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German Pages [241] Year 2019
Thorsten Benkel Thomas Klie Matthias Meitzler
Der Glanz des Lebens Aschediamant und Erinnerungskörper
Thorsten Benkel / Thomas Klie / Matthias Meitzler
Der Glanz des Lebens Aschediamant und Erinnerungskörper Mit 27 Abbildungen
Vandenhoeck & Ruprecht
Dem Glanz des Lebens den Glanz des Todes gegenüberstellen
Die Skulptur besteht aus einem Platinabguss eines echten menschlichen Schädelknochens, der mutmaßlich aus dem 18. Jahrhundert stammt. Auf der Oberfläche der Knochenstruktur sind – in variierender Größe – 8.600 Diamanten drapiert. Die dadurch entstandenen Herstellungskosten (14 Millionen Pfund, etwa 15,5 Millionen Euro) verleihen dem Kunstwerk auch in ökonomischer Hinsicht einen außergewöhnlichen Rang. Der Titel legt eine religiöse Konnotation nahe, wie sie auch aus dem Todesmotiv des Schädels ableitbar ist. Von hier aus lässt sich zugleich eine Verbindung zur Vanitas-Symbolik ziehen, was das Werk in eine spezifische kunsthistorische Traditionslinie rückt. Die Einbeziehung der Edelsteine kann sowohl als Verweis auf den buchstäblichen ›Wert‹ der Totenfürsorge verstanden werden, wie auch, vom Titel her gedacht, ein Indiz für die göttliche Instanz sein, die letztlich über Leben und Tod, also: über Dasein und Vergehen entscheidet. Vielleicht bestimmt »die Liebe Gottes« aber auch, wessen Gebeine postmortal noch von Wert sind und welche sich – ganz anders als die diamantene Härte – spurlos in Staub auflösen?
Damien Hirst, For the Love of God, 2007 © Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved, DACS/Artimage 2019. Photo: Prudence Cuming Associates Ltd VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Inhalt
Dem Glanz des Lebens den Glanz des Todes gegenüberstellen . . . . . . . . . . .
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1 Artefakt und Erinnerung. Zur Transformation von Materialität im Trauerkontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thorsten Benkel, Thomas Klie & Matthias Meitzler
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2 Fallanalyse I: »Sie fand keinen Gefallen am Beerdigt-Werden« . . . . . 23 Thomas Klie 3 Die Stufen des Anorganischen und der Mensch. Verwandlungs zusammenhänge zwischen Sozialität und Materialität . . . . . . . . . . . . . 29 Thorsten Benkel 4 Fallanalyse II: »Er beschützt mich noch« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Matthias Meitzler 5 Der ›unbezwingbare‹ Glanz des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Thomas Klie 6 Fallanalyse III: Loslassen können. Eine Geschichte über Artefakt-Abstinenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Thorsten Benkel 7 Selbstbestimmung als Legitimation. Professionelles Handeln im Kontext von Ascheartefakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Matthias Meitzler
8 »Das ist also meine Frau …?« Die Übergabe eines Aschejuwels . . . . . 110 Thorsten Benkel & Matthias Meitzler 9 Leben mit dem Diamanten. Stimmen aus der Alltagspraxis . . . . . . . . 117 Thorsten Benkel, Thomas Klie & Matthias Meitzler 10 Lucy in the Sky with Diamonds. Einsichten und Aussichten . . . . . . . 193 Thorsten Benkel, Thomas Klie & Matthias Meitzler Anhang »Das ist wahre Liebe.« Der Umgang mit dem Aschediamanten – aus Sicht eines Hinterbliebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 »Yvonne wollte es so.« Postalische Mitteilungen von Angehörigen . . . . . . 217 »Komm Kind, steh auf.« Dokument eines Verlustes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
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Artefakt und Erinnerung. Zur Transformation von Materialität im Trauerkontext
Thorsten Benkel, Thomas Klie & Matthias Meitzler »Also, ich glaub’, wenn das Haus hier abbrennen würde, ich täte die Katzen rauslassen, den Diamanten schnappen und rennen. Alles andere wär’ mir wurscht [lacht].« (O-Ton Interviewpartnerin 26M)
Wer ihr begegnet, dem fällt das Schmuckstück an der Kette um ihren Hals vielleicht nicht auf den ersten Blick auf. Bei näherem Hinsehen entfaltet das Juwel dann aber seine Wirkung: Der geschliffene Stein im hellen Blau wird zum Blickfang und mitunter zum Gesprächsthema. Er wurde allerdings nicht beim Juwelier erworben; und sein Wert lässt sich schwerlich in Geld bemessen. Denn der Diamant, den sie Tag und Nacht eng auf der Haut trägt, ist kein gängiges Exemplar. Entstanden ist er nicht im Erdboden, sondern in einer Fabrikhalle. Sie hat einen Preis dafür gezahlt, der eines Diamanten angemessen ist; und dennoch ist der eigentliche Preis schon einige Zeit vorher entrichtet worden – aber nicht von ihr. Der Schmuck, den sie bei sich trägt, ist geschaffen aus menschlichen Überresten. Es ist die Kremationsasche ihres verstorbenen Mannes, der in einem aufwendigen technischen Verfahren der Kohlenstoff entzogen wurde. Aus diesem ist ein Diamant unter naturähnlichen Umständen gepresst worden. Im Rahmen einer kleinen Zeremonie wurde er ihr überreicht – seither hat er ihre Körpernähe nicht mehr verlassen. Sie trägt nichts Totes bei sich, davon ist sie überzeugt. In einem kleinen, kaum ein Karat schweren Stein verdichtet sich vielmehr für sie die Erinnerung an ihren Mann und an die gemeinsame Zeit auf materielle Weise. Das Artefakt am Hals ist für sie das Glanzstück, das ihr von ihrem Mann handgreiflich geblieben ist; seine Nähe möchte sie nicht missen.
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1.1 Tote ›to go‹? Welche Rolle spielen Diamanten im Trauerprozess von Hinterbliebenen, die sich dazu entschieden haben, die Kremationsreste eines verstorbenen Angehörigen1 als kristalline Preziose bei sich aufzubewahren? – Das ist die Frage, die dieses Buch motiviert hat. Im Rahmen des empirischen Forschungsprojekts Artefakt und Erinnerung sind die Autoren, zwei Soziologen und ein Theologe, dieser Frage nachgegangen und dabei auf überraschende Ergebnisse gestoßen. Doch bevor die Besitzer von ›Aschediamanten‹ ausführlich zu Wort kommen, ihre sehr besondere Form der Trauer sowie ihr Umgang mit ihren glitzernden Reliquien in den Blick gelangen und Überlegungen angestellt werden zu den Bedeutungsund Wertzusammenhängen, die sich hier auftun, soll das junge Phänomen der aus Totenasche gefertigten Schmucksteine hier zunächst in Verbindung mit neueren Entwicklungen in der Bestattungskultur gebracht werden. Für die Gegenwartsgesellschaft scheint es von besonderer Relevanz, der persönlichen Erinnerung auch dinglich Ausdruck zu verleihen. Man will sich erinnern und man weiß dabei sehr gut um die Flüchtigkeit der Erinnerung und um die unerwünschten Effekte des Vergessens. Darum bedient man sich dafür vielerlei Gegenstände und Rituale. Das Gefühl einer sich beschleunigenden Gegenwart, das Wissen um instabile Beziehungen und die Kontingenzen des Lebens lassen Menschen zunehmend nach materiell gestaltbaren Vergewisserungen suchen. Man sehnt sich also nach Dingen und Szenen, die bleiben und die scheinbar dem Werden und Vergehen entzogen sind. Was ist da besser geeignet als ein Diamant, der seinem Besitzer ewigen Glanz verheißt? Zugleich zeigt sich das Bedürfnis, existenzielle Belange und Empfindungen zu ›veröffentlichen‹, ohne deren Intimität preiszugeben. Tod und Liebe beanspruchen hier ein sichtbares und (be-)greifbares Gegenüber, sie werden in privaten Ritualen zum Ausdruck gebracht, an dem Fremde nicht teilhaben sollen (vgl. Fechtner/ Klie 2019: 14 f.). Die Diamantpressung ist in der an fakultativen Gestaltungsvarianten reichen Bestattungskultur beispiellos, trotzdem steht diese Entwicklung natürlich in einem komplexen gesellschaftlichen Verweisungszusammenhang, der weit über diese exponierte Form der Nicht-Bestattung hinausgeht. Neu ist, dass der Verstorbene hierbei postmortem materiellen Anteil hat am Artefakt, das an ihn erinnert. Neu ist auch eine Trauer- und Erinnerungsform, die sich signifikant an 1
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Band auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachform verzichtet. Alle Personenbezeichnungen gelten – wenn nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet – gleichwohl für sämtliche Geschlechter.
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tragbaren und flexiblen Totenzeichen festmacht, obwohl bei Todesfällen häufig eine Fülle von Erinnerungsartefakten aufbewahrt wird (Fotos, Kleidungsstücke, Gebrauchsgegenstände, Souvenirs usw.). Doch diese Dinge sind Zeichen für den Toten, sie stellen – theologisch gesprochen – lediglich ›Kontaktreliquien‹2 dar. Keineswegs neu ist die kirchliche Überhöhung von Körperteilen im Reliquienkult, der sich in der christlichen Religionsgeschichte bis ins 2. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Im Unterschied zu Reliquien, die einem durch die natürlichen Todesfolgen transformierten Körperteil eines Menschen von besonderer Heiligkeit entstammen (zumeist Knochen), bilden Aschediamanten künstlich ästhetisierte Artefakte, die in ihrer Substanz den Verstorbenen technisch und ideell lediglich in ›zweiter Ableitung‹ symbolisieren. Dabei geschieht hier die Metamorphose der sterblichen Überreste nicht nur mit Blick auf die Materie, sondern auch in der Form. Sie ist ästhetisch total – das Körperschema ist komplett aufgehoben. Nichts an der Form erinnert an die Person, die durch den Diamanten nicht lediglich repräsentiert wird, sondern in gewisser Hinsicht dieser Diamant ›ist‹.
2 Die katholische Kirche unterscheidet drei Klassen von Reliquien: Reliquien erster Klasse (Körperteile von Heiligen, insbesondere das Skelett; lateinisch ex ossibus – aus den Knochen), aber auch Haare, Fingernägel und Blut. Bei Märtyrern, die verbrannt wurden, gilt auch die Asche als Reliquie erster Klasse. Reliquien zweiter Klasse (Kontaktreliquien) sind Gegenstände, die Heilige zu Lebzeiten berührt haben (z. B. Gewänder, Foltergeräte). Reliquien dritter Klasse sind wiederum Gegenstände, die die Reliquien erster Klasse berührt haben (Angenendt 2000; Laube 2011).
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In gewisser Weise ist auch eine solche Umformung kulturgeschichtlich nicht neu. Denn mit dem Beginn der technischen Kremierung Ende des 19. Jahrhunderts setzte in der Bestattungskultur eine Dynamik ein, die die Wahrnehmung des toten Körpers nachhaltig und unumkehrbar verändern sollte (Uhrig 2017). Die beschleunigte Metamorphose des Körpers bei der Einäscherung ›versachlichte‹ gleichsam die Praxis der Totenfürsorge, denn erst sie ermöglichte ja das Hantieren mit den sterblichen Überresten – Formgebung inklusive (Klie 2017). Neu hingegen ist, dass der Kunde bei der Beauftragung einer Diamantpressung verschiedene Optionen kumulieren (lt. cumulus – anhäufen) wie auch panaschieren (frz. panacher – mischen) kann. Da für die Herstellung der Industriediamanten prinzipiell nur ein Teil der Kremierungsasche benötigt wird, sind folgende Varianten möglich: a) Pressung mehrerer Diamanten, b) ein Diamant oder mehrere mit Verstreuung der Restasche in der Schweiz, c) ein Diamant oder mehrere und Mitnahme der Restasche (für Deutsche mit Beisetzungsverpflichtung gemäß der Bestattungsgesetze der Bundesländer). Aschediamanten, und übrigens auch entsprechende Rubine bzw. Saphire, die durch andere technische Verfahren entstehen, aber ebenfalls mit der Asche verschmolzen sein können, stehen also nicht zwingend im Widerspruch zum traditionellen Friedhof. All dies ist auch mit den Haaren des Verstorbenen oder anderen kohlenstoffreichen Artefakten aus seiner Hinterlassenschaft möglich. Die Palette der angebotenen Dienstleistungen reicht bis hinein ins blühende Leben, ein Haarbüschel kann schließlich schon prae mortem geopfert werden. Sofern der Kohlenstoffanteil der Asche nicht ausreicht, bietet sich ergänzend jener aus Materialien an, die dem Verstorbenen wichtig und nah waren. Es ist hier und da beispielsweise schon vorgekommen, dass Tagebücher zu diesem Zweck ebenfalls ›kremiert‹ wurden. Ein juristisch offenes Problem – zumindest in Deutschland, nicht jedoch in der Schweiz – ist allerdings noch die Partikularisierung der Asche. Die mit dem Bestattungszwang vorausgesetzte immobile Verortung der sterblichen Überreste (Friedhofspflicht, Totenruhe) gerät hier in einen Kontrast zur Mobilität. Schließlich gibt man einen Diamanten in Auftrag, um ihn dann, zumindest in den meisten Fällen, auch körpernah als Schmuck zu tragen, ihn also nicht an einem festen Ort zu lokalisieren, der sich in räumlicher und häufig auch in sozialer Distanz befindet. Der Wunsch, den (deutschen) Friedhofszwang und die damit verbundene Bestattungspflicht zu umgehen, bahnt sich gesellschaftlich schon seit längerer Zeit an (Benkel/Meitzler 2013; Benkel 2016a). Die Individualisierung der
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Lebensführung und die Pluralisierung der Lebenswege schaffen eine Wirklichkeit, die die Deponierung sterblicher Überreste auf der Immobilie Friedhof wenig zweckmäßig erscheinen lassen. Je mobiler wir uns geben, desto mehr erscheint uns die Statik immobiler Raumarrangements als einengend und überreglementiert. Unter dieses Wahrnehmungsmuster fallen je länger je mehr auch unsere Friedhöfe. Aleida Assmann resümiert in diesem Zusammenhang: »Im Zeitalter moderner Mobilität und Erneuerung wird das Gedächtnis des Ortes zusammen mit der Haftung an einen bestimmten Fleck Erde obsolet.« (Assmann 2010: 326) Selbst wenn man diese Prognose nicht teilt, so ist doch deutlich erkennbar, dass der Friedhofsbesuch derzeit an sozialer Üblichkeit verliert, mithin aufgrund seines verpflichtenden Charakters und der als unflexibel wahrgenommenen Regularien abgelehnt wird – und im Gegenzug fluide Totenorte an Attraktivität gewinnen, die ihrerseits ganz andere Begehungen und Erinnerungsformate mit sich führen. Naturbestattungen, virtuelle Friedhöfe im Internet, Schmuck-Urnen, Aufbewahrungen an Interimsstätten, aber auch solche Konzepte im juristischen Graubereich wie eben Diamantpressungen aus der Asche,3 Streuwiesen, Totenasche eingearbeitet in Gemälde oder Glasskulpturen oder sogar zur Schallplatte gepresst haben die Bestattungskultur flexibilisiert – und stellen den traditionellen Friedhof nicht nur als Trauer-, sondern mittlerweile auch als Beisetzungsort mehr denn je infrage. Kulturell birgt jede Form ihren Antagonisten und ihre Fortschreibung in sich: Widersprüchliches entwickelt sich parallel, Traditionen und Innovationen überlappen sich. Die Ausdifferenzierung der Möglichkeiten lässt tradierte Umgangsformen antiquiert aussehen, insbesondere dann, wenn es – in der Wahrnehmung der Betroffenen, also: der Hinterbliebenen – nicht um institutionelle Unterstützungsleistungen für die Trauerphase geht, sondern um Bevormundungen. Wissenschaftlich lässt sich zeigen, dass diesbezüglich die Unzufriedenheit wächst, wozu auch der kritische Vergleich mit den Bestattungsregularien europäischer Nachbarländer beiträgt. Der Wunsch nach Autonomie ist nicht nur bei der Lebensführung seit langer Zeit en vogue und genießt heute anhaltende Popularität; er wird mehr und mehr auch in die Bereiche Sterben, Tod und Trauer einbezogen. Wie und wo man heute um einen geliebten Menschen trauern möchte (und: ob überhaupt), soll nach dem Willen weiter Teile der Bevölkerung nicht von der Gesetzgebung oder von moralischen Direktiven abhängen, die vor Jahr3 Hart am Rande der Legalität bieten manche Bestatter an, einen kleinen Teil der Kremationsasche in eine ›Mini-Urne‹ (für zu Hause) bzw. einen ›Asche-Anhänger‹ (als tragbares privates Schmuckaccessoire) abzufüllen.
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zehnten aktuell waren, sondern mit eigenen, d. h. individuellen, allenfalls mit der familiären Kernfamilie und dem engsten sozialen Umfeld abgesprochenen Einstellungen korrespondieren (siehe ausführlich Benkel/Meitzler/Preuß 2019).
1.2 Pluralisierung und Entscheidungszwang Dass die Bestattungskultur sich im Wandel befindet, ist seit etwa zwei Jahrzehnten der Grundton in vielen Veröffentlichungen zum Thema. Sah man in der Bestattung noch vor einer oder zwei Generationen einen eher erosionsbeständigen Ritus, der die Kraft besitzt, sich Phänomenen der kulturellen Beschleunigung zu entziehen, scheint es heute eher umgekehrt. In kaum einem Kultursegment tritt die Veränderung der Formen und Üblichkeiten, der Deutungsmuster und Handlungsmotive von Moral und Geschmack so deutlich in Erscheinung wie im Umgang mit den Toten. Menschen geben sich mehrheitlich nicht mehr zufrieden mit den überkommenen Darstellungshandlungen und suchen nach zeitgemäßen Formen für die sepulkrale Inszenierung ihrer toten Angehörigen. An die Stelle normierender Konventionen tritt somit die janusköpfige Verlockung der Optionen. Selbstbewusst umgehen heute Trauernde gefühlte und bestehende Festlegungen. Grauzonen werden zu Grünzonen; das Wechselspiel von Ästhetik und Anästhetik gewinnt an Dynamik. Opulente Erdbestattung oder anonyme Ascheverstreuung, Urnengemeinschaftsanlage oder Beisetzungswald – fast hat es den Anschein, als würde alles von (Todes-)Fall zu (Todes-)Fall neu vermessen. Angesichts dessen, was heute denk- und machbar ist, folgt die Bestattungskultur mehr und mehr den Gesetzen des Marktes. Dabei vermehren sich die Sinnhorizonte und werden neu vernetzt. Die Ökonomie hat den Leichenumgang natürlich immer schon flankiert, aber über Jahrhunderte dann doch eher als ein stiller Begleiter. Das ist heute deutlich anders (Akyel 2013). Angehörige werden umworbene Kunden, denn in den Familien und in der sie umgebenden Gesellschaft schwindet das kulturelle Wissen um das, was für Verstorbene und mit Trauernden zu tun ist. Kaum noch jemand bahrt zu Hause den Leichnam auf, wäscht und richtet ihn her. Wenn jedoch traditionelle Sinn- und Handlungslogiken ihre rituelle Plausibilität einbüßen, entstehen auf der Rückseite dieses schleichenden Verlustes Unsicherheiten. Diesem Dilemma kann man »weder entkommen, noch kann man [solche Empfindungen] zurückverwandeln in schweigenden Grund, auf dem sich leben lässt. […] Nachdenken, Überlegen, Planen, Abstimmen, Aushandeln, Festlegen, Widerrufen […] das sind die Imperative der ›riskanten Freiheiten‹, unter die das Leben mit Fortschreiten
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der Moderne gerät. Auch die Nichtentscheidung, die Gnade des Hinnehmenmüssens verflüchtigt sich.« (Beck/Beck-Gernsheim 1994: 18) Man kann heute auf einem Markt der Möglichkeiten auswählen – man muss es allerdings auch. Die beschriebene Entscheidung für plakative Selbstbestimmung ist vor diesem Hintergrund eine naheliegende, aber eben im Einklang mit gesellschaftlichen Entwicklungen stehende. Sie bedeutet nicht ein Mehr an Reflexivität unter den Hinterbliebenen, sondern eine (un-)heimliche Kontinuität: Entschieden werden die inneren Einstellungen im Kontext des Lebensendes eben auch da, wo sie besonders deutlich ihre Eigenständigkeit hinausposaunen, nicht losgelöst von den dominierenden Mustern der Kultur, in der sie entwickelt wurden. So betrachtet, ist die Individualisierung nicht das Gegenteil, sondern das zeitgenössische Pendant zu früheren Haltungen, die die Kollektivität hochleben ließen.
1.3 Friedhofspflicht und Friedhofsflucht In Deutschland muss jeder Verstorbene bestattet werden – in welcher Form auch immer. Tote verschwinden gewissermaßen traditionell von der Bildfläche. Sie werden durch die Beisetzung planvoll und pflichtgemäß den Blicken und den Zugriffen Lebender entzogen (Benkel 2013a; Meitzler 2017a). In aller Regel geschieht dies auf einem Friedhof. Dort muss der Leichnam eine vorgeschriebene Ruhezeit im Grab verbleiben, unabhängig davon, ob es sich um eine Erd- oder Feuerbestattung handelt. Begründet wird diese festgeschriebene Dauer (biologisch) mit dem Prozess der Zersetzung des Leichnams und (kulturell) mit der rechtlich bewehrten Totenfürsorge, die Verstorbenen traditionell zu gewähren ist. Die Mindestruhezeiten variieren je nach Grabart und Friedhof, bei Urnenbeisetzungen sind sie oft kürzer als bei Erdbestattungen. Der Zeitraum wird vom örtlichen Friedhofsträger, den Kommunen oder Kirchen, festgelegt. Da das Bestattungsrecht seit einigen Jahrzehnten Ländersache ist, ergeben sich je nach Bundesland differierende Ruhezeiten. Örtliche Gegebenheiten (wie die Bodenchemie des Bestattungsfeldes) können zu weiteren Unterschieden führen (Roland 2006). Religiös leitet sich die friedhöfliche Totenruhe von der Vorstellung einer Ruhe bis zum Jüngsten Tag ab. Der Klang der »letzten Posaune« (vgl. Offb 8–9; 11,15; 1Kor 15,52) kündigt an, dass die Toten auferweckt und die Lebenden verwandelt werden. Und so werden zwar Gräber eingeebnet, aber die dort ruhenden Gebeine werden nicht entnommen. Auf jüdischen Friedhöfen dürfen Grabstätten sogar überhaupt nicht aufgehoben oder neu belegt werden. Es herrscht dort ›ewige Ruhe‹ – die Beisetzungsflächen sind permanent ›pietätsbelastet‹.
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Gleiches gilt für Muslime, was dazu führt, dass diese oft ihre Toten in ihre Heimatländer überführen, um nicht in Konflikt mit den deutschen Bestattungsgesetzen zu kommen. Diesen Gruppen werden mittlerweile Zugeständnisse gemacht, um einen Kompromiss zwischen religiösen und administrativen Anforderungen zu schaffen. Kompromisse haben es allerdings an sich, dass die Beteiligten sich eigentlich etwas anderes wünschen würden – in unterschiedliche Richtungen. Eine Bestattungspflicht besteht in Deutschland bereits seit dem Mittelalter. Anfangs war die Kirche für die Toten zuständig. Jede Kirche hatte darum auch einen eigenen ›Gottesacker‹ rund um das Kirchengebäude, den Kirchhof. Auch fielen ihr die ›Armenbegräbnisse‹ zu. Über Jahrhunderte hinweg veränderte sich das Friedhofswesen; insbesondere die Reformation brachte einen innovativen Geist mit sich. Die Verwaltung von Friedhöfen unterlag nicht mehr länger dem Monopol der Kirche, sondern gelangte zunehmend in den kommunalen Verantwortungsbereich. Die Toten wurden mithin nicht mehr auf dem Kirchhof, häufig der Ortsmittelpunkt, zur letzten Ruhe gebettet, sondern in Arealen außerhalb der Stadtmauern. (Die heute in diversen Großstädten repräsentierten ›Himmelsrichtungsfriedhöfe‹ sind die materiellen Zeugen dieser Auslagerung und ihrer Wiedereinholung durch das Anwachsen der Metropole.) Die lange Zeit bestehende räumliche Kongruenz von Kirche, Begräbnisort und Trauerstätte wurde auf diese Weise sukzessive aufgebrochen. Mit dem Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1806 wurden im Staate Preußen gesetzliche Regelungen zum Friedhof getroffen. Aus hygienischen Gründen war es beispielsweise fortan verboten, den Leichnam im Bereich bebauter Flächen zu begraben. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurden dann auch in den anderen Ländern Bestattungsgesetze erlassen. Das zentrale Feuerbestattungsgesetz – ein Reichsgesetz – stammt aus dem Jahre 1934. Hierdurch wurden Erd- und Feuerbestattung erstmals formal gleichgestellt, nachdem das noch in der Antike übliche Verbrennen von Leichen im Jahre 785 unter Karl dem Großen offiziell verboten wurde und für lange Zeit aus dem kulturellen Repertoire des Leichenumgangs verschwand. Im Zuge der Aufklärung und spätestens im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die Forderung nach einer platzsparenden, kostengünstigen und vor allem hygienischen Alternative zur Körpererdbestattung jedoch immer nachdrücklicher (Thalmann 1978; klassisch: Caspari 1914). 1878 nahm das erste deutsche Krematorium auf dem Hauptfriedhof in Gotha seinen Betrieb auf, es folgten Heidelberg (1891) und Hamburg (1892). Die Feuerbestattung avancierte fortan zum Zeichen für Fortschrittlichkeit, Pragmatismus und Sauberkeit, obschon die damaligen Feuerbestattungszahlen noch überschaubar ausfielen – ganz anders als in der heutigen Zeit, in der
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eine hohe Kremationsquote als »sepulkrales Signet der modernen Gesellschaft« (Fischer 2011: 132) gelesen werden kann.4 Obschon es sich bei der Kremation um ein hochgradig standardisiertes Verfahren handelt, das kaum Abweichungen zulässt, beginnt mit ihr eine Entwicklungslinie für den vielschichtigen Umgang mit den Ascheresten Verstorbener (vgl. Benkel/Meitzler 2013: 252 ff.). Das Feuerbestattungsgesetz ist in Teilen bis heute, wenn auch nicht mehr verbindlich, so doch immer noch maßgeblich. Neben der besagten Aufwertung der Feuerbestattung sieht es eine ihr unmittelbar vorausgehende zweite ärztliche Leichenschau ebenso vor wie die Bestattungspflicht für die nächsten Familienangehörigen sowie die Friedhofspflicht für Urnenbeisetzungen. Gleichwohl kennt es aber auch Ausnahmeregelungen, die bei näherem Hinsehen bisweilen moderner wirken als manche Vorschrift der heute gültigen Länderbestattungsgesetze (Spranger/Pasic/Kriebel 2014). Auf diese Weise ist die Rechtslage bzw. der gesellschaftliche Common Sense bis etwa zum Millenniumwechsel zu skizzieren. Es spricht kulturgeschichtlich viel dafür, diesen Datumsumbruch als eine Art Sattelzeit in der zentraleuropäischen Sepulkralkultur zu betrachten. Denn kurz vor dem Jahr 2000 sowie bald danach sind bemerkenswerte Neuerungen zu verzeichnen: 1985 wurde auf dem Westfriedhof in Rostock die Möglichkeit der anonymen Ascheverstreuung geschaffen. Was vor der Wende eher im Windschatten der ostdeutschen Bestattungskultur lag, trat nach 1989 ins allgemeine Bewusstsein. Bald übernahmen andere deutsche Bundesländer diese Praxis. Ungefähr um 1990 herum tauchen auf Grabsteinen wieder Fotografien der verstorbenen Personen auf, die dort – körperlich unsichtbar gemacht – ruhen. Auf diese Weise wird eine im mitteleuropäischen Raum schon seit etwa 1840 gepflegte Praxis allmählich wiederbelebt, nachdem sie in der Zeit des Nationalsozialismus unerwünscht und auch in den darauffolgenden Jahrzehnten in vielen Friedhofssatzungen ausdrücklich untersagt war. Offenkundig sind Fotos von Kindern auf den dafür speziell vorgesehenen Gebieten die Avantgarde dieser Entwicklung: Wenn schon die gemeinsame Lebenszeit knapp bemessen war, soll an der Ruhestätte zumindest das Antlitz erhalten bleiben. Neben professionell hergerichteten Formaten (Porzellanoval) finden sich provisorische und austauschare Abbildungen; mit der Zeit machten sich Alltagsschnappschüsse breit. Und auch hier ist, etwa durch Urlaubserfahrungen Reisender in Süd4 Je nach Region und deren sozialstrukturellen Eigenschaften variieren die Kremationszahlen beträchtlich. Im Bundesdurchschnitt waren 2017 rund 70 % der Bestattungen in Deutschland Feuerbestattungen (laut Mitteilung der Gütegemeinschaft Feuerbestattungsanlagen e. V. mit Stand vom Juli 2018), während die Quote in vielen Teilen Ostdeutschlands mittlerweile bei weit über 90 % liegt.
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europa oder Südamerika, der Dammbruch ein Effekt von Vergleichsprozessen mit anderen Trauerkulturen. Heute sind Fotografien an Grabstätten das wohl häufigste, bekannteste und zugleich persönlichste Merkmal posttraditioneller Kennzeichnung im Erinnerungszusammenhang (Benkel/Meitzler 2014; Meitzler 2017b).
Seit 1995 bietet die Initiative Memento Gemeinschaftsgrabstätten für AIDS-Tote auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg an. Damit trat an die Stelle der biologischen Familie zum ersten Mal ein posttraditionales Gegenstück, eine Wahlbzw. Schicksalsgemeinschaft. Und diese verabschiedete sich von ihren Toten auch in eigenwilliger Weise: Prosecco und Luftballons hielten Einzug in die Trauerfeiern. Auch diese Entwicklung wurde bald auf anderen Friedhofsarealen nachgeahmt. Eine Erfindung der 1990er-Jahre sind Internet-Friedhöfe. Sogenannte virtuelle Grabstätten können per Mausklick mit digitalen Blumen oder per Tastatureingabe mit Kondolenzgrüßen versehen werden. Parallel zur körperlichen Ruhestätte der Verstorbenen entsteht somit eine alternative Referenzadresse für ›immaterielle‹ Trauerhandlungen. Online können Bilder, Videos und Musik eingestellt, Links gesetzt, überhaupt interaktive Elemente eingebaut werden; der Zugang ist von jedem Ort der Welt aus möglich – solange die Internetverbindung steht (Stöttner 2018; Offerhaus 2016). Die europaweit erste Körperwelten-Ausstellung wurde am 30. Oktober 1997 im Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim eröffnet. Totenruhe und Totenort wurden damit öffentlich-ästhetisch relativiert. Der tote Körper wurde anschaulich (Schärtl 2011), wenn auch zunächst in nüchternem Ambiente
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und ohne die Show-Effekte, die spätere Auflagen der Ausstellung bis in die Gegenwart hinein kennzeichnen. Am 7. November 2001 eröffnete im nordhessischen Reinhardswald bei Kassel der erste deutsche Beisetzungsforst. Und damit entstand wie zuvor schon in der Schweiz eine legale Alternative zum Friedhof: die Bestattung in der Natur, zunächst ohne Namenskennzeichnung an den Bäumen. Seit dem 1. Januar 2004 gehört in Deutschland das Sterbegeld nicht mehr zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Beisetzung wurde damit teurer und der Kostenfaktor avancierte zu einem entscheidenden Kriterium im Bestattungsverhalten vieler Menschen. Im selben Jahr wurde das erste Kirchenkolumbarium der Neuzeit eingeweiht. Vorreiter war die altkatholische Pfarrkirche ›Erscheinung Christi‹ in Krefeld. In der bei Sanierungsarbeiten freigelegten Seitenkapelle wurde eine relativ schlichte Kolumbariumswand eingerichtet. Anfangs dachte man an einen Aufbahrungsraum, was aber aufgrund geringer Nachfrage verworfen wurde. Daraufhin entschied man sich für eine kostengünstige namentliche Form der Urnenverwahrung als Alternative zur anonymen Bestattung (vgl. Sparre 2017: 71). Ebenfalls 2004 begann die Firma Algordanza in der Schweiz aus Kremierungsasche sogenannte ›Erinnerungsdiamanten‹ herzustellen. Die komplexen Vorgänge, die in natürlichen Verfahren Diamanten entstehen lassen, werden dabei durch industrielle Verfahren nachgeahmt. Die Produktion mobiler Gedenkartefakte, welche den Verstorbenen in ganz besonderer Weise für die Angehörigen repräsentieren, ist gleichermaßen technische Innovation und ein revolutionärer Schritt im Umgang mit der Kremationsasche. Es ließen sich auch noch diverse andere Indizien für die These anführen, dass sich um das Jahr 2000 herum in der zentraleuropäischen Bestattungskultur ein umfassender Wandlungsprozess zu beschleunigen begann. Eine lang anhaltende und eher schleichende Entwicklung war zu diesem Zeitpunkt längst schon abgeschlossen: Der unmittelbare Umgang mit dem toten Körper ist heute weitgehend der privaten Sphäre entzogen und an professionelle Instanzen delegiert. Im Krankenhaus, im Pflegeheim und auch im Hospiz werden die Toten vom Personal hergerichtet, Bestatter holen sie ab, kleiden sie ein und betten sie in einen Sarg. Bei Erdbestattungen ist der Sarg aus ›Pietätsgründen‹ heute üblicherweise verschlossen, bei Feuerbestattungen bekommen Angehörige die Kremierungsasche kaum je zu sehen. Auch Pfarrerinnen und Pfarrer berühren die Toten, deren Aussegnung und Beisetzung sie rituell verantworten, in aller Regel nicht. Um es den Angehörigen zu ermöglichen, zum Toten auf Distanz zu gehen, hat die moderne Gesellschaft diese Ausgliederung arbeitsteilig organisiert und
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institutionalisiert. Mit Ausnahme von (relativ seltenen) Unglücksfällen rückt der Tod erst dann in den unmittelbaren Erfahrungshorizont ein, wenn die eigene Alterskohorte von ihm betroffen ist. Solche Momente der »Todesnähe« (Benkel 2017: 277) wirken heute eben deshalb so tragisch und schmerzlich, weil sie wie Zusammenbrüche der Alltagsroutine wirken – im Gegensatz zu den Verhältnissen im Mittelalter, wo Begegnungen mit dem Lebensende aus vielerlei Gründen nicht ungewöhnlich waren (Ariès 2002). Tod und Sterben scheinen heute kulturell unsichtbar zu sein. Je mehr die Lebenserwartung steigt, die Kindersterblichkeit sinkt und die Vorboten des Sterbens, Altern und Krankheit in der Alltagserfahrung verdrängt werden, desto stärker zeigt sich das spätmoderne Subjekt irritiert vom Umstand des Ablebens (vgl. Drehsen 1994: 204). Das Nicht-Leben hat einen Reputationsverlust erlitten: Anstelle der Vorstellung, dass der Tod dem Leben Sinn gibt und dieses daher vom Ende her gedacht werden kann (vgl. Psalm 90,12) – ein Ende, das je nach religiöser Überzeugung ohnehin nur ein Übergangsphänomen ist –, gilt es heute als unbedingt vermeidenswert, die individualisierte »Ich-Jagd« (Gross 1999) abzubrechen und sich mit den produktiven Aspekten des Endes auseinanderzusetzen. Vielleicht ist genau dies das Problem moderner Gesellschaften: dass sie den Tod nicht sinnvoll einbeziehen können und ihn somit aus dem Blick verlieren.
1.4 Der Diamant als Erinnerungsartefakt Analog zum biologischen Gestaltwechsel der Leiche im Grab ist auch im Prozess der Diamantpressung die eigentliche Transformation den Blicken der Angehörigen entzogen. Der Verwandlungsprozess ist ohnehin ein mehrfacher, denn bevor der Kohlenstoff aus der Kremationsasche zum ›Rohstoff‹ der Diamanterstellung genutzt werden konnte, galt es, einen toten Körper zum Aschehaufen zu oxidieren. Sinnlich wahrnehmbar (taktil, optisch) ist jeweils ein zunächst invariantes Endprodukt. Doch ganz anders als das immobile Grab auf dem Friedhof, und ebenfalls anders als bei der Asche, entsteht mit dem Schmuckstück ein Erinnerungsgegenstand, der für die Angehörigen ambulant handhabbar wird. Er ist buchstäblich vorzeigbar, er ziert den Körper, er lässt sich repräsentativ aufbewahren, er kann flexibel in den Alltag integriert werden. Aus Angehörigen werden somit Eigentümer. Mehr noch als die Idee und die Beauftragung stellt der Kauf des Diamanten eine formalisierte Form der Wiederaneignung des Verstorbenen dar. Die Toten kehren heim, allerdings nicht zu ihrem himmlischen Vater, sondern in die Privatheit der Wohnumgebung. Sie
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sind nicht allein im Gedenken, sondern tatsächlich als erworbenes Objekt zum Besitz derer geworden, die zu Lebzeiten Freunde, Familie und Partner waren. Wenn bei der Diamantherstellung Veredelungen in Form von Schmuckeinfassungen von den Hinterbliebenen ausgewählt werden, dann erhöht dies die Komplexität der Person-Sach-Relation und eröffnet neue Formen der Koordination von Artefakten. So war in unseren Interviews von besonderem Interesse, wie und wo die Diamanten positioniert, welche Arrangements präferiert werden und wie sich möglicherweise beides im Trauerprozess verändert. Ein Augenmerk lag auch darauf, inwiefern sich aus der häuslichen Aufbewahrung bestimmte Sachzwänge ergeben (z. B. Geheimhaltung gegenüber Gästen, Präsenz des Verstorbenen im häuslichen Umfeld, Fetischcharakter). Wird die häusliche Umgebung nun zu einem Privatfriedhof? Oder wird der Trauernde im Falle von körpernah getragenem Schmuck sogar selbst zum ›Friedhofsträger‹? Mit dem Verzicht auf die Fixierung von Namen, Lebensdaten und Ort,5 mit dem Verzicht auf Identifizierbarkeit und Lokalisierung erscheinen die Trauernden selbst als ein lebendes Todeszeichen, sind sie doch die einzigen, die bei einer Nicht-Bestattung über den Toten noch Auskunft geben können. Die Untersuchung ergab, dass die mit den Diamanten konfrontierten Personen spezifische Deutungen generieren, die sich auch wandeln können – bis hin zur ritualisierten bzw. individualisierten ›Entsorgung‹. In jedem Fall konstituieren sich durch die Anwesenheit von Erinnerungsdiamanten neue (familiale) Sinnzusammenhänge, in denen die Artefakte auf eine je spezifische Weise in Erscheinung treten und in eine geordnete Beziehung zu anderen Gegenständen, Handlungen und Wahrnehmungsweisen gesetzt werden. So sehen die meisten Kunden vor, den oder die Diamanten an die Kinder und Enkel zu vererben. Doch welche Formen der Personifizierung werden dabei gewählt? Firmiert der Diamant als ein personales ›Er‹ bzw. eine ›Sie‹ oder ein sächliches ›Es‹? Deutlich wird, dass das nachweisbare Interesse, die sterblichen Überreste nicht oder nur teilweise im öffentlichen Raum dem Friedhof bzw. Friedwald/ Ruheforst zu überantworten, neue Formen funeraler Privatisierung hervorbringt. Schon seit längerem schwindet in der allgemeinen Wahrnehmung das Bewusstsein vom Öffentlichkeitscharakter des Todes (Benkel 2013b; Meitzler 2013). Das Ableben, die sterblichen Überreste und deren Verbleib werden mehr und mehr als eine intime Angelegenheit betrachtet. Tote und deren erinnernde Vergegenwärtigung in einer Feier, bei der Bestattung und am Totenort gehen 5 Tatsächlich befindet sich auf dem Edelstein eine industrielle Markierung, die im Zweifel die Provenienz verrät. Darüber hinaus können Angehörige, die dies wünschen, Namen, Daten oder beliebige andere Informationen eingravieren lassen. Dies geschieht mithilfe hochpräziser Lasertechnologie und ist für das bloße Auge nicht lesbar.
Artefakt und Erinnerung
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in der allgemeinen Wahrnehmung außer den ›Angehörigen‹, den ›Hinterbliebenen‹ und denen ›in tiefer Trauer‹ niemanden mehr etwas an. Öffentliche Trauerzüge vom Sterbehaus zum Gottesacker, an denen das Gemeinwesen kollektiv teilhat – oder wo zumindest so getan wird, als ob –, finden sich allenfalls noch in ländlichen Gebieten. Produktion und Rezeption von Todeszeichen waren zwar immer schon eine von Zeit und Mentalität abhängige Variable, doch scheinen gegenwärtig weder die Sterbemitteilung noch gar der Abschiedsschmerz für eine breitere Veröffentlichung geeignet. Vor diesem Hintergrund mag es kaum verwundern, dass in Todesanzeigen, so sie denn überhaupt noch aufgegeben werden, zuletzt immer häufiger zu lesen ist, dass »von Beileidsbekundungen am Grab abgesehen« werden soll – falls die Beisetzung nicht sowieso schon »im engsten Kreis« und »in aller Stille« stattfindet oder stattgefunden hat. Trauernde haben keinen Status mehr, die schwarze Trauerkleidung wird oftmals nur noch am Tag der Beisetzung getragen: »Das im Trauerfall Verlorene und unwiderruflich Getrennte ist zugleich im höchsten Maße diskretionsbedürftig und in gar keiner Weise dem Blick von Fremden auszuliefern. Das mag nicht zuletzt ein Grund für die Zunahme anonymer Bestattungen sein – sozusagen einer Art Seemannsgrabes im urbanen Häusermeer.« (Drehsen 1994: 206) Man könnte meinen, indem der Tod individualisiert wird, geht er der Gesellschaft verloren. Neue Wege der Aneignung und der Mitbestimmung im Trauerzusammenhang, wie sie in diesem Buch beschrieben werden, sind indes nichts anderes als das Echo überaus ›lebendiger‹ gesellschaftlicher Verhältnisse. Sie haben das Potenzial, trotz des vermeintlichen Rückzugs in die Privatheit gesamtgesellschaftliche Wirkungen zu entfalten. Ob es ausgeschöpft werden kann, muss sich erst noch beweisen. Das im Oktober 2018 als Kooperation der Universitäten Rostock (Praktische Theologie) und Passau (Soziologie) gestartete Projekt thematisiert die Beziehung von Artefakt und Erinnerung am Beispiel von Schmuckstücken, die aus Kremationsasche hergestellt bzw. mit ihr verbunden werden. Die auf diese Weise geschaffenen Erinnerungsgegenstände sind in gewisser Hinsicht ein Gegenstück, aber auch eine Fortsetzung der körperlichen Präsenz jener Menschen, deren Verlust sie symbolisch kompensieren. Neben Feldforschung in Produktionsstätten entsprechender Artefakte in der Schweiz und in Österreich und neben Experteninterviews dienten als Datengrundlage der vorliegenden Publikation insbesondere Gespräche mit 49 Personen, die sich für diese eigenwillige, aber offenkundig zunehmend gefragte Form der Trauerbewältigung entschieden haben. Hinzu kommen zum Teil ausführliche schriftliche Fallbeschreibungen und Erlebnisdarstellungen weiterer Betroffener (siehe den Anhang dieses Bandes).
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Über welche Erwartungen, Motivlagen und Interessen wird dabei berichtet? Wir sind der Ansicht, dass eine wissenschaftliche Analyse die Perspektive der Betroffenen schwerlich übergehen kann, wenn mit der Trauer eine höchst private, subjektiv empfundene Emotion in den Vordergrund gerückt wird. In Kapitel 9 lassen wir daher Menschen ausführlich zu Wort kommen, die persönliche Erfahrungen mit Aschediamanten gemacht haben. In drei Fallanalysen werden Umgangsweisen aus dem Spektrum der Möglichkeiten veranschaulicht. Eingerahmt wird dies von Überlegungen zum kulturellen Vorstellungszusammenhang ›Diamant‹, von Recherchen der Anbieterperspektive sowie von Reflexionen der besonderen Werthaltigkeit der symbolischen Ressource, um die es bei all dem geht. Dass der Kohlenstoff der Kremationsasche mittlerweile zum Diamanten gepresst werden kann bzw. dass es andere Umgangsweisen damit gibt, die nicht nur traditionellen Bestattungsroutinen widersprechen, sondern mithin auch in eine juristische Grauzone lenken, ist kein vollends überraschender Bruch mit Konventionen. Der oben beschriebene Wandel im Kontext von Sterben, Tod und Trauer bildet vielmehr diejenigen Formen aus, die die Gesellschaft sich wünscht und für notwendig hält – unbeschadet rechtlicher oder auch politischer Direk tiven, die damit eben nicht immer im Einklang stehen. Es werden nicht die Menschen sein, die sich in ihrer Trauer den Institutionen beugen, sondern es werden auf lange Sicht die Institutionen sein, die sich den Gefühlen der Bevölkerung (und auch der fraglos kursierenden Vielfalt an Haltungen) werden stellen müssen. Der soziale Wandel, den wir hier und anderswo beschreiben, wird sich weder Leben noch im Zusammenhang mit dem Lebensende aufhalten lassen. Ein Diamant aus Kremationsasche mag avantgardistisch wirken – tatsächlich ist er nur ein Zwischenschritt hin zu Entwicklungen, die kommen werden, und die wir heute vielleicht noch gar nicht zu denken vermögen. *** Wir danken allen Personen, die sich die Zeit genommen haben, uns von ihren Erfahrungen zu berichten bzw. die uns Dokumente ihrer persönlichen Verlustgeschichte haben zukommen lassen. Wertvolle Unterstützung erhielten wir von Leonie Schmickler (Universität Passau) und Juliette Strößner (Universität Rostock) aufgrund ihrer zuverlässigen Mitarbeit im Rahmen des Forschungsprojekts. Ferner danken wir der Firma Mevisto für aufschlussreiche Informationen. Unser Dank gebührt insbesondere der Firma Algordanza, vor allem Frank Ripka und Rinaldo Willy, für ihr umfangreiches Engagement und ihre Bereitschaft, uns Besuchern aus der akademischen Welt empirische Einblicke hinter die Kulissen der Diamantproduktion zu gewähren.
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Fallanalyse I: »Sie fand keinen Gefallen am Beerdigt-Werden«
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2.1 Auch nach dem Tod – immer mit dabei Vera Kraft1 ist 54 Jahre alt, Physiotherapeutin und wohnt in der Nähe von Kassel. Als ihre Mutter mit 87 Jahren verstarb, hat sie die Kremierungsasche über den Bestatter in die Schweiz bringen lassen, wo daraus zwei Diamanten gepresst wurden. Da hierfür nicht die komplette Asche benötigt wurde, hat Frau Kraft einen Teil der Restasche von einer Firma2 in eine Glasskulptur einbringen lassen. Diese Glasskulptur steht im Sommer im Garten, während sie im Winter in die Wohnung geholt wird (»weil se sonst so friert … Kälte mochte sie nicht. Und im Sommer kommt se wieder in’ Garten«). Den verbleibenden Teil der Asche hat Frau Kraft dann zusammen mit den Diamanten und der Glasskulptur mit nach Deutschland genommen. Das Angebot des Schweizer Diamantherstellers, die nicht benötigte Kremierungsasche auf einer firmeneigenen Wiese zu verstreuen, hatte die Familie bewusst ausgeschlagen. All dies war zu Lebzeiten mit der Mutter besprochen und ausgehandelt worden: »Wir haben uns vorher schon mit ihr öfters unterhalten über Tod und so weiter. […] Und sie fand keinen Gefallen am Beerdigt-Werden und fand keine Form wirklich toll. Weder verbrannt werden noch, also, in die Erde wollte sie gar nicht. Verbrannt werden war ihr eindeutig zu warm, aber viel mehr Möglichkeiten hat man ja nicht. Wasser fand sie völlig doof. Unter den Scheiß-Möglichkeiten hat sie sich für die beste entschieden, und das war halt Verbrennen. Und wir haben dann auch schon mal mit ihr drüber gesprochen, dass wir auf jeden 1
Der Name sowie sämtliche Daten, die Rückschlüsse auf die Identität der Gesprächspartnerin erlauben würden, sind verändert worden. Das Telefoninterview wurde am 2. Februar 2019 geführt und dauerte 28 Minuten. 2 Auf der Homepage der Firma heißt es: »Wir wissen ganz genau: Sie vertrauen uns etwas außerordentlich Wertvolles an – die Asche eines geliebten Menschen. Sie können sich ganz sicher sein. Diese wird von uns mit größter Pietät und Sorgfalt behandelt.«
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Fall einen Diamanten aus ihr machen werden, und ich glaub’, das fand sie dann ganz nett. Auch so diese Vorstellung, dass sie dann überall noch mal mit hingenommen werden kann, wenn sie in irgend ’nem Schmuckstück landet. Weil meine Mutter ist sehr gerne gereist durch aller Herren Länder. Und wir haben dann gesagt, ›Okay, dann kommste irgendwie in irgendwas rein, was wir mitschleppen können. Dann können wir dir noch mal die Gegend zeigen‹.« Die Verstorbene konnte sich, obwohl ihre Tochter in großer Offenheit mit ihr die verschiedenen Bestattungsvarianten durchsprach, für keine der üblichen funeralen Optionen entscheiden. Im Grunde war für sie schon der Sarg »ein No-Go«. Da aber die Kremierung die Voraussetzung für die Diamantpressung ist und nur eine eingesargte Leiche verbrannt werden kann, war der Sarg unausweichlich. Um die Abneigung der Mutter gegen den Sarg ästhetisch abzufedern, plante die Familie zusammen mit der alten Dame, einen Sarg selbst zu tischlern und ihn dann entsprechend zu bemalen. Doch je »näher der Tod meiner Mutter rückte, desto weniger geneigt war sie, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, weil sie ja noch Jahrzehnte Zeit hatte [lacht] …«. Obwohl oder vielleicht gerade weil die Verstorbene ein Altenheim geleitet hatte und nun für sie der Tod, den sie schon so oft bei ihren Heimbewohnern miterleben musste, zur eigenen Realität wurde, sträubte sich alles in ihr gegen eine solche familiäre Kreativaktion. Den eigenen Sarg zu zimmern und dann farblich zu gestalten, hätte sie zu sehr mit ihrer eigenen Endlichkeit konfrontiert: »Es war ihr dann letztendlich doch’n bisschen komisch, einen Sarg selber zu bauen. […] Nicht, dass sie es nicht wollte, aber die Idee, was zu bauen, wo drin sie dann selber Platz nehmen sollte, war ihr, glaub’ ich, nicht einerlei«, räumt die Tochter ein. Frau Kraft selbst ist schon vor einiger Zeit aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Da jedoch die Verstorbene evangelisch war, wurde von der Familie eine evangelische Trauerfeier am Sarg arrangiert – die Pfarrerin war in das Folgende allerdings nicht eingeweiht. Nach dem Ableben der Großmutter hatte die Familie den Sarg für die Trauerfeier dann doch liebevoll in einer konzertierten Aktion selbst bemalt (siehe Abbildung). Damit endete aber auch schon der herkömmliche Teil der Bestattungsriten, denn nach der anschließenden Einäscherung schlug man ein ganz neues Kapitel der Familiengeschichte auf. Die Trauerfeier war ein letzter Tribut an die Konvention. Mit der Überführung der Urne in die Schweiz wurde eine mehrfache Ascheteilung möglich, wie sie in Deutschland derzeit noch gesetzlich untersagt ist. Diese Aktion gab der Tochter die Gelegenheit, verschiedene Interessen unter einen Hut zu bringen. Zunächst wurden kleine Aschereste an verschiedene Erinnerungsorte der Mutter gebracht und dadurch symbolisch markiert.
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Da der eine Ort auf dem Friedhof nicht infrage kam und die Asche beliebig teilbar war, konnten gleich mehrere letzte Verortungen addiert werden. Und so war die Verstorbene durch die Verstreuung gleich an mehreren ihrer Lieblingsorte ›präsent‹. Außerdem kamen Tochter und Schwiegersohn zu ihrem Recht durch die Glasskulptur, die nun ihren Garten ziert. Schließlich wurden die beiden Enkel bedacht durch zwei Erinnerungsdiamanten, die sie dann in ihren Armbanduhren als mobile ›Juwelengräber‹ würden mit sich tragen können. Und der Rest verblieb als optionale Gestaltungsreserve im Gewahrsam der Tochter. Die sterblichen Überreste ziehen damit in die Privatheit der familiären Bezüge ein, wo sie nachtodlich in verschiedenen Aggregatzuständen und an verschiedenen Orten in je eigener Weise Erinnerung stiften. Der kirchliche Ritus und die Beisetzung bzw. partielle Nicht-Beisetzung werden damit ganz neu gekoppelt. Auf die öffentliche Trauerfeier, an der alle Verwandten und Bekannten gemeinsam Abschied nehmen konnten, folgt keine Beisetzung im herkömmlichen Sinne, sondern eine auf die verschiedenen Ansprüche der Familie abgestimmte Erinnerungspraxis. Die sterblichen Überreste werden planvoll der Öffentlichkeit entzogen. Hierbei geben die Hinterbliebenen den Ton an. Dass man damit jenseits des rechtlichen Rahmens agiert, wird in diesem Fall selbstbewusst in Kauf genommen.
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2.2 Erinnerungsdiamant als Wertgegenstand und nachtodlicher Präsenzgenerator Wenn ein Erinnerungsartefakt in Form eines Aschediamanten entstanden ist, dann stellt sich nicht nur die Frage nach den Verwendungszusammenhängen, sondern immer auch die Frage, was nach dem Ableben des Erstbesitzers mit dem Diamanten geschehen soll. Frau Kraft hat auch dieses Problem mitbedacht. Für sich selbst wollte sie keinen eigenen Diamanten haben, denn ihre Präferenz galt der Glasskulptur bzw. einer eigenen, noch nicht bestimmten Kreation. Für ihre beiden Söhne hat sie jedoch je einen Erinnerungsdiamanten anfertigen lassen, der dann jeweils in eine teure Uhr eingearbeitet werden soll. So jedenfalls war es geplant zum Zeitpunkt des Interviews. »Also unsere Söhne haben jeweils einen Diamanten machen lassen […], der soll in die Uhr, oder irgendwo anders hin, das wissen wir noch nicht ganz genau. Aber eigentlich war der Plan: in eine Uhr. Und ich habe mir, weil ich zwei Söhne habe, nicht noch ’n Diamanten machen lassen wollen, weil irgendwer muss das Ding ja auch mal erben. […] Und dann hat einer zweimal Oma, das ist auch blöd.« Die Option auf das Vererben der Diamanten war also von vornherein klar. Die Preziosen zu vererben avanciert gleichsam zu einem konstitutiven Bestandteil der Familiengeschichte: Wenn die Söhne »ableben, bevor sie verheiratet sind, kriegen wir’s zurück. […] Wenn sie Kinder haben, werden das deren Kinder kriegen … Das wird vererbt und weitergegeben, solange man es weitergeben will.« Der Glanz der Großmutter wird als Erbe von Generation zu Generation weitergegeben. Das Erinnerungsartefakt wird zu einem emotional hochaufgeladenen Erbstück. Ein Juwel, das einen so aufwendigen Herstellungsprozess durchlaufen hat, ist für die Familie gleich in doppelter Hinsicht ein Gegenstand von Wert. Zunächst eignet selbst einem künstlich gefertigten Diamant ein nicht geringer Sachwert, und zum anderen ist dieses Schmuckstück auch insofern wertvoll, als es »ja irgendwie schon« auch die Verstorbene ist, »is’ ja Asche, is’ ja Kohlenstoff meiner Mutter«. Auf die Frage, ob es sich bei dem Erinnerungsdiamanten um ihre verstorbene Mutter handele, sie also von einer Identität ausgehe, antwortet Frau Kraft unbestimmt: »Ich würde sagen, es is’ irgendwie ’ne Präsenz davon.« Um das schwer Sagbare besser zu fassen, stellt die Interviewte einen interessanten Vergleich an. Sie vergleicht den Diamanten mit dem Grabstein ihrer Großeltern, den das Ehepaar Kraft, nachdem die Ruhezeit der Grabstätte abgelaufen und das Grab »abgeräumt« worden war, ebenfalls in ihrem Garten platziert hat: »Meine Oma und mein Opa sind ja natürlich auch nicht der Grabstein … und meine Mutter natürlich auch nicht, obwohl meine Mutter natürlich noch eher der Diamant ist, als mein Opa und meine Oma der Grabstein sind.«
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Aber es ist nicht die materielle oder ideelle Identität, die für Frau Kraft von Bedeutung ist. Der Grabstein der Großeltern und der Diamant der Mutter sind für sie vielmehr starke Zeichen einer nachtodlichen Präsenz. Die Verstorbenen sind als Zeichen gegenwärtig, sie werden zum festen Bestandteil der Alltagskommunikation. Die mobilen Diamanten (Armbanduhr) und die teilmobilen Artefakte Glasskulptur und Grabstein sind gewissermaßen als Ansprechpartner immer in Reichweite. Man kann auch jetzt noch miteinander reden, und diese Gespräche werden durch das reine Vorhandensein der Artefakte stimuliert. »Aber das ist einfach so, man hält mal kurz Zwiesprache. Ich geh’ in den Garten und sag’, ›Na, wie geht’s euch heute?‹ Oder so was. Oder immer, wenn ich zu meiner Mutter runter in die Wohnung gehe, wir haben in einem Haus gewohnt, dann sag’ ich, ›Na, Muddi, wie sieht’s aus heute?‹«
2.3 Das multiple Grab Dass es für Frau Krafts Mutter kein Grab geben würde – zumindest keines, von dem eine Öffentlichkeit Kenntnis hat –, war das Ergebnis eines rationalen Kalküls. Bei der Wahl einer traditionellen Grabstätte hätte man nicht nur die Privatheit des familialen Totengedenkens opfern müssen, man wäre zugleich auch zu einer langjährigen und kostspieligen Grabpflege verpflichtet: »Ich finde, es ist auch sehr zweckmäßig. […] Mensch, also unsere Kinder. Meine Mutter ist ja jetzt verstorben, wenn ich für die jetzt einen Friedhofsplatz genommen hätte, was man ja ohne Weiteres für den Rest Asche hätte tun können, dann läuft so ein Ding 30 Jahre oder 25, dann bin ich aber ja auch schon 80. Und dann müssen unsere Kinder dauernd ran und unsere Friedhofspflege machen. Is’ ja auch irgendwie blöd! Man weiß ja auch nie, wo die Kinder bleiben oder sie müssen dann einen Friedhofsgärtner bezahlen, was auch blöd ist. Und so ’ne Skulptur oder so ein Diamanten nehmen ’se einfach mit, und das behält ja auch einen gewissen Wert. Am Friedhof geben sie ja nur aus.« Kurzum: Friedhöfe sind unzweckmäßige, teure und unflexible Immobilien, sie sind kaum mehr kompatibel mit der sozialen Praxis eines sich wandelnden Familiensystems. Durch die hier vorgenommene multiple Ascheteilung werden dagegen verschiedene Äquivalente eines traditionellen Friedhofsbesuchs eröffnet. Die Familie kann die Lieblingsorte der Mutter aufsuchen, an denen sie verstreut ist, und sie kann ihr nahe sein in der häuslichen Umgebung (Glasskulptur), und sie kann selbst kreativ werden (»eine Skulptur oder so was, und da mischen wir dann die Asche mit rein … Die wollen wir aber selber machen«), und als glänzendes Artefakt kann die Verstorbene beim Blick auf die Uhr Erinnerung stiften. Die
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Ascheteilung pluralisiert und stimuliert die familiale Erinnerungsarbeit, indem sie sie auf verschiedene mobile und immobile Orte verteilt. Der hier geschilderte Fall ist natürlich nicht unbedingt exemplarisch für das Gesamt der Bestattungskultur. Aber es lassen sich hieran durchaus Tendenzen und Deutungsmuster aufzeigen, die den beschleunigten Wandel in diesem Kultursegment erhellen. So war für die Angehörigen von Anfang an völlig klar, dass sie selbst das sepulkrale Geschehen bestimmen würden. Dass bei einer Bestattung noch andere Instanzen oder Akteure eine Rolle spielen könnten, war von vornherein ausgeschlossen. Die Privatheit der Lebensbeziehung wurde nachtodlich umstandslos verlängert. Ein gewisses Unrechtsbewusstsein gab es dabei zwar, aber darüber setzte man sich selbstbewusst hinweg. Mit der nachtodlichen Teilung der Kremierungsasche hatten die Beteiligten keine moralischen Probleme. Zumindest war im Interview keine Rede davon. Wenn die Lebensverhältnisse bunter werden, dann fordert dies mit einer gewissen Zwangsläufigkeit ambulante Optionen – auch für die Zeit nach dem Ableben. Der sepulkrale Interessenausgleich wurde hergestellt über die verschiedenen Erinnerungsartefakte. Mutter bzw. Großmutter lebt also nicht allein ›in der Erinnerung‹ weiter, sondern in Gestalt pluriformer Reliquien. Tote ›to go‹ anstelle einer Grabesimmobilie. Wichtig war dabei, mit der Verstorbenen im Nahbereich kommunizieren zu können. Und dazu mussten die sterblichen Überreste privatisiert werden. Eine Grabstelle im öffentlichen Raum war hier weder erwünscht noch notwendig, sie entfiel einfach aus pragmatischen Gründen. In diesem Fall sind die individuellen Auswüchse zu einer evangelischen Trauerfeier einfach dazu addiert worden. Im Kirchenbuch steht sicher nichts, was die Nachwelt auf die wahren Dimensionen dieser materiellen Teilung hinweist. Das nachtodliche Leben erfährt hier eine bemerkenswerte, durchaus lebensdienliche Auslegung: Der Verstorbenen wird eine postmortale Präsenz auf Erden zugeschrieben. Man zeigt ihr die Welt und man spricht mit ihr. Als untotes Familienmitglied ist sie immer und überall noch mit dabei.
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Die Stufen des Anorganischen und der Mensch. Verwandlungszusammenhänge zwischen Sozialität und Materialität
Thorsten Benkel »Wird nicht der Fels ein eigentümliches Du, eben wenn ich ihn anspreche?« Novalis
»Ja, das ist mein Problem. Also, für mich gefühlsmäßig ist er das natürlich. Irgendwie. Weil, er ist ja auch physisch nicht mehr da, er wurde eingeäschert und aus der Asche ist jetzt dieser Diamant entstanden. Meine Mutter hat gesagt, ich soll versuchen, mich davon frei zu machen, weil das ja wirklich auch Fragmente sind, klar. Aber man hat natürlich auch keinen Körper mehr, der normal erdbestattet ist, das ist natürlich eine körperliche Sache. […] Also, ich glaube daran, dass mehr die Seele der Mensch ist als die körperliche Hülle. Aber trotzdem kann ich das im Moment nicht wirklich trennen oder ich habe da noch nicht so richtig drüber nachgedacht. Also, ich glaube, ich vermeide das noch so ein bisschen, weil ich damit erst noch genug zu tun habe.« (O-Ton Interviewpartnerin 29M) Vom Leib zum Körper, vom Körper zur Asche, schließlich von der Asche zum Diamanten – das sind Verwandlungen. Es zeichnet die Besonderheit dieser Verwandlungen aus, dass natürliche Vorgänge und kulturelle Prinzipien hier kaum mehr voneinander zu trennen sind. Die Welt, wie sie – scheinbar – vorgefunden wird, und die Welt, die Menschen sich selbst erschaffen, sind längst ein und dasselbe. Wenn zu bereits etablierten Ritualen und Umgangsweisen neue Modelle treten, kann dies überfordernd sein und, vielleicht auch nur zeitweilig, einem das Gefühl geben, dass eine neue Unübersichtlichkeit entstanden ist. Das voranstehende Interviewzitat bringt dies eindrucksvoll zum Ausdruck. Nachfolgend wird, ausgehend vom Janusgesicht Natur/Kultur, zu zeigen versucht, welche gesellschaftlichen Hintergründe solche Innovationen wie den Aschediamanten ermöglicht haben, welche Chancen und Herausforderungen dies bereithält und wie sich das Phänomen aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive insgesamt einordnen lässt.
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3.1 Das Gegenteil des Lebens, die Liebe und die Soziologie Wenn man will, kann man die Welt als etwas klar Geordnetes ansehen. Es gibt Menschen und es gibt andere Lebewesen, vom Tier bis hin zum Einzeller; dazu zählen ›natürlich‹ auch Pflanzen. Der Rest der Welt besteht aus dem Dinglichen, d. h. aus künstlich vom Menschen hergestellten Produkten bzw. aus den ›Gegenständen‹, die die Natur bereithält – Gestein, das Wasser der Meere, aber auch Planeten, Monde, Sonnen usw. Was Menschen erschaffen, ist, abgesehen von solchen abstrakten Kreationen wie Ideen, konkret eine Umformung dessen, was in der Natur an Material mehr oder minder zugänglich parat liegt. Diese Einteilung ist unkompliziert; auch die Zuordnung, was nun genau in welche Kategorie gehört, gelingt jedermann mühelos. Zugegeben, bei manchen Spezialfragen wird man unsicher; die Abgrenzung zwischen Tier und Pflanze gelingt nicht immer reibungslos, und das abgefallene Stück Baumrinde fühlt sich verständlicherweise sehr ›gegenständlich‹ an, eben gar nicht wie etwas Lebendiges oder wie ein Teil von etwas Lebendigem (Ingensiep 2001). Schwierig zu bestimmen ist auch, ob beispielsweise ein menschlicher Körperteil, gelöst von seinem organischen Ursprung, noch etwas Lebendiges ist oder zum Ding wird (eine Frage, die natürlich auch für den toten Körper als Ganzes gilt). Besonders spannend sind solche Überlegungen dann, wenn es um die Organspende geht (Benkel 2016b; Kahl/Knoblauch/Weber 2017). Wird dabei etwas Lebendiges in einen lebendigen Körper eingepflanzt – oder etwas Verstorbenes, vielleicht sogar etwas (mittlerweile) Dingliches? Schließlich: Wie sind innerhalb dieses Panoramas artifizielle Implantate in den Körper zu bewerten? Auch die Abtreibungsdebatte ließe sich anführen, bei der darum gerungen wird, ob nun ein Fötus abgetrieben wird, ein Zellhaufen, oder doch ein Mensch; mit jeweils graduellen Entfernungen bzw. Annäherungen zur ›Lebendigkeit‹. Die erwähnte (und letztlich vereinfachte) Unterscheidung Mensch – Tier – Pflanze – Ding ist eine Rangfolge. Dieses Konstrukt beruht auf einer Hierarchie, an deren Spitze das fraglos Lebendige steht und die hinabreicht zum fraglos – ja, was? Zum ›Außerlebendigen‹? Welchen Rang darf das »System der Dinge« (Baudrillard 2001) eigentlich einnehmen in dieser Abstufung? Kann man über Gegenstände anders sprechen als auf eine Weise, die die Abtrennung vom Leben zwischen den Zeilen immerzu mittransportiert? Die Frage scheint durchaus berechtigt zu sein, wo es doch Ansätze gibt, in denen die Dinge gar nicht erst als diskussionswürdiger Bestandteil der Lebendigkeitshierarchie gezählt werden. Sie gelten pauschal als irrelevant und werden ignoriert, als seien sie gewissermaßen das ›Gegenteil des Lebens‹ und als wäre dieses eben nicht von Gegenständen permanent umstellt. Tatsächlich ist das Leben des Menschen und wohl
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auch der meisten domestizierten Spezies ohne Dingzusammenhänge, die von alltäglicher Wichtigkeit sind, gar nicht mehr denkbar. In diesem Zusammenhang liegt eine berühmte Studie von Helmuth Plessner vor, einer interdisziplinär zwischen Zoologie, Philosophie und Soziologie sich bewegenden Figur des 20. Jahrhunderts, die sich engagiert um die disziplinübergreifende Sparte der Philosophischen Anthropologie bemüht hat. Dabei handelt es sich um eine Wissenschafts(aus)richtung, die Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich entsteht und vor allem in den 1920er- und 1930er-, später auch in den 1950er-Jahren intensiv diskutiert wird (Krüger/Lindemann 2006). Ein frühes Werk Plessners, vermutlich sein bekanntestes Buch, trägt den Titel Die Stufen des Organischen und der Mensch (Plessner 1975). Plessner greift hier – 1927 – die Differenz der Lebensformen auf. Die unlebendige Dingwelt ist für ihn auf der untersten Existenzstufe verortet. Dinge haben Grenzen nach außen, durch die sie unterscheidbar sind von dem, was sie nicht sind (von anderen Dingen bzw. generell von ihrer Umgebung). Der Mensch wäre, so Plessner, auch ein Ding, wenn er lediglich sein Körper wäre – dann nämlich befände das Menschsein sich sozusagen in einer materiellen ›Sachlage‹, welche sich anfassen, ausmessen und auch beseitigen ließe. In Wahrheit ist der Mensch nun aber wesentlich komplexer als die unbeseelten, die manchmal ›tot‹ genannten Dinge, die das menschliche Leben begleiten. Der menschliche Körper ist zwar materiell, aber er ist zugleich das Trägermedium dessen, was zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kontexten bald Seele, bald Charakter, bald Geist und bald Bewusstsein genannt wird. Dadurch unterscheidet sich das lebendige Körperwesen Mensch vom lebendigen Körperwesen Pflanze, und dadurch unterscheidet sich folglich auch der tote Körper, die Leiche, vom lebendigen Körper; denn das Bewusstsein, um bei diesem Begriff zu bleiben, ist offenkundig nur bei lebendigen Menschen aktiv.1 Aus diesen Überlegungen hat sich in der sozialwissenschaftlichen Debatte dank Plessner die Unterscheidung zwischen Körper und Leib ergeben – also: zwischen dem materiellen Aspekt der Person und der Einheit, die Körper und Bewusstsein zu Lebzeiten ergeben. Oder einfacher gesagt: Körper ist das, was man hat – Leib ist, was man ist.
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Aus dieser seit Beginn der Menschheitsgeschichte milliardenfach bestätigten Wahrheit musste sich zwangsläufig irgendwann eine durchaus anthropologische Annahme ergeben: die These von der Trennbarkeit von Körper und Seele/Geist im Moment des Todes. Das Christentum (und andere Religionen) haben dieses Narrativ aus seinem ursprünglichen antiken Kontext herausgelöst und dabei eine Diskurskarriere begründet, die bis heute anhält (vgl. Mickan 2018: 233 ff.).
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Seit dem ersten Erscheinen der Stufen des Organischen sind mehr als neunzig Jahre vergangen. In der Soziologie gibt es mittlerweile verschiedene Ansätze, die nicht nur den Rang des Lebendigen innerhalb des gesellschaftlichen Zusammenlebens unter die Lupe nehmen, sondern auch der Bedeutung von Artefakten nachspüren (Appadurai 2003). Gewürdigt wird dabei der schon angesprochene Umstand, dass das soziale Leben in Gegenwartsgesellschaften ohne die Inanspruchnahme von Dingen überhaupt nicht möglich wäre. Es dürfte nicht übertrieben sein, festzuhalten, dass die Dinge – was immer im Einzelnen alles darunterfallen mag – größeres Gewicht auf die zeitgenössische Lebensführung einnehmen als beispielsweise Tiere und Pflanzen. Das war in früheren Zeiten, als Agrarwirtschaft und Nutztierhaltung die Alltagsführung sehr weiter Bevölkerungsteile dominierten, noch etwas anders. Heute scheinen die Dinge eine beherrschende Position einzunehmen, zumindest wenn es um die Einrichtung (manche würden sagen: die Zurichtung) einzelner Lebenswelten geht. So viele Dinge wie gegenwärtig besaßen Menschen vermutlich noch nie. Die Hinwendung zu den Konsequenzen der vergegenständlichten Welt kommt daher nicht überraschend (Preda 1999; Daston 2004). Bei näherer Recherche zeigt sich, dass Gegenständlichkeit sich mittlerweile in eine ambivalente Kategorie verwandelt hat, die genauer aufgefächert werden kann. Ausdrücklich ist vom »Eigensinn der Dinge« die Rede (Hahn 2015). Die mit solchen Formulierungen auf den Plan gerufene ›Sachlichkeit‹2 wirft Fragen auf. Wie steht es beispielsweise mit virtuellen Dingen? Wie verhält es sich mit Bildern, die ich zwar auf der Kinoleinwand sehen kann, von denen ich aber weiß, dass sie eigentlich nicht existieren – wie beispielsweise ein futuristisches Alien-Raumschiff im Science-Fiction-Film, wie die Lavaströme eines fiktiven Vulkanausbruchs oder Bildmanipulationen, die absichtlich lanciert werden, um einen falschen Eindruck von der – ja durchaus materiellen – Wirklichkeit zu geben?3 Wie wirklich sind die Einhörner, die ich auf dem Bildschirm bzw. in meinem inneren Auge sehen kann, die es aber ›in der Realität‹ nicht gibt? Oder ist die Welt, in der ich diese Wahrnehmung erlebe, nicht etwa ebenso sehr Teil der Realität?4 2 Dies ist übrigens der doppeldeutige Titel der Festschrift für Helmuth Plessner zu seinem 80. Geburtstag (Dux/Luckmann 1974). Anschauungsmaterial für die Pluralität des Sachlichkeitsbegriffs offenbart schon zwei Jahre zuvor die Sachverhältnis- und Sachzwanganalyse von Hans Linde (1972). 3 Letzteres könnte, wenn man der Angelegenheit auf die Schliche kommt und Wahrheitsansprüche auch auf die ästhetische Sphäre überträgt, mittlerweile als ›Fake News‹ gelten. 4 Es gibt den Vorschlag, diesbezüglich zwischen Realität und Wirklichkeit zu unterscheiden. Diese Trennung hat sich aber bislang nicht durchgesetzt, vielleicht auch deshalb, weil die feine Unterscheidung beider Begriffe in andere Sprachen nur schwierig oder gar nicht übersetzbar ist (Kleinstück 1971; Benkel 2007).
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Die genannten Beispiele sind künstlich erschaffen worden, sie sind aber nicht unbedingt ›dinglich‹ in einem handgreiflichen Sinne. Sie sind in gewisser Hinsicht ›lebendig‹, so sehr zumindest, dass Filme oder Internet-Videos manche Menschen in emotionale Grenzsituationen versetzen können, nämlich in die Extrempole des Lachens und Weinens. Es war nicht zufällig Plessner, der der Ausnahmesituation, die mit Lachen bzw. Weinen einhergeht, ein ganzes Buch gewidmet hat (Plessner 1961). Sinngemäß wird darin erklärt, dass die kurzen Momente des Lachens und des Weinens, so unterschiedlich sie empfunden werden, beide eines gemeinsam haben: Sie werfen den an Selbstkontrolle, Ordnung und Routine gewohnten Menschen (und eben nicht nur seinen Körper, sondern die gesamte Person – ›mit Leib und Seele‹) für kurze Frist auf ein Stadium zurück, als die Körperbedürfnisse stärker waren als die Vernunft, als Unterdrückung noch nicht so vehement ausgeübt wurde – als der Mensch dem Tier näherstand. Wenn Menschen im Kino oder vor dem Bildschirm ganz real gerührt oder begeistert sind von Dingen, die streng genommen gar keine Dinge sind, bedeutet dies Folgendes: Sie können Einzelbildern, die sich so rasch bewegen, dass der menschliche Wahrnehmungsapparat von Bewegungen ausgeht, Bedeutungen zuschreiben, die über die technische Natur dieser Bilder weit hinausgehen. Gesellschaftliche Relevanz ist nicht allein eine Angelegenheit von Materialität (Henkel 2018). Sie ist nicht messbar in Kategorien wie Masse, Ausdehnung und Aggregatzustand, sondern geht über solche buchstäblichen ›Fakt‹oren hinaus. Tief hinein in die Welt der durchschaubaren und der undurchsichtigen (Bild-)Fiktionen (Benkel 2020a) muss man gar nicht gehen, um verschiedene Ebenen von Dinglichkeit und, damit verbunden, von Zuschreibungen an die Adresse dieser Dinge in ihrer gesellschaftlichen Relevanz betrachten zu können. Der Zugang über das Zusammenspiel von Bildeindrücken und emotionalen Zuständen ist ein Weg (Stiglegger 2006). Er offenbart, dass Bedeutungen sich an Sachverhalte heften können, die keine handgreifliche Qualität haben. Allzu überraschend ist das nicht, schließlich war ein so aufwühlendes und gesellschaftlich hochrelevantes Thema wie die Liebe noch nie an ›Tatsachen‹ gekoppelt. Was auch immer man an Geschenken mitbringt, und ganz gleich, wie schön die Blumen blühen und wie funkelnd der Ring am Finger glänzt – Liebe hat sich noch nie in Sachverhalte umrechnen lassen. Deshalb ist sie, soziologisch betrachtet, auch eine überaus zerbrechliche Angelegenheit (Luhmann 1983). Sie kann verfliegen, weil sie eben nichts Dingliches an sich hat – ihr fehlen buchstäblich ›Beweisstücke‹. Man muss sich auf Bekundungen über Liebe verlassen und Signale richtig deuten. (Gerade deshalb stört es manche Menschen, wenn ihre Partner so selten Gefühlsausdrücke in die Kommunikation einbringen – mehr als die Kommunikation hat man ja nicht davon.) Wenn sich Liebesver-
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hältnisse ändern, muss sich in der materiellen Welt überhaupt nichts geändert haben – es reicht, dass eine Änderung in den Gedanken einer Person erfolgt ist (Illouz 2018). Nicht zuletzt: Menschen können Liebe sogar vorspielen, indem sie Handlungen durchführen, die Liebe auszudrücken scheinen, ohne dass es tatsächlich so gemeint ist. Und schlussendlich können Menschen sich sogar in Personen verlieben, die sie nicht persönlich kennen, sondern lediglich aus der Ferne beobachten, wie beispielsweise Prominente. In gewisser Hinsicht ist Liebe also schmerzhaft, weil – und nicht obwohl – ihr die ›Sachebene‹ fehlt.5 Wie gesagt: Liebe kann man durch Handlungen und auch durch Gegenstände symbolisieren; aber weder diese Handlungen noch diese Dinge sind Liebe. Es gibt also ein Phänomen namens Liebe, das (nicht) existiert. Es ist überall dort greifbar, wo Menschen in Gruppen zusammenleben (also: überall, wo Menschen überhaupt leben), aber niemand kann es sehen und niemand kann die Liebe festhalten. Alles, worauf Menschen sich beziehen, wenn sie von Liebe sprechen, scheint symbolisiert zu sein. Dieser Aspekt ist auch immer dann wichtig, wenn es um die emotionale Zuschreibung von Gefühlen gegenüber Dingen geht.
3.2 Symbolische Verbindungen Ein ganz anderer Weg, Bedeutungen und Wertschätzungen auf der gesellschaftlichen Ebene mit Dingen zusammen zu denken, stellt das gewohnte Alltagsschema auf den Kopf. Der französische Soziologe Bruno Latour hat vor einigen Jahren die Ansicht stark gemacht, dass nicht nur Menschen untereinander soziale Beziehungen pflegen. Ginge es Latour um Mensch-Tier-Verhältnisse, wäre damit keine besonders innovative Erkenntnis verbunden. Es ist nicht ungewöhnlich, sondern etabliert sich gesellschaftlich immer stärker, dass (Heim-)Tiere den Rang von Sozialpartnern einnehmen, teilweise sogar als Partner- und vor allem als Kinderersatz fungieren (Benkel 2017b; Meitzler 2019). Doch das meint Latour nicht, jedenfalls nicht in erster Linie. Auch die Pflanzenwelt ist für ihn nicht vordergründig relevant, obwohl es immerhin eine – wenn auch ganz anders angelegte – Pflanzensoziologie gibt (Hobohm 1994). Was Latour behauptet, ist noch wesentlich bahnbrechender. Seine These lautet, dass auch Gegenstände in sozialen Beziehungen zu ihren Nutzern stehen (Latour 2001). Auch Dinge sind 5 Gewiss gibt es Neurowissenschaftler, die davon berichten können, welche Gehirnareale und welche biochemischen Mechanismen eingebunden sind, wenn Menschen etwas empfinden oder thematisieren, das sie Liebe nennen. Wie wenig dies mit der Realität der Liebeserfahrung zu tun hat, wissen (nicht nur) die Liebenden.
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Akteure, so Latour, denn sie sind handlungsfähig: »Sein ist Existenz und Existenz ist Handeln.« (Latour 2006: 487) Diese Auffassung ist weder metaphorisch gemeint, noch ist sie im Sinne einer animistischen ›Aufladung‹ von Dingen zu verstehen (dazu Dörrenbacher/Plüm 2016). Menschen und die sie umgebenden und umstellenden, von ihnen nun aber auch gewünschten und speziell hergestellten Dinge gehen laut Latour eine Art Netzwerkexistenz ein, sodass in der Folge das Menschliche und das Nichtmenschliche sich in Form eines Kollektivs ineinander verstricken. Er spricht von ›Übersetzungen‹ oder auch ›Verschiebungen‹, die sich in diesem Verhältnis bei genauer Betrachtung ereignen. Das Messer, das in der Küche das Fleisch schneidet, oder der Kessel, der das Wasser zum Erhitzen bringt – das sind Netzwerkphänomene, denn hier verbinden sich Menschen und Dinge in einen Ablauf, an dessen Ende ein Ziel erreicht wird. Berühmt ist Latours Beispiel der Schusswaffe, die nicht allein ohne den Menschen schießen kann, ohne die der Schütze aber auch kein Schütze (und damit ein potenzieller Sportler, Mörder, Lebensretter usw.) sein könnte. Ein Objekt wird, unter bestimmten Umständen, zur Mordwaffe, und ein Mensch damit zum Mörder. Nur durch diese Verbindung gelingt die Handlung – in diesem Fall: die Tötung eines anderen. Es schießt also nicht allein die Waffe und nicht allein der Schütze, sondern es schießt ein »Hybrid-Akteur« (Latour 2006: 488). Dinge sind manchmal sogar wirksam, ohne dass eine (menschliche) Absicht dahinter zu vermuten wäre. Chemische Stoffe wirken sich aus. Das Ozonloch hat sogar ganz handgreiflichen Eingriff auf das Leben der Menschen, insofern man sich gegen bestimmte Sonnenstrahlen, die durch die Ozonschicht durchdringen können, schützen muss; und zwar mithilfe anderer Dinge wie eben der Sonnenmilch.6 In dieser Hinsicht besitzen Dinge nach Latour – dessen Theorie hier nicht in der Komplexität wiedergegeben werden kann, die den Originaltexten inne liegt – mitunter sogar einen Aufforderungscharakter (akademischer: ›Affordanz‹), d. h. innerhalb des Netzwerks, das sie mit Menschen eingehen, forcieren die Dinge bestimmte (gemeinsame, netzwerkbezogene) Handlungserfolge (Latour 2002; allgemein Fox/Panagiotopoulos/Tsouparopoulou 2015). Zugegeben, Latours Überlegungen sind nicht für jedermann auf Anhieb einleuchtend.7 Schon deshalb nicht, weil die Erfahrungen, die Menschen in der realen Welt mit ihren Gegenständen machen, überwiegend nicht als Vernetzung empfunden werden – sieht man einmal von solchen Gerätschaften wie Handys 6 »Ja, diese Dinge sind real, aber sie gleichen zu sehr sozialen Akteuren […]. Das Ozonloch ist zu sozial und zu narrativ, um wirklich Natur zu sein«, schreibt Latour (1995: 14). 7 Latour (2006: 504) hebt hervor, dass diesbezüglich eine soziologische Sichtweise angezeigt ist: »Ein Objekt ist ein Subjekt, das nur die Soziologie studieren kann – eine Soziologie aber, die bereit ist, sowohl mit nicht-menschlichen als auch mit menschlichen Aktanten umzugehen.«
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ab, bei denen der Aufforderungscharakter durchaus erkennbar ist: Wenn es klingelt, hebt man ab oder klickt weg. Wer ist der Auslöser dieser Aktion – Mensch oder Gerät? Als vielfältig einsetzbare, den Kommunikationskomfort steigernde Apparate sind Smartphones usw. zumindest für weite Teile der Bevölkerung heute tatsächlich so etwas wie ein artifizieller Anhang an den Leib, ein künstliches Körperteil also, der den organischen Körper ›ergänzt‹ und ohne den die Alltagsbewältigung erheblich eingeschränkt wäre. Mit anderen Worten, das Handy ist gewissermaßen eine Prothese, so wie das künstliche Hüftgelenk, der Zahnersatz oder die Brille Prothesen sind.8 Die Fähigkeit, auf dem Weg der Technik Apparaturen zu konstruieren, die über die Naturausstattung des Menschen hinaus Vereinfachungen und Annehmlichkeiten ermöglichen, ist schon im Sinne der Philosophischen Anthropologie eines der Wesensmerkmale des Menschen. Dennoch: Die enge Verbindung zum Handy könnte die Ausnahme von der Regel sein. Als Gegenargument lässt sich auf Kleidung verweisen. Sie hat pragmatische Zwecke; sie hält warm, sie reduziert erotische Reize (oder unterstreicht sie), sie verhindert allzu intime Einblicke, und vor allem dient sie der Mitgestaltung des impression managements, wie der kanadische Soziologe Erving Goffman das bewusste Auftreten in sozialen Situationen nennt (Goffman 1998). Menschen planen in manchen Momenten mehr, in anderen weniger genau, was sie tragen, weil sie wissen, dass ihre Kleidung nicht von ihnen losgelöst, sondern als Teil ihrer sozialen Performance gedacht wird. Fühlt man sich nun aber wirklich mit seiner Kleidung vernetzt? Auf diesen Gedanken dürften wohl nur wenige Menschen kommen, wenn man sie unabhängig von Latours Untersuchungen dazu befragt – und dies, obwohl die allermeisten Menschen die allermeiste Zeit über Kleidung tragen, zumindest an zentralen Körperstellen. Für Latour ist damit ein Netzwerkcharakter geschaffen, während Plessner wohl von einer Grenze zwischen Ding und Mensch sprechen würde, die auch bei großer Nähe noch erhalten bleibt. 8 Es ließe sich näher untersuchen, ob und inwieweit Geräten wie Smartphones mittlerweile schon eine ›Lebendigkeit‹ zugeschrieben wird. Sie sind so stark in die Alltagsorganisation eingebunden, dass ihr Verlust nicht nur aus ökonomischen, sondern auch – und stärker – aus lebensweltlichen Gründen eine Katastrophe darstellt, schließlich werden dabei die wohl gängigsten Kommunikationsbahnen für den Kontakt mit Abwesenden gekappt. Auch symbolische Verbalkommunikation mit Smartphones ist seit einiger Zeit möglich, d. h. man kann das Gerät adressieren, als wendete man sich an einen Menschen. Die Entwickler der großen Herstellerfirmen wissen offenkundig, wie man »lebendige Dinge« (Kimmich 2011) evoziert – und die Produzenten von Hollywood spüren, dass sich mit Geschichten über die auch emotionale Ambivalenz dieser Verhältnisse Geld machen lässt. In der kommerziell erfolgreichen ›Dramödie‹ Her (USA 2013, Regie: Spike Jonze) verliebt sich ein Mann in das lernfähige und sprechende Betriebssystem seines Kommunikationsgerätes.
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Eine an Verschmelzung und Sozialpartnerschaft gemahnende V erbindung zwischen Menschen und Dingen wird zwar fast immer den Körper einbeziehen – dennoch handelt es sich vorwiegend um eine symbolische Angelegenheit. Auch dafür geben die Kleidung und insbesondere Exponate spezifischer Moderichtungen gute Beispiele ab. Danach befragt, führen viele Menschen an, dass ihre Bekleidungsentscheidungen (zumindest was den Auftritt in der Öffentlichkeit betrifft) durchaus kalkuliert sind – man kleidet sich mit bewusster Rücksicht auf die imaginierten Blicke der anderen ein (dies gilt natürlich auch für Kosmetik, Frisur oder andere sichtbare Körperfacetten). Man handelt berechnend, um beispielsweise als schön gelten zu können oder als seriös, als besonders leger, als jugendlich, als sexy usw. (Degele 2004; Villa 2001). Die zentrale Bedeutung des Spiegels (um nicht zu sagen: die Abhängigkeit davon) beweist, dass das Einkleiden wenigstens bei öffentlichen Kontexten (also abseits der Jogginghose für den exklusiven ›Hausgebrauch‹) nur selten völlig losgelöst von bewussten Entscheidungen stattfindet. Mit dem Spiegel kann man sich selbst betrachten, als wäre man ein anderer; man kann gewissermaßen den Leib zum Körper machen. Wenn Jackett oder Bluse nach individueller Bewertung ›gut zu einem passen‹, scheinen sie die Persönlichkeit zu unterstreichen (oder vielmehr das, was die Träger der Kleidung für die nach außen sichtbaren Elemente ihrer Persönlichkeit halten). Dann scheint der Fremdkörper, der sich eng an den eigenen Leib schmiegt, eben nicht mehr fremd zu sein. Er scheint vielmehr just das zum Ausdruck zu bringen, was auf andere Weise nicht gesagt werden kann – konkret also, wer man ist. Ähnliches gilt für Schmuck. Die Verzierung des Körpers mit schmückendem Beiwerk findet jenseits strikter Notwendigkeit statt, sie ist dafür aber umso stärker im nur selten diskutierten, aber ständig berücksichtigten Kanon gesellschaftlicher Umgangsweisen verwurzelt. Schmuck unterstreicht, Schmuck schmeichelt, Schmuck fällt auf, Schmuck provoziert, kurz: Schmuck sorgt dafür, dass Situationen anders sind, als sie ohne Schmuck wären. Ohrringe, Ketten oder Ringe können permanent gewechselt, aber auch mit inniger Treue ständig getragen werden. Sie können ›echt‹, d. h. aus wertvollen (Natur-)Materialien hergestellt oder aber mit technischen Mitteln reproduziert worden sein. Entscheidend ist, dass der Schmuck eine Rolle innerhalb des sozialen Miteinanders spielt.9 Er 9 Soziologische Pionierarbeit hat diesbezüglich Georg Simmel geleistet, der in seinem »Exkurs über den Schmuck«, einer Passage seiner 1907 verfassten Soziologie, die Außenwirkungen des mit Schmuck verzierten und dadurch veränderten Körpers diskutiert (Simmel 1999: 414–421). Aufschlussreich ist, dass schon Simmel das Schmücken als Anreicherung des Körpers um Materialität versteht, sodass auch Edelsteine inbegriffen sind.
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dient der anlassbezogenen Veredelung stärker als einer rein subjektiv empfunden Aufwertung ohne Publikum. Man kann Schmuck ohne Frage auch allein, also nur für sich selbst tragen. Erst in der Begegnung mit anderen entfaltet das Schmuckstück jedoch die symbolische Wirkung, um deren Willen es existiert: Es verwandelt einen Körper in ein aufgewertetes, nicht nur der Natur überlassenes, sondern weit über die Natur hinausgehendes und in die Kultur hineinragendes Gesamtkunstwerk. Eine interessante Komponente des Schmucks ist die (nur scheinbare) Herstellung von Individualität. Zum Vergleich kurz eine Bemerkung zu einem verwandten Phänomen, dem Parfüm. Als es sich unter den hohen Damen der europäischen Aristokratie etablierte, Körpergerüche mit künstlichen Düften zu überdecken, nahmen ihre Körper beträchtlich an Attraktivität und Eleganz zu. Das Paradoxe daran ist (und dies gilt vor allem heute, da entsprechende Tinkturen nicht mehr individuell zubereitet, sondern industriell gefertigt werden), dass somit die natürliche (individuelle) Körperausdünstung verloren geht zugunsten eines mit vielen geteilten Geruchs – denn das ganz bestimmte Parfüm setzt seine Nutzer notgedrungen gleich. Gilt das nun auch für Schmuck? Die Auffassung, dass Verzierungsgegenstände darunter leiden, dass viele Menschen gleiche oder ähnliche Fabrikate nutzen, wird offenbar nicht sehr vehement vertreten. Dies könnte schon ein Hinweis darauf sein, dass eben nicht das ›Dingliche‹ entscheidend ist, sondern seine Verschmelzung mit der Person, die sich dieses Dingliche zu eigen und zum Bestandteil des Körpers bzw. der Körpereinkleidung macht. Lebenswelten von Menschen sind genau das nicht, was man Parfüm und Schmuck vorwerfen könnte, wenn man wollte: Sie sind nicht ›hergestellt‹. Das Leben eines Menschen ist heutzutage weder programmierbar noch vorsehbar noch mit anderen Lebensläufen mehr als nur oberflächlich vergleichbar. Binnen eines einzigen Tages trifft jeder Mensch unzählige Entscheidungen, die kein zweiter durchdenken kann oder muss. Wenn nun ein Schmuckstück, sagen wir: ein Diamant, mit den spezifischen Verflechtungen einer einzelnen Lebenswelt verbunden wird, entsteht offenbar im Bewusstsein der betroffenen Person eine singuläre Konstellation, die mit der Einzigartigkeit des Lebens selbst korrespondiert. Gewiss, eine solche Zusammenstellung ist vor allem symbolisch. Einem Juwelier werden biografische Mitteilungen wohl nur selten offenbart. Intime Details bleiben unausgesprochen. Auch im Bekleidungsgeschäft oder beim Friseur spielt das, was einen selbst von anderen unterscheidet, die mit gleicher Bluse, gleicher Hose und ähnlichem Haarschnitt ausgestattet sind, keine Rolle, weil die Individualität der Individuen ohnehin unausgesprochen voraus-
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gesetzt wird. (Es würde sogar die Situation erheblich verkomplizieren, hier mehr als nötig zu erfragen oder zu offenbaren; Small Talk ist in solchen Alltagssituationen segensreich, weil man reden kann, ohne etwas zu sagen.) Die Kraft der Symbolik wurzelt nicht zuletzt in der Verbindung mit dem Körper. Der Körper gilt als Stellvertretung der Person. Man spricht Menschen im direkten Kontakt üblicherweise so an, dass sie einem in die Augen schauen können. Wollte man akustisch gut verstanden werden, sollte man doch besser direkt in die Ohren sprechen; aber auf diese Idee kommt kaum jemand, außer an Orten mit sehr großer Geräuschkulisse. Tatsächlich gilt nämlich das Gesicht als zentrale ›soziale Adresse‹ des Ichs, und der Körper ist sozusagen die darüber noch hinausgehende ›materielle Realisierung‹ der Identität. Und was ich mit meinem Körper anstelle – verschönern, gehenlassen, verändern, stabilisieren, zerstören usw. – gilt als das, was ich für mich selbst tue. Das Behandeln des eigenen Körpers ist der performative Ausdruck der »Sorge um sich« (Foucault 1995). Dieser Körper symbolisiert die Person, die man ist. Umgekehrt wirken die Rückmeldungen auf den Körper zurück auf die davon nur vermeintlich getrennte Persönlichkeit. Über den Körper von X sprechen bedeutet, über X sprechen. X ist nicht zu trennen vom Körper (genauer: vom Leib) von X. Aus guten Gründen wird niemand, der in einen Spiegel schaut, behaupten: Ich sehe meinen Körper. Vielmehr gilt: Was ich im Spiegel sehe, bin ich. Ein Diamant ist ein Fremdkörper, der mit dem gar nicht fremden, weil eigenen Körper verbunden werden kann. Er wird damit zwar nicht zu einem Körperteil, sondern bleibt wörtlich ein Objekt – etwas »Entgegenstehendes«, nach dem lateinischen Wort obicere (vgl. Kohl 2003: 118). Er kann allerdings vom ›Träger‹ im Sinne einer leiblichen Annäherung gedeutet werden. In einen Ring gefasst oder an einer Kette um den Hals getragen, ist er dem Körper jedenfalls nahe genug; so kann er auch bei Außenstehenden einen Effekt auslösen. Diamanten machen Eindruck, weil sie für Werte stehen – das wird im nächsten Abschnitt genauer untersucht. Sie sind zwar als Dinge vom menschlichen Körper abgegrenzt, weil dieser – wie gesagt – nicht allein dinglich, sondern auch beseelt ist. Somit liegt bei aller Nähe immerzu eine Distanz vor, wenn kaltes Material und warme Haut sich begegnen. Was aber, wenn das ›tote‹ Material eine symbolische Leistung erbringt, die darauf hindeutet, dass es gar nicht tot ist?
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3.3 Ökonomisches und symbolisches Kapital als Wertebenen Damit ist dieser Text an der Stelle angelangt, an die er von Beginn an gelangen sollte – beim Aschediamanten, der postmortalen, und manche würden sagen: der postmodernen Version eines Erinnerungskörpers. Welche Funktion erfüllt in dem beschriebenen Zusammenhang das aus dem Kohlenstoff menschlicher Ascheüberreste hergestellte Juwel – der, wie die europäischen Marktführer der Branche ihn nennen, ›Erinnerungsdiamant‹? Es scheint sich auf den ersten Blick ganz klar um eine ›Sache‹ zu handeln. Von der organischen Ebene, die Mensch, Tier und Pflanze bei aller Unterschiedlichkeit verbindet, ist der Diamant meilenweit entfernt. Allerdings schließt eine solche enge Betrachtung eine andere symbolische Kraft aus; durch diesen Ausschluss wiederum wird das Schmuckstück völlig verkannt. Um dies näher zu verstehen, müssen die beiden Wertebenen des Diamanten voneinander unterschieden werden. Einerseits ist der Diamant ein buchstäblich wertvolles Artefakt. Um einen solchen Stein als Körperzierde tragen zu können, muss eine erhebliche Summe gezahlt werden – dafür ist ein Eurobetrag im mittleren bis höheren vierstelligen Segment vonnöten. Der Wert des Diamanten lässt sich somit mit dem dafür vorgesehenen Maßstab ausdrücken, mit seinem Preis. Geld ist ein gesellschaftlich festgelegtes ›Medium‹, das es ermöglicht, Gegenstände, Dienstleistungen, sogar Ideen auf einer Wertebene vergleichbar und sukzessive eintauschbar zu machen. Dabei kommt dem Geld kein materieller Wert ›an sich‹ zu; es ist lediglich deshalb so handhabbar (und begehrt), wie es ist, weil es einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, dass Geld wertvoll ist. Man könnte auch sagen: Der ökonomische Wert, den das Geld in Zahlenwerten zu ›repräsentieren‹ scheint, ist eine soziale Konstruktion (Searle 2011). Sie funktioniert nur deshalb, weil sich sehr viele Menschen daran halten. In den Biotopen von Pflanzen und Tieren ist Geld dagegen nutzlos; die Scheine und Münzen schmecken vermutlich nicht einmal besonders gut. Diamanten haben schwankende Preise, es gibt viele verschiedene Schliffe, die Karatzahl (das Gewicht) ist entscheidend, und Angebot und Nachfrage stehen in einem spezifischen Verhältnis zueinander – einem Verhältnis, das sich in die eine oder andere Richtung theoretisch jederzeit verschieben kann. Grundsätzlich aber gilt ein Diamant in westlich orientierten Gegenwartsgesellschaften ohne Zweifel als Beweis eines ›objektiven‹ Wertes – nämlich jenes ökonomischen Geldwertes, den dieser Diamant von Experten, von Händlern, von potenziellen Käufern usw. zugesprochen bekommt, wenn sie ihn begutachten, kaufen oder verkaufen. Das materielle Ding Diamant vergegenständlicht also einen (messbaren) Wert, der nicht unabhängig vom Gegenstand existiert. In der Soziologie gibt es, eingebracht von Pierre Bourdieu, für solche Werte die
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Kategorie des »ökonomischen Kapitals« (Bourdieu 1983). Gemeint sind Werte, die entweder selbst geldwert sind (etwa eine prall mit Scheinen gefüllte Brieftasche) oder sich recht aufwandlos in Geld verwandeln lassen. Ein Diamant lässt sich wohl nahezu überall in der Welt mit mehr oder weniger Mühe verkaufen (wenn auch sicherlich nicht überall mit der gleichen Wertschöpfung für den Verkäufer!). Er ist die Verkörperung und zugleich die Entsprechung eines vergleichsweise hohen ökonomischen Kapitalwertes. ›Vergleichsweise hoch‹ deshalb, weil sich die Beschaffungskosten in ein Verhältnis beispielsweise zum Durchschnittseinkommen in verschiedenen Ländern setzen lassen. Folglich sind Diamanten nicht lediglich schmückendes Beiwerk, das den menschlichen Körper und hier vor allem die Halspartie und die Finger veredelt. Sie dienen außerdem als Wertanlage. Man kann sich Diamanten besorgen, um sie als materielle ›Ausdrucksform‹ ökonomischen Kapitals zu verwenden. Dazu muss man sie nicht einmal sonderlich ästhetisch finden – ihr ökonomischer Wert ist, weil ›objektiviert‹, d. h.: weil eben auf Basis einer stabilen sozialen Konstruktion stehend, unberührt von subjektiven Sichtweisen. Man kann einen Diamanten wegwerfen, dadurch aber verliert nicht der Stein an Wert, sondern der, der sich von ihm trennt. Nun sind aber Asche- bzw. Erinnerungsdiamanten von einem ganz anderen Wert ›beseelt‹, der sie in eine völlig andere Kategorie hebt. In der schon angesprochenen soziologischen Terminologie Bourdieus betrachtet, schiebt sich nun das »symbolische Kapital« vor das ökonomische. Dem Diamanten liegt ein höherer Wert inne, der geradezu übersinnliche Bereiche tangiert. Weniger das, was man an ihm ausmessen, abwiegen, generell berechnen kann, macht den zentralen Wert dieses Diamanten aus – sondern vielmehr das, was man ihm nicht ansieht; das, was nur einige wenige Eingeweihte wissen, markiert die fast schon geheime, jedenfalls von objektivistischen Ansprüchen abgetrennte, also tiefere Bedeutung des Schmuckstücks. Symbolisches Kapital bedeutet in dem vorliegenden Zusammenhang, dass der Diamant – entstanden aus der beinahe alchemistisch wirkenden Verwandlung von Körperbestandteilen in ein extrem stabiles, noch dazu ästhetischen Mustern sozusagen in Reinkultur entsprechendes Artefakt – mehr als das ist, was er vordergründig zu sein scheint. Allgemein gesprochen, kann symbolisches Kapital für vieles stehen. Es ist insbesondere eine Chiffre für Prestige und positive Reputation im Zusammenhang mit bestimmten Lebensstilen. Symbolisch ist beispielsweise die persönliche Aufwertung, die manche Menschen zu verspüren glauben, wenn sie einen teuren Sportwagen fahren (und andere dies registrieren), und das sogar unabhängig davon, ob dieser Wagen tatsächlich jemals die Höchstgeschwindigkeit ausfahren kann, die er technisch/theoretisch verspricht.
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Entscheidend ist die Kombination des spezifischen Individuums und des gesellschaftlichen Wertes von bestimmten Sportfahrzeugen. (Dieser Wert ist übrigens hochgradig milieuabhängig: Es gibt gesellschaftliche Felder, in denen Sportwagen überflüssig erscheinen, und solche, in denen sie ganz erheblich der Wertrepräsentation dienen; dies aber nicht im Sinne des nüchternen Gebrauchswertes, sondern allein hinsichtlich der symbolischen Komponente.) Es liegt ebenfalls dann symbolisches Kapital vor, wenn eine Frau sich bei der Partnersuche an traditionellen Mustern orientiert (einige würden vielleicht statt ›traditionell‹ eher ›überaltert‹ sagen) und als Partner unbedingt einen Mann wählen möchte, der körperlich größer ist als sie. Je größer die Frau, desto schwieriger diese Aufgabe. Man kann sich mit einem Partner, der größer ist als man selbst, natürlich ›nichts kaufen‹. Durch die so entstandene Diskrepanz wird aber das für einige Menschen wichtige Empfinden gestärkt, dass man optisch stabilen geschlechtlichen Mustern folgt. Die Frau ist dann nämlich kleiner als der Mann, was weder sie ›vermännlicht‹, noch den Partner ›verweiblicht‹.10 Als letztes Beispiel für symbolisches Kapital soll der Begriff ›Ehre‹ dienen. Für die meisten Menschen ist Ehre ein antiquiertes Konzept, das sich mehr nach mittelalterlichen Ritterspielen als nach dem gesellschaftlichen Leben in der Gegenwart anhört. In manchen Kulturen jedoch spielt Ehre auch heute noch 10 Bourdieu hat dem Hintergrund solcher Überlegungen ein ganzes Buch gewidmet; siehe Bourdieu 2005.
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eine erhebliche Rolle, wie in den extremen und sehr seltenen Erscheinungen des sogenannten ›Ehrenmordes‹ hin und wieder offenkundig wird (Yazgan 2011; Schiffauer 1984). Ehre ist dabei die von außen wahrgenommene Reputation einer Familie. Makel, die das ehrenhafte (Selbst-)Bild verletzen, wie etwa das Verhalten von (meist jüngeren) Familienmitgliedern, welche sich strikten innerfamiliären Reglementierungen nicht unterordnen, werden als massive Beschädigung des gesellschaftlichen Status quo der Familie gedeutet. Im Extremfall ist das Ehrverständnis größer als die Sorge vor strafrechtlichen Konsequenzen, die drohen, wenn eine Ehrverletzung – gleich welcher Art – auf dem Weg der Selbstjustiz wieder ›bereinigt‹ werden soll (Oberwittler/Kasselt 2011). Im Prinzip ist auch Ehre nichts anderes als ein wenig greifbarer, schwerlich in ökonomisches Kapital übertragbarer Wert, der aber in manchen Kreisen, ganz überwiegend kultur- und somit traditionsbedingt, schwerer wiegt als andere Wertkonzepte. Mit anderen Worten: Verlorene Ehre kann man in jenen Bereichen, in denen das Konzept noch etwas gilt, nicht mit Geldwerten aufwiegen, weil das symbolische Kapital größere Tiefe und größere soziale Verbindlichkeit aufweist als die unpersönliche Macht des Geldes. Es war, wie gesagt, Pierre Bourdieu, der die Unterscheidung von ökono mischem, symbolischem, ferner kulturellem und sozialem Kapital entwickelt hat, übrigens ursprünglich ausgehend von der Idee des sozialen Kapitals (der wichtigen Beziehungen und Vernetzungen, die die eigene gesellschaftliche Position definieren; vgl. Bourdieu/Wacquant 2006: 198). Das symbolische Kapital nimmt bereits bei Bourdieu eine Sonderstellung ein. Es ist nicht, wie ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital,11 konvertierbar, also nicht eintauschbar bzw. es steht nicht mit den anderen Kapitalformen im Gleichklang. Wer viel von dem einen Kapital hat, hat oft auch viel von dem anderen – und die Wertschätzungen für diese Kapitalformen sind überdies gewissermaßen synchron. Es passt zu Menschen mit viel ökonomischem Kapital, dass sie auch über recht viel kulturelles und soziales Kapital verfügen und umgekehrt. Wer hingegen wenig Kapital der einen Sorte besitzt, ist oft – gewiss aber nicht immer – auch mit wenig Kapital der anderen Ressourcen gesegnet. 11 Als kulturelles Kapitel zählen beispielsweise Zeugnisse, Hochschulabschlüsse und andere Zertifikate, aber auch Kunstwerke bzw. die Fähigkeit, eine seltene Sprache zu sprechen oder ein Instrument zu spielen. Entscheidend ist nicht der Sachbesitz – wie etwa ein Cello im Wohnzimmer oder chinesische Romane im Regal –, sondern die Kompetenz, diese kulturell wertbeladenen Gegenstände sachgerecht einzusetzen. Bewundert wird angesichts dieser Kompetenz zwischen den Zeilen die Bereitschaft, Zeit und Energie investiert zu haben in Fähigkeiten, die prinzipiell jeder lernen oder erwerben könnte, am Ende des Tages aber nicht jeder erlernt und nicht jeder erwirbt.
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Symbolisches Kapital ist von diesem Zusammenspiel losgelöst. Es mag zwar die dahinterstehenden Werte repräsentieren (wie eben bei dem teuren Sportwagen, bei Markenklamotten oder beispielsweise bei einem attraktiven Partner), ist aber selbst kein Werteträger. Es ist allenfalls – wie im Fall der Ehre – eine relativ eigenständige Dimension, die unabhängig von den anderen Kapitalformen existiert. (Schließlich: Wer sich selbst Ehrhaftigkeit zuspricht, braucht dafür weder ökonomisches noch kulturelles noch allzu umfangreiches soziales Kapital.) All dies steckt schon in der Begrifflichkeit. Das Symbolische ist jenseits der unmittelbaren Gebrauchswerte angesiedelt. Symbole sind Träger von Bedeutung, über die Mitglieder der Gesellschaft sich nicht ständig Rechenschaft ablegen. Das Symbol »stiftet Gemeinschaft ohne Kommunikation«, schreibt der Philosoph Karl Jaspers (zit. nach Schütz 1971: 400), weil es anstelle von Worten in der Geste und im Zeichen aufscheint und dennoch verstanden wird. Die Sachverhalte, um die es geht, wenn symbolische Elemente im Spiel sind, haben die mit diesen Symbolen verbundene Bedeutung nicht ›faktisch‹, sondern einzig und allein deshalb, weil die entsprechenden Bedeutungen kulturell verankert sind. Menschen benutzen sie aktiv, erkennen sie unmittelbar und geben sie an die kommenden Generationen weiter. Man könnte auch sagen: Symbolisch ist das, was für den Kreis der Eingeweihten Sinn macht. Für Bourdieu ist beispielsweise auch die Macht des Staates symbolisch. Sie sei geradezu »magisch«, weil sie überall präsent, aber doch unsichtbar ist (Bourdieu 1997: 83). Der Staat ist effizient, er ist aber auch ohne körperliche Wirkkraft – man kann nicht spüren, dass er überall da ist, wo auch wir sind. Symbolisches Kapital bedeutet im Lichte des Gesagten also auch, dass etwas da ist, was eigentlich nicht da ist – eine Wirkungsmacht, ein Effekt oder ein Bedeutungszusammenhang, welche(r) jenseits der materiellen Ausstattung der Welt angesiedelt ist. Damit zurück zum Aschediamanten, dessen symbolischer Wert nun vermutlich etwas einfacher zu fassen sein dürfte. Dass er eine verstorbene Person repräsentiert, insofern er – von seiner Entstehungsgeschichte her – diese Person (bzw. Anteile von ihr) tatsächlich ist, ist ihm nicht anzusehen. Man kann um diesen Hintergrund wissen und dieses Wissen verändert gewiss die Einschätzung des Schmuckstücks, aber man kann diesen Hintergrund nicht objektiv erfassen. Die Karat-Angabe und der Schliff, zwei der prominentesten Facetten von Diamanten, sind Indikatoren für seinen ökonomischen Gegenwert, nicht aber für die besondere Bedeutungsebene des Aschediamanten. Als Sache betrachtet, ist ein solcher Diamant also von ganz anderer Qualität denn als Symbol. Und doch ist seine symbolische Ebene untrennbar mit seiner Sachdimension ver-
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bunden. Wäre er nicht ein ›Erinnerungsdiamant‹, könnte er nicht als Symbol seine Gegenständlichkeit überstrahlen.
3.4 Leben im Nicht-Leben Die spezifische Zweiseitigkeit des Aschediamanten, das Ineinanderverschlungensein von Materialität und immaterieller Symbolik, macht im Kontext der zeitgenössischen Bestattungskultur seinen Reiz aus. Immerhin ist es möglich, und dies wird von vielen unserer Interviewpartner auch so gesehen, dass der Diamant in der persönlichen Bedeutungszuschreibung nicht lediglich das Symbol für den verstorbenen Partner darstellt, sondern sogar dieser Partner ›ist‹. Ein geliebter Mensch hat somit nämlich, nachdem sein Körper im Prozess der üblichen Bestattungsvorgänge unsichtbar geworden ist, wieder eine materielle Form erlangt. Er ist nun wieder adressierbar, weil gleichgesetzt mit dem Diamanten. (Tatsächlich gibt es Interviewpartner, die den Diamanten persönlich ansprechen.) Auch dieser Zusammenhang ist symbolisch zu verstehen, stellt er doch eine Abstammungslinie her zwischen Leib, Körper, Leiche, Asche und Diamant. Um dies nachzuvollziehen, ist der Übergang relevant, der passiert wird, wenn ein Mensch stirbt. Während gemeinhin der Tod als eine Art ›Gegenentwurf‹ zum Leben verstanden wird, erscheint es aus sozialwissenschaftlicher Sicht sinnvoller, ihn als einen Übergang – Michel Foucault (1973: 155) sagt: eine »vertikale und schmale Linie« – zu verstehen, die die eigentlichen Komplementärbereiche Leben und Nicht-Leben voneinander trennt (Benkel 2018a). Im lebendigen Zustand kann der Mensch, wie oben angesprochen, als Leib angesehen werden. Im Gegensatz zu einem Körper ist ein Leib mit einem Bewusstsein ausgestattet. Körper sind, im physikalischen Wortsinn, messbar und berührbar, sie haben Gewicht und Ausdehnung im Raum. Davon muss der menschliche Körper sich unterscheiden, wenn er mehr sein will als bloß die Summe der physikalischen Daten, die sich über ihn in Erfahrung bringen lassen. Dass er mehr ist, wird spätestens mit dem Lebensende klar – denn die Leiche ist, in vielen Fällen zumindest, hinsichtlich der Kerndaten (Gewicht, Größe usw.) zunächst mit den Körperdaten identisch, mit denen man die Person zu Lebzeiten gleichgesetzt hat (eine Ausnahme mag die Temperatur des Körpers sein). Dennoch ist alles ganz anders, denn der Körper regt sich nicht mehr, obwohl er sich in biochemischer Hinsicht weiterhin verändert; der Mensch, der mit diesem Körper identifiziert wurde, ist nicht mehr da, selbst wenn eben dieser, eben sein Körper, vor einem liegt.
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Explizit als Leib gedacht, lässt sich der lebendige Körper vom toten gut unterscheiden. Das Bewusstsein ist in dem einen Fall dauerhaft aktiv (selbst im Schlaf, denn dann träumen wir), während es in dem anderen Fall irreversibel verschwunden bzw. aufgelöst zu sein scheint. Dennoch werden Körper in der gegenwärtigen europäischen Bestattungskultur, bei allen subtilen Unterschieden zwischen Ländern und Sprachgemeinschaften, üblicherweise bestattet. Das Argument, dass es sich bei toten Körpern um überflüssig gewordene Hüllen handelt, die ihre ursprüngliche soziale Funktion (nämlich: ›Trägermedium‹ zu sein für Menschen) verloren haben, gilt höchstens bei beinharten Materialisten als stichhaltig (Preuß/Hönings/Spranger 2015). Die in der frühen Neuzeit gehegten Vorstellungen, dass der Mensch angesichts seines Körpers eine Art Maschine sei (La Mettrie 2007), die im Todesfall sozusagen irreparabel defekt ist, hat heute erst recht keine Anhänger mehr. Es ist offensichtlich, dass die Leiche nicht vollständig von der Person unterschieden werden kann, die sie bis vor einiger Zeit ›gewesen ist‹ – und dies, die erinnerte und oft auch noch sichtbare Ähnlichkeit mit dieser Person, sorgt dafür, dass die Leiche auch im Zugriff der Medizin (etwa im Obduktionskontext; Benkel 2018b) eine eigenwillige Behandlung erfährt. Sie ist hier weder Mensch noch Ding.
Wer tot ist, ist damit noch lange nicht gegangen. Die Leiche ist der materielle Beweis eines gelebten Lebens, denn Leben wird am Körper festgemacht. Da der tote Körper (und eben nicht mehr der Leib) trotz seines Totseins in den meisten (allerdings nicht in allen) Fällen erhalten bleibt, ist es
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notwendig, damit anders umzugehen als mit einem unbelebten Ding. Wie beschrieben, wird in Zentraleuropa seit langer Zeit der Weg der Unsichtbarmachung beschritten. Auch der Kremationsvorgang ist nur eine Variante davon: Er dient der ›Beseitigung‹ des toten Körpers durch seine Verwandlung in eine vollends körperfremde Form. Dort, wo der Körper fernab des menschlichen Zugriffs lokalisiert ist, ist das Stadium des Nicht-Lebens erreicht. Der Tod ist im Prinzip nur der augenblickkurze Übergang, der Leben und Nicht-Leben voneinander unterscheidbar macht. Darüber, wann genau dieser Augenblick sich ereignet, kann bekanntlich intensiv gestritten werden. Deshalb ist die Linie des Todes in der Abbildung auch keine gerade; abhängig von den Todesfeststellungsverfahren gestaltet sich der Übergang kulturspezifisch überaus unterschiedlich (Schlich/Wiesemann 2001). In der Abbildung ist dargestellt, dass schon zu Lebzeiten der sogenannte ›soziale Tod‹ erlitten werden kann (Sudnow 1973; Elias 1990). Damit ist gemeint, dass Menschen beispielsweise im Zuge schwerster Erkrankungen ans Krankenhausbett gefesselt sein können ohne realistische Chancen darauf, jemals wieder entlassen zu werden. Die Palliativstation oder auch das Hospiz werden somit zur lang gezogenen Lebensabschiedssituation (Goebel 2012). Wenn dann kein intaktes soziales Umfeld vorliegt, ist man zwar bio-medizinisch betrachtet noch lebendig, in sozialer Hinsicht aber bereits ›tot‹. Umgekehrt besteht die Möglichkeit des sozialen Weiterlebens, etwa mithilfe aufwändiger Inszenierungen sozialer Präsenz, die Angehörige über den Tod einer geliebten Person hinaus betreiben. Wer in Videos und Fotos on- und offline dauerhaft gegenwärtig ist, wer sich vielleicht sogar im Zuge neuester Internet-Technologien postmortal zu Wort meldet (Seibel 2018), ist zwar bio-medizinisch verstorben, aber auf der sozialen Ebene immer noch wirkmächtig. Das Internet ist der gegenwärtig interessanteste und aktivste Umschlagplatz für die Aufhebung konventioneller Lebens- und Nicht-Lebens-Zuweisungen. Von hier aus sind – in alle Richtungen, also bezüglich des Lebens und Nicht-Lebens ebenso wie mit Blick auf den sozialen Tod und auf das parasoziale Weiterleben postmortem12 – erhebliche Neuerungen zu erwarten, deren erste Vorboten schon am digitalen Horizont erscheinen (Benkel 2018c). Es spricht einiges dafür, dass auch der Aschediamant und verwandte Konzepte in diesen Bereich des sozialen Weiterlebens fallen. Der Glanz des Diamanten verrät nichts über seine technischen und materiellen Ursprünge, wenngleich 12 ›Parasozial‹ steht für eine unvollständige, weil einseitige, jedoch dem ersten Anschein und womöglich auch dem emotionalen Empfinden nach ›authentische‹ Interaktion bzw. Kommunikation. Beispiele sind verbale Adressierungen von Haustieren, Diskussionen mit Internet- Bots oder die Zwiesprache mit Verstorbenen am Grab.
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die Transformation, die er durchlaufen hat, sein entscheidendstes Merkmal ist. Neben die großen ›Statuspassagen‹ Geburt und Tod rücken im Laufe des menschlichen Lebens viele kleinere Übergänge, und mit der Umwandlung der Asche in ein Schmuckstück liegt eine Passage vor, die einen auch ›nach dem Leben‹ ergreift. Es handelt sich nicht um eine Verdinglichung der Person, wie Skeptiker befürchten oder wie diejenigen ins Feld führen könnten, die hier eine Kommerzialisierung von Leichen befürchten. Vielmehr werden die Unsichtbarmachung und damit auch der Materialitätsverlust, der einem verstorbenen Menschen widerfährt, durch den Diamanten auf prägnante Weise ausgeglichen. Der verloren gegangene Mensch, der verloren gegangene Leib ist nun wieder als Körper gegenwärtig und damit, wie ebenfalls schon angeschnitten, adressierbar, berührbar und aufbewahrenswert geworden. Mag es sich auch um eine materielle Sache handeln – es geht nicht um einen ›Artikel‹. Konsumassoziationen sind fehl am Platz, denn etwas anderes steht im Vordergrund: »Wir stellen eine Art Würde der Dinge her, indem wir sie nicht in Besitz, sondern in Obhut nehmen. Wir bieten ihnen eine Szene ihres Auftretens, in welcher sie das Vergangene uns zu vermitteln fähig werden.« (Böhme 2006: 364) Der glänzende Erinnerungskörper stellt dabei die wohl größtmögliche Antithese zum schreckensbehafteten Bild einer verwesenden Leiche dar – artifizielle Reinheit, die den Blick auf sich zieht, trifft auf ungeliebte Naturprozesse, die den Augen der modernen Gesellschaft entzogen sind. Die klassisch materialistische Vorstellung, dass nach dem Tod ›nichts mehr ist‹ (vgl. Benkel/Meitzler 2019: 234), wird vom Aschediamanten auf mehrdeutige Weise durchkreuzt. Hier bietet sich nämlich eine gewissermaßen übersinnliche Qualität als Vexierpunkt von Erinnerungen an den verstorbenen Menschen an, die selbst ohne jeden Zweifel materiell ist. Folglich tangiert der Diamant, wenn man es so sehen möchte, unmittelbar die religiöse Sphäre. In die Kulturgeschichte der »heiligen Dinge« fügt er sich gut ein, sofern man im Kriterienkatalog solche Kernbegriffe wie Erhabenheit, Übertragung, Überwältigung und ja, auch Fetischcharakter in Anschlag bringt (vgl. Thiel 2017: passim). Gerade der Fetischismus weist, entgegen seiner alltagssprachlichen Konnotation, die ihn für intime Obsessionen reklamiert, auf religionshistorische Entwicklungsstadien zurück, in denen Talismane, Amulette und dergleichen ihren Ursprung finden (Endres 2017; siehe ferner Apter/Pietz 1993). Mit diesem Hintergrund bietet er Latour eine Steilvorlage für das Wortspiel faitiche, welches die wechselseitige Abhängigkeit von Fakten und Glauben anzeigt (vgl. Latour 2000: 327 ff.; Voss 2006). Der Begriff könnte im vorliegenden Zusammenhang gewiss näher fruchtbar gemacht werden, aber das gilt auch schon für den Fetisch im Lichte seiner religiösen Bedeutung: Auguste Comte (2017: 173), im 19. Jahrhundert
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Begründer der soziologischen Wissenschaft, begreift ihn dezidiert als »eine materielle Individualität«. Gleichwohl kreist das Gedenkjuwel nicht um sich selbst, wie ein religiöser Fetisch es täte, der letztlich »nichts anderes als sich selbst« repräsentiere, woraus sich ergibt, dass er »Zeichen und Bezeichnetes in einem« ist (Kohl 2003: 28). Der Edelstein verweist woanders hin. Er kann als Resultat einer ›Transfiguration‹ nicht allein der Leiche, sondern – weitergedacht – der verstorbenen Person angesehen werden. In diesem Sinne wird er faktisch von vielen, die ihn bei sich tragen, auch genutzt. Die Person, die der Diamant symbolisiert, ist infolge dieser Umwandlung schließlich weder in eine Grabanlage eingesperrt, noch ist ihre Seele im Zuge des Todes in andere Sphären getaucht. Beides bleibt dank technologischer (oder vielleicht techgnostischer?; Davis 2015) Verfahren erhalten. Eine solche Lesart ist zumindest möglich, und allemal ist sie unter den Kunden der entsprechenden Dienstleister verbreitet, wie unser Interviewmaterial zeigt. Dieser Personenkreis schafft es offenkundig mühelos, die Gleichzeitigkeit von Leben und Sachlichkeit bzw. die Repräsentation des Menschlichen im Anorganischen mit ihren Erinnerungsjuwelen in Verbindung zu setzen. Kann man vielleicht sogar von transzendenter Materialität sprechen – oder von materieller Transzendenz? Von einem Rückfall auf eine ›tiefere‹ Existenzstufe, wie Plessners Rangfolge sie nahelegt, kann man hier nicht sprechen. Das Dingliche ist im Fall des Aschediamanten nicht unterhalb von Mensch, Tier und Pflanze anzusiedeln, sondern in einer eigenartigen Sonderkategorie, die von der Symbolkraft stärker lebt als von den nüchtern feststellbaren Eigenschaften des Juwels. Dies unterscheidet ihn von »Übergangsobjekten« der frühen Kindheit, die auf einer psychologischen Ebene als dinglicher »Ersatz für die geliebte Person« dienen (etwa Teddybären und Schmusedecken), die aber auch, anders als jene, widerstandslos jegliche Behandlung über sich ergehen lassen (Bosch 2014: 71; dazu klassisch Winnicott 1969). Das Aschejuwel weist als Sinnkriterium aus, dass seine Erfahrungsqualität es ebenso sehr Symbol wie Sache sein lässt. Seine »Gegebenheit« rückt es in die Reihe der »verdinglichten Ekstasen«, jener »Formen der Präsenz […], durch die ein Ding charakteristisch aus sich heraustritt« und die zugleich »Formen des Sich-Präsentierens« sind (Böhme 1995: 167 f.). Die reine diamantene Sachlichkeit steht also nicht so sehr im Vordergrund – und das Anorganische ist hier nicht (mehr) der Antagonismus des Organischen. Dies wird bei Latour (und einigen anderen Autoren) auf einer sozialtheoretischen Ebene deutlich. Projiziert man diese Theorie auf die Praxis, stellt sich der Aschediamant deutlich als ›hybrider Partner‹ jenes Menschen heraus, der ihn am Finger trägt oder sich um den Hals hängt; in diesem ›Netzwerk‹ kann
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er als materielle Erinnerungsreferenz operieren. Der Mensch bringt den Diamanten zum Handeln und der Diamant den Menschen. Zu diesem besonderen Kollektiv passt Latours Aussage »Es gibt keine In-formation, nur Trans-formation« (Latour 2007: 257). Das gemeinsame Tun von Mensch und Diamant ist das ›Erzeugen von Gedenken‹ anhand tatsächlicher Nähe zu Körperpartikeln jener Person, derer gedacht wird. Die Diamantbeauftragung könnte angesichts dieser Betrachtung ein praxisnaher Zwilling der trockenen Theorie sein, wenngleich diese ungleichen Geschwister unabhängig voneinander aufgewachsen sind und sich allenfalls dann annähern, wenn ein Text wie der vorliegende sie zusammendenkt. Wie herausfordernd die Fortexistenz der Kohlenstoffpartikel im Diamanten ist, zeigt sich übrigens nicht zuletzt daran, dass Modellkonstruktionen, die noch vor wenigen Jahren plausibel erschienen, im Lichte der jüngsten Entwicklungen überarbeitet werden müssen. Das gilt zum einen für sämtliche theoretischen Auseinandersetzungen mit der Bestattungskultur, ihren Praxisdimensionen und ihren technischen Abläufen (Spranger/Pasic/Kriebel 2014), zum anderen aber auch für wissenschaftliche Befunde. Um ein Beispiel herauszugreifen: Das Gesagte gilt auch für meine anderswo publizierte Überlegung, dass in der zeitgenössischen Bestattungskultur heutzutage von »zwei Körpern der Toten« gesprochen werden muss (vgl. Benkel 2017a: 296 ff.). Der Tod hat aus dem Leib nämlich nicht einen, sondern zwei Körper gemacht: Der biologische Körper wird aus der Gesellschaft durch die Hintertür verbannt (Abtransport, Verhüllung, es gibt kaum noch Aufbahrungen, dafür aber visuelle und haptische Distanz zur Leiche), derweil der Erinnerungskörper in Foto- und Videoaufzeichnungen weiterlebt. Dergestalt findet er sich z. B. am Grabstein, auf Webseiten, im Fotoalbum, auf dem familiären Laptop usw. wieder und wird üblicherweise bei künftigen Verweisen auf die verstorbene Person einbezogen. Gedenken verläuft nun einmal nicht über die Leiche, sondern über den lebendigen Körper – auch dann, wenn er nur noch bildhaft und somit rudimentär präsent ist. Wie passt nun der Diamant in diese Unterscheidung hinein? Er ist ein bisschen Biologie, aber nicht wirklich der erste Körper; und er ist ein Erinnerungskörper, aber doch weit entfernt vom Wiedererkennungswert, wie Fotografien ihn in sich tragen (im Kontext des Todes: Barthes 1989; Benkel/Meitzler 2016). Auch hier erzwingt der Aschediamant also eine Neuaufstellung, zumindest aber vertiefte Überlegungen – und das gereicht der Problematik nicht zum Nachteil.
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3.5 Gedanken zur Entfremdung Vielleicht ist das Verhältnis von menschlichem Leib und diamantenem Körper vergleichbar mit jener beinahe schon schizophrenen Beziehung, in der typischerweise Comichelden stehen. Neben ihrer ›Alltagsperson‹ gibt es, wie etwa von Superman bekannt, die heldenhafte Geheimidentität, in deren Maskierung die Welt regelmäßig gerettet wird (Morrison 2013). In Momenten der Gefahrlosigkeit ist Clark Kent ein unauffälliger, etwas schüchterner Reporter; im Fall drohenden Unheils verwandelt er sich in Superman – kaum mehr ein bloßer Mensch, sondern ein Wesen, das bewundernd ›der Stählerne‹ genannt wird. Er ist nun ein übermenschliches Wesen, nahezu unverletzlich, unvergänglich, wie ein Diamant. Zu tun hat man es mit zwei Varianten funkelnden Glanzes: In der Mythenwelt von Superman ist es die Sonnenenergie, die ihm die Möglichkeit der Verwandlung gibt. Bei Aschediamanten, deren Schliff ihnen extreme Reflexionskraft verleiht, welche im Sonnenlicht ebenfalls am wirkungsvollsten ist, kommt die Kraft der Symbolik noch hinzu. Bei all dem hängt die ›Substanz‹ des Diamanten aber entscheidend ab von seiner Funktion.13 Was hinsichtlich der Juwelenherstellung aus Aschenkohlenstoff in Techniklaboren geschieht, kann naturwissenschaftlich bis in den kleinsten detaillierten Ablaufschritt hinein nachvollzogen werden. Während der Feldphase vor Ort wurden wir, die Autoren dieses Buches, Zeugen der verschiedenen Stationen zwischen Asche und Schmuckstück – und uns wurden, wie auch all jenen Kunden, die daran interessiert sind, die Apparate, ihre Funktionen und ihre Leistungen erläutert. Trotzdem: Es bleibt Maschinenzauber. Laien verstehen nur ansatzweise, worum es im Detail geht, ganz gleich, wie präzise die Erklärung ausfällt. Die Aufregung, die ungewohnte Atmosphäre, der gesamte ›Charakter‹ der Situation – das lässt die Fakten im inneren Auge verschwimmen bzw. es vermischen sich chemische und physikalische Fakten mit Wünschen und Erwartungen, die alles andere als naturwissenschaftlich fassbar sind. Dass der Stoff X dieses und jenes auslöst, sodass dann Y geschieht, was überleitet zu Z – das muss der Laie glauben. ›Erkennen‹ lässt es sich anhand der Führungen und gewährten Einblicke nicht. Die Transformation zum Diamanten ist – wie in der Natur auch – nicht sicht- und kaum begreifbar. Seine Entstehungsgeschichte erzählt er nicht mit. Man könnte, mit Adorno (1986: 82), fast schon von der 13 In einem klassischen Werk, das dem Verhältnis von Substanz und Funktion – bei ganz anderer Akzentuierung – prominent Raum gewährt, heißt es: »Daß wir die Dinge niemals in dem, was sie für sich allein sind, sondern nur in ihren wechselseitigen Verhältnissen kennen: daß wir nur die Relationen der Beharrung und Veränderung an ihnen festzustellen vermögen, ergibt sich hieraus von selbst.« (Cassirer 1980: 406)
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»Verdeckung der Produktion durch die Erscheinung des Produkts« sprechen. Ein wenig spiegelt sich darin der Geheimnischarakter, der bereits die Kremation umgibt. Man weiß halbwegs, was geschieht, wenn ein Sarg in den Muffelofen einfährt, aber man fühlt es nicht. Die Hände sind nicht im Feuer. Sie haben die Person, um die es geht, zu deren Lebenszeit oft berührt; die Leiche berührten sie vermutlich nur wenig, wenn überhaupt. Der Oxidationsvorgang ist unendlich abstrakt gegenüber alltäglichen Erfahrungen mit Technik und mit Wärme. Und sein Endprodukt, die Asche, ist für Hinterbliebene im selben Moment nah und fern. Man weiß, wer das (gewesen) ist, aber man spürt es nicht. Die Diamantproduktion setzt diesen Prozess fort. Somit könnte der Verdacht aufkeimen, dass die Herstellung das (vielleicht nur vorläufige, wer weiß?) Produkt eines Entfremdungszusammenhangs ist, der im Todesmoment seinen Ausgang nimmt. Wenn die Gespräche mit Menschen, die sich für den Diamanten entschieden haben, eines gezeigt haben, dann dies: Nicht das Schmuckstück aus dem Labor – entstanden unter naturnachahmenden Methoden, die sich von der Natur im Ergebnis kaum mehr unterscheiden lassen – sorgt für Entfremdung, sondern die Bestattungsregularien, die Angehörige dazu bringen, manchmal unter geradezu klandestinen Bedingungen in die Nähe eines materiellen Souvenirs ihrer Verstorbenen zu gelangen. Die Entfremdung ist nicht der Effekt, sondern der Auslöser des Wunsches, alternativ zu trauern und sich anders zu verhalten, als traditionelle Modelle es verlangen. In einigen Staaten ist dies bereits registriert und auch gesetzlich berücksichtigt worden, Deutschland jedoch hinkt hinterher. Zugespitzt formuliert: Der »Sex-Appeal des Anorganischen« (Perniola 1999) ist bezogen auf den Aschediamanten noch nicht universell anerkannt. Generell ist der folglich vereinzelt auftretende und vereinzelt propagierte Wunsch nach der besonderen, der eigenwilligen, der persönlich tröstenden Alternative das Ergebnis der gesellschaftlichen Individualisierung (dazu ausführlich Benkel/Meitzler 2013; Benkel 2015; Meitzler 2016; Benkel 2017c). Und dieser Wunsch drängt zur Umsetzung, die – man mag es bedauern oder begrüßen – langfristig nicht aufzuhalten ist. Es sind keinesfalls psychologische Ausnahmezustände, die Menschen die Idee von Aschediamanten schmackhaft machen. Es sind gesellschaftliche Zustände, die von einigen früher und interessierter wahrgenommen werden als von anderen; die aber jedenfalls über die subjektive Disposition hinausgehen, indem sie die Individualität der Menschen ansprechen. Entfremdung hingegen liegt vor, wenn sich eigene Gedanken und faktische Handlungsmöglichkeiten nicht im Repertoire der erlaubten Praxen widerspiegeln und wenn emotionale Motive durch strukturelle Zwänge auch dort unterbunden werden, wo kein Schaden feststellbar ist. Entfremdung ist also der Fall, wenn die Spielregeln denen, die das Spiel spielen, nicht mehr einleuchten,
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weil es längst Wege und Optionen gibt, sich anders aufzustellen, um das Spiel mit besseren Resultaten zu spielen. Der moralische Einwand, dass man manche Personen von freien Entscheidungen bewahren muss, weil Freiheit gefährlich sein kann und sie gegebenenfalls nicht abzuschätzen vermögen, in welche Lage sie sich manövrieren, ist in diesem thematischen Dickicht spürbar. So zu argumentieren, bedeutet, an einem Weltbild festzuhalten, das von der kollektiven Verbindlichkeit weitaus stärker geprägt war und ist als von der Macht der autonomen Überzeugung – und dieses Weltbild löst sich im Zusammenhang mit Trauer schneller auf als die Leiche im ungewollten Reihengrab. In Wahrheit gilt das Gegenteil. Nichts ist weniger Entfremdung als das Gefühl von Menschen, an der Schnittstelle von Leben und Tod eine Entscheidung getroffen zu haben, die den Lebenden ebenso dient wie den Toten.
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Brigitte Perschbach1 ist zum Interviewzeitpunkt 68 Jahre alt, lebt in Norddeutschland und arbeitet ehrenamtlich in der Erwachsenenbildung. Sie wurde evangelisch getauft, ist »sehr fest im Glauben gewesen«, vor einigen Jahren jedoch trat sie gemeinsam mit ihrem Ehemann aus der Kirche aus. Letzteres verbindet sie nicht etwa mit einer Abkehr vom Glauben, vielmehr resultiere die Entscheidung aus einer anhaltenden Unzufriedenheit mit den monetären Aspekten der Kirchenmitgliedschaft.
4.1 Erfahrungen mit Trauer und Friedhof In ihrem bisherigen Leben kam Frau Perschbach auf unterschiedliche Weise mit Sterben, Tod und Trauer in Berührung. So bezeugte sie in früher Kindheit völlig unvorbereitet, wie die Leiche eines etwa gleichaltrigen Mädchens auf der Straße öffentlich aufgebahrt wurde. Mit Rückblick auf dieses für sie sehr prägende Ereignis (»das ist ganz grausam für mich gewesen«) hätte sie sich einen offeneren Umgang der Erwachsenen hinsichtlich der Thematik gewünscht. Dass sie, von dieser traumatischen Episode abgesehen, als Kind »von dem Ganzen« abgeschirmt und nicht in entsprechende Vorgänge involviert wurde, empfindet sie als hochgradig problematisch. Schließlich sei es »für die Kinderseele« besser gewesen, »man hätte den ganzen Ritualkram mitgemacht«. Ähnlich verhielt es sich, als die Großmutter starb: »Ich wurde quasi ferngehalten, ich durfte nichts sehen, gar nichts, also … Wenn sie mich dazu gelassen hätten und mich 1 Aus forschungsethischen Gründen sind der Name sowie sämtliche Daten, die nähere Rückschlüsse auf die Identität der Person erlauben würden, verfremdet worden. Das Telefoninterview wurde am 5. Februar 2019 geführt und dauerte 88 Minuten.
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mit eingebunden in dieses ganze Prozedere, wäre es mir, glaube ich, auf Dauer besser gegangen.« Sie berichtet außerdem vom Tod ihres Großvaters, dessen Leichnam sie immerhin noch einmal zu Gesicht bekam, sowie von ihrem Vater, der vor etwas mehr als dreißig Jahren an einem Herzinfarkt verstarb. Der Weg zur Kapelle, in der er aufgebahrt war, führte sie über einen Friedhof, dessen Atmosphäre sie als »mystisch« und geradezu »unheimlich« erlebte. »Und das war für mich der schrecklichste Weg überhaupt, in diese Kapelle reinzugehen und meinen Vater dann beizusetzen, ne? Und da ging mir das im Kopf rum, ›Das will ich nicht mehr erleben.‹« Diese unliebsame Erfahrung sollte ihre künftige Einstellung zum Friedhof nachhaltig beeinflussen und sie letztlich auch zu der Auffassung führen, dass sie weder diesen noch irgendeinen anderen festen Ort der Trauer und Erinnerung benötigt.
4.2 Entscheidung für den Aschediamant Vor vier Jahren ist Frau Perschbachs Mann im Alter von 64 Jahren infolge von Hirnblutungen gestorben. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie bereits seit Längerem, dass es neben den klassischen Beisetzungsformen mittlerweile alternative Wege gibt – z. B. die Möglichkeit, Diamanten aus Totenasche pressen zu lassen. Von Beginn an fand sie den Gedanken reizvoll (»eine sehr schöne Möglichkeit, den Menschen noch bei sich zu haben«) und sprach sogleich mit ihrem Mann darüber (»das war für ihn okay«). Eine traditionelle Bestattung auf dem Friedhof wäre weder für ihn noch für sie eine Option gewesen. Auf dem Nachhauseweg vom Krankenhaus, in dem Herr Perschbach verstarb, kam sie mit einer Freundin noch einmal an einem Friedhof vorbei. Der Besuch dieses Ortes bestärkte sie in ihrer bereits getroffenen Entscheidung über die Körperzukunft des Gatten: »Mein Entschluss stand fest, mein Mann wird ein Diamant.« Noch am selben Tag begab sie sich auf die Suche nach einem für diese Angelegenheit geeigneten Bestatter – und wurde schnell fündig: »Ich bin um zwei Uhr aus der Klinik gekommen, um 17 Uhr stand alles.« Auch diverse Feinheiten der Trauerfeier waren binnen weniger Stunden abgesprochen. Wunschgemäß wurde die Asche nach der Kremation in die Schweiz gebracht, um in der dortigen Produktionsstätte zu einem Diamanten verarbeitet zu werden. An ihrem Geburtstag war Frau Perschbach vor Ort, um ihren »Mann zu besuchen«. In dieser nicht zufällig gewählten Formulierung deutet sich bereits ein zentrales Motiv an, das auch den weiteren Umgang mit dem Erinnerungsartefakt bestimmen wird: Offenkundig ist das Aschejuwel für sie mehr als bloß
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unbelebte Materie und mehr als die symbolische Repräsentanz eines zu Ende gelebten Lebens. Kurz vor Heiligabend besuchte Frau Perschbach die Schweizer Firma erneut – diesmal, um den fertigen Diamanten abzuholen. Für diesen Anlass kaufte sie sich eine neue Handtasche, »damit er gut nach Hause kommt«. Den Moment, als sie den Edelstein in der obligatorischen schwarzen Schatulle überreicht bekam und ihn zum ersten Mal in ihren Händen halten konnte, ist ihr in besonderer Erinnerung geblieben, »weil ich habe ihn wieder bei mir«. Der Gedanke des Wieder-bei-sich-Habens des Verstorbenen im Zuge der Diamantaushändigung findet sich nicht nur in diesem, sondern in den meisten unserer Interviews. Wie wir selbst als stille Beobachter vor Ort erleben durften, handelt es sich bei der Übergabe um eine Situation, die durch ihre Symbolkraft und oftmals große Emotionalität die ansonsten eher nüchterne ökonomische Logik von Kaufen und Verkaufen weit übersteigt. Aus Sicht der meisten Betroffenen wechselt hier nicht lediglich ein Gegenstand seinen Besitzer; vielmehr wird dieses Geschehen als eine Art ›postmortale Wiedervereinigung‹ zweier oder mehrerer Personen unter spezifischen Vorzeichen gedeutet. Jemand, der temporär weg war, ist jetzt wieder da – wenngleich in veränderter Form.
4.3 Doppelte Körpernähe Zurück in Deutschland ließ sich Frau Perschbach den Diamanten von einem befreundeten Juwelier in eine Halskette einfassen. Die Fassung wiederum entstand aus zusammengeschmolzenen Schmuckstücken, die ihr andere Hinterbliebene während der Trauerfeier (anstelle von Blumen) übergaben. Seither trägt sie die Kette ganz eng am Körper – so eng sogar, dass sie »gar nicht abgemacht werden« kann. Vor diesem Hintergrund lässt sich Körpernähe in einem doppelten Sinne verstehen: Nah ist das Artefakt dem eigenen Körper, weil es an entsprechender Position getragen wird, aber auch dem anderen Körper – nämlich dem des Verstorbenen, aus dessen ›Materie‹ es letztlich entstanden ist. Der Umstand, dass Frau Perschbach nun etwas hat, das sie an ihren Mann nicht nur erinnert, sondern ihr auch einen Raum für weiterführende Projektionen eröffnet, spielt für sie eine entscheidende Rolle. Indem sie ihn dicht am Körper trägt, ist der kristallgewordene Gatte überall dort, wo auch sie sich gerade befindet (»und der ist so gefasst worden, dass er genau wie ich gucke, das gleiche Blickfeld hat«). Auf diese Weise kann er an sämtlichen ihrer alltäglichen und weniger alltäglichen Erlebnisse teilhaben. »Wenn ich was Beson deres mache, dann hole ich ihn raus und sage, ›Du guckst dir das mit an, ne?‹
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Und dann geht er mit mir durch die Stadt und guckt. Also, ich bin auch im Museum […] und sage, ›Guck mal, wir haben heute eine schöne Ausstellung‹.« Aus Frau Perschbachs Äußerungen geht nicht nur hervor, dass sie hin und wieder mit dem Diamanten spricht – hierbei handelt es sich mit Blick auf unser Interviewmaterial um kein allzu seltenes Phänomen –, sondern auch, dass sie den Edelstein in ihrer Vorstellungswelt zu einem sozialen Wesen beseelt, das zu eigenständigen Sinneswahrnehmungen in der Lage ist. Und mehr noch: »Wenn ich was einkaufen gehe und ich fühle mich nicht ganz sicher, dann darf er halt auch mitgucken und eine Entscheidung treffen.« Im scharfen Kontrast zu all dem steht die konventionelle Sargbestattung, bei der ein toter Körper, wie Frau Perschbach es formuliert, »in die kalte Erde« gegeben wird. Kälte kann hier durchaus mehrdeutig gelesen werden. Im zwischenmenschlichen Zusammenleben wird von der Temperaturmetapher nur allzu gern Gebrauch gemacht, wenn es darum geht, eine bestimmte Person bzw. das soziale Verhältnis, das man zu ihr hegt, zu charakterisieren. In solchen Kontexten ist Wärme häufig positiv (Empathie, Zugänglichkeit, Geborgenheit, Fürsorglichkeit usw.), Kälte hingegen negativ konnotiert (z. B. Distanziertheit, Teilnahmslosigkeit, Emotionslosigkeit). Auch in vorangegangenen Gesprächen, die wir im Rahmen unserer Forschungen mit Trauernden geführt haben, wurde hin und wieder die Kälte des Friedhofs bzw. der Grabstätte beklagt. Es dürften dabei weniger die objektiv messbaren Temperaturen im Vordergrund stehen als viel-
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mehr die subjektiv empfundene Atmosphäre, die sich vor den Augen des Friedhofsbesuchers entfaltet. Bringt man dies mit den zurückliegenden Erfahrungen von Frau Perschbach zusammen, so wird ersichtlich, dass sie mit dem Aschediamanten eine Möglichkeit für einen alternativen Umgang gefunden hat, der sowohl die geografische als auch die soziale Distanz überbrückt, welche der Friedhof für sie andernfalls erzeugen würde. Statt ihren Mann der kalten Erde des Totenackers überantworten zu müssen, kann sie ihn fortan bei sich tragen – das Schmuckstück vermittelt eine Noch-Präsenz bzw. eine Wieder-Präsenz und löst in seiner Trägerin ein Gefühl der Geborgenheit aus. (»Er beschützt mich noch«, lautet ihre Interpretation.) Das macht den schmerzlichen Verlust erträglicher und sorgt dafür, dass es der Trauernden besser geht. Aus diesem Grund fällt es ihr schwer, den Diamanten mit einem Grab und dessen Entstehung mit einer Bestattung zu vergleichen; vielmehr unterstreicht sie immer wieder seine eigene Qualität, die ihn in seiner Handhabung von allen herkömmlichen Sepulkralformen deutlich abhebt. Die Interviewpartnerin hat sich bewusst dagegen entschieden, den nach der Diamantierung zurückgebliebenen Ascherest auf dem heimischen Friedhof beisetzen zu lassen. Das wäre zwar prinzipiell möglich gewesen und wird – wie unsere Daten nahelegen – mithin auch getan; im vorliegenden Fall wäre ein Grab auf dem Friedhof indes ohne erkennbaren Mehrwert gewesen (»das war überhaupt nicht meins«). Das im Zusammenhang mit der privaten Ascheverwahrung bzw. dem expliziten Verzicht auf ein Friedhofsgrab nicht selten thematisierte Problem, wonach auf diesem Wege allen anderen Angehörigen ein öffentlich frei zugänglicher Ort der Trauer und des Gedenkens verwehrt bliebe, stellt sich für Frau Perschbach offenbar nicht, da aus der Familie ihres Mannes niemand mehr am Leben sei, der solche Ansprüche stellen könnte. Die übrig gebliebene Asche ist auf dem firmeneigenen Friedhof in der Schweiz beigesetzt worden, der sich in größerer Entfernung zum Hauptstandort des Diamantherstellers befindet. Für ihr bisheriges Trauer- und Erinnerungsmanagement hatte diese Stätte allerdings keinerlei Bedeutung. Weder verspürte Frau Perschbach den Drang, sie persönlich aufzusuchen, noch kann sie sich zum Zeitpunkt des Interviews vorstellen, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern könnte. In Anbetracht des bisher Gesagten erscheint diese Haltung plausibel, denn weshalb sollte sie ihren Verstorbenen an einem fernen, unbekannten Ort suchen, wo sie den materiellen Anker ihrer Trauer, Erinnerung und Kommunikation schon längst gefunden hat? »Ich habe ihn doch immer dabei«, bekräftigt sie.
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4.4 Das Artefakt als Kommunikationsgegenstand Der Diamant ist für Frau Perschbach keine geheimnisvolle Privatangelegenheit, da sie, wie bereits angedeutet, die Kette auch in der Öffentlichkeit trägt – bisweilen für jedermann sichtbar, wenn auch nicht ohne Weiteres als humanoides Erinnerungsartefakt identifizierbar. Dass es sich dabei nicht um ein gewöhnliches Schmuckstück handelt, erzählt sie manchmal auch Personen, die sie auf das Juwel ansprechen. Bei aller Überraschung, die die Preisgabe der näheren Entstehungsbedingungen für gewöhnlich auslöst, erfuhr Frau Perschbach bisher in erster Linie positive Resonanz. Die meisten Menschen aus dem sozialen Umfeld können ihre Entscheidung nachvollziehen. Einige von ihnen finden sich darin auch selbst wieder, wenn sie ihr gegenüber einräumen: »Hätte ich gewusst, dass es diese Möglichkeit gibt, hätte ich es auch gemacht. Ich kann auch nicht zum Friedhof gehen.« Andere sind hingegen eher skeptisch: »Nein, das könnte ich nicht, ich darf doch nicht auffallen in der Gemeinschaft.« Die hierin zum Ausdruck gebrachte Befürchtung sozialer Sanktionen aufgrund der Übertretung traditioneller Verhaltensnormen wird von Frau Perschbach scharf kritisiert. Im Einklang mit dem sich zunehmend ausbreitenden Wunsch nach einer »Autonomie der Trauer« (Benkel/Meitzler/Preuß 2019) stehen für sie nicht Konventionen und Normalitätserwartungen im Mittelpunkt, sondern die damit nicht zwingend korrelierenden individuellen Bedürfnisse der Trauernden. Der Gedanke an eine Diamantpressung kam ein weiteres Mal auf, als die Mutter von Frau Perschbach im Sterben lag. In diesem Fall hätte sie gleich zwei Edelsteine in Auftrag gegeben – einen für ihren Bruder und den anderen für sich selbst. Letztlich war es jedoch die sterbende Mutter, die dieses Anliegen mit dem gut gemeinten Rat zu parieren wusste, das hierfür benötigte Geld doch besser einzusparen. So entschied man sich stattdessen für ein Baumgrab auf einem Parkfriedhof. Ihrer Friedhofsaversion zum Trotz war dieser Weg für Frau Perschbach akzeptabel, weil der mütterliche Wunsch von höherem Gewicht war als die eigenen Ansichten und Absichten. In der gewählten Beisetzungsvariante sieht sie außerdem den Vorzug, dass sie von der Pflicht einer regelmäßigen Instandhaltung der Ruhestätte entbunden ist. Knapp zwei Jahre, nachdem ihre Mutter gestorben ist, besucht sie das Grab weiterhin in unregelmäßigen Abständen, ohne darin einen Trauerort zu erkennen oder sich der Verstorbenen näher zu fühlen als anderswo. »Ich kann von mir zu Hause aus näher an ihr sein, als wenn ich da stehe. […] Ich weiß, dass die Urne da beigesetzt ist, aber ich würde da nie hingehen und trauern.«
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4.5 Postmortale Symbiose Der Großteil der Angehörigen, die uns an ihren Erfahrungen teilhaben ließen, verbindet mit dem Aschediamanten mehr als bloß eine abstrakte Referenz auf den Verstorbenen. Doch in kaum einem anderen Interview tritt die Dingbeseelung des kristallinen Artefakts so überdeutlich in Erscheinung wie im vorliegenden Fall. Wenn Frau Perschbach vom Diamanten spricht, dann ist nicht von einem unbelebten Gegenstand die Rede, sondern von »meinem Mann«. Dies bekräftigt sie u. a. mit einer bemerkenswerten Analogie, bei der die Färbung des Edelsteins als Signal fungiert: »An manchen Tagen ist er schön hell, an manchen Tagen ist er etwas dunkler, also das ist auch so merkwürdig. Als ob er auch Stimmungswandlungen hat.« Als materielle Verkörperung ihres Mannes erhöht der Diamant zugleich dessen wahrgenommene soziale Präsenz. Je näher Frau Perschbach das Schmuckstück bei sich trägt, desto intensiver spürt sie die Gegenwart ihres Ehemannes. Diese alltägliche Erfahrung spendet ihr so sehr Trost, dass Trauer schon fast zur obsoleten Kategorie wird: »Ich brauche nicht zu trauern um ihn, ich habe ihn ja wieder hier bei mir, in einer anderen Form.« Weil der Diamant da ist, ist auch der Verstorbene (wieder) da – und wer da ist, so könnte man schlussfolgern, dessen Verlust braucht man nicht zu betrauern. Die Trageposition der Kette transportiert nicht nur eine gewisse Doppeldeutigkeit – jemanden am Hals haben, der einem beinahe den Atem raubt –, zugleich kann sie als materielle Verwirklichung des Wunsches nach symbiotischer Verschmelzung gelesen werden (»er ist Bestandteil meines Körpers geworden«). Durch seine ›Inkorporierung‹ ist der Diamant somit nicht mehr nur ein Teil des Verstorbenen (materialistisch betrachtet: des extrahierten Kohlenstoffes seiner Asche), sondern er ist auch ein Teil seiner Trägerin. So gesehen, ist der Diamant weder ein ›Es‹ noch ein ›Er‹ – sondern ein ›Wir‹! Frau Perschbach betont: »Wir sind eine Einheit.« Indem es diese Einheit (wieder-)herstellt, fungiert das Artefakt gleichsam als Medium, als vermittelnde Instanz, die zwei Körper dauerhaft zueinander bringt. Offenbar verfolgt die Mathematik der Liebe ganz eigene Regeln, denn sie kennt weder Division (»man konnte uns nicht auseinanderdividieren«) noch Subtraktion (»… früher waren wir zwei Personen und eins, und jetzt ist es eine Person und wir sind auch eins«). »Wenn wir aufgetreten sind«, führt Frau Perschbach weiter aus, »sind wir als eine Person eigentlich aufgetreten. Obwohl wir zwei Körper waren.« Die emotionale Verbundenheit im Leben (»wir beide waren wie siamesische Zwillinge«) wird nach dem Tod nicht nur symbolisch aufrechterhalten, sondern – durch die Transformation eines lebendigen Lei-
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bes zu einem toten Körper, von einem toten Körper zu Kremationsasche, von Kremationsasche zu reinem Kohlenstoff, von reinem Kohlenstoff zu einem portablen Diamanten in einer Halskette – gewissermaßen auch physisch perfektioniert. War das partnerschaftliche Zusammenleben durch viele bald kleinere, bald größere temporäre Trennungen gekennzeichnet (und der Tod bedeutet letztlich die Trennung par excellence), wäre es nun allein an Frau Perschbach, zu entscheiden, wann eine Trennung stattfindet, wann sie das Schmuckstück also vielleicht doch einmal ablegen möchte. Jedoch: Das Motiv der Unzertrennlichkeit ist so stark, dass sie die Entscheidungsgewalt darüber buchstäblich selbst nicht mehr hat (»der ist so fest, ich kann die Kette nicht abmachen«); sie hat sich also autonom in die Situation gebracht, doch wieder entscheidungsfrei zu sein.
4.6 Conclusio Hinter der Beauftragung des Schweizer Unternehmens, aus der Totenasche ihres Mannes einen Diamanten zu pressen – ein Entschluss, den sie zu keinem Zeitpunkt bereute (»ich habe nie gezweifelt«) – steckt der Wunsch, es anders haben zu wollen. Die Abkehr vom Traditionellen setzte bereits bei der Wahl des Verbrennungssarges an, der kein gewöhnliches Fabrikat war, sondern »aus Schiffsplanken zusammengezimmert«. Frau Perschbach weist mehrmals im Interview darauf hin, in Sachen Bestattung und Trauer »etwas anders gestrickt« zu sein. Erfahrungen aus ihrer Kindheit, wo sie bei einschneidenden Ereignissen rund um das Lebensende außen vor blieb, über rituelle Ausgestaltungen nicht mitentscheiden durfte, sondern mehr oder minder vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, mögen dazu beigetragen haben. Jetzt ist es anders. Anders als früher erlebt Frau Perschbach Trauer als eine selbstbestimmte Angelegenheit, die nicht im Dienste eines öffentlichen Kollektivs, sondern entsprechend der persönlichen Bedürfnisse gestaltet wird. Der Diamant kann als Sinnbild für jene Autonomie und die Flucht aus der Konventionalität verstanden werden – wohl auch, weil es in Deutschland ansonsten nur sehr wenige Alternativen zum Friedhof gibt. Doch nicht allein das Es-anders-haben-Wollen, um anders sein zu können, erweist sich in der Rückschau als richtungsweisender Handlungsmotor, sondern die spezifische Qualität des Edelsteins, die ihm gewiss erst zugeschrieben werden muss, damit er seine Wirkung entfalten kann. Indem sie verschiedene Charakteristika des Vitalen und des Sozialen in das Artefakt hineinprojiziert und dieses in ihr eigenes Körperbild integriert, gelingt es Frau Perschbach, eine Brücke zu ihrem verstorbenen Ehemann zu bauen. Somit kann überwunden werden, was das herkömmliche Grab prinzipiell forciert: eine körperliche und
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räumliche Trennung zwischen Trauernden und Verstorbenen. Letzterer ist abwesend in leiblicher, auf Kommunikationsofferten reagierender Form – und gleichzeitig ist er in materieller Form wieder präsent. Materialität kann sich verwandeln (eben vom fleischlichen vitalen Körper zum Diamanten), ohne dass Präsenz verloren geht. Damit gleicht, wollte man den Gedanken zuspitzen, die Überbringung des Diamanten der Überbringung einer frohen Botschaft: Der Tod ist nicht das Ende.
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Ein Diamant ist etwas Besonderes. Er ist nicht nur ein Zufallsprodukt der Erdgeschichte, sondern auch das härteste Kristall, das in der Natur vorkommt und im geschliffenen Zustand an Strahlkraft und Eleganz seinesgleichen sucht. Rohdiamanten werden von Edelsteinschleifern in die Form gebracht, die man mit ihm verbindet. Erst der Schliff macht das unscheinbare Mineral zum prestigeträchtigen Edelstein. Schon vor 600 Jahren wurden erste Diamanten geschliffen, aber erst 1910 entwickelte man den hochpräzisen Facettenschliff, der das ›Feuer‹ des Diamanten, seine faszinierende Lichtbrechung, optimal zur Geltung bringt: ein Juwel aus dem Geist der Mathematik. Diamanten sind eine Kreation aus dem absoluten Ebenmaß der exakt festgelegten Winkel- und Flächenverhältnisse. Dem einzigartigen Mixtum aus Form und Farbe, Material und Licht verdankt er auch seinen Namen: diamas – der Unbezwingbare.1 Das ist einer der Gründe, warum der Diamant zum Symbolstein für den 60. Hochzeitstag geworden ist. Eine Liebe, die 60 Jahre hält, ist einfach ›unbezwingbar‹.
5.1 Marilyn und Pink Floyd: der Mythos Als Marilyn Monroe 1953 im pinkfarbenen Kleid mit ihrem lasziv gehauchten »Diamonds are a girl’s best friend« das Filmset erotisierte, schuf sie einen Mythos, der bis heute seine ungebrochene Wirkung entfaltet. Der Erfolg der Musicalverfilmung Blondinen bevorzugt machte diese Songszene weltberühmt und 1
Diamant leitet sich ab aus diamas (spätlateinisch; Akkusativ: diamantem). Es handelt sich um eine latinisierende Abwandlung von adamas (griechisch für: unbezwingbar). Im klassischen Latein bezeichnete man mit adamas außerordentlich harte Materialien, wie etwa Plinius d. Ä. den Saphir in seinem Werk Naturalis Historia.
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den Refrain zur eingängigen Metapher.2 Der Text des Liedes umspielt das konsumistische Credo in ironischer Brechung: Wenn mit der Zeit die weibliche Attraktivität vergeht, dann ist die harte Währung in Form von Diamanten das, was einzig bleibt und wirklich zählt: A kiss may be grand, but it won’t pay the rental / So großartig ein Kuss auch sein kann, die Miete bezahlt er nicht. Wenn die Verehrer, die Gentlemen von einst, älter werden und zu ihren Gattinnen zurückkehren, dann bleibt der Verstoßenen doch immer noch der unvergängliche Wert der materiellen Liebesgaben von einst. Men grow cold as girls grow old / Männer werden kalt, sind erst die Mädchen alt. Kluge Frauen bauen darum vor und horten beizeiten die wahren Werte. Denn auch im Alter, mit steifem Rücken und steifen Knien, können die umschwärmten Girls von einst immer noch erhobenen Hauptes in teuren Kaufhäusern wie Tiffany’s einkaufen gehen. Allein schon deshalb sind Diamanten die besten Freunde eines Mädchens. Egal, ob quadratisch geschnitten (square-cut) oder birnenförmig (pear-shaped) – diese Klunker geraten nie außer Form: Diamonds are a girl’s best friend! Der durchaus provokative Duktus des Liedes im Mund der schillernden Marilyn-Ikone wurde in der Folgezeit von verschiedenen Künstlern und Bands gesampelt – ein sicheres Indiz dafür, dass hier Motive anklingen, die analog zu den diamantenen Preziosen die Zeit überdauern. Unter anderem sang Kylie Minogue 1995 das Lied und performte es 1999, als Monroe kostümiert, zur Eröffnung der australischen Filmstudios von 20th Century Fox. 1998 spielte Anna Nicole Smith den Song ein, 2004 trat sie, wie schon Kylie Minogue, als Monroe verkleidet in der Anti-Pelz-Kampagne von PETA mit der Persiflage auf: Gentlemen prefer fur-free blondes. Und schließlich sang Nicole Kidman 2001 in dem Film Moulin Rouge eine adaptierte Version unter dem Titel »Sparkling Diamonds«. Steht Marilyn Monroes Song eher für die materielle Faszination von Diamanten, die als Präsente an die Geliebte ihren unvergänglichen Wert bewahren, finden sich bei einer anderen popkulturellen Stilikone verstörend-gegenteilige Assoziationen. 1975 bringt die Gruppe Pink Floyd eine Songsuite auf den Markt, die dem vom Tod gekennzeichneten genialen Frontman und spirituellen Ideengeber Syd Barrett gewidmet ist: Shine on you crazy diamond (Text: Roger Waters; auf dem Album Wish you were here).3 Der einst so kreative Bandgründer musste 2 Den Song Diamonds are a girl’s best friend komponierte Jule Styne für das Broadway-Musical Gentlemen prefer blondes (Text: Leo Robin), das 1949 in New York uraufgeführt wurde. Vier Jahre später wurde es dann unter der Regie von Howard Hanks verfilmt. In den Hauptrollen Marilyn Monroe (als Lorelei) und Jane Russell (als Dorothy). Anders als das Musical, das die Goldenen Zwanziger Jahre spiegelt, spielt der Film in den 1950er-Jahren. 3 Zum Folgenden Broackes/Landreth Strong 2017 sowie Schmidt-Joos/Kampmann 2009.
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1968 Pink Floyd verlassen, da er seine zunehmend instabile Psyche, die sein ungezügelter Drogenkonsum beeinflusste, nicht mehr kontrollieren konnte. Der früher extrovertiert-fröhliche junge Mann beginnt zu halluzinieren und wirkt zunehmend depressiv. Er entgleitet seinen alten Freunden in eine ganz eigene psychedelische Welt. Die Bandmitglieder leiden schwer unter dem geistigen Zusammenbruch ihres Freundes und bringen in Liedern wie Wish you were here und Shine on you crazy diamond ihre Gefühle zum Ausdruck. Ausgerechnet bei den Aufnahmen zu letzterem Song findet sich Syd Barrett in den Londoner Abbey Road Studios ein. Sieben Jahre hatte er sich nicht sehen lassen, und nun erkannten ihn die früheren Bandmitglieder kaum wieder.4 Übergewichtig und deutlich gezeichnet vom Drogenkonsum war er nun ein anderer geworden. 2006 stirbt er 60-jährig an den Folgen einer Krebserkrankung. Shine on you crazy diamond war für Pink Floyd ein programmatischer Titel, was sich bereits an seinem Umfang zeigte. Zu Beginn der Aufnahmen sollte er eine komplette Seite der LP einnehmen. Er wurde dann aber als Suite in zwei Sinneinheiten geteilt, die den Anfang (Teile 1–5, Länge: 13:30) und das Ende (Teile 6–9, Länge: 12:22) des Albums umfassten. Gleich die ersten Textzeilen bringen das Anliegen metaphorisch auf den Punkt: Remember when you were young? You shone like the sun. Shine on, you crazy diamond. / Erinnerst du dich, als du noch jung warst? Du strahltest wie die Sonne. Strahle weiter, du verrückter Diamant. Der vom körperlichen und geistigen Verfall Gezeichnete wird an seine Anfangszeit erinnert, in der die Musik, dem Sonnenglanz gleich, nur so in ihm auffunkelte. Es ist diese wahrhaft diamantene Strahlkraft, die die Bandmitglieder aktuell vermissen: Come on you stranger, you legend, you martyr, and shine! / Komm, Du Fremder, Du Legende, Du Märtyrer und strahle! Der kristallin-ätherische Glanz des geschliffenen Diamanten wird hier zum Erinnerungsbild für das Leben ›davor‹, das Leben vor dem sozialen Tod des Syd Barrett. Wie die Bandmitglieder einst gebannt waren vom elementaren Glanz ihres Frontman, so sind sie nun schockiert von diesem Schatten seiner selbst, der sie anstarrt mit Augen like black holes in the sky / wie schwarze Löcher im Himmel. Als das Album 1975 auf den Markt kam, waren die Reaktionen der Kritiker zunächst eher verhalten, trotzdem wurde es in kurzer Zeit zu einem großen Verkaufserfolg. Es gilt heute mit Recht als ein Klassiker der Rockgeschichte. Der verzweifelte Appell an den einst so inspirierenden und jetzt moribunden Mitbegründer der legendären Band trug seinen Teil dazu bei. 4 In theologischer Perspektive ließe sich in dieser alltagsweltlichen Episode eine Parallele zur biblischen Perikope der Emmaus-Jünger (Lk 24) sehen: Die Jünger erkennen ihren Herrn nicht, als er sich ihnen plötzlich nach seiner Auferstehung zeigt.
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Die thematische Spannweite dieser beiden Songs markiert exemplarisch die semantischen Pole des Vorstellungszusammenhangs ›Diamant‹. In der kulturellen Wahrnehmung erscheint dieser Edelstein als Sinnbild für Werthaltigkeit, Ewigkeit, (femininen) Schmuck, Vergänglichkeit, Himmelsglanz. Ein Diamant ist auch und gerade in seiner Metaphorik etwas Besonderes. Sein Glanz changiert je nach Lichteinfall. Was der klassische Brillantschliff in den 57 Facetten mit gleißendem Glamour bannt, lässt seinen Kontext nur umso blasser und flüchtiger erscheinen. Was glänzt und funkelt, wirkt anziehend; man ergötzt sich an Teurem und Unerreichbarem, und man huldigt der perfekten Form. Das irisierende Spiel der Lichtreflexe erweckt den Eindruck einer Entmaterialisierung. »Kristall verkörpert die utopische Idee, zugleich lebendig und tot, subjektiv und objektiv, glanzvoll funkelnd und rationaler Gesetzmäßigkeit unterworfen, gleichermaßen rein körperlich wie rein geistig-ideal zu sein.« (Pauser 2009: 41) Die besondere Affinität von Glanz, Liebe und Erinnerung spiegelt sich in vielfachen Brechungen auch in der Sprache der Werbung. So ist auf der Startseite des Schweizer Diamantenhändlers Walter Muff (»fine diamonds«) folgende Lovestory bzw. »another brilliant story« zu lesen: »Vanessas großer Tag. Nie wird sie vergessen, wie er damals in die Knie ging. An dem Ort, wo sie sich früher zum ersten Male so richtig geküsst haben. Beide verstanden sofort und blieben eine Weile sprachlos. Den Solitär trug sie seither täglich. Ohne ihn hätte sich Vanessa fast nackt gefühlt. Für den 10. Hochzeitstag haben sie die Kinder der Babysitterin überlassen. Sie wollten wieder einmal zu zweit spazieren gehen. Als sie an diesem warmen Frühlingsabend auf dem großen Platz in der Stadt ankamen, kuschelte sich Vanessa wohlig an die Schulter von Sebastian. Sie drückte seine warme Hand, und beide fühlten sich einfach verbunden und glücklich. Mitten in der Menschenmenge vor dem plätschernden Brunnen bückte sich Sebastian und überreichte ihr ein kleines Schächtelchen. Diesmal fand er wenigstens ein paar wenige Worte: ›Will you marry me – again?‹ Als Vanessa den Aliancering mit dem funkelnden Diamanten an ihren feinen Finger steckte, entdeckte sie ihre Mutter in der Nähe. Daneben hatte sich ihr Vater hinter einer Zeitung versteckt. Nach und nach stießen ihre liebsten und besten Freunde dazu. Die Überraschung war voll geglückt.«5
5 http://www.fine-diamonds.ch/ueber-uns/tradition; Abruf am 1. Oktober 2019. – In der Werbung für Emporio Armanis Eau de Parfum Diamonds heißt es: »Diamonds vereint die Essenz vollkommener Weiblichkeit mit Glamour und Eleganz. Der Flakon in Form eines Diamanten enthält einen Duft, der die köstlichen Aromen von Litschi und Heidelbeere mit der Leidenschaft der Rose verbindet. Der Ausklang dieser Hommage an das Wesen einer Frau gibt sich
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In dieser hochgradig stilisierten Szene verdichten sich die konventionalisierten Lesarten des Diamanten wie in einem Brennglas. Er wird hier zum ultimativen Symbol eines unvergänglichen Liebesbeweises – ein Beweis, der seine Dauerhaftigkeit schon dadurch plausibilisiert, dass er stereotyp auf das Gefühl projiziert wird, das der Schenkende für die Beschenkte offenbar empfindet. Ein performativer Gestus, der wortlos besagt, was der Fall ist: eine erinnernde Vergegenwärtigung gegenseitiger Zuneigung, die die bleibende Verbindlichkeit verheißt. Die Unendlichkeit, die die Kreisform des Ringes symbolisiert, intensiviert die glänzende Ewigkeitsanmutung des Schmucksteins, der ihn ziert. Die Liebeserklärung, der das überraschende Geschenk Gestalt und Glaubwürdigkeit verleiht, wird zum Auftakt für die Inszenierung eines Traujubiläums. Es ist der 10. Hochzeitstag. In den Slogans des weltweiten »Ad’Age« (Cöster 1990) kommt die überbordende Metaphorik plakativ zum Ausdruck. So wirbt die Miederfirma Chantelle Satine 1981 mit dem Slogan »Schmückend wie ein Diamant, schmeichelnd wie ein Nerz: Satine von Chantelle«. Das Immobilienunternehmen Baier setzt 2013 auf »Kompetenz im Stein – stark mit Diamant«, und Belo preist sein Parkett 2010 mit dem Prädikat an: »Der Diamant unter Ihren Füßen«. Dieser und viele andere Werbesprüche machen deutlich, dass etwas von der überirdischen Performance des Edelsteins abstrahlen soll auf das Konsum- bzw. Industrieprodukt. Eine wohl kalkulierte Strategie der Überhöhung und Verklärung setzt eine Wirklichkeit des schönen Scheins und macht dabei Anleihen beim schier unermesslichen Bedeutungsüberschuss von Diamanten. Doch wie alle alltagskulturellen Stereotype führt der Diamant immer auch eine Dosis Verlogenheit mit sich. Denn zur diamantenen Verheißung gehört eben auch das, was auf seiner Rückseite gleichsam gleißend überblendet wird: das Dunkel, das Unperfekte, das Armselige, der Schatten. Es gehört zum Wesen eines Blendwerks, das Sehvermögen des Betrachters durch übergroße Helligkeit zu beeindrucken und dabei zugleich seinen Sehsinn gefangen zu nehmen. Geblendete sind eine gewisse Zeit ›blind‹ für anderes. Wenn ein Juwel wie der Diamant die Elemente Licht, Form, Farbe und Material in höchster Vollendung ästhetisch in sich vereint, dann schickt er seine Besitzer und Betrachter auf eine Gratwanderung zwischen Glamour und Camou flage, Glanz und Abglanz, Überfrachtung und Bedeutung, Sein und Schein.
sexy und warm mit einer Mélange aus Zedernholz und Amber.« https://www.douglas.de/ Sale-Giorgio-Armani-Emporio-Armani-Emporio-Diamonds_product_2010007118.html; Abruf am 1. Oktober 2019.
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»Vielleicht verbirgt sich in der allgegenwärtigen Engführung von Ewigkeit und Vergänglichkeit eine Art unbewusste Beschwörung, ein Bannzauber gegen die allerorts beklagte Flexibilisierung der Gesellschaft« – so deutet der Wiener Kulturwissenschaftler Vitus Weh (2009: 7) die Konjunktur des Kristallinen in der Gegenwartskultur. Damit ist der vielschichtige Verstehenshintergrund skizziert, auf dem die Erinnerungsjuwelen in Erscheinung treten und ›gelesen‹ werden. Doch was ist die materiale Basis dieser kulturellen Aura? Was sind und wie entstehen Diamanten?
5.2 Die Karrieren des Kohlenstoffs Ein Diamant ist etwas Besonderes. Er ist gewissermaßen ein erdgeschichtliches Kind der Vulkane. Diamanten entstehen im Erdmantel unter hohem Druck und hohen Temperaturen etwa 150 bis 200 Kilometer unter der Erdoberfläche. Sie bilden sich in fast allen Erdzeitaltern heraus, es gibt also Diamanten, die älter als 2–3 Milliarden Jahre sind, und daneben finden sich jüngere mit einem Alter von ›nur‹ einigen hundert Millionen Jahren. Wenn Vulkane bei einer Eruption Material aus dem Erdinneren an die Oberfläche befördern, dann kommen Diamanten aus der Tiefe innerhalb weniger Stunden auf die Welt. Bei dieser ›Geburt‹ herrschen Temperaturen um 1.500 Grad Celsius. Und dort, wo sie auftauchen, werden sie dann auch abgebaut: in den Schloten erloschener Vulkane. Man treibt den Tagebau zunächst senkrecht nach unten, danach müssen die Diamanten unter Tage gewonnen werden, indem man das Muttergestein zermahlt.
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Chemisch betrachtet, bestehen Diamanten aus reinem kristallisierten Kohlenstoff, sie sind mit einer Mohshärte6 von 10 das härteste bekannte Mineral.7 Schon das zweithärteste Mineral Korund (Rubin, Saphir) ist um den Faktor 140 weicher! Diamantenschleifer machen sich den Umstand zunutze, dass die Härte dieses Edelsteins auf seinen einzelnen Kristallflächen unterschiedlich ist. Nur darum kann man überhaupt Diamanten mit Diamanten schleifen. Diamanten kommen nicht besonders selten vor, auch wenn das dem Alltagswissen widerspricht. 2009 wurden weltweit 121 Mio. Karat gefördert, was immerhin einem Gewicht von etwa 24 Tonnen entspricht. Viele Edelsteine kommen sehr viel seltener vor, wie z. B. der rote Beryll, der Benitoit oder der Grandidierit. Dass aber kein anderer Edelstein so hohe Preise erzielt, so begehrt ist und für keinen so viel in die Erschließung neuer Lagerstätten investiert wird, hängt mit dem weltweit exklusiven Marketing zusammen. Das Diamantenangebot wird – wie auch die Ölförderung – künstlich reguliert. Große Syndikate, allen voran De Beers mit Sitz in Luxemburg, kontrollieren das Angebot. De Beers liefert nicht nur etwa ein Drittel aller Rohdiamanten weltweit, sondern in diesem Unternehmen wurde auch in den 1940er-Jahren erstmals der Werbeslogan kreiert, der auch heute noch unser Bewusstsein prägt: A diamond is forever / Ein Diamant ist unvergänglich. Der hohe Preis hängt also weniger mit seiner Seltenheit als mit effizienten Verknappungen und ausgeklügelten Werbestrategien zusammen (vgl. Lerch 2009: 26). Etwa die Hälfte aller Rohdiamanten weltweit stammt aus Afrika (Angola, Botswana, Südafrika, Kongo, Sierra Leone, Namibia). Die politische Instabilität in vielen dieser Regionen forciert allerdings auch den illegalen Abbau von Diamanten, um mit dem Erlös z. B. in Konfliktgebieten gewalttätige Auseinandersetzungen zu finanzieren. Diese Thematik ist auch der Hintergrund des Abenteuerthrillers »Blutdiamant« (Blood Diamond, USA 2006, Regie: Edward Zwick). Weitere große Förderländer sind Russland und Australien, kleinere Vorkommen gibt es in Brasilien, Kanada, Indien und China. 1905 wurde in Südafrika der mit 3.106 Karat bisher größte Rohdiamant gefunden. Cullinan, so seine Benennung, wurde allerdings in 105 Steine aufgespalten, von denen neun der größten Stücke Teil der britischen Kronjuwelen wurden. 6 Dieser Härtegrad verdankt seinen Namen dem deutsch-österreichischen Mineralogen Friedrich Mohs (1773–1839) und beruht auf dem Umstand, dass harte Stoffe weniger harte Stoffe abreiben können. Mohs rieb unterschiedliche Minerale gegeneinander und ordnete sie dann so nach ihrer Härte. Dadurch entstand eine Härteskala, die noch heute in der Mineralogie benutzt wird. 7 Zum Folgenden: Sauer 1902; Schwarz 2000; Helzberg 2005; Neukirchen 2012; Hochleitner 2019.
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Naturdiamanten decken allerdings den globalen Bedarf an diesem Mineral bei weitem nicht ab. Die Marktlücke von etwa 80 Prozent besetzen sogenannte Industriediamanten. Dem schwedischen Physiker Erik Lundblad gelang 1953 mithilfe des Hochdruck-Hochtemperatur-Verfahrens die Herstellung eines künstlichen Diamanten. Hierbei wird Graphit in einer hydraulischen Presse bei bis zu 60.000 Bar und über 1.500 Grad Celsius zusammengepresst. Unter diesen Bedingungen wandelt sich Graphit um in Diamant. Zum Vergleich: In 100 Meter Wassertiefe muss ein Taucher ›nur‹ knapp 100 Bar aushalten. Industriediamanten werden vor allem für den Werkzeugbau benötigt: für Schleifarbeiten, chirurgische Werkzeuge und Diamantbohrer in der Zahntechnik. Mit bloßem Auge lassen sich echte Diamanten kaum von Industriediamanten unterscheiden. Ob ein Diamant echt oder unecht ist, lässt sich nur mit einer Spektroskopie herausfinden. Laien wird hier oft der sogenannte ›Nebeltest‹ empfohlen: Haucht man einen Diamanten an, bleibt der synthetische Edelstein für einige Sekunden beschlagen. Wird jedoch der Stein sofort wieder klar, handelt es sich um einen echten Diamanten, denn natürliche Diamanten stoßen Wärme ab und bleiben darum klar. Im Unterschied zu anderen Edelsteinen werden Diamanten nach einer präzisen und weltweit gültigen Klassifikation bewertet. Hier fließen die Faktoren Farbgraduierung, Reinheit, Schliff und Proportion sowie sein Gewicht (in Karat8) ein. Aus der Summe dieser Daten ermittelt sich der jeweils aktuelle Wert. Die wertvollste Farbe ist in dieser Skala das hochfeine Weiß ›River/blauweiß‹, und als ›lupenrein‹ bezeichnet man Steine, bei denen auch in 10-facher Vergrößerung keine Einschlüsse zu erkennen sind. Nach den Einschlüssen kann z. B. auch das Alter von Diamanten bestimmt werden, denn die Einschlüsse wachsen gleichzeitig mit dem Diamanten, der sie umschließt. Schmuckdiamanten entstehen durch den sogenannten Facetten- oder Brillantschliff; er ist die gebräuchlichste Schliffvariante. Er ist definiert durch eine kreisförmige ›Rundiste‹ mit 32 Facetten, die achteckige Tafel im Oberteil und die aus weiteren 24 Facetten bestehende ›Kalette‹ mit ihrer punktförmigen Spitze unten am Stein. So geschliffen, bezeichnet man einen Diamanten als Brillanten. Der Facettenschliff ist seit dem 15. Jahrhundert bekannt und wird überwiegend bei durchsichtigen, also blauweißen Steinen angewendet, da diese das eintretende Licht in viele Richtungen brechen und oft vielfarbig aufspalten (Dispersion). Dieser Effekt beruht auf zahllosen inneren Lichtreflexionen.
8 Das Karat wurde 1875 nach der metrischen Konvention eingeführt: 1 Karat = 200 mg = 0,2 g. Der größte jemals geschliffene Diamant ist der Stern von Afrika mit 530 Karat.
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Diamanten sind zwar unglaublich hart, aber das schützt sie nicht vor dem Verbrennen. Bei Temperaturen oberhalb 800 Grad Celsius verglühen selbst die größten Diamanten. Schon ein Zimmerbrand (mit mehr als 1.000 Grad) kann ihnen zum Verhängnis werden – übrig bleibt Kohlendioxid. Für die Aufbewahrung von Aschediamanten ist dies ein nicht zu vernachlässigender Umstand. Hitze erschafft nicht nur Diamanten, sie vernichtet sie auch.
5.3 Geschliffene Transzendenz Ein Diamant ist etwas Besonderes. Er ist nicht nur ein wertvoller Schmuckstein, ein überhartes Material, sondern auch ein ästhetisches Artefakt, das in einen enormen Überschuss an Deutungen und Zuschreibungen eingelagert ist. Auch wenn ein Diamant als das »Ergebnis eines natürlichen Transformationsprozesses entsteht, haftet ihm doch das Moment des Magischen, Unzerstörbaren, von der Natur Abgekoppelten und damit auch des Künstlichen an« (Jäger 2009: 57). In einer weitgehend entkirchlichten Gesellschaft, die den Glauben an Ewiges an das erlebnisintensivierte Jetzt delegiert hat, bildet die diamantene Aura des Edelsteins einen kalkulierbaren Transzendenzgenerator. In der kulturellen Wahrnehmung ist ein Diamant weit mehr als das standardisierte Produkt kundiger Edelsteinschleifer. Auf dem Esoterik-Markt werden »Lichtkristalle und Lichtdiamanten«, die die »spirituelle Entwicklung und tägliche Energiearbeit« unterstützen, hoch gehandelt: Die »hochschwingenden Energien« werden »von Engeln, aufgestiegenen Meistern und weiteren lichtvollen Wesen manifestiert«.9 Dass die unansehnliche, formlos-pulverisierte Totenasche, die jeder Individualität und Schönheit entbehrt, gerade in Gestalt des Diamanten eine unerwartete bestattungskulturelle Wiedergeburt erlebt, kommt also nicht von ungefähr. »Wenn die Dinge keinen Glanz mehr haben, steht ihre Destruktion unmittelbar bevor. Menschen, die zur Vernichtung anstehen, werden vorher ihrer Ehre beraubt, ihrer Rechte entkleidet und in eine klägliche, hässliche Erscheinungsform gebracht. Eine Gegenerfahrung hierzu ist das Leuchten im Angesicht der Kinder oder der verheißungsvolle Glanz, der am Morgen über dem noch frischen Tag liegt […]. Angstvoll registrieren wir heute den Schwund des Glanzes aus unserer Welt. Mit bestürzender Geschwindigkeit scheint sich alles zu verbrauchen, scheint der Mensch unwiderruflich alles zu vernutzen.« (Gestrich 1996: 1) Dies sind die Eingangssätze zu einer theologischen Abhandlung über die 9 Dieses Vokabular steht exemplarisch für die hier verhandelten Phänomene (https://www. litios.com; Abruf am 1. Oktober 2019).
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Sünde, die der unlängst verstorbene Systematische Theologe Christof Gestrich überschreibt mit »Die Wiederkehr des Glanzes in die Welt«. Er reformuliert hier seine Absage an die moralisierende Engführung der christlichen Rede von der Sünde in Anlehnung an den biblischen Grundbegriff der ›Herrlichkeit‹ (hebräisch: kabod; griechisch: doxa; lateinisch: gloria). Dieser bezeichnet eine genuin göttliche Eigenschaft, die in der Bibel aber auch besonderen Menschen zugeschrieben wird, auf denen der Glanz des göttlichen Wohlgefallens ruht (vgl. Jesaja 11,2–3). Im Unterschied zum innerweltlichen Glanz diamantener Preziosen steht der Glanz im christlich-religiösen Kontext für eine geheimnisvolle Eigenschaft, die Menschen von Gott her zukommt. Glanz und Gloria des Menschen sind gewissermaßen eine Reflexion der Herrlichkeit Gottes. Ein solcher Glanz steht einem von Natur aus nicht zu. Man kann ihn weder selbst herstellen noch gar irgendwelchen Artefakten verleihen. Glanz ist gewissermaßen ein göttlicher Gnadenakt, der überall da aufleuchtet, wo Menschen, die sich ihrer Natur entsprechend selbst verfehlen, Vergebung zuteilwird. Vor diesem Hintergrund ist es auch kaum verwunderlich, dass der Diamant als Transzendenzmetapher auch im Resonanzbereich religiöser Lyrik in Anspruch genommen wird. Die Journalistin und Religionsliederautorin Ute Passarge verfasst 2006 einen vierstrophigen Lobpreis auf die göttliche Dreieinigkeit: »Gott des ganzen Weltalls, du Grund und Urgewalt / Ursubstanz der Liebe, nicht fassbar die Gestalt. / Bestehst seit allen Zeiten, von vielen nicht erkannt, / birgst tausendfach Geheimnis, wie roher Diamant.«10 Religion und Theologie sehen im »Morgenglanz der Ewigkeit« ein »Licht vom unerschöpften Lichte«.11 Die archaische Vorstellung einer ätherischen Reinheit, die auch und gerade beim Interesse an Aschediamanten immer wieder mitschwingt, ist in theologischer Perspektive eine Voraussetzung für die Nähe Gottes bzw. für seinen Segen. Vor allem im Alten Testament kann Reinheit gefährdet werden durch den Kontakt mit Toten und tierischem Aas – auch dies ist eine bemerkenswerte Kontrastfolie für das sich bei der Diamantpressung äußernde Bedürfnis nach postmortaler Reinheit des Artefakts. Gemmologisch beschreibt Reinheit dagegen den Grad der Sichtbarkeit der in fast allen Diamanten vorkommenden Einschlüsse (Inklusen). Sie ist eines der vier Cs, anhand derer die
10 Musik: Jochen Arnold. – In den Versen 2 und 3 geht es um Christus als die zweite bzw. um den Heiligen Geist als die dritte göttliche Person. In der abschließenden vierten Strophe kulminiert die Diamant-Metapher: »Dreierlei Gestalten bist du und bleibst doch eins: / Gottvater, Jesus Christus und auch der Heilge Geist. / Du Liebe, Schönheit, Rätsel, du teurer Edelstein, / komm, leucht mit deinen Strahlen direkt in uns hinein.« 11 Evangelisches Gesangbuch (EG), Liednummer 450.
Der ›unbezwingbare‹ Glanz des Lebens
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Qualität eines Diamanten ermittelt wird: color (Farbe), carat (Karat/Gewicht), cut (Schliff) und eben clarity (Reinheit). Bringt man beide durchaus konkurrierenden Reinheitsvorstellungen miteinander ins Gespräch, dann stellt sich die Frage, was sich für die Besitzer von Erinnerungsedelsteinen in deren brillantem Glanz spiegelt. Ist es eine Reflexion des Sonnenlichts, wenn man so will: ein Widerschein des himmlischen Zentralgestirns? Oder scheint hier ausschließlich die zutiefst menschliche Erinnerung an einen Verstorbenen auf? Läge im ersten Fall eine eher theologische Deutung vor, legt sich im zweiten Fall eine eher anthropologische Lesart nahe. Die Antworten in den Interviews (siehe Kapitel 9) sprechen eher für die zweite Deutung, wenn auch die materialen Eigenschaften eines Diamanten (außerordentliche Härte, nahezu unendliche Haltbarkeit) die rein anthropologische Deutung der Erinnerungsjuwelen durchaus verklären. Schließlich lebt kein Mensch ewig (schon gar nicht in der Erinnerung sterblicher Menschen), kein Mensch blickt auf eine nur glänzende Biografie zurück (Schuld und Unabgegoltenes stellen grundlegende ›Inklusen‹ des Lebens dar, eine ›lupenreine‹ Biografie haben noch nicht einmal Heilige vorzuweisen), und kein Mensch lässt sich in ein mathematisch exaktes Schliffmuster pressen. Die Maße des Menschlichen sind doch eher fluide. Es stellt sich also die psychologisch abgründige Frage, was durch die Wahl eines Diamanten als Erinnerungsartefakt von den Angehörigen sehenden Auges ab- bzw. ausgeblendet wird. In jedem Fall ist es der hinfällige Körper im Sterben, der sich in ein glanzvoll-funkelndes Artefakt transformiert. Doch sind die Aschesteine damit auch schon erste Indizien für einen neuen Ahnenkult? Für diese These spricht zumindest, dass die Interviewpartner das Schmuckstück mehrheitlich als ein familiales Erbstück betrachten und dessen Weitergabe von Anfang an mitbedacht haben. Empirisch zeigt sich unzweifelhaft, dass das Vererben für viele ein wichtiger Bestandteil der Vorüberlegungen war (siehe Kapitel 2). Hier kann wohl nur eine Langzeituntersuchung Klarheit schaffen. Gemeinhin stehen »das Kristalline, das Lichtemittierende und die forcierte Flachheit als Metapher für eine neue Künstlichkeit, eine Überschreibung und Überstrahlung des natürlichen Körpers. Doch die Frage stellt sich, ob Glanz oder Verderben in der Auflösung der realen Welt und der zunehmenden Abstraktion der Realität liegen.« (Loschek 2009: 23) Was also bedeuten Aschediamanten für die Trauernden? Eine Idealisierung gelebten Lebens, eine nachtodliche Verkünstlichung natürlichen Daseins? Oder gar eine Verwandlung von Sterblichkeit in Unsterblichkeit?
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Fallanalyse III: Loslassen können. Eine Geschichte über Artefakt-Abstinenz
Thorsten Benkel
Wenn der Aschediamant nicht lediglich ein wertvoller Besitz ist, sondern die in Obhut genommene Repräsentation einer geliebten Person, so kann er in letzter Konsequenz gedanklich von seiner ›weltlichen‹ Werthaftigkeit getrennt werden. Kosten und Kapitalaspekte brauchen dann keine Rolle mehr zu spielen. Und dann kann er, in einem weiteren Schritt, auch fortgegeben werden. Denn das, was der Edelstein repräsentiert, verliert er nicht – ganz gleich, wo er aufbewahrt wird. Ob nun in einer Schublade, ob prominent platziert auf einem Privataltar, ob in der Schatulle auf dem Nachttisch oder an anderen Orten; sein Entstehungsprozess ist vollendet und die Verbindung zur verstorbenen Person ist ihm eingeschrieben. Dies ist, wenn man so möchte, der ›objektive Kern‹ des Objekts Diamant. Daran ändert sich auch nichts, wenn er in einem Südtiroler See versenkt wird. Herr N.1 war während seiner aktiven Arbeitszeit im pädagogischen Sektor tätig. Seine Frau, mit der er knapp 36 Jahre liiert war, musste bereits in jungen Jahren einen Tumor entfernen lassen, was zu Komplikationen und schließlich zu einer die Alltagsorganisation stark einschränkenden Behinderung führte. An den Spätfolgen der Erkrankung ist sie schließlich verstorben. Das Paar befand sich in der besonderen und sicherlich nicht beneidenswerten Situation, das Lebensende einerseits vor Augen zu haben, als Möglichkeit, die sich aufgrund der Krankheitsgeschichte jederzeit wirksam entfalten konnte. Andererseits hat gerade die damit zwangsläufig einhergehende ›Todesnähe‹ dazu geführt, dass über das Ende, über das Sterben, aber auch über Bestattungsvorsorge usw. gerade in den letzten Jahren nicht mehr unbelastet gesprochen werden konnte. Frau N. war gesundheitlich nicht in der Lage, Gespräche komplexen Charakters zu führen; sie verstand alles, doch das Sprechen fiel ihr schwer. Und sie war, dies 1
Das Interview wurde am 6. Februar 2019 telefonisch geführt und dauerte 67 Minuten.
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deutet ihr Mann im Interview an, wohl auch meistens nicht willens, diese Thematik anzugehen. Umso überraschender war es, als sie eines Tages plötzlich doch von ihrer Wunschvorstellung berichtete: einer Seebestattung. Bis dahin hatte insgeheim die Erwartung vorgeherrscht, dass das Weltverabschiedungsritual ganz traditionell auf dem Friedhof stattfinden würde – die Bezüge des Paares zum Meer waren, bis auf einige frühere Urlaube, überschaubar gewesen. Herr N. nahm die unvorhergesehene Äußerung seiner Frau zum Anlass, etwas genauer über den Gestaltungsspielraum des Bestattungsvorgangs zu recherchieren. So kam jene Option ins Spiel, mit der beide zuvor nicht vertraut waren: der Aschediamant. Frau N. zeigte sich mit der neu gewonnenen Variante einverstanden. Nicht die klassische Assoziation mit Oberflächenglanz und polierter Ästhetik war es, die Herrn N. einnehmend genug erschien, um seiner Frau gegenüber nun doch das Thema des Todes anzuschneiden, sondern vielmehr der pragmatische Aspekt des einfachen Transports. Denn mittlerweile hatte er einen Plan entwickelt, der einen Wunsch befriedigen, aber auch ein Problem lösen sollte. Gemeinsame Urlaubsausflüge brachten das Paar in jener Zeit, als der Tumor sich noch nicht bemerkbar machte, bis ins südliche Afrika; dort verbrachten sie mehrere Wochen. Bei einer Bergwanderung äußerte Frau N. die Idee, dass eine exponierte Stelle, über drei Tälern gelegen, ein perfekter Ort für die Beisetzung ihrer Asche wäre. Nun schien die Vorstellung, mit einer Urne unterm Arm durch die Flughafenkontrolle zu laufen, Herrn N. nach dem Tod seiner Frau nicht ganz geheuer gewesen zu sein. Nicht das afrikanische Hochgebirge sollte die letzte Ruhestätte seiner Frau werden, aber auch nicht mehr der heimatliche Friedhof, der ihm in früheren Jahren noch geeignet schien. Als logistisch machbaren, aber auch symbolisch sinnvollen Platz wählte Herr N. einen anderen Urlaubsort aus – einen See in Südtirol. Der Aschediamant drängte sich als ›Formgebung‹ für die damit besiegelte Beisetzungsstätte geradezu auf, denn eine Leiche lässt sich nicht ohne Weiteres in einem See versenken; und selbst bei einer Ascheverstreuung sind vielfältige Komplikationen denkbar. Das Ablegen eines Schmuckstücks auf dem Grund eines Sees mag dagegen zwar verschwenderisch wirken – der Aufwand dafür hält sich in Grenzen. Mit der Verbringung des Diamanten im See würde somit überdies der ursprüngliche Wunsch der Frau, seebestattet zu werden, auf alternative Weise erfüllt werden. Eine bemerkenswerte biografische Facette erwähnt Herr N. ganz nebenbei: Seine Frau war in jungen Jahren Klosternovizin und hat dort Erfahrungen gemacht, die sie auf Distanz zu traditionellen Glaubens- und somit auch
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Bestattungsmodellen brachte. Sie wird von Herrn N. trotz ihrer Behinderung als eine Person skizziert, die ihren Willen zu artikulieren und durchzusetzen wusste, auch und gerade entgegen normativer Vorgaben, die es hier und da von außen gegeben haben mag. Dieser Charakterzug lässt sich umstandslos mit der spezifischen Leistung verknüpfen, die der Aschediamant erbringt. Symbolisch steht er nicht allein für eine ästhetisierte Sache; sein Glanz ist nicht lediglich der Glanz des ökonomischen Wertes, sondern der Glanz des Lebens, welches ihm vorausging. Die Entscheidung, nach dem Ende des Lebens den materiellen ›Überrest‹ für das Pressen eines Edelsteins zu verwenden, ist – trotz der ansteigenden Popularität des Angebots – im wahrsten Sinne des Wortes eigensinnig. Der Diamant aus menschlichem Kohlenstoff ist kein Traditionsgegenstand, und damit spricht er insbesondere Menschen an, die sich traditionellen Systematiken, mal mehr und mal weniger intensiv, widersetzen. Frau N.s Krankheit könnte unbewusst zur ›Motivwahl‹, also: zu der Entscheidung für den Diamanten, und gegen eine zeitweilig ja ebenfalls erwogene Wahlgrabbestattung beigetragen haben. Ihre epileptischen Anfälle konnte sie manchmal, aber nicht immer vorweg spüren. So kam es zu Unfällen, zu Stürzen und zu blutigen Verletzungen im Gesichtsbereich. Die Anfälligkeit eines schutzlos der Krankheit ausgelieferten Körpers findet im Diamanten ihr exaktes Gegenteil. Der härteste Stoff der Welt, im Sonnenlicht Inbegriff funkelnden Glanzes, ist materiell wie auch optisch ganz anders als der weiche, gefährdete und vergehende Menschenkörper. Das Juwel garantiert ein Maß an Stabilität, das der Leib, aus dem es stammt, nicht gewährleisten konnte. Elementar ist für Herrn N. in der Rückschau vor allem der Aspekt der gemeinsamen Entscheidung: »Ich habe mit meiner Frau diese Entscheidung getroffen, das war mir wichtig, dass sie das da auch so will … und alles andere war mir ohne Bedeutung.« Nähere Informationen zum Aschediamanten wurden über das Internet recherchiert, die genaue Auseinandersetzung führte schließlich zur Zustimmung und zur Kontaktierung eines Bestatters, der die nähere Abwicklung arrangierte. Dieser lokale Bestatter hatte schon zuvor – in einem einzigen Fall – eine Diamantherstellung zwischen Kunden und dem Schweizer Unternehmen vermittelt. Damit verfügte er über einen Erfahrungsvorsprung, der nicht selbstverständlich ist. Das diesem Buch zugrunde liegende Forschungsmaterial offenbart, dass es manchmal sogar die Kunden sind, die ansässige Bestatter von diesem besonderen Angebot unterrichten müssen, weil es eben (noch?) nicht zum Kanon der traditionellen Bestattungsofferten gehört. Die Entscheidung pro oder contra Diamant wird also vom, marktstra tegisch gesprochen, ›Endkunden‹ definiert; in nähere Berührung mit den Pro zeduren der Edelsteinherstellung kam Herr N. damit nicht. Im Gegenteil:
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Die ›Bearbeitung‹ des Todesfalls seiner Frau fiel einem professionellen Akteur, dem Bestatter zu, der diese Aufgabe gegen Provision anderen professionellen Akteuren im Ausland zuwies. In der Konsequenz erfolgte die Übergabe wiederum durch den im Wesentlichen als Vermittler tätigen Bestatter; dort sah Herr N. nach Monaten des Wartens erstmals jenen Stein, in den die Asche seiner Frau verwandelt worden war. Das eher instrumentelle Verhältnis – der Bestatter fungierte als Dienstleister, nicht als allumfassender ›Ritualdesigner‹ oder gar als insgeheimer ›Trauerberater‹ – führte dazu, dass Herr N. das Juwel erst zu Hause näher in Augenschein nahm. Nach Betrachtung des nahezu weißen Diamanten war ihm gleichwohl klar: »Der Diamant ist nicht meine Frau.« Er sei ein »Produkt« aus der Asche seiner Frau. Im Subtext seiner Antwort wird gleichwohl erkennbar, dass N. versteht, wie unterschiedlich Meinungen hier ausfallen können. Der Schwester seiner Frau schickte er deren Foto zusammen mit einem Foto des Edelsteins. Erst nach einiger Zeit begriff seine Schwägerin den Zusammenhang bzw. sie verstand, dass beide Fotos in gewisser Hinsicht das gleiche Motiv teilen. Der Schwägerin wurde gewahr, dass der Diamant eben doch ihre Schwester ›ist‹ – so die Worte von Herr N. Wichtig für den Witwer ist, dass der Diamant nicht als Fetisch und nicht als Reliquie interpretiert wird. Eben deshalb fällt ihm die Trennung davon vergleichsweise leicht – der Edelstein bleibt, trotz aller Bedeutungsaufladung durch den Schweizer Technikzauber, für ihn letztlich ein totes, insofern irgendwie auch fremdes Objekt. Materielles Andenken spielt für ihn eine so geringe Rolle, dass er sich auch vergleichsweise umstandslos von der Kleidung seiner Frau trennen konnte. Er gab sie nach seiner Angabe »sofort« nach dem Todesfall aus dem Haus. Auch Fotografien sind für ihn im Alltag ohne Gebrauchswert – »die liegen sowieso in irgendeiner Schublade«, angeschaut werden sie
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üblicherweise nicht. Im Übrigen hat er die Stadt, in der beide lebten, nach dem Tod seiner Frau verlassen. Behutsam befragt, was hinter dieser ›Artefakt-Abstinenz‹ steckt, zumal so viele Menschen gerade im Festhalten an Gegenständlichem Trost in der Trauer finden, wurde offenbar, dass Herr N. aus exakt diesem Grund so agiert, wie er agiert. Was seiner Frau gehörte, was sie trug, was sie zeigt, was auf sie verweist – das alles erinnert zu sehr an den Verlust und ruft schmerzhafte Empfindungen hervor. Eben dies hätte seine Frau nicht gewollt, vermutet er. Sie meisterte ihre Erkrankung tapfer, eigenständig, nicht ohne Humor, und sie ließ sich ab einem gewissen Punkt auch nicht mehr auf Operationen ein. All dies hat das Ehepaar gemeinsam diskutiert. Sich nun allein in die düstere Welt der Trauer zu begeben, erscheint Herrn N. widersinnig. Dieser Individualismus passt nicht zu der Beziehung, die er und seine Frau geführt hatten, und sie passt nicht zu seinem Selbstbild. So, wie es jetzt ist, kann er zulassen, dass Trauerphasen sich verändern. Er verharrt nicht in der Trauer, sondern spürt und sieht, dass sich Einstellungen auch wieder ändern können. Die verstorbene Gattin lässt sich in ihrer Identität nicht materiell fassen – dies wäre »eine nachträgliche Reduzierung der Persönlichkeit meiner Frau«, sagt er. Eine »Objektfixierung«, wenn es sie gäbe, würde ihn folglich nicht näher zu seiner Frau bringen – sondern sie würde ihm etwas nehmen. Trotz der grundsätzlichen Distanz zu materiellen Erinnerungsobjekten ist der Diamant entstanden. Er hat, erklärt Herr N., »Würde«. Nichts daran wirkt billig oder improvisiert. (Geld spielte für ihn, da er »finanziell unabhängig« ist, keine Rolle, entsprechende Erwägungen sind ihm in diesem Kontext fremd.) Aufbewahrt wird der Diamant, solange er noch auf seine Versenkung im See wartet, auf dem Sideboard – und dort ist er im Laufe der Zeit auch bereits einige ›Etagen‹ nach oben gewandert. Konkret ist er auf einer Elefantenstatue aus Afrika platziert – nicht im Sinne eines »Altars«, sondern eher als pragmatische Lösung, denn irgendwo muss er ja stehen, wieso also nicht dort? Manchmal schaut er ihn auch an, weil der Diamant »schön« ist – dies löst aber keine »tieferen Gefühle« in Herrn N. aus. Spätestens in einem Jahr werde der Stein ohnehin nicht mehr in der Wohnung, sondern an seinem nassen Bestimmungsort sein. Er plant, sich auf einen Felsen zu setzen und den Diamanten von dort ins Wasser gleiten zu lassen. Der letzte Abschied soll eben doch von einem kleinen Ritual begleitet werden – das Herr N. aber nicht unbedingt als solches ansieht. Der dauerhafte Platz, der für den Aschediamanten vorgesehen ist – der besagte See – ist ein Ort, den Frau N. zu Lebzeiten nie gesehen hat. Aber er ähnelt Orten der gemeinsamen Vergangenheit, z. B. Urlaubsstätten in Frankreich. Er ist gewissermaßen die ›idealtypische‹ Entsprechung verschiedener Plätze, die
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das Ehepaar N. miteinander verbunden hat. Es geht letztlich um nicht mehr als darum, das Juwel an einem »Ort ab[zu]legen, den ich als schön empfinde«. Trauer- oder Erinnerungsort soll der See nicht sein; diese Vorstellung weist Herr N. mit einem Lachen zurück. Bei ihm selbst wird es eines Tages »sicher keine klassische Erdbestattung, das weiß ich«. Die vor vielen Jahren favorisierte Variante, ganz der Tradition entsprechend beerdigt zu werden, lehnt Herr N. mittlerweile ab. Überhaupt wünscht er sich, wie so viele Menschen, die Aschediamanten besitzen, eine Liberalisierung der Bestattungsgesetze in den deutschen Bundesländern. Einen freien Trauerredner gab es bei der Abschiedsfeier seiner Frau; dies wünscht Herr N. auch für sich. Die religiösen Konzepte der Lebensverabschiedung sind ihm, fraglos aufgrund der Erfahrungen seiner verstorbenen Frau, unsympathisch geworden. Im Lichte der Geschichte vom Zusammenleben der N.s ist der Aschediamant als Abkehr von Idealen und Modellen zu verstehen, die – wie im vorliegenden Fall – als veraltet oder unpassend empfunden werden. Als weitgehend vorbildloses Konzept ist die Verwandlung von Asche in einen Edelstein schließlich nicht in einer langen Kulturgeschichte verankert, sondern steht symbolisch für einen Neustart – für eine Alternative, die wirklich alternativ ist. Die Geschichte des Herrn N. zeigt außerdem, dass ein Diamant nicht immer als aufbewahrenswerter Gegenstand firmiert, sondern durchaus etwas sein kann, von dem man sich bewusst und in gewisser Hinsicht auch ›befreit‹ trennt. Wenn schon der Tod eine Trennung bedeutet, muss der Edelstein nicht zwingend immer bei einem bleiben. Man kann ihn im wahrsten Sinne des Wortes loslassen. Was also ist der Diamant, der den Körperüberresten seiner Frau entstammt, für Herrn N.? Er steht gewiss nicht – wie in vielen anderen Fällen aus unserem Interviewmaterial – für das Fortwirken ihrer Identität in anderer Form. Er ist aber auch kein Symbol für sie, er verweist nicht auf sie. Er repräsentiert nicht das von Frau N., was Herr N. in Gedanken vor sich sieht. Dennoch: Er verbindet die lebendige Gegenwart mit der vorübergegangenen Vergangenheit. Völlig loslösen kann man Stein und Gattin eben doch nicht. Somit fällt Herrn N. als beste Formulierung ein, dass »der Diamant als Medium« operiert – als materielle Vermittlung zwischen dem, was war, und dem, was ist. Materialität ist jedoch nicht alles – davon berichtet diese Fallgeschichte. Jenseits der Dinge, die man in die Hand nehmen, angreifen, aufbewahren und auch wieder buchstäblich verwerfen kann, sind die Bilder gelagert, die man im Inneren mit sich trägt. Denn, so Herr N.: »Die Erinnerung – das ist ja eine ganz andere Geschichte.«
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Selbstbestimmung als Legitimation. Professionelles Handeln im Kontext von Ascheartefakten
Matthias Meitzler
»Ich bin überrascht, dass Familienangehörige sich vom Staat dermaßen einschränken lassen in einer so persönlichen Frage.« Zweifellos kann diese Wortmeldung als Einspruch gegen normative Konzepte gelesen werden, welche jahrzehntelang die Trauerkultur in Mitteleuropa geprägt haben. Sie stammt vom Gründer jener Schweizer Firma, die seit nunmehr 15 Jahren Diamanten aus dem Kohlenstoff von Totenasche presst. Nicht um ein Resultat des Zufalls handelt es sich dabei, das so oder so ähnlich bereits in früheren Zeiten möglich gewesen wäre, sondern um ein Produkt des technischen und – damit untrennbar verbunden – des sozialen Wandels. Ein Vorgang, der etwa 150 bis 200 Kilometer unter der Erdoberfläche bei hohem Druck (circa 60.000 Bar) und hohen Temperaturen (etwa 1.500 Grad Celsius) geschieht – das Wachstum eines Diamanten –, lässt sich heutzutage mithilfe von technischem Know-how und entsprechenden Apparaturen binnen weniger Tage imitieren. Technik und deren stetige Weiterentwicklungen sind immerzu eingebettet in eine sich verändernde Gesellschaft, die die korrespondierenden Innovationen überhaupt erst als Desiderat identifiziert, Lösungen hervorbringt und sie legitimiert (Rammert 2016). Schließlich stößt nicht alles, was prinzipiell technisch möglich ist, auch auf soziale Akzeptanz. Angenommen, es hätte bereits vor 100 Jahren die technischen Voraussetzungen zur synthetischen Herstellung solcher Ascheartefakte gegeben, so wäre ihr faktischer Nutzen nur gering ausgefallen, weil die damalige Bestattungskultur für derartige Ansätze keinen legitimen Platz gehabt hätte. Seither hat sich das gesellschaftliche Klima merklich gewandelt und was lange Zeit keinerlei sepulkrale Relevanz besaß, ist inzwischen buchstäblich greifbar geworden. Mit dem Aschediamanten liegt ein spezifisches Angebot vor, das, obschon es sich derzeit um relativ überschaubare Marktnische handelt, Antworten liefert auf diverse Fragen in der zeitgenössischen Trauer- und Bestattungskultur, auf die herkömmliche Offerten bislang offenbar keine überzeugenden Entgegnungen parat zu halten wussten.
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In diesem Buch geht es vornehmlich um die Erfahrungen, Handlungsweisen, Reflexionen und Einstellungen von Personen, die sich dafür entschieden haben, aus der Kremationsasche eines nahen Angehörigen ein Erinnerungsartefakt anfertigen zu lassen. Dabei werden auch jene gesellschaftlich kursierenden Motive rekonstruiert, die diese Haltungen überhaupt erst ermöglicht haben. Das vorliegende Kapitel nimmt nun einen Perspektivwechsel vor: Nicht die Theorie und nicht die Kunden entsprechender Produkte bzw. Dienstleistungen sollen hier im Fokus stehen, sondern deren Anbieter.1 Um dem Gesamtkomplex der Edelsteinherstellung unter Einbeziehung der Kremationsasche gerecht zu werden, sind schließlich auch Fragen wie die folgenden zu klären: Welche professionellen Akteure lassen sich in diesem Feld identifizieren? Auf welche konkreten Handlungsprobleme ist ihr Angebot eine Antwort? Welches Selbstverständnis kommt in ihrem Agieren zum Ausdruck? Welche Einwände werden von anderer Seite erhoben und mit welchen Kommunikationsstrategien versuchen die Anbieter, diese zu entkräften? Auf welche Art und Weise also legitimieren sie ihre Tätigkeit? Die empirische Grundlage der nachfolgenden Auseinandersetzung bilden im Wesentlichen zwei ausführliche Interviews,2 die mit dem eingangs zitierten Unternehmensgründer geführt wurden. Ergänzend hinzugezogen werden Erkenntnisse, die im Laufe weiterführender Forschungsaktivitäten gewonnen wurden. Dazu gehören u. a. ein Interview mit einem Verantwortlichen aus der Geschäftsleitung eines Bestattungswaldes, ein Gespräch mit einer deutschen Künstlerin, die Bilder aus Kremationsasche malt, der Besuch einer in Österreich ansässigen Firma, die Saphire und Rubine aus den Bestandteilen der Totenasche anfertigt, sowie zahlreiche Unterhaltungen auf Fachtagungen und Bestattermessen mit Experten im Bereich der Sepulkralkultur. Wie nachfolgend zu zeigen versucht wird, lässt sich die Perspektive der Anbieter nicht von den (antizipierten) Motivlagen ihrer Adressaten trennen. Ein Angebot funktioniert nur, solange es auf Interessen von Menschen trifft – und oftmals wird ein solches Interesse erst durch das Wissen um entsprechende Angebote forciert.
1 Dieser Perspektivwechsel steht übrigens im Einklang mit einem Postulat des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, wonach ein Fehler im Bereich der Kunst darin bestehe, stets auf die Rezipienten-, selten aber auf die Produzentenseite zu schauen (Bourdieu 1999). Die Übertragung des Gedankens erscheint auch deshalb gerechtfertigt, weil der Aschediamant ein Artefakt ist, das zwischen Körperassoziation, Materialität und Ästhetik oszilliert. 2 Das erste Interview fand im Mai 2017 im Rahmen des Forschungsprojekts Die Pluralisierung des Sepulkralen (Universität Passau; Benkel/Meitzler; 2016–2018) statt, das andere im März 2019 während eines mehrtägigen Forschungsaufenthaltes der Autoren des vorliegendes Bandes auf dem Firmengelände des Schweizer Diamantherstellers.
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7.1 Bestattungskulturelle Hintergründe Es braucht nicht weiter betont zu werden, dass Gesellschaft niemals stillsteht. Sie unterliegt einem fortwährenden Wandel, der zu mal schleichenden, mal raschen Veränderungen in unterschiedlichen Bereichen und damit zu stets neuen sozialen Phänomenen und Herausforderungen führt. Davon wird, neben vielem anderen, auch die Trauer- und Bestattungskultur erfasst. Galt sie lange Zeit als ein »konservatives Widerlager gegen den Zeitgeist« (Klie 2008: 7), als Inbegriff für Kollektivbewusstsein und Ordnungserhalt, so zeichnet sich spätestens seit Beginn des 21. Jahrhunderts ein auffallender Umbruch ab. Traditionelle Gepflogenheiten und Verhaltenserwartungen, die lange Zeit unhinterfragt geblieben sind (z. B. die Trauerfeier nach christlichem Ritus, die Körpererdbestattung in einem Familienwahlgrab, die öffentliche Aufbahrung der Leiche, das Tragen schwarzer Bekleidung im sogenannten ›Trauerjahr‹ usw.), verlieren nicht nur an Bedeutung, sondern stehen bisweilen ausdrücklich im Kreuzfeuer der Kritik. Im Schatten dieser Entwicklung gewinnen alternative Deutungen und Umgangsformen an Boden, weil sie ein höheres Maß an Unverbindlichkeit, Sensibilität für und Rücksichtnahme auf die persönliche Situation der jeweils Betroffenen versprechen. Deutliche Hinweise auf eine Ausdifferenzierung in Richtung Individualisierung und Autonomie sind seit geraumer Zeit zu beobachten und finden sich nicht zuletzt auch im Datenmaterial der Studie, die diesem Band zugrunde liegt. Ob und wie man sich auf das eigene Lebensende vorbereitet und wie man rational bzw. emotional mit dem Verlust einer nahestehenden Person umgeht, ist somit weniger denn je eine Frage der kollektiven Erwartungshaltung, sondern des selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Suchens und Findens individuell stimmiger Wege. Die Antwort auf die Frage, wer gegenüber wem Autonomie beansprucht, kann dabei durchaus sehr unterschiedlich, ja geradezu strittig ausfallen. Oftmals sind die institutionellen Vorgaben eine Quelle des Unbehagens (Beispiel: ein bestimmtes Grabdesign wird von der Friedhofsverwaltung untersagt); in anderen Fällen kommt es bei dem Versuch, divergierende Interessen miteinander in Einklang zu bringen (z. B. hinsichtlich der Bestattungsart und des Bestattungsortes) zu innerfamiliären Spannungen. Wie bereits vorangegangene Forschungen erkennen lassen (siehe z. B. Benkel/ Meitzler/Preuß 2019; Benkel/Meitzler 2017a; dies. 2017b), macht sich die Unzufriedenheit mit eingefahrenen Routinen, unzeitgemäßen Bestimmungen und mangelnder Flexibilität auch und vor allem am Friedhof fest. Die inzwischen unüberhörbar gewordenen Proteste zielen u. a. auf die an spezifischen Ver-
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haltenskonventionen orientierte soziale Kontrolle, auf finanzielle Belastungen, welche mit dem Erwerb und der Miete einer Grabstelle einhergehen, auf die häufig so empfundene Bevormundung durch Überreglementierung, auf die räumliche Distanz des Friedhofs zum eigenen Lebensmittelpunkt sowie auf die Limitierung des Nutzungsrechtes in Form von Ruhefristen. Unmut macht sich breit und wird nicht lediglich ertragen, sondern immer häufiger offen artikuliert und in konkrete Handlungsentscheidungen übersetzt. Schon seit geraumer Zeit ist der Friedhof kein ›Selbstläufer‹ mehr, der automatisch von einem Fall zum nächsten funktioniert; vielmehr setzen sich Menschen heute verstärkt selbstreflexiv mit dem eigenen Lebensende und dem ihrer Nahestehenden auseinander. In der modernen Gesellschaft können unterschiedliche Wertehaltungen bald reibungslos, bald konfliktträchtig nebeneinander koexistieren. Ihren sepulkralen Widerhall findet diese Pluralisierung insbesondere darin, dass es nicht mehr ein dominierendes Konzept gibt, das sich mit allen unterschiedlichen Interessen vereinbaren lässt. Gewiss: Auf manchen Friedhöfen zeichnet sich inzwischen eine (wenn auch mit großer Verzögerung eintretende) Ausdifferenzierung und Erweiterung des klassischen Angebots um mehr oder weniger innovative Varianten ab; und nach wie vor erfüllt dieser Ort wichtige psychosoziale Funktionen für eine Vielzahl von Hinterbliebenen. Um eine unumstrittene Anlaufstelle, wenn es darum geht, eine geliebte Person zu bestatten, zu betrauern und zu erinnern, handelt es sich indes nicht mehr. Alternative, weil friedhofsferne Umgangsformen – zu denen eben auch Ascheartefakte gehören – haben an Zuspruch gewonnen und weisen, allen Differenzen zum Trotz, eine entscheidende Gemeinsamkeit auf: Ihre Existenz nährt sich aus der Zurückweisung des Friedhofs, derweil sie Lösungen für diverse Schwierigkeiten versprechen, die Menschen mit diesem Ort verbinden. Bedürfnisse, die der Friedhof konzeptionell nicht stillen kann oder aus unterschiedlichen Gründen nicht stillen will, werden zum Ausgangspunkt der Unternehmensphilosophie entsprechender Anbieter. Begutachtet man beispielsweise den öffentlichen Auftritt von Naturbestattungsanbietern wie Friedwald oder Ruheforst, so wird eine explizite Abgrenzung deutlich: Während der klassische Friedhof für Verbot, Verpflichtung und eine erdrückende Atmosphäre steht, ist der Wald als Ort des Rückzugs, der Erholung, der Zwanglosigkeit und der lebendigen Natur positiv konnotiert. Juristisch betrachtet, firmieren die Waldareale zwar als Friedhöfe, unter marketingstrategischen Prämissen sollen sie aber genau das nicht sein. Passend hierzu äußert sich ein Unternehmensvertreter, der die Innenperspektive gut kennt: »Aber was auch eine wichtige Erkenntnis war, dass eben die Entscheidung für einen Wald häufig ’ne Entscheidung gegen den Friedhof ist. Weil man ein-
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fach sich überhaupt nicht wiederfindet auf dem Friedhof, also das hat sich einfach auseinanderentwickelt. Das wird nicht mehr als ein Ort empfunden, wo man sein möchte, ja? Während der Wald ein gutes Gegenangebot darstellt.« Unbeschadet aller kritischen Einwände, die an dieser Stelle durchaus berechtigt wären – wie ›natürlich‹ ist die Natur des Naturfriedhofs und wie viele Freiheiten bieten die Baumgräber tatsächlich? –, lässt sich die Unternehmenskommunikation zu folgender Formel verdichten: Der Bestattungswald holt Menschen da ab, wo der Friedhof sie im Stich lässt. Und dass sich Menschen im Stich gelassen fühlen, hat nicht zwingend damit zu tun, dass die Qualität des Friedhofs nachgelassen hat, sondern damit, dass sein Angebot lange Zeit unverändert geblieben ist, derweil sich Mentalitäten in Sachen Trauer und Bestattung gewandelt haben. Der Aschediamant erscheint auf den ersten Blick als etwas gänzlich anderes – doch sind die Vorzeichen, unter den sich dieses Angebot entfaltet hat und nach wie vor entfaltet, überaus ähnlich.
7.2 Der Aschediamant und seine (Be-)Deutungen Ein Unternehmen braucht nicht unbedingt einen Gründungsmythos, aus dem heraus es sich seine Existenz und seinen Platz auf dem Markt legitimiert. Er schadet aber auch nicht – umso mehr, wenn die Angebotspalette aufgrund der vermeintlich ›schwierigen‹ Thematik einen gesellschaftlichen Randbereich betrifft. Nicht ein naturwissenschaftlicher Zugang oder eine Ausbildung im sepulkralen Bereich haben den Interviewpartner, Herrn J., zu der Idee gebracht, eine Firma zu gründen, die aus extrahiertem Kohlenstoff Aschediamanten herstellt, sondern eine eher unfreiwillige Begegnung mit einer Facette der Bestattungskultur. Auf Nachfrage nach einer Ursprungsszene berichtet er, wie er sich vor einigen Jahren aufgrund der damaligen Diagnose einer schweren Erkrankung intensiver mit dem Lebensende beschäftigte. Während eines privaten Friedhofs besuchs beobachtete er, wie ein Grab von einem Bagger ausgehoben wurde und »eine nicht ganz verweste Leiche« zum Vorschein kam. Dieser schockierende Anblick führte ihm vor Augen, dass nicht nur das Leben endlich ist, sondern auch die Ruhestätte. Sie bietet einem Verstorbenen also gar keine ›letzte Heimat‹, sondern nur einen temporären Aufbewahrungsort für dessen körperliche Überreste, die früher oder später – offenbar nicht immer ganz fernab der öffentlichen Einsichtnahme – noch eine weitere Behandlung erfahren. Reflexartig und ebenso unumstößlich wurde sich Herr J. über eine Sache klar: »So will ich nicht enden.« Nähere Beschäftigungen mit dem menschlichen Ver-
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wesungsprozess und der damit verbundenen Bodenbelastung festigten seine Präferenz zur Kremation. Der Friedhof sollte nicht der spätere Verwahrungsort seiner Totenasche werden; stattdessen dachte Herr J. an eine Verstreuung auf einer Bergwiese. Eine Optimallösung war damit trotzdem nicht gefunden, denn es stellte sich nun ein anderes Problem: Wäre seiner Mutter, die irgendwann körperlich nicht mehr in der Lage sein würde, die Verstreuungsstelle in den Bergen aufzusuchen, damit nicht jener Trauerort genommen, den sie benötigt? Noch während seiner Studienzeit las Herr J. in einem Artikel von einem russischen Wissenschaftler, der ein Verfahren entwickelt hatte, um synthetische Diamanten aus Asche herzustellen. Obwohl, wie sich später herausstellen sollte, ein Missverständnis vorlag und es in dem Artikel gar nicht um Kremierungsasche ging, löste dieser Gedanke eine nachhaltige Faszination bei Herrn J. aus, der hierin zugleich einen Weg sah, seine eigenen Sepulkralvorstellungen mit denen, die er seiner Mutter zugeschrieben hat, harmonisch zu verbinden. Ob und inwiefern sich der Sachverhalt so und nicht anders zugetragen hat, ist für die Corporate Identity des Unternehmens und die Vermarktung seines Produktes weniger von Belang als der Umstand, dass dieses Narrativ gut transportiert werden kann. Es steigert die Glaubwürdigkeit des Angebots, wenn der Firmengründer nicht lediglich eine Fremdperspektive einnehmen muss, um die Bedürfnislage seiner potenziellen Kunden zu verstehen, sondern wenn er Entsprechendes selbst erfahren hat und ›ähnlich denkt‹. Tatsächlich vermischen sich im Laufe der Lebenszeit ohnehin Erinnerungen an Erlebtes mit Reflexionen über dieses Erlebte; heutige Berichte über das Vergangene sind daher immerzu Mixturen aus Fakt und Fiktion, was an ihrem authentischen und vor allem plausiblen Kern aber nichts ändert. Was ist der Aschediamant? Mit dieser Frage beschäftigt sich das vorliegende Buch in mehrerlei Hinsicht. Je nachdem, wem man sie stellt, ist mit sehr unterschiedlichen Antworten zu rechnen. Das Artefakt entfaltet seine Bedeutung also nicht von sich aus, sondern es braucht stets jemanden, der ihm diese Bedeutung verleiht und gemäß dieser Zuschreibung mit ihm umgeht. Viele unserer Gesprächspartner, die einen Diamanten erworben haben, empfinden ihn gewissermaßen als kristalline Reinkarnation eines geliebten Menschen, für andere ist er lediglich ein Ding, das irgendwie an den Verstorben erinnert – und für wieder andere ist er nichts dergleichen, sondern etwas g(l)änzlich anderes. Die Akzentverschiebung von der Nutzer- auf die Anbieterseite forciert eine weitere Vergrößerung des Perspektivhorizonts. Hier geht es nicht so sehr um die Frage, ob der Diamant die verstorbene Person mehr als nur symbolisch verkörpert, sondern in erster Linie darum, wie es dem Unternehmen gelingt, ein
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Produkt auf dem Markt zu platzieren, das eine hinreichend hohe Nachfrage generiert. Wie sehr ein Produkt nachgefragt wird, hängt wiederum davon ab, wie sehr Menschen darin einen Mehrwert erkennen können – gleich, worin dieser konkret bestehen mag. Die ursprüngliche Intention von Herrn J. bestand in nichts Geringerem als dem Wunsch, eine »dritte Form der Bestattung und Alternative neben Erd- und Feuerbestattung« zu etablieren. Folglich sollte der Diamant nicht bloß ein schönes Souvenir sein, das Menschen anlässlich des Verlustes einer nahestehenden Person erwerben, sondern »eine echte Bestattungsform«, die ihre eigene Position auf dem Sepulkralmarkt beansprucht. Das Surplus des in der Schweizer Produktionshalle gepressten Edelsteins sollte ausdrücklich darin liegen, Resultat einer Körpertransformation zu sein. Um aber von einer buchstäblich lupenreinen Bestattung sprechen zu können, sei es Herrn J. zufolge nicht ausreichend, einfach nur etwas ›Körperliches‹ zu verwenden – auch Diamanten aus Haaren sind schließlich möglich, erfordern sogar geringeren technischen Aufwand und finden sich ebenfalls im gegenwärtigen Angebot.3 Vielmehr müsste hierfür die gesamte Kremationsasche verwendet und so transformiert werden, dass am Schluss keinerlei Restsubstanz zurückbleibt. Erst unter Berücksichtigung der Totalität des toten Körpers liege nach dem hier dargebotenen Verständnis ein vom Erinnerungsartefakt unterscheidbares Bestattungsartefakt vor. Ein solcher Ansatz darf insofern als alternativ, um nicht zu sagen: eigenwillig bezeichnet werden, als er einen Kontrast zu etablierten Definitionen bildet. Versteht man unter einer Bestattung »die Übergabe der sterblichen Überreste […] an die vier Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft« (Sörries 2010: 54), dann fällt die Diamantpressung nicht in das Raster. Mit der Kremation – geheimnisvoll als Feuerbestattung umschrieben und in dieser Semantik auch gesellschaftlich thematisiert (Spranger/Pasic/Kriebel 2014) – ist ihr bereits eine (Primär-) Bestattung vorausgegangen, die noch dazu zwingende Voraussetzung für das weitere Verfahren ist. Ein Aschediamant entsteht aus Kremationsasche und nicht aus dem ›unbehandelten‹, d. h. unverbrannten Leichnam. Wenn nun ausschließlich das Bestattung sein kann, was mit unbehandelten Leichen geschieht, 3 »Wenn ich nur Haare mache, dann ist es nur ein Erinnerungsstück […], dann ist das einfach ein Gegenstand der Erinnerung. Wenn ich hingegen die Asche an sich, also die Essenz des Menschen, diesen Kohlenstoff, was übriggeblieben ist, noch zu einem Diamanten transformiere, dann war das diese Person. Klar, es sind nur zwei Gramm, aber die Symbolik hat viel mehr Gewicht und es ist eine echte alternative Bestattungsform«, so Herr J. Verfolgt man seine Lesart weiter, dann handelt es sich bei der Anfertigung von ›Haar-Diamanten‹ vor allem deshalb nicht um eine Bestattung, weil die Haare im Unterschied zur Kremationsasche prinzipiell auch von lebendigen Menschen stammen könnten – und was lebendig ist, kann bzw. darf nicht bestattet werden.
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dann ergibt sich für die Asche keine erneute Möglichkeit der Bestattung, sondern lediglich die Option der Beisetzung.4 Die Verarbeitung zum Diamant ist, so gesehen, keine Bestattung, sondern eine sich der Bestattung anschließende Verwandlung des materiellen Kremationsresultats. Lässt man diesen Einwand beiseite und erklärt die Diamantierung tatsächlich zur Bestattungsform, müsste man ferner konstatieren, dass es sich auch dann, wenn die gesamte Kremationsasche verwendet wird, allenfalls um eine Teilbestattung handelt. Kann die Totalität des Körperlichen denn jemals gewährleistet werden, wenn bereits die Kremationsasche stofflich nur noch einen Bruchteil dessen ausmacht, was der unverbrannte Leichnam gewesen ist? Und wie ist vor diesem Hintergrund der Umstand zu bewerten, dass sich letztlich nicht sicher beurteilen lässt, welcher Kohlenstoff denn nun tatsächlich vom Körper und welcher von dessen Bekleidung bzw. vom Verbrennungssarg stammt? Zu bedenken ist auch, dass mit dem extrahierten Kohlenstoff ohnehin nur ein vergleichsweise geringer Bestandteil der Kremierungsasche verwendet wird, derweil die restliche Materie herausgefiltert bzw. in Säure aufgelöst wird – und damit einen anderen Umgang erhält. Die Frage, ob eine Bestattung oder lediglich ein Erinnerungsstück vorliegt, ist übrigens nicht nur eine Angelegenheit der persönlichen Haltung des Firmengründers und der Nutzer seines Angebotes, sondern hat darüber hinaus zu öffentlichen Kontroversen geführt. So kritisierte beispielsweise der Bundesverband Deutscher Bestatter das Unternehmen dafür, dass es zeitweise die Bezeichnung ›Diamantbestattung‹ verwendete und damit, so der Vorwurf, seine Kunden in die Irre führe. Mittlerweile ist der umstrittene Terminus tatsächlich aus dem Marketingvokabular des Unternehmens verschwunden – was an der Grundintention von Herrn J. freilich nichts ändert.
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Begreift man unter ›Beisetzung‹ wiederum das wie auch immer geartete Platzieren der körperlichen Überreste – egal ob Leichnam oder Asche – an einem bestimmten Ort, so wäre auch diese Kategorie für den Aschediamant aufgrund der für ihn konstitutiven Portabilität unpassend (das gleiche Definitionsproblem stellt sich im Übrigen auch bei der Verwahrung von Kremationsasche im Wohnzimmerregal oder beim Mitführen in einem Medaillon). Zwar kann man einen Diamanten selbst beisetzen – etwa indem man ihn vergräbt –, allein sein Entstehungsprozess wäre aber noch keine hinreichende Bedingung, um von Beisetzung zu sprechen. Vor dem Hintergrund einer (in Deutschland offiziell verbotenen, aber prinzipiell realisierbaren) Ascheteilung müssen sich Diamantierung und Beisetzung wiederum nicht zwingend ausschließen. Der Diamant ist dann nur eine von mehreren Möglichkeiten von all dem, »was aus Asche alles werden kann« (Gernig 2011). Die »Multioptionsbestattungskultur« (Benkel/Meitzler 2013: 250) findet ihre materielle Entsprechung – und zwar, das ist das Besondere, anhand der Kremationsasche von ein und derselben Person.
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Für den störungsfreien ökonomischen Tausch dürfte eine solche Definitionsfrage ohnehin weniger entscheidend sein als die Tatsache, dass Menschen das Angebot in Anspruch nehmen. Möglicherweise würde sich der Anbieter auch keinen allzu großen Gefallen tun, würde er sein Produkt explizit als Bestattung ausflaggen und damit einen Begriff wählen, der in der Wahrnehmung nicht weniger Personen stark negativ besetzt ist, weil mit ihm Attribute assoziiert werden, die der Diamant ausdrücklich nicht verkörpern soll? Ein näherer Blick in unser Datenmaterial liefert jedenfalls entsprechende Hinweise – übrigens auch darauf, dass die Frage nach der ›Echtheit‹ der Bestattungsform letztlich nur eine marginale Rolle bei der Entscheidung für dieses Angebot gespielt hat und häufig überhaupt erst während der Interviewsituation virulent wurde. Betrachtet man den Vorgang der Diamantherstellung, so gewinnt man rasch den Eindruck, dass es sich sowohl beim Produktionsprozess als auch bei dessen Endresultat um eine hochgradig artifizielle Angelegenheit handelt. Ein Artefakt ist der Edelstein schon deshalb, weil er eben nicht automatisch aus der Kremationsasche entsteht; vielmehr bedarf es einer technischen Ausstattung (etwa einer sogenannten ›High-Pressure-High-Temperature-Presse‹) und es braucht vor allem Menschen, die diese Ausstattung konstruieren und die Technik einsetzen, um physikalische Bedingungen zu schaffen, unter denen aus Asche ein Diamant werden kann. Auch wenn die technische Ausstattung es
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erlaubt, natürliche Prozesse nachzuahmen, ist der fertige Edelstein ein Produkt der Kultur und nicht der Natur. Genauer gesagt: Seine Genese ist die von kulturellen Prämissen abhängige Simulation des Natürlichen. (Im Fachjargon gibt es passenderweise die Unterscheidung zwischen ›natürlichen‹, im Erdinneren entstehenden Diamanten und ›kultivierten‹, d. h. synthetisch hergestellten Diamanten.) Die vermeintliche Natur ist in Wahrheit eine ›Maschinennatur‹, deren Existenz ohne die kulturellen Voraussetzungen nicht möglich ist. Das Primat der Künstlichkeit bzw. die Auffassung von einer Dominanz der Kultur über die Natur möchte Herr J. allerdings nicht teilen. Auch wenn er das kulturelle Wirken an dem, was er Natur nennt, nicht leugnet, sei der entscheidende Vorgang, nämlich das Wachstum des Diamanten, im Grunde »ein natürliches Wachstum, das wir forcieren.« Seine Firma stellt, so könnte man diese Sichtweise verstehen, lediglich die (fraglos technisch-kulturellen) Voraussetzungen zur Verfügung, um der Natur schließlich ihren (gesteuerten!) Lauf zu lassen. Weil Herr J. den Aschediamanten weniger als ein von Menschen erzeugtes Artefakt, sondern vielmehr als Naturprodukt sieht, sind die artifiziellen Eingriffe, so betont er, auf ein Minimum zu reduzieren. Grundsätzlich liegen die technischen Machbarkeiten, unter denen ein Diamant entstehen und unter denen er anschließend verändert werden kann, weit über dem, was das Unternehmen tatsächlich anbietet. Ein Beispiel: Herr J. erklärt, dass während der Diamantherstellung absichtlich keinerlei Einfluss auf die spätere Farbgebung genommen wird. Durch die Zugabe verschiedener Elemente (Schwefel sorgt beispielsweise für einen Gelbton) wäre dies zwar ohne Probleme möglich, würde aber den Authentizitätswert des Juwels als natürliches Produkt schmälern. Von dieser Haltung ist das Unternehmen bislang nicht abgewichen; Kundenwünsche hinsichtlich der manipulativen Farbgestaltung des Diamanten werden deshalb zurückgewiesen. Wie wir im Zuge unserer Interviews mit Kunden erfahren durften, sind Überraschungsmomente während der ersten Inaugenscheinnahme des Edelsteins nicht selten – was die Firma wiederum dazu veranlasst, zu betonen, dass sie auf die finale Farbe keinen Einfluss nimmt und diese Angelegenheit einzig ›der Natur‹ überlässt.5 Doch nicht immer lässt sich der ›Natürlichkeitsimperativ‹ mit aller Konsequenz durchsetzen. In der Anfangszeit seines Unternehmens schwebte Herrn J. vor, dass der aus der Wachstumszelle befreite Diamant keinerlei wei5 Wie viel Natur tatsächlich hinter der Diamantenfarbe steckt, muss spätestens angesichts des Gerüchts bezweifelt werden, dass die Verabreichung starker Medikamente, wie dies insbesondere bei einer Chemotherapie der Fall ist, anscheinend zu einer intensiveren Blaufärbung des Aschejuwels beitragen kann.
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tere Bearbeitung mehr erhalten, also weder geschliffen noch gelasert werden sollte. Er stellte jedoch fest, dass sich seine Vorstellung nicht mit den faktischen Nachfragen seiner Kunden decken wollte, von denen ein beträchtlicher Teil anstelle eines Rohdiamanten eine geschliffene Variante bevorzugt. Würde das Unternehmen derlei Wünsche pauschal ablehnen, täte man dann letztlich nicht genau das, was traditionellen Anbietern zur Genüge vorgeworfen wird – nämlich eigene Vorstellungen von der idealen Bestattungs- und Trauerkultur über die persönlichen Bedürfnisse der Kunden zu stellen? Während sich der Firmengründer zunächst noch gegen die mittlerweile obligatorische Laserkennzeichnung des Diamanten verschloss – weil er diesen Vorgang ebenfalls als kulturelle Vereinnahmung der Natur begriff, auch wenn der Identifzierungscode so klein ist, dass man ihn mit bloßem Auge nicht erkennt –, musste er nach einiger Zeit einsehen, dass es sich um eine wirksame Maßnahme handelt, insbesondere im Falle eines Diamantendiebstahls. Ein weiterer Aspekt, der das Verständnis von Herrn J. kennzeichnet, besteht darin, dass er sein Angebot nicht so gern als Produkt, sondern eher als Dienstleistung verstanden wissen möchte. Um eine Dienstleistung handele es sich deshalb, weil das, was für den Kunden getan wird, sich nicht lediglich in der technischen Herstellung und im Verkauf eines Aschediamanten erschöpft. Herr J. gibt zu bedenken, dass die Bedingungen, unter denen Menschen zu seinem Unternehmen üblicherweise finden – eine geliebte Person ist gestorben bzw. man setzt sich mit dem künftigen Lebensende auseinander –, zusätzliche Leistungen erforderlich machen. Es gehe also nicht bloß um geübtes Handwerk und verkaufsstrategisches Geschick; relevant seien vor allem psychosoziale Facetten wie eine empathische Zuwendung, die der individuellen, meist krisenhaften Lebenssituation gerecht wird (sich Zeit nehmen, Zuhören usw.), fachmännische Beratung, fürsorgliche Begleitung sowie die zuverlässige Organisation und Koordination der notwendigen Abläufe. Etwas zugespitzt formuliert, wird hier also nicht bloß ein materieller Gegenstand verkauft, sondern auch die damit verbundenen Emotionen und Erinnerungen. Sicher, die Rhetorik ist nicht neu – und welcher Unternehmer würde sich schon gegen die Zuschreibung wehren, dass sein Angebot nicht einfach nur ein Produkt, sondern überdies ein ›Erlebnis‹ sei? Ein solcher Zugang mag sich pathetisch anhören, er wird allerdings plausibel, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Vertrauensvorschuss in diesem Marktsegment einen besonders hohen Stellenwert besitzt. Bevor die Hinterbliebenen ihren kristallgewordenen Verstorbenen überreicht bekommen, müssen sie die Asche zunächst für eine gewisse Zeitspanne Menschen anvertrauen, die ihnen üblicherweise unbekannt sind und deren Tätigkeit sich auf einer nicht ohne
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Weiteres einsehbaren Hinterbühne abspielt. Umso wichtiger ist es aus Unternehmenssicht, den Kunden und allen potenziell Interessierten das Gefühl zu vermitteln, dass sich ihr Verstorbener in guten Händen befindet und kein Anlass zur Sorge besteht.
7.3 Zur Ästhetik der Verwesung, der Asche und des Juwels Wie ein Anbieter sein eigenes Produkt interpretiert (hier z. B. als Bestattungsform, als Naturprodukt, als Dienstleistung), hat Auswirkungen darauf, wie er es vermarktet. Was hat der Aschediamant, was andere Sepulkralofferten nicht haben? Was spricht etwa dafür, der klassischen Erdbestattung eine Absage zu erteilen und sich stattdessen für eine Kremation mit anschließender Diamantpressung zu entscheiden? Herr J. führt hier gleich mehrere Argumente ins Feld, die sich zum Teil auch in den Aussagen jener Diamantbesitzer widerspiegeln, die wir darum gebeten haben, die wesentlichen Etappen ihres Entscheidungsprozesses zu rekapitulieren. Dass das Juwel gewissermaßen als Gegenentwurf zur herkömmlichen Bestattung gelesen werden kann, dürfte klar geworden sein. Doch wodurch zeichnet er sich aus? Ein erster Schritt zur Beantwortung dieser Frage könnte darin bestehen, Bestattungskultur unter ästhetischen Kategorien zu betrachten. Aus guten Gründen ist der Umgang mit toten Körpern in der westlichen Gesellschaft von einer irreversiblen Unsichtbarmachung geprägt. Wenn jemand stirbt, dann wird dessen Leichnam für gewöhnlich binnen kürzester Zeit bestattet, im klassischen Sinne heißt das: in einen Sarg gelegt und anschließend circa zwei Meter unter dem Erdboden begraben. Das Alltagswissen darüber, was in den anschließenden Tagen, Wochen, Monaten und Jahren mit diesem Körper passiert, ist für gewöhnlich mehr theoretischer denn praktischer Natur. Dass die Verwesung einer menschlichen Leiche unter Bedingungen der visuellen Ausblendung vonstattengeht, dass solche Vorgänge also bewusst nicht über der Erdoberfläche ihren Lauf nehmen und den meisten Menschen keine Gelegenheit zur direkten Wissensgenerierung ermöglichen, wird nicht als kultureller Missstand, sondern im Gegenteil als Kennzeichen kultureller Entwicklung verbucht (Benkel 2013a; Benkel/Meitzler 2013; Meitzler 2017a). Sollte es dennoch zur unmittelbaren Begegnung kommen, dann spielt sich diese entweder weitgehend unaufgeregt, weil in routinierten beruflichen Bahnen verankert, ab oder eben – und das ist der empirisch weitaus seltenere Fall – als urplötzlicher Auslöser eines Krisenerlebnisses, welches das an derartigen
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Überraschungsmomenten arme Alltagsleben für ein bestimmtes Zeitintervall unterbricht und vielleicht noch darüber hinaus nachhaltig beeinflusst. Wenngleich eine gewisse Neugier auch am sukzessiven Vergehen des Körperlichen mehr oder minder verbreitet ist und von einem facettenreichen Medienangebot bedient wird, dürfte diese Faszination rasch dem Ekel, dem Schock, ja der Panik weichen, wenn das Objekt (oder Subjekt?) der eigenen Beobachtung mit einem Mal nicht mehr der depersonalisierte Unbekannte, sondern der (un-)vertraute, (tote) Körper eines nahen Angehörigen ist. Der Wunsch, ›nicht von Würmern zerfressen zu werden‹, ist längst zu einem Gemeinplatz worden, von dem häufig Gebrauch gemacht wird, wenn jemand, fragt man ihn nach seinen Bestattungsvorstellungen, eine Abneigung gegenüber der Erdbestattung zum Ausdruck bringen möchte. Dieser umstrittenen Körperaussicht, obzwar mehr Mythos als Wahrheit, kann man heute durch die Wahl der Kremation problemlos entkommen. Als hygienisch ›saubere‹ Methode, wie die Feuerbestattung seit ihrer (Wieder-)Einführung von vielen Seiten angepriesen wird, nimmt sie anstelle der biologischen Zwangsläufigkeit der Verwesung eine Abkürzung über den Oxidationsprozess im Muffeloffen. Auch dieser Vorgang findet, wiewohl er zur Hervorbringung seines ›Endproduktes‹ weitaus weniger Zeit benötigt, typischerweise nicht unter Einsichtnahme der Angehörigen statt. Zurück bleibt, je nach ursprünglicher Körpermasse, ein bald mehr, bald weniger großer Aschehaufen. Wie schon bei der Erdbestattung greift auch hier das Prinzip der irreversiblen Invisibilität. Seine Sichtbarkeit verliert der tote Körper nicht durch Begräbnis und Verwesung, sondern durch Einäscherung – und was einmal verbrannt ist, wird es bekanntlich immer sein. Die Asche selbst verschwindet ebenfalls kurz darauf in einer ›Blackbox‹, d. h. in der Aschekapsel. Die Begutachtung des Kremationsproduktes ist auch und gerade danach zumindest potenziell möglich; jede Aschekapsel lässt sich wieder öffnen. Im Unterschied zum verrotteten Leichnam unter der Erde besitzt die Totenasche dank ihrer optischen Verwandtschaft zu den Ascheresten von z. B. Zigaretten, Holzbriketts oder Grillkohle überdies eine prinzipiell höhere ›alltagsvisuelle Anschlussfähigkeit‹. Ihr Anblick dürfte allenfalls dann Irritationen auslösen, wenn dem Betroffenen gewahr wird, dass es sich um Kremationsasche handelt. Nicht das faktische Vorliegen einer hitzetransformierten Leiche ist für diese Irritation ausschlaggebend, sondern die vorgenommene Zuschreibung. Ohne ein (selbstständig antrainiertes oder extern zurate gezogenes) Expertenwissen dürfte die sichere Identifikation von Asche als humanoide Kremationsasche ohnehin schwierig bis unmöglich werden – und wann gerät man schon in den zweifelhaften Genuss, solch eine Unterscheidung treffen zu müssen?
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Dessen unbeschadet bleiben die Kremierungsasche und der Vorgang ihres Entstehens nicht frei von negativen Assoziationen. (Sie bilden aufgrund ihrer Charakteristika sozusagen ein sepulkrales Pendant zum ›Würmernarrativ‹.) Bei nicht wenigen Personen ruft bereits der bloße Gedanke, dass ein enges Familienmitglied oder man selbst eines Tages dem Feuer übergeben wird, heftige Ablehnung hervor. Ferner wird die Urne im Wohnzimmer – den juristischen Aspekt einmal beiseitegelassen – nicht in jedem Fall als beliebtes Einrichtungsaccessoire betrachtet. Derweil sich einige unserer Interviewpartner in einem vorangegangenen Projekt die häusliche Präsenz der Totenasche ausdrücklich gewünscht haben und hierüber nicht nur eine räumliche, sondern auch eine soziale Nähe zum geliebten Verstorbenen herstellen können, gaben andere zu verstehen, dass ein solcher Umgang für sie mehr Belastung als Hilfe bedeuten würde (siehe hierzu Benkel/Meitzler/Preuß 2019: 146 f.). Von einer Ästhetik der Asche hört man selten. Gleichwohl tummeln sich auf dem Sepulkralmarkt inzwischen auch Anbieter, deren Produkte durchaus unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet werden können, ja sollen. Hier nur ein paar wenige Beispiele, die uns im Rahmen unserer Forschung begegnet sind: •• Eine aus Deutschland stammende Künstlerin fertigt, wenn auch als Ne benzweig ihrer eigentlichen Tätigkeit, Gemälde an, deren Farbe sie mit Kremationsasche anreichert. Die Technik war für sie nicht radikal neu; bereits zuvor malte sie Bilder mit Holzasche und Steinkohle, bis sie eines Tages gefragt wurde, ob sie sich dies auch mit menschlicher Asche vorstellen könne. Wie sie im Interview verrät, stand sie diesem Ansinnen zunächst äußerst zurückhaltend gegenüber: »Meine erste Reaktion war, nein geht gar nicht, sofort startete das Kopfkino. […] Für mich war das eigentlich ein absolutes No-Go-Thema, aber das Thema kam mir immer wieder vor die Füße, auf ganz komischen Wegen.« Schließlich überwand sie ihren anfänglichen Widerstand und wurde darin nicht zuletzt durch die positive Erfahrung bestärkt, die sie im Umgang mit trauernden Kunden machte. Das Gemälde bildet insofern ein Gegengewicht zum herkömmlichen Umgang mit dem Kremierungsrest, als die Asche durch ihre Verarbeitung eben nicht verschwindet, sondern zum dauerhaft wahrnehmbaren Element eines Kunstwerkes wird, das hierdurch eine eigenwillige Note erhält. Wichtig für die ästhetische Qualität des Materials sei ein Gespür für Proportionen. So weist die Künstlerin etwa darauf hin, dass sie für ihre Arbeit nicht die gesamte Asche verwendet, sondern nur eine vergleichsweise geringe Menge (circa 20 Gramm) – denn »es soll ja ästhetisch aussehen«. •• Eine deutsche Firma stellt handgefertigte Glasskulpturen in unterschiedlichen Formen und Größen her. Die Besonderheit dieser Artefakte liegt darin,
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dass ein winziger Teil der Kremationsasche (maximal ein bis zwei Teelöffel) in das Glas eingearbeitet wird, davon umschlossen ist, aber sichtbar bleibt. Aufgrund der geltenden Friedhofspflicht und des Verbots der Teilung bzw. Weiterverarbeitung von Asche werden solche Skulpturen aktuell in ausländischen Glasmanufakturen (etwa in Tschechien und den Niederlanden) produziert, jedoch auch und vor allem an deutsche Kunden vertrieben. Ein anderer Teilnehmer auf dem Markt der Ascheartefakte mit Sitz in Österreich fertigt Rubine und Saphire an. Hierfür wird ebenfalls nur ein kleiner Ascheanteil (rund 50 Gramm) benötigt,6 aus dem verschiedene Elemente (z. B. Kalzium, Phosphor, Eisen, Magnesium, Titan) extrahiert werden. Im Zuge eines ungefähr 24 Stunden andauernden chemischen Verfahrens (einer Homogenisierung mit Aluminiumoxid unter Temperatureinfluss von über 2.000 Grad Celsius) werden die gewonnenen Elemente zu einem Edelstein verschmolzen. Nachdem das Juwel abgekühlt ist, wird es nach einer vom Kunden ausgewählten Designvorlage geschliffen. Nicht näher eingegangen werden soll an dieser Stelle auf weitere, höchstseltene Varianten, die an unterschiedlichen Orten der Welt bereits vorgekommen sein sollen und gegenüber denen das bisher Vorgestelle geradezu konventionell anmutet: Man kann Kremationsasche auf eine Schallplatte oder zu Munitionspatronen pressen (und letztere mittels Jagdgewehr verschießen), mit Tätowiertinte mischen und auf bzw. unter die Haut stechen, in Feuerwerkskörper füllen, Kaffeegeschirr damit verzieren – oder sie in Objekte zur sexuellen Stimulanz einarbeiten lassen.
Obwohl sich die hier vorgestellten Produkte in ihrer Beschaffenheit, in ihrer Ausstattung, in ihren Absatzchancen und in den Voraussetzungen, unter denen sie entstehen, unterscheiden, haben sie doch eine wesentliche Gemeinsamkeit: Eine ansonsten ›unästhetische‹ und buchstäblich schwer (be-)greifbare und üblicherweise der Sichtbarkeit entzogene Materie wird zu einem handhabbaren, vorzeigbaren Produkt ästhetisiert – nicht umsonst ist in diesem Zusammenhang häufig von ›Veredelung‹ die Rede. Die Ästhetik der Asche resultiert jedoch nicht automatisch aus ihr selbst heraus, sondern es bedarf eines je unterschiedlich gearteten Eingriffs (Vermengung mit Farbe, Einarbeitung in Glas, Extraktion bzw. Filtration usw.). 6 Wie das Unternehmen in diversen Werbebroschüren, auf der firmeneigenen Webseite wie auch im Gespräch mit den Autoren dieses Bandes erläutert, ist zur Herstellung des Edelsteins nicht zwingend Kremationsasche vonnöten. Ebenso gut könne man auch zehn Gramm Haare verwenden bzw. Haare und Kremationsasche mischen.
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Im unverarbeiteten Zustand scheint Kremierungsasche hingegen nur wenige Handhabungsoptionen zu bieten. Man kann sie unter der Erde oder hinter der Steinplatte einer Urnenwand beisetzen, an einem bestimmten Ort verstreuen, in einem verschlossenen Amulett oder in einem Urnengefäß im eigenen Wohnraum aufbewahren. All das steht im Zeichen der Unsichtbarmachung und folglich der Reduktion von Zuschreibungsmöglichkeiten. Aufgrund ihrer charakteristischen Konsistenz erweist sich die Totenasche als haptisch unpraktisch. Und was wäre gewonnen, würde man das Urnengefäß in regelmäßigen Abständen öffnen und seine Hand tief hineintauchen? Vielmehr greifen in einem solchen Fall Semantiken der Unreinheit (Asche beschmutzt die Hände) und der Pietät (Hände ›beschmutzen‹ den Toten). Dass man mit Asche (im verarbeiteten Zustand) viel machen kann, ohne mit ihr (in ihrer ›ursprünglichen‹ Form) viel machen zu können, ist auch der Ansatzpunkt des Schweizer Diamantunternehmens. Hierzu sein Gründer Herr J.: »Asche ist nicht appetitlich. Was mache ich mit der auf der Kommode? Die erste Generation hat noch einen Bezug, die zweite nicht mehr. Da fragt man sich: Wie gehe ich jetzt damit um? Auch hier werde ich mit Endlichkeit und Verlust konfrontiert.« Der Diamant ist anders. Gleichwohl aus Asche entstanden, scheint es, als verkörpere dieses zweifellos ästhetische Artefakt die Antithese all dessen, was bisher über den konventionellen Totenumgang gesagt wurde. Im Unterschied zur Asche ist der Diamant nicht ein abstraktes Etwas, sondern insofern anschlussfähig, als sein Betrachter etwas mit ihm ›anzufangen‹ weiß; der Edelstein erklärt sich bereits aus seiner Form und er ermöglicht auch im buchstäblichen Sinne eine Handhabung. Man kann ihn berühren, ohne dass er einem durch die Finger rinnt oder ebendiese verschmutzt. Ferner hat man es nicht mit einem Memento mori zu tun, das einem die Unumgänglichkeit des Todes ins Bewusstsein ruft; vielmehr wohnt dem Diamant eine gewisse Ewigkeitsverheißung inne. Sein Material ist robust und schier unvergänglich, sein Besitzer – einen Diamanten kann man im Gegensatz zu einem Leichnam und zur Kremationsasche tatsächlich besitzen – genießt ein lebenslanges ›Nutzungsrecht‹. Voraussichtlich wird das Juwel auch dann noch existieren, wenn der, der ihn beauftragt hat und diejenigen, die ihn angefertigt haben, eines Tages nicht mehr leben. Als Teil der Erbmasse kann er schließlich weitergereicht werden. Weder Vergänglichkeit noch Unreinheit und Ekel sind dem Aschediamanten äußerlich eingeschrieben. Vielmehr steht er für das exakte Gegenteil: Unvergänglichkeit, Schönheit und Reinheit. Er bedarf somit keiner Unsichtbarmachung, sondern zieht auch dank seines strahlenden Glanzes nicht selten neugierige, erstaunte und erfreute Blicke auf sich. Nochmals Herr J.: »Und der Diamant ist eher positiv, ist nicht negativ, sondern durch diese Attribute eines Diamanten, war unser Gedanke,
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man erinnert sich an die schönen Momente, die man mit diesem Menschen gemeinsam erlebt hat. Und solange diese Momente fortwährend gedacht werden, bleibt diese Person nahe.« Die Dichotomie von Schönheit und Hässlichkeit kommt noch in einem anderen Zusammenhang zum Tragen. Herr J. berichtet davon, dass es sich bei einem auffallend hohen Anteil seiner Kunden, die einen Vorsorgevertrag mit der Firma abschließen, um Krebspatienten handelt. Diesen Umstand erklärt er sich u. a. damit, dass sich Personen mit einer derart schweren Erkrankung mehr als andere mit dem Lebensende auseinandersetzen und eben auch entsprechende Vorkehrungen treffen. Zu dem praktischen gesellt sich ein, wenn man so möchte, ›symbolisches‹ Argument: »Ich hab’ das im Gespräch festgestellt, dass […] gerade bei Krebs, wenn jemand im Sterben liegt … dieser Prozess ist hässlich. Es ist hässlich, es ist unschön. Und ich habe auch Betroffene gefragt, ›Warum wählen Sie diese Form?‹ Die Antwort: ›Schauen Sie, am Ende bleibt was Schönes. Ich will nicht, dass sie mich in Erinnerung behalten, wo ich mit Chemo behandelt wurde, wie ich am Ende war, sondern sie sollen was Schönes haben.‹« Der hässliche Zerfall des lebenden zu einem sterbenden und schließlich zu einem toten Körper sowie der nicht minder unschöne Zerfall des toten Körpers im Zuge seiner Verwesung erhalten durch die postmortale Transformation zu einem Diamanten ein ästhetisches Gegenstück. Inwieweit sich dieser symbolische Überbau auch mit den tatsächlichen Beweggründen der Kunden trifft, steht zwar auf einem anderen Blatt; in unserem Datenmaterial lässt sich jedoch zumindest die eine oder andere Belegstelle finden, bei der die Schönheit des Edelsteins mit der Hässlichkeit des Todes kontrastiert wird. Nicht nur in ästhetischer, sondern auch in praktischer Hinsicht kann der Diamant gegenüber Asche und Verwesung punkten. Seine spezifischen Eigenschaften erlauben alternative Handhabungsmöglichkeiten und sprechen damit vor allem Personen an, die Friedhöfen aus unterschiedlichen Gründen tendenziell ablehnend gegenüberstehen. Sieht man einmal von pflegefreien Modellen ab, ist mit der Miete einer Ruhestätte meist die Notwendigkeit regelmäßiger Instandhaltung verbunden. Unsere Interviews deuten darauf hin, dass die Grabpflege häufig nicht im Zeichen der eigenen Trauerverarbeitung steht, sondern als Pflichthandlung wahrgenommen wird, als Bedienen von Anforderungen und Konventionen, das allenfalls einer Reduktion des schlechten Gewissens (nicht gegenüber dem Verstorbenen, sondern dem sozialen Umfeld!) dient. »Die bestehenden traditionellen Möglichkeiten sind relativ brutal, weil innerhalb von einer Woche geht’s in ein Grab. Er ist weg, er ist nicht mehr da, spendet keinen Trost mehr«, konstatiert auch Herr J. Gemäß dieser Betrachtungsweise hat man es mit einem doppelten Verlust zu tun, da nicht nur das Leben eines bedeut-
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samen anderen endet, sondern zugleich dessen Körper durch die Beisetzung in einem Friedhofsgrab auf Distanz gebracht wird. Hinzu kommt, dass ein Friedhof üblicherweise nur zu bestimmten Besuchszeiten betreten werden darf, der Hinterbliebene also nicht autonom über seine Präsenz am Grab entscheiden kann. Da sich die Beisetzungsstelle an einem öffentlichen Ort befindet, ist sie auch den potenziellen Blicken mehr oder minder Unbeteiligter ausgesetzt, die ihren optischen Zustand bewerten und den dafür Verantwortlichen gegebenenfalls sozial sanktionieren könnten. Weil der Diamant nun aber kein Grab im eigentlichen Sinne ist, macht er weder Pflegebemühungen erforderlich, noch ist der Umgang mit ihm der sozialen Kontrolle ausgesetzt. Was mit dem Edelstein geschieht, unterliegt allein der Souveränität desjenigen, der ihn beauftragt und erworben hat. Anders als das immobile Friedhofsgrab verspricht der Diamant dauerhafte und, wenn gewollt, permanente Gegenwärtigkeit. Er kann im unmittelbaren Umfeld verbleiben, etwa indem er in der Wohnung aufbewahrt oder in ein Schmuckstück eingefasst und am Körper getragen wird. Zwar muss auch in diesem Fall der Verstorbene zunächst ›weggegeben‹ werden (der Leichnam wird ins Krematorium gebracht, die Asche ist für einige Wochen bzw. Monate in der Schweiz), doch handelt es sich dabei bloß um eine temporäre Trennung, die schließlich mit der ›Rückkehr‹ in kristalliner Form belohnt wird. Herr J. verbindet mit dieser Wartezeit sogar einen positiven Effekt: Während Kritiker, dazu gehören u. a. auch einige (echte wie selbsternannte) Psychologen, im Besitz und im Umgang mit dem Diamanten ein Unvermögen sowie ein Hindernis erkennen wollen, von einem geliebten Menschen ›loszulassen‹, sei dieses Loslassen gerade in der Zeitspanne gegeben, in der das Juwel entsteht. Neben einer unerlässlichen Kritik am klassischen Verständnis, wonach Trauer im Dienste der Ablösung vom Verstorbenen stehe, sowie an sämtlichen pauschalisierenden Trauermodellen, ließe sich aus der Perspektive von Herrn J. festhalten, dass die eigentliche Trennung bereits stattfindet, bevor die Angehörigen den Diamanten erhalten. Hierbei haben wir es mit einer bemerkenswerten Umdeutung zu tun: Gemeinhin negativ konnotiert, wird das Warten als ›Phase der Untätigkeit‹ zum psychologischen Unterstützungsmechanismus aufgewertet.
7.4 Pietät, Wertigkeit und der Abschied von Patentlösungen Dass sich der Umgang mit Sterben, Tod und Trauer in einem moralisch stark aufgeladenen Feld vollzieht, gilt insbesondere unter ökonomischen Vorzeichen (Akyel 2013). Zweifellos stellt die Versöhnung von Pietätserwartungen und
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Profitmaximierungsinteressen eine heikle Angelegenheit für einen jeden Unternehmer dar, der in diesem Bereich tätig ist – dann jedenfalls, wenn er nicht den Verdacht erwecken möchte, zu den schwarzen Schafen der Branche zu gehören. Als Produzent von Aschediamanten, der bereits aufgrund der ›Posttraditionalität‹ seines Angebotes leichter dem Kommerzialisierungsvorwurf ausgesetzt ist als klassische Funeralakteure, löst Herr J. dieses Spanungsverhältnis, indem er die Preispolitik seines Unternehmens u. a. durch eine Pietätsgarantie legitimiert. Befragt nach seinen persönlichen Vorstellungen von Pietät verweist er auf den firmeninternen Umgang mit Kremationsasche und ihrer Bestandteile: »Das sind menschliche Überreste, die wir so behandeln, wie wir die Überreste unserer Großeltern, unserer eigenen Angehörigen behandeln würden.« Dazu gehört beispielsweise, dass »bei sämtlichen Prozessen die Asche, der Diamant nicht mit der bloßen Hand berührt« wird, sondern ausschließlich »mit Handschuhen, Pinzetten. Und wir sagen, es soll die Familie, es sollen die Angehörigen sein, die das Privileg haben, diese Intimität der Berührung zu haben.« Außerdem wird die Asche »nie auf den Boden gestellt, sie wird nicht bloßgestellt in Tüten, sondern wir haben japanische Urnenhüte, wo dann die Asche abgedeckt wird, damit sie nicht anderen Blicken ausgesetzt ist. Familienmitglieder, Presse oder Gäste dürfen nie in der Produktion sein, wenn wir diese Asche verarbeiten, aus Pietätsgründen und auch aus Respekt gegenüber dem Verstorbenen. Und was wir nicht machen, wir geben nicht den Namen des Verstorbenen weiter, der Verstorbene ist nicht namentlich aufgeführt, sondern es gibt eine Referenznummer.« Auch der Umgang mit ›Restmaterialität‹ unterliegt dem Pietätsgebot – was im Zuge der Kohlenstofffiltration und des Diamantenschliffs anfällt, gilt zumindest symbolisch nicht als Abfall, sondern ausdrücklich als Element eines menschlichen Körpers und erhält eine »zweite Kremation«, deren Asche auf dem firmeneigenen Friedhof beigesetzt wird. Die genannten Abläufe machen erkennbar, dass und wie über einen hochtechnisierten Vorgang ein Pietätscode gelegt wird, der die Abläufe vom Eintreffen der Asche bis zur Fertigstellung des Edelsteins weniger nüchtern erscheinen lässt, sie zugleich aber auch aufwändiger und das Endprodukt teurer macht. Für den Diamant zahlt der Kunde zwar eine hohe Summe, dafür aber, so die Argumentation, wird ihm nicht nur die Dienstleistung geboten, sondern auch die Gewährleistung einer sorgfältigen und pietätvollen Behandlung der Körperrestsubstanz seines Verstorbenen. »Ich stehe zu dem Preis – es ist nicht günstig, aber das darf es auch nicht sein«, betont Herr J., dem es von Anfang an wichtig war, »kein billiges Massenprodukt« anzubieten. Wie sehr die Kosten ohnehin nur eine relative Angelegenheit sind, demonstriert er, indem er vorrechnet, was ein Erdwahlgrab auf dem Friedhof mitsamt jährlicher Gebühren kostet. Im Ver-
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gleich dazu sei der Diamant letztlich gar nicht mehr so teuer – und bringe sogar noch den Vorzug ein, seinem Besitzer keinerlei Begrenzung in der Nutzungsdauer vorzuschreiben. Über den Austausch mit seinen Kunden bezüglich der konventionellen Bestattungslogik berichtet er: »Die Leute sagen, ich werde gezwungen, ich darf nicht wählen, und dann muss ich noch die Kröte schlucken, zu den Preisen, die mir vorgegeben werden. Und das sind Dinge, die ich als Dienstleister einfach aufnehme.« Das Pietätsverständnis des Unternehmens schlägt sich derweil nicht nur in den internen Arbeitsabläufen nieder. Angesichts des deutlich vernehmbaren Relevanzgewinns des Heimtiertodes und einer damit einhergehenden Ausdifferenzierung des Tierbestattungsmarktes (Meitzler 2017c; ders. 2019) liegt es nicht fern, das Angebot entsprechend auszurichten – schließlich können Diamanten nicht nur aus der Kremationsasche von Menschen hergestellt werden, sondern auch aus der von Tieren (bzw. aus deren Fellhaaren oder Gefieder). Für die Abwicklung entsprechender Aufträge ist jedoch ein speziell für diesen Zweck gegründetes Tochterunternehmen mit Sitz in Deutschland zuständig. Dass Menschen- und Tierdiamanten nicht von derselben Firma angeboten werden, auch wenn beide Betriebe faktisch zusammengehören, hat weniger pragmatische oder juristische Ursachen, sondern ist in erster Linie ›Symbolkommunikation‹. So innig das Verhältnis von Menschen zu ihren Heimtieren mitunter ist, so sehr es im jüngeren wissenschaftlichen Diskurs Bemühungen gab, die lange Zeit unhinterfragte, weil naturalisierte Demarkationslinie zu dekonstruieren (Chimaira 2011), und so nah Mensch und Tier inzwischen auch auf dem funeralen Sektor zusammengerückt sind (etwa durch die Möglichkeit einer gemeinsamen Beisetzung) – um sein Pietätsversprechen einzulösen, setzt das Unternehmen auf eine bewusste Trennung. Manche Kunden, so mutmaßt Herr J., könnten den Edelstein ihres Verwandten gewissermaßen entwertet sehen, sollten sie erfahren, dass an der gleichen Stätte auch Diamanten aus Hunden, Katzen usw. entstehen. Hier und da erhält die Firma Anfragen, ob es denn möglich sei, die zusam mengeschütteten Aschen eines Verstorbenen und seines Heimtiers zu einem Diamanten zu verarbeiten. Diesbezüglich bekräftigt Herr J. seine Position: Nicht alles, was technisch unproblematisch ist, ist es auch in einem moralischen Sinne. Jede Kremierungsasche wird zunächst auf ihre Zusammensetzung und Tauglichkeit für das weitere Prozedere überprüft. Dabei kann u. a. festgestellt werden, ob es sich um menschliche oder um tierische Asche oder um ein Gemisch aus beidem handelt. Sobald Tierasche im Spiel ist – was in sehr seltenen Fällen sogar schon vorkam –, wird der Auftrag nicht ausgeführt, sondern auf die deutsche Tochterfirma verwiesen. Sein Vorgehen in diesen und anderen Fragen, die die
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Pietätsthematik berühren, begründet Herr J. damit, dass er sein Unternehmen als Marktführer auf dem Gebiet der Aschejuwelen versteht und sich darum in der Pflicht sieht, nicht nur technische, sondern auch moralische Standards zu setzen – um sich letztlich auch von solchen Anbietern abzugrenzen, die in dieser Hinsicht offenbar weniger Skrupel haben. Der Frage, ob er sich vorstellen kann, irgendwann später einmal selbst zum Diamanten zu werden, begegnet Herr J. mit dem Hinweis, dass allein seine Familie darüber zu entscheiden habe. Nach wie vor präferiert er eine Kremation, was aber mit der Asche später passieren soll, stellt er seinen Angehörigen frei. Gegen einen Diamanten spreche prinzipiell nichts, ohne dass es sich aber um eine zwingende Notwendigkeit handele. »Aber es wäre ein bisschen seltsam, dass der Erfinder dieser Dienstleistung nicht zum Diamanten wird. […] Aber wenn sie’s nicht wollen, dann wollen sie nicht.« Die generelle Offenheit gegenüber verschiedenen Beisetzungsformen – und damit auch: gegenüber Konkurrenzprodukten – mag zunächst überraschen und könnte leichtfertig als Misstrauen in das eigene Angebot interpretiert werden. Andererseits passt diese Haltung zur zeitgenössischen Trauerkultur, in der immer weniger Menschen plausibel zu machen ist, weshalb es einen allgemeingültigen Umgang für sämtliche Todesfälle geben solle. »Meine Intention ist es nie gewesen, alle zu überzeugen, dass das gut ist. Ich finde, und das ist ziemlich schweizerisch, man sollte zumindest die Wahl haben.« Erst diese selbstreflexive Distanz zum Produkt verleiht ihm seine Authentizität: Nicht immer und nicht für jeden ist der Diamant eine Lösung – diese Einsicht bleibt selbst von dem Umstand ungetrübt, in entsprechende Vorgänge professionell eingebunden zu sein. So zu tun, als habe man ein Allheilmittel gegen Trauerschmerz erfunden, das man denen, die es anscheinend nicht besser wissen, einfach nur zu verschreiben, ja zu diktieren braucht, würde dem Geist der Individualisierung und Multioptionalität zuwiderlaufen und dem Kollektivismus das Wort reden – also genau das bewirken, wofür diverse Bestattungsvorschriften vielfach kritisiert werden.
7.5 Die Urne ist nicht das Ende Thema dieses Kapitels sind sepulkrale Produkte und Dienstleistungen, die auf je eigene Weise die Grenzen der traditionellen Bestattungskultur überschreiten und mithin neu ausloten. Wer Grenzen überschreitet, der irritiert, verunsichert, provoziert – weil er Vertrautes infrage stellt, an liebgewonnen Sicherheiten rüttelt und einmal mehr bewusst macht, dass nichts bleibt, wie es ist. So oder
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so ähnlich muss es auch damals gewesen sein, als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Krematorien in Deutschland ihre Türen öffneten und Forderungen nach einer Alternative zu dem, was lange Zeit als alternativlos galt, lauter wurden. Innerhalb des wenig ausdifferenzierten sepulkralen Angebots besetzte die Feuerbestattung in den ersten Jahrzehnten nicht mehr als bloß eine Nischenposition. Zwar raubte sie der traditionellen Körpererdbestattung insofern ihre Monopolstellung, als sie einen anderen Umgang ermöglichte; von einer ernst zu nehmenden Konkurrenz konnte allerdings nicht die Rede sein. Voraussichtlich würde diese Phase nur eine kurze sein, ein temporärer Zustand, der bald vorüber sein würde, wenn es nur gelänge, die individualistischen Ausbruchsversuche im Zaum zu halten und die Abtrünnigen wieder auf den rechten Weg zu führen – so jedenfalls dachten die Kremationsgegner, allen voran Vertreter der Kirchen. Sie sollten sich täuschen. An der Entwicklung des Stellenwerts der Feuerbestattung in den darauffolgenden Dekaden lässt sich geradezu paradigmatisch aufzeigen, dass gesellschaftlicher Wandel weder gezielt aufgehalten noch umgekehrt werden kann. Wird heute eine Kremation veranlasst, so spricht man wohl nur noch in betont konservativen Kreisen von Avantgarde und Grenzüberschreitung – vielmehr blickt das, was früher als radikaler Traditionsbruch verstanden wurde, ob seiner flächendeckenden Verbreitung inzwischen selbst schon auf eine gewisse Tradition zurück und bildet eines der primären Erkennungszeichen der zeitgenössischen Bestattungskultur. Posttraditionell, avantgardistisch und alternativ sind demgemäß keine adäquaten Attribute (mehr) für die Einäscherung des toten Körpers, sondern eher für den Umstand, dass deren Endprodukt in manchen Fällen nur von vorläufiger Natur ist, weil es noch eine weitere Behandlung erfährt, deren Ziel oft nicht das Friedhofsgrab ist. Die Marktnische, die die oben erwähnten Angebote besetzen, mutet aus ge genwärtiger Perspektive sehr speziell an, was nicht zuletzt auch den aktuellen (deutschen) Bestattungsvorschriften geschuldet ist, die ein offensives Bewerben erschweren. Nichtsdestotrotz geht es auch in diesem Bereich darum, sich ein Alleinstellungsmerkmal zu verschaffen, um sich von der Konkurrenz unterscheidbar zu machen. Bei näherer Beschäftigung mit den dominierenden Rhetoriken lässt sich erkennen, dass Körpernähe ein zentrales Distinktionskriterium ist. So legen die untersuchten Akteure großen Wert darauf, dass es sich bei dem jeweiligen Ascheartefakt erstens um ein echtes Produkt aus den körperlichen Bestandteilen des Verstorbenen handelt und dass diese Elemente zweitens ›näher dran‹ sind an der Essenz des menschlichen Körpers (und damit auch: an der verstorbenen Person, die diesen Körper hatte bzw. dieser Körper war?), als dies die anderen Marktteilnehmer von ihren Produkten behaupten.
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Und weil das Ascheartefakt eben nicht nur etwas ist, das von Menschen gemacht wurde, sondern auch aus Menschen, lässt sich die Brücke schlagen zwischen der (vermeintlichen) Individualität einer Persönlichkeit und der (vermeintlichen) Individualität des Produktes. Weil Körpernähe in diesem Zusammenhang allerdings nicht gleichbedeutend ist mit Körperähnlichkeit, liegt hier eine höchst ambivalente Kategorie vor. Das Artefakt muss körpernah sein, d. h. aus Elementen des menschlichen Körpers entstanden sein, um die potenzielle Zuschreibung – es ist der Verstorbene – überhaupt zu ermöglichen. Wie sonst könnte etwas jemand sein, wenn dieses Etwas nicht aus Elementen dieses Jemanden besteht? Die beabsichtigte Körpernähe wird allerdings nicht unmittelbar am Artefakt evident. Umso wichtiger ist es – bei den Edelsteinen vielleicht noch mehr als beim Aschegemälde oder bei den Glasskulpturen –, das Vertrauen der Hinterbliebenen in die Verheißungen des Produktes zu stärken. Anders ausgedrückt: Aufgrund der optischen Körperferne muss die stoffliche Körpernähe beweiskräftig gemacht werden. Das bewerkstelligen die untersuchten Firmen u. a. dadurch, dass sie jedem Interessierten Einblicke in ihre Produktionsabläufe gewähren und das jeweilige Verfahren über unterschiedliche Kommunikationskanäle erläutern – bisweilen sogar mit dem Vermerk, dass die Echtheit (was hier bedeutet: die ›Körperkorrespondenz‹) des Artefaktes nicht schlichtweg geglaubt werden muss, sondern sogar ›wissenschaftlich bewiesen‹ ist. Die Körpernähe darf andererseits nicht zu groß sein, damit sie nicht in optische Körperähnlichkeit übergeht und die Projektionsleistung der Kunden somit nicht von radikaler Körperevidenz konterkariert wird. Konkret: Der Versuch, Diamanten, Rubine oder Saphire unter der Bezeichnung ›Leichenjuwel‹ zu vermarkten, ließe selbst bei betriebswirtschaftlichen Laien Zweifel aufkommen. Und ginge es bei Sepulkralobjekten tatsächlich um maximale Körper(ähn)lichkeit, dann wäre z. B. ein Oberschenkelknochen – oder am besten das komplette Skelett – des Verstorbenen als ehrlichste, aber eben auch schonungsloseste aller Erinnerungsmaterialitäten dem Edelstein vorzuziehen. Sicher ergeben sich daraus diverse Fragen, die im wahrsten Sinne genügend Stoff für anderweitige Auseinandersetzungen böten: Ist der Kalk, der menschlicher Kremierungsasche entnommen wird, um mit ihm ein Kunstwerk auf die Leinwand zu zaubern, ›mehr vom Körper‹ als der Kohlenstoff, aus dem ein Diamant gepresst wird? Oder ist ein Toter stärker in einem Aschejuwel ›enthalten‹, wenn dieses nicht aus einem einzigen, sondern aus drei, vier oder fünf verschiedenen chemischen Elementen entsteht? Kommt die Individualität eines Menschen durch die individuelle Kombination der Bestandteile seiner Asche zum Ausdruck? Lässt sich der ›Wesenskern‹ eines Verstorbenen überhaupt
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auf die spezifische Zusammensetzung abstrakter, im sozialen Alltag ohnehin nicht als solche identifizierbarer Körperstoffe herunterbrechen? Welche Rolle spielen vor diesem Hintergrund mögliche Eingriffe in die Optik des Edelsteins (Farbgebung, Schliff usw.) für dessen Authentizität? Oder ist all das gar nicht so bedeutsam, weil es am Ende nicht darum geht, wie viel Humanpotenzial der Anbieter seinem eigenen Produkt zutraut, sondern wie sehr der Kunde dies erkennen will und in seine Kaufentscheidung miteinbezieht? Allem Wettbewerbsgeist zum Trotz sind die Marktakteure auch voneinander abhängig und können zugleich wechselseitig profitieren. Auf einem wegen der kulturellen Codierung seines Sujets äußerst sensiblen Markt ist der Aufbau von Vertrauensvorschuss ein konstitutives Moment der Kundenkommunikation. Das Konkurrenzprodukt als ›Mogelpackung‹ zu entlarven – so es denn hierfür einen konkreten Anlass gäbe –, würde nicht nur Vorbehalte gegenüber dem Mitbewerber schüren, sondern letztlich gegenüber der gesamten Produktsparte, deren spezifische Ausdifferenzierung (ein Diamant ist kein Saphir, ein Saphir kein Rubin usw.) nicht jedem Hinterbliebenen geläufig sein dürfte. Ein gegenseitiger ›Nichtangriffspakt‹ steht im Dienste des Überlebens des gesamten Marktsegments – und somit auch der Absatzchancen des eigenen Produktes. Ferner belebt Konkurrenz auch insofern das Geschäft, als mit der Bewerbung des eigenen Angebotes, sozusagen als unintendierte Nebenfolge, die Generalkategorie des Ascheartefaktes auf dem Sepulkralmarkt bekannter macht. Dass dort dieses oder jenes Produkt mittlerweile einen Platz gefunden hat, kann als Effekt eines Wandels von Einstellungen, Mentalitäten, Sachzwängen und dergleichen gelesen werden. Es braucht daher immerzu einen (bestattungs-) kulturellen Nährboden, auf dem entsprechende Früchte wachsen können – der wörtliche Ursprung von Kultur (lat. cultura) lautet nicht umsonst: Ackerbau. Erwartungsgemäß legitimieren die untersuchten Akteure ihre Produkte und Dienstleistungen auf recht ähnliche Weise. Im Zentrum steht der Anspruch, individuellen Wünschen hinsichtlich Trauer und Bestattung gerecht zu werden und sich gegen all das einzusetzen, was deren Realisierung im Weg steht. Dass vonseiten der Unternehmen ein großes Interesse an einer Liberalisierung der deutschen Bestattungsverordnungen besteht, konkret: an der Aufhebung der Friedhofsplicht für Kremationsasche und an der Legalisierung der Ascheteilung, sollte nicht verwundern. Zu bedenken ist allerdings auch, dass für die größtenteils im Ausland agierenden Firmen aufgrund der aktuellen Gesetzeslage nahezu keine deutsche Konkurrenz besteht. So oder so: Die Urne ist nicht das Ende – und die gegenwärtigen Angebote sind nur der Anfang. Daraus folgt nicht zwangsläufig, dass sämtlichen traditionellen Formen die Apokalypse droht, zumal es bisweilen ja gelingt, sie in
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moderne Gewänder zu kleiden. Dennoch bleibt abzuwarten, was geschieht, wenn die Kremationsraten noch weiter steigen, wenn das Bollwerk der Bestattungsgesetze noch mehr Risse bekommt und wenn Menschen, die in Zeiten von Individualisierung und Selbstbestimmung sozialisiert wurden, ein Lebensalter erreichen, in dem sie vermehrt mit Verlusterfahrungen konfrontiert werden. So wie der soziale Wandel im Allgemeinen keinen Endpunkt kennt, wird sich auch die Sepulkralkultur weiterentwickeln und immer wieder neue Facetten hervorbringen – die ihrerseits durch wieder andere Ideen erweitert bzw. von ihnen abgelöst werden.
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»Das ist also meine Frau …?« Die Übergabe eines Aschejuwels
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Die nachfolgenden Feldnotizen entstanden im Zuge eines einwöchigen Forschungsaufenthaltes im März 2019 bei einer Schweizer Firma, die Asche diamanten anfertigt. Während dieser Zeit erhielten wir, die Autoren des vorliegenden Buches, ausgiebige Gelegenheiten, das Unternehmen hinsichtlich seiner Produktionsabläufe und beteiligten Akteure näher kennenzulernen. Mit Blick auf soziale Dynamiken, in denen trotz eines krisenhaften Hintergrunds – der Tod eines Menschen – Routine dar- und hergestellt wird, war vor allem die Beobachtung jener Situationen von Bedeutung, in denen der Edelstein nach seiner Fertigstellung den Hinterbliebenen persönlich überreicht wird. Die Prozedur wird von einer Mitarbeiterin jenes Unternehmens vorgenommen, dessen Kundschaft in vielen, aber nicht in allen Fällen das Juwel persönlich an der Stätte seiner Entstehung abholt. Ort des Geschehens ist ein mit weißgetünchten Backsteinen gemauerter Raum, der wohl kaum mehr als 15 Quadratmeter groß ist. Ein 92-jähriger, noch durchaus rüstiger Mann, der, wie er berichtet, ursprünglich allein kommen wollte, nun aber von seiner Tochter begleitet wird, hat sich aus Süddeutschland mit dem Auto auf den Weg in die Schweiz gemacht, um dort seine verstorbene Ehefrau in der wiedergeborenen Form eines Diamanten abzuholen. Die Kunden, die in der Rhetorik des Unternehmens eher als willkommene Gäste empfangen werden, nicht als zahlende Auftraggeber, nehmen an der einen Längsseite des breiten Tisches Platz, der fast die gesamte Fläche des Raumes einnimmt. Nahe dem Eingang ist in einer Schrankwandeinrichtung ein großer Monitor platziert; dem gegenüber, am breiten Fenster, ist ein Festnetztelefon abgestellt, auch einige Kabel blicken hinter der Holzverkleidung hervor. Seitlich von ihnen positioniert und damit nicht direkt im Blickfeld der Protagonisten befindet sich eine hutschachtelgroße Holzkiste, die das in mehrfacher Hinsicht wertvollste Utensil dieser Zusammenkunft beinhaltet.
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Nachdem die deutschen Gäste, Herr S. und seine Tochter (Frau T.), in besagtes Zimmer geführt werden, geht Frau A., die die Übergabe verantwortet, kurz aus dem Raum. Sie lässt, wenigstens dieses Mal, ihren Besuch nicht allein, da zwei Wissenschaftler ebenfalls anwesend sind. Die beiden Hinterbliebenen hatten dazu ausdrücklich ihr Einverständnis gegeben, um das Frau A. sie nach der Ankunft gebeten hatte. Mit einem Tablett und zwei Tassen Kaffee kommt sie kurz darauf zurück. Sie unterbricht kein Gespräch; beide Seiten, die Angehörigen und die Forscher, hatten Schweigen bewahrt. Das Abstellen des Getränks entfacht nun aber eine von Frau A. forcierte Small-Talk-Situation, die sich um die Anreise, die Verkehrslage, das Wetter und andere unverbindliche Sujets rankt. Der kommunikative Einstieg gelingt Frau A. mühelos, weil sie ihn schon dutzendfach ausgeführt hat; dennoch wirkt das, was sie sagt, nicht wie auswendig gelernt, sondern vermittelt auch den wissenschaftlichen Beobachtern das Gefühl ehrlich empfundener Anteilnahme. Im Unterschied zu allen anderen Anwesenden ist Frau A. die einzige Person im Raum, für die das Szenario nichts Ungewöhnliches, nichts erstmalig Erlebtes darstellt. Weil die jeweiligen Rollen vorab recht klar verteilt sind und die zentrale Unterscheidung jene zwischen Routine und Außeralltäglichkeit ist, können weder die Gäste noch die Wissenschaftler auf ein belastbares Wissen bezüglich dieser spezifischen und höchst seltenen Begegnung zurückgreifen. Für die beiden Auftraggeber ist dies die erste, vielleicht auch einzige Gelegenheit in ihrem Leben, dass sie eine verstorbene Person in kristalliner Form überreicht bekommen. Ihre dahingehende Entscheidung konnte nicht getroffen werden, ohne dass sich spätestens jetzt Unwägbarkeiten aufdrängen: Was mag als nächstes passieren? Wie wird das Juwel aussehen? Welche Auswirkungen wird das Geschehen auf die eigene Gefühlslage haben? Noch dazu sind die beiden, ohne es zu Beginn ihrer Reise geahnt zu haben, plötzlich Zielsubjekte wissenschaftlicher Erkenntnissuche, von der sie nicht so recht einzuschätzen wissen, welcher Relevanzsetzung und Verwertungslogik das Ganze folgt. Die beiden Forscher wiederum sind bemüht, die Unmöglichkeit der Unsichtbarkeit möglich zu machen, indem sie jedwedes aktive Eingreifen in den Ablauf vermeiden wollen. Ihre Platzierung an den Außenseiten des Tisches hat diesbezüglich bereits Signalfunktion; gleichwohl wissen sie, dass sie das Setting schon durch ihre bloße Präsenz beeinflussen. Obschon sie mit den Prämissen methodengeleiteter, systematischer Beobachtung gut vertraut sind, erscheint die Situation für die Wissenschaftler ebenfalls ungewiss; voraussichtlich werden sie an einem hochgradig intimen Ereignis im Leben zweier Menschen teilnehmen, denen sie erst vor wenigen Augenblicken vorgestellt wurden.
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Von der neutralen Betrachtungswarte aus lässt sich in den folgenden Minuten beinahe der Eindruck gewinnen, man werde Zeuge einer Performance. Frau A. trägt bereits während ihrer Eröffnungsansprache weiße Handschuhe, ansonsten aber ein situationsadäquat dezentes, jedoch nicht übermäßig an Trauermode gemahnendes Outfit. Herr S. und Frau T. tragen Alltagskleidung. Die Atmosphäre ist nicht grundsätzlich feierlich; auch dem Ort haftet wenig andächtiger Glanz an. Auch aus der Beobachtung des Verhaltens der Gäste ergibt sich nicht, dass ein ungewöhnlicher, in gewissen Kreisen geradezu verpönter, im Übrigen auch rechtlich nicht unumstrittener Vorgang seinen Lauf nimmt. Beide hören sich ruhig und gefasst an, wie Frau A. sie auf das Folgende vorbereitet. Nach etwa fünf Minuten ist es so weit; mit den Worten »Schauen wir, wie sie geworden ist?« wendet sich die Moderatorin dieser eigenwilligen Konstellation dem materiellen Kernelement zu. Die implizite Frage nach der Beseeltheit des Diamanten ist durch diese Sentenz eindeutig beantwortet – daraus lässt sich schließen, dass eine Gleichsetzung von Edelstein und Person die Kundschaft üblicherweise offenbar nicht irritiert. Ob sich für Herrn S. und Frau T. diese Frage überhaupt stellt, ist in diesem Moment egal. Erwartungsvoll nicken sie der Zeremonienmeisterin zu, die sogleich die Holzkiste an sich heranzieht und mit dem Gestus der Enthüllung langsame Bewegungen ausführt. Der äußere kastenartige Aufsatz wird
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angehoben und zur Seite gestellt. »Wird ja immer spannender«, stellt Herr S. schmunzelnd fest. Zum Vorschein kommt eine Klappenvorrichtung, die Frau A. geübt entfaltet. Darunter verbirgt sich endlich die Schatulle, die den Aschediamanten der verstorbenen Frau S. beinhaltet. Während all dem lächelt Frau A. die beiden sich zwischen Ergriffenheit und Staunen bewegenden Personen auf der Gegenseite an. Es ist nun an der Zeit, dass die Kompetenz des Umgangs aus professionellen Händen übergeht an unerfahrene, mit der Situation unvertraute Akteure, die dann auch für einen Moment ratlos wirken. »Das ist also meine Frau …?«, sagt Herr S. halb ungläubig fragend, halb emotional überwältigt, um hinzuzufügen: »… mit der ich fast 60 Jahre verheiratet war.« Dem Narrativ der Identitätsgleichheit hat er sich angeschlossen. Unmittelbar nachdem diese Worte seine Lippen verlassen haben, bricht Herr S. kurzzeitig in Tränen aus und verleiht dem Geschehen damit seine expressivste affektuelle Komponente. Einige Sekunden lang herrscht Stille. Dann beginnt Herr S., sichtlich gefasster, von seinen Plänen zu erzählen. Den Diamanten möchte er in den Ehering seiner Frau einfassen lassen. Der Ring wiederum soll an einem Anhänger befestigt werden, den seine Enkelin – die nicht anwesende Tochter der weitgehend schweigsamen Frau T. – erhalten soll. »Schön, dann ist die Oma immer dabei«, kommentiert Frau A. in sanftem Ton und weist darauf hin, dass der Diamant auch gern herausgenommen und angefasst werden darf. Wichtig sei nur, die Schatulle über dem Tisch zu öffnen, damit das Juwel nicht versehentlich auf den Boden fällt. Zuerst berührt Frau T. ihn; diese Situation löst ihre Stimme: »So winzig isse geworden«, staunt sie, derweil sie sich den Edelstein vorsichtig vor das Gesicht hält und mit den Augen fixiert. Der Aschediamant ist nun Gegenstand der Aufmerksamkeit und Konzentration aller Beteiligten, mit Ausnahme von Frau A., die den nächsten Ablaufschritt vorbereitet. Herrn S. und Frau T. wird ein Zertifikat vorgelegt, auf dem neben den Lebensdaten der Verstorbenen ein Foto des Schmuckstücks, Angaben zu Gewicht, Schliff und Farbe sowie Informationen zum Produktionsprozess festgehalten sind. Am unteren Rand des Dokuments ist eine Formulierung abgedruckt, mit der das Unternehmen die Übernahme der Kremationsasche sowie den ordnungsgemäßen Ablauf zur Herstellung des Diamanten verbürgt. Frau A. geht das Zertifikat und dessen Einzelabschnitte gemeinsam mit den Angehörigen durch. Das Juwel verlässt dabei nicht den Zugriffsbereich entweder des Witwers oder seiner Tochter; er verbleibt also in ihrer engsten körperlichen Nähe. Herr S. hatte sich schon vorab dazu entschieden, nur einen Teil der Kremationsasche seiner Frau zu einem Diamanten verarbeiten zu lassen. Die übrig gebliebenen Reste werden die beiden im Anschluss an ihren Aufenthalt via PKW
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mit nach Hause nehmen. So ist es verabredet, und die Erfüllung dieses Plans leitet Frau A. ebenfalls durch eine Geste ein: Sie präsentiert die bis dahin von einer weißen Stoffverkleidung bedeckte Urne. Dieses Behältnis, die nach dem Kremationsprozess verwendete Original-Urne, könne das Unternehmen nicht aushändigen; es sei aber möglich, den Inhalt »in ein anonymes Gefäß umzuleeren«, so Frau A. Benutzt wird dafür ein provisorisches Behältnis. In dieser ›verkleideten‹ Form, die dem ungeübten Auge keine Assoziation mehr mit Ascheüberresten nahelegt, kann der Rücktransport gelingen. Das Unternehmen lässt sich vorab noch von den beiden Gästen, wie von allen Kunden in dieser Situa tion, per Signatur unter ein Standardformular zusichern, dass mit der Restasche ordnungsgemäß im Sinne geltender Rechtsvorschriften verfahren wird. Ein weiterer Teil der Prozedur, deren Dauer erheblich divergiert – von wenigen Minuten bis hin zu mehreren Stunden sei alles schon vorgekommen, wird Frau A. später berichten –, ist die Frage nach einer Hausbesichtigung. Das Angebot mag obligatorisch sein, doch nicht jeder möchte sich darauf einlassen, zu erfahren, wie aus der Kremationsasche ein Diamant gefertigt worden ist. Herr S. und Frau T. sind jedoch interessiert. Nun bedarf es zunächst noch der Unterzeichnung eines weiteren Formblatts. Unterschiedliche Informationen sind hier zur Kenntnis zu nehmen, beispielsweise das Verbot des Fotografierens bzw. des Anfassens der Apparaturen. Aufschlussreich ist der explizite Hinweis darauf, dass die Besucher der Produktionshallen dort keine menschliche Kremationsasche zu sehen bekommen und dass sämtliche Diamanten, die zu Präsentationszwecken ausgestellt sind, aus dem Kohlenstoff von Tierasche entstanden sind. Die Trennung der humanen und der animalischen Produktionsabläufe, die damit zum Ausdruck gebracht wird, ist der vorherrschenden Sepulkralkultur geschuldet: Tier und Mensch mögen im Leben vereint sein, im Tod sind sie üblicherweise getrennt. Dieser Punkt erweckt bei Frau T. offensichtlich Neugier; sie fragt Frau A. nach einer Infobroschüre und liefert sogleich die Legitimation für ihr Interesse nach: »Ich weiß ja nicht, wie lange mein Großer noch … Er bekommt jetzt momentan Chemotherapie«, sagt sie. »Man hängt ja an den Viechern«, ergänzt ihr Vater. Der Bruch, der mit dem Plan eingetreten ist, den Präsentationsraum ge meinsam zu verlassen, wird von Frau A. dadurch ›offiziell‹ gemacht, dass sie um den Namen einer Kontaktperson für den bislang noch nie eingetretenen Fall fragt, dass den Gästen auf dem Unternehmensgelände etwas zustößt. Es wird die Telefonnummer der besagten Enkelin genannt. In dieser Sequenz, wie überhaupt während der Prozedur, wird eine zentrale Gegenüberstellung offenkundig: Formalität trifft auf Emotionalität. Nach Erledigung der letzten sachlichen Anforderungen erheben sich die Beteiligten und schreiten zur Tür. Den
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positiven Schlussakzent der Übergabesituation setzt Herr S., indem er kurz in die eigene Körperzukunft blickt: »Wenn ich so weit bin, komme ich wieder zu Ihnen«, bemerkt er zu Frau A., während die drei das Zimmer verlassen und sich in den Gang begeben, der sie zur Produktionshalle führen wird. Der geschilderte Ablauf hat nicht länger als eine Viertelstunde gedauert. So außeralltäglich er anmuten mag, er ereignet sich so und in unzähligen Varianten mehrfach in der Woche. Der Raum ist stets derselbe, die Zeremonie liegt meistens, aber nicht immer, in den Händen von Frau A., andere Variablen hingegen fallen unterschiedlich aus. Was die Anzahl der Gäste betrifft, ist ein 13-köpfiger Motorradclub rekordverdächtig, der geschlossen vor Ort aufschlug. Demgegenüber gibt es genügend Kunden, die den Weg in die Schweizer Kleinstadt allein antreten. Überaus unterschiedlich sind auf Seiten der Gäste die genauen Erwartungen und Wünsche, der soziokulturelle Hintergrund, die Beziehung zum Verstorbenen, die bisherige Trauergeschichte, die emotionale Betroffenheit und vieles mehr. All diese Faktoren entscheiden letztlich im Zusammenspiel darüber, wie die Diamantenübergabe konkret verlaufen wird – sie stecken den Rahmen ab, in dem sich professionell beauftragte und emotional betroffene Personen in einen buchstäblichen Austausch begeben. »Tot sein, heißt den Lebenden ausgeliefert zu sein«, schreibt Jean Paul Sartre (2001: 934). Für den Aschediamanten könnte das Zitat als Motto dienen. Man ist als Toter den Lebenden schon dadurch preisgegeben, dass diese mit dem Körper verfahren, ihn also beispielsweise dem Kremationsofen überantworten und die Asche zu einem Schmuckstein verarbeiten. Ferner wird das Juwel nicht allein von Lebenden hergestellt, sondern auch an die Lebenden ausgeliefert – denen er sukzessive ausgeliefert bleibt. Das skizzierte Setting kommt indes mit überraschend wenigen Ritualen aus. Die Choreografie ist nüchtern, als gelte es, einen Kontrast zu setzen, derweil die Gefühlshaltung der Hinterbliebenen üblicherweise deutlich zum Vorschein kommt. Tränen sind im Übergaberaum gewissermaßen ein Inventarelement. Bisweilen käme es vor, so Frau A. im Nachgespräch, dass Angehörige explizit nach Ritualoptionen fragen; die Anliegen bewegen sich dabei im Rahmen üblicher Abschiedsgesten. In einem Fall wurde um das Aufstellen von Blumen gebeten, in einem anderen sollte eine Kerze angezündet werden. Manchmal bringen Gäste eigene Utensilien wie Bilder des Verstorbenen mit, die dann drapiert werden. Es kommt vor, dass Gebete gesprochen und Lieder gesungen werden. Kurzum, die Versatzstücke eines säkularen Gedenkgottesdienstes treten immer wieder einmal an dieser vermeintlich so profanen Stätte in Erscheinung. Womit hat man es hier zu tun? Dass es sich in der Regel nicht bloß um den nüchternen Vollzug eines Geschäftsaktes handelt, wird angesichts des affektu-
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ellen Potenzials des Geschehens nachvollziehbar. Auch kann nicht von einer Bestattungsfeier gesprochen werden; eher schon von einer Geburt. Im Zuge der Beerdigung wird das, was einmal ein Mensch war – der tote Körper – unsichtbar, indem er in einer Sargkiste verschwindet, die ihrerseits unter der Erde oder hinter den Türen des Kremationsofens irreversibel aus dem Blickfeld der Trauernden gerät. Im Schweizer ›Andachtsraum‹ ist das Gegenteil der Fall: Eine geschlossene Kiste kommt zum Vorschein, die vor den Augen der Angehörigen geöffnet wird. Die Hinterbliebenen dürfen mitentscheiden, ob und wann dies konkret geschieht, überdies genießen sie das Privileg des Berührens. Niemand vor ihnen hat den Diamanten mit bloßen Händen angefasst und niemals wird die Schatulle schon geöffnet sein, wenn die Angehörigen in den Raum geführt werden. Es geht nämlich nicht um ›vollendete Tatsachen‹, sondern um exklusive Handlungsbefugnis an der Schwelle der Todesüberwindung qua Diamantierung. Aus dem Besitz einer maschinell gefertigten Preziose kann im Übergabezimmer – wenn dies gewollt ist – die Rückvergemeinschaftung in den Kreis der Familie zelebriert werden. Oder eben die bloße Aushändigung eines artifiziellen Souvenirs, das an ein gewesenes Leben erinnert. Wie es danach weiter geht, entscheiden die Hinterbliebenen in jedem Fall selbst. Spätestens dann sind sie zu Ritualdesignern in eigener Sache geworden. Es liegt also eine hochgradig intime, in dieser Konstellation nicht wiederholbare Situation vor, bei der sich die gesamte Thematik rund um den Aschediamanten räumlich, zeitlich und sozial verdichtet. Innerhalb weniger Minuten zeigt sich, wie die beteiligten Akteure diese Situation, ihre Rollen in ebendieser und ihren Bezug zum kristallinen Erinnerungsartefakt definieren. Immerzu neu gestellt werden kann jene Frage, auf die nicht unbedingt eine Antwort kommen muss: Wenn, wie im Fallbeispiel, Menschen mit Trauerhintergrund einen Diamanten in die Hände schließen können – wie viele Personen haben dann das Zimmer verlassen, nachdem alle gegangen sind und der Raum auf die nächste Übergabe wartet? Sind die Wissenschaftler, die diskret als Letzte gehen, Frau A., die die Türe schon so oft geöffnet und wieder verschlossen hat, und Frau T. und Herr S., die vielleicht nicht das letzte Mal vor Ort waren, die Einzigen? Oder gab es doch noch eine weitere Person, der sich das Geschehen in einem Zustand offenbarte, welcher deshalb bezaubernd ist, weil er inmitten der technikrationalen Transformation der Asche in einen Diamanten eben doch ein kleines bisschen unbegreiflich bleibt?
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Leben mit dem Diamanten. Stimmen aus der Alltagspraxis
Thorsten Benkel, Thomas Klie & Matthias Meitzler
In diesem Kapitel sind Auszüge aus dem Interviewmaterial abgedruckt, das im Zuge des Forschungsprojekts Artefakt und Erinnerung zwischen Dezember 2018 und Juni 2019 generiert wurde. Insgesamt haben wir 49 Interviews geführt; das längste dauerte 137, das kürzeste 15 Minuten. Zielpersonen waren Menschen aus Deutschland, die mindestens einmal in ihrem Leben einen Aschediamanten beauftragt haben. Die Befragten wurden überwiegend über die Kundendatenbank eines Unternehmens akquiriert, das entsprechende Artefakte herstellt; punktuell kamen weitere Kontakte über private Beziehungen zustande. Das wesentliche Vorgehen bestand darin, dass ein von uns formuliertes Schreiben, welches über die wesentlichen Absichten unserer Studie und die Teilnahmemöglichkeiten informierte, an forschungsrelevante Personen weitergeleitetet wurde. Die Interessierten hatten dann die Gelegenheit, sich bei uns auf verschiedenen Wegen (telefonisch, postalisch oder per E-Mail) zurückzumelden; die Herausgabe von Namen- oder Adressdaten der Kunden war somit nicht notwendig. Ein solches Verfahren wirkt sich zwar prinzipiell beeinträchtigend auf die Rücklaufquote aus, eine Verzerrung der Befragungsergebnisse war dadurch jedoch nicht zu erwarten, da sowohl zufriedene wie auch unzufriedene Kunden einen Anlass haben, sich reflexiv mit ihrer Entscheidung zu befassen. Von einer großen Menge ›indifferenter‹ Kunden gingen und gehen wir nicht aus. Auf eine erste (überwiegend telefonische, mithin aber auch schriftliche) Rückmeldung folgte eine Terminabsprache für eine längere Unterhaltung. Schon diese ersten, eher kurz gehaltenen Gespräche zur Klärung der eigentlichen Interviewbedingungen waren in vielen Fällen von interessanten Mitteilungen und Details geprägt; nicht wenige Personen am anderen Ende der Leitung hätten am liebsten sofort mit dem Erzählen begonnen, mussten aber aus naheliegenden forschungsstrategischen Gründen auf eine Wartezeit von durchschnittlich wenigen Tagen vertröstet werden. Auf der Strecke zwischen Terminbesprechung
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und Gesprächszeitpunkt sind einige Interviewpartner ›verloren gegangen‹, insbesondere wegen Unerreichbarkeit und fehlender Resonanz trotz mehrfacher Nachfrage. Die allererste Kontaktaufnahme erfolgte übrigens von einem 80-jährigen Mann, insgesamt jedoch war der überwiegende Teil unserer Gesprächspartner weiblich – was in dem Forschungsfeld Sterben/Tod/Trauer nicht überraschend ist (vgl. Benkel/Meitzler/Preuß 2019: 110 f.). Dass eine Witwe einen Edelstein aus der Kremierungsasche ihres verstorbenen Mannes beauftragt, war der häufigste Fall, den wir antrafen, aber auch diverse andere Beziehungskonstellationen kamen vor (Diamant aus der Asche der Ehefrau, der Eltern und Schwiegereltern, der Kinder, der Geschwister usw.). Dass die interviewte Person in allen Fällen ein sehr enges, emotional geprägtes Verhältnis zum diamantenen Verstorbenen hatte und hat, überrascht angesichts der Voraussetzungen, die die Realisierung eines solchen Wunsches gemeinhin mit sich bringt, nicht. Ebenfalls nicht neu war für uns der Umstand, dass einige der Befragten an einer Anonymisierung, wie sie schon durch die Ermittlung der Gesprächspartner gewährleistet war, kein Interesse hatten. Im Sinne einer buchstäblich ›unverschämten‹ Überzeugung baten diese Personen darum, dass wir ihre Namen ausdrücklich nennen, weil sie zu dem ›stehen‹, was sie getan haben, und sich in der Debatte gern öffentlich sichtbar zu positionieren wünschen. (Eine Interviewte brachte diese Haltung und zugleich die antizipierte Reaktion bestimmter Kreise in wenigen Worten auf den Punkt: »Ich bin zu jeder Schandtat bereit.«) Wir haben dieses Anliegen diskutiert, aus methodologischen und forschungsethischen Gründen jedoch auf die Offenlegung der Identitäten verzichtet und die betreffenden Personen darüber unterrichtet. Die meisten der Gespräche, die wir geführt haben, waren Telefoninterviews. Mit dem Einverständnis unserer Befragten wurden die Unterhaltungen aufgezeichnet und transkribiert. Aus den Interviewtranskripten wurden Sequenzen mit hoher Informationsdichte und solche, die für unser Erkenntnisinteresse besonders relevant sind, extrahiert und entlang einer kategorialen Zuordnung neu sortiert. Die ausgewählten Zitate spiegeln verschiedene Aneignungsweisen und Dimensionen des Phänomens Aschediamant/Ascheverwertung wider. Es dürfte deutlich werden, dass die unterschiedlichen Fälle viele Gemeinsamkeiten, aber eben auch differierende Perspektiven aufweisen. Die Darstellung der Interviewausschnitte erfolgt im Sinne einer notwendigen Reduktion von Komplexität, d. h. es wurden behutsam sprachliche Anpassungen und Glättungen vorgenommen. Erwähnte Städtenamen wurden dabei verfremdet, Personennamen durch Pseudonyme ausgetauscht. (Die Angaben hinter den Gesprächsexzerpten beziehen sich auf eine projektinterne Codie-
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rung.) Nicht in jedem Fall ist die Einteilung selbstverständlich; manche Wortmeldung wäre in einer anderen Kategorie ebenso gut aufgehoben gewesen. Mit den nachfolgenden Statements möchten wir die Bandbreite unterschiedlicher Bedeutungszuschreibungen und Umgangsweisen mit dem Ascheartefakt aufzeigen und zwischen den Zeilen die gesellschaftlichen Implikationen dieses Handelns deutlich werden lassen.
(1) »Oh Gott, die Mama spinnt schon wieder!« – Entscheidungsfindung Die zentrale Fragestellung zu Beginn eines jeden Interviews gilt der ursprünglichen Entscheidung: Wie ist es dazu gekommen, dass unter den vielschichtigen Angeboten der Sepulkral- und Erinnerungskultur ausgerechnet das Modell des Aschediamanten gewählt wurde? Woher stammt das Wissen über diese Möglichkeit und welche Beweggründe waren bei der Auswahl bedeutsam? Ging es schlichtweg um die Vermeidung klassischer Bestattungs- und Ritualformen – etwa eines Grabes auf dem Friedhof – oder sollte vielmehr der symbolische Eigenwert des Artefakts betont werden? Und weiter gefragt: Mithilfe welcher Methoden wurde der Wunsch letztlich umgesetzt? Wessen Interessen wurden dabei berücksichtigt, über wessen Einwand hat man sich gegebenenfalls hinweggesetzt? Welche Personen wurden in den Entscheidungsprozess involviert? Wurden überhaupt alternative Wege in Erwägung gezogen? Und falls dem so ist: Aus welchen Gründen hat der Diamant letzten Endes den Vorzug erhalten? Gab es Konflikte bzw. Unstimmigkeiten unter den Hinterbliebenen? Wusste der Verstorbene womöglich schon zu Lebzeiten von dieser Option und hat entsprechende Absichten sogar von sich aus geäußert? Oder haben die Angehörigen gewissermaßen stellvertretend entschieden – mit dem Wissen bzw. der Hoffnung, dass das Prozedere ganz in seinem Sinne geschieht? 1 »Ich hab’ das mal im Fernsehen gesehen. Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu meinem Ehemann. Also, wir beide waren wie siamesische Zwillinge. Und ich hab’ immer zu ihm gesagt, ›Wenn du stirbst und ich nicht mit dir sterbe, dann will ich dich als Diamant irgendwann um den Hals tragen‹.« (4M) 2 »Mein Mann ist oft, hat online Zeitung gelesen, sehr viel … über Tablet oder Computer, hat’ ja auch viele verschiedene Zeitungen gelesen. Also, er war auch sehr gebildet, hat sich selber für alles, für die Außenpolitik, für die Innenpolitik, für alles interessiert. Und er sprach das dann mal irgendwann an und sagte, ›Ach weißte,
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ich könnt’ mir gut vorstellen, dass wenn das mal so ist, dass ich dann sozusagen auch als blauer Diamant bei euch weiterlebe‹.« (5K) 3 »Das war kurz bevor meine Frau starb und sie wollte als Asche verstreut werden und da hab’ ich gesagt, ›Mensch, lass uns doch einen Diamanten machen!‹ Fand’ sie gut, die Idee. […] Ich habe mich da früher schon mal im Internet interessiert und hab’ das dann über das Internet rausgekriegt und das dann übers Bestattungsinstitut durchführen lassen.« (10K) 4 »Ich wusste, dass man aus Asche Diamanten machen kann. Ich hatte das, ich kann es Ihnen gar nicht sagen, entweder irgendwann mal im Fernsehen gesehen oder ich hab’s gelesen. Ich kann Ihnen das heute nicht mehr sagen, woher ich das wusste, und habe dann im Internet nur eingegeben: ›Aus Asche einen Diamanten machen‹. Und da kam jetzt dieses Stichwort, Beerdigungsdiamant.« (17K) 5 »Ich habe vor 20 Jahren einmal eine Sendung gehört im Radio und […] mir damals wahrscheinlich nicht sehr viel gedacht. Und dann war ja unsere Tochter in [20]16 verunglückt tödlich. Und dann kam … das Ganze, was machen wir eigentlich? […] Ich hab’ mich dann danach, einfach in mir, da hineingehört, was möcht’ ich dann eigentlich? Was ist dann richtig für mich? Und da kam mir wieder diese Sendung in den Sinn. […] Und dann hab’ ich gesagt, okay, einen Teil [der Asche] werde ich der Erde übergeben, und einen Teil möcht’ ich dann draußen, davon einen Diamanten machen.« (2K) 6 »Hab’ vor etlichen Jahren mal in der Zeitung gelesen, dass es so was gibt. Und dadurch bin ich da rangekommen. Da ist die Idee entstanden. Ich habe bis zum Schluss gesagt, ich möchte einen Diamanten von meinem Mann, und ich hab’ zwei Kinder … Und als es dann so weit war, hab’ ich gesagt, ich kann mir das gar nicht leisten, ist ja auch nicht nur ein paar Euro. Und dann ist mein Sohn, ohne das mit mir abzusprechen, zum Bestatter hingegangen und hat das in die Wege geleitet. ›Du wolltest das, dann kriegst du das!‹ So war das.« (13K) 7 »Also, nachdem meine Tochter ja verstorben war, hatte ich durch Bekannte … durch Zufall davon erfahren. Deren Sohn war verstorben, die hatten sich einen Teil der Asche in einen Aquamarin machen lassen und dann habe ich aber auch noch gehört, dass es Alternativen gäbe. Und als meine Tochter dann verstorben war, hatte ich beim Bestatter nachgefragt, und der hat dann erzählt, dass man das auch als Diamant pressen lassen könnte. Und dann hat meine Mutter gesagt, dass sie mir und meiner Tochter, im Endeffekt, als Letztes dies schenken würde.« (7K)
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8 »Also, die Idee kam schon vor Jahren, als man überhaupt noch nicht an Tod gedacht hat. Und zwar aus meiner frühen Zeit. Wir hatten, wie ich das erste Mal verheiratet war, […] hatten wir uns einen Hund angeschafft. […] Und dann ist der Hund nach elf Jahren krank geworden und hat Knochenkrebs gehabt und dann mussten wir ihn einschläfern lassen und dann habe ich damals zu meinem Mann gesagt, ›Ich möchte gerne das Fell behalten.‹ […] Und dann habe ich gesagt, ›Mensch, ich würde das Fell am liebsten abziehen und dann irgendwo auf einen Stuhl, auf einen Sessel …‹ – ›Ach, du spinnst doch, das kann man doch nicht machen!‹ […] Die ganze Umgebung von mir, die Schwiegermutter und meine Mutter, alle haben sich aufgeregt, wie man nur so eine Idee haben kann. Also habe ich das dann natürlich gelassen. […] Und dann habe ich mir irgendwann gedacht, wie ich dann das zweite Mal verheiratet war, mit meinem jetzigen verstorbenen Mann, […] das war die große Liebe, sag’ ich jetzt einmal. […] Und da habe ich mir schon immer im Kopf gedacht, wenn mein Mann einmal stirbt, ich will ihn bei mir haben, ’tschuldigung … [schluchzt]. Und dann hat uns der Bestatter, ich habe dann auch in der Zeitung schon gehört und im Radio ist ja oft einmal ein Bericht dann gewesen vor Jahren und so, dass man so was machen lassen kann. […] Und dann habe ich gesagt, ›Ja, das will ich machen‹. Ich hatte da eine Versicherung von meinem Mann halt gehabt und die habe ich dann dafür hergenommen.« (19K) 9 »Darauf gekommen sind wir […] durch eine Kundin von uns, die von ihrem Kater, der auch nach wie vor lebt, sie hat einfach nur Haare genommen … Man kann ja diese Erinnerungsdiamanten auch aus Haaren machen lassen. […] Sonst wäre ich da von selber gar nicht drauf gekommen. Und erst als wir letzten Endes, so die letzten zwei Wochen, bevor mein Vater starb, für uns realisierten, das geht nicht mehr aufwärts, sind wir eigentlich für uns überhaupt erst dazu gekommen, darüber nachzudenken, Bestattung und so weiter. Und dann fiel mir das mit diesem Diamanten ein.« (42B) 10 »Also, wir hatten mal, das tut man ja irgendwie, wir sind 20 Jahre liiert, vier Jahre verheiratet, also auch eine sehr lange Zeit, natürlich spricht man da mal über Tod und wie man gerne bestattet werden möchte. Von daher war es von Anfang an klar, dass er verbrannt werden möchte. Das hat er, weil beim Verkehrsunfall ist das Auto auch in Flammen aufgegangen, hat er dann auch selber schon mal in Angriff genommen, den ersten Schritt in diese Richtung und mir gezeigt, dass das der richtige Weg ist. Und das war für mich ganz komisch. Ich hatte ein paar Wochen vorher mal einen Bericht im Fernsehen gesehen über die Möglichkeit, dass man aus Asche Diamanten machen kann. Und ich wusste auch, dass man das in der Schweiz machen kann, wusste aber gar nicht, dass das über ein normales Bestattungsunternehmen überhaupt so in dem Sinne möglich ist. Und dann, als es dann
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dazu kam, dass das so war, ist mir das eigentlich relativ schnell wieder durch den Kopf geschossen. Und hatte dann auch tatsächlich hier einen sehr guten Bestatter, der mich da auch unterstützt hat und sofort gesagt hat, ›Kann ich organisieren, ist überhaupt kein Thema!‹« (18K) 11 »Das war verhältnismäßig einfach, in dem Bestattungsinstitut […], das wir seinerzeit gewählt hatten für meinen Mann, da war in der Eingangshalle rechts eine wunderschöne Vitrine und in der waren verschiedene Diamantenformen und -farben ausgestellt. Und als dann alles besprochen war, hab’ ich gesagt, ›Was machen eigentlich Diamanten bei Ihnen, wie hängt das zusammen?‹ Und da hat dann die junge Dame, die uns betreut hat, mir dann davon erzählt, dass die eben aus der Asche den Stein, den man sich aussucht, anfertigen. Und ich hab’ mir das dann relativ kurz nur überlegt, hab’ gedacht, das ist eine wunderschöne Angelegenheit, dann kann ich auch den Ehering meines Mannes tragen und lass ihn in so einen Brillanten einfassen.« (9K) 12 »Als ich dort hingegangen bin mit dem Fall, hat er [der Bestatter] sofort zu mir gesagt, ›Brian, ich hab’ da was für dich. Könntest du dich damit anfreunden?‹ Ich hab’ den angeguckt und hab’ gesagt, ›Ja, freilich! Ist das möglich? Das kann doch jetzt nicht wahr sein! Ich wollte dich jetzt fragen, ob’s irgendwas anderes gibt als dieses Verbrennen und aufm Friedhof zu bestatten …‹ […] Es war ein trauriger Tag und ich hatte Freude im Herzen.« (33M) 13 »Ich habe darüber irgendwann mal gelesen. Ist schon Jahre her. Da war’s eigentlich noch gar nicht populär. Und ich fand die Idee sehr nett und bin dann noch mal drauf gestoßen, durch einen Patienten von mir, der das auch gemacht hat […]. Wir haben uns vorher schon mit ihr öfters unterhalten über Tod und so weiter. […] Und sie fand keinen Gefallen am Beerdigt-Werden und fand keine Form wirklich toll. Weder verbrannt werden noch, also, in die Erde wollte sie gar nicht. Verbrannt werden war ihr eindeutig zu warm, aber viel mehr Möglichkeiten hat man ja nicht. Wasser fand sie völlig doof. Unter den Scheiß-Möglichkeiten hat sie sich für die beste entschieden, und das war halt Verbrennen. Und wir haben dann auch schon mal mit ihr drüber gesprochen, dass wir auf jeden Fall einen Diamanten aus ihr machen werden, und ich glaub’, das fand sie dann ganz nett. Auch so diese Vorstellung, dass sie dann überall noch mal mit hin genommen werden kann, wenn sie in irgend ’nem Schmuckstück landet. Weil meine Mutter ist sehr gerne gereist durch aller Herren Länder. Und wir haben dann gesagt, ›Okay, dann kommste irgendwie in irgendwas rein, was wir mitschleppen können. Dann können wir dir noch mal die Gegend zeigen‹. Ja, und so sind wir da draufgekommen.« (27K)
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14 »Irgendwas musst’ ich ja machen. Und dann ist es für mich, das ist zwar schon ein bisschen absurd, doch tröstlicher, ich hab’ ihn bei mir, als dass ich ihn irgendwo, wo’s son Friedwald gibt, 300 Kilometer weg von mir oder so, da irgendwo verbuddelt hätte. Nein, ich selber bin ja noch stark klaustrophobisch, ich könnt’ mir das sowieso nicht vorstellen, in welchem Zustand ich auch immer sein möge [lacht], dass man mich unter die Erde buddelt.« (35B) 15 »Eines Morgens war da ein Artikel in der Zeitung. Da hat mein Mann noch gelebt, da war er noch kerngesund […]. Und da war das schon unsere Idee, wo wir uns gegenseitig gesagt ha’m, ›Mensch du, wenn uns mal irgendwas passiert, egal wem von beiden zuerst, wir machen das!‹ […] Und wo’s dann mit meinem Mann so weit war, wo er dann gewusst hat, er ist sehr krank und es kann sein, dass er’s nicht überlebt, hat er mir gesagt, er möchte nicht, er möchte immer bei uns bleiben, uns nicht allein lassen. Und er möchte nicht außerhalb, woanders sein, im Kalten, im Dunklen, also das Schlimmste war, irgendwo im Boden oder auch in so ’ner Urnenwand, da isses kalt, da isses dunkel. Also, das wollte er nicht, er wollte immer bei uns sein. Und das ging eben nur in Form von diesem Diamanten.« (26M) 16 »Genau, und dann kam mir das, also, da war er praktisch schon im künstlichen Koma gelegen, und dann hab’ ich, das ging hin und her und rüber und rüber, und dann hab’ ich gedacht: Ach, ein Grab möchste eigentlich nicht.« (16K) 17 »Ich habe das damals schon irgendwann im Internet entdeckt. Und ich habe zu Hause auch, ja ich fand das also wirklich sehr interessant und ich habe das dann also einmal gelesen, dass man das eben in der Schweiz machen kann […]. Und als dann mein Mann verstorben war und der Bestatter war abends eben da, und da habe ich das für mich entschieden, dass ich ihn nicht begraben lasse. Mein Mann war ein Sonnenmensch. […] Und außerdem finde ich, auf einen Friedhof zu gehen und da so ein Grab ja zu pflegen, zu harken, Blumen drauf zu pflanzen, das ist nicht meins.« (32M) 18 »Meine Mutter war der Auslöser und die hat das, das war auch ihr Wunsch, dass das mit ihr geschieht, wenn sie mal stirbt. […] Und wie kam die darauf? Ihr Cousin hat ein Bestattungsunternehmen in X-Stadt geleitet […] und er war sehr innovativ und hat sich auch vielen Neuerungen, nicht nur den klassischen Beerdigungen oder Begräbnisformen, angenommen. Und dadurch kam sie dazu und sie hat das gehört und hat gesagt, das ist das, was für sie infrage kommt. […] Also, wir sind alle so ein bisschen verstreut in der Weltgeschichte […]. Wir haben hier nicht so einen Heimatort, wo wir sagen, da kommen wir alle immer zusammen. […] Und sie
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hat immer gesagt, sie will nicht […] unter der Erde liegen und verwesen und aufgefressen werden … und sie will auch keinem zumuten, irgendwo an einen Friedhof zu kommen […]. Sie möchte einfach noch näher bei uns sein, wenn sie mal stirbt. Und ja, so kam das irgendwie, das war dann ihr Wunsch, ja.« (27K) 19 »Hätten wir diese Alternative nicht gekannt […], dann hätten wir sicherlich das gemacht, was alle machen […], weil man das einfach so macht, ja? […] Wir haben uns eigentlich nur darüber unterhalten, machen wir einen Stein [gemeint ist der Diamant] oder machen wir drei? Erst war die Idee, eben auch nur einen zu machen, weil’s komisch ist, also den Vater zu teilen, ihn in drei Teile zu teilen. Aber dann hat doch irgendwie jeder von uns verstanden, dass ja jeder das eigene Bild von ihm hat – und so hat dann auch jeder den eigenen Stein, den er halt nie irgendwo aufsuchen muss, und meine Mutter muss das dann mit viel Bürde verwahren oder so … und dann streitet man sich, wenn meine Mama vielleicht nicht mehr ist, wer kriegt dann den Stein, ja? Dann kriegt der eine die Mutter und der andere den Vater oder so, also das ist ja auch total doof.« (37M) 20 »Vor einigen Jahren, 2008 um genau zu sein, ist ein Familienangehöriger verstorben und die Frau hatte sich schon so einen Erinnerungsdiamanten gemacht und das blieb mir in Erinnerung. Und ich hab’ mir gesagt, sobald was mit meinen Eltern sein sollte, würde ich das auch ganz gerne haben wollen. […] Ja, meine Eltern waren jahrelang zu der Insel Föhr gefahren und hatten dann den Wunsch geäußert, dass sie verbrannt werden möchten und die Asche sollte vor der Insel Föhr ausgestreut werden ins Meer. […] Da aber einer meiner Brüder Meeresbiologe ist, musste er ihnen leider diesen Traum zerplatzen lassen, weil er sagte, man darf nicht einfach irgendwo im Meer eine Bestattung vornehmen, es gibt nur ganz bestimmte ausgewiesene Stellen, und von daher war das dann für meine Eltern hinfällig.« (6K) 21 »Ja also, meine Frau, die wollte irgendwann, aus mir unersichtlichen Gründen hat die davon gesprochen so, das war irgendwann so mehr nebenbei, wenig zielgerichtet, die hat gesagt, sie möchte eine Seebestattung. Dann habe ich gesagt, also erst mal war ich baff, weil ich selber bin in der Richtung eigentlich eher konservativ. Ich habe immer bei mir selber, wenn ich überhaupt drüber nachgedacht habe, an eine Erdbestattung gedacht. […] Also, da haben wir uns dann auch nimmer so eingehend unterhalten, bis auf einmal, wo ich dann zu ihr gesagt habe, ›Sag’ mal, wie kommst denn du auf Seebestattung? Ich habe da überhaupt gar keine Verbindung, dass du irgendeine Affinität zum Meer hättest.‹ Also, war mir völlig schleierhaft. Ja, gut und dann habe ich überlegt, ob es da Alternativen gibt. Und dadurch, also praktisch durch den Wunsch meiner Frau, Seebestattung, bin ich auf diesen Diamanten
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gekommen. […] Und wie ich ihr das so erzählt habe, da hat sie gesagt, okay, das ist für sie in Ordnung. Also, diese ganze Diamantgeschichte ist im Endeffekt nur eine Alternative zu dieser Seebestattung, die mir wesentlich lieber ist, als diese Seebestattung mir gewesen wäre.« (12M) 22 »Es ist so gewesen, ich hab’ mit meinem verstorbenen Mann da zuvor drüber gesprochen und er hat den Wunsch geäußert, bei mir zu bleiben. Und ja und dann hab’ ich mir darüber Gedanken gemacht, wie man das lösen kann. Wir haben lange Zeit in Spanien gelebt, da darf man Kremationsasche mit nach Hause nehmen oder irgendwie auf den Kaminsims stellen oder so. Das darf man ja nun in Deutschland nicht, da gibt’s ja irgendwie diese Bestattungspflicht oder so. Da hab’ ich kurzfristig darüber nachgedacht, vielleicht ’ne Seebestattung oder irgendwie so was. Das wollte er aber alles nicht. Und er hat dann ganz klar geäußert, er wollte bei mir bleiben. Dann hab’ ich, dann ist mir diese Sache mit dem Diamanten in den Sinn gekommen.« (29M) 23 »Und dann war das für mich ganz schnell sehr klar. Ich bin zwar dann noch nach Hause und hab noch ’nen Tag überlegt, weil es ist ja nicht ganz billig, und hab’ gedacht, naja, vielleicht mögen’s meine Kinder nicht, dass ich so ’nen Quatsch mache, in Anführungszeichen.« (22M) 24 »Und am Anfang haben wir erst gedacht, oh Gott, die Mama spinnt schon wieder! [lacht] Und sie war so begeistert von dieser Idee […]. Ich fand’s am Anfang sehr komisch oder befremdlich. Und dann habe ich auch eine Weile für mich drüber nachgedacht und dadurch, dass wir im Ausland viele Jahre gelebt haben, irgendwie wird man auch mit unterschiedlichen Formen des Todes, wie sagt man … konfrontiert. […] Und je länger ich über diesen Diamanten nachgedacht habe oder über die Form des Diamanten, habe ich gedacht, eigentlich ist das das Schönste, was einem passieren kann, so einen Erinnerungsdiamanten von einem Angehörigen zu bekommen.« (27K) 25 »Es braucht einfach alles Zeit. […] Also, bei mir ging es so, dass ich erst mal sagte, ›Nein! Irgendwie ist das komisch‹. Bei mir musste erst mal so ein Prozess in Gang gesetzt werden, dass ich mich damit auseinandergesetzt habe. Da war mein Mann auch noch nicht so sehr krank. Er sagte so, ›Ich find’ die Idee nicht schlecht, ich find’s schön. Aber das ist alleine deine Entscheidung‹. […] Da hatte er mir den schwarzen Peter zugeschoben [lacht]. Und von daher kam diese Entscheidung erst viel später, dass ich mir das [die Werbebroschüre der Firma] noch mal wieder rausgeholt habe, noch mal neu angefordert hatte.« (48M)
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26 »Die dritte Schwester hat da am wenigsten Bezug dazu, die ist da auch sehr distanziert, sie sagt, sie kann damit nichts anfangen. Also, wir waren auch zusammen beim Bestatter und sie wollte das nicht haben und wir haben gesagt, nein, wir setzen uns nicht über diesen Wunsch [der verstorbenen Mutter] hinweg und sie hat jetzt auch fast über ein halbes Jahr gebraucht, bis sie den Diamanten überhaupt bekommen hat. Also, sie hat den weder bei mir abgeholt, sie lebt in X-Stadt, ich lebe bei Y-Stadt. Ich war Silvester oben und habe ihn ihr mitgebracht, sie wollte ihn gar nicht erst angucken, sie wollte ihn gleich wegtun irgendwo, weil sie sich nicht damit auseinandersetzen wollte, und ein paar Tage später schrieb sie mir aber, sie hätten, also sie und ihr Mann, hätten ihn angeschaut und er wäre wunderschön.« (27K) 27 »Wir haben mit meinem Mann früher drüber geredet, wir wussten, dass wir eine Urnenbeisetzung wollten, aber direkt drüber gesprochen hatten wir nicht. Der Krebs bei ihm wurde 2015 festgestellt, der hat zwei Jahre gekämpft und man denkt ja immer, es geht vielleicht doch noch und es wird und … Ja, und da haben wir uns gar nicht so sehr damit befasst, muss ich Ihnen sagen. Man hat’s immer wahrscheinlich an die Seite geschoben.« (21K) 28 »Vielleicht mein Mann, wenn der da gewesen wäre und wir hätten da die Option gehabt, darüber zu sprechen, da hätte der auch gesagt, ›Um Gottes Willen, mach’ das bloß nicht!‹. Weiß ich nicht, keine Ahnung, darüber haben wir nicht geredet, ich habe das dann einfach entschieden, für mich. Also, jemandem dazu raten, würde ich nicht, das muss jeder von sich aus selber wissen. Deswegen, wenn meine Kinder oder vielleicht habe ich ja, ich werde dieses Jahr 40, vielleicht, hoffe ich doch mal, dass ich irgendwann mal einen neuen Mann an meiner Seite habe, einen neuen Partner, vielleicht will der das dann auch machen.« (18K) 29 »Das Einverständnis meiner Frau voraussetzend, habe ich mir die Freiheit herausgenommen, da noch einen Diamanten herstellen zu lassen, weil ich dachte, dass ich sonst gar nichts mehr habe. Ein schöner Diamant, das wäre vielleicht was.« (47M) 30 »Und da habe ich eine Stelle gefunden, wo ich gesagt habe, da könnte ich eigentlich auch die Asche verstreuen und auch das andere, den Diamanten – in Südtirol. Und das hat sich dann ein bisschen gesetzt bei mir und ich habe mir dann gedacht, das ist eigentlich unsinnig, also einen Teil hier, einen Teil da. Und dann habe ich das noch mal durchgelesen und bin darauf gestoßen, dass die ganze Asche ja zu dem Diamanten verwendet werden kann.« (12M)
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31 »Wir haben das vorher, als das hier bei uns auf dem Tisch war und akut wurde, im Kreis der Familie, der Kinder, alles besprochen. Wenn mein Sohn zum Beispiel gesagt hätte, ›Mutti, das kannst du nicht machen, ich brauche diesen Ort, wo ich hingehen kann‹, dann hätte ich das wahrscheinlich nicht gemacht.« (20K) 32 »Meine Schwestern, die wollten sie [die Mutter] einfach verbrennen. Und ich wollte das nicht und meine Mutter wollte eigentlich auch nicht verbrannt werden. Und deshalb hab’ ich gesagt, ›Wenn’se sie schon verbrennen tun, dann versuch’ ich wenigstens, dort was Nützliches daraus zu machen aus ihrer Asche, ne?‹ Deswegen, und dass sie auch nicht vergessen wird. […] Ich hab’ ja keine Kinder und deswegen wollt’ ich was erschaffen, das die Zeit überdauert. Und ich glaube ja auch an das Paradies und an ein Leben nach dem Tode. Und deswegen, dass wenn die Mutti, wenn sie das kriegen würde, das Collier […], dass ich ihr das später geben kann – persönlich.« (24M) 33 »Ja, was soll ich sagen? Ich habe eigentlich das dem zu verdanken, dass der Pflegedienst meines Mannes mich darauf hingewiesen hat, dass der zuvor mit dem Beerdigungsinstitut gesprochen hatte, mit der Dame, die das dort leitet, und er das eine gute Idee fand und mir das näherbrachte, weil es da meinem Mann eigentlich schon sehr schlecht ging. […] Und als das dann bei meinem Mann so weit war, also das war eine kurze Spanne, ich konnte leider auch mit ihm darüber nicht mehr reden, aber ich habe das dann für mich so entschieden und mit unserer Tochter, und wir waren einstimmig der Meinung, dass wir das so machen.« (21K) 34 »Und der Schwiegermama, mit der ha’m wir nie über so was gesprochen. Wir ha’m nur mal gesagt, ›Sagen wir mal, wenn’s die Möglichkeit gibt, dass wir zu Hause deine Asche haben, wärst du damit einverstanden, wenn wir die zu Hause ha’m?‹ – ›Na freilich‹, hat se gesagt, ›ihr müsst doch nicht auf den Friedhof rennen!‹ Ja, und da war für uns alles klar. […] Aber es wär’ schön, hätte sie das noch mitgekriegt, dass sie mal zum Diamanten wird.« (33M) 35 »Und dann ging’s leider doch zum Ende hin recht schnell, was ich nicht erwartet hatte, auch er nicht. Wir hatten noch so viel vor. Ja, und von daher konnten wir leider auch vieles dann nicht mehr besprechen. Ich konnte ihm auch leider nicht mehr sagen, dass ich vorhabe, einen Diamanten machen zu lassen. Und das tut mir bis heute sehr leid und schmerzt mich auch noch, dass ich ihm das habe nicht mehr sagen können. Ich hätte ihm das gerne noch gesagt. Und was er davon hält.« (35K)
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(2) »… ich weiß auch nicht, ob ich das unbedingt wissen muss.« – Umgang mit der Restasche Die Herstellung eines Aschediamanten läuft nicht bei jeder Variante gleich ab. Für den Prozess kann beispielsweise die gesamte Kremationsasche verwendet werden, aber auch nur ein Teil davon. Ist Letzteres der Fall, können die Auftraggeber, üblicherweise die Angehörigen, sich den Rest der Asche aushändigen lassen. Das bereits erwähnte Schweizer Unternehmen ermöglicht es darüber hinaus, die Restasche auf einem firmeneigenen, aber vom Firmensitz recht weit entfernten Bergfriedhof beisetzen bzw. verstreuen zu lassen. In den meisten Fällen, in denen von dieser Option Gebrauch gemacht wurde, lässt sich beobachten, dass die Hinterbliebenen dem Beisetzungsort keine besondere Bedeutung beimessen. Keiner unserer Befragten ist bisher dort gewesen und keiner äußerte ein dahingehendes Bedürfnis. Mehr noch, die Betroffenen wollten oft nichts Näheres über den Verbleib der Restasche wissen und empfanden diesen Aspekt generell als eher randständig. Während ein sehr spezifischer, aber vergleichsweise geringer Anteil der ursprünglichen sterblichen Überreste also mit sehr großer Bedeutung aufgeladen, ja geradezu als ›beseelt‹ verstanden wird, kommt der Restasche keine tiefere Relevanz zu. Der Verstorbene wird vielmehr im Diamanten gesucht und in aller Regel auch dort gefunden – während die Aschereste ihr ›anthropogenes Potenzial‹ sozusagen dadurch verlieren, dass sie nicht Teil des Schmuckobjekts geworden sind. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, sich die Restasche zusammen mit dem Diamanten aushändigen zu lassen. In diesem Fall müssen die Angehörigen unterschreiben, dass sie selbst für eine ordnungsgemäße Bestattung dieses Rests Sorge tragen. Wie damit konkret verfahren wird, bleibt üblicherweise jedoch den Betroffenen überlassen – eine Nachkontrolle findet nicht statt, weil es schließlich auch keine institutionelle Einbindung in diesen Prozess gibt. Folglich wird die Restasche durchaus auf einem regulären Friedhof beigesetzt, an besonderen Orten verstreut (oft im Wald bzw. in Gewässern), sie wird auch zu Hause gelagert oder im Garten vergraben. Diese Möglichkeiten wählten insgesamt allerdings nur vergleichsweise wenige unserer Gesprächspartner. Das legt nahe, dass die Entscheidung für das Juwel die Begleiterscheinungen dieser Entscheidung generell überstrahlt – ganz gleich, ob mit dem Ascherest noch aktiv umgegangen werden kann oder nicht. Wie das nachfolgende Zitat zeigt, kann auch die Zuschreibung dessen, was nun genau Rest und was Hauptteil ist, unterschiedlich ausfallen.
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36 »Also, es ist ja nur ein Teil Asche zu diesem Diamanten gepresst worden. Und der andere Teil ist in einer Urne, also in einem Stelengrab in unserem Heimatort beerdigt worden. Und dass meine Tochter so beerdigt werden sollte, stand von Anfang an fest. Nur das mit dem Diamanten kam dann halt noch dazu.« (7K) 37 »Wir haben im engsten Kreis der Familie dann tatsächlich eine kleine Urnenbestattung machen lassen. Wir hatten, als der Sarg noch hier war mit der Leiche, eine riesengroße Trauerfeier abgehalten. Wir hatten einen großen Freundeskreis, einen sehr guten Freundeskreis, und die Trauerfeier war doch recht groß, es waren etwa 300 Leute da.« (18K) 38 »Also, von meinem Mann … da war das so, das war sehr, sehr urplötzlich, vielleicht 14 Tage vorher hatten wir diesen Flyer erst und dann war mein Mann von gleich auf jetzt eingeschlafen. Und da war dann von dieser Restasche die Rede, da war ich noch gar nicht so weit. Ich habe mich dann an dieses Beerdigungsinstitut, wo dieser Flyer herkam, einfach in deren Hände begeben. Und die haben dann von dieser Restasche gesprochen, die sie nach Deutschland zurückgeführt haben und die musste halt eben dann bestattet werden. Aber das war ja das, was wir eigentlich nicht wollten. Da ist die Mutter meines Mannes in X-Stadt auf der Wiese bestattet und meine Schwägerin wohnt in Y-Stadt, und da habe ich sie angerufen und gefragt, ob sie das dann machen wollte, dann halt eben diese Restasche dort in der Nähe seiner Mutti halt eben dort auch auf die Wiese zu bringen. […] Ich war bisher einmal da und zwar mit meiner Schwiegertochter. […] Wir waren bei meiner Schwägerin zu Besuch und wollten dann doch gerne mal da hingucken an die Stelle. Und aus Respekt vor meinem Mann bin ich dann einmal mitgegangen. […] Ansonsten hätte ich das nicht gemacht.« (20K) 39 »Jetzt lebe ich quasi schon das 19. Jahr in Hessen. Da haben wir eben gedacht, ja, wie machen wir das? Gut, die Kinder meines Mannes, die sind hier in Hessen. Aber ich kann auch von meiner Erfahrung sprechen, auch Grabpflege ist nicht mehr das, was es früher war. Was meine Oma und meine Eltern noch, die sind jede Woche aufs Grab gegangen und so weiter und so fort. Und da haben wir gesagt, also wir machen was Einfaches, wo sich die Kinder weiter nicht drum kümmern müssen. Und dann haben wir eben diese Waldbestattung ins Auge gefasst […] und dann im Endeffekt habe ich mich dann entschieden, ein Wiesengrab hier auf dem Friedhof zu machen. Es ist also eine kleine Urnenbeisetzung mit einer Grabplatte […]. Und da muss man nichts anpflanzen, man kann was dazustellen, einfach auf das Grab immer wieder, das mache ich auch regelmäßig, aber es braucht keine Grabpflege.« (19K)
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40 »Die [Restasche] ist in der Schweiz verstreut. […] So ist es uns gesagt worden, dass letzten Endes also dieses Unternehmen […] diese Restasche verstreut hat. Also, wir hätten die auch irgendwie nach Deutschland zurück überführen können, aber dann hätten wir uns überlegen müssen, was machen wir jetzt damit? […] Wir hatten noch überlegt, mein Vater hat noch Kinder aus erster Ehe, denen das noch anzubieten, das dann mit dieser Baumgeschichte oder so was zu machen, aber das hat sich irgendwie nie ergeben. Und ja, wir haben es dann anders gemacht.« (42B) 41 »Ja, der [Rest] wurde in der Schweiz gelassen. Was damit gemacht wurde, das weiß ich nicht, das kann ich nicht sagen. […] Das war mir nicht wichtig, weil wir dann auch nicht noch zusätzlich …« (6K) 42 »Und die vom Beerdigungsinstitut hat gesagt, es kann dann sein, dass was überbleibt irgendwie, weil der Stein dann nicht so groß ist. Aber dann würde das entsprechend bestattet werden oder naja, oder entsorgt werden, weiß nicht. Also, das weiß ich absolut nicht, was da passiert ist, ich weiß auch nicht, ob ich das unbedingt wissen muss [lacht].« (29M) 43 »Ich hab’ die [restliche] Asche nicht bestattet, aber ich hab’ […] sozusagen eine Möglichkeit gefunden, dass ich das doch durchgesetzt habe, weil ich das so wollte. Und ich hab’s sozusagen in einer Truhe, wo ich übrigens jetzt seine Andenken und seine ganzen Sachen drin habe.« (5K) 44 »Nein, wir haben die […] Asche mitgenommen, weil wir hier zu Hause noch eine Skulptur damit bauen wollen. […] Ich mein’, wir haben ihre Asche an Plätzen schon verteilt, die sie besonders gerne mochte, auch im Ausland.« (3K) 45 »Der Diamant war in der Schweiz am Wachsen, das dauert ja eine gewisse Zeit, und den anderen Teil der Asche habe ich nach Griechenland mitgenommen. Denn das war ihr Wunsch. Ich habe die Asche mit den engsten Freunden, die waren dabei, ins Meer gestreut.« (47M) 46 Die gesamte Asche wurde zur Diamantherstellung verwendet: »Komplett, ja? Weil er es so wollte, er wollte nicht ein Gramm seines Körpers außerhalb der Familie wissen.« (26M)
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(3) »Da hätte ich Haus und Hof verkauft für.« – Die Bedeutung der Kosten Der Wandel der Sepulkralkultur schlägt sich auch auf der ökonomischen Ebene nieder. In früheren Zeiten waren Bestattungsart, Bestattungsort und Grabgestaltung der unmittelbare und gemeinhin sichtbare Ausdruck wirtschaftlicher Verhältnisse der vom Todesfall betroffenen Familie. Insbesondere das Bürgertum ab dem 19. Jahrhundert zelebrierte so im Angesicht der Trauersituation seine gesellschaftliche Reputation, welche gewissermaßen als todesüberdauernd verstanden werden sollte. Diese Mentalität ist der zentraleuropäischen Trauerkultur heute weitgehend fremd; einerseits deshalb, weil die plakative Inszenierung des Besitzstandes in Zeiten des reflexiven Bewusstseins gegenüber sozialer Ungleichheit eher einen negativen Beiklang hat, und andererseits deshalb, weil Sterben zunehmend zu einem finanziellen Belastungsfaktor zu werden droht. Überdies wird seit 2004 in Deutschland im Todesfall von den Krankenversicherungen kein ›Sterbegeld‹ mehr ausgezahlt. Parallel lässt sich ein Anstieg an Sozial- und Ordnungsamtbestattungen konstatieren, und preiswerte Grabmodelle – nicht zuletzt die Beisetzung auf der anonymen Wiese – gewinnen an Zulauf. All dies fällt zusammen mit einer generellen Priorisierung von ›vor-sepulkralen Dingen‹, mit lebensweltlichen Angelegenheiten des Alltags also, in die stärker investiert wird als in die Weltabschiedsrituale und die damit verbundene Materialausstattung. Dieser Wechsel der Blickrichtung lässt sich auch als Säkularisierungseffekt begreifen. Geld und Bestattung stehen heute in einem schwierigen Verhältnis. Aus der Bevölkerung wird immer mal wieder der Vorwurf der Kommerzialisierung erhoben, der die innovativen Anbieter stärker zu adressieren scheint als diejenigen Bestatter oder Dienstleister, die traditionelle Offerten machen. Dieser Diskurs verweist indes auf eine tiefere Ebene, die Ebene des impliziten Vergleichs von ideellen und ökonomischen Werten. In unserer Studie hat sich herausgestellt, dass die Gesprächspartner nicht per se wohlhabender sind als die Durchschnittsbevölkerung. Dass sie sich dennoch für ein vergleichsweise kostspieliges Produkt wie den Aschediamanten entschieden haben, deutet auf eine Aushandlung zwischen den beiden Polen ›Leisten können‹ und ›Leisten wollen‹ hin, mit bekanntem Ergebnis. Einige der Befragten mussten größere finanzielle Anstrengungen vollbringen. Sie legitimieren dies zum Teil mit dem Hinweis, dass die konventionelle Friedhofsbestattung (inklusive der jährlichen Nutzungsgebühren) nicht wesentlich günstiger ausfalle.
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47 »Das Geld war für mich kein Kriterium. Gott sei Dank, ich brauche mir keine Sorgen zu machen und muss auch, weil ich mir das geleistet habe, nicht auf andere Dinge verzichten. Und insofern war das für mich egal, ich brauch’ keine preiswerte Beerdigung, ich brauche etwas, was mir hilft, und dann ist es ganz egal, was es kostet.« (14M) 48 »Ja, klar, natürlich sage ich, ›Kann ich mir das leisten oder nicht?‹ Das muss man ganz klar sagen, ist alles eine Kostenfrage, schon. Aber mir war das insofern ganz klar egal. Ich möchte so einen Diamanten haben und das bezahle ich jetzt auch. Und dann kam natürlich noch […] der Ring noch drum rum. […] Und da muss ich ehrlich sagen, wusste ich nicht, was da auf mich zukommt, was die Kosten angeht. […] Aber egal, ich brauchte das. […] Und wenn jetzt jemand so einen Diamanten haben möchte und ein bisschen Kleingeld fehlt, da muss er sich natürlich schon informieren, was kostet das, und dann nimmt er vielleicht einen kleineren. […] Weil es spielt, ja bei mir hat das eine untergeordnete Rolle gespielt, weil ich bin dann auch so: Wenn ich was will, dann will ich das.« (47M) 49 »Also, mir war’s das Geld jetzt wert. Also, ich habe da jetzt nicht übermäßig überlegen müssen, ob ich das mache oder nicht, es war eigentlich klar gewesen. Es gab ja auch noch die Trauerfeier, die hat ja auch Geld gekostet, aber das war nicht entscheidend.« (21K) 50 »Also, ich muss jetzt sagen, in der glücklichen Lage zu sein, dass es für mich keine Rolle spielt, was er gekostet hat. Das wär’ mir vollkommen egal gewesen. Ich mein’, sagen wir mal, ich bin jetzt nicht in der Lage, den zu finanzieren, wenn ich dann wüsste, ich müsste den weiß Gott wie abstottern oder so, dann hätt’ ich’s mir eventuell überlegt, ich weiß es nicht. Aber ich bin nicht in der Lage, dass ich sage, dass für mich jetzt das Geld ’ne Rolle gespielt hätte.« (11M) 51 »Ja, es war eine sehr teure Angelegenheit, das muss ich sagen, aber das war mir egal. Das war mir vollkommen egal. Ich hatte das Geld, es ist nicht so, dass ich das irgendwie vom Mund absparen hätte müssen. Erstens einmal durch die Versicherung, und dann habe ich selber viel Goldschmuck gehabt, das habe ich dann alles verkauft und habe da auch gut Geld gekriegt. Das ist dann alles da mit reingeflossen.« (19K) 52 »Die Kosten spielten dann in dem Moment für mich nicht diese Rolle, weil wir hatten Altersvorsorge getroffen und das Geld war da. Und das war, was wir wollten, das war das, was wir uns gewünscht haben – eine schöne Form zu finden für die Zeit danach und da waren die Kosten für mich in dem Moment nicht so ausschlaggebend.« (20K)
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53 »So ist das mit diesen Diamanten, die sind natürlich sauteuer, das kann sich auch nicht jeder leisten. Aber ich habe das Glück gehabt, dass meine Mutter das für uns geleistet hat. Ich hätte mir das selber wahrscheinlich auch nicht leisten können.« (42B) 54 »Also, ich muss dazu sagen, ich hatte nicht das Geld, weder für die Beerdigung noch für diesen Diamanten gehabt, ich musste mir das leihen. Ich zahle das auch heute noch ab. Das hat für mich aber keine Rolle gespielt. Ich wusste, ich würde mir jetzt keinen, also von der Größe her hätte man ja jetzt auch einen für 17.000 € nehmen können. Und wenn ich das Geld gehabt hätte, hätte ich das wahrscheinlich auch gemacht, hätte ich ihn mir auch größer gewählt. Also, wenn es jetzt nur diesen für 17.000 € gegeben hätte, hätte ich es auch genommen. Ja, da hätte ich Haus und Hof verkauft für.« (17K) 55 »Das hat jetzt nicht die große Rolle gespielt, ne? Also, Sie könnten ja genauso gut fragen, ›Was hat das für ’ne Rolle für Sie gespielt, dass Sie keine Erdbestattung gemacht haben?‹ Denn die wär’ ja auch ungleich teurer geworden als jetzt dieses virtuelle Grab in der Schweiz. Also, das war sicher keine Entscheidung finanzieller Art. Also, ich denk’ mal, man ist so situiert, dass man das jetzt nicht abwägen muss. Das ist eben ’ne emotionale Entscheidung gewesen.« (31M) 56 »Sagen wir mal so, es ist wirklich schon ’ne kostspielige Sache, je nach Größe. Aber ich hab’ mir das ausgerechnet, dass sich das innerhalb von zehn, zwanzig, dreißig Jahren schon ausgezahlt hat. Wo ich dieselben Kosten auch hätte – plus die Arbeit.« (26M)
(4) »Jetzt habe ich meine Frau in der Hand.« – Der erste Eindruck Aschediamanten gelangen auf unterschiedlichen Wegen zu ihren Auftraggebern. Am häufigsten wurde im Untersuchungszeitraum die Option der Aushändigung über den Bestatter gewählt. Das Bestattungshaus, meistens ohnehin das Verbindungsglied zwischen der Kundschaft und dem Herstellungsbetrieb, ermöglicht üblicherweise die Übergabe im eigenen Institut oder zu Hause bei den Hinterbliebenen. Diese Übergabestation muss keineswegs die letzte Etappe sein. Werden beispielsweise mehrere Steine angefertigt, werden diese für gewöhnlich von einem Familienmitglied an andere verteilt. In anderen Fällen wird der Diamant persönlich in der Schweiz abgeholt. Dies bringt eine interessante Situation mit sich, die für unsere Forschung von
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besonderer Relevanz ist. Wir interessieren uns für den Moment, in dem der Betroffene den Diamanten zum ersten Mal in den Händen hält. Es ist nachvollziehbar, dass dieser Augenblick innerhalb der gesamten Übergabeprozedur oft sehr emotional ausfällt. Es fließen Tränen, Sprachlosigkeit und Überwältigung füllen den Raum, Innehalten und Rührung lassen die Zeit stillstehen. Aber auch Überraschung kann in dieser Situation empfunden werden; etwa dann, wenn der Diamant nicht so aussieht, wie man ihn sich vorgestellt hat. Dies betrifft, zeigen unsere Daten, insbesondere die Farbgebung. Der Unterschied zum Juwelierbesuch, wo ein ›gewöhnliches‹ Schmuckstück erstanden werden kann, ist evident. Selbst die materielle Grundlage ist eine andere, wenn auch Laien die Differenz schwerlich registrieren können. Die emotionale Wucht, die in den Übergabesituationen zum Ausdruck kommt, dürfte im regulären Schmucksteinhandel kaum anzutreffen sein. Verständlich macht dies nicht zuletzt die Einzigartigkeit des Moments: Die Übergabe und das In- Händen-Halten können schließlich als eine Art ›Heimkehr‹ des Verstorbenen, als erste Wiederbegegnung seit dem Abschied verstanden werden – einem Abschied, der gemeinhin als endgültig angesehen wird. Viele Interviewpartner wollen diesen Augenblick dementsprechend nicht lediglich symbolisch gerahmt denken: Für sie ist der Diamant, ist die Materie des Diamanten der gewissermaßen veredelte Leib der geliebten Person. In dem nun erlangten Glanzzustand kann er nicht weiter transformiert werden, sondern wird ewig glänzen. 57 »Das war so, wie soll ich das sagen, das war, ja, das wurde mir ja ausgehändigt von dem Bestatter, die sind dann hier zu mir gekommen, haben mir den gebracht. Das war ein sehr, sehr schöner Moment und für mich war das so im Sinne von: jetzt ist er da.« (20K) 58 »Es war unbeschreiblich, also das Gefühl kann man gar nicht beschreiben, auch die Farbe war absolut schön. […] Also, als ich die Schatulle das erste Mal aufgemacht habe, haben mir die Worte gefehlt. Ich wüsste gar nicht, wie ich das beschreiben soll … Das Einzige, was passiert ist, ich hab’ geweint. So schön war dieser Moment für mich.« (7K) 59 »Ja, das war sehr emotional für mich, weil ich dachte, meine Güte, was aus einer Asche werden kann. So ein kleines Teil … das war schon, ja emotional und gleichzeitig seltsam auch, so ein Gefühl …« (35K) 60 »Aber dann, als er plötzlich dann vor uns da im Sonnenlicht war … Wie der funkelte, das war irgendwo schon ergreifend. Und da hat man wirklich so für ’nen
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Moment innegehalten und an die Mutti gedacht und die sich auch bildlich vorgestellt. Und jetzt erstrahlt die hier zum Diamanten, das ist ja ein ganz eigenartiges Gefühl für einen Moment. Das kann man nicht beschreiben.« (33M) 61 »Ich war ziemlich sprachlos. Ja, man weiß in dem Moment gar nicht wirklich, was man sagen soll. Wir waren eigentlich alle sehr beeindruckt davon, wie wunderschön der glitzert. Also, der ist ja so fein und so strahlend … Ja, wir waren da alle sehr fasziniert davon, sind wir auch bis heute.« (42B) 62 »Eigentlich unbeschreiblich. Er funkelte, hat ganz verschiedene Farben. Das Beerdigungsinstitut sagte auch, jeder Verstorbene hat eine andere Farbe, ist ja klar, die Zusammensetzung ist anders und ja, es war ein bewegender Moment, als ich ihn sah.« (21K) 63 »Also, man kann den ja entweder als Rohdiamanten ordern oder man kann den schleifen lassen, und ich wollte einen Brillanten. […] Ja, und was mir da durch den Kopf ging, war, dass er von der Farbe her schön ist. Der ist wirklich weiß und es gibt offensichtlich sonst so blaustichige Diamanten, die da entstehen, wenn die gemacht werden. Mir hat das gefallen, so wie der ausschaut, und der Gedanke, der mir da durch den Kopf schoss, war: Das passt irgendwie zur Leonie.« (12M) 64 »Ich war angenehm überrascht. Zwar wurde mir ja gesagt, oder ich hatte das gelesen, dass die Farbe des Diamanten eigentlich nicht feststeht, man weiß nicht, wie die Farbe aussieht. So, und dann bekam ich ihn wieder und mein Mann ist ja Bayer gewesen – und siehe da: Der Diamant ist blau! Also, das fand’ ich natürlich schon sehr [seufzt], ja sehr nahegehend, weil blau ist ja nun wirklich die Lieblingsfarbe der Bayern.« (32M) 65 »Wir haben im Übrigen weiße Diamanten, damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet. […] Wir hatten gedacht, sie würden farbig sein. Und es gibt wohl nur ganz wenige weiße. […] War uns eigentlich auch egal, ob wir einen blauen kriegen oder tiefschwarzen oder wie auch immer. […] Wir hätten alle damit gerechnet, da meine Mutter mal Krebs hatte, an dem sie ja eben nicht gestorben ist, aber da hatte sie natürlich auch einiges an Medikamenten genommen, also hatten wir damit gerechnet, dass sie schwarz sein würde oder zumindest dunkler.« (3K) 66 »Auf die Mailbox hat er [der Bestatter] mir gesprochen, ›Du, ruf’ mich noch mal an, ich habe eine Überraschung für dich‹. Und in der Zwischenzeit war auch seine Frau verstorben. Und dann hatte ich ihn angerufen und er sagte, ›Kann ich nachher
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vorbeikommen?‹ Ich sagte, ›Ja, klar kannst du das machen.‹ Sagte er, ›Ich bringe ihn dir wieder zurück‹. Dann haben wir uns an den Esszimmertisch gesetzt und dann sagte er, ›Darf ich dabei sein, wenn du ihn anschaust, ich möchte das gerne wissen, wie es ausschaut, weil ich das ja mit meiner verstorbenen Frau auch machen möchte‹. Naja und dann haben wir beide geweint. Und dann hat er gesagt, ›Ich glaube, das ist eine gute Entscheidung, dass ich das auch machen lasse mit meiner Frau‹. […] Und das war schon ein sehr, sehr rührender Moment, ergreifend war das, und wirklich sehr, sehr nahegehend. Und ich konnte von dem Moment an viel, viel besser schlafen. Glauben Sie es mir. Es ist einfach so. Und ich war ruhiger.« (32M) 67 »Total surreal. Ich war im Sommer drei Wochen in einer Kur […] und bin in der Kur angerufen worden, dass die Steine da sind. Eigentlich ein perfekter Zeitpunkt. Als ich die dann abgeholt habe und angeguckt habe … ich weiß nicht, kam mir das alles ganz, ganz fremd vor, ganz, ganz fern vor. Dann habe ich das erst mal wieder zugeklappt und weggepackt und habe dann für mich zu Hause hier abends überlegt, naja, was hast denn du eigentlich erwartet? Was hast denn du eigentlich gedacht, was jetzt passiert? Dass es Bling-Bling macht irgendwie? Dieses Surreale ist weggegangen. Ich habe das dann schon realisiert und verstanden, dass das, dass er das ist, dass es auch ein Teil von ihm ist, aber dass er halt nicht drinsteckt. Das ist so meine Art gewesen … Ich fand’s eigentlich abends zu Hause, hier, alleine, fand ich es eigentlich schön. […] Ich wusste, dass es die richtige Entscheidung war.« (18K) 68 »Ich habe den auf meine Handfläche gleiten lassen und da konnte ich dann einfach nicht anders und musste weinen. Natürlich aus Trauer, aber allerdings auch aus Freude. Und damals hatte ich so das Gefühl, jetzt habe ich meine Frau in der Hand. Eine Wiederzusammenkunft, so habe ich es damals empfunden, jetzt habe ich meine Frau wieder zurück.« (47M) 69 »Ja, ich war glücklich gewesen, dass ich endlich meine Mutter sozusagen in der Hand halten kann.« (24M) 70 »Und wenn man dann diesen Diamanten bekommt, […] ein Stück weit ist halt dann doch die Verkörperung wieder des Ehemanns, des Vaters … Also, das ist unheimlich bewegend. Und man freut sich dabei trotz alledem, ne? Es ist so bittersweet.« (34M) 71 »Er war in einem Schächtelchen, ja … Das ist schwer zu sagen, das ist ganz, ganz schwer zu erklären. Ich wusste dann quasi, dass er wieder zu Hause ist und
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nicht mehr unter dem Boden ruht, also irgendwie war er damit quasi lebendig geworden. Verrückt hört sich das an, aber es war, ja er war wieder da. Und dadurch, dass ich ihn täglich trage und er sehr strapazierfähig ist – ich kann das wirklich nicht anders sagen – und er mit mir überall hingeht und alles … Was ich tue, ob ich schreibe, lese, eingeladen bin oder mich mit den Kindern oder Enkelkindern treffe, er ist immer dabei.« (9K) 72 »Schön. Ich hab’ mir gedacht, endlich isser wieder daheim! Ja, es hat ja ein halbes Jahr gedauert und man wusste ja nicht, wie schaut er aus? Und hat er irgend ’ne Farbe oder irgend ’ne Form? Das weiß man ja vorher nicht, ja? Und ich fand’ ihn einfach nur wunderschön und hab’ gewusst, ich kann meinen Mann mit heimnehmen, wo er immer hinwollte. Er wollte wieder nach Hause.« (26M) 73 »Wenn man den dann es erste Mal in den Händen hat, das ist, wissen Sie, das geht einem durch den ganzen Körper durch. […] Ich hab’ mich schon gefreut, jetzt ist er endlich da, weil er unbedingt hat daheimbleiben wollen. Da hab’ ich gedacht, ›Ach, jetzt kommt er wieder heim‹. Aber die erste Zeit hab’ ich schon mehr heulen müssen wie jetzt dann mit der Zeit.« (28M) 74 »Der Diamant kam per Post von dem Bestatter. Und ich hab’ dann einfach nur jedem gesagt, ›Mein Max ist nach Hause gekommen‹.« (4M) 75 »Das war tröstlich, aber ich bin nicht euphorisch dadurch geworden. Ich hab’ mir gedacht, ›Felix, jetzt bist du da, wo du hingehörst, also bei mir‹. Das war alles.« (35B)
(5) »Im Grunde genommen sind’s meine Eltern.« – Zum Status des Diamanten Ein Diamant ist in formaler Hinsicht überaus abstrakt. Er erinnert an nichts in der Natur, außer an sich selbst. Rein morphologisch hat er mit dem verstorbenen Menschen nichts zu tun. Dass er dennoch in enger Verbindung zu diesem Menschen steht, ja sogar als Gleichsetzung begriffen wird – buchstäblich: er ist es –, basiert nicht auf sicherem Wissen, wohl aber auf Projektion. Streng genommen ist der Umstand, dass just dieser Diamant aus exakt dieser Asche entstammt, nicht einmal der entscheidende Faktor, denn diese Herkunft wird nirgends spürbar. Relevant ist allein, dass man die Verbindung annimmt. Überprüfungen, ja beinharte Fakten nehmen im Kosmos dieser tiefempfundenen Überzeugung eine untergeordnete Rolle ein.
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Somit dreht sich die Handhabung des Juwels immerzu um die Grade der Identifizierung bzw. Symbolisierung von Artefakt und Person. Wie bereits erwähnt, ist die Einstellung, im Diamanten eine Art verkörperlichte Fortexistenz der verstorbenen Person zu sehen, stark verbreitet. Sie ist aber nicht exklusiv; auch die entgegengesetzte Überzeugung, nämlich die Vorstellung eines rein dinglichen, auf den Toten verweisenden, aber nicht dieser Mensch seienden Steins findet sich im Interviewmaterial. Diese deutlich erkennbare Ambivalenz in den Haltungen der Gesprächspartner steht im Einklang mit der Pluralisierung des Sepulkralen (Benkel 2020b). Längst ist Bestattungskultur zu einem heterogenen Feld geworden, auf dem verschiedene, sich durchaus widersprechende Überzeugungen nebeneinander koexistieren. So oder so: Entscheidend ist vermutlich nicht, ob der Diamant als kristalline Miniaturform des verstorbenen Sozialpartners verstanden wird oder nicht, sondern der Umstand, dass seine Präsenz für die meisten unserer Gesprächspartner eine positive Wirkung entfaltet. Die Tatsache, dass es sich im Ursprung um ›Körpermaterie‹ handelt, verleiht dem Aschediamanten überdies einen privilegierten Stellenwert gegenüber anderen potenziellen Erinnerungsobjekten. Er ermöglicht den Toten eine (para-)soziale Präsenz, die sie adressierbar macht. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass selbst diejenigen unter den Interviewten, die den Diamanten ausdrücklich nicht im Lichte einer materiellen Kontinuität des Verstorbenen sehen wollen, im Gespräch doch immer wieder einmal zu Identitätsformulierungen greifen – und Juwel und Person dadurch eben doch gleichsetzen. 76 »Also, ich hab’ mir das schon ein paar Mal überlegt … Eigentlich ist es mein Mann, für mich ist es mein Mann, weil er ja aus diesen Atomen gepresst worden ist. Also, für mich ist es mein Mann, aber es ist natürlich kein Ersatz für einen lebendigen Mann.« (16K) 77 »Ich verbinde die Trauer um meine Mutter in keinster Form mit irgend ’ner Materie. Also, das ist für mich Kohlenstoff und […] inwieweit der Kohlenstoff jetzt von meiner Mutter kommt … Es ist einfach nur für mich, wenn ich ihn dann trage, eine Form, ich mein’, andere geh’n auf den Friedhof, ich hab’ meine Kette. Es ist ja einfach nur ’ne Form der Erinnerung und der Dankbarkeit, des Respekts. […] Rein rationell weiß ich, das ist einfach Kohlenstoff.« (30M) 78 »Ich hab’ meinen Ehering [in den der Diamant eingefasst ist] auch noch. Den trag’ ich nicht als Ehering, den trag’ ich als meinen Mann. Er ist das, ganz klar, ganz klar. Also, das symbolisiert er nicht, das ist mein Mann.« (13K)
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79 »… die Erinnerungen an den Geist, die Inspirationen, die Erfahrungen, die weitergegeben wurden, die Gaben, worüber man sich unterhalten kann. Das Äußere ist okay, danke schön, und das werden wir mit Achtung und Respekt behandeln, aber da drin ist ja nicht die Essenz von dem Wesen, das sind die Reste vom Körper und in dem Körper ist er nicht mehr, der Geist ist ja nicht darin gefangen. Das ist ein Erinnerungsgeschenk für uns.« (49M) 80 »Er ist es. Ich hab’ immer das Gefühl, nachdem ich ihn ja überhaupt nicht ablege … Er geht immer mit mir, er ist immer dabei, wo immer ich hingehe, was ich unternehme, nehm’ ich meinen Mann mit.« (9K) 81 »Nein, die Steine sind nicht mein Mann. Sie symbolisieren ihn schon, ja. Sie sind aber kein Denkmal. Es ist jetzt also nicht so, dass ich durch die Welt renne und er dabei ist und alles sieht und alles mitentscheidet für mich. Nein, das definitiv nicht. Sie sind für mich da, ich fühle mich damit gut, aber es ist nicht so, als wenn es für mich eine Hilfe wäre in meinem Alltag. Oder dass ich mich da von dominieren lassen würde … Sie sind einfach da und es tut mir gut und ich fühle mich gut damit.« (18K) 82 »Es ist er. Das sind Teile von ihm. Es ist ja nicht nur ein Symbol. Ich weiß ja dadurch, dass er aus seiner Asche gemacht ist, dass er das ist, ne? Für mich. […] Wenn ich ihn berühre, weiß ich, dass ich ihn berühre. Nicht nur symbolisch, sondern es ist ja ein Stück von ihm.« (17K) 83 »… aber diese Objektfixierung, wenn sie denn stattfinden würde bei mir, die würde mir was nehmen. Also, das wäre wirklich diese Fixierung eben dann auf diesen Diamanten, auf das Objekt, und das wäre eine nachträgliche Reduzierung der Persönlichkeit meiner Frau.« (12M) 84 »Er [der Diamant] ist ein Teil von ihr … Es ist ja im Endeffekt ein Teil ihrer Überreste. Und damit ist im Endeffekt ein Teil von ihr immer bei mir. Das ist das für mich.« (7K) 85 »Ach, ich weiß jetzt nicht, wie ich es ausdrücken soll, […] weil ich sehe ihn wirklich nicht als Diamant, ich sehe ihn wirklich als ein, ach, das ist auch blöd ausgedrückt, wenn ich sage, […] ein Teil meines Mannes – das ist unzutreffend, wenn ich das so sage. Nee, er ist einfach, er ist es einfach. […] Ich habe nicht gesagt, bald bekomme ich den Diamanten, sondern bald bekomme ich Mirco und der Bestatter hat auch gesagt, ›Also, ich bringe ihn jetzt dir wieder zurück, jetzt hast
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du ihn wieder. Zwar anders, in einer anderen Form, aber jetzt hast du ihn immer bei dir.‹ Ich sehe das also wirklich nicht als Schmuckstück und auch nicht als Diamant, ich sehe ihn einfach als meinen Mirco.« (32M) 86 »Da hab’ ich mir ja Gedanken drüber gemacht, aber das ist ja kein Stein, der irgendwie dasteht, sondern sie ist es, für mich ist sie das.« (10K) 87 »Ich verfolge damit schon auch das Ziel ganz bewusst, ich schmücke mich mit meinem Mann, also ich unterstreiche die Kleidung, es muss passen, es muss stimmig sein. Es ist auch ein Schmuckstück, um eben […] in Einheit mit der Kleidung zu sein. Sodass ich also auch noch mal ein bissel mehr investiert hab’, um eben wirklich auch das Schmuckstück immer zur Geltung zu bringen, weil es ist mein Mann, den ich da um den Hals trage.« (34M) 88 »Also, ich denke mal für mich selber, für mich ist er’s. Das ist meine Anschauung jetzt, ne. Das ist mein Mann, ja.« (21K) 89 »Das denk’ ich schon, das ist mein Mann. Ich hab’ auch immer, wenn jemand den Stein sehen wollte, hab’ ich gesagt, ›Das ist mein Mann‹.« (15M) 90 »Also, ich empfinde, es ist mein Mann. Ich fasse den Ring und den Stein extrem oft an, wenn ich Sorgen habe, wenn ich mich freue. Und wenn ich an ihn denke, dann fass’ ich den Stein an, und dann hab’ ich den Eindruck, es ist mein Mann.« (14M) 91 »Mir ist schon klar, dass der Diamant aus dem Körper meiner Frau entstanden ist. Aber der Zustand dieses Diamanten, darüber habe ich schon viel nachgedacht, hat mit dem Ursprung überhaupt nichts mehr zu tun. […] Entscheidend ist: Es spielt sich alles im Kopf ab.« (47M) 92 »Bei mir ist das schon auch so, dass ich sag’ so, die Seele ist irgendwo. Und ich habe so das Gefühl […], ich stell’s mir einfach vor, dass die Seele dieses Menschen in diesem Diamanten einfach weiter ist, ja? […] Der Mensch in klein, der ist da drin [lacht].« (11M) 93 »Aber das ist doch nicht er, um Himmels willen, das wär’ ja ganz schrecklich, wenn er in diesem kleinen Diamanten gefangen wär’!« (49M) 94 »Synthetisch-genetisch gesehen: Es ist mein Mann, es ist der Körper meines Mannes. Und zwar der komplette Körper. Also, alles, was noch da war, ist dieser
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Diamant, ja? Nur halt in klein. Gell, ich sag’ immer zu Freunden, ›Schaut mal, das ist jetzt der kleine Christoph‹.« (26M) 95 »Sie ist nicht der Diamant. Der Diamant ist für mich das Funkeln von ihr. […] Aber es ist nicht so, dass ich das Gefühl habe, wie soll ich sagen, eine Verkleinerungsform bei mir zu haben. Sondern eher das Leuchten, das mich begleitet. Darum hab’ ich auch einen Diamanten gemacht, der geschliffen ist und nicht roh.« (2K) 96 Auf die Frage, ob die Entscheidung, den Diamanten schleifen zu lassen, von Beginn an feststand: »Das war klar, genau, weil dann dieser Glanz erst hervorkommt und dann auch für mich dieser Glanz auch eine große Bedeutung hat. Ich habe oft so das Gefühl, je nachdem, wie ich selber, jetzt sag’ ich mal, gelaunt bin, dass sie mal mehr, mal weniger strahlen und das ist dann schon, wie soll ich das sagen … so ein Lebensbeweis doch irgendwo, dass die in dieser Form noch für mich da sind.« (6K) 97 »Ich wollte, dass er ein Rohdiamant bleibt, einfach, weil mein Mann ein Rohdiamant ist, den man nicht schleifen sollte. Weil er ist, wie er ist.« (5K) 98 »Und dann ha’m wir gesagt, die Mama lassen wir schleifen, weil sie war halt immer ein geschliffener Diamant. Und mein Papa war immer ein Rohdiamant, der war immer so ungeschliffen [lacht].« (11M) 99 »… obwohl ich mit der Verwandtschaft meiner Frau keinen Kontakt mehr habe, habe ich am […] Geburtstag meiner Frau ein Bild dieses Diamanten und ein Bild meiner Frau kommentarlos an eine Schwester von ihr geschickt. Und ja, da kam dann eine Antwort zurück, eine Nachricht, das Foto sei sehr schön. Und ich habe mir dann gedacht, aha. Und dann kam einige Zeit später eine zweite Nachricht und drin stand, ›Oh mein Gott, jetzt versteh’ ich, der Diamant ist die Leonie!‹« (12M) 100 »Im Grunde genommen sind’s meine Eltern. […] Ja, weil er den Wert meiner Eltern in irgendeiner Form auch widerspiegelt. […] Der Diamant ist was Wertvolles für mich und meine Eltern waren für mich natürlich auch was sehr Wertvolles.« (6K) 101 »Der Diamant hat auf jeden Fall seine eigene Wertigkeit, weil er [der Verstorbene] es ja is’.« (4M)
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102 »Denn für mich ist der Diamant dieser Mensch. Jetzt in veredelter Form. Und wenn man einen Menschen sehr gern gehabt hat […] – und für mich war das im wahrsten Sinne des Wortes ein edler Mensch –, ist der deshalb jetzt auch veredelt.« (33M) 103 »Also, ich möchte schon dran glauben, dass er’s ist. Sagen wir’s mal so: Es ist etwas sehr, sehr Schönes. Also, ein Stein, der am Hals hängt, […] ist ein Schmuckstück, das ist etwas sehr Schönes. Und etwas Schönes erfreut einen doch im Herzen, oder?« (4M) 104 »Sowohl als auch. Also, er ist meine Mutter, das kann ich Ihnen auch kurz erklären. Ich habe die drei Diamanten beim Bestatter abgeholt und habe mich dann zu Hause hingesetzt und ich konnte es nicht, also es war ganz schwer für mich, ich konnte es nicht gut aushalten mit diesen drei Diamanten, auch wenn sie in den Schatullen waren, sie neben mir zu haben, weil es mich wahnsinnig berührt hat, weil mir klar war, dass es die Mama ist. Und in dem Moment, als ich beschlossen habe für mich, dass ich das in einen Ring einfassen lassen möchte, den Diamanten natürlich … Das symbolisiert meine Mutter, weil so wie ein Diamant ist, so war sie auch. Und ich habe ein paar Tage auch gebraucht, bevor ich die Schatulle wieder aufmachen konnte, weil ich wusste, das ist meine Mutter.« (27K) 105 »Aus so, ich sag’ mal, zwei Fingerhut voll Asche so was herzustellen. Also, man muss sagen, da kam mal so ein Anflug von Gedanken, ›Ist das jetzt von meinem Mann oder ist … irgendwas anderes‹, ne? Das kam schon auch, aber ich vertraue natürlich darauf, ich habe ein Zertifikat und alles Mögliche hier.« (35K) 106 »Ich glaube, es ist der Wunsch und das, was einen gemeinsam verbindet, was man auch in diesen Ring hineininterpretiert. Und auch die Tatsache, dass man weiß, dass ein Teil daraus [aus der Asche] in diesem Ring drin ist. Also, mein Mann wollte zum Beispiel in seinem Hochzeitsanzug, obwohl er ihm ja dann viel zu groß war, und in seinen Lackschuhen, mit allem, was zu einem Smoking dazugehört, verbrannt werden. Früher war das ja gar nicht möglich, da haste da irgend so ein Papierhemd angekriegt, heute geht das ja. Und auch das, was der Tote an hat, hinterlässt ja bei diesem Verbrennungsprozess einen gewissen Kohlenstaub. Für mich ist dieser Ring auch ein Stück anfassbarer Gegenstand geworden aus dem, was mein Mann mal war. Also, wenn ich den Ring angucke, dann seh’ ich den, wie bei unserer Hochzeit in dem Smoking. […] Es ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass auch dieser Mensch mal gelebt hat.« (23M)
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107 »So wie dieser Diamant glänzt und strahlt, hat es auch mein Kind. Deswegen sag ich, es ist unbeschreiblich. Das etwas so Kleines [schluchzt], genau das widerspiegelt, wie sie war. Obwohl es ja … obwohl es ja nur Anteile von ihr sind.« (7K) 108 »Ja, das ist mein Problem. Also, für mich gefühlsmäßig ist er das natürlich. Irgendwie. Weil, er ist ja auch physisch nicht mehr da, er wurde eingeäschert und aus der Asche ist jetzt dieser Diamant entstanden. Meine Mutter hat gesagt, ich soll versuchen, mich davon frei zu machen, weil das ja wirklich auch Fragmente sind, klar. Aber man hat natürlich auch keinen Körper mehr, der normal erdbestattet ist, das ist natürlich eine körperliche Sache. […] Also, ich glaube daran, dass mehr die Seele der Mensch ist als die körperliche Hülle. Aber trotzdem kann ich das im Moment nicht wirklich trennen oder ich habe da noch nicht so richtig drüber nachgedacht. Also, ich glaube, ich vermeide das noch so ein bisschen, weil ich damit erst noch genug zu tun habe.« (29M) 109 »Ja, sicher ist es ein Teil, ne, is’ ja Asche, is’ ja Kohlenstoff meiner Mutter. […] Wir haben auch den Grabstein, als mein Opa und meine Oma ins Grab gekommen sind und das abgeräumt worden is’, da haben wir den Grabstein hierhergeholt, in den Garten und man unterhält sich mal kurz mit denen, obwohl es natürlich nich’ wirklich meine Oma ist. Meine Oma und mein Opa sind ja natürlich auch nicht der Grabstein … und meine Mutter natürlich auch nicht, obwohl meine Mutter natürlich noch eher der Diamant ist, als mein Opa und meine Oma der Grabstein sind. Aber das ist einfach so, man hält mal kurz Zwiesprache. Ich geh’ in den Garten und sag’, ›Na, wie geht’s euch heute?‹ Oder so was. Oder immer, wenn ich zu meiner Mutter runter in die Wohnung gehe, wir haben in einem Haus gewohnt, dann sag’ ich, ›Na, Muddi, wie sieht’s aus heute?‹ Also, es ist nicht … die Wohnung ist ja auch nicht meine Mutter. Dass es meine Mutter symbolisiert, kann ich auch nicht sagen. Ich würde sagen, es is’ irgendwie ’ne Präsenz davon.« (3K)
(6) »Er ist Bestandteil meines Körpers geworden.« – Postmortale Präsenz durch räumliche und körperliche Nähe Ein auffallend starkes Motiv ist die Betonung der Dauerpräsenz des Diamanten und damit der verstorbenen Person: »Er ist immer bei mir.« Ein geliebter Mensch, verloren geglaubt, kehrt in der Schatulle zurück nach Hause. In diesem Punkt offenbart sich ein enger Bezug zur vorangegangenen Themenkategorie: Wie nah man sich dem Verstorbenen mithilfe des Diamanten letztendlich
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fühlt, dürfte vor allem davon abhängen, ob man in diesem Edelstein lediglich ein Erinnerungsobjekt oder doch vielmehr eine greifbare, weil körperlich grundierte Fortexistenz der vermissten Person erkennen will. Es überrascht nicht, dass viele der Befragten das Schmuckstück körpernah tragen – sie wollen die wiedererlangte Präsenz permanent spüren. Die Nähe zum eigenen warmen Körper kann als bewusster Gegenentwurf zur Ferne der kalten Grabstätte verstanden werden. So gesehen, stellt die Diamantenoption eine Anlaufstelle für diejenigen dar, die sich nicht trennen wollen oder können. Über körperliche Nähe – der Diamant wird nicht nur eng am eigenen Leib getragen, sondern in bestimmten Situationen auch gezielt berührt, gestreichelt und geküsst – wird auf diese Weise soziale Nähe hergestellt. Zentral ist dabei ferner die einseitige Deutungshoheit über die Situation; anders als zu Lebzeiten muss der ›Umgang‹ mit dem Partner nicht mehr ausgehandelt werden. Als Diamant ist dieser Partner handhabbar geworden und darf einem jederzeit nahe sein, schließlich ist Konfliktpotenzial nicht mehr zu erwarten (wenigstens nicht aus der Richtung der verstorbenen Person). Ambivalenz weicht Gewissheit. Womöglich liegt darin auch ein Machtaspekt, der erst ausgespielt werden kann, nachdem einer der Partner nicht mehr lebt. Es dürfte wahrscheinlich sein, dass solche Machtansprüche aber eben nicht bewusst empfunden, sondern eher unbewusst ausgelebt werden – auch deshalb, weil der Diamant es gestattet. Die Körpernähe geht hin bis zur beinahe symbiotischen Verschmelzung. An der Kette oder in der Einfassung des Rings kann der Diamant zum untrennbaren Körperbestandteil werden, somit aber auch zum als lebendig verstandenen Anhängsel. Die haptische Dimension bleibt dabei jederzeit spürbar erhalten. Die buchstäblich hautnahe Gegenwärtigkeit wirft in manchen Fällen die Frage auf, ob die Symbiose von Körper und Artefakt für manche Nutzer nicht den Bereich des Metaphorischen längst verlassen hat. Und in der Tat: Einige unserer Gesprächspartner sehen sich als physisches ›Trägermedium‹ zweier Personen. Die Verschmelzung mit dem Diamanten macht aus einer Person zwei – oder aus zwei Personen eine. Bei dermaßen intensiven Empfindungen kann es vorkommen, dass die einseitig gesteuerte Nähe auch einmal als zu stark empfunden wird. Das Ablegen des Schmuckstücks kann durchaus, für eine gewisse Zeit, ein Akt der Befreiung sein; umso mehr, als die Wiederverbindung damit souverän und in Eigenregie jederzeit bewerkstelligt werden kann. Ohnehin verspürt, wie einige der nachfolgenden Interviewstimmen demonstrieren, offenbar nicht jeder den Wunsch nach Körpernähe. Es sind durchaus Fälle bekannt, in denen der Edelstein einen festen Platz in der Wohnumgebung
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oder an anderen Orten erhält, der zwar prinzipiell zugänglich ist, indes nicht dazu führt, dass sich die Diamantpräsenz im Alltag automatisch aufdrängt. Noch kleiner ist die Gruppe derer, die prinzipiell wenig Wert auf Materialität und Körpernähe legen und sich nach einiger Zeit sogar für eine dauerhafte, teilweise auch irreversible Trennung vom Ascheartefakt entscheiden. 110 »Ich hatte ihn damals, wo ich ihn nach X-Stadt gefahr’n hab’ 2017, wo’s hieß, er kriegt ’ne neue Leber, da hab’ ich gesagt, ›Ich hoffe, dass die Operation gut geht. Und wenn alles gut geht, hol’ ich dich an Weihnachten nach Hause.‹ Er ist dann vier Tage vor Heiligabend gestorben und ich hab’ seinen Sarg an Heiligabend nach Hause geholt. Und dann musst’ ich ihn halt noch mal für ein halbes Jahr entbehren. Und dann durft’ ich ihn endgültig nach Hause holen.« (26M) 111 »Wenn ich Ihnen jetzt sage, als ich meinen Mann dort im Büro eben, ja gefunden habe, und als dann spät abends der Bestatter ihn abgeholt hat – am liebsten hätte ich ihn dabehalten. […] Ehrlich, also ich hätte ihn gar nicht wegfahren lassen, […] weil ich fände das nicht schlimm, wenn er noch bei mir gewesen wäre, eine Hülle als Leichnam. […] Es war mir einfach ein riesengroßes Bedürfnis, ihn einfach nicht abholen zu lassen, wissen Sie … Ich habe gedacht, meinetwegen könnte er immer hier sitzen. So dieses Gefühl, dass er dann weg ist, oder so … Boah, das war für mich unerträglich.« (32M) 112 »Aber ich denke, meine Überlegung war einfach, dass ich, weil ich meinen Mann so sehr geliebt habe und er mich auch, war es wirklich eine harmonische Sache, und leider ist halt so schnell 18 Jahre so wenig gewesen … Deswegen bin ich so froh, dass ich ihn immer noch bei mir habe.« (19K) 113 »Das [kristalline Schmuckstück] ist ein Teil von mir. […] Also, wir waren so zusammen, wir waren nicht auseinander dividierbar und jetzt ist es wieder eins. Ich habe ihn wieder bei mir. Nur in einer anderen Form.« (8M) 114 »Dass der Diamant so schön geworden ist, erleichtert vielleicht auch die Vorstellung, ja? Es gibt ja auch Diamanten, die sind jetzt nicht so prickelnd. Aber für mich, wenn ich diesen Ring anhabe, fühl’ ich mich nicht so allein.« (23M) 115 »Also, es wäre für mich […] komisch, den Diamanten einfach in einer Schatulle irgendwo stehen zu haben. […] Weil, ich möchte sie ja bei mir haben. Also, ich werd’ da nicht einfach so eine Schatulle aufmachen und dann den Diamanten sehen, sondern ich möchte, dass sie mit mir weitergeht.« (2K)
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116 »Es war mal die Überlegung, wenn man ihn bei uns im Garten beisetzt, und dann hab’ ich gesagt, ›Nee, wenn ich wegziehe, so kann ich ihn ja ganz praktisch mitnehmen‹. […] Das lässt sich wunderbar transportieren, dann ist er mit dabei.« (31M) 117 »Ich habe mir das einfach so gewünscht, dass er immer bei mir ist und das ist eben jetzt so […]. Ja, einige Leute werden sagen, die Alte hat einen Knall, wissen Sie? Warum schleppt die da die gepresste, aufgepresste Asche […], also warum schleppt die jetzt wirklich eben einen Diamanten mit sich? […] Aber es ist für mich einfach so, als wenn er bei mir wäre.« (32M) 118 »Ich habe ihn als Kette und er ist an meinem Hals, der ist so fest, ich kann die Kette nicht abmachen […]. Er ist Bestandteil meines Körpers geworden.« (8M) 119 »Er ist das Einzige, was von ihr und von ihrem Körper übriggeblieben ist, insofern ist es für mich eine wunderschöne Sache. Es ist etwas von ihr übrig geblieben, was leuchtet und brilliert. Und das ist so viel schöner als die Verwesung. […] und ich habe auch zu vielen Menschen schon gesagt, der Ring mit diesem Diamanten ist für mich das am wenigsten Schmerzhafte um mich herum.« (47M) 120 »Wir hatten uns geschwor’n, für immer und ewig zusammenzubleiben, dass uns nichts und niemand trennen wird. Und so ist es.« (26M) 121 »Und mein Mann ist bei mir, wir sind eins, wie früher auch in zwei verschiedenen Körpern. Also, früher waren wir zwei Personen und eins, und jetzt ist es eine Person und wir sind auch eins.« (8M) 122 »Er ist zu Hause und er ist da. Es ist eine andere Energie in dem Haus. Und ich hab’ einen ziemlich guten Draht mit diesem Chef vom Krematorium, mit dem hab’ ich mich da drüber auch unterhalten. Und ich kenne auch viele Leute, auch Professoren und wirklich gebildete Leute, die eben auch schon nahe Angehörige verloren haben. Wir haben auch über solche Sachen gesprochen, so diese andere Dimension … Ich bin mir ganz sicher, dass es das gibt. Ich spüre so mancherlei Dinge, die einfach nicht vom Zufall gelenkt sein worden können, wie man so schön sagt.« (5K) 123 »Als die dann sagte, als sie anrief, der Diamant ist da und ich wusste, sie bringt den, das war für mich, da habe ich gedacht, ›Patrick, du kommst nach Hause!‹ Und ich habe auch, als wir die Maschinen abstellen mussten und er ja in meinen Armen gestorben ist, habe ich nur zu ihm gesagt, ›Ich verlasse dich nicht, ich hole
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dich wieder nach Hause.‹ Und das war so ein Moment, wo ich persönlich dachte, jetzt ist er wieder da in einer anderen Form. In keiner lebendigen mehr, aber auch, wenn ich diesen Diamanten berühre, an meinem Hals, also ich weiß, er ist … Er hat immer so sehr gefroren, weil das Herz ja nicht gearbeitet hat. Daran denke ich immer, hier hast du es schön warm und mit dem Diamanten drüber, dann ist das für mich, dann weiß ich, dass ich ihn berühre.« (17K) 124 »Ich bin auch so, dass wenn ich so in Gedanken bin und hab diese Kette dran, dann leg’ ich immer die zwei Finger so drauf. So, und dann denk’ ich mir, ja Mama und Papa, ne? So, ich halt euch fest, ihr seid dabei. Oder an den Ring von meinem Mann, da leg ich immer den Finger obendrauf, auf den Diamanten. […] Also, wie wenn ich mit ihnen kommuniziere. Man ist ihnen nah wieder, ja? Also, sie sind nicht mehr da, aber sie sind doch irgendwo da.« (11M) 125 »Ja, wenn ich traurig bin, dann tu’ ich ihn [den Diamanten] ansehen und anfassen und erinner’ mich an meine Mutter dann.« (24M) 126 »Also, ich habe oft auch, dass ich einfach nur meine Hand nehme, das ist ja quasi in einem weiß-goldenen Medaillon, das ist so eine Haftform und den Diamanten, den sieht man nicht. […] Und dann nehm’ ich halt manchmal meine Hand und umfass’ dieses Medaillon. Und es gab eben auch schon tatsächlich in meinem Leben jetzt danach auch Situationen, wo ich, ich sag’ jetzt mal, in Gefahr war, wo es auch hätte anders ausgehen können, und möglicherweise hätte ich dann mit meinem Mann schon zusammen Kaffee trinken gehen können, ne?« (5K) 127 »Ich schaue ihn mir natürlich an und küsse ihn auch. Und jedes Mal bin ich also sehr, sehr beruhigt, dass ich ihn habe.« (32M) 128 »Also, er ist bei mir. Und […] wenn er zur Fußball-Weltmeisterschaft schon da gewesen wär’, hätt’ ich ihn wahrscheinlich mit auf die Couch gesetzt, da hätt’ er mit uns Fußball schauen können. Also, es steht mir frei, ich könnt’ mit ihm in Urlaub fahr’n oder ich könnt’ ihn mit zum Schuhekaufen nehmen, das hat er immer gehasst!« (26M) 129 »Ich sage, ich nehme ihn überall dahin mit, wo er sich auch wohl gefühlt hätte. Also, das ist jetzt egal, ob ich da jetzt morgen zur Bigband gehe oder ob ich nach Afrika fliege oder ob ich Freunde besuche. Das wären überall Orte gewesen, wo er gerne mitgegangen wäre […]. Wenn ich jetzt etwas machen würde, wo ich genau wusste, das konnte er auf den Tod nicht leiden, dann würd’ ich ihn nicht mitnehmen.
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Ich sag’ jetzt mal was ganz Blödes: Ich geh’ jetzt zur Modenschau, das hätte der so was von bescheuert gefunden, ja? Also, ich geh jetzt zu keiner, aber wenn ich das vorhätte, dann würd’ ich ihn nicht mitnehmen. […] Und ich entscheide auch, ob ich den nachts anlasse oder nicht. Das mach’ ich intuitiv.« (23M) 130 »Wenn ich Dekolleté trage, aber ich bin so gestrickt, ich trage viel auch Rollkragenpullover oder hochgeschlossen, dann ist er mal drinnen, mal draußen, und es kommt drauf an … Wenn ich was Besonderes mache, dann hole ich ihn raus und sage, ›Du guckst dir das mit an, ne?‹ Und dann geht er mit mir durch die Stadt und guckt. Also, ich bin auch im Museum, mache ich auch noch ehrenamtlich Dienst und sage, ›Guck mal, wir haben heute eine schöne Ausstellung‹. […] Also, ich lasse ihn gewaltig teilhaben an gewissen Sachen. Oder wenn ich was einkaufen gehe und ich fühle mich nicht ganz sicher, dann darf er halt auch mitgucken und eine Entscheidung treffen.« (8M) 131 »Also speziell, wenn ich [an den Diamanten] vorbeilauf’ und wenn ich sie anguck’ und so, dann hab’ ich das Gefühl, die sind bei mir. Obwohl ja im ganzen Haus ist man ja beieinander gewesen. Aber das ist speziell … Das ist ganz anders.« (28M) 132 »Wir ha’m das im Wohnzimmer, in einer Vitrine ist ihr Bild und davor dieser Diamant. Aber wir ha’m das auch so gestellt, dass man das nicht sofort auf’n ersten Blick sieht, sondern man muss schon ein bisschen sich Mühe geben. Weil das wollen wir auch nicht, dass wir das nun jeden Tag seh’n. […] Aber wenn man dann das doch wieder einsieht, hat man ’ne kurze Erinnerung und man freut sich drüber. Sofort kommen diese Assoziationen: Ach ist das schön! Du bist zu Hause, wir müssen auf keinen Friedhof geh’n.« (33M) 133 »Die bewahre ich in einer Schublade, in einer besonderen Schublade bei mir am Bett auf und manchmal hole ich, also habe sie nicht immer, ich gucke sie nicht immer an oder ich gucke den Diamanten nicht immer an, aber wenn ich für mich in einer Situation bin, wo ich gerne mit ihr geredet hätte … Dann hole ich den Stein, den Diamant auch mal raus und habe sie einfach neben mir. Und das finde ich persönlich sehr viel schöner … Es ist für mich sehr viel sympathischer, als auf den Friedhof zu gehen.« (27K) 134 »Und das ist auch noch mal so ein Ding, das ist einfach ein anderes Gefühl, das man jetzt hat. Er ist da. Er ist in anderer Form, aber er ist dageblieben. Er ist nicht irgendwo, er musste nicht irgendwohin abgegeben werden, irgendwo in einem Grab, an irgendeinen Ort, wo man dann hingehen muss.« (5K)
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135 »Er ist natürlich komplett weg, ich meine rein logisch gesehen ist in diesem Diamanten so ein bisschen Asche, so ein bisschen Kohlenstoff, der so ein bisschen aus der Asche genommen wurde. Also nicht so die Vorstellung, er liegt jetzt irgendwo 500 Kilometer weit von mir entfernt, irgendwo unter der Erde und ist irgendwann einfach nicht mehr da. Mit diesem Diamanten hält man da ein Stückchen halt fest.« (42B) 136 »Es ist natürlich aus der Kremationsasche des Verstorbenen, aber das ist … ja … da kann ich Ihnen abschließend noch gar nicht ganz genau sagen, was ich da für Gefühle bei hab’. Aber es ist […] dann unglaublich schwierig, weil man natürlich, wenn man jetzt ’ne normale Erdbestattung hat, dann kann man ja auf den Friedhof geh’n, da mit dem anderen sprechen, dann ist der ja da auch physisch irgendwie. Und dann kann man da wieder weggehen. Dann hat man wieder diese Distanz. Bei diesem Stein [dem Diamanten] ist es ja, wenn man den dann bei sich hat, schwierig, überhaupt wieder Distanz zu kriegen. Also, ich bin halt jetzt 44 und ich fand das dann für mich zu früh, ihn immer bei mir zu tragen so, das war mir dann zu … ja, zu extrem … oder kann ich jetzt noch nicht oder will ich jetzt noch nicht oder wie soll ich sagen?« (29M) 137 »Letztlich ist ein Diamant, auch wenn er jetzt künstlich hergestellt ist, ja auch ein Teil oder etwas, was die Natur ja auch in Naturform geschaffen hat, aus Atomen. Und ich find’ das viel schöner, daraus noch so was Wunderschönes zu machen und die Erinnerung dann irgendwie in so was Materiellem festzuhalten. Die Gedanken verblassen, aber man hat halt irgendwie was, was man sich jeden Tag angucken kann.« (37M) 138 »Also, ich brauche keine Kette mit dem Diamanten aus der Asche meiner verstorbenen Frau, das ist überhaupt nicht die Intention von mir. Das ist auch nicht so, dass ich so eine Art Altar hier in der Wohnung aufbaue und diesen Diamanten aus der Asche meiner Frau da irgendwie in der Wohnung behalten will. Um das geht es überhaupt nicht. Also, das hätte ja, mit gebotener Vorsicht, ein bisschen so einen Charakter von einem Fetisch, was ich aber auch nicht werten will, wenn Leute das wollen, dann sollen sie das machen. Ich will das aber nicht.« (12M) 139 »Ich brauch’ diesen Ring jetzt nicht, um zu trauern oder so, aber ich finde es einfach eine schöne Erinnerung. Es gibt mir das Gefühl, dass er aus meinem Leben nicht ausgegrenzt ist. Und ich empfinde es nicht als, ich sag’ jetzt mal: Fessel, als Bindeglied, das sich nicht auflösen lässt. Ich kann ihn ja auszieh’n, wenn ich will.« (23M)
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140 »Wir haben drei [Diamanten] machen lassen, weil wir meine zwei Kinder und ich sind. Wir haben da so ein Familienwappen und wir werden es da in die Schiene an die Seite einlassen. […] Ich kann Ihnen aber gleich sagen, ich werde ihn täglich tragen, den Ring, aber ich würd’ jetzt nicht in Panik ausbrechen, wenn ich ihn mal vergessen hab’ zu Hause. Und ich kann mich sehr stark trennen von so Irdischem. Mein Mann ist präsent, ob ich jetzt den Ring da am Finger hab’ oder nicht.« (35B) 141 »… dass ich einfach das Gefühl hab’, er lebt irgendwie in dieser Form weiter und das macht mir manchmal das Herz selber schwer, dass ich’s [das Schmuckstück] abmachen muss. […] Manchmal muss ich mich da auch ein Stück befreien, um einfach eben loszulassen. Loslassen zu können, obwohl ich ihn … obwohl ich das nicht gerne mache.« (5K) 142 »Mir fällt ein, dass ich manchmal sogar so Schübe habe, wo ich denke, jetzt muss ich mal die Ringe wegtun. Den Ehering und auch den mit dem Diamanten. Dann laufe ich etliche Tage ohne die Ringe herum. Das gibt mir hin und wieder schon ein Gefühl der Freiheit dann. Weil man sich natürlich auch Gedanken darüber macht, wie willst du in Zukunft leben? Willst du jetzt ewig so weiterleben in dieser Trauer? Oder willst du vielleicht mal zulassen, dass vielleicht ein anderer Mensch in dein Leben tritt? Ich kann also nicht sagen, wie das weitergeht mit diesem Ring.« (47M) 143 »Das muss ich jetzt so, klingt jetzt hart, aber ich möchte das alles im Moment nicht mehr um mich haben und ich fühle mich auch ein bisschen zu jung dafür. Und ich möchte eigentlich, naja diese ganze Grübelei und diesen ganzen Stress und die ganzen Sorgen erst mal so ein bisschen jetzt hinter mir lassen. Und ich fürchte, wenn ich den Stein jetzt dann hier hätte, dann wird es irgendwie da sein. Irgendwie.« (29M)
(7) »Ich spreche sogar mit dem Ding.« – Interaktion mit dem Diamanten Generell ist die Kommunikation mit Verstorbenen kein seltenes Vorkommnis. Die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Varianten der Trauer und des Gedenkens zeigt, dass es im Feld der postmortalen Zwiesprache vielfältige Variationen gibt. Mal finden entsprechende Dialoge in Gedanken statt, mal aber auch laut ausgesprochen an der Grabstätte oder in anderen räumlichen Kontexten. In der Soziologie ist diesbezüglich von ›parasozialer‹ Kommunikation die Rede. Der Begriff bringt zum Ausdruck, dass es sich nicht um kon-
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ventionelle, sondern um ›unvollständige‹ Auseinandersetzungen handelt, bei denen üblicherweise nur eine Seite aktiv ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob auch der Aschediamant entsprechend adressiert wird. Auch das dürfte vordergründig von der Bedeutungszuschreibung dieses Artefakts abhängen (siehe oben). Wer den Diamanten explizit als Erscheinungsform eines Verstorbenen ansieht, dürfte stärker motiviert sein, ihn verbal anzusprechen, als Personen, die von einem lediglich symbolischen Verweis ausgehen. (Einige Interviewpartner wiesen ausdrücklich darauf hin, noch in keinem Moment mit ihrem Schmuckstück gesprochen zu haben.) Das Reden mit den Verstorbenen wiederum kann ohne direkte Einbeziehung des Diamanten erfolgen. Es tritt, so lässt sich vermuten, besonders in belastenden und krisenhaften Situationen auf. Andererseits kann eine solche parasoziale Ansprache auch Ritualcharakter annehmen und in dieser Form zur Routine werden. Typisch hierfür sind floskelhafte Begrüßungsformen (›Guten Tag‹, ›Gute Nacht‹ usw.). Bei detaillierterer Betrachtung lassen sich weitere Kategorien der Interaktion festhalten: Ratsuche, Unterrichtung über Neuigkeiten aus der eigenen Lebenswelt, spontane Gefühlsbekundungen, aber auch Anklagen. (In einem Fall wurde der Verstorbene sogar darüber in Kenntnis gesetzt, dass er nun Gegenstand eines wissenschaftlichen Interviews ist.) Die kommunikativen Momente gehen mithin über die verbale Ebene hinaus, etwa wenn dem Aschediamanten etwas gezeigt wird. Hier sind vielfältige Varianten vorstellbar, die letztlich allesamt den Weg eröffnen, den Edelstein zum Bestandteil der Alltagspraxis werden zu lassen – etwas, was erst eingeübt werden muss, da schließlich im Leben der allermeisten Interviewpartner die Artefaktwelt eine wenig beachtete Rolle gespielt hat. Nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, dass die Gesprächsdimension nicht immerzu parasozial sein muss: Es wird nicht nur mit ihnen, sondern auch über die Diamanten gesprochen – etwa in unseren Interviews –, und damit implizit ihre soziale Relevanz unterstrichen. 144 »Ich spreche sogar mit dem Ding. […] Ich sag’ ihm oft, das darf ich jetzt gar nicht sagen, aber ich sag’s Ihnen doch, ›Du Arschloch, musste das denn jetzt schon sein?‹« (13K) 145 »Also, wenn ich dann da bin oder ich habe ihn dann irgendwie in der Hand oder so was, dann klar, dann spreche ich auch mit ihm oder so. Das ist dann schon so, ja. Also, er ist schon irgendwie im weiteren Sinne physisch.« (29M)
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146 »Es ist oft so, als ob ich mit ihr spreche … oder mal um Rat frage: ›Ich brauche deine Hilfe, ich brauche deine Meinung‹ [schluchzt]. Und dann ist es einfach so … das gibt mir das Gefühl, dass sie mir zugehört hat und dass sie was gesteuert hat. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt als Monolog bezeichnen würde, aber in der Situation ist es sicherlich ein Monolog, aber irgendwie … ist das ein Dialog, ja.« (27K) 147 »Immer wenn irgendwas Neues ist, ob das jetzt in der Verwandtschaft ist, und neulich ist ein guter Freund von uns gestorben, einen Tag vor meinem, vor dem Jubiläum … also vor dem Todestag meines Mannes. Dann sage ich, ›Guck, jetzt ist der Lukas auch tot‹. Doch, doch, doch, das tu’ ich schon. Nicht täglich, aber immer wenn irgendwie besondere Ereignisse sind, die einfach zur Familie gehören oder sehr, sehr gute Freunde. Ein sehr guter Freund ist jetzt auch erst letzte Woche verstorben, das erzähle ich dann dem Ring auch.« (9K) 148 »Jetzt war ich kürzlich Skifahren, wo er sonst auch immer mit war, und dann erzähle ich ihm, wie es da war. Mein Mann ist mir noch sehr, sehr nah.« (19K) 149 »Ich erzähle meinem Mann, dann fass’ ich den Ring an und dann erzähl’ ich meinem Mann, was mir passiert ist. […] Wir sind früher, als mein Mann noch gut beieinander war, Motorrad gefahren. Dann sind wir 25 Jahre lang nicht mehr gefahren, weil’s ihm gesundheitlich nicht mehr so gut ging. Dann habe ich mir im letzten Jahr wieder ein Motorrad gekauft, eine alte BMW. Und wenn ich dann auf dem [lacht], und dann hab’ ich ihm, dann hab ich den Ring angefasst und hab’ ihm erzählt, ›Guck’ mal, was deine Roswitha jetzt wieder Verrücktes gemacht hat. Jetzt fang’ ich wieder an, Motorrad zu fahren, damit ich mich erinnere, welche Strecken wir gefahr’n sind.‹ […] alles, was ich erlebe, teile ich mit ihm.« (14M) 150 »Ja, ich erzähle ihr, dass ich jetzt wieder die Kerze anmache, dann frage ich sie, welchen Geruch sie gerne hätte, ob Erdbeere, Gartenkräuter oder ob sie lieber Himbeere mag. Klar, wir wissen alle, was sie gerne hätte: Erdbeere. Obwohl ich ihr jetzt irgendwann letztens sagen musste, dass Erdbeere aus ist und dass sie sich mit Orange zu Frieden geben muss. […] Und wenn ich ihr wieder eine neue Blume gekauft habe zum Hinstellen oder wenn ich, jetzt zu Weihnachten hatte ich dann Weihnachtsdekoration hingestellt, dann frag’ ich auch natürlich, ob es ihr gefällt, weil ich stell’ ja nichts hin, was ihr nicht gefällt. Oder wenn andere Leute, wie letztens von meiner Trauerbegleitung vom Hospiz, die hat mir einen Engel für die Ecke geschenkt. Dann habe ich ihr natürlich auch erzählt, von wem der Engel ist. Und dass die Leute sie ganz doll vermissen.« (7K)
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151 »Ja, das sind unterschiedliche Momente. Wir haben einen Hund, und wir sind viel unterwegs im Wald. Und oft ist es so, dass ich ihr beschreibe, was ich sehe. Oder manchmal denke ich … Entschuldigung, mir kommen gleich die Tränen … Manchmal [schluchzt] bin ich traurig und erzähl’ ihr das dann auch. Ja, es gibt wirklich oft Momente, wo manchmal auch die Wut über ihr Sterben und den Verursacher [des Verkehrsunfalls] dann so hochkommt … Das muss ich irgendwo losmachen und dann sprech’ ich mit ihr, eigentlich über den Diamanten mit ihr.« (2K) 152 »Der hat einen bestimmten Platz. Und ich hab’ dann auch immer das Schächtelchen aufgemacht und hab’ ihn angeguckt und dann hab’ ich tatsächlich auch mit ihm gesprochen, mit meinem Mann, und hab’ gesagt, ›Schön bist du geworden‹.« (15M) 153 »Es ist ja nicht jeder Tag wie der andere, aber es gibt Tage – meistens ist es der Sonntag, weil das ist einfach so, wenn ich dann in mein Wohnzimmer komme, dann ist da Blickkontakt, dann sage ich, ›Guten Morgen!‹ […] Oder zum Beispiel nach Silvester war ich alleine, das wollte ich auch so, da habe ich ihm natürlich zugeprostet, da habe ich uns ein schönes neues Jahr gewünscht.« (20K) 154 »Morgens die Begrüßung und dann lauf’ ich am Tag öfters hin und her. Dann guckt man zwar rüber, bleibt aber dann nicht so stehen. Aber wenn ich fortgeh’ und dann wieder heimkomm’, dann stell’ ich mich zu ihm in die Nähe und sag’, ›Jetzt bin ich wieder da‹.« (28M) 155 »Ich habe ihm vorhin auch gesagt, es ruft nachher jemand an [lacht], und wir sprechen über den Diamanten.« (35K) 156 »Ich erwische mich dabei auch, dass ich das tue [mit dem Diamanten zu reden], aber wenn dann mein rationelles Gehirn wieder einsetzt, dann denk’ ich, das ist doof. […] Ich schimpf’ auch manchmal mit dem Diamanten, das passiert halt [lacht], aber rein rationell weiß ich, dass es Doofsinn ist. Aber es ist einfach ’ne Form der Verbundenheit.« (30M) 157 »Ja, dann kommen einem die Tränen, da spricht man natürlich mit diesem Stein und das ist natürlich irgendwie ein bisschen verschrullt, ne? Vielleicht ist das dann ’ne Sache, die man erst hinter sich bringen muss. Dieses, naja, dass man das so personalisiert irgendwie.« (29M) 158 »… und zu dieser Urne passend gab es so eine Erinnerungskerze, die innen hohl war, wo man auch ein bisschen Asche reinmachen konnte. Und die zünde ich
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ja jeden Tag an, weil da ist so ein kleines bisschen Asche vom Patrick drin. Und ich habe das Bild, was ich auch aufgestellt habe, und eigentlich egal, wo ich bin, ich rede gerade ganz oft mit ihm, ja. Für mich selber, also wie gesagt, ich weiß, dass er mich nicht hören kann, aber …« (17K) 159 »Ja, nee, mit dem Diamanten direkt nicht, also das ist er nicht, also das ist er, aber da ist er nicht drin, wissen Sie? So richtig, dass ich ihn aktiv dahingehend anspreche nicht. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass mein Mann noch irgendwo hier ist und hier irgendwo noch rumspukt …« (18K) 160 »Ich stelle mich jetzt nicht hin und rede mit dem Diamanten [lacht] oder glaube jetzt daran, dass da jetzt seine Seele darin wohnt, denn das tut sie nicht.« (42B) 161 »Also, auf die Idee, mit dem Ring zu reden, wär’ ich jetzt noch nicht gekommen. Ich halte mit dem auch keine stille Zwiesprache, ja? Ich zieh’ den auch ohne schlechtes Gewissen aus, wenn ich irgendwas mache oder so. […] Also, ich würde jetzt nicht so weit geh’n, dass ich jetzt, ich sag’ jetzt mal, so ’ne spirituelle Verbindung darüber herstellen würde. Das ist eher so ’ne emotionale Geschichte.« (23M) 162 Sprechen Sie mit dem Diamanten? – »Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein [lacht], nein, nein.« (4M)
(8) »… seither lass’ ich das Kästchen zu.« – Aufbewahrung und alltäglicher Umgang Das Erkenntnisinteresse unserer Studie zielt u. a. auch auf die Platzierung bzw. den konkreten Umgang mit dem Aschediamanten nach seiner Aushändigung ab. Wie viele andere Facetten fällt auch seine Verwendungskarriere sehr unterschiedlich aus. Häufig genannt wurde die Einarbeitung in einen Ring bzw. eine Kette – eine Arbeit, die ein Juwelier vornehmen muss, sodass sich die Frage stellt, ob dieser über den Entstehungshintergrund des Diamanten informiert wird. Manchmal bekommt der Stein einen festen Platz innerhalb der Wohnung – oder einen temporären Aufbewahrungsort, etwa dann, wenn das Schmuckstück zeitweilig nicht getragen wird. Nicht immer sind sich unsere Gesprächspartner über den weiteren Umgang mit dem Diamanten im Klaren. Manche ›Lagerplätze‹ sind daher nur Übergangslösungen. Ein weiteres Motiv, das in diesem thematischen Zusammenhang bedeutsam ist, betrifft die Aufbewahrung des Diamanten an einem sicheren Ort aus Angst,
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er könne unterwegs verloren gehen. In die gleiche und doch in eine ganz andere Richtung geht die Haltung, den Schmuckstein schon deshalb ständig am Körper zu tragen, weil man befürchtet, dass er zu Hause das Diebesgut eines Einbrechers werden könnte. 163 »Ich glaub’ schon, dass zum Verarbeiten und zum Trauern das Auge irgendwie was seh’n möchte. […] Die Vorstellung, so ’nen wunderschönen Diamanten zu haben, das ist schon … befriedigend auf jeden Fall. […] Asche wär’ halt grau und Staub und … nix, was dann wieder die Seele berührt. Und son Diamant, der ist halt einfach so schön […]. Und gerade wenn man dann auch die Möglichkeit hat, ihn als Schmuckstück überall hin mitzunehmen, dass man immer das Gefühl hat, der ist immer dabei. So ’ne Urne würd’ ich mir nicht unter’n Arm klemmen und da irgendwie mit Freunden essen geh’n oder so, ja?« (37M) 164 »In der Urne ist sicher mehr Asche drin, als man für den [Diamanten im] Ring gebraucht hat. Das ist mir dann deshalb nicht lieber, weil da größere Reste da sind wie jetzt der Ring. Also, das würd’ ich jetzt nicht, das ist einfach … das ist gleichwertig. Aber ich fand das einfach noch mal ’ne schöne Idee. […] Ich muss sagen, wir ha’m beide unsere Eheringe eigentlich nicht getragen […] und also jetzt werden die auch mal benutzt, am Ende der Ehe kommen die jetzt mal zum Tragen quasi.« (31M) 165 »Meine Mutter liebte Schmuck und ich lass’ mir jetzt eine Kette von ihr umarbeiten mit ihrem Diamanten. Das heißt, ich hab’ ja letztendlich die Erinnerung permanent bei mir. Und ich hab’ den Diamanten so ausgewählt, dass es sowohl vom Schriftbild als auch von der Größe eben für so ’ne Einarbeitung in ’ne Kette sinnvoll ist. […] Also, ich werd’ ihn schon tragen auch, wenn die Kette fertig ist, und das gibt mir ein gutes Gefühl.« (30M) 166 »Wissen Sie, ich trage diese Kette ständig und ja, wie soll ich das sagen, ich fühle mich einfach gut dabei. Und wenn ich möchte, dass er, ja wenn ich ihm die Sonne zeigen will, dann trage ich ihn halt außen, weiß ja keiner.« (32M) 167 »Ich habe die [Kette] immer an. Die tu’ ich lediglich raus, runter, wenn ich mich geduscht habe und ich creme mich ein oder mache mal so eine Maske, so eine Dekolleté-Maske oder so was, dann tu’ ich die runter. Aber ansonsten ist der [Diamant] Tag und Nacht um meinen Hals.« (19K) 168 »… ich würd’ ihn jetzt nicht hier irgendwo im Haus liegen haben wollen, wenn ich jetzt mal im Urlaub bin. Also, ich hab’ ihn wirklich Tag und Nacht bei mir.« (6K)
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169 »Dann hatten wir erst darüber gesprochen, weil ich, naja son Ring daraus machen und ihn immer bei mir tragen wollte. […] Eine Freundin, die ist so ein bisschen esoterisch veranlagt, die sagte dann, ›Also, das immer so an deinem Körper tragen so, es war ein sehr kranker Mann, das ist energetisch ’n bisschen viel, ne?‹ Aber ehrlich gesagt, hatte ich da auch das Empfinden, dass ich das eigentlich nicht möchte. Und dann hab’ ich mich entschieden, ihn in einen Bilderrahmen einarbeiten zu lassen, wo ein Foto von uns drin ist, was er immer ganz toll fand. […] Klar, ich seh’ natürlich eindeutig dabei den Vorteil, man hat den anderen da, wenn man ihn da haben möchte. […] Am Anfang hatte ich mit dem Sohn noch gesprochen und dann war’n wir übereingekommen, ihn erst mal in den Banksafe zu bringen, das war dann auch sehr, sehr verschrullt. […] Da ist das Bild, das habe ich, und ich weiß jetzt nicht, wie ich es machen soll, ob ich es aufstellen soll, ob das dann wie so eine Art Altar ist. Ich glaube, da habe ich einfach noch nicht so im Detail drüber nachgedacht, wie ich das will. […] Ich glaube, ich möchte es im Moment noch nicht zu Hause haben. […] Und ja, es gibt halt einen neuen Partner, der hat überhaupt gar kein Problem mit irgendwas, für den wäre das völlig okay. Aber ich weiß halt nicht, ob ich es will. Und naja, der Sohn hat überhaupt kein Interesse, der will das auf gar keinen Fall. Bisschen schwierig … Ich fühle mich im Moment wohl, weil ich weiß, dass er gut aufgehoben ist.« (29M) 170 »Ich habe, das hat mein Sohn mir zu Weihnachten geschenkt, ganz goldig, das ist so ein ganz kleiner geflochtener Seidenkorb, ganz interessant, wie so ein Puppenkörbchen fast schon. Das hat er mir zu Weihnachten geschenkt, weil er gesagt hat, ›Wenn du die doch mal rausnimmst, musst du sie ja irgendwo hinlegen. Mama, guck mal, das fand ich schön, das habe ich dir gekauft für die Ohrringe.‹ Und das steht hier … Ich habe so ein Board im Flur, wo auch ganz viele Steine und Muscheln und Erinnerungsgegenstände sind. Da steht das Körbchen, und wenn ich sie dann mal rausnehme, kam bis jetzt noch nicht vor, dann kommen die dann wieder da rein.« (18K) 171 »Ich hab’ bei mir in der Wohnung ein großes Bild von meinem Mann stehen, daneben immer […] Orchideen, die er sehr geliebt hat […]. Das ist also eine Ecke, die praktisch für ihn reserviert ist. Und dort hab’ ich dann auch in der Zeit, wo der Diamant erst mal nur Diamant war, hab’ ich da also auch diese Schatulle hingestellt. Und dort leg’ ich jetzt auch […] die Kette mit Anhänger ab, wenn ich zum Sport geh’ oder so, wo also die Kette nun nicht unbedingt mit hingehört.« (34M) 172 »Ich habe ihn dann erst, da war eine Freundin da und dann haben wir ihn erst in einen kleinen Schrank gestellt irgendwie, damit er dann nicht immer so direkt im Zimmer ist und ich meinte auch, dass ich ihn vielleicht nicht unbedingt ans Bett stellen muss und so.« (29M)
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173 Der Diamant wird in einem Schrein aufbewahrt: »Er ist einfach zu Hause bei der Familie und er ist eben nicht alleine. Also, wir ha’m das Gefühl, es tut uns besser, dass er hier ist. Und ich denk’ einmal, wenn es so, wie es heißt, eine Seele gibt oder ein Leben nach dem Tod, dann merkt er das auch, dass wir ihn immer noch wertschätzen, dass er immer noch hier ist, an unserem Leben teilnehmen kann, dass er alles mitkriegt, was wir hier machen … Zum Beispiel ha’m wir renoviert …« (26M) 174 »Da wird […] entweder eine richtige Kerze hingestellt […] oder wenn’s dann ausgegangen ist, stellen wir auch manchmal einfach auch mal sonnabends, das macht meistens meine Frau, ich bin da nicht so in der Richtung gehend, aber meine Frau stellt dann auch mal eine elektrische … Flackerkerze hin. Dann seh’ ich das dann immer von Weitem, da flackert wieder was, ach meine Frau hatte wieder mal Sehnsucht nach ihrer Mutter und hat sie praktisch dort besucht an dem Ort jetzt, in der Vitrine und hat ’ne Kerze angemacht.« (33M) 175 »Wir haben aus Afrika einen Elefanten von einem Künstler mitgebracht, der ist nicht sehr groß. Und ist auch etwas entfremdet, also das ist keine natürliche Nachbildung von einem Elefanten. Und da hat meine Frau irgendwann auf diesen Rüssel, der so zur Seite gedreht ist, hat die zwei Bilder von sich drauf gepappt, eines vor der OP und eines nach der OP, die sind ganz klein. […] Und das hat sie mit Tesafilm so draufgepickt und das habe ich einfach so gelassen, also der Elefant steht da, wo er immer steht und zwischen die Ohren habe ich noch, habe ich dann dieses Behältnis mit dem Diamanten drauf gestellt.« (12M) 176 »Das ist alles bei mir hier zu Hause, hier gibt’s eine Ecke, ich sage dazu Kuschelecke, da stehen die beiden, mein Mann und meine Mutti. Und es ist für uns, wenn wir zusammenkommen als Familie, unwahrscheinlich tröstlich, diese Diamanten zu sehen und auch bei Gelegenheit zu Anlässen das anzufassen und auf den Tisch zu stellen und dass sie bei Geburtstagen, Weihnachten dann halt eben mit dabei sind in dieser Runde. Und was ich als sehr tröstlich empfunden habe, war der Umstand, dass unsere Freunde und Bekannte, als mein Mann dann zurück war als Edelstein, da habe ich sie dann eingeladen und dann haben wir hier gemeinsam, ich habe das dann ein bisschen hübsch hergerichtet und dann haben wir halt eben mit einem Gläschen Sekt auf ihn angestoßen.« (20K) 177 »Ja, und dann auch Bekannte, wenn man ’ne Feier hat zu Hause […], die sind da schon interessiert: ›Och, kann ich das mal seh’n? Kann ich das mal angucken? Macht euch das was aus?‹ – Nein, uns macht das nichts aus. Dann holen wir den
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halt vor und dann ist der Diamant mit auf’m Kaffeetisch [lacht]. […] Der ist natürlich in der Schachtel drin, ne? Der wird nicht rausgekullert, ne? Also, das wäre dann schon wieder fast pietätlos.« (33M) 178 »Ich habe dann den Stein gesehen und zuerst dachte ich mir, ich möchte irgendetwas Nahes, also ein Schmuckstück machen nahe dem Herzen. Und dann plötzlich in einer Nacht habe ich gedacht, nein, nein, wenn ich die Kette verliere, dann habe ich ein größeres Problem. Dann komme ich ins Schwitzen. Also mache ich besser einen Ring. Und dann hab’ ich mit dem Mann [dem Juwelier] gesprochen, und der hat gesagt, ›Dann mach’ dir doch einen neuen Ehering, da kommt der dann hinein‹.« (2K) 179 »Ich nehm’s Kästchen schon in die Hand, mach’ auch den Deckel auf. Aber mir ist einmal, weil der ist ja nach unten spitz, […] und da ist er mal weggesprungen. Und dann hab’ ich gedacht, ›Um Gottes Willen, ja find’ ich den noch mal?‹ Und wo ich ihn dann wiederhatte, […] seither lass’ ich das Kästchen zu. Und das ist jetzt aber genauso, wie wenn ich ihn in der Hand hätt’, das Gefühl.« (28M) 180 »Und ich trage den so, ich hatte ja damals so ein sehr hübsches Kästchen oben auch mit so einem Glaseinsatz, in das man reinschauen konnte. Und da lege ich das Herz auch rein, wenn ich es nicht trage. Wenn ich jetzt zum Beispiel in den Urlaub fahren würde, da würde ich das nicht mitnehmen, da hätte ich viel zu große Angst, dass das verloren geht … Ich hab’ auch einen Aufbewahrungsort, wo man den dann nicht finden kann, falls hier mal jemand einbricht oder so was. Es gibt nichts Wertvolleres, was ich besitze.« (17K) 181 Der Diamant »liegt halt jetzt leider versteckt im Schrank, weil ich Angst hab’, dass […] in das Haus hier vielleicht mal irgendwann einer einbricht und den Stein klaut, ja? […] Ich hab’ totale Angst, dass einer durchs Fenster guckt und den Stein sieht und den mitnimmt. Das heißt, ich hab’ den leider, seit ich den hab’, vergraben in meinem Schrank, in der Hoffnung, dass ihn niemand findet […]. Man hat ja dann solche Ängste bei solchen wertvollen Gegenständen. Und hab’ jetzt erst […] mir fest vorgenommen, mir eben jetzt ein Schmuckstück planen zu lassen. Das heißt, ich seh’ den Stein leider gar nicht so oft und ich denk’ ehrlich gesagt auch nicht so viel jetzt darüber nach … weil ich ihn einfach nicht sehe. Aber ich glaube, wenn ich mir daraus jetzt endlich ein Schmuckstück hab’ machen lassen, dann wird das noch mal ganz anders und dann wird das noch mal viel präsenter und […] viel erinnerungsreicher und greifbarer.« (37M)
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(9) »Katastrophe, Weltuntergang!« – Verlust des Diamanten Wie bereits gegen Ende des vorangegangenen Abschnitts erkennbar wurde, berechnen einige unserer Gesprächspartner bei der Entscheidung, wie mit dem Schmuckstück zu verfahren ist, die Möglichkeit seines Verlusts ausdrücklich mit ein. Nach entsprechenden Szenarien und hypothetischen Umgangsweisen haben wir in den Interviews ausdrücklich gefragt. Gewiss bedeutet der Verlust eines Aschediamanten (so selten er faktisch vorkommt) mehr als den bloßen Verlust eines Juwels, und auch die Bewältigung einer solchen Erfahrung dürfte dramatisch anders ausfallen. Schon die imaginäre Konfrontation mit einer solchen unliebsamen Situation rief in einigen der Befragten heftiges Unbehagen hervor. ›An so etwas‹ wolle man am liebsten erst gar nicht denken. Es überrascht nicht, dass ›Katastrophe‹ und andere sinnverwandte Vokabeln in diesem Zusammenhang am häufigsten verwendet wurden. Der Personenkreis derer, die den Diamanten körpernah im Sinne einer Verschmelzungssemantik bei sich tragen, sprechen mithin sogar von körperlichen Einschnitten, ja beinahe von einer Amputation, ginge der Stein je verloren. Dies käme offenkundig einer erneuten Trennung gleich, mit der besonders schwerwiegenden Note, dass es in vielen Fällen eben keinen Trauerort gibt, der ersatzweise aufgesucht werden kann. Im Rahmen der Feldforschung sind uns zwar nicht Personen, aber doch Anekdoten vom faktischen Verlust des Aschediamanten begegnet, sei es durch persönliches Ungeschick oder durch kriminelle Energie. Wer den Stein stiehlt, wird vermutlich nicht ahnen, dass für die rechtmäßigen Besitzer der materielle Wert unter dem symbolischen liegt. Deutlich wird in diesem Zusammenhang, welche starke Abhängigkeit Mensch und Artefakt verbindet, was mithin für Mensch und Mensch steht. Man würde gewissermaßen die Fassung verlieren, wenn man die Fassung verliert – den im Ring eingefassten Edelstein. Der Verlust trifft folglich schwer; und als Kehrseite der (Wieder-)Vereinigung steht ein Verlassensein, das materiell nicht mehr kompensiert werden kann. Nur die wenigsten unserer Interviewpartner stehen der möglichen Gefahr eines Diamantverlustes mit Gelassenheit gegenüber. Hier und da wird betont, dass es in einem solchen Fall ›halt eben so sein soll‹. Für entsprechende Einstellungen dürfte abermals entscheidend sein, welchen sozialen Stellenwert man dem Juwel generell beimisst. Einen Hoffnungsschimmer stellt lediglich der Umstand dar, dass es Anbieter gibt, die nach Beauftragung der kristallinen Preziose für eine gewisse Zeit die Restasche – sofern es sie gibt – aufbewahren, um daraus gegebenenfalls ein ›Ersatzstück‹ zu generieren.
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182 »Ja. Weltuntergang. […] Meine Eltern sind eh nicht mehr da, aber das wär’ für mich ganz schlimm … Katastrophe, Weltuntergang!« (6K) 183 »Das wäre eine Katastrophe, das mag ich mir nicht ausdenken, das wär’ eine Katastrophe. Ich würde das Wertvollste, was ich habe, verlieren. Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich weiß nicht, es wäre furchtbar, es wäre ganz furchtbar. Ich würde meinen Mann verlieren! Verstehen Sie?« (13K) 184 »Dieser Stein ist halt eben für mich auch ein Ausdruck der Wertschätzung meines Mannes. […] Wenn ich ’nen Handschuh verlier’, gut – dann verlier’ ich ’nen Handschuh, dann kann ich in den Laden gehen und kann mir ’nen neuen kaufen. Aber ich kann mir keinen neuen Max kaufen.« (4M) 185 »Das will ich mir gar nicht vorstellen. Ja, so was will ich mir nicht vorstellen. Das wäre für mich das Schlimmste, was passieren kann. Also den einen Teil von meinem Kind noch mal zu verlieren.« (7K) 186 »Bei einem Schmuckstück hätt’ ich immer Angst, ich verlier’s. Und dann wär’s weg, und dann hätt’ ich gar keine Ruh’ mehr: Was ist daraus geworden? Weil ich seh’ halt in dem Stein immer noch den Menschen dahinter. […] Und wenn da der Stein weg käm’, das wär’ furchtbar.« (28M) 187 »Darüber möcht’ ich nicht nachdenken, nee, aber das ist halt auch der Grund, warum ich manchmal das Ding auch nicht umbinde, weil ich Angst hab’, dass ich’s verliere. […] Dieser Gedanke ist manchmal da, da hat man schon Angst. Das dürfte nicht passieren.« (5K) 188 »Das wäre schrecklich. Daran möchte ich gar nicht denken. Ich denke mal, das ist das Schlimmste, was passieren kann. Deshalb habe ich auch ganz lange drüber nachgedacht, ob ich mir ein Schmuckstück machen lasse … Die Gefahr, dass man ihn vielleicht irgendwo verliert, ich weiß es nicht … So steht er erst mal zu Hause und die Gefahr des Verlierens ist nicht gegeben.« (21K) 189 »Den verlier’ ich nicht [lacht]. Nee, ich glaube nicht, dass da die Gefahr be steht … Aber das wäre schon ganz, ganz schlimm, wenn ich den verlieren würde … Deswegen würde ich mich nicht gleich aufhängen, aber das wäre schmerzlich.« (9K) 190 Ich würd’ nicht in Panik ausbrechen, aber es wär’ jetzt ein größerer Verlust, als wenn ich einen meiner anderen Ringe verlieren würde.« (35B)
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191 »Das wäre tragisch. Aber das wäre auch nicht zu ändern. Das wäre unwiederbringlich und dann weg. Naja, aber wir haben’s ja im Kopf und wir haben’s im Herzen. Das ist nur ein Ausdruck einer körperlichen Manifestation.« (10K) 192 »Ich bin so ein bisschen eine Eso-Tante, wissen Sie [lacht]. Ich glaube, dann würde ich für mich denken, dass das vielleicht der richtige Moment dafür gewesen ist, dass das dann weg ist und dass vielleicht ein Kapitel dann auch wieder abschließt. Also, ich glaube, ich wäre schon im ersten Moment geschockt, aber ich glaube, schlussendlich wäre es dann so, dass ich dann denken würde, das sollte jetzt so sein. Dann ist das einfach so, dass er sich verabschiedet hat.« (18K)
(10) »Ich würde es immer wieder so machen.« – Nachträgliche Bewertung Bei den meisten Befragten liegt der Verlust erst einige Monate zurück. Wir haben sie gebeten, die Zeit, die seither vergangen ist, im Hinblick auf ihren Trauerprozess im Allgemeinen und den Aschediamanten im Besonderen zu rekapitulieren. Haben sich die Erwartungen, die mit dem Artefakt verknüpft wurden, im Nachhinein erfüllt – oder ergaben sich unvorhergesehene Situationen? Erst im Nachgang lässt sich bestimmen, was anders hätte gemacht werden sollen. Hat vielleicht sogar jemand die Entscheidung für den Diamanten bereut? Und wird (in jenen Fällen, in denen dies zutrifft) beispielsweise doch ein ›reguläres‹ Grab vermisst? Angesichts des sozialen Umfeldes der Interviewten lässt sich nachfragen: Ist der Diamant zu einer postmortalen Option geworden, die auch anderen Personen empfohlen werden kann, oder gibt es Vorbehalte? Die Antworten auf diese Fragen fallen recht eindeutig aus. Dies lässt einerseits den Schluss zu, dass das Produkt hält, was es verspricht. Andererseits darf vermutet werden, dass folglich die Zufriedenheit damit, gegenüber traditionellen Bestattungs- und auch Gedenkmodalitäten eine Alternative gefunden zu haben, ebenfalls sehr groß ist. Der Aschediamant ist bei aller subjektiv entfalteten Wirkung schließlich immerzu ein Fluchtweg für all diejenigen, die mit den diversen Fremdbestimmungselementen der Länderbestattungsgesetze in Deutschland (und anderswo) unzufrieden sind. 193 »Das ist so was Schönes und auch so was Intimes. Für mich sind das wichtige Emotionen, weil das Auseinandersetzen mit dem Tod meiner Mutter … Also, ich find’s eine wunderschöne Sache, dass das möglich ist, aus der Asche so was entstehen zu lassen.« (27K)
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194 Auf die Frage, ob man die Entscheidung für den Diamanten schon einmal bereut hat: »Nein, niemals. Niemals … Weil so habe ich für mich noch was von meinen Eltern. Wenn sie jetzt einfach ins Meer gestreut worden wären, selbstverständlich, wenn’s gegangen wäre, hätte ich diesen Wunsch respektiert, keine Frage. Auch so ’ne Erdbestattung oder Feuerbestattung und unter’n Rasen oder so, das ist dann so komplett weg. Und so habe ich meine Eltern … Ich habe das Gefühl, ich habe meine Eltern für mich noch da.« (6K) 195 »Nee, im Gegenteil – wir sind auch immer wieder, wenn wir darüber sprechen, so froh, dass wir das gemacht haben. Also, es war genau die richtige Entscheidung. Haben wir auch nachher immer wieder für uns noch mal festgestellt, es war genau richtig.« (42B) 196 »Würde ich es auch immer wieder so machen? Ich würde alles, was ich getan habe, wie ich es auch getan habe, immer wieder so machen. Also, das ist etwas, wo ich natürlich schon auch mal haderte, weil ich gesagt habe, das kostet unglaublich viel Geld, ne? Ich war in der Hinsicht schon erst mal wirklich auch überfordert und musste mir dann erst mal Geld leihen […]. Aber ich würde es immer wieder so machen, und man hat eben nur in diesem Moment die Chance.« (5K) 197 »Das würde ich wieder machen und wenn ich davon früher gewusst hätte, hätte man das ja mit meinem Mann auch noch besprechen können.« (9K) 198 »Ich bin mit dem, wie ich es entschieden habe, zufrieden. Das war die richtige Entscheidung, aber ich hätte es niemals entschieden, wenn ich nicht vorher noch zu Lebzeiten meines Mannes mit ihm darüber gesprochen hätte. Da wäre mir der Eingriff in den Körper oder in das, was übrigbleibt, zu groß gewesen.« (14M) 199 »Als das spruchreif wurde, haben wir manchmal überlegt, ›Ist es das Richtige, was machen wir hier, wie wird das, wie sieht das aus?‹ Wir kannten niemanden, der das schon mal gemacht hatte … Da hab’ ich manchmal gedacht, ›Ach, ist das der richtige Weg? Ich weiß ja nicht, wie das dann aussieht.‹ […] Aber als dann der erste Diamant da war, da war für mich alles klar – auch, dass das genau die richtige Entscheidung war.« (20K) 200 »Allerheiligen war so ein Punkt, wo ich die Kinder bewusst angesprochen hab’: ›Hey, wie sieht es bei euch aus, wie geht es euch, vermisst ihr ein Grab?‹ Oder: ›Wärt ihr gerne an ein Grab jetzt gegangen, jetzt gerade an Allerheiligen?‹ Man hat ja doch so seine Rituale. Und dann kam von allen drei Kindern, dass es kein Thema
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war. Auch meine Kinder bereuen die Entscheidung nicht, und das macht mich sehr glücklich.« (16K) 201 »… und die Tochter hat auch schon zugesagt, dass sie das ganz toll findet. Wenn ihr was passieren würde, bevor wir … ableben […] und wir müssten sie bestatten, dann würden wir das auch so mit ihr machen.« (33M) 202 »Ich hatte ein nettes Gefühl, als er kam und er mir total gefallen hat und ich allen den gezeigt hab’, wie toll der aussieht. Aber ansonsten würd’ ich genauso trauern, ob ich den hätte oder nicht. Und ich würde genauso oft an sie denken, und ich würde mit genauso viel Respekt an sie denken, und ich würde sie genauso liebhaben. Ich glaube, dass das überhaupt keinen Einfluss hat.« (30M)
(11) »… als ob ich sie mit Exkrementen beschmissen hätte.« – Kommunikation mit dem sozialen Umfeld Ein Todesfall lässt sich schwerlich überspielen. Die allgemeine Anteilnahme des sozialen Umfeldes bringt häufig den Austausch über den Bestattungsort, bei näheren Bekannten vielleicht sogar über die konkreten Entscheidungen für die typischen Abschiedsrituale mit sich. Die Existenz des Aschediamanten wirbelt die tradierten Muster und Abläufe nun aber durcheinander. Hinzu kommt die mithin schwierige rechtliche Situation. Wird vor diesem Hintergrund überhaupt über den Schmuckstein gesprochen und welche Reaktionen lösen entsprechende Kommunikationen aus? Problematisiert werden könnte schlussendlich auch das fehlende Grab; eine Ruhestätte steht schließlich jedermann offen, was für den unter Verschluss gehaltenen Diamanten nicht gilt. Zu klären war daher, ob es im Trauerumfeld Menschen gibt, die explizit ›Kontakt‹, d. h. Nähe zu und Begegnung mit dem Juwel wünschen. Es stellte sich heraus, dass das soziale Umfeld in den meisten Fällen mit dem Konzept noch nicht vertraut war. Die Resonanz fiel gleichwohl überwiegend positiv aus, seltener wurde hingegen leichte Skepsis bis hin zur offenen Ablehnung geäußert. Solche Stimmen haben gegenüber den Hinterbliebenen aber nur geringe Irritationskraft, zu stark wiegt die Überzeugung, dass der Umgang mit Trauer und Bestattung eine Frage der Selbstbestimmung, also der persönlichen und privaten Disposition ist. In wieder anderen Fällen war kein soziales Umfeld greifbar, das hätte mitbedacht oder berücksichtigt werden können – hier waren die Diamantbesitzer die einzigen nahestehenden Angehörigen.
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Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass die Hinterbliebenen, die sich für das Aschejuwel entschieden haben, ohne jede abwertende Konnotation ›schamlos‹ sind. Reue ist ihnen fremd – und so begegnen sie ihrem Umfeld. Viele werben für die Diamantpressung in Familie und Freundeskreis, und nicht wenige haben uns ausdrücklich aufgefordert, sie mit voller Namensnennung zu zitieren, um der Idee mehr Rückhalt zu verleihen. Ein verschämter Umgang, gar ein Totschweigen der eigenen Entscheidung war aus den geführten Gesprächen nicht herauszuhören. 203 »Da ist ein naher Nachbar, der auch seine Tochter vor drei Wochen verloren hat. Und da hab’ ich den Mut gefasst und gesagt, ich geh’ jetzt hin und erzähl’ ihm von dem Diamanten. Oder vor allem seiner Frau sag’ ich’s, weil ich merk’ schon, das ist wahrscheinlich mehr eine Frauenangelegenheit, hab’ ich das Gefühl. Vielleicht täusch’ ich mich aber. Ich ging dann hin und hab’ gesagt, sie sollen sich doch auch überlegen, was sie machen wollen. Also welchen Weg sie wählen wollen, weil das mir selbst sehr guttut, dass ich sie bei mir habe.« (2K) 204 »Ganz viele, mit denen ich mich im Freundeskreis oder Bekanntenkreis unterhalte und zu denen ich sage, ›Hier, das sind meine Eltern‹, reagieren mit ›Äh, wie, deine Eltern?‹ Wenn ich dann sage, ›Die sind zum Diamanten gepresst worden‹, kennen das viele nicht und sagen, ›Boah, Mensch!‹ und dann auch, ›Das ist ja ’ne tolle Sache, da kann man sich ja dann mal Gedanken drüber machen‹.« (6K) 205 »Das habe ich immer wieder erfahren und erlebt, wenn ich irgendjemandem die Geschichte erzähle … Da werden viele Menschen nachdenklich, manche fangen auch an zu weinen. Viele sagen mir, ›Das ist wahre Liebe‹. Meistens sind es Frauen, muss ich dazu sagen.« (47M) 206 »Meine Kolleginnen, denen habe ich das auch erzählt gleich am Anfang, gleich mit dem Stein, auch dass ich den umhabe. Habe zwar jetzt immer ein Tuch drüber, aber im Sommer werde ich das natürlich nicht haben. Und alle waren auch ganz gespannt, als ich erzählt habe, dass ich das mache, und fragten zwischendurch immer, ›Ist der Stein schon da?‹ Und als ich den dann hatte, wollte ihn jeder sich anschauen, jeder hat gesagt, ›Der sieht wunderschön aus!‹ Die waren also eigentlich alle echt begeistert davon.« (17K) 207 »Das kam schon mal vor, dass man mich angesprochen hat und dann sage ich, ›Wissen Sie, was das für ein Stein ist?‹ – ›Ach, das könnte dies oder das sein.‹ Dann sage ich, ›Nein, das ist es nicht, das ist … mein Mann‹. Dann stutzen sie und
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dann sage ich, ›Ich habe es nicht fertiggebracht, ihn beizusetzen, ich wollte ihn bei mir haben‹. Manchmal kommt dann, ›Wenn ich das gewusst hätte … das ist ja eine gute Idee.‹ Das ist mir gerade jetzt vor Weihnachten passiert, da waren wir auch eingeladen und da war eine ältere Dame, die hatte das gehört, und ihr Mann ist ein halbes Jahr vorher verstorben. Sie sagte zu mir, ›Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich das auch machen lassen.‹« (8M) 208 »Und ich war auch mit anderen Müttern in Verbindung, die mich kontaktiert haben, die auch Kinder verloren haben. Da war eine Mutter darunter, die auch gesagt hat, ›Mensch, wenn ich das damals gewusst hätte bei meinem Kind, das hätte ich genauso gemacht‹.« (17K) 209 »Es ist ja auch nicht so publik … Ich hab’ ’ne Freundin, die ist im September Witwe geworden und die hat gesagt, ›Du, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich das auch gemacht‹. Also, es ist nicht sehr bekannt, aber jeder, dem ich das erzähl’, sagt, ›Das ist ’ne tolle Sache‹.« (4M) 210 »Also, das haben wir relativ offensiv kommuniziert. […] Tatsächlich ist mein persönlicher Hintergrund, dass so viele Leute wie möglich erfahren sollten, dass es das gibt. Weil wir so wahnsinnig dankbar dafür sind, dass wir diese Möglichkeit hatten. Und am Ende kann sich ja jeder entscheiden, wie er es machen will. Aber dazu muss man ja erst mal wissen, was es für Möglichkeiten gibt.« (42B) 211 »Alle mit offenem Mund und Erstaunen: ›Was, das gibt’s?‹ […] Jetzt erzählen wir das natürlich rum und die Leute erzählen das natürlich weiter. Das wird wahrscheinlich einen ganz schönen Umfang irgendwann einnehmen, wenn das dann wirklich viele Menschen wissen. Nicht erst so, dass der Bestatter was sagen muss, sondern die werden dann selbst hingeh’n. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es im eigenen Bereich, im Umfeld, Familie und Bekannte und Verwandte jetzt viele gibt, die das im Hinterkopf ha’m.« (33M) 212 »… weil ich das auch im Bekanntenkreis schon kundgetan habe, dass es eigentlich nur eine Abschiedsfeier gibt, weil wir ihn ja nicht begraben lassen: ›Wundert euch nicht, ihr werdet also keinen Sarg sehen.‹ Da hatte ich sehr, sehr viele erstaunte Gesichter. ›Wie geht das? Wie funktioniert das?‹ […] Da war schon das Interesse sehr groß. Alle waren zwar anfangs erstaunt, als ich das eben mitteilte, aber letztendlich fand das dann eigentlich jeder gut.« (32M)
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213 »Also, unsere Verwandtschaft ist auch ziemlich modern und steht mit beiden Beinen im Leben. Und es ist halt so, dass heutzutage die Kinder verstreut sind […]. Also, es hat niemand zu mir gesagt, ›Jetzt hab’ ich keinen Ort zum Trauern‹. Eigentlich nur Zustimmung: ›Jawohl! So ist man mobil letztendlich ja auch im Trauern.‹ Wir ha’m ja nicht bloß einen Diamanten […], wir ha’m also drei gemacht, das heißt meine beiden Töchter ha’m jeweils einen bekommen und ich. Und damit ist, sag’ ich mal, der engste Kreis, ja ich sag’ jetzt mal, versorgt [lacht] mit dieser Trauermöglichkeit. Und die anderen weiteren Verwandten würden eh nicht groß auf den Friedhof geh’n. […] Ich hab’ also von niemandem irgendwas in der Richtung gehört, ›Jetzt hab’ ich keinen Ort zum Trauern‹.« (34M) 214 »Und wenn Leute mich gefragt haben, wo denn jetzt mein Mann wäre, sage ich, ›Er ist in der Schweiz‹. Wissen Sie, so als wenn er einfach kurz verreist wäre. Ich sage dann, ›Der kommt dann auch bald wieder‹.« (32M) 215 »Wissen Sie, dass ich so einen Diamanten um den Hals trage, wissen nur die allerengsten Verwandten von mir, also meine Schwester, die Kinder und meine Schwägerin und meine Freundin. Und sonst habe ich niemandem das sagen wollen, dass ich das habe […].« (19K) 216 »Also, ich hab’ ihn jetzt noch nicht so lange. Vielleicht kommt das noch, dass jemand mal fragt. Und dann werd’ ich mich entscheiden, ob ich sage, ›Ja, ich find’ ihn auch schön‹ oder ob ich ’ne Erklärung dazu gebe. Das kommt immer drauf an, wie ich mit der oder dem Fragenden, in welchem Verhältnis ich da stehe.« (31M) 217 »Wer fragt, dem sag’ ich’s. […] Aber wer jetzt nicht fragt, dem sag’ ich’s auch nicht. Ja, weil das gab’s noch nie. Ich meine, gut, so viele Beerdigungen hatten wir jetzt in unserem Umfeld nicht … Aber das hier, das war bisher ein No-Go.« (10K) 218 »Meinen Kindern und meinen Schwägerinnen, also den Schwestern meines Mannes, hab’ ich das schon erzählt, und auch einzelnen Freunden, wo ich weiß, die werden sagen, ›Okay, dann soll sie’s halt so machen‹. Aber wenn ich denke, ich muss mich rechtfertigen, da hört einfach der Spaß auf. Das will ich dann nicht. Muss ich eigentlich auch gar nicht. Wem muss ich da irgendwas erklären?« (22M) 219 »Eine Freundin hat gesagt, ›Ich kann mir das nicht vorstellen, jeden Tag, wenn du dann aufstehst und du hast diese Kette am Hals mit diesem Stein, dann denkst du doch an deinen Max‹. Und da hab’ ich gesagt, ›Ja, aber das ist was Schönes‹.« (4M)
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220 »Einige sagen, ›Okay, finde ich toll, dass du das machst, aber ich selber möchte das eher nicht‹. Eine Bekannte von mir hat wirklich gesagt, ›Ich möchte das nicht, dass mein Alter meinen Diamanten trägt‹. Manche sagen allerdings auch, ›Ich will eigentlich nicht konventionell bestattet werden, dann doch lieber in einen Friedwald … obwohl, so ein Diamant, das wäre auch nicht schlecht‹. Andere sagen direkt, dass nur eine konventionelle Bestattung infrage kommt; vielleicht aus religiösen Gründen. Selbst meine griechischen Freunde, die so was völlig ablehnen, haben es akzeptiert, dass ich einen Diamanten habe herstellen lassen, und sie haben ihn auch bewundert. Manche wollen ihn auch anfassen. Menschen, die meine Frau gekannt haben, die streicheln dann schon mal drüber und sagen, ›Hallo, Alexandra!‹. Eigentlich unglaublich.« (47M) 221 »Freundinnen von meiner Mutter fragten, ›Wo ist die Urne begraben, wo können wir sie besuchen?‹ Und dann habe ich gesagt, dass es kein Grab, sondern dass es einen Diamanten gibt und es aber auch noch Monate dauert, bis wir den bekommen. Und dann sind sie erst mal zurückgeschreckt, und im nächsten Moment haben sie gesagt, ›Oh, wie wunderschön, das passt so zu Sofia‹, also zu meiner Mutter. […] Und ich habe eigentlich nur eine Freundin […], die sagt, sie findet das ganz grausam, sie könne sich das überhaupt nicht vorstellen. […] Viele fragen auch, ›Können wir den Diamanten mal sehen?‹ Dazu brauche ich aber noch ein bisschen Zeit. Ich werde hier keine Schatulle durch die Landschaft tragen. Wenn jemand zu mir kommt und der Moment gut ist, dann würde ich den Diamanten zeigen, aber ich würde ihn jetzt nicht durch die Weltgeschichte tragen, nur damit Leute ihn anschauen. Ich weiß auch, wenn ich den Ring mit dem Diamanten mal anhabe, dann gibt es Menschen, denen könnte ich im Leben nicht sagen, ›Das ist aus der Asche meiner Mutter entstanden‹. Die würden wahrscheinlich vor Entsetzen umkippen. […] Ganz viele kennen das ja gar nicht, so wie wir es auch nicht kannten am Anfang und wenn man sich damit nicht auseinandersetzt, heißt es erst mal, ›Oh Gott, was ist das denn?‹« (27K) 222 »Es stößt nicht immer auf Gegenliebe. Es gibt ’ne ganze Menge Leute, auch als ich beim Juwelier war, waren Menschen im Laden, die entsetzt den Kopf geschüttelt haben, wie ich daran denken könnte, einen Teil der Asche meines Mannes zu einem Diamanten umformen zu lassen. Das wäre doch vollkommen widersinnig.« (14M) 223 »Und dann hab’ ich seiner Mutter das kundgetan. Die kommt noch vom Glauben her und vom … ja, von früher vom Dorf her … Da ist das einfach so, die wollen eine Grabstätte, wo sie hingeh’n können, um sich auszuheulen und […] das brauch’ ich nicht. Ich kann es auch zu Hause machen, da muss ich nicht zwei Kilometer auf
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den Friedhof laufen oder mi’m Auto hinfahr’n, damit ich da mit meinem Angehörigen reden kann. Das ist altmodisch und überholt.« (26M) 224 »Ich sehe das bei meiner Schwiegermutter, die findet das ganz schrecklich. […] Die war da total dagegen, sie hat geguckt, als ob ich sie mit Exkrementen beschmissen hätte, als ich den Bestatter gefragt habe. Da war sie dabei, und sie kann das überhaupt nicht nachvollziehen. Aber das ist mir egal.« (18K) 225 »Mein Vater hat mir ein bisschen finanziell geholfen, aber alle anderen, die Verwandten, die haben einfach überhaupt kein Verständnis dafür gehabt und finden das zum Teil auch blöd, dass sie jetzt kein Grab haben, wo sie Blumen hinlegen können. Manche sind auch mit mir verkracht, wo ich aber einfach sage, es ist seine, es ist unsere Entscheidung und das interessiert mich gerade mal gar nicht, was ihr wollt, sondern das ist unser Leben […]. Wir wollten das so und ihr habt diese Orte, ihr könnt hierher gehen, ihr könnt zur Unfallstelle gehen und wenn ihr das nicht tut oder was auch immer, ist das eure Sache.« (5K) 226 »Dem Freundeskreis meiner Eltern haben wir das erzählt, um zu erklären, dass es keinen Ort geben wird, wo sie hingehen und Blumen niederlegen können. Das ist schon zu einem gewissen Maß egoistisch von uns. Wir haben zum Beispiel den Kindern aus erster Ehe und den Verwandten […] schöne Fotos von meinem Vater ausdrucken lassen, in einen Rahmen gepackt und so, dass jeder das für sich mit nach Hause nehmen konnte und für sich eben zu Hause einen Ort einrichten kann, wo er bei Bedarf trauern kann, aber es gibt eben kein Grab. Wir können für uns damit umgehen, aber es wird sicher Leute geben, die das doof finden [lacht]. Klar, man nimmt natürlich allen anderen die Möglichkeit, zu einem bestimmten Ort zu gehen, zu trauern oder eben Blumen niederzulegen. Aber für uns ist das eben so ein Ding, dass wir sagen, man trägt die Trauer sowieso im Herzen, man muss nicht irgendwo hingehen und Blumen niederlegen, nur um zu trauern. Trauer passiert ganz woanders. Trauer passiert nicht auf dem Friedhof, Trauer passiert im Herzen. Und das Herz, das hat man immer dabei [lacht].« (42B) 227 »Und die Freunde sagten dann, ›Mensch, jetzt haben wir ja gar keinen Platz, wo wir mal hingehen können zum Patrick‹ […]. Und dann habe ich gesagt, ›Da habt ihr eigentlich vollkommen recht‹. Wir haben dann so eine kleine Erinnerungsbox gemacht und diese Abschiedsfeier im Sommer. Da haben wir dann auch gegrillt und haben unter einem Baum, also an einem wunderschönen Platz, ein Grab angelegt.« (17K)
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(12) »… ich hab’ den Unfallbaum.« – Andere Erinnerungsartefakte Das Totengedenken ist seit jeher mit Materialität verknüpft – man denke etwa an Reliquien. Im privaten Lebensumfeld sind es heutzutage häufig Fotos, die als materielle Erinnerungsanker dienen – selbstverständlich nicht nur im Kontext des Lebensendes und der Trauer. Aber gerade in diesem Zusammenhang bieten sich Fotografien an, schließlich halten sie in handgreiflicher Form Situationen, damit aber auch Personen fest, mit denen keine Interaktion mehr möglich ist. Der Charakter des Bewahrens liegt der Fotografie seit ihrer Entstehungsgeschichte, also etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts inne. Erinnerungsartefakte können aber auch Dinge sein, die nicht vordergründig dem Zweck des Betrachtens dienen, z. B. Gebrauchsgegenstände oder Kleidungsstücke, die der Tote zu Lebzeiten selbst verwendet hat. In gewisser Hinsicht reiht sich der Diamant in diese Sepulkralmaterialität ein – und doch kommt ihm offenkundig ein Sonderstatus zu. Er ist nicht vollständig künstlicher Natur, metaphorisch gesprochen: Er ist nicht durchweg ›tote‹, sondern eben auch Leibmaterie. In den Interviews zu unserer Studie fragten wir nach weiteren Objekten, die unsere Gesprächspartner in ihr Totengedenken ergänzend einbeziehen. Falls es solche Artefakte gibt, wollten wir wissen, wo sie platziert sind, welche Rolle sie im Alltag spielen und in welchem Verhältnis sie zum Aschediamanten genutzt bzw. bedacht werden. Aufschlussreich versprach auch die Frage zu sein, ob es vielleicht sogar Materialien gibt, die absichtsvoll nicht aufbewahrt wurden, die also mit dem Todesfall nicht lediglich obsolet wurden, sondern die ganz gezielt eine Verbannung aus dem lebensweltlichen Umfeld erfahren haben. 228 »Also, ich habe die Bilder meiner Eltern hier im Wohnzimmer stehen. Das eine ist das Bild, als sie geheiratet haben, und das andere Bild daneben ist das Bild von ihrer goldenen Hochzeit. Und dazwischen hab’ ich eine Kerze und die zünde ich dann an, wenn meine Eltern Sterbetag haben oder wenn Hochzeitstag ist oder zum Beispiel Weihnachten …« (6K) 229 »Was ich gemacht habe: Ich habe vor 14 Jahren meinen Vater interviewt nach seinem Leben. Also, ich habe ihn quasi seine ganze Kindheit, und er war ja auch im Zweiten Weltkrieg und so, das habe ich ihn alles auf Kassette aufsprechen lassen und diese Kassetten habe ich jetzt digitalisiert. Um einfach die nicht zu verlieren, Kassetten gehen ja irgendwann kaputt. Und das war sehr, sehr seltsam das erste Mal, als ich seine Stimme gehört habe. Als wäre er direkt neben mir, das war ganz,
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ganz komisch […]. Ich bin aber auch wirklich sehr froh, dass ich das habe von ihm. Ansonsten Gegenstände … mmh … nicht dass mir spontan was einfallen würde. Bis auf Fotos natürlich, die man hat, aber die nimmt man jetzt auch nicht täglich in die Hand.« (42B) 230 »Er war Anwalt, ich habe seinen Talar aufbewahrt und ich habe seinen Konfirmationsspruch aufbewahrt und so ein paar Orden, die er im Laufe des Lebens verliehen bekommen hat. Aber von denen trenne ich mich auch, weil die Kinder möchten sie nicht haben. […] Und sonst, gut, ich habe Bilder, Fotos von ihm, das ist klar. Aber Gegenstände … Seine Uhr, ja, die habe ich, die trag’ ich auch, die war nicht so furchtbar groß, nicht so dick, nicht so männlich, und da habe ich nur ein ganz einfaches Lederarmband dran machen lassen.« (9K) 231 »Mein Mann war leidenschaftlicher Fußballfan und hat Fußballtrikots gesammelt. Da habe ich eine Decke aus den Fußballtrikots für meinen Sohn machen lassen, die immer auf seinem Bett liegt, wenn er da ist. Und für meine Tochter habe ich das aus T-Shirts und Hemden machen lassen. So ist er für meine Kinder immer da. Das sind so die denkwürdigsten Gegenstände, die irgendwie von ihm im Haus sind. Ansonsten sind das wirklich viele Kleinigkeiten, die einfach da sind. Die auch weniger werden.« (18K) 232 »Also, das hängt alles an Kleidungsstücken oder Schmuck natürlich, Bücher, Bilder, Briefe, ich habe auch ganz viel von ihren Unterlagen hier bei mir. Und ich habe mittlerweile fast jeden Tag was von ihr an, ob einen Ring oder einen Ohrring oder ein T-Shirt oder so was. Also, sie ist sehr präsent nach wie vor, ich habe viel aus ihrer Wohnung auch in meinen Haushalt übernommen. Keine Erinnerungsstücke in dem Sinne, aber das sind alles Gegenstände, die mich in meinem Alltag darin bestärken, dass die Mama auch noch irgendwo für mich da ist.« (27K) 233 »Er hatte ja einen großen Kleiderschrank gehabt, da waren sehr viele Sachen drin und der ist immer noch nicht leer. Ich kann mich nicht trennen davon. Er hat auch gute Sachen gehabt, hochwertige Kleidungsstücke. Ich habe viel davon der Kleiderkammer gegeben. Aber manches habe ich selber auf dem Flohmarkt verkauft, Hemden und solche Sachen, aber viele Kleidungsstücke, die noch für mich und für ihn wertvoll waren, die habe ich immer noch im Schrank. Ich kann das nicht weggeben, ich bringe das nicht fertig, das einfach in einen Sack zu stecken.« (19K) 234 »Ich habe bis zu diesem Zeitpunkt, bis mir die Diamantbestattung über den Weg gelaufen ist, habe ich von allen, die in unserer Familie verstorben sind, meine
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Schwiegermutter zum Beispiel, da haben wir immer bestimmte Geschirrteile aufgehoben, die wir dann auch, wenn wir dann Kaffee getrunken haben, dass wir dann was, wo man Konfekt reinmacht oder Kuchen drauflegt, genommen, und dann waren diese Menschen mit am Tisch …« (20K) 235 »Mein Mann hat immer eine Goldkette getragen; solange ich ihn kannte, hatte er die. Die hat den Unfall auch überlebt, die habe ich dann auch bei der Polizei abholen können damals. Die habe ich gereinigt und aufarbeiten lassen. Die kann ich aber nicht tragen, die nimmt mir den Atem.« (18K) 236 »Ich habe auf meinem Frühstückstisch so eine kleine Kerze stehen, so einen Engel, wo man ein Teelicht reinmachen kann, und ein kleines Bild von meinem Mann. Das zünde ich jeden Tag an, wenn ich früh aufstehe, hier habe ich ihn geborgen.« (19K) 237 Eine ›Erinnerungsbox‹ mit persönlichen Gegenständen wurde im Garten vergraben: »… und wir haben diese Kiste dann dort in der Erde versenkt, haben oben Steinchen drauf gemacht und ich habe auch Schiefer, so zwei Herzen, eins mit einem Bild graviert und mit dem Geburts- und Sterbedatum, und auf dem anderen hatte ich dann einen schönen Spruch. Unser Garten ist immer für alle offen und jeder, der möchte, der den Patrick besuchen möchte, aus welchem Anlass auch immer, der kann immer runtergehen, der kann ihm immer eine Kerze anzünden. Wir gehen jeden Abend runter und zünden ihm dort auch ein Licht an und sehen dann ganz oft, da liegt ein kleiner Engel oder manchmal sieht es auch ganz wild aus oder da liegen Blümchen, und jetzt hat auch jemand ein laminiertes Bild hingestellt.« (17K) 238 »Wir haben das alles quasi hier zu Hause bei uns, also ich hab’ hier zu Hause eine Stele gebaut aus Sandstein, ich hab’ den Unfallbaum. Er ist sozusagen von der Straße abgekommen auf der umgekehrten Brücke und ist gegen den Baum gefahren […] und ich hab’ dann eben alle Hebel in Bewegung gesetzt, diesen Eschen-Ahorn, also diesen Stamm, diese Wurzel zu bergen, weil die musste dort raus […]. Und dann hab’ ich mich drum gekümmert, dass ich […] diesen Stumpf da bekomme, den sie da abgesägt haben. Und den hab’ ich quasi in meinen Garten eingepflanzt, weil der austreibt. […] Und der lag halt hier, ich wollte erst was daraus machen oder schnitzen lassen, irgendwas Schönes, ein schönes Artefakt. Aber als ich dann sah, dass der wieder neu treibt, hab’ ich dann gesagt, okay, dann will der weiterleben, dann pflanzt du den ein und das ist jetzt bei uns hier im Garten. Da ist obendrauf eine Gedenkplatte. Dann gibt’s noch den Unfallort und da hab’ ich einen neuen Baum gepflanzt, pflanzen lassen.« (5K)
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239 »Es erinnert alles an ihn, mein Mann hat das Haus hier gebaut; jeder Meter, der hier irgendwo ist, erinnert an meinen Mann. Es sind ganz viele Bilder da, er hat den Kilimandscharo bestiegen, wir haben ganz viele Bilder, wir waren zusammen in Afrika und das sind so Sachen … Er ist jeden Tag in Erinnerung, ist da. Es ist überall irgendetwas.« (21K) 240 »Nee, also ich muss ehrlich sagen, ich hab’ ein großes Einfamilienhaus, in dem hab’ ich 35 Jahre mit meinem Mann gelebt. Und das ganze Haus ist voller Erinnerungsstücke, natürlich. Ich bin sehr glücklich, dass ich dieses Haus behalten kann, dass ich nicht ausziehen muss … Weil dann hab’ ich die Erinnerung ja, also ich muss mich nicht trennen von Sachen, die mich an ihn erinnern.« (16K) 241 »Ja, ich hab’ auch noch weiteren Schmuck von meiner Mutter, auch von meinem Vater haben wir einige Sachen, weil wir mussten ja auch das Haus leer räumen, mein Elternhaus, was wir dann auch verkaufen mussten. Und da haben wir uns selbstverständlich Erinnerungsstücke aufgehoben.« (6K) 242 »Natürlich hab’ ich mir aus der Sammlung einen Füller rausgesucht, ja? Wenn ich mit dem schreibe, denk’ ich, aha, der Jan hatte mit dem geschrieben. […]. Aber das sind für mich Gebrauchsgegenstände. Der Ring mit dem Diamanten ist etwas, wo ich eine tiefe Verbundenheit fühle. Wenn ich jetzt morgen diesen Füller kaputt machen würde oder verlieren würde, tät’ mir das sehr leid, ja? Aber es wäre eine völlig andere Dimension, als wenn ich diesen Ring verlieren würde. Also, dieser Ring hat etwas mit dem Gefühl zu tun, mit dem Toten verbunden zu sein. […] Auch Schmuck, den ich von meinem Mann geschenkt bekommen hab’, ich zieh’ den an und denk’, ach ja, den hat mir der Jan, was weiß ich, zum Fünfzigsten geschenkt oder sonst irgendwas […]. Das findet im Kopf statt, sag’ ich mal so, und der Ring findet im Herzen statt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Also, das ist etwas völlig anderes.« (23M) 243 »Wir ha’m natürlich auch noch andere Gebrauchsgegenstände, die sie hatte […]. Wenn wir das nicht gemacht hätten mit diesem Stein, mit diesem Diamanten, hätten diese Gebrauchsgegenstände wahrscheinlich eine höhere Bedeutung. Aber so ha’m die überhaupt nicht so ’ne Bedeutung. Wir wissen, das ist von ihr, ja okay, aber dieser Stein, das ist ja nun das Echte.« (33M) 244 »Der Diamant hat für mich eine eigene Wertigkeit, das ist ein Teil meines Mannes. Das andere sind ja nur Dinge, die er benutzt hat. Aber dieser Diamant besteht aus seinem Körper. Und man muss sich dann irgendwann sicherlich von dem Gedan-
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ken frei machen und sagen, ›Welcher Anteil ist es?‹ Es sind ja nur 500 Gramm der Asche von den zweieinhalb Kilo, die da im Mittel anfallen. Und man muss natürlich auch loslassen können, dass man sagt, ›Ja, er ist jetzt zerstückelt, er liegt nicht mehr komplett im Grab‹.« (14M) 245 »Es ist, glaub’ ich, anders als ein anderes Schmuckstück. Man richtet ihn, wenn er sich dreht, beim anderen Stein würde man manchmal ja gar nicht gucken […]. Hier ist man fürsorglicher. Man schenkt ihm mehr Beachtung. […] Du weißt, es ist vom Körper deines Mannes, das ist irgendwie was sehr, sehr Enges.« (48M) 246 Der Diamant »ist robust und ich kann ihn alltäglich dabeihaben, ja? Und ein Bild, gut ein Bild ist aber alles Vergangenheit […]. Da sagt man, okay, das war da und da, aber das kann ich mir in der Zukunft ja nicht mehr vorstellen. Aber diesen Diamanten, den hab’ ich rund um die Uhr, den hab’ ich bei mir, der ist an mir, den nehm’ ich überall mit hin. […] Wo ich hingeh’, da isser dabei. Und das mach’ ich aber ja nicht mit Haaren, die schlepp’ ich nicht mit mir irgendwo rum. Oder ein Bild schlepp’ ich nicht mit mir rum […], das nehm’ ich ja nicht mit.« (11M) 247 »Ich kann ihn permanent tragen, was ich mit anderen Dingen nicht kann. Also, ich kann schlecht meiner Mutter [lacht] ihre Kleidung tragen.« (30M) 248 »Also, mein Mann ist an einem, an einem Mittwoch gestorben, an dem Sonntag hatten wir die Verabschiedung von ihm, am Montag war sein Kleiderschrank leer. […] Weil, ich sag’ mal, da war der Geruch meines Mannes drin. […] Ich konnte den Geruch nicht ertragen. Das war furchtbar. […] Das Einzige, was ich noch habe, das ist eine Flasche Rasierwasser, die is’ mir einfach zu schade, um sie wegzuschütten. Und ich weiß nicht, wer das Zeug gebrauchen kann. Aber das ist kein Erinnerungsstück.« (13K) 249 »Wir hatten da ja so Schwierigkeiten mit dem Krematorium, das war ja dann ein Trauerspiel ohne Ende. Und dann hab’ ich mir auch gedacht, das war sicher jetzt nicht die Urne oder die Asche vom Felix. Die ha’m die schon lang nimmer gefunden und da irgendwas hingeschickt. Dann hab’ ich für mich gedacht, macht dir das jetzt was aus? Wenn ich genau nachdenk’, denk’ ich mir, uh, das hätt’ ich jetzt nicht so gerne. Andererseits denk’ ich mir, ich trag’ meinen Mann in meinem Herzen. Das andere ist so ein Erinnerungsstück, mein Gott, wie ich auch jetzt seine Uhr trage.« (35B)
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(13) »Grab ist traurig.« – Einstellungen zu klassischen Ritualformen Die vorliegende Untersuchung wäre unvollständig und würde einen zentralen Punkt verpassen, gingen wir nicht auch auf den Aspekt der traditionellen Bestattungs- und Ritualvarianten ein. Der Diamant kann in vielerlei Hinsicht, auch mit Blick auf die Entstehungsumstände und die Besitzansprüche, als autonomiestärkender Gegenentwurf verstanden werden. Oder reiht sich die Verwandlung der Kohlenstoffanteile von Kremationsasche in ein Juwel schlichtweg in die Gruppe der schon bestehenden und ab und an erweiterten Sepulkralformen ein, wenngleich mit der besonderen Komponente der Körpermaterialität, die die anderen Angebote vermissen lassen? Womöglich finden aber auch unterschiedliche Konzepte parallel oder nacheinander Anwendung, woraus sich gewissermaßen eine selbstgesteuerte Kumulation der Möglichkeiten ergibt. Ohnehin stellt sich die Frage, ob die Umgangsweisen mit Trauer ›objektive‹ Faktoren wie eine Örtlichkeit brauchen – und diese Frage kann selbstverständlich auch hinsichtlich der Materialitätskomponente des Diamanten formuliert werden. Indes lässt sich aus der gemeinsamen ›objektivistischen‹ Facette leicht ein Gegensatz konstruieren, wenn man den Ort der Bestattung als immobil, den Diamanten aber als mobiles Trauerartefakt denkt. Bilanzieren lässt sich, dass die Bewertung der herkömmlichen Bestattungsmodelle bei den meisten der Befragten negativ ausfällt. Der klassische Friedhof, sein vergleichsweise streng reglementierender Vorschriftenkanon, seine räumliche Distanz zum Lebensmittelpunkt der Menschen, aber auch seine bisweilen als düster, gruselig, unheimlich und schlichtweg erdrückend wahrgenommene Atmosphäre dienen der Klientel der Aschediamanten als Kontrastfolie, von der sie sich mit ihren nicht übermäßig individuellen, aber eben doch deutlich alternativen, ja abweichenden Artefakten scharf abgrenzen können. Die moralische Pflicht, die den Friedhof prägt (Pflegezwang, Kosten, Exklusivitätsanspruch als einzig ›legitimer‹ Trauerort), entfällt beim Erinnerungsjuwel vollständig. Hier stellt sich Moral als eine vorrangig selbstbestimmte Kategorie heraus. Die Kritik am Bestattungswesen, die die Befragten äußern, ist nicht neu. Sie strahlt über den Friedhof hinaus in die Bereiche der Abschiedsrituale, der Kirche, der Kommerzialisierung, der Gewerke usw. Dem eher traurigen Befund, der somit zum Ausdruck kommt – das Friedhofsgrab als ›kalte Erde‹, in der die geliebte Person unsichtbar gemacht wird – steht die ›leichte‹ Ästhetik des funkelnden Diamanten gegenüber. Die Möglichkeit, ihn permanent zu handhaben, hebt zudem Trennungsängste auf. Sie werden durch die Vereinigung mit dem Stein konterkariert.
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250 »Das ist vielleicht ein bisschen spooky für Sie, aber Sie setzen sich ja auseinander mit vielem komischen Zeug, warum nicht auch das: Also, es ist ja so, ein Körper ist aus Elementen zusammengebaut, Erde, Wasser, Feuer, Luft, Raum, und irgendwann geh’n die Elemente wieder auseinander, und dann ha’m Menschen bevorzugte Bestattungsweisen, das heißt man schenkt den Körper dann einem bestimmten Element. […] Es gibt Leute, die ha’m mehr Wasser-Energie oder mehr Verbindung zum Fließenden, weshalb die dann Seebestattung wollen […]. Feuerbestattung ist ’ne sehr gründliche Bestattung, Luftbestattung geht bei uns nicht. Und so denk’ ich, so hat jede Zeit bestimmte Vorlieben oder hat jedes Element eine bestimmte Gabe […]. Ich denke, es ist alles legitim und wir befinden uns in einer Phase großer menschlicher Freiheit, mit vielen Experimenten und vielen Möglichkeiten – das ist doch klasse!« (49M) 251 »Wir werden ja alle irgendwie wieder zu Atomen, wir werden alle wieder ein Teil der Natur. Und das beruhigt mich auch, dadurch dass ich ja keiner Religion angehöre, ist das für mich […] eigentlich das Schönste, was ich mir vorstellen kann. Dass man, wenn man irgendwie verstirbt, in tausend Teile zerfällt und sich an jeder Blume und an jedem Grashalm erfreuen kann und weiß, da steckt dann vielleicht die Person wieder drin irgendwann. Und deswegen war für mich eigentlich son Grab wäre immer irgendwie komisch gewesen.« (37M) 252 »… weil wir beide eben vorher drüber gesprochen hatten, dass wir der Meinung sind, dass ein Friedhof nicht der richtige Platz für uns ist. […] Hier kennen wir ja sowieso niemanden, wir finden das halt persönlich sehr, sehr anonym … sehr unpersönlich eigentlich. Dieser Gedanke, später mal in so einem schnöden Grab zu liegen, das war nie so seins und das ist auch nicht mein Wunsch.« (5K) 253 »Ich brauche keine Anlaufstelle, das geht nicht, das geht einfach nicht. Das hat sich so festgefressen bei mir, dass ich da einfach nur sagen muss, das wäre nicht gegangen. […] Das muss aus der Kindheit kommen, was mich da also verfolgt hat. […] Es geht einfach nicht, dass ich den Menschen zur Erde zurückgebe, ich brauche noch ein Stück von ihm.« (8M) 254 »Brauch’ ich nicht, will ich meiden. Ich will nicht ständig daran erinnert werden, wenn ich dort bin, Bepflanzung mache und andere Trauernden sehe … Ich will das nicht. Es hat mich immer gestört, schon als kleines Kind.« (33M) 255 »Die Verbindung zum Friedhof, die ist irgendwo, ich weiß nicht … Meine Eltern liegen auch auf einem Friedhof, ja. Mein Vati ist im vorigen Jahr verstorben, aber
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jetzt trauert man ja im Herzen. Manch einer braucht den Ort, wo man hingeht, aber ich muss das nicht haben.« (21K) 256 »Ich hab’ da ein bisschen Angst vor, auf den Friedhof hinzugeh’n, die hab’ ich immer gehabt. Ich fand’ das immer so ’n bisschen so gruselig und so. Find’ ich keinen schönen Ort irgendwie. Ein Diamant ist schöner […]. Als wär’ meine Mutter nicht tot sozusagen.« (24M) 257 »Ich wollte also wirklich nicht, dass man da so ein Loch gräbt und ihn ins Dunkle schickt oder dass man ihn verbrennt und die Urne ins Dunkle schickt. Das wollte ich alles gar nicht. Ich wollte ihn wirklich weiterhin bei mir haben und ihm auch die Sonne zeigen. […] Nee, der Friedhof wäre für mich […] überhaupt nicht infrage gekommen. Viele Leute richten sich ja auch einen kleinen Altar zu Hause ein zum Beispiel. Das würde ich also dann noch vorziehen, bevor ich auf den Friedhof renne und dort diesen Namen in weiß Gott was für einen Stein meißeln lasse und davorstehe und dann eben mal da trauere – nein, das wäre für mich undenkbar gewesen. Ich mag eben keinen Friedhof … Dass dann die Leute vor diesen Gräbern stehen und weinen, ich weiß nicht. Trauer ist für mich etwas ganz, ganz Privates. Und wenn ich weinen will, dann weine ich wirklich in meinen vier Wänden oder ich weine mit meinen Freunden. Aber ich könnte mich dann nicht auf den Friedhof stellen und könnte dort weinen, das würde nicht gehen.« (32M) 258 »Ich bin stockkatholisch erzogen, mit dem Katholizismus hab’ ich nichts mehr am Hut, aber ich sag mal, die christliche Philosophie, mit der sind wir sozialisiert, das ha’m wir drinnen, und die möchte ich auch nicht missen. Und ich glaube, ich lebe auch nach diesem Gedanken. Ja, aber ich sage mal, das ist nicht meine Religion, es ist meine Philosophie, so zu leben. Und da denk’ ich mir auch, da abstrahiert man sich doch von allem Irdischen, von allem Materiellen. Warum soll ich denn jemanden in seiner ganzen Körpergröße oder auch als Asche verbuddeln? Der ist nicht mehr da. Das Weiterleben nach’m Tod, das findet nur statt in der Erinnerung derjenigen, die nett über mich sprechen oder sich an mich erinnern … aber nicht anders. Auf überhaupt keine physische Art und Weise.« (35B) 259 »Also, wir konnten mit einer Beerdigung, irgendwas in die Erde bringen und dann wie ein Grab, damit konnten wir nichts anfangen. […] Das war so, man verbuddelt da was […]. Wir hatten irgendwie das Gefühl, dass das noch über den Tod hinaus machbar sein müsste, da irgendwas zu haben, was eben Familie ausmacht, […] sodass sich dann auch uns die Frage stellte, wie geht man damit um, was will man eigentlich, wenn man an den Verstorbenen denkt? Ist klar, man will nett an ihn
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denken, aber die nächste Frage, die sich dann sofort auftut, bei unseren Kindern und auch bei dem Enkelkind: Wir haben eigentlich gar nicht die Möglichkeit, uns um eine Grabstelle zu kümmern. Und dann kommt ein schlechtes Gewissen auf, und das geht gar nicht.« (20K) 260 »Ein festes Begräbnis, eine Urne, eine Erdbestattung mochte sie nicht, wollte sie nicht. […] Das war ihr zu dunkel. Deswegen auch keine Seebestattung. Und außerdem hat sie gesagt, ›Pass mal auf, dass du dich da kümmern musst, dafür bist du zu jung. Das müssen wir anders machen.‹« (10K) 261 »Und dann hab’ ich mir so überlegt, Mensch, also unsere Kinder … Meine Mutter ist ja jetzt verstorben, wenn ich für die jetzt einen Friedhofsplatz genommen hätte, was man ja ohne Weiteres für den Rest Asche hätte tun können, dann läuft so ein Ding 30 Jahre oder 25, dann bin ich aber ja auch schon 80. Und dann müssen unsere Kinder dauernd ran und unsere Friedhofspflege machen. Is’ ja auch irgendwie blöd! Man weiß ja auch nie, wo die Kinder bleiben oder sie müssen dann einen Friedhofsgärtner bezahlen, was auch blöd ist. Und so ’ne Skulptur oder so ein Diamanten nehmen ’se einfach mit und das behält ja auch einen gewissen Wert. Am Friedhof geben sie ja nur aus.« (3K) 262 »Aber so ein Grab, für mich ist das auch immer so eine Verpflichtung, dahinzugehen und das wollte ich nicht, dass meine Kinder das machen mit meinem Grab. Meine Eltern sind zum Beispiel in Thüringen begraben. Und an das Grab komme ich ganz, ganz selten. Was überhaupt nicht bedeutet, dass ich nicht an meine Eltern denke oder dass ich die nicht in meinem Herzen habe oder dass ich da nicht trauere. Und deshalb hat das für mich überhaupt gar keine Bedeutung, ja? Aber dieser Stein [der Diamant] hat für mich eine Bedeutung und auch den weiterzugeben hat für mich eine Bedeutung. So ein Grab wird nach 25 Jahren weggemacht … Und für mich ist es egal, wo mein anderer Sohn mal hinzieht, ob ich noch lebe oder ob ich mal nicht mehr bin, aber den Patrick [den verstorbenen Sohn] kann er immer mitnehmen. So ein Grab kann man, weiß nicht, kann man auch umbetten lassen, aber das finde ich auch nicht sehr pietätvoll. Und so kann er immer mit dahin gehen, wo die Familie ist.« (17K) 263 »Das war jetzt eben der Wunsch meines verstorbenen Mannes, dass es keine Verpflichtung gibt, irgendein Grab zu pflegen oder irgendwo hin zu müssen […]. Ich bin viel unterwegs und ich glaube, er wollte keine Last sein irgendwie in dem Sinne, dass man da dann verpflichtet ist, ein Grab zu pflegen oder da immer hinzufahren. Ich glaube, das hat er selber bei seinen Eltern nicht so positiv empfunden
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und ich denke, dass das für ihn auch maßgeblich ein Grund war, weswegen er das so wollte.« (29M) 264 »Den einzigen, den ich immer besucht habe oder auch besuchen musste, war mein Vater, auf’m Grab. Da ist man eigentlich nicht hingegangen, weil man jetzt mit ihm Zwiesprache halten wollte, sondern weil eben wieder was zu pflanzen oder zu gießen war. Also, das waren Pflichtbesuche – zu gucken, ob alles in Ordnung ist.« (31M) 265 »Das war nie unseres. Wir haben immer gesagt, ›Wir wollen das nicht!‹ Ich hab’ auch zu meiner Tochter gesagt, ›Kein Grab und kein Theater drum herum und … der [Edel-]Stein und das ist gut und Mama und Papa sind immer bei dir‹.« (15M) 266 »Grab ist traurig, ist trostlos. Das zieht einen ja immer wieder runter. Da geht man hin, aber es bringt nichts. Es ist einfach nur grausig, muss ich sagen. Aber wenn ich jetzt sag’, so ein schöner ästhetischer Diamant – das ist was Schönes, wo ich mich drüber freuen kann, dass doch noch so was Schönes draus entstanden ist.« (26M) 267 »Ich hätte eine Beerdigung im klassischen Sinne nicht geschafft. Ich hätte da nicht stehen können. Und da war dieser Diamant eine gute Sache für mich. Ich hab’ diese Bestattungs-, diese Beerdigungszeremonie vermeiden können und hab’ dann gleich noch eben das andere Positive, also keine Grabstätte zu haben und den Mann bei mir zu tragen. Die Rechnung ist aufgegangen für mich, wenn ich das so sagen darf.« (16K) 268 »Von jung an hab’ ich gesagt, ich will in kein son Grab runter. Macht, was ihr wollt, da geh’ ich nicht runter. Und dadurch waren wir, mein Mann und ich, so glücklich, wo wir das im Fernsehen gesehen haben, da hab’ ich gesagt, ›Guck, da gibt’s ja jetzt die Lösung‹. Und mein Mann hat gleich gesagt, ›Ach, das machen wir! Das ist gerade das, was wir brauchen‹.« (28M) 269 »Aber ansonsten find’ ich das alles [sämtliche Formen der Beisetzung an einem festen Ort] irgendwie furchtbar, also nicht schön, in meinen Augen. Und dies, mit diesem Stein, mit diesem Diamanten, das ist irgendwie wie ein Lottogewinn, dass es so was gibt.« (33M) 270 »Für mich ist das ganz was anderes, für mich hat das nichts mit Friedhof oder Beisetzung zu tun. Muss ich Ihnen ehrlich sagen, weil wissen Sie, zum Friedhof
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müsste man gehen, ja? Oder sollte man gehen, wenn man sich schon dafür entschieden hat. Aber dieser Diamant eben, da kann ich trauern, wann ich will, wissen Sie? Ich kann ihn festhalten. Ich kann mich ja nicht aufs Grab legen […] und den Grabstein umarmen. Das ist für mich keine Alternative.« (32M) 271 »Von einer Beerdigung gehst du auch gemeinsam weg und hast in dem Sinne gar nichts, außer eben die Erinnerung, dass da das Grab ist und dass da die Trauerfeier war. Und ich finde, das ist in diesem Falle viel mehr, weil du was bekommst. Du gibst nichts weg, sondern du bekommst was.« (48M) 272 »Ich hab’ immer ein Stück bei mir. Ich hätte ihn nicht in die kalte Erde geben können. So habe ich ihn immer bei mir und ich konnte ihn bis dato immer fragen, wenn ich Probleme hatte. Ich kann richtig mit ihm kommunizieren … Er beschützt mich immer noch.« (8M) 273 »Ich habe einen Teil von ihm hier. Und meine Mutter hat einen Teil und meine Schwester hat einen Teil. Wir haben uns dafür entschieden, um nicht dieses, ich sage jetzt mal in Anführungsstrichen, dieses ›Pilgern‹ zu irgendeiner Trauerstätte machen zu müssen. Oder dass man immer, wenn man in X-Stadt ist, ans Grab gehen muss … So kann jeder seine ganz eigene persönliche Art und Weise finden, zu trauern.« (42B) 274 »Also, meine Schwester hat die Idee gebracht, aber ich war sofort Feuer und Flamme, weil ich eben gerade nicht der Meinung bin, dass jemand, der auch in verschiedenen Gegenden der Welt gewohnt hat, an einen Ort dann quasi zu beerdigen […]. Dann hätten wir da immer hingeh’n müssen, dann hätte meine Mama irgendwie das Bedürfnis, das Grab immer zu pflegen […]. Auch nach dem Gespräch, als wir festgestellt haben, dass jeder so seine eigene Erinnerung von ihm hat, fanden wir diese Idee … Wir ha’m ihn ja auch gesplittet, den Edelstein, also jeder hat einen von diesen drei kleineren. Das war für uns jetzt eigentlich die allerschönste Lösung, damit man nicht irgendwie an so ’nen Wallfahrtsort hin pilgern muss, sondern damit jeder so sein Stück von ihm hat.« (37M) 275 »Ich sag’ halt immer so für mich, meine Mama und mein Papa, die hab’ ich da. Ich sag’ immer, ich brauch’ kein Grabstein, ich hab’ meine Eltern immer bei mir, sag’ ich. Das ist mein Grabstein, das ist mein Friedhof, ja? […] Ich mein’, man geht ja auch auf den Friedhof und sagt, ›So, ich geh’ jetzt aufn Friedhof und da liegen die und …‹ Ja, da liegt ja dann auch nur noch der Rest des Menschen […]. Und dieser Diamant ist ja auch ein Überrest im Endeffekt.« (11M)
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276 »Aber es ist kein Grab, es ist ein Aufbewahrungsort, sag’ ich mal. Oder ein Erinnerungsort. Grab klingt viel zu, ich sag’ mal: altmodisch – und viel zu hässlich! Viel zu unwürdig! Ich sag’ jetzt sogar: unwürdig. Ein Grab, da liegt der Mensch drin, ob nun noch ganz oder als Asche. […] Der ist fort, verscharrt! Das ist für mich die Assoziation mit einem Grab. Ach, ich find’ das furchtbar! [lacht]« (33M) 277 »Die Beisetzungsstelle ist ganz klassisch wie ein Grab […]. Ich hab’ mit Grabstätten, egal wie sie sind und wo sie sind, auch für meine Eltern oder für meine Schwiegereltern oder was auch immer, das ist so die Stelle. Da kann man hingeh’n, aber die hat für mich keine Aussagekraft in dem Sinne. Aber mein Diamant, das ist halt mein Diamant und das ist mein Mann und fertig aus. Und da gibt es nichts dazwischen, daneben. Und das geht auch niemanden groß was an. Also, das ist wirklich mein ganz intimes Dasein und Sosein mit dem, was von meinem Mann übrig ist. Und das ist einfach … das ist mit nichts zu vergleichen. […] Und am Grab da kann ich auch allerhand machen, aber da hab’ ich ihn nicht bei mir, und nicht für jeden Augenblick.« (22M) 278 »Für mich sind das zwei ganz unterschiedliche Dinge. Also, der Ring verkörpert für mich eher das Leben, das wir miteinander hatten. […] Und der Friedhof, das ist für mich eigentlich der Ort der Trauer. Also, der Friedhof ist praktisch der Tod, der Ring ist eher die Erinnerung an das Leben. Das kann ich ganz strikt trennen.« (23M) 279 »Das kann man nicht vergleichen, weil das Grab ist ja von Anfang an da und der Stein [der Diamant], der kommt nach ’nem Dreivierteljahr. Nach ’nem Dreivierteljahr ha’m Sie den größten Teil der Trauerarbeit ja eigentlich schon erledigt. Das Grab selber war für mich von unglaublicher Wichtigkeit, weil ich habe versucht, die Trauer aus dem Haus zu tragen, das heißt ich bin zum Heulen auf den Friedhof gegangen, denn ich muss in dem Haus weiterleben. Und deshalb wollt’ ich hier auch keinen Altar aufbau’n.« (4M) 280 »Wenn ich mir jetzt vorstelle, dass man da einen Ort hat, eine Bank hat, irgendwas hat, wo man dann hinkommen kann, um an den Verstorbenen zu denken und irgendwie mit dem zusammen zu sein – das finde ich gut. Das fühlt sich gut an, weil man eben aufstehen kann, sich verabschieden kann und wieder in sein eigenes Leben dann gehen kann. Ich finde diese Abgrenzung irgendwie wichtig. Deswegen habe ich jetzt vielleicht ein Problem mit dem Stein zu Hause.« (29M) 281 »Also, ich brauche nicht diesen festen Ort. Trotzdem geh’ ich häufiger zum Friedhof, ich geh’ mindestens einmal in der Woche, manchmal sogar zweimal in
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der Woche hin […] und finde es ganz gut, da in der Nähe zu sein. Es ist auch etwas, was mir trotzdem Beruhigung gibt.« (14M) 282 »Am Jahrestag bin ich da gewesen, ansonsten bin ich tatsächlich kein Friedhofgänger. Für mich ist das kein Platz, an dem sich mein Mann befindet. Ich weiß, dass ganz viele Leute da Trost finden, weil da die Reste sind, weil sie dann denken, der Mensch ist da, das ist für mich aber definitiv nicht der Fall. Für mich ist das ein Platz, den ich, weil ich nicht wusste, wie meine Kinder damit umgehen, geschaffen habe, um einen Ort zu haben, wo die Möglichkeit besteht, dass die Kinder hingehen können. […] Das war mir ganz wichtig und für meine Schwiegermutter war das auch extrem wichtig, dass sie einen Platz hat, wo sie hingehen kann, wenn sie hier ist. Von daher habe ich gesagt, der Rest praktisch von der Asche, der noch da ist, da werden wir dann ganz konventionell, sag’ ich jetzt mal.« (18K) 283 »Da muss man natürlich differenzieren zwischen Friedhof als Institution, wo man dann 20 Jahre im Voraus schon mal Friedhofsgebühren bezahlt [lacht], oder Friedhof als Ort. Wir waren an dem Tag nach dem Tod meines Vaters auf einem Friedhof, um zu gucken, ob wir dort die Trauerfeier abhalten wollen. Den fanden wir so furchtbar und düster und gruselig, dass wir da ganz schnell wieder weggegangen sind. Dann haben wir aber weiter die Straße hoch einen anderen Friedhof gefunden, den fanden wir sehr freundlich und sehr hübsch und irgendwie nett gestaltet, und für den haben wir uns dann entschieden. Ein Friedhof kann nach meinem Empfinden ein wunderschöner Ort der Ruhe sein. […] Ich bin einfach niemand, der sich gerne vorschreiben lässt, was er wann wie zu tun hat; gerade dieses ›Du musst auf den Friedhof gehen und dreimal im Jahr Blumen niederlegen und du musst deinen Vater auf dem Friedhof bestatten lassen, weil es gesetzlich so vorgegeben ist‹. Das mag ich nicht. Ich mag gerne meinen eigenen Weg gehen.« (42B) 284 »Also, für mich ist das Grab nicht abgewertet, wobei ich trotzdem die Bestattungskultur in Deutschland nicht verstehe, dass man auf den Friedhof gehen muss. Ich hätte lieber, wie es in vielen Ländern möglich ist, dass man die Urne mit nach Hause nimmt, wenn auch mit ein paar Formalitäten verbunden, das wäre mir lieber. […] Und auch die ganzen Regelungen, auch das ist schwierig, es gibt ja leider in jeder Gemeinde Friedhofsordnungen. Ich wollte eine kleine Bank haben […] auf dem Grab […] unterm Baum, um mich hinsetzen zu können, hab’ ich keine Genehmigung bekommen vom Friedhofsamt. Die Reglementierungen, die einem auferlegt werden, machen es schwierig, einen Friedhof tatsächlich so zu sehen, wie man’s vielleicht früher getan hat. […] Die Friedhöfe sind nicht mehr schön, weil alles einer Reglementierung unterliegt, uniform ist. Steine dürfen nur noch ’ne bestimmte Höhe
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haben, bestimmtes Material, alles sieht gleich aus, blank, ordentlich – furchtbar. Mag ich nicht.« (14M)
(14) »Ein bisschen kriminell kommt man sich schon vor.« – Kritik an der Gesetzeslage Die letzten beiden Wortmeldungen des vorangegangenen Unterkapitels machen deutlich: Als potenzielle Stätte der Trauerverarbeitung und der individuellen Handhabe wird der Friedhof nicht pauschal abgelehnt. Die geäußerte Unzufriedenheit bezieht sich vielmehr darauf, wie er von seinen Betreibern und vor allem von dem Gesetzgeber interpretiert wird. Wie aus anderen Forschungsarbeiten, in denen wir Menschen mit Trauererfahrungen zu Wort kommen gelassen haben, ersichtlich wird, stehen Friedhöfe wegen ihrer (Über-)Reglementierung nicht selten in der Kritik. Die geltenden Verbote werden als Bevormundung und damit als unnötige Beschneidung bei der Realisierung eigener Bedürfnisse erlebt. Statt sich in einer ob des erlittenen Verlustes ohnehin krisenhaften Situation mit bürokratischen Anforderungen zu plagen, wünschen sich die Betroffenen mehr Freiräume, die ein selbstbestimmtes Trauern fördern. Tatsächlich verfügt Deutschland im europäischen Vergleich mit über die strengsten Bestattungsvorschriften. Immer noch herrscht die Friedhofspflicht vor, die nur vergleichsweise wenige legale Ausnahmen kennt. Die große Beliebtheit sogenannter ›Naturbestattungen‹ im Wald, in Deutschland seit 2001 möglich, spricht Bände über das nachhaltige (und anwachsende) Interesse von Angehörigen an Alternativen zum Friedhofswesen. Die Herstellung eines Diamanten aus menschlicher Asche ist in Deutschland gegenwärtig nicht erlaubt; die einzig legale Variante ist die Anfertigung eines Juwels aus der Asche oder den Haaren von Tieren. Gemäß der deutschen Länderbestattungsgesetze ist das für die Diamantherstellung notwendige Aufteilen der Asche schwierig bis unmöglich. Aus diesem Grund muss die Kremierungsasche zunächst in die Schweiz oder anderswohin gelangen, um von dort aus den technischen Prozeduren unterzogen werden zu können. In jüngster Vergangenheit hat es in manchen Bundesländern auf dem politischen Parkett Versuche gegeben, die Bestattungsgesetze zu liberalisieren, jedoch insgesamt mit mäßigem Erfolg. Es sind diesbezüglich kaum Lockerungen, stattdessen aber sogar einige Verschärfungen registrierbar geworden. Wir wollten wissen, inwiefern sich unsere Interviewpartner mit den juristischen Bestimmungen bei ihrer Entscheidungsfindung auseinandergesetzt haben. War die Gesetzeslage überhaupt ein Thema – und falls ja: Inwieweit hat sie zur
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Verunsicherung bzw. zu einer weiteren Belastung neben der Trauer um den Verlust geführt? War womöglich der eigene persönliche Wunsch bzw. der des Verstorbenen von vornherein wichtiger als die stillschweigende Anerkennung normativer Vorgaben, die ihren Anliegen widersprechen? Zwischen den institutionellen Ansprüchen (hinter denen das Ideal einer geordneten Gesellschaft steht) und dem persönlichen Wunsch nach selbstbestimmter Trauer klafft aktuell eine erhebliche Kluft. Unser Material zeigt, dass die Befragten diesbezüglich dringend Renovierungsbedarf anmelden. Ihr Vorbild sind in einigen Fällen die europäischen Nachbarländer, in denen beispielsweise keine Friedhofspflicht vorherrscht, dafür aber eine große Freiheit bei der Gestaltung sepulkraler Kontexte – ob nun innerhalb oder außerhalb konventioneller Rituale. Am Rande: Die Situation in den Nachbarstaaten legt nahe, dass eine Liberalisierung des Friedhofswesens gerade nicht zum Niedergang der Bestattungskultur führt, wie mancher pessimistische Kommentator befürchtet, sondern im Gegenteil zu einer Entspannung und zur Möglichkeit, das Verhältnis von Trauer und Ordnung neu zu denken. Den Diamanten ›nach Hause zu holen‹ ist eine individuelle, eine autonome Entscheidung. Die Mehrheit der Befragten vermittelt den Eindruck, die Trauer dank des Juwels anders durchleben zu können; das Verhältnis zum Verstorbenen gewinnt so eine neue Qualität. 285 »Ich finde es auf jeden Fall toll, dass Sie so eine Untersuchung machen, weil ich der Meinung bin, dass es eigentlich verstaubt ist, eine verstaubte Auffassung, die es da gibt in dem ganzen Bestattungswesen. Da sind andere Länder schon viel weiter. In Deutschland ist das noch weitflächig ein Verbot […]. Ich würd’ mir aber wirklich wünschen, dass sich das ändert. Dass man das Recht einfach bekommt, ne? […] Das kann so nicht sein, dass sich der Staat in diese ganze Geschichte so einmischt oder meint, sich einmischen zu dürfen.« (5K) 286 »Also, ich bin den Schweizern sehr, sehr dankbar, dass sie so was anbieten. Und bin eigentlich enttäuscht, dass es bei uns in Deutschland nicht möglich ist. […] Ein bisschen kriminell kommt man sich schon vor … und das ist eigentlich ein Gefühl, was man in der Situation überhaupt nicht haben kann. Ich bin froh, wie gesagt, ich bin sehr dankbar, dass die Schweizer da wirklich etwas liberaler sind und mehr Sachen zulassen … Ich hätt’ sie knutschen können! [lacht] Wirklich, ich war so glücklich, dass ich damit für mich einen Weg gefunden habe, der für mich zurechtgeschnitten war.« (16K)
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287 »Ich finde, dass eben die Gesetzeslage in Deutschland mal modernisiert werden müsste. […] Ich finde, dass es Zeit wird, dass das liberalisiert wird und dass es also mal ein bissel modernisiert wird […]. Und insofern hab’ ich mich eigentlich nur gefreut, dass es Möglichkeiten gibt, das zu umgeh’n und wir dann trotzdem diese schöne Art durchziehen können.« (34M) 288 »Und ich find’ das jetzt einfach mal salopp gesagt scheiße, dass Deutschland sich da so komisch verhält. Das hat mit Sicherheit mit politischen Entscheidungen zu tun. Da gibt’s wieder eine Lobby und da gibt’s vielleicht auch ’ne Friedhofslobby […]. Und ich finde, da können Sie jetzt sagen, was Sie wollen, ich finde einfach eine Bestattung auf Friedhöfen, ob nun mit Sarg oder mit Asche, die find ich einfach auch scheiße […]. Viel schöner ist, wenn man denjenigen, den man gut leiden konnte, der ein feiner Mensch war […], wenn man diesen Menschen dann zu Hause hat bei sich.« (33M) 289 »Aber wenn jetzt zum Beispiel jemand möchte, dass man die Urne mit nach Hause nimmt oder dass dann aus der Asche eben ein Stein gefertigt wird – ich denke, das sollte wirklich jedem selbst überlassen sein. Weil es einfach eine sehr private Sache ist, der Tod.« (32M) 290 »Ich bin durchaus ein regelkonformer Mensch. Ich parke nie auf dem Behindertenparkplatz [lacht], ich fahre auch nicht bei Rot über die Ampel. Ich respektiere schon Regeln […]. Aber an der Stelle ist es halt so ein bisschen, naja, das ist jetzt ein bisschen übertrieben formuliert, aber es ist fast ein bisschen ein rebellischer Akt gewesen, dass man eben sagt, ja, ich mache es halt anders. […] Eigentlich versucht man damit ja für sich selber einen guten Weg der Trauer zu finden, aber es ist auch der Wunsch, einen Weg zu bahnen für andere, die nach uns kommen. Und je mehr Leute sich über diese Regel hinwegsetzen, umso mehr besteht die Chance, dass diese Regelungen irgendwann gekippt werden oder zumindest gelockert. Ich finde es nicht gut, dass man solche Vorschriften gemacht bekommt, wen man wie und wo zu bestatten hat und wie man seine Trauer auszuleben hat.« (42B) 291 »Ich finde es schade, dass die dann praktisch gezwungen sind, irgendeinen Friedhof aufzusuchen, und wenn sie das körperlich nicht mehr können, kann das zur Belastung werden. Zum Beispiel in einem Altenwohnheim, wenn sie einfach nicht mehr beweglich sind, dann kommen sie nicht mehr zum Friedhof und können sie den geliebten verstorbenen Mann nicht mehr sehen […] oder sprechen. Und dann würde ich mir schon wünschen, dass das ein bisschen flexibler gehandhabt wird,
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dass man dann eben selber entscheiden kann, dass man auch zum Beispiel die Urne mitnehmen kann nach Hause. […] Man muss sich ja für tausend Sachen im Leben entscheiden und Tausend Tests ausfüllen und machen und tun. Vielleicht könnte man einfach sagen, okay, genauso wie ich mich entscheide, zu welcher Bank gehe ich, könnte ich das mit der Urne ja auch verfügen oder irgendwie so was.« (29M) 292 »Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn ich keine Friedhofspflicht gehabt hätte, hätte ich meinen Mann hier im Garten verbuddelt. Die Friedhofspflicht ist etwas, das mich fürchterlich auf die Palme gebracht hat […]. Dass man eine Freizügigkeit bei der Art der Bestattung macht, find’ ich jetzt schon ganz wichtig. Ich denke, son Knochen, da würd’ ich sagen, die müssen vielleicht nicht in unbedingt in den Garten rein … Aber ich denke, so ’ne Urne hier in den Garten reinzusetzen, damit hätt’ ich jetzt kein Problem.« (4M) 293 »Ich würde mir zumindest Veränderungen wünschen bezüglich dieser Friedhofspflicht. […] Es gibt völlig unterschiedliche Ansichten über Bestattungsformen und -arten und denen sollte man zumindest ansatzweise, finde ich, entsprechen. Diese Alternativen wie Friedwald oder Seebestattung, das sind für mich so erste Ansätze. Ich selber würde das, wenn ich da was zu sagen hätte, rigoros verändern. Ich würde diese ganzen Friedhofsgeschichten nicht so zementieren. […] Ich würde mehr Alternativen zulassen und den Leuten bestimmte Auflagen geben. Das sehe ich schon ein, dass das nicht einfach im Wildwuchs alles abgehandelt werden kann. Aber ich würde einfach mehr Alternativen zulassen und den Leuten mehr Möglichkeiten geben, ihre persönlichen Ansichten und Vorstellungen zu verwirklichen.« (12M) 294 »Eine kleine Richtschnur sollte es schon geben, aber nicht die Verpflichtung mit Gesetzen; es sollte eine Richtschnur geben, an die man sich hält, also eine grobe Richtung. Machen wir es mal an einem Baum fest: Es gibt den Stamm und dann gibt es verschiedene Verästelungen. Und so würde ich das auch sehen, also es muss eine Linie geben, von der die Äste abgehen, je nachdem, wie man sich entscheiden möchte – je nachdem, welcher Ast für einen jetzt dann gut ist. […] Eine Struktur muss da sein … Es darf kein Wildwuchs sein sozusagen, sondern es sollte ein Stamm sein, aus dem ganz viele Äste gehen. So möchte ich das mal beschreiben.« (8M) 295 »Ja, dass jeder machen kann, was er will, das will ich jetzt gar nicht mal unbedingt befürworten, aber dass man doch einen bestimmten Freiraum hat, mit seiner Trauer und mit den Toten umzugehen.« (15M)
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296 »Juristisch hat’s mich nicht im Ansatz interessiert [lacht]. Selbst wenn die heute noch kämen, ich würde sagen, pfff, ihr habt nicht alle Tassen im Schrank! Dafür würd’ ich auch durchaus ein Gerichtsverfahren mitmachen. […] Das wär’ für mich gar kein Thema. Die sollen mal kommen!« (22M)
(15) »… damit mein Mann auch wieder komplett ist.« – Die Zukunft des Artefakts Nachdem sich der Diamant nun im Besitz unserer Interviewpartner befindet, stellt sich die Frage, was dafür vorgesehen ist, wenn in naher oder ferner Zukunft die Person stirbt, die ihn aufbewahrt. Soll das Juwel im Sinne einer gewissermaßen ›ewigen‹ Zusammenkunft mitbestattet werden? Oder wird eher an eine Erbfolge gedacht – vielleicht sogar dergestalt, dass mit den potenziellen Erben bereits über den Sachverhalt gesprochen wurde? Denkbar ist aber auch, dass solche durchaus komplexen Entscheidungen an die späteren Hinterbliebenen delegiert werden. Da sie es sind, die das Schmuckstück potenziell besitzen werden, sollen demnach auch sie es sein, die über sein Schicksal entscheiden. Dies setzt voraus, dass entsprechende Überlegungen angestellt wurden; vielleicht wurde der Aspekt des eigenen Todes von den Gesprächspartnern aber noch gar nicht durchdacht? Die Auswertung des Interviewmaterials offenbart, dass hier mehr Klarheit als Konfusion herrscht. Der Diamant gilt selten als etwas ›Zwischengelagertes‹, mit dem man nicht recht etwas anzufangen weiß. Die Zukunft des Artefakts wird von den meisten, wenn auch nicht von allen Personen mitreflektiert, und häufig ist die Vererbungsoption bereits von vornherein Teil der Entscheidung (sozusagen in Analogie zum Schmuckkauf beim Juwelier). Angestrebt wird also eine familieninterne Weitergabe – eine Weitergabe nicht allein des Diamanten, sondern auch der damit verbundenen Verantwortung. Wenn man möchte, kann man dies als mobiles Erbbegräbnis verstehen, bei dem überdies der Eigentumsaspekt hervorsticht: Wer etwas ›hat‹, der muss/will/soll/ kann/darf es auch weitergeben. Spätestens hier ist der Diamant dann doch wieder ›Sache‹. 297 »Ehrlich gesagt, habe ich mir da gar keine Gedanken drüber gemacht. Ich hoffe ja mal, ich bin noch ein bisschen hier …« (18K) 298 »Das ist ein neuer Gedanke, da habe ich noch gar nicht dran gedacht. […] Weil ich denke, hoffe, dass ich noch ein paar Jährchen habe. Und mit dem Diamanten,
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damit habe ich mich jetzt fast noch nicht auseinandergesetzt. […] Hätte ich Kinder, wäre das wahrscheinlich klar.« (35K) 299 »Darüber habe ich mir noch überhaupt keine Gedanken gemacht, das ist eine gute Frage, muss ich ehrlicherweise gestehen. Aber wahrscheinlich wird er dann in meiner Urne mit drin liegen, denk’ ich mal. Weil entweder werde ich in dieselbe Stele in dasselbe Fach wie meine Tochter reinkommen, oder einfach darunter. So hoffe ich zumindest.« (7K) 300 »Und ich habe zum Beispiel in meiner Generalvollmacht auch schon drin steh’n, dass dieser Ring mit mir beerdigt werden soll, weil damit mein Mann auch wieder komplett ist. Es ist nichts, was ich vererben möchte, das ist etwas, […] was wieder mit in die Erde soll, und damit mein Mann irgendwann auch wieder als Ganzes da ist. Ist zwar verrückt, natürlich gibt’s das nicht, aber … Ja, es ist etwas, was uns verbindet, und es soll mit mir natürlich auch wieder untergeh’n. Egal was es für’n Wert hat.« (14M) 301 »Ja, habe ich auch schon drüber nachgedacht. Ich will den behalten, ich will mit dem begraben werden. Oder beziehungsweise halt auch eingeäschert … Wir haben nur Söhne, wir haben drei Söhne insgesamt und was wollen die mit dem anfangen? Meine Schwiegertöchter haben auch nicht so viel Beziehung dazu, sag’ ich mal. Ich würde vielleicht meine Schwester noch fragen, aber ich glaube, das mache ich trotzdem nicht. Ich will den mit mir ins Grab nehmen.« (19K) 302 »Ja, der kommt ins Meer. Zusammen mit meiner Asche. […] Das habe ich auch alles in meinen Unterlagen stehen und meine Schwestern sind schon instruiert. […] Da sage ich mir, ich möchte nicht, dass der dann irgendwann mal irgendwo in einer Schublade landet und auf diese Weise verschwindet. Dann möchte ich schon ganz bewusst, dass dieser Diamant ins Meer kommt. Ich denke auch nicht, dass irgendjemand diesen Diamanten meiner Frau tragen möchte. Wenn man Diamanten aufbewahrt, müssen die Hinterbliebenen das auch wollen. Du kannst so etwas niemandem aufzwingen. Im schlimmsten Fall könnte jemand das Ding verscherbeln und zu Geld machen. Den Diamanten vielleicht weniger, da ist eine Lasergravur drin, aber den Goldring eben, der hat fast 50 Gramm.« (47M) 303 »Ich habe ihn mir einige Male angeschaut. Weil er mir einfach gefällt, er ist schön. Das hat aber emotional nicht irgendwie tiefere Gefühle ausgelöst […]. Das war am Anfang sicher anders als jetzt, wo ich nicht weiß, ob ich im August so weit bin, dass ich den in diesen See lasse oder ob ich noch ein Jahr warte […]. Ich stelle
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mir vor, dass ich an diesem See stehe und da gibt es einen Felsen, auf den man sich gut drauf setzten kann … und irgendwo dort werde ich diesen Diamanten versenken. […] Was für mich da wichtig ist: nicht einfach irgendwo verscharren, sondern mit Würde an einem Ort ablegen, den ich als schön empfinde.« (12M) 304 »Diese Frage, die habe ich mir sehr oft gestellt: Was passiert eigentlich dann mit ihm [dem Diamanten]? Das habe ich jetzt auch geregelt; ich habe meinen Bruder gebeten, ihn dann auch wirklich gut aufzubewahren, also auch im Tageslicht, und dann innerhalb der Familie weiterzugeben […]. Ich habe auch noch einen Neffen, das war der Lieblingsneffe meines Mannes, und wenn […] mein Bruder dann nicht mehr da ist, dann soll der ihn bekommen. Und so soll er eigentlich dann auch immer weitergegeben werden.« (32M) 305 »Doch, da hab’ ich mir schon Gedanken drüber gemacht. Also, ich möchte ihn natürlich selber nicht mit ins Grab nehmen, sondern dann gucken, dass ich ihn vermutlich mal an meine Tochter weitergeben werde. Dass er immer in der Familie weitergereicht wird.« (6K) 306 »Mmh, dann kommt mein Diamant dazu und ich hab’ ’nen Sohn und ’ne Tochter, die in alles involviert sind, mit denen ich über alles sprech’ und die auch das alles mit meinem Mann mitgekriegt haben. Und wir werden es so weiterführen von Generation zu Generation.« (26M) 307 »Und irgendwann gibt’s dann mal … zehn, fünfzehn solcher Diamanten und die könnten dann an eine Kette gemacht werden und die kann dann irgendjemand mal umbinden und in der fünften oder siebten Generation kann dann der sagen, hier ist schon mein Ur-Ur-Ur-Großvater dabei.« (33M) 308 »Das war sein Lieblingsenkelkind, die Lea. Die sagt jetzt, der Opa Günter, der schaut uns zu. Da ist jetzt eine geheime Hoffnung, dass die Lea mal auf alle Fälle den Diamanten […] bekommt.« (16K) 309 »Ich könnte mir […] vorstellen, dass jedes Kind einen Ohrring kriegen würde. Dann würde ich sagen, nimm du den linken, ich nehm’ den rechten. […] Weil natürlich schon irgendwie dieses Elternsein, dieses Paarsein natürlich auch ein Stück Liebe von meinem Mann und von mir miteinander kombiniert. Ich glaube, das wäre ganz schön, wenn jeder einen hätte. Was die dann damit machen, keine Ahnung. Vielleicht sehen die den ideellen Wert überhaupt gar nicht.« (18K)
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310 »Der ideelle Wert ist für mich natürlich ein ganz anderer, als er vielleicht für meine Kinder jemals sein wird. Mein Sohn ist elf, meine Tochter ist sechs, die haben ihren Opa auch in den letzten Jahren nicht mehr so erlebt, wie ich ihn jetzt als Kind als meinen Vater erlebt habe. Das heißt, für die wird der Diamant irgendwann vielleicht mal einen materiellen Wert haben, natürlich auch einen ideellen Wert, aber deutlich geringer als für mich jetzt. […] Ich sehe da jetzt auch nichts, was man wirklich machen kann, damit sich die nächste Generation noch erinnert.« (42B) 311 Auf die Frage, ob die Tochter ebenfalls ein Juwel aus der Asche des verstorbe nen Vaters erhalten wollte: »Junge Leute, weiß ich nicht. Ich mein’, sie hat ja die Asche noch steh’n und sie wird sie irgendwann auf diesen Platz bringen, aber das hat sie noch nicht gemacht. […] Und sie wird später, wenn ich mal versterbe, wird sie den Stein dann bekommen von ihrem Papi und meinen dazu. Das war für sie irgendwie genug. […] Und es ist natürlich auch immer noch ’ne Kostenfrage, nicht? Die Sache ist ja auch nicht billig. Dass man dann sagt, gut, also dann noch mal einen Stein und noch mal einen Stein oder zwei oder wie auch immer. Irgendwie ha’m wir gesagt, ›Nee, wir machen dann einen, und dabei bleibt es dann‹. Das sollte nicht durch die ganze Familie dann geh’n. Und ich weiß auch nicht, sie ist ja jetzt mit einem Lebensgefährten lebt sie noch zusammen, ob der das gut gefunden hätten, wenn sie jetzt ’nen Ring getragen hätte aus der Asche meines Mannes.« (48M) 312 »Mit meinem Sohn ist das schon alles abgesprochen, meine Schwiegertochter kümmert sich dann darum, dass ich auch zum Diamanten werde, und dann gehen die Diamanten in den Besitz unserer Kinder über.« (20K) 313 »Und dann hat mein Sohn zu mir gesagt, ›Mama, das kannst du vergessen, du wirst genau das gleiche wie Papa – und Martin kriegt den Papa und ich krieg’ dich‹.« (13K)
(16) »Dasselbe bei mir auch!« – Bestattungswünsche Was mit dem Juwel später geschehen soll, hat teilweise auch damit zu tun, wie man selbst einmal bestattet werden möchte. Naheliegend ist die Frage, ob man sich vorstellen kann, ebenfalls zum Diamanten zu werden. Einige unserer Gesprächspartner sympathisieren durchaus mit diesem Gedanken – für manche von ihnen ist es sogar mehr als nur eine vage Überlegung, sondern bereits schriftlich fixiert.
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In diesem Zusammenhang wäre zu klären, ob der schon existierende Aschediamant insofern als eine Art ›Memento mori‹ fungiert, der an die eigene Endlichkeit gemahnt und signalisiert, dass der Tod zumindest in materieller Hinsicht eben kein Ende und keinen zwingenden Verfallsprozess einleitet – sondern auch der Weg hin zu einer Verwandlung sein kann. Abschließend sollen nun die Perspektiven unserer Gesprächspartner hinsichtlich ihres persönlichen Lebensendes behandelt werden. Wir haben nach Wunschvorstellungen rund um das eigene Ableben gefragt und danach, wie genau und verbindlich diese Wünsche, so sie vorhanden sind, bereits geregelt sind. Mit wem spricht man darüber, mit wem werden solche Anliegen ausgehandelt – oder dominiert hier ebenfalls das Modell der unbedingten Autonomie? Geht es denn überhaupt um die postmortale Realisierung eigener Interessen oder überlässt man die ganze Angelegenheit nicht lieber gleich seinen Angehörigen – weil der Tod nun einmal ein Problem der Lebenden ist? 314 »Und dann habe ich mir gesagt, ich war eigentlich mehr so geeicht auf Erdbestattung ganz klassisch […]. Jetzt durch die Geschichte mit meiner verstorbenen Frau habe ich mich natürlich auch ein bisschen damit auseinandergesetzt. […] Da bin ich auch […] im Austausch mit der Person, die ich da beauftragt habe, und das wird sicher keine klassische Erdbestattung, das weiß ich.« (12M) 315 »Find’ ich sehr schön. Also, ich würde meinen Mann auch in Diamantform pressen lassen. […] Letztendlich entscheidet das ja der Überlebende. Der Überlebende entscheidet ja letztendlich, was er mit einem veranstalten wird. Wir [die Befragte und ihr Mann] haben darüber gesprochen, er möchte lieber verteilt werden, wobei ich das doof finde [lacht]. Er sitzt hier gerade neben mir und lacht.« (3K) 316 »Selber mal Diamant werden? Das könnte ich mir auch vorstellen, ja. Hab’ ich mir noch keine Gedanken drum gemacht.« (6K) 317 »Aber jetzt krieg’ ich dann die Kette und da bin ich gespannt, wie die aussieht. Das ist wie so ’ne Art Lebensbaum, wo der Stein reingearbeitet wird. Und meine Tochter hat mir auch versprochen, wenn ich dann mal tot bin, dann komm’ ich auch in diesen Anhänger mit rein.« (15M) 318 »Und ich hab’ auch jetzt schon meinen Kindern gesagt, ›Wenn irgendwas passiert – dasselbe bei mir auch!‹« (26M)
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319 »Das habe ich mir schon die letzten Tage immer selber überlegt und ich werde das jetzt dann auch schriftlich festlegen und das Geld dazulegen, dass von mir auch mal so ein Diamant angefertigt wird, und dann können die Kinder entscheiden: Wer möchte den vom Papa und wer kriegt den von der Mama.« (9K) 320 »Ja, unbedingt, das ist also fest. […] Das hab’ ich beim Beerdigungsinstitut schon festgelegt und mein Sohn weiß es auch, dass er’s nicht anders machen darf.« (28M) 321 »Ja, weil […] ich mich hier in Deutschland nirgendwo an einen Ort gebunden fühle und ich denke, da möchte ich für die allerletzten Lebens- oder Nicht-mehr-Lebensjahre, da möchte ich nicht hier enden. Und ich finde diesen Gedanken einfach schön, dann nachher eben trotzdem noch bei meiner Tochter zu sein.« (27K) 322 »Also, ich habe meinen Bruder gebeten, […] dass er bitte auch einen Diamanten fertigen lassen soll. […] Das finde ich eigentlich angemessener, als eingebuddelt zu werden. […] Aber sie haben auch […] alle zugestimmt, als ich gesagt habe, ›Ja, wollt ihr das und könnt ihr euch das vorstellen, mich also nicht in die Schublade zu legen, sondern also vielleicht auch neben Mirco?‹ Und dann haben sie gesagt, ›Das ist überhaupt kein Thema, das machen wir sehr, sehr gerne‹.« (32M) 323 »Welche Frau wäre nicht gerne ein Diamant? […] Würde ich das für mich auch … ja, ich könnte da, glaube ich, gut mit leben […]. Ich würde jetzt nicht sagen, ich muss das unbedingt haben und würde das nicht meinen Kindern, würde das nicht irgendwo festhalten wollen … Für mich ist es das jetzt nicht gewesen, ich glaube aber auch, dass es für viele Menschen eine Bürde sein kann, so etwas zu haben. Die das vielleicht im Nachhinein vielleicht nicht ertragen können. Die dann vielleicht wirklich das Gefühl haben, beobachtet zu werden, oder sich eingeengt fühlen dadurch.« (18K) 324 »Also, an der Stelle würde ich es wahrscheinlich meinen Kindern überlassen. Wenn sie für sich einen Diamanten wollen, um eben die Trauer so leben zu können, wie sie das wollen, ja finde ich gut. Ich könnte mir auch vorstellen, es gibt bei uns in der Nähe einen Ruheforst, wo die Asche quasi unter Bäumen beigesetzt wird. Aber dann auch anonym also, dass man letztlich … Ich möchte auch meinen Kindern nie diesen Zwang auferlegen, irgendwo hinzugehen und irgendwo ein Grab pflegen zu müssen. […] Ich denke, für mich ist alles in Ordnung, was meinen Kindern hilft, um am Ende mit dem Verlust umzugehen.« (42B)
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325 »Also, ich würde mir wünschen, dass ich sozusagen mit ihm irgendwann wieder zusammenkomme. Was dann die Kinder damit machen, Verstreuen oder ob sie irgendwas damit machen, is’ ja deren Sache.« (5K) 326 »Ich glaube, dass lass’ ich dann die entscheiden, die das entscheiden müssen. Weil ich hab’ für mich irgendwann herausgefunden, für denjenigen der stirbt, ist Sterben nicht schlimm. Nur für die, die zurückbleiben – und die müssen sich dann überlegen, was sie damit machen.« (7K) 327 »Und mein Mann und ich haben unseren Kindern ganz klar gesagt, eigentlich müssten sie dann entscheiden, wie es für sie stimmt. Was der richtige Weg ist. […] Wir wollen’s den Kindern überlassen. Für uns würde alles stimmen, wenn’s für sie stimmt. Wir haben gemerkt, das gibt dann auch Freiheit – Freiheit, für sich selber zu entscheiden. Also, wenn du das Ganze ja schon tragen musst, dann wenigstens mit einer gewissen Freiheit.« (2K)
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Lucy in the Sky with Diamonds. Einsichten und Aussichten
Thorsten Benkel, Thomas Klie & Matthias Meitzler
»Lucy in the Sky with Diamonds« – der Klassiker der Beatles auf dem Album Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band, 1967 erschienen, wurde von John Lennon komponiert. Je nachdem, welcher Legende man zu glauben geneigt ist, behandelt der Song entweder thematische Versatzstücke aus dem Kosmos von Alice im Wunderland, jener ikonischen Fabel der britischen Literatur, – oder er steht, dies ist die hintergründigere Lesart, für einen Drogentrip (der Titel ergibt das Akronym ›LSD‹). Als Kompromiss bietet es sich an, die Gemeinsamkeit beider Bereiche zu unterstreichen: Ob nun im Wunderland oder im Drogenrausch – die Dinge des Alltags erscheinen beide Male nicht so, wie sie sind. Und so oder so, der Titel ist metaphorisch gemeint. Mit dem »Diamond« wird auf funkelnden Glanz verwiesen – auf eine stabile Größe, der äußere Einflüsse seit jeher wenig anhaben können, und dessen ästhetische Wirkung wundersam-rauschhaft aus der Alltäglichkeit hervorsticht. Kulturell und eben nicht naturwissenschaftlich betrachtet, sind es genau diese Eigenschaften, die Diamanten auszeichnen: ästhetischer Zauber und materielle Beständigkeit. Scheint, funkelt, wirkt der Diamant aber unabhängig von den Menschen, die ihn besitzen? Von jenen, die ihn zu besitzen wünschen? Und von jenen, die – am Ende dieses Buches kann diese Gruppe nicht unerwähnt bleiben – der Diamant vielleicht sogar sind? Offensichtlich ist der Diamant erst dann von Wert, wenn es Menschen gibt, die ihm Werte zusprechen. Als Aschejuwel kann er der artifizielle Träger symbolischer Energie ebenso sehr sein wie die neue Verkörperung eines geliebten Menschen. Und gleichzeitig kann er, wie einige andere Hinterbliebene äußern, auch schlichtweg ›nur‹ ein Edelstein sein. Recht haben alle. Kann man überhaupt noch Unrecht haben, wenn man den eigenen Vater, die Mutter, den Ehepartner oder sogar das Kind gebrochen durch eine diamantene Form erinnert – wenn also Erinnern materiell geworden ist, über die
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üblichen Trauermaterialien (wie Foto, Kleidung, Gebrauchs- bzw. Alltagsgegenstände usw.) hinaus? Bemerkenswert ist jedenfalls, wie stark hier Anorganisches als lebendig gedacht wird. Es gab eine Zeit, da wurde von Toten ein Haarbüschel aufbewahrt – ein irgendwie noch ›organisches‹ Souvenir, das mit der Zeit verfiel, den Trauernden aber ein Stück Intimität in die Hand legte. Heute ist die Totenlocke eher eine Rarität. Auf die Idee, eine Leiche zu rasieren und die Stoppeln aufzubewahren, käme kaum jemand. Körpernähe im Todeskontext wirkt fetischistisch, grenzüberschreitend, allemal begründungsbedürftig. Die klinisch saubere Leiche braucht keine postmortale Berührung mehr. Der nackte, tote Körper – kann man sich ein stärkeres Tabu vorstellen? Der Aschediamant ist das genaue Gegenstück zum Leichnam. Ihm ist eine unsichtbare Botschaft eingefräst: ›Du weißt, ich bin ein menschlicher Körper(teil), aber du siehst, ich bin kein Körper. Ich bin ein anderer geworden.‹ Der Schmuckstein ist in doppelter Weise ein Produkt, nicht allein das technisch gefertigte Ergebnis eines Pressvorgangs. Pressen sind in diesem Fall Großmaschinen, beim Pressen könnte man aber ebenso die Assoziation zur Schwangerschaft herstellen, wenn der Kontext unklar ist. Beides gehört durchaus zusammen: Das technische Gerät ›gebiert‹ den Diamanten, der sukzessive als eine parasoziale Reinkarnation des verloren geglaubten Menschen angesehen wird. Was in der Schweizer Fabrikhalle geschieht, ist, um in der Metapher zu bleiben, eine synthetische Schwangerschaft, die aber weniger als neun Monate dauert. In diesem komplizierten Vorgang wird zugleich ein Produkt sozialen Zuschreibungshandelns erzeugt. Man muss daran festhalten wollen, dann kann der Diamant nahezu alles sein, was die Hinterbliebenen in ihm zu entdecken glauben: Objekt, Subjekt, Projekt. Im Aschediamanten kann man, ja soll man geradezu mehr sehen, als man sieht, wenn man ihn vor sich hat. In dem Forschungsvorhaben, das diesem Buch zugrunde liegt, standen nicht die epistemologischen und erst recht nicht die technologischen Elemente im Vordergrund, die die Transformation von der Asche in ein Juwel hervorbringen. Wichtiger war für uns die konkrete Einbindung des Artefakts in die Alltagspraxis der Trauernden. Menschen, die in ihrer sozialen Welt an den permanenten, kaum je reflektierten Kontakt mit Dingen gewohnt sind, gehen mit diesem ›Ding‹, das ganz offensichtlich keines ist, in einer Art um, die nur oberflächlich an die Handhabung anderer Artefakte erinnert. Die Besitzer von Aschediamanten verhalten sich, als trügen sie das sprichwörtliche ›rohe Ei‹ mit sich herum oder als gelte es, einen Schatz zu behüten, der wichtiger als die Gesamtheit aller anderen materiellen Güter ist. Die Eigenwilligkeiten im Umgang mit
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den Diamanten sind mitteilbar, während die innere Einstellung zu diesem Erinnerungsartefakt sich nicht von selbst offenbart. Erst durch die konkreten Verwendungsweisen wird der Edelstein zu einem un-heimlichen Mehr-alsEdelstein. Und erst dadurch, dass das Wissen der Diamantbesitzenden sich in beschreibbaren Handlungen niederschlägt, tritt die Ambivalenz des Steins zum Vorschein.1 Ferner interessierte uns, was dieser Gegenstand mit der Trauer macht bzw. was die Trauer aus diesem Gegenstand macht. Das Vorhandensein des Diamanten veränderte für einen Großteil unserer Gesprächspartner die Trauerprozesse und -handlungsweisen. Mitunter initiiert er gar eigensinnige psychosoziale Prozesse, die ohne ihn nicht oder jedenfalls nicht in dieser Form abgelaufen wären. Der Aschediamant ist eben keine ›Sache‹, sondern er wird fast durchgehend personalisiert (was allerdings eher einer Anthropomorphisierung gleicht). Die Angehörigen verleihen dem glitzernden Erinnerungsstück einen quasi-sozialen Rang, den Sachen gemeinhin nicht haben. Diese Zuschreibung erfolgt auf der Bewusstseinsebene, insofern also unter Einbeziehung der Psychologie der Diamantbesitzer; Aushandlungen mit Mitmenschen – also: die soziale Ebene – schließen sich daran erst an und gehen solchen Bedeutungszuschreibungen für gewöhnlich nicht voraus. Dieser psychosozialen Komponente zum Trotz entwickelt der Diamant eine ihm zugeschriebene ›Eigendynamik‹, die ihn von der Haltung seiner Besitzer unabhängig macht. Materiell gesehen, kann er für sich selbst stehen. Es lassen sich also objektbiografische Perspektiven einnehmen, aus deren Sicht der Edelstein aufgrund seiner Präsenz und der Bedeutung, die ihm auferlegt wird, auf eben die Menschen, die ihn verklären, zurückwirkt. Das Umfeld, das sich seiner bemächtigt, verfügt also über eine ambivalente Machtposition. Der Diamant liegt in den Händen der Angehörigen; aus dieser Position der Nähe heraus strahlt seine soziale Energie am stärksten. Die weiter oben abgedruckten Zitate unserer Interviewpartner zeigen auch von der Forscherseite her in dieser Intensität unerwartet deutlich, welche Aneignungsvorgänge, welche Beherrschungsimplikationen, welcher Spannungsrahmen von Nähe und Distanz tatsächlich dort vorliegen, wo eine Diamantenschatulle steht. In den Antworten unserer Gesprächspartner scheint eine Semantik 1 Gut zur Illustration geeignet ist die Umkehrung dieser Behauptung. Wie man uns aus den Reihen der Mitarbeiter in der Diamantherstellung berichtete, wurde im westdeutschen Raum vor einiger Zeit ein Aschediamant im Zuge eines Einbruchdiebstahls entwendet. Der Dieb erkannte den ökonomischen Wert der geschliffenen Preziose, verkannte jedoch die zentrale Besonderheit, die Ascheprovenienz. Ein aufmerksamer Mitarbeiter der Polizei hingegen hatte von der typischen Färbung des Schweizer Artefakts gehört. So kam das Schmuckstück dorthin zurück, wo – aus Diebessicht – die ›Umwertung der Werte‹ dominierte.
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der Heimkehr durch. Während man Heimkehr früher traditionell verstand als das Aufgehen im Himmel bei Gott (vielleicht passt auch dazu das »… in the Sky with Diamonds«?), meint Heimkehr im vorliegenden Zusammenhang die buchstäbliche Verfrachtung in die private Umgebung. Der Unterschied zum klassischen Todesbild ist offenkundig: Der Himmel stand als Stätte transmortalen Weiterlebens fest, wodurch der Tod zum Phänomen der Ferne gemacht wurde. In die privaten Wohnräume gebracht, wird der Tote schon durch die Nähe zu den Lebenden und durch ihre Zuschreibungen wiederbelebt.2 Das Eigenheim wird zur Privatkathedrale, und die individuelle Raumgestaltung erfährt durch die Platzierung der Schatulle eine fast sakrale Anmutung.
Eine Erkenntnis aus empirischen Forschungsarbeiten an der Universität Passau (Benkel/ Meitzler): Die Einstellung der Bevölkerung zur Mobilität von Kremationsasche, wie etwa glanzvolle Erinnerungskörper in Diamant- oder Rubinform, ist uneindeutig. In dieser ausgewogenen Antwortskala gibt es keine klare Mehrheit, was für die künftige Entwicklungsfähigkeit des Diskurses spricht.
Nur eine langfristige Studie könnte die Frage beantworten, ob das parasoziale Verhalten, das viele gegenüber diesem Juwel mit dem gewissen postmortalen Etwas zeigen, überhaupt beständig ist. Denkbar ist zumindest, dass sich das Verhältnis von Mensch und Erinnerungsartefakt im Laufe der Zeit verändert 2 Neben vielem anderen ist der Kontrast zur Aufbahrung auffällig: In dieser rituellen Tradition wird die Leiche als solche, also weitgehend unverändert sichtbar, ja berührbar gemacht; gerade dies aber ist der Moment des endgültigen Abschieds. Der Aschediamant wiederum hat mit dem Leichenzustand nichts zu tun und ist daher potenziell auf ewig im privaten Wohnraum berührbar.
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und neuen Umgangsweisen Platz macht. Vielleicht wird der Diamant nach einer gewissen Frist weniger intensiv als ›Quasi-Mensch‹ betrachtet. Doch es könnte auch sein, dass diese Empfindung mit den Jahren sogar noch zunimmt. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass Diamanten eine mentale ›Formsache‹ sind – ganz gleich, wie man sich zu ihnen positioniert. Gemeint ist, dass es keine technische Möglichkeit gibt, zu ermitteln, von welchem konkreten Körper das Rohmaterial stammt. Während Knochenüberreste bisweilen auch nach Jahrhunderten mittels DNA-Analyse zugewiesen werden können, bewahrt der Aschediamant sein Geheimnis für sich. Die ohnehin schon sehr diskrete Herstellungsprozedur findet im Endprodukt seine Entsprechung. Es ist das Wissen, dass dieser Diamant ist, für was man ihn hält. Nicht Stoffanalyse, sondern ein Versprechen und eine Projektionsleistung zementieren seinen Rang. Die ironische Komponente des unzerstörten Artefakts ist seine labile ›Ob jektivität‹. Morphologisch erinnert nichts vom Diamanten an die verstorbene Person, sieht man einmal von den Besonderheiten der Farbgebung ab, die von manchen Hinterbliebenen als Visitenkarte ›ihres‹ Verstorbenen gedeutet werden. Während jeder Juwelier mühelos auf den ›objektiven‹ Wert seiner Kollektionen verweisen kann, sind die hinterbliebenen Besitzer – oder sind es Sozialpartner? – der Diamanten mit ihnen ›subjektivistisch‹ verbunden. Ein subjektiv empfundenes und erlebtes Miteinander macht den Kern auch jener Artefakt- Beziehung aus, die sich, mit einer mehrmonatigen Pause für die Erzeugung, an die zwischenmenschliche Beziehung anschließt. Zu bedenken ist überdies, dass das Edelsteinunikat nicht reproduzierbar ist. Zwar lassen sich aus einer geschlossenen Menge Kremationsasche mitunter mehrere Diamanten herstellen; einige unserer Gesprächspartner haben auf diese Weise den engsten Familienkreis ›versorgt‹. Ein einmal fertiggestellter Diamant widersetzt sich aber dem Kopiervorgang, da sein Ursprungsmaterial unwiederbringlich verloren ist. Es ist buchstäblich ›aufgehoben‹, d. h. negiert und zugleich im Juwel bewahrt.3 Dies gilt selbstverständlich auch für alle anderen Erzeugnisse, die aus Aschepartikeln hergestellt werden: Skulpturen, Gemälde und sogar skurrile Artefakte wie Patronenmunition oder Tätowiertinte können mittlerweile ebenfalls mit der kulturell ›unberührten‹ Substanz Kremationsasche angereichert werden. Auch diese Gebilde sind nicht reproduktionsfähig, wie es auch der Körper nicht ist. Es handelt sich also um Gedenkobjekte, die im Zeitalter universeller Reproduzierbarkeit nur einmalig hergestellt werden
3 Sofern die Restasche keine andere Behandlung erfährt, z. B. im Zuge einer traditionellen Bestattung, wie es bei einigen wenigen unserer Interviewpartner der Fall war.
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können – oder zumindest nur so lange, als die knappe Ursprungsressource zur Verfügung steht. Die spezifische Wertleistung des Aschediamanten ergibt sich angesichts der gleich mehrfachen Form der Eigenwilligkeit schon gar nicht daraus, dass man um dieses Objekt von anderen Menschen beneidet wird. Die Begierde anderer nach einem wertvollen Gegenstand ist in diesem Zusammenhang kein sinnvolles, jedenfalls kein den eigentlichen Sinn treffendes Konzept (vgl. Kohl 2003: 127 ff.). Erkenntnisreich für den sepulkralkulturellen Kontext sind unterm Strich die parasozialen Bezugnahmen Hinterbliebener zu ›ihren‹ Diamanten, aber auch die aus den Möglichkeiten dieses Verhältnisses erwachsenden Einstellungen gegenüber der Begräbnistradition. Im Einklang mit soziologischen Einsichten zur Delokalisierung der Trauer (Benkel/Meitzler 2013: 287 ff.; Benkel 2018d) scheinen viele Untersuchungspersonen durch die Handhabung des Diamanten auf feste Trauerorte verzichten zu können. Das mobile Juwel ist schließlich der materielle Beweis dafür, dass Trauer mittlerweile nicht nur im Kopf und im Herzen, sondern auch mithilfe anfassbarer Dinglichkeit jede geografische Eingrenzung zu überwinden vermag (Benkel/Meitzler/Preuß 2019: 19–74). Symptom dafür ist die eben nicht in jedem Fall in Anspruch genommene Beisetzung (oder auch nur Herausgabe) der Restasche, also des Anteils, der für die Kohlenstoffextraktion nicht verwendet wurde. Manche Menschen bestatten diese Reste ganz traditionell, ohne die zuständigen Friedhofsverwalter, den Pfarrer oder sonst wen darü ber zu informieren. Andere hingegen können mit großer Leichtigkeit auf diesen Rest verzichten, da sie den Diamanten als einzige Erinnerungsmaterialität akzeptieren und nur ihn als ›sozialen Gegenstand‹ betrachten wollen. Welche Zukunftsaussichten dem Aschediamanten und seinen diversen Pendants bevorstehen, lässt sich kaum prognostizieren. Der Grund dafür liegt nicht im Material selbst: Diamanten werden wohl auch auf lange Sicht ihren ökonomischen und den damit verbundenen symbolischen Wert nicht einbüßen. Prophezeiungen über den künftigen Erfolg oder Misserfolg werden vielmehr dadurch behindert, dass die Bestattungskultur seit einigen Jahren besonders stark in Bewegung geraten ist und der jeweilige Status quo – wie in vielen anderen Gesellschaftsfeldern auch – nur mehr geringe Halbwertszeit genießt. Teilweise dank juristischer Entscheidungen, teilweise aber auch aufgrund von Einstellungsänderungen in der Bevölkerung, die erst verspätet einen Widerhall in der Rechtsprechung finden,4 teilweise dank entsprechender Steuerungen, die 4
Bourdieu (1993: 116) versteht diese Verzögerung – die er ›Hysteresis‹-Effekt nennt – als eine strukturelle Komponente: Das Milieu, zu dem die Regelung real passt, entspricht nicht dem Milieu, zu dem sie objektiv passt.
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auf ökonomischen Druck hin erfolgen, und teilweise infolge politischer Aushandlungen verändern die sepulkrale Sphäre und angrenzende Gebiete permanent ihre Konturen. Neue Komponenten sprießen aus dem Boden, alte Bausteine werden überflüssig, und die Grenzen zwischen dem bloß Geforderten und dem faktisch Verwirklichten lassen sich nicht mehr trennscharf ziehen. Spielregeln sind mitunter schon längst hintergangen und dekonstruiert worden, während ihre Aufhebung erst zaghaft gefordert wird; Praktiken haben sich bereits eta bliert, bevor sie überhaupt als Ergänzungsbestandteile des legitimen Aktivitätenkanons angedacht werden. Dass die Zeichen der Zeit in Richtung Autonomie weisen, muss man kaum mehr betonen. Der Aschediamant ist, je nach Rechtszuständigkeit, ein Gegenstand autonomer Verfügungskraft bzw. ein Objekt in der Grauzone. Die wahrscheinlichste Aussicht, der er entgegensieht, dürfte die Zuspitzung der Diskussionen sein, die ihn vollständig und überall für die eine oder für die andere Seite reklamieren. Es ist denkbar, dass irgendwann alternative, womöglich symbolisch noch repräsentativere, noch intensiver das Leben widerspiegelnde Artefakte ihn wieder verdrängen und sein glänzendes Wirken zu einer historischen Fußnote machen. Die Idee des materiellen ›Erinnerungskörpers‹ hat es schon in so vielen Varianten gegeben (am bekanntesten wohl in der Form der Reliquie), dass es fahrlässig wäre, den Diamanten in dieser Entwicklungslinie als das allerletzte Signum zu begreifen. Man wird auch künftig noch kreative Gedenkobjekte entwickeln, und die Asche wird dabei gewiss ebenfalls eine Rolle spielen; vielleicht, wer weiß, sogar irgendwann ein unkremierter Körperteil; auch dies wäre keine wirkliche Neuigkeit. Es dürfte wahrscheinlicher sein, dass sich Trauer und Erinnerung – so deutlich sie emotionale Zustände und innerpsychische Vorgänge beschreiben – auch in Zukunft an Materialität festmachen werden. Die Ära, in der man meinen konnte, dass Gegenständlichkeit sich auflöst – nicht ›tatsächlich‹ natürlich, sondern in ihrer Bedeutung – war das frühe 20. Jahrhundert, als Röntgenstrahlen, Fotoablichtungen, künstliche Beleuchtungsquellen usw. gesellschaftlich neue Akzente setzten (Asendorf 1989). Die Materie hat ihre Infragestellung überlebt. Apropos Überleben: Materialität sichert in ihrer Unabhängigkeit vom menschlichen Tun ihr eigenes Weiterexistieren. Wo sich dies mit dem Lebensende verbindet, besteht etwas Bleibendes. Und in der Tat, der ›Stoff‹, der mit ihr assoziiert ist, spielt nach dem Tod einer geliebten Person eben doch eine ganz andere Rolle als der Bewusstseinsinhalt, der sich auf sie bezieht. Das Materielle ergänzt das Subjektive der Gedanken und Empfindungen um eine unumstößlich ›objektive‹ Komponente, um ein faktisch geltendes Da-Sein also, welches an das vorangegangene Da-Sein der Verstorbenen gemahnt.
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Die materielle Komponente ist entscheidend. Letztlich wird im Zuge der technischen Diamantherstellung, verkürzt gesprochen, aus den körperlichen Überresten ein Artefakt. Im Zugriff der Hinterbliebenen wiederum verwandelt sich dank einer innigen Bedeutungszuschreibung das Artefakt zurück zum Menschen. Bei beiden Transformationsschritten kann der materiell notwendige Umweg über die Leiche nahezu ausgeblendet werden. Der Weg vom Leib zum Stein braucht nicht den erschreckenden Anblick des toten, des sich auflösenden Körpers. Wäre der Aschediamant ein ›Leichenjuwel‹, welches direkt aus dem Stoff des »nur noch-vorhandene[n] Unlebendige[n]« (Heidegger 1993: 238) gewonnen würde, wäre es um seine Anschlussfähigkeit und Anerkennung im Alltagsleben der Hinterbliebenen schlecht bestellt. Tatsächlich aber verschwindet die Leiche in einer ›Blackbox‹, die anders gestaltet ist als der traditionelle Sarg oder die Urne. Krematorium und Diamantpresse sind gnädig genug, keine visuellen Eindrücke zu vermitteln. Die Verdrängung leistet gute Arbeit. Am Ende jedenfalls, das für die Nutzer des Edelsteins ganz und gar nicht das Ende, sondern ein Anfang ist, hat der mobile, dem Körper anhängbare Diamant das immobile Friedhofsgrab abgelöst. Es braucht keine Speicherstätte mehr, die den toten Körper unsichtbar macht, weil der wertvolle Mensch zu einem wertvollen Gegenstand verzaubert wurde. Der Diamant verkörpert eine letzte soziale Gabe.
Anhang »Das ist wahre Liebe.« Der Umgang mit dem Aschediamanten – aus Sicht eines Hinterbliebenen
Den wohl besten Einblick in die privaten Umgangsweisen mit Aschediamanten und vergleichbaren Edelsteinen bieten die Auskünfte, die die Betroffenen erteilen, wenn sie von sich selbst berichten. Aus der Fülle des Interviewmaterials, das während des Forschungsprojektes entwickelt wurde, soll nachfolgend ein beispielhaftes Gespräch verdeutlichen, welche Dynamiken sich ergeben können, wenn über ein intimes Thema wie den Tod und das symbolische Fortleben eines geliebten Menschen gesprochen wird. Die Unterhaltung wurde von zwei Personen in unterschiedlichen Positionen geführt: An dem einen Ende der Leitung ein sozialwissenschaftlich geschulter Interviewer, der sich der Thematik vorrangig aus selbst gewähltem Erkenntnisinteresse annimmt. Auf der anderen Seite ein Mensch, den ein Schicksalsschlag, aber auch eine persönliche Entscheidung in jene Rolle bugsiert haben, die er nun ausfüllt und über die zu sprechen er bereit ist. Der Auftraggeber des Diamanten ist stets ein Hinterbliebener; die forschende Person, die ihn befragt, befindet sich in diesem Moment vermutlich nicht in akuter Trauer. Man darf also von einer asynchronen Konstellation ausgehen. Dennoch entsteht in dieser Gesprächssituation eine Allianz zwischen den Kommunikationspartnern, die das triviale Schema von Frage und Antwort zugunsten einer tatsächlichen Unterhaltung aufbricht. Daran wirken beide Seiten produktiv mit. Der Angehörige, der über seine Trauer, seine Gedanken, Erlebnisse, Meinungen und über sein Verhältnis zum Juwel spricht, darf als der aktivere Part verstanden werden – denn ohne seine zuvor erteilte Bereitschaft, mit dem Sozialforscher zu sprechen, wären weder das Interview noch die Verschriftlichung zustande gekommen. Herr W. wurde 1957 geboren, lebt in Süddeutschland und ist selbstständig tätig. Er war Anhänger einer Freikirche, bezeichnet sich aber mittlerweile als Agnostiker. Die Person, die er betrauert, ist seine Ehefrau, die 2016 im Alter von 59 Jahren verstarb. Das Gespräch fand telefonisch am 26. April 2019 statt und dauerte 137 Minuten.
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Interviewer (I): Schön, dass Sie sich Zeit genommen haben. Haben Sie denn, bevor wir loslegen, noch Fragen zu dem Projekt oder zu dem Interview, oder ist soweit alles klar? Herr W. (W): Sie machen, wenn ich es jetzt richtig verstanden habe, eine Studie über neuere, über moderne Beerdigungs- und Bestattungsmethoden, und im Besonderen eben zu den Erinnerungsdiamanten, so habe ich es verstanden. I: Das haben Sie ganz richtig verstanden. Es geht im Wesentlichen um das Thema Trauer und Bestattung in der modernen Gesellschaft, das heißt, wir wollen erfahren, was Trauer heutzutage eigentlich bedeutet, was Menschen genau tun, wenn sie trauern, was ihnen wichtig ist, was vielleicht nicht mehr so wichtig ist und inwiefern sich möglicherweise auch entsprechende Mentalitäten im Laufe der Zeit geändert haben. Das sind unsere forschungsleitenden Fragestelllungen und ganz speziell geht es uns um das, was wir Erinnerungsartefakte nennen … W: Artefakte, richtig … I: Artefakte, die eine Rolle spielen, wenn Menschen sich an Verstorbene erinnern, wenn sie um sie trauern. Letzten Endes soll es ein lockeres Gespräch sein, das heißt, es hängt völlig von Ihnen ab, wie lange es geht und über was wir genau sprechen. W: Ja, also ich möchte gleich von vornherein sagen, ich habe Zeit. Sie dürfen mir alle Fragen stellen, die Sie bewegen und die Sie beantwortet haben möchten. Der offene Umgang mit dem Tod meiner Frau und dem Weinen natürlich auch, das hängt alles zusammen … Und ich habe gemerkt, ziemlich schnell am Anfang, dass mir das sehr, sehr hilft, wenn ich offen, ganz offen darüber spreche, mit meinen Mitmenschen, meinen Freunden und Bekannten und auch meiner Verwandtschaft … Sie können ganz offen mit mir kommunizieren. I: Wunderbar. Dann würde ich Sie jetzt einfach mal ganz offen fragen – Sie wissen ja, es geht in unserer Studie um das Thema Trauer … Würden Sie einfach mal so ein bisschen erzählen: Inwiefern sind Sie in Ihrem Leben bislang mit diesem Thema in Berührung gekommen? W: In frühen Jahren schon. Meine erste Begegnung mit dem Tod und mit der Trauer war eigentlich, lassen Sie mich kurz überlegen, da war ich, schätze ich mal, zehn oder elf Jahre alt. Da verstarb mein damaliger bester Freund beim Spielen. Der hat sich da irgendwie erhängt, Indianer gespielt und was weiß ich, so wurde es mir erzählt. Das war damals die erste Begegnung mit dem Tod, auch das erste Mal, dass ich eine Leiche sah. Dieses Erlebnis war sehr erschreckend, denn man hat nicht viel geschönt. Man konnte ihn anschauen und man hat mich gefragt, ob ich ihn noch mal ansehen möchte, da habe ich gesagt, okay, kein Problem, aber das war natürlich schon schlimm für mich … Er hatte die Augen offen, den Kopf Richtung Tür gewandt … und es lag eine Plastikfolie über’m
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Sarg drüber … Das war sehr erschreckend damals. Das hat mich sehr, sehr beschäftigt. Ich konnte nachts gar nicht in meinem Zimmer schlafen. Obwohl ich ja schon, glaube ich, fast elf war, ist mir das sehr nahegegangen und auch nachgegangen. Und so ging es dann weiter, es gab immer wieder Todesfälle in der Familie, in der Bekanntschaft, wo ich mir dann auch immer ganz bewusst die Verstorbenen angeschaut habe, wenn es irgendwie möglich war. Aber die schlimmste Trauer war natürlich für mich, als meine Frau starb. Das war ganz schlimm, wir waren ja 36 Jahre zusammen, davon 35 Jahre verheiratet und von uns sagte man, uns gibt es nur im Doppelpack. Das war das Schlimmste, danach gab es natürlich auch wieder Todesfälle und ganz aktuell vor einem Jahr ist mein Neffe mit seinen 40 Jahren als Bergsteiger abgestürzt in den Bergen … I: Darf ich fragen, wie alt Ihre Frau geworden ist? W: 59. I: Und verraten Sie mir, wann das passiert ist mit Ihrer Frau? W: Man kann sagen, zweieinhalb Jahre ist es jetzt her. Der Tod kam schlussendlich plötzlich. Sie war schwer krebskrank. Man hatte das ein gutes Jahr zuvor festgestellt. Es war ein sehr schwieriges Jahr, trotz allem voller Hoffnung. Und auch voller Hoffnung bis kurz vor ihrem Tod, als man gesagt hat, man kann die Behandlung nicht mehr weiter fortführen. Da wurde sie zurücküberwiesen in unser hiesiges Krankenhaus. Selbst da war noch die Hoffnung da, bis sogar wenige Tage vor ihrem Tod. Und dann ging alles so schnell. Das Schlimme war für mich, das bewegt mich natürlich auch sehr, dieses Leiden meiner Frau miterlebt zu haben. Das ist wirklich noch viel schlimmer, als jetzt den Verlust ertragen zu müssen, obwohl der ja schon schlimm genug ist … Aber da kommen dann wirklich immer diese Gefühle, eigentlich Mitleidsgefühle, auf. Und man fühlt posthum noch mit ihr. Ganz schlimm war für mich, dass sie am Tag von ihrem Tod gesagt hat, »Lassen Sie mich sterben« … I: Mhm. W: Das war dann natürlich für die Ärzte wie eine Patientenverfügung. Es war klar, sie hat selbst bestimmt, dass man keine Maßnahmen mehr ergreift, und das hieß schlussendlich: Morphinzugabe, sonst gar nichts mehr. I: Wenn Sie jetzt auf die letzten zweieinhalb Jahre zurückschauen, können Sie sagen, wie Sie mit diesem Verlust konkret umgegangen sind? Gab es etwas, von dem Sie im Nachhinein sagen würden, das hat geholfen? Sie erwähnten am Anfang des Gespräches schon, dass Sie damit sehr offen umgegangen sind, dass Sie mit Menschen gesprochen haben … W: Richtig, genau. Wir haben keine Kinder, vorab gesagt. Ich habe eine große Familie, sechs Geschwister, die haben mir sehr geholfen. Meine Schwester war dann ein paar Tage bei mir, um mich nicht alleine zu lassen. Aber was mir geholfen
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hat: Meine Frau verstarb morgens zehn vor fünf, ich weiß es noch genau. Ein bis zwei Stunden später sind wir dann nach Hause gegangen … ich konnte einfach nicht mehr. Und dann bin ich alleine in die Wohnung gegangen, habe mich in unser Ehebett reingelegt, zwei, drei Stunden. Das war wahrscheinlich schon ein entscheidender Moment, der mir auch weitergeholfen hat. I: Und in der Folgezeit? W: Natürlich war es immer wieder schlimm, dieses leere Bett zu sehen. Ich hatte lange Zeit immer noch ihre Bettwäsche zugedeckt, bis ich irgendwann einmal, ich glaube das war vielleicht vor einem Jahr, für mich selber bestimmt habe, jetzt räume ich das weg. Aber ich habe eine gewisse Zeit gebraucht. Was auch immer noch da ist bei mir, das sind ihre ganzen Kleider, ihre Schuhe, die ich natürlich weggeräumt habe. – Um noch mal auf den Anfang zu kommen, mir war dann natürlich klar, das sagte meine Frau auch, sie möchte nicht aufgebahrt werden. Das wäre schwierig gewesen mit dieser Krankheit; das wollte sie nicht, sie wollte auch keine konventionelle Beerdigung haben. Sie wollte eigentlich im griechischen Meer verstreut werden. Ihre Asche wollte sie dort verstreut haben. Das war für mich eine ganz klare Ansage, das auch zu machen und das hat mir ganz viel Kraft gegeben, weil ich wusste, ich werde ihren Wunsch erfüllen und werde eine ganz andere, ja, Trauerfeier habe ich es ja nicht genannt, veranstalten bei unserem Lieblingsgriechen … Da habe ich dann nur die engsten Freunde eingeladen und all das hat mir sehr viel geholfen. Und eine Sängerin und Schauspielerin aus X-Stadt, eigentlich eine Freundin von mir, die zwei griechische Musiker mitgebracht hat. Die haben dann auf dieser Trauerfeier gesungen, ich habe auch noch einen tollen Trauerredner gehabt, der hat das wunderbar gemacht, sodass ich mich mit ihm angefreundet habe. Jeder dachte, wir wären befreundet miteinander. Ich habe auch angeordnet, dass keiner in Schwarz kommt. Das wurde auch eingehalten und es war eine sehr bewegende Trauerfeier. Nachdem die Trauerfeier mit der begleitenden Musik zu Ende war, hat jeder, der es wollte, einen Ouzo bekommen. I: Mhm. W: Und während dieser Trauerfeier stand natürlich auch die Urne, also meine Frau, die Asche, die stand am Tisch, das wurde alles schön geschmückt, wir haben da extra einen Tisch hingestellt, und es war ein sehr würdevoller, genau passender Abschied. Und der Bestatter, das war ein Glück, dass ich so einen Bestatter gefunden habe. Er hat das mitgemacht, er hat die Asche nach zwei Stunden wieder mitgenommen. Wir haben dann alle miteinander gefeiert, wir waren auch fröhlich, wir haben gegessen, getrunken … Und dann kam das schwierige Pro blem mit der Asche. Wir hatten ja ursprünglich eine Seebestattung ausgemacht miteinander. Bei dieser Trauerfeier hatte ich dann aber doch den Wunsch, mit
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dem Bestatter zu sprechen. Er hat mir dann die Möglichkeit eines Erinnerungsdiamanten angeboten. Und dann habe ich zu ihm gesagt, »Pass auf, mach’ mir so einen Diamanten!«. Und somit haben wir dann die Asche geteilt. I: In der Schweiz? W: Ja. In der Schweiz kannst du ja deine Asche, also die Asche des Verstorbenen, mitnehmen und nahezu überall vergraben oder verstreuen, so, wie du das willst. Das ist so ein Thema, was mich schon sehr bewegt: Wenn das der Wunsch des Verstorbenen ist, warum ist es in Deutschland nicht möglich? I: Und wieso eigentlich der Bezug zu Griechenland? W: Wir haben ja ein Haus da unten, seit vielen Jahren, ich glaube seit 1996, und meine Frau wollte eigentlich immer nach Griechenland. Sonst sind wir immer mit dem Auto gefahren. Wir waren sogar, kurz bevor sie gestorben ist, noch mal in Griechenland. Und nun habe ich entschieden: Weihnachten fliegen wir hin! Im Prinzip sind wir gemeinsam geflogen, meine Frau natürlich in anderer Form, als ich es mir vorgestellt habe … Das klingt ein bisschen sarkastisch, Entschuldigung. Es ist so: Der Diamant war in der Schweiz am Wachsen, das dauert ja eine gewisse Zeit, und den anderen Teil der Asche habe ich nach Griechenland mitgenommen. Denn das war ihr Wunsch. Ich habe die Asche mit den engsten Freunden, die waren dabei, ins Meer gestreut. I: Wie war das für Sie? W: Das war für mich etwas Wunderschönes. Ich habe das natürlich so gemacht, dass ich die Asche mit meinen eigenen Händen gestreut habe, also nicht nur diese Urne ausgeleert habe, sondern mit meinen eigenen Händen, das musste ich einfach spüren, diese Asche … wie ich sie ins Meer gestreut habe. Und natürlich habe ich am Anfang geheult ohne Ende … Aber ich bereue es nicht, habe es noch nie bereut, dass ich diesen Weg gegangen bin. I: Gab es da eine ganz besondere Stelle, wo Sie die Asche verstreuen wollten? W: Ja. Es war eigentlich der Wunsch meiner Frau, mein Wunsch ist es übrigens auch noch, wenn ich einmal versterben werde, in der Nähe unseres Hauses verstreut zu werden. Im offenen Meer. Ich hatte also vor, dann mit der Asche meiner Frau im Boot mit meinen Freunden hinauszufahren, um die Asche ins Meer zu streuen. Man muss natürlich eines sagen, das ist im Prinzip illegal … Normalerweise bei so einer Seebestattung fährt ein Schiff raus mit mehreren Urnen in ein bestimmtes Gebiet. Dort werden die Urnen versenkt, und dann kriegst du vielleicht noch eine Karte, wenn du nicht selber dabei bist, eine Seekarte, wo in etwa diese Urne versenkt wurde. Aber ich habe es eben anders gemacht – und jetzt ist es vorbei [lacht]. I: Hat Sie denn das Hintergrundwissen belastet, dass Sie sich streng genommen in einer, sagen wir, juristischen Grauzone bewegen?
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W: Nicht im Geringsten. Das belastet mich auch heute nicht, überhaupt nicht, das ist für mich das Nichtigste überhaupt [lacht]. I: Und das Mitführen einer Urne im Flugzeug war jetzt auch kein Problem? W: Überhaupt kein Problem. Ich bin dann zum Check-in gegangen, wo man durchleuchtet wird. Ich hatte eine kleine Kinderurne, weil ich ja nicht so viel Asche hatte, die andere Hälfte wurde ja gebraucht für den Diamanten. Dann wurde ich gefragt, »Was ist das?«, und ich sagte, »Das ist die Urne mit der Asche meiner Frau«. War okay. Sie haben es durchleuchtet, und damit war es erledigt. I: Und in der Zwischenzeit ist in der Schweiz ein Diamant entstanden. Wie war das, als Sie ihn zum ersten Mal in ihren Händen hielten? W: Das Einverständnis meiner Frau voraussetzend, habe ich mir die Freiheit herausgenommen, da noch einen Diamanten herstellen zu lassen, weil ich dachte, dass ich sonst gar nichts mehr habe. Ein schöner Diamant, das wäre vielleicht was … Und am Ende ist er wunderschön blau geworden. Ich habe den auf meine Handfläche gleiten lassen und da konnte ich dann einfach nicht anders und musste weinen. Natürlich aus Trauer, aber allerdings auch aus Freude. Und damals hatte ich so das Gefühl, »Jetzt habe ich meine Frau in der Hand.« Eine Wiederzusammenkunft, so habe ich es damals empfunden, jetzt habe ich meine Frau wieder zurück. Ich war total glücklich, als ich ihn pünktlich zu ihrem Geburtstag, Ende Juni wäre sie 60 geworden, in der Schweiz abholen konnte. Ich bin in die Schweiz, habe dann in einem wunderschönen Hotel übernachtet und habe dann ihren Geburtstag gefeiert mit ihrem Diamanten, den ich dann in einem Restaurant vor mir auf den Tisch gestellt habe. I: Hat jemand darauf reagiert? W: Ich habe das dem Kellner erzählt, bevor ich an diesen Tisch kam. Erst mal habe ich Champagner getrunken und irgendwann kam die Chefin des Hauses, die mit serviert hat, und sagte, »Mein Mitarbeiter hat mir das erzählt von Ihrer Frau mit diesem Diamanten. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich finde das wunderschön und es berührt mich sehr«. I: Ist das eine typische Reaktion? W: Das habe ich immer wieder erfahren und erlebt, wenn ich irgendjemandem die Geschichte erzähle … Da werden viele Menschen nachdenklich, manche fangen auch an zu weinen. Viele sagen mir, »Das ist wahre Liebe«. Meistens sind es Frauen, muss ich dazu sagen. I: Wenn Sie das anderen Menschen erzählen, kennen die dann schon die Möglichkeit, aus der Totenasche einen Diamanten machen zu lassen, oder hören die das zum ersten Mal? W: Teilweise wissen das die Leute tatsächlich. Aber nicht jeder. Manche sagen auch, »Was, echt? Das kann man?« und sind fasziniert.
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I: Es ist letztlich ein künstlicher Diamant … W: Der einzige Unterschied zum natürlich gewachsenen Diamanten ist, dass man heutzutage in der Lage ist, diesen hohen Druck aufzubauen, diese Temperatur zu erzeugen und so weiter. Du hast nachher nichts anderes als einen richtigen Diamanten. Ich bin total happy, dass ich das gemacht habe. I: Darf ich fragen, ob die Kosten bei Ihrer Entscheidungsfindung eine Rolle gespielt haben? W: In gewisser Hinsicht schon, aber für mich war ja klar, ich möchte einen Diamanten haben. Und da war dann schlussendlich der Preis nicht so entscheidend, sondern für mich war die Größe entscheidend. Ich habe mich von einem Goldschmied beraten lassen, und so hat der Diamant nun eine schöne Größe. Ist aber schon alles eine Kostenfrage. Ich muss ehrlich sagen: Ich wusste nicht, was da auf mich zukommt hinsichtlich der Kosten, das war mir dann aber auch egal, ich brauchte das. Wem das Kleingeld fehlt, dem würde ich sagen, er muss sich informieren, und dann nimmt er vielleicht einen kleineren Stein. Geht ja auch! I: Gab es denn in Ihrem Umfeld auch mal ablehnende Stimmen? Dass jemand sich erst daran gewöhnen muss, dass man dann ja meistens kein herkömmliches Grab mehr hat? W: Das gibt es tatsächlich; also nicht ablehnend direkt. Einige sagen, »Okay, finde ich toll, dass du das machst, aber ich selber möchte das eher nicht«. Eine Bekannte von mir hat wirklich gesagt, »Ich möchte das nicht, dass mein Alter meinen Diamanten trägt«. Manche sagen allerdings auch, »Ich will eigentlich nicht konventionell bestattet werden, dann doch lieber in einen Friedwald … obwohl, so ein Diamant, das wäre auch nicht schlecht«. Andere sagen direkt, dass nur eine konventionelle Bestattung in Frage kommt; vielleicht aus religiösen Gründen. Selbst meine griechischen Freunde, die so was völlig ablehnen, haben es akzeptiert, dass ich einen Diamanten habe herstellen lassen, und sie haben ihn auch bewundert. Manche wollen ihn auch anfassen. Menschen, die meine Frau gekannt haben, die streicheln dann schon mal drüber und sagen, »Hallo, Alexandra!«. Eigentlich unglaublich. I: Verbinden Sie mit dem Diamanten etwas Religiöses? W: Meine Frau und ich, wir waren eigentlich nicht Atheisten, aber Agnostiker … und ich bin es immer noch, nach wie vor, ich bin mir also treu geblieben, daher hat das Ganze eigentlich nur eine Erinnerungsbedeutung für mich. Nichts Mystisches – da bin ich weit weg von. I: Was würden Sie sagen, in welchem Verhältnis steht der Diamant zu Ihrer Frau? Ist er eher so etwas wie ein Symbol oder würden Sie tatsächlich sagen, dieser Diamant ist Ihre Frau? Sie hatten ja gerade beschrieben, wie er gestreichelt und mit Vornamen angesprochen wird.
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W: Eher das Letztere. Einfach ein echtes Erinnerungsstück zu haben, eben nicht ein Bild von ihr oder ein Lieblingsstück, das sie zu Hause rumstehen hatte, ein Kleidungsstück oder irgendwas, was sie getragen hat … Mir ist schon klar, dass der Diamant aus dem Körper meiner Frau entstanden ist. Aber der Zustand dieses Diamanten, darüber habe ich schon viel nachgedacht, hat mit dem Ursprung überhaupt nichts mehr zu tun. I: Er entstammt dem Körper … W: Er ist das Einzige, was von ihr und von ihrem Körper übrig geblieben ist, insofern ist es für mich eine wunderschöne Sache. Es ist etwas von ihr übrig geblieben, was leuchtet und brilliert. Und das ist so viel schöner als die Verwesung. Entscheidend ist: Es spielt sich alles im Kopf ab. I: Haben Sie den Diamanten stets bei sich? W: Den brauche ich einfach um mich herum, und ich habe auch zu vielen Menschen schon gesagt, der Ring mit diesem Diamanten ist für mich das am wenigsten Schmerzhafte um mich herum. Er ist ein Teil von ihr in einer ganz, ganz anderen Form natürlich. I: Löst der Diamant Erinnerungen aus? W: Ja, er regt sie an. Und die Erinnerung ist das, was mir geblieben ist, und natürlich Fotos. Apropos, ich brauchte natürlich auch Fotos für die erwähnte Trauerfeier. Ich habe bestimmt 20, 30 Bilder rahmen lassen und habe die alle um mich herumgestellt. Teilweise habe ich die dann auch mit nach Griechenland genommen. Das war eine gewisse Phase, die ich brauchte. Da hatte ich ja noch keinen Diamanten. I: Damals hatten Sie noch die Urne? W: In meinem Haus in Griechenland, ja. Da habe ich natürlich sehr viel geweint und habe die Urne an mich gedrückt. Die stand dann doch noch fast zwei Wochen bei mir auf dem Tisch, mit Weihnachtsdekoration. Ich habe an diesem Tisch gegessen, getrunken, Zigarren geraucht, Musik gehört, geweint … Die Urne stand immer da. Das hat mir persönlich sehr gutgetan. Na ja, klar, es ist eben nicht mehr meine Frau, sie existiert nicht mehr, das sind Überreste. Ich habe dann gespürt, das mit der Urne, das muss jetzt vorbeigehen. Ich muss jetzt diese Asche wegbringen, sonst komme ich nicht darüber hinweg. I: Würden Sie sagen, dass es dafür einen bestimmten Auslöser gab? W: Das war einfach ein Gedanke der Vernunft. Ich dachte, Menschenskind, wie willst du darüber hinwegkommen? Hinzu kam, das Wetter wurde schlechter, das Meer wurde welliger … Ich habe mich mit meinen Freunden in Griechenland beraten, und die haben gesagt, »Lass doch einfach die Urne stehen bis Ostern, wenn du wiederkommst, dann kann man das doch immer noch machen, es läuft ja nicht weg«. Ich entgegnete, »Ihr habt Recht. Aber dann habe ich dieses
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Problem noch mal für ein Jahr vor mir herzutragen.« Irgendwann sagte ich dann zu einem Freund, »Ich muss das jetzt machen«. Es war ein Tag vor Silvester. Wir fuhren zu einem schönen Platz. In der Einfahrt des Hafens sind wir über die Steine gestiegen und haben eine Stelle gesucht und gefunden. Am nächsten Tag dann, an Silvester, waren wir alle ganz alleine dort. Ich ging mit den engsten Freunden an diese Stelle und habe dort die Asche ins Meer gestreut. Das war ein sehr bewegender Moment für uns alle. Es ist mir leichtgefallen, auch deshalb, weil ich wusste, ich kriege noch einen Diamanten. Deswegen konnte ich mich dann auch trennen von der Asche. I: Welche Qualität hat dieser Ort für Sie? W: Das hat sich da bestimmt schon aufgelöst mittlerweile. Jetzt habe ich einen Ort da unten, an den ich jederzeit hingehen kann, wenn es mir danach ist. Am Anfang war das öfter, jetzt muss ich gar nicht mehr jedes Mal dort sein, wenn ich in Griechenland bin. Ich fahre da immer gerne hin und esse dort, nicht weit von dort entfernt ist auch ein Restaurant, wo wir dann auch schon mal gefeiert haben, und ich lasse es mir einfach gutgehen mit meinen Freunden. Und manchmal stelle ich mich da auf den Felsen, natürlich weine ich auch noch, das bleibt nicht aus, aber es ist deutlich weniger geworden. Dann rauche ich vielleicht eine Zigarre und denke an meine Frau, lasse es mir gutgehen, hin und wieder taucht so eine Riesenschildkröte auf. Manchmal sind da auch Angler. So was hat meine Frau geliebt: dort zu sein, wo Leben ist. I: Ist das für Sie so etwas wie ein Grab? W: Nein, den Ort betrachte ich nicht als Grab … Er ist eigentlich nur symbolisch für mich. An diesem Ort hat meine Frau nicht die letzte Ruhe gefunden. Dort habe ich aber den Wunsch meiner Frau erfüllt, sie ins Meer zu geben. Wenn ich jetzt zum Beispiel hier an das Grab meiner Eltern gehe, ganz bei mir in der Nähe, die sind konventionell bestattet worden im Sarg. Wenn ich da hingehe an das Grab, dann kommen schon die Erinnerungen an früher. Aber dann stelle ich mir vor, in welchem Zustand sie da unten sind: Sind sie Skelette? Oder ist gar nichts mehr da? Und das ist für mich eigentlich nicht schön. I: Mhm. W: Wenn ich jetzt an diesem Ort in Griechenland stehe, da weiß ich, meine Frau ist sowieso hier, nicht nur symbolisch. Die Asche ist hier eingestreut. Ich habe da nicht die Vorstellung, wie sie im Sarg liegt. Dieser ganze herkömmliche Bestattungsvorgang hat mit diesem Herstellungsprozess des Diamanten gar nichts zu tun. I: Brauchen Trauer und Erinnerung Ihrer Meinung nach einen festen Ort? W: Ich habe immer gesagt, es braucht keinen bestimmten Ort für die Trauer. Aber mittlerweile sage ich auch, wenn es einen gibt, ist das nicht von Nachteil.
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Ich fühle mich dort schon sehr meiner Frau verbunden, wo ich die Asche ins Meer gestreut habe. Und generell: Es ist in Griechenland, dort fühle ich mich meiner Frau schon sehr nahe. Und den anderen Ort, den stecke ich mir an den Finger. Kann man so sagen dann, oder? I: Ja. W: Im Grunde genommen kann man Trauer auch mit der Erinnerung bei sich tragen, aber ich glaube, es ist schon ganz wichtig, dass man irgendwo einen Ort hat oder sich einen schafft, an dem man bewusst trauern kann. Und ich habe festgestellt, Trauerarbeit ist außerordentlich wichtig. Man darf nicht verdrängen. Wenn mir danach war, dann habe ich sogar manchmal geschrien, das war die Anfangszeit. Und in Griechenland, nachdem das dann vorbei war mit dieser Asche, da war es dann schon ganz heftig bei mir … Da musste ich wirklich sehr oft weinen … und da wurde mir dann dieser Verlust erst so richtig bewusst. I: Haben Sie noch Bilder von Ihrer Frau aufgestellt? W: Nein, ich habe alle Bilder entfernt, mittlerweile. Es stehen jetzt vielleicht noch zwei Bilder rum, die ich aber nicht direkt sehe … Das war ja wie ein Altar bei mir auf dem Tisch, auch hier jetzt in Deutschland, bis ich dann irgendwann gesagt habe, jetzt muss es weg. Das war ein Moment, der kam ganz plötzlich, und dann bin ich aufgestanden und habe die Bilder zur Seite geräumt. Das war befreiend. Da hatte ich den Diamanten auch schon. I: Ist Ihre Trauer damit an einen Schlusspunkt gelangt?
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W: Das Leben geht weiter und die Trauer, die bleibt, da bin ich sicher. Da ändert sich wahrscheinlich nur die Intensität. I: Würden Sie sagen, dass diese Trennung von den Bildern mit dem Diamanten zu tun hat? W: Ja, das ist richtig. Mir fällt ein, dass ich manchmal sogar so Schübe habe, wo ich denke, jetzt muss ich mal die Ringe wegtun. Den Ehering und auch den mit dem Diamanten. Dann laufe ich etliche Tage ohne die Ringe herum. Das gibt mir hin und wieder schon ein Gefühl der Freiheit dann. Weil man sich natürlich auch Gedanken darüber macht, wie willst du in Zukunft leben? Willst du jetzt ewig so weiterleben in dieser Trauer? Oder willst du vielleicht mal zulassen, dass vielleicht ein anderer Mensch in dein Leben tritt? Ich kann also nicht sagen, wie das weitergeht mit diesem Ring. I: Das ist sehr interessant, denn es zeigt ja, dass dieser Diamant nicht zu jedem Zeitpunkt die gleiche Wirkung hat … W: Vollkommen richtig. Meine Lieblingsschwester hat vor Kurzem zu mir gesagt, »Ist doch klasse, wenn du ihn nicht trägst; aber wenn du es brauchst, dann trag ihn doch«. I: Wenn Sie den Ring mit dem Diamanten nicht tragen, wo befindet er sich dann? Hat er einen besonderen Platz, wo er aufbewahrt wird, oder ist das immer unterschiedlich? W: Der ist dann bei mir auf dem Nachttisch. Ich habe ihn in diese Schatulle reingepackt, er ist dann verschlossen. Aber er ist schon in der Nähe. Bis vor wenigen Wochen war das noch nicht möglich, dass ich ohne ihn aus dem Haus gehe. Ich würde sagen, die meisten Probleme habe ich zu Hause. Da wird mir der Verlust immer wieder stark bewusst. Es gibt schon solche Momente, wo man sogar denkt, das kann doch eigentlich gar nicht sein, dass dieser Mensch ganz weg ist und nichts mehr mitkriegt … Viele meiner Freunde sagen, »Ach, sie ist immer bei dir, sie sieht alles«, da denke ich aber komplett anders. Für mich ist sie weg. I: Hatte Ihre Frau auch diese Sichtweise? W: Was mich sehr bewegt, das war, als meine Frau auf ihrem Sterbebett lag im Krankenhaus. Eine Krankenschwester saß dann da bei ihr am Bett, saß sogar auf dem Bett, und die haben sich sehr lange über den Tod unterhalten, das hat mir die Schwester dann später erzählt. Da wusste meine Frau noch gar nicht, dass sie so schnell sterben würde; wir dachten sogar, sie kommt wieder raus. Meine Frau sagte zu dieser Schwester, »Wissen Sie, ich glaube ja nicht, dass noch was kommt. Und deswegen habe ich keine Angst vor dem Tod.« I: Das ist nicht bei jedem Menschen so. W: Ich kann mich da noch erinnern an meine Mutter, die ja sehr gläubig war, die hat in demselben Krankenhaus einen Todeskampf geführt. Sie hat gehadert
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mit dem Glauben. Man musste ihr vorlesen aus der Bibel, aber ihr Todeskampf war nicht in Bezug auf die Schmerzen, die konnte auch niemand bei ihr lindern, sondern es war ein Kampf mit dem eigentlichen Sterben. I: Ihre Frau war anders. W: Ja. Das Schöne ist, ich war die letzten Stunden bei ihr im Zimmer. Wir konnten nicht mehr kommunizieren, aber ich habe mit ihr geredet und schlussendlich ist sie in meinen Händen eingeschlafen. I: Und das ist für Sie viel entscheidender als alles andere, diese letzten Momente, die man dann zusammen ist … W: Ja. Obwohl es auch wehtut, trotz allem … auch wenn es schlussendlich ein friedliches Einschlafen war … I: Was würden Sie sagen, was hätte denn Ihre Frau von dieser Diamantenidee gehalten? Wäre das für sie stimmig gewesen? Oder ist es eher so, dass letzten Endes ja die Angehörigen mit dem Tod umgehen müssen? W: Ich kann es nicht beantworten, weil wir uns darüber nie unterhalten haben. Wir wussten ja nicht, dass es so eine Möglichkeit gibt. Aber im Umkehrschluss, wenn ich gestorben wäre und meine Frau wäre die Überlebende gewesen – ich glaube, sie hätte einen Diamanten aus mir machen lassen. Dieses ganze Prozedere der Bestattung, die verschiedenen Arten der Bestattung, das bestimmen im Grunde genommen alles die Hinterbliebenen, und nur für die Hinterbliebenen ist das dann auch. Meinen eigenen Tod, den sterbe ich nur. Aber mit dem Tod der anderen muss ich leben. I: Ja, das höre ich tatsächlich häufiger. Der Soziologe Norbert Elias hat einmal geschrieben, »Der Tod ist ein Problem der Lebenden«. Das ist ja im Prinzip genau das, was Sie gesagt haben: Es sind am Ende die Lebenden, die mit dem Tod umgehen müssen, nicht die Toten. W: Genau. Ich habe mir Folgendes gedacht … Darf ich mal ganz ordinär sagen, ich habe mir gedacht, jetzt, nachdem mir so ein Scheiß widerfahren ist, muss ich mir mit diesem Diamanten was Gutes tun. Und ich finde es auch sehr wichtig, dass ein Mensch zu Lebzeiten seine Bestattung regelt. I: Für die Hinterbliebenen. W: Ja. Aber ein Bestattungswunsch sollte respektiert werden. Das muss geregelt werden. Zu Lebzeiten hat ein Mensch das Recht, zu bestimmen, was mit seinem Körper passiert, wenn er nicht mehr lebt. Wenn es nicht an der Kostenfrage scheitert. Wenn es finanziell nicht machbar ist, dann geht es eben nicht. I: Haben Sie eigentlich bestimmte Rituale entwickelt für den Todestag bzw. den Geburtstag Ihrer Frau? W: Es gibt bestimmte Dinge, die ich tue. Zum Beispiel werde ich auf jeden Fall an ihrem Geburtstag und an ihrem Todestag nicht arbeiten. Ich bin ja selbststän-
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dig. Ich habe auch nicht vor, an diesen Tagen zu Hause zu sein, sondern ich will dann irgendetwas unternehmen, wobei ich an sie denken kann. Letztes Jahr an ihrem Geburtstag, da bin ich zu dieser [Diamanten-]Firma hingefahren, weil wir ein gutes Verhältnis haben und sie sind recht interessiert, dass man sich immer mal wiedersieht. Ich habe dort einen Besuch gemacht und bin anschließend nach Südtirol gefahren. Ich bin da aber nicht in ein Loch gefallen, sondern habe dann ein wunderschönes Wochenende erlebt mit vielen guten Gesprächen und auch mit fröhlichen Momenten. I: Und der Diamant war dabei, nehme ich an? W: Der war dabei, diesmal als Ring. I: Ich habe nun schon häufiger gehört, dass gerade Geburtstage und Todestage besonders schwer sind, die Todestage sind wahrscheinlich noch schwerer, weil dann der Verlust besonders deutlich spürbar ist … W: Ja, der Todestag ist nicht ganz einfach. An ihrem ersten Todestag, genau an diesem Tag, hat meine Goldschmiedin den Ring fertiggestellt. Aber ich war da total glücklich mit ihm. I: Sie erwähnten, dass Sie den Diamanten persönlich in der Schweiz abgeholt haben. War Ihnen das wichtig, vor Ort zu sein, wo dieser Diamant entstanden ist; dass Sie den nicht einfach nur ausgehändigt bekommen von Ihrem Bestatter? W: Ja. Richtig. Das war der Beweggrund, direkt in die Schweiz zu fahren. I: Und können Sie erzählen, wie das für Sie war? Haben Sie sich das so vorgestellt, als Sie dann dort waren und diese Übergabe stattfand? Haben Sie da vorher drüber nachgedacht, wie das wohl sein wird? W: Ich habe schon damit gerechnet, dass das eine feierliche Übergabe wird. Ich wurde da sehr freundlich empfangen, Frau A. kam dann gleich raus; sie hatte mitbekommen, dass ich mit dem Auto ankam und hat mich damals gleich ganz herzlich empfangen und mich in einen schönen, ruhigen Raum geführt, in dem diese Diamanten übergeben werden. Und wir hatten ein sehr schönes Gespräch miteinander. Und irgendwann war dann die feierliche Übergabe. Der Diamant war in einer ganz schönen Holzschatulle drin, da gab es ein bisschen Show, das wird dann schön auseinander geklappt, sie hat dabei weiße Handschuhe an, und dann kommt dieses kleine Kästchen raus, aus dem dann nur der blaue Diamant rausschaut. Es wird von oben beleuchtet und glitzert natürlich dann richtig schön. I: Wie empfanden Sie diesen Augenblick? W: Das war natürlich ein sehr bewegender Moment, wo ich dann auch nicht richtig wusste, wie ich jetzt damit umgehe. Sie sagte dann, »Sie dürfen den Diamanten gerne rausholen und anfassen«. Wie gesagt, er lag dann auf meiner Handfläche und mir kamen die Tränen, aus Freude darüber, den Diamanten in der Hand zu halten. Mein Gefühl war, dass meine Frau wieder da ist. Was sich aber natürlich
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mit der Zeit abgeschwächt hat. Weil mittlerweile die Ratio wieder die Überhand hat [lacht]. I: Wie ging es danach in der Schweiz weiter? W: Frau A. hat sich dann noch einmal Zeit genommen. Wir sind dann, glaube ich, anderthalb Stunden gesessen in eben diesem Raum. Das war dann keine Übergabe mehr, wir haben uns nur darüber unterhalten. Heute würde ich nicht mehr unbedingt dorthin fahren, aber ich brauchte das damals, um die ganze Sache zu verarbeiten. Alles, über was wir gerade reden, ist Teil einer Trauerbewältigung. I: Sie pflegen einen aktiven Umgang mit dem Verlust, habe ich rausgehört. W: Ja! Und speziell an den Todestagen, da verarbeitet man das eigentliche Sterben. Damit beschäftige ich mich schon, aber ich erfahre an diesen Tagen meistens auch Ablenkung. I: Eine Frage, die mich noch sehr interessiert: Sie haben das mit der Ausstreuung in Griechenland gemacht, weil Sie im Hinterkopf hatten, dass der Diamant noch kommt? W: Das ist nicht ganz richtig. Die Verstreuung in Griechenland war oberstes Gebot für mich, das war der Wunsch meiner Frau, unabhängig von diesem Diamanten. Ich hätte das gemacht, auch wenn ich mich nicht für den Diamanten entschieden hätte. I: Das wäre meine Frage gewesen: Hätten Sie das auch gemacht, wenn es die Option mit dem Diamanten nicht gegeben hätte? W: Ja. Dann wäre die gesamte Asche im Meer gelandet. I: Das hätten Sie gemacht? W: Ja. Es gab übrigens noch eine Überlegung, die mir gerade einfällt: die Asche aus der Schweiz zu holen und hier bei mir zu Hause aufzubewahren. Der Bestatter hat mir davon abgeraten. I: Und haben Sie denn eine Vorstellung, wie Sie selbst eines Tages bestattet werden möchten? W: Der eigentliche Wunsch meiner Frau war es, im Meer in Griechenland verstreut zu werden, aber zusammen mit meiner Asche. Das heißt, ihr Wunsch war es tatsächlich, solange aufbewahrt zu werden, bis ich dazu komme. Und das habe ich natürlich mit dem Bestatter durchgesprochen, er meinte dann aber: Wenn ich nicht mehr bin, weiß dann jeder, wo die Asche meiner Frau ist? Gut, diese Frage stellt sich auch bei dem Diamanten. I: Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht, was dann mit dem Diamanten Ihrer Frau passieren soll? W: Ja, der kommt ins Meer. Zusammen mit meiner Asche. An der gleichen Stelle in Griechenland. Das habe ich auch alles in meinen Unterlagen stehen und meine Schwestern sind schon instruiert.
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I: Ein Diamant zu werden, wäre für Sie selbst keine Option? W: Rein theoretisch könnte man von mir einen Diamanten herstellen lassen, aber dann habe ich mich gefragt, wer soll den tragen? Und dann kommt da noch so ein bisschen das Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Diamanten meiner Frau bei mir hoch. Da sage ich mir, ich möchte nicht, dass der dann irgendwann mal irgendwo in einer Schublade landet und auf diese Weise verschwindet. Dann möchte ich schon ganz bewusst, dass dieser Diamant ins Meer kommt. Ich denke auch nicht, dass irgendjemand diesen Diamanten meiner Frau tragen möchte. Wenn man Diamanten aufbewahrt, müssen die Hinterbliebenen das auch wollen. Du kannst so etwas niemandem aufzwingen. Im schlimmsten Fall könnte jemand das Ding verscherbeln und zu Geld machen. Den Diamanten vielleicht weniger, da ist eine Lasergravur drin, aber den Goldring eben, der hat fast 50 Gramm. I: Ja. W: Und überhaupt, wie soll ich es nachher mitkriegen, was tatsächlich passiert, wenn ich gestorben bin? Dann ist es mir auch egal. I: Es wird momentan in manchen Bundesländern darüber diskutiert, ob und inwiefern man die Bestattungsgesetzte liberalisieren sollte, da sind auch Facetten wie die Ascheteilung im Gespräch. Allerdings hört man auch kritische Stimmen; angesprochen wird zum Beispiel der Vorwurf der Kommerzialisierung … W: Ja. I: Oder es wird betont, dass anderen Hinterbliebenen ein öffentlicher Ort zum Trauern vorenthalten wird, wenn, wie oft im Kontext der Aschediamanten, ein Grab fehlt. W: Ich sage mal so: Es gibt nichts Privateres als das eigene Sterben. Und nichts Persönlicheres. Und der Ort, an dem ich bestattet werden soll, der kann wohl von der Öffentlichkeit bestimmt werden. Aber die Öffentlichkeit hat keinen Anspruch auf irgendein Grab, sondern nur der Einzelne, der stirbt, hat Anspruch auf sein Grab. Und was die Kommerzialisierung angeht: Jede Beerdigung ist kommerzialisiert, es gibt für Särge nach oben fast keine Preisgrenzen. Du kannst als Anbieter die Leichen, Entschuldigung, aufmotzen bis zum Gehtnichtmehr. Du kannst nicht einfach nur sterben, sondern die sterblichen Überreste müssen aufwendig entsorgt werden. I: Mhm. W: Wenn dann jemand sagt, ich mache deine Frau oder deinen Mann zu einem wunderschönen Überbleibsel, zu etwas, was leuchtet, was brilliert. Warum soll daran nichts verdient werden? Das ist ein Angebot, das man annehmen kann, aber nicht muss. Wem schadet man damit, dass aus einem verstorbenen Körper ein Diamant hergestellt wird? Klar, es muss natürlich geregelt sein, wie ein
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toter Körper beseitigt wird. Den kannst du natürlich ein paar Tage zu Hause aufbewahren. Aber danach kannst du nicht sagen, den tu’ ich mal in den Keller und damit fertig. Der tote Körper muss eben beseitigt werden, aber da gibt es so viele verschiedene Möglichkeiten mittlerweile; warum sollte man die nicht ergreifen? In der Schweiz zum Beispiel funktioniert das ja auch. Und wenn dann jemand die Asche seines Partners zu Hause aufbewahren möchte, müsste dafür die Möglichkeit auch bestehen. Diese Sache mit meiner Frau hat dazu geführt, natürlich, dass ich jetzt vieles mit Menschen bespreche … Wenn ich dann höre, »Ja Mensch, ich möchte das auch so oder so haben«, dann kommt meine Standardfrage, »Und, hast du es schon geregelt?«. I: Und was kommt dann zurück? W: »Das kann ich doch immer noch machen!«, worauf ich sage, »Du kannst in zwei Stunden tot sein«. Und dann schauen sie mich an und ich höre öfter, »Du hast ja eigentlich recht«. I: Ja. W: Ich habe kein Problem, über den Tod zu reden. Ich mache mir deswegen das Leben nicht schwer – gerade das Reden darüber macht es mir leichter. Und wenn ich zu Lebzeiten etwas regeln kann, dann ist das vielleicht einmal unangenehm; aber danach ist es geregelt und vorbei. Und dann kann ich ruhig schlafen. I: Wir wären nun am Ende unseres Interviews angelangt. Gibt es noch etwas, was Ihnen in diesem Zusammenhang wichtig ist und was Sie noch gerne erwähnen möchten? W: Was ich abschließend nochmals betonen möchte: Ich finde es unheimlich wichtig, dass so eine Möglichkeit geboten wird. Weil es für mich eben toll war.
»Yvonne wollte es so.« Postalische Mitteilungen von Angehörigen
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»Komm Kind, steh auf.« Dokument eines Verlustes
Um den Aschediamanten und seine Pendants ranken sich Lebensgeschichten. Kein Fall scheint dem anderen zu gleichen, und doch ist ihnen allen gemeinsam, dass der Übergang vom Leben zum Nicht-Leben überschritten worden ist. Reflektiert wird dieser Übergang indes stets von Lebenden, die den Lebensverlust nahestehender Menschen betrachten. Das Sterben als mehr oder minder lang andauernder Prozess und der Tod als augenblickkurzes Übergangsgeschehen spielen dann, wenn schwere Maschinen ihr Presswerk verrichten, um aus Kohlenstoff ein Juwel zu schaffen, keine Rolle mehr; sie sind vergangen, wenngleich sie in der Gedankenwelt der Hinterbliebenen noch frisch und schmerzhaft sein dürften. Die sozialpsychologischen Bewältigungsstrategien, mit denen Trauernde zu leben haben, stehen ausdrücklich nicht im Mittelpunkt des vorliegenden Buches (siehe hierzu: Spiegel 1973; Cleiren 1993; Müller/Schnegg 1997). Dennoch erscheint es nicht unangebracht, stellvertretend für die vielen Narrative des Verlustes, mit denen sich die Autoren des Bandes während der Projektlaufzeit befasst haben, einer kurzen Erzählung Raum zu geben, die mit dem Aschediamanten nicht beginnt, sondern endet. Sie soll, so einzigartig sie in all ihren Facetten auch ist, ein Beispiel sein für die Vielfalt der erlebten Schicksalsschläge, aber auch der Trauerempfindungen. Deutlich wird die lebensweltliche Situation einer Mutter, die ihren Sohn verliert, und die in ihrem subjektiven Erleben dieser Situation bestimmte gesellschaftlich kursierende Einstellungen zum Ausdruck bringt. Die hoffnungsvolle, zumindest im Keim tröstliche Aussicht am Ende entspricht der Haltung vieler unserer Gesprächspartner. Das kristalline Trauerartefakt versetzt sie in die Lage, mit dem Schmerz anders umzugehen als im Rahmen der traditionellen Bestattungs- und Erinnerungskultur. Das nachfolgende Dokument wurde uns schriftlich zugesandt. Es handelt sich um eine Selbstreflexion, die in hoch emotionalisierter Sprache den Verlust
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des Sohnes beschreibt. Bemerkenswert ist daran zum einen die Adressierung des Verstorbenen, zum anderen die Existenz des Dokuments an sich und seine außergewöhnliche Expressivität. In diesen exponierten Ausführungen schreibt die Verfasserin ihr Empfinden nicht primär für ein lesendes Publikum auf, sondern für sich selbst. Sie hat einer Veröffentlichung in diesem Buch ausdrücklich zugestimmt. Der Text ist im Originalwortlaut abgedruckt; die einzigen Eingriffe sind Anonymisierungen mithilfe der Abkürzung von Personen- und Ortsnamen.
E-Mail vom 31. Januar 2019: Sehr geehrter Herr Dr. Benkel, gerne helfe ich Ihnen dabei, Ihre wissenschaftlichen Untersuchungen zu unterstützen. Hierzu die Anlage. Ich weiß zwar nicht, ob das, was ich seiner Zeit mal verfasst habe, für Sie von Wichtigkeit ist, ich kann ja nur für mich sprechen, aber eins ist sicher: NICHTS ist BESSER als zu wissen, dass man die, für die man gelebt, geliebt und
eine Zukunft hatte, BEI SICH HAT!!!!! Mich persönlich erfüllt eine »Zufriedenheit« und »RUHE« zu Hause, weil alles, was ich von ganzem Herzen liebe, bei mir ist und irgendwann, wenn meine Zeit gekommen ist, sind wir alle wieder zusammen. Viele können sich diese Form der »Bestattung« nicht vorstellen. Doch wenn ich ihnen erzähle, dass es für den persönlichen Seelenfrieden eines Hinterbliebenen so viel besser ist, wenn man seine kleine Familie nicht mehr physisch bei sich hat, dann verstehen sie wovon ich rede. Mit freundlichen Grüßen Z.
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Anlage: Ein Sonntag, 2014. 7.00 Uhr – Ich sitze in der Küche und höre Radio. Alles ist anders, meinem Herzen kommt einiges bekannt vor. Jede halbe Stunde die Nachrichten. Sie sagen immer das Gleiche: Gestern kam es auf der Autobahn W zu einem schweren Unfall. Ein PKW kam in Richtung X-Stadt, kurz vor der Abfahrt Y., von der Straße ab und überschlug sich mehrmals. Ein Vater mit seinem Sohn kamen ins Krankenhaus, der Fahrer des Fahrzeuges konnte nur noch … geborgen werden. Immer wieder sehe ich mir das Video, natürlich noch in der Nacht auf Facebook sichtbar, an. Der Feuerwehrmann, der ein Interview gibt, die Feuerwehrleute, die am verunfallten Fahrzeug sind, die Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr und der Polizei und die Einsatzkräfte selbiger. Alle dürfen sich frei bewegen und sind Dir nah. Ich stehe da und schaue. Schaue und schaue. Du bist noch im Auto, die anderen beiden raus, hieß es ganz zum Anfang, als H. zu mir kam. Mein Anruf bei der Autobahnpolizei: – Ja es ist ein Unfall passiert. 2 Personen sind am Leben, eine Person befindet sich noch im Auto und ist verstorben … Rumms!!! Mein Gehirn verarbeitet das Gesagte und erfasst dann erst, was gesagt wurde. LEERE!!!
Nein, vielleicht ein Irrtum, die Chancen stehen 50 zu 50, dass es nicht mein Junge ist, der noch im Auto ist. Dann die Erinnerung an den Anfang. Die Aussage von H., wer aus dem Fahrzeug heraus ist und wer noch drin. Trotzdem: – es kann nicht mein Kind sein!! Immer noch Hoffnung.
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Nein!! sagt der Polizist am anderen Ende, fahren Sie nicht zur Unfallstelle!! Ich lass mir doch nicht vorschreiben, wo ich mich aufhalte und wo ich hin fahre! Ich möchte dir helfen. Wasser, Decke, Plastikbeutel – alles rein wie immer, wenn ich dich und deine Freunde abgeholt habe. Es geht los! Ob allein oder gefahren werden, ich MUSS los. WIR BEIDE kriegen das schon wieder hin. Wir haben immer alles wieder in Ordnung bekommen. So viel, was wir zwei durchmachen mussten. Deine Oma (meine Mutsch) 2005, dein Papa (mein Lebensgefährte seit 22 Jahren) 2007, dein Onkel (mein Schwager) 2009, dein Opa (mein Schwiegerpapa) 2013, alle verstorben. Papa, dein Onkel, Opa – alle waren nicht allein, als sie gehen mussten. So viele Tiefschläge für einen Menschen, so viel Seelenleid, kaum dass man sich ein wenig erholt hatte. »Niemand geht jemals ganz.« Alle unsere Lieben sind immer gegenwärtig und für uns nur nicht greifbar. Wir wollten neu durchstarten. Ein neues Büro, für Dich, mein Sohn, du wolltest bei mir sein. Ich war so stolz auf Dich. Fast war dein Meister, ganz wie der Papa, in der Tasche. Du wolltest loslegen und deinen eigenen Weg gehen. Erst mal Erfahrungen und Referenzen sammeln, und dann, wenn Du fit bist für die Welt, wolltest Du voran gehen in die Berge (Amerika) und dort aufbauen. Dann sollte ich hier »abbauen« und über Ostrussland rüber nach Amerika kommen und wir können alles hinter uns lassen und neu anfangen. Du mit deiner Familie und natürlich deiner amerikanischen Bulldogge und ich mit meiner Familie und mit K.s Hund, und unserer L. Einfach hier weg, der ganze Neid, die ganzen Vorwürfe fern ab von uns und einfach ein schönes ruhiges und faires Leben. Ohne Mautz (so hast du mich genannt, wenn du etwas unbedingt wolltest) ging nichts. Das ist auch gut so. DU warst unser Wunschkind. JA, so war es geplant. Deshalb der Mietvertrag für das neue Büro über 5 Jahre, das sollte reichen. Wir haben über ALLES reden können. Der Tod unseres »Familienoberhauptes« war eine Tragödie.
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Komisch – Deine Gedanken waren meine Gedanken, wenn es um Papa ging. Leider erkennt man erst viel zu spät, was im Leben wichtig ist und dass der Tod ein wichtiges Thema im Leben ist, über das man reden muss. Jeder hat einen letzten Wunsch, jeder möchte den anderen nicht einfach zurücklassen. Wir hatten unsere Einstellung und unsere Auffassung dazu und wir wollten beide nicht, dass sich andere noch nach dem Ableben an den Hinterbliebenen »satt essen«. Besonders deshalb nicht, wenn es sich um Menschen handelt, die einem zu Lebzeiten nichts gegönnt haben und das »beste Verhältnis« zu Lebzeiten aus Hinterlist und Intrigen bestand. Als Mama war ich froh, so offen mit dir darüber reden zu können, weil einem das »Gehen« dann leichter fällt, wenn alles geklärt ist und man sich freut, dass sein eigener letzter Wunsch auch so akzeptiert und geteilt wird. Durch unsere »Erfahrungen« mit dem Tod passierten Dinge, die wir auch teilten. Vieles fällt in der Trauer leichter – wenn man diese »Erfahrungen« macht – teilen und auch mitteilen kann. Unter den Umständen der Trauer bin ich sehr vorsichtig gewesen, etwas von dem, was ich erleben durfte und darf, jemandem mitzuteilen. Nicht jeder hat Verständnis dafür. Ein Thema ist zum Beispiel die Art des letzten Weges. Ich verstehe die Menschen, für die es nur die konventionelle Art der Beisetzung gibt. Hierzu gehört auch der Friedhof. Ist es so, dass der letzte Ort dieser Ort ist? Aber was tut dieses »Gesetz« vielen Hinterbliebenen an? Warum ist unsere Trauer so groß, besonders wenn wir ein Familienmitglied verlieren, welches zeitlich und generationsmäßig noch gar nicht BEREIT war, zu gehen? Aus allem gerissen, was diese Menschen geliebt haben, was der Sinn ihres Lebens und der Sinn dieses Familienlebens war? Warum sind wir so voller Trauer und Sehnsucht? Ich denke doch, weil dieser Mensch nicht mehr bei uns, nicht mehr in unserer Mitte, nicht mehr an dem Ort ist, wo unsere Lieben ihr Leben lebten und ihr Leben liebten. Ein Friedhof ist ein Ort der Trauer und sicher ein Ort, wo man, seinem Glauben nach, auch sein soll, wenn der Verstorbene auch einen Bezug dazu hatte und das so gewünscht hat, wenn in der Familie auch darüber gesprochen wurde. NICHT weil es IMMER SO IST! Jeder spricht über die Seele. Auf dem Friedhof oder einem anderen Ort sind nur die körperlichen Reste, nicht die Seele. Es wird darüber gesprochen, dass die Seelen
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dort sind, wo ihre Lieben sind. Also sind die Seelen doch an dem Ort, wo diejenigen sind, die allein weitermachen müssen. Wir schleppen unsere erschöpften Körper durch die Zeit, und dann schleppen wir uns auch noch an einen Ort, wo eigentlich niemand ist, wir aber dorthin müssen, weil dort der Ort ist, wo ein kalter Stein, eine Platte, ein großes Grab oder nur eine Stelle ist, wo wir unsere Lieben zurücklassen mussten, weil es IMMER SO IST.
Der Abend des Ereignisses Wir (H. und ich) kommen näher. Von unterwegs rufe ich meine Freundin an, sie wohnt in der Nähe, und frage sie, ob sie auch losfahren kann, um mir ggf. zu helfen. Sie fährt sofort los. Auch sie hat ein sehr inniges Verhältnis zu D., sie ist seine erste »Schwiegermutter« gewesen und haben auch danach ein gutes Verhältnis. D. hat ja gerne allen geholfen, die Probleme mit ihrer Heizung hatten. Viele Lichter in Blau, Orange und Gelb erleuchten die Dunkelheit. Ein Stück Reifen, ein großes zerstörtes Hinweisschild, herumliegende Autoteile im Graben, Feuerwehrmenschen, Polizisten. H. will nicht anhalten, die Polizei winkt uns weiter. Er hat doch zu Hause zu mir gesagt: D. sitzt noch im Auto, sie hätten ein Rad verloren – Also bitte! So schlimm kann es doch nicht sein – mein Kopf ist ruhig. Ich sage, er soll mich bitte rauslassen und weiterfahren. Ich gehe am Rand der Autobahn der Stelle entgegen, wo sich an einigen Bäumen die Helfer zu schaffen machen. Sie haben Geräte und Lampen leuchten auf etwas. Ich komme näher. Auf Höhe der Stelle erkenne ich so etwas wie ein Auto. Aber ich erschrecke, es liegt auf dem Dach und sieht sehr kaputt aus. Aber wo ist D.? Er kann doch gar nicht so sitzen. Ein Polizist kommt auf mich zu und nimmt mich zur Seite. Ich bin ganz, ganz ruhig. Er möchte wissen, wer ich bin. Ich beantworte ihm seine Fragen und immer wieder sage ich ihm, dass ich zu meinem Sohn möchte. Er versteht mich wohl nicht. Er sagte, das geht nicht, die Person muss erst identifiziert werden. WAS???? Nun ich antworte in meiner Ruhe, dass ich dies als Mutti wohl am schnellsten könnte. Sie suchen sein Telefon, warum das denn? In der Dunkelheit, so ein Quatsch, ich kann ihn doch anrufen, dann hören sie doch das Telefon. NEIN! Sie dürfen dort nicht hin. Immer wieder sage ich, dass ich zu meinem Kind möchte, er ist doch nur 7 m weg. Da ist doch nichts Schlimmes bei. Als ich dann den Graben runter gehen wollte, hielt er mich fest. Er sagte: Wenn sie jetzt keine Ruhe geben und meinen Anweisungen nicht folgen, lasse ich sie von der Unfallstelle
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entfernen. Ich kapierte das nicht ganz. Wir gingen zu einem Einsatzwagen. Dieser wurde so gestellt, dass ich mich nicht direkt zu D. wenden konnte. Es wurden die üblichen Sachen aufgenommen. Ich schaute nur in Richtung D. und Auto. Und dann, ich schaute nur kurz zu dem Polizisten, drehte ich mich wieder zurück. DA WAR D. – MEIN KIND – In seiner blauweiß karierten Jacke, seinen Jeans und
seinen weißen Latschen. Sie hatten ihn einfach in den Schmutz gelegt. Er war da, ich wollte hin, ich durfte nicht. Warum tun sie mir das an, dachte ich. Warum, das ist doch mein Kind, mein D., mein Junge. Sie brachten sein Handy. Sie brachten seine Geldbörse. Eine Frau stand am Transporter. G. war auch gekommen. Sie kam zu mir. Ich erzählte ihr, was ich fühlte und dass sie mich nicht zu D. lassen wollten. Sie sprach mit der Frau, sie ist eine Seelsorgerin. Ich sagte ihr, dass ich sie nicht bräuchte und ich hier nicht weg gehen werde, bevor ich zu meinem Kind darf. Der Polizist, meine Freundin kannte ihn auch durch ihre Arbeit, war auch dabei. Sie sprach mit den beiden. Ich hätte zu D. gehen können, hatte aber furchtbare Angst, dass der Polizist mich dann wirklich »entfernen« lässt und ich womöglich noch in die Klapsmühle eingeliefert werde. Ich versuchte es noch einmal mit Kommunikation und erklärte den beiden, was zu Hause alles auf D. und mich wartet. Ich hatte ja auf dem Nachhauseweg gesehen, dass bei D. Licht an war, aber sein Auto nicht stand. Wie immer ist er sicher kurz noch Zigaretten holen und dann treffen wir uns gleich, um mit unseren Hunden Gassi zu gehen. Wie jeden Abend. Ich sagte der Dame, dass es für mich das aller aller WICHTIGSTE ist, JETZT, in diesem Moment, bei D. zu sein. Ich wollte ihn halten und ihn bitten, zurück zu kommen und dass, egal wie, alles wieder gut werden würde. Er sollte sich keine Gedanken um sein Auto machen und für seine amerikanische Bulldogge sorge ich, ich bin doch seine Oma (D. hat immer gesagt, solange er noch kein Kind hat, ist die Bulldogge mein Enkelhund.) Mutti, K., S. und Opa sollten ihn zurück bringen zu mir und D. Mut machen. Auch die Seelsorgerin sagte mir, das ginge nicht. Ich fragte sie, ob sie wüsste, warum man im Krankenhaus, nachdem jemand seinen Körper verlassen hat, die Fenster öffnet. Sie wusste nicht warum. Das sagte mir alles. Und so was ist Seelsorgerin. Ich musste allein da durch, egal wie. Wieder sagte ich ihr, dass ich nicht hier weg gehen werde, ohne mein Kind in den Armen gehalten zu haben. G. sprach mit ihr. Ein kleiner Kompromiss: Ich dürfte D. noch in der Nacht sehen, nachdem er untersucht und »hübsch« gemacht worden ist. Er würde nach H. zum Bestatter gebracht werden.
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So viele Menschen tatschen Dich an, im Fernsehen sieht man, wie ein Sarg weggebracht wird, und ICH???? Ich, die D. geboren hat, ihn in der 1. Sekunde seines Lebens gehalten hat, als er noch nicht »hübsch« war. Warum machen all diese Leute das mit Dir? Warum werde ich so missachtet? Ich tue doch nichts, ich schreie nicht hysterisch herum, ich habe keinen Schock, ich laufe nicht auf die Autobahn und ich WEINE nicht. Ich bin doch ganz ruhig und habe nur diesen einen, diesen letzten WUNSCH. Meine Gedanken: D., mein D., bitte, bitte sei mir nicht böse. Ich darf nicht zu dir kommen. Bitte D., komm von allein zurück. Versuch es. BITTE. Ja, ich hätte in diesem Augenblick für eine Berührung, eine Umarmung, einen Kuss, die oder den ich dir geben darf, mein Leben gegeben. Immer mit dem gleichzeitigen Gedanken, wer zu Hause auf UNS wartet. Sie haben mich, durch diese Ignoranz, gebrochen. Um 01.30 Uhr waren wir endlich in X-Stadt. G. ist meine treue Begleiterin, die einfach als unsichtbarer Engel für mich da ist. Wir warten. Die Zeit vergeht viel zu langsam. Der Arzt kommt. Er übergibt mir D.s Haustürschlüssel. Er spricht über die Verletzungen und dass D. sofort … war. »Sofort«. Wieder Zweifel und Gegenwehr. »Sofort«, was für ein Wort. Wann und wo ist sofort. WANN UND WO???? Was ist passiert D.? Endlich, die Dame vom Bestattungsinstitut kommt. Ich darf endlich zu Dir. Ein Raum, Kerzen, Stühle und da stehst DU. Auf einer Bahre mit einem weißen Lacken ist dein Körper ab dem Hals bedeckt. In deinen Ohren stecken Stöpsel. Du schaust friedlich und ich sehe nur DICH. DICH, deinen Körper. Steh bitte auf und komm bitte mit. Du bist so ruhig. KEIN »Hallo Mautz, schön dich zu sehen. Schön, dass du mich holst.« Ruhig ist es. Dein rechter Arm ist verletzt, dein Kopf ist verletzt. Aber sonst? Komm Kind, steh auf.
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Ist das jetzt die Wirklichkeit? Bist du wirklich die anderen 50 %, die ich nicht hören will? Warum bist du so verletzt und die anderen nicht? Warum bist du nicht in der Klinik, warum bist du hier? Am Montag hab ich dann S. angerufen. Wir kennen uns schon viele Jahre durch die Arbeit in einer Autowerkstatt. Dann hat er das Bestattungsinstitut von seinem Vater übernommen und weitergeführt. Das erste Mal, dass wir uns unter diesen Umständen dann wiedersahen, war der Tod von meiner Mama. Im Jahr 2005 (Muttis Ableben), im Jahr 2007 (K., 41 Jahre) und dann ging es ja immer, immer weiter. S. ging so fürsorglich mit Angehörigen um und, wie soll ich sagen, D. und ich wussten, dass es »gut« ist dort. Und dann das Schlimmste: Mein Kind. Immer wenn ich zu Dir in das Kühlhaus von S. gefahren bin, ist in meinem Kopf nur: Ich fahre D. BESUCHEN. Dein … ist für mich heute noch nicht zu akzeptieren oder sogar zu verstehen. Immer bist du bei mir. Ich weine in meinen Träumen, wenn wir uns (Du und Papa) treffen, erzählen, ich um Rat bitte und weine noch mehr, wenn ich aufwache und wieder allein bin. S. wusste von unserer Einstellung zu den »Bestattungsritualen« und wusste, dass keine dieser Varianten für DICH und MICH in Frage kommt. Er fragte mich, ob ich aus Dir einen Diamanten machen lassen möchte. S. hatte noch nicht ausgesprochen, da sagte ich schon JA, egal was es kostet, Hauptsache zu Hause!! Ich ließ 3 Diamanten anfertigen. Einen für Deine N., einen für mich an meinem Herzen und einen für zu Hause. Es ist so unendlich schwer gewesen, Dich auf Reisen in die Schweiz gehen zu lassen und nicht zu wissen, wann du wiederkommst. Eine noch schwerere Zeit.
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Aber dann kam der Anruf: D. ist wieder da. Ich bin »glücklich«, Dich jeden Tag überall hin mitnehmen zu können und Dich immer an meinem Herzen zu tragen. DAS MACHT ALLES ETWAS erträglicher.
Mein Sohn als Diamant in einem Zahn, den er sich 2011 aus Ägypten mitbrachte und JEDEN TAG, als Glücksbringer, getragen hat. Auch an dem Tag, an dem er verunfallte.
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Literatur
Sparre, Sieglinde (2017): Bestatten in Kirchen. Eine praktisch-theologische Interpretation gegenwärtiger Kirchenkolumbarien und Urnenkirchen, Stuttgart. Spiegel, Yorick (1973): Der Prozess des Trauerns. Analyse und Beratung, München. Spranger, Tade M./Pasic, Frank/Kriebel, Michael (Hg.) (2014): Handbuch des Feuerbestattungswesens, Stuttgart. Stiglegger, Marcus (2006): Ritual und Verführung. Schaulust, Spektakel und Sinnlichkeit im Film, Berlin. Stöttner, Carina (2018): »Digitales Jenseits? Virtuelle Identität im postmortalen Stadium«, in: Benkel, Thorsten/Meitzler, Matthias (Hg.): Zwischen Leben und Tod. Sozialwissenschaftliche Grenzgänge, Wiesbaden, S. 185–209. Sudnow, David (1973): Organisiertes Sterben. Eine soziologische Untersuchung, Frankfurt am Main. Thalmann, Rolf (1978): Urne oder Sarg? Auseinandersetzungen um die Einführung der Feuerbestattung im 19. Jahrhundert, Bern/Frankfurt am Main/Las Vegas. Thiel, Roger (2017): »Wie wird ein Ding heilig?«, in: Beck, Andrea/Herbers, Klaus/Nehring, Andreas (Hg.): Heilige und unheilige Dinge. Formen und Funktionen, Stuttgart, S. 29–42. Uhrig, Max-Rainer (2017): Auf den Spuren des Phönix. Zur Kulturgeschichte der Feuerbestattung, Würzburg. Villa, Paula-Irene (2001): Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper, Opladen. Voss, Martin (2006): »Faitiches. Ein Beitrag zur Wiederentdeckung der Umwelt«, in: ders./Peuker, Birgit (Hg.): Verschwindet die Natur? Die Akteur-Netzwerk-Theorie in der umweltsoziologischen Diskussion, Bielefeld, S. 233–259. Weh, Vitus H. (2009): »Die unheimliche Konjunktur des Kristallinen«, in: ders. (Hg.): Glanz und Verderben. Die unheimliche Kultur des Kristallinen, Wien/Bozen, S. 6–7. Winnicott, Donald W. (1969): »Übergangsobjekte und Übergangsphänomene. Eine Studie über den ersten, nicht zum Selbst gehörenden Besitz«, in: Psyche 23, Heft 9, S. 666–682. Yazgan, Ayfer (2011): Morde ohne Ehre. Der Ehrenmord in der modernen Türkei – Erklärungsansätze und Gegenstrategien, Bielefeld.
Abbildungen
Seite
Motiv
Quelle/Copyright
5
Damien Hirst: For the Love of God
Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved, DACS/Artimage 2019. Photo: Prudence Cuming Associates Ltd VG Bild-Kunst, Bonn 2019
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Aschediamant in der Schatulle
Algordanza
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Zwei Beispiele für Ovalbilder am Grabstein
Benkel/Meitzler
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Bemalter Sarg als Abschiedsgeste
Familie Kraft
42
Asche als Juwel: Ein melancholischer Rückblick auf das Leben
Benkel/Meitzler
46
Leben und Nicht-Leben in schematischer Darstellung
Benkel/Meitzler
57
Eingefasster Diamant an der H alskette
Algordanza
68
Varianten des Aschejuwels
Algordanza
77
Ein See als Grabsteinmotiv
Benkel/Meitzler
88
›Befreiung‹ eines Rohdiamanten aus der Wachstumszelle
Algordanza
238
Abbildungen
Seite
Motiv
Quelle/Copyright
105
Isolierter Kohlenstoff vor der Weiter verarbeitung
Algordanza
106
Wachstum in der Diamantenpresse
Algordanza
107
Der letzte Schliff
Algordanza
108
Die Erinnerung in Händen halten
Benkel/Meitzler
109
Die traditionelle Stätte des Gedenkens
Benkel/Meitzler
112
Erste Begegnung
Algordanza
196
Umfragegrafik: Akzeptanz des Ascheschmuckstücks
Benkel/Meitzler
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Ausstreuung der Asche ins Meer
Herr W.
217–220 Briefe von Hinterbliebenen
Privat
230
Glücksbringer mit Diamant
Frau Z.
239
Autorenfotos
Privat
Die Autoren
Dr. Thorsten Benkel, geb. in Kaiserslautern. Akademischer Rat für Soziologie an der Universität Passau. Leiter mehrerer Forschungsprojekte im Kontext von Sterben, Tod und Trauer. Ethnografische Arbeit u. a. im Kontext von Privatreligionen, Sepulkralkultur, Drogenszene, Prostitutionsmilieu, Obduktion und Gefängnis. Studium der Soziologie, Philosophie, Psychologie und Literaturwissenschaft. Promotion in Frankfurt am Main über das Wirklichkeitsverständnis der Soziologie. Schwerpunkte: Mikrosoziologie, Qualitative Sozialforschung, Soziologie des Wissens, der Medizin, des Körpers und des Rechts. [email protected]
Prof. Dr. Thomas Klie, geb. in Northeim. Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Rostock. Studium der Evangelischen Theologie (Pfarramt), Evangelischen Religion und Russisch (Lehramt). Promotion in Göttingen über die Didaktik der Verheißung. Habilitation in Bonn über Aspekte der Pastoraltheologie. Forschungsprojekte zu Religionshybriden, Liturgik sowie zu Fragen der Deutungsmacht. Schwerpunkte: Pastoral- und Religionsästhetik, spätmoderne Religionskultur, Performanztheorie und Sepulkralkultur. [email protected]
Matthias Meitzler M.A., geb. in Groß-Umstadt. Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter an der Universität Passau. Promotionsprojekt zur postmortalen Individualisierung an der Universität Bayreuth. Feldforschung u. a. im Hospiz bzw. im Krankenhaus, auf dem Friedhof und im SM-Kontext. Studium der Soziologie, Geschichte und Psychoanalyse an der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie Zweitstudium der Psychologie an der Universität Hagen. Schwerpunkte: Qualitative Sozialforschung, Wissens- und Thanatosoziologie, Mediatisierungsforschung, Mensch-Tier-Beziehungen. [email protected]
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildungen: © Algordanza Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-61630-3