitswesens (Krankenkassen und Krankenhäuser), des Bildungswesens (Schulen und Universitäten) nicht mehr aufgebracht werden können. Die Erfüllung dieser Leistungen liegt im existentiellen Versorgungs- und Sicherungsinteresse jedes Gemeinwesens. Sie dem Grunde nach sicherzustellen, ist die vornehmliche Aufgabe der öffentlichen Gewalt. Modifikationen des demokratischen Verfahrens, das im Kern nicht preisgeben werden darf322, unterliegen einem strengen ultima-ratio-Prinzip323. An einen Erlaubnistatbestand aufgrund eines finanziellen Notstands des Staates sind daher hohe Anforderungen zu stellen324. Einschränkungen sind demokratierechtlich nur dann zulässig, wenn die Haushaltsnotlage des Staates nicht nur relativ – das heißt im Verhältnis zu anderen Staaten – als extrem zu werten ist, sondern wenn sie auch absolut – das heißt nach Maßgabe der Erfüllbarkeit der verfassungsrechtlich zugewiesenen substantiellen Staatsaufgaben – ein so extremes Ausmaß erreicht hat, dass ein staatlicher Notstand 321 Im Rahmen der Rechtfertigung kommt es – anders als im Rahmen der Befugnisse – nicht darauf an, ob die Maßnahmen für das primäre Ziel des IWF, d. h. die Bereinigung der Zahlungsbilanz, geeignet sind. Siehe K. Weigeldt, Die Konditionalität des Internationalen Währungsfonds, S. 182 f. Gerechtfertigt sind die Maßnahmen nur, wenn sie zur Abwendung der Störung erforderlich sind. 322 So BVerfGE 30, 1, Rn. 99. Wegen der Missachtung des demokratischen Prinzips kritisch K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, in: W. Nölling/K. A. Schachtschneider/J. Starbatty (Hrsg.), Währungsunion und Weltwirtschaft, FS W. Hankel, 1999, S. 144 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 75 ff., 130; ders., Die Europäische Union und die Verfassung der Deutschen, S. 3 ff., S. 9; W. Nölling, Die Europäische Zentralbank – Machtzentrum oder Spielball der Politik?, S. 273, 282. 323 So etwa die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Diese sei bei inhaltlicher Begrenzung auf die Währungspolitik gerechtfertigt. BVerfGE 89, 155, 207 ff. Zur Ausnahmehaftigkeit der Formel „geldpolitischer Sachverstand vs. parlamentarische Legitimität“ P. Kirchhof, Die Gewaltenbalance zwischen staatlichen und europäischen Organen, 1998, S. 965 ff.; siehe zur Diskussion über die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank auch H. Sodan, Die funktionelle Unabhängigkeit der Zentralbanken, 1999, S. 1521 ff.; F. Brosius-Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip, 1997. 324 „Das geltende positive Recht ist in den meisten Staaten nur unzureichend auf die Bewältigung auftretender extremer Haushaltsnotlagen eingestellt.“ BVerfG 2 BvF 3/03 Rn. 172.
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einzutreten droht, dessen Existenzbedrohung nicht ohne fremde Hilfe abzuwehren ist. Der Staat muss zuvor alle ihm verfügbaren Möglichkeiten der Abhilfe ausgeschöpft haben, so dass Hilfsmaßnahmen von außen als einzig verbleibender Ausweg in Betracht kommen325. Dabei ist grundsätzlich zwischen einem finanziellen Staatsnotstand und einer Haushaltskrise zu unterscheiden326. Die Schwelle zu einem finanziellen Staatsnotstand lässt sich nicht präzise quantifizieren327; denn für die Feststellung einer übermäßigen, also das kritische Maß überschreitenden Verschuldung, existieren keine allgemein anerkannten Kriterien. Die absolute Höhe der Verbindlichkeiten allein begründet noch kein Übermaß328. Maßgebend ist vielmehr das „Missverhältnis von Schulden zu Wirtschaftsleistung und finanzieller Leistungsfähigkeit“329. Als charakteristisch für eine krisenhafte Verschuldung gilt, „dass die Schuldenlast im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt bzw. der Schuldendienst im Verhältnis zu den Exporterlösen sehr hoch ist“330. Nach den Maßstäben des IWF etwa ist eine Bescheinigung der Schul325 BVerfG
2 BvF 3/03, Rn. 172. 33 der „Vienna Convention on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts“ definiert Staatsschulden als „any financial obligation of a State towards another State, an international organization or any other subjects of international law arising in conformity with international law.“ 327 „Was im Einzelnen unter einer – relativen – Haushaltsnotlage zu verstehen ist, lässt sich verfassungsrechtlich nicht generell abstrakt bestimmen, insbesondere nicht präzise quantifizieren. Erforderlich wird stets eine vergleichende Gesamtbewertung der Finanzlage in der bundesstaatlichen Gemeinschaft mit Hilfe aussagekräftiger und möglichst klar definierter haushaltswirtschaftlicher Kennzahlen sein, kombiniert auch mit Pro-Einwohner-Zahlenangaben. Ein für allemal feststehende Ziel- oder Schwellenwerte gibt es insoweit nicht. Vielmehr dienen verschiedene mit aktuellen Daten zu berechnende Indikatoren als Orientierungspunkte für vertretbare Zahlenkorridore, um im länderübergreifenden Vergleich haushaltswirtschaftliche Situationen bewerten und für gewisse Zeiträume prognostizieren zu können (vgl. z. B. Littmann, Haushaltsnotlagen als Anspruchsgrundlage für Bundesergänzungszuweisungen, in: FS D. Pohmer, 1990, S. 307 ).“ BVerfGE 116, 327, Rn. 195. 328 Bothe/Brink/Kirchner/Stockmayer, Rechtsfragen der internationalen Verschuldungskrise, 1988, S. 26. Die Ermittlung der Schuldenhöhe ist in der Praxis schwierig. Zwar ist aus rechtlicher Perspektive die Höhe der Verbindlichkeiten durchaus feststellbar. Wirtschaftlich betrachtet stehen den Verbindlichkeiten im Ausland in der Regel aber entsprechende Exporterlöse, Auslandsguthaben und eine ausreichende Kreditwürdigkeit gegenüber. Daher ist die wirtschaftliche Bewertung der Schuldenhöhe oft problematisch. Hinzu kommt, dass auch juristische Personen des öffentlichen Sektors in der Lage sind, im eigenen Namen Kredite im Ausland aufzunehmen. Ch. Ermrich, Die Zahlungsunfähigkeit von Staaten, S. 31 ff. Nach Ermrich ist ein Staat allgemein dann als überschuldet zu bezeichnen, „wenn der Gewinn aus seinen Exporterlösen nicht ausreicht, um den Schuldendienst (Tilgung und Zinsen) für seine ausländischen Darlehen zu sichern“. 329 Ch. Ermrich, Die Zahlungsunfähigkeit von Staaten, S. 25. 330 Ebenda, S. 29. 326 Artikel
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dentragfähigkeit eines Schuldners unter folgenden Voraussetzungen ausgeschlossen331: „Sustainability rules out any of the following: a situation in which a debt restructuring is already needed (or expected to be needed); a situation where the borrower keeps on indefinitely accumulating debt faster than its capacity to service these debts is growing (a Ponzi game); or a situation in which the borrower lives beyond its means by accumulating debt in the knowledge that a major retrenchment will be needed to service these debts (even if nothing in the external environment changes).“
Entscheidend ist, ob der Staat in einer Haushaltsnotlage seine Verpflichtungen noch erfüllen kann, wenn auch „nur unter Inanspruchnahme etwa von Vorgriffen (Kreditaufnahme oder Inanspruchnahme der Reichen)“332. Befindet sich der Staat dagegen in einem finanziellen Notstand, „kann der Staat nicht mehr allen rechtlichen (Zahlungs- und Handlungs-)Ansprüchen ge nügen“333. Ein finanzieller Notstand334 setzt demnach eine „qualifizierte extreme Haushaltsnotlage“ voraus335, welche „aus dem staatlichen Binnenbereich nach außen tritt“. Ein solches Nachaußentreten ist anzunehmen, wenn die Krise nicht mehr mit administrativen und gesetzgeberischen Mitteln des Staates kontrolliert werden kann und „die verfassungsrechtlich gebotene Handlungsfähigkeit eines Landes […] nicht aufrecht zu erhalten ist336“. Dagegen liegt eine finanzielle Notstandslage nicht vor, solange der Staat selbst über eigene „Potentiale zur Verhinderung oder Behebung eines solchen Notstands verfügt“337. Dabei 331 IMF,
Assessing Sustainability, 28. Mai 2002, S. 4. Lewinski, Öffentlichrechtliche Insolvenz und Staatsbankrott, S. 28. 333 Ihre Funktion als letztes Mittel macht es erforderlich, dass die Hilfen nur in Erwägung gezogen werden dürfen, wenn sie „unabweislich“ sind. Der „haushalterische Mangel“ muss zu einer beeinträchtigten Erfüllbarkeit der staatlichen Auflagen aufgrund fehlender Haushaltsmittel führen. „Es kommt dabei nicht auf die Nichterfüllung staatlicher Verpflichtungen an, sondern auf die Vorgaben von Recht und Gesetz insgesamt.“ K. v. Lewinski, Öffentlichrechtliche Insolvenz und Staatsbankrott, S. 27. 334 Notstand ist der Zustand gegenwärtiger Gefahr für rechtlich geschützte Interessen, dessen Abwendung nur auf Kosten fremder Interessen möglich ist. 335 BVerfGE 116, 327 (377, 389). Vgl. zur Definition des finanziellen Notstandsbegriffs; K. v. Lewinski, Öffentlichrechtliche Insolvenz und Staatsbankrott, S. 27 f. 336 K. v. Lewinski, Öffentlichrechtliche Insolvenz und Staatsbankrott, S. 27. 337 „[…] weil immer die Frage zu beantworten bleibt, wieweit das Land selbst noch über eigene Potentiale zur Verhinderung oder Behebung eines solchen Notstands verfügt. Dies muss dazu führen, dass die quantitativen Elemente, die der Senat in seiner Entscheidung im Jahr 1992 für die Bestimmung so genannter einfacher und so genannter extremer Haushaltsnotlagen herangezogen hat (vgl. BVerfGE 86, 148 ), nicht mehr ohne weiteres fortzuschreiben, sondern verschärfend zu ergänzen sind.“ BVerfGE 116, 327, Rn. 195. 332 K. v.
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gilt das Ultima-Ratio-Prinzip338, das heißt, dass alle anderen Möglichkeiten der Finanzierung vorrangig auszuschöpfen sind339. c) Problem des Staatsnotstands am Beispiel Griechenlands Ob die Euro-Krise, die im Kern ein Zusammenwirken einzelner nationaler Verschuldungskrisen innerhalb eines gemeinsamen Währungsraums ist, den Rechtfertigungstatbestand eines finanziellen Staatsnotstands zu erfüllen vermag, ist zweifelhaft340. In der Literatur wird ganz überwiegend die Auffas338 Eine finanzielle Notstandslage beansprucht die Solidarität der Geldgeber und steht daher unter hohen Anforderungen. Dem IWF ist es untersagt, Kredite an Staaten zu vergeben, „die zu nicht überschaubaren Belastungen führen können“. Auch das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen der Entscheidung zu den deutschen Griechenland-Hilfen ausgesprochen, dass es dem Gesetzgeber verwehrt sei, „dauerhafte völkervertragsrechtliche Mechanismen zu etablieren, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen“, vor allem, „wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind“. BVerfGE, 129, 124, Rn. 128. 339 Das Bundesverfassungsgericht hat selbst innerhalb des deutschen Bundesstaates eine Inanspruchnahme bundesstaatlichen Beistands durch die deutschen Länder unter hohe Voraussetzungen gestellt, die umso höher liegen, als Griechenland nicht Teil eines Bundesstaates ist. So hat das Bundesverfassungsgericht zu den sogenannten „Berlin-Hilfen“ ausgesprochen: „Die so genannte Verschuldungsfalle schnappt nicht überraschend von heute auf morgen zu. Es geht vielmehr um langfristige Prozesse sowohl vor als auch nach dem Zeitpunkt des Eintritts einer Notlage, während deren Dauer das Land sich die Frage gefallen lassen muss, wieweit eigene zusätzliche Anstrengungen noch möglich und deshalb auch nötig sind, bevor Hilfsbedürftigkeit geltend gemacht werden kann. Führt die Betrachtung vergangenen Verhaltens des Notlagenlandes im Vergleich mit anderen Ländern zu dem Ergebnis, dass erhebliche Handlungs-, insbesondere Veräußerungs- und Sparmöglichkeiten, in der Vergangenheit nicht ausgeschöpft wurden, so indiziert dies, dass solche Möglichkeiten noch vorhanden und mit Erfolg zu mobilisieren sind, ein bundesstaatlicher Notstand also noch nicht eingetreten ist. Nur dann, wenn dies nachweisbar, insbesondere wegen eines nicht zu bewältigenden Umfangs erforderlicher Mittel, keine Abhilfe mehr verspricht, kommt die Inanspruchnahme bundesstaatlichen Beistands in Betracht.“ BVerfGE 116, 327 Rn. 197. Im Fall der Verhandlungen über die irakischen Staatsschulden wurde im Pariser Club aber davon abgesehen, die großen Ölreserven des Landes in die Schuldentragfähigkeitsberechnung einzustellen und in der Folge ein erheblicher Teil der irakischen Staatsschulden erlassen. Dazu M. Weiss, Iraq’s Debt Relief: Procedure and Potential Implications for International Debt Relief, CRS Report for Congress, RL 33376, 2010. 340 Teilweise wird sie als „Refinanzierungskrise“ charakterisiert, welche „in erster Linie einer unzureichenden institutionellen Absicherung der gemeinsamen Währung geschuldet ist“. Die Krise beruhe zu einem erheblichen Teil „auf systemischen Problemen“. Sie könne nur durch eine „gemeinschaftliche Haftung für Staatsanleihen des Euroraums“ beseitigt werden. Siehe P. Bofinger/J. Habermas/J. Nida-Rümelin, FAZ vom 4. August 2012, S. 33, Einspruch gegen die Fassadendemokratie.
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sung vertreten, dass Griechenland nicht nur unter einer Liquiditäts-, sondern auch unter einer Solvenzkrise leidet341. Dabei ist alles andere als gewiss, ob in Griechenland zum Zeitpunkt des Eingreifens der Troika die Schwelle zum finanziellen Notstand tatsächlich überschritten war. Vieles spricht dafür, die Krise zumindest im Zeitpunkt der Intervention des IWF im Jahr 2010 lediglich als Haushaltskrise zu qualifizieren; denn selbst das von der Krise am stärksten betroffene Griechenland konnte seine Verpflichtungen noch erfüllen, wenn auch wohl nur durch die Inanspruchnahme weiterer (privater) Kredite oder die Veräußerung von Staatsvermögen342, Steuereintreibungen oder sonstiger Konfiskationen343. 341 C. Alicidi/G. Allessandro/D. Gros, From the Argentine default to the Greek tragedy?, 2001, S. 1. Siehe allgemein und umfassend zur Analyse von Wirtschaftskrisen G. Aschinger, Währungs- und Finanzkrisen, Entstehung, Analyse und Beurteilung aktueller Krisen, 2001; häufig wird in der Literatur zwischen Solvenzkrisen infolge ungünstiger Fundamentaldaten und Liquiditätskrisen aufgrund pessimistischer Erwartungen der zentralen Marktakteure unterschieden. Zum Vergleich der Wirkungen siehe M. Chui/P. Gai/A. Haldane, Sovereign Liquidity Crises: Analytics and Implications for Public Policy, 2002, S. 519 ff. 342 Zum Staatsvermögen gehören sämtliche Güter und Rechte, über die der Fiskus verfügungsberechtigt ist. Vgl. J. Isensee, Staatsvermögen, in: Isensee/P. Kirchhof, HStR, Bd. 5, 3. Aufl. 2007, S. 1265, 1270, eben auch Privatisierungen: „Das griechische Kabinett wird an diesem Montag einem Privatisierungspaket zustimmen, mit dem die Regierung bis zum Jahr 2015 rund 50 Milliarden Euro einnehmen will. Im Vordergrund stehen der Stromkonzern DEH und das Telekommunikationsunternehmen OTE. Im Falle von DEH will die Regierung ihre Mehrheitsbeteiligung aufgeben, indem sie 17 Prozent des Unternehmens verkauft, sie hält 51 Prozent. Die Regierung erhofft sich von der Ankündigung eine Signalwirkung, um die Stimmung an den Kapitalmärkten zu verbessern. Die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds drängen auf eine vollständige Privatisierung der Versorgungsunternehmen, zu denen auch der Gasversorger Depa und die regionalen Wasserunternehmen gehören. An OTE hält Athen noch 20 Prozent, 30 Prozent sind in der Hand der Deutschen Telekom.“ FAZ vom 23. Mai 2011, Gegen den drohenden Bankrott; zu den Einzelheiten der geplanten Privatisierungen siehe auch: Griechenland plant Verkauf von Anteilen an Häfen, FAZ vom 24. Mai 2011. Die Privatisierung von staatlichen Institutionen ist zumindest dann nicht rechtmäßig, wenn sie Teil der öffentlichen Versorgung sind. Zum Problem hinreichender Qualität bei angemessenem Preisniveau in Betrieben der Daseinsvorsorge siehe J. Isensee, Staatsvermögen, S. 1316. 343 Dirk Meyer hält eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands de jure für zweifelhaft. „Statt einer Kapitalflucht privater Geldvermögenswerte in Höhe von schätzungsweise zehn Milliarden Euro ins Ausland wäre über eine Konfiskation (Lastenausgleich) von Eigentümern großer Vermögen eine sofortige Zahlungsfähigkeit herzustellen gewesen.“ D. Meyer, Kredithilfe für Griechenland – eine ökonomische Analyse und Bewertung, 2010, S. 614. Selbst die börsennotierte griechische Notenbank schüttet ungeachtet des überschuldeten Staatshaushalts regelmäßig eine Dividende aus, im Krisenjahr 2011 beispielsweise 100 Millionen Euro. Die Dividenden für das Jahr 2010 erreichten ein Volumen
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Allerdings ist zu bedenken, dass der griechische Staat nicht mehr in der Lage war, Kredite zu finanzierbaren Konditionen an den Finanzmärkten aufzunehmen. Damit bestand die einzig verbleibende Möglichkeit, die bereits bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern zu erfüllen und die Zahlungsunfähigkeit kurzfristig abzuwenden darin, neue Kredite bei öffentlichen Geldgebern wie den Eurostaaten, dem IWF und der Europäischen Zentralbank aufzunehmen. Zweifel an einem finanziellen Notstand bleiben gleichwohl bestehen, wenn man bedenkt, dass der griechische Staat zwar überschuldet war, gleichzeitig aber über umfangreiche staatliche Vermögenswerte in Form von Staatsbeteiligungen und potentiellen Rohstoffvorkommen verfügte344. Schließlich sind staatliche Beteiligungen vermögenswerte Rechte, deren Verwertung durch Privatisierung hinreichende Erlöse erwirtschaften könnten, um die staatliche Versorgung zu gewährleisten. Dieses Vermögen muss auch in die Beurteilung eines finanziellen Notstandes einfließen, zumal an einen finanziellen Notstand, wie dargestellt, hohe Anforderungen zu stellen sind345. Bevor also ein Staat unter Berufung auf einen finanziellen Staatsnotstand öffentliche Kredite von anderen Staaten erhält und damit die Solidarität der Mitgliedstaaten – sowohl des IWF als auch der Europäischen Union – in Anspruch nehmen kann, hat er alle Möglichkeiten der Ausgabenreduzierung auszuschöpfen und die bestehenden Optionen zur Erzielung sonstiger erheblicher Einnahmen346 vollständig umzusetzen347. Griechenland hat von der Möglichkeit, vor Ausbruch der Krise eigenes Vermögen zu aktivieren, kaum, jedenfalls nicht erschöpfend Gebrauch gemacht.
von 90 Millionen Euro. FAZ vom 13. April 2012, Griechische Notenbank zahlt Dividende. Damit wird auch die Solidarität der Geberstaaten auf die Probe gestellt; denn die Notenbanken in der Eurozone machen Rückstellungen für etwaige Risiken aus der Staatsschuldenkrise. Die griechische Notenbank trägt relativ zu ihrer Größe ein besonderes Risiko, weil sie für die maroden griechischen Banken hohe Kredite ausgegeben hat. 344 Dazu D. Müller, Der Kampf um Europa und unser Geld, 2013. 345 Nach Auffassung von Karl Albrecht Schachtschneider war und ist Griechenland „vermögend genug, um seine Schulden selbst zu begleichen“. Er verweist auf Grundvermögen und insbesondere auf hohe Privatvermögen, „das mehrfach die Staatsschulden übersteigt“. K. A. Schachtschneider, Die Rechtswidrigkeit der EuroRettungspolitik, S. 170 f. 346 Griechenland reagierte auf Drängen der Geldgeber mit der Einführung einer auf zwei Jahre befristeten Immobiliensteuer, welche von den Bürgern über die Stromrechnung eingezogen wurde, um die Mittel effizienter eintreiben zu können. Siehe FAZ vom 12. September 2011, Berlin verliert die Geduld mit Griechenland. 347 BVerfGE 116, 327, Rn. 252.
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6. Ergebnis In einer Überschuldungslage kann sich der Staat auf einen Ausnahmezustand schlechterdings nicht berufen, um Notstandsverordnungen in Form von Strukturverordnungen zu beschließen. Aus der Ausnahmelage wegen Überschuldung aufgrund einer verfehlten Wirtschaftspolitik können keine höheren, über dem Gesetz stehenden Befugnisse exekutiver Staatsgewalt abgeleitet werden348. Andreas Fischer-Lescano resümiert: „Die Maßnahmen der Krisenbewältigung sind nicht unabhängig von der rechtlichen Normalordnung zulässig, sondern nur dann, wenn sie im Rahmen dieser Ordnung gerechtfertigt sind349.“
II. Wissenschaftlicher Sachverstand des IWF 1. Ökonomischer Sachverstand Die Beurteilung komplexer wirtschaftspolitischer Zusammenhänge und insbesondere von Wirtschaftskrisen in den Schuldnerstaaten des IWF erfordert ein hohes Maß an ökonomischer Sachkenntnis. Die Frage nach den richtigen Maßnahmen muss auf der Grundlage wissenschaftlicher Analyse und belastbarer Prognosen zu den Wirkungen von Handlungsoptionen beantwortet werden350. Bei der Empfehlung und Implementierung von Maßnahmen ist freilich nicht nur wirtschaftswissenschaftlicher Sachverstand maßgeblich. Auch die politische Durchsetzbarkeit, ihre Mehrheitsfähigkeit, die politische Ausrichtung der Regierung des Schuldnerstaates und nicht zuletzt die politischen Ziele und wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen des IWF spielen dabei eine erhebliche Rolle. Dies macht es schwierig und oft unmöglich, wertneutrales Urteil, wissenschaftlich-dogmatische Lager-Überzeugungen und politisches Kalkül klar voneinander zu trennen. Hinzu kommt, dass Prognosen immer mit Unsicherheiten, insbesondere über Neben- und Folgewirkungen („Sekundärwirkungen“)351 belastet sind. Beruhen sie doch auf Wahrscheinlichkeitsurteilen352, die sich auf zuverlässige und 348 „In der Ausnahmelage zeigt sich das Recht auf die bürgerliche Verfassung, das mit jedem Bürger geboren ist. Daneben gibt es keine andere Souveränität.“ Der Regierung erwachse daraus „nicht das Recht, sich über das Recht zu stellen“. K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 28. 349 A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 3. 350 A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 61. 351 D. Cassel/H. J. Thieme, Stabilitätspolitik, in: D. Bender u. a. (Hrsg.), Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2012, S. 316. 352 „Wer wollte in der Wissenschaft bestimmen, was der Regelfall beziehungsweise der Spezialfall ist? Der wirtschaftspolitische Berater muss aber genau diese
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transparente Daten stützen müssen, um glaubwürdig zu sein. Vorhersagen sind immer fehleranfällig, wie sich gerade auch bei Prognosen des IWF oft gezeigt hat353. So ist die Wirksamkeit der IWF-Programme in der Literatur seit jeher umstritten und wurde in mannigfachen Publikationen diskutiert354. Trotz dieser Einwände und Unsicherheiten ist es unverzichtbar, dass die Verantwortungsträger der Programmstaaten, insbesondere Parlament und Regierung bei der Beurteilung von Handlungsoptionen externen Sachverstand hinzuziehen355. Der deutsche Gesetzgeber ist sogar gehalten, sich bei der Auswahl der (Teil)Ziele und Maßnahmen „unter den ökonomischen Prämissen des Sozialprinzips aktiv mit der Wirtschaftswissenschaft auseinanderzusetzen und operationalisierbare, in Abstimmung mit der WirtschaftswissenEntscheidung nach sorgfältiger Abwägung in transparenter Weise treffen“. W. Franz, Wirtschaftspolitische Beratung und Wirtschaftspolitik in Deutschland, Volkswirtschaftliche Beiträge, Nr. 8, Juni 2000, S. 12. 353 Beispielhaft für die Fehleranfälligkeit wissenschaftlicher Studien ist die im Jahr 2010 vom ehemaligen IWF-Chefvolkswirt Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart aufgestellte und vielzitierte Schuldengrenze von 90 Prozent. Die Wissenschaftler hatten anhand der Auswertung umfangreicher Datensammlungen den Nachweis geführt, dass das Wirtschaftswachstum von Staaten drastisch abnehme, wenn das Verhältnis von Verschuldung und Wirtschaftsleistung über 90 Prozent steigt. Diese Studie wurde in der Euro-Krise zur Begründung der Austeritätspolitik immer wieder herangezogen, etwa vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble. Später stellte sich jedoch heraus, dass die Studie auf Rechenfehlern basierte. Im Zusammenhang dieser fehlerhaften Studie gestand auch der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Olivier Blanchard, ein, „dass der IWF die negativen Effekte der Sparpolitik auf das Wachstum unterschätzt habe“. Spiegel Online vom 17. April 2013, Schulden-Theorie: Excel-Panne stellt Europas Sparpolitik in Frage; kritisch T. Herndon/M. Ash/R. Pollin, Does High Public Debt Consistently Stifle Economic Growth? A Critique of Reinhart and Rogoff. 354 Dabei kommen die Studien zu widersprüchlichen Ergebnissen. Siehe dazu G. Bird, IMF Programs: Do They Work? Can They Be Made to Work Better? World Development 29 (11), 2001, S. 1849 ff.; dazu auch P. Nunnenkamp, Dealing with the Asian Crisis: IMF Conditionality and Implications in Asia and Beyond, 1998; ders., IWF und Weltbank: Trotz aller Mängel weiterhin gebraucht?, S. 16 ff. Zum Problem der Effektivität des IWF, M. Feldstein, Refocusing the IMF, 1998, S. 20 ff. Zur Kritik an der Liberalisierungspolitik des IWF, welche einer ökonomischen Notwendigkeit entbehre und vor allem politisch-wirtschaftlichen Interessen diene J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, 2002; ders./Walden Bello, Testimony before the Subcommittee on oversight of the Committee on Banking and Financial Services, US House of Representatives, 21. April 1998; J. Bhagwati, The Capital Myth, 1998, S. 7 ff.; insbesondere mit Kritik an den Privatisierungsauflagen gegenüber Indonesien H. Dieter, Die Asienkrise. Ursachen, Konsequenzen und die Rolle des Internationalen Währungsfonds, 1998, S. 81 ff. 355 Aus Gründen der Komplexität von Wirkungszusammenhängen ist eine aktive Auseinandersetzung mit Erkenntnissen der Wirtschaftswissenschaften als zuständiger Fachdisziplin in der Regel geboten. So auch K. Baltes, Die demokratische Legitimation und die Unabhängigkeit des EuGH und des EuG, S. 115.
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schaft generierte wirtschaftliche Ziele seines Handelns verbindlich zu fixieren“356. Möglichst viele der zwischen den Zielen und den Instrumenten bestehenden Beziehungen sind dabei nach dem Stand der Wissenschaft sichtbar zu machen, um die erwartbaren indirekten Effekte bestmöglich abschätzen zu können357. Diese wirtschaftswissenschaftlichen Zusammenhänge müssen in den Meinungsbildungsprozess einfließen, damit die gesetzlichen Maßnahmen „die bezweckte Wirkung nicht verfehlen“358. Allerdings darf das verfassungsrechtlich vorgesehene Erkenntnis- und Entscheidungsverfahren nicht dahinter zurücktreten359. Schließlich handelt es sich bei umfassenden Strukturreformen eines Programmstaates um Teile der allgemeinen Gesetzgebung, in der Sache also um Rechtsfragen. Rechtlichkeit und die ihr zugrunde liegende Wirklichkeit ist wissenschaftlich, also durch Wissen (scientia) und Vernunft (prudentia), erfassbar360. Wahrscheinlichkeitsurteile sind immer nur so gut wie ihre Datenbasis und dürfen ohne weitere Erkenntnisse nicht zum allgemeinen Gesetz gemacht werden, weil „eine empiristische Normenlehre […] Gesetze nicht ins Recht setzen“ kann361. Die Reformauflagen des IWF beruhen in der Regel auf einer Kombination von Tatsachenfeststellungen, Erfahrungswerten und willkürlichem Gestalten. Dabei ist zwischen dem Ziel („Was“) und dem Weg („Wie“) zu unterscheiden. Im Rahmen des „Was“ sind die qualitativ richtigen Ziele zu definieren und für jede Zielsetzung die geeigneten Indikatoren in Form von quantifizierbaren Messgrößen auszuwählen. Dabei besteht ein „doppeltes Normierungsproblem“, weil gleichzeitig geeignete Indikatoren und ihre Sollwerte zu bestimmen sind362. Die Memoranda of Understanding legen die Sollwerte meist in Form von Bandbreitenzielen mit Mindestwerten, teilweise auch Verlaufszielen innerhalb eines Zeitrahmens fest (siehe oben am Beispiel Griechenlands). 356 Siehe zum Operationalisierungsauftrag des Gesetzgebers in Abstimmung mit der Wirtschaftswissenschaft H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 148. 357 D. Cassel/H. J. Thieme, Stabilitätspolitik, S. 315. 358 K. A. Schachtschneider, Politisch korrektes Recht, Rechtsprechung, Rechtsbewußtsein?, S. 85. 359 Die Gefahr, dass externe Expertise zu großen Einfluss auf auf die Entscheidungsprozesse nimmt und parlamentarische Entscheidungen dadurch unter Druck geraten, wurde bereits im Kapitel „Rechtfertigung kommissarischer Sanierungsmaßnahmen“ und unter den Stichworten „Expertokratie“ und „Output-Legitimation“ diskutiert. 360 Ebenda, S. 87. 361 Ebenda, S. 83. 362 D. Cassel/H. J. Thieme, Stabilitätspolitik, S. 314.
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Sowohl die Wahl der Messgrößen als auch die Bestimmung ihrer Sollwerte sind aufgrund ihrer methodisch-statistischen Unsicherheiten aber nicht unproblematisch363. In Abstimmung mit den Wirtschaftswissenschaften gilt es, diejenigen operationalisierbaren Größen zu finden, „die den wirtschaftlichen Imperativen des Sozialprinzips bestmöglich zuträglich sind und / oder sie in geeigneter Weise abbilden“364. In Bezug auf das „Wie“ stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln die festgelegten Ziele bestmöglich erreicht werden können und sollen. Schwierigkeiten entstehen in „der Einschätzung dessen, was das verfügbare Instrumentarium jeweils zu leisten vermag“, woraus sich wiederum Rückschlüsse dafür ergeben, wie die Ziele zu gewichten und zu operationalisieren sind365. Auf die Problematik übergeordneter Ziele und die daraus erwachsenden Zielkonflikte wird mit Blick auf die Gebote des Sozialprinzips noch näher einzugehen sein. 2. Wissenschaftlichkeit des IWF Die Pflicht des Staates zur Sachlichkeit gebietet, im Erkenntnisverfahren den Stand der Wissenschaft zugrunde zu legen. „Sachlichkeit heißt Wissenschaftlichkeit366.“ Theodor Mommsen hat die Voraussetzungslosigkeit als Wesensmerkmal der Wissenschaft herausgestellt und Wissenschaftlichkeit definiert als die „voraussetzungslose Forschung, die nicht das findet, was sie nach Zweckerwägungen und Rücksichtnahmen finden soll und finden möchte, was anderen außerhalb der Wissenschaft liegenden praktischen Zielen dient, sondern was logisch und historisch dem gewissenhaften Forscher als das Richtige erscheint, in ein Wort zusammengefasst: die Wahrhaftig keit“367. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen auf Wahrheit beruhen, das heißt „auf bestmöglicher Annäherung und Darlegung der Wirklichkeit“368. 363 Ebenda. 364 H.-M.
Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 148. S. 315. 366 Vgl. K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“ im Atom- und Immissionsschutzrecht, in: W. Thieme (Hrsg.), Umweltschutz im Recht, 1988, S. 81 ff., S. 173; ders.; Prinzipien des Rechtsstaates, S. 186, 208, 262; ders. Freiheit in der Republik, S. 424 ff. 367 Zur Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft: T. Mommsen, Reden und Aufsätze, 1905, S. 432 ff.; dazu auch M. Weber, Wissenschaft als Beruf, 1982, S. 582 ff., S. 602 f. 368 K. A. Schachtschneider, Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik, S. 224; ders., Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“ im Atom- und Immissionsschutzrecht. 365 Ebenda,
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Die Darlegung der Wirklichkeit auf der Grundlage wissenschaftlicher Prognosen entwickelt auch rechtsstaatliche Relevanz, „weil Rechtsentscheidungen nicht an den Tatsachen vorbeigehen dürfen“369. Das Zeugnis, das Rolf Knieper den Wirkungen der Bereitschaftskreditabkommen bereits in den siebziger Jahren ausstellte, hat sich bis heute bestätigt370: „Es fehlt bisher jeder Hinweis, dass Bereitschaftskreditabkommen die internationale Währungsintegration, das gleichgewichtige Wachsen des Welthandels, ein hohes Beschäftigungsniveau, hohe Realeinkommen sowie die produktiven Ressourcen aller Mitgliedsländer fördern.“ Auch wenn die Erfolgsbilanz des IWF bei der Sanierung von krisenbetroffenen Staaten in der Literatur sehr umstritten ist371, so verfügt der IWF im Umgang mit Finanz- und Wirtschaftskrisen doch über einen weithin anerkannten ökonomischen Sachverstand. Insbesondere im Bereich der Sanierungsprogramme hat der IWF langjährige Erfahrungen gesammelt und kann im Rahmen des sogenannten Monitoring of Fund Arrangements (MONA) auf umfangreiches empirisches Datenmaterial zurückgreifen372. Wegen seiner ökonomischen Erfahrung wird der IWF von den krisenbetroffenen Staaten regelmäßig als externer Berater herangezogen, um die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte zu diagnostizieren und daraus die erforderlichen politischen Maßnahmen abzuleiten373. Im Gegensatz zur Einbeziehung technisch-wissenschaftlichen Sachverstands von einem nationalen Sachverständigenrat ist die Hinzuziehung des IWF in finanz- und wirtschaftspolitischen Fragen nicht unbedenklich374. 369 K. A. Schachtschneider, Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik, S. 224. 370 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 288. 371 Eine Bilanz der Erfolge und Misserfolge der IWF-Sanierungsprogramme zieht W. Easterly, The Ellusive Quest for Growth: Economists Adventures and Misadventure in the Tropics, 2002; weniger kritisch H. S. Bienen/M. Gersovitz, Economic Stabilization, Conditionality, and Political Stability, International Organization, Bd. 39, 1985, S. 729 ff.; C. Pirzio-Biroli, Making Sense of the IMF Conditionality Debate, JWTL, Bd. 17, 1983, S. 115 ff. 372 Näher dazu IWF, Monitoring of Fund Arrangements (MONA), 2002, einzusehen unter http://www.imf.org/external/np/pdr/mona/index.aspx. 373 Teilweise wird seine Expertise auch von Seiten der Gläubiger gefordert. In Mitgliedstaaten wie Rumänien, Ungarn oder Spanien wollte man vor Antragstellung zunächst „die Analysen unabhängiger ausländischer Gutachter abwarten“. In Spanien etwa wurde der IWF neben zwei privaten Beratungsunternehmen mit einem Bericht zum Zustand der spanischen Banken beauftragt. Siehe FAZ vom 8. Juni 2012, Madrid sondiert weiche Bankenrettung. 374 Vgl. Rolf Knieper, der dem Fonds vorhält, er präsentiere sich trotz evidenter Abhängigkeit von den großen Mitgliedstaaten und deren Interessen „im Gewande
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Wissenschaftlichkeit setzt Neutralität und Unabhängigkeit voraus375. Sie lässt keinen Raum für Abwägungen mit sachfremden politischen Aspekten, die vor allem für Institutionen außerhalb des betroffenen Staates relevant sein können. In Fällen, in denen der Fonds lediglich technische Hilfe in Form von Analysen und Konsultationen leistet, vollzieht sich die Arbeit des IWF im Wesentlichen auf einer eher unpolitischen Sachebene. Ziel ist es, die staatlichen Entscheidungsträger über die technischen Zusammenhänge aufzuklären („[…] so as to enable them to make informed choices“376). Wo der Fonds aber in einer Doppelrolle als Sachverständiger und (potentieller) Kreditgeber auftritt und konditionalisierte Kreditprogramme für einen verschuldeten Mitgliedstaat entwirft, rückt sein Charakter als politische Institution und damit das Interesse der Mitgliedstaaten in den Vordergrund. 3. Entscheidungsstruktur innerhalb des IWF Eine aus 188 Mitgliedstaaten bestehende Institution wie der IWF bildet auf internationaler Ebene ein zunehmend „verdichtetes Kräfteverhältnis“377 ab, welches eine unabhängige Erkenntnisfindung praktisch ausschließt, zumal in der Regel hegemoniale Interessen der größten Anteilseigner berührt unpolitisch-technokratischer Sachkompetenz“. Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 270. 375 So gilt beispielsweise in Deutschland für den Sachverständigenrat (SVR): „Der Sachverständigenrat ist nur an den durch dieses Gesetz begründeten Auftrag gebunden und in seiner Tätigkeit unabhängig“ (§ 3, Abs. 1 Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung). Der US-amerikanische Council of Economic Advisers (CEA) ist zwar insofern nicht unabhängig, als seine Mitglieder vom Präsidenten ernannt werden, jedoch gilt auch für seine Aufgaben: „The Council bases its recommendations and analysis on economic research and empirical evidence, using the best data available to support the President in setting our nation’s economic policy“, einzusehen unter whitehouse. gov., Council of Economic Advisers, About CEA. Wolfgang Franz betont zwar den Vorteil der Unabhängigkeit, wie sie beim SVR gegenüber dem CEA gegeben ist, weist aber darauf hin, dass „dies in der Wissenschaft eine eher untergeordnete Rolle spiele, belegt mit der hohen Reputation zahlreicher prominenter Mitglieder des CEA“. Wirtschaftspolitische Beratung und Wirtschaftspolitik in Deutschland, Volkswirtschaftliche Beiträge, Nr. 8, Juni 2000, S. 7. 376 Vgl. Ziffer 4) der Principles Underlying the Guidelines on Conditionality, Prepared by the Legal and Policy Development and Review Departments (In consultation with other departments), Approved by Timothy F. Geithner and François Gianviti September 25, 2002, einzusehen unter http://www.imf.org/External/np/pdr/ cond/2002/eng/guid/092302.pdf. 377 C. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 169.
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sind378. Der IWF ist seiner Struktur nach keine wissenschaftliche, sondern vor allem eine politische Einrichtung (als solche erfüllt er in erster Linie die Erwartungen seiner Mitglieder entsprechend ihren Machtverhältnissen). Die IWF-Politik wird im Wesentlichen von wenigen Fondsmitgliedern, in Sonderheit den Staaten der G-20-Gruppe dominiert379, welche etwa 67 Prozent der Gesamtstimmen im Fonds auf sich vereint380. Die politische Abhängigkeit des IWF lässt sich auch empirisch nachweisen381, sie ist bereits in seiner Verfasstheit angelegt, zumal in der Stimmengewichtung nach Quoten. Diese soll zwar dem unterschiedlichen Haftungsumfang der Mitglieder Rechnung tragen, allerdings führt die Mehrheitsregel und das stimmliche Übergewicht der G-20-Staaten dazu, dass politische Erwägungen häufig über sachliche Erfordernisse gestellt werden. Das Prinzip der Stimmengewichtung ist auf eine Politisierung der Kreditvergabe ausgelegt, „politisch-ideologische Entscheidungen“ werden geradezu „provoziert“382, und die ökonomische Vernünftigkeit von Maßnahmen rangiert dann hinter dem Interesse der Hauptanteilseigner383. Vor diesem Hintergrund können Expertise und Gestaltung der Auflagenprogramme nicht in einer interessenfreien und ergebnisoffenen Sphäre stattfinden. 378 Bemängelt wird etwa, dass die IWF-Kredite in erster Linie den Interessen der Geberstaaten dienten. Ferner würde bei den Auflagen gegenüber den Programmstaaten häufig mit zweierlei Maß gemessen. So seien etwa Einfuhrbeschränkungen für Schuldnerstaaten nach Auffassung des IWF grundsätzlich kein zulässiges Mittel, obgleich die Geberstaaten durchaus von diesem Instrument Gebrauch machen. Zur Kritik P. Nunnenkamp, IWF und Weltbank: Trotz aller Mängel weiterhin gebraucht?, 2002, S. 8 f.; G. Soros, Der Globalisierungsreport, 2002, S. 32 ff. 379 Die Gruppe der 20 wichtigsten Industrieländer hat die G7-Gruppe mittlerweile als Hauptforum für internationale Wirtschaftskooperation abgelöst. „Die anderen Mitglieder dürfen nur noch nachvollziehen, was die G-20 ausgetüftelt hat.“ P. Welter, FAZ vom 27. Oktober 2010, Laufbursche der G-20. 380 Siehe zur neuen Quotenverteilung FAZ Online vom 27. Oktober 2010, Der Währungsfonds wird umgebaut und gestärkt. 381 Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Münchener Ifo-Instituts, welche den Nachweis führt, dass die zeitweilige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat die Wahrscheinlichkeit, einen Kredit des IWF zu erhalten, um 20 Prozent erhöht. Siehe Financial Times Deutschland, 25.10.2006, Nr. 2007, S. 18. 382 „The asymmetry in decision making power makes a mockery of the contention […] that the Fund is an apolitical body.“ M. Darrow, The World Bank, the International Monetary Fund and International Human Rights Law, S. 25; C. Janik, Die Bindung Internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards, S. 363 (m. w. N.). 383 Oftmals stehen die Heimatstaaten den Gläubigerunternehmen „informell durch Unterstützung bei Umschuldungsverhandlungen zur Seite“. Zu dieser Praxis, den sogenannten „good offices“, A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger: S. 86; E. Borchard, State Insolvency and Foreign Bondholders: General Principles, 2007, S. 244 ff.
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4. Beispiel: Die politische Abhängigkeit des IWF in der Eurokrise Im Zeitpunkt der Griechenlandrettung, im März 2010, war das Exekutivdirektorium dergestalt besetzt, dass die USA als größter Anteilseigner ein Stimmengewicht von 17,7 Prozent hatten, während die Staaten des EuroRaums über ein Stimmengewicht von insgesamt 23,1 Prozent verfügten. Die EU-Staaten insgesamt verfügten über 31,9 Prozent der Stimmen384. Konstitutionell sichert die Stimmengewichtung den Eurostaaten also einen maßgeblichen Einfluss innerhalb des IWF385. Die institutionelle Einbindung des IWF in die Rettungsprogramme gegenüber den Eurogruppen-Staaten berührt seine Unabhängigkeit grundlegend, eine Problematik, die im Umgang mit der Eurokrise besonders in den Vordergrund gerückt ist. Selbst von eigenen langjährigen Mitarbeitern wird der Führung des IWF ein „European bias“, eine Voreingenommenheit zugunsten Europas, vorgeworfen386. Spätestens seit dem Ausbruch der Euro-Krise ist der Fonds auch personell in starke politische Abhängigkeit geraten, wie die Personalentscheidungen der beiden Geschäftsführenden Direktoren seit Ausbruch der Krise belegen. Die Auswahl des Führungspersonals ist in einer strengen hierarchischen Organisation wie sie für den IWF charakteristisch ist, besonders bedeutend; denn: „[…] the implications of those choices filter directly to others in senior management, and via the appointments, fixed term contracts, and succession planning of senior staff, they go on to infuse the organization as a whole, overwhelming everything else387.“ Die persönliche Unabhängigkeit, die das Amt des Geschäftsführenden Direktors voraussetzt, wurde bereits in Zweifel gezogen, als Dominique Strauss-Kahn noch während seiner Amtszeit die Kandidatur um das Präsidentenamt in Frankreich anstrebte und also ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Fonds abzusehen war. Dementsprechend stand das Amt bereits unter dem damaligen geschäftsführenden Direktor Dominique Strauss-Kahn in dem Verdacht, eher durch persönliche Ambitionen als durch objektive Überzeugungen geleitet zu werden. Dies schwächte das Vertrauen in die Objektivität der Organisation ebenso wie die Berufung seiner Nachfolgerin, der 384 Europa 385 Vgl.
Hilfe.
hat mehr Gewicht als Amerika, FAZ vom 26. März 2010. Spiegel Online vom 01. April 2012, Euro-Retter drängen IWF zu mehr
386 So der langjährige Divisionschef der Europaabteilung des IWF, Peter Doyle im Juni 2012, einzusehen unter http://cnnibusiness.files.wordpress.com/2012/07/ doyle.pdf; Spiegel Online vom 20. Juli 2012, IWF-Ökonom rechnet mit Lagarde ab. 387 P. Doyle (Europa-Abteilung des IWF), offener Brief an das Exekutivdirektorium des IWF vom 18. Juni 2012, abgedruckt in: F. Lessambo, The International Corporate Governance System, 2014, S. 33.
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ehemaligen französischen Finanzministerin Christine Lagarde, unter deren Führung die enge Bindung an die Eurostaaten weiter verdichtet wurde388. Zur engen Beziehung zwischen den IWF-Mitarbeitern und den politischen Verantwortungsträgern der Eurozone führt der Bericht des IWF aus dem Jahr 2011 zur Evaluation der Überwachungsfunktion des IWF in der Euro-Zone aus389: „Fund officials in many instances had very close contacts with European officials. Many interview partners remarked that this drew the Fund into the European policy game too much, making it more difficult to exploit its comparative advantage and to carry out independent, process-free economic analysis.“
Zwar agiert der IWF in Einzelfragen durchaus selbständig390. Die Kreditprogramme und Auflagenpolitik erfolgen jedoch in enger Abstimmung zwischen dem IWF und den Geberstaaten391. Eine entscheidende Rolle kommt 388 Diese enge Beziehung bestand schon bei Ausbruch der Krise durch den damaligen Geschäftsführenden Direktor Dominique Strauss-Kahn. Obwohl in Aussicht gestellt worden war, dass der gerade reformierten Stimmengewichtung Rechnung getragen werde und der nächste geschäftsführende Direktor kein Europäer sein sollte, einigte man sich nach dem Rücktritt von Dominique Strauss-Kahn wiederum auf eine europäische Kandidatin, deren „wichtigste Qualität“, so die Kritiker, ihre Nationalität sei; denn „die EU-Europäer und auch die Vereinigten Staaten wollten keine Experimente“. Vgl. P. Welter, FAZ vom 30. Juni 2011, Nicht die Richtige. Nach Aussage der Bundesregierung (Bundeskanzlerin Merkel) gab es „gute Gründe“, dass der IWF-Posten wieder mit einer „Persönlichkeit aus Europa“ besetzt wurde (FAZ Online vom 20. Mai 2011, Auf der Suche nach einem IWF-Chef; FAZ Online vom 17. Mai 2011, Europa will IWF-Chefposten). Auch der französische Präsident Sarkozy hatte nach dem Rücktritt von Strauss-Kahn umgehend einen europäischen Anspruch auf die Führung des IWF angemeldet und begründete diesen mit der Fondsstruktur. Schließlich seien EU-Staaten – in Summe – größter Anteilseigner. Zugleich warnte er vor Streit um den Posten: „Europa muss einstimmig eine Wahl treffen.“ – FAZ Online vom 20. Mai 2011, Auf der Suche nach einem IWF-Chef, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/nachfolge-von-strauss-kahnauf-der-suche-nach-einem-iwf-chef-1643322.html. 389 J. Pisani-Ferry/A. Sapir/G. Wolff, TSR External Study: An Evaluation of IMF Surveillance of the Euro Area, 2011. 390 Zum Beispiel vergibt der IWF, im Gegensatz zur Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission, seine Mittel nur, sofern die Finanzierung zumindest für einen Zeitraum von zwölf Monaten gesichert ist. Wenn dies wie in Griechenland nicht der Fall ist, fordert er Sicherheiten über Kredit- und Bürgschaftszusagen durch die Eurogeberländer, siehe FAZ vom 27. Mai 2011, IWF-Kredit für Griechenland in Gefahr. 391 Zu den Personalien, Karrieren und Interessenkonflikten des Ersten Stellvertretenden Direktors des IWF, der traditionell ein Amerikaner ist, siehe D. Müller, Showdown, Der Kampf um Europa und unser Geld. Dort auch kritisch etwa zu Karriere und Interessenkonflikten des Ersten Stellvertretenden Direktors des IWF John Lipsky, der als Investmentbanker bei JP Morgan, Chase Manhattan, heute JP Morgan und Salomon Brothers, heute Citigroup (S. 126 f.) arbeitete, bevor er wieder zum IWF
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der Troika zu, welche die Zusammenarbeit des IWF mit der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank informell organisiert (mit Gründung des ESM auch formell, siehe oben). Die Troika bindet den IWF eng an die Interessen und Ziele der Eurostaaten. Durch die Zusammenarbeit der Troika ist der Fonds in der Euro-Krise auch mit den Geberstaaten in den wesentlichen politischen Fragen eng verbunden392. 5. Stellungnahme Grundsätzlich haben die Empfehlungen des IWF großes Gewicht und bestimmen „zunehmend den Ton der wirtschaftspolitischen Debatte“393. Der IWF hat damit eine entscheidende Definitionsmacht, die in Anbetracht seiner strukturellen Abhängigkeit und der daraus folgenden mangelnden – zumindest stark eingeschränkten – wissenschaftlichen Neutralität bedenklich ist. Wenn sich die Programmstaaten vornehmlich am IWF als „fachkompetentem Beratungsgremium“394 orientieren und die Erkenntnis des Richtigen maßgeblich der Heuristik des IWF (als Prozess von Verbesserungsversuchen und Irrtumskorrekturen) überlassen395, wird die Expertise zum nicht legitimierten Risiko396. zurückkehrte oder zur Karriere seines Nachfolgers im Amt des Ersten Stellvertretenden Direktors David Lipton, der vor seiner Tätigkeit beim IWF fünf Jahre bei einem Hedgefonds, und im Bereich Investmentbanking der Citigroup arbeitete (S. 127). 392 Die Personalie an der Spitze des IWF wirkt sich auch auf die Politik des Fonds aus: „Nie hat der frühere sozialistische Finanzminister, der bislang als härtester Rivale Sarkozys im Rennen um die Präsidentschaft galt, dessen Forderungen nach möglichst weitreichenden Hilfspaketen für Griechenland, Irland oder Portugal widersprochen – auch aus dem Kalkül heraus, dass dies im Wahlkampf schlecht angekommen wäre.“ – FAZ Online vom 16. Mai 2011, Der freundlich-aggressive Hilfsanbieter, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/iwf-chef-dominiquestrauss-kahn-der-freundlich-aggressive-hilfsanbieter-1643254.html. 393 P. Welter, FAZ vom 1. August 2012, S. 9, Sozialpolitik à la IWF. 394 U. Schliesky mit Blick auf ein europäisches Mehrebenensystem, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, S. 600. 395 Mit gleicher Argumentation auch zur Frage der Einschätzungskompetenzen der Gerichte: K. A. Schachtschneider, Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik, S. 223. 396 Jacqueline Best kritisiert die Beteiligung im Exekutivdirektorium, insbesondere die Folgen von Entscheidungen, die hinter verschlossenen Türen getroffen werden. Neben einer strukturellen Problematik der IWF-Organe erkennt sie ein Legitimationsdefizit in der Art und Weise, wie der Fonds mit seinen Mitgliedern interagiert. Besonderes Gewicht legt sie auf das Prinzip der country ownership. Die Legitimation des IWF schöpfe sich daraus, dass andere seine Legitimation anerkennen. Sie könne entweder durch ein demokratisches Entscheidungsverfahren oder durch Experten gewährleistet werden, die ein besonderes Maß an Glaubwürdigkeit auf dem Gebiet vorweisen können, auf welchem sie für andere handeln (S. 472). Problematisch seien
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Teil 5: Demokratisches Prinzip als legitimatorische Grenze
Der IWF hat eine eigene Vorstellung davon, auf welche Weise ein Staat in die Wirtschaft eingreifen soll. Gerade im Rahmen der Konditionalität lanciert der IWF immer auch eine bestimmte Doktrin in die Wirtschaftspolitik des betreffenden Empfängerlandes, welche entsprechend den Prinzipien des Washington Consensus’ geprägt ist. Die Krisenstaaten aber weisen teilweise erheblich voneinander abweichende politische, rechtliche und ökonomische Kulturen auf. Im Rahmen dieser Arbeit ist nicht zu diskutieren, ob eher ein monetaristischer, keynesianischer oder gar sozialistischer Ansatz zur wirtschaftlichen Restrukturierung eines Landes beitragen kann. Es erweist sich aber in jedem Fall als problematisch, einen souveränen Staat zum Paradigmenwechsel seiner bisherigen Wirtschaftspolitik zu zwingen, zumal es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, ob eine Austeritätspolitik oder eine stark wachstumsorientierte, mit deficit spending verbundene Wirtschaftspolitik besser für eine wirtschaftliche Erholung geeignet ist. Wenn der IWF im Rahmen eines Kreditprogramms die Regierung eines krisenbetroffenen Mitgliedstaats wirtschaftspolitisch „begleitet“, ist der Fonds kein „an der Sache orientierter neutraler Ratgeber“397 mehr, sondern ein interessierter Beobachter und gegebenenfalls Entscheider. Die von ihm verordneten wirtschaftspolitischen Konzepte genügen dann nicht dem Sachlichkeitsgebot, weil die Erkenntnisse – wie am Beispiel Griechenlands gezeigt – nicht in einem unabhängigen Verfahren ermittelt werden. Der Fonds ist insbesondere den Interessen der kreditgebenden Mitgliedstaaten verpflichtet398, welche wiederum die utilitaristischen Interessen der eigenen Wirtschaft und des Kapitalmarktes geltend machen (dazu unten). Daneben vertritt er nicht zuletzt auch seine eigenen Interessen als Geldgeber. Weil die Wirklichkeit, auf deren Grundlage die gesetzlichen Maßnahmen erfolgen, von einer interessengebundenen Organisation wie dem IWF nicht unvoreingenommen erkannt werden kann, können darauf aufbauende Gesetze die Wirklichkeit auch kaum sachgerecht regeln. Die Erfahrungsgrundlage des IWF bei der Bewältigung vergangener Krisen lässt nur bedingt Rückschlüsse auf die generelle Eignung oder NichteigEntscheidungen, die der Fonds auf der Grundlage sogenannter Experten treffe, deren Qualifikationen und Urteilsfähigkeit zweifelhaft seien (S. 484). Legitimacy Dilemmas: The IMF’s pursuit of Country Ownership, Third World Quarterly, 28 (3), 2007, S. 469 f. 397 P. Welter, FAZ vom 27. Oktober 2010, Laufbursche der G 20. 398 So auch Clemens Fuest: „Es wäre auch ein wahnsinnig schlechtes Zeichen, wenn der Internationale Währungsfonds einen schlechten Bericht abgibt. Die Regierungen in der Eurozone hätten dann viel damit zu tun, weitere Zahlungen für Griechenland ihren Wählern zu erklären.“ Siehe C. Fuest, FAZ vom 5. Juni 2011, Verschenkte Milliarden, einzusehen unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europasschuldenkrise/hilfe-fuer-griechenland-verschenkte-milliarden-1653219.html.
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nung von Maßnahmen zu. So verfügt der IWF in Überschuldungskrisen von Staaten, welche an eine Währungsunion gebunden sind, bisher über keine Erfahrungswerte; denn die von den europäischen Programmstaaten geforderte austeritäre Anpassung innerhalb des gemeinsamen Währungssystems der Euro-Zone ist ohne Beispiel. Bei der Evaluierung sind daher mehr Fehlerquellen zu befürchten als diejenigen, die bei der Beurteilung sonstiger Verschuldungskrisen ohnehin auftreten. Bei der Bewältigung der Euro-Krise hat die Geschäftsführende Direktorin Christine Lagarde Irrtümer des IWF bei den Sanierungsprogrammen bereits vor der Frühjahrstagung des IWF im April 2012 ausdrücklich eingestanden399.
III. Effizienz, Effektivität und Gemeinwohl Der IWF begründet seinen Anspruch auf politische Gestaltungsmacht in erster Linie damit, dass die Krisenstaaten mit Hilfe auferlegter Strukturreformen leistungsfähiger würden und eine Wirtschaftskrise dadurch schneller überwunden werden könne („growing out of the crisis“400). Die „Reform schlagworte“401 Effizienz und Effektivität402, die Ratio der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen, verbunden mit dem Bekenntnis zum Washington Consensus, leiten die Programme inhaltlich an. Der globale Wettbewerb soll gefördert werden: „to facilitate both an efficient allocation of economic resources – both spatially and especially intertemporally – and the effectiveness of other economic processes (such as wealth accumulation, economic growth, and ultimately social prosperity)“403. 399 Im ersten Griechenland-Rettungsprogramm setzte der IWF auf Wettbewerbsfähigkeit. Bei der Ausgestaltung des zweiten Programms habe der Fonds dann seine Meinung geändert und die Schwerpunkte der Auflagen auf den Arbeitsmarkt und andere Wirtschaftsbereiche konzentriert. Siehe C. Lagarde, FAZ vom 18. April 2012, „Investoren und Märkte verstehen nur Geld“. 400 B. Barkbu/J. Rahman, IMF, Reconfiguring Growth, Finance & Development, December 2012, Vol. 49, No. 4. Zur Frage eines Herauswachsens aus den Schulden im Falle Griechenlands vgl. Sachverständigenrat, Konsequenzen aus der Griechenland-Krise, ebenda S. 23, Rdn. 56. 401 P. Häberle, Effizienz und Verfassung, in: Verfassung als öffentlicher Prozess, Materialien zu einer Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 1996, S. 290. 402 Das Beispiel Griechenland demonstriert, dass sich durch eine von außen oktroyierte Politik gerade in Notstandslagen keine Effizienzgewinne erzielen lassen (Generalstreik, Arbeitslosigkeit, Steuerbetrug). Gesetze, die nicht legitimiert sind, entfalten keine Verbindlichkeit für das Gemeinwesen. Ein solches Legitimationsvakuum zerstört die Solidarität unter den Bürgern und die Loyalität gegenüber dem Gemeinwesen als Ganzem, mithin das Sozialprinzip (siehe unten). 403 G. Schinasi, Defining, Financial Stability, IMF WP 04/187, Oktober 2004, S. 8.
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Teil 5: Demokratisches Prinzip als legitimatorische Grenze
Das Gebot der Effizienz404 leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip selbst ab und verwirklicht sich „von vornherein nur im Rahmen verfassungsrechtlicher Bindungen und der Gesetze“405, also „im Rahmen eines konkreten rechtlichen Bezugssystems“406. Im Sinne der Wohlfahrtsökonomik fordert das Effizienzkriterium eine optimale Ressourcenallokation407. Konkret kommt es darauf an, Arbeitsprozesse so zu gestalten, dass keine Ressourcen verschwendet werden, etwa wenn es darum geht, die Effizienz der Steuerverwaltung zu optimieren408. Das Effizienzprinzip gibt aber weder Auskunft über die zu erreichenden Ziele noch über die aufzuwendenden Mittel. Sie müssen bereits feststehen, also als richtig erkannt worden sein. Der Grundsatz der Effizienz ist daher typischerweise ein Prinzip der Verwaltung, eine Handlungsmaxime zur Vollziehung von Gesetzen409. Dabei müssen die richtigen Ziele und Maßnahmen bereits festgelegt sein, bedürfen also der politischen Determinierung, welcher die Erkenntnis des Richtigen vorauszugehen hat.
404 „Das Gebot der Wirtschaftlichkeit [Effizienzprinzip] bezeichnet insbesondere die Verpflichtung, ein bestmögliches Verhältnis zwischen Aufwand und Erfolg anzustreben. Die Zweckmäßigkeit [ist eine besondere Facette des Wirtschaftlichkeitsprinzips] eines bestimmten Verhaltens zeigt sich an der Eignung der getroffenen Maßnahme als Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele.“ – Gerhard Baumgartner, Ausgliederung und öffentlicher Dienst, S. 245. 405 K. Gärditz zur Frage „Effizienz als allgemeines Rechtsprinzip?, in: Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung, 2009, S. 240. 406 Ebenda, S. 238. 407 Kritisch zum Begriff der optimalen Allokation als Zustand vollkommener Konkurrenz auf allen Märkten K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 283; dort unter Verweis auf: B. Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, 1978, S. 154; C. Ch. v. Weizsäcker, Logik der Globalisierung, 2000, S. 49, 103 ff., 122 ff. (sogar für den globalen Wettbewerb); I. Schmidt, Wettbewerbstheorie, 1981, S. 1280 f.; ders., Wettbewerbspolitik, S. 1273 f.; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2004, § 2, Rdn. 88 f., S. 79; Th. Eilmansberger, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Kommentar, 2003, vor Art. 81 EGV, Rdn. 2 f.; W. Frenz, Europäische Grundfreiheiten, in: Handbuch Europarecht, 2012, S. 8 ff., Rdn. 12 f.; kritisch U. Beck, Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus – Antwort auf Globalisierung, 2004, S. 196 ff., 208 ff.; O. Sievert, Wirtschaftspolitik im globalen Wettbewerb, 1996, S. 129 ff.; K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in: ders. (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 302 ff. 408 K. Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung, S. 253. 409 Zum Prinzip der Verwaltungseffizienz vgl. BVerwGE 67, 206 (209); das Bundesverfassungsgericht spricht von „Verwaltungsökonomie“ als Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen, BVerfGE 44, 283 (288).
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1. Die Problematik übergeordneter Ziele Letztlich muss die gesamte Wirtschaftspolitik und damit auch jede Maßnahme eines IWF-Programms dem Oberziel dienen, die Wohlfahrt der Bürger zu erhalten und zu verbessern. Dieses Ziel ist freilich nicht ohne weiteres quantifizierbar. In seinen Reformprogrammen definiert der Fonds daher operationale Zwischen- und Unterziele, wie die Abwendung der Zahlungsunfähigkeit, die Förderung des Wirtschaftswachstums, die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit, die Verringerung von Arbeitslosigkeit, in der Eurokrise auch die Beibehaltung des Euro oder des europäischen Binnenmarktes. Solche Ziele lassen sich nicht isoliert betrachten; sie sind in Zielkonkurrenz oder Zielkongruenz miteinander verbunden und repräsentieren immer nur einen Ausschnitt des Wohlfahrtsziels. Deshalb stellen sich Fragen: In welchem Verhältnis stehen die Ziele der Reformprogramme zueinander? Dienen sie dem spezifischen öffentlichen Interesse der Programmstaaten und inwiefern sind sie mit den staatlichen Strukturprinzipien, namentlich dem Sozialprinzip vereinbar? a) Wettbewerbsfähigkeit Die Wettbewerbsfähigkeit eines Staates auf dem Weltmarkt gilt als Schlüssel für die Erreichung der Ziele im sogenannten „magischen Viereck“, und deshalb misst der IWF der Wettbewerbsförderung eine zentrale Bedeutung zu. Wettbewerb hat „viele Erscheinungsformen“ und ereignet „sich als jeweiliges Faktum privaten Handelns, das sich aus den vielfältigen Handlungen von Unternehmen, aber auch von Arbeitnehmern und Verbrauchern, Verbänden und Medien, Staat und Staaten […] entwickelt“410. Bezogen auf das föderale Organisationsrecht (insbesondere im Hochschulbereich) begreift Klaus Ferdinand Gärditz Wettbewerb in erster Linie als ein erwerbswirtschaftliches Konkurrenzphänomen411 und unterscheidet „zwischen dem Wettbewerb um die beste Organisationsform einerseits und dem Wettbewerb durch bzw. innerhalb einer bestehenden Organisation“412. Auf globaler Ebene entfaltet sich 410 K. A. Schachtschneider, Die Wirtschaftsverfassung Deutschlands in der Europäischen Union, S. 36. „Das Gemeinwesen überlässt die Wirtschaft und damit einen wesentlichen Teil der Lebensbewältigung wegen des Privatheitsprinzips aus der Eigentumsgewährleistung, der allgemeinen Freiheit und den anderen Grundrechten weitgehend Markt und Wettbewerb und vertraut auf deren Erfolg, weil die Erfahrung lehrt, dass eine marktliche und wettbewerbliche Wirtschaftsordnung, richtig verfasst, erfolgreicher ist als andere Ordnungen.“ K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 45. 411 Dazu V. Mehde, Wettbewerb zwischen Staaten, 2005, S. 30. 412 K. Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung, S. 252.
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Wettbewerb um Organisation als „Systemwettbewerb“ oder „Gestaltungswettbewerb“ zwischen verschiedenen Staaten (Kompetenzträgern, die zur Gestaltung von Organisation berechtigt sind). Demgegenüber soll Wettbewerb durch Organisation wettbewerbliches Handeln der Akteure innerhalb ihrer Organisation „durch die Bereitstellung eines wettbewerbsoffenen Organisationsrechts“ ermöglichen413. Die Reformauflagen des IWF folgen in erster Linie den wettbewerblichen Anpassungszwängen einer globalisierten Wirtschaft, also dem „Systemwettbewerb“. Rolf Knieper nennt als Mittel, mit welchem der IWF die (internationale) Wettbewerbsfähigkeit steigern will, die „Verlagerung von inländischer – öffentlicher wie privater – Nachfrage auf Exportbemühungen“414. Die Programmstaaten sollen in Bezug auf das (zu hohe) Preisniveau ihrer Waren wettbewerbsfähig für den Weltmarkt werden, im Fall der Euro-Krisenstaaten insbesondere konkurrenzfähig im Verhältnis zu den Haupthandelspartnern der Europäischen Union. Zu beachten ist dabei die enge Beziehung zwischen Wettbewerbsfähigkeit und flexiblen Wechselkursen, in Anbetracht dessen der IWF einst gegründet wurde; denn eine Abwertung der eigenen Währung senkt die Exportpreise und erhöht damit die Wettbewerbsfähigkeit. Im Euro-Raum ist diese Option den Mitgliedstaaten freilich versperrt, da sie ihre eigenständige Geld- und Währungspolitik aufgegeben haben (siehe oben). Seitdem lässt sich Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Währungsgebiet allenfalls durch strikte Effizienzmaßnahmen und rigorose Sparpolitik zurückgewinnen, mit Folgen, die dem übergeordneten Wohlfahrtsprinzip in der Regel nicht zuträglich sind. Die Auflagen des IWF orientieren sich nicht nur an der Außenwirtschaft, sie sind auch auf die „Bereitstellung eines wettbewerbsoffenen Organi sationsrechts“415 ausgerichtet, um die Voraussetzungen freien Wettbewerbs innerhalb der eigenen Volkswirtschaft zu verbessern. Auch in diesen Fällen bildet die Maxime eines freien Wettbewerbs ein wesentliches Entscheidungskriterium für die IWF-Politik und zugleich den Rechtfertigungsgrund für die auferlegten strukturellen Reformen der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Rentenpolitik, dem alle anderen Ziele nachgeordnet werden. 413 Ebenda,
S. 253. Rolf Knieper verfolgten die Strukturprogramme des IWF das Ziel, „die Zahlungsbilanzsituation zu verbessern“. Die Auflagen seien in der Regel nicht darauf gerichtet, Wachstum durch relative Produktionsvorteile zu generieren, sondern möglichst günstige Handelsbilanzen durch Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Insofern entspreche „die Schlichtheit der Problemdiagnose […] der Zielbestimmung.“ Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 273. 415 Ebenda, S. 253. 414 Nach
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Nun kann aber nach republikanischem Verfassungsverständnis der Wettbewerb kein Selbstzweck und kein eigenständiges Verfassungsziel sein, sondern er entfaltet sich als Wirkung infolge der Privatheit der Lebensbewältigung. Das Privatheitsprinzip416 ist „die Grundlage des Rechts aller Menschen, ihr Leben zu unternehmen“417 und damit die wesentliche Voraussetzung des Wettbewerbs418 und dessen alleiniges Rechtsprinzip419. Wettbewerb ist deshalb „rechtsstaatlich nicht administrierbar“420, sondern ein „wirtschaftspolitischer Leitbegriff auf Verfassungsebene“, der den Gesetzgeber „in Abwägung mit anderen politischen Leitentscheidungen“ zu führen hat421. b) Beschäftigungsniveau und Wirtschaftswachstum Aus dem Wettbewerbsziel leitet der Fonds politische Erfordernisse ab, die sich nicht selten in Austeritätsprogrammen niederschlagen. Eine rigorose Sparpolitik ist dann meist mit dem Abbau von Sozialleistungen verbunden. Darüber hinaus birgt Austeritätspolitik die Gefahr eines Beschäftigungsrückgangs der heimischen Wirtschaft und damit die Gefahr des Verlustes von Arbeitsplätzen. Dieser Sachverhalt spricht für sich genommen nicht gegen Austeritätspolitik. Es kann durchaus Fälle geben, in denen solche Maßnahmen ökonomisch geboten oder zumindest das kleinere Übel sind. Der IWF überschreitet aber seine Kompetenz, wenn er Austeritätsentscheidungen materialisiert; denn die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen ist ein autonomes Teilziel des Staates. Der Rechtsstaat ist wegen der zentralen Bedeutung der Arbeit für die freiheitliche Selbständigkeit des Einzelnen422 sowie der „wohlfahrtsökonomischen“ Wirkung in besonderer Weise dem Schutz und der Förderung eines hohen Beschäftigungsstandes 416 Dazu
K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 465 ff. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 271. 418 E. Hoppmann, Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, in Schneider, H. K. (Hrsg.), Grundlagen der Wettbewerbspolitik, 1968, S. 9 ff.; ders., Wettbewerbspolitik in Deutschland, in: ders., Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 356 ff.; so auch J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 10, Rdn. 5 ff., S. 262 ff.; K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 281 ff.; ders., Das Recht am und das Recht auf Eigentum, S. 780 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 491 ff., 586 ff.; V. Emmerich, Kartellrecht, § 1, Rdn. 29, S. 9. 419 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 271. 420 Ebenda, S. 287. 421 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 278. 422 Vgl. K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik; S. 579 ff., 657 f.; zur Bedeutung des Eigentums für die Selbständigkeit ders., Das Recht am und das Recht auf Eigentum, S. 780 ff. 417 K. A.
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verpflichtet423 und die Rücknahme von Sozialleistungen, die Reduzierung des Rentenniveaus und Erhöhung der Arbeitslosigkeit können dieses Ziel verletzen. Sozialstaatliche Kriterien müssen daher in den Maßnahmenkatalog von Programmen einfließen424. Darüber hinaus bildet ein hohes Beschäftigungsniveau auch die Voraussetzung für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum425 und insofern ist das Beschäftigungsziel dem Wachstumsziel übergeordnet426. Als Rechtsgemeinschaft ist der Staat dem Wohlfahrtsziel verpflichtet427, welches aus dem Sozialprinzip hervorgeht. In einer „marktlich und wettbewerblich“428 orientierten Wirtschaft geht damit der makroökonomische Auftrag zur Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts429 als republikanische „Staatszielbestimmung“ einher430, in Deutschland beispiels423 Zum Begriffsverständnis der Beschäftigung, dort im Rahmen der Auslegung des Verfassungsbegriffs „Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“, Martin Hänsch mit dem Hinweis, „dass sich der Beschäftigungsaspekt auf alle Produktionsfaktoren – Arbeit (i. e. S.), Boden und Kapital – der Gesamtwirtschaft richtet“. Ders., Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 176; K.-H. Hansmeyer, in: K. Stern/P. Münch/K.-H. Hansmeyer, StWG, S. 126 f. 424 P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 178, mit Hinweis auf eine von Killick durchgeführte Untersuchung, die bestätigt, dass der Fonds die allgemeinen Ziele Zahlungsbilanzausgleich, Inflation und Wirtschaftswachstum auf „sekundärer Ebene“ berücksichtigt (T. Killick, IMF Stabilisation Programmes, S. 225). 425 Diesen Zusammenhang formuliert das Okunsche Gesetz als ökonometrische Beziehung zwischen einer Veränderung der Arbeitslosenquote und dem Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes (vgl. A. Okun, Potential GNP: Its Measurement and Significance, 1962, S. 98 ff.; M. Burda/C. Wyplosz, Makroökonomie: Eine europäische Perspektive, 2001, S. 304 f.; Eine Schätzung des Koeffizienten für Deutschland findet sich in: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 1997, 49. Jg., Nr. 4, S. 36. 426 Umgekehrt bildet aber nur ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum die Voraussetzung für die Wiedergewinnung eines hohen Beschäftigungsniveaus. Hoher Beschäftigungsstand und angemessenes Wirtschaftswachstum bedingen sich gegenseitig. 427 So etwa BVerfGE 84, 90 (120 f., 126). Das Sozialprinzip ist im Übrigen wesentlicher Bestandteil der Wirtschaftsverfassung der Europäischen Union, vgl. dazu K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung; H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 206 ff. 428 Karl Albrecht Schachtschneider modifiziert den Begriff der „sozialen Markwirtschaft“ und stellt das republikanische Wesen der Wirtschaftsordnung in den Vordergrund, welches sie als „marktliche und wettbewerbliche Sozialwirtschaft“ kennzeichnet. K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 35. 429 Siehe zum allgemeinen Zielsystem und seinen Teilzielen H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 169 ff. 430 H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 35; Das Sozialprinzip ist das „Leitprinzip der wirtschaftlichen Stabilität insgesamt.“ K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 32. „Das Sozialprinzip erweist sich nicht nur als das höchstrangige, sondern als ein material weitreichendes und tiefwirkendes Prinzip der Wirtschaftsverfassung, das nicht nur feststellt, dass das Gemeinwesen
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weise gemäß Art. 109 Abs. 2 im Grundgesetz verankert und im Stabilitätsund Wachstumsgesetz konkretisiert431. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist zwar ein makroökonomisches Prinzip, seine Materialisierung als Ausdruck des Sozialprinzips aber zugleich eine Sache des Rechts. 2. Stellungnahme Im Rahmen der Kreditprogramme rücken die Auflagen des IWF an die Stelle eines diskursiven Gesetzgebungsverfahrens und verlieren ihre Bindung an höhere Verfassungsprinzipien. Zur Rechtfertigung werden die makroökonomischen Teilziele einer Globalsteuerung432 herangezogen und ein „genuin überstaatliches Interesse“433 geltend gemacht. An welchen konkreten Zielen die Auflagen der Memoranda of Understanding „Maß nehmen“ bleibt intransparent. Selbst Ziele, die akute Missstände kurzfristig abwenden, stehen nicht zwangsläufig mit den langfristigen Oberzielen eines Staates und damit dem Gemeinwohl im Einklang. So ist es in Fällen der massiven Überschuldung eines Staatshaushalts zweifelhaft, ob die Verhinderung der Zahlungsunfähigkeit für das übergeordnete öffentliche Interesse des Schuldnerstaates notwendig die beste Option darstellt, wie das Beispiel Griechenlands zeigt. Dies wäre allenfalls der Fall, wenn die Zahlungsfähigkeit durch die Programme mindestens mittel- bis langfristig sichergestellt werden könnte, das heißt wenn die volkswirtschaftlichen Bedingungen hinreichend tragfähig wären, um eine nachhaltige Stabilisierung der Haushaltslage zu gewährleisten. Staatliche Schuldenlast hängt überdies eng mit der Währungspolitik zusammen434. Wenn die Möglichkeit insgesamt die Verantwortung für die Wirtschaft trägt, sondern dass die Organisation des Gemeinwesens für das gemeine Wohl, nämlich den Staat, verpflichtet, die Wirtschaft zum Erfolg zu führen.“ Ebenda, S. 33. 431 „Die Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen“ (§ 1 StabG). Bei diesem sogenannten „magischen Viereck“ geht es also um die Lösung eines mehrkriteriellen Optimierungsproblems. Dazu J. Weimann, Wirtschaftspolitik: Allokation und kollektive Entscheidung, 2006, S. 17. 432 Das heißt Maßnahmen des Staates, mit deren Hilfe das Niveau der aggregierten Komponenten der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage beeinflusst werden soll. Der Begriff Globalsteuerung geht auf Karl Schiller zurück und fußt auf der Lehre von Keynes. 433 K. Gärditz, Weltrechtspflege, S. 139. 434 Wie oben erörtert, wird von der Mehrheit der sachverständigen Ökonomen angenommen, dass die Verhinderung eines Zahlungsausfalls unter den vorliegenden Umständen kein politisch und ökonomisch sinnvolles Ziel sei. Die Staatsfinanzen und
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einer eigenstaatlichen Geld- und Währungspolitik ausscheidet, wie im Falle Griechenlands, dann vermischen sich bei den Sanierungsprogrammen die Interessen des Schuldnerstaates mit denen der übrigen Mitglieder im Währungsverbund und denen des IWF. Der IWF materialisiert eigene Allokationsziele und sieht sich vor allem dem Effizienzziel verpflichtet. Lässt er sich mit seiner Krisenpolitik in die Verfolgung überstaatlicher Ziele einbinden, wie beispielsweise den Erhalt der Europäischen Währungsunion, dann besteht die Gefahr von Zielkonflikten mit den eigenstaatlichen Zielen des Schuldnerstaates, mindestens hinsichtlich der Rangfolge von Maßnahmen; denn „das gemeine Wohl bestimmt sich auch ökonomisch, aber keineswegs nur ökonomisch“435. Unter den politischen Auflagen des IWF werden Wettbewerb und Markt auch in vielen öffentlichen und sozialen Bereichen wie beispielsweise in der Krankenversicherung und -versorgung eingeführt oder ausgebaut und die betroffenen Staaten insgesamt in eine „Marktgesellschaft“ überführt436. Zwar haben sich Marktwirtschaft und Wettbewerb im Gegensatz zu staatlicher Planwirtschaft als Wirtschafts- und Ordnungsmodell437 bewährt. Wettbewerb ist aber „lediglich eine politische Option neben vielen anderen Optionen der Wirtschaftsordnung“438; der Gemeinwohlauftrag des Staates geht darüber hinaus. Der Staat hat seine Gewährleistungsverantwortung eben nicht prinzipiell durch Wettbewerb wahrzunehmen, sondern materialisiert sie gegebenenfalls durch allgemeines Gesetz, wo eine (zentrale) hoheitliche Ressourcenallokation sachdienlich erscheint439. die Wirtschaftslage der betroffenen Eurostaaten können mittel- und langfristig nur durch zwei befreiende Maßnahmen stabilisiert werden. Die betroffene Volkswirtschaft muss aus der Eurozone austreten und zur eigenen Währung zurückkehren. Dieser Schritt würde Griechenland ermöglichen, seine Währung gegenüber dem Euro abzuwerten und auf diese Weise durch niedrigere Exportpreise die einheimische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig machen (siehe oben). Daneben ist ein signifikanter Schuldenschnitt erforderlich, um den Staatshaushalt von den einschnürenden Zwängen der Schuldenlast zu befreien. 435 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 292. 436 Nach Ansicht von Fischer-Lescano erweist sich dies in mehrfacher Hinsicht als „sozialstaatswidrig“. A. Fischer-Lescano, Austeritätspolitik und Menschenrechte, S. 45 f. 437 Zur Ordnungspolitik siehe W. Harbrecht, Die Soziale Marktwirtschaft und die europäische Integration: Wie sozial ist die Wirtschaftsordnung der Europäischen Union, in: W. Lachmann/R. Haupt/K. Farmer (Hrsg.), Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft – Chancen und Risiken, 1996, S. 49 ff. 438 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 348. 439 Das Effizienzprinzip sei ein „Konfliktentscheidungsmaßstab“ unter vielen. Konflikte ließen sich nicht nach „rationalen Effizienzkriterien auflösen, wenn die eingestellten Interessen inkommensurable Größen sind, bildlich gesprochen: keine
B. Finanzieller Notstand als Rechtfertigungstatbestand455
Die Aufgabe, Wettbewerbsfähigkeit und Sozialprinzip in Einklang zu bringen, ist eine der wesentlichen politischen Herausforderungen an den demokratisch legitimierten Gesetzgeber440, welche der Staat in eigener Verantwortung wahrzunehmen hat. Eine Lösung bedarf eines umfassenden gesellschaftlichen, also öffentlichen Diskurses und kann dem betroffenen Gemeinwesen nicht durch Auflagen im ad-hoc-Verfahren aufgezwungen werden441. Dem trägt im Übrigen auch das IWF-Übereinkommen Rechnung, welches den Fonds mit Blick auf die von ihm aufzustellenden wechelkurspolitischen Grundsätze verpflichtet, „die innerstaatliche sozial- und allgemeinpolitische Ausrichtung der Mitglieder [zu] beachten; bei der Anwendung dieser Grundsätze hat der Fonds die Situation der Mitglieder gebührend zu berücksichtigen“ (Art. IV Abschnitt 3 b) IWF-Übereinkommen).
In Bezug auf das Wirtschaftswachstum und die Preisstabilität eines Mitgliedstaates hat der IWF keinerlei Befugnisse, die über allgemeine Überwachungsaufgaben im Rahmen seines währungs- und wechselkurspolitischen Mandats hinausgehen442. Die Ausgestaltung dieser Politiken ist allein den Mitgliedstaaten vorbehalten. Gemäß Art. IV Abschnitt 1 i) IWF-Übereinkommen soll jedes Mitglied „i) bestrebt sein, seine Wirtschafts- und Währungspolitik unter angemessener Berücksichtigung seiner Situation auf das Ziel eines geordneten Wirtschaftswachstums bei angemessener Preisstabilität auszurichten.“ gemeinsame Währung existiert“. Nach Gärditz’ Auffassung mag man in bestimmten Sachbereichen ökonomisch effiziente Entscheidungen im Bestreben einer optimalen Faktorallokation bevorzugen. Entscheidungen müssten aber grundsätzlich nicht effizient, insbesondere nicht Pareto-optimal sein oder sonstige Kompensationskriterien wie das sogenannte Kaldor-Hicks-Kriterium berücksichtigen, sondern könnten ihre eigene Rationalität haben, sofern sie dem Willen des Volkes entsprechen. „Eine Entscheidung wird also durch Organisation und Verfahren, nicht durch die inhaltliche Effizienz ihrer Konfliktlösungen legitimiert.“ K. Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung, S. 245. Zum Vorbehalt des Gesetzes als Grenze des Wettbewerbsprinzips, ebenda, S. 255. 440 Der parlamentarische Gesetzgeber hat dem „Sozialprinzip durch ausgleichende, vorsorgende und fördernde Maßnahmen zu entsprechen“. BVerGE 119, 96, Rn. 173. 441 „Der Kern des Unveräußerlichkeitsarguments ist geradezu expertokratisch: der Gemeinwille besitzt die größte Gemeinwohlkompetenz.“ W. Kersting, Die Vertragsidee des Contrat Social and Kants contractus originarius, S. 97. 442 Gemäß Art. IV Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen beschränkt sich die Aufgabe des Fonds darauf, die „Einhaltung der Verpflichtungen nach Abschnitt 1“ zu überwachen, also die Verpflichtung des Staates, die Wirtschafts- und Währungspolitik „auf das Ziel eines geordneten Wirtschaftswachstums bei angemessener Preisstabilität auszurichten“ (Art. IV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen). Vgl. auch P. Lucke, Internationaler Währungsfonds, S. 179 f.
456
Teil 5: Demokratisches Prinzip als legitimatorische Grenze
IV. Ergebnis Der Legitimationstopos der IWF-Konditionalität beruht der Sache nach auf dem Modell der ex-post-Legitimation, welches sich im Wesentlichen auf das Effizienzprinzip beruft. Für den IWF formuliert es den Anspruch, besser als die Institutionen des betroffenen Staates in der Lage zu sein, den Allgemeinwohlauftrag durch eine effektive politische Neustrukturierung erfüllen zu können. Dies beruht auf der Annahme, dass die Materialität der vom IWF geforderten politischen Maßnahmen unzweifelhaft ist und unter dem Implementierungsdruck des IWF nur noch wirksam zur Geltung gebracht werden müsse. Demzufolge werden aus der Perspektive des IWF mit der Ausgestaltung und Quantifizierung von Vorgaben in den Memoranda of Understanding die wesentlichen Allokationsentscheidungen nicht im eigentlichen Sinne vorweggenommen, weil die materiell richtige, möglichst effiziente Allokation der Ressourcen als bereits erprobt gilt und damit objektiv festzustehen scheint. Mit dem demokratischen Prinzip ist dieser Ansatz nicht zu vereinbaren. Das Demokratieprinzip erlaubt keine Verfassung, nach welcher im Normalzustand das Volk, im Krisenzustand aber ein technokratisches Regime wie der IWF über den richtigen Weg befindet, zumal die zu treffenden politischen Entscheidungen und Maßnahmen für das betroffene Volk von schicksalhafter Bedeutung und stets mit dem Risiko des Irrtums behaftet sind443. Die Folgen irrtümlicher Maßnahmen erreichen schließlich nicht deren wesentliche Urheber, etwa den IWF, sondern belasten vor allem das betroffene Volk444. Der Anspruch an das Legitimationsniveau ist deshalb in Krisensituationen besonders hoch. Gerade hier ist die Verwirklichung des demokratischen Prinzips als Ausdruck der Souveränität des Bürgers445 gefordert und umso weniger können Gesetzgebungsverfahren zur „technokratischen Verwaltung des Notstandes“446 sachlich verselbständigt werden. 443 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 137. Nach Karl Popper gilt für die politische Erkenntnis die normative Richtigkeitslehre. Sie beruht auf dem Irrtum, der bei jeder Erkenntnis möglich ist. Daher kann auch die Politik nur durch Versuch und Irrtumskorrektur zur richtigen Erkenntnis kommen. Dazu K. A. Schachtschneider, Methapysische Moral; ders., Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“ im Atom- und Immissionsschutzrecht. 444 So auch Rolf Knieper, der betont, dass die Experten für ihre „Ratschläge, Auskünfte, Bedingungen, Ankündigungen, Informationen“ an die „Klientel-Staaten“ nach „dem Scheitern von Projekten“ nicht haften würden, Nationale Souveränität. Versuch über Ende und Anfang einer Weltordnung, S. 184 f. 445 Ebenda, S. 85. 446 M. Hardt zu Schulden als „moralische Waffe“, Interview mit Federica Matteoni, in: Jungle World Nr. 51 vom 22. Dezember 2011, zitiert in S. Vogel, Sparpolitik und Demokratieabbau in der Eurokrise, S. 60.
B. Finanzieller Notstand als Rechtfertigungstatbestand457
Wo politische Entscheidungen auf internationaler Ebene verselbständigt werden, gleichzeitig aber auf das betroffene Volk zurückwirken, wird das demokratische Prinzip ignoriert, schlägt Krisenpolitik in (technokratische) Fremdbestimmung, in Autoritarismus um. Das öffentliche Wohl wird marginalisiert, indem es in Abhängigkeit von Institutionen mit nicht-staatlichen Interessen gestellt wird, die eigene Lenkungsziele verfolgen. Die Souveränität des Staates aber lässt sich nicht von der Voraussetzung befreien, die sein Wesen bestimmt, nämlich dem Selbstbestimmungsrecht, das heißt der Eigengesetzlichkeit (Autonomie) der Bürger. Schließlich sind die Bürger nur dadurch frei, dass sie ihren Willen, der ihr Handeln bestimmt, „in den allgemeinen Gesetzen verbindlich“ machen447. Welche Maßnahmen richtig, das heißt welche Politiken dem Allgemeinwohl bestmöglich förderlich sind, vermag nur das betroffene Volk selbst in unabhängiger Willensbildung zu erkennen. In diesem Sinne ist Richtigkeit „eine Funktion der Freiheit“ und kann als solche nicht als Rechtfertigung dienen, um diese einzuschränken448.
447 K. A. 448 K. A.
Schachtschneider, Währungsunion und Weltwirtschaft, S. 120. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 520.
Teil 6
Völkerrechtliche Kreditverträge: Verbindlichkeit und der Umgang mit Überschuldung Die Konditionalität des IWF entfaltet ihre Problematik in der Schnittmenge zwischen völkerrechtlichen und vertragsdogmatischen Fragen. Zunächst ist zu klären, auf welchem dogmatischen Rechtsgrund die Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge beruht. Im Anschluss ist die spezifische Verbindlichkeit des Darlehensvertrags und der daran geknüpften Auflagen näher zu untersuchen. Abschließend ist zu erörtern, inwiefern ein völkerrechtliches Insolvenzverfahren im Umgang mit überschuldeten Staaten Legitimation beanspruchen kann.
A. Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge I. Dualistische Lehre Die herrschende dualistische Lehre1 betrachtet das Völkerrecht und die nationalen Rechtsordnungen als unabhängige, vollständig getrennte Rechtsordnungen. Völkerrecht beruht nach dieser Auffassung auf anderen Rechtsquellen und unterscheidet sich von der nationalen Rechtsordnung durch den Regelungsgegenstand und die Adressaten2. Aufgrund dieser Unterschiedlichkeit entfalten völkerrechtliche Akte keine unmittelbare Verbindlichkeit innerhalb des Staates, sondern bedürfen eines gesonderten Umsetzungsaktes. Umstritten ist dabei, ob der Vertrag in nationales Recht „transformiert“ wird 1 Die dualistische Lehre wird vor allem in Deutschland, Österreich, Italien, Großbritannien, Irland, Dänemark und Griechenland vertreten. G. Dahm/J. Delbrück/ R. Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 104 ff.; C. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, 2003, S. 80 ff.; K. A. Schachtschneider, Souveränität, S. 188, 244 mit Hinweisen in Fn. 826, u. ö.; ders, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 61, 125. 2 D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 247 ff.; H. Triepel, Völkerrecht und Landrecht, 1899, S. 8 f., 111; D. Anzilotte, Lehrbuch des Völkerrechts, 1929, Bd. 1, S. 36 ff.; G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 99; I. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdn. 539 f.
A. Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge459
oder ob dieser lediglich „in Vollzug gesetzt wird3. Nach der Vollzugslehre hat der völkerrechtliche Vertrag seinen Geltungsgrund in der Völkerrechtsordnung, wird aber durch den Vollzugsbefehl des Vertragsgesetzes Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung4. Die Transformationslehre bejaht auf der Ebene des Völkerrechts eine Bindung an Verträge. Innerstaatlich bedürften diese Verträge aber eines Transformationsaktes, um für den einzelnen Bürger anwendbar zu sein5.
II. Monistische Lehre Nach der monistischen Lehre sind Völkerrecht und nationale Rechtsordnung zwei Elemente eines einheitlichen Rechtssystems6. Nach Heinrich Triepel ist es „unmöglich, dass ein Satz der einen Rechtsordnung in Konflikt käme mit einem aus der anderen. Das ist von größter Bedeutung nach mehreren Seiten. Einmal für alle Gesetzesunterthanen eines Staates. Sie werden[…] in keiner Hinsicht durch völkerrechtliche Normen beherrscht. Das Völkerrecht verleiht ihnen keinerlei Rechte und richtet keine Gebote, keine Verbote an ihre Adresse. So können, was das Wichtigste ist, ihre Pflichten gegen ihren Staat oder ihre Mitbürger niemals in Widerstreit gerathen mit völkerrechtlichen Pflichten; denn solche haben sie nicht“7. Umstritten ist, welche Rechtsordnung den Vorrang genießt. Nach der extrem monistischen Form des Primats des Völkerrechts kommt diesem der Vorrang gegenüber nationalem Recht zu. Dies hätte jedoch zur Folge, dass 3 Das Bundesverfassungsgericht erkennt das Zustimmungsgesetz als die Voraussetzung für den verfassungsgemäßen Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags und sieht in der Transformationsentscheidung die Verbindlichmachung für die staatlichen Organe und den Bürger.“ D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 247 f. m. w. N.; BVerfGE 1, 396 (410), 6, 290 (294 f.); 30, 272 (284 f.), 45, 142 (169), 52, 187 (199), 73, 339 (367 f., 375), 89, 155 (190). 4 R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 165 f., 196; H. Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, HStR Bd. VII, 1992, § 173, Rdn. 43; O. Rojahn, Art. 59, in: I. v. Münch, Grundgesetz-Kommentar, Rdn. 39. 5 P. Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht. in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 101, 152, T. Maunz, Art. 59, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Rdn. 12; BVerwGE 90, 286, 364, spricht von „Rechtsanwendungsbefehl“. 6 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1960, S. 328 ff.; in der Form des gegliederten Monismus, A. Verdross, Völkerrecht, S. 111; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, Rdn. 82 ff.; G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 100; R. Zippelius Allgemeine Staatslehre, S. 69 f.; K. Stern, Staatsrecht Bd. 1, S. 478. 7 H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 254.
460
Teil 6: Völkerrechtliche Kreditverträge: Umgang mit Überschuldung
innerstaatliche Rechtsakte, die im Widerspruch zum Völkerrecht stehen, rechtswidrig und damit nichtig wären8. Das aber würde bedeuten, dass Völkerrecht zum „überstaatlichen Recht“ würde9 und innerstaatliches Recht weitgehend verdrängen würde. Die Lehre, welche einen Primat des Staatsrechts vor dem Völkerrecht erkennt, macht das Völkerrecht zum „äußeren Staatsrecht“10.
III. Umgekehrter Monismus Die Unterscheidung zwischen Staatsrecht und Völkerrecht ist bereits im Grundsatz fragwürdig. Der Staat handelt nicht aus eigener Existenz; denn in der Republik existiert keine Trennung von Staat und Gesellschaft11. Die handelnden Organe des Staates üben die Staatsgewalt des Volkes aus. Der Staat handelt also aufgrund der durch das Verfassungsgesetz organisierten Hoheit des Volkes. Es ist daher mit dem republikanischen Rechtsverständnis nicht vereinbar, im Völkervertragsrecht ein Recht „außerhalb“ des Staates zu erkennen. Ein völkerrechtlicher Vertrag beruht auf dem allgemeinen Willen der Bürger12. Die Verbindlichkeit eines Vertrages ist mit der Möglichkeit verbunden, Zwang auszuüben13. Die Zwangsbefugnis aber haben nur Staaten im existentiellen Sinn. Im Übrigen läuft die Lehre vom Dualismus, der zwischen Völkerrecht und Staatsrecht unterscheidet, dem „Geltungsgrund des Rechts“ zuwider.14 Ein auf dem autonomen Willen des Volkes gegründeter Vertrag entfaltet auch vor seiner Ratifizierung oder Transformation der Verträge in nationales Recht seine Verbindlichkeit, weil er dem Willen des Volkes entspricht. Völkerrechtliche Verträge gelten also, weil das handelnde Volk dies will. Die Verbindlichkeit folgt aus dem Willen der Völker, dem Rechts- und Vertragsprinzip, also dem Willen des sich verpflichtenden Volkes. Karl Albrecht Schachtschneider hat aus diesen Grundsätzen die Verbindlichkeitslehre des 8 G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/1, S. 100 ff.; R. Zippelius hält vertragswidrige Normen nicht für ungültig, sondern bejaht deren innerstaatliche Verbindlichkeit: R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 59 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdn. 544. 9 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 72; I. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdn. 5. 10 A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, § 72; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 69 f. 11 Dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 207 ff. 12 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 62 ff. 13 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 545 ff. 14 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 156.
A. Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge461
„umgekehrten Monismus“ entwickelt15. Die rechtliche Verbindlichkeit eines Kreditvertrages mit dem IWF und seiner Auflagen beruht auf dem Grundsatz der Vertragsbindung, dem auch im Völkerrecht anerkannten allgemeinen Rechtsprinzip pacta sunt servanda16. Die Übereinstimmung des Willens der Vertragspartner „schafft […] für die Beteiligten Recht und ist als solches verbindlich“17. Der Grundsatz der Vertragsbindung gilt aber nicht grenzenlos, sondern unterliegt den Einschränkungen der Vertragsfreiheit; denn die Verbindlichkeit des Vertrages verwirklicht „das Rechtsprinzip18, das auch das Verhältnis der Staaten zueinander bestimmt“19, ist diesem aber nicht übergeordnet20. Die Folge der Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge ist deren unmittelbare Anwendbarkeit. Der Staat ist also verpflichtet, den völkerrechtlichen Vertrag „auch staatsrechtlich einzuhalten, soweit die Gegenseitigkeit gesichert ist“21. Sie hat aber ihre Grenze in der existentiellen Staatlichkeit des betroffenen Staates.
15 K. A. Schachtschneider, Die Republik der Völker Europas, S. 159 f., 163 f.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 75 ff., 88 f.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 61, 111, 125; ders./A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht Deutschlands, S. 19; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 133; dies., Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 95 ff., 102 f., 262 f., 625 f.; D. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 201 ff., 250 ff.; zum Monismus und Dualismus im Völkerrecht A. Bleckmann, Europarecht, 1997, Rdn. 1045 ff., S. 361 ff.; K. Doehring, Völkerrecht, § 13, S. 294 ff.; Ch. Amrhein-Hofmann, Monismus und Dualismus in den Völkerrechtslehren, insbes. S. 261 ff.; das Bundesverfassungsgericht praktiziert einen Dualismus, wonach Völkerrecht und nationales Recht „zwei unterschiedliche Rechtskreise“ sind, zuletzt BVerfGE 111, 307 (318). 16 Das Rechtsprinzip pacta sunt servanda ist im Völkerrecht sowohl gewohnheitsrechtlich anerkannt als auch in Art. 26 ff. WVK materialisiert: „Ist ein Vertrag in Kraft, so bindet er die Vertragsparteien und ist von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen.“ Siehe dazu Ch. Fulda, Demokratie und pacta sunt servanda. 17 A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 163. 18 Karl Albrecht Schachtschneider begründet die Vertragsverbindlichkeit mit dem allgemeinen Rechtsprinzip: „Kraft ihrer Autonomie des Willens haben die Vertragspartner ihren Willen verbunden. Die Verwirklichung ihrer Zwecke, die sie sich (äußerlich) frei gesetzt haben, hängt dadurch davon ab, dass der Vertragspartner seinen Vertragspflichten gemäß handelt. Wenn der eine Vertragspartner den Vertrag bricht, kann auch der andere nicht seinem Willen gemäß, also frei, handeln. Er wird durch den vertragsbrüchigen Partner genötigt oder in seiner äußeren Freiheit lädiert. Die Erfüllung des Vertrages achtet die Freiheit des anderen als die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür.“ Freiheit in der Republik, S. 509. 19 Zum Rechtsprinzip als der Geltungsgrund der Verträge; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 508 ff.; ders., Die Souveränität Deutschlands, S. 148. 20 Siehe K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 404 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 163. 21 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 156.
462
Teil 6: Völkerrechtliche Kreditverträge: Umgang mit Überschuldung
Völkerrechtliche (Kredit-)Verträge sind einzuhalten, aber nur nach der Maßgabe ihrer (innerstaatlichen) Verbindlichkeit. Deshalb kann innerstaatlich „keine völkerrechtliche Verpflichtung entgegen der Prinzipien eines Staates durchgesetzt werden22“. Im Grundsatz22 folgt die rechtliche Verbindlichkeit der Kreditvereinbarungen zwischen Mitgliedstaat und IWF daraus, dass sich der jeweilige Programmstaat und der IWF vertraglich gebunden haben. Für die Frage der Verbindlichkeit ist entscheidend, ob sich in der vertraglichen Bindung an die Kreditvereinbarung der allgemeine Willen des Volkes materialisiert hat.
B. Verbindlichkeit der Kreditverträge und Auflagenprogramme gegenüber überschuldeten Staaten Die Problematik der Konditionalität des IWF entfaltet sich in der Schnittmenge zwischen völkerrechtlichen und vertragsdogmatischen Fragen. Um die rechtlich relevanten Interessen und Prinzipien im Rahmen der IWF-Darlehensprogramme zu substantiieren, ist eine grundsätzliche Qualifizierung der dogmatischen Struktur des Darlehensvertrags, also der darin begründeten Rechte und Pflichten erforderlich. Insbesondere stellt sich die Frage, in welchem Umfang eine Haftung des Schuldners rechtlich angemessen ist. Ist es gerechtfertigt, dass ein Staat für seine Verbindlichkeiten grundsätzlich unbegrenzt haftet? Und wenn dies zu verneinen ist: In welchem Umfang ist auch der Gläubiger in die Verantwortung zu nehmen und an der Realisierung der Verluste zu beteiligen?
I. Pacta sunt servanda Grundsätzlich wird der Staat durch jeden völkerrechtlichen Vertrag berechtigt und verpflichtet. Pacta sunt servanda23. Auch im Völkerrecht sind Verträge verbindlich24, weil sich das Volk mit seinem (repräsentierten) Willen dazu verpflichtet hat25. Daraus leitet sich die Forderung ab, dass ein überschuldeter Staat so lange uneingeschränkt für seine ökonomischen und poli22 D. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 274. 23 Dazu A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 163. 24 K. Doehring, Völkerrecht, S. 34. 25 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 75 ff., 87 ff.; ders. Die Republik der Völker Europas, S. 159 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 295.
B. Verbindlichkeit der Kreditverträge gegenüber überschuldeten Staaten463
tischen Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern einzustehen hat, bis die Forderungen vollständig beglichen sind26. Ökonomische und politische Kosten sind dementsprechend in Kauf zu nehmen, weil Staaten mit ihren haushaltspolitischen (Kredit-)Entscheidungen auch eine in die Zukunft wirkende Verantwortung tragen27, also auch für die Folgen fiskalischer Fehlentscheidungen, zum Beispiel bei überhöhter Kreditaufnahme, haften28.
II. Grundsatz der materiellen Richtigkeit des Vertrages: Das formelle Äquivalenzprinzip Generell gewährleistet das formelle Äquivalenzprinzip die „hinreichende Richtigkeit des gegenseitigen Interessenausgleichs“29. Das Äquivalenzprinzip gründet auf der Anerkennung der Vertragsfreiheit und der Gleichheit der Vertragspartner. Die materiale Richtigkeit eines Vertrages ist dadurch gewährleistet, dass die Entscheidung auf der freien Willkür der Vertragsparteien beruht. Eine Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit des Vertrages, also eine Inhaltskontrolle, ist nur angebracht, wenn die formelle Äquivalenz gestört ist. Dies ist der Fall, wenn eine Partei derart wirtschaftlich unterlegen ist, dass sie nicht mehr selbstbestimmt (in freier Willkür) entscheiden kann und damit keine hinreichend gleiche Verhandlungsmacht aufbringen kann. In diesem Fall ist der schwächere Vertragspartner der Willkür des Stärkeren ausgeliefert. Auch bei Kreditverträgen ist die materielle Richtigkeit des Vertrages grundsätzlich durch die formelle Äquivalenz der Vertragspartner indiziert. 26 Finanzminister Wolfgang Schäuble verwies in Reaktion auf die wachsende Skepsis gegenüber der Euro-Rettungspolitik ausdrücklich auf den Grundsatz pacta sunt servanda. „Die eingegangenen Verpflichtungen gelten unabhängig vom Ausgang der jeweiligen Wahlen in den Mitgliedstaaten.“ Interview mit Wolfgang Schäuble vom 8. Mai 2012, Bundesfinanzministerium, Reden und Interviews; M.-Ph. Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten, Zur Einrede des Staatsnotstands gegenüber privaten Anleihegläubigern, 2013. 27 Andernfalls, so wird argumentiert, wäre das Vertrauen der Gläubiger in die Vertragstreue des Schuldnerstaates nachhaltig gestört und damit das allgemeine Rechtsprinzip verletzt. 28 Schließlich profitiert der Staat auch vom Nutzen richtiger Entscheidungen. „Eigenständigkeit und politische Autonomie bringen es mit sich, dass die Länder grundsätzlich für die haushaltspolitischen Folgen autonomer Entscheidungen selbst einzustehen und eine kurzfristige Finanzschwäche selbst zu überbrücken haben.“ BVerfGE 116, 327 Rn. 181, vgl. BVerfGE 72, 330, 405; 86, 148, 260; 101, 158, 225. 29 So K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 512; BVerfGE 89, 214 (229 ff.), Bürgschaft; auch BVerfG, NJW 2001, 957 ff., Ehevertrag; H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, S. 93 ff.; U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1, Rdn. 107 ff.
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Teil 6: Völkerrechtliche Kreditverträge: Umgang mit Überschuldung
Etwas anderes gilt nur, wenn die Gleichheit der Vertragspartner wegen der Abhängigkeit des Schuldners von den Kreditmitteln derart hoch ist, dass die formelle Äquivalenz, das heißt die Vertragsparität, gestört ist. In den Fällen der Kreditvergabe des IWF an überschuldete Staaten ist die Störung des Äquivalenzprinzips nicht die Ausnahme, sondern die Regel, weil die krisenbetroffenen Staaten auf die Gewährung der Mittel oft existentiell angewiesen sind (siehe oben). Ein Staat, der sich in einer finanziellen Notlage befindet, kann der Verhandlungsmacht der Geldgeber regelmäßig wenig entgegensetzen. Der IWF und die hinter ihm stehenden Gläubiger sind dem krisenbetroffenen Mitgliedstaat wirtschaftlich derart überlegen, dass davon auszugehen ist, dass das formelle Äquivalenzprinzip gestört ist30. Daher lässt sich in diesen Fällen aus der formellen Äquivalenz der Vertragsparteien nicht auf die materielle Äquivalenz des Vertrages schließen. Es ist vielmehr geboten, die vertragliche Vereinbarung inhaltlich dahingehend zu überprüfen, ob die Wahrnehmung der Interessen der Gläubiger (des IWF) mit Blick auf die Interessen des Schuldners verhältnismäßig ist oder ob unzumutbare Eingriffe in die Rechte des Schuldners drohen. Im Privatrecht wird die gestörte Vertragsparität durch übermäßige Einschränkung der Handlungsfreiheit eines Vertragspartners als Knebelung31 bezeichnet, wenn der wirtschaftlich überlegene Vertragspartner das „strukturelle Ungleichgewicht“ zwischen den Vertragspartnern ausnutzt. Dies ist sittenwidrig und führt zur Nichtigkeit des Vertrages (weil es gegen das „rechtsethische Minimum“, das heißt die erforderliche „Mindestqualität“ verstößt), wobei die Frage der Sittenwidrigkeit entscheidend vom Grad des Missver30 Zwar weist Peter Lucke in diesem Zusammenhang zurecht darauf hin, dass der IWF innerhalb des Verhandlungsprozesses („bargaining process“) zwischen dem kreditsuchenden Mitgliedstaat und dem IWF nicht immer „in der Rolle des übermächtigen Partners“ ist. Auch ein hilfebedürftiges Mitglied kann eine nicht unerhebliche Verhandlungsmacht entwickeln. So zeigen etwa die Verhandlungen Argentiniens mit dem IWF, dass der Einfluss des IWF nicht unbegrenzt ist. Verhandlungsmacht können aber nur Staaten entwickeln, deren wirtschaftliche Stabilisierung entweder aus (strategischen) politischen Gründen für die Hauptmitgliedstaaten bedeutsam ist oder Staaten, welche wirtschaftlich unabhängig sind, also über ein hinreichend großes wirtschaftliches Potential – insbesondere Exportpotential – verfügen, um einen Ausschluss von öffentlichen und privaten Refinanzierungsmöglichkeiten kompensieren zu können. 31 BGH 1993, 1587: „Eine sittenwidrige Knebelung liegt vor, wenn die wirtschaftliche Entfaltung einer Vertragspartei in einem Maße beschnitten wird, dass diese ihre Selbständigkeit und wirtschaftliche Entschließungsfreiheit im Ganzen oder in einem wesentlichen Teil einbüßt (vgl. RGZ 130, 143, 145; BGHZ 44, 158, [161], BGH 12.07.1965 – II ZR 118/63]; BGH, Urt. v. 28. Juni 1974 – V ZR 169/72, LM BGB § 138 Bc Nr. 13; auch BGHZ 19, 12, [18]).“
B. Verbindlichkeit der Kreditverträge gegenüber überschuldeten Staaten465
hältnisses zwischen dem Verpflichtungsumfang und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Schuldners abhängt. Ist ein solches Missverhältnis festgestellt, so reicht dies regelmäßig aus, um das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit zu begründen32.
III. Materielle Äquivalenz Die Hauptleistungsansprüche des Gläubigers auf Zins und Tilgung des Darlehens sind stets potentiell gefährdet, weil der Gläubiger einmal mit der Auszahlung des Darlehens in Vorleistung tritt und zum anderen, weil ihm die wirtschaftlichen Umstände des Schuldners meist nicht vollumfänglich bekannt sind, also ein Informationsdefizit gegenüber dem Schuldner besteht. Diese potentielle Gefährdung liegt im Wesen des Kreditvertrages. Um das Ausfallrisiko einzuschränken, hat der Gläubiger ein berechtigtes Interesse, seine Forderung bestmöglich zu besichern (Sicherungsinteresse), um sich im Falle eines Zahlungsausfalls so weit wie möglich schadlos zu halten. Als typische Sicherungsmittel kommen zum Beispiel die Verpfändung von beweglichen und unbeweglichen Vermögensgegenständen (oder vermögenswerten Rechten) oder Bürgschaften Dritter in Betracht33. Da die Vermögensmasse eines Schuldners, der sich in einer finanziellen Notlage befindet, meist nicht ausreichend ergiebig ist, kann der Gläubiger seine Sicherungen rechtlich ausweiten, indem er den Schuldner durch Bedingungen und Auflagen zu einem bestimmten vertraglich geregelten (Wohl-) Verhalten verpflichtet (Konditionalität). Der Gläubiger mag sich etwa das 32 Der Rechtsgedanke der „odious debts“, dessen Dogmatik vor allem im Rahmen der Vertretungslehre relevant ist (siehe oben), geht bereits auf das Jahr 1898 zurück, nachdem die USA nach Ende des Spanisch-Amerikanischen Krieges die Rückzahlung kubanischer Verbindlichkeiten unter Berufung auf deren „Sittenwidrigkeit“ verweigerten. Eine an den Gedanken der Sittenwidrigkeit anknüpfende Rechtsfigur der „Odious Debts“ – der sittenwidrigen Schulden – wurde in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts vom russischen Völkerrechtler Alexander Nahum Sack weiterentwickelt, Les effets de transformations des États sur leur dettes publiques et autres obligations financiéres, 1929; vgl. auch Ch. Paulus, Stellen ‚Odious Debts‘ eine Rechtsfigur dar?, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2005, S. 53 ff.; S. Michalowski, Ius cogens, transnational justice and other trends of the debate on odious debts, S. 59 ff.; F. Schneider, Odious Debts, Status quo und Regelungsmodell unter besonderer Berücksichtigung internationaler Menschenrechte. 33 Zu Spekulationen über die Verpfändung von Mittelmeerinseln oder historischen Monumenten wie der Akropolis in Athen („Das Volk erwartet, dass unser Wort und unsere Taten genug Garantien geben.“) siehe FAZ Online vom 15. Mai 2011, Griechenland will sein Tafelsilber verkaufen, einzusehen unter http://www.faz.net/ aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/privatisierungen-angekuendigt-griechenlandwill-sein-tafelsilber-verkaufen-1638951.html.
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Teil 6: Völkerrechtliche Kreditverträge: Umgang mit Überschuldung
Recht vorbehalten, die Verwendung der Mittel durch Zweckbindungen zu begleiten34. Um ein verlässliches Ausgabeverhalten sicherzustellen, muss sich der Schuldner häufig verpflichten, regelmäßige Kontrollen des Gläubigers zuzulassen. Je detaillierter die Auflagen sind, desto enger kann der Gläubiger den Schuldner an seine Interessen binden und sich davor schützen, dass der Schuldner außerhalb seines Einflussbereichs durch vorsätzliches oder wirtschaftlich leichtfertiges Handeln seine Rückzahlungsfähigkeit gefährdet.
IV. Grenzen der materiellen Äquivalenz Im Allgemeinen hat der Kreditgläubiger ein rationales Interesse an der Verhaltenssteuerung seines Schuldners, welches der IWF gegenständlich durch Verhaltensauflagen in den Memoranda of Understanding konkretisiert35. Der Steuerung und Kontrolle des Schuldners sind aber Grenzen gesetzt, die aus dem Verhältnismäßigkeitsgebot, insbesondere dem darin enthaltenen Sachlichkeitsgebot / Willkürverbot abzuleiten sind. 1. Grenzen aus dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit Das Verhältnismäßigkeitsprinzip, also das Prinzip des überwiegenden Interesses und der Güterabwägung, ist ein formaler Grundsatz, der „zu allen Zeiten und in allen Rechtsordnungen gültig und richtig“ ist36. Als ein grundlegender „Kontrollmaßstab“37 des Rechts orientiert er sich am „Prinzip der praktischen Vernunft“38, ist also der Wahrheit als empirisch erfassbare Wirk34 P. Kirchhof,
FAZ vom 12. Juli 2012, Verfassungsnot!. ohne Grund“ könne in „geordneten institutionellen Grundlagen der Fiskalpolitik des Schuldnerlandes eine relative Garantie gegen säumige Verbindlichkeiten eines fallierenden Staates“ gesehen werden. M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S, 87. 36 A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 50 (m. w. N.). 37 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 386. 38 Ebenda, S. 386. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist nach Maßgabe der praktischen Vernunft zu materialisieren. „Praktische Vernunft heißt Richtigkeit menschlichen und staatlichen Verhaltens als Prinzip. Praktisch vernünftig und freiheitlich ist eine Maßnahme nur dann, wenn sie sich von der Wahrheit leiten lässt“, das heißt der Wirklichkeit verpflichtet ist. So A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 60. Das Bundesverfassungsgericht leitet das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch namentlich von den Grundrechten selbst ab: „In der Bundesrepublik Deutschland hat der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlichen Rang. Er ergibt sich aus 35 „Nicht
B. Verbindlichkeit der Kreditverträge gegenüber überschuldeten Staaten467
lichkeit verpflichtet. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet sich als prägendes Rechtsprinzip sowohl im privaten – hier im Grundsatz von Treu und Glauben – als auch im völkerrechtlichen Vertragsrecht – dort im Bona-fidesPrinzip39 – wieder. Grundsätzlich dürfen Verträge den rechtlich begründeten und fundamentalen Interessen der Vertragspartner nicht zuwiderlaufen40. Dem Bona-fides-Prinzip kommt gerade bei Darlehensverträgen mit krisenbetroffenen Schuldnern eine maßgebende Bedeutung zu; denn es setzt der Vertragsautonomie der Parteien materielle Grenzen, wo die Verhandlungspositionen angesichts der Zwangslage des Schuldners so ungleich sind, dass eine Störung der formellen Äquivalenz der Vertragsparteien anzunehmen ist. In diesen Fällen kann ein besonderes materielles Schutzbedürfnis des unterlegenen Vertragspartners relevant werden41. Im Rahmen der IWF-Kreditprogramme begrenzt der bona-fides-Grundsatz also den Gegenstand der Vereinbarung mit dem Schuldnerstaat dergestalt, dass die Interessen des Schuldnerstaates nicht auf unzumutbare Weise beeinträchtigt werden dürfen. Wie oben erörtert, hat das Gebot der Verhältnismäßigkeit – oder im negativen Umschlag: das Übermaßverbot – mit dem Tatbestandsmerkmal der „Angemessenheit der Sicherungen“ auch Eingang in das IWF-Übereinkommen gefunden, siehe Art. I v) und Art. V Abschnitt 3 a) IWF-Übereinkommen42. Im Rahmen der Konditionalität des IWF setzt das Gebot der Angedem Rechtsstaatsprinzip, im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur so weit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist.“ – BVerfGE 19, 342 (348 f.). 39 Siehe zum bona fides-Prinzip A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 165 f. Der Grundsatz ist nicht nur bei der Norminterpretation, sondern auch bei der Bewertung einer Situation anzuwenden, „unter Berücksichtigung dessen, wie sie von denjenigen Völkerrechtssubjekten gesehen wird, die möglicherweise gegensätzliche Postionen oder andersgelagerte Interessen vertreten haben“. R. Wolfrum, Völkerrecht, S. 846. 40 Dabei kommt man bei der Beurteilung von Angemessenheit nicht umhin, die Wertigkeit abstrakter Rechtsgüter und Gemeinwohlziele zu berücksichtigen. Vgl. zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der europäischen Integration BVerfGE 89, 155, Rn. 160. 41 Bei anderen Vertragstypen, insbesondere Austauschverträgen ist eine materielle Äquivalenz grundsätzlich wegen der formellen Äquivalenz der Vertragsparteien anzunehmen. 42 Auch der Vertrag zur Einrichtung des europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) trägt der Grenze der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich Rechnung. Danach „kann der ESM auf der Grundlage strenger Auflagen, die dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessen sind, Stabilitätshilfe gewähren, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist“. Gemäß Art. 13 Ziffer 3 des Vertrages muss der Inhalt der Auflagen („MoU“) „der Erheblichkeit der zu beseitigenden Schwachstellen und dem gewählten
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Teil 6: Völkerrechtliche Kreditverträge: Umgang mit Überschuldung
messenheit der Regelungsintensität von IWF-Auflagen Grenzen, um die Aufgaben und Befugnisse des betroffenen nationalen Gesetzgebers vor einem Übermaß, das heißt vor politischer Fremdbestimmung in substantiellen Bereichen der Staatlichkeit zu bewahren43. 2. Sachlichkeitsgebot Wenn ein Staat überschuldet ist, sind die Forderungen der Geldgeber mangels ausreichender Ressourcen gefährdet. Oftmals – wie im Fall Griechenlands – steht eine offizielle Zahlungsunfähigkeit ohne Bewilligung neuer IWF-Kredite unmittelbar bevor. Der krisenbetroffene Staat ist zu diesem Zeitpunkt also bereits de facto insolvent. Die Forderungen der Schuldner sind in dieser Lage praktisch wertlos, müssten also als Verlust abgeschrieben werden. In der Praxis drängen gerade auch die (privaten) Gläubiger auf Intervention des IWF, um mit seinen Mitteln den offiziellen Zahlungsausfall abzuwenden. Durch die neuen IWF-Mittel wird die Forderung der Gläubiger vor der Realisierung als Verlust bewahrt, aber darüber hinaus – und das ist entscheidend – auch die finanzielle Verbindlichkeit des Schuldnerstaates mittels der Konditionalität der Kreditvergabe auf politische Verpflichtungen ausgeweitet. Durch das Instrument der Konditionalität wird also der Haftungsumfang des Schuldners nachträglich vergrößert, von einer Vermögenshaftung aus einem Kreditvertrag auf eine politische Inanspruchnahme des Schuldnerstaates auf Grundlage eines IWF-Programms44. (In Analogie zum Privatrecht könnte man sagen: Die Auflagen des IWF entfalten der Sache nach eine eigenständige HafFinanzhilfeinstrument Rechnung tragen.“ Die Auflagen müssen zudem „in voller Übereinstimmung mit den im AEUV vorgesehenen Maßnahmen der wirtschaftspolitischen Koordinierung, insbesondere etwaigen Rechtsakten der europäischen Union“ stehen. 43 Vgl. im Hinblick auf EU-Rechtsakte BVerfGE 89, 155, Rn. 162. 44 Mit den umfangreichen Verhaltensauflagen versucht der Gläubiger, die Reichweite seines Einflusses so weit wie möglich auszudehnen, um den Schuldner an die Entscheidungsvorgaben zu binden. Mit den Auflagen erweitert der Gläubiger den monetären „Haftungsumfang“ einer Geldschuld um eine politische Inanspruchnahme. Aus Sicht des Kreditgebers ist dies zumal dann wirkungsvoll, wenn der Kreditnehmer überschuldet ist und zu besorgen ist, dass er nicht in der Lage sein wird, die Verbindlichkeiten zu bedienen. Die Möglichkeit, politische Auflagen durchzusetzen steht privaten Gläubigern, welche in Staatsanleihen eines überschuldeten Staates investieren, grundsätzlich nicht zur Verfügung. Die zur politischen Durchsetzung von Strukturreformen erforderliche Machtposition verschafft ihnen erst der Eingriff des IWF durch ein Kreditprogramm. Die privaten Geldgeber sind mit Beteiligung des IWF besser gestellt, als Gläubiger, deren Kreditsicherheit nicht durch den Einfluss des IWF erhöht wird. Der Staatshaushalt wird diktiert, um die Forderungen der Gläubiger dauerhaft zu privilegieren. Diese Besserstellung ist sachlich nicht gerechtfertigt.
B. Verbindlichkeit der Kreditverträge gegenüber überschuldeten Staaten469
tungsfigur, eine Art „Haftungssanktion“, die in Form einer „Durchgriffs(innen) haftung“ an das Selbstbestimmungsrecht anknüpft.) Hier stellt sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit die Frage, in welchem Umfang eine politische Verpflichtung des Schuldnerstaates im Verhältnis zu den Gläubigern angemessen sein kann. Grundsätzlich bestimmt das Verhältnismäßigkeitsprinzip, also das Zweckmäßigkeitsgebot, dass das in den Auflagen eingeforderte Handeln und Unterlassen des Schuldnerstaates mit dem Sicherungsinteresse der Gläubiger nach Maßgabe der praktischen Vernunft in einem sachlichen Zusammenhang steht. Außerhalb der Grenzen dieser Sachlichkeit kann ein Gläubiger, sei es ein privater Investor oder der IWF, keine eigenen Rechte geltend machen. Problematisch ist, dass sich ein potentieller Sachzusammenhang in der Praxis für alle wichtigen politischen Entscheidungen des Schuldnerstaates konstruieren lässt; denn sämtliche Regelungen des Gemeinwesens – etwa Sozialpolitik, Rentenpolitik, Gesundheitswesen oder Infrastrukturpolitik – sind im weitesten Sinne haushaltsrelevant, weil sie die Einnahmen und Ausgaben des Staates, letztlich auch dessen Bonität berühren. Der ESM-Vertrag ist vor diesem Hintergrund fragwürdig. Art. 13 ESMVertrag setzt zwar einen Sachbezug voraus, indem die Memoranda of Understanding „der Erheblichkeit der zu beseitigenden Schwachstellen […] Rechnung tragen“ sollen. Allerdings wird das Gebot als wirksame Grenze entwertet, weil sämtliche Maßnahmen als sachgerecht gelten dürfen, welche „in voller Übereinstimmung mit den im AEUV vorgesehenen Maßnahmen der wirtschaftspolitischen Koordinierung, insbesondere etwaigen Rechtsakten der Europäischen Union, einschließlich etwaiger an das betreffende ESMMitglied gerichteter Stellungnahmen, Verwarnungen, Empfehlungen oder Beschlüsse“ stehen. Der Umfang der Auflagen ist nach dieser Definition der Sachlichkeit de facto grenzenlos. Die Konnexität zwischen Leistung und Gegenleistung muss sachgerecht, darf also nicht beliebig konstruierbar sein. Nicht jeder potentielle Kausalzusammenhang begründet einen Sachzusammenhang, der auch eine rechtliche Relevanz beanspruchen kann. Im Rahmen eines Darlehensvertrages stehen zum Beispiel die Bewertung der Bonität des Kreditnehmers, die Bestimmung der Zinsen (und Risikozuschläge) und die Einigung auf die Rückzahlungsmodalitäten in sachlichem Zusammenhang. Aber kann es legitim sein, dass die Gläubiger den Schuldner an zukünftige haushaltspolitische Entscheidungen vertraglich binden, um auf diese Weise seine Einnahmen und Ausgaben zu steuern45? 45 Dornbusch fordert einen nachhaltigen Souveränitätsverzicht auf dem Gebiet der Finanzpolitik und ein Verfahren partieller Suspendierung nationaler Politikzuständigkeiten.
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Der Regelungsgegenstand der Memoranda of Understanding berührt sämtliche fiskalpolitisch relevanten Bereiche des Gemeinwesens, und ebenso vielgestaltig sind die damit verfolgten Ziele. Sie stehen in einem gänzlich anderen Kontext, der keinen Zusammenhang mit den synallagmatischen Rechten und Pflichten eines Darlehensverhältnisses aufweist. Schließlich ist ein Übergreifen in die Gesetzgebung des Staates keine unerlässliche Voraussetzung, um die Rechte des Kreditgebers zu wahren. Dabei kommen andere konkrete Sicherungsinstrumente – typischerweise Pfandrechte – in Frage. Die Memoranda of Understanding bezwecken zwar die Konsolidierung des Staatshaushaltes und die Neuorganisation der staatlichen Leistungsverwaltung, aber keinen im sachspezifischen Zusammenhang eines Kreditverhältnisses vorgeprägten Zweck. Das Sicherungsinteresse des Gläubigers gibt ihm daher nicht das Recht, die dem Staat vorbehaltene Gesetzgebung partiell an sich zu ziehen. Man mag einwenden, dass die aktive Einflussnahme der Gläubiger auf die Unternehmenspolitik bei der Sanierung privater Unternehmen nicht unüblich ist. Bei der Rettung öffentlicher Banken durch Steuergelder wird beispielsweise die Refinanzierung durch öffentliche Mittel an die Bedingung geMarkus Kerber hält politisch-institutionelle Sanktionen gegenüber dem Schuldnerstaat „zur mittelbaren Sicherstellung der Gläubigerbefriedigung“ für kaum legitimierbar. Die Sphäre der privatautonom veranlassten Gläubigerbefriedigung sei „klar definiert […] während die Sphäre der Finanz- und Wirtschaftspolitik des Schuldnerlandes einschließlich ihrer institutionellen Grundlagen wesensmäßig Autonomie für sich gegenüber den Verwertungsinteressen der Gläubigergesamtheit beanspruchen“ könne. Indem die Gläubiger auf eine institutionelle Neuordnung der Finanzpolitik des Schuldnerstaates hinwirkten, könnten „insbesondere jene Vorwürfe vermieden werden, die dem IWF wegen seiner nicht nur unkontrollierten sondern auf dezisionistisch-maßstablosen Einmischung in die – schwer überschaubaren – politischen Verhältnisse des Schuldnerlandes zu Recht gemacht werden“. Zwar rechtfertige das Verwertungsinteresse „kaum, vom Schuldnerstaat die Schaffung von Institutionen zu verlangen – z. B. in Form eines Nationalen Finanzrates mit exekutiven Befugnissen, welche über das eigentliche vermögensrechtliche Interesse der Forderungsbefriedigung hinaus die die institutionellen Grundlagen der Finanzpolitik ändert“. Dies könne aber eine „sinnvolle Alternative zu diskretionären Interventionen des IWF“ darstellen. M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 87. Kerber will aber eine Notwendigkeit erkennen, bei bad governance die Souveränität des Schuldnerstaates einzuschränken: „Was anderes folgt aus dieser Inkongruenz zwischen bad governance und Sanktionslosigkeit als die Notwendigkeit, für die internationale Gemeinschaft die rechtliche Grundlage von souveränitätsbrechenden Interventionen in das staatliche Gefüge des Krisenlandes zu schaffen?“ Ebenda, S. 89. Sofern Kerber feststellt, dass sich die Politik des IWF „einseitigen hegemonialen Herrschaftsinstrumenten“ bedienen würde, sich also „mit faktischer Macht begnügt und weder das jeweilige Regime noch die Staatlichkeit des betroffenen Schuldnerlandes in Frage stellt“, so entspricht dies zumindest nicht mehr der Entwicklung, wie sie sich in der Euro-Krise gezeigt hat.
B. Verbindlichkeit der Kreditverträge gegenüber überschuldeten Staaten471
knüpft, dass die Geschäfts- und Kreditvergabepolitik – also die Aktivseite der Banken – von der Aufsicht der Geldgeber mitumfasst wird. Häufig beanspruchen die Geldgeber auch einen Sitz oder gar ein mehrheitswirksames Stimmengewicht in den Kontrollgremien46. Hier kommt der Unterschied zwischen juristischen Personen und Staaten zum Tragen. Juristische Personen erhalten ihre Rechtsfähigkeit erst durch hoheitliche Anerkennung, das heißt sie existieren und handeln in den Grenzen der allgemeinen Gesetze47. Die Rechtsordnung kann die Einflussnahme der Gläubiger auf die Geschäftspolitik juristischer Personen der Sache nach zulassen. In den Grenzen der Vertragsfreiheit muss der Gesetzgeber die Beliebigkeit der Vertragsmaterie anerkennen, weil sich privat Handelnde bei derartigen Vereinbarungen auf das Recht der freien Willkür berufen dürfen, welches ihnen von den allgemeinen Gesetzen innerhalb ihrer Grenzen zugestanden wird48. Im Gegensatz zu juristischen Personen ist der Staat als souveränes Völkerrechtssubjekt keiner anderen Rechtsordnung als der eigenen unterworfen, das heißt, er handelt innerhalb jener Grenzen, die sich das Volk durch Gesetz und völkerrechtliche Verträge selbst gegeben hat, wobei die Verträge wiederum die substantielle Staatlichkeit wahren müssen. Die Auflagen gegenüber einem Staat wirken aber nicht innerhalb seiner Rechtsordnung, sondern schränken diese ein; denn Mitspracherechte der Geldgeber, etwa durch Auflagen und Kontrollgremien wie jene der Troika, nehmen unmittelbaren Einfluss auf die Willensbildung des Volkes. Sie berühren das Selbstbestimmungsrecht im Kern und treten zu der Frage der Kreditwürdigkeit des Staates allenfalls in mittelbaren Bezug. Ein darauf gerichteter Zweck kann sich a priori nicht auf einen legitimen Sachzusammenhang berufen und ist nicht mehr vom Recht gedeckt. Man könnte daran denken, dass das Plus, welches dem Staatshaushalt durch zusätzliche Kredite Dritter zufließt, materielle Einschränkungen der Budgethoheit zu Gunsten der Gläubiger kompensiert. Schließlich werden durch die neuen Mittel, welche dem Staatshaushalt des Schuldners zur Verfügung gestellt werden, um den Zahlungsausfall abzuwenden, die Anzahl der Handlungsoptionen vermehrt, während im Fall der Zahlungsunfähigkeit die Situation eintreten würde, dass es nichts mehr zu verteilen gibt. Diesem Gedanken aber steht die innere Souveränität des Staates entgegen; denn das damit zu identifizierende demokratische Prinzip gewährleistet die 46 Markus Kerber (Bundesverband der deutschen Industrie, BDI) zur Rettung der spanischen Banken, FAZ vom 19. Juli 2012, Merkel rechnet mit einem Ja zur Spanien-Hilfe. 47 Dazu umfassend W. Freitag, Unternehmen in der Republik. 48 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 506 f.
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Budgethoheit nicht als materiales, sondern als formales Recht (siehe oben). Die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung wird nicht durch die Menge der verfügbaren (bzw. zur Verfügung gestellten) Mittel qualifiziert, sondern ihr Wesen ist die Autonomie des Willens selbst. Die Entscheidungshoheit über die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben unterliegt zwar Sachzwängen, sie muss im Grundsatz aber um der allgemeinen Freiheit der Bürger Willen ungebunden und unabhängig sein49. Die Unveräußerlichkeit von Rechten, die wie die Budgethoheit den substantiellen Kernbereich der Staatlichkeit ausmacht, ergibt sich im Übrigen aus der Dogmatik des Rechtsinstituts des Vertrags selbst. Der Rechtsgrund, dass ein Vertrag Verbindlichkeit entfaltet, ist das Rechtsprinzip50. Das Rechtsprinzip verwirklicht die Willensautonomie, also die Grundlage für den im Vertrag geäußerten freien Willen der Vertragsparteien. Wenn die Gesetzgebung gegenständlich an vertraglich vereinbarte Auflagen gebunden ist, anstatt darüber frei zu erkennen und zu beschließen, wird die Willensautonomie ausgesetzt. Sie ist aber eine aus sich heraus wirkende Voraussetzung der Verbindlichkeit des Vertragsschlusses und kann deshalb schlechterdings nicht durch eben jenen Vertrag abbedungen werden. Andernfalls würde dem Vertrag die Verbindlichkeit, mithin sein Vertragscharakter entzogen. Einschränkungen der autonomen Willensbildung des Gesetzgebers, insbesondere durch Auflagen zu Budgetentscheidungen, sind aus der Perspektive der Gläubiger zwar rational, aber nicht legitim, weil sie gegen das allgemeine Rechtsprinzip verstoßen und im Übrigen für die Frage der Rückzahlungsfähigkeit im Rechtssinne sachfremd und damit nicht schützenswert sind. 3. Insolvenzprinzip: Risikosphäre des Gläubigers Dem Darlehensvertrag liegt der jeder modernen Privatrechtsordnung geläufige Rechtsgedanke zugrunde, welcher „dem Charakter von Risikogeschäften Rechnung trägt und besagt“, dass der Verpflichtete in Fällen einer „überobligationsmäßigen Belastung“ von seiner Verpflichtung frei werden kann“51. 49 Diese Entscheidungen sind aber durch den vom Prinzip der parlamentarischen Budgethoheit gebotenen Maßstab zeitlich und inhaltlich begrenzt. K. v. Lewinski, Öffentlichrechtliche Insolvenz und Staatsbankrott, S. 53. 50 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 508 ff. Das Vertrauensschutzprinzip, auf welchem die gegenseitigen Handlungserwartungen der Vertragspartner beruhen, geht im Rechtsprinzip auf (a. a. O., S. 509). 51 BVerfGE 37, 271, Rn. 65.
B. Verbindlichkeit der Kreditverträge gegenüber überschuldeten Staaten473
Im Fall des Zahlungsausfalls wird das Haftungsrisiko des Schuldners teilweise in die Sphäre des Gläubigers verschoben52; denn der „interessierte Kaufmann“ weiß, „welches Risiko er eingeht und hat die Freiheit der Entscheidung, ob er den Vertrag unter den Bedingungen eingehen will oder nicht. Alle Bedenken, die aus einer Haftung der Gläubiger hergeleitet werden, gehen deshalb von vornherein fehl“53. Dieser Grundsatz folgt aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit, sowie der lex mercatoria und kann auch innerhalb des internationalen Finanzsystems Gültigkeit beanspruchen54. Das Risiko, dass der Kredit notleidend wird, trägt grundsätzlich also nicht nur der Schuldner, sondern auch der Gläubiger. In der Regel wird er sich gegen dieses Ausfallrisiko gesondert absichern, etwa durch Pfandrechte55 wie Gold- und Devisenreserven der Notenbanken. Sofern er sich an diesem verbleibenden Vermögen schadlos hält56, entspricht dies der vertraglich vereinbarten und sachgerechten Haftungsmasse. Dies sieht auch der Europäische 52 Dass private Investoren die Verluste in der Praxis häufig nicht realisieren müssen, weil ihnen das Ausfallrisiko von staatlicher Seite abgenommen wird, verdeutlichte die Eurokrise, in welcher die privaten Verbindlichkeiten der Banken in öffentliche Verbindlichkeiten der Geberländer transformiert wurden. Dabei entsteht die Gefahr eines Moral-Hazard-Verhaltens auf Seiten der Geldgeber, dazu Teil 2, C. III. 2. 53 BVerfGE 37, 271, Rn. 61. 54 Art. 3.10 der Grundregeln sieht ein Anfechtungsrecht für den Fall eines „gross disparity“ (groben Missverhältnisses) zwischen Leistung und Gegenleistung vor. Zur lex mercatoria als transnationale Rechtsordnung auch A. Emmerich-Fritsche, Die lex mercatoria als durchsetzbares transnationales Handelsrecht und Weltgesellschaftsrecht, NWiR, Heft 17; I. Seidl-Hohenveldern, International Economic Law, 1 ff. 55 Ein Beispiel für Pfandrechte ist die sogenannte Finnland-Klausel (vgl. FAZ vom 20. August 2011, Griechenland-Hilfen: Die Folgen der Finnland-Klausel), welche sich der finnische Staat zur Sicherung der Kredite an Griechenland einräumen ließ. Ein weiteres Beispiel ist die Stadt New York, die in den siebziger Jahren ihre Steuereinnahmen verpfändete, weil keine anderen (Bundes)Staaten zu bürgen bereit waren. In der Diskussion stehen auch materielle Absicherungen über Goldreserven oder Staatsbeteiligungen. Der IWF hält diese Formen der Sicherheiten für unbedenklich, sofern sie nicht die eigenen Rückforderungsansprüche gefährden. So hielt der IWF die Einräumung von Sicherheiten an Finnland für eine Verletzung seiner Statuten, weil damit die von ihm beanspruchte vorrangige Gläubigerstellung unterlaufen werde. „So haben die USA 1995 Mexiko großzügig Kredite bereitgestellt, sich aber die Einnahmen aus den künftigen Erdölexporten vertraglich gesichert.“ H. Dieter, Globalisierung ordnungspolitisch gestalten, APuZ, B 05/2003, Fn. 31. 56 Bei Sicherungsgegenständen handelt es sich um Gegenstände, „die ihren Ursprung im Staat finden und deren Wirkung sich direkt auf das Staatsinnere erstreckt“. H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 88. Sofern die Auflagen die Elementaria des demokratischen Prinzips in Frage stellen, ja teilweise aushebeln, muss das Schutzinteresse des Schuldners überwiegen. Für den Gläubiger ist es durchaus zumutbar, auf andere Formen der Besicherung zurückzugreifen.
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Schuldentilgungsfonds (ESM) vor, darüber hinaus oder im Fall von Staatsanleihen durch Kreditausfallversicherungen, sogenannte Credit Default Swaps (CDS), im Falle des IWF auch durch Zusicherung eines privilegierten Gläubigerstatus. Im Übrigen lassen sich private Investoren ihr Risiko durch Zinsen und Überrenditen, das heißt Zinsaufschläge, sogenannte „credit spreads“, vom Schuldnerstaat kompensieren. 4. Unantastbare Rechtssphäre des Schuldners (Pfändungsfreigrenzen) Die Bindung des Vertragspartners an Auflagen weist Parallelen im Umgang mit überschuldeten natürlichen Personen auf. Der allgemeine Rechtsgedanke, dass elementare Rechtspositionen des Schuldners der Haftung, das heißt dem Zugriff des Gläubigers entzogen sind, prägt die private Insolvenzordnung. Sie enthält verallgemeinerungsfähige Grundlinien zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Schuldners und stiftet auch für ein internationales Insolvenzverfahren eine Leitbildfunktion (Teil 7, C.). Die Insolvenzordnung des Privatrechts kodifiziert genau diesen Gedanken, indem sie dem Schuldner im Haftungsfall sogenannte Pfändungsfreigrenzen zugesteht57, welche der Disposition der Vertragsparteien entzogen sind, um die elementaren Rechte des Schuldners zu schützen und ein selbstbestimmtes Leben zu gewährleisten58. Die Pfändungsfreigrenze beschränkt den Umfang der Vermögenshaftung. Dem liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass bestimmte existentielle Rechtspositionen dem Zugriff des Gläubigers um der Souveränität des Schuldners willen entzogen sind. 57 Zu dieser Frage siehe A. Sen, Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, 2000, S. 217 ff.; ders., Inequality Reexamined, 1999; zusammenfassend M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 41 ff. 58 Im Privatrecht materialisieren diverse Rechtsinstitute den Schutz der Rechte des unterlegenen Vertragspartners. Obgleich sich im Völkerrecht die gleiche Problematik wie im Privatrecht offenbart, sind vergleichbare Rechtsinstitute kaum ausgeprägt. Dies hat seine Ursache darin, dass in Ermangelung einer über den Staaten stehenden rechtsetzenden Institution der Vertragsautonomie derart große Bedeutung zukommt, dass andere fundamentale Rechtsprinzipien dahinter zurücktreten. Doch auch das Völkerrecht kennt mit dem allgemein anerkannten Bona-fides-Prinzip das wichtigste Rechtsinstitut zur Beurteilung der Legitimität völkerrechtlicher Verträge. Das Bona-fides-Prinzip hat die Funktion, die gestörte Vertragsparität, die aus der (strukturell und tatsächlich) ungleichen Verhandlungsstärke der Vertragspartner herrührt, materiell auszugleichen. Damit wird der wirtschaftlich schwächere Vertragspartner vor der Überlegenheit des anderen geschützt. Zum Funktionskreis „Schutz des Vertragspartners“ gehören Knebelverträge und Verträge mit übermäßigen Freiheitsbeschränkungen, die unter Ausnutzung von wirtschaftlicher Übermacht zustande gekommen sind.
B. Verbindlichkeit der Kreditverträge gegenüber überschuldeten Staaten475
V. Stellungnahme Die Unverletzlichkeit der Budgethoheit wird bei fragwürdiger Bonität des Schuldners dazu führen, dass potentielle Geldgeber nicht bereit sind, weitere Kredite an den Schuldnerstaat zu vergeben. Fraglich ist, wie mit der (weiterhin) drohenden Zahlungsunfähigkeit eines Staates umzugehen ist. Als Alternative zu einem rechtlich zweifelhaften Konditionalitätsprogramm wäre an die Entwicklung eines völkerrechtlich geordneten Insolvenzverfahrens zu denken, um die Haftungsrisiken unter den Vertragspartnern im Rahmen eines rechtsförmigen Verfahrens einer interessengerechten Lösung näherzubringen.
Teil 7
Grundzüge eines Insolvenzrechts für Staaten Der Interessenkonflikt zwischen Schuldnerstaat und Gläubigern kennzeichnet die Problematik staatlicher Überschuldung im Allgemeinen und der Konditionalität des IWF im Besonderen. Hinzu treten die Effekte eines liberalisierten internationalen Kapitalmarkts, denen sich kein Staat mehr entziehen kann. Gerade in den letzten Jahren hat der Ausbruch der Euro-Krise diese Problematik einmal mehr offengelegt. Könnte ein völkervertraglich materialisiertes Insolvenzrecht für Staaten zur Lösung dieses Konfliktes beitragen?1 Im Zuge der Euro-Krise sind die Stimmen in Wissenschaft und Politik lauter geworden2, die sich für den Aufbau insolvenzverfahrensrechtlicher Strukturen aussprechen3, und auch der IWF hat Ende der neunziger Jahre die Idee neu belebt, im Umgang mit überschuldeten Staaten ein verrechtlichtes Verfahren einzuführen. 1 Siehe dazu auch H. Dieter, Zurück zu nationaler Finanzierung? Zur Frage von Entwicklung und Verschuldung, 2002, S. 25 ff. 2 Zu dieser Auffassung gelangte im Jahr 2015 auch der deutsche Sachverständigenrat, als er in einem Sondergutachten zur Griechenland-Krise anmerkte: „Vor allem aber muss eine konsequente Anwendung von Fiskal- und Insolvenzregeln für Staaten die Schuldenstände reduzieren“ (S. 3, Rdn. 12). Weiter führt er aus: „Tatsächlich verhilft der ESM der Marktdisziplinierung erst dann zu völliger Wirksamkeit, wenn er durch ein Insolvenzregime für Staaten ergänzt wird. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Konsequenzen aus der Griechenland-Krise für einen stabileren Euro-Raum, Sondergutachten Juli 2015, S. 31, Rdn. 83. 3 So fordert etwa Beatrice Weder di Mauro, gemeinsam mit dem Committee for International Economic Policy and Reform (CIEPR) ein „effektives Insolvenzregime“ innerhalb der Europäischen Union, welches in das „ESM-Programm“ inkorporiert werden solle. Freilich ist ein solcher Ansatz weniger ein Insolvenzregime im eigentlichen Sinne, als vielmehr der Versuch, einen europäischen Haftungsverbund durch Ergänzung des rechtlich ohnehin fragwürdigen ESM-Finanzierungs-Programms unter den EU-Staaten fester zu institutionalisieren. Der eigentliche Hintergrund ist die von Weder die Mauro schon früher aufgeworfene Frage, „wie eine Fiskalunion aussehen soll“. Weder di Mauro will diese im Sinne einer europäischen Haftungsunion beantwortet wissen, obschon sie lieber von einem „partiellem Haftungsverbund“ sprechen will: „Der realistischere Weg führt in eine Föderation mit einem zentralen Krisenmechanismus, aber nur einem kleinen zentralen Haushalt. Die Finanzpolitik der Länder muss dann über eine Kombination von Regeln, Eingriffen und Marktdisziplin kontrolliert werden.“ – B. Weder die Mauro, in: Handelsblatt vom 15. Juni 2012, Ohne Haftungsverbund geht es nicht, einzusehen unter http://www.handelsblatt.com/meinung/gastbei traege/beatrice-weder-di-mauro-ohne-haftungsverbund-geht-es-nicht/6757378.html.
A. Völkerrechtliche Lage477
In diesem Zusammenhang taucht eine Vielzahl von Streitfragen auf. Im Rahmen dieser Arbeit sollen die wichtigsten herausgegriffen werden. Eine Untersuchung der insolvenzrechtlichen Problematik hat das Augenmerk auf die völkerrechtliche Jurisdiktion, aber auch auf empirische Erkenntnisse und insolvenzrechtliche Prinzipien zu richten. Die in der Literatur häufig angeregte Anlehnung an das „Chapter 11“ der US-amerikanischen Insolvenzordnung soll skizziert, auf eine Diskussion der einzelnen normativen Modelle aber verzichtet werden4.
A. Völkerrechtliche Lage Die von der Völkerrechtskommission (International Law Commission, ILC) der Vereinten Nationen ausgearbeiteten Artikel über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen sehen in Artikel 25 unter dem Titel „Notstand“ Folgendes vor5: 1. Ein Staat kann sich nur dann auf einen Notstand als Grund für den Ausschluss der Rechtswidrigkeit einer Handlung, die mit einer völkerrechtlichen Verpflichtung dieses Staates nicht im Einklang steht, berufen, wenn die Handlung a) dem Staat die einzige Möglichkeit bietet, ein wesentliches Interesse vor einer schweren und unmittelbar drohenden Gefahr zu schützen, und b) kein wesentliches Interesse des Staates oder der Staaten, gegenüber denen die Verpflichtung besteht, oder der gesamten internationalen Gemeinschaft ernsthaft beeinträchtigt. 4 Nach Ansicht von Markus Kerber ist die Anknüpfung an die Artikel 9 und 11 des U.S. Bankruptcy Law ähnlich der Anwendung des US-amerikanischen Kartellrechts auf internationale Sachverhalte lediglich ein Beleg für die „hegemoniale Wirkung des US-amerikanischen Rechtssystems“. Souveränität und Konkurs, S. 20. 5 Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts in Yearbook of the International Law Commission, 2001, vol. II (Part Two) Art. 25: „1. Necessity may not be invoked by a State as a ground for precluding the wrongfulness of an act not in conformity with an international obligation of that State unless the act: (a) is the only way for the State to safeguard an essential interest against a grave and imminent peril; and (b) does not seriously impair an essential interest of the State or States towards which the obligation exists, or of the international community as a whole. 2. In any case, necessity may not be invoked by a State as a ground for precluding wrongfulness if: (a) the international obligation in question excludes the possibility of invoking necessity; or (b) the State has contributed to the situation of necessity.“
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Teil 7: Grundzüge eines Insolvenzrechts für Staaten
2. In keinem Fall kann ein Staat sich auf einen Notstand als Grund für den Ausschluss der Rechtswidrigkeit berufen, a) wenn die betreffende völkerrechtliche Verpflichtung die Möglichkeit der Berufung auf einen Notstand ausschließt oder b) wenn der Staat zu der Notstandssituation beigetragen hat. Grundsätzlich erkennt das Völkerrecht den Rechtfertigungsgrund des Notstandes in Staatskrisen (gewohnheitsrechtlich) an6. Artikel 25 der Artikel über die Verantwortlichkeit von Staaten (Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts)7 kann mit Blick auf eine hinreichende Staaten- und Entscheidungspraxis8 „als Ausdruck eines völkergewohnheitsrechtlich verankerten Grundsatzes angesehen werden“9. Artikel 25 Abs. 1 lit. (a) der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit spricht vom „wesentlichen Inte6 In der Kommentierung heißt es: „There is substantial authority in support of the existence of necessity as a circumstance precluding wrongfulness. It has been invoked by States and has been dealt with by a number of international tribunals. In these cases the plea of necessity has been accepted in principle, or at least not rejected.“ Commentaries to the Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, adopted by the International Law Commission at its Fifty-third Session (2001), Official Records of the General Assembly, Fifty-sixth Session, Supplement Nr. 10 (A/56/10) (= ILC Commentaries), 195. Siehe dazu A. Reinisch, Sachverständigengutachten zur Frage des Bestehens und der Wirkung des völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrundes „Staatsnotstand“, S. 10 ff. Reinisch weist darauf hin, dass im älteren Schrifttum „Notstand mit dem Recht auf staatliche Existenz und Selbsterhaltung identifiziert wurde. […] Doch bereits aus frühen Schiedsentscheidungen geht ganz klar hervor, dass auch finanzielle Schwierigkeiten, sofern sie die geforderten extremen Ausmaße erreichen, die Rechtswidrigkeit etwa von Zahlungsverweigerungen ausschließen können.“ „Der Russische Entschädigungen-Fall (Affaire de l’Indemnité Russe, XI UNRIAA (1912), 431, 443) gilt als wichtigster Präzedenzfall in diesem Bereich und bestätigt dies eindeutig. Nach der Auffassung des Schiedsgerichts kann die Verpflichtung zur Vertragserfüllung dann abgeschwächt werden, wenn dadurch die staatliche Existenz gefährdet würde bzw. wenn die Vertragserfüllung selbstzerstörerisch wäre.“ (Rdn. 24, 25, 26). 7 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, in: Report of the International Law Commission on the Work of Its Fifty-third Session, UN GAOR, 56th Sess., Supp. Nr. 10, 43, UN Doc. A/56/10 (2001). Die Artikel wurden von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 12. Dezember 2001 zur Kenntnis genommen. 8 Siehe CMS-Fall aus dem Jahr 2005: CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, ICSID Case Nr. ARB/01/8, Award, 12 May 2005, 44 International Legal Materials 1205 (2005). Vgl. dazu die Besprechungen von S. Schill, From Calvo to CMS, SchiedsVZ (2005), 285, und Leben, L’état de nécessité dans le droit international de l’investissement, Gazette du Palais – Cahier de l’arbitrage (2005/3), 32. 9 A. Reinisch, Sachverständigengutachten zur Frage des Bestehens und der Wirkung des völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrundes „Staatsnotstand“, S. 4.
A. Völkerrechtliche Lage479
resse“ des Staates, welchem zufolge auch finanzielle staatliche Notstandslagen grundsätzlich Relevanz beanspruchen könnten. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang etwa die Investitionsstreitigkeiten in der Folge des Zahlungsausfalls Argentiniens, insbesondere der CMS v. Argentinien-Fall10, welcher im Jahr 2005 vor ICSID-Tribunalen entschieden wurde. Das Tribunal hat die Anerkennung eines finanziellen Notstands im Grundsatz bekräftigt. Die Frage der Schutzwürdigkeit eines „wesentlichen Interesses“ („essential interest“) des Staates sei davon abhängig, wie schwer sich die Krise auswirke. Nur wenn die Notwendigkeit festgestellt werde, einen „Zusammenbruch mit all seinen gesellschaftlichen und politischen Implikationen“ („a major breakdown, with all its social and political implications“) zu verhindern, könne ein rechtfertigender Staatsnotstand ausgelöst werden11. Das Tribunal hat im zitierten Fall eine solche qualifizierte Notlage in Argentinien aber nicht zu erkennen vermocht, freilich ohne sich mit der Schwere der argentinischen Staatskrise im Einzelnen auseinandergesetzt zu haben. Ein rechtfertigender Staatsnotstand ist nach Art. 25 Ziff. 2 b) der Artikel über die Verantwortlichkeit von Staaten allerdings ausgeschlossen, wenn der Staat zu der Notstandssituation selbst beigetragen hat. Nach der in der Literatur vorherrschenden Meinung ist dabei nicht jeder Beitrag tatbestandsausschließend, weil ein rechtfertigender Notstand sonst praktisch immer ausgeschlossen wäre. Die Berufung auf einen finanziellen Notstand soll nur dann ausgeschlossen sein, wenn dem Staat ein signifikantes Mitverschulden vorzuwerfen sei12. Der finanzielle Notstand eines Staates hat, so die Rechtsprechung und herrschende Lehre, aber „keine schuldbefreiende, sondern bloß eine aufschiebende Wirkung“ und führt deshalb nur „zur temporären Rechtfertigung der Nichterfüllung finanzieller Verpflichtungen“13. Souveränitätsrechtliche 10 CMS Gas Transmission Company v. The Argentine Republic, ICSID Case Nr. ARB/01/8, Award, 12 May 2005, 44 International Legal Materials 1205 (2005). Vgl. dazu die Besprechungen von S. Schill, From Calvo to CMS, SchiedsVZ (2005), S. 285, und C. Leben, L’état de nécessité dans le droit international de l’investissement, S. 32. 11 „A first question the Tribunal must address is whether an essential interest of the State was involved in the matter. Again here the issue is to determine the gravity of the crisis. The need to prevent a major breakdown, with all its social and political implications, might have entailed an essential interest of the State in which case the operation of the state of necessity might have been triggered.“ CMS v. Argentina, Rdn. 319. 12 Zur Frage des Mitverschuldens, A. Reinisch, Sachverständigengutachten zur Frage des Bestehens und der Wirkung des völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrundes „Staatsnotstand“, S. 18 ff. 13 Ebenda, S. 19 f.; umfassend zur Problematik der Rechtfertigung einer temporären Zahlungseinstellung durch Berufung auf völkerrechtlichen Notstand J. Benninghofen, Staatsumschuldung, S. 186 ff.
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Gesichtspunkte sind bei den zugrundeliegenden Entscheidungen14, insbesondere des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Seegerichtshofs, weitgehend unberücksichtigt geblieben, zumindest sofern sie über die (bislang von der Rechtsprechung nicht überschrittene) Hürde einer „Beeinträchtigung eines wesentlichen staatlichen Interesses“ hinausgehen15. Die restriktive Entscheidungspraxis soll augenscheinlich einem möglichen Missbrauch durch den Schuldnerstaat zu Lasten der Gläubiger vorbeugen. Nach Reinischs Analyse folgt daraus, „dass Notstand im Ergebnis nur selten zur Rechtfertigung der Nichterfüllung einer Verpflichtung führt“16. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass die Völkerrechtsgemeinschaft das Problem der Überschuldung der ärmsten Staaten, wie oben erörtert, bereits im Jahr 1996 durch die HIPC-Initiative im Grundsatz anerkannt hat (siehe zur HIPC-Initiative oben). Die Initiative war auf einen signifikanten Schuldenerlass gerichtet. Im Rahmen der Lyon Terms sollten achtzig Prozent der HIPC-Schulden erlassen werden, später übernahm der Pariser Club die sogenannten Cologne Terms, die Bereitschaft die HIPC-Schulden bis zu neunzig Prozent zu reduzieren17. Christian Kellermann sieht darin eine Anerkennung des „multilateralen Schuldenproblems“ und „insofern auch, dass multilaterale Gläubiger Schulden erlassen sollten“18: „Der HIPCInitiative lag die Annahme zugrunde, dass es eine untragbare Schuldensituation der ärmsten Länder gebe und dass dieses Problem mit den vorhandenen Schuldeninstrumenten nicht zu lösen sei.“ 14 Besondere Bedeutung kommt der Entscheidung des IGH im GabčikovoNagymaros- Fall (Gabčíkovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), I.C.J. Reports 1997, 7.). 15 Der Internationale Seegerichtshof hat im M/V Saiga-Fall ausgesprochen, dass die Nichterfüllung das „einzige Mittel“ zum Schutz der staatlichen Interessen sein müsse. „No evidence has been produced by Guinea to show that its essential interests were in grave and imminent peril. But, however essential Guinea’s interest in maximizing its tax revenue from the sale of gas oil to fishing vessels, it cannot be suggested that the only means of safeguarding that interest was to extend its customs laws to parts of the exclusive economic zone.“ (M/V Saiga (No. 2) Case, International Tribunal for the Law of the Sea, 1.7.1999, 38 International Legal Materials 1323, 1999), Rz. 134, 135. 16 A. Reinisch, Sachverständigengutachten zur Frage des Bestehens und der Wirkung des völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrundes „Staatsnotstand“, S. 10. 17 L. Rieffel, Restructuring Sovereign Debt. The Case for Ad Hoc Machinery, 2003. 18 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 187 f. Kellermann verweist auf den Ursprung der Entschuldungsinitative im „globalisierungskritischen Bereich“. Die Industrieländer hatten sich im Rahmen des Gläubigerforums des Pariser Clubs dazu bereit erklärt, HIPC-Schulden bis zu 80 Prozent zu erlassen (sogenannte Lyon Terms), eine Zusage die auf dem Kölner Treffen im Jahr 1999 auf ein Schuldenreduzierungsziel bis zu 90 Prozent erweitert wurde (Cologne Terms).
B. Vorschlag des IWF nach Anne Krueger481
B. Vorschlag des IWF nach Anne Krueger Die Idee, ein Verfahren zur Regelung der Zahlungsunfähigkeit souveräner Staaten zu institutionalisieren, ist nicht neu19. Für ein internationales Insolvenzrecht hatte bereits im Jahr 1776 Adam Smith mit den Worten geworben20: „When it becomes necessary for a state to declare itself bankrupt, in the same manner as when it becomes necessary for an individual to do so, a fair, open and avowed bankruptcy is always the measure which is both least dishonourable to the debtor, and least hurtful to the creditor.“ Ansätze für ein Insolvenzrecht für Staaten wurden vor dem Hintergrund der lateinamerikanischen Verschuldungskrise der späten siebziger Jahre wieder verstärkt diskutiert21. Jeffrey Sachs etwa hatte ein neues Rollenverhältnis des IWF zwischen internationalem Lender of Last Resort und den Aufgaben eines internationalen Insolvenzgerichtshofs gefordert22. Der Privatsektor sollte durch eine Insolvenzordnung systematisch in die Finanzierung eingebunden werden. „IMF practices should be reorganized so the IMF plays a role far more like an international bankruptcy court and far less like the Lender of Last Resort to member governments.“ Anne Krueger, stellvertretende Geschäftsführende Direktorin (First Deputy Managing Director) unter dem Geschäftsführenden Direktor Horst Köhler, hat die Diskussion zu diesen Überlegungen im November 2001 neu belebt und der Forderung zur Schaffung eines Insolvenzverfahrens für Staaten erstmals von offizieller Seite Ausdruck verliehen23. Ihr Aufruf fand Widerhall 19 Vgl. K. Raffer, Applying Chapter 9 Insolvency to International Debts: An Economically Efficient Solution with a Human Face, 1990, S. 301 ff.; K. Rogoff/ J. Zettelmeyer, Early Ideas on Sovereign Bankruptcy Reorganization: A Survey IMF Paper WP/02/57, 2002; dies., Bankruptcy Procedures for Sovereigns: A History of Ideas, 1976–2001, IMF Staff Papers Vol. 49, No. 32002, zu den Ursprüngen bis zu Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Buch II. Kapitel III, siehe: Sachs, Resolving the Debt Crisis of Low-Income Countries, March 2002. Ohlin spricht im Rahmen der Schuldenkrise der Siebziger Jahre von einer „honorable bankcruptcy“, siehe G. Ohlin, Debts, Development and Default, 1976. 20 A. Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, S. 564. 21 Siehe zum wissenschaftlichen Diskurs um die „souveräne Insolvenzthematik“ Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 211 ff.; W. Uhlenbruck/H. Hirte, Insolvenzordnung, 2010, § 12, Rdn 6; N. Roubini, Do We Need a New International Bankruptcy Regime?, 2002. 22 J. Sachs, Do we Need an International Lender of Last Resort?, S. 14. 23 Anne Krueger gab damit ihren Bedenken Ausdruck, „dass ein Gläubiger den Schuldnerstaat, von dem Anleihen in großem Umfang aufgekauft wurden, in den Ruin treiben kann, indem er sich weigert, an einem Umschuldungsabkommen teilzu-
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auf der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds im Oktober 2002. Dort wurde zum ersten Mal offiziell über einen Mechanismus zur Regulierung der Insolvenzen souveräner Staaten debattiert, und der IWF wurde beauftragt, bis zur Frühjahrstagung im April 2003 einen ausgearbeiteten Vorschlag zu einem Entschuldungsmechanismus für Staaten vorzulegen24. Ein Insolvenzrecht für Staaten sollte die bereits vorgestellte Entschuldungsinitiative (HIPC-Initiative, siehe oben) ergänzen. Mit dem sogenannten „Sovereign Debt Restructuring Mechanism“ (SDRM) sollte ein juristisches Verfahren geschaffen werden, welches den Umgang mit staatlichen Verbindlichkeiten und das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldnern im Krisenfall regelt. Ziel war es, die Gesamtverschuldung auf ein erträgliches Maß zurückzuführen und möglichst rasch das Vertrauen der Anleger durch eine Schuldenregelung zurückzugewinnen, die von allen Gläubigern zu vergleichbaren Bedingungen mitgetragen wird25. Nach amerikanischem Vorbild, dem Konkursrecht für öffentliche Körperschaften (Chapter 9), sollte das Insolvenzverfahren für Staaten in mehreren Stufen ablaufen: Zunächst war ein offizielles Moratorium vorgesehen, um den Schuldnerstaat vorübergehend vom Schuldendienst freizustellen, bis in Umschuldungsverhandlungen mit allen Gläubigergruppen eine gemeinsame Einigung erzielt würde. Krueger schlägt vor, die Umschuldungsverhandlungen vom IWF moderieren zu lassen. Der Fonds könne zwar nicht die Gläubigeransprüche prüfen, sei aber in der Lage, die Verschuldungs- und Wirtschaftslage des Schuldnerstaates zu beurteilen. Anstatt wie bisher „Finanzhilfen zur Bedienung der umgeschuldeten Verbindlichkeiten“ zu gewähren, sollte der IWF lediglich Hilfe zum Aufbau von Währungsreserven und zur Bezahlung notwendiger Importgüter leisten26. Voraussetzung eines Moratoriums sollte nehmen und anstatt dessen die volle Höhe der Schulden eintreibt“. Ch. Ermrich, Die Zahlungsunfähigkeit von Staaten, S. 367 ff.; A. Krueger, A New Approach for Sovereign Debt Restructuring, IMF, 2002; zusammenfassend M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 24, Rdn. 25 ff. Der Rede aus dem Jahr 2001 folgte ein in Einzelheiten modifizierter Vorschlag. Siehe A. Krueger, A New Approach to Sovereign Debt Restructuring, International Monetary Fund. Kruegers Vorschläge führten zu einer kontroversen Debatte. Dazu Ch. Paulus, Rechtlich geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten, ZRP 2002, S. 383 ff.; K.-A. Schwarz, Neue Mechanismen zur Bewältigung der Finanzkrise überschuldeter Staaten, 2003, S. 170 ff.; C. Mayer, Wie nähert man sich einem internationalen Insolvenzverfahren für Staaten?, in: ZInsO, 2005, S. 454; zu den möglichen Rechtsgrundlagen 458 ff.; Ch. Ohler, Der Staatsbankrott, S. 590, 598. 24 C. Hefeker, Ein Insolvenzrecht für souveräne Staaten?, 2002, S. 685; M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 9. 25 Ch. Ermrich, Die Zahlungsunfähigkeit von Staaten, S. 368 f. 26 Ebenda, S. 368.
B. Vorschlag des IWF nach Anne Krueger483
sein, dass der Schuldnerstaat ein Sanierungs- und Reformkonzept vorlegt. Kapitalverkehrskontrollen sollten eine Kapitalflucht aus dem Land verhindern27. Umgekehrt mussten die Gläubiger davon abgehalten werden, ihre Ansprüche über nationale Gerichte einzufordern und in Vermögenswerte des Schuldnerstaates zu vollstrecken. In der Verhandlung über Umstrukturierungen sollten daher Mehrheitsbeschlüsse für alle Gläubiger verbindlich sein. Der umstrittene Begriff der Zahlungsunfähigkeit28 sollte nach den ursprünglichen Vorstellungen des IWF so bestimmt werden, dass es dem Schuldnerstaat obliege festzustellen, ob seine Verbindlichkeiten untragbar seien oder nicht. Der Schuldner habe also das Recht, die Schuldensuspendierung einseitig auszulösen. Aufgrund der „Proteste der Marktteilnehmer gegen die Erosion von wohlerworbenen Vertragsrechten“29 hat der IWF dann aber Zugeständnisse gemacht und vorgeschlagen, dass der Tatbestand untragbarer Verbindlichkeiten nicht diskretionär vom Schuldnerstaat, sondern von einer unabhängigen Stelle geprüft werden solle30. Der Antrag auf Eröffnung des Restrukturierungsverfahrens sei zwar nicht automatisch auf die Suspendierung aller vertraglichen Verbindlichkeiten des Schuldernerstaates gerichtet, aber „im Fall einer individuellen Forderungseintreibung solle der erstrittene Betrag im Rahmen des erhofften späteren Vergleichs angerechnet werden“31. Der Vorstoß der damaligen Vizedirektorin des IWF fand sowohl Zustimmung als auch Kritik32. Gegen ein Insolvenzrecht für Staaten wird im We27 Ebenda.
28 Siehe zum Begriff der „Staateninsolvenz“, ihren Erscheinungsformen und Ursachen A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 65 ff. 29 M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 49. 30 Siehe IMF, The Design of the Sovereign Debt Restructuring Mechanism, S. 84 ff. Rdn. 18; dazu auch M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 49. 31 Siehe IMF, The Design of the Sovereign Debt Restructuring Mechanism, S. 49. Nach Ansicht von Markus Kerber folgte der IWF hier „Opportunitätserwägungen“ und erinnert an die Folgen einer fehlenden Suspendierung für das weitere Restrukturierungsverfahren: „Droht den Gläubigern nicht die Unmöglichkeit individueller Forderungseintreibung, werden sie umso weniger bereit sein, zu einem frühen Zeitpunkt in Umschuldungsverhandlungen einzutreten.“ Souveränität und Konkurs, S. 49. Damit rückt der IWF von seiner ursprünglichen Begründung für ein „Sovereign Debt Restructuring Mechanism“ (SDRM) ab. Ursprünglich war das Leitmotiv seines „new approach“ eine geordnete, kollektive Behandlung oder Umschuldung aller Forderungen gegen den Schuldnerstaat. Dies ist bedenklich. Neben der Schwierigkeit, eine unabhängige Instanz zu schaffen – denn der IWF kommt hierfür ob seiner Abhängigkeit nicht in Frage (siehe oben) – würde damit die Souveränität des Schuldnerstaates erheblich Schaden nehmen und dem Zweck des Insolvenzverfahrens zuwiderlaufen. 32 Vgl. B. Eichengreen/R. Portes, Debt Restructuring with and without the IMF, 2000.
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sentlichen vorgebracht, es sei innerhalb des Völkerrechts systemfremd, weil Staaten nicht abgewickelt werden könnten. Im Übrigen fehle es an einer übergeordneten Instanz für die Rolle des Insolvenzverwalters. Eine rechtliche Regelung sei im Übrigen auch nicht erforderlich, weil kein Marktversagen zu erkennen sei. Kruegers Vorschlag ist zumindest insofern bemerkenswert, als er die bisherige Praxis des IWF, überschuldete Staaten mit Stützungskrediten vor der Zahlungsunfähigkeit und Zahlungseinstellung zu bewahren, grundsätzlich in Frage stellt33. So wird die vorgeschlagene Verrechtlichung der internationalen Schuldenfrage als eine „qualitative Abweichung vom Washington Consensus“ betrachtet34. Im Gegensatz zu der bisherigen Krisenpraxis bezieht der vorgeschlagene Insolvenzrechtsansatz auch den privaten Sektor in die Lösung ein (Private Sector Involvement – PSI) und nicht zuletzt aus diesem Grund trafen die Vorschläge des IWF auf „Widerstand der bisherigen Profiteure des Bail-outs in Gestalt der internationalen Finanzgemeinde“35. Wenig verwunderlich ist, dass die Vorschläge insbesondere beim Internationalen Bankenverband auf Kritik stießen; denn den Gläubigern würden auf diese Weise ihre Rechte gegenüber den Schuldnerstaaten wesentlich geschmälert. Der Bankenverband favorisiert daher Mehrheitsklauseln in Anleihe- und anderen Kreditverträgen36. Auch das amerikanische Schatzamt hat Gegenvorschläge entwickelt37 und bevorzugt die Aufnahme von Klauseln in die privaten Schuldverträge. Für den Fall der Insolvenz sehen sie „Collective Action Clauses“38 vor, welche ein geordnetes Umstrukturierungsverfahren regeln sollen. Daneben bestehen Zweifel, ob der IWF, der in der Regel einer der Hauptgläubiger der überschuldeten Staaten ist, ein geeigneter Vermittler zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen sein kann39. Bis heute hat der IWF den 33 Vgl. zur Diskussion des IWF-Vorschlages Ch. Ermrich, Die Zahlungsunfähigkeit von Staaten, S. 369 ff. 34 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 211. 35 Ebenda, S. 210. „Die Marktakteure bestanden auf der Beibehaltung des Status quo, souveräne Umschuldungsabkommen ad hoc und bilateral auszuhandeln, bzw. auf die Kredite des IMF zu rekurrieren“. 36 Ch. Ermrich, Die Zahlungsunfähigkeit von Staaten, S. 371. Die Einbeziehung des IWF würde eine Statutenerweiterung erforderlich machen. Dazu bedürfte es einer Stimmenmehrheit von drei Fünftel der Gesamtstimmen. 37 C. Hefeker, Ein Insolvenzrecht für souveräne Staaten?, S. 685. 38 Dazu J. Benninghofen, Staatsumschuldung, S. 157 f. 39 Christine Ermrich bezweifelt dies, weil der IWF nie auf eigene Forderungen verzichte, Die Zahlungsunfähigkeit von Staaten, S. 371.
C. Insolvenzverfahren als allgemeines Rechtsprinzip485
Vorschlag nicht vollständig ausgearbeitet, sondern lediglich die konzeptionellen Schwierigkeiten beschrieben und Präferenzen des IWF dargelegt40.
C. Insolvenzverfahren als allgemeines Rechtsprinzip Es stellt sich die Frage, ob ein völkervertragsrechtliches Verfahren rechtlich begründbar oder gar geboten ist, um den Umgang mit zahlungsunfähigen Staaten zu regeln. Ohne Einzelheiten weiter zu vertiefen, geht es in den hier angestellten Überlegungen lediglich darum, eine Richtung aufzuzeigen, welche es erlaubt, die maßgeblichen Interessen zu berücksichtigen und angemessen zu gewichten. Die Problematik einer Entscheidung für ein bestimmtes Regelungsmodell und die Frage seiner materiellen Ausgestaltung wird in diesem Zusammenhang nicht weiter diskutiert. Hier geht es lediglich darum, wie die Erkenntnisse, die am Beispiel der Euro-Schuldenkrise gewonnen wurden, in ein Verfahren zur Regelung, Lösung und Vorbeugung derartiger Krisen einfließen können und „um die Empfehlung des jenen materiellen Inhalten vorgelagerten Schritts, eine Verfahrensgerechtigkeit41 für die Verhandlungen“42.
I. Insolvenzfähigkeit von Staaten Das Phänomen der Zahlungsunfähigkeit von Staaten ist in der völkerrechtlichen Literatur weitgehend vernachlässigt worden und hat erst in jüngerer Zeit verstärkt Aufmerksamkeit erfahren43. Insbesondere Vertreter der klassischen Völkerrechtslehre stellen das Phänomen, das heißt die Möglichkeit einer tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit im Zusammenhang mit Staaten per se in Abrede44. Dabei werden sowohl staatsrechtliche als auch ökonomische Begründungsansätze angeführt45. 40 Vgl. IMF, The Design of the Sovereign Debt Restructuring Mechanism. Die Gründe des bisherigen Scheiterns der Reforminitiative hat Christian Kellermann untersucht, Die Organisation des Washington Consensus, S. 209 ff. 41 Zur Frage der Verfahrensgerechtigkeit bei der Ausgestaltung eines Insolvenzrechts für Staaten, M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 156 ff. 42 Ch. Paulus, Staatliche Schuldenregulierung: Verfahren und mögliche Inhalte, 2002, S. 6, einzusehen unter http://www.druckversion.studien-von-zeitfragen.net/ Schuldenregulierung.pdf. 43 Zur Problematik der Insolvenz des Staates siehe C. Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: J. Isensee/P. Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 2007, S. 842 ff. 44 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Haftung des Bundes für die Verbindlichkeiten des Reiches und die Frage der „Bereinigung des Staatsbankrotts des Reiches“ im Jahr 1962 zwischen dem privaten Konkurs und dem
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Einmal seien Staaten „als genuine Völkerrechtssubjekte“ nicht in ihrem Fortbestand berührt46, sondern notfalls in der Lage, sich gegenüber privaten Gläubigern durch Gesetz einseitig zu entschulden47. Zum anderen sei das Vermögen des Staates grundsätzlich unbegrenzt48; denn er hat die Möglichkeit, sich im Rahmen seiner Hoheitsrechte Ressourcen zu beschaffen, indem er durch Gesetze – etwa Steuern, Abgaben, Enteignungen oder Verwertung der Aktiva eines Landes (zum Beispiel Bodenschätze) – das Vermögen seiner Staatsbankrott unterschieden und ausgesprochen, dass ein Staat, im Gegensatz zu privaten Schuldnern, nicht „konkursfähig“ (BVerfGE 15, 126 (141)) sei. Das allgemeine Konkursrecht sei „für einen Staatsbankrott weder gedacht noch geeignet“. BVerfGE 15, 126 (135). Das im Jahr 1999 reformierte Insolvenzrecht geht in § 11 InsO dagegen von der grundsätzlichen Insolvenzfähigkeit aller juristischen Personen aus, wobei weitreichende Ausnahmen bestehen (§ 12 InsO, dazu unten). Auch Christian Waldhoff geht von einer grundsätzlichen Insolvenzunfähigkeit des Staates aus: „Die Frage der Insolvenzfähigkeit des Staates und seiner Untergliederungen ist primär eine staatsrechtliche, keine insolvenzrechtliche Problemstellung.“. C. Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: J. Isensee/ P. Kirch hoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, S. 844. 45 „Staaten gehen nicht pleite!“ Alexander Szodruch spricht vom „Dogma der Insolvenzunfähigkeit des Staates“. Daher möge „es überraschen, dass der staatstheoretisch eigentlich undenkbare Fall der Staateninsolvenz keineswegs eine Seltenheit in der Geschichte“ sei. Die Geschichte des Staates sei „vielmehr von Krisen, also auch Finanzkrisen gekennzeichnet“ im Sinne eines „faktischen Phänomens“. A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 21 f. 46 Ebenda. 47 Sogenannte „Repudiation“-Praxis. Eine solche einseitige Zurückweisung der Zahlungsansprüche durch den Schuldnerstaat wurde auf der Kodifikationskonferenz des Völkerbundes im Jahr 1929 als ein völkerrechtswidriger Akt eingestuft. Siehe League of Nations, Conference for the Codification of International Law, Bases of Discussion, League of Nations, Questions Juridiques 1929, Bd. 3, 40. Heute finden sich diesbezügliche Regelungen in bilateralen Investitionsschutzabkommen. Deren „radikale Fortentwicklungen des internationalen Rechts“ bestehen darin, dass die materiellen Vorgaben „von den Gläubigern selbst und nicht lediglich durch deren Heimatstaaten auf internationaler Ebene geltend gemacht werden“. A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 88, 402 ff. 48 „Bis Ende der 80er Jahre galt die Doktrin, dass Länder nicht insolvent, sondern nur illiquide werden können.“ Staaten würden aus ihren Schulden „herauswachsen“. V. Ferraro/M. Rosser, Global Debt and Third World Development, in: M. Klare/D. Thomas (Hrsg.), World Security: Challenges for a New Century, 1994, S. 352 ff.; K. Raffer, Vor- und Nachteile eines Internationalen Insolvenzrechts, in: M. Dabrowski/R. Eschenburg/K. Gabriel (Hrsg.), Lösungsstrategien zur Überwindung der Internationalen Schuldenkrise, 2000, S. 220; Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) (Hg./2000): Internationale Insolvenzregelungen für Entwicklungsländer. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim BMZ, in: BMZ Spezial Nr. 014, S. 4 f.
C. Insolvenzverfahren als allgemeines Rechtsprinzip487
Bürger einzieht, das Volk also Konsumverzicht leistet49. Auch Thomas Piketty weist theoretisch darauf hin, dass ausweislich der „volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, wie sie in den verschiedenen europäischen Ländern erstellt werden, […] der Erlös aus dem Verkauf aller öffentlichen Gebäude, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Polizeiwachen, diverser Infrastrukturen etc. in etwa ausreichen [würde], die Staatsschulden zu begleichen“50. Im Übrigen können Staaten im Rahmen ihrer Währungshoheit durch ihre jeweilige Zentralbank unbegrenzt Geld schöpfen51. In der Literatur wird dagegen häufig an die Parallelen zur innerstaatlichen Insolvenzordnung52 erinnert und gefordert, die insolvenzrechtlichen Strukturen für eine völkerrechtliche Anwendbarkeit „fruchtbar“ zu machen53, weil sie „in nationalen Finanzmärkten als völlig selbstverständlich betrachtet werden“54. Gemäß § 17 Abs. 1 der deutschen Insolvenzordnung (InsO) ist der allgemeine Eröffnungsgrund des Insolvenzverfahrens die Zahlungsunfähigkeit 49 Dazu M. T. Gapen/D. F. Gray/C. H. Lim/Y. Xiao, Measuring and Analyzing Sovereign Risk with Contingent Claims, IMF WP, 2005; S. Müller-Eicker, Strategien zur Restrukturierung von Staatsverschuldung in Schwellenländern, S. 18. 50 T. Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, S. 739. 51 In diesem Sinne ging etwa auch die EU-Kommission bei ihrer EFIM-Subventions-Entscheidung aus dem Jahr 1993 noch davon aus, ein Staat verfüge „über unermessliche finanzielle Ressourcen“. Schatzbriefe und Staatsanleihen des Bundes sind daher als mündelsichere Anlagen im Katalog des § 1807 BGB aufgeführt (siehe auch § 212 EGBGB). Dieses Argument gilt freilich nur für den Fall, dass die staatliche Kapitalaufnahme in eigener Währung erfolgte. Insbesondere Schwellen- und Entwicklungsländer nehmen überwiegend Kapital in Fremdwährungen auf. N. Horn, Internationale Anleihen, 1972, S. 267; grundlegend zur Währungshoheit des Staates und zur historischen Entwicklung der Papiergeldtheorie M. North, Das Geld und seine Geschichte, 1994, S. 128 ff. Der Fall Russlands zeigt, dass auch Staaten, deren Verbindlichkeiten in eigener Währung geschuldet sind, grundsätzlich nicht vor Insolvenz bewahrt bleiben. Im Jahr 1998 erklärte Russland auch für seine auf Rubel-denominierten Papiere (GKOs) die Zahlungsunfähigkeit. Siehe zum IWF in der Russlandkrise K. Blöcker, Die rechtlichen Aspekte der Zusammenarbeit des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit der russischen Föderation. 52 Das Insolvenzprinzip ist vor allem vernunftrechtlich begründet; denn kein Kreditsystem kommt ohne eine Regelung des Falls aus, dass der Schuldner die Forderung seines Gläubigers nicht bedienen kann. Auch die Staatengemeinschaft hat ein Ordnungsinteresse an einer entsprechenden institutionellen Regelung. Die wesentlichen Strukturelemente sind noch darzustellen. 53 Dazu M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 131 f. 54 H. Dieter, Globalisierung ordnungspolitisch gestalten, Die internationale Finanzarchitektur nach den Finanzkrisen, 2003.
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oder nach § 18 InsO die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners55. Nach § 17 Abs. 2 InsO wird die Zahlungsunfähigkeit angenommen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Einen Insolvenzantrag kann nur der Schuldner, nicht aber der Gläubiger stellen56. Im Allgemeinen unterscheiden sich nationale Insolvenzordnungen unter anderem nach Art der Verbindlichkeit oder nach Art des Schuldners. Das Insolvenzverfahren regelt aber auch den Umgang mit Verbindlichkeiten von insolventen natürlichen Personen, bei denen die Auflösung des Rechtsträgers nicht in Betracht kommt, und stellt zum Ende des Verfahrens eine Restschuldbefreiung in Aussicht (§ 30 InsO)57. Ob der Rechtsträger abgewickelt wird („Abrechnung über die Vergangenheit“) oder fortbesteht („Schaffung einer Grundlage für die Zukunft“)58, ist eine Frage der Rechtsfolge. Die Regelungsproblematik der Zahlungsunfähigkeit von Staaten lässt sich aber nur begrenzt anhand der Grundsätze des innerstaatlichen Rechtsinstituts der Insolvenzordnung erfassen59; denn das Ausmaß staatlicher Verschuldung hat ungleich komplexere Wirkungen60 und staatliche Überschuldungskrisen sind strukturell in einem anderen Kontext verankert61. Entscheidend ist der 55 Wenn die Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Gläubigern höher sind als die zu erwartenden Einzahlungsüberschüsse. Mit der Vorverlegung des Zeitpunktes sollen die Chancen einer erfolgreichen Sanierung des angeschlagenen Schuldners verbessert werden. Dazu M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 131 f. 56 Damit soll vermieden werden, dass der Gläubiger mit der Stellung eines Insolvenzantrags Druck auf den Schuldner ausüben kann. M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/ Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 132. 57 Zur Aufnahme der Möglichkeit einer Restschuldbefreiung ohne Zustimmung der Gläubiger im Zuge der Reform des deutschen Insolvenzrechts siehe Thomas Lotz, Der Weg aus dem „Schuldturm“, rechtsvergleichende Überlegungen zur Ausgestaltung eines effektiven Insolvenzrechts für Privatpersonen, 1990, S. 128. 58 BVerfGE 15, 126 (63). 59 Es ist zu erwähnen, dass sich auch der IWF der Wichtigkeit einer funktionierenden Insolvenzordnung in den Krisenstaaten, in welchen er engagiert ist, insbesondere in Entwicklungsländern, bewusst ist. Dabei verweist er insbesondere auf den Disziplinierungseffekt und das Mehrheitsprinzip bei Umschuldungsentscheidungen. Siehe Ch. Paulus, Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, HFR 2002, S. 10. 60 Die Wirkungen äußern sich, wie dargelegt, insbesondere darin, dass der Schuldnerstaat genötigt wird, den Weisungen des IWF und der übrigen Gläubiger Folge zu leisten. Ähnlich wirken auch die Nötigungseffekte, mit welchen auf die Schuldnerstaaten eingewirkt werden soll. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang die „Nötigung vieler Schuldnerländer, zur Tilgung ihrer Schuldenlast ihre natürlichen Ressourcen in einer Art und Weise abzubauen, die – global gesehen – unökonomisch und irreversibel sind.“ – Ch. Paulus, Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, S. 2. 61 Vgl. Ch. Paulus, Staatliche Schuldenregulierung: Verfahren und mögliche Inhalte, S. 2.
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wesensgemäße Unterschied, dass Staaten bei Zahlungsunfähigkeit im Gegensatz zu juristischen Personen des Privatrechts62 nicht abgewickelt werden können. In der Regel ist die Rechtsfolge der Insolvenz die Auflösung des Rechtsträgers, das heißt der Kaufmann oder die juristische Person des Privatrechts verschwinden aus dem Geschäftsleben. Staaten aber führen „auch bei schlechter governance“ trotz Illiquidität oder Zahlungsunfähigkeit ihre Existenz fort63, einer Vollstreckung durch die Gläubiger sind durch die staatliche Existenz (und Hoheit) enge Grenzen gesetzt64. Die Insolvenzordnung knüpft 62 § 11 Abs. 1 InsO bestimmt, dass ein Insolvenzverfahren über das Vermögen jeder natürlichen und jeder juristischen Person eröffnet werden kann. Damit korrespondieren: § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktienG („Die Gesellschaft wird aufgelöst […]“), § 131 HGB, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbhG. 63 M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 31. Kerber diskutiert kritisch den von manchen Ökonomen erwogenen Ansatz „souveränitätsbrechender Sanktionen und Staatsliquidation“. Teilweise würde anhand der „Methodik neoklassischer Beweisführung“ gar erwogen, dass „infolge einer durch eklatantes Staatsversagen verursachten Staatsinsolvenz das gesamte Gemeinwesen verschwinden möge“. Die „Liquidierung eines Staates sei die einzig folgerichtige Sanktion von Staatsversagen“. Nach Auffassung von Kerber ließen die „internationalrechtlichen Grenzen […] ein repressiv-politisches Tätigwerden der Gläubigergemeinschaft gegen einen Schuldnerstaat bisher nicht zu“, ebenda, S. 86. Gleichwohl hält Kerber dies für „bedauerlich“ und fordert weitgehende Souveränitätseinschränkungen. Ein Land wie Argentinien etwa „das sich und die internationale Gemeinschaft schädigt, gehört unter Kuratel gerade auf jenen Gebieten, wo es versagt hat.“ Dornbuschs Forderung nach einer fünfjährigen Souveränitätssuspendierung sei daher „konsequent“. M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 86 ff. 64 Die Gläubiger können einen Staat zwar verklagen, haben aufgrund der absoluten staatlichen Immunität de jure aber kaum Vollstreckungssmöglichkeiten auf das Vermögen des Staates (Ausnahmen sind etwa Auslandsvermögen des Staates). Dazu E. Borchard, State Insolvency and Foreign Bondholders, 2007; F. Meili, Staatsbankrott und moderne Rechtswissenschaft, 1895, S. 65; Ph. Power, Sovereign Debt: The Rise of the Secondary Market and its Implications for Future Restructurings, S. 2727 ff. Das Bundesverfassungsgericht hat die Feststellung von Gläubigeransprüchen und ihre vollstreckungsrechtliche Durchsetzung in nicht-hoheitliches Vermögen des Schuldnerstaates als völkerrechtlich zulässig angesehen. BVerfGE 16, 27; BVerfGE 46, 342 (343, 380 ff.); zur Problematik der Immunität ausländischer Staaten vor deutschen Gerichten unter Berücksichtigung des Europäischen Übereinkommens zur Staatenimmunität: U. v. Schönfeld, Die Immunität ausländischer Staaten vor deutschen Gerichten, NJW 1986, S. 2980 ff. Insbesondere in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wurden Zahlungsklagen unter Verweis auf den Grundsatz par in parem non habet jurisdictionem zurückgewiesen. So etwa RGZ 62, 165 ff. Anglo-amerikanische Rechtsprechung bewahrte Schuldnerstaaten vor ausländischen Gläubigern, indem sie den Schuldnerstaaten bis weit nach Ende des Zweiten Weltkriegs absolute Immunität gewährte. Zur englischen Rechtsprechung L. Alexander, Three Essays on Sovereign Default and International Lending, 1987, S. 14; A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 83.
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auch an die Zahlungsunfähigkeit von privaten Schuldnern differenzierte Rechtsfolgen, welche gegenüber dem Staat nicht Platz greifen können. Deshalb ist die Frage, ob ein Staat überhaupt insolvenzfähig sein kann, im Grundsatz mit „nein“ zu beantworten. Die Zahlungsunfähigkeit ist eine Voraussetzungsalternative für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 17 Abs. 1 InsO) und als solche nicht mit der Insolvenzfähigkeit zu gleichzusetzen65. Die Zahlungsunfähigkeit des Staates richtet sich nach anderen Kriterien: Der Staat ist zahlungsunfähig, wenn die Rechtsordnung des Staates eine Zahlung nicht mehr zulässt, etwa weil er sonst die Renten nicht mehr bezahlen könnte. Der Begriff der „Insolvenzfähigkeit“, der nicht legal definiert ist, beschreibt allein die Insolvenzverfahrensfähigkeit, das heißt die allgemeine Fähigkeit, Schuldner in einem Insolvenzverfahren zu sein. Der Staat ist nach der deutschen Insolvenzordnung ausdrücklich nicht insolvenzfähig66; denn gemäß § 12 InsO ist es unzulässig, das Verfahren über das Vermögen des Staates zu eröffnen. Gleichwohl kann der Staat zahlungsunfähig werden, also in eine Situation geraten, in welcher er für seine Verbindlichkeiten nicht mehr aufkommen kann, weil er entweder über die „für eine Begleichung der Schulden entscheidende Leistungsfähigkeit“67 nicht mehr verfügt oder nicht mehr zu beIm Gegensatz zu dieser Ansicht, wurde die Emission von Staatsanleihen von anderen Gerichten teilweise als eine Handlung iure gestionis eingestuft, welche nicht der Immunität unterliege. So etwa für Italien: Storelli v. Governo della Repubblica franceses (Tribunale Civile, Roma 1924), abgedruckt in 26 Am. J. Int’l L. Supp. (1932), S. 604. Der Frage der Rechtsnatur der Transaktion, sowie der Frage nach dem anzuwendenden Rechtsrahmen ist die Problematik grundgelegt, dass der handelnde Staat als ein Subjekt des Völkerrechts „mit einem Subjekt des nationalen Rechts in eine rechtliche Verbindung tritt“, was zu „unüberwindbaren Einordnungsschwierigkeiten“ führen würde. A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 88. So schlugen etwa im Rechtsstreit um die Argentinienanleihen mehr als zwei Dutzend Versuche fehl, argentinisches Staatseigentum, wie das Präsidentenflugzeug, Botschafterresidenzen oder Zentralbankreserven zu pfänden. Siehe Argentinien-Anleihen droht neuer Zahlungsausfall, FAZ vom 27. November 2012 Nr. 277, S. 20. 65 Auf völkerrechtlicher Ebene habe der Begriff der Insolvenz zunächst keine rechtliche Bedeutung, sondern beschreibe eine tatsächliche finanzielle Situation des Schuldnerstaates. Siehe J. Kämmerer, Der Staatsbankrott aus völkerrechtlicher Sicht, ZaöRV 65, 2005, S. 651 f.; A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 65 ff. 66 Dazu Ch. Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: J. Isensee/P. Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, S. 844. 67 BVerfGE 15, 126. In jener Entscheidung zum Staatsbankrott hat das Bundesverfassungsgericht weiter ausgesprochen: „Das Reich befand sich in der Lage eines
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zahlen darf, weil er die vorhandenen Mittel nicht für die Gläubigerbefriedigung einzusetzen befugt ist68. Nur der Staat ist befugt, die eigene Zahlungsunfähigkeit festzustellen. Die staatliche Hoheit, seine Souveränität, ermöglicht es dem Staat, ein Schuldenmoratorium zu erklären, ausdrücklich oder konkludent, indem er seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedient. Die Erklärung eines Staates, dass er nicht mehr zahlungsfähig ist (Moratorium), wird bei Einstellung von Zahlungen fingiert. Die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit oder Einstellung der Zahlungen ist politisch relevant69 und drängt in der Folge auf eine wie auch immer zu gestaltende Restrukturierung der Staatsschulden. Markus Kerber hält ein Insolvenzrecht im Umgang mit zahlungsunfähigen Staaten für schlechterdings untauglich70, weil die Liquidation des souveränen Staates mit der „Eigenart der Souveränität unvereinbar“ sei71. Es liege in der Natur der Problematik, dass die Suspendierung von Staatsschulden „die Macht von Staaten und ihre Kräfteverhältnisse“ herausfordere72. Das Insolvenzverfahren stehe „unter dem Primat des Gläubigerwil ‚Staatsbankrotts‘; es war nicht nur vorübergehend zahlungsunfähig, sondern – wie schon im Parlamentarischen Rat ausgesprochen wurde – konkursreif.“ – BVerfGE 15, 126, Rn. 45. Weiter heißt es: „Anders als beim Konkurs eines privaten Schuldners ist bei der Bereinigung eines Staatsbankrotts die gesamte künftige Finanzwirtschaft und dadurch mittelbar die ganze künftige Staatspolitik mit im Spiele; im Vordergrund steht nicht die Abrechnung über die Vergangenheit, sondern die Schaffung einer Grundlage für die Zukunft. Dieses Prinzip der Sanierung lag schon der Währungsgesetzgebung zugrunde. Es findet sich allenthalben in der Geschichte der Staatsbankrotte und ist unvermeidlich, weil gesunde staatliche Finanzen die erste Voraussetzung für eine geordnete Entwicklung des ganzen sozialen und politischen Lebens sind. Hierin liegt der Grund für die „Konkursunfähigkeit“ des Staates.“ BVerfGE 15, 126, Rn. 63. Das Bundesverfassungsgericht stellt auf die „Maßgabe des Möglichen“ ab: „Der Gesetzgeber hat zu beachten, dass ihm demgemäß die Forderungen gegen das Reich als dem Grunde nach existent zur Berücksichtigung nach Maßgabe des Möglichen überwiesen sind. Nur mit dieser Maßgabe darf er die Befriedigung kürzen oder verweigern […] Entscheidend ist allein, dass der Schuldner in eine finanzielle Lage geraten war, die nur nach den Prinzipien der Behebung eines Staatsbankrotts bereinigt werden konnte.“ 68 Auf historische Parallelen und Vorläufer zu einem Insolvenzverfahren für Staaten verweisen etwa G. Lingelbach, Staatsfinanzen, Staatsverschuldung, Staatsbankrotte in der europäischen Staaten- und Rechtsgeschichte, 2000; K. Raffer, Vorund Nachteile eines Internationalen Insolvenzrechts, S. 221 ff. 69 Der Staat verletzt dabei häufig völkerrechtliche Verträge, insbesondere Investitionssicherheitsverträge. 70 M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 29 ff.; ähnlich Georg Schwarzenberger, der das Problem als „unlösbar“ bezeichnet, State Bankruptcy and International Law, 1988, S. 144. 71 M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 90. 72 Ebenda, S. 40.
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lens“73 und diene dazu, die Rechte der Gläubiger durch Ernennung eines Verwalters zu wahren74. Konkursgesetze setzten sich „nie über den Willen der Gläubiger hinweg“75. Sofern es nicht zur Gläubigerbefriedigung kommt, hätten es die Gläubiger notfalls „in der Hand, den Gemeinschuldner zu liquidieren“ und „ihre Forderungsrechte durchzusetzen“76. Das innerstaatliche Insolvenzrecht sei „die Reaktion der Rechtsordnung auf das Versagen von Marktteilnehmern“77. Nach Auffassung von Markus Kerber sei ein solches „Marktversagen“ auf internationaler Ebene nicht hinreichend erkennbar78. Eine rechtliche Intervention könne daher auch nicht überzeugend begründet werden79. So sei es zweifelhaft, ob es „besondere Umstände auf den Anleihemärkten gibt, die dazu veranlassen oder gar dazu zwingen, dass in bestimmten Notlagen ein Schuldnerstaat von sich aus die Leistung fälliger Zahlung (gegenüber ausländischen Gläubigern) legal verweigern kann“80. Kerber vermisst „eine empirisch unterlegte Umschreibung jenes Phänomens […], welches nach Meinung des IWF nicht von den Marktteilnehmern selbstregulierend gelöst werden könne und einer vom IWF im weitesten Sinne veranlasste ‚Behandlung‘ bedürfe“81. Den Umgang der staatlichen Zahlungsunfähigkeit im Inland hat grundsätzlich der Staat durch Gesetz zu regeln. Wie aber hat der Staat mit ausländischen Forderungen – etwa gegenüber ausländischen Banken, aber auch dem IWF oder dem ESM – zu verfahren? Insbesondere Staatsanleihen in ausländischer Währung sind nationalen Regelungen nicht zugänglich (Gerichtsstand 73 Ebenda, S. 31. Kerber hebt dabei auf die traditionelle Intention des Insolvenzrechts ab, welches vor allem die Befriedigung der Gläubiger im Blick hatte. Dazu M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 23 f., 128; L. Häsemeyer, Insolvenzrecht, 1998, S. 126 ff. (dort zur historischen Entwicklung des Insolvenzrechts). 74 So Markus C. Kerber mit Verweis auf die InsO, Souveränität und Konkurs, S. 30. Wo das Insolvenzrecht dem Schuldner Schutz bietet, geschehe dies zum Preis einer „Oberaufsicht eines Konkursgerichts, […] so dass in der Regel das Management durch einen Verwalter ersetzt wird oder nur noch unter Auflagen handeln kann.“ 75 Eine Insolvenzordnung könne „die Rangordnung der einzelnen Gläubigerrechte nicht einseitig zu Lasten einzelner Gläubiger oder Gläubigergruppen ändern“. M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 30. 76 Ebenda, S. 31. 77 Ch. Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, S. 842. 78 Der Verweis auf ein angebliches „Marktversagen“ ist zweifelhaft. Die Zahlungsunfähigkeit von Staaten ist kaum als Marktversagen zu identifizieren, zumal da die Institution Markt nicht in der Lage ist, die Materie zu regeln. 79 Ein Markteingriff durch Einführung eines Insolvenzverfahrens sei daher nicht legitim. M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 20 ff. 80 Ebenda, S. 20. 81 Ebenda, S. 21.
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ist regelmäßig New York). Die mangelhafte Restrukturierung der Auslandsschulden in Griechenland zeigt beispielhaft, dass die privaten Auslandsgläubiger die Risiken ihrer Investitionen nur zu einem kleinen Anteil tragen. Anstatt dessen finanziert die Europäische Zentralbank über Target-II-Salden und spekulative Käufe von Staatsanleihen das griechische Staatsdefizit, wobei das griechische Volk unter die funktionale Sequestration der Troika gestellt wird (siehe oben). Auf diesem Hintergrund kann man bedenken, ob sich nicht aus innerstaatlichen privatrechtlichen Insolvenzordnungen Prinzipien ableiten lassen, die auch für den Staat anwendbar sind; denn die oben aufgezeigten Interdependenzen zwischen Gläubigern und Schuldnern gelten nicht nur für eine innerstaatliche Rechtsordnung unter privaten natürlichen oder juristischen Personen, sondern lassen sich auch als universale Rechtsprinzipien auf zahlungsunfähige Staaten anwenden. Dem Insolvenzbegriff liegt das sogenannte „Common-Pool-Problem“ zugrunde. Darunter versteht man das Phänomen, dass die vorhandenen finanziellen Ressourcen nicht zur Befriedigung sämtlicher Gläubiger ausreichen82. Grundlage des Insolvenzprinzips und systembestimmend für dessen Materialisierung ist nicht die Rechtsnatur des zahlungsunfähigen Rechtsträgers, sondern der Umstand, dass eine Forderung nicht eingelöst („solviert“) werden kann. Zum Wesen des Kreditvertrags gehört die Möglichkeit, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit nicht erfüllen kann, allgemein gesprochen also die „Insolvenzhaftigkeit“83 von Verbindlichkeiten84. 82 Hier besteht die Ähnlichkeit zum Insolvenzrecht auf der Ebene des Privatrechts. Auch im privaten Insolvenzrecht ist die Ausgangslage ein Common-PoolProblem. Dazu K. Meessen, Die insolvenzrechtliche Option in der internationalen Schuldenkrise, ZfRVergl, 1990, S. 255 ff.; K. Raffer, Vor- und Nachteile eines Internationalen Insolvenzrechts, S. 226 ff. Das Common-Pool-Problem führt zu dem spieltheoretischen Phänomen des sogenannten „Gefangenendilemmas“ unter den Gläubigern, das heißt, dass die Interessen des Kollektivs den Interessen der einzelnen Beteiligten nicht entsprechen. Die vollständige Befriedigung eines Gläubigers führt dazu, dass andere Gläubiger dementsprechende Verluste auf ihre ursprünglichen Ansprüche hinzunehmen haben. Dazu B. Rasmussen, Behavioral Economics, The Economic Analysis of Bankruptcy Law and the Pricing of Credit, Vand. L. Rev. 51, 1998, S. 1680 ff. 83 Zum Begriff der „Insolvenzhaftigkeit“ siehe K. A. Schachtschneider, Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 107. 84 Lange Zeit war in der Rechtsprechung der Staaten umstritten, ob es sich bei der Emission von Staatsanleihen um einen hoheitlichen Akt handelt. In diesem Fall konnte eine Zuständigkeit von Gerichten außerhalb des Schuldnerstaates nicht begründet werden. Dazu N. Poiltis, Les emprunts d’état en droit international, 1894, S. 17. Insbesondere die deutsche Rechtsprechung ging dagegen davon aus, dass es sich bei der Emission von Staatsanleihen um Iure-gestionis-Akte handle und der
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II. Bedürfnis für ein Insolvenzverfahren Gute Gründe sprechen dafür, die Zahlungsunfähigkeit von Staaten im Rahmen des Völkerrechts zu regeln85. Zwar gibt es Verfahren der Praxis im Umgang mit zahlungsunfähigen Staaten, etwa im Rahmen des Pariser und des Londoner Clubs (siehe oben)86. Die Umschuldungsverhandlungen dort folgen bestimmten Mustern und in diesem Sinne kann man sogar von einer gewissen Verfahrenskontinuität sprechen87. Jedoch sind sie informell, also nicht rechtsförmig und es sind die Gläubiger, die dort ihre gemeinsamen Interessen organisieren, um überschuldete Staaten durch eine Konditionierung weiterer Kredite funktional zu sequestrieren. Die Ergebnisse lassen oft eine umfassende Neuordnung der staatlichen Verbindlichkeiten vermissen, besonders dann, wenn diese zu Lasten der Gläubiger gehen würde. Auch sind die Verhandlungen intransparent und beschränken sich regelmäßig auf ad-hocAnsätze88, welche die Modalitäten in jedem Einzelfall neu bestimmen89. Es Rechtsweg außerhalb der Gerichte des Schuldnerstaates offen war. Dazu H. Görz, Auswärtige Anleihen, 1926, S. 218 ff. Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit und Rechtsnatur einer Staatsanleihe (ob privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur; nach heutiger Rechtsauffassung unterliegen emittierte Staatsanleihen dem Privatrecht), sowie zur üblichen Emmissionstechnik am Primärmarkt über ein privates Bankenkonsortium siehe N. Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 64 (zur Emmissionstechnik 90 ff.). Früher wurden Staatsanleihen teilweise als bloße Ehrenschulden („engagements of honour“) betrachtet: Twycross v. Dreyfus, [1874–1880] All E.R. 133 (App. Ct.); N. Poiltis, Les emprunts d’état en droit international, S. 16.; A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 80 ff. 85 Siehe Ch. Paulus, Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, in: Die Verschuldung ärmster Entwicklungsländer aus ethischer Sicht, in: M. Dabrowski/A. Fisch/ K. Gabriel/Ch. Lienkam (Hrsg.), Die Diskussion um ein Insolvenzrecht für Staaten. Bewertungen eines Lösungsvorschlages zur Überwindung der Internationalen Schuldenkrise, 2003, S. 237 ff. 86 Europa etwa praktiziere mit dem ESM „heute schon ein Insolvenzverfahren“, welches die privaten Investoren verschone und „den Steuerzahlern alle Lasten des faktischen Schuldenerlasses“ aufbürde. C. Fuest/F. Heinemann/Ch. Schröder, FAZ vom 18. Juli 2014, Nr. 164, S. 16, Geregelt in die Staats-Insolvenz. 87 So auch Anne O. Krueger zu den Praktiken des Londoner Clubs: „In the 1980s, restructuring sovereign debt was a protracted but generally orderly process“. A. Krueger, A Financial Architecture for 2002, einzusehen unter https://www.imf.org/ external/np/speeches/2001/112601.htm. 88 Clemens Fuest, Friedrich Heinemann und Christoph Schröder sprechen von „ungeregelte[n] Ad-hoc-Umschuldungen“, FAZ vom 18. Juli 2014, Nr. 164, S. 16, Geregelt in die Staats-Insolvenz; Ch. Paulus, Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, S. 3. 89 Auch Christoph Paulus sieht die Problematik, dass es sich beim Pariser und Londoner Club in der Hauptsache um eine Gläubigerorganisation handelt, der es an Transparenz fehlt. Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, S. 3 ff.
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fehlt an einem verbindlichen Regelungssystem und damit an einem willkürbeschränkenden Rechtssystem, welches Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit garantiert90. 1. Empirische Gründe Das Verhältnis zwischen Schuldnerstaat und Gläubigern hat sich in den letzten Jahren gewandelt, heute ist es ein völlig anderes als selbst noch im zwanzigsten Jahrhundert. Vor hundert Jahren konnte sich ein Staat eigenmächtig entschulden, wenn er sich auf seine Zahlungsunfähigkeit berief, und davon wurde ausgiebig Gebrauch gemacht91. Lange Zeit galt der Staatsbankrott sogar „als selbstverständlicher Weg für den Staat, sich seiner Schuldenlast zu entledigen“92. Dann hatten die Gläubiger meist das Nachsehen93; denn auf Grund der Souveränität des Schuldnerstaates ließen sich ihre Forderungen nicht vollstrecken und in der Blütezeit des Imperialismus griffen sie dann immer wieder zur „Kanonenbootpolitik“94, um ihre Forderungen militärisch einzutreiben. 90 Skeptisch, ob ein Insolvenzverfahren dies würde leisten können, äußert sich Thomas Piketty. Er hält einen Schuldenschnitt „ohne Finanzkataster“ angesichts des eklatanten Riskios „einer Bankenpanik und einer Welle von Insolvenzen“ für „Glücksspiel“ und plädiert stattdessen für eine fiskalische Lösung in Form einer „außerordentlichen Steuer auf Privatkapital“. Das Kapital im 21. Jahrhundert, S. 741. 91 Eine „Welle der Staatsinsolvenzen“ begann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit den nach Unabhängigkeit strebenden Ländern Südamerikas, aber auch Griechenland, Ägypten und das Osmanische Reich waren prominente Staaten, welche die Zahlungsunfähigkeit erklärten. Dazu A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger; W. Scott, Repudiation of State Debts, 2008. 92 A. Smith, Inquiry into the Nature and the Causes of the Wealth of Nations, 5. Buch, 3. Kapitel; Beispiele von Staatsbankrott bei F. Engelsing, Zahlungsunfähigkeit von Kommunen und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, 1999, S. 157. 93 Zur Vollstreckungsfrage H. Görtz, Auswärtige Anleihen, 1926, S. 260; zur erweiterten Problematik der Rechtsdurchsetzung siehe auch Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 2 Rdn. 40; zur Vollstreckung im Rahmen des Exequaturverfahrens (Anerkennung eines ausländischen Zahlungstitels), dem in der Regel der ordre-public-Vorbehalt entgegengehalten wird, A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 401. 94 Die Seemächte setzten häufig die Kriegsmarine zur Beitreibung von Forderungen ein, zum Beispiel die Gläubigerstaaten Deutschland und England im Verlauf der Venezuela-Krise, welche die sogenannte Drago-Porter-Konvention auslöste. Das Land hatte zuvor (in den Jahren 1899 und 1902) den Schuldendienst Venezuelas für eingestellt erklärt. Dazu W. Benedek, Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, in: R. Bernhardt (Hrsg.), EPIL Bd. I, 1997, S. 1102 ff. Zum Fall Mexikos, das ebenfalls militärisch zur Rückzahlung seiner Schulden durch britische, französische und spanische Truppen bewegt werden sollte, siehe W. Wynne, State Insolvency and
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Der globale Wandel staatlicher Schuldenpolitik bezieht sich auch auf die Gläubigerstruktur und die formale Ausgestaltung der Verbindlichkeiten95. Staaten finanzierten sich früher überwiegend durch bilaterale Kredite, etwa Konsortialkredite. Die größte Gläubigergruppe war – zumal in der Vorkriegszeit96 – eine überschaubare Anzahl von Geschäftsbanken97. Seit Beginn Foreign Bondholder, 1951, S. 25. Die „Corporation of Foreign Bondholders“ (CFB, siehe oben) übernahm im Rahmen der von ihr geführten Umschuldungsgespräche in einigen Fällen Ländereien und Teile der staatlichen Eisenbahn (etwa in Alabama, Peru oder Paraguay), um die Gläubiger für ausstehende Verbindlichkeiten möglichst schadlos zu halten. Dazu P. Mauro/Y. Yafeh, Corporation of Foreign Bondholders, S. 24. 95 „The face of the sovereign debt market has changed dramatically“ – R. Silverman/M. Deveno, Distressed Sovereign Debt: A Creditor’s Perspective, Am. Bankr. Inst. L. Rev., 2003, S. 183; A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 101 ff. 96 M. Bordo/B. Eichengreen/J. Kim, Was There Really an Earlier Period of International Financial Integration Comparable to Today?, NBER Nr. 6738, September 1998, S. 2. 97 Bereits in der Zeit vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs erreichten die wirtschaftliche Integration und ebenso die internationalen Kapitalflüsse einen ersten Höhepunkt, deren Ausmaß erst in den Neunziger Jahren zu vergleichbaren Größenordnungen gelangte. M. Wilkins, in: M. Flandreau/C.-L. Holtfrerich/H. James, International Financial History in the Twentieth Century, 2010, S. 53. Dennoch war die Anleihenstruktur deutlich weniger komplex. Mauro und Yafeh belegen, dass das russische Zarenreich als damals bedeutendster Schuldner nur 23 ausstehende Anleihetranchen hatte. P. Maure/Y. Yafeh, Corporation of Foreign Bondholders, S. 8 f. Bis in die achtziger Jahre erfolgte die Finanzierung im Wesentlichen durch Bankkredite (in den Schwellenländern durch sogenannte Konsortialkredite, zu Entwicklung und Bedeutung siehe A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 60 f., 88 f.). Die Schwellenländer finanzierten sich meist durch Entwicklungskredite von entwickelten Staaten und durch Kredite von Organisationen wie dem IWF und der Weltbankgruppe. Dazu J. Miller, Solving the Latin American Sovereign Debt Crisis, J. Int’l Econ. L., 2001, S. 679. Über das Schicksal der Verbindlichkeiten und den Umgang mit den Schuldnerstaaten in Krisenfällen wurde innerhalb des Londoner Clubs verhandelt und entschieden (siehe oben). Zur Entwicklung eines „neuartigen Verschuldungsproblems“ und dem begleitenden „Reformdiskurs“ innerhalb des IWF siehe Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 210. Bis zur Gründung der Bretton-Woods-Institutionen erfolgte die Finanzierung fast ausschließlich über zwischenstaatliche Darlehen. Dazu H. Hahn, Völkerrechtliche Darlehens- und Garantieabkommen, in FS für I. Seidl- Hohenveldern, 1988. Seit den neunziger Jahren haben sich der IWF und die Weltbank mit der Einführung ihrer Strukturanpassungsprogramme immer stärker im Schuldenmanagement engagiert. Dazu W. Eberlei/B. Unmüßig/P. Wahl, Schuldenreport 1999: Auswege aus der Schuldenkrise der Entwicklungsländer, WEED, 2000, S. 11, zitiert in: Ch. Ermrich, Die Zahlungsunfähigkeit von Staaten: Ein Problem der Staatenverantwortlichkeit und des Entwicklungsvölkerrechts sowie der Kontrollmechanismen des IWF, S. 30.
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der neunziger Jahre wurde sie von Investoren am internationalen Kapitalmarkt abgelöst, dominiert von wenigen internationalen Banken und anderen Finanzdienstleistern (financial institutions)98. Dies gilt besonders für die Entwicklungs- und Schwellenländer (Emerging Markets): So betrug beispielsweise im Jahr 1999 die Verschuldung Mexikos gegenüber ausländischen Banken 13,8 % des BIP, in Russland waren es 22,7 % und in Indonesien sogar 34,9 %99. Darüber hinaus sind inzwischen ganz neue Varianten der Staatsverschuldung entstanden, gekennzeichnet durch „Dezentralisierung, Heterogenisierung und Anonymisierung der Gläubigerstruktur“100. Nicht zuletzt schuf die fortschreitende Digitalisierung neue Möglichkeiten für ein globales staatliches Finanzmanagement101, begünstigt durch elektronischen Börsenhandel und neue Finanzmarktinstrumente wie Verbriefungen und Derivate102 mit „hoher Transaktionsfrequenz“103 und Fungibilität104, wobei sich nicht selten Hedgefonds als die Inhaber der Forderungen herausstellen. All dies hat das Verschuldungsprofil der Staaten grundlegend verändert und die Verschuldungsproblematik massiv verschärft. Wegen der Vielzahl der Gläubiger und der „zunehmenden Diversität der Verschuldungsinstrumente“ wurde die Koordinierung der Gläubiger schwieriger105 und der Umgang mit nicht bedienten Staatsschulden für alle Seiten unvorhersehbar106. Während die Kreditaufnahme über die internationalen Finanzmärkte (durch Schuldverschreibungen, das heißt zum Handel an Sekundärmärkten bestimmte Anleihen) der übliche Finanzierungsweg der Industrie- und Schwellenländer ist, erfolgt der überwiegende Teil der Kreditaufnahme in Entwicklungsländern, neben der Finanzierung durch Internationale Organisationen, über direkte Darlehen privater Banken. In den Entwicklungsländern sind es heute vor allem Kredite der internationalen Organisationen, insbesondere des IWF, der Weltbank und der regionalen Entwicklungsbanken, die kreditsuchenden Staaten finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. 98 A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 101. 99 Ebenda, S. 8. 100 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 210. 101 Begünstigt durch die digitale Entwicklung hat der Schuldenmechanismus seit den achtziger Jahren den Inflationsmechanismus als globales Phänomen abgelöst. 102 Zur Problematik von Verbriefungen vgl. M. Demary/T. Schuster, Die Neuordnung der Finanzmärkte, 2013, S. 37 ff. und insbesondere im Zusammenhang mit der Transparenz verbriefter Wertpapiere S. 42 f. 103 T. Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, S. 741. 104 A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 49. 105 M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 15. 106 Anschauliches Beispiel ist die Zahlungseinstellung Argentiniens im Jahr 2001/2002. Sie betraf 150 verschiedene Tranchen von Teilschuldverschreibungen, emittiert unter acht verschiedenen Jurisdiktionen in sechs verschiedenen Währungen. Die Schuldverschreibungen wurden (teilweise bis heute) von mehreren hunderttausend Gläubigern gehalten. A. Gelpern, What Bond Markets Can Learn from Argentina, Int’l Fin. L. Rev., Nr. 4, 2005, S. 19 ff. Alexander Szodruch weist in diesem
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2. Exkurs: Problematik verbindlicher Beschlussfähigkeit der Gläubiger (Collective Action Problem) Bei Umschuldungsverhandlungen mit privaten Gläubigern kann schon die Beschlussfassung ein Problem darstellen, wenn die Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners droht. Die Inhaber von Staatsanleihen sind dann oft nicht bereit, Beschlüssen zuzustimmen, die für alle Gläubiger verbindlich sind,107 da für jeden einzelnen der Anreiz besteht, „die anderen verzichten zu lassen und seine eigene Forderung gegenüber einem – wegen des Verzichts der anderen sanierten – Schuldner vollständig durchzusetzen“ (sogenannte „holdout-Strategie“)108. Solche Gläubiger können Sperrminoritäten bilden und berufen sich dann auf die Verpflichtung des Anleiheschuldners zur GleichbeZusammenhang auf die allgemeine Problematik einer „Mehrebenensituation“ von Auslandsschulden hin. In einer Vielzahl der Fälle trete – neben die nationale Rechtsordnung des betroffenen Schuldnerstaates – auch das Internationale Finanzrecht (z. B. IWF-Recht nach Art. V Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen) sowie die Rechtsordnung eines Staates, der nicht an der Transaktion beteiligt ist, der nationalen Rechtsordnung bei. Exemplarisch verweist er auf die Regelungen des deutschen Verbraucherschutzrechts, „welche die Verhaltensweisen der Akteure am Markt für Staatsschulden maßgeblich beeinflussen“. Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 32 ff., 46 – dort zur schwierigen Differenzierung des Begriffs der Auslandsschuld, S. 46; siehe zu den am häufigsten gewählten Rechtsordnungen (im Jahr 2005: 63 Prozent New Yorker Recht, 29 Prozent englisches Recht): IWF, Progress Report on Crisis Resolution vom 21. September 2005, S. 15; zur rechtlichen Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Gläubigern L. Leyendecker, Auslandsverschuldung und Völkerrecht, S. 24 ff. 107 Siehe zu der Collective-action-Problematik; G. Seitz, Umschulungsklauseln (Collective Action Clauses) in Staatsanleihen des europäischen Währungsraumes, 2014; J. Sachs, Managing the LDC Debt Crisis, 1986, S. 418. 108 Siehe auch FAZ vom 29. Oktober 2010, Deutschland versäumt ersten Schritt zur Umschuldungsordnung für Staaten; der Anreiz, sich einer Umschuldung zu verweigern, ist mit dem jüngsten Urteil im Rechtsstreit um notleidende Anleiheschulden Argentiniens erhöht worden. So hat das zuständige Berufungsgericht in New York – vorbehaltlich einer Revision – entschieden, die in vielen Anleihen verwendete PariPassu-Klausel neu auszulegen. Danach sind gleichartige Forderungen gleich zu behandeln. Nach Ansicht des Gerichts seien die Forderungen der Holdouts gleichrangig mit den Forderungen der Umschuldungsanleihen mit der Folge, dass die Zahlungen, die von der Bank of New York als Treuhänder für die Inhaber der Umschuldungsanleihen verwaltet werden (fast sämtliche Schuldenzahlungen an ausländische Gläubiger werden über den Finanzplatz New York abgewickelt), gegenüber beiden Gläubigergruppen zu erfüllen sind. Das Urteil verbietet jede Schuldzahlung, solange Argentinien nicht gleichzeitig die alten Forderungen bedient. Siehe FAZ vom 27. November 2012, Nr. 277, S. 20, Argentinien-Anleihen droht neuer Zahlungsausfall; FAZ vom 30. November 2012, Nr. 280, Teilerfolg für Argentinien vor Berufungsgericht, S. 23; zu den vertraglichen Klauseln zur Gläubigergleichbehandlung, namentlich Cross-Default-Klauseln, Pari-Passu-Klauseln, Sharing-Klauseln und Negativerklärung, siehe A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 168 ff.
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handlung aller Anleiheforderungen109. Besonders trifft dies auf Hedgefonds zu110, weil diese befürchten müssen, anschließend von ihren Anlegern in Regress genommen zu werden111. Im gleichen Zusammenhang sind auch Kreditausfallversicherungen (CDS) bedeutsam, mit welchen viele, insbesondere institutionelle Anleger, ihre Forderungen absichern. Weil die Versicherungen nur bei einem Zahlungsausfall, also einem Kreditereignis gemäß der CDS-Kontrakte fällig werden, stellen sich die Anleger häufig einer freiwilligen Umschuldung entgegen112. Bereits im Jahr 2002 hat der IWF seine Mitglieder aufgefordert, sogenannte „Collective Action Clauses“ in ihre Anleihebedingungen aufzunehmen113. Dies eröffnet den Gläubigern auf Gläubigerversammlungen die Möglichkeit, im Falle drohender Zahlungsunfähigkeit einen Teilverzicht auf Zins und Tilgung verbindlich zu beschließen114. Für eine Umschuldung hilf109 Häufig enthalten die Bonds eine sogenannte RUFO-Klausel („Rights Upon Future Offers“), welche grundsätzlich alle Gläubiger berechtigt, dieselbe Rückzahlung des Nominalwerts der Bonds einzufordern. 110 Der Hedgefonds NML Capital Ltd. hatte Argentinien-Anleihen zu Ramschpreisen gekauft und für 1,33 Milliarden Dollar vor einem New Yorker Gericht durchgesetzt, FAZ vom 27. November 2012 Nr. 277, S. 20, Argentinien-Anleihen droht neuer Zahlungsausfall. Ein weiteres erfolgreiches und prominentes Beispiel einer hold-out-Strategie war die Strategie der Investoren Pravin Bankers und Elliott Associates in der Schuldenkrise von Peru, in welcher die Investoren 1990 peruanische notleidende Bankkredite aufkauften und sich der sogenannten „Brady-Umschuldung“ verweigerten. Vor einem amerikanischen Gericht wurden ihnen das Recht zur vollen Tilgung nebst Zinsen und Schadensersatz zugesprochen, weil Gläubiger „im Fall einer freiwilligen Umschuldung, an der sie nicht teilnehmen, volle Rückzahlung erwarten“ könnten. Siehe FAZ vom 13. Januar 2012, Mit kühler Berechnung und Anwälten zum Ziel. Vgl. zur rechtlichen Problematik Ch. Tietje, Die Argentinien-Krise aus rechtlicher Sicht: Staatsanleihen und Staateninsolvenz, 2005; Bickel, Matthias, Die Argentinien-Krise aus ökonomischer Sicht: Herausforderungen an Finanzsystem und Kapitalmarkt, in: Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 38, März 2005. 111 So zum Beispiel bei der Umschuldungsvereinbarung mit Griechenland, vgl. FAZ vom 8. März 2012, Zwangsumschuldung Griechenlands wahrscheinlich. 112 Siehe zu dieser Frage den Aufsatz von Mitu Gulati und Jeromin Zettelmeyer (Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung), wonach die Privatanleger und Hedgefonds unter zwei Bedingungen von der Teilnahme an dem Schuldentausch überzeugt werden könnten. Erstens „müsse das Risiko einer mittelfristig zweiten Umschuldung Griechenlands ausreichend hoch sein. Zum anderen müssen die Anleger davon ausgehen, dass diese Restrukturierung nicht mehr freiwillig sein werde.“ FAZ vom 3. Januar 2012, Griechenland kann Gläubiger zur Teilnahme zwingen. 113 Ebenda. 114 Solche „Collective Action Clauses“ erlauben es, mit einer Mehrheitsentscheidung von 66 oder 75 Prozent der Gläubiger eine Umschuldung zwingend für alle Gläubiger festzulegen und sie sind vor allem bei Dollar-Anleihen üblich. Innerhalb der Europäischen Union werden sie nur von Dänemark, Luxemburg und Großbritan-
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reich sind diese allerdings nur, wenn sie nach nationalem und nicht nach internationalem Recht vereinbart sind. Das Beispiel Griechenlands hat gezeigt, dass Gläubiger von Anleihen, die nach internationalem Recht vergeben werden, nur schwer zum Umtausch bewegt werden können, weil „bei dieser Anleihekategorie über jede Anleihe einzeln abgestimmt werden muss“ und es den Gläubigern – zum Beispiel Hedgefonds – damit leichter fällt, Sperrminoritäten zu bilden115. Insgesamt lässt sich beobachten, dass die Akteure des internationalen Kapitalmarktes, wie Großbanken (insbesondere repräsentiert durch den der Londoner Club), Ratingagenturen, Hedgefonds und nicht zuletzt der IWF zunehmend Einfluss auf Umschuldungsverhandlungen gewinnen. Einzelne private Gläubiger können ihre Forderungen allein zwar nicht beitreiben, als Gläubigergruppe und insbesondere mit Hilfe des IWF aber massiven Druck auf den Schuldnerstaat ausüben, wie das Beispiel Griechenland gezeigt hat. Insbesondere hat die Kapitalverkehrsliberalisierung die Abhängigkeit der Staaten vom Finanzmarkt und seinen anonymen Investoren auf bedenkliche Weise vergrößert, dies zumal, da der Staat für die Bedienung seiner Verbindlichkeiten Devisen benötigt, die im Falle einer Staatskrise nicht erwirtschaftet werden116. nien verwendet. In Deutschland ist zwar am 31. Juli 2009 das Schuldverschreibungsgesetz in Kraft getreten, welches eine kollektive Bindung erlaubt. Gläubiger können mit einer Mehrheit von 75 Prozent der teilnehmenden Stimmrechte über Fälligkeit, Zinsen und Teilverzichte beschließen. Dieser Beschluss ist für alle Gläubiger verbindlich. Das Schuldverschreibungsgesetz findet aber keine Anwendung auf Staatsanleihen. Ch. Ohler, zitiert in FAZ vom 29. Oktober 2010, Deutschland versäumt ersten Schritt zur Umschuldungsordnung von Staaten. 115 FAZ vom 8. März 2012, Zwangsumschuldung Griechenlands wahrscheinlich. 116 Zur Definition und Problematik von Auslandsschulden (external debt) vgl. H. Ballreich, Auslandsschulden, in: K. Strupp/H.-J. Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 1, 1960, S. 110 f. Entscheidende Bedeutung für die Schuldenlast kommt der Währung zu, in welcher die Verbindlichkeiten zu bedienen sind, je nachdem, ob sich der Staat in inländischer oder ausländischer Währung verschuldet hat. In der Regel muss der Staat die Zins- und Tilgungszahlungen bei einer Kreditaufnahme in der (vertraglich vereinbarten) ausländischen Währung, meist Hartwährungen wie US-Dollar oder Euro, leisten, und diese müssen zuvor durch Exportüberschüsse erwirtschaftet worden sein. Exportschwache Staaten, zumal Entwicklungsländer, sind bei der Bedienung des Schuldendienstes häufig auf eine erneute Verschuldung im Ausland angewiesen (sogenanntes roll-over, dazu näher: Ch. Ermrich, Die Zahlungsunfähigkeit von Staaten, S. 30.). Unter diesen Umständen gelangt der Staat in eine Kreditspirale. Insbesondere Entwicklungsländern stehen häufig keine eigenen Kapitalmärkte zur Verfügung, um den Staat mit einheimischem Kapital versorgen zu können. In Ermangelung eigener Kapitalmärkte haben diese Staaten fast nur die Möglichkeit, die internationalen Kapitalmärkte in Anspruch zu nehmen. Vgl. L. Leyendecker, Auslandsverschuldung und Völkerrecht, S. 3.
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Alexander Szodruch weist darauf hin, dass es spätestens mit Ausbruch der Asienkrise in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre deutlich geworden war, „dass Krisen an Finanzmärkten auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Potential besitzen, wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den betroffenen Staaten und weit darüber hinaus nachhaltig zu stören“117. Insbesondere hätten sich die Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank als „nicht tauglich“ erwiesen, „derartige Krisensituationen zu verhindern oder sie nach ihrem Eintritt effektiv aufzulösen“118. Dies galt nicht nur für die Asienkrise im Jahr 1997119, sondern auch und sogar noch mehr im Zusammenhang mit dem Versagen des Interbankenmarktes nach der Lehman-Insolvenz am 15. September 2008, als das fragile Netzwerk zwischen den Finanzmarktakteuren brüchig wurde und selbst Staaten, die bis dahin als solide gegolten hatten, wie beispielsweise Irland, in Finanzkrisen stürzten, so dass die Hypothese informationseffizienter Märkte und eines transparenten Marktgeschehens120 nachhaltig erschüttert wurde. James Tobin hat die hohe Verschuldung als die „Achillesferse des Kapitalismus“ bezeichnet121. Das Marktversagen, welches die Überschuldung eines Staates überhaupt erst zulasse, sei durch die Marktteilnehmer nicht selbstre117 A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 22. Die Globalisierung der Finanzmärkte habe „fast notwendigerweise, auch die Globalisierung von Finanzkrisen nach sich gezogen“ (S. 23). Ein Versagen der Märkte ist nicht nur in seinen Wirkungen, wie Überschuldungen und Finanzkrisen zu beobachten, sondern auch an mannigfaltigen Phänomenen, etwa der Moral-Hazard-Problematik (Teil 2, C. III.), wobei die Kausalitäten zwischen Ursachen und Wirkung im Einzelnen freilich nicht nachzuweisen sind. 118 A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 22. 119 Die „potentielle Dimension von Finanzkrisen in Zeiten globaler Finanzmärkte“ – insbesondere die Ansteckungseffekte (contagion) und Interdependenzen der Weltwirtschaft – sei in der Asienkrise deutlich geworden. Alexander Szodruch verweist beispielhaft auf den Zusammenbruch des US-Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) in Folge der Zahlungseinstellung Russlands“ im Jahr 1998, Staateninsolvenz und private Gläubiger: Rechtsprobleme des Private Sector Involvement bei staatlichen Finanzkrisen im 21. Jahrhundert, S. 23. 120 Staatsverschuldung ist auch ein Marktphänomen. Insbesondere die Anleihemärkte sind durch „Risikoignoranz […], Kurzsichtigkeit und Kurzfristigkeit“ geprägt (P. Steinbrück, FAZ vom 24. Mai 2012, Unpolitisch aufs Scheitern fixiert.) Der Ausbruch der Eurokrise beruhte insbesondere auch auf der Fehleinschätzung der Märkte im Zeitraum zwischen den Jahren 1999 bis 2007; denn „der Fortfall des Wechselkursrisikos bedeutet eine Egalisierung der Bonität aller Staatsschulden im Euroraum“. T. Sarrazin, FAZ vom 17. Juli 2012, S. 25, Geburtsfehler Maastricht; dazu vertiefend K. A. Schachtschneider, Euro – der Rechtsbruch, in: W. Hankel/W. Nölling/K. A. Schachtschneider/J. Starbatty, Die Euro-Illusion. Ist Europa noch zu retten? 2001, S. 25 ff. 121 J. Tobin, Review of ‚Stabilizing an Unstable Economy‘ by Hyman P. Minsky, 1989, S. 105 ff.
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gulierend lösbar122. Staatsanleihen aus den Industrienationen haben die „größte Spekulationsblase der vergangenen 60 Jahre“ mitverursacht123. So hat sich gezeigt, dass der Markt allein nicht imstande ist, einen Interessenausgleich herbeizuführen, der neben ökonomischen auch politischen und sozialen Erfordernissen gerecht wird. Regelmäßig werden die toxischen Verbindlichkeiten so lange weiter fortgeschleppt, bis die Verluste schließlich – meist nach Ausbruch von Wirtschafts- und Finanzkrisen – innerhalb des Finanzsystems realisiert werden124. Dieser Mechanismus hat nicht zuletzt auch haftungsrechtliche Gründe: Die Zustimmung zu entlastenden Maßnahmen, etwa einem Schuldenschnitt, Zinserlass oder Verlängerung der Kreditlaufzeiten hätte für die Banken erhebliche Abschreibungen und Wertberichtigungen auf ihre Bestände – etwa an griechischen Staatsanleihen125 – zur Folge, welche die Bilanzen der beteiligten Banken regelmäßig massiv belasten würden126. Grundsätzlich müssen die Vorstände der beteiligten Bankhäuser die Realisierung von Verlusten gegenüber ihren Aktionären verantworten. Sie sind daher schon aus aktienrechtlichen Gründen verpflichtet, auf Maßnahmen zur Verbesserung der Rückzahlungswahrscheinlichkeit und zur Verhinderung eines Zahlungsausfalls hinzuwirken, um keine persönliche Haftung auszulösen127. 122 Eine andere Ansicht vertritt Markus Kerber, der eine vertragsgestaltende Selbstregulierung über das Instrument der sogenannten „collective action clauses“ (CAC) für vorzugswürdig hält, Souveränität und Konkurs, 2005. 123 FAZ vom 16. Februar 2012, „Staatsanleihen sind die größte Spekulationsblase“. 124 Die Aussicht der Investoren auf Rückzahlung der Kredite wird optimiert, je strenger das Konditionalitätsprogramm inhaltlich gegenüber Griechenland ist und je effektiver es durchgesetzt werden kann. Ähnlich argumentiert auch Mervyn King, damals Gouverneur der Bank von England, der die abwartende Politik in der Eurokrise darauf zurückführt, dass die Verluste möglichst nicht auf Seiten der Gläubiger abgeschrieben werden sollen. Die Gläubiger seien zu einem Forderungsverzicht regelmäßig nur solange bereit, bis der Staat wieder in der Lage ist, dem Schuldendienst nachzukommen. M. King, FAZ vom 16. Juni 2012, Streit in EZB über Notfallplan für Griechenland. 125 Forderung nach öffentlichen Bail-out-Programmen: Der Weltbankenverband Institute of International Finance (IIF) fordert umfangreiche Finanzhilfen für Griechenland, um das Wachstum anzukurbeln. Der Verband befürwortet eine strenge Konditionalität der Kredite, das heißt die Verpflichtung auf Haushalts- und Strukturreformen. Siehe FAZ vom 16. Juni 2012, Weltbankenverband fordert neue Finanzhilfen. 126 FAZ Online vom 15. April 2011, Markt erwartet Laufzeitverlängerung. 127 So forderte der Internationale Bankenverband (IIF) die Regierungen im Euroraum regelmäßig auf, die fiskalischen Lasten gemeinsam anzugehen und die „finanzielle Brandmauer aufzustocken“. In einem Brief an den Lenkungsausschuss des IWF im April 2012 warb der IIF für eine signifikante Ausweitung der Finanzmittel des IWF und des Rettungsfonds ESM. Demzufolge setzte sich der Internationale Banken-
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Auch der wachsende Markt für Kreditausfallversicherungen (CDS) weist darauf hin, dass das Kaufverhalten der Anleger kaum von rationalen Risikoerwägungen getragen wird. Die Bonitätsbewertungen der Ratingagenturen und die Risikoaufschläge („spreads“) auf Staatsanleihen geben das tatsächliche Ausfallrisiko der Staaten nur unzureichend wieder128. „Im Falle Griechenlands wurde zum Beispiel deutlich, dass es bei der Bonitätsbewertung von Staaten nicht nur um die Ermittlung und Bewertung von wirtschaftlichen Risiken, sondern größtenteils um die Abschätzung politischer Risiken verband auch für gemeinsame Euro-Anleihen ein: Dem Euroraum müßten hinreichende Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden, um seinen Mitgliedern beistehen zu können. Mittel- bis langfristig sei die Verschuldungskrise im Euroraum nur zu stabilisieren, „wenn die Eurostaaten die fiskalischen Lasten gemeinsam schulterten und sich in Richtung einer zentralen Fiskalhoheit bewegten“. Siehe FAZ vom 10. April 2012, Bankenverband fordert mehr Geld. 128 „Die Schwankungen von Preisen, Kursen und Zinssätzen nehmen drastisch zu. Am solchermaßen fragilen Finanzmarkt verstärkt diese Unsicherheit wiederum das Wachstum von Finanzderivaten. Diese werden genutzt, um die mit der Finanzierung verbundenen Risiken handelbar zu machen. Sie sind zur Risikostreuung mit „Wetten auf künftige Preisänderungen“ verbunden. Die Risiken selbst werden dadurch jedoch aus den Finanzkontrakten herausgehalten.“ – Ch. Calliess, Staat, Demokratie und Finanzmarkt, Zwischen Globalisierung, Privatisierung und Re-Regulierung, Diskus sionspapier für Berlin Kolloquium: Rethinking Law in a Global Context Themenschwerpunkt „Private ordering and public authority“ am 16. April 2013; ders., VVDStRL 71, 2012, S. 113 ff. Das Marktversagen äußerte sich nicht zuletzt in der unrealistischen Bewertung des Ausfallrisikos der Schuldnerstaaten. So hat zum Beispiel Griechenland lange Zeit das gleiche Zinsniveau wie Finnland für seine Staatsanleihen genossen. Diese Vorteile wurden aber nicht zur Rückführung der Kredite, sondern zur billigen weiteren Verschuldung des Staates verwandt. Übermäßige Lohn- und Preissteigerungen waren die Folge. Ursache und Entwicklung der Euro-Schuldenkrise legen Zeugnis davon ab, dass auf globalen Finanzmärkten ein Marktversagen kaum je verhindert werden kann. Das in der EU gesetzlich festgeschriebene Basel-II-Abkommen verlieh Staatsanleihen den Status von risikolosen Papieren. „Nach dem Zustandekommen der Währungsunion beurteilte der Käufer einer griechischen Staatsanleihe die Stabilität der verbrieften Währung und ihr Wertsteigerungspotential mit Blick auf den gesamten Euroraum, also in der Tendenz günstig.“ Die Märkte hielten das Ausfallrisiko für marginal. Der Solidität der öffentlichen Haushaltswirtschaft wurde keine hinreichende Bedeutung zugemessen. U. Di Fabio, Europa als Stabilitätsunion, in: Europa. Ohne Stabilität kein Vertrauen, Sparkassenverband Baden-Württemberg (Hrsg.), 2012, S. 61 ff., S. 65. Auch der an den IWF angelehnte ESM schuf „Fehlanreize für neue private Investitionen in Staatsanleihen“, weil signalisiert wurde, „dass der ESM eine Überschuldung notfalls durch eine Dauerfinanzierung zu subventionierten Zinsen bewältigt, falls erforderlich unterstützt durch Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank“. So haben sich die Zinsen für Staatsanleihen in der Eurozone immer mehr angeglichen, „obwohl die Bewältigung kritischer Schuldenstände nicht einmal richtig begonnen hat“. C. Fuest/F. Heinemann/Ch. Schröder, FAZ vom 18. Juli 2014, Nr. 164, S. 16, Geregelt in die Staats-Insolvenz.
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geht“129. Staatsanleihen werden ohne Rücksicht auf tatsächliche Haushaltsrisiken angekauft130, um die damit verbundenen Risiken anschließend zu versichern, zu verbriefen und auf den Sekundärmärkten zu handeln131. Das Risiko des Zahlungsausfalls eines Staates verlagert sich damit auf Sekundärmärkte, wie den Markt für Kreditausfallversicherungen (CDS-Markt). 3. Neutrale Instanz des Insolvenzverfahrens Das Völkerrecht kennt grundsätzlich keine dem Staat übergeordnete Instanz und so stößt man bereits auf Schwierigkeiten, wenn man eine über das Insolvenzverfahren wachende „neutrale Instanz“132, welche insbesondere dem „Transparenzgebot“ zu genügen hätte, für unabdingbar hält133. Der IWF, näherhin der IWF-Exekutivausschuss, eignet sich wegen seiner strukturellen Abhängigkeit von den Hauptmitgliedstaaten und seiner gegenwärtig praktizierten Funktion als global agierender Kreditgeber nicht als Entscheidungsgremium und nur begrenzt als moderierende Instanz der Umschuldungsverhandlungen zwischen Gläubigervertretern und Schuldnerstaat134. Die Frage, 129 Ch. Calliess, Staat, Demokratie und Finanzmarkt – Zwischen Globalisierung, Privatisierung und Re-Regulierung, S. 14. 130 Um die „exorbitanten Wachstumsziele der international tätigen Geldhäuser bedienen zu können“, wurden hohe Risiken eingegangen. „Sie führten zu einer exzessiven Kreditvergabe an insolvente (Staats-)Schuldner, brachten Produkte aus den Investmentbanking-Abteilungen hervor, die niemand verstand und die die Risiken nicht besser verteilten, sondern erhöhten, und machten vor der Manipulation von Zinssätzen nicht halt.“ C. Knop, FAZ vom 2. August 2012, Die Gesellschaft und ihre Banken, S. 1. Die Artikel 123 bis 125 AEUV zielen darauf ab, alle Mitgliedstaaten der EU bei der Kreditfinanzierung ihrer Haushalte privaten Kreditnehmern gleichzustellen und den Mechanismen der Finanzmärkte zu unterwerfen. „Die Staaten werden verpflichtet, ihre Kredite unmittelbar am Finanzmarkt nachzufragen, um selbst zu erfahren, dass sie bei guter Bonität niedrige Zinsen, bei schlechter Bonität hohe Zinsen zu zahlen haben.“ P. Kirchhof, Verfassungsnot!, FAZ vom 12 Juli 2012. 131 Nach Angaben der Bundesfinanzagentur beträgt zum Beispiel der jährliche Handel mit Bundespapieren rund das Sechsfache der ausstehenden Schuld. Anleihen und Obligationen des Bundes wechselten regelmäßig den Besitzer. FAZ vom 19. Juli 2012, Schweiz größter deutscher Gläubiger. Insgesamt sei das „Anschwellen der Anleihenfinanzierung zulasten der Vergabe von Krediten durch Banken […] ein Phänomen, welches sich in die seit Jahren zu beobachtende Tendenz zur Verbriefung einordnet“. M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 16. 132 Ch. Paulus, Staatliche Schuldenregulierung: Verfahren und mögliche Inhalte, S. 4. 133 Die Notwendigkeit eines „unparteiischen Beobachters“ („fair and impartial spectator“) sah bereits Adam Smith, Wohlstand der Nationen, Bd. III., 1.2. 134 So auch M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 157. Gleiches gelte für den Sovereign Debt Dispute Resolution
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wann ein Staat im technischen Sinne überschuldet ist, das heißt unter welchen Umständen eine öffentliche Schuld untragbar ist und wer darüber verbindlich entscheiden soll, ist nicht nur ein finanzwirtschaftliches Problem, welches anhand ökonomischer Indikatoren wie dem Verhältnis der Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt zu bestimmen ist. So können bevorstehende Regierungswechsel, Wahlversprechen oder außenpolitische Absprachen ein ganz anderes Bild ergeben; denn stets handelt es sich auch um eine politische Einschätzung, welche auf „interpretative Elemente und eine diskretionäre Zukunftsprognose kaum verzichten“ kann135. Der IWF würde in einer unvereinbaren Doppelrolle agieren und wäre mit unüberbrückbaren Interessenkonflikten konfrontiert, wenn er bei Umschuldungsverhandlungen für beide Seiten zugleich, als Richter und als Gläubiger, am Tisch säße136. Bei den heutigen Verhandlungen, insbesondere im Rahmen des Pariser Clubs, Forum (SDDRF). Der SDDRF zumindest soll über die Frage der Tragbarkeit kein Mitspracherecht haben (IWF, Further Considerations, Rdn. 259.). Kritisch erscheint insbesondere die institutionelle Nähe zwischen IWF und SDDRF. Der IWF-Entwurf sieht vor, dass der Fonds die Schiedsrichter des SDRM faktisch ernennen kann. Nach Markus Kerber sei „die Hand des IWF […] beim SDDRF überall sichtbar“. Das Gremium ist damit nicht mehr entscheidungsunabhängig, „weil der IWF stets im ökonomischen Sinne Gläubiger des betreffenden Schuldnerlandes bleibt“. Souveränität und Konkurs, S. 58. Benjamin Cohen hat den Vorschlag unterbreitet, eine neue unabhängige Organisation zu schaffen, eine „International Debt Restructuring Agency“ (IDRA), A Global Chapter 11, In: Foreign Policy, S. 109 ff. Diese Aufgabe sollte aber zunächst der IWF übernehmen, ders., Developing Country Debt. A Middle Way, Princeton Essays in International Finance S. 173. Auch Kunibert Raffer hält die Schaffung einer neuen Institution in Gestalt eines unabhängigen Schiedsgerichts für erforderlich („neutral court of arbitration“), Applying Chapter 9 Insolvency to International Debts, S. 301 ff. 135 M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 57. Konkret stellt sich im Rahmen eines Insolvenzverfahrens die Frage, ob die Gläubigerversammlung oder eine neutrale Institution die Gläubiger zum partiellen Verzicht auf ihre Forderungen verpflichten kann. Hätte eine Entscheidung unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung, würden die Bestimmungen im Emissionsprospekt unwirksam. Nach Ansicht von Markus Kerber müsse dies für in der Vergangenheit emittierte Anleihen verneint werden. Für die Zukunft hänge die Zulässigkeit einer Teilenteignung von der nationalen Folgegesetzgebung zur IWF-Initiative ab. Siehe M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 58. Im Rahmen der Diskussion ist auf die Ausführungen der IWF-Rechtsabteilung zu verweisen: IMF Legal Department, The Restructuring of Sovereign Debt – Assessing the Benefits, Risks and Feasibility of Aggregating Claims, Washington 4. September 2003. 136 Der IWF sei damit gleichzeitig „Richter und Partei“. M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 58. Näher zu den Voraussetzungen richterlicher Unabhängigkeit als Verfahrensgarantie R. Hoffmann, Verfahrensgerechtigkeit, Studien zu einer Theorie prozeduraler Gerechtigkeit, 1992, S. 106 ff. Hoffmann unterscheidet zwischen der „auf einem Ethos gründenden kognitiven Haltung“ der Unparteilichkeit und der Unabhängigkeit, welche als ein „diesem Ethos verbundenes äußerliches prozedurales
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ist dies bereits übliche Praxis. Dort überprüft der IWF etwa, ob der Schuldnerstaat in „good faith“ mit seinen Gläubigern verhandelt hat137. Die von ihm aufgestellten Kriterien „zielen allein darauf, den Schuldner zur Kooperation und Transparenz zu zwingen, damit die Gläubiger eine informierte Entscheidung über ihre Zustimmung zur Umschuldung treffen können“138. Unter einer Instanz wie dem IWF wäre zu besorgen, dass das Verfahren keinen neutralen Verfahrenswalter hätte und Verbesserungen zum bisherigen Verfahren, das sich gerade als nicht rechtsförmig erwiesen hat, kaum zu erwarten wären. Skeptisch äußert sich auch Markus Kerber. Er weist darauf hin, dass die Neutralität einer Insolvenzinstanz im Völkerrecht eine „Fiktion“ bleiben muss und die Suche danach demzufolge ein „untauglicher Versuch“ ist139. Diese Bedenken gegen die praktische Durchsetzbarkeit begründen für sich genommen aber noch keinen zwingenden Einwand gegen das Ziel einer völkerrechtlichen Insolvenzordnung. Entsprechend der historischen Erfahrung in ähnlichen Fällen könnte sich alternativ die Lösung über eine internationale Schiedsinstanz anbieten140, Strukturprinzip“ zu begreifen sei (S. 106, mit Verweis auf K. Larenz, Richtiges Recht, S. 165). 137 An eine Verhandlung des Schuldners mit seinen Gläubigern nach dem „goodfaith-Prinzip“ (Nr. 16: „[…] which is a higher bar than the standard requirement for interactions with creditors prior to default“) stellt der Fonds folgende Anforderungen: Der Schuldner muss seine Gläubiger zu einem frühen Zeitpunkt über seine Zahlungsschwierigkeiten informieren („early dialogue with its creditors“) und hat ihm alle relevanten Informationen zuzuleiten („share relevant information“). Im Übrigen hat er die Gründe einer Umschuldung zu rechtfertigen, indem er sich zu den wirtschaftlichen Problemen und finanziellen Umständen erklärt. In einem nächsten Schritt hat er Lösungen anzubieten, zunächst in Form eines Aktionsplans, der darüber Auskunft gibt, wie er plant, mit den Forderungen der Gläubiger umzugehen. Sämtliche Verbindlichkeiten und deren Gläubiger sind offen zu legen. Außerdem verlangt der IWF eine frühe Einbeziehung der Gläubiger, damit sich diese an der Gestaltung der zu treffenden Maßnahmen beteiligen können („early opportunity to give input into the design of restructuring strategies and the design of individual instruments“). IMF, Fund Policy on Lending into Arrears to Private Creditors – Further Consideration of the Good Faith Criterion, July 30, 2002, Nr. 49. 138 J. Benninghofen, Die Staatsumschuldung, S. 169. 139 M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 40. 140 Näher zu der Frage, wie ein Schiedsgericht zu besetzen wäre, K. Raffer, Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Finanzausschusses zur Entwicklung der Internationalen Finanzmärkte (Berlin, 14.03.2001), S. 5; M. Dabrowski/A. Fisch/ K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 147, 157 f. Alexander Szodruch nennt als eine solche Instanz die ICSID-Schiedsgerichte. So bestehe die Möglichkeit, die IWF-Kreditvergabe unter die Bedingung zu stellen, „dass der Schuldnerstaat sich an ICSID-Schiedssprüche hält“. Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 415.
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doch ist zu bedenken, dass Urteile von Schiedsgerichten wegen des Gewaltverbots im Völkerrecht nicht ohne weiteres vollstreckbar sind. Wenn ein Einvernehmen nicht – wie im Völkerrecht üblich – „in freier Kooperation“141 (völkerrechtsvertraglich hergestellte Multilateralität) hergestellt werden kann, stehen im Völkerrecht nur Retorsionen und Repressalien als Mittel des Zwangs zur Verfügung.
III. Rechtliche Grundlagen des Insolvenzprinzips im Völkerrecht Aufgrund der Interdependenz des weltumspannenden Wirtschaftssystems entfaltet die Problematik überschuldeter Staaten ihre Wirkung auch auf andere Staaten142 und wird so zu einer Angelegenheit der Weltrechtsgemeinschaft143. Inwiefern könnte die Einführung eines völkerrechtlichen Verfahrens im Umgang mit überschuldeten Staaten zu einer Bewältigung der Problematik beitragen? Der Rechtsgedanke, der einer Insolvenzregelung im Völkerrecht notwendig zugrunde liegt, basiert auf dem Prinzip der Freiheit der Völker, also ihrer Souveränität. Hier wird der systematische Unterschied zum Privatrecht evident144; denn anders als im privatrechtlichen Insolvenzverfahren kann der primäre Insolvenzzweck des Völkerrechts nicht die gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung als „Ausdruck freier Marktwirtschaft“145 sein (die grundsätzlich den Gleichrang aller Gläubiger verlangt)146. Das Ziel einer bestmög141 M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 40. 142 Auch auf der Ebene des Völkerrechts gilt der allgemeine Grundsatz: „Wer mit Wirkung auf andere handelt, ist zur gemeinsamen Gesetzgebung verpflichtet“. K. A. Schachtschneider, Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 265 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 85. 143 Zu den Grundlagen einer Weltrechtslehre A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 1038 ff. 144 Christoph Paulus verweist auf die teilweise sehr vielseitigen Zielrichtungen im privaten Insolvenzrecht. Danach zielt das Insolvenzverfahren in Frankreich darauf ab, notfalls auf Kosten der Gläubiger so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten. In Argentinien geht es primär um den Erhalt von Unternehmen. In Italien steht die Rückführung staatlich gewährter Großkredite im Vordergrund. Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, S. 11; ders., Grundlagen des neuen Insolvenzrechts, DStR 2002 Heft 43, S. 1869. 145 R. Stürner, in: Münchener Kommentar InsO, 2013, Einleitung Rdn. 2. 146 Der Zweck bestimmt Richtung und „Gewichtung der divergierenden Interessen“ (Ch. Paulus, Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, S. 11). Christoph Paulus empfiehlt daher frühzeitig zu entscheiden, ob das Verfahren beispielsweise „der Befriedigung der Gläubiger, der Verbesserung der wirtschaftlichen Ertragskraft des in
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lichen Verwertung der Haftungsmasse ist im Völkerrecht nicht vorrangig, vielmehr tritt dort die Wahrung der Souveränität des Schuldners an die erste Stelle. Vereinfacht könnte man diese Umkehrung der Prioritäten auch als „Schuldnerschutz anstatt Gläubigerschutz“ bezeichnen. Gegen dieses Prinzip verstößt der IWF, wenn er in seinen Programmen zur Krisenlösung an der Haftung des Schuldners festhält und auf Kosten der Souveränität des Schuldnerstaates weitere Kredite ausreicht. Die Notwendigkeit der unbedingt geschützten existentiellen Staatlichkeit präformiert als äußerster Rahmen jede völkerrechtliche Verfahrensordnung. Sie kann durch vertragliche Bindungen nicht eingeschränkt werden, weil erst die Souveränität die aus sich heraus wirkende Voraussetzung der staatlichen Vertragsfreiheit erfüllt (siehe oben). Innerhalb einer Kreditbeziehung folgt daraus der aus dem Rechtsprinzip entwickelte Gedanke der fairen, also sachgerechten Risikobeteiligung, das heißt der gemeinsamen Haftung des Schuldners und des Gläubigers, welcher im Modus eines Insolvenzverfahren zu formalisieren ist. Insofern begrenzt ein Insolvenzverfahren die Gläubigerbefriedigung, im Privatrecht am ehesten vergleichbar mit den speziellen Regelungen im Umgang mit natürlichen Personen. In der Konsequenz bedeutet das: Gläubigeropfer zur Erhaltung der existentiellen Staatlichkeit können – und müssen um der Souveränität des Staates willen – erzwungen werden. Unter dieser Prämisse agiert der Staat im völkerrechtlich übertragenen Sinne als Vertragspartner mit beschränkter Haftung. Auch unter juristischen Personen des Privatrechts nimmt die Geschäftsfähigkeit durch die Haftungsbeschränkung des Vertragspartners keinen Schaden, sondern zwingt den Vertragspartner zur sorgfältigen Prüfung der Bonität. 1. Clausula rebus sic stantibus Es stellt sich die Frage, ob und inwiefern der Anspruch eines Schuldnerstaates, sich von seinen vertraglichen Pflichten zur Schuldentilgung zu lösen, eine rechtliche Grundlage hat. Frage stehenden Landes oder etwa der Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung zu dienen bestimmt sein soll“ (Ch. Paulus, Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, S. 11 f.). Zu den allgemeinen Intentionen des Insolvenzrechts, wie einer „möglichst hohen Rückzahlungsquote für Gläubiger“, der „Sicherung von Arbeitsplätzen und Sanierung der gewinnversprechenden Teile der Unternehmen“ und der „Stimulation von Investitionen“ M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 153 f.
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Dogmatisch ist an den allgemeinen Rechtsgrundsatz der clausula rebus sic stantibus zu denken147, der völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und in Art. 62 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜRV) kodifiziert ist148. Danach ist eine Vertragsveränderung geboten, wenn die Vertragsparteien die eingetretenen Änderungen, welche für den Vertragsschluss wesentlich sind, nicht vorhergesehen haben. Der Internationale Gerichtshof hat eine Berufung auf dieses Rechtsinstitut im Fall Iceland Fisheries abgelehnt und ausgesprochen, dass ein Land sich nicht auf veränderte Umstände berufen könne, nachdem es die Leistung bereits in Anspruch genommen hat. Dies würde den Vertragspartner, der auf ein quid pro quo vertraut, unstatthaft („inadmissible“) benachteiligen149. Im Völkerrecht, so die Kommentierung in der Literatur, gelte eben der Grundsatz: „Geld hat man oder hat man zu haben150.“ Diese Argumentation versteht die Rechtsfigur clausula rebus sic stantibus allein als eine rechtsvernichtende Einwendung. Der Grundsatz „Geld hat man zu haben“ soll die Berufung des Schuldners auf die Unmöglichkeit der Leistung ausschließen (§ 275 BGB). Eben hier aber liegt der strukturelle Unterschied zum Insolvenzrecht, das mit der Faktizität der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners umzugehen sucht, seine Zahlungsunfähigkeit also gerade voraussetzt151. Demzufolge hat die Restschuldbefreiung nach § 301 InsO152 die Wirkung, dass die titulierte Forderung zu einer sogenannten „unvollkom147 Teilweise zieht die Literatur auch die Rechtsfigur der „odious debt“ zur Begründung eines Insolvenzrechts für Staaten heran. Diese aber wird vor allem im Rahmen der Entstehung der Verbindlichkeiten relevant, weil sie die Wirksamkeit der Stellvertretung des betroffenen Staatsvolkes in Abrede stellt (siehe oben). Zur Begründung eines Insolvenzrechts für Staaten ist die Rechtsfigur der „Odious Debts“ weniger tragfähig“, zumal ein Insolvenzrecht „final, nicht kausal orientiert“ ist. M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 172 f.; J. Benninghofen, Die Staatsumschuldung, S. 185 ff.; zur Debatte um die Rechtsfigur der „odious debts“ auch S. Michalowski, Ius cogens, transnational justice and other trends of the debate on odious debts; A. Fischer-Lescano, Odious Debts und das Weltrecht, 2003. 148 Vgl. J. Benninghofen, Die Staatsumschuldung, S. 184 ff.; A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 313. 149 IGH, United Kingdom vs. Iceland Fisheries, Jurisdiction Case, I.C.J. Reports 1973, 3, 18. 150 J. Benninghofen, Die Staatsumschuldung, S. 185. 151 Streng dogmatisch betrachtet gehen die Forderungen der Gläubiger nach Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht unter, sie verlieren nur ihre Durchsetzbarkeit (wie eine der Verjährungseinrede ausgesetzte Forderung). E. Braun/A. Lang, InsO, 2010, § 301 Rdn. 2. 152 § 301 InsO regelt die materiell-rechtlichen Wirkungen des Beschlusses, der die Restschuldbefreiung ausspricht. Wird die Restschuldbefreiung erteilt, wirkt sie nach § 301 Abs. 1 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger.
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menen Verbindlichkeit“ wird153, das heißt die Verbindlichkeit ist erfüllbar, aber die Erfüllung nicht erzwingbar. Das Institut clausula rebus sic stantibus kommt bei der Begründung eines völkerrechtlichen Insolvenzrechts durchaus zum Tragen; denn als Ausformung des bona fides-Prinzips (im Privatrecht des Gedankens von Treu und Glauben154) ist in ihm derselbe Rechtsgedanke angelegt, der auch das Rechtsinstitut des Insolvenzverfahrens leitet, nämlich der Grundsatz der fairen Risikoverteilung zwischen Gläubiger und Schuldner. Deshalb ist die Rechtsfolge der clausula rebus sic stantibus auch nicht die unmittelbare Befreiung von einer Leistungspflicht, sondern begründet einen näher zu materialisierenden Anspruch des Schuldners auf Anpassung der Vertragsverhältnisse. Das Institut des Insolvenzverfahrens konkretisiert eben jenen Anspruch zunächst formell, indem es die Aufgabe hat, rechtsförmig darüber zu befinden, ob und inwieweit ein überschuldeter Schuldner von seinen Verbindlichkeiten zu befreien ist. Wie die Risikosphären gegeneinander abzugrenzen sind, ist innerhalb des Verfahrens grundsätzlich aus dem Vertrag, letztlich aus dem Rechtsprinzip selbst zu entwickeln. 2. Prinzip der staatlichen Selbständigkeit Der Zweck eines völkerrechtlichen Insolvenzverfahrens muss darin bestehen, den Teufelskreis aus immer tieferer Verschuldung und fortschreitendem Verlust faktischer Handlungsmöglichkeiten zu durchbrechen, indem bei Überschuldung ein Mindestmaß an materieller und immaterieller Unabhängigkeit gewahrt bleibt. Einem Insolvenzrecht muss es neben der gerade im Völkerrecht vermissten Verrechtlichung des Verfahrens auch um die materielle Selbständigkeit des Staates gehen155. Jenseits der rechtlichen Bindungen des Vertrages liegt es nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht mehr (allein) in der Hand der Gläubiger, eine Schuldbefreiung zu verhindern; denn das Recht auf Selbstbestimmung, das heißt die Fähigkeit sein eigener Herr („sui iuris“) zu sein156, hat auch eine schutzwürdige materielle Komponente157 – nämlich das anspruchs153 BGH NJW 08, 3640; G. Stephan, InsO, in: Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl. 2007, § 301 Rdn. 3 und 18. 154 C. Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, in: Palandt, 73. Aufl. 2014, § 313, Rdn. 1. 155 Wie der private Bürger wird auch der Staat erst durch die Selbständigkeit der autonomen Selbstbestimmung fähig. K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 579 ff. 156 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345. 157 Ein hinreichendes Maß an materiellen Verfügungsmöglichkeiten (subsistenzermöglichende Güterausstattung) ist Voraussetzung und notwendiger Teil der Souve-
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begründete Interesse des Schuldners, nicht dauerhaft in überschuldeten Verhältnissen zu leben. Die Restrukturierung der Schulden, welche der Sache nach auf das insolvenzrechtliche Institut der Restschuldbereinigung hinausläuft, soll den Schuldner aus dem „Schuldturm“, das heißt aus der faktisch unbegrenzten, „ewigen“ Haftung befreien und bildet damit die Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Neuanfang. Ein Moratorium oder Schuldenerlass soll einen materiellen Mindeststandard erlauben und unter bestimmten Voraussetzungen die Wiedereingliederung in das Marktgeschehen, einen „fresh start“ ermöglichen158. Alexander Szodruch begreift Umschuldungsverhandlungen demzufolge als Zwischenziele, um essentielle Interessen des Krisenstaates mit zu berücksichtigen, namentlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und menschenrechtlicher Mindeststandards159. Darin kommt der Gedanke eines „materiellen Existenzminimums“ im Sinne eines Pfändungsschutzes zum Tragen160. In diesem Sinne fordert auch Martin ränität des Volkes. Auch für Thomas Piketty ist es „unverzichtbar, dass der moderne […] Sozialstaat weiterhin die entsprechenden öffentlichen Aktiva besitzt, Das Kapital im 21. Jahrhundert, S. 740. Die Qualität, sein eigener Herr zu sein, ist heute anders als früher weniger militärisch, sondern im Wesentlichen „ökonomisch konditioniert“ und findet ihren „realen Niederschlag in ausreichenden ökonomischen Befindlichkeiten“. Die allgemeine Freiheit unter den Völkern „bedarf allgemeiner Selbständigkeit, die ihren realen Niederschlag in ausreichenden ökonomischen Befindlichkeiten als äußere Selbständigkeit erfährt“. H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, S. 92; auch K. A. Schachtschneider, Souveränität, S. 128 ff., 368 zur Autarkie. 158 Darüber hinausgehende Fragen einer allgemeinen globalen Verteilungsethik sind nicht Gegenstand des Insolvenzrechts und aus einer völkerrechtlichen Insolvenzordnung so weit wie möglich herauszuhalten. Zur Begründungstheorie einer globalen Verteilungsethik, C. Beitz, Political Theory and International Relations, 1979, S. 15–66. Charles Beitz sucht die Rawlssche Justice-as-fairness-Konzeption für eine gerechte Völkerrechtsordnung fruchtbar zu machen. John Rawls spricht sich für eine Orientierung allein an völkerrechtlichen Prinzipien aus („[…] just political principles regulating the conduct of states“), A Theory of Justice, S. 415. 159 Ablehnend bezüglich eines „zu weitgehenden“ Rechts auf Entwicklung A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 344 ff. 160 Auch Dabrowski greift den Gedanken eines Pfändungsschutzes auf und versucht, ihn für ein Konzept der internationalen Insolvenzordnung fruchtbar zu machen. Er spricht (mit Amartya Sen) von „realen Verwirklichungschancen“ und fordert ein materielles „Existenzminimum“ (Dabrowski fordert auch einen materiellen Aspekt zur „Verbesserung der Armutssituation“ der betroffenen Bevölkerung und nennt – neben der Verfahrensgerechtigkeit, der Chancengleichheit und der Gemeinwohlgerechtigkeit – das Ziel einer „Bedarfsgerechtigkeit“ als einen zentralen Aspekt bei der Ausgestaltung eines Insolvenzrechts. Es solle erreicht werden, „dass der direkte oder indirekte Zwang zu Kürzungen im Budget für soziale, gesundheitliche und Bildungsmaßnahmen im Schuldnerland unterbunden wird“. Zur Pfändungsfreigrenze im Sinne einer Bedarfsgerechtigkeit „als institutionalisierter Schutz der Armen“ siehe: M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 160 ff.): „Mittel, die zur Förderung dieser zentralen Verwirklichungschancen ge-
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Dabrowski einen „rechtlichen Riegel“, um „bestimmte zentrale Verantwortungsbereiche seines souveränen Handelns für seine Bürger […] gegen externe Ansprüche zu immunisieren“161. Einen Schritt weiter geht der grundsätzliche Anspruch des Schuldners auf einen Neuanfang, einen „fresh start“, wie er insbesondere in der US-amerikanischen Insolvenzordnung – exemplarisch auch für die deutsche Insolvenzordnung – materialisiert wurde (dazu unten). Nicht zuletzt ist dies eine Frage der Generationengerechtigkeit162; denn es wäre eine „nicht zu rechtfertigende Verschiebung von Lasten auf zukünftige Generationen“163, wenn diese unter Aufsicht und Kontrolle der Gläubiger diejenigen existentiellen „sozialen, also die menschenrechtsgemäßen Lebensverhältnisse“164 (wieder) erarbeiten müssten, welche andere Generationen durch übermäßige Kreditaufnahme vernichtet haben165.
nutzt werden, sind entsprechend nicht zu pfänden und dürfen bei Zins- und Tilgungszahlungen nicht einbezogen werden.“ M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 43. 161 Ebenda. 162 Das Bundesverfassungsgericht spricht von der „Achtung der Entscheidungsfreiheit auch künftiger Generationen“, BVerfGE 79, 311, Rn. 90. Zur Problematik der Generationengerechtigkeit insbesondere nach dem Rawlschen Fairnessprinzip siehe auch W. Kersting, Einige Bemerkungen zur Gerechtigkeit zwischen Jung und Alt, 2012; P. Spahn, Geldpolitik, S. 253. 163 M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, Philosophische Begründung – Ökonomische Beurteilung – Sozialethische Bewertung, S. 132. 164 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung, S. 32. 165 Vgl. auch T. Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, S. 740; M. Da browski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 163 f., 178. Art. 25 Abs. 1 a) ILC ASR (Ausschuss für Internationales Währungsrecht der International Law Association). Siehe dazu Sitzungsbericht H. Hahn, Das Völkerrecht der Auslandsschuldenregelungen, Kreditwesen, 1989, S. 314. Werner Lachmann ist gegenüber einer Lösung der Verschuldungsproblematik in Entwicklungsländern durch Schuldenerlass skeptisch: „Ein totaler Schuldenerlass beseitigt nicht das Grundübel der hohen Auslandsverschuldung, nämlich eine verfehlte Wirtschafts- und Währungspolitik, die Direktinvestitionen einschränkt und wegen hoher Inflationsraten zu Kapitalflucht Veranlassung gibt.“ Ein schuldenfrei gewordenes Land würde bei Erlass der Schulden „nach einiger Zeit wiederum eine hohe Verschuldung aufweisen“. Daneben verweist Lachmann auf die negativen Anreizeffekte für andere Schuldnerstaaten, zumal sich Länder, die ihre Schulden zurückzahlten, benachteiligt fühlen müssten. Im Übrigen würde auch „die Kreditwürdigkeit solcher Länder, denen ihre Schulden erlassen wurden […] leiden.“ W. Lachmann, Entwicklungspolitik, Band 3, S. 228 f.
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3. Ergebnis Unabhängig davon, ob man die Erteilung einer Restschuldbefreiung als eine anspruchsvernichtende oder eine anspruchshemmende Voraussetzung begreift: Der Sache nach hat das Insolvenzverfahren eine potentiell anspruchsbefreiende Funktion, das heißt es materialisiert bestimmte Voraussetzungen, unter welchen ein Schuldner von einer entstandenen Verbindlichkeit nachträglich befreit werden kann. Hier liegt im Übrigen auch der Unterschied zu den Auflagen des IWF, welche von Anfang an keinen Anspruch begründen können, weil rechtshindernde Nichtigkeitsgründe vorliegen. Einer Insolvenzordnung für Staaten muss es in erster Linie darauf ankommen, gerade auch im Falle einer Überschuldung unter den Bedingungen ungleicher Machtverhältnisse, dem Schuldner den notwendigen Raum zur Entfaltung der Selbstbestimmung zu garantieren166. Es leuchtet nicht ein, warum die Gläubiger von den Risiken der Vermögenslosigkeit des Hauptschuldners dadurch befreit werden sollen, dass der Schuldnerstaat „ewig“ haftet, wenn auch unterstützt durch finanzielle Zuwendungen Dritter wie des IWF, dann aber unter strengen Auflagen. 166 Ein wichtiger Ausdruck der Souveränität und ein Strukturprinzip des Insolvenzprinzips ist etwa das Antragsstellungsrecht (Initiativrecht) des Schuldners auf Einleitung eines Insolvenzverfahrens. Dieses Petitum ist Teil der Entscheidungshoheit des betroffenen Staates. Kritisch zum Antragsrecht des Schuldners Markus Kerber. Mit Verweis auf die Public Choice School über Politikverhalten befürchtet er, dass ein Schuldnerstaat dann einen Konkurseröffnungsantrag stellen wird, „wenn es den Interessen der Regierungspolitiker an der eigenen Machterhaltung dient“. Außerdem nehme die Berechtigung zur Antragsstellung auf Schuldensuspendierung den Gläubigern in diesem Zeitraum jedwede Druckmöglichkeit und zwingt gleichwohl den Schuldnerstaat keineswegs zu jenen Politik-Maßnahmen, die nach der Aussetzung die Schuldenbedienung wieder garantiert“. Souveränität und Konkurs, S. 16 f. und 40 ff. Markus Kerber sieht in einer starken Stellung des souveränen Staates im Insolvenzrecht „fast eine Aufforderung an Staatsschuldner zum free riding“. Souveränität und Konkurs, S. 44. Zur Moral-Hazard-Problematik auf Schuldnerseite siehe auch M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 139 ff. Gläubiger lassen sich meist nur auf einen Forderungsverzicht ein, wenn sie dazu gezwungen werden; denn sie müssen befürchten, nach ihrer Zustimmung zu einem Schuldenschnitt weniger zu erhalten, als wenn sie diesen abgelehnt und auf ihrer Forderung bestanden hätten. Gläubiger mit geringen Anteilen neigen zu kurzfristigen Überlegungen. Sie sind häufig von dem Kalkül geleitet, ihre Forderung auf Kosten der übrigen Gläubiger zu kapitalisieren, sich die Zustimmung zur Umschuldung also möglichst gewinnbringend abkaufen zu lassen. Dazu auch F. Eschenbach/L. Schuknecht, The Fiscal Costs of Financial Instability Revisited, ECB WP Nr. 191, 2002; zum Initiativrecht des Schuldnerstaates als „Ausfluss von dessen Rechtsstellung als souveräner Staat“, A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 155.
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Teil 7: Grundzüge eines Insolvenzrechts für Staaten
Ein völkerrechtliches Insolvenzverfahren als haftungsbegrenzendes Rechtsinstitut muss neben der Souveränitätswahrung des Schuldners auch die Rechtssicherheit durch Befriedungsaussicht zum Ziel haben. Christoph Paulus betont die zu erwartende disziplinierende Wirkung167 eines Insolvenzverfahrens, welches Erwartungssicherheit durch Verlässlichkeit und Berechenbarkeit herstellt. Es hätte seinen Zweck am besten dann erfüllt, wenn es nicht in Anspruch genommen wird168. Auch der Ansatz einer Institutionenökonomischen Analyse169 kommt zu dem Ergebnis, dass „die Institution eines Insolvenzrechts ex ante Anreize setzt, die Kreditwürdigkeit des Schuldners“ zu prüfen, während die Bail-out-Programme des IWF „eine solche Sorgfalt bei der Kreditvergabe nicht nahe“ legen170.
D. Die US-amerikanische Insolvenzordnung Beispiel und Vorbild ist in dieser Hinsicht die Regelung des amerikanischen Insolvenzrechts für Gebietskörperschaften171 (sogenannte „municipalities“, Chapter 9, Title 11 USC)172. Bemerkenswert an der Ausgestaltung des amerikanischen Insolvenzrechts ist der explizite Schutz der Souveränität des Schuldners. So stellt § 904, Title 11 USC klar, dass die Hoheitssphäre des Schuldners unantastbar ist. 167 Siehe Ch. Paulus, der hier auch an das in diesem Zusammenhang zuweilen zitierte Motto „Friede durch Abschreckung“ erinnert, Ch. Paulus, Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, S. 4. 168 Ch. Paulus, Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, S. 4; ebenso mit Verweis auf die „Präventionsfunktion durch die Schaffung einer normativen Erwartungsstruktur bei Schuldnern und Gläubigern“, sowie als „Disziplinierungsmittel für alle Beteiligten“ M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 27. 169 M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 143 ff.; zur Analyse der Anreizwirkungen des Insolvenzrechts und der Moral-Hazard-Problematik ebenda, S. 139 ff. 170 M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 175. Zu den beabsichtigten Wirkungen auf das zukünftige Verhalten der Beteiligten S. 143 ff.; ähnlich in der Argumentation zur Lage in der europäischen Schuldenkrise vgl. C. Fuest/F. Heinemann/Ch. Schröder, FAZ vom 18. Juli 2014, Nr. 164, S. 16, Geregelt in die Staats-Insolvenz. „Dafür die Steuerzahler anderer Staaten haften zu lassen, ist ungerecht und lädt Investoren und Regierungen zu Leichtsinn ein.“ 171 Vgl. F. Hornfischer, Insolvenzfähigkeit von Kommunen, in: E. SchmidtAßmann/F. Schoch (Hrsg.), Schriften zum deutschen und europäischen Kommunalrecht, 2010. 172 K. Raffer, Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, in: Die Verschuldung ärmster Entwicklungsländer aus ethischer Sicht, M. Dabrowski/R. Eschenburg/ K. Gabriel (Hrsg.), Lösungsstrategien zur Überwindung der Internationalen Schuldenkrise, 2000, S. 214 f.
D. Die US-amerikanische Insolvenzordnung515
Das amerikanische Insolvenzrecht nach Chapter 9 und 11 ist a priori dem Ziel einer Wiedereingliederung des Schuldners in das Wirtschaftsleben verpflichtet173. Mit Einführung der Chapter 11 und Chapter 9 im Jahr 1937 sollte der Überschuldung während der Weltwirtschaftskrise sowie dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft Rechnung getragen werden. Im Gegensatz zu Industriekonzernen bestand der Vermögenswert von Dienstleistungsanbietern weniger in Sachleistungen, als vielmehr in Form von Know-how, und auch für die Gläubiger war deshalb die Weiterführung eines insolventen Unternehmens in der Regel günstiger als seine Zerschlagung. Diese US-amerikanischen Regelungen waren wegweisend für die Modifizierung der Insolvenzordnungen anderer Staaten. Auch die deutsche Insolvenzordnung hat sich dem Strukturwandel der Wirtschaft angepasst und die Konkursordnung, welche vormals im Wesentlichen auf die Liquidation des Schuldners gerichtet war, reformiert174. Heute wird Insolvenz als „eine Phase im allgemeinen Wirtschaftsablauf“ angesehen175. Das in der Diskussion um eine völkerrechtliche Insolvenzordnung am häufigsten angeführte Vorbild ist das Chapter-9-Verfahren nach US-amerikanischem Recht176. Es gilt als praxisbewährt und ist nach Ansicht von Paulus das wohl „ausgefeilteste und am weitesten fortentwickelte Modell der insolvenzrechtlichen Behandlung einer souveränen, öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft“177. Das Verfahren ist insbesondere auf die Wahrung der Souveränität des Schuldners ausgerichtet mit der Maßgabe, dass der Schuldner „handlungsfähig gehalten wird“178. Das Verfahren nach Chapter 9 kann allein vom Schuldner, das heißt der Gebietskörperschaft, eingeleitet werden (sec. 901 i. V. m. 301 Bankruptcy Code (BC)). Zunächst ist ein Antrag an ein reguläres Konkursgericht (Bankruptcy Court) zu richten. Im Anschluss prüft der Konkursrichter, ob der An173 Das Liquidationsverfahren, das Ziel der Regelung einer geordneten Vermögensverteilung des Schuldners unter den Gläubigern, materialisiert Chapter 7. 174 Eine Insolvenzordnung besteht heute in einem sogenannten Planverfahren. Zum Planverfahren siehe Ch. Paulus, Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, S. 8 ff. 175 Ebenda, S. 7; zu den Zwecken der Insolvenzordnung siehe insbesondere M. Balz, Die Ziele der Insolvenzordnung, Kölner Schrift zum Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2000, S. 3 ff. 176 Vgl. dazu Ch. Paulus, Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, S. 12 f.; J. Sachs, Do We Need an International Lender of Last Resort?, S. 6 ff.; S. Schwarcz, Sovereign Debt Restructuring: A Bankruptcy Reorganization Approach, 1999, S. 956 ff.; kritisch dazu: M. Kerber, Souveränität und Konkurs, S. 30 ff. Das USamerikanische Unternehmenskonkursrecht sei nur für Kommunen, also nicht-souveräne Gebietskörperschaften anwendbar. Die Anwendung auf souveräne Staaten scheitere daran, dass diese nicht liquidiert werden könnten. 177 Ch. Paulus, Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, S. 12. 178 Ebenda.
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Teil 7: Grundzüge eines Insolvenzrechts für Staaten
trag in gutem Glauben („in good faith“) gestellt worden ist (sec. 921 (c) BC). Der Konkursrichter ist grundsätzlich nicht ermächtigt, „in irgendeiner Weise Einfluss zu nehmen auf: •• any of the political or governmental powers of the debtor, •• any of the property or revenues of the debtor, or •• the debtor’s use or enjoyment of any income-producing property.“ Mit der Stellung des Antrags tritt der „automatic stay“ in Kraft (sec. 922 BC). Zum Schutze des Schuldners tritt „an die Stelle des Eigennutzes der einzelnen Gläubiger die Wahrung der Kollektivinteressen“. Zulässig ist allein die Durchführung eines Planverfahrens, andere Verfahrenstypen sind nicht zugelassen. Bis zur Bestätigung durch die Gläubiger kann der Plan jederzeit verändert werden. Der Plan ist akzeptiert, wenn eine Zweidrittelmehrheit der Forderungen und eine einfache Kopfmehrheit in den einzelnen Abstimmungsklassen zustimmt (sec. 901 i. V. m. 1126 (c) BC). Sollten sich früher getätigte Transaktionen nunmehr als gläubigerschädlich herausstellen, sind diese Transaktionen im Wege der Gläubigeranfechtung rückgängig zu machen und der vorhandenen Vermögensmasse zuzuführen (sec. 926 BC). Im letzten Schritt muss das Gericht dem Plan zustimmen. Dabei prüft es, „ob der Schuldner allen Verpflichtungen während des Planverfahrens nachgekommen ist, ob die erforderliche Zustimmungsmehrheit der Gläubiger erzielt wurde und ob der Plan im besten Interesse aller Gläubiger ist und durchführbar erscheint“ (sec. 943 BC).
E. Stellungnahme Die Einführung eines Insolvenzverfahrens auf internationaler Ebene wirft eine Vielzahl weiterer Probleme auf, welche im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft werden können. Nach welchen Kriterien sollen zum Beispiel die Zahlungsunfähigkeit, die Schuldentragfähigkeit oder die Höhe eines Schuldenschnitts bestimmt werden? Allgemeine Begriffsbestimmungen und Kriterien müssten den mannigfaltigen Erscheinungsformen von Staatsinsolvenzen Rechnung tragen und daher wird es nicht leicht sein, Konsens für ein einheitliches Regelwerk zur erzielen. Nicht weniger schwierig wird sich die politische Umsetzung einer völkerrechtlichen Insolvenzordnung gestalten, zumal da die Gläubigerinteressen einflussreicher Staaten und mächtiger Finanzmarktinstitute davon berührt sind. Und schließlich geht es um einen fairen Interessenausgleich zwischen Gläubigern und Schuldnerstaat179. Trotz aller Bedenken ist ein völkerrechtli179 Ob ein völkerrechtlich verbindliches Insolvenzrecht für zahlungsunfähige Staaten in absehbarer Zeit politisch realisierbar sein wird, erscheint angesichts der
E. Stellungnahme517
ches Verfahren für die geordnete Insolvenz überschuldeter Staaten ökonomisch sinnvoll und rechtlich dringend geboten. In der Praxis führt die Struktur der Kreditprogramme des IWF, insbesondere die Konditionalität seiner Auflagen, regelmäßig die entgegengesetzten Interessen zwischen Schuldnerstaat und Gläubigern vor Augen und letztlich geht es dabei immer um diese Alternativen: Entweder wird der zahlungsunfähige Staat mittels neuer Kredite so lange in der Haftung gehalten, bis eine Konsolidierung seines Haushalts unter bestimmten Auflagen die Tilgung der Kredite erwarten lässt oder der Schuldnerstaat wird teilweise oder vollständig von seiner Haftung befreit. Die Gläubiger müssen ihre Forderungen dann abschreiben und die Verluste realisieren. Während man die Konditionalität als ein Instrument betrachten kann, das primär den Schuldnerstaaten willkürliche, das heißt im Sinne Max Webers rechtsferne (Herrschafts)formen auf erlegt, dient das Konzept eines völkerrechtlichen Insolvenzverfahrens der zweiten Alternative, indem es eine Entschärfung des Souveränitätsproblems im Überschuldungsfall anbietet. Im Vergleich zur Konditionalitätspolitik des IWF erscheint ein Insolvenzverfahren jedenfalls als die bessere Alternative. Wie am Beispiel der EuroKrise gezeigt versucht der IWF, Überschuldungskrisen im Wesentlichen mit Auflagen zu lösen, die aus einer Kombination von finanziellen und politischen Maßnahmen bestehen. Einerseits sucht der Fonds die Krisen finanziell zu entschärfen, indem er die Schuldnerstaaten mit immer neuen Krediten refinanziert. Restrukturierungen und die Befreiung von übermäßigen Verbindlichkeiten werden nur ultima ratio in Betracht gezogen. Dies kommt überwiegend den Gläubigern zugute, „insbesondere Banken westlicher Länder, deren zu großzügige Kreditgewährung diese Krisen verursacht hatte“180. Auf der anderen Seite interveniert der IWF politisch, indem er mit Auflagen und Sparprogrammen auf die inneren Verhältnisse der Schuldnerstaaten einwirkt. Dieser Umgang mit Überschuldung verläuft außerhalb einer rechtlichen Ordnung, das heißt ad-hoc und regelmäßig unter Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der betroffenen Völker. Dem gegenüber besteht das Ziel eines völkerrechtlichen Insolvenzrechts darin, die Mitglieder der Staatengemeinschaft unter einheitlichen (Verfahrens-)Regeln zu einer rechtlichen Lösung dieser Konflikte zu veranlassen. Macht von meist global agierenden Gläubigern zweifelhaft. Zur Frage der Zustimmungsfähigkeit eines Insolvenzrechts für Staaten und einer im Ergebnis zuversicht lichen Bewertung der politischen Aussichten M. Dabrowski/A. Fisch/K. Gabriel/ Ch. Lienkamp, Das Insolvenzrecht für Staaten, S. 148 ff.; zur institutionen-ökonomischen Analyse des Insolvenzrechts, ebenda, S. 129 ff. 180 I. Seidl-Hohenveldern, G. Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, S. 362 f.
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Teil 7: Grundzüge eines Insolvenzrechts für Staaten
Insofern könnte man ein solches Verfahren, das in seiner Struktur die typischen Interessenkonflikte zwischen Schuldnerstaat und Gläubigern abbildet und ordnet181, auch als Gegenentwurf zur Konditionalität des IWF verstehen: Der Konditionalität des IWF setzt es ein rechtsförmiges Verfahren entgegen wenn auch kaum zu erwarten ist, dass das Selbstbestimmungsrecht der Staaten umfassend berücksichtigt wird. Eine Überschuldung fesselt die Fiskalpolitik des Krisenstaates und engt seine Budgetentscheidungen auch ohne die Auflagen von Kreditgebern immer mehr ein. Eine Insolvenzordnung könnte dazu beitragen, den verbliebenen Spielraum wenigstens nach eigenem Ermessen ohne den Druck ausländischer Geldgeber und das heißt souverän zu nutzen. Einen Schutz vor Finanzmarktrisiken bietet das zwar nicht, wohl aber vor der Willkür der Gläubiger.
181 In Einklang zu bringen sind insbesondere das Gebot der Vertragstreue und das „Prinzip der ordnungsgemäßen, kooperativen Staatsumschuldungen“. A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 35 mit Verweis auf S. Pravin Banker Associates Ltd. vs. Banco Popular del Peru and The Republic of Peru, 109 F.3d 850, 855 (2nd Cir., 1997).
Teil 8
Der IWF im Umfeld globaler Finanzströme: Zur Problematik der Kapitalverkehrsfreiheit Die fortschreitende Globalisierung und Liberalisierung der Finanzmärkte hat erheblich dazu beigetragen, dass sich die Krisenanfälligkeit einzelner Staaten und ganzer Wirtschaftsregionen erhöht hat1. Dafür sind nicht nur spekulativ eingesetzte Finanzinnovationen wie Währungsfutures oder Derivate verantwortlich, sondern auch neue Finanzmarktakteure, etwa Hedgefonds oder internationale „Private-Equity-Funds“. Darüber hinaus ist der Zugang vieler Staaten zum globalen Kapitalmarkt erleichtert worden, und bei einem weltweit niedrigen Zinsniveau können sie Kredite aufzunehmen, deren Verzinsung nicht risikoadäquat ist und die in keinem rationalen Verhältnis zu ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stehen2. Wenn Schocks an den Finanzmärkten auftreten, treffen sie die „Schwellenländer, und die von diesen Ländern an Kapitalmärkten gehandelten Staatsschuldverschreibungen mit besonderer Intensität“3. Schließlich erhöht die Liberalisierung des Kapitalverkehrs auch die Ansteckungsgefahr regionaler Krisen, die immer schneller und bisweilen panikartig auf andere Regionen und sogar weltweit übergreifen können. Eindrucksvolle Beispiele dafür lieferten die Ostasienkrise (Ende der 1990er Jahre) und die Lehman-Krise von 2007 / 2008. Freilich haben länderspezifische Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten meist auch hausgemachte Ursachen wie zu hohe Inflationsraten, fundamentale Leistungsbilanzdefizite, zu kurze Laufzeiten bei Auslandskrediten oder eine nichteffektive Bankenaufsicht4. 1 J. Galbraith: Der geplünderte Staat: oder was gegen den freien Markt spricht, 2010. Mit der Hochzinspolitik sicherte US-Präsident Reagan die finanzielle Vormachtstellung des Dollars. 2 Zu der „dringend notwendige[n] Korrektur dieser Fehlentwicklung“ durch „Errichtung eines transparenten Insolvenzverfahrens, das privaten Gläubigern die wesentliche Last eines Schuldenschnittes auferlegt“ siehe auch C. Fuest/F. Heinemann/ Ch. Schröder, FAZ vom 18. Juli 2014, Nr. 164, S. 16, Geregelt in die Staats-Insolvenz); ebenso J. Stiglitz, Die Grenzen der Globalisierung (Taschenbuchausgabe) S. 309. 3 A. Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, S. 25. 4 Vgl. J. Donges/A. Freytag, Allgemeine Wirtschaftspolitik, S. 386 f.; zur beson deren Problematik Griechenlands in diesem Zusammenhang vgl. O. Gloede/L. Menk-
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Teil 8: Der IWF im Umfeld globaler Finanzströme
Unter dem Kapitalverkehr versteht man im Allgemeinen „die Übertragung (Erwerb, Veräußerung und Transfer) von Geldkapital und Wertrechten für Geld- und Sachkapital über Staatsgrenzen hinweg“5. Er erfasst die Gesamtheit der finanziellen Transaktionen, welche nicht unmittelbar durch den Waren- und Dienstleistungsverkehr bedingt sind6. Der Begriff „Kapitalverkehrsfreiheit“ wird besonders im Zusammenhang mit den vier Grundfreiheiten im EU-Recht verwendet, obwohl er in den Gemeinschaftsverträgen nicht definiert wird und auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) bisher keine Definition angeboten hat. Zur Konkretisierung greift dieser vielmehr auf die Begrifflichkeiten der Kapitalverkehrsrichtlinie 88 / 361 / EWG zurück7. Im Unterschied zum Kapitalverkehr versteht man unter dem internationalen Zahlungsverkehr8 die Übertragung von Geldmitteln über nationale Grenzen hinweg mit dem Ziel der Erfüllung einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung9, wobei der Begriff Geldmittel auch den bargeldlosen Zahlungsverkehr einschließt. Folglich sind Zahlungsverkehr und Kapitalverkehr durch das Grundgeschäft voneinander abzugrenzen: „Während der freie Zahlungsverkehr der Zahlungserbringung als Gegenleistung von Waren, Dienstleistungsoder Kapitalgeschäften dient, ist der freie Kapitalverkehr auf Kapitalgeschäfte als Grundgeschäfte bezogen“10. Zu Beginn der neunziger Jahre hat sich der Umfang der privaten Kapitalbewegungen, die in keinem direkten Bezug zum Handel mit Gütern oder Dienstleistungen stehen, massiv ausgeweitet. Die freie Mobilität des Kapitals prägt heute wesentlich die globalen wirtschaftlichen Verhältnisse. Zu dieser Entwicklung hat die Tätigkeit des Internationalen Währungsfonds maßgeblich beigetragen. Nationale Kapitalverkehrsbeschränkungen11 wurden in hoff, Griechenlands Krise: Das währungspolitische Trilemma im Euroraum in: Wirtschaftsdienst, 2010, S. 172. 5 J. Müller, Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union. Bedeutung, Inhalt und Umfang, Weiterentwicklung, Auswirkung auf Völkerrecht und nationales Recht, 2000, S. 13 ff. (insb. S. 19), S. 152 ff., (insb. S. 158). Im EU-Recht EuGH, verb. Rs. C-163/194, C-250/94. 6 Gabler, Volkswirtschafts-Lexikon, 1997, S. 571. 7 Vgl. D. Scharf, Die Kapitalverkehrsfreiheit gegenüber Drittstaaten, in: Ch. Tietje/G. Kraft/R. Sethe (Hrsg.), Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, 2008, S. 8; dort unter Berufung auf (EuGH, verb. Rs. C-163/194, C-250/94). 8 Hier im Sinne von Art. 56 II EG. 9 W. Kiemel, Art. 56 EGV, in: H. v. d. Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union, 2003, Rdn. 1. 10 D. Scharf, Die Kapitalverkehrsfreiheit gegenüber Drittstaaten, S. 8 ff (unter Berufung auf K. Hailbronner/G. Jochum, Europarecht II, Rdn. 668 u. a.). 11 Zu den Kontrollinstrumenten des Kapitalverkehrs siehe M. Huth, Die besondere Problematik von Währungskrisen in Emerging Market Economies, 2006, S. 203 ff.
A. Regelungen zur Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit521
den letzten drei Jahrzehnten unter dem Druck der einflussreichen internationalen Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds, der Welthandelsorganisation12 oder der G-7-Staaten weitestgehend abgeschafft13. Im Zentrum der Debatte um die Liberalisierung des Kapitalverkehrs steht der IWF14, welcher sich seit den achtziger Jahren unter dem Stichwort „Reagonomics“ im Dienst der handelsstarken Mitglieder und der Finanzmärkte15 für eine möglichst globale und liberale Wirtschaftspolitik eingesetzt hat16. Die Frage nach der Legitimation der IWF-Tätigkeit hat deshalb auch die fortschreitende Kapitalverkehrsliberalisierung und ihre Folgen in den Blick zu nehmen. Welche Rolle spielt der IWF bei der Durchsetzung der Kapitalverkehrsfreiheit und wo verlaufen die rechtsstaatlichen Grenzen von Kapitalverkehrsregelungen?
A. Regelungen des IWF-Übereinkommens zur Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit Das IWF-Übereinkommen ist im Kern auf die Freiheit des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs gerichtet, also auf Finanzangelegenheiten, die den Handel mit Gütern und Dienstleistungen betreffen, soweit sie in die „laufenden Konten“ der Zahlungsbilanz der Länder einfließen17. 12 D. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft, S. 251. 13 Heute unterliegt kein anderer Bereich der Weltwirtschaft so geringfügigen nationalen und internationalen Kontrollen wie der Kapitalverkehr. K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in: Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 255. 14 Über den IWF „at the center of this controversy“ und seine Rolle in der Problematik der Kapitalverkehrsfreiheit vergleiche J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 1. 15 Ob und inwiefern der IWF dabei den Einflüsterungen der Kapitalmärkte und der mächtigen Mitglieder Folge leistete, ist umstritten. Chwiroth verneint eine direkte äußere Einflussnahme durch Mitgliedstaaten und kommt zu dem Ergebnis, der Einsatz für eine Politik der Liberalisierung sei von einer neuen Generation des Mitarbeiterstabes innerhalb des IWF ausgegangen. Allerdings beschreibt Chwieroth ein starkes Eintreten für eine Liberalisierungspolitik durch amerikanische Vertreter im IWF, namentlich des amerikanischen IWF-Direktors Charles Dallara. Siehe dazu J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 147, 155 ff. Stiglitz macht dagegen geltend, der IWF mache sich im Prozess der Liberalisierung zum Erfüllungsgehilfen der Finanzmärkte. Die Schatten der Globalisierung, S. 119 ff. 16 Siehe J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization. 17 Diesbezügliche Regelungen finden sich in Art. I Abschnitt IV, Art. IV, Art XXX IWF-Übereinkommen. Vgl. R. Peet/B. Born/K. Feher/M. Feinstein, Unholy
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Teil 8: Der IWF im Umfeld globaler Finanzströme
Die wichtigste Voraussetzung der Liberalisierung des Zahlungsverkehrs ist die Konvertibilität der Währungen, innerhalb des IWF-Übereinkommens kodifiziert durch Art. VI Abs. 2 Abschnitt 1 a)18. Danach stehen die Beschränkung von Zahlungen und Übertragungen für laufende internationale Geschäfte durch die Mitglieder unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch den Fonds19. Die Mitglieder sind verpflichtet, inländischen Schuldnern zu erlauben, die Devisen anderer Mitglieder zu erwerben, um auf diese Weise Zahlungsverbindlichkeiten gegenüber ausländischen Gläubigern erfüllen zu können20. Nicht erlaubt sind demzufolge prohibitive Abgaben, wie Umtauschsteuern oder diskriminierende Wechselkurse. Die Umsetzung der Zahlungsverkehrsfreiheit, zu welcher sich jedes Mitgliedsland mit Beitritt zum IWF verpflichtet hat, bildet ein „wesentliches Grundprinzip der internationalen Währungsverfassung“21. Eine vergleichbare Verpflichtung zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs sieht das IWF-Abkommen jedoch nicht vor22. Art. IV Abs. 3 IWF-Übereinkommen stellt klar, dass es den Mitgliedern erlaubt ist, die zur Kontrolle internationaler Kapitalbewegungen notwendigen Maßnahmen zu treffen. Verboten sind lediglich Maßnahmen, welche die Zahlung an ausländische Gläubiger tatsächlich verhindern23. Mit Art. VI Abs. II Abschnitt 1 a) IWF-Übereinkommen grundsätzlich vereinbar sind nationale Regelungen, welche Gebietsansässige verpflichten, ausländische Trinity: The IMF, World Bank and WTO, S. 80. Zu Hintergrund und Entwicklung der Regelungen des IWF-Übereinkommens in Bezug auf die Liberalisierung des Kapitalverkehrs siehe auch M. Joswig, Die Geschichte der Kapitalverkehrskontrollen im IWF-Übereinkommen, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 117, Februar 2012, insbesondere S. 25 ff. 18 Art. VI Abs. II Abschnitt 1 a) IWF-Übereinkommen wird auch als die „Magna Charta“ des Rechts der Konvertibilität bezeichnet. Siehe W. Ebke, Internationales Devisenrecht, S. 55. 19 Zum Genehmigungsverfahren siehe W. Ebke, Internationales Devisenrecht, S. 55. 20 Ch. Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, S. 250; W. Ebke, Internationales Devisenrecht, S. 56. 21 Ch. Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, S. 271. 22 Zur Einklagbarkeit von Wechselforderungen aus dem internationalen Kapitalverkehr, BGH, Urteil vom 22.9.1994 – XI ZR 16/93. Leitsatz: „Art VIII Abschn 2 (b) IWF-Ü (juris: IMFAbk) erfaßt vorbehaltlich der Ausnahmebestimmung des Art VII Abschn 3 (b) IWF-Ü und der Übergangsregelung des Art XIV Abschn 2 IWF-Ü nur Devisenkontrollbestimmungen, die mit Zustimmung des Internationalen Währungsfonds eingeführt worden sind, nicht aber Beschränkungen des internationalen Kapitalverkehrs, die ausnahmslos einer Zustimmung des Fonds nicht bedürfen.“ 23 C. Proctor, Mann on the Legal Aspect of Money, 6. Aufl. 2005, S. 575 ff.
A. Regelungen zur Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit523
Devisen an Behörden abzuliefern und die Verwendung bestimmter Währungen zu verbieten24. Der Begriff „laufende Zahlungen“ ist trotz seiner Definition im IWFÜbereinkommen umstritten25. Nach Art. XXX d) IWF-Übereinkommen sind Zahlungen für laufende Transaktionen jene, die nicht der Übertragung von Kapital dienen. Die Norm enthält einen exemplarischen Katalog solcher Zahlungen: Genannt werden Zahlungen im Zusammenhang mit dem Außenhandel einschließlich Dienstleistungen sowie solche im Kontext mit den „normalen kurzfristigen Bank- und Kreditgeschäften“ (Nr. 1), ferner die Zahlung von Kreditzinsen oder von Nettoerträgen aus anderen Anlagen (Nr. 2), Zahlungen „in mäßiger Höhe“ für die Tilgung von Krediten oder für die Abschreibung von Direktinvestitionen (Nr. 3) sowie Überweisungen „in mäßiger Höhe“ zur Bestreitung des Familienunterhalts (Nr. 4). Das Übereinkommen erlaubt den Mitgliedern, in der Übergangsphase ihres Beitritts zum IWF an bestehenden Devisenverkehrsbeschränkungen festzuhalten und sie gegebenenfalls anzupassen. Bis in die achtziger Jahre wurde von dieser Regelung häufig Gebrauch gemacht. Heute dagegen erhalten nur wenige Mitglieder Zahlungsverkehrsbeschränkungen aufrecht26. Sofern ein Land Devisenkontrollen im Einklang mit dem Abkommen für bestimmte Situationen und Perioden eingeführt hat (Art. VIII) IWF-Übereinkommen), werden diese Kontrollen international anerkannt. Die Beschränkungen können nicht durch Devisenkontrakte privater Rechtssubjekte unterlaufen werden. So sorgt Art. VIII Abs. 2 b IWF-Übereinkommen letztlich 24 Ch. Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, S. 251, dort mit weiteren Nachweisen: W. Ebke, Internationales Devisenrecht, S. 57 ff.; M. Potacs, Devisenbewirtschaftung: Eine verfassungs- und verwaltungsrechtliche Untersuchung unter Berücksichtigung des Völker- und Europarechts, S. 435. 25 Siehe zur Problematik des Begriffs: W. Ebke, Internationales Devisenrecht, S. 55 ff.; C. Proctor, Mann on the Legal Aspect of Money, S. 575 ff. 26 Während in den achtziger Jahren noch etwa die Hälfte der IWF-Mitglieder von der Ausnahmeregelung des Art. XIV Abschnitt 2 IWF-Übereinkommen Gebrauch machten, waren es Ende des Jahres 2006 nur noch 19 Mitglieder. Die übrigen 166 Länder hatten den sogenannten „Art. VIII-Status“ inne (erlaubt sind nur marginale Zahlungsverkehrsbeschränkungen). Vgl. IMF, Annual Report on Exchange Arrangements and Exchange Restrictions, 2007, S. XIX. In jüngster Zeit arbeitet eine Arbeitsgruppe des IWF daran, Beschränkungen des internationalen Kapitalverkehrs wieder einzuführen und Bedingungen für die Zulässigkeit von Kapitalverkehrskontrollen in einem Rahmenwerk zu fixieren. Kapitalverkehrskontrollen dürfe es nach dem Willen der G-20-Staaten aber nur als „Ultima Ratio“ geben. „Im Fall unerwünschter Kapitalströme müssten die Regierungen zunächst alle Mittel etwa der Finanz- und der Geldpolitik ausschöpfen.“ P. Welter, FAZ vom 15. Oktober 2011, S. 13, Weltwährungsvisionen.
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Teil 8: Der IWF im Umfeld globaler Finanzströme
dafür, dass aus Devisenkontrakten27, die gegen Devisenkontrollen verstoßen, weder geklagt noch vollstreckt werden kann. Die Regelung ist der Erfahrung geschuldet, dass vor dem Inkrafttreten des IWF-Übereinkommens nationale Gerichte weltweit die Tendenz hatten, nur Devisenkontrollen des eigenen Landes durchzusetzen, während den Beschränkungen anderer Staaten die Anerkennung oftmals versagt wurde. Im Gegensatz dazu unterliegen Kapitalverkehrskontrollen keiner völkervertraglichen Bindung. Die Mitglieder sind nicht verpflichtet, die Kapitalverkehrskontrollen eines anderen Staates im eigenen Land anzuerkennen. Klagen gegen derartige Kontrollen anderer Länder sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weder zulässig noch durchsetzbar. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs etwa gibt es „keinen Anlass, auch willkürlichen, unter Umständen sogar konfiskatorischen Devisenkontrollbestimmungen anderer Staaten, die in Bezug auf den allgemeinen Kapitalverkehr weiterhin möglich bleiben, entgegen der allgemeinen Regel, dass diese für andere Staaten nicht verpflichtend sind, mit Hilfe des Art. VIII Abs. 2 b IWF-Übereinkommen international bindende Geltung zu verschaffen“28. Die Geltung von Beschränkungen richtet sich außerhalb des eigenen Landes nach den Grundsätzen des allgemeinen Internationalen Privatrechts, welches traditionsgemäß in den meisten Ländern eine Kontrolle nur in Ausnahmefällen als beachtlich anerkennt. Das Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds enthält keine Verpflichtung des Fonds oder seiner Mitglieder zur Liberalisierung von Kapitalübertragungen29. Zwar bekennt sich der Fonds, ebenso wie andere Internationale Organisationen (Weltbankgruppe, World Intellectual Property Organization WIPO), zu den Postulaten einer modernen Geld-, Fiskal- und Wirtschaftspolitik. Art. IV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen, der im Rahmen der zweiten Änderung des Abkommens im Jahr 1978 eingefügt wurde, zählt auch die Erleichterung des internationalen Kapitalverkehrs zum „eigentlichen Ziel“ des internationalen Währungssystems. Art. I Ziffer 2 und Art. IV Abschnitt 1 IWF-Übereinkommen benennen die Ausweitung und Erleichterung des Welthandels als „eigentlichen Zweck“ des IWF, um die 27 Inzwischen setzt sich weltweit die Auffassung durch, dass der Begriff des Devisenkontraktes weit auszulegen ist und alle Verträge erfasst, die „die Zahlungsbilanz des Landes berühren, welches die Devisenvorschriften erlassen hat“. Der Begriff des Devisenkontraktes umfasst daher Bürgschafts-, Darlehens-, und andere Verträge. So zum Beispiel BGH IPRspr 1970 (Nr. 100), S. 327; LG Hamburg, IPRspr. 1990 (Nr. 159) S. 317. 28 BGH IPRspr. 1993 (Nr. 127), S. 286. 29 Siehe zu den Vorschriften des IWF-Übereinkommens zum Kapitalverkehr J. Gold, International Capital Movements under the Law of the IMF, IMF Pamphlet Series No. 21, 1977.
A. Regelungen zur Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit525
„Erfüllbarkeit von grenzüberschreitenden monetären Forderungen, die aus der Durchführung grenzüberschreitender Handelsgeschäfte resultieren“, rechtlich abzusichern30. Dazu gehören Ziele der Vollbeschäftigung, des Wirtschaftswachstums, fairer Wettbewerb und teilweise Geldwertstabilität31. Art. VI Abschnitt 3 IWF-Übereinkommen erkennt das souveräne Recht der Mitglieder, Kontrollen des Kapitalverkehrs beizubehalten oder neu einzuführen, ausdrücklich an32. Art. VI Abschnitt 1 a) IWF-Übereinkommen überträgt dem IWF sogar die Befugnis, ein Mitglied zu verpflichten, den Kapitalverkehr beschränkende Maßnahmen einzuführen, wenn das Mitglied ohne die Maßnahmen auf die allgemeinen Fondsmittel zur Deckung von Kapitalabflüssen zugreifen müsste. Die unterschiedliche Behandlung des Kapital- und Zahlungsverkehrs im IWF-Übereinkommen beruht auf der (ehemals) vorherrschenden Überzeugung der Mehrheit der Mitgliedstaaten, dass neben der Zahlungsverkehrsfreiheit eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs der Förderung des Welthandels nicht dienlich sei. Für die Währungskonflikte der dreißiger Jahre wurde damals hauptsächlich die Volatilität der Kapitalströme verantwortlich gemacht (sogenanntes „hot money“)33. Während der Gründungsverhandlungen in Bretton Woods ging man davon aus, dass auf Kontrollen des Kapitalverkehrs nicht verzichtet werden könne. Kapitalverkehrskontrollen betrachtete Keynes als „eine notwendige flankierende Maßnahme“34. In seinen Augen war die Freiheit des Kapitalverkehrs „ein wesentlicher Teil des lassez-faire-Systems“, welches für die Destabilisierung der Weltwirtschaft, zumal für den Ausbruch der Weltwirtschaftskrise mitverantwortlich war. Überhaupt vertrat Keynes die Auffassung: „[…] above all, let finance be […] national“35. Auch nach 30 Ch. Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, S. 250. Werner Lachmann weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Finanzströme in den letzten Jahren eine neue Dimension erreicht hätten: „Nach dem Zweiten Weltkrieg dienten Finanzströme in einem hohen Maße zur Finanzierung des realen Außenhandels. Heute betragen die Kapitalströme ein Mehrfaches des Welthandels.“ Brauchen wir eine Welt-Ordnungspolitik?, S. 132 f. 31 R. Knieper, Elemente des internationalen Rechts grenzüberschreitenden Kapital- und Zahlungsverkehrs, WiRO, Heft 12, S. 353 ff. 32 Siehe zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs auch Decision No. 541-(56/39) des Exekutivdirektoriums vom 25. Juli 1956. 33 Vgl. umfassend R. Nurkse, International Currency Experience, 1944. 34 Zitiert nach W. Ebke, Internationales Devisenrecht, S. 90 ff. 35 J. M. Keynes, Yale Review 22 (1933), 755 (769). „It is widely held that control of capital movements, both inward and outward, should be a permanent feature of the post-war system […].“ J. M. Keynes, The Collected Writings, Band XXV: Activities 1940–1944, Shaping the Post-War World: The Clearing Union, D. Moggridge (Hrsg.), 1980, S. 129, § 113; zu Keynes’ Auffassung von Kapitalverkehrskontrollen M. Joswig, Die Geschichte der Kapitalverkehrskontrollen im IWF-Überein-
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Meinung von Dexter White waren unter den zur Verfügung stehenden Maßnahmen des Zahlungsbilanzausgleichs, namentlich Währungsabwertung, Importkontrollen und Kapitalkontrollen, Letztere „the best of the bad choices“36. Im Übrigen kam eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs für die Gründungsstaaten auch aus souveränitätspolitischen Gründen nicht in Betracht37. Der Gründungsvertrag etablierte ein System fester Wechselkurse. Eine zusätzliche Liberalisierung des Kapitalverkehrs wäre einer faktischen Aufgabe der nationalen geldpolitischen Hoheit gleichgekommen, da zwischen Wechselkursstabilität, Kapitalverkehrsfreiheit und autonomer Geldpolitik ein Zielkonflikt besteht: Es lassen sich immer nur zwei dieser drei Ziele einer Wechselkurspolitik gleichzeitig verwirklichen (sogenanntes währungspolitisches Trilemma)38.
I. Der IWF als Befürworter der Kapitalverkehrsfreiheit Wie bereits angeklungen, betrachtete der IWF in der ersten Phase nach seiner Gründung, bis zum Beginn der achtziger Jahre, Kapitalverkehrskontrollen als „wesentlich“ und einen unkontrollierten Kapitalverkehr als „nicht wünschenswert“39. Kapitalverkehrskontrollen galten als Voraussetzung für eine souveräne nationale Fiskal- und Geldpolitik, insbesondere als Steuerungsinstrument zum Ausgleich der Zahlungsbilanz40. So war der IWF im kommen, S. 16 ff., einzusehen unter http://telc.jura.uni-halle.de/sites/default/files/BeitraegeTWR/Heft117.pdf. 36 J. Boughton, Why White, Not Keynes?, Inventing the Postwar International Monetary System, S. 15. 37 W. Ebke, Internationales Devisenrecht, S. 90; C. Crawford Lichtenstein, The New Financial World of Cross Border Capital Movements: The International Monetary Fund Agreement in the Light of the 1994 Mexico Peso Crisis, in: FS Hahn, 1997, S. 191, 195 f.; R. Lastra, Legal Foundations of International Monetary Stability, 2006, S. 396; Ch. Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, S. 254. 38 Das Modell der „impossible trinity“ oder des „trilemma triangle“ haben M. Fleming und R. Modell unabhängig voneinander nachgewiesen; zur genaueren Darstellung vgl. dazu Ch. Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, S. 101; ebenso G. Mankiv im Hinblick auf die internationalen Kapitalmärkte: „If the situation in one country […] differs from that in the rest […], that country no longer has its own monetary policy to address national problems“, The Trilemma of International Finance, The New York Times vom 10. Juli 2010. 39 J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 153, 155. 40 Ebenda, S. 153. [Der IWF vertrat die Ansicht, dass mit Kapitalverkehrskontrollen die einheimischen Investitionen und das Steueraufkommen gesteigert werden könnten.].
A. Regelungen zur Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit527
Jahr 1944 als eine der Bretton-Woods-Organisationen gegründet worden, „um den Märkten feste Wechselkurse und eine strenge Kontrolle des Kapitalverkehrs“ zu verordnen41. Die im Grundsatz befürwortende Einstellung zu Kapitalverkehrskontrollen hat der Fonds in den achtziger und neunziger Jahren aufgegeben. Kapitalverkehrskontrollen wurden nicht länger als legitimes Instrument der nationalen Wirtschaftspolitik anerkannt42. Im Zuge seiner „Hinwendung zu freien Märkten“ betrachtete der IWF die Kapitalverkehrsfreiheit als wichtiges Element des Washingtoner Consensus43. „Die Verankerung der Kapitalverkehrsliberalisierung in den Statuten des IMF war Teil des Washington Consensus und das dezidierte Ziel der Finanzgemeinde44.“ Der Wandel des IWF von der Billigung zur Ablehnung von Kapitalverkehrskontrollen vollzog sich nicht infolge einer Änderung der Statuten45, sondern geschah auf informeller Ebene innerhalb der Organisation. Jeffrey Chwieroth zeigt in seiner Untersuchung, dass sich die Position innerhalb des Mitarbeiterstabes seit den achtziger und neunziger Jahren grundlegend gewandelt hat. So sei die Einstellung des IWF zu Kapitalverkehrskontrollen von einer einstmals wirtschaftspolitischen Grundüberzeugung („economic orthodoxy“) zu einer wirtschaftspolitischen Irrlehre („economic heresy“) mutiert46. Seit Mitte der achtziger Jahre übernahm der IWF „unter dem Einfluss der Vereinigten Staaten“47 eine im Wesentlichen neoliberale Wirtschaftstheo41 Für den US-Verhandlungsführer Harry Dexter White bedeutete dies zwar „weniger Freiheit für die Besitzer liquiden Kapitals. Aber diese Beschränkung würde im Interesse der Völker ausgeübt“. Harald Schumann, (K)ein Durchbruch, Tagesspiegel vom 19. Mai 2010, http://www.tagesspiegel.de/meinung/finanzmaerkte-kein-durch bruch/1841502.html. 42 J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 155. 43 FAZ vom 5. Dezember 2012, Nr. 284, Der IWF heißt Kapitalverkehrskontrollen gut, S. 17. 44 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 200; dazu J. Williamson, Latin American Adjustment. How Much Has Happened?, 1990; kritisch auch R. Peet/B. Born/K. Feher/M. Feinstein, Unholy Trinity: The IMF, World Bank and WTO, 2. Aufl. 2009, S. 91 ff. 45 Zur Diskussion um ein Rahmenwerk für Kapitalverkehrskontrollen siehe D. Ruddigkeit, Das Mandat des IWF, S. 299 ff. 46 J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 1. 47 FAZ vom 5. Dezember 2012, Nr. 284, S. 17, Der IWF heißt Kapitalverkehrskontrollen gut. („Ein Versuch in den neunziger Jahren, unter dem Einfluss der Vereinigten Staaten die Kapitalverkehrsfreiheit in den Regeln des Fonds zu fixieren, scheiterte am Widerstand der Entwicklungsländer.“).
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rie48, welche während der Clinton-Regierung in den neunziger Jahren fortgesetzt wurde49. Entsprechend dieser neoklassischen Wirtschaftstheorie ging der Fonds mit Blick auf eine optimale Ressourcenallokation von einer Überlegenheit des Marktes aus. Dementsprechend betrachtete er die Kapitalverkehrsfreiheit als einen „integralen Bestandteil der globalisierten Welt wirtschaft“50 und schrieb ihr eine wohlstandssteigernde Wirkung zu51. Innerhalb der Führung des Fonds setzte sich die These durch, dass Liberalisierung und die dadurch wachsende Diversifizierung der Finanzquellen die wirtschaftliche Stabilität fördere52. Überdies seien offene Märkte effizienter und ermöglichten höhere Wachstumsraten. Im Übrigen würden die Länder ohne Liberalisierung kein ausländisches Kapital und keine Direktinvestitionen anlocken53. Dementsprechend sprach sich der damalige Geschäftsführende Direktor des IWF, Michel Camdessus, entschieden für eine möglichst weitreichende Kapitalverkehrsliberalisierung aus: „Die Kapitalverkehrsfreiheit trägt dazu bei, dass die Investitionen an die Orte gelangen, wo sie am effektivsten und am produktivsten eingesetzt werden. Dies fördert das wirtschaftliche Wachstum und den Wohlstand, sowohl national als auch international54.“ 48 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 270 ff.; J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 153. 49 Die USA waren wegen hoher Leistungsbilanzdefizite auf ausländischen Kapitalzufluss angewiesen und trieben schon aus diesem Grund die Kapitalverkehrsliberalisierung voran. Siehe Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 200. 50 „Capital account liberalization was seen as one dimension of that overall move of exposing their economies and financial systems to global forces“, so Charles Dallara, von 1984 bis 1989 US-amerikanischer Direktor im IWF, zitiert in: J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 149. 51 Zum Prozess des Umdenkens über die Kapitalverkehrspolitik innerhalb des IWF vergleiche J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 151 ff. 52 Dem hält Joseph Stiglitz entgegen, dass Länder in Zeiten einer Konjunkturabschwächung auch von ausländischen Kreditgebern keine Mittel zur Verfügung gestellt bekämen. Im Gegenteil würde ausländisches Kapital abgezogen, wenn Länder in eine Krise geraten und so den Abschwung verschärfen. Die Schatten der Globalisierung, S. 85. 53 J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 149. Joseph Stiglitz bestreitet diese These und wendet ein, dass „Liberalisierung nicht zu schnellerem Wachstum oder höheren Investitionen führt (Beispiel China)“. Die Schatten der Globalisierung, S. 85. 54 M. Camdessus Capital Account Liberalization and the Role of the Fund, Seminar on Capital Account Liberalization am 9. März 1998. Dabei bleibt beispielsweise weitgehend unbeachtet, dass die Kapitalflüsse prozyklisch verlaufen. Siehe zur
A. Regelungen zur Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit529
II. Beitrag des IWF zur Entwicklung und Problematik Maßnahmen zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs wurden ein regelmäßiger Baustein der Bereitschaftskreditabkommen55, flankiert durch geforderte Maßnahmen wie höhere Zinsen, Kürzungen der Staatsausgaben, sowie Steuererhöhungen56. Joseph Stiglitz betrachtet die Liberalisierungsagenda des IWF als einen wesentlichen Bestandteil der Konditionalitätsprogramme: „Der IWF verlangt die beschleunigte Marktöffnung als Voraussetzung für seine Hilfe – und Länder in Krisensituationen sehen oftmals keine andere Möglichkeit, als sich den Forderungen des IWF zu beugen57.“ Dabei folge er insbesondere den Interessen der USA als größtem Mitgliedstaat, deren Finanzindustrie ein besonderes Interesse an der Öffnung der Finanzmärkte in den betroffenen Staaten habe58. Kritik an der prozyklischen Wirtschaftspolitik des IWF im Rahmen des Stand-by Programms für Ungarn: J. A. Cordero; The IMF’s Stand-by Arrangements and the Economic Downturn in Eastern Europe – The Cases of Hungary, Latvia, and Ukraine, Center For Economic And Policy Research, September 2009, S. 6 ff. 55 Die Zusicherung der Programmstaaten, den Devisenverkehr zu liberalisieren, bedeutet in der Praxis, „bestehende Restriktionen nicht zu verschärfen, Konvertibilität für langlaufende Zahlungen und möglichst auch für den Kapitalverkehr herzustellen, Handelsbeschränkungen nicht zu verschärfen bzw. zu liberalisieren und häufig auch, den Kapitalverkehr zu liberalisieren“. R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 274 f. (m. w. N.). Vgl. insbesondere das Muster-Abkommen bei J. Gold, The Stand-by Arrangements of the International Monetary Fund, S. 57 ff. 56 Ein weiterer Teil der Maßnahmen waren Strukturreformen zur Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen (Offenheit, Transparenz, Regulierung der Finanzmärkte und sekundäre spezifische Reformen). J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 119 ff. 57 J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 70; Stiglitz macht viele der wirtschaftspolitischen Auflagen des IWF, vor allem die verfrühte Liberalisierung des Kapitalmarktes, für die verschärfte Instabilität der Weltwirtschaft verantwortlich (S. 32, Taschenbuchausgabe). 58 Die Liberalisierung, die oft auch bilateral zwischen den USA und einem Entwicklungsland durchgesetzt wird, dient „nicht der Stabilität der Weltwirtschaft, sondern den beschränkten Interessen der amerikanischen Finanzwelt“. J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 82. Internationale Banken drängen mit Unterstützung des IWF (und nicht zuletzt des US-Finanzministeriums) die Mitgliedstaaten dazu, den Kapitalverkehr in ihren Staaten zu liberalisieren, um damit Kapitalbewegungen in und aus dem Land zu erleichtern. In der Asienkrise setzte der IWF die sogenannten „comprehensive reforms“ durch, mittels derer eine erhöhte ausländische Beteiligung im einheimischen Finanzsystem möglich wurde. Auf diese Weise wollte der IWF insbesondere die Macht des freien Marktes erhöhen. Dazu R. Peet/B. Born/K. Feher/M. Feinstein, Unholy Trinity: The IMF, World Bank and WTO, S. 81. So erhöhten zum Beispiel die USA den Druck auf die Regierung in Südkorea, einheimischen Firmen zu erlauben, Kredite im Ausland aufzunehmen. Damit setzten
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Sofern sich nach Einschätzung des IWF die Kapitalverkehrskontrollen als unwirksam erwiesen, etwa weil eine Kapitalflucht nicht verhindert werden konnte, machte der IWF dem Staat zur Auflage, die Beschränkungen des Kapitalverkehrs vollständig aufzuheben59. Ende der achtziger Jahre forderte der Fonds auch Chile, Mexiko, Nigeria und Venezuela zur Liberalisierung auf. Nigeria war im Jahr 1986 „einer der ersten Fälle, in welchen der IWF gleichzeitig eine Liberalisierung der Zahlungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit beabsichtigte“60. Diese Forderung vertrat er auch später gegenüber Ägypten (1990–1991), Guatemala (1989), Honduras (1990), und Jamaica (1990), im Wesentlichen mit dem Argument, dass Kapitalverkehrskontrollen offensichtlich unwirksam seien61. Auch im Rahmen der Überwachung der Mitglieder, der sogenannten „surveillance“, drängt der IWF seit den achtziger Jahren verstärkt auf die Aufhebung nationaler Beschränkungen des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs62. Im Jahr 1997 stellte das Interim Committee – angeführt von Mitgliedern mit einer starken Stellung auf dem Weltmarkt – eine Änderung der IWFStatuten und eine Erweiterung der IWF-Befugnisse auf dem Gebiet der Kapitalverkehrsfreiheit in Aussicht63. Danach sollten die Finanzmärkte mögsich die Firmen den Wechselkursschwankungen auf den Finanzmärkten aus. Südkorea geriet in Schwierigkeiten, als 1997 an der Wall Street Gerüchte aufkamen, Korea könne die bald fälligen Kredite westlicher Banken nicht mehr erneuern und habe auch nicht die Reserven, diese abzulösen. Dieses Gerücht wurde zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 119 ff. 59 J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 152. 60 „Capital Account Convertibility – Review of Experiences and Implications for Fund Policies – Background Paper, SM/95/164 Supplement 1, 7 July 1995 (IMF Archives), S. 27. 61 J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 153. 62 R. Falk, Die Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF), Zwischenbilanz und Perspektiven der internationalen Debatte. Beispielhaft auch den Bericht der IWF-Mission nach Süd-Korea im Jahr 1989: „The authorities have made significant progress in liberalization of domestic financial markets, but there continues to be considerable scope for action in this area. A reform of the foreign exchange market will require, besides a freer domestic financial market, a substantial liberalization of external capital transactions“. „Korea- Staff Report for the 1989 Article IV Consultation“, SM/89/194, 12. September 1989, IMF Archives, S. 22 f. 63 Vgl. zu dieser Initiative R. Abdelal, The IMF and the Capital Account, in: E. Truman (Hrsg.), Reforming the IMF fort he 21st Century, 2006, S. 185; F. Gianviti, Liberalization of Capital Movements: A Possible Role for the IMF, in: IMF (Hrsg.), Current Developments in Monetary and Financial Law, Bd. 2, 2003, S. 217 f.; ders. The IMF and the Liberalization of Capital Markets, Vortrag zum Thema: Re-
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lichst vieler Staaten für ausländische Marktteilnehmer geöffnet werden. Der Plan sah vor, die nationale Reglementierung des Finanzmarktes in den Mitgliedstaaten abzuschaffen, sowie sämtliche Hindernisse zu beseitigen, welche den freien grenzüberschreitenden Kapitalverkehr und andere Finanzinstrumente und Transaktionen behinderten64. Geschaffen werden sollte ein „offenes und liberales System des Kapitalverkehrs“65. „Mit der Universalisiethinking National Sovereignty in an Age of Regional Integration, which was held in Mexico City vom 6.–7. Juni 1996. Die Initiative begann mit einer Anfrage des Interim Committee an das Exekutivdirektorium zur Jahresversammlung im September 1996. Es sollte prüfen, ob eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs durch Änderung der IWF-Statuten in Betracht käme. Dieser Vorschlag wurde auf dem Frühjahrstreffen des IWF im Jahr 1997 in Form eines Amendment thematisiert. Geschaffen werden sollte ein „offenes und liberales System für Kapitalverkehrsbewegungen“ (siehe IMF Survey vom 6. Oktober 1997, S. 291). 64 Im Bereich des Kapitalverkehrs (den das IWF-Übereinkommen im Gegensatz zum Zahlungsverkehr nicht regelt) und des Investitionsschutzes hat es ebenfalls eine Reihe von Vorschlägen und Entwürfen gegeben. Über einen globalen Rechtsrahmen konnte bislang keine Einigung erzielt werden. Ein in diese Richtung unternommener Versuch war der Entwurf eines „Multilateralen Abkommens für Investitionen“ (MAI) von der OECD, der im Oktober 1998 abgebrochen wurde. Indessen gilt weiterhin der nur für die Mitgliedstaaten verbindliche „OECD-Kodex über die Liberalisierung der Kapitalbewegungen“, (zu finden unter: http://www.oecd.orgldaf/investment/legal-instuments/clcmart.htm), dessen ursprüngliche Fassung aus dem Jahr 1961 mehrfach geändert worden ist. 65 IMF Survey, 6. October 1997, S. 291. Das Interim Committee warb in seiner Stellungnahme anläßlich der Jahrestagung in Hongkong im Jahr 1997: „It is time to add a new chapter to the Bretton Woods agreement. Private capital flows have become much more important to the international monetary system, and an increasingly open and liberal system has proved to be highly beneficial to the world economy. By facilitating the flow of savings to their most productive uses, capital movements increase investment, growth and prosperity. Provided that it is introduced in an orderly manner, and back both by adequate national policies and a solid multilateral system for surveillance and financial support, the liberalization of capital flows is an essential element of an efficient international monetary system in this age of globalisation. The IMF’s central role in the international monetary system, and its near universal membership, make it uniquely placed to help this process. The Committee sees the Fund’s opposed new mandate as bold in its vision, but cautious in implementation.“ (zitiert nach Paul Blustein, The Chastening. Inside the Crisis that Rocked the Global Financial System and Humbled the IMF, 2001, S. 48). Ch. Kellermann erkennt in der Stellungnahme des Interim Committee, die kurz nach Ausbruch der Asienkrise (in Thailand am 2. Juli 1997) erfolgte, bereits erste Einschränkungen der ursprünglich kategorischen Forderung nach Kapitalverkehrsliberalisierung (Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 201). So müsse der Öffnung der Kapitalmärkte „eine gewisse institutionelle Reife“ vorausgehen. Im April 1998 legte der Geschäftsführende Direktor Camdessus dem Exekutivdirektorium einen ersten Entwurf des entsprechenden Amendment des Artikel I vor:
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rung der Kapitalverkehrsliberalisierung durch ein Amendment sollten nationale Kapitalverkehrsbeschränkungen generell abgebaut und die rasche und umfassende Liberalisierung des globalen Kapitalverkehrs ermöglicht werden (sog. Big-Bang-Ansatz)66.“ Der Ausbruch der Asienkrise verhinderte, dass diese Pläne umgesetzt wurden. Die Initiative verlor die Unterstützung innerhalb des IWF-Exekutivdirektoriums und eine „statutarische Verankerung“67 war auf absehbare Zeit politisch nicht mehr durchsetzbar68. Anstatt des Big-Bang-Ansatzes wurde (ii) To facilitate the expansion and balanced growth of both international trade in goods and services and international capital movements, and to contribute thereby to the promotion and maintenance of high levels of employment and real income and to the development of the productive resources of all members as primary objektives of economic policy. (iv) To assist in the establishment of a multilateral system of payments in respect of current and capital transactions between members, and in the elimination of foreign exchange restrictions which hamper the growth of world trade, and in the orderly liberalization of international capital movements.“ (Art. I ii) und iv) zitiert und hervorgehoben nach Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 201 f. [jener wiederum nach R. Leiteritz, The International Monetary Fund and Capital Account Liberalisation in the 1990s, S. 41]. 66 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 200. 67 Christian Kellermann betont, dass das politische Ziel der Kapitalverkehrsliberalisierung mit dem Verzicht auf die Aufnahme der Zielsetzung in die IWF-Statuten nicht etwa aufgeben wurde. Allerdings betrachtete man die Vor- und Nachteile von Kapitalverkehrskontrollen durchaus differenzierter. Die Organisation des Washington Consensus, S. 203 mit Hinweis auf den IWF Jahresbericht, 2000, S. 49 f.: „Umfassende und weitreichende Kontrollen erscheinen zwar wirkungsvoller als selektive Kontrollen, sie tendieren aber auch zu stärkeren Verzerrungen, unterbinden wünschenswerte Transaktionen, behindern die Entwicklung des Finanzmarkts und beeinträchtigen das Vertrauen der Investoren sowie den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten.“ Nach Ansicht von Kellermann verbirgt sich dahinter der Versuch des IWF, über „technische Hilfen“ zur „Schaffung der Bedingungen für den Abbau von Kapitalverkehrskontrollen“, ein Engagement des Fonds im Bereich der Strukturanpassungspolitik zu legitimieren, um auf diese Weise „die Einflussnahme des IMF in seinen Mitgliedsländern“ festzuschreiben. Ch. Kellermann, a. a. O., S. 204. 68 Allein die Exekutivdirektoren der USA (die im Anschluss statt auf multilaterale Durchsetzung über den IWF verstärkt auf bilaterale Verträge auswichen, dazu John Taylor, Testimony to the U.S. House Committee on Financial Services Washington D.C., 1. April 2003) und Großbritanniens traten – gemeinsam mit dem IWF-Management – weiterhin für eine uneingeschränkte Liberalisierung des Kapitalverkehrs ein. Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 202. Gleichwohl wurde das Ziel einer Mandatsänderung noch nicht vollständig aufgegeben. Das Bundesfinanzministerium etwa hielt als „mittelfristiges Ziel“ ausdrücklich an der Aufnahme der Kapitalverkehrsliberalisierung in das Mandat des IWF und „entsprechender Verpflichtung der Mitgliedsländer“ fest; vgl. BMF, Stärkung der internationalen Finanzarchitektur. Überlegungen zur Reform des IWF und der Finanzmärkte, Berlin, 1. März 2001, S. 10.
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nunmehr ein moderateres Liberalisierungskonzept, das sogenannte „Sequenc ing“ favorisiert69. Die weitere Liberalisierung des Kapitalverkehrs galt zwar nach wie vor als „zentrale[r] Bestandteil der Globalisierung“ und der IWFPolitik, sollte aber schrittweise in Form und Geschwindigkeit des Prozesses „den institutionellen Strukturen des jeweiligen Landes angepasst werden“70. Ein liberalisierter Kapitalverkehr sei nur sinnvoll, wenn zuvor die institutionellen Voraussetzungen geschaffen worden seien. Mochte die Kapitalmarkt liberalisierung in der Theorie auch problematisch sein, „aber Eingriffe in den Kapitalmarkt (Kapitalverkehrskontrollen) mussten für jedes Land, das um IWF-Hilfen ersuchte, tabu sein“71. Im Jahr 2002 brachte der IWF in der Formulierung allgemeiner Grundsätze das Projekt der Kapitalverkehrsliberalisierung wieder auf die Tagesordnung72. Die Öffnung des Kapitalverkehrs gelte als Signal für die „institutionelle Reife“ des betroffenen Staates73: „Capital account liberalization may also be interpreted as signaling a country’s commitment to good economic policies“74. Nach Kellermann wurde „im Kontext von Global Finance […] die Notwendigkeit der Komplementarität der Kapitalverkehrsliberalisierung und einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik (wieder) hergestellt“ und „die Liberalisierung zum ‚Sachzwang‘ stilisiert, der durch den SequencingAnsatz des IMF konsensual eingebunden wurde und letztlich erneut die Strukturanpassung im Bereich der Überwachungskompetenz des IMF fest schrieb“75. Aufgrund der Tatsache, dass sich an der Praxis des IWF wenig Auch beim Übergang von der Clinton/Camdessus- zur Bush/Köhler-Periode Anfang des Jahres 2000 „wurde am Ziel der umfassenden Kapitalverkehrsliberalisierung grundsätzlich festgehalten“ (Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 204 mit Verweis auf G-7, Strengthening the International Financial System and the Multilateral Development Banks, Report of G-7 Finance Ministers and Central Bank Governors, Rom, 7. Juli 2001, § 27. 69 IWF Jahresbericht, 1998. 70 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 202. Auch das Beispiel der erfolgreichen Kapitalverkehrskontrollen Malaysias während der Asienkrise trug zur Kritik an der Kapitalverkehrsfreiheit bei. Dazu B. Eichengreen, Toward a New International Financial Architecture: A Practical Post-Asia Agenda, 1999; C. Wyplsz, Globalized Financial Markets and Financial Crises, Paper presented to the Forum on Debt and Development, März 1998. 71 J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung (Taschenbuchausgabe) S. 307. 72 IWF, Jahresbericht, 2002, S. 38 f. 73 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 204. 74 M. Kose/E. Prasad, Liberalizing Capital, 2004, einzusehen unter http://www. imf.org/external/pubs/ft/fandd/2004/09/pdf/basics.pdf. 75 Ch. Kellermann, Die Organisation des Washington Consensus, S. 205. „Es gelang der internationalen Finanzgemeinde stets, ihre Vorstellungen im Sinne des Washington Consensus durchzusetzen, da der IMF in seiner Rolle als Lender of Last Resort ausgebaut und seine Funktion als Strukturanpassungsorgan gefestigt wurde.“
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änderte, könne, so Kellermann, weniger von einer „Reform“, als vielmehr von einem „institutionellen Lernprozess“ gesprochen werden, welcher freilich „zugunsten der hegemonialen Kräfte“ ausfalle76. „Die Schlagworte dieses Lernprozesses lauteten Krisenprävention, Überwachung und technische Hilfestellung. Dahinter verbargen sich die Etablierung von Good-Governance-Richtlinien, das Erstellen von Standards und Kodizes, die Erhöhung der Transparenz (in den Mitgliedsländern, wie auch des Fonds selbst), das Streamlining der Fazilitäten und Konditionalitäten, die Entschuldungs- und Armutsbekämpfungsinitiativen (HIPC-Initiative und PRGF / PRSPs), die Finanzmarktprogramme (FSAPs), der Aufbau einer Kapitalmarktabteilung und das Sequencing der Kapitalverkehrsliberalisierung77.“ Die ablehnende Haltung des Fonds gegenüber Kapitalverkehrskontrollen stieß insbesondere bei Schwellenländern zunehmend auf Widerstand. Große und schwankende Kapitalströme machten viele Empfängerländer des IWF für währungspolitische Turbulenzen anfällig und konnten nationale Wirtschaftskrisen auslösen, da Geld- und Kapitalmarktanlagen mit hoher Volatilität die Finanzmärkte überschwemmten und ebenso schnell wieder abgezogen wurden.78 Bereits in der Asienkrise der Jahre 1997 und 1998 mussten sich Länder wie Malaysia und Thailand gegen den Abfluss von Kapital mit Kapitalverkehrskontrollen wehren, damals entgegen den eindringlichen Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds’79. Auch Argentinien reagierte mit Kontrollen des Kapitalverkehrs, um ausländisches Kapital im Land zu halten. Nach Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 reagierten besonders betroffene Staaten wie Island und die Ukraine mit ähnlichen Regulierungsmaßnahmen. Unter der Führung des damaligen Geschäftsführenden Direktors des IWF Dominique Strauss-Kahn hat sich der IWF vom Postulat der Kapitalverkehrsfreiheit teilweise wieder distanziert und angekündigt, der IWF werde in Zu76 Ebenda,
Die Organisation des Washington Consensus, S. 205. Die Organisation des Washington Consensus, S. 205. 78 So zum Beispiel der brasilianische Exekutivdirektor Nogueira Batista. Siehe FAZ vom 5. Dezember 2012, Nr. 284, S. 17, Der IWF heißt Kapitalverkehrskontrollen gut. 79 Im November 2012 lobte die Geschäftsführende Direktorin des Fonds, Christine Lagarde, in einer Rede in Kuala Lumpur die Politik Malaysias während der Asienkrise. Damals hatte sich Malaysia dem Drängen des IWF nach Liberalisierung des Kapitalverkehrs widersetzt: „Malaysia war in dieser Beziehung allen anderen voraus.“ – FAZ vom 5. Dezember 2012, Nr. 284, Der IWF heißt Kapitalverkehrskontrollen gut, S. 17. Siehe zur Entwicklung der Asienkrise auch P. Krugman, „What Happened to Asia?“, 1998. (http://web.mit.edu/krugman/www/disinter.html). Malaysia hatte sich gegen das IWF-Programm gesträubt, „teils weil die Regierung sich keine Vorschriften von Ausländern machen lassen wollte, aber auch weil sie wenig Vertrauen in den IWF hatte“. J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, Taschenbuchausgabe, S. 165 f. 77 Ch. Kellermann,
A. Regelungen zur Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit535
kunft Kapitalverkehrsbeschränkungen akzeptieren und lediglich Empfehlungen geben, „wann Kapitalverkehrskontrollen angemessen seien“80. In einem Positionspapier erklärte der Fonds im Dezember 2012: „Es gibt keine Vermutung, dass eine volle Liberalisierung des Kapitalverkehrs ein angemessenes Ziel für jedes Land zu jeder Zeit ist“81, eine Erklärung die man als offiziellen „Richtungswechsel“ interpretieren konnte. Wilhelm Nölling leitet daraus die begründete Hoffnung ab, dass die „jahrzehntelange Privilegierung der ‚Kapitalunion‘ durch den IWF modifiziert werden soll“82. Vielen Regierungen aber geht der Vorstoß des IWF nicht weit genug. Der Vertreter Brasiliens im Exekutivdirektorium, Nogueira Batista, wirft dem Fonds auch weiterhin „eine Voreingenommenheit“ vor, die „Kapitalverkehrskontrollen stigmatisiere“83. Gleichwohl hält der Fonds in der Praxis weitgehend an seiner Politik der Kapitalverkehrsliberalisierung fest;84 denn keinesfalls sollten Kapitalverkehrskontrollen ein „Ersatz für notwendige gesamtwirtschaftliche Anpassungen“ sein, sondern kämen nur ultima ratio als „gezielte, transparente und generell temporäre“ Maßnahme in Betracht85.
III. Destabilisierende Wirkung der Kapitalverkehrsfreiheit und Rolle des IWF Die Rolle des IWF als „Motor der Kapitalverkehrsfreiheit“86 wirft die Frage auf, inwieweit eine Politik, die auf die Liberalisierung des Kapitalver80 So
Strauss-Kahn in einem Interview mit der FAZ am 06. April 2011. vom 5. Dezember 2012, Nr. 284, Der IWF heißt Kapitalverkehrskontrollen gut, S. 17. 82 W. Nölling, in: Das Euroabenteuer geht zu Ende, S. 87. 83 Außerdem offenbare der Fonds eine einseitige Sichtweise, weil er „die Verantwortung der großen Industriestaaten für destabilisierende Kapitalströme kleinrede“. FAZ vom 5. Dezember 2012, Nr. 284, Der IWF heißt Kapitalverkehrskontrollen gut, S. 17. 84 So fordert der IWF heute wie damals geringe Zahlungsbilanzdefizite, geringe Inflation, flexible Wechselkurse, Liberalisierung der Handels- und Finanzpolitik. Eurodad „Standing in the Way of Development: A Critical Survey of the IMF’s Crisis Response in Low Income Countries. A Eurodad & Third World Network Report, April 2010, zitiert in: The IMF and Ireland, Dezember 2010, Fn. 10. Auch das zweite Memorandum of Understanding (2012) verpflichtet die griechische Regierung zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs: „The Government will neither propose nor implement measures which may infringe the rules on the free movement of capital. Neither the State nor other public bodies will conclude shareholder agreements with the intention or effect of hindering the free movement of capital.“ 85 FAZ vom 5. Dezember 2012, Nr. 284, Der IWF heißt Kapitalverkehrskontrollen gut, S. 17. 86 Dazu etwa der ehemalige Stellvertretende Geschäftsführende Direktor des IWF Stanley Fischer, Capital-Account Liberalization and the Role of the IMF, in: 81 FAZ
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kehrs gerichtet ist, mit der Aufgabe des IWF vereinbar ist, die globale Finanzstabilität zu gewährleisten und zugleich auf eine Stabilisierung der Wechselkurse hinzuwirken87. Werden doch die betroffenen Staaten dadurch dem währungspolitischen Trilemma ausgeliefert88, was in in dieser Konstellation den Verzicht auf eine autonome Geldpolitik bedeutet. Infolgedessen ließ die geldpolitische Abhängigkeit einige boomende Entwicklungs- und Schwellenländer wie Brasilien, Indonesien, Südkorea und Thailand während der „Lehman-Finanzkrise“ (ab dem Jahr 2007) durch den Zustrom von ausländischem Kapital unter massiven Aufwertungsdruck geraten89. Niedrige Zinsen lösten einen Investitionsboom aus und ließen eine Kreditblase entstehen mit Zinssätzen, die – oftmals, ohne Absicherung – nur kurzfristig festgeschrieben waren. So flossen allein im Jahre 2007 insgesamt 550 Milliarden US-Dollar in Schwellenländer mit der Folge, dass dort die Auslandsschulden phasenweise die eigenen Währungsreserven überstiegen90. Umgekehrt geraten Volkswirtschaften in Turbulenzen, wenn kurzfristig angelegtes Auslandskapital bei Ausbruch einer Krise plötzlich abgezogen wird, wie es nach dem Ausbruch der Asienkrise in Malaysia und Thailand geschah. Dann führt der massive Kapitalabfluss zum Absturz der einheimischen Währung91 mit der Folge, dass die Finanzmärkte des Landes ausS. Fischer, Should the IMF Pursue Capital-Account Convertibility?, Essays in International Finance 207, 1998. 87 Starke Wechselkursschwankungen hängen eng mit der Entwicklung des internationalen Kapitalverkehrs zusammen. Im internationalen Kapitalverkehr, welcher in rechtsfreiem Raum ohne Kontrolle und Regelung stattfindet, ist die „Verwundbarkeit im hohen Maß angelegt, weil Staaten, Städte, Unternehmen und Individuen durch das allgemeine ‚Vermögen‘ der Weltgesellschaft verbunden sind: Je abhängiger globale Akteure sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung“ J.-H. Chang, Internationale Normen in der Hegelschen Weltgesellschaft (UNO, WTO und IWF), S. 272. 88 Das bedeutet in dieser Situation, dass der Staat nicht gleichzeitig die Ziele Kapitalverkehrsfreiheit, hohe Wechselkursstabilität und geldpolitischer Autonomie verfolgen kann. Dazu Ch. Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, S. 101. 89 In der Finanzkrise waren beispielsweise die Währungen von Staaten wie Brasilien, Indonesien, Korea oder Thailand unter Aufwertungsdruck geraten, weil ausländisches Kapital ins Land geströmt war. Direktinvestitionen können die sogenannte „Niederländische Krankheit“ auslösen. Dies ist der Fall, wenn der Zufluss von Kapital zu einer Aufwertung der Landeswährung führt. Importe werden dann billiger, Exporte teuerer, das heißt, die Exportbranchen werden getroffen. Vgl. dazu J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 89 (119) ff. Diese Erfahrung machten während der Eurokrise insbesondere die Schweiz und Dänemark, deren Volkswirtschaften durch den starken Aufwertungsdruck, welchen die Direktinvestitionen erzeugten, belastet wurden. Um dem entgegenzuwirken, zogen beide Länder negative Zinsen in Betracht. 90 O. Roth, Die Macht der Kapitalströme, in: Börse Frankfurt, 18. Januar 2013. 91 FAZ vom 5. Dezember 2012, Nr. 284, S. 17, Der IWF heißt Kapitalverkehrskontrollen gut.
A. Regelungen zur Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit537
trocknen, die Immobilienpreise fallen und die Banken auf ihren „faulen Krediten“ sitzen bleiben. Diese Effekte einer Abwärtsspirale verstärken sich mit zunehmender Abhängigkeit vom Auslandskapital. Immer mehr Investoren ziehen dann ihr Geld ab, die kurzfristigen Kredite laufen aus, es entstehen Liquiditätsengpässe und die Börsenkurse brechen ein. Wenn die Blase schließlich platzt, wird der IWF als „Lender of Last Resort“ auf den Plan gerufen, viel zu spät, wie einige Kritiker meinen92. Kapitalflüsse verlaufen also prozyklisch: Während einer Rezession, wenn das Land am dringendsten auf Kapital angewiesen wäre, wird es abgezogen und in Boomphasen strömt es zurück und verstärkt den Inflationsdruck93. Kapitalflüsse verlaufen also prozyklisch: Während einer Rezession, wenn das Land am dringendsten auf Kapital angewiesen wäre, wird es abgezogen und in Boomphasen strömt es zurück und verstärkt den Inflationsdruck94. Sandra Striffler moniert, dass der IWF „ungeachtet des sich in den letzten 70 Jahren vollzogenen Wandels hinsichtlich der Auslöser internationaler Währungs- und Finanzmarktkrisen […] nach wie vor an seinen auf der Annahme unsolider Makrogrößen (wie hohe Staatsdefizite, übermäßiges Geldmengenwachstum) basierenden konditionalen Auflagenpolitik“ festhalte95. In den sogenannten „Währungskrisen der ersten Generation“ in den siebziger und achtziger Jahren seien Zahlungsbilanzkrisen zwar meist durch negative Leistungsbilanzsalden der betroffenen Mitglieder ausgelöst worden96. Bei den jüngeren Währungskrisen seit Beginn der neunziger Jahre handle es sich dagegen um „Währungskrisen der zweiten Generation“. Im Unterschied zu den Währungskrisen der ersten Generation war das gefährliche Ungleichgewicht in der Zahlungsbilanz eines Landes nunmehr „durch den Verlust des Marktvertrauens und den damit verbundenen panikartigen Abzug von kurzfristig im Land gebundenem Fremdkapital“ verursacht97. Für diese „neue Art der Zahlungsbilanzkrisen“ sei in erster Linie „die fortschreitende Liberalisierung der internationalen Kapitalmärkte“ verantwortlich“98. 92 O. Roth,
Die Macht der Kapitalströme, in: Börse Frankfurt, 18. Januar 2013. Die Schatten der Globalisierung, Taschenbuchausgabe, S. 137.
93 J. Stiglitz, 94 Ebenda.
95 S. Striffler, Zur Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF), Eine Public-Choice-Analyse der nationalen Stimmrechtsverteilung, 2004, S. 34. 96 Ebenda. 97 Ebenda. 98 Ebenda, mit Bezug auf die „emerging-markets“ und die Entwicklungs- und Transformationsstaaten. Anders dagegen J. Donges/A. Freytag: „Die Globalisierung diszipliniert die Wirtschaftspolitik, macht sie aber nicht ohnmächtig. Der Zwang zu mehr Rationalität in der Wirtschaftspolitik […] zwang zu sachgerechtem Handeln […], zu mehr Ordnungspolitik, Regelbindung der Wirtschaftspolitik und mehr Angebotspolitik“. Allgemeine Wirtschaftspolitik, S. 387.
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Teil 8: Der IWF im Umfeld globaler Finanzströme
Während die Finanzströme nach dem Zweiten Weltkrieg noch „in hohem Maße zur Finanzierung des realen Außenhandels“ dienten, machen sie heute ein Vielfaches des Welthandels aus99. Der enorme Anstieg der Kreditvergabe wird maßgeblich durch die unkontrollierte Mobilität des Kapitals und die zunehmende Deregulierung der wirtschaftlichen Aktivitäten befördert. Dies hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich Zahlungsbilanzungleichgewichte und Wechselkursturbulenzen über die Jahre hinweg verstärkt haben. Der IWF hat zu dieser Entwicklung beigetragen, indem er auf einen besseren Zugang der Schwellen- und Entwicklungsländer zu den internationalen Kapitalmärkten hinwirkte100. Zwar liegen von vielen Empfängerländern keine belastbaren Daten über die Zu- und Abflüsse von Auslandskapital vor und der IWF ist in seinen Berechnungen auf Schätzungen angewiesen. Diese ergeben aber einen deutlichen Trend. Während bis Ende der 90er Jahre das Kapital hauptsächlich innerhalb der Industriestaaten floss, erhalten nun immer mehr Schwellen- und Entwicklungsländer Kapitalzuflüsse aus den OECD-Staaten. So erwartete der IWF allein für das Jahr 2012 über eine Billionen US-Dollar an Netto-Zuflüssen in diese Länder101. Die Kapitalflucht hatte bereits in der lateinamerikanischen Verschuldungskrise der achtziger Jahre zu einer massiven Erhöhung der Staatsverschuldung beigetragen102. In einigen lateinamerikanischen Ländern übertraf das Auslandsvermögen von einheimischen Personen den Wert der öffentlichen Auslandsschulden103. Die Bestrebungen der betroffenen Länder, das Auslandskapital zurückzuholen und zumindest in Teilen zur Finanzierung der Staatsschulden zu verwenden, liefen aber den Interessen der Mitglieder des IWF, welche als Anlageländer von der Kapitalflucht profitierten, zuwider. Dies waren in erster Linie die USA, welche Gegenmaßnahmen mit dem Hinweis auf die Marktgesetze ablehnten, weil sie den Zufluss ausländischen Kapitals als willkommenen Beitrag zum Ausgleich der amerikanischen Zahlungsbilanz begrüßten104. In den Augen des IWF war Kapitalflucht in erster Linie 99 W. Lachmann,
Brauchen wir eine Welt-Ordnungspolitik?, S. 133. Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberaliza-
100 J. M. Chwieroth,
tion, S. 155. 101 O. Roth, Die Macht der Kapitalströme, in: Börse Frankfurt, 18. Januar 2013. 102 J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 148. 103 Ebenda. 104 J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 149. Die USA beförderten sogar die Kapitalflucht, indem steuerliche Vorteile für ausländische Gelder gewährt wurden. G. Helleiner, Handling Hot Money: U.S. Policy toward Latin American Capital Flight in Historical Perspective, Challenge 44, No. 1, 2001, S. 19 ff.
B. Kritik an der Kapitalverkehrsliberalisierung539
eine Folge schlechter Wirtschaftspolitik105 und bot daher keinen Anlass, sie mit Kapitalverkehrskontrollen zu begrenzen106. Diese Entwicklung trug wesentlich dazu bei, dass sich Zahlungsbilanzund Wechselkursturbulenzen über die Jahre hinweg verstärkten. Der IWF hat den Prozess maßgeblich mitbeeinflusst, indem er auf einen besseren Zugang der Schwellen- und Entwicklungsländer zu den internationalen Kapitalmärkten hinwirkte107. Die wachsenden Geldströme und die damit verbundenen Risiken werden geeignete Gegenmaßnahmen in Zukunft unausweichlich machen. Doch bisher ist dem IWF und anderen Institutionen nur wenig dazu eingefallen.108. Kapitalverkehrskontrollen wurden als Gegenmaßnahmen zwar immer wieder ins Spiel gebracht, gelten jedoch als nicht mehrheitsfähig, solange die Befürworter des Freihandels dominieren.
B. Kritik an der Kapitalverkehrsliberalisierung In der Literatur haben Joseph Stiglitz’ theoretische Untersuchungen zu den Ursachen und Folgen eines liberalisierten Kapitalverkehrs viel Aufmerksamkeit erregt, zumal diese auch seine praktische Erfahrung als Chefökonom der Weltbank widerspiegeln109. Karl Albrecht Schachtschneider hat die rechtliche Seite der Kapitalverkehrsfreiheit beleuchtet und dabei die enge Beziehung zwischen grenzüberschreitender Kapitalverkehrsliberalisierung und einem freiheitlich verfassten Gemeinwesen sichtbar gemacht110. Aus den praktischen und dogmatischen Erkenntnissen dieser beiden Wissenschaftler lassen sich Handlungsempfehlungen ableiten, wie eine gesellschaftlich und völkerrechtlich akzeptable IWF-Politik in Zukunft zu gestalten ist. 105 J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 150. 106 Bisweilen stellte der IWF die Problematik der Kapitalflucht auch gänzlich in Abrede. Sofern Gelder aus dem Inland abfließen, um im Ausland investiert zu werden, seien dies „gewöhnliche“ Portfolio-Diversifikationen einheimischer Investoren. M. Khan/N. Haque, Capital Flight from Developing Countries, Finance and Development 24, No. 1, 1987, S. 3. 107 J. M. Chwieroth, Capital Ideas, The IMF and the Rise of Financial Liberalization, S. 155. 108 Vgl. O. Roth, Die Macht der Kapitalströme, in: Börse Frankfurt, 18. Januar 2013. 109 J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung 2002, S. 86; A. Rühle, Die Wirtschaftspapageien – Globalisierungskritik: Ökonom Joseph Stiglitz rechnet mit dem IWF ab, aus: Süddeutsche Zeitung, Samstag/Sonntag, 16./17 März 2002, S. 13. 110 Siehe zur „demokratischen Kapitalkontrolle“ mit Blick auf die mangelnde Transparenz von Wirtschaftsinformationen und der Forderung nach einer „transparenten Rechnungslegung“ (S. 784) Th. Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, S. 782 ff.
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Teil 8: Der IWF im Umfeld globaler Finanzströme
Joseph Stiglitz zählt in seiner umfassenden Analyse dem IWF insbesondere während der Ostasienkrise falsche Entscheidungen vor und kommt (freilich bezogen auf das Jahr 2002) zu einem vernichtenden Urteil: „Fünfzig Jahre nach seiner Gründung steht fest, dass der IWF seinen Auftrag nicht erfüllt hat. Er hat nicht getan, was er hätte tun sollen – für Länder, die von einem Abschwung bedroht sind, Gelder bereitzustellen und ihnen so die Möglichkeit zu geben, sich zu erholen“111. Aus diesem Vorwurf leitet er grundlegende Prinzipien ab, die für den Fonds in Zukunft verbindlich sein müssten. Ein wichtiges Element seiner Untersuchung sind die Auslandsinvestitionen, die zwar nicht zu den Eckpfeilern des Washington Konsensus gehören, aber ein „Schlüsselelement der neuen Globalisierung“112 sind. Stiglitz bestreitet nicht, dass ausländische Direktinvestitionen grundsätzlich auch Vorteile versprechen113; denn sie verbessern das Fachwissen, schaffen neue Arbeitsplätze und öffnen den Zugang zu Auslandsmärkten und neuen Technologien114. Mit der Forderung nach einem Abbau staatlicher Eingriffe in die Finanz- und Kapitalmärkte schieße der IWF aber weit über diese Ziele hinaus. Der Fonds räume sogar selbst ein, dass die Liberalisierung der Kapital- und Finanzmärkte zu den Krisen der neunziger Jahre beigetragen und sich besonders verheerend auf kleine Schwellenländer ausgewirkt habe. Breiter angelegte Studien hätten bestätigt, dass eine Liberalisierung im Sinne des IWF auch nicht zu schnellerem Wachstum oder höheren Investitionen geführt hat115. In der Praxis sieht Stiglitz die Vorteile einer Kapitalverkehrsliberalisierung denn auch in keinem vernünftigen Verhältnis zu den enormen volks- und weltwirtschaftlichen Risiken, welche insbesondere durch spekulative Aus111 J. Stiglitz,
Die Schatten der Globalisierung, Taschenbuchausgabe, S. 31 f. Die Schatten der Globalisierung, S. 86, 95. 113 Auslandsinvestitionen bezeichnet er insofern als eine „zweischneidige Sache“, Die Schatten der Globalisierung, S. 96. „I want to make it clear that I am focussing my attention on short-term speculative capital flows. The argument for foreign direct investment, for instance, is compelling.“ Ders., „Capital Market Liberalization, Economic Growth, and Instability“, 2000, S. 1076; ders. Globalization and Its Discontents, 2002. In „Making Globalization Work“ (2006) geht Stiglitz mit der Kritik an den Internationalen Organisationen zwar noch einen Schritt weiter, macht aber deutlich, dass die wirtschaftliche Globalisierung ein Schritt aus der Armut sein kann. 114 Ausländische Direktinvestitionen erleichtern den Zugang zu vielfältigen Finanzierungsquellen, welcher gerade für Entwicklungsländer existentiell bedeutend ist. Die Investitionen beflügelten beispielsweise den wirtschaftlichen Aufschwung in Singapur, Malaysia und China. Dazu J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 86 ff. Ein intensiverer Wettbewerb bringt darüber hinaus Allokationsvorteile und kann die finanzielle Stabilität des Bankensektors stärken. Vgl. J. Donges/A. Freytag, Allgemeine Wirtschaftspolitik S. 388 f. 115 J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 95. 112 J. Stiglitz,
B. Kritik an der Kapitalverkehrsliberalisierung541
landsinvestitionen entstehen116. Er hält die spekulativen Finanzströme, das sogenannte „hot money“ der liberalisierten Kapitalmärkte, für die Hauptursache moderner Wirtschaftskrisen wie insbesondere die Asienkrise gezeigt habe und kommt zu dem Schluss, dass der IWF mit seinen wirtschaftspolitischen Auflagen die Abschwünge nicht nur verschlimmert sondern mitverschuldet habe“117. So sei die „vorschnelle Liberalisierung der Finanz- und Kapitalmärkte […] vermutlich für sich genommen die wichtigste Ursache der verschiedenen Krisen“118. Nach der Auffassung von Joseph Stiglitz dienen spekulative Anlagen nur selten sinnvollen Investitionen, geschweige denn der langfristigen Schaffung von Arbeitsplätzen. Vielmehr führten sie regelmäßig zu Überinvestitionen, zumal im Immobilien- und Aktienbereich119. Vor allem setze sich eine Volkswirtschaft durch die Liberalisierung des Kapitalverkehrs unüberschaubaren Risiken aus. So habe erst die Öffnung der Finanzmärkte, etwa in den Ländern Ostasiens, den Weg für spekulative Währungsattacken während der Asienkrise bereitet120. Stiglitz verweist vornehmlich auf das Beispiel Thailands, wo ein spekulativer Angriff zusammen mit hohen kurzfristigen Verbindlichkeiten die Krise ausgelöst habe121. Im Ergebnis führten spekulative Auslandsinvestitionen sowohl zu Wettbewerbsverzerrungen, als auch zur „Unterminierung demokratischer Prozesse“122. Als Maßnahmen gegen die Gefahren einer unkontrollierten Kapitalmarktliberalisierung fordert Stiglitz diskretionäre Eingriffe in das Banken- und 116 Skeptisch gegenüber Wohlfahrtseffekten durch Kapitalverkehrsliberalisierung J. Hartwig, Zum Wesen der Finanzmärkte und der Notwendigkeit von Kapitalverkehrsbeschränkungen, Wirtschaft und Gesellschaft, Heft 3, 1999. 117 J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 109. 118 Ebenda. Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs sei „der wichtigste Einzelfaktor, der zu der Krise führte“ und „der Hauptgrund für die schwerste Krise nach der Great Depression“ (S. 119). 119 Ebenda, S. 119 ff. 120 So verlor der thailändische Bath am 2. Juli 1997 25 % seines Wertes. Es folgten weitere Angriffe auf die Währungen Koreas, der Philippinen und Indonesiens. 121 Die Welle an Spekulationskapital, welche zunächst in und später aus den ostasiatischen Volkswirtschaften strömte, war ein maßgeblicher Auslöser der Asienkrise. R. Peet, Unholy Trinity: The IMF, World Bank and WTO, 2. Aufl. 2009, S. 92. Der IWF stellt nun zur Stützung der Wechselkurse hohe Summen bereit. Das gesamte Beistandspaket, einschließlich der Hilfe der G-7-Staaten, hatte ein Volumen in Höhe von 95 Mrd. US$ (S. 115). Der Fonds hoffte damit, das Vertrauen der Märkte in die Währung wieder herzustellen, J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 119 ff. Siehe zu den Wirkungen des spekulativen Kapitalzuflusses in den „emergingmarket“-Staaten Südostasiens auch S. Striffler, Zur Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF), S. 38 f. 122 J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 91.
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Steuersystem des betroffenen Landes im Sinne einer keynesianisch orientierten Wirtschaftspolitik, insbesondere dann, wenn kurzfristige Kapitalströme mit starken externen Effekten verbunden sind. Dem IWF empfiehlt er eine effizientere Gestaltung der Interventionen, anstatt sich dagegen zu sperren123. Werner Lachmann weist darauf hin, dass sich gerade und vor allem wirtschaftlich angeschlagene Länder anfällig für eine Umkehr der Nettokapitalströme erwiesen hätten124. Auch Stiglitz macht auf die gravierende Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern auf den Kapitalmärkten aufmerksam125. Die fatalen Wirkungen der Liberalisierung der internationalen Kapitalmärkte in den emerging-markets und in vielen Entwicklungs- und Transformationsstaaten würden durch kurzfristige Auslandsinvestitionen erst in Gang gebracht126.
I. Auswirkungen der Kapitalverkehrsfreiheit im Bankensektor Stiglitz sieht in der überstürzten Öffnung der Kapitalmärkte häufig eine „naive Marktgläubigkeit“ am Werk.127 Namentlich der IWF schätze Markt und Wettbewerb allzu optimistisch ein, während er eine allzu geringe Meinung vom Staat habe128. Dem Fonds wirft er vor, Entwicklungsländern im Rahmen seiner Kreditprogramme regelmäßig die Öffnung ihrer Finanzmärkte für ausländische (zumal westliche) Wettbewerber zur Auflage zu machen. Damit verfolge er das Ziel, die großen Kreditinstitute des Landes zu 123 J. Stiglitz,
Die Schatten der Globalisierung, Taschenbuchausgabe, S. 309. Volkswirtschaftslehre 2, 2004, S. 510. 125 So sei beispielsweise die Summe aller Aktiva des gesamten Bankensystems in Äthiopien kleiner als die die Summe der Aktiva einer amerikanischen Kleinstadt. 126 Dazu auch S. Striffler, Zur Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF), Eine Public-Choice-Analyse der nationalen Stimmrechtsverteilung, Karlsruhe, 2004, S. 34. 127 Die „naive Marktgläubigkeit“ laufe der Erfahrung in ostafrikanischen Nachbarländern zuwider, J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 47. Für problematisch hält Stiglitz insbesondere die Frage, innerhalb welchen Zeitraums eine angestrebte Marktöffnung zu vollziehen sei. Dabei gibt er zu bedenken, dass die westlichen Staaten zu einem solchen Schritt erst in den siebziger Jahren bereit waren, also zu einem Zeitpunkt, als die Finanzmärkte und die erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen bereits vollständig entwickelt waren. Wenn Zeit zur Anpassung gelassen wird, darf aus dem vorübergehenden Schutz vor ausländischen Mitbewerbern keine dauerhafte Einrichtung werden. Schatten der Globalisierung, S. 86 ff. 128 J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, Taschenbuchausgabe S. 121. 124 W. Lachmann,
B. Kritik an der Kapitalverkehrsliberalisierung543
zerschlagen, um mehr Wettbewerb zu ermöglichen129. Indessen sei zu beobachten, dass kleine und mittlere einheimische Kreditinstitute danach von finanziell überlegener ausländischer Konkurrenz aus dem Markt gedrängt würden. Die Abhängigkeit der Länder vom internationalen Kapitalmarkt und damit vom unkontrollierten Geldzufluss wird dadurch weiter erhöht; denn globale Großbanken und damit auch ihre Filialen in Entwicklungs- und Schwellenländern können sich von der nationalen Geldpolitik der Notenbank weitgehend abkoppeln und deren Ziele unterlaufen. Im Übrigen geben sie zwar Kredite an große Unternehmen, erfahrungsgemäß sind sie aber wenig geneigt, die mittelständische Wirtschaft mit Kapital zu versorgen130. Die Rezession wird weiter vertieft, wenn ausländische Banken die Risiken innerhalb der Volkswirtschaft zu einem bestimmen Zeitpunkt als zu hoch einschätzen und sich von diesem Markt kurzfristig wieder zurückziehen, wie 129 Die Öffnung der Kapitalmärkte führe zu schweren Nachteilen für die heimische Wirtschaft. Die Zerschlagung der nationalen Banken habe oftmals zur Folge, dass die verkleinerten Banken keine Chance mehr im Wettbewerb mit globalen Finanzinstituten hätten; denn deren geschäftliche Aktivitäten seien darauf ausgerichtet, auf Kosten der einheimischen Banken Kunden zu akquirieren. Dagegen würden gerade Großbanken Kredite kaum an einheimische mittelständische Unternehmen und Landwirte vergeben, obwohl sie dort volkswirtschaftlich besonders wichtig sind. Ein gesundes und funktionierendes Bankensystem sei die Grundlage einer Volkswirtschaft, die Finanzierung der einheimischen mittelständischen Unternehmen deren Lebensader. Ein gesundes Bankensystem gewährleiste, dass Kredite zu günstigen Konditionen an diejenigen vergeben werden, die zur Rückzahlung fähig sind. Insbesondere in agrarwirtschaftlich geprägten Ländern wie Äthiopien seien die Bauern von einem erleichterten Zugang zu Krediten und niedrigen Zinsen abhängig, um Saatgut und Dünger zu kaufen. Der IWF aber fordere in der Regel, dass die Programmstaaten den nationalen Finanzmarkt liberalisieren, die Höhe der Zinsen also von den freien Märkten bestimmen lassen, weil dies vermeintlich zu sinkenden Kreditzinsen führe. In den meisten Fällen aber hatte die Öffnung des Finanzmarktes eine drastische Erhöhung der Zinsen zur Folge. Dies führte gerade in Entwicklungsländern oftmals zu einer Gefährdung der Grundversorgung der Bevölkerung. Stiglitz propagiert ein langsames und geordnetes Öffnen nach Außen wie es die ostasiatischen Staaten erfolgreich vorgemacht haben. Gerade Entwicklungsländer benötigten eine längere Anpassungsphase. Handelsschranken seien nur in dem Maß abzubauen, wie Arbeitsplätze entstehen. J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 44 ff. 130 J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 90 ff. Dies verdeutlicht auch das Beispiel Argentiniens, das zu Lasten des Wirtschaftswachstums von internationalen Großbanken mit Liquidität versorgt wurde. Vgl. zum Fall Argentiniens und der Konditionalitätspolitik des IWF J. Conklin/D. Davidson, The I.M.F. and Economic and Social Human Rights: A case Study of Argentina, 1958–1985, HRQ, Bd. 8, 1986, S. 227 ff., S. 229, K. W. Stiles, IMF Conditionality: Coercion or Compromise, World Development, Bd. 18, Nr. 7, 1990, S. 970 f.
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das Beispiel Boliviens im Jahr 2000 gezeigt hat131. Diese Risiken sind, wiewohl auf unterschiedliche Weise, zuletzt in den Bankenkrisen in Irland (dazu unten), Island132 und Griechenland zutage getreten. Dem gegenüber haben regionale Banken in der Regel keinen Zugang zum internationalen Kapitalmarkt, was ihre Refinanzierungsmöglichkeiten einschränkt. Verlieren sie an Einfluss, bedeutet dies zugleich eine Gefahr für die Kreditversorgung des Mittelstands, welcher maßgeblich das Wirtschaftswachstum antreibt. Die Mittelvergabe der einheimischen Banken entfaltet auch eine sozialpolitische Relevanz. Stiglitz beobachtet, dass einheimische Banken regelmäßig in das regionale Gemeinwesen integriert und grundsätzlich geneigt sind, neben ihrer Ausrichtung auf Gewinnmaximierung auch gemeinwohlorientiert zu handeln. Zum Beispiel reagierten einheimische Banken sensibler auf die sogenannte „window guidance“ durch die Zentralbank133, das heißt, sie sind eher als ausländische Banken bemüht, das Kreditangebot rasch zu erweitern oder zu verringern, sofern die konjunkturellen Signale dies gebieten. Auch folgten sie in der Regel Aufforderungen, regionale Kreditlücken zu schließen, um strukturschwache Regionen zu entwickeln134. Bei global agierenden Großbanken sei dies regelmäßig nicht der Fall. Die Verfügbarkeit und der ständige Zufluss von Finanzmitteln im Wege (spekulativer) Direktinvestitionen führt im Gegenteil häufig zu Fehlanreizen (siehe Moral-hazard-Problematik), nicht selten zu Korruption; denn in der Regel, so Stiglitz, gehe es den Investoren nicht um das Ziel, den gesamtwirtschaftlichen Wohlstand zu steigern sondern darum, kurzfristige Renditen zu erwirtschaften135. Generell lässt sich beobachten, dass die Wandlung von einer regionalen und nationalen Bankenlandschaft zu wenigen internationalen und anonymen Groß131 J. Stiglitz,
Die Schatten der Globalisierung, S. 86 ff. dazu IMF, Cross-Cutting Themes on Economies with Large Banking Systems, 16. April 2010. 133 Siehe zur Bedeutung der preislichen Stabilitätspolitik sowie den gesamtwirtschaftlichen Stabilitätsprinzipien: H.-M. Hänsch, Gesamtwirtschaftliche Stabilität als Verfassungsprinzip, dort insbesondere S. 290 ff. 134 J. Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, S. 90 ff. 135 Ebenda, S. 91 ff. Oftmals seien ausländische Direktinvestitionen nur dann profitabel, wenn spezielle Vergünstigungen – zum Beispiel Schürfrechte für Bodenschätze – gewährt würden. Ausverkäufe und Begünstigungen würden der Regierung oft durch „Bestechung von Regierungsbeamten“ abgerungen. Private Investoren sind freilich prinzipiell dem mikroökonomischen Rationalprinzip (das heißt der Gewinnmaximierung oder Kostenminimierung) verpflichtet. Makroökonomische Ziele, wie die gesamtwirtschaftliche Wohlstandssteigerung liegen allenfalls indirekt und langfristig in ihrem Interesse. 132 Vgl.
B. Kritik an der Kapitalverkehrsliberalisierung545
banken dazu beiträgt, dass die Loyalität zwischen Kreditinstituten und Staat verlorengeht136. Vor der Globalisierung (deren „diverse Prozesse […] ihrerseits ja nur eine konsequente Fortsetzung der Modernisierung sind“137), bis zum Beginn der neunziger Jahre waren Banken noch überwiegend „loyale Spieler ihrer Volkswirtschaft“ und nahmen ihre volkswirtschaftlichen Funktionen war. Heute haben sie, insbesondere wenn sie internationale Großunternehmen sind, eine „ganz eigene Agenda“138. Die Interessen der (politischen) Bürgerschaften bleiben dabei weitgehend unberücksichtigt139. Die fehlende Eingebundenheit der global tätigen Unternehmen in das Gemeinwesen des Staates wirft im Bereich des Bankensektors schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken auf. Weil Banken als Kreditgeber für die einheimischen Marktteilnehmer eine elementare volkswirtschaftliche Funktion haben, muss die Steuerung der Bankentätigkeiten dem einheimischen Gesetzgeber unterliegen. Die Kapitalverkehrsfreiheit bereitet den Weg, dass Unternehmen, schon gar sogenannte Global Player und insbesondere Banken aus dem staatlichen Gemeinwesen ausbrechen, um sich dessen gesetzlichen Regelungen zu entziehen. Die Kapitalverkehrsfreiheit hat schließlich zur Konsequenz, dass ein weltweiter Wettbewerb der Staaten um die niedrigsten politischen und ökonomischen Standards geführt wird; denn heute ist es großen Kreditinstituten ohne weiteres möglich, sich durch einen Standortwechsel den strengeren Vorschriften eines Landes zu entziehen. Das fürchten die nationalen Gesetzgeber und um Unternehmen im Land zu halten, sind sie oft allzu bereit, den Global Playern entgegenzukommen und sich am Spiel der „beggar-thy-neighbourPolitik“ zu beteiligen140. 136 Finanzmarktanalyst Folker Hellmeyer sieht in der aufgelösten Loyalität von „Global Playern“ eine wesentliche Ursache der globalen Finanzkrise. Interview mit Deutschlandradio vom 27. November 2010, „Globale Bankenaristokratie muss zerschlagen werden“, einzusehen unter http://www.deutschlandradiokultur.de/globalebankenaristokratie-muss-zerschlagen-werden.1008.de.html?dram:article_id=163636. 137 W. Kersting, Plädoyer für einen nüchternen Universalismus, S. 3, einzusehen unter http://www.humanrights.ch/upload/pdf/070108_kersting_universalitaet.pdf. 138 F. Hellmeyer im Interview mit Deutschlandradio vom 27. November 2010, „Globale Bankenaristokratie muss zerschlagen werden“. 139 K. A. Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, S. 694. 140 Bankenrechtliche Regelungen werden freilich längst nicht mehr national getroffen, sondern nach länderübergreifenden Absprachen international zu koordinieren gesucht. Dies hat einem seit Jahren zu beobachtenden Standortwettbewerb unter den internationalen Metropolen weiteren Vorschub geleistet. Aus heutiger Sicht haben davon namentlich London als Börsenplatz und Luxemburg im Fondsgeschäft profitiert. Wie schwierig sich die Regulierung des Bankenwesens, zusammen mit den entsprechenden Kontrollmechanismen im Zeitalter der Kapitalverkehrsfreiheit gestal-
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Teil 8: Der IWF im Umfeld globaler Finanzströme
II. Problematik der Kapitalverkehrsfreiheit am Beispiel Irlands Die destabilisierende Wirkung der Liberalisierungspolitik für das nationale und internationale Finanzsystem hat die Finanzkrise Irlands (ab Ende 2011) vor Augen geführt. Das Land war in den vorangegangenen zwei Jahrzehnten durch eine umfassende Liberalisierungs- und Deregulierungspolitik zu einem auch im europäischen Vergleich wohlhabenden Staat aufgestiegen. Der sogenannte „Keltische Tiger“ glänzte mit Wachstumsraten von mehr als 8 Prozent, im Jahr 1997 sogar mit 11,5 Prozent141. Mit einer im Euro-Raum vergleichsweise niedrigen Körperschaftssteuer von 12,5 Prozent gelang es Irland, zu einem Magneten für ausländische Direktinvestitionen, vor allem aus den USA, zu werden142. Für das Finanzgewerbe wirkte die geringe Regulierungsdichte besonders attraktiv. Sie erlaubte den Banken, weitgehend befreit von staatlicher Aufsicht, hohe Investitionsrisiken auf sich zu nehmen. So wohlstandsfördernd sich die Liberalisierung in Zeiten stetigen Wachstums ausgewirkt hatte, so abhängig wurde die irische Wirtschaft von den Einschätzungen und Interessen der internationalen Kapitalmärkte. Als sich im Zuge der Finanzkrise deren Urteil über die irische Wirtschaftsverfassung verdüsterte und sich infolgedessen die Bonität Irlands verschlechterte, war die gesamte irische Wirtschaft betroffen, besonders aber der Bankensektor. Mit dem Zusammenbruch der irischen Großbanken übernahm zunächst der irische Staat, also der irische Steuerzahler in Gestalt der staatlichen Auffanggesellschaft NAMA (National Asset Management Agency) eine umfassende Garantie für die Verbindlichkeiten der Banken, um die Insolvenz der Institute abzuwenden. Damit stand der irische Staat für die Verluste der privaten Banken ein. Gleichzeitig lieferte er sich der Willkür der Kapitalmärkte aus; denn Irlands Bonität war nunmehr an die Bonität der Banken gekoppelt. Im Anschluss an die Zahlungsunfähigkeit der Banken wurde dadurch auch die Zahlungsfähigkeit des irischen Staates bedroht. Im Jahr 2010 stieg das Staatsdefizit auf 34 Prozent des BIP143. Die Schuldenquote lag bei nahezu 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes144. Um die Zahlungsunfähigkeit Irlands auf den Finanzmärkten abzutet, zeigt sich beispielhaft an der Reglementierung der bankenrechtlichen Vorschriften zum Eigenkapital (sogenannte „Basel I bis III“). Siehe zu den Ansätzen internationaler Bankenregulierung: Ch. Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, S. 260 ff. 141 FAZ vom 23. November 2010, S. 12, Die grüne Insel fällt von der Spitzenposition rasant zurück. 142 Beispielsweise verlagerten amerikanische Großunternehmen wie Dell, Pfizer und Google große Investitionen nach Irland. 143 FAZ vom 23. November 2010, Die grüne Insel fällt von der Spitzenposition rasant zurück, S. 12. 144 Ebenda.
B. Kritik an der Kapitalverkehrsliberalisierung547
wenden, übernahmen die Euro-Staaten und der Internationale Währungsfonds das Ausfallrisiko des irischen Steuerzahlers145. Im Zuge dessen hatte sich Irland, der strengen Konditionalität des IWF und der Länder der Eurozone zu unterwerfen146. Mit den Memoranda of Understanding wird nicht das irische Volk, sondern dessen Gläubiger in den nächsten Jahren über wesentliche Bereiche der irischen Politik bestimmen. Die Entwicklung Irlands ist kein Einzelfall. Auch andere Staaten wie Griechenland, Portugal, Island und Ungarn sind durch die negativen Wirkungen der Kapitalverkehrsfreiheit weitgehend entdemokratisiert, das heißt de facto entstaatlicht worden.
III. Unvereinbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit mit den Prinzipien des Rechtsstaates Die Steuerung der wirtschaftlichen Handlungen innerhalb eines Staates durch nationale Gesetze ist für den Staat von existentieller Bedeutung; denn die Wirtschaft ist die Existenzgrundlage des Volkes147. Daher obliegt auch dem im Staat verfassten Volk allein die Hoheit über die Steuerung des Einsatzes des Kapitals148. Diese Hoheit erstreckt sich sowohl auf das Kapitalvermögen, welches eine Volkswirtschaft erwirtschaftet hat (d. h. auf Ersparnisse und Investitionen149), als auch auf die Unternehmen des Landes150. In diesem Sinne ausgeübte staatliche Hoheit gewährleistet, dass über die wirt145 Dabei geht es den Kredit- und Garantiegebern, wie am Beispiel Griechenlands gezeigt, einerseits um die Stabilisierung des Euros, gleichzeitig aber auch um ein bail-out der in Irland investierten ausländischen, nicht zuletzt deutschen, Bankinstitute. Das Spiegelbild der fahrlässigen und wegen der Zahlungsverkehrsfreiheit unkontrollierten Kreditaufnahme der irischen Banken besteht in der ebenfalls fahrlässigen und unkontrollierten Kreditvergabe durch primär deutsche und französische Banken. 146 Vgl. zu den Folgen der irischen Wirtschaftskrise für die Auflagenpolitik des IWF: A. Storey, The IMF and Ireland: What we can learn from the global south, 2010. 147 K. A. Schachtschneider; Verfassungsbeschwerdeschrift gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon, S. 116 ff. 148 Ebenda; ders., Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 319 ff.; ders., Eigentümer globaler Unternehmen, in: B. Kumar/M. Osterloh/G. Schryögg (Hrsg.), Unternehmensethik und die Transformation des Wettbewerbs: Shareholder Value, Globalisierung, Hyper-Wettbewerb, FS H. Steinmann, 1999, S. 409 ff. 149 Zwar ist der Umgang mit diesen Ersparnissen von der Eigentumsgewährleistung (in Deutschland: Art. 14 GG) grundsätzlich geschützt, jedoch nur unter der Maßgabe der Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Die Eigentumsgewährleistung reicht jedenfalls nicht soweit, „dass die Kapitaleigner ihr Kapital irgendwo in der Welt verwerten dürfen, auch wenn das dem eigenen Land schadet“. K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerdeschrift gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon, S. 139. 150 Das „Eigentum“ an Unternehmen hat das Gemeinwesen. Dies gilt insbesondere für Unternehmen der Daseinsvorsorge. K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerdeschrift gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon, S. 116 ff.
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Teil 8: Der IWF im Umfeld globaler Finanzströme
schaftlichen Grundlagen des Gemeinwesens im Interesse des gemeinsamen Wohls entschieden wird151. Im Gegensatz dazu ermöglicht die Kapitalverkehrsfreiheit wirtschaftliches Handeln außerhalb der nationalen Gesetzgebung. Banken sind im Allgemeinen private Kapitalgesellschaften und verfolgen als solche die Interessen ihrer Eigentümer, insbesondere das Gewinninteresse. Die Aktionäre der Global Player, meist internationale und institutionelle Anleger, verpflichten das Bankmanagement dementsprechend zur Einhaltung von Kurs- und Dividendenzielen. Zwar sind die Anteilseigner indirekt auch Unternehmer und damit als Wirtschaftssubjekte des betreffenden Landes anzusehen, aber im republikanischen Sinne sind sie nicht Teil der Bürgerschaft (zumal sie in den Investitionsländern in der Regel nicht steuerpflichtig sind oder sich häufig ihrer Steuerpflicht durch Geschäfts- oder Wohnsitzverlagerung entziehen). Über ihr Gewinninteresse hinaus haben sie kein bürgerschaftliches Interesse am Gemeinwohl des Landes, in welchem sie wirtschaftlich engagiert sind. Für die Organe global investierter Unternehmungen, insbesondere Vorstände und Aufsichtsräte, ist dies schon „wegen der Diversität der nationalen Interessen“ nicht möglich152. Unternehmen im Rechtsstaat sind immer auch „Sache des Volkes“153 und dem Gemeininteresse verpflichtet, wie das Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG klarstellt. Demzufolge unterliegt die funktionale Privatheit154 der Banken, welche „die größtmögliche Effizienz unternehmerischer Tätigkeit verspricht“155, gesetzlichen Grenzen156. 151 Vgl. dazu, insbesondere zur Sozialpflichtigkeit des Eigentums: K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerdeschrift gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon, S. 116 ff.; ders. Freiheit in der Republik, S. 469 f., 573 ff., 586 f. 152 K. A. Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, S. 649. 153 Ebenda, S. 692; ders., Verantwortlichkeit der multinationalen Unternehmen, 2002, in: ders., Freiheit-Recht-Staat, hrsg. von D. I. Siebold/A. Emmerich-Fritsche, 2005, S. 655 ff. 154 Zu den Grundlagen des Privatheitsprinzips vergleiche: K. A. Schachtschneider, Eigentümer globaler Unternehmer, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, S. 639; ders. Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 189 f., 272 f.; ders., Res publica res populi, S. 386 ff.; ders., Die Verwaltung 31 (1998), S. 140 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 465 ff.; J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht. Eine Studie über das Regulativ des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft, 1968, S. 215 ff., S. 313 f.; ders., Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, HstR, Bd. III, 1988, § 57, Rdn. 166; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, 1958, Art. 1 Abs. I, Rdn. 53 f. 155 K. A. Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, S. 692. 156 „Die Grenzen der funktionalen Staatlichkeit ziehen die Grundrechte, letztlich durch ihren Wesensgehalt, der institutionell zu entfalten ist.“ Ebenda, S. 693.
C. Konflikt zwischen Globalisierung und nationaler Staatlichkeit549
Wettbewerbliche Prinzipien stehen dem nicht entgegen. Das individuelle Gewinninteresse „kann und soll sich durchaus im Rahmen des Gemeininteresses entfalten“157; denn im republikanisch verfassten Rechtsstaat sind funktionale Staatlichkeit und funktionale Privatheit „untrennbar verbunden“158. Jedes Handeln wird im Rechtsstaat zugleich durch die Interessen des Einzelnen und der Allgemeinheit bestimmt159. So haben private Unternehmen neben ihrer privaten auch eine staatliche Funktion. Diese besteht in der „Verwirklichung des allgemeinen Willens des Volkes und damit der Gemeininteressen desselben“160. Aufgrund ihrer elementaren volkswirtschaftlichen Funktion sind Banken ein besonders wichtiger Teil des staatlichen Gemeinwesens und unterliegen daher der umfassenden Hoheit des Staates. Wie alle anderen privaten Unternehmungen dürfen auch sie nur im Rahmen der Gesetze tätig werden161. In Ausübung seiner Hoheit nimmt der Staat auf das private Handeln der Banken um des gemeinsamen Wohls willen funktional Einfluss162. Mit der Einbindung der Banken in die Gesetzlichkeit des Gemeinwesens wird gewährleistet, dass Banken in ihrem unternehmerischen Handeln (auch) das Gemeinwohl verwirklichen. Mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs oder der Übertragung diesbezüglicher Hoheitsrechte auf eine internationale Organisation wird dem im Staat verfassten Gemeinwesen diese Hoheit entzogen.
C. Konflikt zwischen Globalisierung und nationaler Staatlichkeit Die „globale Dimension“163 des Kapitalverkehrs offenbart einen Konflikt zwischen einer zunehmend denationalisierten, das heißt territorial unbegrenzten (kapitalistischen) Wirtschaft und nationaler Staatlichkeit. Die Folgen der zunehmenden Liberalisierung des Kapitalverkehrs sind unter ökonomischen Gesichtspunkten bedenklich und in rechtlicher Hinsicht 157 Ebenda,
S. 692; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 310 ff. Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, S. 693. 159 Ebenda. 160 Ebenda, S. 692; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, 2. Teil, 2. Kap. 161 Vgl. zur Sozialpflichtigkeit von Unternehmen: K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 370 ff., 394 ff.; ders. Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, S. 692 f. 162 Zur „Privatheitlichkeit und Staatlichkeit der Unternehmen“ siehe: Eigentümer globaler Unternehmen, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, S. 643. 163 K. A. Schachtschneider, in: ders., Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 255. 158 K. A.
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Teil 8: Der IWF im Umfeld globaler Finanzströme
kaum legitimierbar. Auf der einen Seite entfalten unkontrollierte grenzüberschreitende Kapitalbewegungen ökonomische Wirkungen, welche sich als eine der wesentlichen Ursachen für die Verwerfungen auf den Finanzmärkten erwiesen und im Übrigen dazu beigetragen haben, das globale Währungsund Wirtschaftssystem zu destabilisieren. Innerhalb der nationalen Volkswirtschaften haben Kapitalbewegungen, welche der Kontrolle nationaler Gesetzgebung entzogen sind zur Folge, dass die Beziehung zwischen privaten Unternehmen und staatlichem Gemeinwesen weitgehend aufgelöst wird. Damit ist die verfassungsrechtliche Problematik verbunden, dass die Liberalisierung des Kapitalverkehrs die Hoheit des Staates umfassend in Frage stellt164. Die Liberalisierung oder Übertragung der Hoheit des Kapitalverkehrs widerspricht einer verfassungsgerechten Staatlichkeit. Sie nimmt den Mitgliedstaaten „die Hoheit, im Interesse des gemeinsamen Wohls des Landes über den Einsatz des in der Volkswirtschaft erarbeiteten Kapitals, im Wesentlichen die Ersparnisse der Bürger, zu entscheiden“165. Private Unternehmen können sich dadurch der Hoheit des Staates und ihren gesetzlichen Regelungen entziehen. Sie genießen hierbei wegen der weitgehend globalen, zumal in der Europäischen Union bestehenden Freiheit des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, unkontrollierbare Handlungsmöglichkeiten. Die Liberalisierung weiter Teile der Wirtschaftspolitik äußert sich in vielfältiger Weise etwa in Form von Standortverlagerungen, dem Verlust von Arbeitsplätzen oder Sozialabbau166, wie es im Zuge der globalen Finanzmarktkrise in den Jahren 2008 und 2009, sowie in der Euro-Krise abermals deutlich wurde. Rolf Knieper weist darauf hin, dass „eine Regierung, die sich gegen Eingriffe in nationale Wirtschaftspolitik verwahrt, nicht aber das Einströmen fremden Kapitals verhindert, versucht, Symptome zu kurieren, ohne die Ursachen zu beseitigen und – vielleicht – ohne die Ursachen dauerhaft beseitigen zu können“167. Dabei geht er soweit, eine „(Re-)Nationalisierung der 164 „Wenn globale Finanzmärkte geschaffen werden, verlieren nationale Notenbanken wichtige Instrumente, die dann auf globaler Ebene bereitgestellt werden müssen. Umgekehrt heißt dies: Solange der globale „Lender of Last Resort“ fehlt, ist die Abschaffung von Kapitalverkehrskontrollen gefährlich.“ – H. Dieter, Globalisierung ordnungspolitisch gestalten, Die internationale Finanzarchitektur nach den Finanzkrisen. 165 K. A. Schachtschneider, Wirtschaftsverfassung und Welthandelsordnung, S. 116. 166 K. A. Schachtschneider, Eigentümer globaler Unternehmen, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, S. 637; zu Bedeutung und Machtstellung der Großunternehmen in Industrieländern: H. Steinmann, Das Großunternehmen im Interessenkonflikt, 1969, S. 133 ff., 155 ff. 167 „Entsprechend scheint mir eine Ablehnung international bestimmter Wirtschaftspolitik und Geldpolitik ohne weitere Qualifizierung hilflos gegenüber dem Stand der Weltmarktverflechtung in Form von Handel und Produktion auf der Grund-
C. Konflikt zwischen Globalisierung und nationaler Staatlichkeit551
Ökonomie“ zu fordern, wenn er auf den Zusammenhang zwischen staatlicher Verschuldung, Konditionalität und Kapitalverkehrsliberalisierung aufmerksam macht. Die „Zurückweisung aller internationaler Verbindlichkeiten“, die „Nationalisierung von ausländisch kontrollierten Unternehmen“ gehörten nach seiner rigorosen Einschätzung ebenso zum Souveränitätspostulat wie die „Unterbrechung von Handelsströmen“168. Karl Albrecht Schachtschneider sieht die nationale, aber auch die gemeinschaftliche Währungspolitik weitgehend machtlos gegenüber den immensen Kapitalbewegungen, „zumal das Kapital und dessen vielfältige Derivate aus (gegenseitigen) Bankkrediten geschöpft werden, also Schulden sind, auf welche die Zentralbanken letztlich ohne Einfluss sind“169. Eine globale Kapitalverkehrsfreiheit, wie sie der IWF lange Zeit propagiert und mit Hilfe der Konditionalität seiner Mittelvergabe in den Mitgliedstaaten durchgesetzt hat, ist mit den fundamentalen Prinzipien des Rechtsstaates, zumal dem Sozialund Demokratieprinzip schwerlich vereinbar; denn sie verletzt die existentielle Staatlichkeit170. Die Auswirkungen der Kapitalverkehrsfreiheit sind für die Stabilisierung des globalen Währungs- und Wirtschaftssystem von zentraler Bedeutung und damit auch für den IWF besonders relevant. Der Fonds hat die Wirkungen der Kapitalverkehrsliberalisierung lange Zeit unterschätzt und die Option einer staatlichen Kontrolle des Kapitalverkehrs nur halbherzig in Betracht gezogen. Jeffrey Sachs kommt zu dem Schluss171: „Just as in domestic financial markets, international law is needed to overcome market failures and instability. The IMF has the central role to play in establishing the international legal arrangements to promote an efficient international monetary and financial system.“
lage weit entwickelter Konzentration und eines ihr entsprechenden Kredit-Geld-Systems.“ R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 284. 168 R. Knieper, Zurichtung nationaler Politik durch internationales Recht?, Die Bereitschaftskreditabkommen des Internationalen Währungsfonds, S. 283. 169 K. A. Schachtschneider; Antrag auf Einstweilige Verfügung gegen Stabilisierungsschirm zugunsten Griechenlands, S. 20 ff. 170 K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerdeschrift gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon, S. 140 ff. 171 J. Sachs, Do we Need an International Lender of Last Resort?, S. 15.
Schlussbetrachtung Sind die Kreditprogramme des Internationalen Währungsfonds eine Ausprägung der sich stetig verstärkenden Knebelung der Nationalstaaten durch internationale Institutionen, Interessengruppen und Banken? Sind sie Anzeichen einer Aushöhlung nationaler Souveränität und erweist sich hier die sogenannte „Global Governance“ als ein rechtlich nicht legitimiertes „Mehrheitssystem überstaatlicher Aktivitäten“1? Oder ist diese Entwicklung – positiv gewendet – als Vorbote eines sich konstituierenden überstaatlichen Weltrechts im Sinne einer globalen „Good Governance“ zu verstehen2? Diese Fragen stehen in einem Kontext, in dem politische, ökonomische und völkerrechtliche Aspekte rivalisieren, sich dabei auch wechselseitig bedingen und die besondere Rolle des IWF prägen. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stand die staats- und völkerrechtliche Perspektive, die immer wieder durch die ökonomischen Entwicklungen tangiert und in Frage gestellt wird. Ein gemeinsamer Weltmarkt, so die geläufige Argumentation, fordert marktkonforme politische Strukturen, denen auch innerhalb der staatlichen Grenzen Geltung verschafft werden muss, um im globalen Standortwettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren3. Dieser „Imperativ der Wettbewerbsfähigkeit“ postuliert die „Transformation des Staates zum nationalen Wettbewerbsstaat“4 und wird zum funktionalistischen Ordnungsprinzip der Weltgemeinschaft. Die vom IWF seit den achtziger Jahren propagierte Agenda des „Washington Consensus“ ist ein maßgeblicher Teil der Global Governance5 und auch die politische Zielrichtung des Internationalen Währungsfonds, der sich seit dem Zusam1 Ch. Scherrer/C. Kunze,
Globalisierung, 2011, S. 62. Entwicklung des Weltrechts A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, passim. 3 Vgl. Th. Vollmöller, Die Globalisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts, 2001. 4 U. Brand, Ordnung und Gestaltung. Global Governance als hegemonialer Diskurs postfordistischer Politik?, in: M. Berndt/D. Sack, Glocal Governance? Voraussetzungen und Formen demokratischer Beteiligung im Zeichen der Globalisierung, 2001, S. 99 f., 106. 5 Angelika Emmerich-Fritsche dagegen unterscheidet zwischen global government im Sinne einer „Weltordnungspolitik“ und global governance im Sinne der „Steuerung gesellschaftlicher Beziehungen mittels dauerhafter Regelung“, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 608 ff. 2 Zur
Schlussbetrachtung553
menbruch des Bretton-Woods-Systems zu einem ihrer zentralen Organe entwickelt hat6. Den Kern der völkerrechtlichen Legitimationsproblematik bildet die Antinomie von Globalisierung und staatlicher Souveränität, von Global Governance und demokratischem Prinzip. Sie prägt unsere Epoche und verlangt nach Antworten, wie das Spannungsverhältnis zwischen einer fortschreitenden globalen Integration und dem Wesen der nationalen Staatlichkeit im Einzelfall aufzulösen ist. Im Kontext des IWF entfaltet sich die Problematik insbesondere im Rahmen der Konditionalität. In ihr wirken die Zwänge der (vermeintlich unpolitischen) „global economic governance“ und kollidieren mit dem Grundsatz der Souveränität der Mitgliedstaaten. Die Legitimation des IWF hängt wie viele andere Legitimationsprobleme im Völkerecht von der Substanz des völkerrechtlichen Souveränitätsbegriffs ab und deshalb musste eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Souveränitätsprinzip einen der Schwerpunkte dieser Arbeit bilden. Dabei hat sich gezeigt, dass ein empirisch relativierender Souveränitätsbegriff mit der freiheitlich geprägten Idee des Staates als Rechtsgemeinschaft nicht zu vereinbaren ist. Der völkerrechtlich verbriefte Anspruch auf Selbstbestimmung des Staates beruht wesentlich auf der Willensautonomie des Volkes. Ihr Wesenskern liegt gerade in ihrer Unveräußerlichkeit und Unabhängigkeit nach außen. Unter diesem Freiheits- und Rechtsverständnis gewinnt die staatliche Souveränität eine eigene Materie, die sich „im Vollzug des allgemeinen Willens“7 seiner Bürger, letztlich also in der Verwirklichung des demokratischen Prinzips manifestiert. Völkerrechtlich entfaltet der Souveränitätsbegriff damit eine subsumtionsfähige Referenzfunktion: Die Souveränität ist verletzt, wenn das demokratische Prinzip verletzt ist8. Das Gemeinwohl, das heißt die Erkenntnis des Richtigen, materialisiert sich im Rahmen eines nach außen unabhängigen ergebnisoffenen rechtsstaatlichen Verfahrens. Dagegen ist die Konditionalität ein System zur verbindlichen Verknüpfung von Auflagen und Krediten, das heißt: Die Vertreter des Volkes sind bei der Erkenntnis des Richtigen gebunden. Das macht den IWF, 6 In der „Declaration on Partnership for Sustainable Global Growth“ im Jahr 1996 verschreibt sich der Fonds dem Ziel, alle Volkswirtschaften in die globale Weltwirtschaft einzubinden: „[…] promoting full partizipation of all economies, including the low income countries, in the global economy.“ IMF, Partnership for Sustainable Global Growth, Interim Committee Declaration vom 29.09.1996. 7 W. Kersting, Die Vertragsidee des Contrat social and Kants contractus originarius, Estudos Kantianos 2013, S. 96. 8 K. A. Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands, S. 107 ff.; ders., Souveränität, S. 312 ff.
554 Schlussbetrachtung
der die Auflagen maßgeblich gestaltet, zum faktischen Gesetzgeber, während Parlament und Regierung im Wesentlichen auf die Funktion zurückgesetzt werden, für die Implementierung der Auflagen Sorge zu tragen. Damit erweist sich die Konditionalität des IWF geradezu als Gegenkonzept zur Souveränität. Dies ist auch in der Griechenlandkrise deutlich geworden. Hier ist das demokratische Prinzip bereits deshalb verletzt, weil der IWF – ebensowenig wie die übrigen Institutionen der Troika – kein objektiver Sachwalter der Gemeinwohlinteressen des betroffenen Staates sein kann. Als Kreditgeber ist er selbst Partei und aufgrund seiner inneren Struktur (gewichtetes Stimmrecht) von den Motiven der Hauptanteilseigner abhängig. Auch die von der Krise betroffenen Banken und Exporteure sehen ihre Interessen durch die jeweiligen Mitgliedstaaten im IWF vertreten, wie es gerade die Euro-Krise deutlich gemacht hat. Aufgrund dessen war und ist der IWF immer wieder bereit, mit neuen Krediten Schuldenmoratorien abzuwenden, obgleich dies langfristig den wirtschaftlichen Interessen der Programmstaaten zuwiderläuft. Zusätzliche Verschuldung wird in Kauf genommen, um einen Zahlungsausfall zu verhindern und die Gläubiger nicht zu Abschreibungen zu zwingen. Wie die Griechenlandkrise in aller Zuspitzung deutlich gemacht hat, entfaltet sich die Konditionalität im Rahmen der IWF-Kreditprogramme weitgehend willkürlich, das heißt „ohne bindende internationale Regeln durch die Kraft des Faktischen“9. Vor allem geht sie auf Kosten der Souveränität des Staates. Auch für das Völkerrecht bleibt das nicht ohne Wirkung: Die Konditionalität liefert das Selbstbestimmungsrecht der Völker einem allgemeinen Erosionsprozess aus (Stichwort: Periode der „Nach- / Post-Souveränität“) und entzieht dem Völkerrecht letztlich die Grundlage seiner Existenz. Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen? Im Prinzip lässt sich mit den finanziellen Verbindlichkeiten eines überschuldeten Staates auf zweierlei Weise verfahren: Entweder wird der Schuldnerstaat in der Haftung gehalten und die zuverlässige Bedienung der Verbindlichkeiten eingefordert – dem dient die Konditionalität der IWF-Kreditprogramme („konfizierte Demokratie“10). Der Sache nach „bezahlt“ der betroffene Staat seine Schuld mit dem Verlust seiner Souveränität, die er sich „zurückverdienen“ muss, indem er sich einem Austeritätsprogramm unterwirft. Oder aber der Schuldner wird im Rahmen eines verrechtlichten Verfahrens von seiner Verpflichtung ganz oder teilweise befreit. Dann müssen die 9 E. U. Petersmann, 10 „L’austérité
26. Januar 2015.
Völkerrechtliche Fragen der Weltwährungsreform, S. 462. ou la démocratie confisquée“, J. Posca, Le Journal de Montréal,
Schlussbetrachtung555
Gläubiger den Forderungsverlust realisieren, also abschreiben. Darauf zielt das Konzept eines internationalen Insolvenzverfahrens. Freilich wird sich das entsprechend höhere Verlustrisiko der Gläubiger in höheren Kreditzinsen niederschlagen und damit die Kreditaufnahme für Staaten verteuern. Zugleich wirkt dies aber einem Moral-hazard entgegen, weil die Gläubiger (und Ratingagenturen) nicht mehr mit einem Bail-out durch den Internationalen Währungsfonds rechnen dürfen. In der Praxis hat sich der Fonds im Sinne der ersten Alternative zum Retter und Zuchtmeister in Verschuldungskrisen entwickelt: Gerettet werden die Schuldnerstaaten mit frischem Geld, gerettet werden aber auch – und das heißt vom Risiko befreit – die privaten Investoren, insbesondere große Banken, wenn sie Systemrelevanz für sich reklamieren. Dabei leistet die Erwartung auf ein Engagement des IWF einem Moral-hazard Vorschub, der das Problem staatlicher Verschuldung virulent werden lässt. Staatliche Überschuldung ist heute ein weltweites Problem. Selbst in der Europäischen Union erfüllen nur wenige Staaten das Maastrichtkriterium einer Schuldenquote von unter 60 Prozent des BIP, und umso mehr leiden die meisten Entwicklungsländer unter der Last von Überschuldung. Als Ausweg zur Konsolidierung einer nicht mehr tragfähigen Staatsverschuldung hat der IWF die Einführung eines internationalen staatlichen Umschuldungsmechanismus (Sovereign Debt Restructuring)11 vorgeschlagen12, der ordnungsstiftend und präventiv zur Krisenvorsorge beitragen soll und damit das Krisenmanagement verbessern könnte. Vor allem könnte sie vermeiden, dass die Lösungen über konditionierte Kreditprogramme willkürlich und weitgehend einseitig auf Kosten der Schuldnerstaaten erfolgen. Zwar würde eine Verrechtlichung des Verfahrens die Souveränität des Staates allein kaum retten können. Sie könnte aber dazu beitragen, das Ausufern staatlicher Verschuldung einzudämmen, ohne den Geltungsanspruch der Souveränität der Schuldnerstaaten übermäßig zu strapazieren. Das Sou11 „When a country’s debt burden is truly unsustainable, the inevitable cannot be put off forever.“ – A. Krueger, International Financial Architecture for 2002: A New Approach to Sovereign Debt Restructuring (2001); vgl. auch Patrick Bolton: Toward a Statutory Approach to Sovereign Debt Restructuring: Lessons from Corporate Bankruptcy Practice around the World, IMF WP No. 03/13, 2003; ebenso K. v. Levinski, Öffentlichrechtliche Insolvenz und Staatsbankrott. 12 Wenn der in der Diskussion häufig verwendete Begriff der Insolvenz im Zusammenhang mit souveränen Staaten auch wenig präzise ist, so überzeugt doch das Bedürfnis nach einem verrechtlichten Verfahren im Umgang mit überschuldeten Staaten. An dessen Ende steht das Ziel der Schuldentragfähigkeit. Als Mittel setzt ein solches Verfahren aber nicht auf weitere Verschuldung und Konditionalitätsprogramme, sondern zuvorderst auf eine Entschuldung, das heißt das Investitionsrisiko ist in Form von Abschreibungen auf Seiten der Gläubiger zu realisieren.
556 Schlussbetrachtung
veränitätsproblem, das sich bei Überschuldung des Staates regelmäßig stellt, könnte entschärft werden, wenn es gelänge, die Willkür der Konditionalität durch ein völkerrechtliches Verfahren in die Formalität des Rechts zu überführen. Was ist dem IWF vor diesem Hintergrund zu empfehlen? Mit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-System hat der IWF die Rolle eines Lenders of last Resort und damit eine bankenähnliche Funktion übernommen. Dementsprechend hat sich die Praxis der Kreditvergabe von dem im IWF-Übereinkommen vorgesehenen Fondscharakter weit entfernt. Die wesentliche Aufgabe der Fonds-Ressourcen besteht darin, die Mitgliedstaaten gegen kurzfristige Liquiditätsrisiken zu versichern. Auf dieser Grundlage sind vorübergehende Liquiditätshilfen, insbesondere im Zusammenhang mit unerwarteten Turbulenzen auf den Devisenmärkten vom Mandat des IWF gedeckt. Beschränkt er sich auf diese Hauptaufgabe, ist die Konditionalität der Mittelvergabe der Sache nach obsolet. Schließlich hat der Fonds im Rahmen seines Überwachungsauftrags13 Kreditbedarf, Kreditfrist und Länderrisiko im Einzelfall einzuschätzen und die Kreditzusage so darauf abzustimmen, dass eine fristgerechte Tilgung auch ohne schwerwiegende Eingriffe in das Haushaltsrecht des Empfängerlandes erwartet werden kann. Auch wenn die politischen und ökonomischen Machtverhältnisse vermuten lassen, dass die Legitimationsdefizite des IWF in absehbarer Zeit kaum behoben werden, sollten die völkerrechtlichen Bedenken gegen die gegenwärtige Kreditpolitik den Fonds zu kritischer Selbstprüfung anregen. Viel wäre gewonnen, wenn sich der IWF von seiner reaktiven Ausrichtung entfernte und zurück zu seinem präventiven Mandat der Systemaufsicht14 fände (crisis-averter rather than crisis-manager15). Die schnelle Aufeinanderfolge von Finanz-, Schulden- und Euro-Krise lässt erkennen, dass wirtschaftliche Verwerfungen von vielen Seiten drohen, zuvorderst von einer rechtlich ungehegten globalen Kapitalverkehrsliberalisierung, die unüberschaubare Risiken anhäuft16. Mit Blick auf diese – vom IWF zunehmend 13 Insbesondere auf Basis der im Jahr 2011 neu konzipierten „Integrated Surveillance Decision“. Vgl. dazu IWF Jahresbericht 2011, S. 21. 14 Immer wichtiger erscheint der Fokus auf eine präventive Finanzstabilitätspolitik, die darauf gerichtet ist, den Ausbruch einer globalen Finanzkrise zu verhindern. 15 G. Bird, The IMF and the Future, Issues and options facing the Fund, 2003, S. 17 f. 16 Insbesondere Keynes, der in spekulativen Finanzgeschäften die wesentliche Ursache für die Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 sah, betrachtete Kapitalverkehrskontrollen als eine effektive Möglichkeit, zukünftige Finanzkrisen zu verhindern. Vgl. M. Moschella, Governing Risk: The IMF and Global Financial Crisis, 2010, S. 5.
Schlussbetrachtung557
erkannte17 – Gefahrenquellen wäre ein neuer Ansatz für die globale Finanzarchitektur erforderlich, welcher das Profil und die Aufgaben des IWF ebenfalls verändern könnten18. Freilich bleiben wichtige (ursprüngliche) Aufgaben des IWF von der Kritik an der Konditionalität unberührt. Dazu gehören beispielsweise die Überwachungsaufgaben im Bereich der Währungspolitik (Surveillance), die technische Hilfe oder die Förderung der (währungs)politischen Zusammenarbeit. Sie dienen dem Zweck, Systemrisiken zu ermitteln (Weltfinanzsystemanalyse) und das Finanzsystem insgesamt krisenfester zu machen. Das gilt umso mehr, seit das zentrale Problem der Geldpolitik heute nicht mehr in der Geldversorgung liegt, „sondern im Kreditsystem“19. Demzufolge kommt der empirischen Forschung / Statistik des IWF wieder jene wichtige Bedeutung zu, an die bereits John Maynard Keynes den IWF gemahnte20: „There is hardly any greater service the Fund can do than provide up-to-date barometers of the monetary problems of the world. We hope that the very greatest importance will be given to the statistical branch of the Fund and that they will be encouraged to make reports [for] the instruction and benefit [of] all of us on a scale that has never been possible heretofore.“ 17 Der IWF zog Lehren aus der Finanzkrise von 2008/2009 und schuf in Zusammenarbeit mit dem Financial Stability Board (FSB) sogenannte Frühwarnberichte (Early Warning Exercise). Dabei handelt es sich um qualitative und quantitative Analysen auf der Grundlage eines „Signalansatzes“, den der IWF „auf Basis von Indikatoren und Modellen zur Messung makroökonomischer und finanzspezifischer Schwachstellen und Risiken in den einzelnen Ländern“ messen lässt. Siehe Factsheet IMF, IMF-FSB Early Warning Exercise, einzusehen unter https://www.imf.org/exter nal/np/exr/facts/ewe.htm. „Anhand historischer Daten werden Schwellenwerte ermittelt, für jede Variable werden die Schwellenwerte mit den Ist-Werten verglichen. Anhand dieser Methode werden sowohl einzelne Schwachstellen aufgezeigt als auch anschließend die Krisenanfälligkeit des jeweiligen Landes anhand aggregierter Indikatoren berechnet.“ M. Junkernheinrich/S. Korioth/T. Lenk/H. Scheller/M. Woisinn (Hrsg.), Jahrbuch für öffentliche Finanzen, 2013. 18 Die UN-Kommission zur Reformierung des IWF und des Finanzsystems, gelangt zu dem Ergebnis, dass zukünftige Finanzstörungen bereits im System angelegt sind. Bei der Stabilisierung des Finanzsystems sei weniger auf Integration und „stärker auf Separation“ zu setzen sein. Nur auf diese Weise ließen sich die Ansteckungsgefahren von einem Systemteil zum anderen mindern. Siehe J. Stiglitz (Vorstand der Kommission), The Commission of Experts of the President of the UN General Assembly on Reforms of the International Monetary and Financial System, 21. September 2009, einzusehen unter http://www.un.org/ga/econcrisissummit/docs/FinalReport_ CoE.pdf. 19 J. Stiglitz, The European vom 23. April 2012, „Die Politik ist die Wurzel des Problems“, einzusehen unter http://www.theeuropean.de/joseph-stiglitz/10749-staat liche-sparpolitik-in-der-finanzkrise. 20 Commission I, third meeting, Center for Financial Stability, einzusehen unter http://www.centerforfinancialstability.org/brettonwoods.php.
558 Schlussbetrachtung
Die einstmals unangefochtene Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem steht vor neuen Herausforderungen. Zukünftig wird sich der Fonds mehr denn je in Konkurrenz zu neuen aufstrebenden globalen Einrichtungen und Modellen bewähren müssen, der Beijing Consensus, die New Development Bank oder die jüngst gegründete Asiatische Investmentbank für Infrastruktur (AIIB) sind nur erste Vorboten. Ihre Entstehung ist auch eine Antwort auf das gegenwärtige Legitimationsdefizit des IWF. Um die ihm zugedachte Aufgabe als Aufsicht über die Währungs- und Wechselkurspolitik wahrnehmen zu können, hat der IWF die Souveränität seiner Mitgliedstaaten als Grenze des eigenen Handelns zu respektieren. Deshalb bedarf die Kredit- und Auflagenpolitik des Fonds einer restriktiven Ausrichtung am Maßstab des Völkerrechts21. Die Fokussierung auf Konditionalitätsprogramme jedenfalls wird der Reputation des IWF mehr Schaden als Nutzen bringen und damit auch seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigen. Schließlich hängt die Durchsetzungskraft des Internationalen Währungsfonds von seiner politischen Akzeptanz und diese wiederum wesentlich von seiner völkerrechtlichen Legitimation ab. Zweifelsohne bedarf die Koordinierung des gesamten Währungs- und Wirtschaftssystems der Kooperation in einer Organisation wie sie der Internationale Währungsfonds dem Grunde nach darstellt. Ungeachtet aller Globalisierungstendenzen beruht die Stabilität des weltumspannenden Währungs- und Wirtschaftssystems jedoch nach wie vor auf der Stabilität der Einzelstaaten. Deren wirtschaftliches Gleichgewicht aber kann nicht „global verordnet“ werden, sondern muss von innen kommen, damit es sich nach außen bewähren kann22.
21 „This attitude of aloofness may be one of the reasons why, apart from IMF instruments, there are no well defined principles of international law available that must be respected by the IMF in its relationship with States requesting access to the Fund’s resources.“ E. Denter, IMF Conditionality – Economic, Social and Cultural Rights, and the Evolving Principle of Solidarity, in: International Law and Development, S. 235. 22 Vgl. U. Di Fabio, Last der Freiheit, FAZ vom 16. September 2013, Nr. 215, S. 7. Entsprechend mahnt Art. 31 Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (CERDS) an, „that the prosperity of the international community as a whole depends upon the prosperity of its constituent parts“.
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Sachwortverzeichnis Affortable Care Act 389 AIIB 558 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 146, 236, 261 Anne-Krueger-Initiative siehe Sovereign Debt Restructuring Mechanism Äquivalenz –– Formelle 463 –– Materielle 465 Argentinien 479, 499, 534, 543 Art. IV-Konsultationen 230 Asienkrise 168, 169, 190, 501, 519, 534 Atlantic-Charta 45 Ausfallrisiko siehe Investitionsrisiko Auslandsinvestitionen 290 –– Spekulative 541 Außenwirtschaft 88 Außenwirtschaftliches Gleichgewicht 290, 297 Austerität –– Politik 41, 287, 329, 332, 334, 340, 341, 446, 451 –– Programm 173, 306, 339, 384, 451 –– Soziale Menschenrechte 383 Autarkie 44 Automatic stay siehe Insolvenz Baggar-thy-neighbour 70 Bail-out 187, 201, 209, 210, 318, 336, 484 Bancor 50, 121 Bankensystem 58 Beggar-thy-neighbour 43, 60, 72, 340, 545 Beggar-thyself-Politik 340 Beijing Consensus 194, 280, 558
Bereitschaftskredit –– Abkommen 118, 160, 162, 279 Bereitschaftskreditvereinbarung –– Bindungswirkung 180 –– Letter of Intent 177 –– Verfahren 172 Beschäftigungsgrad 57 Beschäftigungsniveau 297, 451 Bona-fides 467 Bretton-Woods –– Konferenz 35 –– Organisationen 55 –– System 46, 53, 556 Budgethoheit 378, 472 CERDS 368 CFF 168 Charta der Vereinten Nationen 257 Chiang Mai Initiative Multilateralization 194 China 99, 109, 281 Clausula rebus sic stantibus 508 Coercion 367 Collective Action Clauses 484, 498 Cologne Terms 480 Contingent Credit Line 170, 275 Contingent Reserve Arrangement 193 Corporation of Foreign Bondholders 348 Credit Default Swaps 474 Credit spreads 474 Crowding-out-Effekte 50 Deficit spending 446 Demokratieprinzip 143, 211, 259, 262, 371, 391, 553 –– Erkenntnis des Richtigen 374
610 Sachwortverzeichnis –– IWF-Politik 456 –– Legalitätsprinzip 429 –– Opposition 394 –– Partizipationserfordernis 385 –– Prinzip der repräsentativen Volksherrschaft 377 –– Verletzung Griechenland 384 Devaluation cycle 70 Devisenkontrollen 72, 86, 103, 106, 523 Devisenreserven 41, 79, 85, 169 –– Aufschatzen 190 Dezisionismus 421 Diskurs siehe Entscheidungsverfahren Domaine réservé 213, 256, 294, 378 Drei-Säulen-Modell 44 ECOSOC 44 Effektivität 447 Effet utile 295 Effizienz 447 EFSM siehe Europäischer Stabilitätsmechanismus Elitarismus 198 Entscheidungsverfahren –– Erkenntnis des Richtigen 374 –– Öffentlicher Diskurs 375, 397, 424 –– Praktische Vernunft 374 –– Prinzip der repräsentativen Erkenntnis 377 –– Sachverstand 438 Entschuldungsinitiative 164, 168 Entwicklungsländer 55, 133, 192, 271, 274, 497, 539 Ergebnislegitimation 248, 408, 410 –– Legitimation durch Bewährung 412 Ergebnis-Legitimation –– Dogmatik 413 Ermessen –– Entschließungsermessen 93 –– Gebundenes 366 Europäische Währungsunion 302, 333, 334, 364 –– Zentralbankensystem 96
Europäischer Rettungsmechanismus 371 Europäischer Schuldentilgungsfonds 474 Europäischer Stabilitätsmechanismus 268, 301, 308, 312, 469 European bias 443 Expectation schedule 160 Expertokratie 411 Exportförderung 59, 290 Ex-post-Legitimation siehe Ergebnis legitimation Extended Fund Facility 84, 163, 302, 317 Feste Wechselkurse 54 Financial Sector Assessment Program 74 Financial Stability Board 74, 188 Financial Stability Forum 188 Finanzarchitektur 74 –– Globale 192, 557 Finanzieller Staatsnotstand 407, 425, 429, 464 Floatende Wechselkurse 53 Fondscharakter 92 Formalität der Freiheit 371 Framework for Cooperation between the Fund, the European Commission, and the ECB 319 Frankreich 311 Free-riding 202 Friedensprinzip 247, 251 G-7 74 G-20 53, 74, 188, 442 Gebot der Haushaltswahrheit 341 Gebot des sichersten Weges 342 Geldschöpfung –– Hoheit 98 –– Kapazität 50 Gemeinwohl 447 Generationengerechtigkeit 512
Sachwortverzeichnis611 Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht 452 Gesetz der antizipierten Reaktion 392 Gesetzgebung –– Autonome 372 Gesetzlichkeit 242 Gewährleistungsverantwortung 150 Gewaltenteilung 107, 129 –– Exekutives Übergewicht 396 Gewohnheitsrecht 91, 296 Gleichgewichtskonstellation 65 Global Administrative Law 74 Global economic governance 553 Global Governance 552 Global Player 545 Globalsteuerung 453 Goldbindung 54 Goldstandard 36, 51 Good faith 304, 516 Good Governance 149, 214, 226, 228, 534, 552 Governmentalization of debts 351 Griechenland –– Ausgangslage 299 –– Kreditvolumen IWF 309 Griechenlandkrise 174 Griechenland-Report 336 Guidelines on Conditionality siehe Konditionalität Haftungsrisiko 114 Haushaltsplan 380, 397 Heavily Indebted Poor Country 153 –– HIPC-Initiative 166, 480 Herrschaftsgewalt 249 Herrschaftsordnung 413 Hold-out-Strategie 498 Hyperinflation 37 Immunität 138 Implied powers 295 Importkontrollen 70 Inflation 57
Informationspflicht 79 Innere Abwertung 336 Input-Legitimation 409 Insolvenz 453, 468 –– Automatic stay 516 –– Chapter 11 477 –– Insolvenzfähigkeit von Staaten 485 –– IWF-Initiative 481 –– Notstandslage 425 –– Pfändungsfreigrenzen 474 –– Ungeordnete 354, 361, 362, 393, 409 –– USA 514 Insolvenzprinzip –– Allgemeines Rechtsprinzip 485 –– Common-Pool-Problem 493 –– Dogmatik 472 –– Neutrale Instanz 504 –– Pfändungsschutz 511 –– Restrukturierung 511 –– Transparenzgebot 504 –– Völkerrechtliche Dogmatik 476 International Clearing Union 48 International Development Association 166 International Monetary and Finance Committee 106 Internationale Organisation 136 Internationaler Gerichtshof 139, 142 Intervention 252, 255 –– Devisenmärkte 62 Interventionismus 250 Investitionsrisiko 341, 343, 465, 473 IPbpR 146, 148, 259 IPwskR 146, 148, 261 Irland –– Ausgangslage 300 –– Kapitalverkehrsliberalisierung 546 Isolationismus 44 ITO 44 Ius cogens 148 Ius strictum 366 IWF –– Allgemeines Konto 158, 284
612 Sachwortverzeichnis –– Artikel-IV-Konsultationen 78, 97, 110 –– Beendigung der Mitgliedschaft 104 –– Befugnisse 54, 76 –– Bindung an Demokratieprinzip 264 –– Blitzableiterfunktion 305 –– Brückenfinanzierungsfunktion 93 –– Code of Conduct 104 –– Constituencies 109 –– Development Committee 111 –– Einbindung Eurokrise 302 –– Einfluss der Banken 133 –– Einfluss der Mitgliedstaaten 129 –– Einfluss der USA 129 –– Einschätzungsprärogative 88 –– Entscheidungsprozess 122 –– Entschließungsermessen 93 –– Exekutivdirektorium 97, 108, 147 –– Finanzierung 117 –– Finanzierungsaktivitäten 80 –– Fondscharakter 85 –– Führungspersonal 443 –– Gatekeeper-Funktion 353 –– Geschäftsführender Direktor 108, 110 –– Geschichtliche Entwicklung 35 –– Gestaltungsspielraum 122 –– Globale Versicherungsanstalt 208 –– Gouverneursrat 80, 107 –– Implied powers 90 –– Informationspflicht 141 –– Insolvenzverfahren 504 –– Intellectual conformity 125 –– International Monetary and Financial Committee 111 –– Interne Entscheidungsstruktur 441 –– Interpretationsbefugnis 128 –– Kapitalverkehrsfreiheit 526 –– Katalysatorfunktion 178, 186, 354 –– Koordinierungsfunktion 62, 77 –– Kreditbewilligungsverfahren 126 –– Kreditvergabe 83 –– Kreditvergabefunktion 92
–– Länderberichte 123 –– Mandat 62 –– Menschenrechtsmonitoring 151 –– Mitgliedschaft 94 –– Mitgliedschaftliche Pflichten 102 –– Neuausrichtung 53 –– Organisatorischer Aufbau 94 –– Quoten 112 –– Rechtsfähigkeit 138 –– Reform der Stimmrechte 122 –– Sanktionen 79 –– Stab 112, 127 –– Standards und Kodizes 231 –– Stimmrecht 109 –– Subskriptionen 117 –– Technische Hilfe 73 –– Überwachungsfunktion 75, 556 –– Unabhängigkeit 342 –– Wissenschaftlichkeit 436, 439 –– Ziele 62 Kanonenbootpolitik 495 Kapitalexporte 53 Kapitalflucht 362, 483, 536 Kapitalverkehr 56 Kapitalverkehrsfreiheit 73, 519 –– Bankensektor 542 –– Big-Bang-Ansatz 532 –– Irland 546 –– IWF-Übereinkommen 521 –– Staatliche Kapitalhoheit 547 Kapitalverkehrskontrollen 73, 483, 524 Keynes-Plan 47 Knebelung 464 –– Affortable Care Act 389 Konditionalität –– Adequate safeguards 285 –– Als Instrument der Gläubiger 344 –– Definition 268 –– Ex-ante-Konditionalität 275 –– Exceptional access 309 –– Freiwilligkeit siehe Volenti non fit iniuria
Sachwortverzeichnis613 –– Geostrategisch 199 –– Geschäftsgrundsätze 122 –– Geschichtliche Entwicklung 269 –– Gewohnheitsrecht 296 –– Goldener Zügel 355 –– Guidelines 288 –– Haftungssanktion 469 –– Implementation risks 400 –– Kollusives Zusammenwirken 345 –– Kontrollinstrumente 356 –– Lending into arrears 346 –– Lex Athen 317 –– Makroökonomische Maßnahmen 289 –– Mikroökonomische Maßnahmen 289 –– Performance criteria 283, 290 –– Phasing 269, 272, 283, 355 –– Preconditions 269, 283 –– Prior actions 282 –– Prior notice 272 –– Reviews 269, 272 –– Reziproke 346 –– Richtlinie 168, 272 –– Sachlichkeitsgebot 468 –– Sonderkonto 357 –– Sovereignty-cost 407 –– Sparkommissar 358 –– Structural conditionality 273, 283 –– Strukturelle Haushaltskonsolidierung 323 –– Strukturreformen 287 –– Verhältnismäßigkeitsprinzip 466 –– Vertragsrechtliche Grenzen 465 –– Waiver 272 –– White-Plan 53 –– Zwangscharakter 405 Konkurschaos 362 Konvertibilität 60, 61, 77, 104, 105 Kooperationspflicht 59 Kreditausfallversicherung 499 Kreditausfallversicherungen siehe Credit Default Swaps Kreditlimit 121 Kredittranche 157
Kreditvergabe –– Clarity 155 –– Koordinationsmaxime 155 –– Leitlinien 152 –– Ownership siehe eigener Begriff –– Parsimony 154 –– Tayloring 154 Lateinamerikanische Schuldenkrise 346 Lateinamerikanische Verschuldungskrise 152, 276, 538 Lead agency 155 Legalitätsprinzip 429 Leistungsbilanz 83 –– Ungleichgewicht 154 Lender of Last Resort 169, 185, 481 Lex mercatoria 473 Liberalismus 39 Liquidität 57 Liquiditätshilfe 84 Liquiditätskrise 89 Londoner Club 337, 347, 350, 494 Low-income-country-facilities 55 Maastricht-Kriterien 299 Magisches Viereck 449 Makroökonomische Maßnahmen 152, 321 Makroökonomische Teilziele 68 Marktgesellschaft 454 Marktliberalismus 280 Mehrheitsregel 109 Meltzer-Kommission 197, 201 Memoranda of Understanding 180 Memorandum of Economic and Financial Policies 321 Memorandum of Understanding 365 –– Faktische Rechtssatzhaftigkeit 365 –– Griechenland 319, 336, 379 –– Implementation risks 400 –– MoU vom 9. Februar 2012 326 –– Verbindlichkeit 388
614 Sachwortverzeichnis –– Zurechenbarkeit 319 Menschenrechte 142, 224, 228, 236, 256 –– Menschenrechtskonventionen 381 –– Pflichtentrias 387 –– Soziale 383 –– Subjektive Rechte 381 Menschenrechtskonventionen 146 Menschenwürde 235 Mexikokrise 152, 273, 354 Mission creep 155, 371 Monetarismus 278 Moral-hazard 169, 195, 269, 275, 544, 555 Moratorium 491 Multilaterale Weltordnung 45 Multilaterales Zahlungssystem 72 Mündelsichere Anlage 205 National Asset Management Agency 546 Nation-Building 386 Neue Kreditvereinbarungen (NKV) 118 Neutralitätsgebot 143 –– Wissenschaftlichkeit 441 Neutralitätsprinzip 150 New Development Bank 193, 558 Nichtregierungsorganisationen 154 Notenbank 57 Notfallhilfe 172 Notstand –– Übergesetzlicher 426 Obamacare siehe Affortable Care Act Obligation schedule 160 Odious Debts 147, 399, 465 One-Dollar-one-vote 150 Ordre public 149 Output-Legitimation siehe Ergebnis legitimation Outright Monetary Transaction 333 Ownership 153, 156, 164, 294, 320
Pacta sunt servanda 461, 462 Pariser Club 166, 205, 337, 349, 480, 494 Parlament 376 –– Vertretungsbefugnis 398 Par-Value-System 53 Performance criteria 159, 174, 269, 272 Portugal –– Ausgangslage 301 Poverty Reduction and Growth Facility 153, 161, 163 Poverty Reduction Strategy Papers 154, 164 Preconditions 174 Preisniveaustabilität 65, 68 Preisstabilität 66, 67, 289 Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung 90 Prinzip der praktischen Vernunft 466 Prinzip der staatlichen Selbständigkeit 510 Prinzip der umkehrbaren Selbstbindung 395 Prinzipiendeklaration UNO 254 Private Sector Involvement 484 Privatheitsprinzip 451, 549 Privatisierung 175 Protektionismus 41, 87 –– Abwertungswettlauf 47 –– Beggar-thy-neighbour siehe Eigenes Stichwort –– Devaluation cycle 43 –– Smooth-Hawley-Tariff Act 41 Prozeduralismus 421 Publizitätspflicht 181 Quoten –– Keynes-Plan 51 Reagonomics 267, 521 Rechtsschutz 104 Rechtsstaatsprinzip 256 Referendum 403
Sachwortverzeichnis615 Reports of the Observance of Standards and Codes 74 Reservetranche 157 Responsibility to protect 221, 224, 249 Ressourcenallokation 528 –– Hoheitliche 454 –– Optimale 448 Restschuldbefreiung 513 Rights accumulation program 176 Sachlichkeitsgebot 466 –– Ökonomischer Sachverstand 436 Sachverstand –– Doppeltes Normierungsproblem 438 Sachzwang –– Ökonomischer 373 Schuldenerlass 167 Schuldenmoratorium 364 –– Haircut 337 Schuldenquote –– Griechenland 336 Schuldentragfähigkeit 341 Schuldentragfähigkeitsanalyse 350 Sekurität 210 Selbstbestimmung 253, 263, 372, 396 Selbstbestimmungsrecht 211, 213, 247, 259, 471, 517 –– IWF-Politik 457 –– Kreditschuldner 474 Self-governance 261 Self-insurance 192 Sequestration 380, 493 Sicherungsinteresse 465 Soft law 212 Solvenzkrise 89 Sonderorganisation 140, 146, 367 Sonderorganisation der Vereinten Nationen 95 Sonderziehungsrechte 103, 119 Souveränität –– Auf- und Abwertungen 57 –– Äußere 246, 253 –– Begriff 214
–– Finanzhoheit 50 –– Freiheitlich 235 –– Gemeinsame 220 –– Geteilte 220 –– Haushaltsautonomie 380 –– Herrschaftsgewalt 222 –– Innere 245, 471 –– Integrationistisch 223, 248 –– Neue 220 –– Ökonomistisch 226 –– One-country-one-vote 114 –– One-dollar-one-vote 114 –– Post-Souveränität 554 –– Sovereignty-cost 407 –– Verhältnis Staat IWF 57 –– Verletzung Griechenland 384 –– Vertretungsbefugnis 399 –– Volkssouveränität 224, 260 –– Währungshoheit 58 –– White-Plan 49 –– Willensautonomie 238 Souveränitätsprinzip 553 Sovereign Debt Restructuring 555 Sovereign Debt Restructuring Mechanism siehe Sovereign Debt Restructuring Mechanism Sozialprinzip 239, 262, 386, 401, 439, 452 Staatengleichheit 215, 223, 251, 253, 262, 293 Staatlichkeit –– Existentielle 372, 551 –– Funktionale 549 –– Substantielle 398 Staatsnotstand –– Griechenland 433 –– International Law Commission 477 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz 453 Stand-by-Arrangement 154, 270 Stimmengewichtung 141, 442 Strafzinsen 52 Structural Adjustment Facilities 154 structural reforms 323
616 Sachwortverzeichnis Strukturanpassungsprogramm 163, 166 Strukturreformen 302 Subventionen 99 Südafrika 144 Supplemental financing 133 Supplemental Reserve Facility 169 Synallagma –– Darlehen 470 Target-II 493 Tequila-Krise siehe Mexikokrise Theorie optimaler Währungsräume 335 Tranchen 355 Transparenz 228 Transparenzgebot 376 Treu und Glauben 467 Troika 352 Überschuldung 84, 87 Ultra vires 294, 297 Umlaufsicherung 52 Umschuldung 343 –– Griechenland 336 Umschuldungsmaßnahmen 337 Unabhängigkeit –– Eurokrise 443 –– Wissenschaftlichkeit 441 UN-Sozialausschuss 147 UN-Sozialpakt 264 Verantwortlichkeit 376 Verbindlichkeit 91, 142 –– Allgemeine 375 –– Dualistische Lehre 458 –– faktische 365 –– Innere 395 –– Memorandum of Understanding 361, 388 –– Monistische Lehre 459 –– Odious Debts 399 –– Richtlinien zur Konditionalität 291 –– Transformationslehre 459 –– Umgekehrter Monismus 460
–– Völkerrechtliche Verträge 458 –– Vollzugslehre 459 Vereinte Nationen 140, 147 Verfassungsidentität 371, 398 Verhältnis zur UNO 140 Verschuldungskrise 304, 373 Vertragsautonomie 471 Vertragsparität –– Gestörte 464 Verwaltete Konten 161 Veto-Recht 172 Volenti non fit iniuria 388 Völkergewohnheitsrecht 148, 256, 367 Völkerrecht –– Kooperation 136 Völkerrechtlicher Vertrag 180 Völkerrechtsfähigkeit 139, 145 Völkerrechtssubjektivität 91, 138 Völkerrechtswidrige Intervention 367 Volkssouveränität 372 Volkswirtschaftliches Gleichgewicht 66 Volonté générale 243, 245, 422 Vorsichtsprinzip 341 Währungsgemeinschaft 89 Währungshoheit 75, 302 Währungskrise 304 Währungsmanipulation 99 Währungsparitäten 61 Währungspolitik 67, 76 Währungspolitisches Trilemma 526, 536 Währungsrecht 56 Währungsrisiken 61 Währungsstabilität 39, 61, 64 Währungsswapvereinbarung 194 Währungssystem –– Internationales 53 Währungsunion 332 Washington Consensus 152, 165, 193, 289, 330, 380, 446, 447, 484, 552 –– Begriff 276 Washingtoner Consensus 273, 527
Sachwortverzeichnis617 Wechselkursmanipulation 101 Wechselkurspolitik 54, 75 Wechselkurssystem 65, 75 Weltbank 74, 85, 146, 153, 155, 165, 228, 230, 251, 276, 366, 501 –– Aufgabe 46 –– Geschichtliche Entwicklung 35 Weltfinanzkrise 205, 501, 536 Welthandel 57 Welthandelsorganisation 251 Weltwirtschaftskrise 38 –– Great Depression 42 –– New Deal-Politik 42 Wettbewerb –– Durch Organisation 450 –– Globaler 447, 545 –– Um Organisation 450 Wettbewerbsfähigkeit 332, 334, 340, 449 –– Euro-Zone 450 –– Kostensenkungswettbewerb 331 –– Standortwettbewerb 552
White-Plan 49 Wiener Vertragsrechtskonvention 179 Willensautonomie 388, 472 Willkürverbot 179, 466, 517, 556 Window guidance 544 Wirtschaftspolitik 67 Wirtschafts- und Währungsunion 95 Wirtschaftswachstum 66, 67, 281, 289, 297 World Economic Outlook 98 WTO 44 Zahlungsbilanz –– Ausgleich 53 –– Probleme 47, 50, 268 –– Überschuss 99 –– Ungleichgewicht 69, 82, 84, 89, 159, 162, 163, 270 Zahlungsverkehr 520 Zwang –– Affortable Care Act siehe Knebelung Zweckverbandslehre 409