Der Geist der Historie und das Ende des Christentums: Zur "Waffengenossenschaft" von Friedrich Nietzsche und Franz Overbeck. Mit einem Anhang unpublizierter Texte aus Overbecks "Kirchenlexicon" 9783050073675, 9783050031125


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German Pages 195 [196] Year 1997

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Table of contents :
Vorwort
Einleitung
1. Wissenschaftliche Objektivierung und normative Ursprünge: Die Antrittsvorlesungen
1.1 Homer und die klassische Philologie
1.2 Entstehung und Recht einer rein historischen Betrachtung der Neutestamentlichen Schriften in der Theologie
2. Bedrohtes „Leben“ und bedrohte Religion: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben
2.1 Bedingung und Möglichkeit von Geschichte
2.2 Religion und Christentum
3. Kritik, Christentum und Kultur
3.1 Zur Vorgeschichte der Christlichkeit: Die Geburt der Tragödie
3.1.1 Der Mythos und seine Historisierung
3.1.2 Christentum und Griechentum
3.2 Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie
3.2.1 Mythen und Lebensbetrachtung. Der Konflikt von Glauben und Wissen
3.2.2 Geschichte des Christentums und Destruktion der Theologie
3.2.3 Kritische Theologie als Ausweg aus dem Dilemma der Theologie?
4. Der Zwang zur Radikalität: Ein Epilog
5. Anhang: Inedita Overbeckiana
a) Nachlass Franz Overbeck: „Kirchenlexicon“
b) Nachlass Felix Staehelin: Handschriftliche Memoiren von Hermann Siebeck
Siglen, Quellen- und Literaturverzeichnis
a) Siglen
b) Unpublizierte Quellen
c) Weitere Publizierte Quellen
d) Streitschriften zum sogenannten Overbeck-Nietzsche-Streit
e) Sekundärliteratur zu Nietzsche und seinem Umfeld (Auswahl)
f) Sekundärliteratur zu Overbeck und seinem Umfeld
g) Allgemeine Sekundärliteratur
Sach-, Begriff- und Ortsregister
Personenregister
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Der Geist der Historie und das Ende des Christentums: Zur "Waffengenossenschaft" von Friedrich Nietzsche und Franz Overbeck. Mit einem Anhang unpublizierter Texte aus Overbecks "Kirchenlexicon"
 9783050073675, 9783050031125

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Andreas Urs Sommer Der Geist der Historie und das Ende des Christentums

Andreas Urs Sommer

Der Geist der Historie und das Ende des Christentums Zur „Waffengenossenschaft" von Friedrich Nietzsche und Franz Overbeck Mit einem Anhang unpublizierter Texte aus Overbecks „Kirchenlexicon"

Akademie Verlag

Titelbilder: Friedrich Nitzsche: Fotografie um 1875; Franz Overbeck: Fotografie um 1876. Quelle: Porträtsammlung der Universitätsbibliothek Basel.

Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einheitsaufnahme

Sommer, Andreas Urs Der Geist der Historie und das Ende des Christentums : zur „Waffengenossenschaft" von Friedrich Nietzsche und Franz Overbeck ; mit einem Anhang unpublizierter Texte aus Overbecks „Kirchenlexicon" / Andreas Urs Sommer. - Berlin : Akad. Verl., 1997 ISBN 3-05-003112-3

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1997 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z. 39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Satz: Werksatz J. Schmidt, Gräfenhainichen Druck: WB-Druck, Rieden am Forggensee Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Einleitung

XI 1

1. Wissenschaftliche Objektivierung und normative Ursprünge: Die Antrittsvorlesungen

17

1.1 Homer und die klassische Philologie 1.2 Entstehung und Recht einer rein historischen Betrachtung der Neutestamentlichen Schriften in der Theologie

2. Bedrohtes „Leben" und bedrohte Religion: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben 2.1 Bedingung und Möglichkeit von Geschichte 2.2 Religion und Christentum

3. Kritik, Christentum und Kultur 3.1 Zur Vorgeschichte der Christlichkeit: Die Geburt der Tragödie 3.1.1 Der Mythos und seine Historisierung 3.1.2 Christentum und Griechentum 3.2 Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie 3.2.1 Mythen und Lebensbetrachtung. Der Konflikt von Glauben und Wissen . . . 3.2.2 Geschichte des Christentums und Destruktion der Theologie 3.2.3 Kritische Theologie als Ausweg aus dem Dilemma der Theologie?

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4. Der Zwang zur Radikalität: Ein Epilog

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5. Anhang: Inedita Overbeckiana

121

a) Nachlass Franz Overbeck: „Kirchenlexicon" b) Nachlass Felix Staehelin: Handschriftliche Memoiren von Hermann Siebeck . . . .

Siglen, Quellen- und Literaturverzeichnis a) Siglen b) Unpublizierte Quellen

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150 150 152

VI

Inhaltsverzeichnis

c) Weitere Publizierte Quellen d) Streitschriften zum sogenannten Overbeck-Nietzsche-Streit e) Sekundärliteratur zu Nietzsche und seinem Umfeld (Auswahl) f) Sekundärliteratur zu Overbeck und seinem Umfeld g) Allgemeine Sekundärliteratur Sach-, Begriff-und Ortsregister Personenregister

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Dem Andenken meiner Mutter, Annemarie Sommer-Wehrli (1945-1985)

„Nun betrachte man aber gar den historischen Studenten, den Erben einer allzufrühen, fast im Knabenalter schon sichtbar gewordenen Blasirtheit. Jetzt ist ihm die Methode' zu eigener Arbeit, der rechte Griff und der vornehme Ton des Meisters zu eigen geworden; ein ganz isolirtes Capitelchen der Vergangenheit ist seinem Scharfsinn und der erlernten Methode zum Opfer gefallen; er hat bereits producirt, ja mit stolzerem Worte, er hat,geschaffen', er ist nun Diener der Wahrheit durch die That und Herr im historischen Weltbereiche geworden. War er schon als Knabe .fertig', so ist er nun bereits überfertig: man braucht an ihm nur zu schütteln, so fällt einem die Weisheit mit Geprassel in den Schooss; doch die Weisheit ist faul und jeder Apfel hat seinen Wurm." Friedrich Nietzsche

Vorwort

Weltorientierung dank historischer Verortung und religiöser Horizontsetzung ist keine geringzuschätzende Sache. In den Diskussionen über Sinn und Grenzen wissenschaftlicher, namentlich historischer Erkenntnis könnten Nietzsches und Overbecks Schriften durchaus einen nicht unwesentlichen Beitrag leisten. Dieses Potential Hesse sich fruchtbar machen, so wenig diese Studie bei ihrer primär geistesgeschichtlichen Ausrichtung darauf aus ist, das eine oder andere behandelte Theorem als Universalheilmittel heutiger und künftiger geistiger Krisen feilzubieten. Bei ihren Vorbehalten einer rein szientistischen Welterklärung gegenüber, bei ihrem Interesse für Religion, Mythos und für nur teilweise historiographisch verfügbare Geschichte(n) sind Overbeck und Nietzsche selber nicht bloss historisch interessant. Vermögen ihre Antworten auch nicht unbedingt jeden zu überzeugen, so verdienen es ihre Fragen doch, noch immer gestellt zu werden. Für den Komplex des Religiösen im Rahmen einer sich säkularisiert dünkenden Gesellschaft gilt dies in besonderem Masse: Die christliche Theologie hat seit Overbeck vermutlich kaum einen Geist hervorgebracht, der entschlossener die Axt an die Wurzeln ihres eigenen Selbstverständnisses gelegt hätte. Billige Lösungen, die alle theologie- und religionsverdächtigen Dinge umstandslos vom Tisch wischen, wird man bei Nietzsche und Overbeck vergebens suchen. Daher sind beide attraktiv für eine Reflexion, welche Fragen der Weltorientierung nicht mehr so technisch-instrumentell leicht nimmt, wie man es vielleicht vor einigen Jahrzehnten in einer von sich selbst und ihrer Autonomie überzeugteren Moderne zu tun pflegte. Overbeck und Nietzsche leben Religions- und Christentumskritik auf einem Niveau vor, das eine zur kritiklosen ,Regression' ins .Irrationale', ,Mythische' und ,Ganzheitliche' neigende Gegenwart selten erreicht. Wer sich der fundamentalen Herausforderung durch diese beiden Denker stellt, ist vor regredierender Selbstpreisgabe vermutlich gefeit. Eine wie existenziell auch immer begründete Kritik des Aufklärungsprozesses gewinnt keine Glaubwürdigkeit, wenn diese Kritik nicht um ihre eigenen Schranken weiss, wenn sie sich nicht selber intellektueller Redlichkeit befleissigt. Zu solcher Redlichkeit halten Nietzsche und Overbeck an. Ihre prinzipiellen Anfragen werden unreflektierter Wissenschaftlichkeit ebenso gefährlich wie eskapistischer Religiosität. Diese Anfragen sind Gegenstand des vorliegenden Buches. An seinem Zustandekommen haben Frank Faessler (Basel), Dr. Nikiaus Peter (Bern), Lie. soc. Kim Sitzler (Paris) und Lie. phil. Miguel D. Skirl (Freiburg im Breisgau) wesentlichen Anteil. Unentbehrlich war mir die Begleitung durch Prof. Dr. Henning Ottmann (München) und Prof. Dr. Annemarie Pieper (Rheinfelden). Der Mühe, das Manuskript kritisch zu lesen, haben sich auch Lie. phil. Dagmar Fenner (Paris), Dr. Katja V. Taver (Basel) und vor allem Margot Hartmann (t) unterzogen, die zahlreiche Satzperioden entwirrte und den Archaismen Einhalt gebot. Dass manche verwinkelten Sätze, Katachresen, Barbarismen und sonstige sonderbare Wendungen dennoch stehen geblieben sind, ist allein meinem Starrsinn zuzuschreiben.

XII

Vorwort

Mit Prof Dr. Fritz Buri ( f ) habe ich in einem seiner „Privatseminare" 1989 Nietzsches Zweite Unzeitgemässe erstmals eingehend studiert und dabei vielerlei lernen können. An ihn und an Margot Hartmann sei hier nachdrücklich erinnert. Elsa Buri-Richard (Basel) hat mir aus der Bibliothek ihres Gatten Fritz Buri zwei Bücher geschenkt, die in Overbecks Besitz gewesen sind (vgl. Quellenverzeichnis). Allen Genannten bin ich zu grossem Dank verpflichtet. Dankende Anerkennung gebührt auch den Angestellten der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Basel, namentlich Herrn Prof. Dr. Martin Steinmann, Herrn Voellmy und Herrn Courvoisier, die mir Overbecks Nachlass auf unkomplizierte Weise zugänglich gemacht und gehalten haben. Ferner danke ich für hilfreiche Anregungen und vielerlei kritische Hinweise Prof. Dr. Rudolf Brändle (Basel), Prof. Dr. Hubert Cancik (Tübingen), Dr. Thomas Egel (Berlin), Prof. Dr. Ulrich Gäbler (Basel), Prof. Dr. Wolfram Groddeck (Basel), Christian Klaus (Lausanne), Dr. Olaf Kühr (Lörrach), Gunnar Mikosch (Bern), Prof. Dr. Karl Pestalozzi (Allschwil), Dr. Barbara von Reibnitz (Basel), Martin R. Schütz (Reinach), Pfr. Dr. Werner A. Sommer (Langenthal), Marianne Stauffacher-Schaub (Basel), Prof. Dr. Ekkehard W. Stegemann (Riehen), Lie. phil. Bernhard Sterchi (Basel), Dr. Martin Stingelin (Binningen), Coya Tapia (Bottmingen), Prof. Dr. Martin Tetz (Bochum) und Lie. iur. Benno B. Widmer (Basel/Genf). Die verbliebenen Fehleinschätzungen und Irrtümer sind die meinigen. Basel, im Herbst 1996 Andreas Urs Sommer

Einleitung „ Mit der Vorrede dringt man in die Intimität der Werkstätte des Schriftstellers ein. Denn man wohnt seiner Toilette bei, und es kommt unmittelbar zum Vorschein dass er nicht immer, wie das im Text des Werks den Anschein hat, so ohne Weiteres mit seinem Stoff Eines ist und in ihn und darum auch in seine Worte rein aufgeht Franz Overbeck hat als teurer, treuer Freund Friedrich N i e t z s c h e s in einer Fussnote der Philosophiegeschichte anscheinend einen endgültigen Platz gefunden, ohne dass die Philosophiehistoriker auf diesen Freund und das ihn mit N i e t z s c h e Verbindende allzuviele Gedanken verschwendet hätten. Mittlerweile ist man sich einig, dass diese Freundschaft alle Krisen

ziemlich

unbeschadet überdauert habe. Overbeck hat sich später, während N i e t z s c h e s Umnachtung, nicht bloss bei der Mutter Franziska Nietzsche-Oehler in Naumburg häufig nach d e m B e f i n d e n des Patienten erkundigt und dessen (finanzielle) A n g e l e g e n h e i t e n in Basel geregelt 2 , sondern zudem - eher unfreiwillig - den Grundstein einer v o m Weimarer Archiv unabhängigen „Basler Nietzsche-Tradition" gelegt. D i e s rechnen ihm nicht allein j e n e Nietzsche-Interpreten hoch an, die aus ihrer heute w o h l f e i l e n Antipathie g e g e n die (editorischen und exegetischen) Künste d e s W e i m a rer Nietzsche-Archivs unter der Ä g i d e der Schwester die e i g e n e Daseinsberechtigung beziehen. Seit Carl Albrecht Bernoullis Overbeck-Würdigungen, inbesondere seit seiner einschlägigen M o n o g r a p h i e 3 - die den Diffamierungen Franz und Ida Overbecks durch Elisabeth Förster-

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Overbeck in seinem „Kirchenlexicon" unter dem Lemma „Vorrede", Ziffer 1, S. 1, in: NLO, A 240 (vollständige Transkription im Anhang). Aus Overbecks unveröffentlichtem Nachlass wird mit Angabe der jeweiligen Konvolutnummer (nach Ov II) zitiert; einige dieser Texte sind im Anhang vollständig transkribiert (solche, die im Rahmen der OWN nicht publiziert werden). Abkürzungen werden stillschweigend aufgelöst, Orthographie und Interpunktion (häufig fehlende Kommata!) beibehalten. - Wie alle andern mit Siglen gekennzeichneten Werke werden Nietzsches Schriften (nach der KSA, jeweils mit Aphorismusnummer sowie Band- und Seitenzahl; bei den Juvenilia nach BAW, den Philologica nach KGW oder GoA; die Briefe nach KSB bzw. bei Briefen an Nietzsche nach KGB, bei der Korrespondenz mit Overbeck auch nach BNO) meist im Haupttext zitiert. Sämtliche Siglen sind im Siglenverzeichnis der Bibliographie aufgelöst, die diakritischen Zeichen im Anhang aufgelistet. Sekundärliteratur wird bei erstmaligem Auftreten in den Anmerkungen mit vollständigen bibliographischen Angaben, danach mit Autorenname, bei mehreren Schriften eines Autors zusätzlich mit Kurztitel ausgewiesen. Hervorhebungen in Zitaten sind stets die des Originals.

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Eine Auswahl der Briefe Overbecks an Franziska Nietzsche-Oehler wird erstmals in OWN, Bd. 8: Briefe, hrsg. von Nikiaus Peter und Andreas Urs Sommer 1998 gedruckt erscheinen (die Gegenbriefe sind publiziert in: Erich F. Podach (Hrsg.), Der kranke Nietzsche. Briefe seiner Mutter an Franz Overbeck, Wien 1937). Zur Basler Rente Nietzsches und zu Overbecks Bemühungen darum vgl. Curt Paul Janz, Friedrich Nietzsche. Biographie, Bd. 3, München/Wien 2 1993, S. 181-207.

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ON I—II. Das Werk ist als Quellenpublikation nach wie vor unentbehrlich. Die damals wegen einer vom Weimarer Archiv erwirkten, gerichtlichen Verfügung getilgten Stellen (Ausschnitte aus den Briefen von Peter Gast an Overbeck) sind publiziert in: Mazzino Montinari, Die geschwärzten Stellen in C. A. Bernoulli: Friedrich Nietzsche und Franz Overbeck. Eine Freundschaft, in: Nietzsche-Studien, Bd. 6 (1977), S. 300-328. Zur Publikationsgeschichte vgl. Ulf Diederichs, Kampagne um Nietzsche. Zur Entstehungs-

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Einleitung

Nietzsche einen Riegel hätte vorschieben sollen 4 - hat sich die Erkenntnis durchzusetzen begonnen, dass die Freundschaft echt und dauerhaft gewesen sei. Allerdings brachte die Schubladisierung Overbecks unter dem Etikett „Freund (bester)" oder „eine der grossen Mittlergestalten" 5 innerhalb der Nietzsche-Forschung eine Perspektivenverengung mit sich, die das Eigenständige an Overbecks Position auszuklammern geneigt ist. Bereits Bernoulli, Overbecks „vermeintlicher Schüler" 6 und Nachlassverwalter, hatte das in den 1890er Jahren plötzlich erwachende Interesse an Nietzsche mit publizistischem Kalkül für eine Wiederbelebung von Overbecks eigenem Werk nutzen wollen und dies in einer Erklärung vom März 1902 dementsprechend formuliert (Ov II, 9). Overbeck selbst hatte auf Bernoullis Pläne ablehnend reagiert. In einer Glosse zu Bernoullis Erklärung stellte er unmissverständlich klar: „noch weniger" als an anderen Vorschlägen „liegt mir daran eine Publication über Nietzsche als praktischsten Anknüpfungspunkt* für .mein gesammtes CEuvre' nicht zu .versäumen'" (Ov II, 9, Anm. 6). Davon unbeeindruckt, nahmen die Kompilationen Bernoullis aus Overbecks ausserordentlich umfangreichem Nachlass die Chance dieses „Anknüpfungspunktes" wahr 7 , zumal Overbeck der eigenen theologischen Zunft durch

und Wirkungsgeschichte von C. A. Bernoullis „Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche. Eine Freundschaft" (1908), in: Buchhandelsgeschichte. Aufsätze, Rezensionen und Berichte zur Geschichte des Buchwesens, Nr. 76,1994/3, S. Β 97-B 112. 4 Einige Zeugnisse sind versammelt bei David Marc Hoffmann, Zur Geschichte des Nietzsche-Archivs. Elisabeth Förster-Nietzsche - Friedrich Koegel - Rudolf Steiner - Gustav Naumann - Josef Hofmiller. Chronik, Studien und Dokumente, Berlin/New York 1991. Auf der UB Basel wird unter der Signatur k h III 76 ein Konvolut von fast 30 Pasquillen aufbewahrt (vollständig bibliographiert im Literaturverzeichnis), die so ziemlich alle denkbaren Verleumdungen Overbecks dokumentieren. Sie lassen das Desiderat einer eigentlichen „Kriminalgeschichte" des Weimarer Archivs schmerzlich empfinden (die eher populär gehaltenen Arbeiten über Elisabeth Förster-Nietzsche - insbesondere die von H. F. Peters - füllen diese Forschungslücke nur teilweise). Peter Gast, einst auch ein Verehrer Overbecks, profiliert sich bei der ganzen Affäre nicht gerade vorteilhaft (Peter Gast, Zum Kapitel Nietzsche-Overbeck, in: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 126, 11. August 1905, Nr. 221, S. 1-2). Ein weiteres beredtes Beispiel der försterischen Kampagne gegen Overbeck gibt Leo Berg, Nietzsches Freundschaftstragödien, in: L. B., Heine - Nietzsche - Ibsen. Essays, Berlin 1908, S. 29-62, demzufolge man hier die „Karikatur einer Freundschaft" (S.59) und in Overbeck gewissermassen den Judas Nietzsches vor sich habe. Bernoulli mobilisierte gegen Bergs Pamphlet eine Reihe namhafter Gelehrter zu einer Solidaritätserklärung für die postume Ehrenrettung Overbecks (abgedruckt in ON I, 424), worauf Berg dieses Dokument in der Buchausgabe seines Artikels erneut abdrucken liess und höhnisch kommentierte: „Deutsche Professoren versäumen nicht gern eine Gelegenheit, sich zu blamieren." (S. 61) In den Fussstapfen Bergs bekleckert sich neuerdings Anacaleto Verrecchia, Zarathustras Ende. Die Katastrophe Nietzsches in Turin, Wien/Köln/Graz 1986 (S.285 und passim) mit Ruhm. Freilich kommt bei seiner unfeinen Darstellung Nietzsche selbst ebenso schlecht weg wie Overbeck. Gegen Berg hat Charles Andler, Nietzsche. Sa vie et sa pensee. Vol. 2: La jeunesse de Nietzsche jusqu' ä la rupture avec Bayreuth, Paris 1921, S. 169-178 das Wesentliche gesagt. 5 Walter Benjamin, Deutsche Menschen. Eine Folge von Briefen. Auswahl und Einleitung von Detlef Holz [1936], in: W. B., Gesammelte Schriften, Bd. 4/1, hrsg. von Tillman Rexroth, Frankfurt a. M. 1972, S.149-233,S.228. 6 So fand sich Bernoulli selbst in Overbecks Papieren tituliert und verwahrte sich dagegen: siehe Ov II, 7, Anm. 2. Zu Bernoulli, insbesondere zu seinem dichterischen Werk vgl. die Biographie seiner Tochter: Eva Bernoulli, Erinnerungen an meinen Vater Carl Albrecht Bernoulli 1868-1937, Basel 1987 (über die Verwaltung des Overbeck-Nachlasses S. 64-67). 7 Ζ. B. EFN und insbesondere Christentum und Kultur, wo Bernoullis Vorrede diese Praktik verdeutlicht. Die editorische Zweifelhaftigkeit dieser Kompilationen ist viel diskutiert worden: Man kann sich

Einleitung

3

seine spärlichen Publikationen zu Lebzeiten in erster Linie als vorzüglicher Patristiker, weniger aber als eigenständiger Denker bekanntgeworden war. Die nach der Veröffentlichung von Christentum und Kultur einsetzende Rezeption ausserhalb kirchenhistorischer und neutestamentlicher Fachkreise war jedoch selten bereit, Overbeck als „Wache" an der „Schwelle metaphysischer Möglichkeiten" (Herausgebervorrede zu Christentum und Kultur, XXXVIII) philosophisch zu würdigen. „Metaphysische Möglichkeiten" kamen damals ohnehin aus der Mode. Hauptsächlich dank Karl Barth, der sich durch Overbecks Polemik gegen die (moderne) Theologie in die Lage versetzt sah, für seinen eigenen Kampf gegen die Vermengung von Göttlichem und Menschlichem in der (Jculturprotestantischen') Theologie diesen merkwürdigen Mann als wissenschaftlich unverdächtigen Zeugen aufzurufen, geriet Overbeck hingegen ins Rampenlicht der theologischen Krisenüberwindungsdebatte nach dem 1. Weltkrieg. 8 Barth erkannte in Overbeck einen Propheten (seiner eigenen Theologie!) wieder: „Finis christianismi! lautet ja die prophetische Drohung, um wie viel mehr finis theologiae! Aber der Mann, der vom Tode so tiefsinnig redete, muss auch mit diesem finis irgendwie einen fruchtbaren, lebendigen, ursprünglichen Begriff verbunden haben. Jenseits der schlechthinnigen Frage muss eine Antwort, jenseits der Nichtigkeit ein neuer Anfang, jenseits der Wüste, in die wir gewiesen werden, ein gelobtes Land sein."9 Eben dies, dass Overbeck nämlich ein „gelobtes Land" hinter der Wüste und dem Christentum nach der Durststrecke eine Zukunft vorausgesagt habe, bezweifeln zeitgenössische Kritiker Barths, der daraufhin selbst einräumte, dass ihn das „Historische an Overbeck" 10 wenig kümmere - mit anderen Worten: das, was Overbeck wirklich gewollt habe.

Vischers Sarkasmus, Bernoulli habe „Overbeck nach seinem Tode Bücher schreiben zu lassen, die er bei Lebzeiten nicht geschrieben hat" (Eberhard Vischer, Overbeck redivivus, in: Die christliche Welt, Bd. 36 (1922), Sp. 109-112, Sp. 111), nicht ganz verschliessen. Bernoulli aber kommt das grosse Verdienst zu, unermüdlich rührig Overbeck überhaupt erst eine breitere Leserschaft beschert zu haben. Bernoulli hat Overbecks Notate vielfach sprachlich geglättet, sachlich verändert und aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissen, so dass ich die Stellen aus Christentum und Kultur jeweils nach dem neuedierten „Kirchenlexicon" in OWN 4—5 zitiere. OWN 6/1 bietet eine analytische Neuauflage von Christentum und Kultur und gestattet so eine rasche Orientierung. 8 Siehe Karl Barth, Unerledigte Anfragen an die heutige Theologie [1920], in: Κ. B., Die Theologie und die Kirche. Gesammelte Vorträge, Bd. 2, München 1928, S. 1-25, und Κ. B., Immer noch unerledigte Anfragen [1922], in: Κ. B., Vorträge und kleinere Arbeiten 1922-1925, hrsg. von Holger Finze = Gesamtausgabe, Bd. 3, Zürich 1990, S. 58-64. Auch im berühmten „Römerbrief' von 1922 gedenkt Barth Overbeck dankbar (Κ. B„ Der Römerbrief [1922], Zürich 131984, S. VII). 9 Barth, Unerledigte Anfragen, S. 22. Overbeck selbst hätte an dieser „Theologen-Logik" vermutlich wenig Freude gehabt. 10 Barth, Immer noch unerledigte Anfragen, S. 62. Barth reagiert damit auf Eberhard Vischer, Overbeck und die Theologen, in: Kirchenblatt für die reformierte Schweiz, Jg. 35 (1920), S. 122-124 & 125-127 und Ε. V., Der neuentdeckte Overbeck, in: Die christliche Welt, Jg. 36 (1922), Sp. 125-130 & 142-148, welcher Bernoullis Editionstechnik und die Inanspruchnahme Overbecks durch die Dialektische Theologie rügte. Vischer seinerseits will zeit seines Lebens den Beweis für Overbecks „Unglauben" erbringen. Zu Overbeck in der Dialektischen Theologie vgl. Hans Schindler, Barth und Overbeck. Ein Beitrag zur Genesis der dialektischen Theologie im Lichte der gegenwärtigen theologischen Situation [1936], Darmstadt 1974.

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Einleitung

Seither schwelt die Kontroverse um Overbeck (indessen blieb die ausgezeichnete Monographie von Walter Nigg 1 1 ein Vierteljahrhundert lang die einzige ihrer Art). Die Forschung ist bis heute vornehmlich von theologischen Interessen bestimmt: Ob sie sich nun auf neutestamentlich-kirchenhistorischer oder systematisch-dogmatischer Ebene mit Overbeck beschäftigt, bemüht sie sich auf vielfältige Weise um die Rechtfertigung der Theologie und den Erweis der Möglichkeit von Christentum in der Moderne und in der Welt überhaupt - beides Unternehmungen, die von Overbeck prinzipiell in Frage gestellt worden waren. Häufig bewegt sie sich zwischen den Polen der Vereinnahmung und der Abwehr, wobei die Auseinandersetzung mitunter nicht offen geführt wird, sondern auf ein probates argumentum ad personam zurückgreift, die Reduktion der sachlichen Probleme auf biographische 12 und in der Tendenz - ähnlich wie bei Nietzsche - auf psychopathologische. So kann man sich vom Disput über das inhaltlich Strittige selber dispensieren. Auch die elaborierteste psychoanalytische Abhandlung, die sich sicher nicht den Vorwurf eines vulgärpsychologischen Dilettantismus gefallen lassen muss, entgeht dieser Gefahr nicht ganz. 13 Die bisherige Forschung wird häufig in einer ganz bestimmten Hinsicht von Interesse geleitet: Als theologische ist sie bedacht auf die Erhaltung ihrer eigenen Möglichkeit als christlich gegründete und motivierte Wissenschaft und damit Overbecks Ansatz, der der Theologie ihre christliche Legitimation abspricht, prinzipiell entgegengesetzt. Entweder wird (mithin bei Barth) Overbecks Denken so umgemünzt, dass der Anschein entsteht, es perhorresziere bloss jede andere Theologie, klammere jedoch die des gerade Schreibenden aus, der seinerseits Overbeck als Gift gegen die andern Theologen ohne Skrupel verwenden zu dürfen glaubt. 14 Oder man versucht, im Bewusstsein, selbst von Overbecks Analysen unmittelbar be- und getroffen zu sein, dessen Prämissen und Schlussfolgerungen zu widerlegen. Diese theologische Forschung hat deswegen eine hohe Sensibilität für die Ungereimtheiten und Brüche in Overbecks Theologie- und Christentumskritik entwickelt, von der gerade eine nicht theologisch ausgerichtete Untersuchung vielerlei lernen kann. Meine Erkenntnisinteressen, soweit von Christentums- und Theologiekritik die Rede ist (und soweit ich mir darüber Rechenschaft zu geben im Stande bin), sind anders geartet. Die Verteidigung eines wie auch immer konzipierten „Christentums" oder gar einer Theologie liegt ausserhalb meines Blickfeldes. Mich locken nicht die Probleme der Theologen mit Overbeck und Nietzsche, sondern die Probleme Overbecks und Nietzsches, sofern es auch meine eigenen sind: 11 Walter Nigg, Franz Overbeck. Versuch einer Würdigung, München 1931. 12 Overbeck „kannte" ja „kein deutsches evangelisches Familienleben, keine kirchliche Gewöhnung und Sitte, kein Heimatsgefühl, kein Gemeindeleben." Wilhelm Bornemann, Franz Overbeck, in: Protestantenblatt. Wochenschrift für den deutschen Protestantismus, Jg. 68 (1935), Sp. 8 5 - 8 8 & 1 0 2 - 1 0 4 , S. 102. Nach Wolfgang Köhler, Christentum und Geschichte bei Franz Overbeck, Erlangen 1950 (Masch.), S. 34, lassen sich die Zweideutigkeiten von Overbecks Denken aus dem „dualistische[n] Charakter seiner Person" deduzieren. 13 Eine Studie, die Overbecks Denken mit Hilfe Sigmund Freuds als Trauerarbeit um ein verlorenes Objekt (das Christentum) interpretiert, legt Rudolf Wehrli, Alter und Tod des Christentums bei Franz Overbeck, Zürich 1977 vor. Dagegen Martin Henry, Franz Overbeck: Theologian? Religion and History in the Thought of Franz Overbeck, Frankfurt am Main/Berlin/Bern 1995, S. 31: „His [sc. Overbecks] thought is certainly no straightforward elegy for Christianity." Ich wäre eher zu fragen geneigt, ob Nietzsches „kritische Historie" in ihrem unbeugsamen Abschaffungswillen eine Form der Trauerarbeit sei. 14 Obschon Barth, Der Römerbrief, S. VII, beteuert, er habe Overbecks „Warnung an alle Theologen" „zuerst auf [s]ich selbst bezogen und dann erst gegen den Feind gekehrt."

Einleitung

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verursacht nämlich durch den Verlust einer ungebrochenen (christlichen) Religiosität. Dadurch bestimmen Aussenansichten das hier vorherrschende Bild des Christentums, ohne dass allerdings (wie beim späten Nietzsche) starke Affekte die Haltung ihm gegenüber prägten. Eher ist es die Faszination des Fremden, mit der mich das Christentum anlockt. Wie hat es zu dem werden können, was es war (und mancherorts noch ist) - und weshalb ausgerechnet das Christentum? Eine solche Problemstellung ist vermutlich selber wiederum von einigen unhintergehbaren, säkularisiert christlichen Vorgaben abhängig. Nietzsche und Overbeck sollen keine Argumente für oder gegen das Christentum beisteuern, deren ich mich bedienen oder gegen die ich mich verwahren kann, sondern vielmehr helfen, den Übergang von einer christlichen zu einer nicht mehr christlichen Denkweise zu verstehen. Das heisst, sie könnten die Genese einer mehr oder weniger entchristianisierten Welt erhellen. In einer solchen Welt finde ich mich vor. Konkret versuche ich, Aufschlüsse über die Geschichtstheorien zu bekommen, die jeder Beschäftigung mit dem Christentum als einem historischen Phänomen (mit weitreichenden Folgen bis in die Gegenwart) zugrunde liegen müssen. Dabei möchte ich in Erfahrung bringen, ob, und wenn ja, wie Historie als Instrument gebraucht wird, die Antiquiertheit' des Christentums zu begründen. Philosophisch ist die Fragestellung insofern, als mit der Verabschiedung des Christentums als Sinn- und Orientierungsreservoir bei Overbeck so gut wie bei Nietzsche eine neue Herausforderung, sich als Mensch in der Welt .metaphysisch' zu verorten, gemeistert sein will 1 5 , wenn „der moderne Mensch ohne Religion steuerlos ins Meer des Weltalls hinausgeschleudert" (OWN 4, 618) ist. Während sich Overbeck in die Aporien schickt 1 6 und meines Erachtens der Versuchung entgeht, Wissenschaft, eben Historie als neuen Götzen auf den Thron zu heben, ist Nietzsche trotz seiner Destruktion der Metaphysik zu neuen, diesseitsbezogenen Welttotalerklärungen aufgebrochen. Dass Overbeck diese Sinnangebote nicht ergriff, sondern auf seiner erasmisch gefärbten Zurückhaltung beharrte, hat man - namentlich seitens .gläubiger' Nietzscheaner - gelegentlich getadelt. 1 7 Ich strebe im folgenden eine ,metoptische' Betrachtung von Nietzsches und Overbecks Konzepten an, freilich eingeschränkt auf die beiden zentralen Aspekte, nämlich die Problematik von Geschichte und Christentum,18 Metopsis meint die aufeinanderfolgende Analyse einzelner

15 Vgl. „Philosophie (Allgemeines)", Ziffer 3, S. 2, in: NLO, A 2 3 4 (vollständige Transkription im Anhang): „Ist aber Philosophie die Wissenschaft, welche den Menschen in der Welt orientirt, so wird Erkenntnisstheorie nothwendiger Weise zu einer ihrer Grundfragen. Denn zu aller Orientirung in einem Räume gehört vor allen Dingen Übersicht über seine Grenzen." 16 Ob die „Schwebe", auf die Jörg Weber, Finis Christianismi - Zur Theologie Franz Overbecks, Pfaffenweiler 1985 seine Interpretation abstützt, tatsächlich „die grösste Freiheit" bedeute, „die man zu Menschen oder Dingen und deren Betrachtung überhaupt haben kann" (S. 7), ist mir im Hinblick auf Overbeck fraglich. Ebenso der Overbeck bei Weber letztlich unterstellte Chiliasmus: „Die Schwebe ist der wahrhaft schöpferische Moment der Menschheit. Denn es geht ein Äon zu Ende, und ein neues Zeitalter bricht an." (ibd.) 17 Eine physische Ähnlichkeit Overbecks mit Erasmus und Mommsen stellt Carl Albrecht Bernoulli, Franz Overbeck, in: Basler Jahrbuch 1906, S. 1 3 6 - 1 9 2 , S. 149 fest. Ernst Bertram, Nietzsche. Versuch einer Mythologie, Berlin 6 1 9 2 2 , S. 4 9 evoziert für Nietzsche-Overbeck die später oft wiederholte Präfiguration Luther-Erasmus. Allerdings schätzt er den „Erasmusblick" Overbecks hoch ein (S. 62). Vgl. ferner O W N 5 , 1 2 4 und 5 , 5 5 5 . 18 Hans Erich Lampl, Franz Camille Overbeck, in: Karlheinz Deschner (Hrsg.), Das Christentum im Urteil seiner Gegner, Bd. 1, Wiesbaden 1969, S. 3 5 4 - 3 6 6 , S. 355 hat das gegenseitige Geben und Nehmen bei Overbeck und Nietzsche bis 1888 unterstrichen: „Der geistig-produktiven Seite der Beziehung ist bis

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Einleitung

Schriften, die ich herausgreife und eingehender unter Hinweis auf Parallelstellen erörtere. Die Untersuchung dieser Werke soll exemplarischen, nicht erschöpfenden Charakter haben. Im Unterschied zu einer Synopse wird z . B . ein Gedanke Overbecks seltener unmittelbar mit einem ähnlichgearteten Nietzsches konfrontiert, sondern solche Vergleiche werden erst nach der Behandlung eines Werkes angeboten. Dies fordert während der Lektüre der Werkanalysen das Synthetisierungsvermögen der Leserinnen und Leser heraus, die sich jeweils selber einen Reim auf die Entsprechung bei Nietzsche oder bei Overbeck machen sollen. Bei Nietzsche stütze ich mich vorwiegend auf das von ihm selbst Publizierte (und gelegentlich auf Nachlassschriften, z. B. WL, PtZG), während bei Overbeck zwar seine publizierten kirchenhistorischen Arbeiten und seine als „Zwillingswerk" der Ersten Unzeitgemässen 1873 erschienene „Streit- und Friedensschrift" Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie19 im Vordergrund der Analyse stehen, was mich aber nicht davon entbindet, den unveröffentlichten (oder kürzlich veröffentlichten) Nachlass heranzuziehen. Ich konzentriere mich auf die frühe Phase der Freundschaft bis etwa ins Jahr 1875 - ohne somit Nietzsches freigeisterei' noch einzubeziehen. Dieser zeitliche Rahmen ist vorgegeben durch den besonderen Charakter der Freundschaft in ihrer ersten, stürmerischen und drängerischen Periode, die durch das Stichwort „Waffengenossenschaft" nicht schlecht umrissen wird. Danach - nach 1875, mit Nietzsches Abschied vom Jugendideal des tragischen Griechentums, Overbecks Verheiratung 1876 und Nietzsches Nomadenleben von 1879 an - hat sich die Freundschaft von der waffenbrüderlichen Fixierung auf gemeinsame Feindbilder und überhaupt einen gemeinsamen Kampf, also von der Zweckbindung gelöst und ist wohl in ein neues Stadium getreten (vgl. den 2. Teil der Einleitung). Mit Overbecks Nachlassnotaten, die ich mitunter einbringe, will ich nicht für eine gerade bei Nietzsche zu rügende „Metaphysik der Edition" plädieren, „wonach alles Erschienene blosse Erscheinung, alles Unveröffentlichte jedoch das Wesen sei". 20 Overbeck hat den kleinsten Teil dessen, was er geschrieben hat, auch publiziert und sich, mit Ausnahme der Christlichkeit, zu Lebzeiten öffentlich fast nur in streng fachwissenschaftlichen Abhandlungen zu Wort gemeldet, wohingegen sein Nachlass und darin vor allem das (von Bernoulli etwa für Christentum und Kul-

dato bloss spärliche Berücksichtigung zuteil geworden. Man muss dezidiert die Frage nach der reziproken Osmose der von beiden Gehirnen geleisteten Erkenntnisse unerbittlicher, erschreckender Wahrheiten aufwerfen, um ihre .Wunsch- und Waffenbrüderschaft' ins Relief treten zu lassen." 19 OWN 1 bietet den Text von 1873 (ChT 1 ) und gesondert die umfangreichen Ergänzungen von 1903 (ChT 2 ). Da in OWN die Originalpaginierung der von Overbeck selbst veröffentlichten Schriften jeweils am Rande angegeben ist, wird bei Zitaten allein diese beigebracht. 20 Wolfram Groddeck, Die Überwindung der Editions-Metaphysik. Zur geplanten Neuedition von Nietzsches spätem Nachlass, in: Neue Zürcher Zeitung, 15./16. Oktober 1994, Nr. 241, S. 67-68, S. 67, der mit Recht z . B . die von Heidegger geübte Praxis rügt, das Wesentliche nur im Nachlass, im eigentlich nicht Gesagten sehen zu wollen. Ähnlich hatte sich bereits Karl Schlechta, Offener Brief an Karl Löwith [1959], in: Salaquarda (Hrsg.), Nietesche, Darmstadt 1980, S. 96-105, S. 97 geäussert. In Sachen Overbeck schwingt sich die Arbeit von John Elbert Wilson, Gott, Mensch und Welt bei Franz Overbeck, Bern/ Frankfurt a.MVLas Vegas 1977, die Overbecks Denken aus einem quasireligiösen Piatonismus ableitet, zur Advokatin einer ungeschriebenen Geheimlehre auf (in bewusster Anlehnung an die Diskussion über die exoterische und esoterische Lehre Piatons? - vgl. unten Kapitel 3.2.3): „Die Interpretation von Overbeck ist mit der grossen Schwierigkeit verbunden, dass Overbeck seine tiefsten Überzeugungen auch in den Manuskripten nicht preisgab." (S. 11) So dürfen wir uns glücklich schätzen, dass Wilson zu den Eingeweihten zählt und uns das niemals Geschriebene (und niemals Gesagte!) offenbart...

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tur ausgeschlachtete) „Kirchenlexicon" neue, unvermutete Seiten seines D e n k e n s enthüllt. Es handelt sich nicht - w i e vielfach bei Nietzsches Nachlassnotaten - u m verworfene Vorstufen von später in endgültiger Formulierung veröffentlichten Texten, sondern u m eine reichhaltige Kollektaneensammlung und Privatenzyklopädie. Notgedrungen werde ich m i c h in diesen A u f z e i c h n u n gen Overbecks etwas kundig machen, ohne dabei irgendeinem Trachten nach Vollständigkeit nachzugeben. Allenfalls auf Exemplarität kann ich abzielen. Manche der „Kirchenlexicon"-Einträge Overbecks sind zeitlich nicht präzise einzuordnen 2 1 , viele der hier erstmals vorgestellten fallen aber in eine spätere Schaffensperiode (überwiegend nach 1885). Der Datierungsprobleme w e g e n erübrigen sich teilweise jene genetischen Überlegungen, die in der Vergangenheit zum Verhältnis Nietzsche-Overbeck so gern angestellt worden sind: wer nämlich w e n beeinflusst habe. Hier sollen jene späten Notate vor allem a u f z e i g e n , w i e sich Overbecks D e n k e n radikalisierte und er sich dazu durchrang, das Christentum für obsolet und die T h e o l o g i e für verwerflich zu halten, ohne dass es in seiner geistigen oder öffentlichen Vita zu schroffen Brüchen g e k o m m e n wäre. D i e Nachlassaufzeichnungen zeugen von Weiterentwicklungen auf d e m einmal eingeschlagenen Pfad und werden als Selbstkommentare in den Anmerkungen mitgeteilt, garantieren jedoch auch in ihrer j e w e i l i g e n Integralität - w i e sie im Anhang erscheinen - eine reizvolle Lektüre. Im Hauptteil sind es Scholien,

ein „Noten-Souterrain"

im Sinne Jean Pauls. 2 2 Trotz unterschiedlicher Programme ist Nietzsches und Overbecks Vorgehen vergleichbar und soll, sofern es ein h i s t o r i s c h - g e n e a l o g i s c h e s ' ist, hier verglichen werden. 2 3 B e i Overbeck nimmt

21 Zu den Möglichkeiten einer Datierung dieser Blätter anhand der Handschrift und der Papiersorten siehe Ov 11,30. 22 „Vielleicht aber holt die Schreibwelt - bei dem Flämmchen dieses Zufalls - eine wichtigere Ausbeute, einen grössern unterirdischen Schatz herauf, als leider ich gehoben; denn nun ist dem Schriftsteller ein Weg gezeigt, in einem Marmorbande ganz verschiedne Werke zu geben, auf einem Blatte zugleich für zwei Geschlechter, ohne deren Vermischung, ja für fünf Fakultäten zugleich ohne deren Grenzverrückung zu schreiben, indem er, statt ein ekles gärendes Allerlei für niemand zu brauen, bloss dahin arbeitet, dass er Noten-Linien oder Demarkationslinien zieht und so auf dem nämlichen fünfstöckigen Blatte die unähnlichsten Köpfe behauset und bewirtet. Vielleicht läse dann mancher ein Buch zum vierten Male, bloss weil er jedesmal nur ein Viertel gelesen." Jean Paul, Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz mit fortgehenden Noten; nebst der Beichte des Teufels bei einem Staatsmanne [1809]. Mit einem Nachwort von Kurt Schreinert, Stuttgart 1975, S. 5. 23 Ernst Benz, Nietzsches Ideen zur Geschichte des Christentums und der Kirche, Leiden 1956, S. 144: „Am wenigsten lässt sich innerhalb des hier behandelten Problemkreises der Ideen zur Geschichte des Christentums die Einwirkung desjenigen Theologen nachweisen, dessen Ideen man am ehesten geneigt wäre, bei Nietzsche wiederzufinden - des treuesten der Freunde, Franz Overbeck." Dass diese Behauptung nicht zutrifft, soll die vorliegende Arbeit verdeutlichen. Benz hatte bekanntlich Nietzsches Kirchengeschichtsinterpretation in der Nachfolge des protestantischen Spiritualismus (Gottfried Arnold u.a.) lokalisiert. Implizit gegen Benzens Ablösung Nietzsches von Overbeck wendet sich bereits Köhler, S. 71, wenn er schreibt: „Overbecks Perspektive der Geschichte des Christentums und sein Hinweis auf eine genuine Erhaltung des Glaubens steht ganz in der Linie mit der spiritualistischen Kirchengeschichtsbetrachtung." Allerdings sind die dort S. 120 gebotenen Schlussfolgerungen nicht mehr ganz nachzuvollziehen: „Durch die Unmöglichkeit einer Neugründung des Christentums bleibt nach der Eliminierung des christlichen Teiles doch noch der restliche Bestand des Spiritualismus bestehen, nämlich die Naturmystik." Darauf soll sich Overbeck kapriziert haben. Siehe ferner die Andeutungen bei Georg Picht, Nietzsche. Mit einem Nachwort von Enno Rudolph, Stuttgart 1988, S. 38If. zum Einfluss von Overbeck und Burckhardt auf die Entwicklung von Nietzsches genealogischer Methode. Die Arbeit von Benz bleibt

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das Detail viel Raum ein, aber seiner Historiographie liegen Jcritische' Entwürfe zugrunde - sie verfolgt gerade nicht das Ziel von Nietzsches „antiquarischer Historie", sich in der Vergangenheit gleichsam unter einem pseudometaphysischen Obdach einzurichten. Im Gegenteil bringt sie derlei Obdächer so unbarmherzig zum Einsturz, dass sich niemand mehr im spukschlossartigen ,Haus der Geschichte' behaglich und sicher fühlen wird. Christentum und Historie stehen Overbeck zufolge in einem bedenklichen Gegensatz (vgl. OWN 4, 197f.). 24 Nietzsches Philosophie und Kulturkritik gehen explizit von Gesamtentwürfen aus, die er auf exempla aus der Geschichte gründen zu können wähnt; historische Klein- und Quellenarbeit sind trotzdem nicht sein liebstes Geschäft, was die Geburt der Tragödie so gut wie die Vorlesungsmanuskripte belegen. 25 Overbecks Akribie schützt die kritischen Entwürfe besser vor historisch-empirischer Widerlegung, das heisst er legt den ehrfurchtgebietenden Mantel des wissenschaftlichen Experten selten ab. Hingegen breitet Nietzsche seine geschichtsphilosophisch-methodischen Voraussetzungen vor uns aus, was Overbeck, in der Grundlagentheorie nicht dermassen ambitioniert, vornehm unterlässt. Ich frage, wie gesagt, nach den Konstruktionen von Geschichte und Geschichtlichkeit und nach der konkreten Applikation dieser Raster auf das historische Phänomen Christentum. Dies tue ich auch, weil dieses Christentum, in seiner kirchlich-institutionalisierten Gestalt, sobald es sich Theologie angeeignet hatte (vgl. ChT 1 , 19), selber historische Beweisführung (zu dogmatischen als auch apologetischen Zwecken) angewandt und - in jüdischer Tradition - umfassend historisch, geschichtstheologisch gedacht hat. Stark vereinfacht lässt sich sagen, dass es - im hellenistisch-römischen Kulturkreis wenigstens - geschichtlich ausgerichtet, mit dem einfachen Rekurs auf Mythologie konkurrierte, wie er gemeinhin üblich war. Gerade weil die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus kein mythologisches Ereignis war, sondern sie an einem bestimmten Punkt in der Geschichte festgemacht werden konnte, gewann die christliche Erlösungslehre einen neuartigen Horizont. Geschichte ist christlich gesprochen die Geschichte des Handelns Gottes an und mit seinen Geschöpfen. Das Merkwürdige an der historisch-.genealogischen' Prüfung des Christentums bei Nietzsche und Overbeck (und überhaupt im 19. Jahrhundert) liegt unter anderem darin, dass diese selbst auf einer historischen Konstruktion fusst, sie sich also auf ein angestammtes (aber enteignetes) Argumentationsfeld des Christentums wagt. Overbeck meint freilich: „Der werthloseste aller Beweise für eine Religion, der historische, ist bei den Apologeten heute bei Weitem der angesehenste." (ChT 1 ,18)

Damit spricht Overbeck der Theologie, insbesondere der modernen, die Möglichkeit ab, „des Christenthumes auf historischem Wege wieder gewiss" (ChT 1 , 12) zu werden. Das Beharren der Theologie auf geschichtlichen Beweisen für die Wahrheit des Christentums entbehre jeder Be-

trotz alledem wegweisend, wenn es darum geht, die Quellen von Nietzsches Christentumskritik zu eruieren. 24 Die vom .späten' Overbeck stark gemachte These von der Inkompatibilität des eigentlichen Christentums mit der Geschichte wurde ζ. B. von Erik Peterson rezipiert. Vgl. Barbara Nichtweiss, Erik Peterson. Neue Sicht auf Leben und Werk, Freiburg i. B./Basel/Wien 1992, S. 460-470. 25 Giorgio Colli erörtert im Nachwort zum Bd. 1 der KSA Nietzsches „üble Angewohnheit, seine Informationen aus der Literatur zweiter oder dritter Hand, und zwar antiker wie modemer Autoren, zu beziehen" (KSA 1,917).

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rechtigung, ja sei eine Anmassung, in der sich der tendenziell unchristliche Kern von Theologie überhaupt manifestiere. Für Overbeck wird das historische Bewusstsein des Christentums bald zu einer Verfälschung der „urgeschichtlichen" Eschatologie; diese jedoch ist nicht mehr reproduzierbar, weshalb er schreibt: „Die Geschichte ist der Punkt, wo die Wissenschaft, sei es apologetisch oder kritisch, das Christenthum überhaupt erst fassen kann." 2 6 Mit einer Erklärung der Historisierung urchristlicher Naherwartung tut er sich freilich schwer. Für Nietzsche gilt die Historie in religiösen Belangen ebenfalls als Degenerationserscheinung des Mythisch-Ursprünglichen, sei es bei den Griechen, sei es sonstwo (vgl. GT 10 - KSA 1,74). Entgegen einer Aufklärung, die das Vernunftwidrige christlicher Dogmen fast ohne jede historische Reflexion verurteilt hatte, wird bei Overbeck und Nietzsche ein historisches Verständnis gesucht 2 7 , welches dann zu einer etwaigen Rehabilitierung oder Verurteilung des Christlichen anleitete - falls das Urteil nicht bereits gefällt sein sollte. Overbeck rügt die Herabwürdigung des Christlichen auf eine „bestimmtet.] Summe von historischen oder mythischen Thatsachen", wie sie in der modernen Theologie und namentlich bei David Friedrich Strauss üblich geworden sei (ChT 1 , 71). Vielmehr müsse die „Lebensansicht" des Christentums in Rechnung gestellt werden. Nietzsche will seinerseits nicht dogmatische Lehrsätze ad absurdum führen, sondern die Moral und die Metaphysik, somit ebenfalls die zugrundeliegende Weltdeutung anvisieren. In der Geburt der Tragödie hiess es, dass die „Religionen abzusterben pflegen: wenn die mythischen Voraussetzungen einer Religion unter den strengen, verstandesmässigen Augen eines rechtgläubigen Dogmatismus als fertige Summe von historischen Ereignissen systematisirt werden" (GT 10 - KSA 1, 74). Gerade wenn Religion Geschichte, Geschichtsbewusstsein ihrer selbst geworden ist und den Mythos verleugnet hat, wird sie als falsch gewordene, als gefallene gebrandmarkt. Nietzsche und Overbeck nehmen die Waffen, die ihnen vom historisch selbstbewusst gewordenen Christentum gereicht worden waren, gegen dieses zur Hand. „Kritische Historie" lautet da die Devise. Von einer solchen „kritischen Historie" her lassen sich Anfragen an das christliche Selbstverständnis nach wie vor stellen. Es ist keineswegs so, dass der Offenbarungsglaube von historischer Kritik nicht betroffen wird, sofern er irgendwelche innerweltlichen Fakten der Gegenwart oder der Vergangenheit zu seinem Gegenstand hat. Wenn der historische Blick das Bewusstsein der Kontingenz aller Ereignisse weckt - und man sich nicht mit der Subtilität aus der Affäre zieht, Gottes Inkarnation in Christus sei deswegen so atemberaubend, weil sie Gottes Kontingentwerdung bedeute - , dann lässt sich Heilsgeschichte nur noch in dezidiert und bewusst weltfernen Gefilden aus den traditionellen Versatzstücken zusammenbasteln. Wenn Christsein mit der Vergegenwärtigung zurückliegenden Geschehens zu tun hat und dieses Geschehen nicht einfach als mythisches nivelliert wird, ist es sehr anfällig für die Liquidierung der weltgeschichtlichen Notwendigkeit und der soteriologischen Bestimmung durch historische Betrachtung. Wenn sich Religiosität nicht - wie sie es gerade solcher Kritik wegen gegenwärtig gerne tut - aus der Welt und aus der Geschichte in subjektiv oder gemeinschaftlich erzeugte Innerlichkeit flüchtet, dann muss sie sich Anfragen gefallen lassen, wie sie beispielsweise eine kritische Historie bei Over-

26 „Theologie als Wissenschaft (Vermischtes)", Ziffer 12, S. 14, in: NLO, A 239 (zitiert nach Wilson, Gott, Mensch und Welt, S. 38. Wilson legt die Aufzeichnung in die Entstehungszeit von ChT 1 ). 27 Schon Geo Runze, Friedrich Nietzsche als Theologe und als Antichrist, Berlin 1896, S. 10, der übrigens das Verhältnis Overbeck-Nietzsche im Blick auf die Christlichkeit

(als einer der ersten) ziemlich treffend

beurteilt, hält die „verständnissvolle [!] historische Schätzung des Christenthums" für eine Gemeinsamkeit Nietzsches und Overbecks.

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beck oder bei Nietzsche erhebt. Christentum, das sich als weltoffen versteht, müsste Rede stehen können über sein Verhältnis zur Geschichtlichkeit seiner Inhalte und seiner eigenen Geschichtlichkeit, um jener fundamentalen Kritik gewachsen zu sein. Wie ist es um seinen Zugang zum Vergangenen bestellt, das ihm nicht mehr unmittelbar zu Gebote steht und sich nur in der Überlieferung erhalten hat? Welches Kriterium kann es für die Zuverlässigkeit einer solchen Überlieferung geben, wenn man mit guten Argumenten ihre Aufrichtigkeit und Redlichkeit anficht? Kann, allgemein gesprochen, Geschichte überhaupt einen Sinn für Religion haben? Kann sie ihn nach Nietzsche und Overbeck noch haben?

Freundschaft als „Waffengenossenschaft" In einer Aufzeichnung seines „Kirchenlexicons", dem alphabetisch lemmatisierten Arsenal einer „profanen Kirchengeschichte", gibt Overbeck eine Charakterisierung von Freundschaft, die ich leitmotivisch voranschicke: „Waffengenossenschaft (im weitesten Sinne) war stets der Boden auf dem die Freundschaft wuchs und sie ist das auch immer geblieben. Auch im Christenthum entstehen Freunde doch nur in antiker Weise und die gottselige Gesinnung die sie etwa theilen ist nicht für sich schon das Band ihrer Freundschaft, sondern im Gegensatz zur Welt, das was sie in dieser Welt zu Kampfgenossen macht." (OWN 4 , 3 5 2 )

Wenn Freundschaft auf „Waffengenossenschaft" basiert, dann verbietet sich eine Optik, welche die Freundschaft von Nietzsche und Overbeck bloss als Produkt zufälliger Lebensumstände und gegenseitiger, gefühlsbedingter Anhänglichkeit interpretiert. Das Biographische soll hier denn auch nur am Rande stehen. Gewiss bestimmt die Vorstellung, die wir von der Biographie eines Verfassers haben - mag sie noch so rudimentär sein - , den Interessen- und Erwartungshorizont mit, unter dessen (zeitlicher und kausaler) Voraussetzung die Lektüre erst einsetzt. Dennoch glaube ich nicht, dass eine weitläufige historische Entwicklung des persönlichen Verhältnisses von Overbeck und Nietzsche auf die Strukturierung dieses Horizontes einen unbedingt positiven Einfluss ausübte, da dadurch, wie häufig geschehen, das Verständnis der Texte einseitig determiniert, ein immanenter Zugang behindert werden könnte. Unbestreitbar bleibt ein textimmanentes Interpretationsverfahren in der Praxis ein nie einholbares Ideal, weil es ohne eine unbestimmte Anzahl kollektiver und individueller Voreinstellungen zu gar keiner Art von Verstehen kommt. Ein Stückweit können sich die Leser diese Bedingungen für die Möglichkeit ihres Lesens vergegenwärtigen: Beim Thema Overbeck-Nietzsche werden sie - gesetzt, dass ihnen die beiden Namen überhaupt etwas sagen - eine mehr oder weniger vage Ahnung von ihrer Freundschaft haben, soweit sie diese Ahnung nicht durch einschlägige Erkundigungen vertieft und verbreitert haben. So genügt es für meine Untersuchung und für die Lektüre der besprochenen Texte vorerst, in dieser Ahnung eine von vielen Rezeptionsbedingungen zu erkennen, einen Gesichtspunkt, von dem die Interpretation gelenkt wird. Direkte Ableitungen des Denkens aus lebens- und beziehungsgeschichtlichen Fakten, die die Interpreten so leicht einer gedanklichen Durchdringung entheben, möchte ich tunlichst ausschalten. Denn parallel zur Overbeck-Forschung neigt ein Strang der Nietzsche-Forschung dazu, die sachlichen Probleme, die sich ζ. B. aus Nietzsches radikaler Kritik an christlicher Moral ergeben, auf BiographischPathologisches zurückzubuchstabieren und damit ein ernsthaftes Gespräch zu unterminie-

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ren. 28 (Natürlich berufen sich diese Autoren auf das Psychologisierende bei Nietzsche selber, zu dessen Instrumenten - soweit er sich im Spätwerk als „Psychologe" und „Physiologe" verstand ja das Pathologieverdikt ebenfalls gehörte). Stefan Zweig kann ich höchstens bedingt recht geben, wenn er meint: „Es ist seltsam zu sagen: auch diese Freundschaft besteht fünfzehn Jahre nicht d u r c h die Werke Nietzsches, sondern eigentlich t r o t z ihrer". 29 Zwar ist Overbeck bald einmal befremdet von der Verve, mit der Nietzsche seine neuen Werte an die Leerstelle der zerbrochenen alten setzt - sie widerstrebt Overbecks vorsichtig-skeptischer Grundhaltung zutiefst. Dennoch lassen sich auf der inhaltlichen Ebene fundamentale Gemeinsamkeiten ausmachen, um die es mir ebenso zu tun ist wie um die fundamentalen Differenzen. Wenn wir von Overbecks später Freundschaftsdefinition ausgehen, müssen wir ermitteln, wie weit sie als „Waffengenossenschaft" dem Phänomen von Overbecks eigener Freundschaft mit Nietzsche gerecht wird. Wie weit beruht diese auf einer Zweckgemeinschaft? Sehr wohl mochte eine solche in der Frühzeit des „Contuberniums" (ca. 1872-1875) gegeben sein, danach aber hat sich die Freundschaft allem Anscheine nach von der Anbindung an gemeinsame Feinde und gemeinsame Ziele emanzipiert. Overbeck bezeichnet die „Waffengenossenschaft" als „Boden", auf dem Freundschaft wachse, nicht aber als deren Quintessenz oder letzte Entfaltung, denn er äussert sich an der zitierten Stelle ja ausschliesslich zur Genese von Freundschaft. So ist es angebracht, vorerst nur die frühe Phase der Freundschaft, wo man sich in den kulturkritischen und kulturreformatorischen Anliegen zumindest partiell einig war, unter der Leitformel der „Waffengenossenschaft" im engeren Sinn zu fassen. Danach werden andere Motive stärker in den Vordergrund getreten sein (gegenseitige, nicht waffenbrüderlich erzwungene Loyalität etwa) Motive, die in einem gemeinschaftlichen Kampf nicht aufgingen. Die Bewertung der Freundschaft hat sich bei Nietzsche im Laufe der Zeit nachhaltig verändert. 30 Dies wirft unter anderm ein Licht auf die Freundschaftserfahrung mit Overbeck, könnte die Neubewertung doch geradezu ihr Reflex sein: 1869 hatte Nietzsche in einer Notiz Sokrates noch dafür zur Rechenschaft gezogen, dass man bei den Griechen nicht über das Freund-

28 Vgl. als ein zufälliges Beispiel Manfred Balkenohl, Der Antitheismus Nietzsches: Fragen und Suchen nach Gott. Eine sozialanthropologische Untersuchung, München 1976, bei dem man etwa im Kontext des Jugendgedichtes „Vor dem Crucifix" (1863 - BAW 2, 187-189) liest: „Bei Nietzsche war die mitmenschliche Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit gestört sowie seine Glaubenserfahrung behindert. Beide Phänomene hatten einen gemeinsamen Grund, nämlich die seelische Wirkung der Fixierung an die Mutter." (S. 83) Anders gesagt: wenn der Vater in der bürgerlichen Kleinfamilie ausfällt, dann leidet der Vatergott Schaden. Dies müsste Balkenohl von seinen katholischen Prämissen her zu denken geben: wie soll, jenes vorausgesetzt, der Vatergott dann mehr sein als das Erzeugnis einer zufälligen gesellschaftlichen Konstellation, „denn", wie Balkenohl schreibt, „der Mensch kann nicht anders, als sich Gott, den Vater, analog dem irdischen Vaterbild vorzustellen." (S. 84) Ferner Verrecchia, S. 10: „Nietzsche ist eine Krankheit." Grundsätzliches zur Problematik der Psychologisierung, namentlich im Blick auf Hofmillers, Schlechtas und Podachs Interpretationen bei Eckhard Heftrich, Die Grenzen der psychologischen Nietzsche-Erklärung [1964], in: Jörg Salaquarda (Hrsg.), Nietzsche, S. 169-184. 29 Stefan Zweig, Nietzsche und der Freund, in: Inselalmanach, Leipzig 1919, S. 111-123, S. 120. 30 Zur Entwicklung der Freundschaftsauffassung bei Nietzsche siehe Walter Kaufmann, Nietzsche. Philosoph - Psychologe - Antichrist, Darmstadt 1982, S. 426ff. Die Verbindungen zum frühromantischen Freundschaftsideal stellt Karl Joel, Nietzsche und die Romantik, Jena/Leipzig 1905, S. 6 - 8 heraus. Siehe den bemerkenswerten Brief Nietzsches an Rohde vom 7. Oktober 1874 (KSB 4, 262) und seine Komposition „Hymnus auf die Freundschaft", die er Overbeck 1875 gewidmet hat (NLO, A 296 - Ov II, 141).

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schaftsideal hinausgelangt sei (1 [52] - KS A 7, 52). Die Jüngerschaft war für ihn in diesem Lebensabschnitt die mutmasslich höchste Form des zwischenmenschlichen Umgangs, was z . B . in der Zueignung der Geburt der Tragödie an Richard Wagner evident ist: Der dort angesprochene ,,hochverehrte[.] Freund" (GT Vorwort - KS A 1, 23) ist kein Waffenbruder, sondern ein ,,erhabene[r] Vorkämpfer" (ibd. - KSA 1, 24), vor dessen Monumentalität Nietzsche in Verzückung gerät. Nachgerade antipodisch zur Meister-Jünger-Beziehung zwischen Wagner und Nietzsche muss man sich das Freundschaftsverhältnis von Overbeck und Nietzsche vorstellen, das in keine solche Ungleichartigkeit der Partner ausartete. Overbeck war nicht der mittelmässige Adept, der von seinem genialen Meister Nietzsche den Abscheu vor dem Christentum eingeimpft bekam und ihm fortan alle Unflätigkeiten gegen das Christentum nachplapperte. Viel stärker beruhte diese Freundschaft auf Parität, als die Nietzscheliteratur es normalerweise zuzugestehen bereit ist. Overbeck Hesse sich deshalb in der Biographie Nietzsches als die Gegenfigur Wagners darstellen 31 - wobei es zu denken gibt, dass die Forschung an der autoritär geprägten Beziehung zu Wagner wesentlich mehr Anteil nahm als an der paritätischen mit Overbeck. Dieses Verhältnis, gegründet in „Waffengenossenschaft", nicht in Jüngerschaft, lässt einen (,metoptischen') Vergleich der beiden Freunde in ihren Schriften viel versprechend erscheinen, da eben nicht die Angleichung des einen an den andern stattfand. 32 Beispielsweise in Nietzsches Widmungsgedicht des „Zwei-Väterwerks" Christlichkeit und Erste Unzeitgemässe (ChT 2 , 18 - vgl. Kapitel 4) oder in der folgenden Briefpassage wirkt der waffenbrüderliche Gestus dominant. Gegenüber der sokratismusfeindlichen Aufzeichnung von 1869 ist eine starke Aufwertung der Freundschaftsidee zu verspüren: „Nicht wahr, wir wollen uns gut und treu bleiben, Wunsch- Waffen- und Wandnachbarn, seltsame Käuze meinetwegen im Baseler Uhlenhorst', aber recht friedfertige brave Uhlen. Nämlich für uns: nach aussen hin greuliches Mord- und Raubgethier, brüllende Tiger und ähnlicher Wüstenkönige Genossen." 3 3

In der Morgenröthe lobt Nietzsche das Altertum dafür, dass es „die Freundschaft tief und stark ausgelebt, ausgedacht und fast mit sich in's Grab gelegt" hat; dies sei „sein Vorsprung vor uns":

31 Persönlich wird man Wagner und Overbeck als Antipoden jedoch nicht sehr stark machen können: Overbeck, von Nietzsche einst zu Wagners Musik .bekehrt', „gehörte" nach mehreren Besuchen bei Wagner zwischen 1873 und 1875 „in seiner Eigenschaft als Mitglied des Patronatsvereins zu den aufrichtigsten Mitkämpfern für Bayreuth" (ON I, 103). Zu Wagner als „Typus eines dionysisch-erregten Schulmeisters" und deutschen Nationalisten siehe Overbecks kritische Bemerkungen in OWN 5 , 6 3 3 . 32 Freilich darf Nietzsches Freundschaft mit Erwin Rohde darüber nicht vergessen werden, zu der Overbeck sich auch äusserte: „Dem von Nietzsche entwickelten Ideal von Freundschaft entsprach sein Verhältnis zu R o h d e unvergleichlich mehr und musste denn auch die von Nietzsche geschilderten Katastrophen und Erfahrungen viel heftiger erleben, als das unsrige es getan hat, das seiner natürlichen grösseren Gesetztheit gemäss, es nie zum Bruch brachte und nur in viel gelinderen Formen die liebesartigen Schmerzen durchgemacht hat, von denen Nietzsche redet." (EFN, 321 - OFN II, 157) 33 Nietzsche an Overbeck am 31. Dezember 1873, in: KSB 4, 186 = BNO, 8. Zu Overbecks späterer Einschätzung der gemeinsamen Freundschaft vgl. EFN 3 2 0 - 3 3 0 und ON I, 6 3 - 6 6 (den unredigierten Wortlaut von Overbecks „Kirchenlexicon"-Aufzeichnungen über Nietzsche wird man in O W N 7 nachlesen können).

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Einleitung „Alle grossen Tüchtigkeiten der antiken Menschen hatten darin ihren Halt, dass M a n n

neben

M a n n stand, und dass nicht ein Weib in Anspruch nehmen durfte, das Nächste, Höchste, ja Einzige seiner Liebe zu sein" (M 5, 503 - KS A 3 , 2 9 5 ) .

Über den antiken Ursprung der Freundschaft hatten sich Overbeck und Nietzsche im Jahre 1879 verständigt, anlässlich von Overbecks Abhandlung über den Briefwechsel von Augustin und Hieronymus. Zu ihr bemerkt Overbeck, für seine „Scheuern sind ein paar Kömer ein paar Körner zu einem Aufsatz über christliche Freundschaft abgefallen. Das Christenthum sublimirt alle Dinge, aber im Grunde bleibt es damit beim Alten, das beobachte ich auch hier wieder. Bleiben wir denn auch beim Heidenthum damit." 3 4

Nietzsches enthusiastische Replik auf Overbecks Ansinnen, weiterhin heidnische Freundschaft zu pflegen, lässt gerade vier Tage auf sich warten. Am 11. April 1879 schreibt er, er wünsche sich, „dass Jemand das überreiche Philosophieren des Alterthums über F r e u n d s c h a f t zusammenfasse und wiedererwecke. Es muss einen Klang wie von h u n d e r t v e r s c h i e d e n e n Glocken geben." (BNO, 86 - KS Β 5, 405) Offensichtlich versucht der Aphorismus 503 der Morgenröthe diese Wiedererweckung in äusserster Komprimierung. Greifbar ist hierbei die Entwicklung weg von der einfachen Waffen- und Wandnachbarschaft zu einer Vision höherer Gemeinschaft, in der „Mann neben Mann" steht, jedoch gemeinsame Feindschaften und strategische Ziele nicht mehr unhintergehbare Prämissen von Freundschaft sind. Im Zarathustra gewinnen die Reflexionen über Freundschaft eine weitere Dimension hinzu: Manch einer, sollte er auch „seine eigenen Ketten nicht lösen" können, werde doch „dem Freunde ein Erlöser" (Ζ I: Vom Freunde - KSA 4, 72). „Der Freund [...] ist stets ein Dritter zwischen Ich und Mich, der mich drängt, mich zu überwinden und überwunden zu werden, um zu leben." 3 5 Nach Zarathustra wohnt im Freunde zugleich der beste Feind, der Widerpart, zu dem und zu dessen Meinung „überzutreten" (Ζ I: Vom Freunde - KSA 4, 71) nicht erlaubt sei, da die Selbstaufgabe nicht die Konsequenz der Freundschaft sein darf. Wenn man für den Freund „Krieg führen" (ibd.) wolle, führe man diesen in gewisser Weise auch gegen ihn. Das Eigene kann sich nur herausbilden, wenn sich zu ihm ein Gegenüber, ein Widersacher ins Verhältnis setzt, an dem dieses Eigene seine Gestalt gewinnt, mit dem es im Wettstreit sich misst - um sich selbst zu werden, um zu werden, was man ist. 36 Mit dieser Lehre Zarathustras ist die MeisterJünger-Beziehung als mögliches Paradigma der Freundschaft endgültig überholt: Gegen seine einstige, einseitige Symbiose mit Wagner ergreift Nietzsche Partei für eine Freundschaft, die beide Partner als autonome und gleichrangige Individuen setzt und keinem Unterordnung oder Selbstpreisgabe abverlangt; kurz: er ergreift Partei für die Art von Freundschaft, die er gemeinsam mit Overbeck zu pflegen lernte. 37 Einstimmigkeit ist nun keineswegs mehr das Signum von

34 Overbeck an Nietzsche am 7. April 1879 ( B N O , 85 = KGB 6/2, 1078). Der Aufsatz zur christlichen Freundschaft ist nie über Vorarbeiten hinaus gediehen; von den „Körnern", die sich in den „Scheuern" aufpicken lassen, habe ich oben ein paar zum Verzehr empfohlen ( O W N 4 , 3 4 4 - 3 5 3 ) . 35 Gilles Deleuze, Nietzsche und die Philosophie, Hamburg 1991, S. 10. 36 Vgl. die Interpretation der Zarathustra-Stelle bei Annemarie Pieper, „Ein Seil geknüpft zwischen Tier und Übermensch". Philosophische Erläuterungen zu Nietzsches erstem „Zarathustra", Stuttgart 1990, S.251-263. 37 Overbeck selber ist freilich zurückhaltender: „Für Nietzsche waren andere Freunde als Adepten überhaupt nicht zu brauchen, und er hat die Freunde, die er hatte, tatsächlich doch nicht auf dem Altar seiner

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Einleitung

Freundschaft; der Freund agiert als Widerpart, wodurch eine produktive ,Binnendialektik' gegenseitiger Anziehung und Abstossung sich entfaltet, anstatt dass die Freundschaft mit der Vorgabe gemeinsamer Feinde und Ziele eingefroren wird. Von „Waffengenossenschaft" kann in dieser Zeit höchstens noch in weitem, allegorischem Sinne gesprochen werden. Zarathustra zufolge ist doch eben der Freund der beste Feind. Diese Spannung von Nähe und Distanz der Freunde hat man bei Overbeck und Nietzsche auszuhalten, anstatt eine Kürzung des einen auf den andern anzustrengen. 38 Die Verschiedenheit ihres Denkens ist jeder unite de doctrine abhold. Overbecks spätes Räsonnieren über seine Freundschaft mit Nietzsche muss an anderem Orte erforscht werden (vgl. OWN 7). 3 9 Mir ist es höchstens am Rande um die nachträgliche (Selbst-) Interpretation einer der beiden Beteiligten zu tun. Ich beherzige insofern den Nietzsche unterschobenen Wunsch: „Versteht man das endlich: Nietzsche will nicht mit Overbecks Augen gesehen sein?" 40 , als ich solchem Reduktionismus auszuweichen suche. Overbeck selbst wollte nie, dass man Nietzsche mit seinen Augen lese. Dies wird beispielsweise im Brief an Bernoulli vom 27./30. Juli 1904 deutlich, in dem er sich dagegen verwahrt, als „Grosssiegelbewahrerf.J in Dingen Nietzsche" tituliert zu werden:

Forderungen an sie geschlachtet; Rohde konnte es nicht vertragen, wenn mit seiner Freundschaft so umgesprungen wurde, wie es ihm Nietzsche machte, ich war geduldiger' und habe von Freunden auch weniger verlangt als Nietzsche, ohne mir im geringsten auf die hier bewiesene grössere .Geduld' und .Bescheidenheit' etwas einzubilden, aber freilich auch ohne die hier zwischen uns entstandenen Differenzen allzu hoch zu schätzen." (EFN, 322 - ON II, 158) 38 Eine prägnante Schilderung der Beziehung, die beiden Freunden Gerechtigkeit widerfahren lässt, findet sich bei Harald Landry, Friedrich Nietzsche, Berlin 1931, S. 139-143. Siehe ferner Landrys Besprechung von Christentum und Kultur in: Kindlers Literatur Lexikon im dtv, Bd. 6, München 1974, S. 1959. 39 Dies ist neuerdings geschehen bei Barbara von Reibnitz, „Ich verdanke Dir soviel, lieber Freund ...". Nietzsches Freundschaft mit Franz Overbeck, in: David Marc Hoffmann (Hrsg.), Nietzsche und die Schweiz, Zürich 1994, S. 46-54. „Overbeck als Meister der historischen Methode hatte die Unsicherheit jeder verspäteten Aufzeichnung an anderen Zeugnissen hinreichend erprobt und aus methodischer Gewissenhaftigkeit vermied er es nun, seinerseits aus dem Gedächtnis viel Faktisches mitzuteilen." Charles Andler, Nietzsche und Overbeck, in: Die Propyläen. Wochenschrift, Jg. 6 (1909), Nr. 15 & 16, S. 225-227 & 242-244, Zitat S. 226. 40 Michael Georg Conrad, Das Overbeck-Geheimnis. Erstmalig veröffentlichte Briefe Nietzsches an seine Schwester, in: München. Allgemeine Zeitung. Verbunden mit Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, Jg. 111,26. September 1908 & 10. Oktober 1908, Nr. 26 & 28, S. 553-555 & 600-602, Zitat S. 555. Eben hatte Conrad einen Brief Nietzsches an seine Schwester vom 14. Juni 1886 zitiert, in dem Nietzsche von einem Gespräch mit Rohde berichtet, mit dem er sich in der ,,gemeinsame[n] Abneigung gegen Frau Overbeck" einig gewesen sei. Leider handelt es sich bei diesem Brief (zu finden in: Friedrich Nietzsches Briefe an Mutter und Schwester, hrsg. von Elisabeth FörsterNietzsche, Bd. 2, Leipzig 1909, Nr. 438, S. 674-678, die fragliche Stelle S. 676f.) so gut wie bei jenem, den Karl Strecker, Nietzsche und Overbeck, in: Das Literarische Echo. Halbmonatsschrift für Literaturfreunde, Jg. 10 (1907/08), Sp. 1262-1272, Sp. 1270, gegen Ida und Franz Overbeck ins Feld führt, um eine Fälschung aus dem Giftschrank der Elisabeth Förster (nachgewiesen von Karl Schlechta im Philologischen Nachbericht zu: Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, Bd. 3, München 2 1960, S. 1409-1417). Freilich hätte es dessen nicht bedurft, um die Herren Conrad und Strecker zu disqualifizieren. (Vgl. zum Problem der Försterschen Fälschungen Curt Paul Janz, Die Briefe Friedrich Nietzsches. Textprobleme und ihre Bedeutung für Biographie und Doxographie, Zürich 1972, S. 63-101.)

Einleitung

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„Ich schweige darin, und will auch nichts anderes; am allerwenigsten denke ich daran für Nietzsche (für ihn als Problem) ein Enthüller, oder gar ein Richter zu sein. Ich weiss für ihn nichts von Kritik und gedenke auch in alle Zukunft nicht in das Ding, das Nietzscheerklärung oder -Kritik heisst, mich zu mischen, und schlimmer kann ich nicht missverstanden werden, als von dem, der mich in dieser Sphäre sucht." 4 1

Ein Nebeneffekt meiner Untersuchung mag es - abgesehen von einer Kontextualisierung Nietzsches - sein, Overbeck wenigstens für eine Weile aus jener philosophiehistorischen Fussnote zu befreien, von der ich eingangs sprach: Overbeck schreibt von sich, er sei „im Verkehr mit Nietzsche schon sehr früh sein aufrichtiger und leidenschaftlicher Freund, meinetwegen selbst Bewunderer geworden, freilich niemals, so wenig wie sonst einer [!] seiner Freunde, sein Adept" (EFN, 324 - ON 1,64). Weder der monumentalischen noch der antiquarischen Historie fühlt sich meine Rekonstruktion verpflichtet - eher schon der kritischen. Die Anfrage, die sie sich von Nietzsche her gefallen lassen muss, was sie nämlich für das Leben tauge, worin ihre Zukunftsbezogenheit und praktische Relevanz lägen, lasse ich getrost unbeantwortet. Diese (innerhalb konventioneller Geistesgeschichtsschreibung impertinente) Anfrage gehöre - wie ich mich herausreden darf - auf eine Metaebene, zu der ich mich innerhalb jener Rekonstruktion nicht emporzuarbeiten vermöchte - es sei denn, die Studie diene als Metakritik des Lebensdienlichkeitspostulates Nietzschescher Historie selber dem Leben. Nietzsches Anathema habe ich dem Ganzen als Motto vorangestellt. Wenn sie schon keinen Nutzen für das Leben zeitigen, könnten die hier angestellten Überlegungen trotzdem der Diskussion gewisser Grundsatzfragen heutiger wissenschaftlicher und ausserwissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Religion und Geschichte förderlich sein. Sowenig die von Overbeck oder Nietzsche entwickelten Konzepte direkt applizierbar sind, sosehr treffen sie dennoch den Kern eines historischen Bewusstseins, das sich wissenschaftlich und von externen Faktoren unabhängig dünkt, und eines religiösen Bewusstseins, das sich von der Welt prinzipiell unberührt glaubt. Falls es gelingt, mit Nietzsche und Overbeck das Selbstverständliche scheinbarer Selbstverständlichkeiten zu untergraben, ist allemal etwas erreicht - ein Nutzen erzielt. Für welche Form von Leben auch immer. Overbecks Hellsicht in Sachen Förster-Nietzsche ist bemerkenswert, wenn er 1904 schreibt: „Sie wird wohl jetzt noch als eine Heilige unter den Schwestern gepriesen. Das wird umschlagen. Sie kann einmal eine Hauptfigur im Typus der gefährlichen Schwestern werden." (ON II, 432) 41 Manuskript von Overbecks Brief an Bernoulli vom 27./30. Juli 1904, S. 5 bzw. 6 (NL C A B , unveröffentlicht, O W N 8).

1. Wissenschaftliche Objektivierung und normative Ursprünge: Die Antrittsvorlesungen

„Gefährlich ist es, Erbe zu sein" (Ζ II: Von der schenkenden Tugend 2 - KSA 4, 100)

Keine Kritik ist wert(urteils)frei.' Von da rührt die Grundsatzfrage her, welche ,Werte' bei Nietzsches und Overbecks kritischem Handwerk leitend seien. Welche Vorüberlegungen liegen der Beurteilung des Gegenwärtigen und des Vergangenen zugrunde, oder aber - dieser Verdacht drängt sich bei Nietzsche zuweilen auf - sollen post festum die ausufernden Reflexionen in einem methodologischem Korsett zusammenschnüren? 2 Bei der ,,strenge[n] Methode" - wenigstens in der Philologie - handle es sich schliesslich „um etwas E t h i s c h e s " : „Die Wissenschaft hat nichts mit dem Genuss zu thun, ausser in der Lust an der strengen Wahrheit." (Enc 8 - KGW II/3, 374). Man könnte Äusserungen über die asketischen Ideale und den Willen zur Wahrhaftigkeit in der Genealogie der Moral hier präludiert finden. Bevor ich das „Zwei-Väterwerk" Christlichkeit unserer heutigen Theologie und Erste Unzeitgemässe gegen Strauss, die Zweite Unzeitgemässe: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben oder die Geburt der Tragödie diskutiere, widme ich mich den historisch-methodologischen Programmexpositionen': Overbecks Basler Antrittsvorlesung Über Entstehung und Recht einer rein historischen Betrachtung der Neutestamentlichen Schriften in der Theologie von 1870 (gedruckt 1871) und derjenigen Nietzsches über Homer und die klassische Philologie von 1869. Andler hatte bei Entstehung und Recht eine Symmetrie zu Nietzsches Interessen der frühen Siebzigerjahre feststellen wollen. 3 Ich rücke diese Symmetrie als Ankündigung einer Wahlverwandtschaft in den Mittelpunkt, zumal sie weithin unbeachtet blieb. Indem ich Overbecks Antrittsvorlesung diejenige Nietzsches zur Seite stelle, thematisiere ich zuerst die Ausgangssituation, von der her die geistige Genese der „Waffengenossenschaft" verstanden werden kann. Wie fassen die beiden künftigen Freunde philologische oder kirchenhistorische Wissenschaft auf zu einem Zeitpunkt, wo sie noch nichts oder kaum etwas von einander wussten und sich selber durchaus noch in der philologischen oder theologischen Gilde verankert fühlten? Sind hier Strukturparallelen auszumachen, die später deutlicher hervortreten? 1 Vgl. Albert Camus, Der Mensch in der Revolte. Essays, Reinbek bei Hamburg 1969, S. 57 zum damals so genannten Prosa-Hauptwerk' Der Wille zur Macht: „Des göttlichen Willens beraubt, ist die Welt gleicherweise ihrer Einheit und ihrer Finalität beraubt. Aus diesem Grund kann die Welt nicht gerichtet werden. Jedes über sie abgegebene Werturteil führt letztlich zur Verleumdung des Lebens. Denn man urteilt dann über das, was sein sollte, auf das Himmelreich, die ewigen Ideen oder den moralischen Imperativ. Aber was sein sollte, ist nicht: die Welt kann nicht im Namen von nichts abgeurteilt werden." 2

„Vom Nutzen und Nachteil der Historie scheint nachträglich die Argumentationsgrundlagen des vorangegangenen Werkes [sc. GT] zu klären und das Tor aufzustossen zu jener neuartigen Geschichtsschreibung, die mit Die Geburt des Tragödie vorgezeichnet worden ist." Hayden White, Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa [1973], Frankfurt a. M. 1994, S. 459.

3

Andler, Nietzsche, Bd. 2, S. 177.

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Die

Antrittsvorlesungen

Erst in einem weiteren Schritt wende ich mich Nietzsches Historienschrift zu, die dort, wo sie von Religion und Christentum handelt, Overbecksches Gedankengut erkennen lässt. An ihr möchte ich Gemeinsamkeiten in der Behandlung von Religion und Unterschiede in der Bewertung der traditionellen (historischen) Wissenschaft demonstrieren. Nach der Zweiten Unzeitgemässen werden Overbecks Christlichkeit und die Spezifika der Kritik an Theologie und modernem Christentum Gegenstand der Untersuchung. Dazu ist flankierend ein Rückgriff auf die Geburt der Tragödie nötig. Wie wird das gegenwärtige und das vergangene Christentum interpretiert unter den Bedingungen der bis dahin erarbeiteten und möglicherweise neuerlich zu modifizierenden Konzeption der Historie?

1.1 Homer und die klassische

Philologie „ Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns."4

Mit einem Vortrag Über die Persönlichkeit Homers - im selben Jahr als Privatdruck für Feunde unter dem Titel Homer und die klassische Philologie erschienen - stellte sich der frischgebackene Altphilologieprofessor Friedrich Nietzsche 1869 dem Basler Publikum vor. Obschon sich diese Vorlesung nicht zur Hauptsache mit Historie und der Historisierung von Religion oder gar des Christentums beschäftigt, kristallisieren sich darin Leitlinien der späteren Wissenschaftskritik heraus. Ohne an dieser Stelle die „Homerfrage" mehr als am Rande zu behandeln 5 , sollen vor allem Nietzsches Ansprüche an eine Philologie im Vordergrund stehen, welche eine solche Frage - eben nach Homer - zu lösen hat. Bei Nietzsche bekommt die Homerproblematik exemplarischen Charakter: Mit ihrer Hilfe will er den Sinn der Philologie als einer synthetischen, Wissenschaft und Kunst umfassenden Disziplin erweisen, an die er, sofern sie Philosophie geworden ist, am Ende sogar ein ,,Glaubensbekenntniss[..]" (HkP - KGW II/l, 268) richtet. Merkwürdig nimmt sich gleich zu Beginn das zweistrophige, paarreimige Gedicht aus, in dem sich das lyrische Ich - in diesem Zusammenhang wohl unschwer mit Nietzsche selber zu identifizieren - zum einsamen Herold Homers ernennt. Sein Schreien störe die Leute, derweilen sie träge auf dem einmal eingeschlagenen Weg einhertrotteten: „In Basel steh ich unverzagt Doch einsam da - Gott sei's geklagt, Und schrei ich laut: Homer! Homer! So macht das Jedermann Beschwer. Zur Kirche geht man und nach Haus Und lacht den lauten Schreier aus." (KGW II/l, 248)

Obgleich in diesen launigen Versen noch nicht die Tragik des berühmten „Freigeist"-Gedichtes vom Herbst 1884 die Leser unwillkürlich hinreisst - und ein ebensolcher Freigeist alle alten Ge-

4

Friedrich von Schiller, Der Spaziergang (Elegie) [1795], in: Schillers sämmtliche Werke in zwölf Bänden [hrsg. von C. G. Körner], Bd. 1, Stuttgart/Tübingen 1837, S. 3 5 5 - 3 6 1 , S. 361.

5

Siehe dazu, insbesondere auch rückblickend auf Hegels Homer-Deutung Hartmut Schröter, Historische Theorie und geschichtliches Handeln. Zur Wissenschaftskritik Nietzsches, Mittenwald 1982, S. 4 3 - 1 2 2 , zu Nietzsches Antikenrezeption insgesamt Hubert Cancik, Nietzsches Antike. Vorlesung, Stuttgart/ Weimar 1995.

Homer und die klassische

Philologie

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setzestafeln zerbricht und alle trügerischen Heimstätten verleugnet („Die Krähen schrei'n/Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt" - KSA 11, 329f.) ist die dort wiederkehrende Grundkonstellation des prophetischen Rufers und der tumben Herde doch bereits evident. Der Homer-Prediger werde verlacht von der Menge, die sich nicht bloss nach Hause, sondern gleich in die Kirche begebe 6 : Die Anwartschaft der von Nietzsche in seiner Rede verfochtenen Philologie oder besser: der von dieser Philologie offenbarten Poesie ist - so burschikos sich dies in den Gedichtzeilen ausdrückt - eine halbwegs religiöse. 7 Zu dem, was die Kirche an Welt- und Daseinsorientierung den Leuten traditionell angeboten hat, tritt - von wenigen erst vernommen - die Botschaft Nietzsches in Konkurrenz. Die beiläufige Spitze gegen die Kirche wird in der Vorlesung nicht wiederholt (das Gedicht ist, wie der zweiten Strophe zu entnehmen ist, erst der publizierten Fassung als „gedrucktefr] Dank" [KGW I I / l , 248] beigegeben worden), ist aber nicht zuletzt deswegen bedenkenswert, weil in ihr die Invektiven der Spätwerke gegen das Christentum als Massenbewegung, als Sache des Pöbels vorweggenommen sind. Zugleich parodiert das Gedicht das mit dem Vortrag angetretene Lehramt; ja stellt es bei der mit Taubheit geschlagenen, bildungsbürgerlichen Zuhörerschaft als ein hoffnungsloses Unterfangen hin, Philologie seriös treiben zu wollen. Der Vortrag selber gerät, falls man das Gedicht nicht als selbstironische captatio benevolentiae liest, ins Zwielicht. Wenn Nietzsche im dritten Teil seiner Vorlesung über die Geschichte der griechischen Litteratur, die er im Wintersemester 1875/76 hält, dagegen protestiert, dass man bei der Interpretation von antiken Texten in der modernen Philologie vergesse, wer der ursprüngliche Adressat gewesen sei (GgL III, 1 - GoA 18, 134-139), dann ist es angebracht, darüber nachzudenken, an wen sich Nietzsche mit seinem Vortrag wendet: Denn jede Gattung habe ihr eigenes Publikum (vgl. GgL III, 3 - GoA 18, 145-150). Dass sich die Leser des Privatdrucks von den tatsächlichen Zuhörern unterschieden, sollte man berücksichtigen. Die Druckfassung war nicht für eine weitere Öffentlichkeit, sondern für Freunde bestimmt: Erst die durch die Drucklegung erfolgte Änderung des Adressaten erlaubt es Nietzsche im Widmungsgedicht, das philiströse Bildungsbürgertum, an das er sich mit der Vorlesung hatte richten müssen, regelrecht zu verhöhnen. Nietzsches Freunde waren eher Träger seine Hoffnungen für die Zukunft wahrer Bildung und Kultur als das „aristo-

6

Vgl. die Episode, die Hermann Siebeck in seinen unveröffentlichten Memoiren kolportiert (vollständige Transkription im Anhang): „Dem kirchlich-religiösen Wesen gegenüber zeigte Nietzsche, der Pfarrerssohn, schon damals entschiedene Abneigung und Verachtung. Einen Kollegen, den er einmal am Sonntag nach Schluss des Gottesdienstes am Münsterplatz traf, fragte er lachend, ob er vielleicht in diesem „Institut für Andacht" gewesen sei." 7 Lou Andreas-Salome, Friedrich Nietzsche in seinen Werken [1894]. Mit Anmerkungen von Thomas Pfeiffer hrsg. von Ernst Pfeiffer, Frankfurt a. M./Leipzig 1994, S. 65, die darauf insistiert, dass „eine rechte Nietzsche-Studie in ihrer Hauptsache eine religionspsychologische Studie" sei, ist daher recht zu geben, wenn dem Religionspsychologischen eine Bedeutung eingeräumt wird, die die Klippen der trivialen Psychologisierungen umschifft (vgl. Einleitung). Overbeck hatte in einem Brief vom 21722. Juli 1902 an Paul Julius Möbius zu dessen Buch Über das Pathologische bei Nietzsche Stellung genommen und sich gegen den von Möbius auf Nietzsche applizierten Begriff des „irreligiösen Individualismus" verwahrt: „.Religiös' möchte ich vielmehr den seinen nennen, insofern seine Selbsteinschätzung der Character der Selbstanbetung stets an sich trug" (teilweise abgedruckt in Ov I, 203 - wird vollständig publiziert in OWN 8). Vgl. auch Overbecks Vorbehalte gegen Karl Joels religiöse Deutung unter dem Lemma „Nietzsche und Religion" seines „Kirchenlexicons", in: NLO, A 232, S. 2, wonach er eine „unüberwindliche Abneigung dagegen" behalte, „in der Religion die Lösung des Räthsels zu finden oder nur zu suchen" (wird vollständig publiziert in OWN 7).

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Die Antrittsvorlesungen

kratische Pfahlbürgerthum" 8 Basels, das realiter den Ausführungen gelauscht hatte: Der gedruckte Text wird dem „allerschönstefn] Publikum" dediziert, das dem „homerischefn] Geschrei" zuhöre und „geduldig still dabei" verharre, wie es in der zweiten Strophe des Gedichts heisst (KGW I I / l , 248). Das Lesepublikum ist also das .idealere', ohne dass man deswegen die Antrittsrede von der Zuhörerschaft abtrennen darf, die sich der junge Gelehrte aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen bei der Vorbereitung vorgestellt haben mochte. Die Rücksichten, die Nietzsche gegenüber dem Auditorium wahren musste, sind wohl geringer zu veranschlagen als diejenigen Overbecks, der immerhin als Theologe auftrat. Nietzsche läuft - bei aller damals virulenten ideologischen Aufladung der klassischen Antike - weniger Gefahr, existenzielle religiösmetaphysische Überzeugungen zu untergraben als Overbeck. Dieser beschäftigt sich von Amtes wegen mit Glaubensfragen. 1869 zählte er übrigens noch nicht zu Nietzsches idealen Adressaten, sollten sich die künftigen ,Waffengenossen' doch erst nach Overbecks Berufung im Jahre 1870 kennenlernen. 1875/76 heisst es bei Nietzsche: „Also in doppelter Weise v e r k a n n t e man später die griechischen Kunstwerke der Sprache: 1. man löste sie vom speciellen Anlass, speciellen Publikum los und nahm sie als ob sie für ein unbestimmtes Publikum verfasst seien; 2. man trennte sie von den zugehörigen Künsten und nahm sie als verfasst für Le s e r." (GgL III, 1 - GoA 18,134)

Das Erfordernis, sich als geeignete Person für das Amt und seine vielfältigen Aufgaben zu empfehlen, und zwar vor einem einflussreichen, wahrscheinlich aber unbedarften Publikum, ist für den missionarischen Ton des Homervortrags mitverantwortlich. „Einige Gattungen nun, ζ. B. die Rede, haben ihr Maass in einer ganz bestimmten Absicht, der Redner will bei dem Publikum etwas erreichen ( Ü b e r z e u g u n g erwecken), sein Vortheil oder Schaden, selbst Leben oder Tod hängt vom Erfolg ab." (GgL III, 3 - GoA 18,146)

Die Abhängigkeit eines literarischen Werkes von dem ihm zugedachten Publikum ist überdies ein Gedanke, den Nietzsche mit Overbeck teilt. Bei diesem gewinnt er sowohl in der Akkommodations-, als auch in der Kanonisierungshypothese Gestalt (vgl. 3.2.2). 1880 heisst es: „Es liegt im Wesen aller Kanonisation ihre Objecte unkenntlich zu machen, und so kann man denn auch von allen Schriften unseres neuen Testamentes sagen, dass sie im Augenblick ihrer Kanonisirung aufgehört haben verstanden zu werden. Sie sind in die höhere Sphäre einer ewigen Norm für die Kirche versetzt worden, nicht ohne dass sich über ihre Entstehung, ihre ursprünglichen Beziehungen und ihren ursprünglichen Sinn ein dichter Schleier gebreitet hätte." (GK, I)

Die Philologie ist nach den Ausführungen auf den ersten Seiten von Nietzsches Antrittsvorlesung keine einheitliche Wissenschaft, insbesondere keine ausschliesslich historische. Gleichsam „ein Zaubertrank", „aus den fremdartigsten Säften, Metallen und Knochen zusammen gebraut" ( H k P - K G W I I / l , 249), vereinigten sich in ihr historische und naturwissenschaftliche Bestandteile mit ästhetisch-künstlerischen und eigentlich philosophischen: „Sie ist ebenso wohl ein Stück Geschichte als ein Stück Naturwissenschaft als ein Stück Ästhetik: Geschichte, insofern sie die Kundgebungen bestimmter Volksindividualitäten in immer neuen Bil8 Nietzsche an Friedrich Ritsehl im Brief vom 10. Mai 1869 (KSB 3,7).

Homer und die klassische

Philologie

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d e m , das waltende Gesetz in der Flucht der Erscheinungen begreifen will: Naturwissenschaft, so weit sie den tiefsten Instinkt des Menschen, den Sprachinstinkt zu ergründen trachtet: Ästhetik endlich, weil sie aus der Reihe von Alterthümern heraus das sogenannte klassische' Alterthum aufstellt, mit dem Ansprüche und der Absicht, eine verschüttete ideale Welt heraus zu graben und der Gegenwart den Spiegel des Klassischen und Ewigmustergültigen entgegen zu halten." (KGW II/l, 249f.)

Bei dieser Charakterisierung der Philologie, zu der sich dann noch wesentlich ihre pädagogische Bestimmung hinzugesellt, haben die einzelnen Elemente, für sich genommen, einen ziemlich konventionellen Anstrich (vgl. Enc 6 - KGW II/3, 366-369). Dass sich das Heterogene „unter eine Art von Scheinmonarchie zusammengethan" habe, ist laut Nietzsche eine Konsequenz der „Thatsache", „dass die Philologie ihrem Ursprünge nach und zu allen Zeiten zugleich Pädagogik gewesen ist" (HkP - KGW II/l, 250). Attraktiv sind nicht die Bestandteile der Philologie, sondern ihr Gesamtgefüge, die mit ihr vollbrachte Synthetisierungsleistung. Dabei ist die Funktionsbestimmung der Historie, „das waltende Gesetz in der Flucht der Erscheinungen" induktiv zu erschliessen, auf der Folie des von Schopenhauer angestrengten Nachweises, dass Historie niemals Wissenschaft werden könne 9 (auf den sich Nietzsche gerade in seiner Zweiten Unzeitgemässen besinnt), erstaunlich traditionell - zumal Nietzsche in der Historienschrift alle geschichtsphilosophischen Versuche (von Hegel bis Hartmann), in der Geschichte Gesetzmässigkeiten am Werk zu sehen, zugunsten einer aposteriorischen Konstruktion von Geschichte ad usum individui zu verabschieden scheint (siehe 2.1). Das der Altphilologie zugeschriebene Bemühen, uns Heutigen „den Spiegel des Klassischen und Ewigmustergültigen entgegen zu halten" (ibd.), macht deutlich, wie sehr sich Nietzsche noch in die Nachkommenschaft der altertumskundlich Altvorderen einreiht. Im Unterschied zu diesen ist es freilich die Archaik des neunten bis sechsten vorchristlichen Jahrhunderts, an deren Schöpfungen er seine Seele hängt. Er ist während der Frühphase seines Denkens von der idealtypischen Norm vor-sokratischen Griechentums überzeugt: Die Emanzipation von dieser kaum kritisch reflektierten, ideell übermächtigen Antike kündigt sich erst in den Unzeitgemässen an, um sich dann in Menschliches, Allzumenschliches zu konsolidieren (vgl. Kapitel 4). 10 In den Spätschriften kehrt die antike Orientierungsinstanz wieder. 11 Einzig vom (beinah) unbezweifelten Ansehen des „Klassischen" her lässt sich der Homervortrag angemessen interpretieren. 12 Nietzsche verteidigt darin das von ihm auf einer entsprechenden Professur vertretene Konglomerat verschiedener Wissenschaften, das „Philologie" geheissen werde, weil es „jene Welt aus ihrer Versenkung empor steigen" (KGW II/l, 267) lässt. Und Apologie der Philologie gegen ihre „offenen und geheimen Feinde" (KGW II/l, 250) ist denn auch der Zweck von Nietzsches Ausführungen - freilich Apologie einer Philologie, die 9 Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und als Vorstellung, 2. Bd./2. Teilbd. Ergänzungen zum 3. Buch, § 38: Über Geschichte [1844] = A . S., Werke in 10 Bänden. Zürcher Ausgabe, Bd. 4 , Zürich 1977, S . 5 1 6 - 5 2 5 . 10 Soweit die ideal-archaische Antike nicht überhaupt bis 1888 durchgehend bestimmend bleibt: vgl. Cancik, Nietzsches Antike. 11 Im Antichrist

wird gegen die durch das Christentum landläufig gemachte Dekadenz eine um den römi-

schen Reichsgedanken ergänzte Antike bemüht. 12 Andernorts wird das Klassische zu einem Verhältnisbegriff, dessen unbedingte Valenz dadurch suspendiert ist: „Denn für u n s reden wir von Classicität, für unsere moderne Welt, nicht im Hinblick auf Inder, Babylonier und Ägypter." (Enc 13 - KGW II/3, 390) Weshalb das Griechische und nicht zum Beispiel das Christliche für die Gegenwart massgeblich klassisch sei, wird nirgends erörtert.

22

Die

Antrittsvorlesungen

nach Gutdünken philosophisch zurechtgeschustert ist, eben nicht am Buchstaben von Emendationen und Konjekturen kleben bleibt. Weniger wer die Philologie als „Staubschlucken ex professo" (ibd.) verspotte, werde ihr gefährlich, als viel eher der „moderne Mensch", der saturierte Philister, der „das Ideal als solches" (KGW II/l, 251) fürchte. Für ihn sei das Gegenwärtige und Erreichte der höchste Wert, von dem aus das Altertum unerheblich und überholt erscheinen muss. In einer andern Vorlesung betont Nietzsche stark die Ungleichartigkeit „der modernen und der antiken griechischen Kultur" (GgL III, 1 - GoA 18,133). Die schon im vorangestellten Gedicht anklingende Opposition zum Zeitgeist wird in der Folge akzentuiert: Der „moderne Mensch" verkörpert für Nietzsche das gesamte Übel, das seinem Ideal und damit der Philologie droht (als „Bildungsphilister" wird derselbe „moderne Mensch" in der Ersten Unzeitgemässen Opfer einer masslosen Attacke). Dass das Ideal nicht mehr das heiterbeschauliche des Klassizismus, sondern bereits ein tragisch-ambivalentes ist, drückt sich in der Formulierung aus, die selbstgefällige Moderne mit all ihren technisch-industriellen Errungenschaften sei nicht gefeit „vor der Vernichtung durch das furchtbar-schöne Gorgonenhaupt des Klassischen" (KGW II/l, 251). Obwohl der Gegenwartsmensch den glänzenden zivilisatorischen Triumphen huldige, manifestiert sich in diesen für Nietzsche keineswegs kultureller Fortschritt. Die Philologie hat somit nicht bloss die akribische Kritik der Texte zu ihrer Aufgabe, sondern ebenso die Kritik der modernen Ideologien, insbesondere der Fortschrittsvergötzung: Kulturkritik von der unhintergehbaren Idealität des Vergangenen aus. Philologie verfolgt weniger einen konservatorischen als einen radikalkonservativen Zweck, nämlich das Bestehende und für falsch Befundene nach dem hehren Massstab zu justieren. 13 Da die Philologie nicht als reine Wissenschaft ins Licht grundsätzlicher Interesselosigkeit gestellt werden soll - wie dies Overbeck in seiner Vorlesung für eine „rein historische Betrachtung der Neutestamentlichen Schriften" versuchen wird (obschon auch er sie an die Interessen der Theologie anbindet) - , kann Nietzsche ihr die Kulturkritik als einen aus der Verpflichtung gegenüber dem Ideal selbstverständlich erwachsenden Auftrag zuweisen. Weil Nietzsche die Philologie nicht mit einem methodischen Wertfreiheitspostulat konfrontiert, sondern sie als ästhetischwissenschaftliches Mischwesen begreift, das erst noch pädagogische Ziele verfolgt - also Geschmack bilden, Menschen erziehen will - , entzieht er sich von vornherein den Einwänden, die es der Philologie qua Wissenschaft verwehren wollen, parteiisch zu sein. „Ich verlange, dass auch der wissenschaftliche Trieb beherrscht werde von jener klassischen Tendenz" (Enc 14 KGW II/3, 392). Aus ihrer Beschäftigung mit dem Alten und dem Klassischen folgt für Nietzsche fast zwangsläufig, dass die Philologie den Massstab der von ihr entdeckten Kulturleistungen an diejenigen der Gegenwart anlegt - und letztere, daran gemessen, für zu leicht befindet. Der wohl berühmteste Satz in Nietzsches Vorlesung räumt der später so entscheidenden und so unfassbaren .Kategorie' des Lebens schon einen zentralen Stellenwert ein: „Das Leben ist werth gelebt zu werden, sagt die Kunst, die schönste Verführerin; das Leben ist werth, erkannt zu werden, sagt die Wissenschaft. Bei dieser Gegenüberstellung ergiebt sich der innere und sich oft so herzzerreissend kundgebende Widerspruch im B e g r i f f und demnach in der durch diesen Begriff geleiteten Thätigkeit der klassischen Philologie." (KGW II/l, 251f.) 13 Vgl. dazu auch Hubert Cancik, „Philologie als B e r u f . Zu Formengeschichte, Thema und Tradition der unvollendeten vierten Unzeitgemässen Friedrich Nietzsches, in: Tilman Borsche/Federico Gerratana/ Aldo Venturelli (Hrsg.), ,Centauren-Geburten'. Wissenschaft, Kunst und Philosophie beim jungen Nietzsche, Berlin/New York 1994, S. 8 1 - 9 6 , insbesondere S. 9 3 - 9 6 .

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Von allem Anfang an laviert Nietzsches Wissenschaft zwischen der Ermöglichung von Leben und seiner Verunmöglichung durch unbarmherzigen Erkenntniswillen, der ahnt, wie abträglich er dem Lebendigen ist. (Die Vernichtung der Ideale durch die wissenschaftliche Objektivierung dürfte bei Nietzsches früher Entfremdung von Bibel und Christentum übrigens eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. 14 ) Vor der Einführung der Dichotomie von Kunst und Wissenschaft wird die beiden gemeinsame Fähigkeit beschworen, das „Alltäglichste völlig neu und anziehend, ja wie durch die Macht einer Verzauberung als eben geboren und jetzt zum ersten Mal erlebt" (KGW II/l, 251) erscheinen zu lassen. Die Postulierung des Gegensatzes von Lebenswillen und Erkenntniswillen wirkt danach ziemlich unvermittelt, ist doch das wissenschaftliche Tun so gut wie das künstlerische gerade als eines umrissen worden, das die Dinge in ein neues, ungewohntes Licht taucht und damit ihre Attraktivität unverhofft wieder herstellt. Es heisst nun, dies konterkarierend, dass das Altertum, wissenschaftlich beurteilt, „den eigentlichen Duft der antiken Athmosphäre [sie]" (KGW II/l, 252) verlöre, und die historische oder lexikalische Untersuchung zwar „einige morphologische Gesetze" entdecken möge, nicht jedoch den wahren Geist der vergangenen Epoche. (Mit dem Rekurs auf „morphologische Gesetze" wird augenfällig, wie sehr für den jungen Nietzsche Geschichtsschreibung von den Vorgaben der Historischen Schule abhängt. Das Biologisch-Morphologische als Modell für geschichtliche Entwicklung kehrt, wie wir sehen werden, bei Overbeck wieder.) Die Wissenschaftlichkeit wird der Philologie seitens der einfühlsamen Freunde des Altertums zum Vorwurf gemacht - ein Vorwurf, gegen den sich eine Philologie nach Nietzsches Geschmack einzig wappnen kann, indem sie, mindestens ein Stückweit, Kunst wird. Wegen ihres „Mangelfs] an Pietät und Verehrungslust" (ibd.) seien der Philologie namhafte Gegner erwachsen, die Nietzsche zurückgewinnen möchte (er nennt Schiller und Goethe). Um ihre Gunst (nicht etwa um die der „modernen Menschen") wirbt er. Deshalb gibt er von Beginn an den ausschliesslich wissenschaftlichen Anspruch seiner Disziplin auf und weist ihr als vornehmste Pflicht die Überbrückung der „Kluft zwischen dem idealen Alterthum - das vielleicht nur die schönste Blüthe germanischer Liebessehnsucht nach dem Süden ist - und dem realen" (KGW II/l, 253) zu. Wenn sich auch der einzelne Philologietreibende dem „Zwiespalt" (ibd.) nicht entziehen könne - somit die Balance zwischen Objektivierung und Nacherleben individuell alleweil labil ist - , hat doch die Philologie insgesamt jene synthetische Arbeit zum Geschäft, die Nietzsche als Zur-Deckung-Bringen von Idealität und Realität beschreibt. Eine wissenschaftlich erschliessbare, faktische Realität des Vergangenen wird, soweit ich sehe, von Nietzsche noch sehr wohl angenommen. Die Parenthese, nach der das Ideal „vielleicht nur die schönste Blüthe germanischer Liebessehnsucht" sei, ist bedeutungsvoll, weil in ihr der Projektionscharakter der dem bisherigen Vernehmen nach unverrückbar feststehenden Normativität des Griechischen plötzlich aufscheint. Die Normativität des Alten bestünde demnach nicht objektiv und würde von kleinlicher histo14 Siehe die ausgezeichnete Abhandlung von Johann Figl, Dialektik der Gewalt. Nietzsches hermeneutische Religionsphilosophie. Mit Berücksichtigung unveröffentlichter Manuskripte, Düsseldorf 1984, der S . 9 3 f . resümiert: „Es darf nach der Analyse wichtiger, bisher nicht beachteter, weil unveröffentlichter Aufzeichnungen Nietzsches aus der Jugend- und Studentenzeit mit Recht angenommen werden, dass das mit der kritischen Methodik verbundene Bewusstsein eine entscheidende Wurzel für seine Abkehr vom Christentum darstellt. Es ist damit nicht die historisch-kritische Methode als solche und für sich isoliert gemeint, sondern die grundsätzliche kritisch-distanzierende Haltung gegenüber den Wahrheitsansprüchen tradierter Sinnangebote, die zwar eng mit dem historischen Denken verbunden ist, jedoch viel weiter und grundsätzlicher das menschliche Selbstverständnis beeinflusst als eine blosse Methodik."

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Die

Antrittsvorlesungen

rischer Kritik lediglich verdunkelt, sondern sie hätte ihren Bestand dadurch, dass sie gefordert, dass sie geglaubt wird. Das pädagogische Anliegen erhielte eine besondere Prominenz: Die Philologie müsste der Vermittlung dieses postulierten Ideals dienen, um die erlauchte Schülerschar, denen der Aufbau der künftigen Kultur anvertraut werden wird, zum Glauben an etwas unerreicht Höheres, ein Strebensziel anzuhalten. Dass die Idealität des Griechentums nur eine Fiktion sein könnte, erfunden in pädagogischer Absicht ohne Entsprechung in der Realität, geht aus Nietzsches Worten jedenfalls hervor. Als Beispiel dafür, dass die Philologie nicht vom idealen Altertum abirre, sondern im Gegenteil zu ihm letztlich hingeleite, wird das Homer-Problem fokussiert. Hier zeige sich, „wie gerade dort, wo man missbräuchlich vom Umsturz der Heiligthümer redet, nur eben neuere und würdigere Altäre gebaut werden" (KGW H/1, 254). Dass der moderne Mangel an „Verehrungslust" Nietzsche zu einer derart sakralisierten Auffassung des Antiken treibt, vor dem der Adept auf Altären zu opfern habe, ist nur konsequent, und auf dem Hintergrund der ideologischen Besetzung der Altertumswissenschaft im späten 18. und im 19. Jahrhundert bestimmt nicht verwunderlich. In der Tat ist das ehrfurchtgebietende, künstlerisch produktive Altertum als Sinnstifter stillschweigend an die Stelle des Christentums getreten. Bei Homer ist für Nietzsche die „Persönlichkeitsfrage" (ibd.) das Ausschlaggebende, mit dem ein Exempel gelungener philologischer Arbeit statuiert werden kann. An Homer habe die historische Forschung „zum ersten Male die wunderbare Fähigkeit der Volksseele anerkannt, Zustände der Sitte und des Glaubens in die Form der Persönlichkeit einzugiessen" (KGW 11/1, 255). Wem durch diese Behauptung die eigentliche Leistung der historischen Methode nicht näher gebracht worden ist, kann sich mit der daran anschliessenden behelfen, derzufolge die kritische Geschichtswissenschaft „konkrete Persönlichkeiten" habe „verdampfen" (ibd.) lassen, um damit den Geist eines Kollektivs, einer Kultur in einer verflossenen Epoche umso luzider hervorzuheben. Die einzelne Person wird im Falle Homers von den Anhängern dieser kritischen Betrachtungsweise also verstanden als der in einem fiktiven Individuum verdichtete, geistig-kulturelle Inbegriff einer Epoche. Während die alexandrinischen Grammatiker die Persönlichkeit Homers als Dichterindividuum streng hätten gewahrt wissen wollen (und zu diesem Zweck alles Widerständige den späteren Redaktoren in die Schuhe schoben), werde bei Friedrich August Wolf, dessen Forschungen von den Alexandrinern ausgehen, die individuelle Persönlichkeit Homers aufgehoben (wie im Altertum bei den Chorizonten). Ein weiterer Blick in die Rezeptionsgeschichte provoziert Nietzsche zur Feststellung, in der Zeit vor Aristoteles sei Homer als Persönlichkeit kaum konturiert gewesen, liefen damals unter seinem Namen doch zahllose Dichtungen um. „Homer war hier fast zu einer leeren Hülle geworden." (KGW II/l, 257) So drängt sich die brennende Frage auf: „ Ist s o m i t a u s e i n e r P e r s o n e i n B e g r i f f o d e r a u s e i n e m B e g r i f f e i n e P e r s o n m a c h t w o r d e n ? " (KGW II/1,257)

ge-

Wenn man sich bei Homer mit dem Schlagwort der „ V o l k s d i c h t u n g " (KGW II/l, 258) aus der Affäre ziehen wolle, gerate man in neuerliche Schwierigkeiten, denn dann zerrinne einem das Individuelle zwischen den Fingern. Aus den homerischen Dichtungen spreche das Genie. Dessen Vervielfältigung in unzählige Dichtergenerationen, die am Text der Ilias und der Odyssee gearbeitet hätten, hält Nietzsche für wenig wahrscheinlich: Genie sei singular und daher einem einzelnen Individuum zuzuordnen. Die Alternative von „ V o l k s d i c h t u n g " und „ I n d v i d u a l d i c h t u n g " (KGW II/l, 260), um die sich der Streit gedreht habe, sei freilich eine falsche. Sie sei der „Entdeckung und Würdigung der V o l k s s e e l e " als „Aberglaube" (ibd.) erwachsen.

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Diese Entdeckung habe die historische Wissenschaft erst zu einer solchen gemacht: In der „Volksseele" drückten sich „Gesetz und Regel" (ibd.) des geschichtlichen Geschehens aus; dank ihr werde aus einer blossen Ansammlung von Daten erst ein historisches Ganzes. Sie ist das typische Signum eines Volkes und einer Epoche. Nietzsche denkt, wie erwähnt, hier noch nicht daran, die Wissenschaftlichkeit der Historie grundsätzlich zu destruieren, obschon er mit der mehrfachen Evokation des Willens (die Geschichte als „Reich des Willens") erkennbar Topoi Schopenhauers aufnimmt, der eben die Möglichkeit von Historie als Wissenschaft geleugnet hatte (vgl. Anm. 9). Es ist laut Nietzsche nicht statthaft, den im „Reich des Willens" beheimateten Schluss auf das Volk als Träger geschichtlicher Handlungen in das „Reich des Intellektes" (KGW I I / l , 261) zu importieren - mit anderen Worten einem ganzen Volk, der „unschönen und unphilosophischen Masse" (ibd.) die Urheberschaft an kulturellen Leistungen anzutragen. Es sei dies ein ungerechtfertigter „Schlussf..] nach der Analogie" (ibd.), dessen Unhaltbarkeit indessen nicht streng bewiesen, sondern bloss behauptet wird. Nietzsches Elitarismus schlägt deutlich durch, wenn er die kulturellen Leistungen für einzelne grosse, geniale Individuen reklamiert und sie jenseits gesellschaftlicher Prozesse ansiedelt, deren Reflex sie eben nicht einfach seien. Diese „grossen Individuen" sind später aus Historienschrift nicht wegzudenken: Auf sie ist die „monumentalische" Geschichtsschreibung zugeschnitten, vor ihnen macht die Zerstörung der Begriffsgötzen abrupt halt. In der Homervorlesung ist ihnen allein der Bereich der Kunst vorbehalten; das, was man als Ereignisgeschichte bezeichnen könnte, bleibt hier die Domäne, in der sich die „Volksseele" ausleben darf. Die Dichtung, um die es Nietzsche zu tun ist, bedürfe selbst dann, wenn sie „Volksdichtung" sei, eines „vermittelndefn] Einzelindividuums" (KGW I I / l , 261); die „dichtende Masse" (ibd.) gilt als Chimäre. Die mündliche Tradition reichere, im Fall der homerischen Epen, die Dichtung mit fremden Ingredienzien an, die säuberlich von den ursprünglichen getrennt werden müssten - eine Prozedur, die sich jedoch besonders mühsam gestalte, wenn man nicht klar sagen könne (ζ. B. anhand historisch-biographischer Anhaltspunkte), welches Dichterindividuum denn gesucht werde. Der von der Forschung verwendete „Mechanismus" (die negative Konnotation dieses Ausdrucks ist bezeichnend), das auktoriale Individuum von den Schlacken der überlieferungsgeschichtlichen Tradition zu reinigen, habe bei Homer zum mindesten versagt: Das, was sich während eines solchen Verfahrens herausdestilliere, sei „eine nach subjektiver Geschmacksrichtung ausgewählte Reihe besonders schöner und hervortretender Stellen" (KGW II/l, 263), kurz: die willkürliche Homer-Rekonstruktion nach jeweiligen Zeitmoden. Homer werde irrtümlicherweise mit „aesthetischer Vollkommenheit" (ibd.) schlechthin assoziiert, in die jede Epoche das ihr Genehme hineinlege. Nietzsche vertritt nun die Ansicht, um über die Bedeutung des Namens Homer tatsächlich etwas zu erfahren, habe man die „homerischen Stadtsagen" (ibd.) und die Fabel vom Wettkampf Hesiods mit Homer beizuziehen; er begibt sich also auf eine Fährte, der er in seiner gleichzeitigen Forschung nachgeht. 1 5 Aufgrund dieser ausserepischen Zeugnisse sagt Nietzsche, eine Dichterpersönlichkeit sei zwar Schöpfer von Ilias und Odyssee, diese Persönlichkeit jedoch - jetzt von der opinio communis der Forschung abweichend - nicht das historische Individuum Homer. Die Aneinanderreihung der Episoden in der Ilias sei nicht die Entstellung eines ursprünglichen 15 Friedrich Nietzsche, Der Florentinische Tractat über Homer und Hesiod, ihr Geschlecht und ihren Wettkampf, in: Rheinisches Museum für Philologie, Bd. 25 (1870), S. 528-540 & Bd. 28 (1873), S. 211-249 (GoA, Bd. 17, S. 215-276).

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Die Antrittsvorlesungen

epischen Gesamtplanes (der nie existiert habe), vielmehr die Auswertung dessen, was die mündliche Tradition bis zur eigentlichen Genese des Epos herbeigeschleppt habe. Die „relative Unvollkommenheit des Plans" (KGW I I / l , 265), den dieser spätere „Planmacher" (ibd.) entworfen habe, sei das „relative Höchste" (KGW I I / l , 266), das er aus dem Materialwust habe herausholen können. Homer nun sei einer der mythisch-heroischen Dichterfiguren der Frühzeit und nicht mit dem Manne identisch, der später, dem mythischen Übervater Homer dankbar zugetan, die Arbeit des „Componierens" auf sich nahm: „Und zwar gehörte auch jener wunderbare Genius, dem wir die Ilias und Odyssee verdanken, zu dieser dankbaren Nachwelt; auch er opferte seinen Namen auf dem Altare des uralten Vaters der epischen Heroendichtung, des Homeros." (ibd.)

Der genetischen Dichtungstheorie, die Nietzsche für die beiden Epen entwirft, ist das kompositorische Moment eigentümlich (die Vokabel „Componieren" taucht mehrfach auf): Das aus dem Meer der Oralität angeschwemmte Strandgut 1 6 webt der begnadete einzelne zu seiner grossen Dichtung zusammen. Er bleibe zwar von dieser oralen Tradition abhängig, doch erst durch sein Schaffen generiere sich das Kunstwerk. U m bei der musikalischen Metapher zu bleiben: Der Künstler fügt die einzelnen disparaten Akkorde und verstreuten Takte zu einem Orchestersatz, zu einer Symphonie. Darin besteht die eigentlich künstlerische Leistung, die stets die eines Individuums sei. Nietzsches eigener Umgang mit fremden Gedanken korrespondiert mit diesem Originalitätskriterium: Nicht, was einer neu erfindet, ist die grosse Leistung, sondern was er aus dem Bekannten neu kombiniert (siehe Μ Α II V M 200 - KSA 2 , 4 6 5 ) . Mit seinen Darlegungen glaubt Nietzsche einen eloquenten Beweis für den konstruktiven Charakter der Philologie gegeben und den Vorwurf kritischer Destruktivität abgewehrt zu haben. Er selbst präsentiert sich mit seiner neuen These zur Homerfrage ohne falsche Bescheidenheit als Philologe im guten Sinn des Wortes. Für ihre besten Vertreter nimmt die Philologie also jene kompositorische Kraft selber in Anspruch, die sie dem Dichter bescheinigt hatte - obgleich die Philologie niemals an die Dichtung heranreiche. 1 7 Allerdings zerstöre sie - freilich nur die „ . g r o s s e n " ' und gleichzeitig hohlen „Begriffe" ( K G W I I / l , 267), die man sich in aller Naivität von den Alten gebildet habe. Zur Verabschiedung falscher Begriffe fühlt sich Nietzsche offenbar - wenn auch noch in fachphilologischem Rahmen - früh schon berufen. Das Philosophische, in welches das Philologische nach Nietzsches Wunsch umschlagen soll, zeigt sich eben in dieser doppelten Stossrichtung der Kritik und der Neukonstruktion. Nietzsche illustriert die Aufgabe, die er der Philologie zugedacht hat, mit dem biblischen Bild vom neuen Wein, der in neue Schläuche abzufüllen sei (Matthäus 9, 17), und verbrämt das Ganze noch mit den Einsetzungsworten eines säkularen Abendmahles: „in Wahrheit ist alles neu geworden, Schlauch und Geist, Wein und Wort" (KGW II/l, 267).

16 Im Gegensatz zur griechischen beruhe erst die „Bildung der neuersten Zeit" „auf dem L e s e n " (GgL III, 1 - GoA 18, 131). „Ein Volk, welches eine litterarische Bildung hat (dessen Cultur auf anerkannt klassischen Büchern ruht) - wird es eine k l a s s i s c h e Litteratur e r z e u g e n ? Es scheint unwahrscheinlich; es scheint überflüssig." (ibd. - GoA 18, 132) (vgl. unten Kapitel 2, Anm. 72). 17 „Das Verhältniss der G e l e h r t e n zu den grossen D i c h t e r n hat etwas Lächerliches." (ESP 5 - GoA 17, 330)

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Nach Nietzsche erschliesst die Philologie erst jene Quellen, aus denen die Antikenbegeisterung schöpft. So müssen die Gebildeten unter den Verächtern der Philologie in ihren Nutzen ein Einsehen haben. Zwar sei sie nicht „Tondichterin dieser unsterblichen Musik" (KGW II/l, 268), aber die Virtuosin, die „jene Musik zum ersten Mal wieder ertönen" (ibd.) lasse. So fordert Nietzsche der Philologie gegenüber nicht nur Respekt und Anerkennung, sondern „ D a n k b a r k e i t " (ibd.), denn sie steige als „Götterbotin" hinab „in eine Welt voll düsterer Farben und Bilder, voll von den allertiefsten und unheilbarsten Schmerzen und erzählt tröstend von den schönen, lichten Göttergestalten eines fernen, blauen, glücklichen Zauberlandes." (ibd.) Mit blosser Tradierung von Wissen und Bildungsgütern begnügt sie sich also beileibe nicht: Sie hat im Gegenteil einen therapeutisch-seelsorgerlichen Zug, der der Leidenslinderung oder zumindest dem zeitweiligen Vergessen zugute kommt. Erneut ist hieran die religiöse Besetzung der Philologie und erst recht des von ihr vermittelten Inhalts, der erhabenen Dichtung festzumachen. Aus der den klassischen Dichtungswerken zugeschriebenen Fähigkeit, das als gravierend empfundene Leiden an der Welt zu mildern, leitet sich die Legitimität der Philologie letzten Endes ab. Dieselbe Philologie will 1872 die „Gewalt der T r a g ö d i e " „als Inbegriff aller prophylaktischen Heilkräfte" reaktivieren (GT 21 - KS A 1,134). Der therapeutische oder noch besser „prophylaktische" Einschlag des von Nietzsches jeweils als Philologie oder als Philosophie Betriebenen ist in allen Schaffensphasen offensichtlich: Es muss einen praktischen Nutzen haben. Im Drang nach Leidensverringerung und Rationalisierbarmachung der Übel ist es einem Theodizeeprojekt ähnlich: es wird Kosmo- und Biodizee (vgl. GT 5 - KSA 1, 47f.). Philologie wird dazu, indem sie offenbart, weshalb das Leben lebenswert sei und wie das Leiden produktiv umgesetzt werden könne. Vielleicht Hesse sich mit diesem Versprechen selbst der „moderne Mensch" bekehren sofern es wirklich eingelöst wird. Die Legitimität von Philologie beruht also nicht auf einer wissenschaftlichen Lauterkeit, welche normative Ursprünge erhellt (so bei Overbecks Antrittsvorlesung), sondern auf einer Vermittlung des Kanonischen, die sich nicht allein seiner Destruktion enthält (was Overbecks Kirchengeschichtsschreibung in ihrer Frühphase ebenfalls tut), sondern zudem von vornherein auf die Kanonizität des Kanonischen eingeschworen ist. In ihrem Willen, den Ursprüngen zu dienen, sind sich Nietzsches Philologie und Overbecks Kirchengeschichte einig - im Unterschied zu Overbeck ist Nietzsche aber bereit, zur Not die wissenschaftlich-historische Seite seines künstlerisch-wissenschaftlichen Zwitters Philologie preiszugeben, falls es den Idealen nützt. Wenn der Philologie vorgeworfen wird, sie korrodiere durch die kritische Objektivierung ihres Gegenstandes das Lebendige und Wertvolle, dann bemüht sich Nietzsche um den Nachweis, dass das synthetische, das künstlerische Element solcher Destruktivität zuvorkomme oder zuvorkommen müsse. Um der Philologie Sitz in einem Leben zu verschaffen, das es „werth" sein soll, „gelebt zu werden" (KGW II/l, 251), ernennt Nietzsche sie zur Botschafterin der Dichtung und zur Therapeutin des Leidens, dem man mit der Verklärung des Lebens durch die Kunst begegnen soll. 18 Die historischen Interessen werden hintangestellt, der sogenannte ,objektive' Blick verschleiert, 18 Dichtung als Pathodizee (zur Rechtfertigung des Leidens und der Götter) ist bekanntlich schon bei Homer ein Thema: Das Unheil „haben die Götter bewirkt und das Verderben den Menschen zugesponnen, damit es noch den Künftigen zum Gesänge werde" (Odyssee VIII, 579f. in der Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt). Nietzsche distanziert sich davon in ΜΑ II VM 189: „Dass je solche Gedanken in den Kopf eines Griechen gekommen sind!" (KSA 2 , 4 6 3 ) Vgl. Walter F. Otto, Theophania. Der Geist der altgriechischen Religion, Hamburg 1956, S. 32.

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Die Antrittsvorlesungen

was unter der Voraussetzung jener von Nietzsche eingangs gegebenen Definition der Philologie durchaus erlaubt zu sein scheint. Nietzsche bändigt die Gefahr einer objektivistischen Philologie, indem er sie im Rekurs auf das Ideal zurückbindet und die Orientierung am Ideal zum Dogma erhebt, das gegen den „modernen Menschen" immer recht behält (weshalb, sagt er freilich nicht). Währenddessen ist Overbeck bereit, den Weg der historischen Objektivierung bis zum bitteren Ende zu gehen - er will sich nicht durch ein spezifisches Interesse, ein Lebensinteresse leiten lassen. Obgleich die Wendung vom Gang der Argumentation nicht direkt motiviert ist, sind Nietzsches Schlusssätze in der ,,kurze[n] Formel eines Glaubensbekenntnisses" (KGW II/l, 268) tatsächlich die Quintessenz: „philosophia facta est quae philologia fuit." (ibd.) „Damit soll ausgesprochen sein, dass alle und jede philologische Thätigkeit umschlossen und eingehegt sein soll von einer philosophischen Weltanschauung, in der alles Einzelne und Vereinzelte als etwas Verwerfliches verdampft und nur das Ganze und Einheitliche bestehen bleibt." (KGW II/l, 268 f.)

Die Philologie wird an eine umfassende „philosophische Weltanschauung" gebunden, der sie sich unterzuordnen hat. In der zur Philosophie mutierenden Philologie hat das Partikulare als Partikulares keinen Platz; sie zielt in ihrem synthetisierenden Trieb auf ein Ganzes und Umgreifendes, innerhalb dessen sich alles Einzelne anzuordnen hat. Overbecks „rein historische Betrachtung" wird vor einer solcher Totalitätsvision ebenso zurückschrecken wie davor, sich der Theologie und ihrem Totalitätsanspruch gänzlich auszuliefern. Gleich Nietzsche in der Antrittsvorlesung an einer Grenze stehend, verabschiedet sich Overbeck bald von der Theologie, weil ihm der Hiatus zwischen ihrer Selbsteinschätzung und tatsächlich sinnstiftenden Leistung unüberwindbar geworden ist. 19 Demgegenüber ist Nietzsches philosophische Philologie Religionssurrogat geworden: sie macht die an der Welt Siechen wieder gesund. Overbeck, gleichfalls im Ringen um die Legitimation seiner Wissenschaft, wird ihr, um diese Legitimation zu erreichen, in Sachen Sinnstiftungskompetenz äusserste Bescheidenheit auferlegen. Nietzsche spricht seiner Disziplin im Rechtfertigungsnotstand gerade diese Kompetenz zu, womit er sich bereits aus den Gefilden der Philologie hinausbewegt. Mit seiner Philologie entwirft er eine Wissenschaft, die vor Sinnansprüchen nicht zurückweicht, im Gegenteil ihre Einlösung verheisst. Dabei wirbt er um ein Verständnis von Wissenschaft, das quer nicht bloss zum damaligen Zeitgeist positivistischer Faktenhuberei und technischer Weltbewältigung, sondern besonders auch zur wissenschaftsideologischen Fortschrittseuphorie stand. Das Beste ist bei dieser Forderung nach historischer Selbstbesinnung keineswegs eine Sache der Zukunft, vielmehr eine der Vergangenheit. Eine Sache, der man allenfalls strebend nacheifern kann, um - das Motto dieses Kapitels aufgreifend - dereinst wieder unter der Sonne Homers zu wandeln. Einen Platz an dieser Sonne möchte Nietzsche der Kultur des entstehenden Bismarckreiches schaffen! Resümierend sind zwei Merkmale an Nietzsches Philologieverständnis wesentlich: Erstens hat Philologie als Wissenschaft und als Kunst Orientierungskompetenz, und zweitens ist der Archetyp dieser Orientierung in der Vergangenheit und nicht in Gegenwart oder Zukunft zu suchen. Das Interesse an Historie als einer Macht, die den

19 „Indem er der Theologie das Recht absprach, das Christentum zu vertreten, verzichtete er zugleich auch für sich selber darauf." Karl Löwith, Von Hegel bis Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts [1941/50], in: K. L„ Sämtliche Schriften, Bd. 4, Stuttgart 1988, S. 1 ^ 9 0 , S. 473.

Historische

Betrachtung

des Neuen

Testamentes

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Menschen sich selber erklärbar macht 2 0 , und die mit dieser Erklärung Lebensleitlinien zieht, ist bei Nietzsche auf jeden Fall geweckt. Historie erklärt nicht einfach, sondern hat eine lebensgestaltende Macht zu sein. Darin liegt eine Fundamentaldifferenz zu Overbecks Historie, die weder alles erklären zu können meint, noch gar sich praktische Direktiven oder Orientierungskompetenz zutraut. Schon sehr früh zeichnen sich die beiden Wege ab, auf denen Overbeck und Nietzsche zu einem ziemlich unterschiedlichen Wissenschaftsbegriff gelangen: Beim frühen Nietzsche wird der Wissenschaft noch zugemutet, dass sie halbwegs wenigstens Kunst werde, damit sie einen Sitz im Leben erhalte. Overbeck hält sie mit derlei Zumutungen für überfordert, denn ihn lehrte gerade die Theologiegeschichte, dass man Wissenschaft in der Vergangenheit politisch-metaphysisch-religiös stets überfordert habe. Wissenschaft soll sich deswegen streng beschränken. Nietzsche und Overbeck weisen zwei verschiedene Auswege aus einer in die Krise geratenen Wissenschaft: Während sie bei Nietzsche ihren angestammten Bereich verlässt und Sinn eruieren soll, wird ihr bei Overbeck jede ideologische Nutzbarkeit, überhaupt jeder Überbau aberkannt. Beide Alternativen haben ihre Aktualität.

1.2 Entstehung und Recht einer rein historischen Betrachtung der Neutestamentlichen Schriften in der Theologie Die Vorlesung, die Overbeck am 7. Juni 1870 in der Aula der Basler Universität zur Übernahme seines neutestamentlich-kirchenhistorischen Lehramtes hielt, erhebt - wie schon der Titel sagt einen von religiösen Präjudizien gereinigten Anspruch auf „rein historische[.] Betrachtung" der Bibel. Overbeck, auf Betreiben des kirchlichen Reformvereins trotz Vorbehalten gegen seine Person 2 1 nach Basel berufen, sah sich genötigt, neben der Erörterung seiner wissenschaftlichen Grundbegriffe die Hoffnung seitens der Reformfreunde zu relativieren, (seine) Wissenschaft Hesse für ihre kirchenpolitischen Zwecke einspannen. 22

2 0 Durchaus im Sinne von Emersons Essay über „Geschichte": „Der Mensch ist durch nichts anderes erklärbar als durch seine Geschichte." (Ralph Waldo Emerson, Versuche. Für die Deutsche Bibliothek nach der Übersetzung von G. Fabricius, hrsg. von Mario Spiro, Berlin o. J., S. 3.) 21 Overbeck war bislang weder durch grössere Publikationen in Erscheinung getreten, noch hatte er kirchenpolitisch Position bezogen. Vgl. Curt Paul Janz, Die Berufung Franz Overbecks an die Universität Basel 1870, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, Bd. 92 (1992), S.

139-165,

S. 153 ff. und Eberhard Vischer, Die Lehrstühle und der Unterricht an der theologischen Fakultät Basel seit der Reformation, in: Festschrift zur Feier des 450jährigen Bestehens der Universität Basel, hrsg. von Rektor und Regenz, Basel 1910, S. 1 1 1 - 2 4 2 , S. 2 1 8 - 2 2 0 . 22 Vgl. Overbecks Brief an Heinrich von Treitschke vom 23. Mai (sie) 1870 in O N I, 2 9 f . - O W N 8 und überdies die Herausgebereinleitung zu EhB in O W N 1, 77. Dass Overbeck spätestens mit seiner Christlichkeit den kirchlichen Reformern, die seine Berufung in die W e g e leiteten, untreu geworden war, hat der Vorreiter des theologischen Freisinns in der Schweiz, Heinrich Lang, bitter vermerkt: „Sie haben ihn erhalten und er verräth sie; in ihren schweren heissen Kämpfen lässt er sie stehen und lacht sie aus." [Heinrich Lang], Zwei seltsame Käuze [Doppelrez. von U B I und C h T 1 ] , in: Reform. Zeitstimmen aus der schweizerischen Kirche, Jg. 2 (1873), S. 451^155, S. 455. Vgl. C h T 2 , 10f., w o sich Overbeck u. a. zu einer Anzeige von C. Hörler im selben Periodikum äussert (in der Herausgeberanmerkung O W N 1, 266 ein einschlägiges Zitat aus Hörlers Artikel).

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Die Antrittsvorlesungen

Ähnlich wie bei den Predigten aus Overbecks Studienzeit muss bei der Antrittsvorlesung die Redesituation berücksichtigt werden, in der Overbeck selbstverständlich seine Wissenschaft darstellen wollte, sich gleichzeitig aber, als Theologieprofessor, einer religiösen Ausrichtung seiner Wissenschaft nicht prinzipiell entziehen durfte. Zur erforderlichen Unterscheidung von esoterischem und exoterischem Standpunkt des Theologen äussert sich Overbeck in der Christlichkeit zu ausführlich (siehe 3.2.3), als dass man den Verdacht der Akkommodation in Entstehung und Recht gänzlich unterdrücken könnte. Zwar hatte Overbeck sein wissenschaftliches Anliegen schon in seinen früheren Schriften und namentlich in den Vorlesungen der Jenaer Privatdozentenzeit mehr oder minder deutlich ausgesprochen 23 , niemals zuvor indes so programmatisch formuliert. 24 Bei Berührungspunkten mit Nietzsche können wir vom direkten Kontakt noch ganz absehen. 25 Overbeck hat in Entstehung und Recht erstmals scharfe Konsequenzen aus der Forderung nach einer ausschliesslich historischen Behandlung des Christentums gezogen, weshalb Nigg, dem sehr daran gelegen ist,

23 Zu Overbecks Entwicklung bis zur Christlichkeit siehe die bestechende Darstellung von Nikiaus Peter, Im Schatten der Modernität. Franz Overbecks Weg zur „Christlichkeit unserer heutigen Theologie", Stuttgart/Weimar 1992. Die Vorlesung über die Pastoralbriefe von 1864/65 (NLO, A 96) wird dort auf S.83ff. besprochen, diejenige über altkirchliche Christologie und Trinitätslehre von 1866/67 auf S.85-95. 24 Overbecks Basler Kollege, der Kirchen- und Dogmengeschichtler Karl Rudolf Hagenbach (1801-1874) hatte nach seiner Wahl zum Ordinarius und Ernennung zum Doktor der Theologie 1830 in Basel eine ebenso programmatische „Akademische Rede" „Über den Begriff und die Bedeutung der Wissenschaftlichkeit im Gebiete der Theologie" gehalten. Thematisch mit Overbecks Vortrag verwandt, zeigt ein Vergleich, wie sehr sich das wissenschaftliche und gesellschaftliche Selbstverständnis der Theologie inzwischen gewandelt hat oder aber in verschiedenen theologischen Strömungen unterschied: Für Hagenbach sind Philosophie und Historie die „ehrwürdigen Grundpfeiler der Theologie" - „die Philosophie als die tiefe psychologische Ergründerin der religiösen Menschennatur, und die Historie als die Erforschung der Offenbarung; wenn nun historisch-philosophisch nachgewiesen werden könne, dass das Urbild der Göttlichen, wonach der Geist aller Philosophie in frommer Ahnung gerungen habe, in dem Leben eines Individuums zur Erscheinung gekommen sei, wenn es wahr sei, dass das Ideal der gottverwandten Menschennatur, das ewige Gotteswort, in einer bestimmten geschichtlichen Person Fleisch geworden sei, wenn ferner genügend dargetan werden könne, wie die erhabensten Religionsideen und die ewigen Sittengebote in der Sammlung der Heiligen Schriften niedergelegt seien, wenn endlich das Leben selbst, das vom Stifter ausgegangen sei, sich ganzen Zeitaltern der Geschichte mitgeteilt und eine bestimmte sichtbare Gemeinschaft unter den Menschen, eine Kirche gegründet habe, so sei damit ein weites Feld einer heiligen Wissenschaft eröffnet; die Religion sei also nicht eine Sache, die nur auf der Kanzel und in den Beichtstuhl gehöre, sondern sie solle ihre lebendig befruchtenden Ströme auf alle Lebensgebiete aussenden" (Ernst Staehelin, Johann Ludwig Frey, Johannes Grynaeus und das Frey-Grynaeische Institut in Basel. Zum zweihundertjährigen Jubiläum des Instituts verfasst, Basel 1947, S. 154f.). Bei Overbecks Amtsantritt lehrte Hagenbach noch immer, zu einer offenen oder auch nur versteckten Auseinandersetzung ist es aber nicht gekommen, wie Overbeck in seinem Brief vom 5. August 1870 an Adolf Hilgenfeld schreibt: „Bei Stähelin und Hagenbach geht ohnehin die Gemüthlichkeit über alle Theologie, und man müsste es darauf anlegen um mit ihnen gespannt zu sein." (OWN 8) In einer Erinnerung an Karl Rudolf Hagenbach. Personalie, Leichenrede und Grabreden übertitelten Broschüre (Basel 1874) findet sich auf S. 34-37 eine beim „Trauerfackelzuge" gehaltene, kurze Ansprache Overbecks auf Hagenbach. 25 In den erhaltenen Briefen Nietzsches ist von einer Beziehung zu Overbeck nicht vor Ende Dezember 1870 die Rede (KSB 3, 172), während Overbeck in einem Brief an Georg Ebers vom 1. Januar 1871 Nietzsche erstmals nachweislich erwähnt (OWN 8).

Historische Betrachtung

des Neuen

Testamentes

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Overbecks Eigenständigkeit (nicht zuletzt gegenüber Nietzsche) hervorzukehren, sie „gleichsam als eine Abschiedsvorlesung gegenüber der neueren Theologie" 26 interpretiert. Dass Overbeck sich schon früh einer der Aufklärung verpflichteten Theologie verbunden gefühlt hat, geht beispielsweise aus seiner postum unter dem Titel Selbstbekenntnisse27 publizierten „selbstbiographischen Quasiapologie" 28 hervor, derzufolge er „mit dem flachsten philanthropischen Pfarrerideal" (SbT, 139) in jugendlichem Überschwang den Theologenberuf gewählt habe, also befangen in einem Ideal des theologischen Rationalismus.29 Overbeck hätte sich, wie er meint, „besser im 18. Jahrhundert und seinem Erwachen der Humanität, in seinem Sentimentalismus und der damit zusammenhängenden gründlichen Enfremdung vom Christenthum befunden" (SbT, 144). 30 Die letzte seiner Jenaer Habilitationsthesen von 1864 legt das aufgeklärte Verhältnis offen, in das die Theologie sich zur (Natur-)Wissenschaft zu begeben habe, und zeigt, dass ihn supranaturalistische Neigungen kaum anfochten: „Theologiam disciplinas naturales impugnantem male feriatam esse." 31 Vielleicht spielt Overbeck, wenn er die Theologie schlecht beraten sein lässt, gegen die (Real-) Wissenschaften anzutreten, auf eine ähnliche Formulierung bei Kant an: „Sollte es aber bei dem erstem [sc. dem biblischen Theologen] darauf angesehen sein, mit der Vernunft in Religionsdingen, wo möglich, gar nichts zu schaffen zu haben, so kann man leicht voraussehen, auf wessen Seite der Verlust sein würde; denn eine Religion, die der Vernunft unbedenklich den Krieg ankündigt, wird es auf die Dauer gegen sie nicht aushalten." 3 2

Dass noch beim frühen Overbeck die Natur- und nicht die historischen Wissenschaften als Gegenpol der Theologie erscheinen, verweist auf das 18. Jahrhundert und auf Schopenhauer (vgl. unten 3.2.1) zurück. Bei Nietzsche und bei Overbeck ist es schliesslich viel weniger die naturwissenschaftliche als die historische Erkenntnis, die mit dem Christentum in Konflikt gerät.

26 Nigg, S. 12. „Von der Aufgabe der Theologie, zwischen Glauben und Wissen eine Harmonie herzustellen, redete Overbeck bald nur noch in polemischem Sinne. Seine Verzweiflung an dieser Aufgabe erfolgte kurz nach der Antrittsvorlesung." (ibd.) 27 Diese nach seiner Emeritierung entstandenen Texte sind ζ. T. in die 2. Auflage der Christlichkeit eingegangen, was Vischer von seiner Edition indes nicht abhielt. Ich folge der von Jacob Taubes besorgten Ausgabe (SbT). Zu den editionstechnischen Problemen siehe Mathias Stauffacher, Overbecks autobiographische Reflexionen zu seiner öffentlichen Stellung als Professor der Theologie, in: Rudolf Brändle/Ekkehard W. Stegemann (Hrsg.), Franz Overbecks unerledigte Anfragen an das Christentum, München 1988, S. 67-88. Stauffacher gibt den 7. Bd. der OWN: „Autobiographisches" mit heraus. 28 Brief Overbecks an Bernoulli vom 22. März 1902 (Ov II, S. 14 - OWN 8). 29 Siehe hierzu Carl Albrecht Bernoulli, Franz Overbeck, in: Neue Schweizer Rundschau 1931, Heft 1, S. 53-62, S. 55. 30 Vgl. schon Overbecks Brief an Heinrich von Treitschke vom 13. Februar 1878 (OWN 8). 31 Quaestionum Hippolytearum specimen summe venerabilis Theologorum Ordinis Ienensis consensu et auctoritate pro gradu licentiati et docendi potestate rite obtinendis die IV. m. Augusti a. MDCCCLXIV in publico defendet Franciscus Camillus Overbeck, Ienae [1864], vorletzte unpaginierte Seite. 32 Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft [1793/94], in: W, Bd. 7, S. 645-879, S. 657 (Α Β XVIIIf.). Die Stelle ist von Overbeck gerne zitiert worden, so ζ. B. in der Frühzeit seines „Kirchenlexicons" unter dem Lemma „Religion (Vernünftigkeit)", in: NLO, A 235. Ein weiterer Fundort bei Andreas Urs Sommer, Lichtenberg als „antitheologischer Typus". Franz Overbeck und der Verfasser des „Timorus", in: Lichtenberg-Jahrbuch 1992, S. 162-168, S. 168, Anm. 20.

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Die Overbecks theologisches H e r k o m m e n -

Antrittsvorlesungen

s o w e i t er sich als „strammer, ja selbst bornirter

Tübinger" ( C h T 2 , 3), also als Schüler Ferdinand Christian Baurs ( 1 7 9 2 - 1 8 6 0 ) und seiner Kirchenhistoriographie verstand - schlägt in der Antrittsvorlesung allerorten durch. D i e B e d e u tung, die er Baur auf seinem Streifzug durch die Geschichte seines Fachs zuweist, könnte kaum eine herausragendere sein - während z . B . Johann Lorenz von M o s h e i m oder Johann S a l o m o Semler nicht einmal namentlich erwähnt werden. Persönlich war Overbeck nie Baurs Schüler gew e s e n , ja, hatte ihn niemals gesehen; ihre Gemeinsamkeit besteht in Overbecks Adaption des Baurschen Programms, „das Christenthum rein historisch, das heisst w i e es wirklich g e w e s e n ist, darzustellen" ( C h T 2 , 4). D e n Versuchen Baurs, mit H i l f e der hegelschen Philosophie ein dialektisches Verständnis der Kirchengeschichte zu entwickeln, konnte Overbeck, w i e er selbst schreibt, w e n i g abgewinnen; sie blieben ihm ,,[v]öllig fremd" ( C h T 2 , 3 ) . 3 3 Gerade die rein historische Betrachtung untersagt es Overbeck, T e l e o l o g i e in der Geschichte am Werk zu s e h e n 3 4 gleichsam in den Kategorien der Romantik und der Historischen Schule weicht Overbeck bei der Beschreibung von Geschichte später auf morphologische M o d e l l e aus. 3 5 Der Titel des Vortrages lenkt die Aufmerksamkeit auf den Rechtfertigungsbedarf, der einer „rein historischen Betrachtung" des biblischen Kanons erwächst: W i e lässt sich ihr „Recht" begründen? „Das Neue hat nun einmal auf keinem Gebiet wie auf dem der Religion und dessen was damit zusammenhängt das Vorurtheil gegen sich, willkürlich entstanden zu sein, das Alte hat an sich selbst schon Werth." (EhB, 3) A u c h innerhalb der protestantischen T h e o l o g i e hatte der Traditionsbeweis weitgehend seine Geltung bewahrt, wenigstens insofern dogmatische A u s s a g e n der altkirchlichen Konzilien ( s o w i e

33 Peter, Im Schatten der Modernität, S. 58-105 hat die Beziehung zu Baur und ihren Niederschlag in Overbecks frühen Schriften eingehend untersucht. Karl Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Bd. 2, Hamburg 1975, S. 426 zählt Overbeck (neben Albrecht Ritsehl) zu den „grossen Abtrünnigen" der Tübinger Schule. Katrin Meyer, Aporetische Theologie, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie, 1996, Heft 1, S. 126-132, S. 128 spricht von einer „Melancholie des Verlustes", die Overbeck „vom Optimismus der liberalen ,Tübinger Schule'" trenne. 34 Man vergleiche mit der Aufgabe, die Overbeck der Geschichte in der Religion zuweist, diejenige, welche sie bei Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern [1799], Mit einem Nachwort von Carl Heinz Ratschow, Stuttgart 1985, S. 67 (A 100), erhält: „Geschichte im eigentlichsten Sinn ist der höchste Gegenstand der Religion, mit ihr hebt sie an und endigt mit ihr". 35 Vgl. OWN 4, 373, wonach nicht die ganze Geschichte, wohl aber die einzelnen Phänomene in ihr dem Verfall überantwortet sind. „Overbeck interpretiert den Prozess der geschichtlichen Veränderung eines bestimmten historischen Phänomens in Analogie zur Entwicklung organischer Lebewesen. Danach durchläuft jedes historische Subjekt die Stadien der Blüte und des Verfalls, um schliesslich seinem Alter zu erliegen. Im Blick auf die Gesamtgeschichte verhält es sich freilich anders. Weil sich in ihr die einzelnen J^ebensprozesse' mannigfach kreuzen und überlagern, vollzieht sich der Gesamtprozess der Geschichte in der unauflösbaren Verschlingung von Degeneration und Forschritt." Johann-Christoph Emmelius, Tendenzkritik und Formengeschichte. Der Beitrag Franz Overbecks zur Auslegung der Apostelgeschichte im 19. Jahrhundert, Göttingen 1975, S. 38. Zur Vorherrschaft „biologischer Metaphorik" in der Historischen Schule und bei den Romantikern siehe Herbert Schnädelbach, Philosophie in Deutschland 1831-1933, Frankfurt a. M. 1983, S. 65. In Entstehung und Recht drückt sich diese Morphologie aber noch kaum aus; von „Verfall und Aufstieg", die Gerd Rosenbrock, Sprung und Akkommodation: Franz Overbeck und der Kulturprotestantismus, Tübingen 1979 (Masch.), S. 86f. hineininterpretiert, wird kaum gesprochen.

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einiger Kirchenväter) und natürlich die Bibel selbst hierzu beigezogen werden können (consensus quinquesaecularis). Das „im Protestantismus überaus mächtige Vorurtheil für das Traditionelle" (EhB, 5) hat zwar den Gemeinglauben ungezählter Generationen für sich, dies aber ist, wie Overbeck mit Hinweis auf gleiche Argumentationsmuster in vorchristlicher Zeit zeigt 3 6 , kein zureichender Beweis für die Wahrheit des Geglaubten. 37 Die Tradition verbürgt eine solche Wahrheit ebensowenig wie das ehrfurchtgebietende Alter eines Vorurteils sein Übereinstimmen mit der Wirklichkeit (Nietzsche beherzigte übrigens diese Einsicht 38 ). Was alt ist, braucht noch nicht klassisch zu sein: „Sieht man schärfer zu, so findet man, dass von diesen fast zweitausend Jahren ungefähr neunzehnhundert nichts beweisen, das heisst unser Urtheil nicht im Geringsten zum Voraus gefangen nehmen können, und die übrigbleibenden ungefähr hundert Jahre sind eben die Periode um deren Geschichte gegenwärtig der Streit sich dreht." (EhB, 5)

Overbeck bedient sich also jener Denkfigur, die alle Neoteriker (einschliesslich der Reformatoren) gerne anwenden: Anstatt zuerst klarzustellen, wodurch sich das Neue rechtfertigen Hesse, wird das Anrecht des bislang Gültigen auf diese seine Gültigkeit bestritten. Auf das Alte wird jener Legitimationsdruck überwälzt, dem sich das Neue ausgesetzt sah, das sich dank dieser Operation halbwegs schon dem Rechtfertigungszwang entronnen wähnt. Für die extreme Variante dieses Verfahrens in der kritischen Historie Nietzsches (vgl. UB II 3 - KS A 1,269f.) scheint nachgerade zu gelten, dass sie ihre eigene Legitimation ausschliesslich durch die Illegitimerklärung alles Vergangenen erwirbt: Das Vergangene hätte demnach immer unrecht. Overbeck nimmt hingegen selbst die Tradition in Beschlag für das Neue 3 9 , dessen Fackel er voranträgt - für seine historische Betrachtungsweise eben. Die sei nämlich nichts fundamental Neues: „Gewisse Perioden des Mittelalters etwa ausgenommen, hat in der Kirche niemals auch ein wissenschaftliches Bewusstsein über das historische Wesen des Christenthums gefehlt, das Bewusstsein, dass unser Wissen vom Christenthum auf Überlieferung beruht, diese Überlieferung selbst Veränderungen in der Zeit unterworfen ist, also auf ihrer ältesten Bestandtheile hin geprüft werden muss, welche dann für sich und aus dem für sie maassgebenden Bildungskreise verstanden werden müssen." (EhB, 4)

36 Siehe die Anmerkung zu EhB, 5: Plutarch, De Pythiae oraculis 30. 37 Einige Jahre später formuliert Overbeck zur „Zukunft" des Protestantismus: „Er hat keine, denn er ist zu seinem Ende gelangt. Er lebt nur noch von der Vergangenheit, was ihm noch von Anzeichen fortbestehender Lebenskraft zufliesst hat im Grossen wenigstens keine Bedeutung mehr." „Protestantismus (Zukunft)", Ziffer 1, S. 1, in: NLO, A 234 (vollständige Transkription im Anhang). 38 Bei der Argumentation gegen die „Entartung" der „antiquarischen Historie": „Die Thatsache, dass etwas alt geworden ist, gebiert jetzt die Forderung, dass es unsterblich sein müsse; denn wenn Einer nachrechnet, was Alles ein solches Alterthum - eine alte Sitte der Väter, ein religiöser Glaube, ein ererbtes politisches Vorrecht - während der Dauer seiner Existenz hat, welche Summe der Pietät und Verehrung seitens des Einzelnen und der Generationen: so erscheint es vermessen oder selbst ruchlos, ein solches Alterthum durch ein Neuthum zu ersetzen und einer solchen Zahlen-Anhäufung von Pietäten und Verehrungen die Einer des Werdenden und Gegenwärtigen entgegenzustellen." (UB II 3 - KSA 1,268f.) 39 Noch 1901 wird die Tradition eine „Rüstung" genannt, „deren im Kampf für die Religion nicht zu entrathen ist" („Religion und Wahrheit", Ziffer 3, S. 4f., in: NLO, A 235 - vollständige Transkription im Anhang).

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Die

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Die „ältesten Bestandteile" hatten im Christentum normativen Charakter für alles darauf Folgende erlangt, da im .historischen Jesus' das Christliche (was immer es sei) rein ausgeprägt ist für jede Erscheinungsform des Christentums, bei der die historische Einmaligkeit von Christi Erdenleben geglaubt und auf einer linearen Zeitachse festgemacht wird. Für diese Formen des Christentums (aber z.B. nicht für die Mystik Meister Eckharts) wird die geschichtliche Orientierung unaufgebbar, ebenso wie die arche in ihrem Doppelsinn von Anfang und Herrschaft voll zum Zuge kommt. Alles muss sich am Ursprung messen lassen; und eben dem dient Overbecks „rein historische" Betrachtungsweise zunächst: sie bringt die „ältesten Bestandteile" aus dem Dunkel der Vergangenheit ans Licht der Gegenwart. Der Umstand, dass das „wissenschaftliche Bewusstsein über das historische Wesen des Christenthums" selbst „bis in die Gegenwart nur in der grössten Verdunkelung bestanden hat" (EhB, 5), habe einen methodischen Neuansatz zur unbestreitbaren Notwendigkeit gemacht. Auffällig ist bei Overbeck übrigens der exzessive Gebrauch der Dunkelheitsmetaphorik, gleichsam im Anschluss an die reformatorische Maxime post tenebras lux (nach Hiob 17, 12).40 In diese Finsternis sind sowohl das ursprüngliche Christentum getaucht, als auch die Kunde, die man im Verlauf der Kirchengeschichte von ihm zu haben glaubte. Dieses dunkle Bewusstsein muss erhellt werden, heisst die aufklärerische Losung, die sich mit der historischen Betrachtung liiert. Und diese Erhellung soll, soweit wir dem vielleicht an die Situation akkomodierten Wortlaut von Overbecks Äusserungen trauen wollen, dem Ursprünglichen nützen, von dem sich das, was sich heute christlich nennt, herleitet, und das für dieses unbedingte Geltung verlangt. Daher ist Pfeiffer nur unter Vorbehalt recht zu geben, wenn er zu Entstehung und Recht anmerkt: „Das Christentum kommt bei Overbeck nirgends als Anspruch auf uns zu, sondern liegt als Tatsache vergangener Geschichte hinter uns." 41 Gerade weil das ursprüngliche Christentum seine (protestantischen) Erben in die Pflicht nimmt, es sich ihnen als unhintergehbare Norm aufdrängt, ist historische Forschung unabdingbar, worin denn dieses Ursprüngliche bestehe. Selbstverständlich kann das Christentum nicht als religiös-ethischer „Anspruch auf uns" zukommen, solange nicht gesichert ist, worin es denn eigentlich bestehe. Wenn man des christlichen Wesenskerns irgendwo habhaft werden sollte, dann, Overbeck zufolge, im Anfang, dort, wo man Jesu Wirken noch am nächsten ist, in den neutestamentlichen Schriften. Was sich den Anschein einer humanistisch-reformatorischen Forderung „Ad fontes!" gibt und Anleihen bei einer pietistischen Kirchengeschichtsschreibung in der Manier eines Gottfried Arnold macht, derzufolge das ,Namenschristentum' nach Jesus (oder wenigstens nach der sogenannten „Konstantinischen Wende") Niedergang und Verrat bedeute (indem Overbeck von der „Verdunkelung" bei allen Späteren spricht) - dies alles gehorcht bei Overbeck möglicherweise nur noch vordergründig religiösen Interessen. Die historische Untersuchung mag eine unrechtmässige Berufung auf die Anfänge aufdecken, was im kontroverstheologischen Zusammenhang ja immer erklärtes Ziel der protestantischen Kirchengeschichtsschreibung gewesen ist. Des weiteren aber könnten, wenn die Finsternis über den Ursprüngen gelichtet ist, diese Ursprünge selbst, nunmehr aufs Äusserste historisiert, als geschichtliches Zufallsprodukt ihre Wirkmächtigkeit verlieren. Ihre mehr oder weniger ungebrochene Valenz könnte sich als ein grosser Irrtum entpuppen, der zu eliminieren ist. Over-

40 Rudolf Brändle weist in seiner Einleitung zu GK, in: OWN 2, 389, Anm. 50 auf eine etwa 25fache Verwendung von Ausdrücken „aus dem Wortfeld ,dunkel'" allein in dieser Schrift hin. 41 Arnold Pfeiffer, Franz Overbecks Kritik des Christentums, Göttingen 1975, S. 171.

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becks späteres Projekt einer „profanen Kirchengeschichte", gleichsam eine „kritische Historie" im Sinn von Nietzsches Zweiter Unzeitgemässer42, wird theoretisch den Stab auch über dem Urchristentum brechen. Wenn Goethe einmal schreibt: „Es ist die ganze Kirchengeschichte/Mischmasch von Irrthum und von Gewalt" 4 3 , läge dann auf dem „ganz" alle Betonung. Wieweit die Anfänge bei Overbeck von der kritischen Destruktion wirklich mitbetroffen sein werden, oder aber ihrer Massstäblichkeit in Overbecks Kampf gegen die moderne Theologie doch nicht ganz verlustig gehen, ist vorerst offen. Selbst wenn es einer historischen Kritik gelänge, die „ältesten Urkunden" (EhB, 3) des Christentums zu erfassen und in ihren zeitgenössischen Kontext zu stellen, wären damit nicht die Anfänge (wissenschaftlich objektiviert) zurückgewonnen, besitzen diese Berichte doch dokumentarischen Wert, sind aber nicht getreues Abbild des Ursprünglichen, vielmehr als literarische Erzeugnisse bereits von diesem entfremdet: „Die tieferen Untersuchungen der Neuzeit haben alle gezeigt, dass in keinem einzigen historischen Buch des Neuen Testaments sich die historischen Thatsachen der evangelischen und apostolischen Geschichte in nackter Unmittelbarkeit abdrücken, sondern dass in allen die Thatsachen vom Verfasser jedes einzelnen Buchs schon unter bestimmte Gesichtspunkte gestellt sind." (EhB, 25)

Overbeck skizziert im Hauptteil seiner Vorlesung die exegetischen Praktiken, die seit den Kirchenvätern des 2. Jahrhunderts im Gebrauch waren. Er will dabei wissen, wie weit sie sich einer historisch-wissenschaftlichen Betrachtungsweise annähern. Eben hatte er erwähnt, dass der Theologie die historische Sicht auf die Ursprünge „nicht durch die zufällige Zweifelssucht Einzelner zugeschoben ist, dass ihr diese Aufgabe vielmehr durch die Jahrhunderte hinab gleichsam zugerollt ist und die Theologie gar nicht anders konnte als sie aufnehmen" (EhB, 4). Anders ausgedrückt: Die Logik der theologischen Forschung gebiete eine Ausrichtung am Geschichtlichen. In Analogie dazu beruhen Overbecks Ausführungen selbst auf einer historischen Analyse, einem Durchgang durch die Geschichte der Bibelinterpretation. 44 Bei Irenaus, Tertullian und Clemens Alexandrinus konstatiert er „die Thatsache eines fast völligen Mangels jedes historischen Bewusstseins über die Urzeit der Kirche" (EhB, 6). Diese Väter haben damit nicht etwa die historische Faktizität von Jesu Leben und Wirken verkannt, Hessen aber jedes historische Verstehen

42 Der Mensch, der kritische Historie praktiziert, soll nach Nietzsche „die Kraft haben", „eine Vergangenheit zu zerbrechen und aufzulösen, um leben zu können: dies erreicht er dadurch, dass er sie vor Gericht zieht, peinlich inquirirt, und endlich verurtheilt; jede Vergangenheit aber ist werth verurtheilt zu werden" (UB II 3 - KS A 1, 269). Henry, Franz Overbeck: Theologian?, S. 100 unterstreicht das entschiedene Trachten nach Freiheit bei Overbeck, für den das Mittel, sie zu erreichen, die Wissenschaft sei. 43 Johann Wolfgang von Goethe, Zahme Xenien IX. Aus dem Nachlass, in: Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Grossherzogin Sophie von Sachsen, 1. Abt., Bd. 5/1, Weimar 1893, S. 130-155, S. 131, V. 666f. Overbeck spitzt dies später noch zu: „Die Beste Schule um an dem Dasein eines Gottes als Weltlenkers zu zweifeln ist die Kirchengeschichte, vorausgesetzt, dass diese die Geschichte der von Gott in die Welt gesetzten Religion des Christenthums ist, und nun demnach auch angenommen wird, dass er ihre Geschichte gelenkt hat. Denn eben das hat er augenscheinlich nicht gethan, da in der Kirchengeschichte nichts wunderbar ist und vielmehr in ihr das Christenthum der Welt so unbedingt preisgegeben erscheint, wie nur irgend ein anderes Ding, das in der Welt lebt." (OWN 4,428) 44 „Form und Inhalt der Vorlesung entsprechen sich also auf das genaueste: über das Recht rein historischer Betrachtung wird rein historisch geredet." Hermann-Peter Eberlein, Theologie als Scheitern? Franz Overbecks Geschichte mit der Geschichte, Essen 1989, S. 54.

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im wissenschaftlichen Sinn vermissen - als ein reales Interesse daran, was und wie es unter den konkreten Umständen geschehen sei. Zu ihrer Zeit habe sich der Kanon der biblischen Schriften herausgebildet, ohne dass sie diese Entstehung reflektierten: „es ist als ob zugleich der Schlüssel zum Verständniss des vorhandenen Kanon verloren wäre." (EhB, 6f.) Weil sie sich um die genetischen Probleme nicht kümmerten, wendeten sie die herkömmliche allegorische Auslegung an und seien mit ihrer „rein moralischefn] Weltsicht" (EhB, 8) vom Weltverständnis des Paulus denkbar weit entfernt. „Man lebt in einer ganz anderen Gedankenwelt und legt die Begriffe eines durchaus anderen Bildungskreises in die des ersten Christenthums hinein." (EhB, 8f.)

Im elaborierten exegetischen System des Origenes erhalte der historische, der literale Schriftsinn zwar seinen Platz, aber weit unterhalb der andern - „so können wir seine Theorie der Exegese doch nur eine Systematisirung des Verkehrten nennen" (EhB, 10). In der Folge werde die historische Schriftdeutung zur Domäne der Antiochenischen Schule, die indes bestenfalls zu einer „nach abstracten Regeln vorgenommenefn] systematische[n] Missdeutung ihres Objects" (EhB, 12) gelangt sei. Mit der dogmatischen Verfestigung der kirchlichen Lehre schwände, Hieronymus und Johannes Chrysostomus zum Trotz, allmählich der letzte Rest eines historischen Schriftverständnisses. Als Beispiel führt Overbeck die Finten und Ränke der Väter an, den Streit der Apostel Petrus und Paulus (Galater 2, 11 ff.) als echten Streit ungeschehen zu machen, worauf er in einer anderen Abhandlung zurückzukommen beabsichtige.45 „Die schon völlig trüben historischen Anschauungen von der Vorzeit der Kirche, welche die ersten vier bis fünf Jahrhunderte ausgearbeitet, werden das blind hingenommene Erbe des Mittelalters. [...] Die antike Welt wird ihm zunächst vollständig aus den Augen gerückt und Beziehung hat es dazu nur noch in der schlechthin mysteriös gewordenen Form der Kirche. Dieser steht das Mittelalter gegenüber wie das Kind einem orientalischen Märchen. Es hört die wunderbare Kunde und staunt die Bilder an die sie ihm vorzaubert, aber die Erzählung selbst zu prüfen, k a n n ihm gar nicht in den Sinn kommen." (EhB, 14)

Das daran Anschliessende über die „Heroen der Reformation", die „den Wahn von Jahrhunderten fahren Hessen" (EhB, 15), kommt auf den ersten Anhieb den Erwartungen der Zuhörer entgegen, die nach all dem Wirrwarr von eineinhalb Jahrtausenden falscher oder zumindest irrtümlicher Exegese schon lange nach befreiender Einsicht gelechzt haben mochten. Aber Overbeck hält seine Vorbehalte nicht lange zurück: Die Errungenschaften der Reformation blieben zwar unbestritten, ihre exegetischen Leistungen jedoch seien, mit Ausnahme derjenigen Calvins, im besten Fall als Dichtungen zu würdigen. Luthers grösserer' Galaterkommentar von 1535 etwa „ist eines der gewaltigsten Bücher die je geschrieben worden, aber welchem Leser könnte es einfallen ihn als historischen Commentar zu schätzen! Das Buch ist s e l b s t viel zu gross um als Commentar etwas zu taugen." (EhB, 16)

So gesehen, gehe Luthers Werk „das Element, um welches die Neueren sich bemühen: historische Gerechtigkeit" (EhB, 17) ab. In der protestantischen Orthodoxie, die die Lehre von der Verbalinspiration ausbildete, fehle es wiederum völlig, während als Reaktion darauf der theologische Rationalismus „seinem historischen Object nicht weniger Gewalt anthut" (EhB, 18f.). 45 In APP und BAH.

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Denn der wolle, von der Autorität der Bibel nicht abweichend, die allgemeine Vernünftigkeit des dort Aufgezeichneten erweisen und schere sich, dieser Vernünftigkeit alles aufopfernd, nicht um das, was dazu im Widerspruch steht. Nur unter dieser gewichtigen Bedingung interessiere den Rationalisten das Historische - jeweils nie um der Sache selbst willen, sondern in moralischer Absicht. „Ein innerlicheres Empfinden in Dingen des frommen Glaubens, eine enorm erweiterte Welt- und Geschichtskenntniss, der gewaltige allgemeine Fortschritt der historischen Wissenschaften haben freilich auch die historische Theologie weiter gebracht und sie überhaupt endlich erst auf den Boden der Frage nach der historischen Entstehung des Christenthums und seiner ältesten Urkunden gestellt, ihr überhaupt die Beantwortung dieser Frage erst möglich gemacht durch eine tiefere Betrachtung der genannten Objecte selbst, und nicht durch äussere Auslegung einer rationellen oder irrationellen Dogmatik an sie." (EhB, 21)

Die Zuhörer dürfen, auf etwas sichererem Boden, erst einmal aufatmen, zumal Overbeck über Schleiermacher und De Wette wenig Worte verliert, um gradlinig auf den (bisherigen) Höhepunkt dieser Entwicklung, auf Baur zuzusteuern. Beachtenswert an der eben geschilderten Wende der Interpretationspraxis ist, dass Overbeck nicht allein das gewachsene (profan)geschichtliche Wissen und seine methodische Ausarbeitung dafür verantwortlich sein lässt. Ebenso wird ,,[e]in innerlicheres Empfinden in Dingen des frommen Glaubens" zu seiner Erklärung herangezogen, ein ausdrücklich religiöses Moment also. Darin mag man eine Anpassung an die Situation einer theologischen Antrittsvorlesung und an die Bedürfnisse der Zuhörer erblicken. Entsprechend des von Overbeck geforderten genetischen Verständnisses des Neuen Testaments, kann Entstehung und Recht aus der notwendigen Akkommodation an die Publikumerwartungen, aus den Umständen seiner eigenen Entstehung heraus gedeutet werden. Mit der Selbstapplikation der hermeneutischen Theorie Overbecks auf den Text, in dem sie exponiert wird, kann zudem ihre Tauglichkeit überprüft werden: Historische Erkenntnis beruht auf dem Wissen um die realen Bedingungen, unter denen ein Ereignis möglich geworden ist. Darüber hinaus ist Overbeck ja bestrebt, die theologieimmanente Legitimität seiner „rein historische[n] Betrachtung" zu beweisen, weswegen die gegebene Chance einer Rückbindung an das Religiöse nicht ungenutzt verstreichen darf. Er hält mit Nachdruck fest, die Vertiefung des Glaubens habe der historischen Methode zum Sieg verholfen. Baur habe diesen Sieg erstritten: „die Hauptsache ist, dass sich die Theologie mit ihm überhaupt auf eine historische Behandlung der ältesten Urkunden des Christenthums eingelassen hat" (EhB, 24). Nicht mehr „abstracte Vernünftigkeit unserer Anschauungen von der ältesten Geschichte des Christenthums" (ibd.) wolle die Forschung seit Baur erreichen. Vielmehr liegt ihr an einem, mit heutigen Begriffen, immanenten Verstehen des Christentums als spätantikem Phänomen, wobei sie z . B . bei der einst so heftig diskutierten Wunderproblematik nicht mehr lange verweilt. Die Wunder in der Bibel hätten, als erster Stein des Anstosses für den common sense, grössere Achtsamkeit für die „Eigentümlichkeiten" (EhB, 25) dieser Bücher erst wachgerufen, so dass man nunmehr in diesen Büchern nicht mehr ein getreues, quasi photographisches Abbild der vergangenen Realitäten vor sich zu haben glaube. Sie sind bereits mit bestimmter .Tendenz' abgefasst worden, wie dies bei den Tübingem hiess. „Der Streit dreht sich daher für den näher Zusehenden g e g e n w ä r t i g nicht um fundamental verschiedene, über das Wunder auseinandergehende Anschauungen von den biblischen Büchern, sondern um den Grad des die Thatsachen modificirenden Einflusses, den man dem Medium der Erzähler zugestehen will." (EhB, 25f.)

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Offenkundig haben die historischen Exegeten eine ganz andere Richtung eingeschlagen als ihre Vorgänger, „richtet sich ja der Zweifel der heutigen vorzugsweise kritisch genannten Bibelforschung gar nicht zunächst auf die Frage der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit der biblischen Bücher, sondern auf die positive Frage w o f ü r sie glaubwürdig sind" (EhB, 27). Die Exegese hat sich, lässt sich der Gedanke weiterspinnen, von den universalen Entwürfen und grossen Sinnkonstruktionen verabschiedet, wenn sie sich mit historischen Fragen im kleinen auseinandersetzt. Der von Overbeck fast naiv optimistisch geschilderte Fortschritt in den Wissenschaften ist ein Prozess der Ausdifferenzierung: Die Auslegung der Bibel, historisch-kritisch betrieben, löst nicht mehr, wie bislang, die Welträtsel, weil die Antworten auf diese Rätsel in der Bibel verborgen lägen. Die Bibel avanciert vielmehr selbst zum Forschungsgegenstand, und zwar unabhängig von allen metaphysischen oder religiösen Ableitungen, die sich daran anschliessen mögen. Die historisch-kritische Bibelexegese ist keine „Götterbotin", die die Menschen mit irgendwelchen Palliativen gegen den modernen Ungeist und gegen das Leiden an der Welt versorgt wie Nietzsches Philologie es tut. Die Schlüsse, die der einzelne oder eine religiöse Gemeinschaft aus den erhellten Ursprüngen lebenspraktisch zieht, fallen nicht in den Kompetenzbereich der exegetischen Wissenschaft. Ihr Nutzen für das Leben besteht darin, dass sie die Quellen wieder zugänglich macht. Im Abschied vom Prinzipiellen und in der Hinwendung zum ,Positiven' 46 steckt wohl ein dezidiert antihegelscher Impetus und damit ein Tadel an der Dialektik, die bereits den antithetischen Gegensatz Petrinismus-Paulinismus in der altkatholischen Kirche laut Baur synthetisch aufgelöst hat. Auf dem Boden der neuen historischen Perspektive verlören die alten Gegensätze von Rationalismus und Orthodoxie ihre Bedeutung; wir hätten „uns mit unseren wissenschaftlichen Anschauungen in einem neuen Haus einzurichten" (EhB, 31). Diesem „Umschwung der Zeiten" (ibd.) gehorchen, bedeute noch lange nicht - was wiederum Overbecks Irenik deutlich macht - , „der vorzugsweise kritisch genannten Behandlung der Anfänge des Christenthums als der allein consequenten das alleinige Bürgerrecht im Protestantismus zuzusprechen, ebenso wenig gewiss sie aus den Grenzen des Protestantismus ganz hinauszuweisen." (ibd.)

Nachdem diese historische Kritik jetzt nicht bloss Asyl innerhalb des Protestantismus sich ausbedingt, sondern, mit vollem „Bürgerrecht" ausgestattet, als unentbehrlich von ihm anerkannt werden will, ist sie mit ihrem Fürsprecher Overbeck ihrerseits zu grosszügigen Zugeständnissen bereit, die die Theologie im allgemeinen betreffen: „Es liegt freilich im Wesen der Theologie, welche eben keine reine Wissenschaft ist, dass sie an solcher Gemeinschaft der Probleme nicht das Genügen hat, bei welchem jede andere Wissenschaft sich vollkommen beruhigt. Weder rein religiösen noch rein wissenschaftlichen Interessen dienend, arbeitet sie an der moralischen Aufgabe, die innere Harmonie zwischen unserem Glauben und unserem wissenschaftlichen Bewusstsein herzustellen." (EhB, 32)

46 Overbeck repliziert, wenn er die Positivität einer historisch-kritischen Fragestellung bekräftigt, indirekt den landläufigen Negativismusvorwurf an die historische Theologie. Er steht damit auch in der Tradition Schleiermachers, der die Theologie als „positive Wissenschaft" und eine „positive Wissenschaft" als „Inbegriff wissenschaftlicher Elemente" definiert, „welche ihre Zusammengehörigkeit" haben, „sofern sie zur Lösung einer praktischen Aufgabe erforderlich sind" (Friedrich Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen [1810]. Kritische Ausgabe, hrsg. von Heinrich Scholz, Leipzig 1910, § 1 , S . 1).

Historische

Betrachtung

des Neuen

Testamentes

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Aufgrund der im Protestantismus herrschenden Freiheit habe sich die Forschung entzweit, und mit diesem Konflikt der Interessen tue sich die Theologie schwer, weil sie sich mit der blossen „Gemeinschaft der Probleme" eben nicht abzufinden bereit sei. Dieser Theologie wird somit wieder jene Aufgabe zugewiesen, die sie traditionell zu lösen hatte. Sie soll zwischen Glauben und Wissen vermitteln, wobei man hinzufügen mag: Weltorientierung, Sinn stiften im Namen der Religion und ihrer Ursprünge. Als ein Mischwesen ist sie Nietzsches Philologie nicht unähnlich. Mit der Umschreibung der Vermittlungstätigkeit ist allerdings schon der Konflikt angedeutet, der in der Christlichkeit eskalieren sollte, nämlich der in der Nachfolge Schopenhauers konzipierte Antagonismus von Glauben und Wissen, mit dem charakteristischen Unterschied nur, dass dann keine Harmonie, keine Synthese mehr herstellbar sein wird, weil der Widerspruch sich von einem bloss konträren zu einem kontradiktorischen ausgeweitet haben wird. Bei der dort zu beobachtenden Leugnung einer Vermittelbarkeit beider Pole lässt sich Overbecks denkerische Entwicklung greifen. Er sieht in Entstehung und Recht die Harmonie durch das Parteiengezänk, „namentlich über das Verhältniss der Religion zur Geschichte" (EhB, 32) bedroht, kann aber zur Lösung nur vorschlagen, man möge „mit um so grösserer Sorgfalt die Gemeinschaft der Probleme" „pflegen" (ibd.), statt falsche Allianzen zu schmieden. Ein „Glaubensbekenntniss" abzulegen, wie es Nietzsche am Ende seiner Homervorlesung tat, liegt ihm denkbar fern. Eberlein meint, es bedürfe „keiner weiteren Demonstration, um die These zu belegen, dass Overbeck bereits an dieser Stelle [EhB, 32] mit der Theologie gescheitert ist" 4 7 , womit er zum einen Overbecks Worte aufgreift, die ein Scheitern dieser Harmonisierungsaufgabe als möglich erscheinen lassen, zum andern aber sein eigenes Interpretationsraster vom heute fruchtbar werdenden Scheitern Overbecks bei diesem bestätigt findet. Dass Overbeck die Gefahr des Scheiterns einräumt, kann meines Erachtens jedoch noch nicht als Beweis für ein bereits erfolgtes Scheitern ins Feld geführt werden. An sich ist ja die Harmonisierung von Glauben und Wissen als Projekt erst in dem Augenblick gescheitert, wo beide Bereiche einander kontradiktorisch entgegengesetzt werden. Denn nicht die „rein historische Betrachtung" soll diese Vermittlungsarbeit leisten - sie ist in der Sache allein dem Wissen, niemals dem Glauben verpflichtet - , vielmehr eine Theologie, in die jene Historie eingegliedert ist, eingegliedert als Facette des Wissens. Wie (und ob) sich Overbeck eine solche Theologie konkret vorstellt, bleibt freilich offen - er äussert sich als Kirchenhistoriker, nicht als harmonisierender Theologe. Zum Schluss lenkt Overbeck die Aufmerksamkeit wieder auf die angezweifelte Legitimität der rein historischen Forschung innerhalb des Protestantismus. Für Overbeck verkörpert sie die Konsequenz des Protestantismus und seines Freiheitsdranges; sie besorgt ein Geschäft, das „aus dem protestantischen Princip der freien Schriftforschung einmal von selbst fliessen musste" (EhB, 33). Freiheit hat also Tradition - und Overbeck die Verächter des Neuen-Allzuneuen auf seiner Seite. Wenn der Protestantismus nicht im Dogmatismus katholischer Prägung „verdorren" solle (Overbeck hat das eben stattfindende 1. Vatikanische Konzil vor Augen) 4 8 , dann müsse er 47 Eberlein, S. 55. 48 Seine Äusserungen in Entstehung

und Recht über den Katholizismus sanktioniert Overbeck dreissig Jahre

später noch einmal: siehe „Katholicismus (Nachtridentinischer) Allgemeines", Ziffer 1, S. 1 f., in: NLO, A 228; ferner „Katholicimus. Römischer (Allgemeines)", ibd. In „Protestantismus und Katholicismus. Vergleich", S. 1, in: NLO, A 234, sagt Overbeck, der Protestantismus sei „im Verhältniss zum Katholicismus unläugbar das subalterne Wesen" (vollständige Transkription dieser drei Lemmata im Anhang). Er ist überzeugt, „dass so weit wir das Christenthum historisch kennen, der Katholicismus Recht hat, d.h. dass das Christenthum von vornherein schon katholisch ist. U m auf einen anderen Zustand des Christenthums zu stossen müssen wir schon in die unerkennbare Urzeit zurückgehen." ( O W N 5 , 7 3 ) .

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Die

Antrittsvorlesungen

der Historie freie Hand lassen, sei doch die Verhinderung solchen Verdorrens „die beste protestantische Bestimmung der heutigen die Geltung des Vergangenen zum Theil aufhebenden Bibelkritik" (EhB, 34). Die Kritik hat also - und hier wird, vor der Freundschaft die Wahlverwandtschaft zu Nietzsche und seiner „kritischen Historie" augenfällig - von der Übermacht des Vergangenen zu befreien, indem sie Distanz schafft, indem sie die Gültigkeit dieses Vergangenen mindestens partiell bestreitet, aber andererseits doch einige Stücke normativer Vergangenheit wieder herrichtet. Die Historie hat den Protestantismus durch die Kritik falscher Vergangenheit lebensfähig zu erhalten. Allerdings ist dies nicht das der historischen Wissenschaft inhärente Ziel - sie selbst muss allen solchen Zwecken abhold, „rein" bleiben! - , sondern eines der Theologie, die die Wissenschaft im Harmoniestreben instrumentalisiert. „Nur eines wollen wir noch beantworten: ob auch eine Kritik, welche die historischen Voraussetzungen des ältesten Protestantismus verschiebt, nothwendig den Verdacht gegen sich habe, dem Protestantismus feindselig zu sein" (EhB, 33).

Overbeck verneint und macht diese Kritik im Gegenteil, obschon nicht explizit, zur Garantin des protestantischen Freiheitsprinzips, aus dem sie doch gezeugt worden sei; er postuliert somit für die Gegenwart ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis von freiheitlichem Protestantismus und historischer Kritik. Dieses ,Wesen' des Protestantismus geniesst also vor dem Erhalt der kontingenten exegetischen Grundlagen reformatorischer Theologie den Vorrang. Zweifellos verfährt Overbeck bei seinem Umkehrschluss und im polemischen Rekurs auf den erstarrten Katholizismus angesichts der Erwartungen seines Publikums, namentlich der kirchlichen Reformfreunde sehr geschickt. Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack: Die Toleranz des Protestantismus muss nämlich spätestens da erschöpft sein, wo seine eigenen religiös-dogmatischen Grundlagen der historischen Zersetzung preisgegeben sind - und wieweit dies bei der Beseitigung der exegetischen Fundamente reformatorischer Theologie bereits der Fall ist, wäre zu diskutieren. Das Gleichgewicht von Wissen und Glauben ist auf jeden Fall gefährdet. Übrigens verdienten Overbecks Protestantismus-Bild und die dem Protestantismus unterschobene freiheitliche Gesinnung, ja beinah Unterstellung eines protestantischen Wesens unabhängig vom historischen Gewordensein 49 , eine eingehendere Prüfung, scheinen hier doch noch idealistische Topoi anzuklingen, die nicht zuletzt auf den perhorreszierten Hegel zurückverweisen. Oder läuft das auch unter der Rubrik „Akkomodation"? „Welches daher auch sonst ihr [sc. der Bibelkritik] Recht und ihre Nothwendigkeit sein mag, wer in ihrem Sinne arbeitet, wird am wenigsten in seiner Arbeit irre zu machen sein, so lange er zum

49 Gegen Harnacks Wesen des Christentums hat Overbeck später scharf polemisiert: „Was sie als ,Wesen des Christenthums' ausbieten ist kein lebensfähiges Wesen mehr, es hat für den unbefangenen Blick nur noch die Züge eines absterbenden Wesens. Es scheint in der Gegenwart Harnack's Beruf zu sein diess unverkennbar zu machen. Ein so schwächliches Ding wie das Christenthum seiner Vorträge mit dem Majestätstitel Wesen ausstatten heisst nichts anderes als diesem Dinge den Todtenschein ausstellen." (OWN 4,577). Nach Ekkehard W. Stegemann, Ende der Zeit - Zeit des Endes. Overbeck und die Apokalyptik, in: Rudolf Brändle / E. W. S. (Hrsg.), Franz Overbecks unerledigte Anfragen, S. 167-181, S. 174 ist für Overbeck nicht, im Gegensatz zu Harnack, der „sittliche Universalismus" das Zentrum des Urchristentums, sondern die „jüdische Eschatologie" (vgl. dazu die Bemerkung zu Overbecks Studien unten im Kapitel 4).

Historische Betrachtung des Neuen Testamentes

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Protestantismus noch ein moralisches Verhältniss hat, so lange in ihm noch lebendig ist die Erinnerung an die unschätzbaren Güter reineren Glaubens und tieferer Erkenntniss, die wir ihm und seinen ersten streitbaren Bekennern verdanken." (EhB, 34)

Die syntaktisch nicht recht motivierten Komparative („reineren", „tieferer") im Schlusssatz von Entstehung und Recht scheinen darauf hinzudeuten, dass Overbecks „moralisches Verhältniss" zum reformatorischen Protestantismus als möglicher Referenz der Komparative schwindet und er es in der Gegenwart geschwunden sieht: Mit Nostalgie blickt er auf diesen (mutmasslich) „reineren Glauben" zurück. Die Erinnerung an die „streitbaren Bekenner" der Reformationszeit, die Overbeck hochgehalten wissen möchte, entzieht sich dem Zugriff seiner kritischen Historie, die sich tunlichst nur mit der Rezeption der Anfänge des Christentums auseinandersetzt. Wie wird man diesen Aufruf zur .antiquarischen Historie', einer sinnsichernden also, noch ernst nehmen, wenn Overbeck doch selbst dargetan hat, wie schlecht das reformatorische Bibelverständnis mit der historisch-kritischen Bibelexegese zusammenpasst? Um hier keinesfalls einen Widerspruch entstehen zu lassen, hatte Overbeck ja das Recht der historischen Kritik innerhalb der Theologie stark beschnitten - um für die Frömmigkeit, das unmittelbar Religiöse, die Glaubensaufwallung Raum zu bekommen? Insofern wäre sein kritisches Anliegen mit demjenigen Kants zu vergleichen. Bei alledem darf freilich der akkommodatorische Aspekt nicht in Vergessenheit geraten. Man kann zwischen Entstehung und Recht und der Christlichkeit unserer heutigen Theologie einen Bruch diagnostizieren, wie dies Peter tut 5 0 , der jedoch durch die Feststellung einzuschränken ist, dass zentrale Gedanken Overbecks in der Antrittsvorlesung bereits auftauchen. Vom Gegensatz Glauben und Wissen ist, wiewohl nebenbei und noch nicht in kontradiktorischem Sinn schon die Rede. Dass „die Lection der .Geburt der T r a g ö d i e ' " (ChT 2 , 15), von der Overbeck im Rückblick spricht, und auf die Peter nachdrücklich abhebt, die Zuspitzung von Overbecks Denken förderte, ist nicht zu leugnen. Wesentlich bei der Beurteilung, wie weit Overbeck sich vom Christlichen hier schon entfremdet hat, ist es, festzuhalten, dass er die Distanz der Gegenwart zum christlichen Altertum unterstreicht und einen unmittelbaren Zugang zu ihr bestreitet, wie er auf unreflektierte Art den Reformatoren noch möglich gewesen sein mag: „Zwischen uns Theologen der Gegenwart allen, die wir uns mit den Anfängen des Christenthums und seinen ältesten Urkunden zu thun machen, und den Reformatoren herrscht der auf alle Fälle inhaltsschwere Unterschied, dass uns allen in einer Weise, wie diess bei den Reformatoren ganz gewiss nicht der Fall war, jene Anfänge wissenschaftliches, historisches Problem geworden sind, oder was ganz dasselbe heissen will, dass uns die älteste Geschichte des Christenthums in einem gewissen Sinn, der nicht der der Reformatoren ist, Vergangenheit geworden ist." (EhB, 30f.)

Die Historie hält sich mit ihrer Objektivierung des Gewesenen dieses vom Leib, lässt sich nicht mehr unmittelbar von ihm betreffen und akzeptiert es nicht mehr fraglos als Definiens der Gegenwart. Sie tut dies allerdings nicht willentlich, indem sie sich die Emanzipation vom und die Verurteilung des Gewesenen als Programm zulegte, sondern weil Vergegenständlichung und Verlust der Unmittelbarkeit in ihrer Natur liegt. Man missverstünde Overbeck, läse man Entstehung und Recht als feuriges Manifest emanzipatorischer Wissenschaft. Im Gegenteil: Er selbst ist über den garstigen Graben der Geschichte, das Gefühl der Heimatlosigkeit im Vergangenen eher beunruhigt, als dass er eine beglückende Botschaft herauszuhören vermöchte.

50 Vgl. Peter, Im Schatten der Modernität, S. 169.

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Die

Antrittsvorlesungen

Adolf Harnack hat in einer ressentimentgeladenen Rezension des posthum erschienenen Johannesevangeliums51 Overbecks historische Arbeit ingesamt zusammengefasst: „Starr, lieblos und ungerecht war sein Wahrheitssinn, ohne Zartheit gegenüber dem lebendigen Objekt und gegenüber den Personen, ich möchte sagen unorganisch, dabei aber verbunden mit einem Selbstgefühl als Kritiker, das stets beleidigte, weil es, bald versteckt, bald offen, die Person und den Charakter des Gegners antastete."52

Harnack denkt gar nicht daran, dass das Vergangene, einmal in die Hand des Historikers geraten, bereits tot sein könnte - und rettet sich selber in die Vision eines sich historisch entfaltenden Wesens des Christentums, in welchem die einzelnen Entwicklungsstufen als Wegmarken hin zum Protestantismus achtenswert sind (vgl. Anm. 49). Wenn Overbeck in Entstehung und Recht auch sicher (noch) keinen historistischen Standpunkt einnimmt, von dem aus alles in Relativität und Kontigenz zerfliesst (zuletzt dieser .Standpunkt' selber), so zeichnet sich doch ein Wissen darüber ab, dass eine (Selbst-)Vergewisserung in Sachen Glauben mit Hilfe der Historie unmöglich geworden ist. Das historische Bewusstsein wohnt zwar dem Christentum ab ovo inne, sobald es jedoch auf eigenen Füssen stehen, unvoreingenommen und frei von dogmatischen Scheuklappen an die Zeugnisse der Religion herantreten will, löst es sich vom gläubigen Selbstverständnis, wenigstens für die Zeit, in der es seines Amtes waltet. Man könnte bei Overbeck eine Säkularisationstheorie versteckt sehen: Das institutionalisierte Christentum ist undenkbar ohne Beziehung zu seiner Vergangenheit, zum irdischen Leben seines Heilandes und zur Einsetzung der Kirche; aus diesem rudimentären Geschichtsbewusstsein entwickelt sich nach und nach eine „rein historische Betrachtung", die sich nun völlig selbständig gebärdet, obwohl sich ihre Vertreter, dem Vernehmen nach, noch in ein „moralisches Verhältniss" zum Glauben stellen sollen. Dass jedoch die Freiheit der Wissenschaft das geheime Ziel dieses historischen Prozesses sein könnte, glaubt Overbeck (gegen Hegel und Baur) nicht mehr. „Rein historische Betrachtung" der Kirchengeschichte ist, wie Overbeck gleich zu Beginn skizziert hatte, eine den Grundsätzen der profanhistorischen Methodik verpflichtete - man denke namentlich an Ranke. Hierbei hat sie ein besonderes Sensorium für die Zeitlichkeit, das heisst für die Nichtidentität des Vergangenen mit dem Gegenwärtigen ausgebildet. Sie strebt nach „historischer Gerechtigkeit" (EhB, 17), die selbst nicht hinterfragt wird, und wehrt sich, eigentlich, gegen alle Formen der Instrumentalisierung, obwohl sie sich am Ende doch zu Zugeständnissen an theologische Harmonisierungsstrategien bequemt, was auf das „rein Historische" ein etwas schiefes Licht wirft. Die historische Bibelexegese war in der Vergangenheit stets von (falschen) Interessen gegängelt, während das Interesse ,,historische[r] Gerechtigkeit" nun als 51 Franz Overbeck, Das Johannesevangelium. Studien zur Kritik seiner Erforschung. Aus dem Nachlass hrsg. von Carl Albrecht Bernoulli, Basel 1911. 52 Adolf Harnack, [Rez.] Overbeck, Frz.: Das Johannesevangelium, in: Theologische Literaturzeitung, Jg. 37 (1912), Sp. 8-14, Sp. 13. Ähnlich, obwohl auf wesentlich ,orthodoxerer' Grundlage, lässt sich Thomas Buske, Overbecks theologisierte Christlichkeit ohne Glauben, in: Theologische Zeitschrift, Jg. 23 (1967), S. 396-411 vernehmen, wenngleich Harnack bei ihm ebenfalls nicht gerade gut wegkommt (vgl. S. 407). Zum Streit Harnack-Overbeck vgl. Klaus Peter Blaser, Harnack in der Kritik Overbecks, in: Theologische Zeitschrift, Jg. 21 (1965), S. 96-112, der S. 112 schliesst: „Dass Overbeck schliesslich im Gegensatz zu Harnack der Wissenschaft und insbesondere der Geschichte jede Fähigkeit abspricht, eine Antwort auf gegenwärtiges Dasein und Handeln zu geben - das verbindet ihn in eigenartiger Weise mit Max Weber."

Historische Betrachtung des Neuen Testamentes

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das der „rein historischen Betrachtung" angemessene inthronisiert wird, ohne jedoch das Recht anderer Interessen in der Theologie zu leugnen. Die Theologie insgesamt hat praktische Absichten zu verfolgen, .Nutzen für das Leben' zu zeitigen, nämlich Wissen und Glauben ins Lot zu bringen, nicht aber die ihr inkorporierte Kirchengeschichte, die mit ihrem kritischen Tun immerhin innerhalb der Theologie befreiend wirkt. Die Konstitution dieser Historiographie wird als Produkt einer (ebenfalls geschichtlichen) Genese reklamiert, Ziel und Zweck der Kirchengeschichte werden als selbstverständlich akzeptiert - wohingegen ihr Resultat, die Entfremdung vom Gewesenen und beim Christentum im eminenten Sinn Grundlegenden zu Sorge Anlass gibt. Ob die Historie im Angesicht und im Dienste der Religion überhaupt legitim sei, kann man fragen: Wagner hat es - das ist Cosimas Tagebucheintrag vom 17. Juli 1871 zu entnehmen nach der Lektüre von Entstehung und Recht getan - und eine Schopenhauersche Vorstellung von Religion als Metaphysik fürs (tumbe) Volk mit christlichem Finaltriumphalismus verbunden: „Gestern las ich eine Broschüre des Theologen Overbeck, die Pr. Nietzsche mir geschickt; sie bringt R. und mich auf Religions-Gespräche: ,Die Katholiken haben ganz recht, wenn sie sagen, die h. Bücher dürfen von den Profanen nicht gelesen werden, denn Religion ist für die, die nicht lesen und schreiben können. Aber sie hatten so schändlichen Missbrauch mit der Deutung getrieben, dass Luther einzig auf die h. Bücher sich berufen konnte. Freilich hat auch er damit der Wissenschaft und der Kritik die Türe geöffnet, Christus wird aber deshalb doch bestehen.'" 53

Während sich Nietzsche in seinem Homervortrag als Vertreter einer Disziplin zu erkennen gibt, die Kunst mit Wissenschaft, Orientierungswissen mit Verfügungswissen in Beziehung setzt, spricht Overbeck der Theologie ein solches „Zwitterwesen" zwar keinesfalls ab, versteht sich jedoch selber in erster Linie als Kirchenhistoriker und nicht als Theologe. Der Theologie in ihrer Zwitterhaftigkeit wird er bald jedes Existenzrecht bestreiten, wogegen Nietzsche auf dem Standpunkt beharrt, die Philologie oder Philosophie habe sich beider, der kritischen und der kompositorischen Aufgabe anzunehmen, gerade weil Kultur und Kunst Funktionen erfüllten, die traditionell in den religiösen Bereich fielen. So gesehen argumentiert Nietzsche theologischer als es der Theologe Overbeck tut. 53 Dieter Borchmeyer/Jörg Salaquarda (Hrsg.), Nietzsche und Wagner. Stationen einer epochalen Begegnung, Bd. 2, Frankfurt a. M./Leipzig 1994, S. 1167f.

2. Bedrohtes „Leben" und bedrohte Religion: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

„Habet mundus iste noctes suas, & nonpaucas."'

2.1 Bedingung und Möglichkeit von Geschichte Leben und Geschichte stehen in Nietzsches Zweiter unzeitgemässer Betrachtung zueinander in einem prekären Verhältnis. Retrospektiv charakterisiert Nietzsche sie als eine Schrift, mit der er die überall grassierende „historische Krankheit" habe kurieren wollen, von der er selbst wiederum erst „langsam, mühsam genesen lernte". Dennoch war er „ganz und gar nicht Willens [...], fürderhin auf .Historie' zu verzichten, weil er einstmals an ihr gelitten hatte" (ΜΑ II, Vorrede 1 - KS A 2, 370). Im Ecce homo verkürzt Nietzsche die Aussage der Schrift auf die Quintessenz, „der historische S i n n ' " werde darin „zum ersten Mal als Krankheit erkannt" (EH-UB 1 KSA 6, 316). 1888 fand Nietzsche in ihr offensichtlich die Option auf ,,historische[n] Sinn" vergeben, den er zu dieser Zeit in genealogischer Absicht doch gerade zu rehabilitieren im Begriffe war. Diese retrospektive Geringschätzung veranlasst Salaquarda zur These, „dass die spätere Forschung der Zweiten Unzeitgemässen mehr Gerechtigkeit angedeihen Hess als Nietzsche selbst". 2 Nietzsche verband mit dem Werk in der Tat schlechte Erinnerungen und entsann sich später seines Inhalts, wie Salaquarda feststellt, nur noch unvollkommen, zumal es bei Cosima und Richard Wagner offensichtlich keine Gnade fand. Wohl störte Wagner daran die bereits viel zu grosse Selbständigkeit seines vermeintlichen Vasallen. Trotz alledem verdient die Historienschrift besondere Beachtung, legt Nietzsche in ihr doch ein methodisches Konzept vor, mit dem seine Zeitkritik und zudem seine in der Geburt der Tragödie angestrebte Erneuerung der (tragischen) Kultur eine Grundlage erhalten sollten. Während die Antrittsvorlesungen auf die Erwartungen ihrer Zuhörer und die akademischen Gepflogenheiten mehr oder minder Rücksicht nahmen, kündigt Nietzsche dem Bildungsbetrieb und der ihn überwuchernden Historie jetzt endgültig das Vertrauen auf, wodurch er die Toleranz des Publikums erheblich strapaziert. 3 Jedoch, und dies hält er noch im nachhinein für richtig, bricht 1 Bernhard von Clairvaux, Sermo LXXV in Cantica [1135], 10, in: Sancti Bernardi abbatis primi ClaraeVallensis Opera. Post Horstium denuo recognita, aucta secundis curis D. Johannis Mabillon, Vol. 1, Tom. 4, Parisiis 1690, Sp. 1530-1534, Sp. 1533EF. 2 Jörg Salaquarda, Studien zur Zweiten Unzeitgemässen Betrachtung, in: Nietzsche-Studien, Bd. 13 (1984), S. 1-45, S. 4. 3 Die Tatsache, dass Overbeck sein Leben lang dem akademischen Diskurs' die Treue hält und nicht zum Transzendentalbelletristen mutiert, sollte nicht zu einer schroffen Dichotomie Gelehrtendasein/Philosophendasein verleiten, bei der die Beurteilung Overbecks immer undifferenziert, ja verfehlt ausfallen muss (siehe als typisches Beispiel einer solchermassen verkürzenden Anschauungsweise T. Moody Campbell, Nietzsche and the Academic Mind, in: Publications of the Modern Language Society of America, Jg. 62 (1947), S. 1183-1196, bes. S. 1187f.).

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Bedingung und Möglichkeit von Geschichte

Nietzsche mit der Historie nicht völlig. Er will ihr Wuchern auf ein Mass zurückstutzen, das dem Leben, dem „Unhistorischen" und dem „Überhistorischen" nicht mehr hinderlich ist. Wie weit die „historische Krankheit" tatsächlich die Handlungsfähigkeit vieler Menschen ausserhalb akademischer Betriebsamkeit lähmt, fragt der erste namhafte öffentliche Rezensent, Karl Hillebrand mit Recht 4 ; Jacob Burckhardts stellenweise ironischer Dank für die Historienschrift und gleichzeitige Rechtfertigung des eigenen Lehrens in seinem Brief an Nietzsche v o m 25. Februar 1874 relativieren ebenfalls die Breitenwirkung der „historischen Krankheit": „ich habe die Geschichte nie um dessentwillen gelehrt was man pathetisch unter Weltgeschichte versteht, sondern wesentlich als propädeutisches Fach: ich musste den Leuten dasjenige Gerüste beibringen das sie für ihre weitern Studien jeder Art nicht entbehren können wenn nicht Alles in der Luft hängen soll. Ich habe das mir Mögliche gethan, um sie zur eigenen Aneigung des Vergangenen irgend einer Art - anzuleiten und ihnen dieselbe wenigstens nicht zu verleiden" (KGB II/4, 394). Der Zweck der Geschichte und des geschichtlichen Bewusstseins hat für Nietzsche im „Nutzen für das Leben" zu bestehen, wobei sich bei diesem Begriff des Lebens bereits die ersten erheblichen Schwierigkeiten einstellen. 5 Denn Nietzsche führt nicht explizit aus, worin dieses Leben oder seine „ächten Bedürfnisse" ( U B II 10 - K S A 1, 333) eigentlich bestünden. Eine fundamentale Zweideutigkeit kann, mit Seitenblick auf die Geburt

der Tragödie,

konstatiert werden: Das

Leben ist einerseits entsetzlich, verschlingend, unerträglich, andererseits das allein ,Gute' und ,Wahre', ohne das (nicht: g e g e n das!) keine wirkliche Kultur möglich ist. 6 Einesteils müssen alle Anstrengungen darauf abzielen, das Grausige durch schützende Illusionen, durch den tröstlichen Schleier der Kunst vergessen zu machen, andernteils wird diesem scheinbar Grausigen alles Untertan gemacht: Die Historie muss zum Schutz des Menschen vor dem Leben zwar seinen Horizont verengen, zugleich tut sie dies freilich, damit der Mensch wirklich - unhistorisch, überhistorisch - leben kann. Sie darf keine „Lehren" verkünden, die Nietzsche „für wahr, aber für tödtlich" ( U B II 9 - K S A 1 , 3 1 9 ) hält. Ob das Leben der Kunst oder die Kunst dem Leben nützen

4

„Ein Grundirrthum dieser jugendlichen Männer und speciell dieses ihres Wortführers [sc. Nietzsches] kommt daher, dass sie Deutschland noch immer für eine grosse Universität halten und meinen, jeder Deutsche sei ein Privatdocent oder Professor der Geschichte und Philologie. Gingen sie einmal nach Hamburg oder Chemnitz, so würden sie schon genug und nur zu viele ,unhistorische' Deutsche finden, und blickten sie ein wenig in die Berufsthätigkeit deutscher Beamten und Officiere, so würden sie sich schon überzeugen, dass die .hypertrophische Tugend' der Historik sie nicht am raschen, sicheren, dem Augenblick gemässen Handeln hindert." Karl Hillebrand, Über historisches Wissen und historischen Sinn [1874], in: Κ. H., Zeiten, Völker und Menschen, Bd. 2: Wälsches und Deutsches, Berlin 2 1892, S. 300-326, S. 306.

5

Franz Overbecks Frau Ida hat einen „Zwiespalt in der Behandlung von Historie und Leben" gesehen: Nietzsche „hebt Realität und Leben auf den Schild, verwirft Historie als Leben und Realität, verlangt historischen Sinn da, wo ihm Ansätze zu Realität gegeben scheinen, macht dem Geist, der Vernunft den Krieg. [...] Schliesslich verurtheilt und erstickt dieser lebensfreudigste aller Denker eben doch das Leben." (Ida Overbeck, Erinnerungen an Friedrich Nietzsche, in: März. Halbmonatsschrift für deutsche Kultur, Jg. 1 (1907), S. 223-235 [ebenfalls in: ON 1,234-251], hier ON 1,248).

6

Gerhard Häuptner, Die Geschichtsansicht des jungen Nietzsche. Versuch einer immanenten Kritik der Zweiten Unzeitgemässen Betrachtung: „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben", Stuttgart 1936, S. 3f. spricht von einer „pantheistischen" und einer „dualistischen Weltansicht", die sich in Nietzsches Historienschrift widerstritten.

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Bedrohtes „Leben" und bedrohte

Religion

soll, ist unter diesen Auspizien unsicher. Falls der Endzweck des geschichtlichen Handelns Kultur und Bildung sein sollten (für wen bleibe offen), ist Geschichtsschreibung dann selber eine kulturelle Leistung, die Nietzsche mit seiner Metahistorie quasi performativ vollbringt? Soll die von ihm gewünschte Historie dem Leben dienen, damit das Leben die Kunst und die Kultur ermöglicht? Die Vermutung liegt gewiss nahe, dass in Nietzsches „Leben" der „Wille" Schopenhauers unter neuen Vorzeichen wiederkehre, mitunter merkwürdig positiv konnotiert: Das Leben als Weltprinzip ist nicht zu verneinen, sondern zu bejahen; wahre Kunst und selbst Religion sind nicht etwa, wie bei Schopenhauer, Willens Verweigerungsstrategien; sie erweisen vielmehr dem Leben ihre Reverenz, sind seine Vollendung. 7 Bald aber schlägt das Ganze wieder um: Mythos, Religion und Kunst werden zu Handlangern des „schönen Scheins", die über den vom dionysischen Blick erhaschten schaurigen Abgrund des Lebens hinwegtrösten. Die Wissenschaft indes, namentlich die historische, wird aus diesem Konzert des Un- und Überhistorischen ausgeschlossen; sie hat sich dem Leben für dessen Zwecke auszuliefern, entbehrt jedoch - obschon zusammen mit den andern Künsten Illusionsproduzentin, Weltbewältigungsstrategin - der sakralen Aufladung. Ihr Wuchern ist für Nietzsche keine Kulturerscheinung, sondern eine Kulturgefährdung. Der Erkenntnisdrang sei selbst ein Produkt des Lebens, das Leben somit seine notwendige Bedingung; er habe „also an der Erhaltung des Lebens dasselbe Interesse, welches jedes Wesen an seiner eigenen Fortexistenz hat" (UB II 10 - KSA 1, 331). Warum denn die Erkenntnis nicht auf die Vernichtung ihrer eigenen Möglichkeit aus sein, sie nicht - im „Heroismus der Schwäche" 8 ihren eigenen Untergang herbeiführen darf, erläutert Nietzsche nicht. Wenn Erkenntnis blosse Dienerin des Lebens wäre, könnte sie diesem eigentlich nicht in der Substanz gefährlich werden. Genau diese Schädlichkeit aufzuweisen ist jedoch Nietzsches Intention, die schon im Titel seines Werkes manifest wird: „Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben". Überhaupt bleibt (mir) reichlich unklar, wie sich Erkenntnis als ein Mittel des Lebens (der „Intellekt, als ein Mittel zur Erhaltung des Individuums" - WL 1 - KSA 1, 876) zu einer solchen Gefahr ausweiten

7

„Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Nietzsche auch noch in den späteren Schriften von Vitalitätssteigerungen unmittelbar auch Kultursteigerungen erwartet. [...] Dass Kultur auf Triebversagung beruht, wäre der wichtigste skeptische Einwand, der gegen Nietzsches Optimismus von Freud her vorzubringen wäre. Auch die These Thomas Manns, dass kulturelle und vor allem künstlerische Leistungen gerade nicht Indizes einer frohen Gesundheit sind, die Nietzsche anpreist, sondern Symptome und Kompensationen von Krankheiten und Deformationen zu sein pflegen, ist im Zusammenhang einer Diskussion der zweiten ,Unzeitgemässen Betrachtung' Nietzsches zu bedenken." Herbert Schnädelbach, Geschichtsphilosophie nach Hegel. Die Probleme des Historismus, Freiburg i. B./München 1974, S. 81. Schnädelbach suggeriert damit, dass das Leben von Nietzsche einseitig „optimistisch" verstanden werde, Leiden oder Krankheit z . B . also nicht Lebenssteigerung seien. Ob dies Nietzsche gerecht wird, steht dahin (vgl. Kapitel 4).

8

Dieser von Thomas Mann in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen (in: Th. M., Gesammelte Werke in zwölf Bänden, Bd. 12, Frankfurt a. M. 1960, S. 7-589, S. 146) auf Nietzsche applizierte Ausdruck bezieht Mann auf eine Stelle in Bernoullis Overbeck und Nietzsche (II, 462), wo Manns Fiorenza selber von Bernoulli zur Illustration seiner These zitiert worden war. Bernoullis Werk ist von Mann, obschon er dem Weimarer Archiv verbunden war, mehrfach beigezogen worden. Später dient Overbeck als ein Vorbild für Serenus Zeitblom, die Erzählerfigur im Doktor Faustus. Siehe Andreas Urs Sommer, Thomas Mann und Franz Overbeck, in: Wirkendes Wort. Deutsche Sprache und Literatur in Forschung und Lehre, Jg. 46 (1996), S. 32-55.

Bedingung und Möglichkeit von Geschichte

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kann, da doch ein paar verblendete Historiker und Historisten den reissenden Strom des Lebens kaum werden vom Fliessen abhalten können. Nietzsche müsste demzufolge eher am individuellen Leben gelegen sein - an einem, das sich dem apollinischen principium individuationis also bereits unterzogen hat: Die Entfaltungsmöglichkeit und das Handlungspotential eines solchen individuellen Lebens würden von der Historie zerfressen, wenn in ihm der Erkenntniswille, das Apollinische überwiegt. Zudem mag man fragen, ob die Herabsetzung der Kulturleistung von Historie darauf zurückzuführen ist, dass Nietzsche letztere zur Genüge kennt, während er in das Un- und Überhistorische noch nicht initiiert ist, ihnen beiden das Geheimnisumwitterte (das er für den Mythos postuliert) noch anhaftet, sie daher eine privilegierte Stellung erhalten. Nietzsches poetische Historie, die er als Ersatz der bisherigen Historien anbietet, zielt ja auf die ästhetische Wiederverzauberung des Alltäglichen und Gewöhnlichen. 9 Ist diese poetische Historie Voraussetzung des Un- und Überhistorischen? Muss die traditionelle Geschichtswissenschaft zerschlagen werden, weil sie das Leben als ästhetisches Phänomen beeinträchtigt, sie den beschönigenden Firnis wegkratzt? Eine zweites fundamentales Problem generiert sich durch die Form, die Nietzsche seinen Ausführungen gibt: Er spricht, mit polemischen Ausfällen, analytisch über Sinn und Unsinn historischer Analyse, aber ebenso über das Unhistorische und Überhistorische, deren Möglichkeit gerade durch die Ausschaltung historisch-analytischer Reflexion bedingt ist. Da nun dieses Verfahren trotz aller Kritik daran faktisch unangefochten im Gebrauch bleibt, ergibt sich innerhalb seiner Schrift keine Gelegenheit, dieses Un- und Überhistorische zu entfalten. Sehr fraglich ist, ob eine solche Entfaltung überhaupt noch gelingen kann, wo die Erkenntnis das Un- und Überhistorische doch immer schon als schützendes Trugbild durchschaut hat. Anders gewendet: Wie kann Nietzsche eine Horizontsetzung, eine Horizontverengung fordern, wenn er stets über diesen Horizont hinausspäht? Verschärft trat das Dilemma in der Geburt der Tragödie bereits auf, wo der Mythos, ein apollinisch-dionysisches Mischerzeugnis, aller religiösen Terminologie zum Trotz, ebenfalls objektiviert, Gegenstand der Untersuchung wird, weswegen seine Valenz α priori gebrochen ist. Ob der Mythos, der doch im Verständnis Nietzsches nach Geglaubt- und Gelebtwerden heischt, überhaupt Thema eines rationalen Diskurses sein kann, der erklärtermassen die Geltung des Mythos nicht einschränken will, ist ein Problem, bei dem sich schon Piaton in einen Widerspruch zu seinen aufklärerischen Idealen verstrickt hat (vgl. ζ. B. Politeia 4 1 4 d - 4 1 5 d ) . Nietzsche greift diese Stelle aus der Politeia ausdrücklich auf und wünscht, dass der „Nothlüge" Piatons eine „ N o t h w a h r h e i t entgegengestellt wird: dass der Deutsche keine Cultur hat, weil er sie auf Grund seiner Erziehung gar nicht haben kann" (UB II 10 - KSA 1, 328). Und das Vorhaben ist, die Bildung zu reformieren, welcher nach Nietzsches Ansicht durch übermässiges Historisieren jedes gesunde Verhältnis von Form und Inhalt abhanden gekommen ist. Wie dies freilich zu bewerkstelligen sei, wenn der Anwalt der neuen paideia selbst die Grenzen, die er setzen will, immerzu überschreitet, bleibt in der Schwebe.

9 Freilich meint Kaufmann, S. 163: „Nietzsche befreit sich mit ihr [sc. der Zweiten Unzeitgemässen] unmissverständlich von seiner bisherigen Voreingenommenheit für die Kunst und wendet sich Weiten zu, die nicht zum ästhetischen Bereich gehören." Dem mag man zustimmen, soweit das Leben ein solcher nichtästhetischer „Wert" sein sollte und es nicht mehr (wie in der Geburt der Tragödie) einzig ästhetisch gerechtfertigt sein sollte.

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Bedrohtes „ Leben " und bedrohte

Religion

Die Historie steht bei Nietzsche - aller Anlehnung an das berühmte 38. Kapitel des zweiten Bandes von Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung zum Trotz 1 0 - im Banne der Wissenschaft." Gerade weil diese mit ihren Erkenntnissen das Leben verunmögliche, muss ihr Einfluss in Schranken gewiesen werden. Falls die Historie „im Dienste des Lebens" agiert, „im Dienste einer unhistorischen Macht", wird sie „nie, in dieser Unterordnung, reine Wissenschaft, etwa wie die Mathematik es ist, werden können und sollen" (UB II 1 - KSA 1, 257). Die Historie als Wissenschaft, „souverän geworden", stellt sich Nietzsche als Schreckensvision dar, wäre sie dann doch „eine Art von Lebens-Abschluss und Abrechnung für die Menschheit" (ibd.) - ein endgültiges Urteil in einem Prozess, in dem der Angeklagte niemals zu Wort kam, und in dem jede Zukunft verbaut ist. 12 Hatte sich Overbeck mit seiner Christlichkeit unserer heutigen Theologie ,illusionslos' in das Überhandnehmen der Historie, in ihre Objektivierung der christlichen Ursprünge und des Glaubens geschickt - insofern mit Nietzsche einig, als er ihr Zerstörungspotential deutlich erkennt setzt sich Nietzsche bereits in der Antrittsvorlesung vehement zur Wehr. „Ein historisches Phänomen, rein und vollständig erkannt und in ein Erkenntnissphänomen aufgelöst, ist für den, der es erkannt hat, todt." (UB II 1 - KSA 1, 257) Harnacks Polemik 1 3 wirft Overbeck genau diese Zerstörung des Lebendigen vor - hierbei setzt er so gut wie Nietzsche voraus, dass etwas Vergangenes auf irgendeine Weise nicht bloss lebendig ist, sondern es sein soll. 14 Mortifikation des Lebendigen heisst bei Nietzsche der Hauptvorwurf an die Adresse der Historie, die eben keine „souveränfej" Wissenschaft werden darf, damit sie den Lebensinteressen dienstbar gemacht werden kann. So entsprechen die drei Weisen von Geschichtsschreibung, die Nietzsche unterscheidet, die „monumentalische", die „antiquarische" und die „kritische" keineswegs den traditionellen historiographischen Idealen der Unparteilichkeit und Objektivität, welche Nietzsche denn auch gründlich destruiert, um seine eigene

10 Vgl. oben Kapitel 1, Anm. 9. Bernoulli sieht unter Berufung auf Georg Simmel den Gegensatz zwischen Nietzsche und Schopenhauer gerade darin, dass Nietzsche historisch denke, Schopenhauer hingegen nicht (ON 1,139). 11 „Schopenhauer hat aus seinem Apercu den logischen Schluss gezogen, dass Geschichte überhaupt keine Wissenschaft sei. Nietzsche, der den Fluch des Historismus viel leidenschaftlicher empfand, kam dennoch zu einer so scharfen Schlussfolgerung nicht; er sah nur deutlicher als irgend jemand seit hundert Jahren, und mit den Blicken des Hasses, einen Gegensatz zwischen Leben und Historie, zwischen Tatmenschen und Philologen, zwischen einem Bismarck und einem jungen Himmelsstürmer, der in Basel die Jungens philologisch abrichten musste. Nur aus dem gelehrten Betriebe sehnte er sich heraus, und nur so persönlich möchte er der Geschichte den Charakter der Wissenschaftlichkeit absprechen." Fritz Mauthner, Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. 1 [1910], Art. „Geschichte", Zürich 1980, S. 399^435, S. 410. Interessant auch Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse. Mit einem neuen Nachwort, Frankfurt a.M. 1973, S.358: „Die Polemik gegen den verwöhnten Müssiggang der Virtuosen des zeitgenössischen Historismus ist in einer Kritik an der Verwissenschaftlichung der Historie begründet. Der Objektivismus wird von Nietzsche noch nicht als ein falsches szientistisches Selbstverständnis durchschaut, sondern als die notwendige Implikation der Geschichtsvmsenschaft selber hingenommen." 12 Vgl. Schröter, S. 203. 13 Siehe oben Kapitel 1, Anm. 52. 14 Zu Ähnlichkeiten in der Christentumsauffassung bei Nietzsche und Harnack äussert sich Overbeck selbst: Beide seien der Meinung, dass das Christentum alles habe „verdauen" können, nur „dass dieses Wesen bei Nietzsche einen Fluch über das Christenthum herbeizieht, bei Harnack zur Grundlage seiner Apologie dieser Religion wird" (OWN 4,579).

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Bedingung und Möglichkeit von Geschichte

Auffassung von Objektivität einzubringen, die eine künstlerische zu sein verlangt - ein „liebendes Versenktsein in die empirischen Data, ein Weiterdichten an gegebenen Typen" ( U B II 6 K S A 1 , 2 9 2 ) . Einem solchen Verlangen gibt Overbecks Kirchengeschichtsschreibung nicht nach. Bei Nietzsches Neudefinition des Objektivitätsideals, bei seiner Intention, Geschichte als Kunst zu treiben, und bei seinen Vorbehalten der Historie als Wissenschaft gegenüber, müssen wir ein wenig verweilen. Schopenhauer hatte die Geschichte nicht als Wissenschaft aufgefasst wissen wollen, „denn ihr fehlt der Grundcharakter der Wissenschaft, die Subordination des Gewussten, statt deren sie blosse Koordination desselben aufzuweisen hat. Daher giebt es kein System der Geschichte, wie doch jeder andern Wissenschaft. Sie ist demnach zwar ein Wissen, jedoch keine Wissenschaft. Denn nirgends erkennt sie das Einzelne mittelst des Allgemeinen, sondern muss das Einzelne unmittelbar fassen und so gleichsam auf dem Boden der Erfahrung fortkriechen" 15 Bekanntlich nimmt Jacob Burckhardt die Unterscheidung von Koordination und Subordination zu Beginn jener Vorlesungen „Über das Studium der Geschichte" (1868/70) wieder auf, die postum als Teil der Weltgeschichtlichen

Betrachtungen

veröffentlicht werden sollten, und denen

Nietzsche mit Begeisterung gefolgt ist: „Ich höre bei ihm [sc. Burckhardt] ein [...] Colleg über das Studium der Geschichte und glaube der Einzige seiner 60 Zuhörer zu sein, der die tiefen Gedankengänge mit ihren seltsamen Brechungen und Umbiegungen, wo die Sache an das Bedenkliche streift, begreift. Zum ersten Male habe ich ein Vergnügen an einer Vorlesung, dafür ist sie auch derart, dass ich sie, wenn ich älter wäre, halten könnte." 1 6 Burckhardt will mit der Schopenhauerschen Disjunktion einen „Kentaur, eine contradictio in adjecto" 1 7 entlarven, nämlich die Geschichtsphilosophie (hegelscher Provenienz), die versuche, beides, Koordinieren und Subordinieren unter einen Hut, die Historie eben unter vorgefasste Begriffe von Entwicklung oder Fortschritt zu bringen. Einer, der die Geschichte so handhabt, hege keinen Respekt vor ihren Singularitäten, finde dafür „überall das gleichförmige Gepräge seiner selbst wieder" ( U B I 2 - K S A 1, 165). 1 8 Diese Art, mit der Vergangenheit umzuspringen, weist Nietzsche ab, opponierend gegen Hegel und die Hegelianer - währenddem Overbeck seine

15 Schopenhauer, Die Welt als Wille und als Vorstellung, Bd. 2/2, S. 517. 16 Nietzsche an Carl von Gersdorff im Brief vom 7. November 1870 (KSB 3, 155). 17 Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen [1868-70/1905], hrsg. von Rudolf Marx, Stuttgart 1958, S. 4 (ich zitiere mit Absicht nach einer Leseausgabe). 18 Dieser bei Nietzsche recht häufig wiederkehrende Vorwurf gerade gegen die moderne Historiographie findet sich bei Overbeck ebenfalls, etwa in einer bislang nicht bibliographierten, kürzlich von Martin Tetz, Franz Overbecks Bibliothek als Quelle?, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, Bd. 94 (1994), S. 241-279, S. 251 f. wiederentdeckten Rezension: Franz Overbeck, [Rez.] Ad. Stählin: Justin der Märtyrer und sein neuester Beurtheiler. Leipzig 1880, in: Historische Zeitschrift, hrsg. von Heinrich von Sybel, Bd. 46, NF Bd. 10 (1881), S. 480-483. Dort wirft Overbeck dem Stählinschen Protestantismus (mit dem dieser sich gegen das Justin-Buch Moritz von Engelhardts wandte) vor, dass „der sich seine Einseitigkeit durch die Illusion verhüllt, mit welcher er in der Vergangenheit sich in der Hauptsache immer nur selbst wiederfindet" (S. 483 - zit. nach Tetz, a. a. O., S. 252, Anm. 42). Über Justin, das Werk von Engelhardt und seinen eigenen Beitrag zum Thema hatte Overbeck im Juni und Juli 1880 mit Nietzsche korrespondiert (BNO, 134-138).

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Bedrohtes „Leben" und bedrohte

Religion

Geschichtsbetrachtung und ihren dezidierten Willen zur Wahrhaftigkeit in Entstehung und Recht befestigt, indem er sie von den äusserlich applizierten Schematismen befreit und gerade die Nichtidentität des Gegenwärtigen mit dem Vergangenen in den Vordergrund rückt, nicht aber das eine zur (dialektischen) Vorstufe des andern macht. Tatsächlich war Basel damals eine Pflanzstätte der Modernitätskritik, der Fortschritts(ideologie)skepsis und eines neuen historischen Bewusstseins - eine Pflanzstätte, die mit Bachofen, Burckhardt, Overbeck und Nietzsche reiche Früchte trug. „Basel wird allmählich recht anstössig" (KSB 4, 145), heisst es in Nietzsches Brief an Wagner vom 18. April 1873. 19 Es ist wichtig festzuhalten, dass Nietzsche nicht den Regress in die Geschichtslosigkeit oder Ungeschichtlichkeit predigt 20 , die nach der berühmten Anfangspartie seiner Zweiten Unzeitgemässen dem Tier eigentümlich sein mag (übrigens hat dieser Einfall neben Leopardi 21 auch bei Schopenhauer 22 und Lichtenberg 23 seine Parallelen): Auch das Kind tritt notgedrungen in die geschichtliche und geschichtsbewusste Existenz ein, erwirbt sich eine Vergangenheit, wird Mensch. Heidegger hatte in seiner Kurzauslegung der Historienschrift sogar behauptet, die „Dreifachheit der Historie", also der monumentalischen, antiquarischen und kritischen, sei „in der Geschichtlichkeit des Daseins vorgezeichnet".24 Dasein muss nach Heidegger immer geschichtlich sein, wogegen sich Löwith in seiner Kritik verwahrt: „Heideggers Voraussetzung, dass der Mensch seinem Wesen nach ein geschichtlich existierendes', sich entwerfendes und sorgendes Dasein, wird aber von Nietzsche gerade nicht geteilt." 25 Löwith will die Darstellung von Tier und Kind zu Beginn der Zweiten Unzeitgemässen als Option auf ein ungeschichtliches Dasein verstanden wissen. Jedoch steht bei Nietzsche kein Weg zurück in den (paradiesischen?) Zustand reiner wartsbezogenheit offen. Daher muss nach einer praktikablen Methode gesucht werden, Gewesene ebensowenig über die Leiste der Gegenwartsmoden und -einsichten schlägt, den Menschen unter Last dieses Gewesenen zusammenbrechen lässt. „Das Erinnerte

Gegendie das wie sie ist un-

19 Die Zusammenhänge, auch die mit dem politischen Konservatismus der peripher gewordenen Stadtrepublik hat Lionel Gossman in seinen Arbeiten aufgezeigt. 20 Ich vermag Karl Schlechta, Nietzsches Verhältnis zur Historie, in: K. S., Der Fall Nietzsche. Aufsätze und Vorträge, München 1958, S. 42-70, S. 58f. nicht beizupflichten, wenn er meint, Nietzsche habe „bis zum Jahr 1875 etwa" die „Historie" verneint, um sie erst in der Folge zu bejahen, als Mittel, sich den Weg zur gänzlich freien Zwecksetzung freizukämpfen. 21 Vgl. Kommentar, S. 65 und v. a. NL 1873 29 [98] (KSA 7 , 6 7 7 ) und 30 [2] (KSA 7,725). 22 Schopenhauer, Die Welt als Wille und als Vorstellung, Bd. 2/2, S. 523. Vgl. L. Annaeus Seneca, Ad Lucilium epistulae morales XIX/XX 124, 16f. 23 Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbiicher, Heft G, Nr. 52, in: G. C. L., Schriften und Briefe, hrsg. von Wolfgang Promies, Bd. 2, Frankfurt am Main 1994, S. 143: „Alle grossen Menschen haben bloss des Künftigen wegen das Gegenwärtige unternommen, und schlechte Menschen haben immer, wie die Tiere, bloss das Gegenwärtige vor Augen; ja sie erniedrigen sich unter die Tiere, weil diese aus Instinkt manches fürs Künftige tun, und also die Natur gewissermassen ihre Beseelung über sich nimmt." Den hier kursivierten Passus hat Nietzsche in seiner Lichtenbergausgabe am rechten Rand doppelt angestrichen, siehe Martin Stingelin, „Unsere ganze Philosophie ist Berichtigung des Sprachgebrauchs". Friedrich Nietzsches Lichtenberg-Rezeption im Spannungsfeld zwischen Sprachkritik (Rhetorik) und historischer Kritik (Genealogie), München 1996, S. 184. Nietzsche attestiert, im Gegensatz zu Lichtenberg, den „grossen Menschen" gerade, zeitweilig wie das Tier vergessen zu können. 24 Martin Heidegger, Sein und Zeit [1927], § 76, Tübingen 1 6 1986, S. 396. 25 Karl Löwith, Heidegger. Denker in dürftiger Zeit, Frankfurt am Main 1953, S. 86f.

Bedingung

und Möglichkeit

von

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Geschichte

verrückbar da in der Gegenwart des Menschen, es w i r k t in ihr, und der Mensch v e r h ä l t s i c h zu diesem wirkenden Vergangenen." 2 6 Und dieses Verhältnis kümmert Nietzsche, so gut ihn dessen gegenwärtige Form bekümmert. In Subordination unter Allgemeinbegriffe darf die Lösung nicht mehr bestehen, obwohl sie bestimmt ein Mittel ist, sich vom Erinnerten nicht berühren zu lassen, eines jedoch, das dem Vergangenen nicht gerecht wird. Selbstverständlich könnte dieser Vorwurf des Nicht-gerecht-Werdens die „monumentalische", „antiquarische" und „kritische Historie" ebenso treffen. Das Vergangene hat seine Realität in der Erinnerung, in der individuellen so gut wie in der kollektiven; daher geht Nietzsche die verschiedenen Möglichkeiten durch, Erinnerungsarbeit zu leisten. Gerne gesteht er ein, dass die von ihm vorgeschlagenen drei Geschichtsschreibungstypen nicht mit den gängigen Vorstellungen wissenschaftlicher Vorurteilslosigkeit kongruierten. „In dreierlei Hinsicht gehört die Historie dem Lebendigen: sie gehört ihm als dem Thätigen und Strebenden, ihm als dem Bewahrenden und Verehrenden, ihm als dem Leidenden und der Befreiung Bedürftigen." (UB II 2 - KS A 1 , 2 5 8 )

Bei dieser Formulierung ist die Inbesitznahme der Historie durch das „Lebendige" zu beachten, die sich im Prädikat „gehört" ausdrückt. Das Vergangene selbst, als bereits Entschwundenes, entzieht sich dem direkten Zugriff, nicht jedoch die Erinnerung und die schriftliche oder mündliche Kunde, die wir von dieser Vergangenheit haben, die Historie eben. Diese Historie, die Erinnerung kann instrumentalisiert, kann benutzt, kann umgemünzt werden zu beinah beliebigen Zwecken. Nietzsches Umprägung der Historie geschieht nun nicht im Namen eines solchen beliebigen Zwecks, sondern in jenem des Lebens selbst. Dieses „Leben" instrumentalisiert das Vergangene, ohne es der Gegenwart einfach gleichmachen, es einebnen zu wollen. Wie Nietzsche im 6. Kapitel darlegt, ist dieses Vorgehen aber nicht aussergewöhnlich oder von vornherein wissenschaftlich disqualifizierend. Denn es existiert keine Wissenschaft, gewiss keine historische, die sich ganz ohne Voreingenommenheit durch bestimmte Erkenntnisinteressen einem Untersuchungsgegenstand näherte. Die Gerechtigkeit, deren sich die Wissenschaft rühmt, sei eine zu seltene Tugend, als dass jedermann sie besitzen könne, sicherlich nicht der „zum nachtönenden Passivum" gewordene ,,historische[.] Virtuose[.] der Gegenwart", denn „diese Tugend hat nie etwas Gefälliges, kennt keine reizenden Wallungen, ist hart und schrecklich" (UB II 6 - KSA 1, 288). 27 Der Wille nach Gerechtigkeit - mit dem nach Wahrheit in eins gesetzt - negiert jede Rücksicht, er ist unbedingt und macht auch vor dem Leben und seinen Bedürfnissen nicht halt. 28 Ist er die Travestie der metaphysisch gegenstandslos gewordenen protestantischen Redlichkeit? Einmal zum Zug gekommen, verhängt dieser Gerechtigkeitswille jedenfalls über die Weltgeschichte das „Welt26 Margot Fleischer, Die Zeitlichkeit des Menschen. Nietzsches Analyse in seiner zweiten Unzeitgemässen Betrachtung, in: Werner Beierwaltes/Wiebke Schräder (Hrsg.), Weltaspekte der Philosophie. Rudolph Berlinger zum 26. Oktober 1972, Amsterdam 1972, S. 6 7 - 8 1 , S. 69. 27 Die positive Besetzung von Gerechtigkeit, die noch keine „Genealogie der Moral" über sich hat ergehen lassen müssen und die als Tugend an einem Sokrates-Diktum (!) aufgehängt wird (UB II 6 - KSA 1, 2 8 5 f . ) , kann den Versuchen, den ,späten' mit dem .frühen' Nietzsche kurzzuschliessen, entgegengehalten werden. 28 Aufschlussreich ist, wie Nietzsche aus dem Prometheus

des Aischylos einen ,,tiefe[n] [ . . . ] Zug nach G e -

r e c h t i g k e i t : das unermessliche Leid des kühnen .Einzelnen' auf der einen Seite, und die göttliche Noth, ja Götterdämmerung auf der andern" (GT 9 - K S A 1 , 6 8 ) , herausliest und damit einen prinzipiellen Nexus von Gerechtigkeit und Leid(en) konstruiert.

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Bedrohtes „Leben" und bedrohte

Religion

gericht" (ibd. - K S A 1, 287); was anders als die Geschichte - denn Nietzsche nennt sie nicht könnte in diesem Zusammenhang Gegenstand des Wahrheitsheitswillens und Inquirierter des Weltgerichtes s e i n ? 2 9 In Hegels Rechtsphilosophie

und in Schillers Gedicht Resignation^0,

auf

die Nietzsche anspielt, spricht die Geschichte selbst das Urteil über sich, w o g e g e n in der Historienschrift

eine scheinbar geschichtsexemte Instanz, die unerbittliche Wahrhaftigkeit, als Rich-

terin in Erscheinung tritt. Diese Wahrhaftigkeit wiederum ist bei Nietzsche einer kleinen, starken Minderheit vorbehalten, denn nur die Starken haben das Recht, die Geschichte zu be- und zu verurteilen. Der Blick in die Geschichte stärkt nur die schon Starken. In Schillers Resignation

ist die Wahrheit gleichfalls einigen wenigen vorbehalten. 3 1 Als Ein-

sicht in die Unsinnigkeit von Verzicht und Glauben anstelle gelebten Genusses wird diese Wahrheit in einem eschatologischen Nachher offenbar - jenseitige „Malitätsbonisierung" 3 2 findet dann wider Erwarten nicht statt, Kompensation für die erlittenen Entbehrungen gewährt die N e m e s i s nicht, denn der Glaube selbst „war dein z u g e w o g e n e s Glück". 3 3 Die „Resignation", die dem lyrischen Ich, das doch auch „in Arkadien geboren" w a r 3 4 , aus dem Ausbleiben einer Wiedergutmachung des Verpassten entsteht, ähnelt der Melancholie, in die sich der unerbittlich gerechte Geschichtsbetrachter bei Nietzsche hineinsteigert, wenn ihm die Nichtigkeit alles menschlichen Handelns bewusst wird. Die Gerechtigkeit zerreisst die Aura, die das wirkliche Antlitz der Dinge verhüllt, und sie „entwurzelt die Zukunft" ( U B II 7 - K S A 1, 295). 3 5 Overbeck

29 Zur „Weltgeschichte" als „Weltgericht" siehe die Hegel-Exzerpte unter den Vorarbeiten zur Historienschrift von 1873: KSA 7,660 f. (29 [72]), wo Nietzsche gegen Hartmann und Hegel den „Schluss" zieht: „jede Erzählung muss einen Zweck haben, also auch die Geschichte eines Volkes, die Geschichte der Welt. D. h. weil es .Weltgeschichte' giebt, muss auch im Weltprozess ein Zweck sein. D. h. wir fordern Erzählungen nur mit Zwecken: aber wir fordern gar keine Erzählungen vom Weltprozess, weil wir es für Schwindel halten, davon zu reden. Dass mein Leben keinen Zweck hat, ist schon aus der Zufälligkeit seines Entstehens klar; dass ich einen Zweck mir setzen kann, ist etwas anderes. Aber ein Staat hat keinen Zweck: sondern nur wir geben ihm diesen oder jenen." (7,661) 30 Friedrich von Schiller, Resignation [1784], in: Schillers sämmtliche Werke in zwölf Bänden [hrsg. von C. G. Körner], Bd. 1, Stuttgart/Tübingen 1837, S. 95-98, S. 98 und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staats Wissenschaft im Grundrisse [1821]. Mit Hegels eigenhändigen Notizen in seinem Handexemplar und den mündlichen Zusätzen. Hrsg. und eingeleitet von Helmut Reichelt, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1972, § 340, S. 295. Zu Nietzsches Notizen über Hegels Rechtsphilosophie in der Vorbereitungsphase zu seiner Historienschrift und zu seinen spärlichen Hegel-Kenntnissen „aus zweiter oder dritter Hand" vgl. Salaquarda, Studien, S. 20, bes. Anm. 49. 31 „Ein Götterkind, das sie mir W a h r h e i t nannten, / Die Meisten flohen, Wenige nur kannten, / Hielt meines Lebens raschen Zügel an." Schiller, Resignation, S. 96. Overbeck äussert sich einmal zu den stilistischen Parallelen bei Nietzsche und Schiller (EFN, 134 = ON 1,226). In seinen Anfängen der patristischen Litteratur (1882) zitiert er selbst an zentraler Stelle (S. 57) Schillers Pilgrim - „ad detrimentum christianismi" (so Pfeiffer, Franz Overbecks Kritik des Christentums, S. 76, Anm. 240). 32 Der Ausdruck stammt von Marquard und bezieht sich bei ihm auf die Kompensationsleistung, die von der Theodizee erbracht wird (ζ. B. Odo Marquard, Entlastungen. Theodizeemotive in der neuzeitlichen Philosophie, in: Ο. M., Apologie des Zufälligen. Philosophische Studien, Stuttgart 1986, S. 11-32, S. 13). 33 Schiller, Resignation, S. 98. 34 Schiller, Resignation, S. 95. 35 Die Zurückbindung des Wahrheitstrachtens der kritischen Historie angesichts des Lebens übergeht Bernhard Bueb, Nietzsches Kritik der praktischen Vernunft, Stuttgart 1970, S. 39, wenn er „dem theoretischen Wahrheitsbegriff der positiven Wissenschaften" Nietzsches „moralischen Wahrheitsbegriff' entgegengesetzt sieht.

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ist in seiner Antrittsvorlesung und später erst recht energisch entschlossen, diese Konsequenz der Historie zu ertragen. Demgegenüber werden die Objektivität der historiographischen Philister und die ihr unterschobene Verbindung mit der Gerechtigkeit qua Wahrheit bei Nietzsche ad absurdum geführt: „Jene naiven Historiker nennen ,Objectivität' das Messen vergangener Meinungen und Thaten an den Allerwelts-Meinungen des Augenblicks: hier finden sie den Kanon aller Wahrheiten" (ibd. - KSA 1, 289). Objektivität hält Nietzsche erkenntnistheoretisch sowieso für ein „Unding": „denn zwischen zwei absolut verschiedenen Sphären wie zwischen Subjekt und Objekt giebt es keine Causalität, keine Richtigkeit, keinen Ausdruck, sondern höchstens ein a e s t h e t i s c h e s Verhalten" (WL 1 - KSA 1, 884). Die Objektivität hingegen, die Nietzsche als Ideal proklamiert wissen will, besteht nicht in einer falschen, weil vermeintlichen Subjektlosigkeit, die sich die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit einfach noch nicht klargemacht hat. Eine „Genealogie der Historie" tut, wenn man Foucaults Umschreibung von Nietzsches Gesamtunternehmen als einem perspektivistischen folgen will 36 , demnach not. Gemeinhin werde, so Nietzsche, die Objektivität (offenbar in Anlehnung an das „interesselose Wohlgefallen" in Kants Kritik der Urteilskraft) als ein dem Historiker abzuverlangendes „Losgebundensein vom persönlichen Interesse" (UB II 7 - KSA 1, 290) umschrieben; „ein Aberglaube jedoch ist es, dass das Bild, welches die Dinge in einem solchermassen gestimmten Menschen zeigen, das empirische Wesen der Dinge wiedergebe" (ibd.). Wirklich ausschlaggebend bei dem in Analogie zur Kreation eines Kunstwerkes gedachten Geschichtsschreibungsprozesses sei die Eigeninitiative des Künstlers, seine schöpferische Umsetzung des (niemals rein) Vorgefundenen. Wenn der Mensch für Nietzsche zur poiesis verdammt sein sollte, dann kommt alles darauf an, eine hohe Kunst daraus zu machen. Ein „Compositionsmoment allerhöchster Art" sei mit im Spiel; und zwar „überspinnt der Mensch die Vergangenheit und bändigt sie, so äussert sich sein Kunsttrieb - nicht aber sein Wahrheits-, sein Gerechtigkeitstrieb. Objectivität und Gerechtigkeit haben nichts miteinander zu thun." (ibd.)

Dies erinnert stark an das kompositorische Wirken der Philologie nach Massgabe der Homervorlesung. In der Abkoppelung der Historie vom Massstab der Gerechtigkeit und der ontologischen Wahrheit wird der Sinn der ganzen Operation deutlich. Mit dem Argument, Geschichte (historia rerum gestarum) sei stets und in jedem Fall Konstruktion - vornehmlich die eines Individuums kann das Trachten nach „historischer Gerechtigkeit" und damit nach Wissenschaftlichkeit der Historie im herkömmlichen Sinn ausgebootet werden, ist sie doch lediglich als nachträgliche Rekonstruktion möglich.37 Den Nachweis, dass aller Geschichte, das heisst Geschichtserzählung Komposition vorausgesetzt ist - ganz gleich, ob sie dem Leben nützt oder schadet - , verwendet Nietzsche als Freipass für eine offen .tendenziöse' Geschichtsschreibung, für eine, die dem Leben zugute kommt. Dann ist keine fundamentale Differenz mehr zwischen einer herkömmlichen, ebenfalls konstruierten und interessegeleiteten Historie und derjenigen Nietzsches vor-

36 Siehe Michel Foucault, Nietzsche, die Genealogie, die Historie, in: M. F., Von der Subversion des Wissens, hrsg. von Walter Seitter, Frankfurt a. M. / Berlin / Wien 1978, S. 83-109, bes. S. 100ff. 37 Vgl. Martin Stingelin, Historie als .Versuch das Heraklitische Werden [...] in Zeichen abzukürzen'. Zeichen und Geschichte in Nietzsches Spätwerk, in: Nietzsche-Studien, Bd. 22 (1993), S. 28-41, S. 29 zu Nietzsches Einsicht, dass „jede Geschichtsschreibung ein spezifisch perspektivistischer Abkürzungsprozess in Zeichen" sei, und zwar einer „rhetorischer Natur".

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handen - es sei denn, die Differenz läge im Bewusstsein über den Konstruktionscharakter. Das Problem ist nicht die Übereinstimmung der Geschichtsbilder mit dem, was wirklich gewesen ist oder was die Gegenwart für richtig hält, sondern vielmehr die Funktion solcher Geschichtskonstrukte. Falls mit der gefälligen Formel nicht die fundamentalen Differenzen zu Kant unterschlagen werden, mag man mit Schnädelbach sagen, Nietzsches Historienschrift treibe „Geschichtsphilosophie

in praktischer

Absicht auf der Basis einer Metaphysik

des

Lebens"

Zur Veranschaulichung seiner These zieht Nietzsche Grillparzer, Ranke (den „berühmten historischen Virtuosen"; ibd. - KSA 1, 291), Goethe und Schiller heran. Er beruft sich damit bei letzterem, allen Affekten gegen Hegel zum Trotz, auf einen idealistischen Geschichtsbegriff, den Schiller in seiner Jenaer Antrittsrede Was heisst und zu welchem Ende studirt man Universalgeschichte? von 1789 entworfen hatte. Das Subjekt, das künstlerische Individuum, das bei Schiller ästhetisch umgedeutete transzendentale Ich' wird bei Nietzsche implizit als letzter Bezugspunkt angesetzt, welcher (zur Verhinderung eines infiniten Regresses?) nicht mehr weiter hinterfragt und schon gar nicht selbst einer .Genealogie' unterworfen wird. Nietzsche benötigt dieses künstlerische, sehr empirisch konzipierte Subjekt auf der einen Seite, um seinen elitären Vorstellungen von den grossen Menschen den gehörigen Nachdruck zu verleihen, auf der andern Seite aber auch, um die poetische Geschichtsschreibung abzustützen. Denn wie sollte eine solche noch möglich sein, wenn der Künstler selbst lediglich Erzeugnis einer zufälligen Konstellation, des wuchernden „Lebens", nicht mehr im eminenten Sinn Autor, auctor wäre? Dem Kunstwerk und dem Künstler eignet in dieser Welt, die sich doch sonst ihrer Kontingenz, ihrer Sinnlosigkeit bewusst ist, eine ganz und gar eigene, „überhistorische" Dignität. 39 Wie der namenlose Dichter der Ilias und der Odyssee in der Homervorlesung schafft der Künstler nicht aus sich heraus, sondern er setzt das ihm zufliessende Material produktiv um. Zwar werden sich Kunst und Künstler auf kontingente Entstehungsbedingungen reduzieren lassen, aber in ihnen regt sich der Wille, die Sinnlosigkeit umzudeuten, sich gegen sie zu erheben. Man könnte behaupten, in dieser Auflehnung liege der Ort, an dem dieses ästhetische und halbwegs transzendentale Subjekt sich generiere; ja, das Subjekt sei mit diesem Ort identisch. Sehr weit entfernt von Schopenhauer und seiner Willens Verleugnung, die ebendiese Auflehnung praktiziert, sind wir dann nicht mehr. Nur ist ein solcher willentlicher Antagonismus zum Leben mit der von Nietzsche beständig wiederholten Unterordnung unter das Leben und seine Zwecke schwerlich vereinbar, proklamierte er dann doch die Abkehr von der Sinnlosigkeit und Gefahr des Lebens. Der Hinweis auf Schiller muss zudem interessieren 40 , weil gerade in dessen berühmter Antrittsvorlesung die Historie auf jene Aufgabe eingeschworen wird, die Overbeck in der seinigen tunlichst verschweigt, nämlich den Menschen in moralisch-ästhetischer Hinsicht zu bilden (in

38 Schnädelbach, Geschichtsphilosophie nach Hegel, S. 87. 39 Vgl. die Schwierigkeiten, die Kaufmann, S. 170ff. bei der Integration des „überhistorischen Standpunktes" in Nietzsches Zweiter Unzeitgemässer konstatiert. Vgl. Overbeck: „Weil praehistorisch konnte das Evangelium unter Negation aller Geschichte oder unter Voraussetzung einer hyperhistorischen Welt bestehen, d.h. nur sehr kurze Zeit" (OWN 4,184). 40 In sehr enger Verbindung als Kulturkritiker, unzeitgemässe Betrachter und Bildungspropheten sieht Udo Gaede, Schiller und Nietzsche als Verkünder der tragischen Kultur, Berlin 1908 die beiden Denker und führt endlich den jüngeren schliesslich auf den älteren zurück (vgl. Richard Frank Krümmel, Friedrich Nietzsche und der deutsche Geist. Bd. 2: Ausbreitung und Wirkung des Nietzscheschen Werkes im deutschen Sprachraum vom Todesjahr bis zum Ende des Weltkrieges. Ein Schrifttums Verzeichnis der Jahre 1901-1918, Berlin 1983, S. 325f„ Nr. 736).

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derjenigen Overbecks muss das Moralische der religiösen Grundüberzeugung erwachsen). Bei Nietzsche ist die moralische Absicht von allem Anfang an präsent. Schiller zufolge kann nur wer philosophisch denkt, sich der Universalgeschichte mit Erfolg widmen, demnach nicht die „Brodgelehrten": „Wer hat über Reformatoren mehr geschrien, als der Haufe der Brodgelehrten? Wer hält den Fortgang nützlicher Revolutionen im Reich des Wissens mehr auf, als eben diese?" 41

Die allein zur Universalgeschichte Zugelassenen, die Philosophierenden, sind bei Schiller angehalten, ihre Urteile und Systeme dauernd zu überprüfen. Aber viel wichtiger ist im Hinblick auf Nietzsche, dass der Universalhistoriograph Schillerscher Prägung aus der unendlichen Masse der Fakta einige auswählt, und diese dann, mit Kant zu reden, „in weltbürgerlicher Absicht" zu jener Erzählung kompiliert, die stolz den Titel „Universalgeschichte" führt. Allerdings wird die Selektion der Daten bei Schiller nicht der blossen Beliebigkeit anheimgestellt: „Aus der ganzen Summe dieser Begebenheiten hebt der Universalhistoriker diejenigen heraus, welche auf die h e u t i g e Gestalt der Welt und den Zustand der jetzt lebenden Generation einen wesentlichen, unwidersprechlichen und leicht zu verfolgenden Einfluss gehabt haben." 42

Berufen dazu können wirklich nur Philosophen sein 4 3 , denn bei Schiller ist es selbstverständlich nicht opportun, den Geschichtsverlauf antiteleologisch zu deuten. Der Historie kommt philosophisch verstanden Theodizee-Charakter zu, sie muss zur moralischen Besserung aller Menschen beitragen (wiewohl sich Besserung und Revolution, trotz der Französischen, hauptsächlich noch im Kopf abspielen). Das Drängen nach der Adäquanz von Ereignissen und des über sie Berichteten, der res gestae und der historia rerum gestarum, kurz: das Drängen nach historischer Gerechtigkeit - um die z . B . Ranke besorgt gewesen sein mag - wird in seiner Lebenstauglichkeit von Nietzsche entschieden bestritten. Die Gerechtigkeit, der unerbittliche Wahrheitswille sei hybrid, könne keine fruchtbare, eben geschichtserschaffende Macht sein. Dagegen wäre es das Geschäft der kritischen Historie, nicht sine ira et studio zu urteilen, vielmehr zu verurteilen, und zwar vom unbezwingbaren Standpunkt des Lebens aus. Mit ihrer Verdammung würde die Vergangenheit gleichsam ins Nichts zurückgeworfen, indem diese kritische Historie den Anspruch der Vergangenheit auf die Gegenwart, ihren Anspruch darauf, Grundlage der Gegenwart oder gar einer

41 Friedrich von Schiller, Was heisst und zu welchem Ende studirt man Universalgeschichte? Eine akademische Antrittsrede [1789], in: Schillers sämmtliche Werke in zwölf Bänden [hrsg. von C. G. Körner], Bd. 10, Stuttgart / Tübingen 1838, S. 362-386, S. 364f. Nietzsche bekennt seinen eigenen, von Schiller getönten, revolutionären Impetus in einem Nachlassfragment aus der Entstehungszeit der Historienschrift: „Unter allen Umständen die R e v o l u t i o n : aber von der Klugheit und Menschlichkeit der nächsten Geschlechter hängt es ab, ob daraus die Barbarei oder etwas Anderes hervorgeht" (29 [207] KSA 7, S. 713). 42 Schiller, Was heisst und zu welchem Ende, S. 379f. 43 Vgl. Nietzsches Schilderung des Elends, in das die „Göttin Philosophie" geraten sei, die zum „Monolog des einsamen Spaziergängers" gerann (UB II 5 - KSA 1,282). Es sei am Rande vermerkt, dass Overbeck seine Christlichkeit im Rückblick (1903) nicht ohne Bitterkeit als einen „Monolog" charakterisiert, der „als solcher auch das Verständniss gefunden, auf welches dergleichen Lucubrationen in der Welt nun einmal allein Anspruch haben, nämlich nahezu keines" (ChT 2 , 160).

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(idealen) Zukunft zu sein, vehement bestreitet, sich aber zugleich der eigenen Ungerechtigkeit bewusst ist. „Es gehört sehr viel Kraft dazu, leben zu können und zu vergessen, in wie fern leben und ungerecht sein Eins ist." (UB II 4 - KSA 1,269) Die von der kritischen Historie geübte Negation der Vergangenheit macht im übrigen magische Anleihen, hat die Form einer Beschwörung 4 4 , ist es ihr am Ende doch verwehrt, die Vergangenheit ungeschehen zu machen. Höchstens ihr (Noch-)Seiend-Sein kann sie in Abrede stellen, ist Vergangenheit doch als Vergangenes nicht mehr, ist nicht. Sie ist - müsste man diese an Augustinus (Confessiones XI) geschulte Gedankenfigur 45 zu einem Schluss im Geist der kritischen Historie führen - somit ihrer Bedeutsamkeit für Gegenwart oder Zukunft verlustig gegangen, hat mit ihrer Nicht-mehr-Existenz ihr Eigentum an der Gegenwart verwirkt. Das Gedächtnis, auch das kollektive, passt sich in dem, was erinnert werden soll, den Lebensinteressen an, kann man mit Nietzsches berühmtem Aphorismus (JGB IV 68 - KSA 5, 86) sagen. 46 Gleich zu Beginn der Historienschrift wird die augustinische Zeittheorie evoziert: „der Augenblick, im Husch da, im Husch vorüber, vorher ein Nichts, nachher ein Nichts, kommt doch als Gespenst wieder und stört die Ruhe eines späteren Augenblicks" (UB II 1 - KSA 1, 248). 4 7 Die kritische Historie „ist ein Versuch, sich gleichsam a posteriori eine Vergangenheit zu geben, aus der man stammen möchte, im Gegensatz zu der, aus der man stammt - immer ein gefährlicher Versuch, weil es so schwer ist eine Grenze im Verneinen des Vergangenen zu finden, und weil die zweiten Naturen meistens schwächlicher als die ersten sind." (ibd. - KSA 1,270) Letztlich ist sie das (vergebliche) Streben, sein eigenes Herkommen zu verleugnen; „da wir nun einmal die Resultate früherer Geschlechter sind, sind wir auch die Resultate ihrer Verirrungen, Leidenschaften und Irrthümer, ja Verbrechen" (ibd.). Demnach können die kritischen Historiker am Ende ihrer eigenen Geschichte, ihrem eigenen Erzeugtsein nicht entrinnen - ebensowenig wie der Selbstkonstitution durch permanentes Opponieren. Diese Historiker sind stets angewiesen auf das Verworfene, obwohl sie versuchen, die Verbindung zu den verhassten Vergangenheiten zu kappen. Nicht genug, dass sie als Kinder der eigenen Vergangenheit sogar im Widerstand

44 Vgl. Kurt Anglet, Zur Phantasmagorie der Tradition. Nietzsches Philosophie zwischen Historismus und Beschwörung. Eine Studie auf der Grundlage der zweiten und dritten Unzeitgemässen Betrachtung, Würzburg 1989. Ferner Habermas, S. 363. 45 Nietzsche unterlegt diese Zeittheorie selber freilich Heraklit und findet sie bei Schopenhauer dargestellt, der von der Zeit sage, „dass in ihr jeder Augenblick nur ist, sofern er den vorhergehenden, seinen Vater, vertilgt hat, um selbst ebenso schnell wieder vertilgt zu werden, dass Vergangenheit und Zukunft so nichtig als irgend ein Traum sind, Gegenwart aber nur die ausdehnungs- und bestandlose Grenze zwischen beiden sei [...]. Dies ist eine Wahrheit von der höchsten unmittelbaren, jedermann zugänglichen Anschaulichkeit und eben darum begrifflich und vernünftig sehr schwer zu erreichen." (PtZG 5 - KSA 1,823f.) 46 Siehe dazu Arthur C. Danto, Analytische Philosophie der Geschichte, Frankfurt a. M. 1980, S. 61f. 47 Henning Ottmann, Philosophie und Politik bei Nietzsche, Berlin / New York 1987, S. 373 geht für den .späten' Nietzsche von einer Bekanntschaft mit Augustins Zeitspekulation im 11. Buch der Confessionen aus. Vgl. Nietzsches Brief an Overbeck vom 31. März 1885 (BNO, 292 - KSB 7,31) und das Kapitel zur ,,antichristliche[n] Wiederholung der Antike auf der Spitze der Modernität" bei Karl Löwith, Nietzsches Philosophie von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, Stuttgart 1956, S. 113-126. Zu Augustin bei Overbeck und Nietzsche vgl. ferner Charles Vergeer, Friedrich Nietzsche en Franz Overbeck III, in: Maatstaf. Maandblad voor letteren, Bd. 28, Heft 1, Januar 1980, S. 32-54, S. 48 und Andreas Urs Sommer, Augustin bei Franz Overbeck, in: Theologische Zeitschrift, Jg. 54 (1988) (im Druck).

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deren Kinder, deren „Resultate" bleiben. Nein, sie zwingen sich in ihrer Haltung ostentativen und rachsüchtigen Protestes nachgerade dazu, dauernd als Kinder des Verhassten fortzubestehen, weil sie sich durch die Verdammung selber auf dieses Verdammen als dem Wesentlichsten festlegen, weil sie von der einfachen Negativschablone, der Antithese, nicht zu einer überhistorischen Synthese sich erheben, kurz: weil sie das Vergessenwollen nicht vergessen können. Sie nehmen sich selbst gefangen in der .neurotischen' Fixierung auf das Gehasste und Verdammte. Diese Richter sind nicht nur Richter, sondern sind überhaupt nur, soweit sie richten, soweit sie sich ihrer Angeklagten versichern. Die Unfruchtbarkeit, die der unerbittlichen Gerechtigkeit anhaftet (die nach dem Motto agiert: „fiat Veritas pereat vita" - UB II 2 - KS A 1, 272), scheint ebenso das Schicksal einer kritischen Historie zu sein - da verbirgt sich der Schaden, den kritische Historie anrichten kann und den Nietzsche nicht nennt (im Gegensatz zur monumentalischen und antiquarischen Historie, deren Gefahren ausgiebig erörtert werden). Wenn die kritische Historie das Perhorreszierte vernichtet hat, ist sie ihrer Existenzgrundlage beraubt. Ob die kritische Historie in ihrer Gebundenheit an das Verurteilte dem Leben dann überhaupt dienen kann, bleibt zweifelhaft. (Ist die Genealogie der Moral ein Beispiel kritischer Historie?) Die objektivierende Geschichtsschreibung, wie sie etwa Overbeck vorschwebt, erfüllt demgegenüber ihre die Aufgabe ganz gut, sich vom Vergangenen nicht betreffen zu lassen, um sich Raum fürs Leben zu verschaffen - was damit zusammenhängen wird, dass sie ihren Untersuchungsgegenstand, ihre Grundlage nicht prinzipiell zu destruieren trachtet. Nietzsche ist es schliesslich weniger um lebensermöglichende Distanz als um poetische Aneignung des Gewesenen zu tun. Dies soll uns nun beschäftigen. Dass die Mittel, die Nietzsche in der zweiten Hälfte seiner Abhandlung verschreibt, um der historischen Krankheit Herr zu werden, weniger dazu geeignet sind, das Vergangene als Vergangenes in die Gegenwart treten zu lassen, als es vielmehr der „Assimilierung", einer Gleichschaltung mit dem Lebensdienlichen zu unterwerfen, ist ihm vielfach entgegnet worden.48 Derweilen kehrt ein anderer Strang der Forschung hervor, Nietzsche habe gerade jenes „tröstliche Spiel der Wiedererkennungen" „sprengen" 49 , die Differenz, die Ungleichartigkeit des Vergangenen mit dem Gegenwärtigen zutage fördern wollen. Insbesondere das Übermass an antiquarischer Historie führt ja laut Nietzsche dazu, dass alles Gewesene gleich hoch geschätzt, alles gleich gültig und gleichgültig wird.

48 Vgl. ζ. B. Häuptner, S. 45. Mit ähnlichen Worten stellt Emmelius, S. 46 für das historische Bewusstsein bei Nietzsche fest, es versage sich, „das Vergangene in seiner kantigen Besonderheit und Fremdheit zu bewahren", um es „dem gegenwärtigen Leben zu assimilieren", was deshalb hier ausdrücklich vermerkt ist, weil Emmelius ähnliche Tendenzen bei Overbeck wahrnimmt, bei beiden zudem eine Neigung zu eschatologischen Figuren bei der Beschreibung von Geschichte und endlich eine ähnliche Einschätzung der Folgen wissenschaftlicher Historie: „Die historisch-kritische Wissenschaft wird von Overbeck ebenso wie von Nietzsche als eine Betrachtungsweise beurteilt, die Vergangenheit und Gegenwart durch den Einblick in den Prozess des universellen Werdens schroff distanziert, als eine Betrachtungsweise, die das Fremdartige, das Menschlich-Allzumenschliche, das Ab- und Ausgelebtsein ihres Gegenstandes durchschaut und das betrachtende Subjekt der Problematik des Relativismus und Skeptizismus preisgibt. Eine Erscheinung der Vergangenheit, wissenschaftlich betrachtet, gibt der Gegenwart weder Kraft zum Leben noch Gewissheit zum Glauben." (a. a. O., S. 49). 49 Foucault, S. 97.

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Letzteres gilt, wie oben angedeutet, für Nietzsches argumentative Stossrichtung gegen den saturierten (Post-)Hegelianismus und gegen die philiströse Unbewusstseins- und Weltprozessteleologie Eduard von Hartmanns - welche Nietzsche „zur Illustration des Zynismus" gebraucht, „den er als einen verfehlten Ausweg aus der Verzweiflung des Epigonenbewusstseins auffasst". 50 Inwiefern Nietzsches poetische Historie selber wieder in Gleichmacherei, in forcierte Aufhebung der Entfremdung zwischen Gegenwart und Vergangenem zurückfällt, anstatt die historistische Krise zu überwinden, ist offen. Zwischen dem Vergangenen und dem Gegenwärtigen gähnt auf jeden Fall ein Abgrund, da das Vergangene immer nur in der Erinnerung und durch sie entfremdet gegeben ist. Mit seiner neuen Auffassung des Objektivitätsideals, das die nackte Empirie bei weitem übersteigt, schwebt Nietzsche eine Geschichtsschreibung vor, der es gelänge, das Vorgefundene „zum umfassenden Symbol zu steigern und so in dem Original-Thema eine ganze Welt von Tiefsinn, Macht und Schönheit ahnen zu lassen" (UB II 6 - KS A 1,292). Historie als Kunst verstanden verfiele nicht darauf, im Anblick der übermächtigen oder entmachteten Vergangenheit Ironie, Zynismus und Epigonenbewusstsein wachzurufen, sondern er- und überhöhte das Erinnerte zu einem Kunstwerk, dem, weil es nicht anders denn als Kunstwerk zu würdigen wäre, die Wahrheitsfrage nichts mehr anhaben könnte. Von Nietzsches Warte aus verschwindet die Frage nach der Wahrheit im Nebel, der über dem Tiefland des Faktischen hängt. Wenn der Mensch schon ein Wesen ist, das aus der Gefangenschaft seines Gedächtnisses nur in den seltensten, schöpferischen, eben un- oder überhistorischen Augenblicken ausbricht, dann soll es zumindest erlaubt sein, das Erinnerte so umzufälschen, dass dieses Fälschen die Eigenart schöpferischen, künstlerischen Tuns gewinnt, selber wiederum überhistorisches Tun wird. Selbstredend ist jedes Erinnern auch (Ver-)Fälschung des Vergangenen. Das Wahrheitsproblem ist für Nietzsche in dieser Schaffensperiode ohnehin einigermassen geklärt, wofern Wahrheit auf willkürlicher Setzung, auf sprachlicher Konvention basiert, aber der Wirklichkeit der Dinge nicht entspricht, über die wir schlechterdings nichts aussagen können (mögen wir auch noch so tief in den Abgrund des Tatsächlichen geblickt haben). 51 Wie es bei einer solchen, Kants Erkenntniskritik verschärfenden, weil auf die sprachliche Bedingheit der Erkenntnis rekurrierenden Konzeption mit der Selbstanwendung ausschaut, kann hier nicht untersucht werden; ich weise lediglich darauf hin, dass Nietzsche in Wahrheit und Lüge ja höchstselbst mit dem Mittel der Sprache Wahrheit zu behändigen sucht, gleichzeitig jedoch einen aussersprachlichen, ja ausserweltlichen Standpunkt 52 (vgl. WL 1 - KSA 1, 875!) suggeriert, von dem aus er nach der Wahrheit des über Wahrheit Ausgesagten forscht. Auf der andern Seite wusste Nietzsche in der Geburt der Tragödie nur allzuviel von der unerträglichen Schrecklichkeit der Wahrheit (nun nicht mehr als Aussagewahrheit, sondern als ontologische gefasst) - eine Schrecklichkeit, die in der Kunst, in der Tragödie und in der Oper Richard Wagners über- oder verwunden würde. Die Tragödienschrift ist, von der Historienschrift aus beurteilt, sowieso nur ein Versuch lebensdienlicher Historiographie, der keinen Allgemeingültigkeitsanspruch erheben darf, weil ja die Auswahl der geschichtlichen Data immer beliebig und subjektiv sein muss. Seine besondere Dignität erhält dieser Versuch wahrscheinlich durch 50 Salaquarda, Studien, S. 41. 51 Siehe Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne von 1873. 52 In der Diatribe gegen Hartmann schwingt sich Nietzsche bei der für ihn sinnlosen Frage nach dem Zweck des Menschengeschlechts wiederum zu einer solchen extraterrestrischen Warte auf, um die Zweckfrage als „Vermessenheit des kleinen Menschengewürms" in barockisierenden Worten der Lächerlichkeit preiszugeben (UB II 9 - KSA 1,319).

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die Nähe zum Leiden, das diese Historie im Historietreibenden wieder wachruft - diese Nähe zum Leiden wäre dann eine Nähe zum Leben. Die künstlerische Bewältigung des Gewesenen, die Nietzsche als Quintessenz aus seinem Nachweis der Lebensfeindlichkeit bisheriger Historie deduziert, nährt den Verdacht, diese Historie sei der Wahrheit, die zu verdrängen und umzudeuten ist, nur allzu nahe gekommen. Denn indem sie die Weltgeschichte als eine Ansammlung sinnloser und vergeblicher Bemühungen vor sich sieht, demaskiert sie die Nichtigkeit alles menschlichen Handelns, blickt sie wie der tragische „Hellene" „in das furchtbare Vernichtungstreiben der sogenannten Weltgeschichte" (GT 7 KSA 1, 56). Die Geschehnisse werden von der traditionellen Historie, soweit sie nicht teleologisch-progressivistisch denkt oder positivistisch Fakten sammelt, als gleich sinnlos erfahren wie Nietzsche das Leben erfährt.53 Der Unterschied läge dann nur in den Konsequenzen: Während diese Historie durch ihre Einsicht das Handeln paralysiert, muss man sich Nietzsche gemäss in Illusionen, in Kunst und Religion flüchten dürfen, in denen eben das wahre Leben läge - das ein Leben gegen den Zwang des Faktischen und der entsetzlichen Wahrheit ist. Leben in diesem Sinn zu ermöglichen, trachtet die poetische Historie 54 - und ist derweilen selber auf die volle Blüte dieses Lebens angewiesen, denn ,,[n]ur aus der h ö c h s t e n Kraft der G e g e n w a r t dürft ihr das V e r g a n g e n e d e u t e n " (UB II 6 - K S A l,293f.). 5 5 Der biologistische Lebensbegriff, der gleich zu Beginn des Traktats mit dem Vergleich Mensch-Tier evoziert worden ist, impliziert auf den ersten Blick blosses, auf irgendeine Weise vegetatives oder animalisches Dasein. Weiter beinhaltet er möglicherweise die Dimension des Kampfes, soweit er, nach Spencer oder Darwin, einer ums Dasein ist - nicht jedoch die eines Kampfes, der sich gegen die nackte und abweisende Faktizität eine Ethik des Widerstandes aufs

53 „In diesem Sinne hat der dionysische Mensch Ähnlichkeiten mit Hamlet: beide haben einmal einen wahren Blick in das Wesen der Dinge gethan, sie haben e r k a n n t , und es ekelt sie zu handeln; denn ihre Handlung kann nichts am ewigen Wesen der Dinge ändern [...]. Die Erkenntnis tödtet das Handeln, zum Handeln gehört das Umschleiertsein durch die Illusion - das ist die Hamletlehre" (GT 7 - KSA 1, 56f.). So gesehen, ist es Nietzsche in der Zweiten JJnzeitgemässen herzlich wenig um den dionysischen Menschen zu tun. Er will ja gerade das Handeln provozieren - Illusion hin oder her - und dabei kann ihm die lähmende Wirkung des Dionysischen nicht mehr genehm sein. Der zur Geburt der Tragödie gewonnene Abstand kann hieran ermessen werden. 54 Poetische oder symbolische Historie scheint mir der angemessenere Terminus zu sein als der einer „metaphorisch operierende[n] Erkenntnis", den White, Metahistory, S. 453 benutzt, um sie abzugrenzen gegen die von ihm eingeführten andern drei „Grundformen der historischen Erkenntnis auf der Basis der präfigurierenden (tropologischen) Strategie, der sie jeweils entspringen" (a. a. O., S. 11), der Synekdoche, der Metonymie und der Ironie. Der Ausdruck Metapher unterstellt, dass eine Hierarchisierung von Bedeutungen, eine feste Bindung von Signifikant und Signifikat wegfällt, was Nietzsche an der Stelle, wo er vom „umfassenden Symbol" spricht (UB II 6 - KSA 1, 292) offenbar gerade nicht meint (obwohl in Wahrheit und Lüge das von White Gesagte - der sich indes mit der Historienschrift beschäftigt bestimmt intendiert ist). 55 Das ceterum censeo der Zweiten Unzeitgemässen, vgl. ζ. Β. II 5: „ D i e G e s c h i c h t e w i r d n u r v o n s t a r k e n P e r s ö n l i c h k e i t e n e r t r a g e n , d i e s c h w a c h e n l ö s c h t s i e v o l l e n d s a u s " (KSA 1, 283). Dass vor allem gemeinsame aristokratische Neigungen Nietzsche und Overbeck verbunden hätten, behauptet ihr zeitweiliger Basler Professorenkollege, der Philosoph Hermann Siebeck (1842-1920) in seinen Lebenserinnerungen (Siebeck, Handschriftliche Memoiren. Exzerpte von Felix Staehelin, in: Nachlass Felix Staehelin auf der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Basel, VII, 8b, bb siehe die Transkription im Anhang).

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Panier schreibt und nach (poetischer) Überwindung dürstet. Diese Kunst mag der (nicht: die!) Natur nachahmen, aber indem sie sich am Ende gegen die Natur wendet, indem sie deren Bedrohlichkeit zu vergessen befiehlt, begibt sich die Kunst zur Natur (und zu sich selbst, das heisst zu ihren eigenen Bedingungen?) in Widerspruch. Overbeck, bei allem Bewusstsein über die von der geschichtlichen Betrachtung eines Gegenstandes hervorgerufene tiefgreifende Entfremdung von ebendiesem Gegenstand, hält sich demgegenüber bedeckt, wenn die Historie gänzlich neu, künstlerisch aufgefasst werden soll. Er ist im Unterschied zu Nietzsche bereit, die letzten, vielleicht nihilistischen Konsequenzen aus einer nicht mehr metaphysisch untermauerten oder überbauten Historie zu ziehen. Dieser Verzicht auf parareligiöse Sinnsurrogate und auf die petitio principii notwendiger Lebensdienlichkeit rückt ihn in die Nähe Burckhardts. 56 Nachzutragen bleibt der stark projektive, in die Zukunft ausschwärmende Zug des Nietzscheschen Bildungs- und Geschichtsschreibungsprogrammes (vgl. ZB!). Die Gestaltung einer besseren Zukunft steht an, während das Modell des Kreises, der ewigen Wiederkunft nur einmal als kuriose Meinung aus der Schule der Pythagoreer Opfer einer wegwerfenden Bemerkung wird (UB II 2 - KSA 1, 261). Als ,,radikale[r] Apostat" 5 7 aus dem tendenziell linearen Denken der christlichen Geschichtstheologie und der klassischen Geschichtsphilosophie hat sich Nietzsche hier also noch nicht zu erkennen gegeben. Wie über grosse Teile der geschichtsphilosophischen Tradition kann man über den .frühen' Nietzsche sagen: „Das Fragen nach der Zukunft führt zu einer Kritik der Gegenwart und zum Aufsuchen ihrer lebendigen Kräfte über die Gegenwart hinaus." 5 8 Die „Gesellschaft der Hoffenden" (UB II 10 - KSA 1, 332) 5 9 , zu der sich neben Nietzsche Erwin Rohde, Carl von Gersdorff, Heinrich Romundt und mithin Overbeck gezählt haben mochten, bezog ihre Motivation aus einem unbeackerten, unbearbeiteten und unerledigten NochNicht, das als eschatologisch aufgeladene Utopie die Zukunftsphilologen und -philosophen beflügelte. 60 Die Historie verwandelt sich, im Gefolge der „divinatorischen Kritik" Friedrich Schlegels, zu einer divinatorischen Historie 6 1 , die nämlich den „Spruch der Vergangenheit" als einen

56 Allerdings soll das persönliche Verhältnis zwischen Burckhardt und Overbeck nicht besonders freundschaftlich gewesen sein, weswegen Richard Oehler, Nietzsche und Jakob Burckhardt, in: Der Neue Weg, Jg. 1, Nr. 2, (6. Februar 1909), S. 49-56 Overbeck sogar die Schuld für die .Entfremdung' zwischen Nietzsche und Burckhardt zuschiebt. Derweilen prognostiziert Otto Markwart, Jacob Burckhardt. Persönlichkeit und Jugendjahre, Basel 1920, S. 215f., Burckhardt wäre, hätte er sich der historischen Theologie zugewandt, ähnlich an die Peripherie der theologischen Zunft manövriert worden wie Overbeck es später wurde. Overbecks Äusserungen zur Beziehung Burckhardt-Nietzsche in EFN, 228-231 = ON II, 114-117. 57 Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1953, S. 205 zu Nietzsches späterer Wiederkunftslehre. Vgl. Löwith, Nietzsches Philosophie, passim. 58 Karl Brose, Geschichtsphilosphische Strukturen im Werk Nietzsches, Bern / Frankfurt a. M. 1973, S. 22. 59 Der Ausdruck kehrt wieder in Nietzsches Brief an Carl von Gersdorff am 26. Dezember 1873 (KSB 4, 185), in dem auch die Drucklegung der Zweiten unzeitgemässen Betrachtung erwähnt wird. 60 Zur „Gesellschaft der Hoffenden" und zu ihrem Zukunftsenthusiasmus siehe Karl Pestalozzi, Overbecks „Schriftchen" „Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie" und Nietzsches „Erste unzeitgemässe Betrachtung: David Strauss. Der Bekenner und Schriftsteller", in: Brändle / Stegemann (Hrsg.), S. 9 1 107, S. 93 ff. 61 Nietzsche dürfte das einschlägige Athenäums-Fragment nicht unbekannt gewesen sein: „Der Historiker ist ein rückwärts gekehrter Prophet." (Friedrich Schlegel, Schriften zur Literatur, hrsg. von Wolfdietrich Rasch, München 1972, S. 33.)

Religion und

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Christentum

„Orakelspruch" auslegt; eine Auslegearbeit, zu der j e d o c h allein die „Baumeister der Zukunft" und die „Wissende[n] der Gegenwart" ( U B II 6 - K S A 1, 2 9 4 ) befugt sind. 6 2 Selffulfilling prophecy oder vaticinium

ex eventu,

ganz nach Belieben. B e i Overbeck bleibt freilich der Blick in

die Zukunft und die Erwartung einer Wiederentdeckung des Unhistorischen mit Hilfe oder unter Ausschaltung der Historie 1873 e b e n s o skeptisch gefärbt w i e in der Antrittsrede von 1870 w e s w e g e n er später, von N i e t z s c h e s „Bekehrung z u m Mysterium" (Bernoulli in O N I, 3 2 3 ) , der Wiederkunftslehre ausgehend, dessen „Optimismus" als den „eines Desperado" ( E F N , 2 1 7 - O N I, 3 2 5 ) bezeichnet und moniert, N i e t z s c h e sei „genau s o w e i t g e k o m m e n , w i e die moderne Theologie mit ihrer A p o l o g i e des Christentums, nämlich den B e w e i s für ihre Theorie im strengsten Sinne nur v o n d e r Z u k u n f t z u e r w a r t e n , da man ihn mit seiner e i g e n e n Gegenwart nicht liefern kann" ( E F N , 2 1 8 - O N I 3 2 6 ) . Overbeck stellt die Eschatologie als W e s e n s z u g des ursprünglichen, unhistorisch empfindenden Christentums hin. Über die Bewertung der Eschatologie und ein m ö g l i c h e s eschatologisches Selbst-(und Sendungs-)Bewusstsein bei N i e t z s c h e und Overbeck wird noch zu reden sein. Overbeck verbindet jedenfalls kaum persönlich-soteriolog i s c h e Ambitionen mit der Zukunft und den letzten D i n g e n . Z u m Metaphysiker ist er niemals, auch nicht ex negative

geworden.

2.2 Religion und Christentum Soll bei Nietzsche die Religion d e m Zugriff der Historie entgehen, und falls ja, in w e l c h e m M a s s e ? K o m m t sogar das Christentum in den Genuss einer solchen A u s n a h m e g e n e h m i g u n g ? 6 3 Ähnlich der Kunst stellt das R e l i g i ö s e eine Kraft dar, die der Zersetzung durch den historischen, 62 Overbeck kritisiert um die Jahrhundertwende den zukunftserobernden Gestus der Theologie Hamackscher Färbung und meint, „dass die Geschichte in der Zukunft nichts zu suchen hat". „Geschichte u. Zukunft", Ziffer 1, S. 1, in: NLO, A 224, vgl. auch „Geschichtsphilosophie (Allgemeines)", Ziffer 5, S. 3f., ibd. (jeweils vollständige Transkription im Anhang). 63 Lehrreich ist, wie Barth Nietzsches „Unhistorisches" bei der Exegese von Römer 4, 17b-25 eschatologisch ausbeutet (Karl Barth, Römerbrief 1922, S. 116-124). Vgl. Nikiaus Peter, Karl Barth als Leser und Interpret Nietzsches, in: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte, Jg. 1 (1994), S. 251-264, v. a. S. 258-261. Man könnte noch an das erinnern, was Overbeck zur Einverleibung Nietzsches in die Theologie bereits um die Jahrhundertwende scharfzüngig notiert hatte: „Von Kaftan höre ich, er sei jetzt so weit mit Nietzsche, dass er ihn für einen der besten Erzieher zur Theologie erklärt. Ein Beweis jedenfalls dafür, was für ein Erztheologe Kaftan ist. Denn für das Parasitenwesen der Theologie ist sein Urtheil allerdings characteristisch. So hat es die Theologie stets gemacht und sich weiter geholfen, indem sie sich an das ihr Fremdartige heranwarf und davon lebte, so insbesondere an die Wissenschaft. An der hat sie überhaupt ihre Parasitentalente entwickelt, und immer bewiesen, dass sie auch mit dem decidirtest Irreligiösen auskommt. Wählerisch darf ja der Parasit nicht sein, er muss verzehren, was ihm vorgesetzt wird, es kommt ihm nur auf den gedeckten Tisch an. [...] Die Kirche hat aber auch hier ihren guten Magen, sie hat schon manches vertragen und mag in dieser Hinsicht wohl nicht so bald dazu gebracht werden, an sich zu verzweifeln, eben sowenig wie der Teufel in der Noth'. Mit einer Speise wie Nietzsche mag sie denn auch nach wie vor nach nichts weiter fragen als nach ihrer allgemeinen Beliebtheit. [...] .Herrschen - und nicht mehr Knecht eines Gottes sein: - dies Mittel blieb zurück, die Menschen zu veredlen' - dieses Wort Nietzsches ([...]) sollte billigerweise allen Theologen den Geschmack an Nietzsche verderben, zumal den .modernen', welche Religion und Christenthum mit Vorliebe unter dem Gesichtspunkt des Machtmittels, des Mittels zur Weltherrschaft betrachten und schätzen (allerdings im schroffsten Widerspruch zu dem innersten Geist des Christenthums)". „Nietzsche (Theologen über ihn)", S. 3 - 5 , in: NLO, A 232; geglättet in: EFN, 224f. = ON 1,219.

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den objektivierend wissenschaftlichen Verstand entzogen werden soll, um als Überhistorisches oder Unhistorisches das Leben und die Zukunft erst richtig lebenswert zu machen. Unter den Aufzeichnungen, die im Kontext der Zweiten Unzeitgemässen entstanden sind, erläutert eine recht ausführlich, wie es Nietzsche mit Religion im allgemeinen und mit dem Christentum im besonderen zu halten gedenkt: „Zur R e l i g i o n . Ich bemerke eine Erschöpfung, man ist an den bedeutenden Symbolen ermüdet. Alle Möglichkeiten des christlichen Lebens, die ernstesten und lässigsten, die harmlosesten und die reflektirtesten, sind durchprobirt, es ist Zeit zur Nachahmung oder zu etwas Anderem. Selbst der Spott, der Cynismus, die Feindschaft ist abgespielt - man sieht eine Eisfläche bei erwärmtem Wetter, überall das Eis schmutzig, zerrissen, ohne Glanz, mit Wasserpfützen, gefährlich. Da scheint mir nur eine rücksichtsvolle ganz und gar ziemliche Enthaltung am Platze: ich ehre durch sie die Religion, ob es schon eine sterbende ist. Mildern und beruhigen ist alles, nur gegen die schlechten gedankenlosen Köche, zumal wenn es Gelehrte sind, muss protestirt werden. - Das Christenthum ist ganz der kritischen Historie preiszugeben." (29 [203] - KS A 7,711) Nietzsche gebietet zunächst Zurückhaltung im kritischen Umgang mit der Religion, als ob diese Zurückhaltung Ausdruck gebührenden Respektes angesichts einer Sterbenden wäre. Dass die Religion, wenigstens in ihrer herkömmlichen Gestalt, mit all ihren „Möglichkeiten" bereits auf-, aus- und abgetreten ist, sie sich künftig nicht mehr auf neuartige Weise entfalten dürfte (vgl. GT 18 - KSA 1,117), provoziert ihre Irrelevanterklärung und fordert zu einem nicht einmal ironisch gefärbten silentium obsequiosum heraus (gar abgefeimte Religionsfeindschaft ist verdorrt!). Allerdings ist Religion nicht etwa - in einem idealistischen Sinn z . B . - obsolet geworden, weil der Geist sich nun in einer reineren Form zu erkennen gäbe, er der Akkommodation nicht mehr bedürfte, und der Mythos überflüssig geworden wäre - weil alle einstigen Bewohner der Höhle sich nunmehr am lauteren Licht der Sonne delektierten. Im Gegenteil: Das Eis auf den Gewässern, das sie begehbar erhalten hatte, schmilzt, ohne dass bereits eine Brücke errichtet oder eine Furt gebahnt wäre. Und die Eisschmelze gefährdet nicht allein die, welche sich trotz ihres Selbsterhaltungsinstinktes und ihres Menschenverstandes - die aufzuopfern ihnen leichtgefallen zu sein scheint - auf die Tragfähigkeit der berstenden Schollen verliessen. Ebenso sind die am Ufer Zurückgebliebenen der Gefahr ausgesetzt, jetzt erst der furchtbaren Abgründe ansichtig zu werden, deren Existenz unter der kompakten Eisschicht sie kaum erahnt haben. 64 An Schiffen, mit denen das Wasser befahren werden könnte, herrscht 64 Die Vergleichsstelle in der Geburt der Tragödie'. „Das ist ja das Merkmal jenes .Bruches', von dem Jedermann als von dem Urleiden der modernen Cultur zu reden pflegt, dass der theoretische Mensch vor seinen Konsequenzen erschrickt und unbefriedigt es nicht mehr wagt sich dem furchtbaren Eisstrome des Daseins anzuvertrauen: ängstlich läuft er am Ufer auf und ab." (GT 18 - KSA 1, 119) In der Dritten Unzeitgemässen über Schopenhauer wird die Metapher anders gewendet: „Die Gewässer der Religion fluthen ab und lassen Sümpfe oder Weiher zurück." (UB III 4 - KSA 1, 366) Dies mündet in die düstere Diagnose: „Niemals war die Welt mehr Welt, nie ärmer an Liebe und Güte. [...] Alles dient der kommenden Barbarei, die jetzige Kunst und Wissenschaft mit einbegriffen." (ibd.) Das Verdikt „Niemals war die Welt mehr Welt" als das härtest mögliche verleugnet sein asketisch-christliches Herkommen nicht. Die herakliteische Flussmetapher taucht ζ. B. im Zarathustra wieder auf: Gewisse Leute sind da der Meinung, dass über dem Flusse „Alles fest" sei, „alle die Werthe der Dinge, die Brücken" (Z III: Von alten und neuen Tafeln 8 - KSA 4, 252). Wenn dann der Winter den Fluss gefrieren Hesse, meinen die parmenideisch Inspirierten, alles stünde still: „dagegen aber predigt der Thauwind [...], ein Stier, [...] der mit zornigen Hömem Eis bricht! Eis aber - bricht Stege!" (ibd.) „Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!' - Also predigt mir, oh meine Brüder, durch alle Gassen!" (ibd.)

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akuter Mangel. So kann Nietzsche nur die „Enthaltung", das Sich-Begnügen mit dem Festland (sozusagen die Antizipation des „Bleibet der Erde treu!") empfehlen und sich des Gefühls kaum erwehren, in religiösen Belangen blosser Epigone zu sein, wenn er gewärtigt, dass die Religion all ihre Potenzen bereits ausgeschöpft hat. Das Epigonenbewusstsein ist jedoch genau eine der Tendenzen des Zeitalters, gegen die die Historienschrift gerichtet ist. Die „bedeutenden Symbole", die die Religion zur Vorbeugung und Bewältigung möglicher Orientierungskrisen hervorgebracht hat, sind ausgelaugt und ausgeleiert. Dahinter verbirgt sich ein Säkularisationstheorem: Nachdem die Valenz der religiösen Symbole, ihr Vermögen, „ d a s C h a o s zu o r g a n i s i r e n " (UB II 10 - KSA 1,333) gebrochen ist, fällt - so hat es den Anschein - der poetischen Historie, allgemeiner: der Bildung und der Kunst, diese Aufgabe zu. 65 Historie hat vergangene Ereignisse symbolisch zu verdichten, hat aus der Masse des Gewesenen (zum Gebrauch der Gegenwart) die Leitfossilien herauszupräparieren. Obwohl sich Nietzsche in der Historienschrift (und mehr noch in der Geburt der Tragödie) doch auf das Meer hinausgewagt hat, auf dessen Oberfläche das Eis der Religion schmilzt, langt er schliesslich mit seiner Historie an wenig elysischen Gestaden an: „der schlechteste Nothhafen ist besser als wieder in die hoffnungslose skeptische Unendlichkeit zurückzutaumeln" (UB II 10 - KSA 1, 324). Dies darf als Eingeständnis eines Zweifels am eigenen historiographischen Ideal verstanden werden. Überdies lehrt es, den Notlösungen mit Misstrauen zu begegnen. Im ersten Abschnitt des Fragments war das Christentum anscheinend unterschiedslos in dem Inbegriffen, was mit Religion bezeichnet wurde - es wird explizit das „christlichef.] Leben" thematisiert, dessen Aussichten trübe seien. Am Ende der Aufzeichnung hingegen, in deren Mitte doch skeptische epoche, Urteilsenthaltung im Blick auf die Religion stand, wird das Christentum der kritischen Historie und ihrem unnachsichtigen Gericht überantwortet - denkt Nietzsche an Overbeck als Ankläger, Richter und Vollstrecker des Urteils ? 6 6 Um die Misshelligkeit zwischen Religion, gerade christlichem Leben - von dem (über das?) geschwiegen werden soll - und einer notwendigen historisch-kritischen Destruktion des „Christenthums" (in seiner institutionalisierten, kirchlichen Form 6 7 ) zu schlichten, gehe ich auf die autorisierten' Äusserungen über Religion und Christentum in der Zweiten Unzeitgemässen ein. 68

65 Vgl. demgegenüber Overbeck in seinem „Kirchenlexicon" unter „Philosophie (Allgemeines)", Ziffer 2 & 3, S. 1 f., in: NLO, A 234 (vollständige Transkription im Anhang). 66 Bernoulli, der eine Anlehnung von Nietzsches Zweiter Unzeitgemässer an Overbecks Christlichkeit „höchstens" dort erkennen will, wo „von dem allgemein beliebten Popularisiren der Wissenschaft" gehandelt wird, meint, „gewiss [entsprang] dem Umgang mit Overbeck die scharf umrissene Silhouette vom Begriff der .kritischen Historie'" (ON I, 131). Edgar Salin, Vom deutschen Verhängnis. Gespräch an der Zeitenwende: Burckhardt - Nietzsche, Hamburg 1959, S. 86 erweitert diese Beobachtung durch die Konjektur, als Repräsentant der antiquarischen Historie habe Nietzsche möglicherweise Burckhardt „vorgeschwebt"! Also könnte man, mit sanfter Gewalt, folgendes Schema aufstellen: Nietzsche ist, in seiner .frühen Frühphase' (GT) der Repräsentant monumentalischer, Overbeck derjenige kritischer und Burckhardt endlich derjenige antiquarischer Historie. 67 Zu Nietzsches Identifikation von Christentum und Kirche versus christliches Leben ohne Christentum vgl. Martin Heidegger, Nietzsches Wort „Gott ist tot", in: Μ. H., Holzwege [1943], Frankfurt a. M. 7 1994, S. 209-267, S. 219f. (im Erstdruck: S. 203). 68 Diese in ihrer Ähnlichkeit mit Overbecks Christlichkeit kaum hinreichend gewürdigten Gedankengänge Nietzsches haben J. Talayrach, Un ami de Nietzsche: Franz Overbeck, in: Revue Germanique, Jg. 4 (1908), S. 1-14, S. 12 sogar zur Auffassung gebracht, man könnte von der Historienschrift als „paraphrase lyrique de l'ouvrage de son ami" sprechen.

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Gegen die historistische „Convention und Maskerade" bietet Nietzsche im 5. Kapitel „als wahre Helferinnen, Kunst und Religion" auf, „um gemeinsam eine Cultur anzupflanzen, die wahren Bedürfnissen entspricht" (UB II 5 - KS A 1,281). 69 Mit einer solchen Forderung begibt sich Nietzsche scheinbar in Widerspruch zu eigenen früheren Äusserungen (vgl. 1.1) und zu Overbeck, welcher in seiner Christlichkeit gelehrt hatte, dass die Religion, zumindest die christliche, allein aus ihrem ursprünglichen Gegensatz zur Kultur zu begreifen sei und sich proportional zu ihrer Inkulturation' die Minderung des anfänglichen Gehaltes Bahn breche.70 Ohne Religion (und man mag dabei auf die Religion als eine der drei Geschichtsmächte in Burckhardts Weltgeschichtlichen Betrachtungen rekurrieren 71 ) könne sich echte Kultur nicht generieren 72 . Bei der zitierten Wendung drängt sich sofort die Frage auf, welche „Bedürfnisse" denn die „wahren", welche „wahren Bedürfnisse" die des Lebens seien - zumal die „jetzige allgemeine Bildung!.] nur lehrt, sich über diese Bedürfnisse zu belügen" (ibd.). Nietzsche verlässt ohne weitere Explikationen die Gefilde der Religion gleich wieder, um sich erst nach fünfzehn Seiten wieder dorthin zu verfügen. Da setzt nun die historische Gerechtigkeit der Religion arg zu: sobald sie in abstraktes Wissen umgewandelt werde, sobald sie sich historischen Wahrhaftigkeitskriterien füge, löse sie sich auf. Denn die von der Historie aufgerechneten Fakten decken „so viel Falsches, Rohes, Unmenschliches, Absurdes, Gewaltsames" auf, dass die „pietätvolle Illusions-Stimmung" (UB II 7 - KSA 1, 296) dem verstocktesten Frömmler ausgetrieben wird. An dieser verhängnisvollen Desillusionierung der Religion veranschaulicht Nietzsche den Gegensatz der Wissenschaft zur Kunst, die die Illusionen schürt und zementiert. Dem Falschen und Absurden, der Religion dürfe die Maske nicht vom Gesicht gerissen werden, weil sie das Mittel sei, durch das erst Leben möglich werde das Überhistorische sei zwar unwahr, aber unabdingbar 73 Nietzsche begibt sich in Widerspruch zum poetischen Weltverklärungsprogramm, wenn er seine Augen auf die Missstände heftet, sich dem Zwang zur Wahrhaftigkeit nicht entziehen kann - wenn er um die Illusionalität der Illusion weiss. Ob sich das Bedingtsein des Wahren durch das Unwahre auf die Argumentationsfigur der

69 Hillebrand, S. 323 bezweifelt von seinem liberalen Standpunkt aus die Wichtigkeit einer einheitsstiftenden Religion für die Regeneration der deutschen Kultur. Ich sehe nicht, dass Hillebrand bereits ein antichristliches Grundmoment in Nietzsches Historienkonzeption diagnostiziert hätte, wie Schlechta, Nietzsches Verhältnis, S. 58 suggeriert. Vielmehr ist bei diesem vom „nationalen und anti-katholischen oder vielmehr anti-christlichen Geiste" die Rede, der die von Nietzsche kritisierte, herkömmliche Historiographie geprägt habe (Hillebrand, S. 307). Vgl. EH UB 2 - KSA 6,318. 70 Freilich sollte nicht vergessen werden, dass der Sinn des historischen Wahrhaftigkeitsstrebens bei Overbeck in Entstehung und Recht quasireligiös, im Rückgriff auf klassisch protestantische Motive fundiert wird; ihmzufolge ein Teil der weltlichen Kultur also aus - obgleich nicht ausschliesslich - religiösem Antrieb entstand. Zu Beginn der Christlichkeit steht zudem: „Das Christenthum in der Form, in welcher es zu den modernen Völkern gelangt ist, ist keineswegs eine reine Religion, es ist zugleich eine Cultur." (ChT 1 ,1) Dies jedoch ist Symptom seiner Degeneration. 71 Vgl. Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, S. 145f. 72 In der Vorlesung von 1876 werden nicht Lesen und Literatur zum ,,Fundament[.]" der Bildung bei den Griechen, sondern „Religion und Kunst" (GgL III, 1 - GoA 18, 138). Erst „durch die rein w i s s e n s c h a f t l i c h e n M e n s c h e n " (ibd. - GoA 18, 139) sei die Schrift zu ihrem Ansehen gelangt (vgl. oben Kapitel l,Anm. 16). 73 Heinz Röttges, Nietzsche und die Dialektik der Aufklärung, Berlin/New York 1972, S. 45 führt dies an, während er gleichzeitig Nietzsches „undialektische, nur praktische Gegenposition zur Aufklärung" (ibd.) tadelt.

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klassischen Theodizee: Bonum durch Malum oder auf Dialektik in welcher Form auch immer zurückbuchstabieren lässt, ist mir zweifelhaft, obwohl natürlich - gerade im Blick auf Wahrheit und Lüge - Nietzsches Wahrheitsbegriff nicht substantialistisch gefasst werden darf. 74 Erst in Menschliches, Allzumenschliches bekennt er sich offen zur Wahrhaftigkeit von Aufklärung, die allerdings ein Bewusstsein ihrer eigenen höchst kontingenten Bedingtheit, ihrer eigenen Illegitimität zu gewinnen beginnt. 75 Dass die moderne „alexandrinische Cultur" „aus Furcht vor ihren eigenen Consequenzen" (GT 18 - KS A 1, 119) hinter den eigenen Ansprüchen herhinkt, und eben die Selbstanwendung von Aufklärung auf Aufklärung nur unter Inkaufnahme der Selbstzersetzung erprobt werden kann, erkennt Nietzsche schon früh. Was er zum sinnzersetzenden Potential der Geschichte im Feld der Religion schreibt, verläuft in der von Overbecks Christlichkeit gezogenen Linie, obschon dort die Urreligion gerade keinen Kulturfaktor verkörpert und sich Overbeck mehr oder minder auf die Seite einer desillusionierenden Wissenschaft schlägt 7 6 Overbeck versucht 1873, die Eigendynamik der Religion mit seiner „kritischen Theologie" unangetastet zu lassen, ohne sie zu vereinnahmen oder zu verteidigen, bestreitet aber die Möglichkeit, Glauben in Wissen zu transformieren, welches dann gleichzeitig Glauben zu bleiben vemöchte (vgl. ChT 1 , 2). Eine Vorstufe zur paraphrasierten Textpassage in der Historienschrift sagt denn auch ausdrücklich: „Eine Religion, die Wissenschaft werden will, will sich selbst zerstören." (Kommentar zu UB II 7 - KS A 14, 70). Der Seitenhieb auf die unbedarft historisch argumentierende Theologie ist durchaus auf eine gemünzt, zu der sich Overbeck in Entstehung und Recht noch bekannt hatte: „insbesondere scheint die neuere Theologie sich rein aus Harmlosigkeit mit der Geschichte eingelassen zu haben und jetzt noch will sie es kaum merken, dass sie damit, wahrscheinlich sehr wider Willen, im Dienste des Voltaire'schen ecrasez steht." (UB II 7 - KSA 1,297)

Wenn Nietzsche im Vorübergehen „den sogenannten Protestanten-Verein" und die von diesem initiierte, „noch viel sogenannteref.] Protestanten-Bibel" streift, und dabei einen ihrer Heraus-

74 Bernoulli stipuliert „das Werden des Guten durch das Böse, das Werden der Zwecke aus dem Zufall" für den ersten Zarathustra (ON 1,404). 75 Siehe Henning Ottmann, Nietzsches Stellung zur antiken und modernen Aufklärung, in: Josef Simon (Hrsg.), Nietzsche und die philosophische Tradition, Bd. 2, Würzburg 1985, S. 9-34. Zum Übergang von Nietzsches Frühwerk zu Menschliches, Allzumenschliches heisst es dort: „Nietzsche war Aufklärer geworden, als die frühen Hoffnungen auf eine Wiedergeburt des tragischen Mythos der Griechen zerbrochen waren." (S. 11) 76 Allerdings gibt es auch bei Overbeck anderslautende Äusserungen, ζ. B. im bislang unveröffentlichten Brief an Carl Fuchs vom 3. Juli 1874 (OWN 8): „Natürlich handelt es sich darum die Religion zu schützen vor allem Ansprüchen an historische' Wahrheit, oder wie Sie sagen, Bedingungen bereitstellen, unter welchen naiv allegorische Religion entsteht. Aber was thürmt sich nicht alles unter uns dagegen auf! Ich denke zunächst doch noch das Thema der Theologie als der Kunst die Religion los zu werden etwas weiter zu bearbeiten und meine Theologen aufzufordern es zu versuchen ob sie nicht der Sache, die sie angeblich vertreten, etwa damit wieder zu einigem Respect verhelfen, indem sie erklären, dass sie für ihre Person sie zu vertreten ganz ausser Stande sind. Die Kräfte naiver Religiosität, die noch vorhanden sind auf friedlichem Wege in eine Gestalt überzuleiten, in welcher sie als Fundament einer edlen aber menschlichen Cultur dienen können, das ist das Ziel. Eine fernere gewaltsame Krisis hält die Religion glaube ich unter uns nicht mehr aus. Wir sehen, was ihr die letzten, Christenthum und Reformation, gekostet haben. - Allein ich fange am besten gar nicht an. Fragen dieser Art regen mich, wie Sie sich denken können, oft mehr auf, als sich mit der Lebensordnung des Semesters verträgt."

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geber, Franz von Holtzendorff fälschlich mit einem f schreibt, dann wird man nicht zu Unrecht vermuten, dass sich Nietzsche da an Overbeck anlehnt. Overbeck war zusammen mit seinem Berner Kollegen Carl Holsten 1871 angefragt worden, ob er am Projekt der Protestantenbibel mitarbeiten möchte, worauf er zunächst zugesagt hatte, um schliesslich in der Korrespondenz mit dem andern Herausgeber neben Holtzendorff, Paul Wilhelm Schmidt, diese Zusage zu widerrufen. 77 In der Christlichkeit prangert Overbeck die mittlerweile (1872) erschienene Protestantenbibel und insbesondere die Einleitung Holtzendorffs als typisches Produkt der liberalen Theologie im Umkreis des Protestantenvereins an 7 8 : „Was will die Protestantenbibel? Mit dieser Frage stossen wir gleich auf einen Fehler der heutigen populären Theologie, welche freilich ein Cardinalfehler für jede Wissenschaft ist, besonders wenn sie sich an's Volk wendet: Sie weiss nicht, was sie will." (ChT 1 ,64) Die Pseudokritik, auf die diese Unternehmung stolz ist, erregt Overbecks Unmut, so dass er sich, die Licht- und Obskurantismusmetaphorik aufgreifend, der sich Holtzendorff bedient hatte (vgl. C h T 1 , 6 6 ) , ereifert: „Wo wären wir, wenn die grossen Aufklärer des vorigen Jahrhunderts das Licht, das sie brachten, hinter die Schirme gestellt hätten, mit welchen es heute ihre Epigonen unter den Theologen zu trüben lieben? Wollen Obscuranten keine Vernunft annehmen, und droht ihr Treiben der Wahrheit das Lebenslicht auszublasen, so soll man sie sehen lassen, was die Wissenschaft kann, ohne Scheu und Hülle, und mag, auch wenn man sich als Ungläubigen bekennt, zu diesem Kampfe aus einer Lebensbetrachtung, wie die des Christenthums ist, immer noch am Besten den nöthigen Muth schöpfen." (ChT 1 ,69) Bei Nietzsche hingegen ist die Anspielung blosses name-dropping, wechselt er doch gleich über zu den bei älteren Theologen virulenten hegelschen (und schleiermacherschen) Philosophemen, die die ,,Jdee des Christenthums' von ihren mannigfach unvollkommenen .Erscheinungsformen'" (UB II 7 - KS A 1, 297) unterschieden. Der bleichste Sprössling dieses Modells werde „im Hirne des jetzigen theologus liberalis vulgaris" (ibd.) geboren. Nietzsche schwenkt gleich Overbeck vom Religionsphänomen im allgemeinen und seiner Gefährdung bruchlos auf das Christentum über, das exemplarisch die gegenwärtigen Nöte der Religion vor Augen führt. Kein Konkurrenz- oder Ausschliessungsverhältnis zwischen einzelnen Religionen wird statuiert 79 ; das Christentum ist pars pro toto. Dies deckt sich mit der enigmatischen Formulierung in dem ein-

77 Die Briefe ζ. T. erstmals veröffentlicht und kommentiert bei Peter, Im Schatten der Modernität, S. 170ff. (vgl. Ov 1,97f. - OWN 8). 78 Overbecks (unveröffentlichte) Auslassungen zum „Protestantenverein" (in: NLO, A 234) ergänzen das Bild. Unter dem Lemma „Protestantenverein (Gegner)" (ibd.) ist zunächst ein siebenseitiges Exzerpt eines vereinsfeindlichen, aus orthodoxer Ecke stammenden Artikels von 1868 untergebracht, zu dem Overbeck 1901 notiert: „Dgl. Nachtwächterrufe wie die Vorstehenden haben mich nie das Geringste angegangen. Doch bin ich auch nie beigetreten und schon früh habe ich mich von ihm unzweideutig losgesagt [...]. Neben allem was mir sonst an ihm zuwider war befand sich auch sein demagogischer Character'' (S. 7f.). Vgl. Nietzsches Brief an Wagner vom 26. April 1873, in dem er Overbecks Christlichkeit anpreist und die Schwierigkeiten, für die Schrift einen Verleger zu finden, schildert, da „die bekannteren Verleger selbst schon theologische Parteimänner sind und zuviel dem .Protestantenvereine' angehören" (KSB 4,146). 79 Indessen spielt Nietzsche im Antichrist die Decandence-Religionen Buddhismus und Christentum gegeneinander aus, wobei die Bilanz sehr zu Ungunsten des Christentums ausfällt (vgl. A 20-23 - KS A 6, 186-191).

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gangs zitierten Fragment, wenn man unterstellt, Nietzsche meine mit „Christenthum" seine dogmatisierte und institutionalisierte Form, nicht das „christliche Leben", welches prototypisch für gelebte, eben echte Religion figuriert - obgleich eine .wirklich richtige', lebensdienliche Religion für Nietzsche wahrscheinlich nur eine archaisch-griechische sein kann. Die Geschichte des institutionalisierten Christentums gibt Nietzsche das beste Beispiel für die Annihilation von Religion ab, die in die Hände der historischen Wissenschaft geraten ist (vgl. dazu GT 10 - KS A 1, 74!). Der Vorwurf, dass die herkömmliche Historie das Lebendige töte den ich oben mit demjenigen Hamacks verglichen habe, Overbeck habe das Christentum zu Tode botanisiert (vgl. Kapitel 1, Anm. 52 und Kapitel 2, Anm. 14) - , wird am Christentum konkretisiert: „dass es aufhört zu leben, wenn es zu Ende secirt ist und schmerzlich krankhaft lebt, wenn man anfängt an ihm die historischen Secirübungen zu machen." (UB II 7 - KSA 1,297) Indessen wird die Differenz zwischen Harnack und Nietzsche sichtbarer: Harnack wiegt sich im Glauben, die (historische) Theologie könne das „Wesen" des Christentums nicht nur retten, sondern erst zur vollen Entfaltung bringen, während Nietzsche dem historisierenden Zugriff der Theologie die Religion gerade entziehen will. Die Ähnlichkeit zwischen Nietzsche und Harnack liegt vornehmlich im Bereich der Metaphorik; ganz und gar uneinig sind sie sich darüber, was für ein Lebendiges es denn und vor allem, mit welchen Mitteln, zu erhalten gälte. Während für Harnack die Theologie den Nukleus des Religiösen rettet, schaufelt sie, in ihrer historischen Tendenz zumindest, bei Nietzsche das Grab der Religion. Nicht unerwartet gesellt sich Nietzsche wieder an die Seite Overbecks; die metaphorische Parallele zu Harnack insinuiert höchstens auf den ersten Blick einen tieferen Dissens. Denn Overbecks gelehrtes Tun zweckt darauf ab, die Theologie als „Satan der Religion" zu entlarven, als „Kunst die Religion los zu werden" (OWN 5, 580). 8 0 Freilich ist er nicht gewillt, an einem einschneidenden Paradigmenwechsel nach Nietzsches Vorbild im Bereich der Wissenschaft zu partizipieren; aus der von ihm geteilten (und natürlich nicht unproblematischen) Einsicht, dass historisierende Theologie und Theologie an sich Religion sabotierten, folgt für ihn keine Entscheidung zugunsten der Religion gegen die Wissenschaft. 8 1 Im Gegenteil hält sich Overbeck an die Postulate der von ihm gegen die Okkupation durch die liberalen Theologen in Schutz genommenen Aufklärung und beanstandet jede Übertragung wissenschaftlicher Denkungsart auf Religionsbelange und vice versa (vgl. oben das Zitat C h T 1 , 69). Overbeck scheut die Entschlossenheit, mit der Nietzsche sich zum Verächter einer vermeintlich lebensfeindlichen Wissenschaft aufwirft, und skizziert in der Christlichkeit mit seiner kritischen

80 Vgl. in diesem Zusammenhang Ernest Renan, Der Antichrist. Autorisirte deutsche Ausgabe, Leipzig / Paris 1873, S. 8: „Denn Geschichte ist die Darlegung der Lebensentwicklung, der Keimentfaltung, die Theologie aber ist das Umgekehrte des Lebens." Zu Renans „Vie de Jesus" gab Overbeck indes scharfzüngig zu bedenken: „Es ist ganz diese Geschichtsschreibung, die sich weniger die Frage vorlegte, was geschehen sei? als vielmehr, was in Anbetracht dieser und jener überlieferten einzelnen Notizen wohl möglicherweise geschehen sein könnte [...]. Eine Biographie Jesu zu schreiben ist eine Verirrung schon aus dem einfachen Grunde, weil man die Biographie eines Lebens nicht schreiben kann, dessen Überlieferung, von ganz wenigen Notizen abgesehen, aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein Jahr umfasst." [Franz Overbeck], [Rez.] Renan, Emst [sic], Vie de Jesus. Sixieme edition. Paris 1863, in: Literarisches Centralblatt für Deutschland, hrsg. von Friedrich Zarncke, 1863, Nr. 45, Sp. 1057-1059, Sp. 1059. Eine treffliche reduetio ad absurdum der noch ein halbes Jahrhundert lang grassierenden Leben-JesuForschung ! 81 Barth, Unerledigte Anfragen, S. 9 dramatisiert (im Blick auf Christentum und Kultur) in einer Weise, die Nietzsches Befund in der Historienschrift entspräche: „Unerbittlich stellt er [sc. Overbeck] uns vor das Dilemma: Wenn Christentum, dann nicht Geschichte; wenn Geschichte, dann nicht Christentum!"

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Theologie einen Schlichtungsversuch zwischen Religion und Wissenschaft, der durch diese Intention Nietzsches poetischer Historie nicht unähnlich ist, jedoch jeder Hypostasierung der Religions-, sprich Lebensinteressen abhold ist. Nicht den „geheimnissvollen Dunstkreis" (UB II 7 KSA 1, 298) soll die Wissenschaft bewahren, sondern einen Freiraum, in dem Religion sie selbst bleiben kann, ohne dass sie, als Untersuchungsgegenstand, der Wissenschaft entrissen werden müsste. Nietzsche zufolge kann nichts „reif werden (ibd.), wenn die Objektivierung der Entwicklung immer schon zuvorgekommen ist, nichts mehr unmittelbar entstehen. Hierbei zeigt sich, dass die Religion als ein recht beliebiges Beispiel zur Illustration jenes Bedrohtseins des Lebendigen durch die Mächte der Historie herhält, und es Nietzsche in diesem Zusammenhang kaum um eine eingehende Beurteilung des Phänomens Religion zu tun ist. Religion - auch als nicht dionysische - weiss sich im Besitz der Vorschusslorbeeren, eine Äusserung ungebrochenen Lebens zu sein, weswegen sie, unter Vorbehalt des im Nachhinein gegen das Christentum Gesagten, in Nietzsche einen unverhofften Apologeten findet. Zwar wird die Geschichte des Christentums als die eines Abstieges und Abfalls gelesen; der ihm unterlegte Grundgehalt behauptet dessen ungeachtet sein Recht, muss sich noch nicht der Anschuldigung erwehren, Ausgeburt des Ressentiments zu sein. Dass Nietzsches Verlautbarungen über das Religionsphänomen und namentlich das Christentum hier recht dürftig ausfallen, hat - vom Illustrationscharakter einmal abgesehen - seinen Grund auch darin, dass Nietzsche, wenn er den Kern dieser spezifischen Lebensäusserung näher betrachtete, genau in dieselben vergegenständlichenden Raster zurückgefallen wäre, die er für den Verfall und das unterbrochene Wachstum zur Verantwortung ziehen will. Das Spröde seiner Aussagen ist damit systematisch begründbar. Übrigens fällt bei Nietzsches Beschreibung historischer Gegebenheiten wiederum die biologisch-morphologische Terminologie auf, die als Relikt der Romantik und der Historischen Schule bereits in der Homervorlesung und bei Overbeck ihre Spuren hinterlassen hatte (vgl. Kapitel 1, Anm. 35). Die Prämissen, von denen eine solche Geschichtsbetrachtung ausgeht, die auf die Realisierung aller in einem Ding angelegten Möglichkeiten in der Zeit dringt, können hier nicht in extenso untersucht werden. Festzustellen ist einzig, dass diese Historie, von der Bildlichkeit verleitet, die Unterminierung einer als natürlich empfundenen Entwicklung, eines Reifeprozesses, eines „Wachstums" in Kategorien von Unrecht und Schuld beschreibt. Das Recht auf ungehindertes Reifen kann aber nur im Rahmen eines rein biologistischen Modells eingeklagt werden; ein Modell, zu dem sich bei Nietzsche einige Anklänge hören lassen, ohne dass er darauf festgelegt werden könnte. Die konstruktivistischen Elemente laufen dem entgegen - ebenso die Feststellung der Absurditäten, aus denen die Religion sich mutmasslich speise und in der Vergangenheit gespeist habe. Anders gesagt: Wenn man aus vermeintlich natürlich ablaufenden, geschichtlichen Vorgängen die Unrechtmässigkeit ihrer Unterbindung ableitet, ist diese Ansicht letztlich inkompatibel mit der Erkenntnis, dass wir uns die historischen Zusammenhänge erst im nachhinein konstruieren, einen sinnvollen, zusammenhängenden und auf uns zugeschnittenen Geschichtsverlauf erst zusammenstückeln. Diese konstruktivistische Perspektive setzt bei Nietzsche ein Wissen um die Kontingenz aller Ereignisse voraus, um die Zufälligkeit und Abstrusität all dessen, was entsteht und wert ist, zugrunde zu gehen. In ihr hat die Rede vom historischen Unrecht etwa bei der allzufrühen wissenschaftlichen Bemächtigung einer in Wachstum begriffenen Sache prinzipiell keinen Platz, denn diese konstruktivistische Sicht kann nicht gleichzeitig aus der Binnenperspektive eines (idealiter) linear verlaufenden, vegetativen Wachstums die Geschichte betrachten. Darüber hinaus ist - trotz Nietzsches Schmähung, die Wissenschaft seziere die Religion zu Tode - nicht klargestellt, weshalb beim Untergang der Religion nicht ein natür-

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licher Verfall am Werke sei, das Verdorren des Pflänzchens Religion, wie man im Geist der Morphologie anzunehmen versucht ist. Dass der „geheimnisvolle Dunstkreis" und der „umhüllendet.] Wahn" (UB II 7 - KS A 1, 298) jedes Reifwerden vor neugierigen Blicken zu schützen hätten, vermag allein dann einzuleuchten, wenn die Dinge ihrer Entelechie gehorchten, wenn sie also ein vorgegebenes Telos verwirklichten, dessen Erreichen durch negative äussere Einflüsse beeinträchtigt werden könnte. Nach der Destruktion der geschichtsphilosophischen Hegelianismen kann Nietzsche ein solches SeinSollen im Reich der blinden Fortuna doch nicht ernstlich annehmen wollen. Entwicklung, zweckgerichteter Ablauf ist, wie er immer wieder unterstrichen hat, eine nachträgliche Projektion. Unter diesen Umständen können keine Störfaktoren einen eigentlich intendierten Verlauf beinträchtigen, die, als Störfaktoren, jeder historischen Rechtfertigung entbehrten. Die Wissenschaft als verwegene Widersacherin ungehinderter Entfaltung kann in einem entelechetisch-biologistischen Modell nicht einmal als notwendige Antithese einer dialektisch fortschreitenden Entwicklung „bonisiert" (Marquard) werden - sie bleibt, wenn sie ihre eigenen Zwecke und nicht die des Lebens verfolgt, radikal schlecht. Bei der Applikation seiner Geschichtstheoreme auf die Religion verwickelt sich Nietzsche in Probleme, denen sich Overbeck, bei ähnlichen Vorstellungen vom Verlust der Unmittelbarkeit durch den historischen Blick, in geringerem Masse ausgesetzt sieht, weil sein Geschichtsverständnis auf der einen Seite nicht jenen ausgesprochen konstruktivistischen Einschlag hat und sich auf der andern nicht α priori Interessen unterordnet, welche nach einer Beurteilung historischer Daten unter dem Gesichtspunkt ihrer Lebensförderlichkeit heischen. Nietzsche verlangt, man solle gefälligst den Nebel willentlicher Ignoranz über dem Lebensphänomen Religion aufsteigen lassen, damit es keinen Schaden leide. Die daraus folgende Desavourierung von Aufklärung als Blendwerk (vgl. UB II 7 - KSA 1, 297!) mündet in ein willkürliches Verstehen von Gewesenem und Gegenwärtigem: Das eine wird als ein Ausdruck des echten Lebens akzeptiert, das andere nicht. Gerade bei der Religion wird die Beliebigkeit solchen Urteilens sichtbar: Denn weshalb sollte sie, namentlich in ihrer christlichen Gestalt, im Anfang ein dem Leben zugetanes Gebilde gewesen sein, wenn sie doch, wie Overbeck im Anschluss an Schopenhauer 8 2 bereits in seiner frühen Mönchtumsvorlesung^ und erst recht in der Christlichkeit behauptet hatte, von Askese, von Weltabwendung geprägt gewesen sei. Nietzsche hatte sich schon an anderem Orte, bei einer Vorarbeit zu den Vorträgen Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten von 1872, für die „Entweltlichung durch Religion" zur „Befriedigung des metaphysischen Bedürfnisses" stark gemacht:

82 Vgl. etwa Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena [1851], Bd. 2, Teilbd. 1, § 163 = Zürcher Ausgabe, Bd. 9, S. 341: „allerdings ist, allen protestantisch-rationalistischen Verdrehungen zum Trotz, der asketische Geist ganz eigentlich die Seele des Neuen Testaments. Dieser aber ist eben die Verneinung des Willens zum Leben". Overbeck stellt fest, dass Schopenhauer die Spezifika christlicher Askese nicht erfasst habe, wobei er sich auf die von Frauenstädt besorgte Ausgabe des handschriftlichen Nachlasses stützt: vgl. „Askese (christliche) Vermischtes", in: NLO, A 217 (vollständige Transkription im Anhang). 83 Franz Overbeck, Über die Anfänge des Mönchthums. Vorlesung gehalten in der Rose [zu Jena] d. 6. Febr. 1867, in: OWN, Bd. 1, S. 1-37. Wie die vorbereitenden Notizen für die Besprechung in seinem Handexemplar von Ernest Renans Vie de Jesus (vgl. Anm. 80) belegen, hatte Overbeck schon 1863 die (asketische?) „Schroffheit" des Urchristentums für wesentlich gehalten. Auf S. 4 dieser Notizen steht - dies fehlt in der gedruckten Rezension - : „Characteristisch [sc. für Renan] die Unsicherheit der Beurteilung der eigentlichen Schroffheiten des Christenthum's."

70

Bedrohtes „Leben" und bedrohte Religion „Hier liegt der tiefe Instinkt zu Grunde, dass das Christenthum in seiner Wurzel gegen jede Kultur feindlich ist und somit mit der Barbarei in einer nothwendigen Verbindung ist." 8 4 (8[58] - KSA 7, 244)

Dass Nietzsche den Inhalt der Religion in der hier untersuchten Textpassage aus der Unzeitgemässen

Zweiten

nicht aufrollt, nährt die schon geäusserte Vermutung, die Religion sei ein sehr

zufälliges Exempel einer Erscheinung ungebrochenen Lebens, zu deren Besprechung Nietzsche sich einige Waffen gegen die „heutige Theologie" bei Overbeck geborgt hat. Allerdings wird im nächsten Kapitel der Historienschrift das eschatologische Bewusstsein, welches das Christentum gepflanzt hat, der Kritik unterzogen, sei es doch der Ahne des jetzt um sich greifenden Epigonenbewusstseins: „Steckt nicht vielmehr in diesem lähmenden Glauben an eine bereits abwelkende Menschheit das Missverständniss einer, vom Mittelalter her vererbten, christlich theologischen Vorstellung, der Gedanke an das nahe Weltende, an das bänglich erwartete Gericht? Umkleidet sich jene Vorstellung wohl durch das gesteigerte historische Richter-Bedürfniss, als ob unsere Zeit, die letzte der möglichen, selbst jenes Weltgericht über alles Vergangene abzuhalten befugt sei, welches der christliche Glaube keineswegs vom Menschen, aber von ,des Menschen Sohn' erwartete?" (UB II 8 - KSA 1, 304) S o kann auf das „der Menschheit sowohl w i e dem Einzelnen zugerufene .memento mori'" nur mit einem „,memento vivere'" (ibd.) geantwortet werden, das nicht, wie bis anhin, sich beinah vor sich selber fürchtet. 85 „Memento mori" ist nach Overbeck die Signatur des Christentums nach d e m Verlust der unmittelbaren Parusieerwartung, ist deren legitime Transformation, worauf Overbeck gegen die liberale Theologie beharrt. 86 Der „Karthäusergruss" begreife „die Grundweisheit des Christenthums jedenfalls tiefer [·•·] als etwa die moderne Formel, es solle ,sich nichts Störendes drängen zwischen den Menschen und seinen Urquell', worin eine schale und nur zu kirchlich-polemischen Zwecken zu brauchende Negation liegt, so lange man vergisst, dass zu diesem .Störenden' nach der Ansicht des Christenthums die Welt überhaupt gehört." (ChT 1 ,52) Wenn Nietzsche nun das „Memento vivere" gegen die christliche Todesweisheit schleudert, dann tritt er in fundamentale Opposition zur „Lebensansicht" des Christentums, wie sie Overbeck herausgestellt hat. Hatte es vor kurzem noch geheissen, die Religion sei zu schützen gegen alle Anmassungen der Wissenschaft, dann wird sie hier in ihrer christlichen Gestalt als kultur- und lebensfeindliche Macht denunziert, als eine, die sich gegen alle Neuerung, gegen alle in die Zu84 An dionysische Barbarei denkt Nietzsche wohl nicht, sowenig er, wenn er vom Christentum handelt, dessen ekstatische Dimensionen in der mystischen Verzückung, im Zungenreden oder in den Veitstänzen vor Augen haben dürfte. Sein Christentumsbild stammt in seiner apollinischen Kälte unleugbar aus dem elterlichen Pfarrhaus. 85 Vgl. Karl Brose, Nietzsche: Geschichtsphilosoph, Politiker und Soziologe, Essen 1994, S. 36. 86 „Franz Overbeck hat geschrieben, das Ende der Welt habe der Kirche nur so lange nahe geschienen, wie sie noch nicht ein Stück dieser Welt erobert hatte. Aber diese Eroberung kam zu spät, um die nahe Erwartung zu verdrängen, die grosse Enttäuschung kompensieren zu können. Es muss umgekehrt gewesen sein: Die freigesetzte Energie des eschatologischen Ausnahmezustandes drängt darauf, sich in der Welt zu institutionalisieren." Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe, Frankfurt a. M. 2 1988, S. 55. Woher weiss Blumenberg, dass es „umgekehrt gewesen sein" muss?

Religion und

Christentum

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kunft dieser Welt investierte Hoffnung richtet: „Das, was die Florentiner thaten, als sie unter dem Eindruck der Busspredigten des Savonarola jene berühmten Opferbrände von Gemälden, Manuscripten, Spiegeln, Larven veranstalteten, das möchte das Christenthum mit jeder Cultur thun, die zum Weiterstreben reizt und jenes memento vivere als Wahlspruch führt" (UB II 8 - KSA 1, 305). Nietzsche stimmt in seiner Charakterisierung des Christentums nun plötzlich überein mit der Diagnose Overbecks, obschon seine Absichten erklärtermassen andere sind: nicht das christliche Weltverständnis vor der Annektion durch eine modernistische Theologie zu retten, sondern mit diesem Weltverständnis sein eigenes zu konfrontieren.87 Zwar erkennt Nietzsche dem christlichen Bewusstsein, das „alle Lebenden verurtheilt, im fünften Akte der Tragödie zu leben" (UB II 8 - KSA 1, 304) die Fähigkeit zu, die „tiefsten und edelsten Kräfte" zu wecken, jedoch allein im Hinblick auf das Jenseits, für Kultur und namentlich für den Staat habe es nichts übrig.88 Es klärt sich hierbei weiter, weshalb das Christentum der kritischen Historie geopfert werden muss: Weil es sich mit allen finsteren Mächten gegen die Zukunft und das Leben verschworen hat und es Nietzsche eigener Weltbildreform kontradiktorisch zuwiderläuft. Namentlich in der zeitgenössischen Historie habe sich Theologie eingenistet. Äusserlich wird dies offenbar am sozialen Status der Historiker, an der „Ehrfurcht, mit welcher der unwissenschaftliche Laie die wissenschaftliche Kaste behandelt", die „eine vom Clerus her vererbte Ehrfurcht ist" (UB II 8 - KSA 1, 305). Viel einschneidender ist aber, dass die Historie in ihrem retrospektiven und passiven Habitus zuinnerst von christlichem Pessimismus angesteckt sei 8 9 , von dem her kein verheissungsvoller Schein mehr auf die irdische Zukunft fällt. „Die herbe und tiefsinnig ernste Betrachtung über den Unwerth alles Geschehenen, über das zum-Gericht-Reifsein der Welt, hat sich zu dem skeptischen Bewusstsein verflüchtigt, dass es jedenfalls gut sei, alles Geschehene zu wissen, weil es zu spät dafür sei, etwas Besseres zu thun." (ibd.)

87 Vgl. die knappen Andeutungen bei Joachim Ernst, Quellen zu Nietzsches Christentumspolemik, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Jg. 4 (1952), S. 241-251, S. 248f. 88 Es habe eine „alles verzehrende Bedeutung des R e l i g i ö s e n im Beginn des Christenthums" geherrscht, „das die Kultur u. den Staat negirte" (Enc 7 - KGW II/3, 370). Vgl. Overbecks sehr viel jüngere Notiz „Staat und Christenthum (Allgemeines)", in: NLO, A 237, wo er sich auf eine ähnliche Aufzeichnung im Willen zur Macht von 1901 bezieht (vollständige Transkription im Anhang). 89 In den Vorlesungen Encyclopädie der klassischen Philologie von 1871/74 differenziert Nietzsche genauer: „Dann die Frage zu berühren H e i d n i s c h u n d C h r i s t l i c h : diesen zu entgegnen, dass es keine eigentliche Scheidung ist: die Urfrage ist, pessimistisch oder optimistisch gegen das Dasein. Sowohl im Christenthum als im Heidenthum giebt es die emsthaftesten Stellungen z . B . die Mysterien, der Untergrund der Tragoedie, Empedokles; das ganze 6te Jahrhundert: während in der Verweltlichung der Kirche und ihren staatlichen Ansprüchen ein heidnisches, dh. optimistisches Element liegt." (Enc 7 KGW II/3, 370) Die später im Antichrist so hervorstechende Verfallstypologie ist hier vorgezeichnet, und man irrt kaum, wenn man sie auf Schopenhauer zurückführt (vgl. Anm. 82), wobei Overbeck bei der Genese dieser Auffassung einen nicht unwesentlichen Anteil gehabt haben dürfte: Ich kann, anders als Hubert Cancik / Hildegard Cancik-Lindemaier, Das Thema .Religion und Kultur' bei Friedrich Nietzsche und Franz Overbeck, in: Detlef Thofern / Sonja Gabbani / Wilhelm Vosse (Hrsg.), Rationalität im Diskurs. Rudolf Wolfgang Müller zum 60. Geburtstag, Marburg 1994, S. 49-67, S. 63 erst für 1871 Zeugnisse dieses Christentumsbildes bei Nietzsche eruieren (das dort angeführte Fragment KSA 7 , 2 4 4 gehört in die zweite Jahreshälfte 1871!) und sehe deshalb eine mögliche Beeinflussung eher in der umgekehrten Richtung verlaufen als dort suggeriert wird, nämlich, wenn schon, von Overbeck in Richtung Nietzsche (vgl. Anm. 83).

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Bedrohtes „ Leben " und bedrohte

Religion

Man hört geradezu, wie die Eule der Minerva beim Anbrach der Nacht aufflattert, während die in dämmriges Grau getauchte Welt zu keiner Tat mehr reizt (vgl. UB II 8 - KSA 1, 308). Vielleicht versteckt sich da der Schlüssel zu Nietzsches Hegelkritik. Nicht weil die Theologie der Historie etwa eine anfänglich eschatologisch motivierte Zukunftsorientierung, Teleologie mitgegeben hätte, sie sich nicht mit dem Gegenwärtigen und Vorhandenen begnügen kann, wird diese Geschichtsphilosophie von Nietzsche für untauglich erklärt.90 Sondern vielmehr, weil sie angesteckt worden sei vom christlichen Affekt, Bilanz zu ziehen, alles Entscheidende für schon geschehen zu halten, das Ende von Zeit und Geschichte zu proklamieren, zurückzublicken, „um, sobald die Action vorüber ist, seine That zu seciren, durch analytische Betrachtung am Weiterwirken zu hindern und sie schliesslich zur .Historie' abzuhäuten" 91 (ibd.). Der Blick nach innen, die quälerische Grübelei und die Selbstinquisition werden zu den Merkmalen christlicher Existenz, die in ihr ursprünglich fremde Sphären importiert wurden. Allerdings geniesst die illusionslose Unbedingtheit der christlichen Weltsicht Nietzsches Hochachtung; ihre Entartung im Gewand der Wissenschaft wird gerügt. Overbecks Christentumsbild kongruiert mit dem hier von Nietzsche skizzierten weitgehend, obgleich er der Theologie das Gegenteil zum Vorwurf macht: Ob ihrer Anbiederung an die Welt, ihrem besinnungslosen Optimismus gerade das Weltverneinende der christlichen „Weltanschauung" verraten zu haben. Von da aus kann man versuchen, den vermeintlichen Widerspruch zu den früheren Aussagen über die Religion zu schlichten: Weniger gegen christliche Praxis und Lebensansicht begehrt Nietzsche auf, sofern sie ihren angestammten Bereich nicht verlässt, vielmehr gegen ein Übergreifen der christlichen Weltabwertung auf das menschliche Trachten im allgemeinen, zumal in säkularisierter Form, wo die Historie als Religionssurrogat auftritt (vgl. UB II 8 - KSA 1, 309!). Dass sie, als Kunst verstanden, dies in Nietzsches positiver Neuformulierung nützlicher Historie ebenfalls tut, Religionsfunktion ausübt, haben wir gesehen. Die Konsequenzen der weltverneinenden christlichen Haltung in der Welt beunruhigen, weswegen das „Memento mori" mit einem entschlossenen „Memento vivere" erwidert werden soll. Dem mag sich Overbeck, zu sehr von Schopenhauer eingenommen, nicht vorbehaltlos anschliessen.92 Nietzsches späte Christentumskritik ist mit dem Gegensatz Lebensfeindlichkeit (Christentum) - Lebensdienlichkeit (Antichristentum) präformiert. Dieses Leben, dessen man sich entsinnen soll, ist 1874 ein Leben für eine bessere, aber sehr irdische und von Menschenhand zu realisierende Zukunft. „Hat man mich verstanden? D i o n y s o s g e g e n den G e k r e u z i g t e n . . . " (EC: Warum ich ein Schicksal bin 9 - K S A 6,374). 90 In diesem Sinn Ottmann, Philosophie und Politik, S. 37f.: Nietzsche wandte sich „gegen jede Teleologie der Geschichte. Hinter dieser verbarg sich für Nietzsche letztlich immer die Theologie, das Christentum mit seiner Vorstellung von Anfang und Ende der Geschichte." 91 Dass die ausserordentlich häufig wiederkehrende Metaphorik des Sezierens mit der wesentlich weniger geläufigen des Abhäutens assoziiert wird, spielt möglicherweise auf den apollinisch-sokratischen Zug der getadelten Praxis an: Bekanntlich wird Marsyas von Apoll bei lebendigem Leib gehäutet! 92 Siehe Emmelius.S. 51.

3. Kritik, Christentum und Kultur

„ Wenn eine Kultur fühlt, dass es mit ihr zu Ende geht, lässt sie den Priester kommen." (Karl Kraus)

Wie steht die Religion zur Welt und zum Leben? Distanzierte sich Nietzsche - trotz der Zurückhaltung gegenüber dem Christentum - in der Historienschrift brüsk von allem, was dem (nach seinem Geschmack) wuchernden „Leben" feindlich gesonnen war, so verfuhr Overbeck in Entstehung und Recht mit Wertungen weit vorsichtiger. Er hatte Kirchengeschichte nicht im Interesse eines schrankenlosen Lebenswillens treiben wollen, sondern im Auftrag einer Theologie, die sich die Vermittlung von Glauben und Wissen zum Ziel gesetzt hatte. In der Folge emanzipierte sich Overbeck - nicht zuletzt unter dem Eindruck Nietzsches - von solchen harmonistischen Modellen, ohne dabei jedoch den Anspruch traditioneller, historischer Wissenschaftlichkeit aufzugeben oder sie der .genealogischen' Zersetzung zu opfern. „Was ihn hält und zugleich von Nietzsche unterscheidet, ist seine grundsätzliche Bejahung der historischen Wissenschaft. Wissenschaft bleibt für Overbeck höchster Zweck und wird nirgends Instrument eines revolutionären Veränderungswillens." 1

Overbeck bleibt als einer ihrer radikalen Söhne mit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts verbunden. Historie ist für ihn ein selbstverständlich in Anspruch genommenes Mittel, das (selbst dialektisch) unüberbrückbar gewordene ExklusionsVerhältnis von Glauben und Wissen, von Religion und Kultur herauszustellen - ein Mittel auch, die Entwicklung des Christentums als fortschreitende Verweltlichung, als Substanzverlust zu deuten. Genaueren Einblick in das Funktionieren dieser (bei Nietzsche ja ebenfalls virulenten) Argumentationsstrategie gewährt die Christlichkeit unserer heutigen Theologie, auf deren Spuren wir schon häufig gestossen sind. In Entstehung und Recht zeichnen sich die Perspektiven bereits ab: Overbeck konstatiert bei den altkirchlichen Apologeten einen Bruch zu urchristlicher Zeit. Das Christentum, in die Welt der antiken Zivilisation eingetreten, begreife seine ursprünglichen Probleme nicht mehr und gestatte sich (mit der Kanonisierung einiger aus der Frühzeit erhaltener Schriften) das Ausblenden dessen, was wirklich gewesen sei, Hesse bald historisches Gespür überhaupt vermissen. Erst die moderne Geschichtswissenschaft könne die Kenntnis des Anfangs zurückgewinnen, unter grössten Mühen freilich. Das Vertrauen in die Macht der Historie - unter Ausklammerung der Interessengebundenheit jeder Art von Historie (wie sie Nietzsche nachher aufgewiesen hat) - ist 1870 ungebrochen. Ob man dadurch auch die religiöse Substanz zurückerhalte, hat Overbeck in der Antrittsvorlesung noch nicht erörtert, um freilich später die Unmöglichkeit solchen Unterfangens umso entschiedener einzuschärfen: Historie ist für die Religion kaum mehr nutzbar zu

1 Peter Köster, Nietzsche-Kritik und Nietzsche-Rezeption in der Theologie des 20. Jahrhunderts, in: Nietzsche-Studien, Bd. 10/11 (1981/82), S. 615-685, S. 622.

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Kritik, Christentum und Kultur

machen. Von der Brachialität, mit der Nietzsche die traditionellen Geschichtswissenschaften traktiert, ist Overbeck zwar wenig berührt. Aber bereits 1870 deutet er, ohne orthodoxe Motive, die zerstörerische Macht der Welt und zugleich der Wissenschaft für die Religion an. Peter hat in seiner Studie zur Genese der Christlichkeit ausgiebig die in der Forschung vernachlässigten Parallelen zu Nietzsches Geburt der Tragödie (1872) thematisiert. Vor Peter wurde die von Overbeck im Vorwort zur 2. Auflage seines Werks hervorgehobene „Lection der .Geburt der Tragödie'" (ChT 2 , 15) zumeist ausgeblendet zugunsten von Vergleichen mit der „Zwillingsschrift" Nietzsches, der Ersten Unzeitgemässen gegen Strauss. Peter vertritt nun die Auffassung, Overbeck habe sich bei seiner Konzeption der Religion und ihrer wissenschaftlichen Uneinholbarkeit von Nietzsches Mythosbegriff leiten lassen. Es finde bei Overbeck im Gefolge von Nietzsches Geburt eine völlige „Umwertung der kognitiven Struktur, des epistemischen Feldes" statt, nämlich die „Negativierung des Feldes Vernunft - 'Wahrheit - Wissenschaft durch die Begriffe Mythos - Unerträglichkeit der Wahrheit - Notwendigkeit der Illusion".2 Der Mythos-Begriff spielte in der älteren Literatur über Overbeck nur eine untergeordnete Rolle 3 , zu Unrecht, wie Peter zu zeigen bestrebt ist. Trotzdem wird man Overbeck kaum zum begeisterten Advokaten einer auf Wagner hoffenden, mythischen Erneuerung der deutschen Kultur und des „Cultus" stilisieren dürfen, wie dies Carl Fuchs in einer frühen Besprechung getan hat.4 Durch die von Peter entfachte Diskussion angeregt, skizziere ich im Ausblick auf die Christlichkeit zuerst das Religions- und Mythosverständnis in der Geburt der Tragödie, um sodann die dort versteckten Äusserungen zum Christentum etwas besser in den Blick zu bekommen. Zwar hat Nietzsche im Versuch einer Selbstkritik, den er der neuen Ausgabe von 1886 als Vorwort beigab, vom „behutsamen und feindseligen Schweigen" (GT, Versuch 5 - KSA 1, 18) gesprochen, das er sich damals im Umgang mit dem Christentum auferlegt habe. (Ich betone das „behutsam", welches bei Zitationen des „feindseligen Schweigen" häufig selber verschwiegen wird, weil man sich an die Retraktation im Ecce homo hält: „Tiefes feindseliges Schweigen über das Christenthum im ganzen Buch" [EC GT 1 - KSA 6, 310]. Man beachte, mit Wittgenstein im Ohr, das vieldeutige „über"!). Dennoch wird das Christentum an einigen Stellen, ohne dass es beim Namen genannt würde, für das Unverständnis haftbar gemacht, mit der wir der griechischen

2 3

4

Peter, Im Schatten der Modernität, S. 123. Als Ausnahme ist Arie Nabrings, Theologie zwischen Mythos und Reflexion. Franz Overbecks Diagnose, in: Theologische Zeitschrift, Jg. 36 (1980), S. 266-285 zu nennen: „Nietzsches Schrift übte auf Overbeck katalysatorische und anregende Wirkungen aus. Sie veranlasste ihn zur Abfassung seiner ,Christlichkeit', in der man sich von der Rezeption der ,·Geburt der Tragödie' - vor allem ihrer der Frage nach Funktion und Bedeutung des Mythos gewidmeten Teile - überzeugen kann." (S. 267). Ferner Adolf Allwohn, Der Mythos bei Schelling = Kant-Studien. Ergänzungshefte, Nr. 61, Charlottenburg 1927, S. 6: „Overbeck rügt also [sc. in ChT 1 , 12] die Gleichgültigkeit der christlichen Kirche des 19. Jahrhunderts gegenüber dem Mythos und schreibt wenig später von der ,Unterschätzung der mythischen Formen und der Überschätzung der historischen Grundlagen der Religion' (a. a. O. S. 13). Diese Urteile bestehen auch heute noch zu Recht, da sich die Lage seitdem wenig geändert hat." Mit Nietzsche zusammen wird Overbeck S. 74f. einer romantischen Ahnenreihe einverleibt, die die „Wiederbelebung der alten Mythologie" betrieben hätte. Carl Fuchs, Gedanken aus und zu Grillparzer's Ästhetischen Studien. (In Band IX der Gesammtausgabe seiner Werke), in: Musikalisches Wochenblatt. Organ für Musiker und Musikfreunde, Jg. 5 (1874), S . 1 0 5 - 1 0 7 , 129-131, 145-147 & 161-164, v.a. S. 163, wo zudem von der die engen Grenzen des Theologischen überschreitenden Bedeutung der Christlichkeit und von ihrer geistigen Verwandtschaft mit Nietzsche die Rede ist.

Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik

75

Religion, z . B . den unmoralischen olympischen Göttern gegenüberstehen (GT 3 - KS A 1, 34 f.). Dies veranlasst die Kommentatorin zur Bemerkung, der „Stellenwert, den die Gesprächsgemeinschaft mit Overbeck für die Ausprägung der gegenchristlichen Perspektive der GT gehabt hat", sei „bislang noch nicht ausreichend erforscht". 5

3.1 Zur Vorgeschichte der Christlichkeit: Die Geburt der Tragödie Als Leitlinie der resümierenden Verständigung über die Tragödienschrift hebe ich Nietzsches doppelte Intention hervor: am historischen Beispiel des antiken Griechentums illustriert Nietzsche die mögliche Überwindung der fundamentalen Gegensätze Dionysisch-Apollinisch in der Tragödie des Aischylos und des Sophokles. Nietzsche geht es aber nicht allein um Wissen über die Entstehungsumstände der attischen Tragödie, sondern er setzt die von ihm postulierte Überwindung der beiden antagonistischen habitus im geschichtlichen Datum „Tragödie" als Modell für die Überwindung der gegenwärtigen, „erkenntnisslüsterne[n] Sokratik" (GT 19 - KSA 1, 127) ein. Diese Überwindung kündige sich im Wagnerschen Musikdrama an. 6 Die Doppelung der Intention liegt also darin, dass erstens historische Erkenntnis erlangt werden soll, zweitens diese Erkenntnis und insbesondere das Erkannte für das Handeln in der Gegenwart Modellcharakter erhält. Die Probleme, die uns heute umtreiben, sind für Nietzsche idealtypisch in der vorsokratisch-griechischen Antike bereits gelöst worden. Damit bestätigt sich bei Nietzsche die normative Bedeutung die griechische Archaik, ähnlich wie sie das Urchristentum für Overbeck gewinnt, wenn auch mit einer andersgearteten Valenz (vgl. unten Kapitel 4). 7 In der Degeneration der Tragödie bei Euripides und durch den Sokratismus wird eine Verfallstypologie gezeichnet, die nicht bloss bei der Christentumskritik im Antichrist unter veränderten Vorzeichen wiederkehrt, sondern in Overbecks Vorstellung von der Zersetzung der urchristlichen „Lebensansicht" durch eine sich wissenschaftlich und weltoffen gebärdende Theologie eine sozusagen eineiige Zwillingsschwester hat. Demgegenüber gibt es für die metaphysischen Grundideen Nietzsches bei Overbeck wenig Parallelen, namentlich nicht für die von der Überwindung des Leidens durch die Kunst, die ästhetische Kosmodizee, wonach „nur als a e s t h e t i s c h e s P h ä n o m e n [...] das Dasein und die Welt ewig g e r e c h t f e r t i g t " sei (GT 5 - KSA 1, 47; vgl. GT 24 - KSA 1, 152).8 Die olympi-

5 6

Barbara von Reibnitz, Ein Kommentar zu Friedrich Nietzsche, „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik", (Kap. 1-12), Stuttgart/Weimar 1992, S. 127, Anm. 13. Vgl. auch Wolfgang Lange, Tod ist bei Göttern immer nur ein Vorurteil. Zum Komplex des Mythos bei Nietzsche, in: Karl Heinz Bohrer (Hrsg.), Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion, Frankfurt a. M. 1983, S. 111-137, S. 113.

7

Siehe Cancik/Cancik-Lindemaier, Das Thema .Religion und Kultur', die die politische Vorbildlichkeit der vorperikleischen Periode Griechenlands für Nietzsches Kulturstaatskonzeption herausarbeiten (S. 5 2 - 6 1 ) . Mit ihnen ist einschränkend anzufügen, dass die Urchristentumshypothese bei Overbeck im Unterschied zu Nietzsche methodologisch und nicht im Sinne einer inhaltlichen Repristination gedacht ist, Overbeck nie „Reformator" werden wollte, er „keine neu-urchristliche Option" hatte (S. 63).

8

Zur Paradoxie dieser Argumentation, die eben keine ethische ist, wie der Begriff „Rechtfertigung" es augenscheinlich fordert, vgl. Reibnitz, Ein Kommentar, S. 169-172, überdies Georges Goedert, The Dionysian Theodicy [1977], in: James C. Ο'Flaherty/Timothy F. Sellner/Robert M. Helm (Ed.), Studies in Nietzsche and the Judaeo-Christian Tradition, Chapel Hill (N. C.)/London 1985, S. 319-340.

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Kritik, Christentum

und Kultur

sehen Götter „rechtfertigen" „das Menschenleben, indem sie es selbst leben - die allein genügende Theodicee" (GT 3 - KSA 1, 36). Sie sind von den Griechen laut Nietzsche erfunden worden, damit in ihnen das Leiden verklärt werde, das den Menschen heimsucht. Somit sind sie typische Ausgeburten des apollinischen Geistes und dienen der Leidens- und Schreckensverminderung, der Komplexitätsreduktion. Bei Overbeck scheint sich der kosmisch-metaphysische Leidensdruck, dem sich Nietzsche (zusammen mit Schopenhauer) ausgesetzt sieht - und den der tragische Mythos oder schon 1869 die philologisch vermittelte Dichtung der Alten (vgl. HkP KGW II/l, 268) hätte verwinden sollen - nur ansatzweise zu äussern. Overbecks Leiden ist ein sehr spezifisches, nämlich eines an der „heutigen Theologie"; freilich ist es gerade dadurch hervorgerufen, dass die Theologie die ernsthafte und pessimistische „Lebensansicht", das Leiden und die Leidensbewältigungsweisen des frühesten Christentums auf unzulässige Art (pseudo)wissenschaftlich verniedliche - sokratisiere, mag man mit Nietzsche sagen. Für Overbecks Urchristen in ihrer eschatologischen Fixierung gibt es eine Rechtfertigung des Daseins nur insofern, als es ein Dasein zur Erlösung ist. Es gebricht ihnen für die Welt an einer Rechtfertigung, ganz sicher an einer, die eine musikalische, eine künstlerische sein soll. Von den bei Schopenhauer angebotenen Wegen, sich dem Willen zu entziehen, findet Overbeck bei den Urchristen nicht den der Kunst verwirklicht, sondern den konsequenteren: den der Askese, der Weltverneinung. Overbeck denkt nicht in den Kategorien der lutherischen Rechtfertigungslehre oder der leibnizschen Theodizee - und überhaupt viel weniger als sein Freund in den Schemata der christlichprotestantischen Existenzfragen: Bei ihm muss nichts an jene unübersehbare, einst vom Christentum besetzte Leerstelle treten, um mit monomythischer Wucht alle bisher christlich gelösten Probleme neuerlich und anders und besser zu lösen. Overbeck läuft niemals Gefahr, der Kunst oder irgendeiner anderen Instanz all jene beispielsweise sicherheitsverschaffenden, weltorientierenden, sozial verankernden Funktionen zuzumuten, die die Religion ausgefüllt hatte. Die Kunst wird ebensowenig wie die Philosophie oder die Wissenschaft zu einem Allerheilmittel; es lässt Overbeck modern erscheinen, wenn er einer Platzhalterin der Religion mit Singularitätsanspruch entsagt, um für das Vielgestaltige und Differente Raum zu bekommen. „Modern" ohne den abschätzigen Klang, den das Wort bei Overbecks späterer (Dis-)Qualifizierung der „modernen Theologie" bekommt (vgl. die „Kirchenlexicon"-Artikel im Anhang). 3.1.1 Der Mythos und seine Historisierung Ohne den Mythosbegriff der Geburt der Tragödie - in seinen Verwurzelungen und Verästelungen so gut wie in seinen nationalistischen, mithin antisemitischen Auswüchsen - zu erschöpfen 9 , muss doch für den Fortgang der Untersuchung seine hauptsächliche Bestimmung herausgestellt werden, die nämlich, notwendige Illusion zu sein, ein Schutzwall gegen den unerträglichen Anblick des Tatsächlichen. Die Musik ist nach Nietzsche dazu befähigt, „den M y t h u s das heisst das bedeutsamste Exempel zu gebären und gerade den t r a g i s c h e n

My-

thus: den Mythus, der von der dionysischen Erkenntniss in Gleichnissen redet." (GT 16 - KSA 1, 107) 1 0 9 Dies ist schon geschehen bei Reibnitz, Ein Kommentar, v. a. S. 220ff. und Peter, Im Schatten der Modernität, S. 140-163. 10 Die Musik habe für die Griechen den Zweck der „ E i n w i r k u n g a u f d i e G ö t t e r " (GgL III, 2 - GoA 18,140) gehabt. Für Nietzsche dürfte das Christentum im innersten Wesen unmusikalisch sein.

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Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik

In der Verarbeitung der „dionysischen Erkenntniss", wie sie in der Tragödie geschieht, wird ein ,,mythische[s] Substrat" 11 apollinisch überhöht, das heisst die erschütternde Einsicht in das grauenvolle Wesen der Welt mit einer künstlichen Form des „schönen Scheins" umhüllt - eine Form, die das Grundstürzende zu bewältigen sich anschickt. Nietzsche propagiert demnach eine funktionalistische Mythostheorie, die durchaus mit derjenigen Piatons Ähnlichkeiten hat: Der Mythos spricht aus, was sich auf andere Weise nicht sagen lässt. Er ist das „Vehikel dionysischer Weisheit" (GT 10 - K S A 1, 73). 1 2 Als „das bedeutsamste Exempel" rückt er in die Nähe der grossen Vorbilder, mit denen sich das Individuum mittels „monumentalischer Historie" identifiziert. Die Folgerung ist nicht abwegig, monumentalische Historie sei eine mythologische. Im 9. Kapitel der Geburt Exegese des Ödipus

setzt Nietzsche denn auch zu einer Paränese, zu einer allegorischen von Sophokles und des Prometheus

von Aischylos an: Nietzsche offenbart

seinen Lesern, was ihnen „der Mythus scheint [ . . . ] zuraunen zu wollen" (GT 9 - K S A 1, 67). Der „entfesselte Prometheus", wie Nietzsche ihn malt - und der ja auch das Titelblatt der Erstausgabe ziert (vgl. das Vorwort an Wagner - K S A 1, 23)

stimmt eher mit der Gestalt aus

Goethes Gedicht (GT 9 - K S A 1, 6 7 ) 1 3 als mit der aischyleischen überein. Dies wirft auch ein Licht auf Nietzsches Selbstverständnis. 1 4 Prometheus ist vergleichbar mit dem „geharnischten Ritter" (GT 2 0 - K S A 1, 131) auf Dürers Stich, in dem Nietzsche Schopenhauer und sich selber wiedererkennt. 1 5 Nicht umsonst fühlte sich Overbeck in seinem ersten Brief an den neuen Freund vom 17. April 1871, als er eine Photographie Nietzsches betrachtete, an den „muthigen Dürerschen Ritter" erinnert; namentlich der „trotzige und imperatorische Blick" stach ihm ins Auge (KGB II/2, 357 -

B N O , 3). Overbeck selbst wird hinwiederum nachgesagt, seine Grund-

stimmung („mood") sei die, in der der Goethesche Prometheus gegen Zeus rebelliere. 1 6

11 Reibnitz, Ein Kommentar, S. 221. 12 Dies ist theologischer Sprachgebrauch: Für Johann Salomo Semler z.B. sind Bibel und Sakramente die vehicula der eigentlichen Botschaft (die noch nicht mit der Vernunftreligion in eins gesetzt wird), während bei Kant der Kirchenglaube insgesamt Vehikel der Sittlichkeitsreligion wird. Vgl. Aloysius Winter, Theologiegeschichtliche und literarische Hintergründe der Religionsphilosophie Kants, in: Friedo Ricken/Fran5ois Marty (Hrsg.), Kant über Religion, Stuttgart/Berlin/Köln 1992, S. 17-51, S. 29. 13 Johann Wolfgang von Goethe, Prometheus [1774], in: Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Grossherzogin Sophie von Sachsen, 1. Abt., Bd. 2, Weimar 1888, S. 76-78. Vgl. Reibnitz, Ein Kommentar, S. 240f. 14 Die Ambivalenz der Prometheusgestalt bei Nietzsche stellt Miguel Skirl in seiner leider unveröffentlicht gebliebenen Arbeit Der entfesselte Prometheus. Nietzsches „Geburt der Tragödie" und ihre Titelvignette heraus. Skirl warnt eindringlich vor einfachen Identifizierungen des Prometheus ζ. B. mit Richard Wagner. 15 Vgl. Ottmann, Philosophie und Politik, S. 78f., der sich vom „relativ ungebrochenen Protestantismus" distanziert, den Bertram, S. 43-63 der Nietzscheschen Interpretation des Stiches unterlegt. Der protestantische Grundton ist freilich nicht zu überhören, wenn man ζ. B. an die dritte Strophe von Luthers berühmter Adaption Komm, heiliger Geist, Herre Gott (1524) des Pfingsthymnus Veni sancte spiritus denkt, die Nietzsche bestimmt gekannt hat: Der Heilige Geist wird mit dem Wunsch angerufen: „Und stärk des Leibes Blödigkeit/Dass wir hie ritterlich ringen/Durch Tod und Leben zu dir dringen." (WA 35,449 - zitiert nach Martin Luther, Schriften zur Neuordnung der Gemeinde, des Gottesdienstes und der Lehre = M. L., Ausgewählte Werke, hrsg. von Η. H. Borcherdt und Georg Merz, Bd. 3, München 3 1962, S. 349). 16 Henry, Franz Overbeck: Theologian?, S. 8. Unter dem Lemma „Prometheussage. Patristisches" des „Kirchenlexicons", in: NLO, A 234, ist bei Overbeck ein längeres Exzerpt aus einem Artikel der „Revue des deux mondes" vom 15. August 1862 zu finden, dazu zwei kurze Notizen zu Clemens Alexandrinus und Origenes. Ein „Prometheus"-Lemma existiert nicht.

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Kritik, Christentum

und Kultur

Nietzsche kommt es in seiner Allegorese des Ödipus und des Prometheus weniger auf das an, was die Tragödien des Sophokles und Aischylos spezifisch auszeichnet, sondern viel eher auf den philosophischen Grundgehalt, den er diesen kapitalen Mythen unabhängig von ihrer literarischen Ausgestaltung unterlegt. Während die „Glorie der Passivität" den Ödipus umstrahle, werde im Prometheus die „Glorie der Activität" (GT 9 - KSA 1, 67) besungen. Obschon Ödipus das Rätsel der Sphinx löse, wissend sei, werde er des Frevels, der auf seinen Schultern laste, werde er der Abgründe der Welt gewahr - und blende sich deswegen: „X>ie Spitze der Weisheit kehrt sich gegen den Weisen: Weisheit ist ein Verbrechen an der Natur': solche schreckliche Sätze ruft uns der Mythos zu" (ibd.).

Bei Prometheus sei es hingegen das Aufbegehren gegen die unergründlichen Ratschlüsse der Götter, gegen die blinde Willkür der „Natur", der den „nach G e r e c h t i g k e i t " (GT 9 - KSA 1, 68) dürstenden Heros schliesslich an den Felsen kette. 17 Ja, dem Prometheus-Mythos wohne „für das arische Wesen eben dieselbe charakteristische Bedeutung inne[...], die der Sündenfallmythus für das semitische hat" (GT 9 - KSA 1, 69). Damit wird den „Ariern" die „erhabene Ansicht von der a c t i v e n S ü n d e " (ibd.) als Grundlage für die Genese der abendländischen Kultur unterschoben, wodurch Nietzsche seinen eigenen kulturstiftenden Elan mit den seiner Ansicht nach massgeblichen Traditionen dieser Kultur verbinden kann. Dass für die „Semiten" nur noch Passivismus und Fatalismus abfällt (in deren Verlängerung später das „Ressentiment"), weil bei ihnen eben die Ureltern unwiderruflich gesündigt und damit das Leid und die Sünde über alle Nachkommen gebracht hätten, ist bezeichnend für die Polarität, in der Nietzsche hier denkt. Obwohl auf der Oberfläche dieser Textstelle eine Völkerpsychologie sich Gehör verschafft, die den Gegensatz „semitisch"-„arisch" .wertfrei' stipuliert, so folgt daraus doch unmittelbar, dass das Eindringen des passivistischen, eben „semitischen" Hinnehmens allen Übels in die „prometheische" Kultur der „Arier" verwerflich und schlecht sei. Wäre die Sündenfall- und Erbsündenlehre selber das Erzeugnis der ,arischen' und nicht der semitischen' Kultur, 18 würde dies natürlich die versteckte Illegitimerklärung des Christentums innerhalb des ,arischen' Kulturkreises - denn um nichts anderes handelt es sich - Lügen strafen. 19 „Die Erkenntniss tödtet das Handeln, zum Handeln gehört das Umschleiertsein durch die Illusion" (GT 7 - KSA 1,57).

17 Emersons Essay über „Geschichte" könnte Nietzsches Auslegung des Prometheus-Mythos mitstimuliert haben. Dort heisst es u. a. „Prometheus ist der Jesus der alten Mythologie. Er ist der Menschenfreund, der zwischen der ungerechten .Gerechtigkeit', des ewigen Vaters und dem Menschengeschlecht steht und bereitwillig dessen Schuld auf sich nimmt. [...] Der gefesselte Prometheus ist die Geschichte des Skeptizismus." (Ralph Waldo Emerson, Versuche. Für die Deutsche Bibliothek nach der Übersetzung von G. Fabricius hrsg. von Mario Spiro, Berlin o. J., S. 2.3) 18 Erst Augustin hatte ihr bekanntlich zu jener Valenz verholfen, die ihr im westlichen Christentum (im Unterschied zum östlichen) eine alles überragende Stellung sicherte. Der völkerpsychologischen Kohärenz seines Argumentes zuliebe blendet Nietzsche diesen Umstand aus. Wolf-Daniel Hartwich, Die Erfindung des Judentums. Antisemitismus, Rassenlehre und Bibelkritik in Friedrich Nietzsches Theorie der Kultur, in: Trumah. Zeitschrift der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg, Bd. 5 (1996), S. 179-200, S. 188 bestreitet grundsätzlich, dass Nietzsche hier einen „Antagonismus von arisiertem Griechentum und Judentum" aufbaue. 19 Reibnitz, Ein Kommentar, S. 249, Anm. 107 weist auf Overbecks Charakterisierung des Nietzscheschen Antijudaismus hin: „Nietzsche ist ein herzlicher Gegner des Antisemitismus, so wie er ihn erlebt hat, gewesen; sah er doch ,Verleumdungs- und Vemichtungswut' für eine der unehrlichsten Formen des Hasses' an. [...] Das hindert ihn nicht, dass, wo er ehrlich spricht, seine Urteile über die Juden allen Anti-

Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik

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Das Ganze dient einmal mehr der „ R e c h t f e r t i g u n g des menschlichen Übels" (GT 9 - KSA 1, 69). Das „Gleichnissbild des Mythos" verschone uns „vor dem unmittelbaren Anschauen der höchsten Weltidee" (GT 21 - KSA 1, 137). Der Mythos als „das zusammengezogene Weltbild", als „Abbreviatur der Erscheinung" könne „das Wunder nicht entbehren" (GT 23 - KSA 1, 145): bei der vom Mythos gegebenen Komprimierung ist es nicht opportun, nach Kausalzusammenhängen zu fragen. Man vergegenwärtige sich Overbecks Skepsis angesichts der Wunder im Neuen Testament (EhB, 25 - vgl. 1.2), wenn Nietzsche hier mit dem Glauben an den Mythos zur Kulturregeneration auch das Sich-Einlassen auf Wunder verlangt. Mit dem Ende des Mythos geht Nietzsche zufolge „jede Cultur ihrer gesunden schöpferischen Naturkraft verlustig" (GT 23 - KSA 1, 145), weshalb die Mythen nicht nur zur Erziehung eingesetzt werden sollten, sondern überhaupt zur Sicherung eines Horizontes, innerhalb dessen sich als Individuum leben liesse, innerhalb dessen dieses Individuum der Auflösung zu trotzen vermöchte. Als Feindbild in den schwärzesten Farben gemalt wird die sokratische Zivilisation - die den Mythos als Richtschnur verabschiedet habe, und in der höchstens noch die Wissenschaft als schwacher Mythosersatz eine ähnliche Stellung innehaben möge (vgl. ibd. - KSA 1, 148). Den Lesern - demoralisiert durch den ihnen vorgeführten, desolaten Zustand der Kultur - bleibt somit nur Flucht in die Hoffnung auf „die W i e d e r g e b u r t d e s d e u t s c h e n M y t h u s " (ibd. - KSA 1, 147). Nietzsches spätere Nihilismusdiagnose wird in seinem Kampf gegen die Sokratik antizipiert. In keinem Fall ist der Mythos jedoch - zumal der tragische als die auf apollinischen Nenner gebrachte dionysische Wahrheit - vor seinem Untergang gefeit. Gerade weil in ihm ein einmaliges und labiles Gleichgewicht der beiden Prinzipien zustande kam, ist er dazu verurteilt, wieder aus dem Lot zu geraten, denn das eine oder das andere Prinzip wird eines Tages überwiegen. Nietzsches scharfe Kritik an der Destruktion der Tragödie lässt keinen Zweifel darüber zu, welche Gefahr Nietzsche dem Mythos vor allem drohen sieht: Das Überhandnehmen des Apollinischen, seine Entleerung durch die Wortgläubigkeit des Sokratismus, der meint, mit dem Denken das Sein „zu c o r r i g i r e n im Stande" (GT 15 - 1,99) zu sein: „Denn es ist das Loos jedes Mythus, allmählich in die Enge einer angeblich historischen Wirklichkeit hineinzukriechen und von irgend einer späteren Zeit als einmaliges Factum mit historischen Ansprüchen behandelt zu werden: und die Griechen waren bereits völlig auf dem Wege, ihren ganzen mythischen Jugendtraum mit Scharfsinn und Willkür in eine historisch-pragmatische J u g e n d g e s c h i c h t e umzustempeln." (GT 1 0 - K S A 1 , 7 4 )

Sonderbarerweise soll sich das Absterben der Mythen stets und zwangsläufig in solchen Bahnen abwickeln. Die Generalisierung steht in pointiertem Gegensatz zum Ende der Tragödie, die „durch Selbstmord" starb, „in Folge eines unlösbaren Conflictes, also tragisch": Die Mythen sind „alle in hohem Alter des schönsten und ruhigsten Todes verblichen" (GT 11 - KSA 1, 75). Natürlich kann man argumentieren, das gewaltsame Hinscheiden der Tragödie entspräche ihrem von Nietzsche behaupteten Inhalt: wenn schon tragisch, dann auch im Untergang. Bei der literarischen Konstruktion der Tragödienschrift hätte sich diese Analogie fast notwendig aufgedrängt, ohne dass sich der Suizid der Tragödie streng historisch belegen liesse. Die Karikatur, die Nietzsche von den Werken des Euripides zeichnet, erfüllt diesen Zweck vollkommen. Während der Mythos auf natürliche Weise umkommt, wird die Tragödie zum Selbstmord gezwungen: Im letz-

semitismus an Schärfe weit hinter sich lassen. Sein Anti-Christentum ist vornehmlich antisemitisch begründet." (EFN, 222 - ON I, 362) Auf der Parenthese „so wie er ihn erlebt hat" liegt das Gewicht.

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Kritik, Christentum und Kultur

ten Fall wird demnach ein krimineller Tatbestand konstruiert, während im ersten aus dem natürlichen Verlauf der Dinge niemandem ein direkter Vorwurf erwächst. Die Historisierung führt nach Nietzsche das Ende des echten, des gelebten Mythos herbei. Wenn die sich verbreiternde hermeneutische Kluft zwischen dem, was der Mythos hat sagen wollen und dem, was die Nachgeborenen noch davon verstehen, hier ohne Groll konstatiert wird, so generiert sich - wie wir gesehen haben spätestens in der Zweiten Unzeitgemässen - daraus ein Unrecht. Nietzsche beschreibt einen Rationalisierungsprozess des Mythos und der Religion im allgemeinen, der gleichzeitig Sinnentleerung impliziert: Historie tritt an die Stelle des Mythos, weil dieser nicht mehr als Mythos verstanden wird - in seinem Symbolgehalt - und versteinert zu einem Tatsachenbericht, dessen Plausibilität dann in Frage gestellt ist, wenn sich Zweifel am Wunder einschleichen. Für Nietzsche, der diese Entmythologisierungstendenzen schon bei den Griechen am Werke sieht, ist dies „die Art, wie Religionen abzusterben pflegen: wenn nämlich die mythischen Voraussetzungen einer Religion unter den strengen, verstandesmässigen Augen eines rechtgläubigen Dogmatismus als eine fertige Summe von historischen Ereignissen systematisirt werden und man anfängt, ängstlich die Glaubwürdigkeit der Mythen zu vertheidigen, aber gegen jedes natürliche Weiterleben und Weiterwuchern derselben sich zu sträuben, wenn also das Gefühl für den Mythus abstirbt und an seiner Stelle der Anspruch der Religion auf historische Grundlagen tritt." (GT 10 - KSA 1,74)

Die historische Interpretation des Mythos entsteht demnach aus dem Miss- oder Unverständnis der ursprünglichen mythischen Botschaft und ist nicht die böswillige, bewusst falsche Uminterpretation eines sehr wohl noch Verstandenen, wie dies die Historienschrift mit ihrem kämpferischen Impetus suggeriert. Nietzsches recht undifferenzierte Betrachtungsweise ist freilich selbst ebenfalls nur aus der ,Tendenz' seiner Tragödienschrift heraus deutbar: Nietzsche tut so, als ob seit den sokratischen und nachsokratischen Philosophen, spätestens aber seit den Alexandrinern und dem Christentum die historische Mythenauslegung alleiniges Bürgerrecht innerhalb der Religion für sich beansprucht hätte. Wie wenig dies selbst im Christentum bis in die neueste protestantische Zeit hinauf zutraf 2 0 , wie sehr die Allegorese eine „rein historische Betrachtung" verdrängt hatte, wollte Overbeck zwei Jahre vor Nietzsches philologischer Abschiedsschrift in seiner Antrittsvorlesung nachweisen: Gerade die Dinge, die wirklich historisierbar sind, die Bedingungen, unter denen die neutestamentlichen Schriften entstanden sind, würden im Christentum zu einer idealen Geschichte umgebogen, die mythischen Charakter habe, in der jedenfalls mit den Fakta fast nach Belieben verfahren werde (vgl. APP!). Nietzsche übt sich in der Geburt selber in einer allegorischen Mytheninterpretation, die jedem Kirchenvater Ehre gemacht hätte.

3.1.2 Christentum und Griechentum Einen entscheidenden Bruch zwischen vorchristlicher und christlicher Historisierung der Mythen macht Nietzsche an dieser Stelle jedenfalls nicht fest, er rubriziert im Gegenteil jede Art von historisierendem Umgang mit Mythen unter die Verfallssymptome von Religion. Der spezifisch 20 Dass Nietzsche mit der Geschichte der allegorischen Mytheninterpretation gerade im Christentum vertraut war, wie sie z . B . David Friedrich Strauss, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, Bd. 1, Tübingen 1835, Einleitung: Die Genesis des mythischen Standpunktes für die evangelische Geschichte, S. 1-76 gezeichnet hatte, darf angenommen werden, hatte Nietzsche Straussens Werk doch schon in seinen Studienjahren gelesen.

Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik

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jüdisch-christliche Gedanke, an Stelle mythischer Horizonte historische (ζ. B. vorsehungstheologische) zu setzen - unter denen sich sinnvoll (jenseitsorientiert) leben Hesse - wird übergangen, und dies vielleicht mit Bedacht: Bei Overbeck ist der „rechtgläubige Dogmatismus", der auf Historizität pocht, von der eigentlichen, nämlich eschatologischen Ausrichtung der Ursprünge abgeirrt. Die Gesprächsgemeinschaft mit Nietzsche könnte hier die Weichen gestellt haben. Nach dessen verallgemeinernder These scheint es z . B . in den Evangelien keine Neigung zu geben, historische Tatsachen mythisch einzukleiden. Vielmehr müsste dort ein umgekehrter Prozess im Gange sein: der Versuch, mythischen Archetypen' „ängstlich" ein historisches Korsett zu verpassen, worin sich Nietzsche überdies mit Strauss trifft (vgl. Anm. 20). Ich unterstreiche die Nahtlosigkeit, mit der nach Nietzsche die hellenistische Mythenerklärung in die christliche überzugehen scheint, wenn er die christliche hier nicht eigens der Erwähnung für würdig befindet. Der „Anspruch der Religion auf historische Grundlagen" (ibd.) veranlasst Nietzsche auf jeden Fall zu einer Verfallsdiagnose, ohne irgendeine differentia specifica christlichen Rekurses auf Historie auch nur zu erwähnen. Die Feindseligkeit des Schweigens ist deutlicher zu spüren als seine Behutsamkeit. Die Christen, „mit einer andern Religion im Herzen" (GT 3 - KSA 1, 34), stünden den Göttern des Olymps mit Widerwillen gegenüber, denn bei diesen „erinnert nichts an Askese, Geistigkeit und Pflicht: hier redet nur ein üppiges, ja triumphierendes Dasein zu uns, in dem alles Vorhandene vergöttlicht ist, gleichviel ob es gut oder böse ist." (ibd. KSA 1,34 f.)

Die Sehnen der Christen „nach sittlicher Höhe, ja Heiligkeit, nach unleiblicher Vergeistung, nach erbarmungsvollen Liebesblicken" (ibd. - KSA 1, 34) wird nicht befriedigt. Ja, der Verlauf der Argumentation und der Ruf nach der Erneuerung des dionysischen deutschen Mythos - für den sogar Luther und die Reformation Pate stehen dürfen (GT 23 - KSA 1, 147) 21 - gestattet den Schluss, dass das von den Christen (zumal protestantischer Prägung) artikulierte Verlangen, welches sie von ihrem Gott befriedigt haben wollen, in Nietzsches Augen ein falsches und verderbliches sei. Asketisch-protestantische Tugenden der „Askese, Geistigkeit und Pflicht" schei-

21 Zu dem durch Emanuel Hirsch, Luther und Nietzsche, in: Luther-Jahrbuch, Jg 2/3 (1920/21), S. 61-106 (Neudruck mit einem Nachwort von Jörg Salaquarda in: Nietzsche-Studien, Bd. 15 (1986), S. 398-439 ich zitiere nach dem Erstdruck) entfachten Streit um Nietzsches Lutherbild und Nietzsches mögliche negative Beinflussung durch die katholische Geschichtsschreibung von Johannes Janssen (so Hirsch), vgl. Benz, S. 8-16. Im Kontext der Geburt der Tragödie mag die Behauptung interessieren: „ D i o n y s o s ist ein n a t u r a l i s t i s c h e s N a c h b i l d d e s l u t h e r i s c h e n G o t t e s b e g r i f f e s , das D i o n y s i s c h e ein n a t u r a l i s t i s c h e s N a c h b i l d der l u t h e r i s c h e n F r ö m m i g k e i t . " (Hirsch, S. 83, vgl. GT 23 - KSA 1, 147!). Konrad Algermissen, Nietzsche und das Dritte Reich, Celle 1947, S. 32 versteigt sich gar zur These, Nietzsche habe die Konsequenzen des schon im Keime nihilistischen, nämlich protestantischen Gottesbegriffes gezogen ... Zu strukturellen Ähnlichkeiten im Denken Luthers und Nietzsches vgl. Fritz Buri, Kreuz und Ring. Die Kreuzestheologie des jungen Luther und die Lehre von der ewigen Wiederkunft in Nietzsches „Zarathustra", Bern 1947. Pfeiffer, Franz Overbecks Kritik des Christentums, S. 163 stellt bei Burckhardt, Nietzsche und Overbeck eine gemeinsame Abneigung gegen Luther fest, die ihren Ursprung bei Schopenhauer haben möge. Benz, S. 156: „Bei seiner starker Abneigung gegen das zeitgenössische Zerrbild eines rosenzüchtenden, liberalen Philisters Luther und des fraulichen Fachwerkbaus' seiner Theologie erfreut ihn [sc. Overbeck] die Rücksichtslosigkeit, mit der Nietzsche durch sein negatives Urteil über Luther hervorgetreten ist."

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Kritik, Christentum und Kultur

nen Nietzsches Geschmack nicht zu entsprechen. Die christlichen Mythologien sind für ihn nicht dazu geeignet, das Horizontdefizit zu decken, das er beklagt, oder sonstwie für die Einbusse der heidnisch-antiken Welt zu entschädigen. Die „Schrecken und Entsetzlichkeiten des Daseins" (GT 3 - KSA 1, 35) können mit dem vom Christentum angebotenen Mitteln nicht oder nicht mehr bewältigt werden, wie der tragische Mythos und die Tragödie es vermocht hätten und neu vermögen sollen. Warum dem so und weswegen eine Neuauflage nichtchristlicher Mythologien unverzichtbar sei, darüber lässt sich Nietzsche hier zwar noch nicht vernehmen. Ganz fehlgehen wird man aber nicht mit der Vermutung, das mangelnde Gespür des Christentums für das Dionysische, sein „Pessimismus der Schwäche" trage für diesen Ausschluss die Verantwortung. „Der Pessimismus der Stärke und als Stärke dagegen macht sich nichts vor, sieht das Gefährliche, will keine Verschleierungen und Übermalungen." 2 2 Wenn die griechischen Götter (für Nietzsche - darin Feuerbach verpflichtet - selbstverständlich menschliche Projektionen) „das Menschenleben" „rechtfertigen", „indem sie es selbst leben" - dies als „die allein genügende Theodicee" (GT 3 KSA 1, 36) - , dann bedeutet dies, dass die Rechtfertigung des Daseins und des Leidens nicht erwirkt wird durch einen gekreuzigten Gott. Die satisfactio vicaria, die den Menschen gemäss christlicher Dogmatik durch das Sterben des Gottmenschen Christus gerecht macht, steht in diametralem Gegensatz zur Rechtfertigung der Götter dadurch, dass sie wie der Mensch einen unmoralischen Lebenswandel führen und ferner auch leidensfähig sind (Dionysos Zagreus). Sie stellen eben nicht ein unerreichbares Ideal dar, vor dem der sündige Mensch zerknirscht in den Staub sinkt, sondern die Projektionen heroischen Stolzes, die vielleicht - wenn schon keinen andern - den „metaphysischefn] Trost" spenden, „dass das Leben [...] unzerstörbar, mächtig und lustvoll sei" (GT 7 - KSA 1, 56). Im Falle des Christentums bedürfen die Menschen der Rechtfertigung, im Falle Nietzsches die Götter. Obschon das Christentum den griechischen Göttern und dem mythischen Denken keineswegs gewogen sei und die Wiederkehr des „echten" Mythos unterminiere, schiebt ihm Nietzsche dennoch nicht die Schuld am Untergang des antiken Mythos oder der Tragödie zu. Bereits bei Euripides verschafften sich die Sklaven auf der Bühne Gehör und gelangten so „wenigstens der Gesinnung nach, jetzt zur Herrschaft" (GT 11 - KSA 1, 78). Die Sklavenmoral, um Nietzsches spätere Terminologie vorwegzunehmen, feiert schon im 5. Jahrhundert vor Christus fröhliche Triumphe über das ständisch-aristokratische Bewusstsein der Archaik. Ihr Enkel wird dann das Christentum sein - ein Enkel freilich, auf dem kaum mehr als der Schatten des Verbrechens gegen den Adel lastet. Wenn Nietzsche später, in seinen scharfen Attacken gegen das Christentum eine unterschwellige .Erbsündentheorie' mobilisieren sollte (von der Art: Jn Sokrates, in Euripides haben alle, d . h . die Christen gesündigt' analog zu ,in Adam haben wir alle gesündigt'), so fehlt eine solche Genealogie des Verderbens hier noch. Das Christentum ist ein Verfallssymptom unter anderen. Entsteht Wissenschaft, die der Religion gefährlich wird, für Nietzsche denn, weil die Götter nicht mehr gut, das heisst nicht mehr stark gedacht werden? Die „tiefsinnigen und furchtbaren Naturen der vier ersten Jahrhunderte des Christenthums" (ibd.) werden sogar für ihre Verachtung der dekadenten griechischen Heiterkeit belobigt: Die vorkonstantinische Christenheit steht bei

22 Martin Heidegger, Nietzsches Wort „Gott ist tot", S. 224 (im Erstdruck: S. 207). Nietzsches Mythos wäre indes, will er doch gleichfalls die Abgründe vertuschen, streng genommen durch Pessimismus der Schwäche bedingt.

Über die Christlichkeit unserer heutigen

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Theologie

Nietzsche so gut wie bei Overbeck und Schopenhauer im Rufe eines ernsten, weltflüchtigen Pessimismus, dem die „weibische Flucht vor dem Ernst und dem Schrecken" (ibd.) der griechischen Spätzeit ein Greuel sei. An Einsicht in das Leiden und das wahre, schreckliche Wesen mangelte es den frühen Christen demzufolge nicht. Sie wählen jedoch nicht den Ausweg der künstlerischen Überhöhung und Idealisierung, sondern den der Weltverneinung. Die Einsicht gebiert nicht die trotzige Haltung des Jetzt erst recht!' vielmehr die resignative des Jetzt erst recht nicht mehr*. ,,Glaube[.] an eine ideale Vergangenheit" und „Glaubef.J an eine ideale Zukunft" (ibd.), die den Griechen in ihrer Blüte eigentümlich gewesen seien, können sich bei den Christen also erst in dem Augenblick durchsetzen, wo der anfängliche Ernst und Tiefsinn verloren gegangen ist: mit der Degeneration des christlichen Pessimismus. Die pessimistische Anthropologie des dogmatisch konsolidierten Christentums wird in einem späteren Kapitel der Geburt der sich gegen sie wehrenden, neu entstehenden Oper gegenübergestellt. Auch hier gesteht Nietzsche wieder zu, dass die „Ernstgesinnten jener Zeit", diesmal des 16. oder 17. Jahrhunderts, sich zu solchem Pessimismus am ehesten hingezogen gefühlt hätten (GT 19 - KS A 1, 122). Nietzsche seinerseits verspricht den Jüngern das Heil im Neopaganismus: „Jetzt wagt nur, tragische Menschen zu sein: denn ihr sollt erlöst werden. Ihr sollt den dionysischen Festzug von Indien nach Griechenland geleiten. Rüstet euch zu hartem Streite, aber glaubt an die Wunder eures Gottes!" (GT 20 - KSA 1,132)

Ohne Wunder hat die Mission im Christentum so gut wie im Heidentum einen schweren Stand, muss sich bald aber auch skeptische Zwischenrufe gefallen lassen. Overbeck bringt zu Beginn der Christlichkeit die Sache auf den Punkt: „Oder nehmen wir die Wunder, so weiss Jedermann oder er kann es doch wissen, dass sie einer Religion, wo sie allein herrscht, ebenso viele Gläubige verschaffen, als, wo das Wissen ihr entgegentritt, Gläubige kosten." ( C h T 1 , 4 ) 2 3

Nietzsches philosophierende Philologie hat sich, wenn sie darauf sinnt, Wunder zu wirken, aus dem Bereich der Wissenschaft und des Wissbaren hinausbegeben. Die prekäre Balance von Kunst und Wissenschaft, die ihr Anwalt in der Homervorlesung noch zu halten versucht hat, ist endgültig aus dem Lot geraten: Mit dem Wegfallen des Gegengewichtes objektivierender Wissenschaft wird die Waagschale des Künstlerisch-Mythischen in ungeahnte Höhen gehoben. Nietzsches Philologie ist Philosophie mit einer sich selbst prädizierten religionsstiftenden Kompetenz geworden. Diese Kompetenz verteidigt sie, mindestens teilweise, in der Zweiten Unzeitgemässen.

3.2 Über die Christlichkeit

unserer heutigen

Theologie

Overbecks einzige Schrift, mit der er die enge Bandbreite kirchenhistorischer Spezialuntersuchungen sprengt und zu einer pamphletistischen Gesamtbewertung der „heutigen Theologie" ausholt, ist seine 1873 erschienene Christlichkeit unserer heutigen Theologie. Dass diese „heutige Theologie" im Titel als „unsere" klassifiziert wird, entbehrt nicht der Ironie: mit „unse-

23 OWN 1, 172 bringt dazu in der Anmerkung eine interessante Marginalie Overbecks in seinem Handexemplar von Straussens „Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet" (NLO, A 405).

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Kritik, Christentum und Kultur

rer heutigen Theologie" hat Overbeck gar nichts am Hut. Das Werk zweckt, avant la lettre, auf „kritische" Historie in Nietzsches Sinn ab und nicht etwa auf „monumentalische", in der - freilich auf Nietzsche kaum genehme Weise - Overbecks Jugendfreund Heinrich von Treitschke federführend war. Overbeck sollte sich bald von Treitschke, der geistigen Leitfigur seiner Studienjahre distanzieren, welcher sich, ursprünglich liberal gesinnt, zum chauvinistischen Vorzeigehistoriograph des Deutschen Kaiserreiches emporarbeitete. Zu diesem Zweck verabschiedete sich Treitschke von früheren agnostischen Ansichten, um schliesslich ein christlich verbrämtes Bekenntnis ebenso zu propagieren wie die von Schopenhauer genährten Zweifel an den gewaltigen Errungenschaften des Zeitalters zu verachten, die sich seitens der Basier Exilanten Overbeck und Nietzsche vernehmen Hessen. Für den sonderbar randständigen Philologen Nietzsche hatte Treitschke, der die breite Strasse dem schmalen Pfad vorzog, ohnehin wenig übrig, was denn auch zu seiner Entfremdung von Overbeck beitrug. Fast von selbst versteht sich, dass er sich kaum für die Vorstufe der Geburt der Tragödie begeistern konnte, die ihm Overbeck unter dem Titel „Musik und Tragödie" zur eventuellen Publikation in den Preussischen Jahrbüchern anbot. „Ganz ins allgemeine ist also festzustellen: Nietzsche hatte in Overbecks Herzen die Stelle eingenommen, die früher Treitschke besass." (ON I, 100) Immerhin erscheint Treitschke symbolisiert als deutscher Reichsadler noch 1876 auf dem Monumentulum amicitiae, das Carl von Gersdorff als Hochzeitsgabe für Franz Overbeck und Ida Rothpietz mit allegorischen Versinnbildlichungen des Freundeskreises um Nietzsche und Overbeck bemalt hatte. Auf dieser runden Holzscheibe wird neben Treitschke, Gersdorff, den Overbecks, Nietzsche, Erwin Rohde und Heinrich Romundt als zweiter in der Abwendung begriffener zugewandter Ort auch Richard Wagner dargestellt (NLO A 294, vgl. Ov II, 137f.). Scharf fällt 1879 Overbecks Urteil über Treitschkes Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert aus. Daran lassen sich die sachlichen Differenzen ermessen: „Dennoch muss ich mir ja zugestehen, dass ich in den erheblichsten Dingen anders denke als Du. Mir, wenn ich nur mich frage, erscheint ja überhaupt eine Geschichtsschreibung wie die Deines Buches wie eine ungeheure Ungerechtigkeit, ihre Handhabung des moralischen Unheils kann ich meist nur ablehnen und wenn ich dich den Anspruch erheben sehe, nur ,zu erzählen und zu urtheilen, - ich wüsste nicht, welche höheren Ziele sich die Geschichsschreibung überhaupt stecken kann - so kann ich nun einmal nicht zugeben dass, dem was ich eine Art Naturgesetz nennen möchte zuwider, ein Urtheil, in welches sich so viel von der Hitze des Kampfes, der mit dem Werden aller Dinge verknüpft ist, überträgt viel Aussicht auf Richtigkeit oder doch Anspruch auf unbedingtes Ansehen hat. Hiernach versteht es sich von selbst, dass es in Deinem Buche eine Fülle von Urtheilen giebt, mit denen ich nicht einverstanden bin." 24

Overbecks Begriff von Historie, die sich nicht mit politischen Tagesgeschäften verkuppeln lassen will, ist mit demjenigen Treitschkes in seiner heroistischen, an das .Volksempfinden' appellierenden Tendenz unvereinbar. Wenn Overbeck sich schon nicht dazu hergibt, Historiker im Namen eines mehr oder weniger diffusen „Lebens" mit Nietzsches Schützenhilfe zu sein, dann erst recht nicht zu den ideologischen Gunsten eines Deutschen Reiches, dem er vielleicht nur halbwegs freiwillig den Rücken gekehrt hat. Unter anderem gegen den (nicht allein theologischen) Zeitgeist dieses Reiches richtet sich seine Christlichkeit unserer heutigen Theologie.

24 Brief Overbecks an Treitschke vom 4. Mai 1879 (wird vollständig publiziert in OWN 8). Zur Freundschaft mit Treitschke einige Dokumente in ON I, 1-38, 82-100 und deren Interpretation bei Peter, Im Schatten der Modernität, S. 105-118.

Über die Christlichkeit unserer heutigen

Theologie

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Overbeck unterstreicht rückblickend Nietzsches prägende Bedeutung für dieses Buch und für sein ganzes Denken. Er tut dies mit der Evokation des ersten Verses aus Dantes Göttlicher Komödie (Inferno 1,1): Nietzsches „Einfluss", der ihn auf der „Wanderschaft durch das Leben, und zwar nel mezzo del cammin" ereilt habe, sei der „stärkste der Art" (ChT 2 , 13) gewesen. (Treitschkes wird hier gar nicht mehr gedacht.) Nietzsche holt - als Psychopompos? - seinen Freund nel mezzo del cammin ab zu einer Hades- und Fegefeuerfahrt, von der Overbeck zwar geläutert wiederkehrt, ohne jedoch in die von Nietzsche gleichfalls eröffneten paradis artificiels jemals entrückt zu werden. 25 Die Läuterung verwehrt Overbeck dort den Eingang gründlich. 26 „Nietzsche ist der Mensch, in dessen Nähe ich am freiesten geatmet und demgemäss auch meine Lungen für den Gebrauch im Bereich menschlichen Daseins, zu dem in Beziehung zu treten mir überhaupt beschieden ist, am erfreulichsten geübt habe. Seine Freundschaft ist mir im Leben zu viel wert gewesen, als dass ich Lust verspürte, sie mir durch irgend welche postume Schwärmereien zu verderben. Ich habe den lebendigen Menschen lieb gehabt, man kann auch was er hinterlassen hat, lieb haben, wird unter Umständen davon erfüllt sein, wo man nämlich nichts anderes hat. Unter diesem Anderen' möchte ich für mich durchaus nicht das Christentum verstehen, woran manche noch leicht bei meinen Worten denken werden, eher ein etwas verschiedenes Verhältnis zum Modernen, zum Stück Welt, das wir als Zeitgenossen gemeinschaftlich erlebt haben." (EFN, 329f. = ON II, 423)

3.2.1 Mythen und Lebensbetrachtung. Der Konflikt von Glauben und Wissen Nach Overbeck ist durch „Syllogismen noch Niemandem der Glaube an Wunder beigebracht worden. Wer ihn vertheidigt, macht sich gewissermaassen anheischig, selbst Wunder zu tun." (ChT 1 , 24) Mit dieser Spitze gegen die apologetische Theologie und ihre partielle Verteidigung der Wunder als Phänomenen, die es in neutestamentlicher Zeit sehr wohl gegeben hätte, sich seither aber nicht mehr einstellten, verdeutlicht Overbeck den fundamentalen Zwiespalt dieser Art Theologie. Sie klammere sich zum einen an einen dogmatischen Grundbestand, zum andern weigere sie sich, die „düstere" und weitabgewandte „Lebensansicht" des Christentums in der Frühzeit oder im Mönchtum mitzutragen. Für die Wissenschaft gibt es nach Overbeck keine Möglichkeit, sich mit Wundern irgendwie einzulassen, und so darf es keine Theologie tun, sofem sie Wissenschaft sein will. An diesem Punkt scheint die Differenz von Nietzsche und Overbeck sehr klar auf: Während Nietzsche auf eine grundlegende Reform der Wissenschaften, namentlich der Philologie und der Historie sinnt, die die Wunder und den Mythos wieder ermöglichten, hält Overbeck eine solche Wiedergewinnung für ein Ding der Unmöglichkeit, oder für ein Ding wenigstens, dem das sacri-

25 Vgl. Zur Genealogie die Moral III, 10: „Jeder, der irgendwann einmal einen „neuen Himmel" gebaut hat, fand die Macht dazu erst in der e i g e n e n H ö l l e . . . " (KSA 5,360). 26 Ich wage nicht, mit Hermann Randa [Pseudonym für Hermann Augustin], Nietzsche, Overbeck und Basel, Bern/Leipzig 1937, S. 22 von Overbeck zu behaupten: „Wir dürfen aber sagen, dass, wenn die drei Könige aus dem Morgenlande zu ihm, dem Schriftgelehrten, gekommen wären, um ihn nach Stall und Stern zu fragen, er die Bücher weggeworfen und mit ihnen auf die Suche gegangen wäre." An Overbecks metaphysischem und religiösem Agnostizismus besteht für mich kein Zweifel, obwohl beispielsweise Wilson in all seinen Veröffentlichungen das Gegenteil zu beweisen sucht (vgl. John Elbert Wilson, Die Zweideutigkeit in Franz Overbecks Aussagen über seinen Unglauben, in: Theologische Zeitschrift, Jg. 40 (1984), S. 211-220).

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ficium intellectus vorangegangen sein müsste. Wohlverstanden: auch für ihn hat Religion etwas mit Mythos zu tun, wobei er sich stark an die Geburt der Tragödie anlehnt. 27 Jedoch rate ich, aufgrund der einen einschlägigen Stelle in der Christlichkeit zu Zurückhaltung bei jener fast vollständigen Identifikation von Mythos/notwendiger Illusion und Religion, die Peter seiner Interpretation zugrunde legt. „Namentlich aber die moderne Theologie ist gänzlich ausser Stande etwas, was auch nur einer Religion ähnlich sähe, zu reproduciren. Gleichgültig kann eine Religion insbesondere gegen ihren Besitz an Mythen sein, nur so lange ihre mythenbildende Kraft eine lebendige ist, das heisst so lange die Wunderkräfte, die ihren Mythus hervorbrachten, noch in ihr fortwirken. Diese Kräfte sind in der christlichen Welt bekanntlich längst dahin, im Grunde seit es eine christliche Theologie giebt, und weil schon früher der christliche Mythus in das Stadium einer starren Tradition trat, ist die historische Interpretation desselben, vor Allem seiner canonischen Urkunden, schon früh in der Christengemeinde getrieben worden. Doch war die alte Kirche vom Aberglauben noch frei, dass eine heilige Urkunde durch Anwendung der historischen Interpretation in ihrem religiösen Ansehen zu erhalten sei, und sie hatte an der allegorischen eine Art von Surrogat für den nicht mehr selbst lebenden Mythus." ( C h T ' , 1 2 )

Die Religion ist, in meiner Deutung dieses wichtigen Textstückes, eine Macht, die über den Mythos verfügt, ihn, soweit ihre „mythenbildende Kraft" noch wirklich lebt, fast nach Belieben zu erschaffen vermag. Dies braucht aber nicht zu heissen, dass die Religion mit dem Verlust der mythenbildenden Macht bereits sich selbst abhanden gekommen wäre. Vielmehr ersinne diese Religion Mittel, sich der nun überlieferten und nicht mehr spontan hervorgebrachten Mythen zu versichern, und sie - allegorisch - für sich auszulegen. Offenkundig ist die Ähnlichkeit der Overbeckschen Darstellung vom Ende des Mythos durch seine Historisierung und Dogmatisierung mit der oben zitierten in der Tragödienschrift (GT 10 - KS A 1, 74). Dennoch mahnt gerade die seltene Erwähnung der Mythosproblematik in der Christlichkeit zur Vorsicht: Die Lemmata, die Peter aus Overbecks „Kirchenlexicon" beibringt 2 8 , belegen Overbecks gute Bekanntschaft mit den einschlägigen Stellen in Nietzsches Werk und zudem ein spezifisches Interesse an der Sache, sind selber aber weitgehend Paraphrase des von Nietzsche Gesagten und können meines Erachtens nur bedingt als Zeugnisse für Overbecks eigene, womöglich imitative Konzeption gelesen werden. Zugegebenermassen ist der Schluss e silentio naheliegend, dass - gerade weil Overbeck Nietzsches Thesen nicht kritisch konterkariere - von einem Einverständnis auszugehen sei - ein Eindruck, den Peter zudem mit brieflichen Äusserungen Overbecks erhärtet. Trotzdem fällt auf, dass Overbeck in der oben wiedergegebenen Passage die Religion zum handelnden Subjekt macht, das sich auf die eine oder andere Weise zum Mythos verhält, und nicht wie Nietzsche die „mythischen Voraussetzungen einer Religion" zuallererst ins Feld führt. Overbeck schreibt von der zu seiner Zeit üblichen „Unterschätzung der mythischen Formen und Überschätzung der historischen Grundlagen der Religion" (ChT 1 ,13), jedoch nichts von mythischen Grundlagen der Religion! Christenthum ist für ihn nach dem Wegfall der mythenerschaffenden Kraft noch

27 Siehe Peter, Im Schatten der Modernität, S. 2 0 2 - 2 1 0 und die zahlreichen dort beigebrachten Zeugnisse. Peter hält Overbecks „Grundentscheidung", dass die Religion „im Grunde" Mythos sei, die dem Wissen, sobald sie mit ihm in Konflikt gerät, nicht mehr standhält, für eine, die „jede Theologie" verunmögliche (S. 202). 28 V. a. „Mythus", in: NLO, A 231 und „Religion und Mythus", in: NLO, A 235 (Peter, Im Schatten der Modernität, S. 208 f.).

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existent, nur hat es sich, mit Hilfe der Theologie, in der Allegorese der überlieferten Mythen ein „Surrogat für den nicht mehr selbst lebenden Mythus" geschaffen. Dieser Ersatz steht freilich im Geruch der Entartung, der Uneigentlichkeit. Overbeck und Nietzsche bewerten diese Entwicklung einhellig als Verfall. Ja, während bei Nietzsche in der Geburt der Tod des Mythos als friedliches Sterben beschrieben worden ist, für das niemand zur Rechenschaft gezogen werden muss, nennt Overbeck - was vielleicht weniger aus dieser Textstelle, als aus dem Gesamtcharakter der Schrift zu folgern ist - unmissverständlich eine Schuldige: die Theologie und ihren Drang zur Verweltlichung. Diese Verschärfung hinwiederum, so kann man mutmassen, hat ihrerseits auf die Zuspitzung von Nietzsches Argumentation in der Historienschrift eine Wirkung nicht verfehlt. Bei alledem bleibt die Feststellung, dass die Mythosfrage nicht der einzige Schlüssel zur Christlichkeit ist. Angesichts der spärlichen Aussagen über den Mythos kann man sogar behaupten, dass sich Overbeck über den Gehalt des schillernden Mythosbegriffs und dessen Verhältnis zur Religion nicht ganz im klaren zu sein scheint, jedenfalls keine sehr eindeutigen Auskünfte erteilt. Die Religion erzeugt ja offenbar den Mythos erst, sie droht zugleich aber, ohne ihn, ihr Erzeugnis, dahinzuschwinden - und muss sich, nach Overbeckscher Indikation, gegen alle Versuche einer historischen Wiedergewinnung ihres Inhaltes wappnen. 29 Das Wort „Mythos" wird, wenn es in der Christlichkeit denn auftaucht, häufig mit dem des „Dogmas" kombiniert, jeweils in Pluralform (z.B. ChT 1 , 40, 46, 71), und, in dieser Verbindung, der christlichen „Lebensansicht" gegenübergestellt: Die „Mythen und Dogmen" gehörten zwar „unabtrennlich zur Religion, die sie vertheidigt", aber „füllen sie doch diese nicht aus, sondern sie lassen sich wiederum selbst nicht loslösen vom Hintergrunde einer bestimmten Welt- und Lebensbetrachtung, die sie, wie ein Stamm das Laub, erst hervorgetrieben hat. Meint aber eine Apologetik, die sich christlicher Welt- und Lebensbetrachtung durchaus entfremdet hat, am dürren Laube jener Mythen und Dogmen das Christenthum zu haben, so mag sie zusehen, wie lange sie sich selbst noch bei dieser Meinung erhält, Anderen muss es gestattet sein zu läugnen, dass ihre Theologie sich noch eine christliche nennen kann." (ChT 1 ,40)

Genau auf den Erweis der prinzipiellen Unchristlichkeit zeitgenössischer Theologie ist Overbecks „Streit- und Friedensschrift" bedacht. Zwar möge die Theologie, ob sie nun „apologetisch" oder „liberal" sei, bestimmte Lehrsätze und Glaubensvorstellungen („Mythen und Dogmen") des Christentums bewahrt haben und sie fromm nachbeten. Ihr fehle jedoch die pessimistische Weltanschauung des Urchristentums und ebenso des Mönchtums, das sich als Reaktion auf das Arrangement der Kirche mit dem römischen Staat und der antiken Kultur formiert habe. So sei denn Straussens Trachten, mit der Widerlegung von „historischen oder mythischen Tatsachen und Dogmen" (ChT 1 , 71) das Christentum auszustechen 30 , völlig verfehlt, weil es gerade an der

29 Ich teile die Auffassung von Peter, Im Schatten der Modernität, S. 215 nicht, dass Overbeck mit seinem Insistieren auf die christliche „Lebensbetrachtung" eine „realitätsnähere, ,phänomenologischere' Sicht der Wirklichkeit von Religion" entworfen habe, die in starker Spannung zu seinem Mythosverständnis stünde, den ich in der von Peter behaupteten Weise als „notwendige Illusion" in der Christlichkeit nicht finde. Mythos ist bei Overbeck ein Produkt dieser Lebensansicht und nicht mit ihr, mit Religion identisch. 30 In: David Friedrich Strauss, Der alte und der neue Glaube [1872], Bonn 7 1874, Kap. 4-32, S. 13-94. Bei Overbeck und bei Nietzsche (in UB I) sind Straussens früheren Schriften, namentlich „Das Leben Jesu" von der scharfen Kritik explizit ausgenommen. Eben weil er hinter die dortigen Erkenntnisse zurückfalle (vgl. ChT 1 ,70f.), fallen die Attacken so scharf aus. Strauss werde zum Verräter an seinen eigenen, früheren Wahrheiten.

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christlichen „Lebensansicht" vorbeischiesse (vgl. Einleitung). Für Overbeck ist das grösste Problem nicht, dass die Mythen der Zersetzung durch das Wissen preisgegeben sind (obwohl dies, wie die ersten Seiten der Schrift belegen, ebenfalls schwer wiegt), sondern dass jene Sicht auf die Welt und das menschliche Leben, die das Christentum und seine Mythen erst hervorgebracht habe, nicht, auf jeden Fall nicht auf dem Weg historischer Forschung zurückgewonnen zu werden vermag. Wie für Nietzsche sind die Mythen für Overbeck Ausdruck von Lösungen der Fundamentalfragen, denen sich Menschen unter den Umständen ihrer Zeit ausgesetzt sehen. Mit dieser funktionalistischen Mythosinterpretation hat Overbeck aber nicht gleichzeitig Nietzsches Modell vom Dionysischen und Apollinischen adoptiert. Die Mythen zeugen vielmehr von einer Weltansicht, von Daseinsbewältigung, von Komplexitätsreduktionsweisen ganz allgemein. Nicht darin, dass die Mythen als Mythen durchschaut werden, liegt die Hauptschwierigkeit, sondern dass sie, abgelöst von den Problemen, auf die sie eine Antwort sind, sinnlos werden. Deswegen taugen sie nicht mehr für die Praxis und nicht für die Theologie, wenn die ihr zugrundeliegende Perspektive, unter der die Welt gedeutet wird, nicht mehr die urchristliche ist. Mit anderen Worten: Overbeck bestreitet, dass die christlichen „Mythen und Dogmen" universelle, das heisst überall und unter allen Bedingungen gültige Antworten sind. 31 Die „rein historische Betrachtung" des Christentums kulminiert also in der Absage an alle Versuche, jene Glaubenssätze auf irgendwelchen dogmatischen Schleichwegen für allgemein verbindlich zu erklären. Indem die Dogmen auf ihre partikularen Entstehungsumstände zurückgeführt werden, verlieren sie ihre absolute Werthaftigkeit. Ihre Repräsentanten müssen sich den Einwand gefallen lassen, ihnen sei ein echtes Verständnis der „Mythen und Dogmen" verwehrt, solange sie nicht zumindest danach trachteten, die Bedingungen, unter denen diese entstanden seien, zu reproduzieren - solange sie sich also nicht die Welt- und Lebensansicht des eigentlichen Christentums aneigneten. Durch die Bindung von „Lebensansicht" und daraus erwachsenden Glaubenssätzen ist jeder legitimen Aneignung des Christentums unabhängig von solcher „Lebensansicht" der Lebensnerv durchschnitten. Freilich beruht Overbecks Argumentation auf einer petitio principii, die nur insofern Plausibilität besitzt, als sie - durch einen kirchenhistorischen Aufriss - zeigen kann, dass in der Tat alles, was sich christlich nennt und nicht mehr in dieser ursprünglichen Koppelung gebunden ist, nicht eigentlich christlich sei. Die Meinungen hierüber werden klarerweise geteilt sein. Zu seiner Absicherung legt Overbeck von vornherein das Anfängliche, die arche als Massstab fest, von der aus dann Transformationen als Abweichung be- und verurteilt werden. 32 Obschon dieser Massstab sich gerade im Protestantismus ehrwürdiger Fürsprecher erfreut, stünde er, wollte man das Christentum mit anderer Elle messen, nichtsdestoweniger zur Disposition. Daher ist es erforderlich, im nächsten Abschnitt (3.2.2) auf Over-

31 Vgl. dazu Schleiermacher, Über die Religion, S. 78 (A 115f.), der den Wert der Dogmen ebenfalls nicht hoch veranschlagt. 32 „Nur in den Anfängen, in den christlichen Urzeiten habe es authentische Christlichkeit, eine heroischkonsequente Ablehnung des Betriebes der Welt gegeben. Diese Sicht ist aber eine normative Entscheidung, die ihrerseits nicht historisch gerechtfertigt werden kann. Der vieldeutigen faktischen Geschichte setzt Overbeck eine für eindeutig erklärte, normativ aufgeladene .Urgeschichte' voraus. In diesem dogmatischen Geschichtsbild, das in vielen Zügen an eine idealisierende Verklärung des Klassischen in den Altertumswissenschaften erinnert, kann die Wirkungs- bzw. Nachgeschichte des wahren Ursprungs bloss als Verfall, in Kategorien historischer Illegitimität gedeutet werden." Friedrich Wilhelm Graf, Theolog und Antitheolog. Die Neuentdeckung Franz Overbecks, in: Evangelische Kommentare, Jg. 27 (1994), S.678-681,S.679.

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becks Skizze der Kirchengeschichte und seine Polemik gegen die Theologie detaillierter einzutreten. Overbeck geht von der Grundannahme aus, Glauben und Wissen seien unvereinbare Grössen. Er schilt eine Theologie, die sich durch Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse darüber hinwegsetzen möchte, eine, die den „Anfang zu aller Barbarei" (ChT 1 , 63) mache. Der Konflikt von Wissen und Glauben wird im Falle der Theologie besonders misslich, denn wie kann sie sich unter diesen Vorzeichen als Wissenschaft etablieren, die gleichzeitig den Interessen des Glaubens Rechnung trägt? Die Invektiven gegen die zeitgenössische Theologie wollen demonstrieren, dass sie eben dies nicht vermocht habe. Overbeck für seinen Teil trachtet danach, „der Wissenschaft den stillen Platz zu sichern, welchen in der Theologie, der ganzen Natur dieser Disciplin nach, sich zu verschaffen, ihr ohnehin so schwer gemacht wird" (ChT 1 , VI). Zu Beginn (oder: vor Beginn) seiner Geschichte habe das Christentum mit Kultur oder gar mit Wissenschaft nichts zu schaffen gehabt, weswegen es abwegig sei, einen ursprünglichen Konnex von Wissenschaft und Christentum, gar eine Disposition des Christentums zur Wissenschaft zu konstruieren, wie das gegenwärtig so gern getan werde. Vor dem Wissen habe es wie jede andere Religion eine tiefe Abneigung gehabt, die sich aus der wenigstens unterschwelligen Einsicht gespiesen habe, dass Wissen den Glauben ständig bedrohe. „Daher ist denn auch das Thun jeder Theologie, sofern sie den Glauben mit dem Wissen in Berührung bringt, an sich selbst und seiner Zusammensetzung nach ein i r r e l i g i ö s e s , und kann keine Theologie jemals entstehen, wo nicht neben das religiöse sich diesem fremde Interessen stellen." ( C h T 1 , 4 )

Als Dienerin zweier Herren ist die Theologie von vornherein verdächtig und wohl auch jenen emstgesinnten Christen verdächtig gewesen, von denen Nietzsche sprach. Die Religion sei auf Dunkelheit angewiesen, die sie über ihre wunderbaren Ursprünge breite, und müsse sich mit aller Gewalt gegen die natürlichen Erklärungen zur Wehr setzen, die die Wissenschaft bereithalte. Noch 1901 schreibt Overbeck, die Theologen seien „vom Aberglauben nicht abzubringen, dass sie Vertreter der Religion bleiben, wenn sie nur sich als solche der .Wahrheit' hinstellen, sich hinter deren Deckmantel auch als Apologeten zurückziehen können. Allein wer so thut, verräth ohne Weiteres eine gewisse Gleichgültigkeit gegen Religion, indem er wenigstens zeitweilig sie bei Seite stellt, um sich solange nur um die .Wahrheit' zu kümmern." 33

Die Prämisse der Unvereinbarkeit von Glauben und Wissen klingt im Munde eines Theologen, als der sich Overbeck in jungen Jahren durchaus noch versteht, zumindest sonderbar, hatte man sich doch spätestens seit der Aufklärung mit einer andern beholfen, derjenigen nämlich, man solle das Wissbare wissen, um seine Grenzen zu erkennen und dadurch für den Glauben Platz zu schaffen. In „Kirchenlexicon"-Aufzeichnungen der frühen siebziger Jahre wird die Vermittelbarkeit von Glauben und Wissen durchaus noch in der Nachfolge Kants bestimmt: „Es giebt keine andere Versöhnung zwischen Glauben und Wissen, als nichts zu glauben, was man wissen kann, d. h. wir sollen unsern Glauben nicht an Dinge knüpfen, die in den Bereich unseres Wissens gehören. -"34

33 „Religion u. Wahrheit", Ziffer 2, S. 1 f., in: NLO, A 235 (vollständige Transkription im Anhang). 34 „Glauben und Wissen (Vermischtes)", Ziffer 2, S. 1 aus den Siebzigerjahren, in: NLO, A 224, zitiert nach Eberlein, S. 243, der das ganze Lemma abdruckt.

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In eine solche Richtung wies schon Entstehung und Recht. Mit dieser sicherlich bequemen Lösung bricht Overbeck jetzt auf dem Hintergrund der historisch-kritischen Erforschung der Bibel und des Christentums.35 Er rettet sich und das Seine angesichts der Desillusionierung nicht unter das Dach geschichtsphilosophischer Spekulation wie es Baur noch zu tun bereit war. In der konsequenten Historisierung und insbesondere im Aushalten des davon verursachten metaphysischen Orientierungsverlustes liegt denn auch Overbecks Verdienst. Indes ist damit noch nicht entschieden, ob die als Ausschliessungsverhältnis beschriebene Beziehung von Glauben und Wissen tatsächlich alle Überzeugungskraft auf ihrer Seite hat, und nicht vielmehr ein selbst sterbliches Kind jenes Schocks über die Reichweite historischen Forschens ist. Trotz allem Wissen bleibt auch im 20. Jahrhundert eine gewisse Attraktion des Religiösen (freilich nicht des kirchlichen Christentums) ungebrochen. Die Glaubwürdigkeit der Disjunktion von Glauben und Wissen wird nicht gerade vermehrt durch den Umstand, dass Overbecks Leser von den eigentlichen (ursprünglichen) Glaubensinhalten nicht viel mehr erfahren, als dass sie in mythischem Gewände daherkämen. Erkenntnistheorie, auf die eine solche Prämisse doch in irgendeiner Weise rückführbar sein müsste, treibt Overbeck nicht, vielmehr entlehnt er (anderswo aufgestellte) Grundsätze, ohne sie weiter zu reflektieren. 36 Oder möchte er die Differenz von Glauben und Wissen als ein soziologisches Problem verstanden wissen? Tut sich für ihn immer ein Graben zwischen Wissen und Glauben auf, weil die grosse Masse niemals wissen kann, sondern immer nur glaubt, was die wenigen Experten wissen und, in abgeschwächter Form, die Masse lehren? Was Overbeck in seinem Schlusskapitel vorbringt, wo er auf dem Priesteramt des Geistlichen insistiert - als des orthodoxen Vermittlers von Glauben und kirchlichen .Heilsmitteln' - scheint in diese Richtung zu deuten. Jedenfalls wird der Wust von Fragen, die sich bei Overbecks schroffer Trennung von Glauben und Wissen zu Wort melden, von ihm selbst nicht in Schranken gewiesen - ganz abgesehen davon, dass er, trotz seines Selbstverständnisses als Historiker, vollkommen unhistorisch eine aus dem philosophischen .Diskurs' der Neuzeit oder allenfalls der Scholastik bezogene Kategorie vom Gegensatzpaar Glauben und Wissen universalisiert und in sie das antike Christentum presst, ohne vorher abzuklären, ob sie überhaupt darauf anwendbar ist (abgeklärt muss dies ja nicht werden, wenn es von vornherein feststeht). Der Gegensatz von Glauben und Wissen in dieser radikalen Form ist kaum einer, in dem die stark religiöse, gerade nichtchristliche Wissenschaft der Spätantike sich wiedererkannt hätte. (Die platonische Aufstiegsbewegung von doxa und pistis zu episteme wird

35 Vgl. Overbecks Äusserungen in der Auseinandersetzung mit Paul de Lagardes Forderung nach Abschaffung der theologischen Licentiateneide. Overbeck zufolge liegt der Etablierung der Eide „eine Illusion über die Grenzen des Wissens zu Grunde, die Illusion, dass diese Grenzen gerade mit den Bedürfnissen des Glaubens zusammenfallen, das Denken seiner eigenen Natur nach gerade auf der Linie stehen zu bleiben hat, welche seine Verträglichkeit mit dem Glauben bedingt" (ChT 1 , 80). 36 Mit der von Ulrich H. J. Körtner, Theologie in dürftiger Zeit. Ein Essay, München 1990, S. 71-106 verfochtenen These, Overbeck habe mit der Theologie, die dem Glauben abträglich ist, eigentlich die Metaphysik gemeint, die nach Heideggers Diagnose am Ende sei, geht man an Overbecks Befund vorbei. Overbeck sagt keineswegs, dass Metaphysik in irgendeiner Weise gescheitert sei und ist gewiss ebensowenig der (unfreiwillige) Prophet eines religionslosen Christentums in der Machart Dietrich Bonhoeffers, als den ihn Körtner ausgibt. Heideggers eschatologische oder wahlweise geschichtsphilosophische Projektion vom Ende der Metaphysik kann hier nicht diskutiert werden; es ist aber symptomatisch, dass sich Theologen, die die Naherwartung reaktualisieren möchten, sich mit ihr anfreunden (vgl. unten Kapitel 4, Anm. 5).

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bei den Neuplatonikem so gut wie den Gnostikern, Clemens oder Augustin kopiert, ein Ausschliessungsverhältnis gerade nicht gedacht: Glauben soll metaphysisches Wissen werden). Overbeck unterschiebt der Theologie, sich über ihr eigenes, irreligiöses Wesen zu täuschen - ein Verdikt, das dann ebensosehr den Piatonismus oder die Orphik träfe. Overbecks theoretische Vorentscheidungen drohen den Blick auf die Quellen zu trüben. Mit Recht hat man auf die bei der Disjunktion von Glauben und Wissen offensichtliche Wahlverwandtschaft Overbecks mit Schopenhauer aufmerksam gemacht.37 Zwar verwahrt sich Overbeck in einem Brief vom 14. November 1873 an Treitschke gegen den Anschein, er habe bei Schopenhauer abgekupfert, gesteht aber gerne zu, dort die „leuchtende Evidenz" seiner Prämisse gefunden zu haben (ON I, 91 - OWN 8). Obwohl sich Overbeck bereits 1860 mit Schopenhauer intensiv auseinandergesetzt hatte, wurde diese Beschäftigung durch Nietzsche von neuem angeregt. Bei Nietzsche findet sich aber, soweit ich sehe, ein Ausschliessungsverhältnis von Glauben und Wissen, wenigstens in der Frühzeit, nicht in dieser Weise, wiewohl er die zerstörerische Macht des Wissens gegenüber der Religion einräumt. Zu sehr war Nietzsche bestrebt, sein Wissen wieder in Glauben, seine Wissenschaft in Religion zu überführen, als dass er diese harte Zweiteilung unterschrieben hätte. Allerdings ist für ihn der Mythos Illusion, aber als solche eine Form von Wissen, von Weisheit eben, die es zwecks Wiedererweckung besserer Kultur vor dem Zugriff zersetzender Wissensformen zu bewahren gilt. Bei Schopenhauer ist der Konflikt von Glauben und Wissen etwas anders gelagert als bei Overbeck: Einer der einschlägigen Paragraphen evoziert zunächst eine an Kant angelehnte Unterscheidung, die aus dem Wissbaren das jenseits davon Liegende, das Nichtwissbare, eben das Glaubbare, als einen eigenständigen Bereich aussondert. Gleich darauf wird jedoch dem Einwand stattgegeben, dass „das Wissen aus einem härteren Stoff ist, als der Glaube, so dass, wenn sie gegen einander stossen, dieser bricht." 38 Um die Religion keiner solchen Gefährdung auszusetzen, will Schopenhauer - gleich Overbeck - beide Bereiche strikt getrennt halten. Einige Seiten später nimmt die Sache insofern eine neue Wendung, als er - nun erweist er sich als verkappter Hegelianer - die allmähliche Überwindung des Glaubens durch das Wissen suggeriert: „Die Menschheit wächst die Religion aus, wie ein Kinderkleid" 39 Dies zu behaupten ist Schopenhauer aber nur möglich, weil seine Metaphysik in den innersten Kern der Natur eingedrungen zu sein wähnt, das Ding an sich - den Willen nämlich - durchschaut hat, somit also kein Freiraum für die Religion, kein Unwissbares mehr bleibt, von dem die Religion zehren könnte. 37 Zahlreiche Quellenauszüge bei Peter, Im Schatten der Modernität, S. 193-196. 38 Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. 2, Teilbd. 2, § 175 = Zürcher Ausgabe, Bd. 10, S. 398. 39 Schopenhauer, a. a. O., § 181, S. 432. Vgl. zu Overbecks Einschätzung von Schopenhauers Verhältnis zur Religion „Schopenhauer (Religion)", in: NLO, A 236. Unter dem Stichwort „Religion und Philosophie (Allgemeines), in: NLO, A 235 (von beiden Lemmata vollständige Transkription im Anhang) setzt sich Overbeck im Jahre 1900 langatmig mit der von Johannes Volkelt gegebenen Deutung von Schopenhauers Stellung zur Religion auseinander und optiert gegen Volkelt für Schopenhauers scharfe Trennung von Religion und Philosophie. Dieses umfangreiche Lemma vermittelt einen plastischen Eindruck von Overbecks verklausulierter Denkweise in den späten Jahren. Es heisst dort S. 19: „Wie er [sc. Schopenhauer] auch über die Religion sich auslässt, hoch- oder geringschätzt, stets spricht er als Philosoph, und aus seiner Philosophie schöpft er sowohl was er der Religion zugesteht als was er ihr abspricht indem er sie als Volksmetaphysik ansieht, womit er doch nichts anderes sagen will, als dass dem Volk das, was ihm seine Philosophie leistet, die Religion leistet." Das Insistieren auf den Volksmetaphysikcharakter der Religion könnte es plausibel machen, dass Overbeck seinen Gegensatz von Glauben und Wissen, wie oben gemutmasst, soziologisch gefasst haben will.

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Kritik, Christentum und Kultur „Physik und Metaphysik sind die natürlichen Feinde der Religion, und daher diese die Feindin jener, welche allezeit strebt sie zu unterdrücken, wie jene sie zu unterminiren."40

Der Gegensatz von Glauben und Wissen ist bei Schopenhauer dennoch kein kontradiktorischer, wie er dies bei Overbeck als „beständiger und durchaus unversöhnlicher" (ChT 1 , 2) zu sein den Anschein erhalten hatte. Für Schopenhauer besteht die Überführung des Glaubens in Wissen in einer Verwandlung der Religion in Metaphysik, nämlich in seine eigene. Dagegen bleibt für Overbeck offenbar nach der vollständigen Auflösung des Glaubens durch das Wissen - die er trotz der postulierten Unversöhnlichkeit des Gegensatzes für denkbar hält (vgl. ChT 1 ,11) — keine orientierungsstiftende Wissenschaft übrig, weswegen der Glaube durch seine kritische Theologie zu schützen sei. Von den Gewissheiten einer allumfassenden und alleserklärenden Metaphysik kann Overbeck nicht profitieren (zudem rührt für ihn und Nietzsche im Unterschied zu Schopenhauer die Bedrohung der Religion vom historischen, nicht vom metaphysisch-naturwissenschaftlichen Wissen her), denn ihm gebricht es, soweit ich sehe, an einem noch aufklärerisch-optimistisch aufgeladenen „Wissen", das die Fragen löst, für die die Religion ihre Antworten bereithält. Davon unbeirrt, hält er am unausweichlichen Konflikt von Glauben und Wissen fest, den er in der Geschichte des Christentums am Werk findet.

3.2.2 Geschichte des Christentums und Destruktion der Theologie Um der modernen Theologie ihre Irrtümer über das eigene Wesen zu demonstrieren, behandelt Overbeck die Anfänge des Christentums, die nach ihm so ganz und gar nicht mit dem harmonieren, was gegenwärtig unter diesem Namen verbreitet ist. Der Gegensatz des Glaubens zum Wissen zeigt sich in den Anfängen vor allem als ein Gegensatz des Christentums zur Kultur, der allerdings nicht ausschliesst, dass die Kirche zur Vermittlerin der antiken Kultur für die Neuzeit geworden sei. Ob es eine absolut kulturfremde Religion überhaupt geben kann, ist eine Frage, die sich hier natürlich erhebt. 41 Overbeck versteht sein kulturfremdes Christentum allerdings als .Idealtypus', nicht sosehr als jemals gänzlich realisiertes historisches Faktum. „Einmal liegt ebensowenig wie überhaupt eine irdische Geschichte, so auch eine Theologie in den ursprünglichen Erwartungen des Christenthums, welches ja in diese Welt trat mit der Ankündigung ihres demnächst geschehenden Unterganges." (ChT 1 ,5)

Zentrales Motiv des theologisch noch unverfälschten Christentums sei die „Weltflucht"41, obschon es schon „verhältnissmässig bald dazu" gekommen sei, dass sich das Christentum mit der Welt abgefunden und in ihr einzurichten begonnen habe, da es sie „nicht" habe „vernichten" 40 Schopenhauer, a. a. O., S. 431. 41 Mit Paul Tillich wendet Carl-Friedrich Geyer, Einführung in die Philosophie der Kultur, Darmstadt 1994, S. 59 ein: „Jeder religiöse oder theologische Text, was immer er sonst noch sein mag, ist zuerst ein .kulturelles Dokument'. Im Verhältnis dazu bleibt Overbecks reine, nicht kulturkontaminierte Religion ein blosses Gedankenspiel (und selbst als solche ist sie noch der selbst nicht wahrgenommene Gestus des Durchspielens einer kulturellen Möglichkeit neben anderen)." 42 Vgl. Overbecks Replik auf die von Paul Wilhelm Schmidt geäusserte Kritik, er operiere in der „Christlichkeit" mit zwei verschiedenen Begriffen von „Welt" in: „Christenthum (Weltflucht) Allgemeines", in: NLO, A 219 (vollständige Transkription im Anhang).

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(ibd.) können. 4 3 Dann wären - so kann man aus den oben vorausgeschickten Explikationen schliessen - die Mythen des Christentums ursprünglich nicht Ausdruck von We/iorientierung, wenn der negativ konnotierten ,Welt' zugunsten radikaler Eschatologie der Rücken gekehrt wird. Die Mythen hätten also nicht den Zweck, den Menschen zu helfen, sich in dieser Welt zurecht-, sondern aus ihr herauszufinden. Der Dase/rtjorientierung nützten sie unter diesen Umständen selbstverständlich noch immer. In der nachurchristlichen Allegorese würden die tradierten Mythen zu Weltorientierungshilfen im engeren Wortsinn umgebaut. Diese Anpassung erfolgte, so Overbecks Schilderung, in Gestalt der Theologie, die in Alexandrien Paten fand und im Verein mit ihnen philosophisch-heidnisch angereicherte Erkenntnis anstrebte. Repräsentanten dieser Bewegung, unter denen die theologische Wissenschaft bereits ihre grösste Entfaltung erreicht habe, die ihr in der alten Kirche möglich gemacht werden sollte, waren - aus Entstehung und Recht schon sattsam bekannt - Clemens Alexandrinus und Origenes. Nietzsche bezeichnet in der Geburt der Tragödie mit dem negativ konnotierten Ausdruck „Alexandrinismus" die hellenistische Gelehrsamkeit im Gefolge des Sokrates, während für Overbeck die von Philo und anderen angeregte jüdisch-christliche Religionsphilosophie dabei im Vordergrund stehen. Er benutzt überdies nicht das Wort „Alexandrinismus", das bei Nietzsche eine bestimmte Geisteshaltung umreisst, sondern das allerorten gebräuchliche „Alexandriner". Dem Alexandrinismus und den Alexandrinern gemeinsam ist jedoch, dass sie die Konkursmasse des gelebten Mythos und der mythengenerierenden Religion verwalten. „Die alte Kirche liess sich also wohl die Frucht der Kühnheit ihrer ersten Theologen gefallen, aber gestattete keinem ihrer Nachfolger, es ihnen entfernt gleich zu thun, geschweige denn sie zu überbieten" (ChT 1 , 8).

In den Strudel des allgemeinen Verfalls der Kultur und der Wissenschaft, den Overbeck (mit Edward Gibbon) der Spätantike unterstellt, gerate auch die christliche Wissenschaft - vom kontinuierlichen Schwinden des historischen Bewusstseins haben wir früher gehört. Besondere Sympathie mit Clemens, von dem in der Forschung immer wieder behauptet worden ist, Overbeck identifiziere sich mit i h m 4 4 , ist hier nicht zu verspüren: Dessen annähernde Gleichstellung der griechischen Philosophen mit den „alttestamentlichen Religionsurkunden" (ChT 1 , 7) dürfte

43 Ein Grundakkord noch in späten Aufzeichnungen: „Nicht die Religion beherrscht die Welt, sondern stets diese über jene." „Religion u. Welt", Ziffer 1, S. 1, in: NLO, A 235 (vollständige Transkription im Anhang). 44 Die Debatte geht v.a. von ApL aus. Bernoulli hatte in seiner Einleitung zu Titus Klemens von Alexandria, Die Teppiche. Deutscher Text nach der Übersetzung von Franz Overbeck, Basel 1936, S. 60 behauptet: „Franz Overbeck war mit Klemens von Alexandrien nicht weniger eng befreundet als er es mit Friedrich Nietzsche war." Martin Tetz, Über Formengeschichte in der Kirchengeschichte, in: Theologische Zeitschrift, Jg. 17 (1961), S. 413-431, S. 425f. nimmt diese Anregung auf und betont, dass Overbeck in der Verhüllung der Wahrheit und dem Streben nach neuen literarischen Formen unter gewollter Formlosigkeit (die „Stromateis"!), durch die Christentum in der Welt möglich ist, mit Clemens übereinstimme. Dagegen opponiert Pfeiffer, Franz Overbecks Kritik des Christentums, S. 74, Anm. 234, indem er anmahnt, dass die dieser Hypothese zugrundeliegende Voraussetzung nicht zutreffe, wonach für Overbeck das Christentum „,die Wahrheit'" gewesen wäre. Zu Overbecks philologisch stellenweise zweifelhafter Clemens-Übersetzung vgl. ferner Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Overbecks Übersetzung der „Teppiche" des Clemens von Alexandrien. Eine wissenschaftsgeschichtliche Dokumentation, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte, Bd. 89 (1978), S. 372-390.

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einem vortheologisch-christlichen Standpunkt immer widerwärtig sein.45 Da aber nun einmal die Entstehung der Theologie nicht rückgängig zu machen ist, könnte der Versuch des Clemens, Christentum als Geheimwissen, als wahre Gnosis unter dem Schleier der monströsen Form vor Popularisierung zu schützen - die Overbeck bei den Modernen rügt (ChT 1 , 57-69) - , tatsächlich ein Paradigma jener „kritischen", das heisst vor allem selbstkritischen Theologie sein, welche Overbeck für die einzig legitime hält. In der Christlichkeit ist dergleichen jedoch kaum angedeutet, obschon die von Overbeck (erneut) in die Diskussion geworfene Unterscheidung von esoterischem und exoterischem Standpunkt des praktischen Geistlichen grösste Zurückhaltung bei der Weitergabe des wissenschaftlich Erkannten impliziert. Allenfalls lässt sich sein Rückgriff auf die Unterscheidung von Glaubenden und Wissenden in der alten Kirche, an deren Wiedereinführung ihm gelegen ist, als Fingerzeig in diese Richtung deuten (vgl. ChT 1 , 93). Innerhalb der Gelehrtenrepublik strengt Overbeck - getreu seinen aufklärerischen Maximen - allseitige Verständigung an: „Was ist es denn auch am Ende was daran so zu befremden hätte, dass Lesen und Schreiben immer schwerer wird? Das findet in der Welt überhaupt statt und sollte für Leser und Schriftsteller ζ Β. auch nur ein Sporn mehr sein sich gegenseitig das Leben oder das Auskommen miteinander leichter zu machen und so auch sich darüber zu verständigen, wie es mit dem Verstanden werden gehalten werden soll." 4 6

Freilich hat Overbeck viele seiner Einsichten selbst vor der Öffentlichkeit verborgen gehalten.47 Entsprechend der Feststellung, dass die Wissenschaft in der alten Kirche unter den Alexandrinern ihren Höhepunkt erlebte, gerate bei den von dieser hohen Bildungswarte hinuntergestiegenen Kirchenvätern die menschliche Vernunft in Misskredit. Rationale Begründung des Glaubens ist bei Athanasius so wenig gefragt wie bei Hieronymus, während Augustin sich zu Beginn von De doctrina Christiana dafür entschuldigen zu müssen glaubt, „dass er den Versuch einer wissenschaftlichen Anweisung zur Schriftauslegung unternimmt", wie Overbeck in einem Zusatz der 2. Auflage von 1903 anfügt (ChT 2 , 32, Anm.). Die Christen der alten Kirche gäben, so Overbecks Folgerung, auf der Folie eines asketischen Bewusstseins nie ihre Vorbehalte wissenschaftlicher Theologie gegenüber auf und wiegten sich in der „Illusion, es könne eine Theologie geben, die sich zum christlichen Glauben rein a p o l o g e t i s c h verhielte" (ChT 1 , 9). In der religiösen Abneignung gegenüber der Theologie kommt für Overbeck der Grundkonflikt von Glauben und Wissen zum Tragen, ebenso derjenige von Religion und Kultur. Denn die Theologie sei für die Alexandriner und ihre Nachfolger ein Werkzeug, das Christentum „den Weisen der Welt" (ChT 1 ,10) zu empfehlen, es kulturell aufzuwerten. „So betrachtet ist aber die Theologie nichts anderes als ein Stück der Verweltlichung des Christenthums, ein Luxus, den es sich gestattete, der aber, wie jeder Luxus, nicht umsonst zu haben ist." (ibd.)

45 Siehe Franz Overbeck, Über das Verhältniss Justins des Märtyrers zur Apostelgeschichte, in: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, Jg. 15 (1872), S. 305-349, S. 322 und C h T 1 , 7 . 46 „Lesen (modernes)", Ziffer 1, S. 2f., in: NLO, A 229 (vollständige Transkription im Anhang). 47 Wollte man für die von Tetz (vgl. Anm. 44) eingeschlagene Richtung bei Nietzsche einen Reflex anführen, so eignete sich dazu folgende Stelle: „So manchen Klugen fand ich: der verschleierte sein Antlitz und trübte sein Wasser, dass Niemand ihm hindurch und hinunter sehe." (Z III: Auf dem Ölberge KS A 4,220)

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In der Spätantike und im Mittelalter habe sich diese Theologie freilich nicht zu einer wirklichen Gefahr des Glaubens aus wachsen können, weil sie nie aus der strengen kirchlichen Obhut entlassen worden sei. Indes soll dieses Verstummen einer eigenständigen (nicht nur theologischen) Wissenschaft und das friedliche Verhältnis von Glauben und Wissen auf die kirchlichen Wünschen gefügig gewordene Staatsmacht zurückzuführen sein. Dieses stark schematisierte (um nicht zu sagen, antikatholisch verzerrte) Bild des Mittelalters, das ζ. B. die fundamentalen Konflikte von Kaisertum und Papsttum verschweigt, ist interessant, weil in ihm die Allianz von Kirche und Staat als Hindernis für die freie Entfaltung der Wissenschaft verdächtigt (eine sehr aufklärerische Anschauung übrigens) und nicht so sehr der Sündenfall des Glaubens durch die unheilige Koalition mit weltlicher Politik betont wird. Wenn die „Staatsgewalt" „unter die Botmässigkeit der Kirche gerathenf..]" ( C h T 1 , 9) ist, dann wird die Kirche als Hüterin des Glaubens vom Staat nicht direkt bedroht. Allerdings setzt sich die Kirche sowohl aus Elementen des Glaubens als auch der Theologie, des Wissens zusammen, weswegen sie nicht mehr reine Repräsentantin des Glaubens war wie das noch nicht kirchlich institutionalisierte Christentum. Diese Institution ist im Gegensatz zur ursprünglichen „Lebensansicht" des Christentums sowohl bei Overbeck als auch bei Nietzsche nicht gerade positiv besetzt. Mit der Theologie nährte das Christentum eine Schlange am Busen, die es dereinst vernichten könnte. Lange Zeit sei es ihr gelungen, „sich über ihr eigenes Wesen zu täuschen" ( C h T 1 , 10), was freilich in der Neuzeit nicht länger möglich gewesen wäre. Die Theologie als Wissenschaft folge nun beharrlich ihrem Weg, „ohne alle Rücksicht auf Zwecke, die ausserhalb ihrer selbst liegen" ( C h T 1 , 11), so dass sie „nicht einmal" mehr dem „Wahn" huldigen könne, „sie sei eine christliche Wissenschaft". Ebendieselbe Theologie mache „das Christenthum als Religion problematisch", was nach Overbeck für jegliche Art von Theologie gilt, selbst für die „apologetische", denn „wenn von ihr das Christenthum wissenschaftlich bewiesen wäre", hätte sie „es als Religion vernichtet" (ibd.). Ähnlich lautet eine Formulierung in der Zweiten Unzeitgemässen, durch die die Intensität der Gesprächsgemeinschaft einmal mehr zutage tritt: „Eine Religion zum Beispiel, die in historisches Wissen, unter dem Walten der reinen Gerechtigkeit, umgesetzt werden soll, eine Religion, die durch und durch wissenschaftlich erkannt werden soll, ist am Ende dieses Weges zugleich vernichtet." (UB II 7 - KS A 1, 296) Wie wir sahen, verneinen Overbeck und Nietzsche eine Potenz der Wissenschaft, Religion selber schöpferisch wiederherzustellen (eine solche Potenz hatte Lagarde vorausgesetzt). „In der That bringt nichts das der Religion, der sie zu dienen meint, seiner Natur nach fremde Wesen der Theologie deutlicher zu Tage, als die gegenwärtig so starke Überschätzung des Historischen für die positiven Zwecke der Theologie" ( C h T 1 , 1 2 f . ) .

Overbeck ist angewidert vom „eklen Gemisch von Halbwissen und Halbglauben" ( C h T 1 , 16), zu dem gewisse Theologen ihre Zuflucht nehmen, wenn sie für die Auferstehungserzählung wortwörtlichen Glauben einfordern, bei der Weltentstehungsgeschichte jedoch bereit sind, Zugeständnisse zugunsten Darwinscher Theorien zu machen - also, trotz allem biblizistischen Anstrich, dem biblischen Kanon keineswegs mehr das ihm ihrer eigenen Doktrin nach zustehende „gleichmässige[.] Ansehen aller seiner Theile" ( C h T 1 , 1 4 ) zubilligen. Wenn Theologie noch einen positiven Sinn haben soll, einen, der sie dem Glauben zuträglich sein lässt, dann indem sie „ p r a k t i s c h e Wissenschaft" ( C h T 1 , 16) werde. Diese trenne die Bereiche des Glaubens und des Wissens säuberlich voneinander und setze sie „zu einander in Beziehung" (ibd.), verzichte jedoch auf das Prädikat „christlich", soweit sie Wissenschaft sei. Wie dies konkret auszusehen hat, erörtert Overbeck im Schlusskapitel - nachdem er sich der

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„apologetischen" und der „liberalen" Theologie nach allen Regeln der polemischen Kunst entledigt hat. Und in den Kapiteln davor fällt oft ein Streiflicht auf die Entwicklung des Christentums, insbesondere in seinen ersten Jahrhunderten, da Overbeck von dort seine Massstäbe christlicher Lebensformen bezieht, mit deren Hilfe er die apologetische so gut wie die liberale Theologie aburteilt. Ohne hier die Angriffe auf die von Overbeck unterschiedenen theologischen Hauptrichtungen im einzelnen zu resümieren, muss dem Hauptvorwurf gebührende Beachtung geschenkt werden, die zeitgenössische Theologie habe, welcher couleur auch immer, bei allen Differenzen im Umgang mit dem tradierten christlichen Glaubensinhalten das Wesentliche verraten, nämlich die christliche Lebensbetrachtung. Damit werden die Unterschiede zwischen den zahlreichen theologischen Modellen, die Overbeck von vornherein auf zwei (ohne das kritische mit seinen Sachwaltern Strauss, Lagarde und Overbeck mitzurechnen) reduziert, noch weiter eingeebnet (vgl. ChT 1 , 34). Denn der sie laut Overbeck trennende „Streit [...] um das Quantum traditioneller Vorstellungen des Christenthums, welches der Wissenschaft preisgegeben werden soll" (ChT 1 , 17), ist am Ende unerheblich, weil er das eigentliche Problem verkenne. Overbeck ist umständlich bemüht, die Widersprüchlichkeit beider Positionen zu beweisen. Diese Richtschnur einer normativen Frühzeit ist für die Beantwortung meiner Ausgangsfrage nach Konstruktion und Funktion von Historie von einiger Wichtigkeit. Overbeck kann die Metamorphosen des Christentums nicht als dem Ursprung äquivalent verstehen, weil, wenn ihnen eine andere Welt- und Lebensanschauung zugrunde liege, ihre Selbstidentifikation mit den allein wegweisenden Wurzeln der Bewegung unrechtmässig sei. Overbeck läuft stürm gegen die Selbstverortung der zeitgenössischen Theologie in einer Geschichte, aus denen sie ihre Sicherheit, ihre Standhaftigkeit schöpft - gleich wie es Nietzsche gegen die Selbstversicherung des modernen Menschen durch eine ebendiesen modernen Menschen notwendig zum Ziele habende Geschichte tut. Nietzsche und Overbeck kappen die Banden dieser Selbstlegitimation, leugnen aufs entschiedenste das Recht der Gegenwart, in einer Geschichte heimisch zu werden, mit der sie nur in höchst mittelbarer, fiktiver Beziehung stünde. Ebenso ergeht es, wenigstens bei Nietzsche, den philiströsen Zukunftsprojektionen und -wünschen, die gleichfalls jenem Sicherheitsbedürfnis oder gar der Saturiertheit entsprängen, mit denen der „moderne Mensch" sein eigenes Abbild für alle Zeiten perpetuieren wolle. Damit tragen die beiden Freunde die Fundamente ideologischer Selbstbestimmung in der Moderne ab, nicht ohne gleichzeitig das, als dessen einfache Fortsetzer sich die modernen Christen und Philister verstehen, als Norm ihrer Kritik oder (bei Nietzsche) ihrer Selbstvergewisserung zu postulieren. In dieser methodisch-polemischen Parallelität zeigen sich Nietzsche und Overbeck, wenn sie es irgendwo tun, am ehesten als „Waffenbrüder". Sie schreiben beide Geschichte(n) der Diskontinuität, um die scheinbar selbstverständlichen Kontinuitäten, aus der das zeitgenössische Kultur- und Religionsverständnis seine eigene Berechtigung zog, als inexistent zu entlarven. Dem Menschen steht keine selbstverständliche Heimat in seiner Vergangenheit zu; er ist, so lautet die Botschaft der beiden deutschen Exilanten in Basel, stets ein Fremder. Die Welt ist nicht Heimat des Menschen, sondern sein Exil, eine andere Heimat aber hat er nicht; er ist kein notwendiges, sondern ein kontingentes Wesen ohne sicheres Woher und Wohin. Darüber täuschen beispielsweise auch Treitschkes Versuche nicht hinweg, sich im Deutschen Reich häuslich, geschichtsmetaphysisch einzurichten. Zurück zu Overbecks Attacke gegen den theologischen Zeitgeist: Die apologetisch genannte Partei bete zwar die altbekannten Glaubenssätze mit Inbrunst nach, sei jedoch in ihrem Vertrauen auf die wissenschaftliche Beweisbarkeit des Christentums völlig verblendet. Da es „bei der Entstehung jeder Religion überaus unhistorisch und unwissenschaftlich" (ChT 1 , 19), zugehe, sei der

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bei den modernen Apologeten so beliebte historische Beweis für die Wahrheit des Christentums der „werthloseste aller Beweise" ( C h T 1 , 1 8 ) . „Der historische Beweis für das Christenthum ist so alt wie die Theologie, aber wer seine Stumpfheit in der gegenwärtigen Apologetik empfunden hat, lerne die Möglichkeiten seiner Wirkungskraft bei den Kirchenvätern kennen, bei welchen er nicht isolirt wirkt, sondern sich vom Hintergrund ihrer düsteren asketischen Lebensansicht abhebt." (ChT 1 ,19)

Overbeck bestreitet damit nicht prinzipiell die Möglichkeit der Nutzbarmachung von Historie zugunsten des Christentums. Dies folgt aus dem oben Zitierten nicht, ist dies doch - streng genommen - gar keine logisch trifftige Argumentation: Wenn es bei der Religionsentstehung „unhistorisch und unwissenschaftlich" zugegangen sein sollte, kann dies nur heissen, dass den dabei Beteiligten ein historisches oder wissenschaftliches Bewusstsein gefehlt, jedoch nicht, dass dieses Ereignis selbst nicht innerhalb der Geschichte stattgefunden habe. Und auf der historischen Faktizität der Religionsentstehung basiert der historische Beweis des Christentums zuallererst. Overbeck muss also durch Beispiele aus der modernen apologetischen Literatur aufweisen, dass die Art und Weise, wie dort der historische Beweis geführt wird, unergiebig ist, weil es ihr eben an der Verbindung mit der „düsteren, asketischen Lebensansicht" gebricht. Obwohl sich Overbeck nicht lange damit aufhält, sondern alsbald den naturhistorischen Beweis zerzaust, den Christoph Ernst Luthardt in seinen Apologetischen Vorträgen populär machen wollte, ist genau dieser Vorwurf an die apologetische Theologie der Gegenwart im Kontrast zum „grössten Apologeten des Christenthums in der Neuzeit" (ibd.), Blaise Pascal, derjenige, der sticht: Dass die Modernen nämlich jede tiefe Empfindung für die Verzweiflung an der Welt verloren hätten. Auf Nietzsche dürfte Overbecks Lob auf Pascal als einem der seltenen ernsthaften Christen der Neuzeit einen nicht unerheblichen Einfluss gehabt haben. 4 8 In den frühen Siebzigerjahren vor dem Erscheinen der Christlichkeit - sind Nietzsches Äusserungen zu Pascal dünn gesät, da und dort wird ein Aper9u referiert, ohne dass Nietzsche auf Pascal als Denker näher einträte. Nachher steigt Pascal - „in der Vereinigung von Gluth, Geist und Redlichkeit" - auf zum ,,erste[n] aller Christen" (M 3 , 1 9 2 - KSA 3 , 1 6 5 ) , er wird zum einzig würdigen Nachfolger frühchristlichen Glaubens, dessen eigener Glaube „auf schreckliche Weise einem dauernden Selbstmorde der Vernunft ähnlich sieht" (JGB 3, 46 - KSA 5, 66). Nach Overbeck bedient sich Pascal zwar einer historischen Beweisführung des Christentums und lässt demgegenüber die „sogenannten metaphysischen Beweise" (ChT 1 , 19) gänzlich in den Hintergrund treten. Dennoch bleibe sie untergeordnet, komme es ihm doch „zunächst" darauf an, „eine bestimmte Stimmung zu wecken,

48 Von einer Bemerkung bei Eduard Grimm, Wie wurde Friedrich Nietzsche ein Feind des Christentums, und was können wir von ihm lernen?, in: Protestantische Monatshefte, hrsg. von Julius Websky, Jg.4 (1900), S. 253-281, S. 266 abgesehen, ist es in der Forschung weitgehend unberücksichtigt geblieben, dass Nietzsches Achtung vor Pascal sich bei Overbeck vorgeformt findet (vgl. zum Thema Dolf Stemberger, Nietzsche liebte Pascal, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Jg. 42 (1988), S. 720-730). Overbeck vergleicht in seinen Papieren Nietzsche mit Pascal (ON 1,133 - EFN, 225), wo es u. a. heisst: „Pascal war mit dem Christentum wirklich zusammengewachsen, es war sein Lebenselement, und er beweist vielleicht auch wie sonst niemand, das dieses Christentum doch nicht das reine Todesprinzip gewesen ist, das Nietzsche daraus gemacht hat." Overbeck hat freilich die Todesfixierung des Christentums selber stipuliert! Über Overbecks eigene „tiefe Liebe" zu Pascal, die sich v. a. im „Kirchenlexicon" manifestiert (OWN 5, 198-210), siehe Nigg, S. 150-152 (Zitat S. 150).

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bevor Erfolg von den eigentlichen ,Beweisen' für das Christenthum erwartet werden kann" (ibd.). Pascal beschwöre das Bewusstsein der Sterblichkeit und des Todes herauf, um dadurch den Menschen für die tröstliche Botschaft hellhörig zu machen: „Man muss aber Welt und Leben anders betrachten als unsere Apologeten, um ein Stück von so ergreifend dunkler Trostlosigkeit schreiben und nicht blos abschreiben zu können wie die Meditationen über den Tod, mit welchen Pascal sein Werk zu eröffnen im Sinne hatte; und auch so subtiler und tief dringender Scepticismus ist ihre Sache nicht." ( C h T 1 , 2 0 )

Die Macht des Zweifels haben die modernen Apologeten, die sich als phrasendreschende Kopisten Pascals betätigen, ebensowenig geschmeckt, wie sie die daraus keimende neue Zuversicht in eine ernstzunehmende Weltsicht umzusetzen im Stande sind. Die Lebensbetrachtung, die Overbeck als Spezifikum des Christlichen in der alten Kirche und bei Pascal lokalisiert, ist umfassend: Sie nimmt den ganzen Menschen in Beschlag, der von ihr aus die Welt, das Leben und den Tod deutet. Dagegen habe sich die scheinbar so fromme Apologetik des ausgehenden 19. Jahrhunderts ohne Skrupel mit der Bildung, der Kultur verbündet, und glaube, das Christentum sei mühelos unter die Fittiche der modernen gesellschaftlichen Gegebenheiten zu bringen es könne sich sehr leicht mit der Welt in ihrem So-Sein abfinden. Die stete Repetition der alten Formeln tönt für Overbecks Ohren schrill, wenn die Apologetik die Diskrepanz zwischen dem von ihr Gepredigten und einem davon völlig abweichenden Verhalten in gänzlicher Naivität um nicht zu sagen, aus Verlogenheit - vertusche. An „Selbsterkenntniss" (ChT 1 ,18) gebreche es dieser Spielart, Theologie zu treiben, in ganz erheblichem Masse. Den gegen das Christentum immer wieder erhobenen Einwand, das Handeln seiner Bekenner stünde in schreiendem Widerspruch zum Bekenntnis, spitzt Overbeck entscheidend zu, wenn er den Konflikt von Theorie und Praxis zurückführt auf einen schon der Theorie inhärenten Widerspruch: Den Glauben der zeitgenössischen Apologeten (und erst recht der Liberalen) qualifiziert der Kritiker als blosses Lippenbekenntnis ab, weil dieser Glaube nicht in einer alle Bereiche des Daseins einbegreifenden Gesinnung aufgehoben sei, sondern mit ihm fremden Ingredenzien faule Kompromisse schliesse. Pascal sieht sich solchen Einwänden gerade nicht ausgesetzt; bei ihm sei „empfunden", was bei den Modernen „blos obenhin bedacht" (ChT 1 , 20) werde. Christentum, christliche Lebensansicht ist für Overbeck demnach etwas zutiefst Innerliches, etwas, was mit Gewissen und Zerknirschung zu tun hat, nicht aber mit einem Akt oberflächlichen Zustimmens. Aus diesem Christentumsverständnis ergibt sich eine gewisse Spannung zu der rituell veräusserlichten Religionsform, als deren Priester Overbeck in seinen Schlussvorschlägen die Pfarrer berufen will (vgl. ChT 1 , 94). Diese dürfen als Wissenschaftler ganz andere Ansichten verlautbaren, als sie liturgisch und pastoral vertreten. Overbeck verlangt von den als Seelsorgern tätigen Theologen keineswegs die Kongruenz ihres Gewissens mit dem Gepredigten. Ob solche Sachwalter freilich der christlichen Lebensansicht dienen, die sie selber - aus intellektueller Redlichkeit? - verabschiedet haben, steht dahin (vgl. 3.2.3). Wie bei Overbeck erhält Pascal bei Nietzsche eine Schlüsselrolle als Prototyp des homo religiosus christlicher Provenienz; bei ihm tritt der christliche Glaube als Inbegriff der „Opferung" in nuce auf, die „Opferung aller Freiheit, alles Stolzes, aller Selbstgewissheit des Knechtes, zugleich Verknechtung und Selbst-Verhöhnung, Selbst-Verstümmelung" (JGB 3,46 - KS A 5,66): „Um [ . . . ] zu errathen und festzustellen, was für eine Geschichte bisher das Problem von W i s s e n und G e w i s s e n in der Seele der homines religiosi gehabt hat, dazu müsste einer vielleicht selbst so tief, so verwundet, so ungeheuer sein, wie es das intellektuelle Gewissen Pascal's war" (JGB 3, 45 KS A 5 , 6 5 ) .

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Bei aller Achtung vor dem Gewissen und der Redlichkeit Pascals benutzt Nietzsche ihn später gerade dazu, die Verderblichkeit des Christentums für das Leben zu veranschaulichen, was ihn gegen Ende seines Schaffens nicht vom Eingeständnis seiner Liebe zu Pascal abhält - Liebe zu ihm als dem ,,lehrreichste[n] Opfer des Christenthums, langsam hingemordet, erst leiblich, dann psychologisch" (EH, Warum ich so klug bin, 3 - KSA 6, 285). Overbeck liegt es trotz der Gemeinsamkeiten in der Einschätzung von und in der Liebe zu Pascal fern, ihn als Exempel für die Schädlichkeit des Christentums zu verwenden, da er - am Phänomen Christentum als solchem interessiert - nicht daran denkt, seine Vernichtung zu befördern, keine vitalistische Gegenmetaphysik verkündet. Er ist nicht so sicher wie der späte Nietzsche, dass diese Welt zu bejahen sei und man sich mittels amor fati mit ihr abfinden könne. Pascal dient Overbeck zwar als Paradebeispiel christlicher Lebensansicht, leidend und „sich selbst zum Opfer bringfend]" (OWN 5, 210), ohne diese aber bekämpfen zu wollen. Gegen Nietzsche wendet er unter Hinweis auf Pascal gerade ein, das Christentum sei wohl doch nicht ausschliesslich „Todesprinzip" gewesen (siehe Anm. 48). Wenn sich die apologetische Theologie bedenkenlos anheischig macht, ihr .Christentum' mit den „ .Segnungen unserer Cultur'" (ChT 1 , 27) in Einklang zu bringen, dann zeugt dies für Overbeck einmal mehr vom Unverständnis ihres Herkommens, von mangelnder Selbsterkenntnis. Denn als sich das Christentum mit der weltlichen Bildung anzufreunden begann, als es sich an ihre (literarischen) Formen anpasste 49 und mit dem Staat Frieden schloss, habe sich „tiefe Melancholie" (ChT 1 , 28) bei den spirituellen Führern des Christentums eingenistet, der man mit dem Exodus aus der Welt, nämlich mit dem Mönchtum begegnet sei. Der „Glaube an die Bildung" (ibd.) halte die zeitgenössischen Theologen, welcher Färbung auch immer, zur Veruntreuung der christlichen Grundlagen an und heisse sie mit Bibelworten nach Gutdünken umspringen. Sie glaubten nicht mehr an die Realisierbarkeit ihrer Ideale, denen in der alten Kirche gerade die Mönche „bei ihrem heissen Bemühn" (ChT 1 , 39) alles Irdische geopfert hätten - ohne dadurch, Overbecks Formulierung zum Trotz, von irgendwelchen faustischen Anfechtungen in Versuchung geführt zu werden. Jedes ernsthafte Nachfühlen dessen, was für die echten Christen die Sünde war, sei den apologetischen Theologen, so oft das Wort Sünde auch über ihre Lippen komme, verloren gegangen 50 : Offensichtlich ist für Overbeck, „dass man sich", gegen alle

49 Zur Behandlung der Formen als einer von Overbeck eingeführten .literaturhistorischen' Theorie zum Verständnis der Kirchengeschichte, die in der Christlichkeit da und dort anklingt (ζ. B. C h T 1 , 4, 12, 13, 29, 30) vgl. Martin Tetz, Altchristliche Literaturgeschichte - Patrologie, in: Theologische Rundschau, NF, Jg. 32 (1967), S. 1^42 und insbesondere Tetz, Über Formengeschichte in der Kirchengeschichte. Nach Overbeck entwickelt selbst eine der Kultur feindlich gesonnene Religion ihre besondere, mitunter „sehr schöne und characteristische Form" (ChT 1 , 29), wie die Imitatio Christi des Thomas a Kempis, welche bei aller ihr eigenen Schönheit die Verachtung für die Formen der Kultur nicht abstreife. Vgl. dazu die frühe erste Aufzeichnung des „Kirchenlexicon"-Stichworts „Kirche (Allgemeines)", Ziffer 1, S. 1, in: NLO, A 228 (vollständige Transkription im Anhang): „Ebenso gewiss es zu Christi Zeit noch keine christliche Kirche gab - denn diese begann erst als sich für die christliche Religionsübung feste und originelle Formen bildeten, - ebenso gewiss spricht sich in dem Gleichniss vom Sauerteig das Bewusstsein des Christenthums aus, dass eben dieses es zu einer Kirche einst bringen müsse." Dass sich auch in Nietzsches philologischen Vorlesungen formgeschichtliche Überlegungen finden (vgl. GgL III 1 - GoA 18, 134-139), forderte einen Vergleich mit Overbeck heraus, der in diesem Rahmen nicht geleistet werden kann (vgl. aber Kapitel 1.1 und 1.2). 50 Vgl. Figl, S. 177, der für Nietzsches frühe Geschichtshermeneutik auf die „zentrale Kategorie" des Erlebnisses, eben des Nachempfindens rekurriert.

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ursprüngliche christliche Weisheit, „in diese .sündige Welt' zu finden weiss und ihre Sündhaftigkeit aufgehört hat ein wirkungskräftiges Motiv zu sein" (ibd.). Wenn die modernen .Christen' nicht mehr an die Erfüllbarkeit des Gesetzes und die Realisierbarkeit der Ideale glaubten, dann hätten sie das Recht verwirkt, sich noch Christen zu nennen. Schliesslich habe sich das Christentum nie auf „etwas Anderes als auf die Unseligkeit der Welt" (ChT 1 ,40) gegründet. Scharf rügt Overbeck sodann die politische Instrumentalisierung des Christentums, z.B. wenn die preussischen Eroberungsfeldzüge mit den von Jahwe sanktionierten Kriegen der Israeliten in Analogie gesetzt werden. 51 Für ihn ist ausgemacht, dass das Christentum „in der Wurzel unpolitisch" (ChT 1 ,31) sei. Obwohl dieser Aspekt weit weniger im Vordergrund steht, wird hier wie in der Ersten Unzeitgemässen das kürzlich gegründete Deutsche Kaiserreich als ein Gebilde qualifiziert, das keineswegs durch Kulturleistungen glänzt, vielmehr an rapidem geistigem Verfall krankt. Während Nietzsche mit seinem Verdikt „Bildungsphilisterthum" die Situation insgesamt charakterisiert, visiert Overbeck das ganze im Brennspiegel der Theologie an. In ihrer Opposition sind sie sich einig. „Von allen schlimmen Folgen aber, die der letzte mit Frankreich geführte Krieg hinter sich drein zieht, ist vielleicht die schlimmste ein weitverbreiteter, ja allgemeiner Irrthum: der Irrthum der öffentlichen Meinung und aller öffentlich Meinenden, dass auch die deutsche Kultur in jenem Kampfe gesiegt habe" (UB I 1 - KS A 1,159). „Unter den vielen und grossen Gefahren, welche eine Zeit von solchem Glänze der politischen Erfolge für jede Nation birgt, befindet sich auch die der Überhebung." (ChT 1 ,32)

Overbeck, dem nicht zuallererst der deutsche Geist und seine Rettung am Herzen liegt, hat es vom weitabgewandten und daher unpolitischen Charakter seines eigentlichen' Christentums aus leicht, die unheilige Ehe von Thron und Altar zu brandmarken. Gerade die Theologen liefen Gefahr, den allzu bequemen Angeboten politischer Machthaber nachzugeben. 52 Zudem seien Kritik und Nationalismus nicht kompatibel. 53 Jede nationalistische Vereinnahmung des Christentums sei vom Bösen - entsprechend ironisch wird sie von Overbeck quittiert: „Die Verlegenheit kann keine geringe sein anzugeben, wo das Christenthum diese grössere 3erechtigung' der Germanen ausspricht, man müsste denn meinen, es sei dies der nun an's Licht gekommene allegorische Sinn des paulinischen ,dem Juden zuerst und dem Griechen'." (ChT 1 , 32)

Mit den dubiosen Inhalten, die die zeitgenössische Apologetik verteidigt, korrespondieren die von ihr zur Verbreitung gebrauchten Mittel: „rechts und links erkennt man, was überhaupt heutzutage in der Litteratur herrscht: die Zeitung" (ChT 1 , 34). Nach Nigg ist es die „beste Charakteri51 Bezeichnend ist in Overbecks späten Aufzeichnungen die sehr negative Zeichnung des Staates, namentlich in seiner modernen Form: Er sei „der eigentliche Menschen verderber", wozu sich Overbeck auf Zarathustra /: „Von neuen Götzen" beruft (OWN 5,456). Vgl. „Krieg und Christenthum", in: NLO, A 228 (vollständige Transkription im Anhang) und Franz Overbecks Briefwechsel mit Paul de Lagarde, hrsg. von Nikiaus Peter und Andreas Urs Sommer, in: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte, Jg. 3 (1996), Heft 1,S. 127-171. 52 So 1904 unter dem Titel „Ethik (moderne) Allgemeine", Ziffer 1, S. 2f. in: NLO, A 223 (vollständige Transkription im Anhang): Die Theologen „sind zu activem oder passivem Dienst als Diener der Gewalt geboren". 53 So um 1900 im Lemma „Kritik und Nationalismus", in: NLO, A 228 (vollständige Transkription im Anhang).

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sierung" von Overbecks Dasein, „es als Gegenteil der Existenz des Journalisten zu bezeichnen, den Overbeck als eines ,der traurigsten Exemplare der Menschengattung' bezeichnete, die ,sich heutzutage auf unseren Gassen bewegen'. Er verurteilte das ganze Pressewesen als eine Zeitkrankheit und hasste leidenschaftlich alle Bestrebungen in der wissenschaftlichen Welt, die eine Angleichung an den Journalismus suchten." 5 4 Niemand wird behaupten, Nietzsche sei dem journalistischen „Lumpen-Jargon der noblen Jetztzeit'" (UB 1 , 1 1 - KS A 1, 221) viel versöhnlicher gesinnt. In ihrem aristokratischen Sprach- und Kulturideal mögen sich Overbeck und Nietzsche, wie mancherorts zu lesen ist, einig gewesen sein (vgl. oben Kapitel 2, Anm. 55). In den Konzessionen, die die Theologie dem literarisch verachtungswürdigen Journalismus mache, wird für Overbeck ihre vollkommene Degeneration manifest. Der liberalen Theologie ergeht es unter Overbecks Richterschaft kaum besser als der apologetischen: Bei ihr falle nicht allein der „Kern" weg, sondern mit dem „Kern" zusammen noch die „Schale" (ChT 1 , 41). Sie klebe modernen Vorstellungen von der ,„Perfectibilität"' (ChT 1 , 42) das Etikett christlich an. Anders gewendet: sie liest in die Geschichte des Christentums einen Fortschrittsprozess hinein, wodurch sie sich mühelos ihre Entfernung von frühchristlichen Anschauungsweisen erklären kann. Fortschritt kann es nach Overbecks Lesart im christlichen Pessimismus nicht geben. Die Entdeckung' der „.Religion Christi'" und in deren Gefolge der Menschlichkeit Jesu habe mit diesem frühen Christentum jedenfalls nichts mehr gemein: „ .Lust' am Menschlichen hat die christliche Religion immer nur in der Form des Mitleids gehabt, und in diesem Sinne namentlich auch nur an der Menschheit ihres Christus, sofern ihr zum Zwecke der Erlösung als nothwendig galt, sie sonst aber diese Menschheit in jeder Weise zu vergessen gesucht hat." ( C h T ' , 4 4 )

Bei Nietzsches später genealogischer Abrechnung mit dem Christentum hat das „Mitleiden" als die christliche Erzsünde bekanntlich einen überaus grossen Stellenwert (vgl. ζ. Β. A 7 - KSA 6, 173f.). Dass es kein besonders löbliches .humanitäres' Engagement sei, gilt auch für seine Sicht der Dinge. Anstössig ist Overbecks Behauptung vor allem, weil sie leugnet, dass das Christentum in irgendeiner Beziehung zu ethischem .Fortschritt' in der Welt stehe - eine These, die er etwa auch in seiner Abhandlung über die Institution der Sklaverei zur Zeit der Alten Kirche stark macht (vgl. Kapitel 4). Einmal mehr stellt sich das Problem der Verbindung des Christlichen mit der Kultur, welche in der alten Kirche möglich geworden sei, weil das Christentum auf eine verendende Kultur gestossen war, die des Balsams einer Erlösungsreligion dringend bedurft habe. Aber in Reaktion darauf hätte sich - wie wir mittlerweile wissen - das Mönchtum formiert, das sich dem Zugriff des Staates und in weiterem Sinne der Kultur entwand und sich als „Ersatz" des realen Märtyrertums das „Martyrium quotidianum" (ChT 1 , 50) ausdachte. Der lebensverneinende Grundzug des Christentums sei dadurch gewahrt geblieben, die enttäuschte Erwartung der Wiederkunft Christi in Askese transformiert worden, welche „die Welt daher als zum Untergange reif zu betrachten fortfährt" (ChT 1 , 52). Dem hier virulenten Todesgedanken, den Nietzsche gleichfalls als Signatur des Christlichen auffasste, sind wir weiter oben bereits begegnet (vgl. Kapitel 2.2). Anstatt ihn gebührend zu würdigen, mache die Gegenwartstheologie

54 Nigg, S. 26. Für seine eigene wissenschaftliche Prosa scheint Ferdinand Christian Baur stilistisch vorbildlich gewesen zu sein. Vgl. das „Kirchenlexicon"-Lemma „Baur (Stil)", in: NLO, A 218 (vollständige Transkription im Anhang).

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„Familie und Staat" zu Grundpfeilern ihrer Doktrin - Dinge, mit denen Jesus so wenig wie die andern frühen Christen etwas zu schaffen gehabt hätten (ein sarkastischer Hinweis auf Matthäus 19,12 fehlt nicht!). Von der theologisch-liberalen „Popularisirung der Wissenschaft" (ChT 1 , 57) hält Overbeck gleich wenig wie von der apologetischen (vgl. das unter 2.2 erläuterte Beispiel der „Protestantenbibel"). Unters Volk gebrachte theologische Erkenntnisse hätten im Unterschied zu naturwissenschaftlichen keinerlei Aussicht „im sogenannten Kampf um das Dasein" (ChT 1 , 63) zu irgendetwas nütze zu sein. Höchstens stifteten sie Verwirrung, zersetzten die letzten Überreste religiösen Bewusstseins. Overbeck ist es ein Indiz dafür, wie wenig religiöse Probleme den Gegenwartsmenschen noch umtreiben, dass negative Folgen sich noch nicht viel gravierender bemerkbar machten - etwa in einem revolutionär-religiösen Sinn - , obwohl doch die liberale Theologie das Neue Testament als „ein Gewebe von Fictionen" (ChT 1 ,61) blossstelle und dahinter erst den wahren Jesus aufsuchen wolle, also allen traditionellen Schriftglauben über Bord werfe. Aus Overbecks Zeichnung der kirchengeschichtlichen Entwicklung lässt sich klar herauslesen, wie stark er - darin gleichsam Kants Geschichtsphilosophie verpflichtet 55 - in Antagonismen denkt. Sie sind der eigentliche Motor der Geschichte. Im Unterschied zu Baur und Hegel sieht er sich aber nicht mehr in der Lage, die einmal postulierten Gegensätze synthetisch zu verbinden, weil eben der grundlegende „Antagonismus des Glaubens und des Wissens [...] ein beständiger und durchaus unversöhnlicher" (ChT 1 , 2) sei. Es ist überdies nicht mehr die Binnendifferenz Paulinismus-Petrinismus - nach Baur in der Altkatholischen Kirche dialektisch vermittelt - , sondern der unvereinbare Gegensatz von Glauben und Wissen, der der Theologie zum eigentlichen Lebenselement wird - ohne dass ein Ausgleich erreicht werden könnte, dem Beständigkeit beschieden wäre, oder der als höhere Entwicklungsstufe bezeichnet werden müsste. Echte Entwicklung kann demnach nicht stattfinden, es sei denn in der vom Glauben autonomen Wissenschaft, die mit ihrem Fortschreiten demselben Glauben das Wasser abgräbt. Aus dieser Geschichtskonstruktion folgt dann eine klare Roilenzuschreibung, wobei für Overbeck die Grundtendenzen stets dieselben sind. Anstatt zu ermitteln, ob die Theologie in der Gegenwart mit ihren wissenschaftlichen Ambitionen noch dieselbe sei wie zu Zeiten der Origenes (oder des Paulus!), ob nicht mit dem Wandel der Zeiten auch ein Wesenswandel der noch mit demselben Worte bezeichneten Theologie stattgefunden habe, steht für Overbeck der irreligiöse Kern der Theologie von vornherein fest, über den sie sich bloss während Jahrhunderten keine Klarheit verschafft habe. Man wird - ganz abgesehen davon, dass die Verfallshypothese an Plausibilität zu wünschen übrig lässt - dieses Modell mit einem grossen Fragezeichen versehen. Da es mir aber nicht um eine inhaltliche Falsifikation des Overbeckschen Geschichtsbilds zu tun ist - oder um seine Übereinstimmung mit dem, was wir heute für historisch wahr halten - , sondern darum, wie und in welcher Intention diese Geschichtsbilder und Geschichtskonstruktionen zustande kommen, müssen solche Einwände angedeutet bleiben. Für eine Geschichtshermeneutik, die Entwicklungen nicht aus dogmatisierten Antagonismen zu begreifen versucht, sind die Overbeckschen Axiomen freilich nicht anwendbar. Aber der historische Beweis tauge, wie Overbeck ja ausführte, nicht für die Wiedergewinnung des Christentums, tauge nicht mehr für die Praxis.

55 Vgl. die Funktion des „Antagonism" bei Immanuel Kants Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht [1784], in: W, Bd. 9, S. 33-50.

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Das Christentum steht bei Overbeck ein für allemal fest als tiefernste, daseinsverneinende Bewegung, von der jede Abweichung als Verrat gilt, soweit die Abweichler selber auf das Prädikat „christlich" wert legen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Säkularisationstheorie, die Overbeck in der Nachfolge von Schillers Gedicht Die Götter Griechenlands ins Gespräch bringt. 56 Das Christentum, nicht erst die Reformation, „hat in der That die Welt entgöttert, es hat Weltgebrauch und Weltgenuss, den es nicht vernichten konnte, bestehen lassen, ihm aber die Weihe genommen, die das Alterthum darüber gelegt hatte" (ChT 1 ,56).

Es habe seiner Weltverachtung wegen in dieser Welt nicht mehr den würdigen Ort der Religion gefunden, weswegen diese Welt der Verdammung anheimgefallen sei. Nach dieser Lesart kann dann der römische Katholizismus auch nicht mehr sein als eine „Paganisirung des Christenthums" (ChT 1 , 56). Mit diesem Urteil rückt Overbeck das ,echte' Christentum in unmittelbare Nachbarschaft zu manichäischen und marcionitischen Lehren. Wird Christentum in solcher Schroffheit aufgefasst, droht jede Erklärung zu scheitern, wie es überhaupt möglich geworden sei, dass sich das Christentum, ungeachtet des im Mönchtum verkörperten Vorbehaltes, mit der Welt seinen (zeitweiligen) Frieden geschlossen hat. Durch das Pessimismus- und Asketismusverdikt aus Schopenhauers Schatztruhe büsst das Christentum alle Spezifika ein, die es von andern spätantiken Bewegungen unterschieden hätte, abgesehen vom letztlich unwesentlichen „Laube jener Mythen und Dogmen" (ChT 1 , 40). Immerhin galt die Welt - was Overbeck verschweigt - dem Christentum 57 allerspätestens seit seinem Kampf gegen Marcion und den Manichäismus (also in nachurchristlicher Zeit) unumstösslich als die Schöpfung des einen und guten Gottes, weswegen ihr christlich ein gewisser Wert nicht prinzipiell abzusprechen sein dürfte - es sei denn, schon im 2. Jahrhundert hätten wir nur noch ein degeneriertes Christentum vor uns und es gäbe überhaupt keine direkte Verbindung von alttestamentlichem Schöpfungsglauben zu urchristlichem Bewusstsein. 58 Dergleichen scheint Overbeck anzunehmen. So hat denn für Overbeck das Christentum in seiner Radikalität keinerlei Disposition zur Wissenschaft und zur Kultur, die ihm die Theologie so gerne unterlegt (er hält aber keine eigene Erklärung der

56 Vgl. „Geschichte (Gegenwart) Ansehen", Ziffer 1, S. 1, in: NLO, A 224 (vollständige Transkription im Anhang): „Das Weniger Werden der Religion unter uns Menschen im Laufe der Zeit lehrt uns die Geschichte, welche überhaupt unsere Lehrmeisterin über das was unter uns im Laufe der Zeit geschieht ist, oder als Lehrmeisterin überhaupt nichts werth ist." 57 Oder dem, was man im nachhinein als orthodoxes Christentum deklariert hat (vgl. Walter Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum [1934], 2. durchgesehene Auflage mit einem Nachtrag, hrsg. von Georg Strecker, Tübingen 1964). 58 Karl Jaspers, Nietzsche und das Christentum, München 4 1963, S. 55-68 erklärt mit dem Argument, die Welt sei jüdisch-christlich stets die (auch) positiv konnotierte Schöpfung Gottes, die Genese der neuzeitlichen Wissenschaft als Streben nach dem absoluten Wissen. Nietzsche stehe in dieser Tradition und verneine sie zugleich. Implizit dagegen wendet sich Jacob Taubes, Die Politische Theologie des Paulus, hrsg. von Aleida Assmann und Jan Assmann, München 2 1995, S. 83, im Kapitel über Marcion: „Die Schöpfung spielt keine Rolle im Neuen Testament. Also wer Ihnen das einredet, ich weiss, die Theologen machen daraus ein grosses Geschäft, das bringt nichts, es ist nicht da. Das ist eines allein: Erlösung." Will man also das Christentum als weit- und lebensfreundlich darstellen, muss man sich vorhalten lassen, man habe nicht das ursprüngliche im Blick und nivelliere dessen krasse Weltfeindschaft aus apologetischen oder ähnlich philiströsen Beweggründen ...

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singulären wissenschaftlich-zivilisatorischen Entwicklung des Abendlandes bereit). Mit der blossen, selbst nicht weiter aus Ursachen deduzierten Schwäche der heidnisch-antiken Kultur ist noch immer nicht dargelegt, weshalb denn ausgerechnet dieses so weitabgewandte Gebilde sich als Tröster so vorzüglich eignete. Die Frage ist unbeantwortet: Warum hat sich das Christentum, mit dem Mittel der Theologie, in der Welt überhaupt möglich machen wollen? Mit folgender, ständig wiederholter Antwort auf die Frage nach dem Weltverhältnis des Christentums ist nicht viel gewonnen: „In der Kirche ist das Christenthum ein irdisches Ding wie ein Anderes und keinem der Loose welche überhaupt irdischen Dingen beschieden sind hat sich die Kirche entziehen könnten." 59 Trotzdem predigt Overbeck nicht - auch nicht für seine eigene kritische Theologie - die Regression in die vor-weltliche Naherwartung und ausserweltliche Askese (letztere scheint ja selbst Ausdruck fragwürdiger charakterlicher Disposition zu sein - vgl. Anm. 59). Man hat im Gegenteil darauf hingewiesen, dass sich beim ,späten' Overbeck „Ansätze zu einer Philosophie der Welt" 60 entdecken Hessen. Ohne zu glauben, dass Overbeck der Welt seine Liebe bekenne 6 1 , kann ich doch konstatieren, dass Overbeck für sich und seine „Lebensbetrachtung" „Welt" keinesfalls mit denselben negativen Vorzeichen versieht, die sie seiner Meinung nach im Christentum erhält. Obwohl er das Christentum (mit Schopenhauer) als ursprünglich pessimistisch deutet, wird der Pessimismus bei ihm selbst nicht zur Lebens- und Denkmaxime. Vielmehr hat das Denken, genauso wie die Philosophie seit der Aufklärung, den Zweck, Orientierung in der Welt zu schaffen. Overbeck ist, so verstanden, Aufklärer, und interessiert sich weniger dafür, ob die Welt zu bejahen oder zu verneinen sei, sondern, wie man sich in ihr - als Wesen, das an ihr teilhat - zurechtfinden kann: „Philosophie ist die Wissenschaft, mit welcher der Mensch es unternimmt sich in der Welt zu orientiren. Sofern der Mensch dieses im strengen Sinne erst seit dem Zeitalter der Aufklärung unternommen hat, giebt es in diesem Sinne auch nicht früher Philosophie. Denn bis dahin glaubte der Mensch

59 „Kirche (Allgemeines)", Ziffer 2, S. 1 f., in: NLO, A 228 (vollständige Transkription im Anhang). Befriedigt wird man ebensowenig von der in entgegengesetzte Richtung weisenden Bemerkung, in die alle antiklerikalen Affekte des 18. Jahrhunderts einfliessen: Mit der Unwürdigkerklärung der Welt als Stätte der Religion „hängt auch die ausserordentliche Armuth der Kirchengeschichte an grossen und reinen Characteren zusammen. Von den grössten und reinsten erfährt man in diesem Bereiche der Geschichte nichts." (ChT 1 , 57) Overbeck scheint vorauszusetzen, dass grosse und reine Charaktere sich tatsächlich der Welt zu- und nicht von ihr abwenden. Wie konnte bei einem so akuten Mangel das Christentum überhaupt verweltlicht werden? Overbecks Äusserung bezieht sich, wie aus seinem Brief an Lagarde vom 1. Februar 1873 hervorgeht, auf eine ähnliche in Paul de Lagarde, Über das Verhältnis des deutschen staates zu theologie, kirche und religion, ein versuch nichttheologen zu orientieren, Göttingen 1873, S. 38 (vgl. Overbecks Briefwechsel mit Paul de Lagarde, S. 142). Das Urteil der beiden kritischen Theologen Lagarde und Overbeck präludiert unverkennbar Nietzsches Gedanke vom Christentum als Produkt der Zu-kurzGekommenen. 60 Cancik/Cancik-Lindemaier, Das Thema .Religion und Kultur', S. 64. Nach dem eben Angeführten kann ich dem auf S. 65 pauschal Behaupteten freilich nicht mehr beipflichten: „Ein Vertreter der Saekularisierungshypothese war Overbeck hiernach gewiss nicht." Was die Säkularisierungshypothese sei, wird nicht gesagt. 61 Vgl. Cancik/Cancik-Lindemaier, Das Thema .Religion und Kultur', S. 64.

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über die Welt schon orientirt zu sein (durch die Religion), und hielt sich zugleich auch gar nicht für befähigt diese Orientirung selbst zu unternehmen. An dieser epochemachenden Bedeutung der Aufklärung in der Geschichte der Philosophie ist wohl nicht zu rütteln." 62

3.2.3 Kritische Theologie als Ausweg aus dem Dilemma der Theologie? Bei allen Schwächen, die Overbeck der Gegenwartstheologie ankreidet, Hessen sich auch Anzeichen einer positiven Neubesinnung ausmachen. Diese läuft unter dem Namen „kritische Theologie" und verbindet sich mit den Namen David Friedrich Strauss und Paul de Lagarde. Ihre Bezeichnung verdient sie nicht, weil sie der Religion besonders ablehnend gegenüberstünde, sondern weil sie um ihre eigene Gefährlichkeit weiss - die Gefährlichkeit von Wissenschaft und wissenschaftlicher Theologie für den Glauben. „Kritische Theologie" ist sich im klaren darüber, dass ihr Ziele keineswegs „rein religiöse[.]" (ChT 1 70) seien. Vielmehr habe sie, wiederum einer aufklärerischen Maxime folgend, „der Weltbildung eine Stätte neben dem Christenthume möglich zu machen" (ibd.). Auf dem „neben" liegt alle Emphase, denn in der unredlichen Verflechtung ihrer religiösen und wissenschaftlichen Intention erblickt Overbeck ja ein Hauptübel der Theologie. Gerade weil sie die Bereiche des Glaubens und Wissens rigoros trenne, könnte die kritische „einmal" das Christentum gegen die falschen Formen von Theologie beschützen, „ohne sich selbst mit der christlichen Lebensbetrachtung durchaus zu identificiren" (ibd.). Weshalb sie das Christentum, bei dieser Nichtidentifikation, sollte schützen wollen, sagt uns Overbeck aber höchstens ansatzweise. Im Einvernehmen mit Nietzsche attackiert Overbeck nach dieser Funktionsbestimmung die von Strauss in seinem Alten und Neuen Glauben propagierte bildungsbürgerliche Ersatzreligion, in der man sein Genügen hat an einem vergöttlichten Universum, am Mysterium der Monarchie, am kontemplativen Genuss klassischer Musik und Literatur. Mit seinem Kulturideal versetze uns Strauss „auf den Standpunkt des Spiessbürgers der römischen Kaiserzeit" (ChT 1 , 72), der bereits bei Tacitus und Plutarch verpönt gewesen sei. Nicht allein in religiösen Belangen, sondern auch in den Äusserungen über „Staat, Krieg, politische Strafgewalt und Arbeiterstand" (ChT 1 , 74) sei Straussens Elaborat einer christlichen Parallele, ζ. B. der Civitas Dei von Augustin hoffnungslos unterlegen. „Mit einer Cultur, wie der uns von Strauss vorgemalten, ist das Christenthum schon einmal fertig geworden. Ob eine solche das Dasein verdient, wird die Menschheit, die durch die Schule der antiken Welt, deren Ausgang das Christenthum bildet, gegangen ist, allerdings wohl immer fragen, und sie wird am Christenthum insbesondere den Antrieb haben nach einer Bildung zu trachten, die edel und erhaben genug wäre, um daran denken zu können, gegen das Christenthum recht zu behalten. Diese Bildung muss jedenfalls höher hinauf, als wo sie ungefähr gestanden hat, damals als das Christenthum Herr über sie wurde." (ChT 1 ,75)

Denkbar fern liegt Overbeck der Gedanke, das Christentum, in seiner kulturgewordenen Erscheinungsform für prinzipiell überlegen zu halten; er stimmt vielmehr in das von Nietzsche intonierte Lied einer neuen Form von Bildung ein, die es dereinst wagen könnte, das Christentum

62 „Philosophie (Allgemeines)", Ziffer 2, S. 1, in: NLO, A 234 (vollständige Transkription im Anhang). Vgl. Immanuel Kant, Was heisst: Sich im Denken orientieren? [1786], in: W, Bd. 5, S. 265-283, S. 271

(A311).

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zu übertrumpfen. Allerdings verheimlicht Overbeck, ob ihm selber an einer solchen Überwindung gelegen ist, oder ob er sie nur als eine faktische Möglichkeit betrachtet, die angesichts der Schwäche des Christentums in greifbare Nähe gerückt ist und die es daher mitzuerwägen gilt. Dass das Christentum zu alt geworden sei, um noch viel länger zu überleben - eine dem Zwang der biologistischen Konzeption entstammende Behauptung, die jedem Ding in der Zeit seine Zeit einräumt, ebenso notwendig wie sein Aufblühen sein Absterben einkalkuliert - , diese prophetische und keineswegs mehr historisch-wissenschaftliche Prognose des späten Overbeck keimt hier wohl schon. Gegenüber den vorgebrachten Argumenten für den weltverneinenden Charakter ist die Umkehr der Argumentationsstrategie bemerkenswert: Nun wird unversehens die kulturelle Relevanz und der zumindest kulturbewahrende Zug institutionalisierter christlicher Religion zur Abwehr der Bildungsphilister (Overbeck verwendet den Ausdruck nicht) ins Treffen geführt; plötzlich verfolgt Overbeck kulturpolitische Interessen. Im Kern zielt er jedoch gegen die Weltanschauung, auf die das Strausssche Manifest aufbaut, und die sich als plattester Optimismus entpuppt, der das Leiden auf eine Overbeck unerträgliche Weise bagatellisiert.63 Diese Art von Optimismus ist nach der Schopenhauer „ruchlos" 64 - wodurch Overbeck indessen nicht selber schon zum bekennenden Pessimisten würde. Für Overbeck hat Straussens im Egoismus zerfaserndes „Bekenntniss" wenig Chancen, grosse Breitenwirkung zu zeitigen, überhaupt zur Religion zu werden, die nach Overbeck nie das Erzeugnis blosser Rechenschieber-Produktivität sein kann. Religion als Gruppenerscheinung generiert sich ihmzufolge niemals aus vorgängiger theologischmetaphysischer Konstruktion. Overbecks eigene „kritische Theologie" soll nun nicht ausschliesslich den wissenschaftlichen, vielmehr ebensosehr den praktischen Anliegen von Nutzen sein, wobei Overbeck dieses ehrgeizige Programm in der Auseinandersetzung mit Lagardes Verhältnis des deutschen staates zur theologie reichlich skizzenhaft entwickelt. Der Hauptvorschlag, den er da unterbreitet und in der 2. Auflage von 1903 teilweise wieder zurücknimmt, ist denn auch von den allermeisten, die sich mit der Christlichkeit befasst haben, so sehr sie sich sonst unterscheiden, kritisiert worden. Er sieht vor, dass ein ,,esoterische[r]" von einem „exoterischen Standpunktf..]" (ChT 1 , 93) des Klerikers abzugrenzen sei, dieser also auf der Kanzel zu sagen habe, was seine Kirche von ihm fordere, während er als Wissenschaftler seine Privatansichten preisgeben dürfe. Obgleich Overbeck die Trennung von Kirche und Staat befürwortet, schliesst er sich doch nicht Lagardes Forderung nach Abschaffung der theologischen Fakultäten zugunsten religionswissenschaftlicher Institute und privater, kirchlicher Predigerseminare an. Denn Overbeck will nach wie vor den praktischen mit dem wissenschaftlichen Aspekt in der Theologie vereinigt wissen - dies auch bei in ihren Repräsentanten, den Geistlichen. So sollen die Gelöbnisse, auf die die Theologen eingeschworen werden, ihnen die „Anerkennung eines persönlichen esoterischen Standpunktes" (ChT 1 , 91) sichern bei gleichzeitiger Verpflichtung, als Pfarrer das von ihrer Konfession Vorgeschriebene zu verkündigen. Im Anschluss an jüngere Äusserungen Overbecks ist viel darüber

63 Vgl. Andreas Urs Sommer, „Wenn die Welt ein Ding ist, das besser nicht wäre, ei so ist ja auch das Denken des Philosophen, das ein Stück dieser Welt bildet, ein Denken, das besser nicht dächte." Zur Karriere eines polemischen Argumentes gegen Schopenhauer, in: Schopenhauer-Jahrbuch, Bd. 77 (1996), S.199-210. 64 Vgl. Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen [1918], in: Th. M., Gesammelte Werke in zwölf Bänden, Bd. 12, Frankfurt am Main 1960, S. 7 - 5 8 9 , S. 4 9 2 f . und Sommer, Thomas Mann und Franz Overbeck, S. 35.

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gerätselt worden, ob er schon 1873 von der Unlösbarkeit des Konfliktes zwischen wissenschaftlichem und praktischem Interesse überzeugt gewesen sei (vgl. z.B. SbT, 107), und er diese Überzeugung in der ersten Auflage der Christlichkeit nur getarnt habe, um sich nicht ganz und gar zu diskreditieren und als Theologieprofessor unwählbar zu machen (was er mit dem davor Gesagten, wie er selber erkannte, schon zur Genüge getan hatte). An Overbecks persönlicher Lebenspraxis und am Eingeständnis ihres partiellen Scheiterns wird normalerweise die Eignung der Vorschläge für die Praxis geprüft und rasch für untauglich erachtet. Overbecks Unterscheidung zweier Seiten einer Theologenexistenz verweist auf den „öffentlichen Gebrauch" und den „Privatgebrauch" der „Vernunft" zurück, wie sie Kant in seiner Aufklärungsschrift angeregt und ja namentlich auf die Theologen appliziert hatte. 6 5 Overbeck schwebt gewissermassen eine Rollenethik vor, die die bestmögliche Erfüllung der jeweiligen Amtspflichten gebietet, nicht aber eine (vollständige) persönliche Identifikation mit dieser Rolle. 6 6 Mit einer ,gesinnungsethischen' Unteilbarkeit von Person und geistlichem Amt, wie sie sonst protestantischen Geistlichen abverlangt wird, kollidiert diese Rollenethik unausweichlich. Ihr Funktionalismus - so sehr dieser versucht, dem Wissen und der Aufklärung zu ihrem Recht zu verhelfen - spalte die Person in zwei unversöhnliche Hälften, wird gegen Overbeck immer wieder eingewandt. Zum „Schutz der Gemeinschaft gegen das Individuum" (ChT 1 , 92) soll nach Overbeck der Pfarrer seine kritisch-wissenschaftlichen Ansichten nur offenlegen, wenn er ausdrücklich danach gefragt werde und er dann ihre Weitergabe für pädagogisch angebracht halte. An die Forderung, der Geistliche habe sich auf die Priesterlichkeit seines Amtes zurückzubesinnen (die ihn zum blossen Funktionsträger macht, ohne seine persönlichen Auffassungen in irgendeiner Weise anzutasten 6 7 ), schliesst sich der Wunsch an, der Pfarrer möge dennoch sein Wissen in die Gemeindearbeit einfliessen lassen, „so lange Cultur und Christenthum nicht auch practisch ganz auseinander gehen sollen" (ChT 1 , 98). Dieses Insistieren auf die kulturtragende Bedeutung des kirchlichen Christentums, welches sich schon in den Expektorationen gegen Strauss zu Wort gemeldet hat, mildert die unversöhnliche Antithese von Kultur und Christentum, die zu Beginn der Schrift als historische Tatsache stipuliert wurde. Diese Milderung ist freilich der Klarheit von Overbecks Stellungnahme in der theologischen Diskussion abträglich, da sie nun doch eine Verbindung des Unverbindbaren unter der Ägide der kritischen Theologie als möglich anzunehmen heisst. Die Unvereinbarkeit von Wissen und Glauben wird unterlaufen

65 Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung [1784], in: W, Bd. 9, S. 5 1 - 6 1 , S. 55 (A 484f.). Siehe Robert Kiefer, Die beiden Formen der Religion des Als-Ob. Hauptsächlich dargestellt an De Wette und Overbeck, Langensalza 1932, S. 73 und detailliert Pfeiffer, Franz Overbecks Kritik des Christentums, S. 194-197. 66 Johann Salomo Semler unterschied 1775 im Streit über die Gültigkeit der symbolischen Bücher zwischen dem Recht des wissenschaftlichen Theologen, den Bekenntnissen ihre immerwährende Gültigkeit abzusprechen, und der unbedingten Verbindlichkeit der Bekenntnisse für jene Geistlichen einer Landeskirche, deren Obrigkeit solcherlei erlassen hat. Vgl. Karl Aner, Die Theologie der Lessingzeit, Halle (Saale) 1929, S. 263: „Darin aber liegt doch eine erschreckend äusserliche Auffassung des geistlichen Amtes." 67 Als minimalen gemeinsamen Nenner von Amt und Person wird man wohl mit Kant dem Geistlichen die persönliche Überzeugung unterstellen müssen, dass „es doch nicht ganz unmöglich ist, dass darin [sc. in der Kirche und ihren Riten] Wahrheit verborgen läge, auf alle Fälle aber wenigstens doch nichts der innem Religion Widersprechendes darin angetroffen wird" (Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung, S. 57 [A 487]). Dies wenigstens räumt den logischen Widerspruch aus, wiewohl die psychologischen Probleme nach wie vor schwelen. Es ist bezeichnend, dass Overbeck eine Konvergenzforderung Kantischen Zuschnitts nicht ausdrücklich erhebt.

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durch eine Lehre von doppelter Wahrheit, die dem Kirchenvolk zu seinem eigenen Besten die Erkenntnisse der Wissenschaft tunlichst vorenthält und nur unter grossen Vorsichtsmassnahmen das Licht in die Höhle hinab trägt. Die gnostische Unterscheidung von Pneumatikern und Hylikern wird bei Overbeck so gut wie in Kants Aufklärungsaufsatz - und zwar zum Schutze der Religion als von Wissenschaft in den Grundfesten erschütterbare Institution - neu aufgelegt. Sie leistet schliesslich bei Nietzsche dem rücksichtslosen Elitarismus Vorschub, zu dem sich weder Kant noch Overbeck hergegeben hätten, da es ihnen doch in der letzten Konsequenz eben auch immer um die Erleuchtung der Höhle zu tun ist, mit deren Bewohnern Nietzsche seinerseits mitleidlos den Weg zum grossen Einzelnen pflastert. Allerdings wird man sich bei Kant und Overbeck ebenfalls mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass ihre Vorstellungen keineswegs landläufig demokratische sind - niemand von seiner Vernunft, seiner Kritikfähigkeit Gebrauch machen dürfte, wenn er sich nicht als Gelehrter darüber verbreiten kann. Den konservativen, staats- und kirchenerhaltenden Zug ihrer gesellschafts- und religionspolitischen Vorschläge können beide nicht verleugnen. Zumal bei Overbeck heben sie sich stark von der weltverneinenden und deshalb subversiven Tendenz des ursprünglichen Christentums ab und bejahen im nachhinein die zuvor ins Zwielicht geratene Verbindung von Christentum und Staat, ihre Verschmelzung zu einer christlich-kirchlichen Gesellschaft. Overbeck ist, so sehr er die Eschatologie des frühen Christentums unterstreicht, selber alles andere als ein Endzeitapostel. Apokalyptik ist in praxi seine Sache nicht. Die Intention, Kultur und die gegebene gesellschaftliche Ordnung aufrechtzuerhalten, ist denn auch der wichtigste Grund, den ich für das Interesse einer kritischen Theologie am Weiterbestehen des Christentums - mit dem sie nicht mehr übereinstimmt - anzugeben weiss. Man wird Overbecks kritischer Theologie wohl nicht vorwerfen wollen, sie trachte nach Erhaltung des Christentums unter Treibhausbedingungen, um für ihre eigenen Forschungen Material zu erhalten - um dieses Christentum zu vivisezieren. Zum Zynismus neigt Overbeck eigentlich nicht.

4. Der Zwang zur Radikalität: Ein Epilog

Am Anfang dieser Studie habe ich auf die impliziten Werte hingewiesen, deren die Kritik bedürfe. Im Verlaufe der Beschäftigung mit den Texten von Nietzsche und Overbeck hat sich gezeigt, dass der Rekurs auf eine normative Frühzeit - eine „Urgeschichte", wie Overbeck später sagen wird eine waffenbrüderliche Gemeinsamkeit darstellt. Die Differenz liegt in der Funktion dieses aus der Vergangenheit bezogenen oder in sie hineinprojizierten Massstabes: Bei Nietzsche ist er ein zu realisierendes Kulturideal, bei Overbeck lediglich Hilfsmittel zur Anprangerung gegenwärtiger Missstände. Dem Kirchengeschichtlicher dient der Massstab zur Demaskierung einer Theologie, die sich zu Unrecht auf ihn berufe, das heisst also nach eigenem Selbstverständnis darauf bezogen ist, während der Philosoph die Anwendung des Massstabes zur allgemeinen Gesundung einer Kultur verschreibt, die auf ihn ganz und gar nicht mehr bezogen ist. Nietzsches frühe Werke mindestens bis zur Geburt der Tragödie tun sich schwer mit reflektiver Distanz zu der einmal postulierten Utopie des Archaisch-Griechischen. Das Ideal droht eine todernste Glaubenswahrheit zu werden. Indes entwickelt sich gleichzeitig eine Einsicht in das Konstruiertsein dieses Ideals - es ist die Aigis, die den versteinernden Blick der Weitabgründe von seinem Träger abwendet, dabei aber nicht aufhört, künstlicher und künstlerischer Schutzschild zu sein. Von hier aus fällt ein Licht auf die Freigeisterei in Menschliches, Allzumenschliches, die mit dem Wissen um die ausschliesslich individuelle Gültigkeit von Idealen ernst macht. Sie ist die radikale Historisierung der normativen Frühzeit, die bereits in der Zweiten Unzeitgemässen weit fortgeschritten ist. Eine kritische Historie, wie sie Nietzsche in dieser Zweiten Unzeitgemässen für möglich erachtet, trägt bereits die Keime der freigeistigen Selbstrelativierung in sich und wäre unter den dogmatischen Prämissen der Geburt noch kaum denkbar. So kann man die Historienschrift als Reaktion auf das Scheitern der Tragödienschrift lesen, das Nietzsche zu einer tiefgreifenden Erweiterung des hermeneutischen Rahmens zwang (ungeachtet der nach wie vor verlangten Horizontbeschränkung). Overbeck fällt es nicht ein, in der Hoffnung auf Reinstallierung der Frühzeit Nietzsches Waffengenosse zu werden; sein Ceterum-Censeo ist nicht Aigis, sondern sokratisches Daimonion der Theologie - ihr schlechtes Gewissen, das von allem immerzu abrät, jedoch offenlässt, was wirklich zu tun sei. Namentlich mit seinen praktischen Vorschlägen am Schluss der Christlichkeit hat er sich in einem metaphysischen Provisorium eingerichtet - die Welt „übersieht mit Ausnahme der Theologen Niemand" (St, IV). So zieht Overbeck in den folgenden Jahrzehnten die wissenschaftlichen (und praktischen) Konsequenzen aus seinen 1873 festgeschriebenen Prämissen, und zwar in einigen kirchenhistorischen Spezialstudien. Freilich behält er hinfort seine radikalsten Gedanken für sich - und im „Kirchenlexicon" einer geneigteren Nachwelt vor. Ob man dieses selbstauferlegte Schweigen als „tragisch" deuten soll, sei dahingestellt. 1 Auf Nietzsche scheint 1

So Martin Havenstein, Franz Overbeck. Ein tragisches Theologenschicksal, in: Die Tat. Wege zu freiem

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die um Karriereaussichten und kollegiale Rücksichten unbekümmerte intellektuelle Redlichkeit Overbecks ihren Eindruck nicht verfehlt zu haben. Am 25. März 1886 schreibt Nietzsche seinem Freund: „Was Du von Deinen litterarischen Absichten schreibst, macht mir rechte Freude. Ich lese Dich so gern, selbst noch abgesehen von dem, was man durch Dich lernt. Du verschlingst so artig Deine Gedanken, ich möchte fast sagen, l i s t i g , als ein Mensch der nuances, der Du bist. Der Himmel segne Dich dafür, in einem Zeitalter, das täglich plumper wird. - " (KSB 7,162 = BNO, 328) Dass sich nicht nur Overbeck als Leser Nietzsches, sondern Nietzsche sich als Leser Overbecks entpuppt, sollte bei der Behandlung von Nietzsches Kritik des Christentums und seiner Geschichtsphilosophie nicht unberücksichtigt bleiben. Zudem dürfte Overbecks Skepsis Nietzsches Abschied von einem zu realisierenden Leitbild des Griechentums erleichtert haben. Grosse Geister sind ja nach Nietzsche bekanntlich Skeptiker (A 54 - KSA 6, 236). So ist Overbeck tatsächlich der Antipode Wagners: Hatte dieser Glauben und Gehorsam verlangt, leitet jener zu Unglauben und Ungehorsam an. An Overbecks „Radikalität" hatte Nietzsche jedenfalls sein Wohlgefallen, wie beispielsweise der Brief vom 22. März 1873 an Rohde zeigt: „Overbeck ist der ernsteste freimüthigste und persönlich liebenswürdig-einfachste Mensch und Forscher, den man sich zum Freunde wünschen kann. Dabei von jenem Radikalismus, ohne den ich nun schon gar nicht mehr mit Jemandem umgehen kann." (KSB 4,135) Hinter diese Radikalität fiel Overbeck nach der Christlichkeit nicht zurück, ist er doch etwa in den Studien zur Geschichte der alten Kirche von 1875 unter anderem zu zeigen bemüht, die Kirchenväter hätten keineswegs die Abschaffung der Sklaverei im Römischen Reich betrieben, sondern dieser Einrichtung, wenn nicht zustimmend, so doch gleichgültig gegenüberstanden (die Studie zur Sklaverei war schon 1872 als Vortrag publiziert worden). Was im Neuen Testament darüber geschrieben stehe, sei ganz und gar spirituell verstanden worden. Nietzsche hatte Ähnliches in einer erweiternden Vorarbeit zur Geburt der Tragödie 1871 konstatiert: „Aus der Verzärtelung der neueren Menschen sind die ungeheuren socialen Nothstände der Gegenwart geboren, als deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich die S k l a v e r e i , sei es auch unter mildernden Namen, zu empfehlen wage; die Sklaverei, die weder dem ursprünglichen Christenthum, noch dem Germanenthum irgendwie anstössig, geschweige denn verwerflich, zu sein dünkte." ([10] 1 - K S A 7,341) Menschtum. Eine Monatsschrift, Jg. 3 (1911), S. 325-338 & 389-403, v. a. S. 395: „Nein, das eitel erscheinende umständliche Gerede Overbecks, hier [sc. in Vor- und Nachwort zu ChT 2 ] sowie in seinen Erinnerungen an Nietzsche, berechtigt uns nicht zu Anklagen gegen ihn, sondern nur zu Klagen über sein Geschick. Es zeigt uns seine frühe Senilität, den traurigen Verfall eines einst so kräftigen und vielversprechenden Geistes, der sich in einem widerspruchsvollen Dasein innerlich zerquält und zermürbt hat. Overbecks Schicksal ist tragisch." Havenstein, der die Christlichkeit hochschätzt, aus ihr aber einen eindeutigen Positionsbezug Overbecks gegen das pessimistische Christentum zu Gunsten des Lebens ableitet, beschreibt - in Unkenntnis des Nachlasses - Overbecks späteres Werk als einen letztlich faulen Kompromiss mit den praktischen Erfordernissen seiner theologischen Professur. Man mag demgegenüber die Tetzsche These von der willentlichen Verdunkelung der Absichten bevorzugen (vgl. Kapitel 3, Anm. 44 und 47), falls man hinter dem Sprachschleier nicht etwa eine verkappt religiöse oder eigentlich (d. h. nicht bloss antitheologisch-theologische) theologische Botschaft verborgen glaubt, was ich für unangemessen hielte. Diese Annahme taugt indes allein unter der Bedingung, dass wirklich ein entschiedener Formwille (oder eben Formunwille) beim ,späten' Overbeck am Werk ist.

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Nietzsche bemüht die implizite Billigung der Sklaverei durch das Christentum zur Rechtfertigung seiner eigenen Forderung nach deren Wiedereinführung. Overbeck hingegen unterhöhlt mit dieser Feststellung die Selbstsicherheit des neuzeitlichen Christentums, das auf Humanität ein besonderes Vorrecht und zu ihr eine besondere Anlage zu haben meint, ja alle Humanität der Welt als Ausfluss seiner selbst betracht. Vielmehr habe sich die alte Kirche spätestens seit ihrem Pakt mit dem römischen Staat darauf verlegt, „Emancipationsstrebungen nun geradezu zu bekämpfen, welche sie nie begünstigt" (St, 230) hätte. „Diesem Staate hat die Kirche keinen neuen Kräfte erweckt und viele entzogen, aber sie hat ihn in allen seinen Institutionen geschützt und vollends kein Interesse gefunden sie zu erschüttern oder auch nur in Frage stellen zu lassen, seit sie selbst darin Bollwerke ihrer Macht zu sehen sich gefallen Hess." (St, 229)

Hier stützt sich Overbeck einmal mehr auf Gibbons Vorgaben. Der ,böse Blick' auf das Christentum lässt ihn alle zukunftsweisenden Entwicklungen des Reiches, namentlich im byzantinischen Osten geringschätzen. Im Kem zielt seine Abhandlung über die Sklaverei auf eine Legitimierung von Aufklärung und Humanität ohne Beihilfe christlicher Moral oder gar christlicher Theologumena. Die Legitimität der nachchristlichen Neuzeit beruhte dann für Overbeck was ja schon das Postulat vom weitabgewandten Charakter des eigentlichen Christentums impliziert - nicht auf der christlichen Tradition, sondern allenfalls auf einer geistig-kulturellen, die sich ihrer Vergangenheit bewusst ist: „Auf der Möglichkeit, das Todte unter uns leben zu lassen, beruht alle menschliche Cultur" (OWN 4, 299). Bei aller Kritik verunglimpft Overbeck die .Errungenschaften' der Neuzeit, soweit sie aufklärerische sind, gerade nicht, sondern nur ihre pseudochristliche Verbrämung. Daher verfällt auch die (historische) Wissenschaft nicht grundsätzlicher Kritik. Overbeck sieht in der Einstellung der antiken Christen der Sklaverei gegenüber keine Rechtfertigung für deren Wiedereinführung, wie Nietzsche dies tut. Vielmehr stellt er an diesem Beispiel die ethische Indifferenz des antiken Christentums (in weltlichen Belangen) heraus, die er kaum für nachahmenswert hält. Die christliche Liaison mit dem Staat sei zu einer offen restaurativen Haltung ausgeartet, der zur Machtsicherung alle Mittel recht gewesen seien. Dieselbe Taktik, wenngleich unter anderen Vorzeichen, nimmt Overbeck bei den Theologen seiner Gegenwart wahr. In dieser dem (kirchlich gewordenen) Christentum attestierten Tendenz zur Anpassung mag man die ihm später von Nietzsche prädizierte Sklavenmoral vorgebildet sehen - eine Sklavenmoral, die sich gerade in der opportunistischen Staatstreue angesichts der Sklaverei äussern würde. 2 Die Radikalität Overbecks liegt in der Unnachgiebigkeit, mit der er seine historiographischen Grundsätze auf den Stoff der Christentumsgeschichte anwendet und mit der er die Unchristlichkeit der Theologie geisselt - so an die Unchristlichkeit der Moderne erinnert. „Das Christenthum ist eine viel zu erhabene Sache, als dass es in einer im Ganzen ihm entfremdeten Welt dem Einzelnen so leicht gestattet sein sollte, sich ohne Weiteres damit zu identificiren. Es thut diess auch heutzutage im Grunde Niemand, die Theologen ausgenommen" (St, VII).

2

Robert Kiefer, Nietzsche und Overbeck - eine Arbeitsgemeinschaft, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte, Bd. 57, (1938), S. 5 2 3 - 5 5 3 , S. 531 macht es sich wohl zu einfach, wenn er schreibt: „Das Christentum als Sklavenaufstand' erinnert an Overbecks Abhandlung: £)ie alte Kirche und die Sklaverei' ."

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Gegen Ende seines Lebens wird Overbeck die prophetische Losung vom finis christianismi ausgeben, für dessen Heraufkunft die „moderne Theologie" unfreiwillig Zeugnis ablege, ja verantwortlich sei. Von der Hoffnung auf einen Nutzen historischer Theologie für die Religion - die in der Antrittsvorlesung von 1870 noch ausschlaggebend war und, soweit die Theologie kritisch verstanden werde, auch 1873 nicht völlig aus dem Blickfeld geraten ist - verabschiedet sich Overbeck endgültig. Er treibt, wie sich wie an den Studien zeigt, profane Kirchengeschichte in moralischer Absicht. An ihrer Kompromisslosigkeit hatte Nietzsche seine Freude, an ihr mochte aber auch die Freundschaft als „Waffengenossenschaft" brüchig geworden sein. Da sich Overbeck nicht für eine religiös-künstlerische Wiederverzauberung der Welt mittels Tragödie, frühem Hellenentum und wagnerischen Gesamtkunstwerken erwärmen konnte, war die Waffengenossenschaft von Anbeginn zwar auf gemeinsame Feinde, freilich kaum auf gemeinsame positive Ziele bezogen. Als Waffengenossen agierten Nietzsche und Overbeck, sofern sie sich der Kritik verschrieben. Nietzsche hatte 1873 die zusammengebundenen „Zwillinge" Christlichkeit gemässe in Overbecks Handexemplar mit folgendem Gedicht gewidmet:

und Erste Unzeit-

„Ein Zwillingspaar aus Einem Haus ging muthig in die Welt hinaus, Welt-Drachen zu zerreissen. Zwei-Väterwerk! Ein Wunder war's Die Mutter doch des Zwillingspaars F r e u n d s c h a f t ist sie geheissen!" (ChT 2 , 18)

Wie schon in jenen Versen, die dem Privatdruck der Homervorlesung vorangestellt waren (vgl. Kapitel 1.1), verschafft sich in diesen hier ein religiös gestikulierendes Selbstbewusstsein Gehör, so sehr man Selbstironie hineinzulesen sich bemüssigt fühlt. Egal, ob die „Welt-Drachen" auf titanische Monster in Hesiods Theogonie, auf Lindwürmer in germanischer und wagnerischer Mythologie (Siegfried!) oder auf das Untier in der Johannesoffenbarung (12, 3ff.) anspielen, werden heroische Ambitionen geäussert, die Nietzsche bestimmt gehegt hat (bei Overbeck bin ich da nicht so sicher): Der mythische Kampf gegen die Mächte des Chaos und der Unterwelt muss in allen Versionen ausgefochten sein, bevor sich eine geordnete Welt strukturieren lässt - eine Welt, die der Auflösung trotzt. 3 Die Ungeheuer sollen nach Nietzsches Gedicht notabene gleich zerrissen werden; bekämpfen oder mit ihnen streiten reicht nicht (obwohl das „zerreissen" vielleicht auch bloss vom Reim erzwungen ist und das Rezensentenhandwerk evozieren soll, in dem sich Nietzsche gegen David Strauss, den Bekenner und den Schriftsteller übt). Zarathustra-Les& werden sich natürlich des „grossen Drachens" in den „Drei Verwandlungen" entsinnen: „ ,Du-sollst' heisst der grosse Drache" (Ζ I: Von den drei Verwandlungen - KSA 4, 30). So könnte man dann die Waffengenossen Overbeck und Nietzsche im Jahre 1873 mit dem zum Löwen verwandelten Geist assoziieren, der mit den „tausendjährigen Werthen" des Drachen zu „ringen" (ibd.) hat. Aus der Perspektive des Gedichtes hat sich das Zwillingspaar - der Lasten des Kamels bereits ledig - nicht in die „Welt" aufgemacht, um einen prinzipiell offenen Horizont

3 Zur philosophischen Interpretation des Drachenkampfs in kosmogonischen Mythologien vgl. Emil Angehrn, Die Überwindung des Chaos. Zur Philosophie des Mythos, Frankfurt am Main 1996, S. 147-150: „Was in den Monstern des Mythos Gestalt annimmt, ist die äussere Darstellung eines Innern." (S. 150)

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zu erforschen und ihn zu bebauen, sondern um diesen offenen Horizont überhaupt einmal zu erwerben, und zwar im Kampf gegen die falschen Idole der Zeit. Bekanntlich hat auch der Drache der Apokalypse - „die alte Schlange, die da heisset der Teufel und Satanas" - „die ganze Welt verführet" (Offenbarung 12, 9). Falls man Nietzsches Widmungsgedicht als sechszeilige Komprimation seines damaligen Selbst- und Freundschafts Verständnisses versteht, wird man das „Eine Haus", dem die beiden Zwillinge entstammen, nicht nur buchstäblich auf die gemeinsame Wohnung Overbecks und Nietzsches am Schützengraben 45 in Basel beziehen. Die Grossschreibung des Artikels, die starke Akzentuierung spricht gegen eine so einfache Identifikation, zumal im Jieilsgeschichtlichen' Kontext des ganzen Gedichtes. Auch das Insistieren auf die Zwillingsgeschwisterschaft weist vielmehr auf eine gemeinsame geistige Heimat beider Pamphlete hin auf das „Contubernium" in emphatischem Sinn: Nach Nietzsches Dafürhalten gehen Overbeck und er von gleichen Voraussetzungen, das heisst von einer gleichen Diagnose der gegenwärtigen Verhältnisse aus. Über die Welt-Drachen, denen der Krieg erklärt wird, herrschte demnach Einigkeit, aber nicht notwendig über das, was man mit der einmal von den Drachen befreiten Welt anstellen will. Das Erscheinen der beiden Werke in der „Welt" sei mutig, was die Gefahr unterstreicht, die ihnen und ihren Urhebern, vielleicht aber auch der gemeinsamen Mutter, der Freundschaft droht. Vollends anstössig wird die „Welt" durch ihre Verbindung mit den Drachen: in ihr - und da scheint jene christliche Weltverachtung anzuklingen, die Overbeck so stark macht - haben monströse Wesenheiten, eben Werte die Oberhand, denen allein mit heldenmütiger Entschlossenheit beizukommen ist. Die Welt ist von Ungeheuern bevölkert, die vernichtet werden müssen, bevor man sich in ihr einrichten, in ihr ansässig werden kann. Die einzige Heimat haben - darauf läuft die Stilisierung hinaus - die beiden Schriften und ihre Verfasser, die „Väter", am nährenden Busen der mütterlichen Freundschaft. Immerhin sind sie dort gerade nicht zu christlicher Weltabwendung erzogen worden, sie brechen vielmehr zu drachentötenden und welterobernden Taten auf, um schliesslich in der Welt heimisch zu werden. 4 Ohne den verbindenden Zweck, Weltdrachen zu besiegen, kommt die Freundschaft 1873 möglicherweise nicht aus. Sie hat vor allem eine waffengenossenschaftliche Dimension. In der Folge scheitert das Konzept der Freundschaft als Waffenbrüderschaft nicht eigentlich, aber es tritt in den Hintergrund, weil es zunehmend an gemeinsamen Feinden mangelt. Wie es im Detail dazu kommt, obwohl Nietzsche doch in seiner Freigeistphase einer radikalen Aufklärung huldigte, die dem Aufklärer Overbeck sympathisch gewesen sein sollte, muss eigens erforscht werden. Überspitzt könnte man in der Metaphorik Zarathustras sagen, Overbeck bliebe Löwe und gefiele sich darin (auch ohne sehr zu brüllen), während Nietzsche - in den Achtzigerjahren - danach trachtete, das spielende Kind zu werden, „ein aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Jasagen" (Ζ I: Von den drei Verwandlungen - KSA 4, 31). Der eschatologische Einschlag der von Overbeck und Nietzsche gemeinsam unternommenen Expedition ist - wenigstens im poetischen Abriss, den Nietzsche 1873 davon gibt - unübersehbar. Nietzsche betrachtet - aller Ironie zum Trotz - seinen Freund und sich selbst als furchtlose Ritter (vgl. Kapitel 3, Anm. 15), die mit dem, was bis dahin Gültigkeit beanspruchte, abrechnen und, wie es später heisst, dem „Du-sollst" das „Ich-will" (KSA 4, 30) entgegenschleudern. An einem Wendepunkt der Geschichte, an ihrer Peripetie situiert Nietzsche sich und seinen

4

Man ziehe zum Vergleich den in der Einleitung zitierten Brief Nietzsches an Overbeck vom 31. Dezember 1873 heran!

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Waffengenossen. Wen wundert es da noch, dass Overbeck, mit derlei Apokalyptik persönlich konfrontiert, als Wiederentdecker der urchristlichen Eschatologie gilt? Angesichts einer dermassen pathetischen Auf- und Überladung der Zukunft sowie des eigenen, diese Zukunft prägenden Handelns ist es zum Schluss angezeigt, nach dem metaphysischen Sinn von Geschichte bei Overbeck und Nietzsche zu fragen. Zwar ist die Distanz von Nietzsche und Overbeck zur Geschichtsmetaphysik Hegels und zu allen teleologisch-progressivistischen Modellen als Symptom der historistischen Krise greifbar geworden. Auch das (,theologisch verballhornte') Christentum hatte ja schliesslich einen Sinn der Geschichte anzubieten - einen, der das Leiden für sinnvoll erklärte oder es wenigstens bewältigen, rationalisieren konnte. Jede Historie, die eine solche tröstliche Lesart des Gewesenen widerlegt, gerät selber in den Sinnlosigkeitsverdacht: Was wäre dann noch ihr Nutzen für das Leben? Eben diesem Einwand begegnet Nietzsche mit seiner von vornherein auf Lebensnützlichkeit eingeschworenen, poetischen Historie. Ist aber die Abfolge der res gestae selbst - nicht bloss ihre subjektive Zurechtlegung, die historia rerum gestarum - insgeheim bei Nietzsche und bei Overbeck doch von Mächten gelenkt, die nicht bloss den vergeblichen Verschleiss von Lebensressourcen bezwecken? Wenn sich in der Geschichte schon kein Gott und keine Vernunft mehr offenbaren oder gar entäussern, um wieder zu sich selbst zu finden, gibt es für Nietzsche und Overbeck trotzdem einen den Interpretationen der Geschichte, ihren Historien zugrundeliegenden, ontologischen Sinngehalt des Geschehens? Oder ist alles nur Auslegung und Interpretation, wie beim späteren Nietzsche und versuchsweise schon in Wahrheit und Lüge? „Nach dem Sinn der Geschichte zu fragen ist eine schlechte Angewohnheit, die man in der langen Periode in welcher menschliches Denken unter dem Bann des Christenthums stand und in dieser Hinsicht noch nicht .aufgeklärt' war, angenommen hat. Die Aufklärung ist noch viel zu jung, als dass man die Angewohnheit vollständig abgelegt hätte. [...] So weit anerkannt ist, dass die von der Religion bezogene Kenntniss ihres [sc. der Geschichte] Anfanges und Endes uns durch die Aufklärung verloren gegangen, ist auch die Frage in einem gewissen überschwänglichen Umfange für uns aus der Welt geschafft, und nur innerhalb gewisser von uns selbst zu bestimmender Grenzen überhaupt nur noch statthaft. Hier stehen Wissenschaft und Theologie am Kreuzwege, wo sie für immer auseinanderzugehen haben, bis sich wieder absehen lässt, dass sie sich wieder einigen können. Unter allen Lebensfragen der Wissenschaft aber mag es in der That kaum eine andere geben, in welcher die seit der Aufklärung unerlässliche Fernhaltung aller theologischen Elemente aus den Schranken der Wissenschaft schwieriger sein mag, als die nach dem Sinn der Geschichte. Für Nachkommen der Aufklärer ist darin fortan nicht der leiseste Duft von Theologie mehr zu dulden. Nur eine Geschichte die sich vor menschlichen Erkenntnissorganen über ihren Anfang und ihr Ende ausweisen kann, hat für uns noch Sinn, keine jenseitige, über die wir nicht mehr belehrt zu werden glauben können." (OWN 4, 383f. - 1903/1905)

Overbecks Äusserungen über den „Sinn der Geschichte" wirken auf Anhieb diffus, was ihren eigentlichen Gegenstandsbereich anbelangt: Ist vom Sinn der Ereignisse und ihrer Abfolge, der res gestae oder vielmehr vom Sinn des über sie Berichteten, der historia rerum gestarum die Rede? Die Vorliebe Overbecks für Kautelen, von der man sich im Anhang überzeugen kann, findet hier den ihr gemässen Ausdruck. Wenn man den Sinn der Geschichte im ganzen ermitteln will, fahre man auf den Gleisen theologischer Masslosigkeit, die das Gesamte überschauen zu können wähne. „Auf jeden Fall sind es die Theologen, welche unter uns die Frage nach dem Sinn der Geschichte in Umlauf gebracht haben" (OWN 4, 384). Overbeck mahnt demgegenüber an die „Grenzen" - sowohl der Erkenntnis als auch der geschichtlichen Phänomene - und bezieht sich einmal mehr auf die Aufklärung, die dem absoluten theologischen

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Sinnstiftungswillen entgegengetreten sei. 5 Nur wenn man Anfang und Ende eines solchen Phänomens absehe, also nur im Blick auf Objektivierbares lasse sich vernünftig vom Sinn der Geschichte sprechen. „Ist in der Neuzeit (d. h. seit der Aufklärung) die Grundfrage der Philosophie überhaupt, welches die Grenzen der Menschen übersehbaren Welt sind [...], so wird auch eine Grundfrage der modernen Geschichtsphilosophie sein innerhalb welcher Grenzen die Welt der Geschichte Menschen zugänglich ist, in wie weit über die Schranken der ihrer Wahrheit unmittelbar zugänglichen Gegenwart hinaus nach rückwärts (in Vergangenheit) und vorwärts (in Zukunft)." 6

Worin jener „Sinn" liegt, wird nicht gesagt: Ist er die folgerichtige Verknüpfung der Elemente, die wir uns als Geschichte erzählen, also die aussagelogische Stimmigkeit einer solchen partikularen Historie? Ist dieser Sinn das, was wir aus einer solchen uns erzählten Geschichte lernen können, was sie uns für das Leben hilft (historia magistra vitae)l Oder ist er gar ein (beschränkt) sinnvoller, das heisst zielgerichteter Verlauf der Geschehnisse im Rahmen der Grenzen, des Anfangs und des Endes, die sich überblicken lassen? Zwar ist die Frage nach dem Sinn der Geschichte unter posttheologischen Bedingungen nicht mehr „gorgonisch", aber doch wenigstens janusköpfig: „Sinnverwirrend und den Athem benehmend, wenn sie unbesonnen erhoben wird, lässt sie uns Menschen das Leben, wenn wir bei Zeiten darauf bedacht sind, sie in ihren Grenzen zu halten verstehen, das heisst sie nur innerhalb der ihr um unseretwillen gegebenen Grenzen überhaupt an uns kommen zu lassen. In diese Dimensionen hat die Frage schon längst nicht mehr gorgonisch auf Menschen gewirkt und es lässt sich erwarten, dass sie es auch fernerhin nicht thut." (OWN 4,384)

Man ist - trotz Overbecks Kritik am Sprachgebrauch der Theologie, die den Sinn von Geschichte insgesamt glaubt entdeckt zu haben - wohl geneigt, die letzte der drei aufgezählten Möglichkeiten für die von Overbeck intendierte anzusehen: Einzelne Abschnitte des Gewesenen haben Sinn, für sich, als objektive Tatbestände genommen, und nicht erst, weil die Geschichten darüber einen solchen Sinn suggerieren. Was aber für uns, als Rezipienten solcher Geschichten und nicht der Fakten selbst, daran sinnvoll sein soll, bleibt nebelhaft. Unzweifelhaft zumindest kann es kein .grosser' Sinn, keine Daseins- und Welterklärung mehr sein, wie ihn die Theologie und die theologisierenden Metaphysiker angeboten haben. Overbeck fraktioniert den Sinn von Geschichte, scheint aber zu meinen, dass die einzelnen Teile - soweit sie abgeschlossen sind, ihr Ende schon gefunden haben - (aus unserer Vogelperspektive?) einen Sinn haben können. Die Geschichte, in der wir leben, kann dann per definitionem noch keinen solchen Sinn besitzen, weil sie eben noch nicht abgeschlossen ist (wir sie aus der Froschperspektive betrachten). Was helfen die möglicherweise vom Historiker für sinnvoll befundenen Teile des Gewesenen für unser Leben, wenn es

5

An dieser Stelle in Christentum und Kultur (S. 5 = OWN 4, 384) meint Körtner, S. 88 einen Beleg für seine These gefunden zu haben, dass Overbecks „Kritik an der Religion letztlich Kritik am metaphysischen Denken" sei. Indes wird hier von Theologie, eben nicht von Religion gehandelt. Metaphysikkritik liegt bei Overbeck insofern vor, als Theologie, von positivem und daher beschränktem Wissen abgelöst, die Welt insgesamt erklären will, was die Religion zwar ebenfalls tut, aber nicht im Medium des Wissens, sondern ζ. B. des Mythos. Körtner setzt aber einen spezifischen Metaphysikbegriff voraus, der nicht derjenige Overbecks zu sein scheint (vgl. Kapitel 3, Anm. 36).

6

„Geschichtsphilosophie (Allgemeines)", Ziffer 5, S. 3, in: NLO, A 224 (vollständige Transkription im Anhang).

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nicht unser, eben nicht abgeschlossenes Gewesenes ist? Geht es denn darum, sich den für sinnvoll befundenen Geschichtsabschnitt als lehrreiches Beispiel für ein sinnvoll zu gestaltendes Leben vor Augen zu halten? Konsistente geschichtsphilosophische Grundlagenreflexion hat Overbeck hier offensichtlich noch nicht geleistet, so achtenswert sein Hieb gegen die theologische Erfindung eines einzigen Sinns von Geschichte ist. Overbecks Frontstellung mag eine Pluralität von Sinn(en) und somit - geradezu postmodern - von Geschichten begünstigen. „Die Geschichtsschreibung verzichtet darauf in die Zukunft zu dringen, aber sonst pflegt sie die Zeit allerdings als ihr offenstehend vorauszusetzen, Vergangenheit und Gegenwart. In Wahrheit aber fragt es sich, ob sie nicht, selbst wenn sie sich auf die Vergangenheit als den ihr zugänglichen Bereich der Zeit beschränkt, sich nicht überschätzt. Denn dass ihr die Gegenwart verschlossen ist schon oft behauptet worden und möchte ich wenigstens nicht bezweifeln. Aber selbst innerhalb der Vergangenheit besteht Anlass zu unterscheiden in Hinsicht auf ihre Zugänglichkeit für Gesch. 7 Ist aber nur ein Theil der Vergangenheit als die eigentliche Provinz der Geschichtsschreibung anerkannt, so möchte ich die Geschichtsschreibung gegen die Kritik der Philosophie allerdings für ernstlich gesichert halten." 8

Die Geschichtsschreibung wird in ihrer Verfügungsgewalt über das Vergangene ziemlich restringiert, darf sich aber - sofern sie zu einem geschichtlichen Gegenstand wirklichen Zugang hat gegen erkenntnistheoretische Vorbehalte für „ernstlich gesichert halten". Seltsamerweise reflektiert diese Geschichtsschreibung gar nicht ihre eigene Abhängigkeit von Sprache, von „Form", an der Overbeck bei der altchristlichen Literatur doch so viel liegt; sie denkt nicht darüber nach, dass sie vielleicht selbst nur das Produkt eines nachträglichen Erzählwillens und der Mechanismen solcher Erzählungen ist - , dass sie die realiter unverbundenen Ereignisse erst in einen kausalen Zusammenhang bringt. Dessen ungeachtet zeigt sich auch hierin der Abschied vom Prinzipiellen. Nach dem Ende der grossen metaphysischen Systeme und teleologisch-theologischen Geschichtskonzeptionen gestattet sich Overbeck nicht einmal mehr die Flucht in einen Sinn der Geschichte nach dem Muster Rankes, für den jede Epoche gleichermassen gottunmittelbar war. Der ,späte' Overbeck könnte, mit seiner Geschichtswissenschaft, gemäss der in der Zweiten Unzeitgemässen requirierten Horizontbeschränkung, in positivistische Faktenhuberei .zurückfallen', um so der Petrifikation durch die grossen Fragen und Antworten zu entgehen. Er behilft sich sozusagen mit der Quintessenz des Candide·. „mais il faut cultiver notrejardin". 9 Wer sich nach dem Sinn der Geschichte, nicht nur nach dem Nutzen von Historien beim frühen Nietzsche erkundigt, gerät in den Strudel der nicht hinreichend geklärten Möglichkeitsbedingungen von Historie. Die im Dienste des Lebens postulierten Historientypen haben ja das eigentliche Geschehen - das eben unwiederbringlich ist - als möglichen Inhalt oder Gegenstand ihrer Betrachtung von vornherein stark beschränkt. In der Konsequenz dürfte es keine Einsicht in den tatsächlichen Verlauf des Geschehens geben, da eine solche weder dem Leben nützt, noch 7 8 9

Es ist unklar, ob die Abkürzung „Gesch." für Geschichte oder Geschichtsschreibung steht. „Geschichtsschreibung (Möglichkeit)", Ziffer 1, S. 1, in: NLO, A 224 (vollständige Transkription im Anhang). Voltaire, Candide ou l'optimisme [1759], in: V., Romans. Presente par Roger Peyrefitte, Paris 1961, S. 143-245, S. 245. „Geschichte (Sinn) Allgemeines", Ziffer 2, S. 1 f.: „Auf jeden Fall ist es das unsterbliche Verdienst der Aufklärung den Blick der Betrachtung der Geschichte von seiner einseitigen Richtung auf Religion abgezogen und für Auffassung eines weiteren Umkreises von menschlicher Geistesbildung befähigt zu haben. So namentlich Voltaire".

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ein Zurück der Erkenntnis hinter die Geschichtserzählungen zu den Facta selbst möglich ist. Unter diesen Voraussetzungen liesse sich allein über die Folgerichtigkeit der Geschichtserzählungen, der Historie eben, .sinnvoll' diskutieren, nicht aber über die prinzipiell dem Zugriff entzogene reale Welt, schon gar nicht über reale Welten, die schon gewesen sind. Ich skizziere im folgenden drei denkbare Ansätze, beim frühen Nietzsche eines Sinns der Geschichte, der res gestae doch noch habhaft zu werden. Diese Rekonstruktionsversuche stehen quasi im Pontentialis, setzen voraus, dass die Realität für Nietzsche in irgendeiner Weise zugänglich sei. Denn Nietzsche lässt stellenweise durchblicken, dass er wie der dionysisch inspirierte Grieche in die Abgründe der Welt geschaut habe und das „furchtbare Vernichtungstreiben der sogenannten Weltgeschichte" (GT 7 - KSA 1, 56) gewärtige. Da ist die Prominenz des schöpferischen Momentes - in dem das geschichtliche Bedingtsein vergessen werden muss - Anhaltspunkt einer Flucht vor dem Gorgonenantlitz des (visionär?) geschauten GeschichtsVerlaufs. Der Sinn dieses blinden Treibens von Geschichte würde - positiv gewendet - darin bestehen, eben zu solcher Flucht ins Kunstschaffen anzuspornen, anstatt dem umgekehrten Schluss der traditionellen, objektivierenden Historie nachzugeben und sich in die Lähmung der Handlungsantriebe zu schicken. Der ziellose Weltlauf scheint - durch die alle schöpferischen Energien der Individuen herausfordernde Gewalt - unvermutet zu einem ästhetisch gerechtfertigten umgewertet zu sein. Dank dieser Herausforderung würde Geschichte ein allerdings weltimmanentes »Heilsgeschehen'. Aus dieser Sicht wären monumentalische, antiquarische und kritische Historien nachgerade kontraproduktiv, weil sie ja dem Menschen einen Horizont verschaffen wollen, dessen er aber nur bedürfte, falls er sich nicht - aller apollinischen Schranken ledig - in den geschichtsvergessenen Augenblick hineinsteigert, unhistorisch agiert. Zumindest in diesen Augenblicken müssten wohl alle Grenzen und Horizonte fallen; für die künstlerischen Individuen gälte die anrüchige Devise: vivere pericolosamente,10 Das Heil des tatsächlichen Geschichtsverlaufs, ungeachtet des darüber Gesagten, bestünde somit in der Antwort, die dieser Verlauf den Menschen abverlangt. (Inwiefern ist aber der Geschichtsverlauf selber Menschen werk?) Der Abstand Nietzsches von anderen Kulturentstehungstheorien seit Herder und Kant - die den Menschen als ein Mängelwesen begreifen, das aus seiner Bedürftigkeit heraus zu Kulturleistungen genötigt ist - verringerte sich in dieser Lesart zusehends. Eine Differenz läge freilich in der Intensität sowohl der Schrecklichkeit des Realen wie der Mittel, es zu bewältigen: Während traditionell die Menschen die verhältnismässig leicht formbare Wirklichkeit zu einer Welt umgestalten, in der sich leben lässt, müsste die Kulturgenese bei Nietzsche als ein Verdrängungsvorgang gelesen werden: Weil man der Sinnlosigkeit des unmotivierten Ereignisflusses (auf Dauer) nicht gewachsen ist, ohne selber als Individuum zuschanden zu gehen, hätte man sich imaginäre, das heisst künstlerische Ersatzwelten zu erschaffen. Der Sinn des Sinnlosen und das Heil des Heillosen lägen genau in der Anstachelung der kreativen Kräfte. Das Leben, dem die Historie zu dienen hat, könnte sodann nicht mehr biologistisch verstanden werden: es wäre eines, das gegen den Strom des einfach so und unmotiviert Geschehenden schwimmt. So liefe das Ganze auf eine Theorie ästhetischer Kompensation hinaus, in wel-

10 „Nicht umsonst ist sein [sc. Nietzsches] Wort vom gefährlichen Leben' ins Italienische übersetzt worden und in den Argot des Faschismus eingegangen." Thomas Mann, Nietzsche's Philosophie im Lichte unserer Erfahrung [1947], in: Th. M.: Gesammelte Werke in zwölf (dreizehn) Bänden, Frankfurt a. M. 1960 (1974), Bd. 9, S. 675-712, S. 702.

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eher sich gelungene Existenz realisierte. Dies scheint aber der Historienschrift zu widersprechen, insofern in ihr, wie Schnädelbach meint (vgl. oben Kapitel 2, Anm. 7), gerade kein sublimatorischer oder kompensatorischer Ansatz zum Tragen käme. Die ganze Polemik gegen die objektivierende Geschichtsschreibung, die doch auch, wenngleich nicht in der Radikalität von Nietzsches kritischer Historie, das Gewesene von sich distanziert, sich von ihm nicht berühren lässt, wäre auf einem solchen Hintergrund geradezu unverständlich. Dennoch sehe ich für das künstlerische Tun keine andere Motivation, soweit die ästhetische Theodizee in der Geburt der Tragödie ernstgenommen werden soll. Möglicherweise kann man sich aber mit einer anderen, Nietzsches Gesamtprojekt eher umfassenden Theorie behelfen, die im künstlerischen Tun und in seiner poetischen Historie gerade nicht ein Vergessenmachen und eine verharmlosende Bewältigung des Leidens und der Sinnlosigkeit vermutet. Eine solche Interpretation, die auf die Einheitlichkeit von Nietzsches frühem Denken aus ist, müsste Kunst und gelungene Historie als Wiederherstellung des Urleidens, als selber leidende und dadurch lebende Rekapitulation des Leidens plausibel machen. (Stützen könnte sie sich auf Nietzsches Erfahrungen rauschhaft gesteigerten Leidens im Deutsch-Französischen Krieg von 1870.11) Die poetische Historie nach Nietzsches Wunsch würde dann das dionysische Leiden wiedererstehen lassen; sie wäre heroische Leidensverwindung, ohne Leidensverminderung zu sein. Das Entscheidende hierbei ist, dass das Leiden produktiv wird und nicht etwa paralysiert. Vom Leiden gäbe es demzufolge - so eine Schopenhauer noch radikalisierende pessimistische Grundannahme - keine Erlösung. Historie als die Erzählung über das Vergangene sollte dann dessen Not und Leiden vergegenwärtigen und hielte - im „liebendefnj Versenktsein in die empirischen Data" (UB II 6 - KS A 1, 292) - zum Wiedererleben des Leidens an. Dergestalt könnte sich dieses Leiden - als eines, das sich das Historie treibende Individuum angeeignet hat - als ein sinnvolles, ein für die Selbstgenese nötiges erweisen. Das Christentum mit seiner pessimistischen „Lebensansicht" wäre in diesem Kontext Nietzsche widerwärtig, weil es eine billige (obschon jenseitige) Erlösung vom Leiden anbietet, dem Leidensdruck letztlich also doch nicht standhält und einen apriorischen Sinn ins Sinnlose hineinprojiziert. Mit einem solchen Interpretationsansatz stimmt aber das Eingangskapitel der Zweiten Unzeitgemässen schwerlich überein, denn dort wird dem „Glück", dem „Vergessen-können" (UB II 1 KSA 1, 250) die Erinnerungslast gegenübergestellt, mit der „Kampf, Leiden und Überdruss an den Menschen herankommen" (ibd. - KSA 1,249). Die gute und nützliche Historie soll das Vergessen fördern, damit - wie in konventioneller Geschichtsphilosophie - den Leidensdruck eben doch verringern, weil er das Leben sabotiert, falls er übermächtig ist. Im Leiden wird Geschichte nicht wahrhafter erfahren als sonst; auch das Leiden hebt den Konstruktionscharakter der Historie nicht auf. Die in der Tragödienschrift praktizierte Geschichtsschreibung sah dies wohl noch anders; dort wird dionysisches Mit-Leiden noch grossgeschrieben. Immerhin könnten die Verteidiger der Leidensrekapitulations-These dem Gegensatz zu den horizontverengenden Historientypen - die tendenziell das Leiden wegretouchieren wollen (explizit die kritische Historie, welche „dem Leidenden und der Befreiung Bedürftigen" gehöre - UB II 2 - KSA 1, 258) - mit dem Argument begegnen, diese Historientypen gehörten auf .niedrigere Entwicklungsstufen',

11 Siehe demgegenüber Overbecks antibellizistischen Vorbehalte im „Kirchenlexicon"-Lemma „Krieg und Christenthum", das zwischen 1870 und 1880 entstanden sein dürfte (in: NLO, A 228 - vollständige Transkription im Anhang): „Das Beste was sich für den Krieg sagen lässt, ist dass man während des Friedens vergisst, dass der Krieg ein Unglück ist." (Ziffer 1, S. 1)

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und erst die künstlerisch verstandene Historie sei reif geworden, dem Leiden ins Antlitz zu schauen. „Es ist eine wundervolle, aus dem reinsten Borne des Hellenischen geschöpfte Vorstellung, welche den Streit als das fortwährende Walten einer einheitlichen, strengen, an ewige Gesetze gebundenen Gerechtigkeit betrachtet. Nur ein Grieche war im Stande, diese Vorstellung als Fundament einer Kosmodicee zu finden; es ist die gute Ens Hesiods, zum Weltprincip verklärt, es ist der Wettkampfgedanke [...] in's Allgemeine übertragen, so dass jetzt das Räderwerk des Kosmos in ihm sich dreht." (PtZG 5 - KSA 1,825)

Wenn sich bei Nietzsche wie bei seiner Identifikationsfigur Heraklit alles im Werden auflöst, dann darf dem Walten der Dike kein moralischer Zug beigelegt werden: „Nicht Frevelmuth, sondern der immer neu erwachende Spiel trieb ruft andere Welten ins Leben." (PtZG 7 - KSA 1, 831) Dem spielenden Kind ist alles unterworfen, der Mensch „bis in seine letzte Faser hinein Nothwendigkeit und ganz und gar unfrei" (ibd.). Der Sinn der Welt und der Geschichte wäre - in dieser dritten, heraklitisierenden Deutung Nietzsches - die Befriedigung des immer wieder neu entfesselten Spieltriebes. 12 Soweit man die Metapher vom spielenden Kind wörtlich begreift, bestünde die jeweils individuelle Rechtfertigung von Welt und Geschichte darin, dem Vorbild dieses seltsamen Gottes nachzuleben: Die Imitatio verwirklicht der Künstler in seinem spielerischen Tun. 13 Für Aussenstehende klänge die ^Composition' „Weltgeschichte" nach einem dissonanten, atonalen, ja sinn(en)verwirrenden Gebilde 1 4 , nicht aber für den Tonsetzer, der es hervorbringt und sich am Akt der Hervorbringung (und Vernichtung) ergötzt. Dem Emst des Leidens, seiner Tragik ist mit der spielerischen Nivellierung nach meinem Dafürhalten jedoch die Spitze abgebrochen. Der ästhetizistische Immoralismus, der sich in einer so betriebenen Geschichtsdeutung Geltung verschaffte, ist von derjenigen Overbecks mit ihrer kritisch-moralischen Absicht weit abgerückt. „Heraklit hat ja keinen Grund nachweisen zu m ü s s e n (wie ihn Leibniz hatte) dass diese Welt sogar die allerbeste sei, es genügt ihm dass sie das schöne unschuldige Spiel des Äon ist." (ibd.)

Ich habe abschliessend, ohne jeden Vollständigkeitssanspruch, drei unterschiedliche Deutungsmuster des Nietzscheschen Frühwerks und ihre jeweiligen Kompatibilitätsschwierigkeiten skiz-

12 Siehe die Ausführungen zum spielenden Kind bei Heraklit in Nietzsches Vorlesung Die vorplatonischen Philosophen [1873/76], in: GoA, Bd. 19, S. 125-234, S. 184-187: „Ebensosehr die moralische Tendenz des Ganzen als die Teleologie ist ausgeschlossen: denn das Weltkind handelt nicht nach Zwecken, sondern nur nach einer immanenten dike." (S. 185) Vgl. Löwith, Heidegger, S. 87. 13 Ob in einer von Heraklit inspirierten Weltanschauung Handeln überhaupt möglich sei, fragt sich Nietzsche allerdings selber: wenn alles im Werden zerfliesse, werde ein Mensch, der dessen gewahr wird, „wie der rechte Schüler Heraklits zuletzt kaum mehr wagen den Finger zu heben" (UB II 1 - KSA 1, 250). 14 Frei nach Heinrich Heine, Die Harzreise [1824]; in: H. H.'s Reisebilder = Η. H., Sämmtliche Werke, Erster Band, Philadelphia 7 1869, S. 47-98, S. 85: „.Meine Herren! die Erde ist eine runde Walze, die Menschen sind einzelne Stiftchen darauf, scheinbar arglos zerstreut; aber die Walze dreht sich, die Stiftchen stossen hier und da an und tönen, die einen oft, die andern selten, das giebt eine wunderbare complicirte Musik, und diese heisst Weltgeschichte. Wir sprechen also erst von der Musik, dann von der Welt und endlich von der Geschichte; letztere aber theilen wir ein in Positiv und spanische Fliegen - ' " .

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ziert, unter der Prämisse, dass hinter den Geschichtserzählungen noch etwas, wenigstens zum Teil das Geschehene selbst dem Menschen zugänglich sei und dieses selber „Sinn", das heisst Bedeutung für das menschliche Dasein habe. Eine solche Prämisse ist nicht bloss zulässig, sondern sie drängt sich geradezu auf, ausser man wählte nach postmoderner Sitte Wahrheit und Lüge als einzig gültigen Massstab. Auf die Frage nach dem Sinn des Geschehens haben wir durch diesen Streifzug voneinander abweichende Antworten bekommen, denen es aber jeweils nicht gelingt, Nietzsches frühe Geschichtsphilosophie widerspruchsfrei zu halten. Diese Widersprüche bleiben bestehen. Als gemeinsamer Nenner hat sich immerhin Nietzsches Streben nach einer Kosmodizee, einer Biodizee behufs künstlerischen Tuns und künstlerischer Geschichtsschreibung herausgebildet. Dass der Zweck von Geschichtsbetrachtung Theodizee zu sein habe, war schon ein Postulat klassischer Geschichtsphilosophie.15 Die Rechtfertigung des Leidens ist am Ende aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erfolgreich, weil das Leiden, selber historisiert und relativiert, sinnlos bleibt oder es erneut wird. Man könnte nun als Fluchtlinie von Nietzsches späterem Denken die Unabdingbarkeit namhaft machen, den möglichen ontologischen, eben z.B. tragischen Sinn der res gestae zu beseitigen und den Sinnanspruch ganz und gar auf die Interpretation, die historia rerum gestarum zu schieben. Auch er unterläge wie Overbeck einem Zwang zu allerdings anders verstandener Radikalität. Die Objektivität und objektive Bedeutsamkeit der Geschehnisse in der Vergangenheit werden getilgt, während Overbeck diese nihilistische und zugleich nihilismusbekämpfende Wende nicht mitvollzieht, sondern sich - pedantisch schliesslich - an das Greifbare als dem einzig Realen klammert. Nietzsche will Grenzen überschreiten, während Overbeck ständig an die Grenzen menschlicher Erkenntnis und menschlicher Verfügungsgewalt erinnert. Sein Augenmerk gilt der Endlichkeit des Menschen: es ist dies das säkularisierte „Memento mori" im Gewand der historischen Wissenschaft. 15 Siehe z . B . Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte [1822/1831] = G. W. F. H., Werke, Bd. 12, Frankfurt a. M. 1986, S. 28.

5. Anhang: Inedita Overbeckiana

Es folgen die Transkriptionen einiger weitgehend unpublizierter Quellen aus dem Nachlass Franz Overbecks auf der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Basel. Dabei handelt es sich um jeweils integral wiedergebene Texte, die in der Overbeck- Werk- und Nachlassausgabe (Bde. 4-6) nicht abgedruckt worden sind und die aus Overbecks „Collectaneen", seinem „Kirchenlexicon" stammen.1 In dieser über 20000 Kleinoktav-Blätter umfassenden Notatensammlung wechseln sich Exzerpte und Analekten mit Overbecks eigenen Reflexionen und Standortbestimmungen ab. Als Ordnungsprinzip fungieren die alphabetisierten Stichworte, unter denen Overbeck Lesefrüchte und Gedanken aufreiht und durch Querverweise mit andern Stichworten verbindet.2 Dadurch entsteht ein Netz, in dessen Koordinaten sich Overbecks Denken bewegt. Das „Kirchenlexicon" war in der vorliegenden Form nie zur Publikation bestimmt - etwa als eine Art Passagenwerk - , sondern bot Overbeck eine Fülle von Stoff für seine kirchenhistorischen Detailstudien und hätte als Basis für das Projekt einer „profanen Kirchengeschichte" dienen sollen. Overbeck investierte in den späteren Lebensjahren einen grossen Teil seiner Schaffenskraft in diese Materialsammlung - er arbeitete seit den frühen 1860er Jahren bis zu seinem Tod 1905 daran. Schliesslich ist Bernoullis editorisch zweifelhafte Kompilation Christentum und Kultur daraus hervorgegangen (vgl. OWN 6/1). Zahlreiche der hier transkribierten „Kirchenlexicon"-Artikel fallen nicht in die Zeit, mit der sich diese Studie beschäftigt. Sie sind dazu glossenartige (Selbst-)Kommentare und Fortsetzungen dessen, was Overbeck und Nietzsche zwischen 1870 und 1875 gedacht haben. Auf eine Auswahl aus Overbecks Nietzsche-Aufzeichnungen wurde verzichtet, da diese im 7. Band der OWN integral abgedruckt werden. Da die vorgestellten „Kirchenlexicon"-Passagen weitgehend aus sich selbst verständlich sind, wurde von einer inhaltlichen Kommentierung abgesehen, die allenfalls im Rahmen einer Würdigung von Overbecks Spätwerk zu leisten wäre. Die kleine Auswahl möchte einige Facetten Overbecks veranschaulichen: Erstens, am Rande, die neutestamentlich-kirchenhistorischen Fachinteressen, soweit sie eine zeitkritische oder aber eine grundsätzliche Dimension erkennen lassen, etwa im Bereich der Askese, der frühchristlichen „Lebensansicht". Zweitens die Gedanken zur Kritik der modernen Theologie und der Kultur mit all ihren Implikationen. Da wird Overbeck uferlos und mitunter ermüdend. Drittens Overbecks Beurteilung von Strömungen, Systemen und Personen der Geistesgeschichte, sofem seine

1 Vgl. zum Charakter und zur Editionsgeschichte des „Kirchenlexicons" die Einleitung der Herausgeberin, Barbara von Reibnitz in OWN 4, VIU-XXIV. 2 In OWN 6/2 ist ein vollständiges Verzeichnis aller „Kirchenlexicon"-Lemmata zu finden. Im folgenden vermerkt jeweils eine Fussnote, falls ein Artikel, auf den Overbeck verweist, in OWN 4 - 5 gedruckt vorliegt.

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Inedita

Overbeckiana

Stellung zu ihnen ihn selber oder auch Freund Nietzsche zu charakterisieren hilft. Aufzeichnungen über Baur oder Schopenhauer gehören hierher. Viertens die geschichtstheoretischen und -philosophischen Überlegungen, die Overbeck anstellte, mit oder ohne Nietzsches Inspiration. Endlich fünftens die allgemeinen Reflexionen über die grossen Dinge dieser Welt, die Overbeck als „Wache" an der „Schwelle metaphysischer Möglichkeiten" 3 in philosophischem Kontext bedeutsam werden liess. Overbeck ist es selten an der systematischen Entfaltung einer Problematik gelegen, sondern er fokussiert unter den verschiedenen Ziffern eines Lemmas ihre unterschiedlichen Aspekte. Leitmotive aber kehren wieder. Weil Maximenartiges sich mit Exzerpten und kritischen Stellungnahmen abwechselt, sind viele der Aufzeichnungen unabhängig von ihrem gegenstandserschliessenden Gehalt attraktiv. Overbecks Notate bieten mehr als der durchschnittliche Wissenschaftler-Zettelkasten, der nach einigen Jahrzehnten nur noch wissenschaftshistorischen Wert hat: Overbecks JExtremismus' innerhalb seiner Disziplin trägt zu einer Verschärfung des Blicks bei, der ihn die kirchenhistorischen, aber auch andere Quellen gänzlich unfromm sehen lässt. Diese manchmal erfrischende Pietätlosigkeit bedeutet nicht, dass Overbeck völlig frei von den Urteilen und den Vorurteilen seiner Zeit wäre; die auch gebotenen Einsichten in den damaligen „Wissenschaftsdiskurs" sind es jedoch weniger, was die Aufmerksamkeit heute fesselt. Eher ist es der Reiz des Fragmentarischen, dem sich die anhaltende oder erst noch zu entdeckende Faszination dieser Texte verdankt. Sie sind ein geringer Ausschnitt aus der Fülle eines auf Wissenschaftlichkeit so gut wie auf .gesunden Menschenverstand' bedachten inneren Monologs. Overbeck ist ein Monologiker, mit dem man heute vielleicht nicht ungern den Dialog sucht. In der Offenheit und Unabschliessbarkeit entpuppt sich Overbeck als Person und als Gelehrter, der allen letzten Festschreibungen und allen Bekenntnissen einer schönen Wissenschaftlerseele abhold ist, sich dadurch aber auch auf eine Weise „verzettelt", die es ihm am Ende seines Lebens verunmöglicht, seinen Forschungen noch Buch- oder Aufsatzform zu verleihen. Overbeck bleibt sozusagen bei den Vorreden zu Leben und Werk (vgl. unten „Vorrede"). Das Fragmentarische wird hingegen selten dogmatisch - und auch der Fragmentarist wird es kaum. Bei der Transkription von Overbecks übrigens gut lesbarer, lateinischer Kurrentschrift werden Schreibweise4 und Interpunktion beibehalten, Abkürzungen, soweit nicht allgemein gebräuchlich, stillschweigend aufgelöst, während manchmal interessanter, aber gestrichener Text (entsprechend namhaft gemacht) in den Fussnoten angeführt wird. Die Auflösung der Abkürzungen fördert die Lesbarkeit der Texte, wiewohl es ihnen auch etwas von ihrer Fragmentarität raubt.5 Unterstreichungen erscheinen als Kursive. Die Originalpaginierung (S. 2ff.) wird in /Virgeln/ angegeben. Die Fussnote nach der Überschrift benennt den jeweiligen Standort; nach den Begriffen in den Überschriften sind die Texte alphabetisiert, wobei zwischen Begriffsverknüpfungen mit Klammern, mit Artikeln oder mit Kopula kein Unterschied gemacht wird. Die Datierung ist jeweils eine Schätzung nach Schrift und Papierart. Literaturangaben werden wo nötig präzisiert.

3 Herausgebervorrede zu Christentum und Kultur, S. XXXVIII. 4 Für η und m mit Verdoppelungsstrich werden jeweils nn und mm gesetzt; ß verwendet Overbeck nicht. 5 In OWN 4 - 5 erscheinen die „Kirchenlexicon"-Artikel in philologisch präziser, diplomatischer Umschrift. Dort kann man sich ein Bild von Overbecks Abbreviaturtechnik machen.

Inedita

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Overbeckiana

Diakritische Zeichen Γ1: TWortl: : [Wort]: < >:

Text nicht entzifferbar unsichere Lesart vom Hrsg. ergänzt vom Hrsg. gestrichen (im Haupttext und in der Bibliographie sind damit alle von mir herrührenden Ergänzungen und Weglassungen gekennzeichnet) Textlücke

a) Nachlass Franz Overbeck: „Kirchenlexicon" Askese (christliche)

Vermischtes6

1. Schopenhauer (Aus Schopenhauers handschriftlichem Nachlass. Herausgegeben von J.Frauenstädt. Leipzig 1864 S. 431. 7 ) erkennt die Nachahmung Christi nicht als eigentliches, klares, deutliches und unmittelbares Motiv für die christliche Askese an, da Christus gar keine eigentliche Askese geübt (wenn er auch freiwillige Armuth empfohlen Matth. 10,9). Solches Motiv fehle also der christlichen Askese. Dann aber kann man nur sagen, dass es eine eigenthümlich christliche Askese nicht giebt, deren einzig characteristisches Motiv allerdings die Nachfolge Christi ist. Für Schopenhauer giebt es ja aber auch in der That keine besondere christliche Askese (siehe Welt als Wille und Vorstellung I, 460 8 ) und er erklärt sich auch consequent für den Doketismus (ebenda, S. 479), welcher der Aufstellung der Nachahmung Christi als Motiv den Boden entzieht. Wenn sodann Schopenhauer 121 an jener Stelle im Nachlass fortfährt, „blosse Nachahmung eines anderen, wer er auch sei, sei kein unmittelbares, an sich selbst ausreichendes, den Sinn und Zweck der Sache erklärendes Motiv", so läuft dies auf eine Preisgebung des Christenthums als Religion hinaus, welche ja aber bei Schopenhauer auch eingestandener Maassen vorliegt. Als „Metaphysik des Volks" kann das Christenthum jenes seines asketischen Motivs gar nicht entbehren. 2. Verkannt hat Schopenhauer die wahre Bedeutung der christlichen Askese auch nach Gwinner Arthur Schopenhauers Leben. Leipzig 1878 S. 431 9 , der es jedoch selbst nicht characteristisch genug angiebt. 3. Zum modernen theologischen Geschwätz vom Asketischen des Christenthums vgl. unter „Harnack

Aufklärung

( A s k e s e ) " S. l f . „Christenthum (asketischer

und Geschichte.

Character)

Allgemeines."10

(S. l O f f ) .

Allgemeines11

1. „Die Aufklärung hatte (in Bekämpfung des Mittelalters.) zu viel Eigenes durchzusetzen, als dass sie sich liebevoll der Vergangenheit hätte einschmiegen und dem langsamen Keimen der historischen Processe ein beschauendes hätte leihen können." (J. Goldstein Die empiri6 In: NLO, A 217. Ziffer 1 geschrieben um 1870-1875, Ziffer 2 um 1878-1885, Ziffer 3 um 1900-1905. 7 Julius Frauenstädt (Hrsg.), Aus Arthur Schopenhauer's handschriftlichem Nachlass. Abhandlungen, Anmerkungen, Aphorismen und Fragmente, Leipzig 1864. 8 Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und als Vorstellung, Leipzig 3 1859 (diese Auflage?). 9 Wilhelm von Gwinner, Arthur Schopenhauers Leben, Leipzig 1878. 10 Gedruckt in OWN 4,163-169. 11 In: NLO, A 217. Geschrieben 1903/1905.

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Inedita Overbeckiana

stische Geschichtsauffassung David Humes Leipzig 1903 S. 4 7 l 2 ) . Was freilich nimmermehr dahin zu verstehen ist, als sei die Aufklärung unfähig gewesen die Geschichtsschreibung zu fördern. Ungeachtet ihres beschränkten Verständnisses für Geschichte ist die Aufklärung selbst vielmehr ein Blüthezeitalter der Geschichtsschreibung gewesen (siehe Goldstein selbst S. 46.)

Baur

(Stil)13

1. Musterhafte Klarheit und Einfachheit 2. Treffender oft sarkastischer Witz, selten aber um so wirksamer hervorbrechend. Beispiele: die Verspottung der Begeisterung Neander's für Schelling theologische Jahrbücher IV, 226 1 4 , oder seiner Betrachtung Schleiermacher's in der Hauptsache als des Erfinders des Ausdrucks „christliches Bewusstsein." (S. 223f). - Sarkasmus über Neander's kleinlichen Parteigeist S . 2 8 0 , über seine Auffassung des Rationalismus S. 283.

Christenthum Salz der

Erde15

1. Wie oft ist dieses Bild, in Anknüpfung an die Bergpredigt (Matth. 5 , 1 3 ) , zum Preise des Christenthums verwendet worden, - natürlich ohne dass man sich um den doch so problematischen, ja völlig undurchsichtigen ursprünglichen Sinn, den es einmal in Jesu Munde gehabt haben mag,* viel gekümmert hätte, - insbesondere in der Absicht, darauf die von Priestern und Apologeten des Christenthums gewünschte Vorstellung von seiner Ewigkeit, Absolutheit, historischen Unzerstörbarkeit, Unvergänglichkeit und dgl. zu gründen! Während doch in der That gerade in

* l\l Zur desparaten Fraglichkeit dieses Sinns, kaum sie einzusehen, schlage man nur die Commentare zu Matth. 5, 13 und Parallelen und Erörtertungen wie Jülicher Die Gleichnissreden Jesu II, 67ff. 17 und Andere nach. 12 Julius Goldstein, Die empiristische Geschichtsauffassung David Humes mit Berücksichtigung moderner methodologischer und erkenntnistheoretischer Probleme. Eine philosophische Studie, Leipzig 1903. 13 In: NLO, A 218. Geschrieben 1860/1870. 14 Ferdinand Christian Baur, Kritische Beiträge zur Kirchengeschichte der ersten Jahrhunderte, mit besonderer Rücksicht auf die Werke von Neander und Gieseler, in: Theologische Jahrbücher, hrsg. von Eduard Zeller, Bd. 4 (1845), S. 207-314. Es heisst dort gegen Neander: „Ein bildlicher Ausdruck, wie wildwachsende Religion, soll ein so bewunderungswürdiger Beweis der Schelling vor allen Sterblichen verliehenen Gabe sein, für den Ausdruck der Idee ihr rechtes Wort zu finden, und dass die Philosophie in einer Beziehung positiv, in einer andern negativ genannt wird ([...]), etwas so Epochemachendes? Sind diess die Früchte der Wirksamkeit Schellings im Dienste der gemeinsamen heiligen Sache, die Zeichen des neuen christlichen Weltalters, dessen Morgenröthe uns aus der Ferne schon entgegenleuchtet, welches Recht hat Hr. Dr. Neander, allen denen, die um solcher Verdienste willen keinen Beruf in sich fühlen, in gleich schmeichelhafter Weise dem Philosophen den Tribut ihrer Huldigung darzubringen, das schmähende Wort zuzurufen, sie seien ausgehungerte oder übersatte Philister, Thoren, die sich mit dem Scheine einer eitlen vomehmthuenden Wissenschaftlichkeit umgeben, oder sich dadurch blenden lassen? Wo sind denn hier die Worte des Lebens, durch welche Ausgehungerte gesättigt, Übersatte zu neuem Hunger und Durst erweckt werden sollen?" (S. 226f.) 15 In: NLO, A 219. Geschrieben 1900/1903.

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diesem Sinne das Bild so gefährlich ist. Man sollte es wenigstens nicht brauchen, ohne sich deutlich darüber zu entscheiden, wovon man redet, vom Sichselbsterhalten des Christenthums oder dem Erhalten der Kirche, der Menschen, gewisser Lehren, meinetwegen der Welt. Wenn von Letzterem, dann sollte man nur 121 auf das Erste verzichten. Erhält das Christenthum die Welt als Salz, dann löst es sich in ihr eben auch auf, wie das eben alles Salz in dem was es erhält thut. Das Bild mag in der That ganz brauchbar sein um eine Vorstellung von der historischen Wirksamkeit des Christenthums zu geben, aber doch nur dann wenn zugleich auch die Abnutzbarkeit, Löslichkeit, Flüchtigkeit des Christenthums aufgefasst wird. Es mag „erhalten", aber nur indem es selbst dahinschwindet - wovon in der That können denn auch alle Theologenapologien des Christenthums schliesslich besser überzeugen, auch die neueste, Harnack's „Wesen des Christenthums" 16 , wo ein wesenloses „dumpfes" Destillat des Christenthums sein Wesen heisst. - Vgl. übrigens „Christenthum (Haltbarkeit)" und die übrigen Stellen dieser Collectaneen, die ich unter „Christenthum Erhaltung" zusammengestellt.

Christenthum (Weltflucht)*

Allgemeines^

1. Wie sich unsere Theologen mit der Weltflucht des Urchristenthums abzufinden wissen siehe ζ. B. bei Uhlhorn Der Kampf des Christenthums mit dem Heidenthum. Stuttgart 1874. S. 261f. 19 Vgl. unter „Christenthum und Heidenthum. Kampf bis Constantin." S. l f . 2. Nach P. W. Schmidt in seiner Beurtheilung meiner „Christlichkeit" Protestantische Kirchenzeitung 1874. Sp. 175f. 20 soll meine Auffassung des Christenthums als einer „weltverneinenden" Religion auf einer „argen Begriffs Verwechselung" beruhn. Und zwar zunächst soweit ich selbst diesen Erzconfusionarismus recht verstehe vgl. unter „Christenthum (Welteroberung) Gegenwart"21 S. 2f. und „Schmidt (P. W.) Charakteristik" S. I f f . - weil ich „einmal unter der „Welt" den sündlichen argen „Kosmos" 121 verstehe, von dem „man sich rein erhalten soll", das andere Mal die menschliche Gemeinschaft im Grossen und Ganzen." Allein was soll denn darin für eine Begriffsverwechslung liegen, wenn man sich mit dem Christenthum auseinandersetzend zunächst den Begriff „Welt" gelten lässt, den das Christenthum von der Sache hat und den Gemeinbegriff von ihr, den man selbst theilt, daneben stellt. Ich sehe nicht ein, wie ich es hätte anders machen sollen, Schmidts Anweisung zu einem besseren Verfahren jedenfalls kann ich nicht acceptiren.

* IV Vgl. „Christenthum (asketischer Character)."2^-S.

Iff.

16 Adolf Hamack, Das Wesen des Christentums. Sechzehn Vorträge, Leipzig 1/21900 (Overbecks Handexemplar mit zahlreichen Randbemerkungen und Anstreichungen ist in NLO als A 381 a erhalten). 17 Adolf Jülicher, Die Gleichnissreden Jesu, Bd. 2, Freiburg i. B. 1899. 18 In: NLO, A 219. Geschrieben 1874/1900. 19 Gerhard Uhlhorn, Der Kampf des Christenthums mit dem Heidenthum. Bilder aus der Vergangenheit als Spiegelbilder für die Gegenwart, Stuttgart 1874. 20 [Paul Wilhelm Schmidt und Heinrich Julius Holtzmann], Theologie contra Christenthum [Rez. von Franz Overbeck, Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie, Leipzig 1873], in: Protestantische Kirchenzeitung für das evangelische Deutschland, Jg. 21 (1874), Nr. 8, Sp. 171-179. Gegen Overbecks Weltverneinungsthese hält Schmidt: „Nein, das Christenthum ist welterobemd, weltumbildend, seiner ersten und wahrsten Tendenz nach" (Sp. 177). 21 Gedruckt in OWN 4,266-269.

126

Inedita

Overbeckiana

Den gerade dieses beruht auf einer Contaminirung der beiden gegeneinander geschlossenen Begriffe miteinander, die sie durcheinander wirft und die nun Schmidt seinerseits nur fertig bringt, indem er dem Christenthum, zu dem Begriff „Welt", den es allein kennt, noch einen 2ten andichtet, bei welchem dem Christenthum die Welt nicht nur Object sie meidender Fernhaltung /3/ von ihr, sondern ausserdem einer „Eroberung" oder gar „Umbildung" ist, von der allein Schmidt etwas weiss*, sein soll. Schmidt nur ist es, der hierbei (meinetwegen mit der „modernen Theologie" der Gegenwart im Bunde) von Plänen, die das Christenthum ursprünglich gar nicht gehabt hat, und die übrigens, wenn es sie gehabt haben sollte, für uns Menschen der Gegenwart durch ihren totalen Misserfolg sich vollkommen erledigt haben . Vgl. noch unter „Christenthum (Welteroberung) Gegenwart."22 S. Iff. „ Welt und Christenthum"23 S. Iff.

Ethik (moderne)

Allgemeines26

1. Was ist die moderne Ethik? Auf diese Frage wird man natürlich sehr mannigfaltigen und verschiedenen Bescheid erhalten, ja nach dem Ort, wo man ihn holt. Sehr bestimmten z.B. von den „modernen Theologen" unserer Gegenwart, bei welchen vermeintlichen Baumeistern der „modernen Ethik" - unzweifelhaften „Sachverständigen" für unseren Zweck - , die Leistung der modernen Ethik in nichts anderem bestehen wird, als in „Hereinsetzen des Christenthums in die Kultur", (siehe z.B. W. Köhler Ein Wort zu Denifles Luther. Tübingen und Leipzig 1904. S.37 2 7 ) das heisst wenn überhaupt die Voraussetzung bestehen soll, dass man sich unter den hingesetzten Worten etwas was „Leistung" heissen kann, vorstellt, nichts Anderes 121 als „ein Hineinzwingen des Christenthums in die Cultur." Vgl. unter „Theologie (moderne) Aufgabe" S. 2f. Woraus ich indessen schliesse, dass man sich zur Begründung irgendwelcher Ethik, sei es nun dabei auf „moderne" oder sonst wie historisch zu praedicirende abgesehen, am Besten überhaupt nicht an unsere Theologen wenden wird. Denn diese, also die christlichen Theologen haben sich, soweit sie überhaupt Ansprüche als Ethiker erhoben, es nie anders zu machen verstanden, als dass sie entweder das Urtheil des Christenthums über die Welt sich aufzwingen Hessen oder dem Christenthum das ihre aufzwangen. Sie verstehen eben nichts von Freiheit des Urtheils, bei ihnen muss immer gezwungen sein. Sie sind zu activem oder 73/ passivem Dienst als Diener der Gewalt geboren.

Geschichte (Gegenwart) Ansehen28 1. Stellt etwas die scheinbare Grenzenlosigkeit des Ansehens, das die Geschichte in unserer Gegenwart geniesst, in Frage, so sind es unsere Religionsstreitigkeiten und die Schwierigkeit auf *

/3/ „Allein" bedarf hier eines füchtigen Satzzusatzes, nämlich „im Verein mit der ganzen modernen Theologie". Vgl. unter „Christenthum (Schwärmerei)."2^ S. lf. „Theologie (moderne) Enthusiasmus."

22 23 24 25 26 27

siehe Anm. 21. Gedruckt in OWN 5 , 6 3 7 f. Gedruckt in OWN 4 , 1 6 3 - 1 6 9 . Gedruckt in OWN 4 , 2 5 0 f . In: NLO, A 222. Geschrieben 1904/1905. Walther Köhler, Ein Wort zu Denifle's Luther, Tübingen/Leipzig 1904 (Overbecks Handexemplar mit Randbemerkungen ist in NLO als A 390 erhalten).

28 In: NLO, A 224. Geschrieben 1890/1905.

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welche in diesen „dank" der uns als „moderne" noch fortwirkende Theologie, die Anerkennung des Endes der Religion mit ihrer Überflüssigkeit unter uns stösst. Vgl. unter „Religion (Überflüssigkeit)"29, S. 10. Dass wir mit Religion nichts mehr anzufangen wissen ist ausser Theologen unter uns jedermann klar und zwar nicht nur an der Gegenwart, sondern auch aus der Vergangenheit, das heisst aus der Geschichte. Sehen wir das nicht ein, so hat die Geschichte unter uns nur auf das ihr vorgegebene Ansehen zu verzichten. Das Weniger Werden der Religion unter uns Menschen im Laufe der Zeit lehrt uns die Geschichte, welche überhaupt unsere Lehrmeisterin über das was unter uns im Laufe der Zeit geschieht ist, oder als Lehrmeisterin überhaupt nichts werth ist. Vgl. III noch unter „Theologie (moderne) Geschichtswissenschaft Allgemeines " 3 0 S. 23.

Geschichte und Zukunft31 1. Anerkannt ist der Beruf der Geschichte sich mit der Vergangenheit zu thun zu machen, zweifelhafter schon für die Gegenwart, anerkannt sollte es dagegen sein, wenn Verstand in der Welt gelten soll, dass die Geschichte in der Zukunft nichts zu suchen hat. Die „reinen Historiker" als welche unsere modernen Theologen zu sein sich einbilden, jedenfalls ihr Meister Harnack (im Vorwort zu seinem „Wesen des Christenthums" S. V 3 2 ), sind indessen auf besten Wegen auch die Zukunft für die Geschichte zu erobern, wenigstens für sich und 33 orakeln zuversichtlich über das was in Hinsicht auf das Christenthum „in der Geschichte noch kommen wird." (S. Harnack a.a.O.S.62)

Geschichtsphilosophie

(Allgemeines)34

1. Ritsehl, der wie man wenigstens von Harnack erfahren hat - vgl. unter „Geschichte Allgemeines"35 S. 2f. - „auf Philosophie zu Gunsten der Geschichte verzichtete" - bekannte sich (mit dem Erlanger Hofmann) zur „Philosophie der Geschichte" (siehe O. Ritsehl Albrecht Ritschl's Leben II, 32 8 36 ). An jenem Verzicht kann man ermessen, wie viel an diesem Bekenntniss ist. Es muss in der That mit der Philosophie der Geschichte bedenklich stehen, wenn sich so intime Gegner der Philosophie wie Ritsehl und Hofmann für sie bekannt haben. Vgl. unter „Ritsehl Metaphysik und Theologie Absage"37 S. 6 „Ritsehl und die Philosophie." S. l f . An Hofmanns theologische Schätzung der Geschichtsphilosophie hat Ritsehl nur auszusetzen „wie er Gott selbst in die Geschichte hineinzieht." (siehe O. Ritsehl a. a. O). 2. In einem Land, das[s] mit so starkem 38 Drang daran ist, wie gegenwärtig Deutschland, 121 Geschichte zu machen, kann Geschichtsphilosophie nur die grösste Verwirrung anrichten, wie 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Gedruckt in OWN 5,323-327. Gedruckt in OWN 5,529-542. In: NLO, A 224. Geschrieben 1900/1905. Siehe Anm. 16. Gestrichen: „wissen". In: NLO, A 224. Geschrieben 1900/1905. Gedruckt in OWN 4,372-374. Otto Ritsehl, Albrecht Ritschis Leben, Bd. 2: 1864-1889, Freiburg i. B. / Leipzig 1896. Gedruckt in OWN 5,386-389. Gestrichen: „und leben".

128

Inedita

Overbeckiana

andererseits auch eben dieses Land in solchem Moment den geringsten Beruf hat die Geschichtsphilosophie zu bereichern und seinerseits indem es die macht, sie mit grösster Verwirrung bedroht.* 3. Geschichtsphilosophie ist nach J. Volkelt Vorträge zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart. München 189239 S. 86 „philosophische Betrachtung der geistigen Entwickelung der Menschheit". 4. Nach J. Goldstein Die empiristische Geschichtsauffassung David Humes Leipzig 1903. S.48 hätte Voltaire den Begriff der „Philosophie der Geschichte" zuerst in die Litteratur eingeführt (mit dem Titel, den er seiner ursprünglich /3/ selbständigen entstandenen Einleitung zum Essai sur les moeurs u.s.w. gab). - So wäre denn eine Disciplin, welche gegenwärtig ein besonders verhätscheltes Schooskind der verschimmeltsten Theologie geworden ist, ein Erzeugniss der Aufklärung, ja ihres verrufensten Propheten. - Was übrigens Voltaire unter „Philosophie der Geschichte" verstand siehe bei Goldstein S. 48. 5. Ist in der Neuzeit (das heisst seit der Aufklärung) die Grundfrage der Philosophie überhaupt, welches die Grenzen der Menschen übersehbaren Welt sind - vgl. unter „Philosophie (Allgemeines)" S. lf., - so wird auch eine Grundfrage der modernen Geschichtsphilosophie sein innerhalb welcher Grenzen die Welt der Geschichte Menschen zugänglich ist, in wie weit über die Schranken der ihrer Wahrheit unmittelbar zugänglichen Gegenwart hinaus nach rückwärts (in Vergangenheit) und vorwärts (in Zukunft) [hinaus]. Vgl. unter /4/ „Philosophie und Geschichte. Vermischtes " S. 1. 6. Geschichtsphilosophie ist überhaupt eine recht bedenkliche Wissenschaft und von der modernen Theologie aber ist für sie Heil am allerwenigsten zu erhoffen, so eifrig das Ding in diesen Kreisen gegenwärtig getrieben werden mag. Denn was für seltsam duftende Blüthen sind es, die gerade 40 hier unter der Zucht der bestrenommirten Gärtner heutzutage gedeihen? Vgl. unter „Theologie (moderne) Geschichtsphilosophie" S. 1.

Geschichtsschreibung

(Möglichkeit)41

1. Die Geschichtsschreibung verzichtet darauf in die Zukunft zu dringen, aber sonst pflegt sie die Zeit allerdings als ihr offenstehend vorauszusetzen, Vergangenheit und Gegenwart. In Wahrheit aber fragt es sich, ob sie [nicht], selbst wenn sie sich auf die Vergangenheit als den ihr zugänglich Bereich der Zeit beschränkt, sich nicht überschätzt. Denn dass ihr die Gegenwart verschlossen ist schon oft behauptet worden und möchte ich wenigstens nicht bezweifeln. Aber selbst innerhalb der Vergangenheit besteht Anlass zu unterscheiden in Hinsicht auf ihre Zugänglichkeit für Geschichte. Ist aber nur ein Theil der Vergangenheit als die eigentliche Provinz der

*

III Ein so unwürdiger Spectakel wie der Burenspektakel in Deutschland um die Jahrhundertwende nimmt deutschen geschichtsphilosophischen Velleitäten nur vollends alle Aussichten darauf, angehört zu werden. Ein deutscher Geschichtsphilosoph ist in der Gegenwart ein besonders unwahrscheinliches Wesen. Nur der Zufall der Individuation kann ihn erzeugen.

39 Johannes Volkelt, Vorträge zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart. Gehalten zu Frankfurt a. M. im Februar und März 1891, München 1892. 40 Gestrichen: „in den bestrenommirten Gärten". 41 In: NLO, A 224. Geschrieben 1890/1905.

Inedita

129

Overbeckiana

Geschichtsschreibung anerkannt, so möchte ich die Geschichtsschreibung gegen die Kritik der Philosophie allerdings für ernstlich gesichert halten. Vgl. unter „Geschichte und Gegenwart. Darstellung."*1

und Vergangenheit,"43

„Geschichte

Geschichtswissenschaft

„Philosophie

und Geschichte,"44

S. 1.

(Allgemeines)45

1. Geschichte ist als Wissenschaft die Wissenschaft von der Zeit der Dinge, was diese sind soweit sie sich in der Zeit und nur in ihr verändern. Natur lässt sie erkennen soweit ihre Veränderung im Räume vor sich geht. Alles natürlich nach Menschenerkenntniss gesagt.

Gott

bekannt46

1. Vgl. unter „Kunde" S. 1. In der That kann es sich bei jeder Behauptung, wenigstens jedem religiösen Bekenntniss menschlicher Kunde von Gott nur darum handeln ob er uns kennt, nicht ob wir ihn kennen. Denn dass Letzteres nicht der Fall ist, wissen wir.

Gott

(Vernünftiges)41

1. „Es ist höchst wahrscheinlich ein Mittelpunkt und Complex des Göttlichen, wohl gar ein Anordnendes, Schaffendes, dem wir aber vielleicht näher kommen, wenn wir sagen: es ist kein Gott, als wenn wir nach unsern Begriffen aussprechen: es ist ein Gott." (Grillparzer Sämmtliche Werke VIII, 354f. 48 ). 2. „Wenn die Menschen von Gott reden, so kommen sie mir vor, wie Lichtenberg's Kahlenberger Bauern, die, wenn ein Messer fehlt, dafür ein Stück Holz in die Scheide stecken, damit diese nicht leer sei."* (Ebendaselbst S. 356)

Gottesbegriff

(Allgemeines)49

1. Wie gleichgültig für die Religion der theologische Gottesbegriff ist, kann man z.B. an Origenes und Celsus sehen. Ihre Übereinstimmung ist gerade hier besonders gross (in der Transcendenz des Gottesbegriffs) siehe z.B. Origenes contra Celsum VI, 61. - Vgl. übrigens auch „Gottesbegriff

(christlicher)."

S. 1.

* Gilt besonders für die Theologen, oder von ihnen zumal. 42 43 44 45 46 47 48 49

Gedruckt in OWN 4,374-376. Gedruckt in OWN 4,387-389. Gedruckt in OWN 5,247f. In: NLO, A 224. Geschrieben 1895/1905. In: NLO, A 224. Geschrieben 1890/1905. In: NLO, A 224. Geschrieben 1885/1900. Franz Grillparzer, Sämmtliche Werke, Bd. 8, Stuttgart 1872. In: NLO, A 224. Geschrieben 1885/1905.

130 Gottesbegriff

Inedita

Overbeckiana

(christlicher)50

1. Es giebt keinen christlichen Gottesbegriff. Der Gottesbegriff der christlichen Alexandriner zB. ist kein anderer als der der jüdischen. 2. Die Moralität einer Religion hängt keinesweg unbedingt an ihrer Gottes Vorstellung. Augustin zB. lässt den Christengott in seiner Weltregierung auch vom Motiv der Eifersucht gegen das Ansehen der Daemonen geleitet sein (vgl. zB. de civitate dei V, 25), also von einem Motiv, welches nach Augustins eben vorausgegangener Schilderung des christlichen Ideals eines Herrschers (c. 24) ganz unstatthaft wäre. Überhaupt lässt er Gott eine himmlische Politik treiben, deren Motive keineswegs den Maasstab, den er selbst in dem eben angeführten Capitel an die Hand giebt, aushielten. -

Kant (Moralprincip)

51

1. Der christliche Glaube und die menschliche Freiheit 1. Th. Gotha 1880 S. 44 52 : „In der That liegt der Stellung, welche Kant der Ethik gegeben hat, ein Gedanke von unvergänglicher und noch lange nicht genügend gewürdigter Wahrheit zugrunde, auf den allerdings zurückgegangen werden sollte. Wenn Alles andere unsicher schwankt, das Moralische näher das Sittliche steht fest wie auf Felsengrund. Nur - allerdings ein verhängnissvolles Nur - darin irrte Kant, dass er den Anker dieser Unerschütterlichkeit in den Boden der Wissenschaft und ihrer Art von Gewissheit einsenken zu können dachte. Dieses Unternehmen ist misslungen und musste misslingen." Solchen Unsinn über die Kant'sche Ethik wird indessen heutzutage kaum noch ein wissenschaftlich denkender Mensch so leichtfertig bringen. Der Grundgedanke der Kant'sehen Ethik war falsch, er wurde es nicht erst durch seine „Verankerung". Über seine Falschheit vgl. zB. Julius Baumann Haeckels Welträthsel. Leipzig 1900 S. 52f. 53

Katholicismus

(Nachtridentinischer)

Allgemeines54

1. Der nachtridentische Katholicismus ist der durch den Protestantismus um seine ursprüngliche, gleichsam naturwüchsige Freiheit gebrachte Katholicismus. Was ich darüber schon in meiner Basler Antrittsvorlesung Über Entstehung und Recht einer rein historische Betrachtung der neutestamentlichen Schriften. Basel 1870 S. 33f. ausgesprochen habe, finde ich nun vortreffliche ausgeführt in einem Artikel von O. Gildemeister über „Jesuitenmoral" (Essays. 3. Aufl. Berlin 1898 I, 106. 108 f 55 )*. In der That der Protestantismus hat den Katholicismus aus „einem *

III Vgl. unter „Jesuiten. Neuerer in der KircheS.

Iff.

50 In: NLO, A 224. Geschrieben 1885/1905. 51 In: NLO, A 228. Zitat bis „musste misslingen.'" geschrieben 1880/1890 (?), die darauf folgende Bewertung nach 1900. 52 Der christliche Glaube und die menschliche Freiheit. Theil 1: Präliminarien. Mit einem offenen Brief an Herrn R. von Bennigsen, Gotha 1880. 53 Julius Baumann, Häckels Welträthsel nach ihren starken und ihren schwachen Seiten, mit einem Anhang über Häckels theologische Kritiker, Leipzig 1900. 54 In: NLO, A 228. Geschrieben 1898/1905. 55 Otto Gildemeister, Essays, hrsg. von Freunden, Bd. 1, Berlin 3 1898.

131

Inedita Overbeckiana

sorglosen in einen misstrauischen Despotismus" verwandelt (siehe Gildemeister S. 109), und hiermit insbesondere ihn zu Tode verwundet, übrigens ihn 121 nur mit einer Waffe geschlagen deren Schärfe er selbst zu empfinden einmal unfehlbar in die Lage kommen muss, ja die er gegenwärtig schon empfindet. Vgl. unter „Jesuiten (Gegner) Protestantische." S. l f . Das Christenthum ist zu alt und in diesem durchschlagenden und heillosen historische Gebrechen verschwindet auch schon jetzt der Gegensatz der Confessionen. Das[s] Christenthum ist jetzt in beiden in dieselbe Periode seiner Geschichte getreten, beide stellen aus sich die unwiederbringlich verlorene Jugend des Christenthums in gleicher Weise dar. Vgl. unter „Christenthum (Alter) absolut."56 S . 5 f . - Vgl. überhaupt zur Characteristik der allgemeinen Zustände ßl des nachtridentinischen Katholicismus auch noch unter „Katholicismus (Römischer) Gegenwart." S. I f f „Katholicismus (moderner) Allgemeines."51 S. 1.

Katholicismus.

Römischer*

(Allgemeines)59

1.Martensen christliche Dogmatik 1856, S. 30 6 0 : „Der Katholicismus hat sich zu einem grossen System von Christenthums-Garantieen entwickelt; aber das Christenthum die Sache selbst, die durch diese garantirt werden sollte ist in den Schatten gestellt." - Der so spricht ist ein protestantischer Theologe und meint es kritisch, das heisst als Vorwurf gegen den Katholicismus, was eben nur albern ist, und den an sich ganz richtigen Satz zur gleichgültigen Trivialität macht. Etwas Ernstes ist damit nur anzufangen, wenn man sich dessen bewusst bleibt, dass damit (mit dem Satz) nur ein bestehender Zustand ganz richtig beschrieben oder wiedergegeben ist, aber ein ganz nothwendiger Zustand, der für 12/ confessionell-polemische Zwecke eben darum ganz unbrauchbar ist. Was ist denn überdiess der confessionelle Protestantismus selbst im letzten Grunde Anderes als was Martensen dem Katholicismus vorrückt. Auch er stellt das Christenthum nur um so energischer zurück, je eifriger er sich [zu] bemüht zu „garantiren." Dem Christenthum ist nun einmal durch keine Theologie zu helfen, sie bezeichne sich confessionell wie sie mag. Was auf dem Platze bleibt ist jedes mal das Christenthum. 2. In wiefern der Katholicismus in der modernen Welt (unter den einzelnen modernen Völkern, in denen er, übrigens mehr scheinbar als wirklich, herrscht) den heillosen Schaden einer Fremdherrschaft hat vgl. unter „Christenthum und Alterthum. Allgemeines" S. 2. Der Katholicismus passt in die moderne Welt nicht mehr schon weil er antik ist. An diese[r] historisch begründeten inneren Widerspruch des heutigen Katholicismus muss er sich brechen.

* l\l Über den modernen römischen Katholicismus überhaupt vgl. noch unter „Katholicismus (Römischer) Gegenwart." „Katholicismus (moderner) Litteratur." „Katholicismus (moderner) Allgemeines."61 S. 1. 56 57 58 59

Gedruckt in OWN 4, 146-153. Gedruckt in OWN 5,70f. Gedruckt in OWN 5,6-8. In: NLO, A 228. Bis zum Ende des Zitats „in den Schatten gestellt." geschrieben 1860-1870, das Folgende und die Anmerkung 1895-1900. An der Beanstandung des offenbar zuerst in zustimmendem Sinne notierten Satz wird die allmähliche Radikalisierung von Overbecks Position manifest: Auf Konfessionalismus will er sich nicht mehr einlassen. 60 Hans Lassen Martensen, Die christliche Dogmatik. Vom Verfasser selbst veranstaltete deutsche Ausgabe, Berlin 1856. 61 Gedruckt in OWN 5,70f.

132 Kirche

Inedita

Overbeckiana

(Allgemeines)*62

1. Ebenso gewiss es zu Christi Zeit noch keine christliche Kirche gab - denn diese begann erst als sich für die christliche Religionsübung feste und originelle Formen bildeten, - ebenso gewiss spricht sich in dem Gleichniss vom Sauerteig das Bewusstsein des Christenthums aus, dass eben dieses es zu einer Kirche einst bringen müsse. 2. Nach Porphyrius (siehe G. Wolff Porphyrii de philosophia ex oraculis haurienda librorum reliquiae. Berolini 1856 p. 170 63 ) sind die Götter über das Schicksal erhaben und frei. Aber fauch! über den Sternen. Sobald sie die obere Welt verlassen und in die unterhalb des gestirnten Himmels gelegene sich niederlassen 6 4 gerathen sie unter den Zwang der Nothwendigkeit des in den Sternen geschriebenen Verhängnisses. Und mit ihnen unterliegt diesem Verhängniss Alles was sie auf Erden besitzen, Bilder, Tempel und Orakel. - Das ist auch bei der Kirche auf Erden nicht zu vergessen. In der Kirche ist das Christenthum ein irdisches 121 Ding wie ein Anderes und keinem der Loose welche überhaupt irdischen Dingen beschieden sind hat sich die Kirche entziehen können. 3. Über den Unterschied von Kirche und christliche Kirche von Christenthum vgl. unter „Kirche und Christenthum (Unterschied)"!65

Kirche

(Vermischtes)66

1. Wer in einer schon lange bestehenden Kirche steht und diese für sich fromm sein lässt, hört schliesslich im Grunde auf es selbst zu sein und verliert selbst das Verständniss für die ursprünglichen natürlichen Gefühle der Frömmigkeit. So kann es kommen, dass selbst ein Kirchenvater (Eusebius Caesarensis Demonstratio evangelica X, 8, 12) es gar nicht mehr fassen kann wie Worte, wie Psalm 22, 10.11. von einem Menschen gesprochen sein sollen. Sie können nur von Christus sein. 2. „In jeder Religion ist der religiöse Mensch Ausnahme." (Nietzsche Die fröhliche Wissenschaft. Chemnitz 1882 S. 157f).

Krieg und

Christenthum67

1. Das Beste was sich für den Krieg sagen lässt, ist dass man während des Friedens vergisst, dass der Krieg ein Unglück ist.

* /!/ Vgl. unter „Kirche Begriff." 62 In: NLO, A 228. Ziffer 1 geschrieben um 1860/1875, Ziffer 2 um 1875/1890, Ziffer 3 und Verweis in der Anmerkung nach 1895. 63 Porphyrii de philosophia ex oraculis haurienda librorum reliquiae, edidit Gustavus Wolff, Berolini 1856. Nietzsche hatte dieses Werk am 9. April 1871 übrigens auch aus der Basler Universitätsbibliothek entliehen: Luca Crescenzi, Verzeichnis der von Nietzsche aus der Universitätsbibliothek in Basel entliehenen Bücher (1869-1879), in: Nietzsche-Studien, Bd. 23 (1994), S. 3 8 8 ^ 4 2 , S. 406, Nr. 195. 64 Gestrichen: „unterliegen". 65 Gedruckt in OWN 5 , 8 3 . 66 In: NLO, A 228. Geschrieben 1882/1895. 67 In: NLO, A 228. Geschrieben 1870/1880.

Inedita Overbeckiana

133

2. Auf der kirchlichen Octoberversammlung zu Berlin 1871 erlaubt sich ein Pfarrverweser Johann aus Wiedenbrück vom Standpunkte des Christen aus, ein Paar bedauernde Worte fallen zu lassen, über den eben ausgefochtenen Krieg. Kriege würden nicht mehr möglich sein, sobald die Völker wahrhaft christlich wären. „Die steigende Unruhe der Versammlung, welche zuletzt stürmisch den Schluss verlangt, nöthigt den Redner abzubrechen." (Die Verhandlungen der kirchlichen Octoberversammlung in Berlin vom 10. bis 12. Oct. 1871. Herausgegeben vom Secretariate Berlin 1872. S. 4). Der folgende Redner, Prof. Schlottmann aus Halle wirft bevor er in sein Thema tritt, gegen den Vorredner hin, „so lange es noch Sünde in der Welt gebe, würden auch Kriege geführt werden, dass aber auch Gott fortfahren würde, sich in den Kriegen als der Herr Zebaoth zu offenbaren." Vgl. meine Christlichkeit der heutigen Theologie S. 32f 121 3. Ein starker Glaube vermag sich auch das ihm Entgegengesetzteste zu assimilieren, das Christenthum zB. den Krieg (heiliger Krieg, Kreuzzüge, Religionskriege). Allein den Glauben verdrängt verständige Überlegung und reine Empfindung. Das einander Widersprechende tritt wieder auseinander, und so weit das dem religiöse Glauben entgegengesetzte sich noch hält, droht der Glaube zur leeren machtlosen Phrase zu werden. Auf diesem Standpunkt sind wir mit unserem Christenthum und manchen Elementen unserer Cultur namentlich auch dem Krieg. Krieg und Christenthum laufen gleich gültig nebeneinander. 4. Nichts fälscht das Christenthum gründlicher als seine Hereinziehung in seiner unmittelbar religiösen Form in staatliche Aufgaben und Zwecke. Haben die alten Christen bisweilen dem Staat selbst ihre Dienste angeboten (vgl. zB. Justinus Martyr Apologie I, 12), so ist es doch immer unter dem Vorbehalt einer der christlichen Denkweise entsprechenden Auffassung der Zwecke des Staats geschehen. Wohl will das Christenthum unter allen /3/ Unterthanen eines Staats Frieden schaffen, es fällt ihm nicht ein sich anzubieten um tüchtige Kriegsleute daraus zu machen. 4. Nach Keim Geschichte Jesu von Nazara I, 459 6 8 hätte Jesus in sich die Anlage zu allen möglichen Berufsarten gehabt, doch er sei „jedenfalls kein Kriegsmann" gewesen. 5. Als eine Schändlichkeit verwirft es Eberlin, dass man durch Stiftung von Ritterorden das Menschentödten hat heiligen wollen. Die Obrigkeit mag wider den Heiden, der das Land angreift, fechten, aber nicht als Christin sondern als Heidin mit Gebrauch des weltlichen Schwertes (siehe Riggenbach Eberlin von Günzburg. Tübingen 1874. S. 136 69 , der darauf aufmerksam macht, dass Eberlin vom „christlichen Staat" nichts wissen will, und die Reformatoren überhaupt Scheidung des weltlichen und des christlichen Rechtes festhalten). -141 6. Besonders characteristisch die kirchliche Verherrlichung des Geistes der Kreuzzüge zu lernen aus Bernhard's von Clairvaux Lobschrift auf das geistlichen Ritterthum an die Templer (siehe die Mittheilungen bei Neander Der heilige Bernhard, 2. Aufl. Hamburg und Gotha 1848 S.43ff. 7 0 ) 7. Johannes von Salisbury Policraticus VII, 21 hält doch die Tempelherren für unfähig die Sacramente zu verwalten, da ihr Beruf Vergiessung von Menschenblut ist. Doch giebt er zu, dass sie paene soli inter homines legitima gerunt bella. (siehe Neander a. a. O. S. 43). - Das ur68 Theodor Keim, Geschichte Jesu von Nazara in ihrer Verkettung mit dem Gesammtieben seines Volkes frei untersucht und ausführlich erzählt, Bd. 1: Der Rüsttag, Zürich 1867. 69 Bernhard Riggenbach, Johann Eberlin von Günzburg und sein Reformprogramm. Ein Beitrag zur Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts, Tübingen 1874. 70 August Neander, Der heilige Bernhard [1813], Hamburg/Gotha 2 1848.

134

Inedita

Overbeckiana

sprüngliche Christenthum verwirft den Krieg, jetzt ist der Religionskrieg der einzig legitime geworden. 8. Divina, ut credimus (heisst es in der Tempelherrnregel c. 51), Providentia a vobis in sanctis locis sumpsit e x o r d i u m h o c genus novum religionis,

ut vindelicet religioni

militiam

admisceretis,

et sie religio per militiam armata procedat, hostem sine culpa feriat. (Holsten-Brockie Codex regularumll, 438 71 )

Kritik und

Nationalismus12

1. Nationalismus ein mindestens mit jeder höheren, das heisst sich selbst verstehenden und consequenten Kritik wegen seiner absonderlichen Gewalt besonders unverträgliches Vorurtheil. V g l . unter „Nationalismus

Lesen

und Kritik"

S. 1.

(modernes)73

1. Es ist unmöglich geworden, dass wir in einem wissenschaftlichen Buche von einigem Umfange und einiger Tragweite schlechterdings Alles verstehen. Das kann der Leser gar nicht mehr erwarten und muss darum auch einmal darauf zu verzichten verstehen, das heisst über etwas ihm unverständlich Bleibendes wegzulesen, in der Vermuthung, dass was er einmal nicht versteht, andern zu besserer Verständigung dienen kann. Eben darum aber muss auch der Schreiber darauf verzichten nach einem unmöglichen Ideal von Verständlichkeit zu trachten. Er muss gerade im Trachten nach höchstmöglichem Verständniss auch einmal den Muth zur Unverständlichkeit haben und sich so dazu entschliessen zur Verständigung seiner Leser gelegentlich auch etwas hinzuschreiben, wofür er ein Verständniss nur bei wenigen seiner Leser[n] zu finden hoffen kann, was aber diese betrifft sich zunächst auf das Bewusstsein zurückziehen, das er selbst davon hat, von der Fähigkeit des von ihm Eingeschalteten, seine Meinung erheblich zu illustriren. Ich denke 121 zB. an ein Urtheil über ein Buch, das nur der und Tderl seiner Leser kennt, von dessen Erwähnung und Beurtheilung aber ein damit Bekannter unzweifelhaften Vortheil zieht. Das scheue der Schreiber denn nicht einzufügen. Es liegt auf der Hand, welchen Kornes Salzes es bedarf um die hieraus sich ergebenden Regeln nur [zu] anzuwenden, wie sehr sich Leser und Schriftsteller dabei entgegenzukommen haben, der Schriftsteller von seinem „Muth" nur rücksichtsvollen und verständigen Gebrauch zu machen, der Leser von seinem Verzicht auf Verständniss. Beide könnten sehr zu ihrem Nachtheil hier Verschwendung üben, der Schriftsteller diffus, der Leser confus werden. Gewiss ist indessen dass ohne Überlegungen der Art moderne Leetüre nicht ohne Verdriesslichkeit abgeht. Die Bildung nivellirt wohl zwischen Leser und Schriftsteller, aber die Massen, die sie in Bewegung setzt, entfremden sie auch wieder einander und verschliessen sie gegenseitig. Was ist es denn auch am Ende was daran so zu befremden hätte, dass Lesen und Schreiben immer schwerer wird? /3/ Das findet in der Welt überhaupt statt und sollte für Leser und Schriftsteller zB. auch nur ein Sporn mehr sein sich gegenseitig das Leben oder das Auskommen miteinander leichter zu machen und so auch sich darüber zu verständigen, 71 Lucae Holstenii Codex Regularum monasticarum et canonicarum, a P. R. P. Mariano Brockie illustratus, Tomus secundus, Augustae Vindelicorum 1759, S. 438. 72 In: NLO, A 228. Geschrieben 1895/1905. 73 In: NLO, A 229. Geschrieben 1895/1905.

135

Inedita Overbeckiana

wie es mit dem Verstanden werden gehalten werden soll. Darin zu wenig zu thun ist ebenso bedenklich als zu viel. Leser und Schriftsteller können dabei zu gleichgültig und zu bedacht sein. Philosophie

(Allgemeines)74

1. Vgl. „Philosoph (Allgemeines)" 2. Philosophie ist die Wissenschaft, mit welcher der Mensch es unternimmt sich in der Welt zu orientiren. Sofern der Mensch dieses im strengen Sinne erst seit dem Zeitalter der Aufklärung unternommen hat, giebt es in diesem Sinne auch nicht früher Philosophie. Denn bis dahin glaubte der Mensch über die Welt schon orientirt zu sein (durch die Religion), und hielt sich zugleich auch gar nicht für befähigt diese Orientirung selbst zu unternehmen. An dieser epochemachenden Bedeutung der Aufklärung in der Geschichte der Philososphie ist wohl nicht zu rütteln. Doch ist es vielleicht eine blosse Übertreibung dieser Erkenntniss wenn überhaupt der Philosophie jene schon zu Stande gekommene Existenz abgesprochen und sie überhaupt für ein Gebilde nur der Zukunft gilt (wie bei Denkern wie Nietzsche und Ree). Vgl. unter „Philosoph (Allgemeines)" S. 1 f. 121 3. Ist aber Philosophie die Wissenschaft, welche den Menschen in der Welt orientirt, so wird Erkenntnisstheorie nothwendiger Weise zu einer ihrer Grundfragen. Denn zu aller Orientirung in einem Räume gehört vor allen Dingen Übersicht über seine Grenzen. U m dieser Grundbedeutung dieser Frage in der bisherigen Entwickelung der Philosophie willen, ist sie es denn auch über welche die Philosophie sich bis jetzt mit sich selbst überworfen hat. Eine neue Ansicht über die Grenzen der Welt für Menschen Philosophie der

Kirchenväter75

1. Sie ist Worfweisheit, das heisst geht von den Worten und den damit verbundenen Vorstellungen nicht von den Dingen aus. So kann es geschehen, dass Tertullian meinen kann mit Hülfe der reinen Wortbedeutung (proprietas vocabulorum) aus dem Begriff Todtenauferstehung die Nothwendigkeit der Auferstehung des Fleisches deduciren zu können (adversus Marcionem V,9). Philosophie

(Systeme)76

1. Ed. Zeller Über Systeme und Systembildung (Deutsche Rundschau Bd. 101 (1899/1900)* S . 7 8 f f 7 7 ) - jedenfalls keine Überwindung des im Anfang des Aufsatzes beklagten Skepticismus, das die Gegenwart der philosophischen Systembildung entgegenzubringen pflegt. Denn die * „Jede philosophische Lehre (heisst es schliesslich S. 91) pflege erst dann, wenn sie sich zum System ausgebreitet und erst in der Form, welche sie dadurch erlangt hat, den stärksten Einfluss auf die Mitwelt und die Nachwelt auszuüben". 74 75 76 77

In: NLO, A 234. Geschrieben In: NLO, A 234. Geschrieben In: NLO, A 234. Geschrieben Eduard Zeller, Systeme und S.78-91.

1903/1905. 1870/80. 1900/1905. Systembildung, in: Deutsche Rundschau, Jg. 26 (1899/1900), Bd. 101,

136

Inedita Overbeckiana

Weisheit des Aufsatzes läuft drauf hinaus, dass die Philosophie mit ihren Systembildungen auf ein unmögliches Ziel gerichtet ist, aber freilich in ihren Systemen in die Geschichte hat übergehen und zu historischer Bedeutung gelangen können. Gegen 121 die Apologie der Systembildung, welche das Streben darnach in der Philosophie unter den Schutz des Ehrgeizes der Philosophen stellt und im Übrigen es auf die Resignation in die Schranken alles Menschenbeginnens verweist, werden skeptische Beurtheiler wenig einzuwenden haben. Im vorliegenden Falle höchstens die geringe Vergnüglichkeit, welche die Ertheilung der ihnen zugedachten Belehrung für sie gehabt hat, beklagen. Den puren gesunden Menschenverstand bittet man sich gern in unterhaltender Form aus. Übrigens stören auch mancherlei empfindliche Widersprüche den Genuss und Nutzen der Zellerschen Arbeit. Die Anfangsklagen stimmen wenig zum Schluss, dass der Einfluss von Philosophieen an ihrer systematischen Form hängt. Denn nach jenen Klagen zeigen Schopenhauer und vollends Nietzsche /3/ dass es in Hinsicht auf besagten Einfluss auch ohne Systeme geht und ihr Fall sollte viel mehr die Überlegung veranlassen, ob nicht vielmehr die lebendigen Wirkungen von Philosophieen in der Geschichte in Wirklichkeit mehr an ihren praktischen „Consequenzen" und den durch sie verbreiteten „Stimmungen" gehangen hat als an der Form ihrer Systeme, ob nicht mindestens bei der Wirksamkeit dieser Form nicht stets viel Schein untergelaufen ist und jedenfalls wenig was von ernstem Werth und Bedeutung wäre. Am Einfluss von Philosophieen hat wohl stets der Wille der sie hervorgebracht mehr Antheil gehabt als ihre immanente Logik, und gerade Zeller lässt nicht absehen wie das überhaupt anders werden soll.

Poesie

und Religion

(Verwandtschaft)78

1. „Man kann die Poesie und Kunst die natürliche Sprache, die natürliche Form nennen, in der die Religion ihr innerstes Wesen zu veranschaulichen, ihre tiefsten Geheimnisse zu verlautbaren liebt. Sie sieht sich auf dieselben, als auf das angemessenste Organ zu ihrer Offenbarung, ihrer Feier und Verherrlichung hingewiesen" (Fr. von Uechtritz Studien eines Laien über den Ursprung, die Beschaffenheit und Bedeutung des Evangeliums nach Johannes. Gotha 1876. S. 80f 7 9 , der damit die Geschichtserzählung des 4. Evangeliums vertheidigt. - Es sind die höchst subjectiven Erklärungen eines religiösen Dichters, als welchen man von Uechtritz bezeichnen kann, über die Sache). - Vgl. dagegen die Erklärungen eines wirklichen und grossen Dichters, Goethe's unter „Poesie und Religion. Unterschied" S. 1. Allgemein 121 Gültiges ergiebt sich aus den Ausführungen von Uechtritzens nur soweit sie die Verwandtschaft des Verhältnisses der Poesie und der Religion zur Geschichte berühren. Für beide ist die Geschichte ein passiver Stoff, beide sind gegen die „realistische Richtigkeit" des äusserlich Geschehenen gleichgültig, aber beider Absicht ist dabei eine total verschiedene. Nur die Religion oder die religiöse Kunst, will aus der Geschichte etwas beweisen, nur ihr ist es um „die religfiös-1 ideelle Bedeutung des als Geschehen Berichteten und einer aus dieser Einsicht hervorwirkenden Gestaltung desselben" {Uechtritz S. 81) zuthun. - Vergebens ist Uechtritz darauf aus der religiösen Poesie dieselbe Freiheit zu vindiciren wie der reinen Poesie: Die Grundverkehrtheit bei uns ist aber die völlige

78 In: NLO, A 234. Geschrieben 1890/1905 (Overbeck hat die Studien von Uechtritzens 1890 erworben). 79 Fr. von Uechtritz, Studien eines Laien über den Ursprung, die Beschaffenheit und Bedeutung des Evangeliums nach Johannes, Gotha 1876 (Overbecks Handexemplar mit Randbemerkungen ist in NLO als A 406 erhalten).

Inedita

137

Overbeckiana

Gleichstellung der Begriffe der „religiösen Inspiration" /3/ und der dichterischen Begeisterung (S. 67)*. Von Verwandtschaft ist dabei freilich zu reden, aber nicht ohne [nicht] die Feststellung des Unterschieds. Dass das Verhältniss der Religion zur Geschichte ein ganz anderes ist als das der Poesie zeigt sich natürlich auch bei Uechtritz. Dem nur unter der Voraussetzung, dass das johanneische Evangelium „auf historischem Hintergrunde ruht" ist seine Auffassung als „Dichtung" für Uechtritz erträglich (S. 82). Allein hier zeigt sich eben nur eine Abhängigkeit des religiösen Kunstwerks von Geschichte wie es für das rein poetische gar nicht stattfindet. Vgl. unter „Johannesevangelium

Praedestination

(Historischer

Character)."

S. 2 0 f .

80

( Vermischtes)

1. Die Lehrer der Praedestination denken im Grunde über die Motive des menschlichen Handelns wie la Rochefoucauld. Sie glauben nicht an ihre Reinheit, und nicht daran, das sie die Prüfung eines göttlichen Richters bestehen können. Sie müssen zugeben, dass Gott selbst darüber wie la Rochefoucauld denkt. Bleibt dann nichts anderes übrig als das göttliche Gefallen am Menschen rein von Gottes Willkür abhängen zu lassen.

Protestantismus

und Katholicismus.

1. V g l . unter „Katholicismus - „ Wissenschaft

Vergleich

81

und Protestantismus"

und Kirche"*

3

S. 1. „ Wissenschaft

- „Protestantismus (Saecularisation)

(Vermischtes)"82 Vermischtes."84

S. 4 f f . S. 1 ff

2. Bei der Bedeutung, welche die moderne Theologie überhaupt der Geschichte in ihrer ganzen Denkweise (als Vertreterin des Christenthums) zuerkennt ist die Sache des Protestantismus in dessen Streit mit dem Katholicismus von vornherein verloren. Denn geschichtlich betrachtet ist der Protestantismus im Verhältniss zum Katholicismus unläugbar das subalterne Wesen, das von Anfang an nur von Katholicismus' Gnaden gelebt hat, des Katholicismus um nur ins Leben zu treten bedurft hat und den Untergang des Katholicismus zu überleben gar nicht denken kann. Ist dieser zerstört so hat sich auch der Protestantismus im Streit nur III selbst aufgerieben, was wir Menschen der Gegenwart an der unter uns ihr vermeintlich selbständiges Dasein beginnenden sogenannten „modernen Theologie" zu erleben „begnadet" sind. Denn elender hat wohl in der Geschichte noch kein Dasein, das[s] überhaupt in deren Annalen aufgeführt zu werden Anspruch erhebt, begonnen als diese moderne Theologie der Gegenwart und zwar in ihrer eigentlichen Wurzel, welche allerdings nirgends wo anders zu suchen ist als im deutschen Protestantis-

*

/3/ Mit dieser falschen Gleichstellung, die ihm gar nicht zuzugestehen ist, operirt Uechtritz beständig. S. auch S. 90 f 92.

80 In: NLO, A 234. Geschrieben 1870/1880. Vgl. dagegen Nietzsches Interpretation der Prädestinationslehre in MA II-WS 85: „Welche grausame und unersättliche Eitelkeit muss in der Seele Dessen geflackert haben, der so Etwas sich zuerst oder zuzweit ausdachte!" (KSA, 591) 81 In: NLO, A 234, Geschrieben 1900/05. 82 Gedruckt in OWN 5,259 f. 83 Gedruckt in OWN 5,659 f. 84 Gedruckt in OWN 5 , 6 6 0 f .

138

Inedita Overbeckiana

mus. Denn was sonst heutzutage als moderne Theologie zu leben meint, verhält sich zur modernen protestantischen deutschen Theologie nur ebenso secundär, wie der Protestantismus selbst zur katholischen Kirche. Bis auf Weiteres existirt unter uns Deutschen der Katholicismus ebenso gut wie der Protestantismus, und dass dieser jenen überleben wird ist jedenfalls erst /3/ zu beweisen, und zwar ab ovo zu beweisen, in welchem Ovum noch jedem Zweifler der Streitruf gestattet ist: Credat Iudaeus Apella! 85 Vgl. unter „Christenthum und Kirche. Zusammengehörigkeit."*6 S. Iff. 2. Stellt man überhaupt wie Harnack in seinem „Wesen des Christenthums" Leipzig 1900 den Beweis des Christenthums auf Geschichte (vgl. das „rein historisch" schon seines Vorworts), so heisst das nichts Anderes als die Sache des Protestantismus von vornherein verloren geben. Denn geschichtlich ist doch der Vorsprung des Katholicismus zu handgreiflich. Confessionellen Trotz freilich - das kann auch jedermann, der offene Augen hat wissen - noch keine Handgreiflichkeit der Art, seine Sache aufrechtzuerhalten gehindert. Es möchte aber doch die Zeit nicht gar zu entfernt sein, in welcher der Streit darum, wer mehr recht hat, der /4/ Katholik, der behauptet sein mittelalterliches Christenthum sei kein Anderes als das der ersten christlichen Urkunden, oder der Protestant, sein modernes Christenthum habe den besseren Anspruch auf diese Identität, den Kindern unter uns Menschen überlassen werden wird, die noch von keiner anderen Zeit wissen als von der Ewigkeit, welche sie vor sich für ihre Spiele offen sehen. 3. Worin historisch betrachtet, vor allem die Schwäche des Protestantismus im Vergleich zum Katholicismus beruht vgl. unter „Mission (christliche) Protestantismus"87 S. 4-10. Das Verhältniss des Katholicismus zur Welt (sein Gegensatz mit ihr) ist viel einfacher und durchsichtiger als das des Protestantismus. 4. In einem Zeitalter, das auf Volksthümlichkeit alles Bestehenden so entscheidendes Gewicht wie das unsere (das modern democratische) , muss vollends die Lage des Protestantismus in Vergleich 151 zu der des Katholicismus sich verschlimmern, an „Aussichten" verlieren. Vgl. überhaupt unter „Katholicismus (moderner) Allgemeines!"88 S. 2f.

Protestantismus

(Zukunft)89

1. Er hat keine, denn er ist zu seinem Ende gelangt. Er lebt nur noch von der Vergangenheit, was ihm noch von Anzeichen fortbestehender Lebenskraft zufliesst hat im Grossen wenigstens keine Bedeutung mehr. Seine Aufgabe die alte Kirche zu verdrängen ist ihm bei keinem europäischen Volke, unter denen er Fuss gefasst, gelungen, nicht einmal bei uns Deutschen, unter denen er entstanden. Und dass er noch irgendwo weiter käme, dazu besteht zur Zeit keine Aussicht mehr, vollends keine seitdem seine Erhaltung in die Hände eines so elenden und selbst hohlen Wesens gerathen ist, wie es die moderne Theologie der Gegenwart ist. Diese haben insbesondere wir Deutsche zu unserer Verfügung sowohl als Katholiken wie als Protestanten, III und eben darum werden wir auch confessionell gespalten bleiben 90 so lange wir uns überhaupt noch Christen 85 86 87 88 89 90

Horaz, Satiren I 5, 100. Gedruckt in OWN 4,217f. Gedruckt in OWN 5, 144-148. Gedruckt in OWN 5,70f. In: NLO, A 234. Geschrieben 1900/05. Gestrichen: „bis".

Inedita

139

Overbeckiana

nennen. Denn nur mit der alten Bedeutung des Christenthums für alles Volksthum kann auch aus unserem deutschen Reich seine confessionelle Spaltung verschwinden. Eben [ist] dieses Reich ist schon jetzt ein in jeder Hinsicht in sich einheitlich geschlossenes politisches Gemeinwesen, nur nicht in confessioneller Hinsicht. Die beiden grossen Confessionen haben wir Deutsche in die gegenwärtige Form unseres politischen Daseins als Ruinen unserer mittelalterlichen christlichen Vorzeit mit herübergenommen. Kann wirklich noch ein Mensch glauben dass wir unter uns noch die Kräfte besitzen sie in einer höheren Cultur verschwinden zu lassen, so lange /3/ wir dazu keine andere Aussicht haben als die im modernen Christenthum und seiner Theologie gebotene. Denn wie zur Zeit die Dinge stehen, blüht der alte confessionelle Streit unter uns nicht nur fort, sondern er hat noch neue Blüthen angesetzt, die den alten Streit nicht nur nicht beilegen, sondern ihn nur durch weitere Complicirung Hoffnung auf Verewigung eröffnen. Um den Vorrang ihres Christenthums streiten sich unter uns unsere Theologen heute wie vor Zeiten, und nicht nur das sondern diese Streitsüchtige Gesellschaft hat den Streit auch noch in jede der sich feindlich gegenüberstehenden Confessionen hineingetragen, und sowohl unter protestantischen wie unter katholischen Theologen streitet man sich heute um die Qualität des beiderseits bekannten Christenthums. Nun könnte man zwar

Religion und Pessimismus

91

1. In der Kritik der Religion ist der Gegensatz von Pessimismus und Optimismus der Lebensanschauung indifferent. Die Religionskritik des Optimisten P. J. Proudhon ist nicht minder radikal als die des Pessimisten Schopenhauer, wiederum auch Nietzsche's Bruch mit dem Schopenhauer'schen Pessimismus ihn für die Religion, wenigstens das Christenthum, nicht milder stimmt.

Religion und Philosophie

Allgemeines92

1. „Jedes Religionssystem ist entweder an ihm selbst zugleich Philosophie, oder es muss die Philosophie an dasselbe herantreten, um ihm Halt und Stütze zu gewähren. So Etwas wie ein abstract religiöses Wesen hat es im grossen Ganzen nie und nirgendwo gegeben. Die Religion der alten Ägypter war der in Bildern auseinandergelegte Kosmotheismus; Zoroasters Lichtreligion ist an ihr selbst der Dualismus als Metaphysik; der Buddhismus antecipirte den ganzen Schopenhauer'schen Nihilismus. War das Christenthum auch nicht ursprünglich Philosophie, so wäre es doch nimmermehr Weltreligion geworden ohne den Neo-Platonismus der Alexandriner, und die ganze Scholastik der späteren Zeit ist lediglich missverstandener Aristotelismus. So suchte auch die Restauration des Christenthums, gewöhnliche Reformation genannt, nach einem philosophischen Fundament und in Wahrheit erzeugte jetzt die christliche Welt III die ersten e i g e n t ü m lichen Gedankensysteme, nachdem sie 1600 Jahre lang bei den Alten geborgt und auf Borg gelebt hatte." (K. Grün Culturgeschichte des 17. Jahrhunders. Leipzig 1880. S. 3 0 f 9 3 )

91 In: NLO, A 235. Geschrieben 1880/1900. 9 2 In: NLO, A 235. Ziffern 1 - 3 geschrieben 1880/1900, Ziffer 4 - 5 1900. Einige kurze Zitate aus Ziffer 4 und 5 dieses Lemmas bei Pfeiffer, Franz Overbecks Kritik des Christentums, S. 159. 93 Karl Grün, Kulturgeschichte des siebzehnten Jahrhunderts, 2 Bde., Leipzig 1880. Eine Verifikation des Zitats (Bd. 1 oder 2?) war nicht möglich.

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Inedita

Overbeckiana

2. Über die Definition der Religion als Philosophie des Volks vgl. unter „Religion Popularität.'"* S. l f . 3. Zur Abschätzung des Werthes der Religion und der Philosophie als sicherer Führerinnen durchs Leben vgl. unter „Philosophie und Religion als Lebensführerinnen." 4. Johannes Volkelt Vorträge zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart. München 1892 ist S. 123ff ein Vortrag auch dem Verhältniss der Philosophie zur Religion gewidmet. Ich verkenne die Echtheit der philosophischen Haltung dieses Vortrages nicht und erkenne sie inbesondere in der Art wie hier die Forderung einer Umgestaltung des herrschenden Christenthums zur Ver/3/nunftreligion aufrechterhalten und überhaupt Respect für „die Autonomie des Denkens" verlangt wird. In diesem Sinne sind auch die antiwissenschaftlichen Bestrebungen der sich besonders „modern" dünkenden Theologie der Gegenwart in der Hauptsache treffend gewürdigt und bestritten S. 150ff 155ff.* Dennoch scheinen mir seine Auseinandersetzungen die Philosophie zu compromittiren und die schlichten Grenzen jedes billigen Vertrages zwischen Philosophie und Religion, Philosophen und Priestern nicht einzuhalten, den Schopenhauer mit so ausgezeichneter Klarheit und Energie im 17. Kapitel der /4/ Nachträge zum 1. Bde seines Hauptwerkes gezogen hat und welche ihm dieses Kapitel mit den stolzen Worten zu schliessen gestattet: „Übrigens ist die Philosophie wesentlich Weltweisheit: ihr Problem ist die Welt: mit dieser allein hat sie es zu thun und lässt die Götter in Ruhe, erwartet aber dafür auch von ihnen in Ruhe gelassen zu werden." (Welt als Wille und Vorstellung II, 209 der Ausgabe Leipzig 1873). So ist es: der Philosoph sei nur darauf bedacht für die Philosophie zu sorgen und überlasse die Religion des Volks den Priestern, die sie angeht**. Statt dessen vermag es auch Volkelt mit so manchem anderen Popularphilosophen der Gegenwart, nicht zu unterlassen mit den Theologen zu concurriren und derselben Unbilligkeit zu verfallen, die als die auszeichnende Eigenschaft der Theologen ihnen überlassen 151 werden könnte. Er verbittet sich für die Philosophen seitens der Theologen die „Bindung" an irgend welche im Verhältniss zur Religion einzuhaltende „Marschroute" (S. 153), scheut sich aber nicht, indem er die Grundzüge der von ihm erwünschten zukünftigen Gestaltung der Vernunftreligion vorzuzeichnen unternimmt (S. 160ff), den Theologen bei Gefahr völligen Verzichtes auf einen Antheil an dieser Gestaltung solche „Marschroute" anzuweisen. Das mag auf den ersten Blick wie der Kratzfuss aussehen, den Popularphilosophen vor Populus und seinen Bedürfnissen bei ihrem Gange anzubringen lieben, ist aber in Wahrheit eine bare Ungerechtigkeit und dient weder dem Populus noch den Philosophen. 5. Diese Beschwerde gegen die angeführten Volkelt'schen Vorträge und der darin hervorgehobene Contrast mit Schopenhauerscher 16/ Denkweise habe ich im Augenblick, da ich sie aufzeichnete (gleich nach Mitte October 1900) nicht so ernst genommen wie ich sie jetzt (22. October) nehme. Denn damals war ich in der Leetüre des Volkelt'schen „Schopenhauer" 95 noch begriffen, und meinte aus den bis dahin daraus erhaltenen Eindrücken und auch unter dem Einfluss meines persönlichen Vorurtheils für Volkelt, mir meinen Dissensus mit den Vorträgen damit beschwichtigen zu können, dass Volkelt selbst im Schopenhauer über deren Standpunkt in * 131 Vgl. unter „Theologie (moderne) Characteristik. Skepticismus." S. Iff. „Metaphysik" „Theologische, moderne." S. 1 ff. „ Vernunftreligion (Allgemeines)" S. 1 ff. ** 14/ Vgl. auch unter „Philosophie und Leben"99 S. 4 ff.

(Kritik)

94 Gedruckt in OWN 5, 315f. 95 Johannes Volkelt, Arthur Schopenhauer. Seine Persönlichkeit, seine Lehre, sein Glaube, Stuttgart 1900.

Inedita

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der oben S. 2 zur Sprache gebrachten und mich bei der Leetüre der Vorträge speziell interessierenden Frage hinausgegangen sein möchte. (Vgl. auch unter „Volkelt (Joh.)" besonders S. 5ff). Indessen diese gute Meinung habe ich, nun ich das Buch über Schopenhauer vollständig und demnach auch die Schlusserörterung über Schopenhauer's Stellung zur Religion darin (S. 354-358) kenne, zum guten Theil aufgegeben. Ja jetzt sehe ich, dass Volkelt auch im Schopenhauer vielmehr bei seiner in den Vorträgen kundgegebenen Auffassung der Dinge im Wesentlichen vollständig III geblieben ist (das giebt er selbst sogar unmittelbar und direct zu erkennen durch die einfache Verweisung auf seine Vorträge Schopenhauer S. 390 Anm. 512) und insbesondere in jener mich speciell interessierenden Frage Schopenhauer jedenfalls inzwischen nicht näher getreten ist*. Vielmehr scheint mir was Volkelt Schopenhauer S. 354ff auseinandersetzt zu seinen Vorträgen recht wohl zu stimmen, aber von Schopenhauer nicht das geringste wirkliche Verständniss zu verrathen. Volkelt ist hier von vornherein und schon mit Stellung der Frage, die er hier „zum Schluss" aufs Tapet bringt, auf dem Holzwege. Sie lautet: „Welches ist die Bedeutung Schopenhauers für die religiöse Entwickelung?" (S. 353) Indessen eben diese Frage geht Schopenhauer nichts an, er dürfte sie einfach ablehnen, und Volkelt sollte sie daher, an dieser Stelle wenigstens, auch nichts angehen. Es rächt sich auch /8/ sofort empfindlich genug, dass sie sich Volkelt gestattet. Denn er verwickelt sich schon damit mit der nächsten Frage heillos, die ihn hier interessiert und welche diejenige auch ist, die zunächst allein auf sein Interesse an dieser Stelle Anspruch hätte. Bei Volkelt aber verdeckt schon die sofort folgende Einführung der Frage den wahren Sachverhalt, welche neu in unmittelbarem Anschluss an die oben angeführten Worte lautet: „Hierbei muss zuvor seine Stellung zur Religion mit ein paar Worten berührt werden." (S. 354) Höchst seltsam, sobald man aus dem gleich Folgenden erkannt hat, was Volkelt unter dieser „Stellung" Schopenhauer's versteht. Nämlich die „Doppelseitigkeit", welche die Religion bei ihm zeigt durch die ausserordentliche widerspruchsvolle Schätzung, welche sie bei Schopenhauer findet. Das ist ja nun in der That einer jener „inneren Widersprüche", deren Bedeutung für die Beurtheilung Schopenhauers nicht nur im Allgemeinen Volkelt bekannt genug ist (vgl. besonders S. 352) sondern, die er ja häufig genug in seinem 191 Buche hervorzuheben Gelegenheit hat, nämlich an jenen häufigen Stellen, in denen Volkelt nicht nur die bei Schopenhauer vorhandenen Widersprüche [nicht nur] als solche zu erkennen, sondern im Streit mit entgegengesetzter Auffassung selbst (als Beweise für den dem Leben entsprechenden Reichthum, also für die Wahrheit des Schopenhauerschen Weltbildes) anzuerkennen hat. Ist dem nun aber so, das heisst ist jener S. 354 in Betracht genommene Widerspruch in der That weiter nichts als einer jener bei ihm (Volkelt) schon so häufig in Betracht genommenen „inneren Widersprüche" bei Schopenhauer, dann muss es doch gewiss im höchsten Grade auffallen, diesen Widerspruch dies Mal in Volkelts Darstellung in der angegebenen Weise auftauchen zu sehen. Denn wie kommt dieser Widerspruch dieses Mal überhaupt dazu, erst auf einem Umwege eingeführt zu werden - wessen es doch nach jenen Praecedenzfällen gewiss nicht bedürfte - und /10/ selbst auf diesem Umweg dazu noch ein in Betracht gezogen werden „müssen" zur Entschuldigung sogar für eine nur flüchtige auf „ein paar Worte" sich beschränkende „Berührung" mit zu bekommen? Schon diese Seltsamkeit gestattet zu fragen, ob der von S. 354 ab in Betracht gezogene Widerspruch Schopenhauers an dieser Stelle 96 in der ihm im Volkeltschen Buche natürlichen Weise *

I I I Vgl. dazu auch noch unter „ Widerspruch (Allgemeines)"

96 Gestrichen: „nicht".

S. 1 ff

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auftritt, kraft so zu sagen eigenen Rechts, oder nicht. Und die Verneinung dieser Frage bietet sich hier von selbst. Es ist klar, dass besagter Widerspruch hier nicht, wie zu erwarten wäre, um seiner selbst willen in Betracht kommt, das heisst als ein Stück der kritischen Beschreibung des Schopenhauerschen Systems oder Weltbildes und seines Zusammenhanges, sondern nur im Gefolge einer ganz andersartigen Frage, die sich hier höchst anspruchsvoll vorgedrängt hat - d e n n sie beherrscht den Zusammenhang des ganzen Restes / I I / der Volkeltschen Schlusserörterung über Schopenhauer bis S. 358 und lässt die Frage nach Schopenhauers „Stellung zur Religion" in der That nur zu der beiläufigen Erörterung[en] kommen, die wir schon angekündigt fanden und auch wirklich bis zum ersten Absatz S. 356 oben (bis zu den Worten „Oberhand behalte") vorfinden. Diese andersartige, ihre eigene Selbständigkeit so stark behauptende Frage habe ich schon oben S. 7 angegeben und dort sie auch schon als eine solche bezeichnet, die Schopenhauer nichts angeht. Diese Bezeichung will ich hier zwar noch nicht begründet haben, doch was ich soweit ausgeführt habe, erscheint mir doch schon als der Anfang dieser Begründung. Soviel ist wenigstens festgestellt, dass eine Schopenhauer allerdings im höchsten Grade angehende Frage wie die seiner Stellung zur Religion hier mindestens überraschend in den Hintergrund gedrängt erscheint um einer anderen Willen, deren Interesse für das Verständniss Schopenhauers mindestens zunächst dahinsteht. So viel meine ich behaupten /12/ zu dürfen: Die Frage nach Schopenhauers „Stellung zur Religion" findet in Volkelts Werk von dessen eigenem Standpunkt aus, schon darum nicht die ihr gebührende Behandlung, weil sie in diesem Werk nicht kraft eigenen Rechts auftaucht, sondern gewissermassen in den Dienst einer anderen gestellt ist. Aber dabei bleibt es nicht: Auch die richtige Behandlung findet jene Frage bei Volkelt nicht, und es zeigt sich bei näherem Zusehen, dass Volkelt sich in der That bei dieser ganzen Frage in tiefer Verwirrung befindet und auch darum es in ihrer formellen Behandlung so vollkommen verfehlt hat, weil er auch materiell darin völlig irre geht. Worin steckt das Problem der Frage nach Volkelt? Im Allgemeinen ist schon hierauf geantwortet: In der „Doppelseitigkeit", ja „Zwiespältigkeit", wie Volkelt selbst S. 254 sagt, welche jene Stellung bei Schopenhauer zeigt. Aber worin liegt diese Zwiespältigkeit? Auch darauf findet sich bei Volkelt selbst eine vollkommen klare Antwort: darin dass die Religion bei Schopenhauer „zwei verschiedene, auch in ihrem Werthe auseinandergehende, ja wider einander prallende Seiten hat." (S. 354), und /13/ gewiss an Klarheit, ja an Entschiedenheit lässt diese Antwort nichts zu wünschen übrig. Mit besonderer Energie meint Volkelt diesmal bei Aufdeckung des „inneren Widerspruchs" in Schopenhauers Anschauungen vorgehen zu können - nur schade, dass die Antwort völlig falsch ist und Schopenhauer mit einem Widerspruch behaftet, der sich bei ihm gar nicht findet. Den Fehler, den er gleich in der Aufstellung des nun von ihm aufgenommenen Problems begeht, verdeckt sich Volkelt indem er in der folgenden Auseinandersetzung 9 7 in der That dabei die wohl auseinanderzuhaltenden Fragen nach der Vorstellung Schopenhauers von der Religion und seiner Schätzung derselben ineinanderjzu]wirrt. Er spricht wirklich weiter von den 2 widereinanderprallenden Seiten, welche die Religion bei Schopenhauer (das heisst in seiner Vorstellung) hat, während was er dabei meint nichts weiter ist als Schopenhauer's Schätzung der Religion, von der nun Volkelt meint, dass sie /14/ zugleich „sehr hoch" und „sehr niedrig" und insofern sich widersprechend ist, und freilich, schon der erste Satz mit dem Volkelt diese Meinung zu entwickeln sich anschickt, kann zeigen, dass es Volkelt gelingen mag sie zu

97 Gestrichen: „die 2 Fragen nach der Beschaffenheit der".

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begründen, aber aus dieser Begründung für Schopenhauers Verständniss gar nichts zu erreichen ist. „Einerseits (fängt Volkelt S. 354 an) stellt Schopenhauer die Religion sehr hoch: sie ist die einzig zweckmässige Volksmetaphysik." Gegen die hier gegebene Definition der Religion wird kein Kenner Schopenhauers etwas haben, aber wer wird seiner gedenkend, nicht staunen, dass diese Definition einseitig als Beleg für die „Höhe" der Schopenhauer'sehen Schätzung der Religion dienen soll, während sie doch ebenso gut ihren Tiefpunkt darstellt. So dass in der That schon dieser Satz, wenn es sich für Volkelt nur darum handelte, nachzuweisen, dass Schopenhauers /15/ Schätzung der Religion hoch und tief zugleich war, er diesen Nachweis getrost mit diesem Satz anfangen und schliessen konnte - von welcher Erkenntniss es freilich nur die Kehrseite ist, dass die Fortsetzung, welche statt dessen der Nachweis bei Volkelt thatsächlich findet, nur verwirrend sein kann. Die Schopenhauersche Definition der Religion als Metaphysik des Volkes fasst Volkelt, sie als Tnunl höchsten Punkt der Hochschätzung der Religion bei Schopenhauer hinstellend mit willkürlichster Einseitigkeit auf. Damit zumal aber beweist er nur in wie tiefer Spannung er sich in der ganzen Schlusserörterung seines Buches überhaupt mit Schopenhauers „Bedeutung für die religiöse Entwickelung" befindet. Auch zugestanden nämlich die Frage der Schätzung der Religion bei Schopenhauer stünde bei Volkelt am richtigen Platze, klar ist, worin die Grundverkehrtheit ihrer Behandlung bei ihm steckt. Nimmt man einmal aus /16/ der allgemeinen Frage nach „Schopenhauers Stellung zur Religion" die besondere seiner Schätzung der Religion für sich heraus, so kommt für ihre Beantwortung zumal auf vollkommene Klarheit des der Betrachtung über den Gegenstand zu Grunde zu legenden „Maassstabs", also nicht sowohl auf die allgemeine Frage ob Schopenhauer die Religion überhaupt hoch- oder niedrig schätzt, sondern woran er sie schätzt. Das kann doch, sollte man meinen, in einem Buche wie der Volkeltsche Schopenhauer, ernstlicherweise keine Frage sein: an der Philosophie. Nun kann man freilich meinen, Volkelt habe indem er sich an Schopenhauers „Bedeutung für die religiöse Entwickelung" mache, an der Stelle seines Buch, die ich hier prüfe, wirklich vergessen, dass er Schopenhauer als Philosophen behandle.* Nun ΙΠΙ ist es freilich kein Wunder, dass er eben diess nun auch bei seiner unmittelbar sich anschliessenden Behandlung der Schätzung der Religion bei Schopenhauer vergisst. Aber eben das braucht sich Schopenhauer nicht gefallen zu lassen, und ganz und gar nicht die Consequenzen, die sich für Volkelt daran knüpfen, wenn er bei Schopenhauer 2 verschiedene Seiten der Religion so heftig aufeinander prallen sieht. Denn beim echten Schopenhauer prallen in dieser That nicht diese „Seiten" sondern Religion und Philosophie aneinan/18/der, und erst damit befindet man sich im Bereich jener grossartigen inneren Widersprüche bei Schopenhauer, von denen er am wenigsten einen Hehl macht, weil er mit Recht als Philosoph ein Majestätsrecht darauf zu haben meint. *

/16/ Ob er es erst hier S. 353 vergisst gestattet schon der Titel des Volkelt'schen Buches zu fragen, /17/ auf welchem schon verheissen ist nicht nur Schopenhauers „Lehre" d. h. seine Philosophie zu behandeln, sondern auch seinen „Glauben". Ich lasse indessen diesen Punkt um vorwärts zu kommen hier fallen, in der Meinung, dass es dem Missgriff Volkelt's auf S. 353 auf keinen Fall hilft, dass er ihn schon selbst bei Zeiten ankündigt. Denn, so wie ich die Sache betrachte, ist nur eben schon Volkelts Titel eine Verkehrtheit, gegen die der Leser Tsol sich eben auch nur seinerseits „bei Zeiten" zu Wehre zu setzen hat. Und dieses ist nicht schwer. Auch wenn man sich gefallen lassen wollte Schopenhauers „Glauben" /18/ durch Volkelt darstellen zu lassen, wogegen man auf jeden Fall zu protestiren hat, ist diese Darstellung ausserhalb der [der] Lehre sich vorgelegt zu finden. Das ist ja auch der Kern des Missgriffs Volkelts auf S. 3 5 3 f f , die Äusserlichkeit, mit der hier zu guter Letzt sie Darstellung der „Stellung Schopenhauer's zur Religion" dem was vorausgeht noch angehängt wird. Es mag sein, dass Volkelts Titel sein Buch gut deckt, damit ist nicht gesagt, dass auch Alles was er deckt gut ist.

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Denn in der That, wer bei Schopenhauers Schätzung der Religion die Philosophie als deren Maassstab nicht übersieht, der wird 9 8 zwar vollkommen im Recht sein Schopenhauers Schätzung der Religion sogar zwischen äussersten Extremen schwankend zu finden, aber nimme[h]r in sich selbst unsicher und abirrend. /19/ Denn was Schopenhauer bei seinen Urtheilen über die Religion nie aus den Händen [nie] verliert ist sein Maassstab. Wie er auch über die Religion sich auslässt, hoch- oder geringschätzt, stets spricht er als Philosoph, und aus seiner Philosophie schöpft er sowohl was er der Religion zugesteht als was er ihr abspricht indem er sie als Volksmetaphysik ansieht, womit er doch nichts anderes sagen will, als dass dem Volk das, was ihm seine Philosophie leistet, die Religion leistet. Und diese nie wankende Klarheit seiner „Stellung zur Religion" ist es denn auch, welche ihm jene scharfe Demarcationslinie zwischen Philosophie und Religion zu ziehen gestattet, auf die ich schon oben S. 3f. hingewiesen habe und mit deren Ehrlichkeit und Klarheit er sich in der That unter allen Philosophen, die sich mit der Religion auseinandergesetzt und sich nicht rein negativ dazu gestellt /20/ haben, auszeichnet. Auch gebe nur jedermann auf, Schopenhauer's Religionsphilosophie zu verstehen, der gerade diese Demarcationslinie nicht vor Allem im Auge behält. Bei Volkelt freilich ist gerade sie es, über die er sich, von Schopenhauer redend, ungestraft hinwegsetzen zu können meint. Denn er übersieht sie keineswegs, aber er meint noch mit Schopenhauer einig zu gehen, wenn er sie bei Seite schiebt und Sätze wie den, dass „zwischen Religion und Wissenschaft Feindschaft das einzige natürliche und gesunde Verhältniss sei" und demnach „jeder beider Theile seinen Weg ohne von dem andern auch nur Notiz zu nehmen gehen solle" - Sätze, in denen, abgesehen von einer verfehlten und von Volkelt willkürlich Schopenhauer unterschobenen Ausdrucksweise im 2ten, der Kern der Schopenhauer'sehen Religionsphilosophie steckt - als beiläufige Abirrungen auf Schopenhauers Wege hinzustellen sich nicht scheut (S. 390 Anm. 510), und /21/ man denn auch begreiflicherweise auch dagegen kein Bedenken hat, Schopenhauer mit der Frage über die Zukunft der Religion noch in einem andern Sinne zu behelligen, als dieser sie selbst mit der Vorhersagung ihres Ende beantwortet hat (siehe bei Volkelt S. 390 Anm.) Das Gesagte genügt nun zwar schon, um anschaulich zu machen, wie arg sich Volkelt an dieser Stelle seines Buchs mit Schopenhauer spannt, doch fahre ich fort seine Schlusserörterung als Beweis dieser Spannung zu analysiren. Es fällt weiter darin auf, dass Volkelts Auseinandersetzung über die zwei angeblich bei Schopenhauer „aufeinanderprallenden Seiten der Religion" S. 354 auf keinen Fall eine jener in Volkelt's Buche bis dahin so häufigen Behandlungen der „inneren Widersprüche" bei Schopenhauer ist. Denn in diesen liegt Volkelt der Gedanke ganz fern, den besprochenen Widerspruch zu mildern, oder gar zu beseitigen, sondern ihr Sinn ist stets, die „Widersprüche" an sich aufrechtzuerhalten, aber ihre Verträglichkeit mit Schopenhauers Philosophenaufgabe, das Weltganze zu verstehen, ersichtlich zu machen. Davon ist dieses Mal nicht die Rede, denn der Schluss der Auseinandersetzung lautet, dass man „alles in Allem betrachtet 1221 werde urtheilen dürfen, dass die Würdigung der menschlich wertvollen Seiten der Religion bei Schopenhauer die Oberhand behalte" (S. 356f.), das heisst dass sich Schopenhauers zunächst widerspruchsvoll erscheinende Stellung zur Religion sich schliesslich in vollkommener Harmonie zur mehrerer Ehre der Religion auflöse. Und wenn nun Volkelt unmittelbar fortfährt: ,Jetzt (erst) sei der nöthige Hintergrund gewonnen, um die vorhin (S. 353) aufgeworfene Frage nach der Bedeutung Schopenhauers für die religiöse Entwickelung beantworten zu können"

98 Gestrichen: „gar keinen Grund" 99 Gedruckt in OWN 5 , 2 4 8 - 2 5 0 .

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(S. 354), so wird nun vollends klar, dass Schopenhauer Volkelts Interesse bei dieser ganzen Schlusserörterung nur in secundärer Weise besitzt und insbesondere die Frage nach Schopenhauers „Stellung zur Religion" einer anderen nur untergeordnet ist. Über den Sinn in welchem sich diese andere Frage so vordrängt muss dem Leser vollends jeden Zweifel die Aufmerksamkeit auf die Anmerkungen S. 389f nehmen, mit welchen Volkelt seine Erörterung S. 353ff. begleitet, I U I namentlich die letzte dieser Anmerkungen S. 390 N. 512. Mit dieser Berufung auf seine „Vorträge" von 1892 deckt Volkelt schliesslich unmittelbar und unzweideutig auf, dass was er S. 353ff führt, nicht Schopenhauers Sache, sondern seine Sache ist, seine Vorstellung von Beruf der Philosophie in den religiösen Nöthen der Gegenwart. Unter Voraussetzung dieser Vorstellung mag seine schliessliche Voraussagung der „nicht geringen Bedeutung der Philosophie Schopenhauers im Hinblick auf die Entwickelung der religiösen Gefühle ausserhalb der kirchlichen Religionen", mit welcher er seinen Schopenhauer schliesst (S. 358) gelten. Sonst muss er dabei bleiben, dass er mit dem ganzen Schlussproblem der „Bedeutung Schopenhauers für die religiöse Entwickelung", S. 353ff. diesen nur mit einer Frage behelligt hat, die ihn gar nichts angeht und /24/ in diesem Sinne sein Buch mit der ihm mitgegebenen Schlusserörterung nur entstellt hat.* Vgl. unter „Schopenhauer Religion." S. 1 f

Religion und

Wahrheit100

1. Goethe (in Goethes Unterhaltungen mit dem Kanzler Friedrich von Müller 2. Aufl. Stuttgart 1898 S. 68 1 0 1 ): „Um die Menschen aufzuregen muss man ihnen nur einen kühnen Irrthum dreist hinwerfen. Ohne Poesie lässt sich nichts in der Welt wirken; Poesie aber ist Märchen." 2. Das hat Goethe natürlich auch von der Religion gemeint und von ihr wohl besonders. Auf jeden Fall konnte ihre Ausnehmung in diesen Worten nicht unterbleiben, wenn sie beabsichtigt war. Die Wahrheit, die sie aussprechen, kann man wohl als die Wahrheit bezeichnen, die Theologen niemals eingehen wird. Diese sind vom Aberglauben nicht abzubringen, dass sie Vertreter der Religion bleiben, wenn sie nur sich als solche der „Wahrheit" hinstellen, sich hinter deren Deckmantel auch als Apologeten zurückziehen können.** 121 Allein wer so thut, verräth ohne Weiteres eine gewisse Gleichgültigkeit gegen Religion, indem er wenigstens zeitweilig sie bei

*

/24/ Mir selbst hat dieser Schluss des Volkelt'sehen Schopenhauer nur eine unwillkommne Enttäuschung bereitet. October 1900 hatte ich, Volkelts Schopenhauer unmittelbar nach seinen Vorträgen lesend, bei dieser Leetüre eine Zeit lang angenommen, Volkelt sei neuerdings Schopenhauer näher gerückt. (Vgl. unter „Volkelt (Johannes)" S. 5ff) Das mag nun auch theilweise wirklich der Fall sein, in dieser Einen oben besprochenen Frage hat er auf jeden Fall Schopenhauer nicht verstanden und nicht verstehen mögen. Schopenhauer hat sehr emstlich gemeint, die Philosophie habe die Religion sich selbst zu überlassen. Eben davon mag Volkelt nichts wissen. Er handelt als Philosoph nach entgegengesetzter Maxime.

*

/II So macht es zB. (um nur einen der besten, der ehrlichsten von der Theologenzunft der Gegenwart zu nennen) noch A. Jülicher Einleitung in das Neue Testament. 3. Auflage, Tübingen und Leipzig 1901 S. VIII 1 0 4 (am Schluss der Vorrede).

100 In: NLO, A 235. Geschrieben 1901. 101 Goethe's Unterhaltungen mit dem Kanzler Friedrich von Müller, hrsg. von C. Α. H. Burckhardt, Stuttgart 2 1898.

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Inedita

Overbeckiana

Seite stellt, um sich solange nur um die „Wahrheit" zu kümmern. Überdiess besteht für ihn die Voraussetzung, dass „Religion" und „Wahrheit" sich gar nicht anders als decken können und es auch stets thun. Eben diese Voraussetzung ist grundfalsch und widerspricht dem augenscheinlichen Verhältniss, das stets zwischen Religion und Wahrheit bestanden hat, und welchem gemäss sie von jeher und beständig auf gespanntem Fuss mit einander lebten, so dass die Religion da waltete wo ihre Bekenner „dreist" die Wahrheit bei Seite schoben, und die „Wahrheit" wieder da, wo die Bekenner der Wissenschaft (das heisst die des Namens werthen Philosophen) sie wieder vordrängten und wirklich und für immer (nicht nur zeitweilig) nur von ihr wissen wollten. Man muss sich entscheiden: „Religion" oder „Wahrheit", und das ist was die Theologen nie wollen, noch wollen können. Denn sie sind stets nur die Vertreter einer hinfälligen und der Vertretung bedürftigen Religion. /3/ 3. Ich lese kürzlich (ich schreibe am 16. October 1901.), irre ich nicht in einer Streitschrift von Adickes gegen Haeckel, die Religion sei wohl ein Traum, aber ein Traum der wahr sei für die, die ihn träumen. 102 Eine für den modernen Begriff von „Wahrheit" characteristische Definition, an der man besonders klar inne wird, dass wir unter Wahrheit nicht mehr dasselbe verstehen wie unsere Väter. Ihnen waren Traum und Wahrheit ausschliessende Gegensätze, uns freilich kann es nicht schwer sein, die Religion einen Traum zu nennen und ihr doch ihren Anspruch auf Wahrheit zu lassen, wenn wir in Hinsicht auf jenen Gegensatz „change tout cela" haben. Gegen Haeckel ist auf jeden Fall mit dem Adickes'sehen Satz nichts Ernstes auszurichten. Man kann ihm wohl das Ansehen der Religion bei unsern Vorvätern vorhalten, indem man ihn daran /4/ erinnert, dass die Religion schon darum eine säuberlichere Behandlung verdient als sie bei ihm findet, weil sie unsern Vätern für wahr gegolten hat, nicht aber die Religion selbst, wenigstens kein Ding von welchem solche Gültigkeit gar nicht nachzuweisen ist. Aus der Religion machen was wir wollen und darauf ihren Anspruch auf Respect gründen, das ist eben nur ein Excess der modernen Anmaasslichkeit oder Begehrlichkeit. Die Religion können wir als das Ding, das uns überliefert worden ist, respectiren, das auch für das Unding unseres Gemächtes zu fordern, das ist eben zu viel und lässt sich auch mit einem wohltönenden Paradoxon nicht plausibel machen. Ausser etwa für Sophisten, die in Zeiten verfallender Religion sich für ihre besten Freunde ausgeben zu können hoffen und meinen ihr besser dienen zu können als die Theologie. Diese hat aber doch das durch Erfahrung bewährte Vorurtheil für sich, und wirft die Rüstung weniger leichtsinnig über Bord, deren im Kampf für die 15/ Religion nicht zu entrathen ist, z.B. die Tradition. Vgl. unter „Religion und Tradition."103 S. 1 f.

102 Offenbar bezieht sich Overbeck auf Erich Adickes, [Rez.] Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gustav Ratzenhofer, Der positive Monismus. Friedrich Loofs, Anti-Haeckel. Julius Baumann, Haeckels Welträthsel. Richard Hönigswald, Ernst Haeckel, der moderne Philosoph. Anton Michelitsch, Haeckelismus und Darwinismus. (Paul Hohlfeld) Die Glaubensbekenntnisse eines Naturforschers. Rudolf Steiner, Haeckel und seine Gegner. Heinrich Schmidt, Der Kampf um die „Welträthsel", in: Deutsche Litteraturzeitung, Jg. 21 (1900), Nr. 49, Sp. 3160-3170. In Adickes' scharfer Abrechnung mit Haeckels naiver „Welträthsel"-Ideologie kommt jedoch das von Overbeck angeführte Bild der Religion als Traum nicht vor. Overbeck parallelisiert verschiedentlich seinen Intimfeind Harnack und die ganze „moderne Theologie" mit Haeckel und seinen Lehren (vgl. z.B. OWN 4, 434—436, 507f.). Beide werden als „Philister" abgehandelt (OWN 5, 242): „Doch wie es auch mit den Philistern stehen mag auch gegen sie ist aller Fanatismus zu vermeiden." (ibd.) 103 Gedruckt in OWN 5, 322f. 104 Adolf Jülicher, Einleitung in das Neue Testament, Tübingen

3/4

1901.

Inedita

147

Overbeckiana

Religion und

Welt105

1. Nicht die Religion beherrscht die Welt, sondern stets diese über jene. Jedes Genie nimmt für sich von der Religion, wenn überhaupt etwas, so jedenfalls nur so viel als er für seine Gesundheit brauchen kann* (vgl. zB Goethe, Bismarck), und was die Welt im Ganzen betrifft, so ist die Religion gegen die Überwältigung durch sie nirgendwo geschützt. Vgl. unter „Christenthum (Corruptibilität)." „Christenthum und Perfectibilität." S. 5. Auch religiöse Genies, etwa Jesus, haben dieses Sachverhältniss nicht ändern können, mögen sie sich auch selbst nichts daraus gemacht haben.

Schopenhauer

(Religion j107

1. Was Johannes Volkelt Arthur Schopenhauer. Stuttgart 1900. S. 353ff zum Schluss seines Werks noch über Schopenhauers Auffassung der Religion entwickelt, gehört vielleicht zu den misslungensten Schopenhauer entfremdedsten Auseinandersetzungen darin, so wenig es dem Werk sonst an Zeugnissen einer sympathischen Betrachtung seines Gegenstandes fehlt. Hier jedenfalls ist von Schopenhauers Geist kaum etwas zu entdecken. Vgl. unter „Religion und Philosophie (Allgemeines)" S. 5ff. Volkelts Behandlung der Frage der „Stellung Schopenhauer's zur Religion" a. a. O. ist in der That vollkommen verfehlt. Was Volkelt hier vertritt ist in der Tat nicht Schopenhauer's „Stellung" zur Sache sondern seine eigene, und zwar sein ihn von Schopenhauer heillos trennendes 1 0 8 Interesse für die religiöse Reformbestrebungen der modernen Theologie. Diese Differenz zwischen Schopenhauer und ihm ist ihm zwar 121 keineswegs absolut verborgen (siehe besonders a. a. O. S. 389f. Anm. 510), wohl aber ist es ihre Bedeutung, so dass es in der That nichts auffallendes, wenn er am Schlüsse seines Buchs in dessen Geiste Schopenhauers Bedeutung „Für die religiöse Entwicklung" erhebend, in Wahrheit Schopenhauer nur preisgiebt und compromittirt. [3.] Schopenhauer's Auffassung der Religion ist genial nach seiner Definition von Genialität, und darum wird man im Streit um die Religion Gründe sowohl für wie gegen sie bei ihm vergebens suchen. Denn was er will ist weder Förderung noch Schädigung der Religion, sondern Verständniss ihrer Bedeutung in der Welt.

Staat und Christenthum

(Allgemeines)109

1. Vgl. unter „Staat und Christenthum Modernes" „Staat (christlicher) Entstehung" „Staat (christlicher) Vermischtes." 2. „Das ursprüngliche Christenthum ist Abolition des Staates" (Friedrich Nietzsche Der Wille zur Macht. Versuch einer Umwerthung. Leipzig 1901. S. 109f.). Wer das nicht einsieht, mit dem *

Unter Umständen auch sehr wenig, wie zB. Bismarck. Vgl. unter „Bismarck

105 106 107 108 109

In NLO, A 235. Geschrieben 1890/1905. Gedruckt in OWN 4 , 9 4 - 1 0 0 . In: NLO, A 236. Geschrieben 1900/1905. Gestrichen: „Schätzung". In: NLO, A 237. Geschrieben 1901/1905.

(Religion)."106

148

Inedita Overbeckiana

lohnt sich in der That nicht weiter über das Verhältniss von Christenthum und Staat zu einander zu reden.

Urtheil

(religiöses)110

1. Giebt es so etwas? Nichts ist zweifelhafter, obwohl zur Zeit kaum Jemand dran zweifelt. Vgl. unter Sprachverwirrung (moderne) S. 1 Vorrede111 1. Mit der Vorrede dringt man in die Intimität der Werkstätte des Schriftstellers ein. Denn man wohnt seiner Toilette bei, und es kommt unmittelbar zum Vorschein dass er nicht immer, wie das im Text des Werks den Anschein hat, so ohne Weiteres mit seinem Stoff Eines ist und in ihn und darum auch in seine Worte rein aufgeht. Man bedenke z . B . die Vorrede des Eusebius zu seiner Kirchengeschichte. Nichts in deren Text lässt vermuthen, dass er etwas Anderes that als wonach es aussieht. Aber vorn wo er sich noch in seinen Stoff hineinzuarbeiten oder vielmehr zu verhüllen hat wie er hineingekommen ist, macht manches darüber bedenklich. Da kann man ihn zB. den göttlichen Segen impliciren und die Miene annehmen sehen als ob er die Geburtsstunde seiner Arbeit und seinen eigenen Übergang zur Schöpferthätigkeit erlebe (Eusebius Kirchengeschichte I, 5, 1)*, obwohl er natürlich 121 im Moment, da er diese Worte schrieb, sein Werk schon längst angefangen und manche Arbeit daran gewendet hatte, die jenes Segens nicht minder bedürftig gewesen war als die ihm noch bevorstehende. So sehr ist der Schriftsteller in der Vorrede zumal in die Fährlichkeiten, welche die Welt der Form für ihn hat, hineingezogen. 2. Höchst geistreich und instructiv handelt von der „Vorrede" in der Litteratur Ρ. Mongre Sant' Ilario Leipzig 1897 1 1 2 in der seinen. [2.] < 3 > In wirklich sehr geistreicher Weise belehrt Mongre über die Gefährlichkeit des Vorworts für jeden modernen Schriftsteller. Man fasst sie vielleicht am Kürzesten wenn man sagt, dass sie ihn damit bedroht, zum Werke selbst nie zu kommen. Und diess zwar vor lauter Subjectivität, wenn der Schriftsteller beim Schreiben eines Vorworts nicht vergessen kann, dass das Vorwort aller seiner Schriften sein ganzes Leben ist. Man muss aber, wenn man /3/ für Andere schreibt, vor Allem von sich lassen und zur Sache zur kommen wissen. Den Punkt zu treffen wo die Scheidung stattzufinden hat, wo man sich von sich ab und der Sache zuzuwenden hat, das ist ein Hauptgeheimniss aller schriftstellerischen Production. Ob man ihn kennt oder nicht, davon Zeugniss abzulegen hat jeder Schriftsteller aber schon im Vorwort eine ausgezeichnete Gelegenheit, nämlich beim Punkt, den er dahintersetzt. Schlimm steht es schon wenn er mit dem Vorwort anfängt**. Unerlässlich ist vielmehr die vorgängige Ruhe darüber, dass es ausser dem Vorwort

**

l\l Warum ich Kirchengeschichte I, 5 noch zur Vorrede des Eusebius ziehe und diese nicht auf I, 1 beschränke will ich hier nicht weitläufig begründen. Vgl. übrigens unter „Eusebius Kirchengeschichte I Vorwort Zeit" S. 15f. 73/ Es anders zu machen stellt schon in Frage ob man überhaupt fertig wird.

110 In: NLO, A 240. Geschrieben 1900/1905. 111 In: NLO, A 240. Ziffer 1 geschrieben 1900/1902, Ziffer 2-3 1902. 112 Paul Mongre [Pseudonym für Felix Hausdorff], Sant' Ilario. Gedanken aus der Landschaft Zarathustras, Leipzig 1897

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Inedita Overbeckiana

überhaupt noch zu etwas kommt. Diese verschaffe man sich vor Allem. Der geniale Schriftsteller weiss das von selbst, der mindere muss es lernen. Das schreibe ich am 8. September 1902, da ich daran bin die Feder zur 2. Auflage meiner „Christlichkeit" anzusetzen, also gewiss „aus Erfahrung".

b) Nachlass Felix Staehelin: Memoiren von Hermann Siebeck (1842-1920)

113

Im aktiven Dienst der Universität war damals auch noch Friedrich Nietzsche, der allerdings schon nach einigen Semestern seiner Kränklichkeit wegen mehr und mehr in Urlaub war und schliesslich seine Stelle aufgeben musste. [...] Dem kirchlich-religiösen Wesen gegenüber zeigte Nietzsche, der Pfarrerssohn, schon damals entschiedene Abneigung und Verachtung. Einen Kollegen, den er einmal am Sonntag nach Schluss des Gottesdienstes am Münsterplatz traf, fragte er lachend, ob er vielleicht in diesem „Institut für Andacht" gewesen sei. [...] Er verkehrte fast nur noch mit Franz Overbeck, der, ohne in den entscheidenden Punkten sein Anhänger zu sein, ihm in warmer Freundschaft zugetan war und ihm, nachdem er sich verheiratet hatte, auch das Wohltuende des engeren Familien Verkehrs konnte angedeihen lassen. Was sie beide enger verband, war nach meinem 121 Eindruck die aristokratische Art der Auffassung und Beurteilung von Welt und Menschen, die aber, so spröde und zurückhaltend sie sich auch oft gegen andere gab, doch weit entfernt war von blossem Hochmut und nach aussen sich betätigte und rechtfertigte durch gediegne wissenschaftliche und hochgemute litterarische Leistungen; ausserdem der gemeinsame Gegensatz gegen mechanistische Weltauffassung , in Verbindung mit der Überzeugtheit von dem Berufensein einer Minderheit zu hochstrebendem Geistesleben, das den Massstab seines Wertes und seiner Leistungen in sich selbst habe, was sich speziell bei Nietzsche später zu der Lehre vom Übermenschen auswuchs. Damit war übrigens kein verächtliches Wegwerfen der überkommenen Ethik gemeint, sondern eine Erhöhung derselben, freilich von der Art, wie sie, ohne in das Gegenteil alles Ethischen umzuschlagen, nur eben von edel gearteten Geistern geübt und geleistet werden konnte. Overbeck erblickte die Aufgabe des menschlichen Lebens, wie er mir später gelegentlich einmal sagte, in dem Ideal der H e i l i g u n g . Nietzsche selbst war persönlich dem Mitgefühl für fremdes Leiden und der Hilfsbereitschaft für einzelne unter den ,viel zu Vielen' durchaus zugänglich. Als ich gelegentlich wieder einmal eine Doktorprüfung mit ihm zusammen abzuhalten hatte, bat er mich am Tage vorher ausdrücklich, den Kandidaten mild anzufassen und zu beurteilen: er sei, von mindestens illegitimer Herkunft, schwach begabt, und habe sich nur durch anhaltenden Fleiss soweit als er es eben vermochte, heraufgebildet.

113 In: NL Felix Staehelin, VII, 8b, bb, S. 1 f. Im Nachlass von Felix Staehelin (UB Basel) finden sich ohne weitere Angaben zwei kürzere Exzerpte aus Siebecks Memoiren, die dessen Basler Zeit gewidmet sind. Hermann Siebeck war zwischen 1875 und 1883 Philosophieprofessor in Basel, bevor er nach Glessen berufen wurde. Wo sich das Original seiner Memoiren befindet, habe ich nicht in Erfahrung bringen können (ein Nachlass Siebeck existiert offensichtlich in keiner öffentlichen deutschen Bibliothek). Die Memoiren sind nicht verzeichnet bei Sander L. Gilman unter Mitwirkung von Ingeborg Reichenbach (Hrsg.), Begegnungen mit Nietzsche, Bonn 1981, und offensichtlich unpubliziert. Zum Althistoriker Felix Staehelin (1873-1952), der die Exzerpte anfertigte, siehe Wilhelm Abt, Laudes Basiliae. Gesammelte Schriften und Aufsätze, hrsg. von Eugen A. Meier, Basel 1995, S. 144-152.

Siglen-, Quellen- und Literaturverzeichnis

a) Siglen und abgekürzt zitierte Quellen A = ApL = APP =

BAH =

BAW = BNO = ChT 1 = ChT 2 = EFN = EH = EhB = Enc =

ESP = FW = GgL = GK = GM =

Friedrich Nietzsche, Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum [1888], in: KSA, Bd. 6, S. 165-254 Franz Overbeck, Über die Anfänge der patristischen Litteratur, in: Historische Zeitschrift, hrsg. von Heinrich von Sybel, Bd. 48, NF Bd. 12 (1882), S. 417-472 (auch in: OWN, Bd. 3) Franz Overbeck, Über die Auffassung der Streits des Paulus mit Petrus in Antiochien (Gal.2, 11 ff.) bei den Kirchenvätern. Programm zur Rectoratsfeier der Universität Basel, Basel 1877 (auch in: OWN, Bd. 2) Franz Overbeck, Aus dem Briefwechsel des Augustin mit Hieronymus, in: Historische Zeitschrift, hrsg. von Heinrich von Sybel, Bd. 42, NF Bd. 6 (1879), S. 222-259 (auch in: OWN , Bd. 2) Friedrich Nietzsche, Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe, 5 Bde. [Jugendschriften 1854-1869], München 1933-1940 Friedrich Nietzsches Briefwechsel mit Franz Overbeck, hrsg. von Richard Oehler und Carl Albrecht Bernoulli, Leipzig 1916 Franz Overbeck, Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie. Streit- und Friedensschrift, Leipzig 1873 (auch in: OWN, Bd. 1) Franz Overbeck, Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie, 2. um eine Einleitung und ein Nachwort vermehrte Auflage, Leipzig 1903 (auch in: OWN, Bd. 1) Franz Overbeck, Erinnerungen an Friedrich Nietzsche, hrsg. von Carl Albrecht Bernoulli, in: Die Neue Rundschau, Jg. 17 (1906), S. 209-231 & 320-330 Friedrich Nietzsche, Ecce homo. Wie man wird was man ist [1888], in: KSA, Bd. 6, S. 255-374 (bei Zitaten folgt dem Werksigle ggf. das der besprochenen Schrift) Franz Overbeck, Über Entstehung und Recht einer rein historischen Betrachtung der Neutestamentlichen Schriften in der Theologie, Basel 1871 (auch in: OWN, Bd. 1) Friedrich Nietzsche, [Vorlesung] Encyclopädie der klassischen Philologie und Einleitung in das Studium derselben [1871/74], in: KGW, 2. Abt., Bd. 3: Vorlesungsaufzeichnungen (SS 1870-SS 1871), S. 3 3 9 ^ 3 7 Friedrich Nietzsche, [Vorlesung] Einleitung in das Studium der classischen Philologie [1871], in: GoA, Bd. 17, S. 327-352 Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft („la gaya scienza") [1882/87], in: KSA, Bd.3,S. 343-651 Friedrich Nietzsche, [Vorlesung] Geschichte der griechischen Litteratur [1: 1874/75, II: 1875, III: 1875/76], in: GoA, Bd. 18, S. 1-198 Franz Overbeck, Zur Geschichte des Kanons. Zwei Abhandlungen, Chemnitz 1880 (auch in: OWN, Bd. 2) Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift [1888], in: KSA, Bd. 5, S.245-412

Siglen und

GoA = GT =

Quellen

151

Nietzsche's Werke, Leipzig 1894ff. („Grossoktavausgabe") Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik [1872], in: KSA, Bd. 1,S. 9-156 HkP = Friedrich Nietzsche, Homer und die klassische Philologie. Ein Vortrag [1869], in: KGW, 2. Abt., Bd. 1: Philologische Schriften (1867-1873), S. 247-269 JGB = Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft [1886], in: KSA, Bd. 5, S. 9-243 KGB = Friedrich Nietzsche, Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Berlin/New York/New York 1975 ff. KGW = Friedrich Nietzsche, Werke, Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Berlin/New Yorkl967ff. Kommentar = Giorgio Colli/Mazzino Montinari, Friedrich Nietzsche. Kommentar zu den Bänden 1-13 [der KSA] = KSA, Bd. 14 KSA = Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München/Berlin/New York 2 1988 KSB = Friedrich Nietzsche, Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München/Berlin/New York 2 1986 2 LThK = Lexikon für Theologie und Kirche, hrsg. von Josef Höfer und Karl Rahner, begr. von Michael Buchberger, Freiburg im Breisgau 2 1957-1965 3 LThK = Lexikon für Theologie und Kirche, hrsg. von Walter Kasper u. a., begr. von Michael Buchberger, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 3 1993ff. ΜΑ I—II = Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, 2 Bde [1878/86] = KSA, Bd. 2 Μ = Friedrich Nietzsche, Morgenröthe. Gedanken über die moralischen Vorurtheile [1882/87], in: KSA, Bd. 3, S. 9-331 NL CAB = Nachlass Carl Albrecht Bernoulli, Universitätsbibliothek Basel NLO = Nachlass Franz Overbeck, Universitätsbibliothek Basel ON I—II = Carl Albrecht Bernoulli, Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche. Eine Freundschaft, 2 Bde., Jena 1908 Ov I = Overbeckiana. Übersicht über den Franz-Overbeck-Nachlass der Universitätsbibliothek Basel. I. Teil: Die Korrespondenz Franz Overbecks. Verzeichnisse, Regesten und Texte, hrsg. von Ernst Staehelin in Zusammenarbeit mit Matthäus Gabathuler, Basel 1962 (= Studien zur Geschichte der Wissenschaft in Basel, Bd. 12) Ov II = Overbeckiana. Übersicht über den Franz-Overbeck-Nachlass der Universitätsbibliothek Basel. II. Teil: Der wissenschaftliche Nachlass Franz Overbecks, beschrieben von Martin Tetz, Basel 1962 (= Studien zur Geschichte der Wissenschaft in Basel, Bd. 13) OWN = Franz Overbeck, Werke und Nachlass, hrsg. von Ekkehard W. Stegemann u. a., Stuttgart/ Weimar 1994ff. PRE 3 = Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, begr. von Johann Jakob Herzog, hrsg. von Albert Hauck, Leipzig 31896—1913 PtZG = Friedrich Nietzsche, Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen [1873], in: KSA, Bd. 1,S. 799-872 RGG 1 = Die Religion in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Friedrich Michael Schiele und Leopold Zschamack, Tübingen 1 1909-1913 2 RGG = Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, hrsg. von Hermann Gunkel und Leopold Zscharnack, Tübingen 2 19271931 RGG 3 = Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, hrsg. von Kurt Galling, Tübingen 3 1957-1962 SbT = Franz Overbeck, Selbstbekenntnisse. Mit einer Einleitung von Jacob Taubes, Frankfurt am Main 1966

152

Siglen und Quellen

St =

Franz Overbeck, Studien zur Geschichte der alten Kirche. Erstes Heft, Schloss-Chemnitz 1875 (auch in: OWN, Bd. 2) Theologische Realenzyklopädie, hrsg. von Gerhard Krause und Gerhard Müller, Berlin/New York 1976ff. Friedrich Nietzsche, Unzeitgemässe Betrachtungen. Erstes Stück: David Strauss, der Bekenner und Schriftsteller [1873], in: KSA, Bd. 1, S. 157-242 Friedrich Nietzsche, Unzeitgemässe Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben [1874], in: KSA, Bd. 1, S. 243-334 Friedrich Nietzsche, Unzeitgemässe Betrachtungen. Drittes Stück: Schopenhauer als Erzieher [1874], in: KSA, Bd. 1, S. 335-427 Friedrich Nietzsche, Unzeitgemässe Betrachtungen. Viertes Stück: Richard Wagner in Bayreuth [1876], in: KSA, Bd. 1, S. 429-510 Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches. Anhang: Vermischte Meinungen und Sprüche [1879], in: ΜΑ II Immanuel Kant, Werke in zehn Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Sonderausgabe, Darmstadt 1983 Martin Luther, Kritische Gesamtausgabe. 1. Abteilung: Schriften, Weimar 1883ff. Friedrich Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne [1873], in: KSA, Bd. 1,S. 873-890 Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, 4 Bde. [1883/85] = KSA, Bd. 4 Friedrich Nietzsche, Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten. Sechs öffentliche Vorträge [1872], in: KSA, Bd. 1,S. 641-752

TRE = UBI = UB II = UB III = UB IV = VM = W = WA = WL = Ζ = ZB =

b) Unpublizierte Quellen Folgende unpublizierte Quellen wurden herangezogen Aus dem Nachlass Franz Overbeck (NLO) auf der Handschriftenabteilung (Konvoluttitel nach Ov II):

der Universitätsbibliothek

Basel

A 216-A 241: „Kirchenlexicon" A 272: „Eigenes" (Heftumschlag mit 130 Blättern Aphorismen Overbecks) A 334: „Accessionscatalog meiner Bibliothek." (2210 Titel umfassendes Anschaffungsverzeichnis von Overbecks Bibliothek) A 335: „Meine Bibliothek." (systematischer Katalog von Overbecks Bibliothek) A 344: Handexemplar Overbecks seiner Schrift: Über die Auffassung des Streits des Paulus mit Petrus in Antiochien (Gal. 2 , 1 Iff.) bei den Kirchenväter, Basel 1877 Overbeckiana 1,1: Briefe Overbecks an verschiedene Adressaten (vielfach Entwürfe)

Aus dem Nachlass Carl Albrecht Bernoullis (NL CAB) auf der Handschriftenabteilung tätsbibliothek Basel:

der Universi-

G i b 1-107: Overbecks Briefe an Carl Albrecht Bernoulli

Aus dem Nachlass Felix Staehelin auf der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek

Basel:

VII, 8b, bb: Hermann Siebeck (1842-1920), Handschriftliche Memoiren. Exzerpte von Felix Staehelin

153

Siglen und Quellen Aus Bibliothek und Nachlass Fritz Buri (1907-1995), Basel, jetzt Bibliothek des Verfassers

Overbecks Handexemplar von Emest Renan, Vie de Jesus. Sixieme edition, Paris 1863, mit 4 Seiten handschriftlichen Aufzeichnungen Overbecks für seine Rezension des Werkes (der in Ov II, 177 als NLO, A 400 aufgeführte Band ist nicht Overbecks, sondern vermutlich Bemoullis Handexemplar. Die Fortsetzung von Overbecks Aufzeichnungen findet sich dort auf zwei weiteren Seiten). Overbecks Handexemplar von Alexander Schweizer, Die protestantischen Centraidogmen in ihrer Entwicklung innerhalb der reformirten Kirche. Erste Hälfte/Zweite Hälfte, Zürich 1854/1856, mit 2 Seiten handschriftlichen Aufzeichnungen Overbecks (nicht dazugehörig?)

c) Weitere publizierte Quellen (einschliesslich der von Overbeck in den transkribierten „Kirchenlexicon"-Artikeln

zitierten Literatur)

Erich Adickes, [Rez.] Ernst Haeckel, Die Welträthsel. Gustav Ratzenhofer, Der positive Monismus. Friedrich Loofs, Anti-Haeckel. Julius Baumann, Haeckels Welträthsel. Richard Hönigswald, Ernst Haeckel, der moderne Philosoph. Anton Michelitsch, Haeckelismus und Darwinismus. (Paul Hohlfeld) Die Glaubensbekenntnisse eines Naturforschers. Rudolf Steiner, Haeckel und seine Gegner. Heinrich Schmidt, Der Kampf um die „Welträthsel", in: Deutsche Litteraturzeitung, Jg. 21 (1900), Nr. 49, Sp. 3160-3170 Julius Baumann, Häckels Welträthsel nach ihren starken und ihren schwachen Seiten, mit einem Anhang über Häckels theologische Kritiker, Leipzig 1900 Ferdinand Christian Baur, Kritische Beiträge zur Kirchengeschichte der ersten Jahrhunderte, mit besonderer Rücksicht auf die Werke von Neander und Gieseler, in: Theologische Jahrbücher, hrsg. von Eduard Zeller, Bd. 4 (1845), S. 207-314 Bernhard von Clairvaux, Sermo LXXV in Cantica [1135], in: Sancti Bemardi abbatis primi Clarae-Vallensis Opera. Post Horstium denuo recognita, aucta secundis curis D. Johannis Mabillon, Vol. 1, Tom. 4, Parisiis 1690,Sp.1530-1534 Dieter Borchmeyer/Jörg Salaquarda (Hrsg.), Nietzsche und Wagner. Stationen einer epochalen Begegnung, 2 Bde., Frankfurt am Main/Leipzig 1994 Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen [1868-70/1905], hrsg. von Rudolf Marx, Stuttgart 1958 Der christliche Glaube und die menschliche Freiheit. Theil 1: Präliminarien. Mit einem offenen Brief an Herrn R. von Bennigsen, Gotha 1880 Ralph Waldo Emerson, Versuche. Für die Deutsche Bibliothek nach der Übersetzung von G. Fabricius hrsg. von Mario Spiro, Berlin o. J. Julius Frauenstädt (Hrsg.), Aus Arthur Schopenhauer's handschriftlichem Nachlass. Abhandlungen, Anmerkungen, Aphorismen und Fragmente, Leipzig 1864 Edward Gibbon, The Decline and Fall of the Roman Empire [1776-1788]. With Notes by the Rev. Η. Η. Milman. A new edition, to which is added a complete index of the whole work, 5 vol., New York 1880-1884 Otto Gildemeister, Essays, hrsg. von Freunden, Bd. 1, Berlin 3 1898 Johann Wolfgang von Goethe, Prometheus [1774], in: Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Grossherzogin Sophie von Sachsen, 1. Abt., Bd. 2, Weimar 1888, S. 76-78 Johann Wolfgang von Goethe, Zahme Xenien IX. Aus dem Nachlass, in: Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Grossherzogin Sophie von Sachsen, 1. Abt., Bd. 5/1, Weimar 1893, S. 130-155 Goethe's Unterhaltungen mit dem Kanzler Friedrich von Müller, hrsg. von C. Α. H. Burckhardt, Stuttgart 2 1898 Julius Goldstein, Die empiristische Geschichtsauffassung David Humes mit Berücksichtigung modemer methodologischer und erkenntnistheoretischer Probleme. Eine philosophische Studie, Leipzig 1903 Franz Grillparzer, Sämmtliche Werke, Bd. 8, Stuttgart 1872

154

Siglen und Quellen

Karl Grün, Kulturgeschichte des siebzehnten Jahrhunderts, 2 Bde., Leipzig 1880 Wilhelm von Gwinner, Arthur Schopenhauers Leben, Leipzig 1878 Adolf Harnack, Das Wesen des Christentums. Sechzehn Vorträge, Leipzig 1/2 1900 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse [1821]. Mit Hegels eigenhändigen Notizen in seinem Handexemplar und den mündlichen Zusätzen. Hrsg. und eingeleitet von Helmut Reichelt, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1972 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte [1822/31] = G.W.F.H., Werke, Bd. 12, Frankfurt am Main 1986 (= stw 612) Heinrich Heine, Die Harzreise [1824]; in: H. H.'s Reisebilder = Η. H., Sämmtliche Werke, Erster Band, Philadelphia 7 1869 Lucae Holstenii Codex Regularum monasticarum et canonicarum, a P. R. P. Mariano Brockie illustratus, Tom. 2, Augustae Vindelicorum 1759 Homer, Die Odyssee. Übersetzt in deutsche Prosa von Wolfgang Schadewalt, Hamburg 1958 (= rk 29/30) Homeri Odyssea recognovit Petrus von der Mühll, Basileae 1962 (= Editiones Helveticae, Series Graeca 4) Jean Paul, Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz mit fortgehenden Noten; nebst der Beichte des Teufels bei einem Staatsmanne [1809]. Mit einem Nachwort von Kurt Schreinert, Stuttgart 1975 (= RUB 293) Adolf Jülicher, Die Gleichnissreden Jesu, Bd. 2, Freiburg im Breisgau 1899 Adolf Jülicher, Einleitung in das Neue Testament, Tübingen 3/4 1901 Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung [1784], in: W, Bd. 9, S. 51-61 Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft [1793/94], in: W, Bd. 7, S.645-879 Immanuel Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht [1784], in: W, Bd. 9, S.33-50 Immanuel Kant, Was heisst: Sich im Denken orientieren? [1786], in: W, Bd. 5, S. 265-283 Theodor Keim, Geschichte Jesu von Nazara in ihrer Verkettung mit dem Gesammtieben seines Volkes frei untersucht und ausführlich erzählt, Bd. 1: Der Rüsttag, Zürich 1867 Gottfried Keller, Briefe und Tagebücher 1856-1890 = Gesammelte Werke, eingeleitet von Emil Ermatinger, 2. Erg.-Band, Zürich 1944 Titus Klemens von Alexandria, Die Teppiche (Stromateis). Deutscher Text nach der Übersetzung von Franz Overbeck. Im Auftrage der Franz Overbeck-Stiftung in Basel hrsg. und eingeleitet von Carl Albrecht Bernoulli und Ludwig Früchtel, Basel 1936 Walther Köhler, Ein Wort zu Denifle's Luther, Tübingen/Leipzig 1904 Paul de Lagarde, Über das Verhältnis des deutschen staates zu theologie, kirche und religion, ein versuch nichttheologen zu orientieren, Göttingen 1873 Georg Christoph Lichtenberg, Schriften und Briefe, hrsg. von Wolfgang Promies, 4 + 2 Bde., Frankfurt am Main 1994 Martin Luther, Schriften zur Neuordnung der Gemeinde, des Gottesdienstes und der Lehre = M. L., Ausgewählte Werke, hrsg. von Η. H. Borcherdt und Georg Merz, Bd. 3, München 3 1962 Hans Lassen Martensen, Die christliche Dogmatik. Vom Verfasser selbst veranstaltete deutsche Ausgabe, Berlin 1856 Paul Mongre [Pseudonym für Felix Hausdorff], Sant' Ilario. Gedanken aus der Landschaft Zarathustras, Leipzig 1897 August Neander, Der heilige Bernhard [1813], Hamburg/Gotha 2 1848 Friedrich Nietzsches Briefe an Mutter und Schwester, hrsg. von Elisabeth Förster-Nietzsche, Bd. 2, Leipzig 1909 Friedrich Nietzsche, Der Florentinische Tractat über Homer und Hesiod, ihr Geschlecht und ihren Wettkampf, in: Rheinisches Museum für Philologie, Bd. 25 (1870), S. 528-540 & Bd. 28 (1873), S. 211-249 = GoA, Bd. 17, S. 215-276 Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Chemnitz 1882 Friedrich Nietzsche, Die vorplatonischen Philosophen [1873/76], in: GoA, Bd. 19, S. 125-234

Siglen und Quellen

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Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1869-1874 = KSA, Bd. 7 Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1884—1885 = KSA, Bd. 11 Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, hrsg. von Karl Schlechte, Bd. 3, München 2 1960 Franz Overbeck, [Rez.] Ad. Stählin: Justin der Märtyrer und sein neuester Beurtheiler. Leipzig 1880, in: Historische Zeitschrift, hrsg. von Heinrich von Sybel, 46. Bd., NF Bd. 10 (1881), S. 480-483 Franz Overbeck, Antwort an die Studierenden, gesprochen beim Trauerfackelzuge [für K. R. Hagenbach], in: Erinnerung an Karl Rudolf Hagenbach. Personalie, Leichenrede und Grabreden, Basel 1874, S. 34—37 Franz Overbecks Briefwechsel mit Paul de Lagarde, hrsg. von Nikiaus Peter und Andreas Urs Sommer, in: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte, Jg. 3 (1996), Heft 1, S. 127-171 Franz Overbeck, Christentum und Kultur. Gedanken und Anmerkungen zur modernen Theologie. Aus dem Nachlass hrsg. von Carl Albrecht Bernoulli [Basel 1919] = Franz Overbeck, Kirchenlexicon Materialien: Christentum und Kultur. Gedanken und Anmerkungen zur modernen Theologie von Franz Overbeck. Kritische Neuausgabe, hrsg. von Barbara von Reibnitz = OWN, Bd. 6/1 Franz Overbeck, Das Johannesevangelium. Studien zur Kritik seiner Erforschung. Aus dem Nachlass hrsg. von Carl Albrecht Bernoulli, Basel 1911 Franz Overbeck, Kirchenlexikon. Texte. Ausgewählte Artikel A-I und J-Z. In Zusammenarbeit mit Marianne Stauffacher-Schaub hrsg. von Barbara von Reibnitz = OWN, Bd. 4 und Bd. 5 Questionum Hippolytearum specimen summe venerabilis Theologorum Ordinis Ienensis consensu et auctoritate pro gradu licentiati et docendi potestate rite obtinendis die IV. m. Augusti a. MDCCCLXIV in publico defendet Franciscus Camillus Overbeck, Ienae [1864] [Franz Overbeck], [Rez.] Renan, Ernst [sic], Vie de Jesus. Sixieme edition. Paris 1863, in: Literarisches Centraiblatt für Deutschland, hrsg. von Friedrich Zarncke, 1863, Nr. 45, Sp. 1057-1059 Franz Overbeck, Selbstbekenntnisse, hrsg. und eingeleitet von Eberhard Vischer, Basel 1941 Franz Overbeck, Über das Verhältniss Justins des Märtyrers zur Apostelgeschichte, in: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, Jg. 15 (1872), S. 305-349 (auch in: OWN, Bd. 1) Franz Overbeck, Über die Anfänge des Mönchthums. Vorlesung gehalten in der Rose [zu Jena] d. 6. Febr. 1867, in: OWN, Bd. 1,S. 1-37 Franz Overbeck, Vorgeschichte und Jugend der mittelalterlichen Scholastik. Eine kirchenhistorische Vorlesung aus dem Nachlass hrsg. von Carl Albrecht Bernoulli, Basel 1917 Piaton, Politeia/Der Staat. Bearbeitet von Dietrich Kurz. Griechischer Text von Emile Chambry, deutsche Übersetzung von Friedrich Schleiermacher = Piaton, Werke in acht Bänden. Griechisch und deutsch, hrsg. von Günther Eigler. Sonderausgabe, Bd. IV, Darmstadt 1990 Porphyrii de philosophia ex oraculis haurienda librorum reliquiae, edidit Gustavus Wolff, Berolini 1856 Emest Renan, Der Antichrist. Autorisirte deutsche Ausgabe, Leipzig/Paris 1873 Bernhard Riggenbach, Johann Eberlin von Günzburg und sein Reformprogramm. Ein Beitrag zur Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts, Tübingen 1874 Otto Ritsehl, Albrecht Ritschis Leben, Bd. 2: 1864-1889, Freiburg im Breisgau/Leipzig 1896 Friedrich von Schiller, Der Spaziergang (Elegie) [1795], in: Schillers sämmtliche Werke in zwölf Bänden [hrsg. von C.G. Körner], Bd. 1, Stuttgart/Tübingen 1837, S. 355-361 Friedrich von Schiller, Resignation [1784], in: Schillers sämmtliche Werke in zwölf Bänden [hrsg. von C. G. Körner], Bd. 1, Stuttgart/Tübingen 1837, S. 95-98 Friedrich von Schiller, Was heisst und zu welchem Ende studirt man Universalgeschichte? Eine akademische Antrittsrede [1789], in: Schillers sämmtliche Werke in zwölf Bänden [hrsg. von C. G. Kömer], Bd. 10, Stuttgart/Tübingen 1838, S. 362-386 Friedrich Schlegel, Athenäums-Fragmente [1798-1800], in: F. S., Schriften zur Literatur, hrsg. von Wolfdietrich Rasch, München 1972, S. 25-83 (= dtv 6006) Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern [1799]. Mit einem Nachwort von Carl Heinz Ratschow, Stuttgart 1985 (= RUB 8313) [Paul Wilhelm Schmidt und Heinrich Julius Holtzmann], Theologie contra Christenthum [Rez. von Franz Overbeck, Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie, Leipzig 1873], in: Protestantische Kirchenzeitung für das evangelische Deutschland, Jg. 21 (1874), Nr. 8, Sp. 171-179

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Siglen und Quellen

Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und als Vorstellung, Leipzig 3 1859 Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und als Vorstellung [1819/44] = A. S., Werke in 10 Bänden. Zürcher Ausgabe, Bd. 1-4, Zürich 1977 Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena [1851] = A. S., Werke in 10 Bänden. Zürcher Ausgabe, Bd. 7-10, Zürich 1977 Lucius Annaeus Seneca, Ad Lucilium epistulae morales I-CXXV = L. A. S., Philosophische Schriften. Lateinisch und deutsch, hrsg. von Manfred Rosenbach. Sonderausgabe, Bde. 3 & 4, Darmstadt 1995 David Friedrich Strauss, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, 2 Bde., Tübingen 1835/1836 David Friedrich Strauss, Der alte und der neue Glaube [1872], Bonn 7 1874 Fr. von Uechtritz, Studien eines Laien über den Ursprung, die Beschaffenheit und Bedeutung des Evangeliums nach Johannes, Gotha 1876 Gerhard Uhlhorn, Der Kampf des Christenthums mit dem Heidenthum. Bilder aus der Vergangenheit als Spiegelbilder für die Gegenwart, Stuttgart 1874 Die Verhandlungen der kirchlichen October-Versammlung in Berlin vom 10. bis 12. October 1871, hrsg. vom Sekretariate, Berlin 1872 Johannes Volkelt, Arthur Schopenhauer. Seine Persönlichkeit, seine Lehre, sein Glaube, Stuttgart 1900 Johannes Volkelt, Vorträge zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart. Gehalten zu Frankfurt a/M. im Februar und März 1891, München 1892 Voltaire, Candide ou l'optimisme [1759], in: V., Romans. Presente par Roger Peyrefitte, Paris 1961, S.143-245 Eduard Zeller, Systeme und Systembildung, in: Deutsche Rundschau, Jg. 26 (1899/1900), Bd. 101, S. 78-91 Zusammenstellung der klägerischen Schriftstücke erster Instanz des grundlegenden Overbeckbriefes vom 3./4. Januar 1905 und der beiden Urteile erster und zweiter Instanz in Klagsachen des Herrn Peter Gast (Heinrich Köselitz) in Weimar gegen Herrn Schriftsteller Albrecht Bernoulli in Arlesheim bei Basel und Herrn Verlagsbuchhändler Eugen Diederichs in Jena wegen Untersagung von Veröffentlichungen. (Gedruckt zur Erleichterung der Stoffübersicht für den Privatgebrauch), Weimar 1908 Zusammenstellung der klägerischen Schriftstücke erster Instanz in Klagsachen des Herrn Heinrich Köselitz, gen. Peter Gast, in Weimar gegen Herrn Schriftsteller Albrecht Bernoulli in Arlesheim bei Basel und Herrn Verlagsbuchhändler Eugen Diederichs in Jena wegen Untersagung von Veröffentlichungen. (An Handschriftenstelle gedruckt zur Erleichterung der Übersicht), Weimar 1908 [darin Briefe Overbecks an Peter Gast]

d) Streitschriften zum sogenannten Overbeck-Nietzsche-Streit Auf der Universitätsbibliothek Basel wird unter der Signatur k h III 76 ein Konvolut von Druckschriften aufbewahrt, die den nach Overbecks Tod ausgetragenen, publizistischen Streit zwischen den ,Weimarern' (Elisabeth Förster und ihren Anhängern) und den .Baslern' (Bernoulli, Ida Overbeck u. a.) freilich einseitig, nämlich fast ausschliesslich aus der Sicht des „Archivs" dokumentieren. Da einige der Beiträge weder in Richard Frank Krummeis massgeblichem Schrifttumsverzeichnis „Friedrich Nietzsche und der deutsche Geist" noch in anderen Bibliographien vermerkt sind, werden sie hier allesamt gesondert bibliographiert. Die Titel sind nach Autoren alphabetisch geordnet, in Klammern ist jeweils die Nummer angegeben, die sie innerhalb des Konvoluts tragen. Ferner sind im Nachlass von Carl Albrecht Bernoulli auf der Handschriftenabteilung der Basler Universitätsbibliothek weitere für den Zusammenhang aufschlussreiche Publikationen erhalten, die hier mit ihrer Signatur (NL CAB:...) ebenfalls angeführt werden. Im NL CAB findet sich unter F VI 25 zudem noch ein Konvolut von Zeitungsberichten zum Verlauf der Gerichtsverfahren, die hier nicht eigens erscheinen. Charles Andler, Nietzsche und Overbeck, in: Die Propyläen. Wochenschrift, Jg. 6 (1909), Nr. 15 & 16, S. 225-227 & 242-244 (NL CAB: F V 13) [Anonym], Die Beleidigungsklage der Frau Förster-Nietzsche gegen den Verleger Diederichs, in: Magdeburgische Zeitung, 22. April 1909, Nr. 202, Abend-Ausgabe [ohne Paginierung] (Nr. 25)

Siglen und Quellen

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[Anonym], Die Stiftung „Nietzsche-Archiv", in: Deutschland. Weimarische Landeszeitung, Jg. 61, 13. Februar 1909, Nr. 44, erstes Blatt, S. 2 (Nr. 23) [Anonym], Nietzsches „Lou-Erlebnis", in: Weimarerische Zeitung, Jg. 98, 22. September 1908, Nr. 223, 2. Blatt: Feuilleton [ohne Paginierung] (Nr. 9 - NL CAB: F V, 1) Carl Albrecht Bernoulli, Der wahre Sachverhalt. Ein Schlusswort an das Nietzsche-Archiv, in: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 116,23. Oktober 1905, Nr. 294, Zweites Abendblatt: Feuilleton, S. 1 - 2 & 24. Oktober 1905, Nr. 295, Morgenblatt: Feuilleton, S. 1 - 2 (NL CAB: F VI, 9) Carl Abrecht Bernoulli, [Entgegnung auf die Zuschrift von Elisabeth Förster-Nietzsche], in: Das literarische Echo. Halbmonatsschrift für Literaturfreunde, Jg. 8, Heft 6, 15. Dezember 1905, S. [?] (NL CAB: F VI, 11) Carl Abrecht Bernoulli, [Ausführungen zum Prozess], in: Das literarische Echo. Halbmonatsschrift für Literaturfreunde, Jg. 10, Heft 16,15. Mai 1908, S. [1170-1177] (NL CAB: F VI, 20) Carl Albrecht Bernoulli, Franz Overbeck und das Nietzsche-Archiv, in: Beilage der „Neuen Freien Presse", 20. August 1905, S. 31-32 (NL CAB: F VI, 4) Carl Albrecht Bernoulli, Franz Overbeck und Peter Gast, in: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 126, 28. August 1905, Nr. 238, Zweites Abendblatt: Feuilleton, S. 1 - 2 (NL CAB: F VI, 5) Carl Albrecht Bernoulli, Nachlass zu „Overbeck-Nietzsche", in: Frankfurter Zeitung, Jg. 53, 4. November 1908, Nr. 307, Abendblatt: Feuilleton, S. 1 (NL CAB: F V, 11) Carl Albrecht Bernoulli, „Overbeck und Nietzsche", in: Frankfurter Zeitung, Jg. 52, 11. Februar 1908, Nr.42, Zweites Morgenblatt: Feuilleton, S. 1 (NL CAB: F VI, 16) Carl Albrecht Bernoulli, Overbecks Nietzsche-Nachlass. Ein letztes Wort, in: Beilage der „Neuen Freien Presse", 17. September 1905, S. 31-32 (NL CAB: F VI, 7) Carl Albrecht Bernoulli, Zur Wahrheit über Nietzsche, in: Jenaische Zeitung, Jg. 235, 6. Mai 1908, Nr. 106, Erstes Blatt: S. 1 - 2 (NL CAB: F VI, 19) Fritz Bockel, [als Flugblatt gedruckter Brief des Anwaltes von Elisabeth Förster, Bockel, an eine nicht genannte Redaktion über das Vergleichsangebot im Prozess gegen Eugen Diederichs] Jena, 19. Mai 1909 (Nr. 28.1) Paul Cohn, Frau Elisabeth Förster-Nietzsche, Berlin 1908 (Nr. 2) Michael Georg Conrad, Das Bernoulli-Buch, in: Münchener Neueste Nachrichten, Jg. 61, 2. Oktober 1908, Nr. 460, Vorabendblatt, S. 1 - 2 (Nr. 12 - NL CAB: F V, 10) Michael Georg Conrad, Das Overbeck-Geheimnis. Erstmalig veröffentlichte Briefe Nietzsches an seine Schwester, in: München. Allgemeine Zeitung. Verbunden mit Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, Jg. 111, 26. September 1908 & 10. Oktober 1908, Nr. 26 & 28, S. 553-555 & 600-602 (Nr. 10 - NL CAB: F VI, 22) Michael Georg Conrad, Overbeck und Nietzsche, in: Münchener Neueste Nachrichten, Jg. 61, 31. Januar 1909 [?], Nr. 59, S. 1 [?] & N r . 6 1 , S . 1 [?] (NL CAB: F V, 15) Hugo Daffner, Friedrich Nietzsche und Franz Overbeck, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, Jg. 33, 25. November 1908,25. November 1908, Nr. 553, Morgen-Ausgabe, S. 1 - 2 (Nr. 20) Elisabeth Förster-Nietzsche, [als Flugblatt gedruckter Brief an den Rechtsanwalt Bockel, den Prozess gegen Diederich betreffend] Weimar, 15. Mai 1909 (Nr. 28.2) Elisabeth Förster-Nietzsche, [Antwort auf Ida Overbecks Replik], in: Die Zukunft, Jg. 15, Nr. 30, 27. April 1907, S. 144-146 (NL CAB: F VI, 14b) Elisabeth Förster-Nietzsche, Ariadne und andere Torheiten, in: Die Zeit, Jg. 7, 17. November 1908, Nr. 2210, Morgenblatt: Feuilleton, S. 1 - 3 (Nr. 18 - NL CAB: F VI, 24) Elisabeth Förster-Nietzsche, Berichtigung, in: Jenaische Zeitung, Jg. 235, 3. Juli 1908, Nr. 154, Zweites Blatt, S. 1 ( N L C A B : F V I , 2 1 ) Elisabeth Förster-Nietzsche, Das Nietzsche-Archiv, seine Freunde und Feinde, Berlin 1907 (Nr. 1) Elisabeth Förster-Nietzsche, Der unveröffentlichte Briefwechsel Nietzsche-Overbeck, in: Beilage der „Neuen Freien Presse", 10. September 1905, S. 31-34 (NL CAB: F VI, 6) Elisabeth Förster-Nietzsche, [Ein Brief], in: Die Zukunft, Jg. 16, Nr. 46 (15. August 1908), S. 266-268 (Nr. 8)

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Siglen und Quellen

Elisabeth Förster-Nietzsche (Hrsg.), Friedrich Nietzsche: Ungedruckte Briefe [an Mutter und Schwester]. Sonderabdruck aus: Süddeutsche Monatshefte [Jg. 6, Bd. 1, S. 40-58] (Nr. 21) Elisabeth Förster-Nietzsche, Handschriften und Briefe von Friedrich Nietzsche, in: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 126, 2. Oktober 1905, Nr. 273, Morgenblatt: Feuilleton, S. 1-2 & 3. Oktober 1905, Nr. 274, Morgenblatt: Feuilleton, S. 1-3 (NL CAB: F VI, 8) Elisabeth Förster-Nietzsche, Mitteilungen aus dem Nietzsche-Archiv, Weimar 1908 (NL CAB: F VI, 18: mit zahlreichen Marginalien Bernoullis) Elisabeth Förster-Nietzsche, Nietzsches literarischer Nachlass und Franz Overbeck, in: Berliner Tageblatt, Jg. 34,26. Juli 1905, Nr. 376, Abend-Ausgabe, S. 1-3 (NL CAB: F VI, 1) Elisabeth Förster-Nietzsche, Nietzsches Werke und Briefe, in: Die Zukunft, Jg. 15, Nr. 36, 8. Juni 1907, S. 355-362 (NL CAB: F VI, 15) Elisabeth Förster-Nietzsche, Stiftungsurkunde [des Nietzsche-Archivs vom 5. Mai 1908] (Nr. 4) Elisabeth Förster-Nietzsche, Verlorene Handschriften, in: Die Zukunft, Jg. 15, Nr. 23, 9. März 1907, S. 354-364 (NL CAB: F VI, 13) Elisabeth Förster-Nietzsche, Zu Prof. Andlers Artikel „Nietzsche und Overbeck", in: Die Propyläen, Jg. 6, Nummer 22 (3. März 1909), S. 349-350 (Nr. 27 - NL CAB: F V 15a) Elisabeth Förster-Nietzsche, Zu Prof. Andlers Artikel „Nietzsche und Overbeck", in: Die Propyläen, Jg. 6, Nummer 29 (21. April 1909), S. 462-465 (Nr. 26 - NL CAB: F V 15b) Elisabeth Förster-Nietzsche, [Zuschrift], in: Das literarische Echo. Halbmonatsschrift für Literaturfreunde, Jg. 8, Heft 5,1. Dezember 1905, S. 383-384 (NL CAB: F VI, 10) Peter Gast, [Antwort auf Ida Overbecks Replik], in: Die Zukunft, Jg. 15, Nr. 30, 27. April 1907, S. 146 (NL CAB: F VI, 14c) Peter Gast, Zum Kapitel Nietzsche-Overbeck, in: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 126, 11. August 1905, Nr. 221, Zweites Abendblatt: Feuilleton, S. 1-2 (NL CAB: F VI, 3) Martin Havenstein, Nietzsche und seine Schwester. Die Nichtigkeit der neuesten Angriffe auf das NietzscheArchiv, in: Das Blaubuch. Wochenschrift, Jg. 3, Nr. 27 (2. Juli 1908), S. 797-806 (Nr. 6) Stefan Hock, Nietzsche und Overbeck, in: Beilage der „Neuen Freien Presse", 20. September 1908, S. 31-33 (NL CAB: F V, 8) Emst Holzer, Antichrist und Umwertung, in: Süddeutsche Monatshefte, Jg. 5, Heft 8 (August 1908), S. 162-169 (Nr. 7) Karl Joel, Overbeck und Nietzsche, in: Frankfurter Zeitung, Jg. 52, 1. Februar 1908, Nr. 32, Erstes Morgenblatt. Feuilleton, S. 1-3 (NL CAB: F V, 4) Max Lohan, Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche, in: Hamburger Nachrichten, Jg. 117, 29. September 1908, Nr. 687, Abendausgabe, S. 1 (Nr. 11 - NL CAB: F V, 9) A. Mez, Fr. Nietzsche und Fr. Overbeck von C. A. Bernoulli, in: Wissen und Leben, Jg. 1, Heft 9 ( 1 . Februar 1908), S. 276-285 (Nr. 24 - NL CAB: F V, 3) Richard M. Meyer, Overbeck-Nietzsche. Sonderabdruck aus: Deutsche Rundschau, Jg. 35, Heft 2 (November 1908), S. 311-313 (Nr. 16) Friedrich Nietzsche, Briefe an Mutter und Schwester (Herbst 1887 bis Frühling 1888), in: Die neue Rundschau, Jg. 19, Heft 11 (November 1908), S. 1599-1618 (Nr. 15) Richard Oehler, Nietzsche und Jakob Burckhardt, in: Der Neue Weg, Jg. 1, Nr. 2, (6. Februar 1909), S. 49-56 (Nr. 22) Richard Oehler, Separatdruck zweier Erklärungen aus der Jenaischen Zeitung vom 16. und 30. April 1908 (Nr. 3 - vgl. NL CAB, F VI, 17) Ida Overbeck, [Replik auf Elisabeth Förster-Nietzsches Verlorene Manuskripte], in: Die Zukunft, Jg. 15, Nr. 30,27. April 1907, S. 139-144 (NL CAB: F VI, 14a) K[..J Q[·..], Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche, in: Magdeburgische Zeitung, 15. Februar 1908, Nr. 83 [ohne Paginierung] (NL CAB: F V, 5) Erwin Rohde/Johannes Schlaf, Contra „Overbeck-Nietzsche". Zwei Entgegnungen, in: Frankfurter Zeitung, Jg. 53, 9. November 1908, Nr. 312, Morgenblatt: Feuilleton, S. 1 (Nr. 17 - NL CAB: F V, 12)

Sigleti und Quellen

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Bernard Scharlitt, Bernoullis Nietzsche-Pamphlet, in: Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur, Jg. 2, N r . 4 2 (16. Oktober 1908), S. 1400-1403 (Nr. 13) Bernard Scharlitt, Nietzsches Salome-Affäre, in: Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur, Jg. 2, Nr. 36 (4. September 1908), S. 1167-1170 (NL CAB: F V, 7) Bernard Scharlitt, Overbecks Nietzsche-Pamphlet, in: Österreichische Rundschau, Bd. 15 (1908), 15. März, S. 483-484 (NL CAB: F V, 6) Bernard Scharlitt, Ungedruckte Briefe Friedrich Nietzsches [an die Schwester]. Separatabdruck aus der „Österreichischen Rundschau", Bd. 15 (1908), Heft 4, S. 277-289 (Nr. 5) Franz Servaes, Neue Mitteilungen über Nietzsche und Overbeck, in: Beilage der „Neuen Freien Presse", 17. Februar 1907, S. 31-33 (NL CAB: F VI, 12) Karl Strecker, Eine „neue Nietzsche-Biographie", in: Unterhaltungsbeilage zur Täglichen Rundschau, 5. Dezember 1907, Nr. 285, S. 1138-1139 (NL CAB: F V, 2) Karl Strecker, Neues von und über Nietzsche (Der letzte Bernoulli-Band. Das Nachlasswerk Nietzsches „Ecce homo". - Nietzsches Briefe an Peter Gast), in: Unterhaltungsbeilage zur Täglichen Rundschau, 22.Oktober 1908, Nr. 249, S. 994-995 (Nr. 14) Paul Zschorlich, Nietzsches Schwester, in: Berliner Zeitung am Mittag, 23. November 1908, Nr. 275, erstes Beiblatt [ohne Paginierung] (Nr. 19)

e) Sekundärliteratur zu Nietzsche und seinem Umfeld (Auswahl) Konrad Algermissen, Nietzsche und das Dritte Reich, Celle 1947 Charles Andler, Nietzsche. Sa vie et sa pensee. Vol. 2: La jeunesse de Nietzsche jusqu' ä la rupture avec Bayreuth, Paris 1921 Kurt Anglet, Zur Phantasmagorie der Tradition. Nietzsches Philosophie zwischen Historismus und Beschwörung. Eine Studie auf der Grundlage der zweiten und dritten Unzeitgemässen Betrachtung, Würzburg 1989 Lou Andreas-Salome, Friedrich Nietzsche in seinen Werken [1894]. Mit Anmerkungen von Thomas Pfeiffer hrsg. von Emst Pfeiffer, Frankfurt am Main/Leipzig 1994 Lou Andreas-Salome, Lebensrückblick. Grundriss einiger Lebenserinnerungen. Aus dem Nachlass hrsg. von Ernst Pfeiffer. Neu durchgesehene Ausgabe mit einem Nachwort des Herausgebers, Frankfurt am Main 4 1979 (= it 54) Eberhard Arnold, Unchristliches und Antichristliches im Werdegang Friedrich Nietzsches, Eilenburg 1910 Manfred Balkenohl, Der Antitheismus Nietzsches: Fragen und Suchen nach Gott. Eine sozialanthropologische Untersuchung, München 1976 (Abhandlungen zur Sozialethik, hrsg. von Wilhelm Weber und Anton Rauscher, Bd. 12 - Diss, theol. Münster 1972) Georges Bataille, Nietzsche [1949], in: Jörg Salaquarda (Hrsg.), Nietzsche, S. 4 5 - 4 9 Ernst Benz, Nietzsches Ideen zur Geschichte des Christentums und der Kirche, Leiden 1956 (= Beihefte der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Heft 3) Leo Berg, Nietzsches Freundschaftstragödien, in: L. B., Heine - Nietzsche - Ibsen. Essays, Berlin 1908, S.29-62 Ernst Bertram, Nietzsche. Versuch einer Mythologie [1918], Berlin 6 1922 Eugen Biser, „Gott ist tot". Nietzsches Destruktion des christlichen Bewusstseins, München 1962 Reiner Bohley, Nietzsches christliche Erziehung, in: Nietzsche-Studien, Bd. 16 (1987), S. 164-196 Dieter Borchmeyer (Hrsg.), „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben". Nietzsche und die Erinnerung in der Moderne, Frankfurt am Main 1996 (= stw 1261) Karl Brose, Geschichtsphilosphische Strukturen im Werk Nietzsches, Bem/Frankfurt am Main 1973 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe XX: Philosophie, Bd. 5 - Diss. phil. Frankfurt am Main 1972) Karl Brose, Nietzsche: Geschichtsphilosoph, Politiker und Soziologe, Essen 1994 (= Kleine Arbeiten zur Philosophie, hrsg. von W. L. Hohmann) Bernhard Bueb, Nietzsches Kritik der praktischen Vernunft, Stuttgart 1970 (Diss. phil. Saarbrücken 1968)

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Siglen und Quellen

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Sach-, Begriffs- und Ortsregister Der Index verzeichnet ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit sowohl Schlag- als auch Stichworte

„Abbreviatur der Erscheinung" (—> Mythos) 79 Aberglaube 24,53,86,89, 145 abhäuten (—» sezieren) 72 Abkürzungsprozess (rhetorischer) 53 Abnutzbarkeit (des Christentums) 125 „Abschiedsvorlesung" 31 Absolutheit des Christentums 124f. Abstieg —> Verfall absurd —» vernunftwidrig Adepten 13 adfontes 34 Adressat —> Publikum Agnostizismus, agnostisch 85 Ägypter 21,139 Ahnung 30 Aigis (—» Gorgo) 109 Akkomodation, akkomodatorisch 20,30,34,37, 40f.,62 Alexandria 93 Alexandriner, Alexandrinismus, alexandrinisch 24, 65,80,93f., 130,139 Allegorese, allegorisch 36,65,77f., 80,86f„ 93, 100 Allgemeingültigkeitsanspruch 58 Altar 13,24,26,100 Altes Testament, alttestamentlich (—> Bibel) 93, 103 amorfati 99 Amt(spflichten) 20, 106-108 analytisch 47 Anfang —» arche, Ursprünge „Anknüpfungspunkt" 2 Antagonismus 39,54,78,102 AntiChristentum 72,79 Antijudaismus (—> Antisemitismus) 78 antiklerikal 104 Antisemitismus, antisemitisch 76,78f. Apokalyptik (-> Eschatologie) 40, 108,113f.

apollinisch (-> dionysisch) 47,70,72,75-77,79, 88,117 Apologetik, Apologeten, apologetisch (—»Theologie, apologetische) 8f., 2 1 , 4 8 , 6 1 , 6 8 , 7 3 , 8 7 , 89,94,97f„ 100,103,124f., 145 Arbeiterstand 105 Archaik, archaisch (—> Altertum, —> Griechen, —> Vorsokratiker) 21-29,67,75, 82,109 arche (—* Ursprünge) 34,88 argumentum ad personam 4 argumentum e silentio 86 „Arier", „arisch" 78 aristokratisch (-> Elitarismus) 19f., 59,82,101, 149 Arkadien 52 Armut, freiwillige 123 Askese, asketisch (—> Verzicht, —> Weltverneinung) 17,62,69,76,81,94,97, 101, 103f„ 113,121, 123,125f. Assimilierung (der Vergangenheit) 57 Ästhetik, ästhetisch 20f„ 25,47,53f„ 75,117f. auctor 54 Auferstehung 95, 135 Aufklärer, Aufklärung XI, 9 , 3 1 , 6 4 - 6 7 , 6 9 , 7 3 , 8 9 , 92,94f., 104f„ 107f„ 111, 113-116,123f„ 128, 135 Ausdifferenzierung 38 Ausnahmezustand, eschatologischer 70 Babylonier 21 Barbarei 55,62,70,89 Basel 1,12, 17-20,29,48,50,59,84f„ 96,113, 132,149,156 „Baumeister der Zukunft" 61 Bayreuth 12 Bedürfnisse (des Lebens) 45,64 „Begriffe, grosse" 26 „Bekehrung zum Mysterium" 61 Beliebigkeit 55

Sach-, Begriffs- und

171

Ortsregister

Beschwörung 56 Beweis, historischer 8 , 9 7 , 1 0 2 , 136 Bibel (—» Altes Testament, —> Neues Testament) 23,29-43,65f., 90,99 Bildung, bilden 1 9 , 2 7 , 4 4 , 4 6 f . , 5 4 , 6 0 , 6 3 f „ 98f., 105,116,134 Bildungsbürgertum, bildungsbürgerlich 19,105 Bildungsphilister (—> Philister) 22, 100,106 Biodizee (—> Kosmodizee, —> Theodizee) 2 7 , 1 2 0 Biographie, Biographisches, biographisch 10, 12, 67 biologi(sti)sch ( - » Moφhologie) 2 3 , 5 9 , 6 8 , 106, 117 „Bleibet der Erde treu!" 63 Bonum durch Malum 65 „Brodgelehrte" (-> Gelehrte) 55 Buddhismus 6 6 , 1 3 9 „Burenspektakel" 128 „Bürgerrecht im Protestantismus" 38 Byzanz 111 captatio benevolentiae 19 Chaos 6 3 , 1 1 2 Chiliasmus 5 Chorizonten 24 common sense 37, 122,136 consensus quinquesaecularis 33 „Contubernium" (—> Freundschaft, —» „Waffengenossenschaft") 11,113 Daimonion 109 Degeneration —» Verfall demokratisch 108,138 Denken 7 9 , 1 0 6 , 1 4 0 Desillusionierung (—> Illusion) 6 4 , 9 0 „Desperado, Optimismus eines" 61 Deutschland, Deutsches Reich 2 8 , 4 5 , 84,96, 100, 127f„ 133, 138f. Dialektik, dialektisch 3 2 , 3 8 , 5 0 , 6 4 f „ 6 9 , 7 3 , 1 0 2 Dichtung, Dichter (—> Poesie) 26-29 Dike 119 Ding an sich 91 dionysisch ( - » apollinisch) 46f„ 5 9 , 6 8 , 7 0 , 7 5 - 7 7 , 79,81-83,88,117f. Distanz 40f„ 4 3 , 5 7 Dogma, Dogmatismus, dogmatisch 9, 32, 36f., 39, 80f., 8 3 , 8 5 , 8 7 f . , 103, 122 Doketismus 123 doxa 90 Drachenkampf 112f. dualistisch 45

Dunkelheitsmetaphorik (—> Lichtmetaphorik) 34, 66,89,110 „Dunstkreis, geheimnisvoller" 68f. „Editions-Metaphysik" 6f. Egoismus 106 Eifersucht 130 Eis 62f. Eitelkeit 137 Elend 55 Elitarismus (—> aristokratisch) 2 5 , 5 4 , 108 Emanzipation 2 1 , 4 1 , 1 1 1 Entelechie (—> Morphologie) 69 Entfremdung 4 3 , 6 0 Entgötterung 103 Entmythologisierung 80 „Entweltlichung durch Religion" 69 Entwicklung 3 2 , 4 2 , 4 9 , 6 8 f „ 7 3 , 1 0 2 , 1 1 8 , 1 2 8 , 135,141,143-145 Epigone, Epigonenbewusstsein 5 8 , 6 3 , 6 6 , 7 0 episteme 90 epoche —> Urteilsenthaltung Erbe (—> Tradition) 17 Erbsünde 7 8 , 8 2 Erfüllbarkeit des Gesetzes 100 Erinnerung —» Gedächtnis Erkenntnisdrang,-wille 2 3 , 4 6 , 7 8 Erkenntnisinteresse 4 f „ 1 0 , 4 8 , 5 1 , 5 3 f „ 73 Erkenntnistheorie, erkenntnistheoretisch, Grenzen der Erkenntnis 5 , 5 3 , 5 8 , 9 0 , 114-116, 120, 128f„ 135 Erlebnis, erleben 2 3 , 9 9 Erlöser, Erlösung (—> soteriologisch) 8 , 1 3 , 7 6 , 1 0 1 , 103,118 Ernst 83 Erster Weltkrieg 3 Erwartungshorizont (—» Horizont) 10 Erziehung —» Pädagogik Eschatologie, eschatologisch 9 , 4 0 , 5 2 , 5 7 , 6 0 f „ 70, 7 2 , 7 6 , 8 1 , 9 0 , 9 2 f . , 108, 113f. esoterisch, exoterisch 6 , 9 4 , 106f. Ethik, ethisch (-> Moral) 1 7 , 5 9 , 1 0 0 f „ 111, 126, 130, 149 Eule der Minerva 72 Evangelium 54 Exempel, exempla 8,76f., 99 Exil, Exilanten 8 4 , 9 6 Fakultäten, theologische 106 fälschen 58 Fälschung von Nietzsche-Briefen 14

172

Sach-, Begriffs- und Ortsregister

Familie, Familienleben 4,11,102,149 Fanatismus 146 Faschismus 117 Fatalismus 78 Feind, Feindbild, Feindschaft, feindlich 6,11,13f., 72,92,112f. fiat Veritas, pereat finis christianismi finis theologiae

vita

57

3,5,112 3

Flüchtigkeit (des Christentums) 125 Flußmetapher 62 Form, Formgeschichte, Form(un)wille 35,47,77, 93,99,110,116,148 Fortschritt, Fortschrittsideologie 22,28,32,37f., 49f., 59,101f„ 114 Fortuna (—» Schicksal) 69 Fragmentarisches 122 Frankreich 100 Freigeist, Freigeisterei 6,18f., 109,113 Freiheit 35,39^*2,98,126,136 Freisinn, theologischer (—> Theologie, liberale) 29 Freund, Freundschaft (—» „Waffengenossenschaft") lf., 6,9-15,40,85,112f., 149 Frieden 118,132 Frömmigkeit, fromm 41,81,87,122,132 Froschperspektive 115 Frühzeit, normative —» arche —» Ursprünge Funktion, Funktionalismus, funktionalistisch 54, 77,88,107 Gedächtnis 50f.,56,58,118 Gefahr, Gefährlichkeit/Unerträglichkeit (des Lebens) 45f., 54,62f., 74,76, 82 Gehorsam 110 Geist, Heiliger 77 Geistesgeschichte, Geistesgeschichtsschreibung 15 Gelehrte 26,44,62,85 Gelöbnisse (der Geistlichen) (—» Licentiateneide) 106 Gemeindeleben 4 „Gemüthlichkeit" 30 Genealogie, genealogisch 7f., 44,51,53f., 73,82, 101 Genie, genial (—» Individuum, grosses) 24-26,147, 149 Genuss 17,52, 103 Gerechtigkeit 36,42f„ 51-53,55-57,64,78,95, 119 Gericht, Gerichtsmetaphorik 15,35,48,55,57,63, 68,70f., 80,82,87,137 Germanen(tum), germanisch 100,110,112

Gesamtkunstwerk 112 Geschichtlichkeit 8 Geschichtsphilosophie, geschichtsphilosophisch 8, 49,54,60f„ 90,96,102,110,114-120,122, 127f. Geschichtstheologie, geschichtstheologisch 8,60, 114 „Gesellschaft der Hoffenden" 60 gesinnungsethisch 107 Gewalt 100, 126 Gewissen 98,109 Glessen 149 Glaube (-> Wissen) 20,24, 3 1 , 3 3 , 3 7 - 4 1 , 4 3 , 4 8 , 52,57,65,70,73,83,85-92,94-98,102,105, 107f„ 110,133, 143 „Glaubensbekenntniss" 18,28,39 „Gleichnisbild des Mythos" (76), 79 „Glorie der Activität/Passivität" 78 Gnosis, Gnostiker, gnostisch 91,94,108 Gorgo, gorgonisch (—> Aigis) 22,115,117 Gott, Gottesbegriff 8,11, 35, 81,114,119,129f„ 133,137 Götter, griechische/olympische 75f., 78f., 81f., 103, 132 „Götterbotin" 27,38 Götterdämmerung 51 „Göttin Philosophie" 55 Grab 12 Griechen, Griechentum, griechisch 6 , 9 , 1 9 - 2 9 , 5 9 , 64f„ 74—83,93,100, 109f., 112,117,119 „Grosssiegelbewahrer in Dingen Nietzsche" 14 „Halbwissen und Halbglauben" 95 Handeln 45,52,59,78,98,119,137 Harmonie, Harmonisierung 31,39f.,42f. Hass 78 Hegelianismus, Hegelianer, hegelianisch (—> Hegel) 49,58,69,91, Heiden, Heidentum, heidnisch (-» „Paganisierung") 13,71,83,93,103f„ 125, 133 Heiligung 149 „Heilkräfte, prophylaktische" 27 Heilsgeschichte 9, 113, 117 Heilsmittel, kirchliche 90 Heimat, Heimatgefühl 4,96,113 „Heiterkeit" 82 Hellenen, hellenisch —> Griechen Hellenismus, hellenistisch (-* Alexandriner) 8, 81 Herkommen —» Tradition „Heroismus der Schwäche" 46 Himmelreich 17

Sach-, Begriffs- und

173

Ortsregister

historia magistra vitae 103, 115 historia rerum gestarum 5 3 , 5 5 , 1 1 4 , 120 Historie, antiquarische 8, 15, 3 3 , 4 1 , 4 8 , 5 0 f „ 57, 63,117 Historie, divinatorische 60 Historie, kritische 4 , 9 , 1 5 , 3 3 , 3 5 , 4 0 f „ 4 8 , 5 0 - 5 2 , 55-57,62f., 7 1 , 8 4 , 1 1 "7f. Historie, monumentalische 1 5 , 2 5 , 4 8 , 5 0 f . , 5 7 , 6 3 , 7 7 , 8 4 , 117 Historie, poetische 4 7 , 5 4 , 5 8 - 6 0 , 6 3 , 6 8 , 1 1 4 , 1 1 8 Historisierung 9 , 1 0 9 Historische Schule 2 3 , 3 2 , 6 7 Historismus, Historist, historistisch 4 2 , 4 6 , 4 8 , 5 6 , 5 8 , 6 4 , 114 Höhle 62, 108 homo religiosus 9 8 , 1 3 2 Horizont, Horizontbeschränkung, -Setzung X I , 4 5 , 4 7 , 7 9 , 8 2 , 109,112f„ 116,118 Humanität, humanitär 3 1 , 1 0 1 , 1 1 1 Hyliker 108 „hyperhistorisch" 54 Ideal 2 2 , 2 4 , 2 7 f „ 82f„ 100f„ 109, 130,134,149 Idealismus, idealistisch ( - » Hegelianismus) 4 0 , 5 4 ,

62 Idealität 23 Idealtypus, idealtypisch 2 1 , 7 5 , 9 2 Idee 1 7 , 6 6 , 1 2 4 Illusion (Notwendigkeit der) 45f., 5 9 , 6 4 , 7 2 , 7 4 , 7 6 , 7 8 , 86f„ 90f„ 94 Immoralismus 119 Imperativ, kategorischer/moralischer 17 Inder, Indien 2 1 , 8 3 „Individualdichtung" 24 Individuum, grosses 25f., 5 4 , 1 0 8 Inkarnation Gottes 8f., 30 Imitatio Christi 9 9 , 1 2 3 Innerlichkeit 9 Inspiration 36, 137 „Institut für Andacht" 19,149 Instrumentalisierung, politische 100 Interesselosigkeit, interesselos 2 2 , 5 3 Ironie 5 8 f . , 8 3 , 1 1 3 Israeliten 100 Jahwe 100 janusköpfig 115 Jena 30f.,54 Jenseits 7 1 , 8 1 Jesuiten, „Jesuitenmoral" 130f. Journalismus —» Pressewesen

Juden, J u d e n t u m j ü d i s c h 8 , 4 0 , 7 8 , 8 1 , 9 3 , 1 0 0 , 103,130 „Jugendgeschichte" 79 Jünger, Jüngerschaft 12f.,83 juridische Metaphorik —> Gericht Kaisertum 95 Kamel 112 Kampf 6 , 1 1 , 3 3 , 3 5 , 5 9 , 6 6 , 8 4 , 112,118,146 „Kampf um das Dasein" 102 Kanon, Kanonisierung, kanonisch 2 0 , 2 7 , 3 2 , 3 6 , 53,73,86,95 „Karthäusergruss" —> memento mori Katholizismus, Katholiken, katholisch 39f., 4 3 , 6 4 , 103,130f., 137-139 Kern 101 Kind 50,56f., 91, 113,119,138 Kirche, kirchlich 1 8 - 2 0 , 3 0 , 3 6 , 4 2 , 6 1 , 6 3 , 7 0 , 7 4 , 90,92f., 95,98f., 1 0 1 , 1 0 4 , 1 0 6 - 1 0 8 , 1 1 1 , 1 2 5 , 132, 137,149 Kirchengeschichte, Kirchengeschichtsschreibung 7, 27,29^43,49,73,88f., 92-105,109,111,121f. „Kirchengeschichte, profane" 10,35, 112,121 Kirchenväter (-> Patristiker) 3 3 , 3 5 f „ 8 0 , 9 4 , 9 7 , 110,132,135 Klassik, klassisch ( - » Archaik) 21 f., 2 6 , 3 3 , 8 8 Klassizismus 22 Klerus 71 „Knecht eines Gottes" 61 Kompensation, kompensatorisch 4 6 , 5 2 , 7 0 , 1 1 7 f . Komplexitätsreduktion 76, 88 Komposition, komponieren, kompositorisch 26f., 4 3 , 5 3 , 119 Konfessionalismus 130f., 137-139 Konservativismus, konservativ 2 2 , 5 0 , 108 Konstruktion (von Geschichte), Konstruktivismus, konstruktivistisch, 53f.,68f. Kontingenz, kontingent 9 , 4 2 , 5 4 , 6 5 , 6 8 , 9 6 Konzilien 3 2 , 3 9 Koordination 4 9 , 5 1 Kosmodizee (—> Biodizee, —> Theodizee) 27,75f., 119f. Krankheit, Krankheitsmetaphorik (—> Verfall) 46 „Krankheit, historische" 44f., 57 Kreuzzüge 133f. Krieg 1 3 , 1 0 0 , 1 0 5 , 1 1 3 , 1 1 8 , 1 3 2 - 1 3 4 Krise, Krisenüberwindung 3 , 2 9 , 5 8 , 6 5 , 1 1 4 Kritik, divinatorische 60 Kultur 11, 1 9 , 2 2 , 2 4 , 4 3 - 7 4 , 7 8 f „ 8 7 , 8 9 , 9 1 - 9 4 , 96,98-101,103-109,111,117,121,126,133, 139

174 Kulturkritik, kulturkritisch 8,11,22 Kulturprotestantismus, kulturprotestantisch 3,32 Kulturreform, kulturreformatorisch 11,75 Kulturstaat 75 Kultus 74 Kunst, Künstler, Kunstwerk, künstlerisch 18,20, 22-29,43,45-72,75-83,109,112,117-120, 136f. „Kunsttrieb" 53 Kynismus —> Zynismus „Leben, christliches" 62,67 Leben-Jesu-Forschung 67 „Lebensansicht", „Lebensbetrachtung" (Weltanschauung) 9 , 2 8 , 4 5 , 6 6 , 7 0 , 7 2 , 7 5 f „ 85-92, 95-99,104f„ 118,121,142,149 Lebensfeindlichkeit —» „Nachtheil für das Leben" Lebensinteresse 28,48,55,68 „Lebenskraft" 33 Lebenssteigerung 46 Lebenswille (-> Wille) 23 Legitimation, Legitimationsdruck —» Rechtfertigung Legitimität 37,39,88, 111 Leid, Leiden 2 7 , 3 8 , 4 6 , 5 1 , 5 9 , 6 2 , 7 5 f „ 83,106, 114,118,120,149 Leidenschaft 56 Leidenslinderung,-Verminderung 27,76,118 Leidensverwindung 118 „Liebessehnsucht, germanische" 23 Lesen 26,64,94,134f. Lesepublikum —» Publikum Licentiateneid (—> Gelöbnisse) 90 Lichtmetaphorik (—> Dunkelheitsmetaphorik) 66, 108 Literatur 26,64, 100, 105 Löwe 112f. „Lucubrationen" 55 „Lumpen-Jargon der noblen Jetztzeit'" 101 Lust 101 Luxus (—» Theologie) 94

„Malitätsbonisierung" 52 Mängelwesen 117 Manichäismus, manichäisch 103 Märchen 36, 145 marcionitisch (—» Marcion) 103 Martyrium, Märtyrer 101 Maskerade 64 Masse 19,25,90,134f. medizinische Metaphorik —» Krankheit —» sezieren

Sach-, Begriffs- und Ortsregister Meer 5 , 2 6 , 6 3 Melancholie 32,52,99 memento mori 70,72,98,101,120 memento vivere 70-72 „Mensch, moderner" 22f., 27f., 96,98 Metahistorie 17,46,59 Metakritik des Lebensdienlichkeitspostulats 15 Metapher 59 Metaphysik, metaphysisch 3,5,8f., 29,38,51,54, 60f., 69,75,85,90-92,97,99,106,109, 114-116,122f„ 127,139f. „Metaphysik fürs Volk" 43,91,123,140,143f. Methode, Methodik, methodisch IX, 17,23,42,44, 50,75,96 Metonymie 59 Metopsis, metoptisch 5f., 12 Mission, missionarisch 20,83,138 Mitleid, mitleidlos 101,108,118, 149 Mittelalter, mittelalterlich 33,36,70,95,123,138f. Modernitätskritik 50 Mönchtum 69,85,87,99, 101, 103 Monarchie 105 Monolog 55,122 monomythisch 76 Monumentulum amicitiae 84 Moral, moralisch (-> Ethik) 10,36, 38,41f„ 52, 54f.,82,84, U l f . , 119,130 Moralkritik 10 Morphologie, morphologisch (-» biologisch) 23, 32,68f. Mündlichkeit, mündlich 26 Musik 26f., 76,84,105,119 Musikdrama —> Oper „Muth zur Unverständlichkeit" 134 Mystik 7 , 3 4 , 7 0 , 7 6 Mythos, Mythologie, mythisch XI, 8f., 46f., 65, 74-83,85-93,103,112,115 „Mythus, deutscher" 79,81 Nachempfinden 99 Nachlass 6f., 121f. „Nachtheil der Historie für das Leben" 46,48, 57-73 Naherwartung (—» Eschatologie) 9 , 7 0 , 9 0 , 1 0 4 Nationalismus, nationalistisch 12,64,76, 100,134 Natur 60,78f., 91 Naturgesetz 84 Naturwissenschaft, naturwissenschaftlich 20f., 31, 92,97, 102 Naumburg 1 Negativismus, negativ 38, 124

Sach-, Begriffs- und Ortsregister Neoteriker 33 Neues Testament, neutestamentlich (—> Bibel) 20, 29-43,69,79f., 85,102f„ 110 Neuplatoniker 91,139 „Neuthum" 33 Nichtidentität des Gegenwärtigen mit dem Vergangenen 4 2 , 5 0 , 5 7 Nihilismus, nihilistisch 6 0 , 7 9 , 8 1 , 120, 139 Nietzscheaner 5 „Noten-Souterrain" 7 „Nothlüge", „Notwahrheit" 47 Notwendigkeit 9,132 nuances 110 „Nutzen der Historie für das Leben" 15, 38,43, 45f„ 55-57,60-73, 114 Obdach, pseudometaphysisches 8 Objektivierung, objektivierend 23,27f., 41,47f., 57,62,68,83,115,117f. Objektivität 48f., 53,58, 120 Offenbarung, Offenbarungsglaube 9 , 3 0 Oper 5 8 , 7 5 , 8 3 Opfer, Opferung 98f. Optimismus, optimistisch 3 2 , 3 8 , 4 6 , 6 1 , 7 1 f . , 92, 106,139 Orakel 3 3 , 6 1 , 1 3 2 Oralität —» Mündlichkeit Orientierung, Orientierungswissen 5 , 1 9 , 2 8 f . , 3 4 , 4 3 , 6 3 , 9 0 , 9 2 , 1 0 4 f „ 135 Orphik 91 Orthodoxie, protestantische (—» Theologie, apologetische) 3 6 , 3 8 , 6 6 , 7 4 Pädagogik, pädagogisch 21f., 2 4 , 7 9 , 1 0 7 „Paganisierung des Christenthums" 103 paideia (—> Bildung) 47 pantheistisch 45 Papsttum 95 paradis artificiels 85 „Parasiten wesen der Theologie" 61 Parusieerwartung —> Naherwartung Passivität 78 Pathodizee (—» Biodizee, —» Kosmodizee, —»Theodizee) 27 Pathologisierung (—» Psychopathologie) lOf. Patristiker (—» Kirchenväter) 2 Paulinismus 38,102 „Persönlichkeitsfrage" 24 Perspektivismus, perspektivi(sti)sch 53 Pessimismus, pessimistisch 71,76, 83, 87, 101, 103f„ 106,110,118,139

175 „Pessimismus der Schwäche/Stärke" 82 petitio principii 60,88 Petrinismus 38,102 „Pfahlbürgertum, aristokratisches" (—» Basel) 19f. Pfarrer 19,106f. „Pfarrerideal, philanthropisches" 31 Pflicht 81, 107 Philister, philiströs 1 9 , 2 2 , 5 3 , 5 8 , 9 6 , 1 0 3 , 1 2 4 , 1 4 6 Philologie, Philologe, philologisch 17-29,39,43, 48,53,80,83,85 „Philosophie der Welt" 104 Philosophiegeschichte, philosophiehistorisch 1,15, 135 Physik 92 Physiologie, Physiologe, physiologisch 11 Pietät 2 3 , 3 3 , 6 4 , 1 2 2 pietistisch 34 pistis (—> Glaube) 90 Piatonismus, platonisch (—> Piaton) 6,90f. Pneumatiker 108 Pöbel 19 Poesie (—» Dichtung, —» Historie, poetische) 19, 136f„ 145 poiesis (—» Historie, poetische) 53 Popularisierung der Wissenschaft 6 3 , 8 9 , 9 4 , 102 Popularphilosophen 140 Positives, positiv, positivistisch 2 8 , 3 8 , 5 2 , 5 9 , 9 5 , 116,124 postmodern 116,120 Prädestination 137 Praxis, praktisch 1 5 , 2 7 , 3 8 , 4 3 , 5 4 , 6 4 , 7 2 , 8 8 , 9 5 , 9 8 , 1 0 2 , 1 0 6 f „ 136 Predigerseminare 106 preussisch 100 Pressewesen 101 „Princip, protestantisches" 39f. principium individuationis 47 Priester(amt), priesterlich 9 0 , 9 8 , 1 0 7 , 124,140 Professoren, deutsche 2 Projektion 2 3 , 6 9 , 8 2 , 9 0 Prophet, prophetisch 3 , 1 9 , 5 4 , 6 0 , 9 0 , 106, 112 Protestantenbibel 65f„ 102 Protestantenverein 65f. Protestantismus, Protestanten, protestantisch 33f., 3 8 - 4 2 , 5 1 , 6 4 , 6 9 , 7 7 , 8 0 f „ 88, 130f„ 137-139 psychoanalytisch 4 Psychologisierung, psychologisch 11,19 Psychopathologie, psychopathologisch 4,11 Psychopompos 85 Publikum 19f„ 26, 37,40 Pythagoreer 60

176 Quellenarbeit 8 Rassenlehre 78 Rationalisierungsprozess 80 Rationalismus, theologischer 31, 36f., 3 8 , 6 9 , 1 2 4 Realität 2 3 , 5 8 Rechtfertigung, Rechtfertigungsbedarf, -notstand, -zwang 2 8 , 3 2 f „ 75f„ 7 9 , 8 2 , 1 1 9 f . Redlichkeit (-> Wahrhaftigkeit) XI, 1 0 , 5 1 , 9 7 - 9 9 , 110 Reformation, Reformatoren, reformatorisch 33f., 3 6 , 4 1 , 5 5 , 6 5 , 7 5 , 8 1 , 103,133, 139 Reformverein, kirchlicher 29 Regress, infiniter 54 „Reich des Intellektes" 25 „Reich des Willens" 25 Reichsadler 84 Reichsgedanke, römischer 21 Rekonstruktion (von Geschichte) 53 „Religion Christi" 101 Religionsfeindschaft 6 2 , 1 4 4 res gestae 55,114, 117,120 Resignation 52 Ressentiment 6 8 , 7 8 Revolution, revolutionär 5 5 , 7 3 , 1 0 2 Rezeptions ästhetik 10 Rhetorik, rhetorisch 2 0 , 5 3 , 5 9 Richter —» Gericht „Ritter, Tod und Teufel" (-> Dürer) 7 7 , 1 1 3 Rollenethik 107 Romantik, romantisch 1 1 , 3 2 , 6 7 römisch, Römisches Reich ( - * Reichsgedanke) 8, 87, 105, llOf. Rüstung 3 3 , 1 4 6 sacrificium intellectus 85f.,98 Sakramente 133 Säkularisation(stheorie), säkularisiert XI, 5 , 4 2 , 6 3 , 72, 103f„ 120, 137 Salz der Erde, Gleichnis vom 124f. (134) „Satan der Religion" (—> Theologie) 67 satisfactio vicaria 82 Saturiertheit, saturiert 96 Sauerteig, Gleichnis vom 9 9 , 1 3 2 Schale 101 „Schein, schöner" 45f., 77 Scheitern 3 5 , 3 9 , 1 0 7 , 1 0 9 Schicksal ( - » Fortuna) 132 Scholastik 90 Schöpfung, Schöpfungsglaube 103 Schriftsteller, Schriftstellerei 1 , 9 4 , 1 3 4 f .

Sach-, Begriffs- und

Ortsregister

Schuld ( - » Gericht) 68,79f. Schwebe 5 „Schweigen, behutsames und feindseliges" (63), 74 Seelsorge(r) 98 Sein 79 Sein-Sollen 69 Selbsterhaltung(sinstinkt) 6 2 , 1 2 5 Selbsterkenntnis 98f. Selbstinquisition 72 Selbstmord 79f.,97 „Selbst-Verhöhnung" 98 „Semiten", „semitisch" 78 „Sentimentalismus" 31 sezieren 6 7 f . , 7 2 , 1 0 8 silentium obsequiosum 62 Sinn, Sinnstiftungs(kompetenz), Sinnlosigkeit 5, 23f. 2 8 , 3 8 f „ 4 1 , 5 4 , 6 0 , 6 5 , 8 0 , 1 1 4 - 1 2 0 Sinn von Geschichte 114-120 „Sinn, historischer" 44 Skepsis, Skeptiker, skeptisch 1 1 , 4 6 , 5 7 , 6 1 , 6 3 , 7 1 , 78f., 8 3 , 9 8 , 1 1 0 , 1 3 5 f . , 140 Sklave, Sklaverei 82, 101, 11 Of. Sklavenmoral 82,111 Sokratik, Sokratismus, sokratisch 12,72,75f., 79f., 109 Sophisten 146 Soterologie, soteriologisch (—> Erlösung) 9 , 6 1 Spätantike, spätantik 9 0 , 9 3 , 9 5 , 1 0 3 Sphinx 78 spielen 113,119 Spiritualismus 7 Sprache, sprachlich (—> rhetorisch) 2 1 , 5 8 , 1 0 1 , 116,148 Staat 5 2 , 7 1 , 8 7 , 9 5 , 9 9 - 1 0 2 , 1 0 5 f . , 108,111,133, 147f. Starker ( - » aristokratisch) 5 2 , 5 9 „Staubschlucken ex professo" (—> Philologie) 22 „Stadtsagen, homerische" 25 Sterben des Mythos 79f., 87 Student, historischer IX Subjekt, Subjektlosigkeit 53f„ 57 Sublimation 118 Subordination 4 9 , 5 1 Suizid —» Selbstmord Sünde, Sündenfall 7 8 , 9 5 , 9 9 , 1 3 3 Syllogismus 85 Symbol 5 8 f . , 6 2 f . , 8 0 Synekdoche 59 Synopse 6 System, Systembildung 5 5 , 1 3 5 f „ 139,142

Sach-, Begriffs- und Ortsregister Teleologie, teleologisch 1 7 , 3 2 , 5 5 , 5 8 f „ 69,72, 114,116,119 Templer 133f. Textimmanenz, textimmanentes Verfahren 10 Theodizee (—> Biodizee, —> Kosmodizee, —> Pathodizee) 2 7 , 5 2 , 5 5 , 6 5 , 7 5 , 8 2 , 1 1 8 , 1 2 0 Theologie, Theologe, theologisch XI, 4, 7-9, 17, 2 0 , 2 8 - 4 3 , 6 0 f „ 65,67f., 70-72,74f., 81,83, 85-111,114-116,121,129,131,139,146 Theologie, apologetische 85, 87,94-102 Theologie, dialektische 4 „Theologie, heutige" 7 0 , 7 6 , 8 3 Theologie, kritische 65,67f., 92,94, 104-108, 112 Theologie, liberale 6 5 - 6 7 , 7 0 , 8 7 , 9 6 , 9 8 , lOlf. Theologie, moderne 8 , 7 1 , 7 6 , 9 2 , 1 1 2 , 1 2 3 , 126-128, 137-140,146f. „Theologie, verschimmeltste" 128 Theologiekritik 4, 83-108 theologus liberalis vulgaris 66 Theorie 98 Thron und Altar 100 Tier 50,59 Todesprinzip 97-99 Todesweisheit 70 Toleranz 40 „Tondichterin dieser unsterblichen Musik" (—» Philologie) 27 Töten 133f. Tradition 9f„ 25f„ 3 3 , 5 6 , 7 8 , 8 6 , 1 4 6 Tragik, Tragödie, tragisch 6 , 2 2 , 2 7 , 4 4 , 5 4 , 5 8 , 6 5 , 71,75-83,109f., 112,119f. Trauerarbeit 4 Traum 79,146 Treibhausbedingungen 108 Triebverzicht 46 „Trost, metaphysischer" 82 Trostlosigkeit 98 Tübinger Schule (—> Baur, Ferdinand Christian) 32, 37 „Tugend, hypertrophische" 45 „Typus der gefährlichen Schwestern" (—> FörsterNietzsche, Elisabeth) 15 „Typus eines dionysisch-erregten Schulmeisters" (-> Wagner, Richard) 12 Überhistorisches 4 4 , 4 6 f „ 5 4 , 5 7 f „ 62 Überlieferung —» Tradition Übermensch 149 Unbewusstsein 58 Unchristlichkeit 87, 111 Unerträglichkeit des Lebens —> Gefahr

177 Ungeheuer 112f. Ungehorsam 110 Ungerechtigkeit 56, 84, 140 Unglaube 3 , 6 6 , 8 5 , 1 1 0 Unhistorisches, unhistorisch 44,46f., 58,61f., 96f. unite de doctrine 14 UnVergänglichkeit des Christentums 124f. „Universalgeschichte" —> Weltgeschichte Universalismus, sittlicher 40 Unmittelbarkeit 41 Unparteilichkeit 48 Unrecht (-> Gericht) 33,68, 80 „Unseligkeit der Welt" 100 Urchristentum, urchristlich 6 9 , 7 5 f „ 87,93, 103 Urgeschichte 88,109 „Urleiden" (—» Leid) 62, 118 Ursprünge (normative) (—> arche) 2 1 , 2 7 , 3 4 - 4 3 , 48, 81,88f., 9 2 , 9 6 , 1 0 9 , 1 3 8 Urteilsenthaltung 62f. Urzeit 39,88 Utopie 60,109 Vater, Vaterbild, Vatergott 11 vaticinium ex eventu 61 1. Vatikanisches Konzil, 39 Veitstänze 70 Verbrechen (-> Gericht) 5 6 , 8 0 , 8 2 „verdauen" 48 Verdrängung 117 Verehrung, „Verehrungslust" 23f., 33 Verfall, Verfallssymptom 9 , 3 2 , 6 4 , 6 8 f . , 71,75, 80-83, 87f„ 93, 101-103, 146f. Verfügungsgewalt,-wissen 43,120 Vergegenständlichung —» Objektivierung Vergessen 2 7 , 5 0 , 5 7 , 1 1 8 Verhängnis (—» Fortuna) 132 „Verknechtung" 98 Verleger 66 Vernunft, Vernünftigkeit 3 7 , 4 5 , 5 2 , 6 6 , 7 4 , 9 4 , 107f„ 114 Vemunftreligion 140 vernunftwidrig 9 , 6 4 , 6 8 Verweltlichung (-» Verfall) 74, 87 „Verzauberung" 23 Verzicht ( - * Askese) 52 Verzweiflung 58,97 „Virtuose, historischer" 4 8 , 5 1 , 5 4 vivere pericolosamente 117 Vogelperspektive 115 Völkerpsychologie 78 „Volksdichtung" 24

178 „Volksseele" 24f. Volkstum, Volkstümlichkeit 138f. Vornehmer —» Starker Vorrede, Vorwort 1,122,148f. Vorsehung 81 Vorsokratiker, vorsokratisch (—> Archaik) 21,75 Wachstum (—> Morphologie) 68 „Waffengenossenschaft", Waffengenossen, waffenbrüderlich (-> Freundschaft) 6 , 9 - 1 5 , 17,20,96, 109,112-114 Wahrhaftigkeit (-> Redlichkeit) 1 7 , 5 0 , 5 2 , 6 4 Wahrheit IX, 8 , 3 3 , 5 2 f „ 5 5 , 5 8 f „ 65f., 7 4 , 7 9 , 8 9 , 93,108,128,145f. Wahrheit, doppelte 108 Wasser, Gewässer 62f., 94 Weimar 1 Weimarer Nietzsche-Archiv 1,46,156 Weisheit IX,77f.,91 Weltall 5 Weltanschauung —> „Lebensansicht" Weltbildung 105 „Welt-Drachen" 112f. Weltende 7 0 , 9 2 Weltentsagung —» Askese Welteroberung 125f. Weltflucht Μ Askese) 92,99 „Weltgericht" (-> Gericht) 51 f., 70 Weltgeschichte 45,51 f., 54f„ 117,119 Weltherrschaft 61 Weltorientierung (-» Orientierung) XI, 3 9 , 7 6 , 9 3 Weltprozess 58 Weltverklärung, poetische 64 Weltvemeinung 6 9 , 7 6 , 8 3 , 1 0 1 , 1 0 3 , 1 0 6 , 1 0 8 ,

Sach-, Begriffs- und Ortsregister 125f. Werte (-> Ethik, Moral) 11, 1 7 , 4 7 , 6 2 , 8 8 , 1 0 9 , 112f. Wert(urteils)freiheit 17,22,78 „Wesen des Christentums" 3 4 , 4 0 , 4 2 , 4 8 , 6 7 , 1 2 5 , 127,138 Wettkampf 25,119 Widerstand 59 „Wiedergeburt des deutschen Mythus" 79 „Wiederkunft, ewige" 60f., 81 Wiederverzauberung 47,112 Wille 1 7 , 2 5 , 4 6 , 5 4 , 6 9 , 7 6 , 9 1 Wille, göttlicher 17 Wirklichkeit Realität Wissen (-» Glaube) 3 1 , 3 9 - 4 1 , 4 3 , 6 5 , 7 3 , 8 5 - 9 2 , 94f„ 98, 102, 107-109 Wissenschaft, wissenschaftlich XI, 9 , 1 5 , 1 7 - 4 3 , 48f„ 6 1 - 6 5 , 6 7 f „ 7 0 - 7 4 , 7 6 , 7 9 , 82f„ 85-108, 111,114,116,120,122,124,128-130,135,137, 140,146 Wortweisheit 135 Wunder 37f„ 79f„ 83, 85f. Wüste 3 , 1 2 Zeit, Zeittheorie 56 Zeitlichkeit 42 Zeitung 100 Zuhörerschaft —> Publikum „Zukunft des Protestantismus" 33 Zungenreden 70 „Zwei-Väterwerk" 12,17,112f. Zwillinge 112f. „Zwitterwesen" (—» Theologie) 43 Zynismus 5 8 , 6 2 , 1 0 8

Personenregister

Abt, Wilhelm 149 Adam 82 Adickes, Erich 146 Aischylos 5 1 , 7 5 , 7 7 f . Allgermissen, Konrad 81 Allwohn, Adolf 74 Andler, Charles 2 , 1 4 , 1 7 Andreas-Salome, Lou 19 Aner, Karl 107 Angehrn, Emil 112 Anglet, Kurt 56 Apollon (—» apollinisch) 72 Aristoteles 24, 139 Arnold, Gottfried 7 , 3 4 Assmann, Aleida 103 Assmann, Jan 103 Athanasius 94 Augustin, Hermann —» Randa, Hermann Augustinus, Aurelius 1 3 , 5 6 , 7 8 , 9 1 , 9 4 , 1 0 5 , 130 Bachofen, Johann Jakob 50 Balkenohl, Manfred 11 Barth, Karl 3 f . , 3 2 , 6 1 , 6 7 Bauer, Walter 103 Baumann, Julius 130,146 Baur, Ferdinand Christian (—> Tübinger Schule) 32. 37f.,42, 101f„ 122, 124 Beierwaltes, Werner 51 Benjamin, Walter 2 Bennigsen, Rudolf von 130 Benz, Ernst 7f.,81 Berg, Leo 2 Berlinger, Rudolph 51 Bernhard von Clairvaux 4 4 , 1 3 3 Bernoulli, Carl Albrecht 1 - 6 , 14f„ 3 1 , 4 2 , 4 6 , 4 8 , 6 3 , 6 5 , 9 3 , 121,156 Bernoulli, Eva 2 Bertram, Emst 5 , 7 7

Bismarck, Otto von 2 8 , 4 8 , 1 4 7 Blaser, Klaus Peter 42 Blumenberg, Hans 70 Bohrer, Karl Heinz 75 Bonhoeffer, Dietrich 90 Borcherdt, Η. H. 77 Borchmeyer, Dieter 43 Bornemann, Wilhelm 4 Borsche, Tilman 22 Brändle, Rudolf XII, 3 1 , 3 4 , 4 0 , 6 0 Brockie, Marianus 134 Brose, Karl 6 0 , 7 0 Bueb, Bernhard 52 Burckhardt, C. Α. H. 145 Burckhardt, Jacob 7 , 4 5 , 4 9 f „ 6 0 , 6 3 f „ 81 Buri, Fritz XII, 81 Buri-Richard, Elsa XII Buske, Thomas 42 Calvin, Johannes 36 Campbell, T. Moody 44 Camus, Albert 17 Cancik, Hubert XII, 1 8 , 2 1 f . , 7 1 , 7 5 , 1 0 4 Cancik-Lindemaier, Hildegard 7 1 , 7 5 , 104 Clemens Alexandrinus 3 5 , 7 7 , 9 1 , 9 3 f . Colli, Giorgio 8 Conrad, Michael Georg 14 Crescenzi,Luca 132 Dante Alighieri 85 Danto, ArthurC. 56 Darwin, Charles 5 9 , 9 5 , 1 4 6 Deleuze, Gilles 13 Denifle, Heinrich 126 Deschner, Karlheinz 5 De Wette, Martin Wilhelm Leberecht 37 Diederichs, Ulf lf. Dionysos (—» dionysisch) 7 2 , 8 1 - 8 3 Dürer, Albrecht 77

180 Eberlein, Hermann-Peter 35,39,89 Eberlin von Günzburg 133 Ebers, Georg 30 Eckhart, Meister 34 Egel, Thomas XII Emerson, Ralph Waldo 29,78 Emmelius, Johann-Christoph 32,57,72 Empedokles 71 Engelhardt, Moritz von 49 Erasmus von Rotterdam, Desiderius 5 Ernst, Joachim 71 Euripides 75,79,82 Eusebius von Caesarea 132,148 Fabricius, G. 29 Faessler, Frank XI Fenner, Dagmar XI Feuerbach, Ludwig 82 Figl, Johann 23,99 Finze, Holger 3 Fleischer, Margot 51 Foucault, Michel 53,57 Förster-Nietzsche, Elisabeth lf., 14f., 156 Frauenstädt, Julius 69,123 Freud, Sigmund 4,46 Frey, Johann Ludwig 30 Fuchs, Carl 65,74 Gabbani, Sonja 71 Gabler, Ulrich XII Gaede, Udo 54 Gast, Peter (Heinrich Köselitz) 2 Gerratana, Federico 22 Gersdorff, Carl von 49,60,84 Geyer, Carl-Friedrich 92 Gibbon, Edward 93,111 Gieseler, Johann Karl Ludwig 124 Gildemeister, Otto 130f. Gilman, Sander L . 149 Goedert, Georges 75 Goethe, Johann Wolfgang von 23,35,54,77,145, 147 Goldstein, Julius 123f„ 128 Gossman, Lionel 50 Graf, Friedrich Wilhelm 88 Grillparzer, Franz 54,74,129 Grimm, Eduard 97 Groddeck, Wolfram XII, 6 Grün, Karl 139 Grynaeus, Johannes 30 Gwinner, Wilhelm von 123

Personenregister Habermas, Jürgen 48,56 Haeckel, Ernst 130,146 Hagenbach, Karl Rudolf 30 Hamlet 59 Harnack, Adolf (von) 40,42,48,61,67,123,125, 127,138,146 Hartmann, Eduard von 21,52,58 Hartmann, Margot Xlf. Hartwich, Wolf-Daniel 78 Häuptner, Gerhard 45,57 Hausdorff, Felix —> Mongre, Paul Havenstein, Martin 109f. Heftrich, Eckhard 11 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (-» Hegelianismus) 18,21,28,32, 3 8 , 4 0 , 4 2 , 4 6 , 4 9 , 5 2 , 5 4 , 66,72,102,114,120 Heidegger, Martin 6 , 5 0 , 6 3 , 8 2 , 9 0 , 1 1 9 Heine, Heinrich 2,119 Helm, Robert M. 75 Henry, Martin 4,35,77 Heraklit 56,62, 119 Herder, Johann Gottfried 117 Hesiod 25,112,119 Hieronymus 13, 36,94 Hilgenfeld, Adolf 30 Hillebrand, Karl 45,63 Hippolytos von Rom 31 Hirsch, Emanuel 81 Hoffmann, David Marc 2,14 Hofmann, Johann Christian Konrad von 127 Hofmiller, Josef 2 Hohlfeld, Paul 146 Holste, Lukas (Holstenius) 134 Holsten, Carl 66 Holtzendorff, Franz von 66 Holtzmann, Heinrich Julius 125 Holz, Detlef —» Benjamin, Walter Homer 17-29,43,53f., 68, 82,112 Hönigswald, Richard 146 Horatius Flaccus, Quintus 138 Hörler, C. 29 Horstius —> Merlo, Jakob Hume, David 124,128 Ibsen, Henrik 2 Irenaus von Lyon 35 Janssen, Johannes 81 Janz, Curt Paul 1,14,29 Jaspers, Karl 103 Jean Paul 7

181

Personenregister Jesus Christus 8f., 34f„ 42f., 67,70,72,80, 87, 99-102, 123f„ 132f„ 147 Joel, Karl 11,19 Johann (Pfarrverweser) 133 Johannes Chrysostomos 36 Johannes von Salisbury 133 Judas Ischarioth 2 Jülicher, Adolf 124f„ 145f. Justinus Martyr 49,94, 133 Kaftan, Julius 61 Kant, Immanuel 31,41,53-55,58,77,89,91, 102, 105,107f„ 117, 130 Kantzenbach, Friedrich Wilhelm 93 Kaufmann, Walter 11,47,54 Keim, Theodor 133 Kelsos 129 Kiefer, Robert 107,111 Klaus, Christian XII Koegel, Friedrich 2 Köhler, Walther 126 Köhler, Wolfgang 4 , 7 Konstantin der Grosse 125 Körner, C.G. 18,52,55 Körtner, Ulrich H.J. 90, 115 Köselitz, Heinrich —> Gast, Peter Köster, Peter 73 Kraus, Karl 73 Krümmel, Richard Frank 54 Kühr, Olaf XII Lagarde, Paul de 90,95f„ 100,104-106 Lampl, Hans Erich 5f. Landry, Harald 14 Lang, Heinrich 29 Lange, Wolfgang 75 La Rochefoucauld, Francis Due de 137 Leibniz, Gottfried Wilhelm 76, 119 Leopardi, Giacomo 50 Lichtenberg, Georg Christoph 31,50,129 Loofs, Friedrich 146 Löwith, Karl 6 , 2 8 , 5 0 , 5 6 , 6 0 , 1 1 9 Luthardt, Christoph Ernst 97 Luther, Martin 5,36,43,76f., 81, 126 Mabillon, Jean 44 Mann, Thomas 46,106, 117 Marcion 103,135 Markwart, Otto 60 Marquard, Odo 52,69 Marsyas 72

Martensen.Hans Lassen 131 Marty, Francois 77 Marx, Rudolf 49 Mauthner, Fritz 48 Meier, Eugen A. 149 Merlo, Jakob (gen. Horstius) 44 Merz, Georg 77 Meyer, Katrin 32 Michel itsch, Anton 146 Mikosch, Gunnar XII Möbius, Paul Julius 19 Mommsen, Theodor 5 Mongre, Paul (Pseudonym für Felix Hausdorff) 148 Montinari, Mazzino 1 Mosheim, Johann Lorenz von 32 Müller, Friedrich von 145 Müller, Rudolf Wolfgang 71 Nabrings, Arie 74 Naumann, Gustav 2 Neander, August 124,133 Nichtweiss, Barbara 8 Nietzsche-Oehler, Franziska 1,11,14 Nigg, Walter 4,31,97, lOOf. Ödipus 77f, Oehler, Richard 60 O'Flaherty, James C. 75 Origenes 36,77,93,102,129 Otto, Walter F. 27 Ottmann, Henning XI, 56,65,72,77 Overbeck, Ida, geb. Rothpietz 1,14,45,84,156 Parmenides 62 Pascal, Blaise 97-99 Paulus (—> Paulinismus) 36,102f. Perikles 75 Pestalozzi, Karl XII, 60 Peter, Nikiaus XI, 1 , 3 0 , 3 2 , 4 1 , 6 2 , 6 6 , 7 4 , 7 6 , 8 4 , 86f.,91,100 Peters, H. F. 2 Peterson, Erik 8 Petrus (—» Petrinismus) 36 Peyrefitte, Roger 116 Pfeiffer, Amold 34,52,81,93, 107,139 Pfeiffer, Ernst 19 Pfeiffer, Thomas 19 Philo Alexandrinus 93 Picht, Georg 7 Pieper, Annemarie XI, 12 Piaton (-* Piatonismus) 6,47,77

182 Plutarch 33,105 Podach, Erich F. 1,11 Porphyrios 132 Prometheus 51,77f. Promies, Wolfgang 50 Proudhon, Pierre-Joseph 139 Randa, Hermann (Pseudonym für Hermann Augustin) 85 Ranke, Leopold von 42,54f., 116 Rasch, Wolfdietrich 60 Ratschow, Carl Heinz 32 Ratzenhofer, Gustav 146 Ree, Paul 135 Reibnitz, Barbara von XII, 14,75-78,121 Reichelt, Helmut 52 Reichenbach, Ingeborg 149 Renan, Ernest 67,69 Rexroth, Tillman 2 Ricken, Friedo 77 Riggenbach, Bernhard 133 Ritsehl, Albrecht 32,127 Ritsehl, Friedrich 20 Ritsehl, Otto 127 Rohde, Erwin 1 lf., 60,84,110 Romundt, Heinrich 60, 84 Rosenbrock, Gerd 32 Röttges, Heinz 64 Rudolph, Enno 7 Runze,Geo 9 Salaquarda, Jörg 6, 11,43f„ 52,58,81 Salin, Edgar 63 Salome, Lou —» Andreas-Salome, Lou Savonarola, Hieronymus 71 Schadewaldt, Wolfgang 27 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 74, 124 Schiller, Friedrich von 18,23,52,54f„ 103 Schindler, Hans 3 Schlechta, Karl 6 , 1 1 , 1 4 , 5 0 , 6 4 Schlegel, Friedrich 60 Schleiermacher, Friedrich Ernst Daniel 32,37f., 66, 88,124 Schlottmann, Konstantin 133 Schmidt, Heinrich 146 Schmidt, Paul Wilhelm 66,92,125f. Schnädelbach, Herbert 32,46,54 Scholz, Heinrich 38 Schopenhauer, Arthur 21,25, 31,39,43,46,48-50, 5 4 , 5 6 , 6 1 , 6 9 , 7 1 f „ 76f„ 81,83f„ 91f„ 103-106, 118, 122f„ 136,139-145,147

Personenregister Schräder, Wiebke 51 Schreinert, Kurt 7 Schröter, Hartmut 18,48 Schütz, Martin R. XII Seitter, Walter 53 Sellner, Timothy F. 75 Semler, Johann Salomo 32,77,107 Seneca, Lucius Annaeus 50 Siebeck, Hermann 19,59,149 Siegfried 112 Simmel, Georg 48 Simon, Josef 65 Sitzler, Kim XI Skirl, Miguel D. XI, 77 Sokrates (-» Sokratismus) 11,51,82,93 Sommer, Wemer Α. XII Sophie Grossherzogin von Sachsen 35,77 Sophokles 75,77f. Spencer, Herbert 59 Spiro, Mario 29 Staehelin, Ernst 30 Staehelin, Felix 59, 149 Stähelin-Stockmeyer, Rudolf 30 Stählin, Adolf 49 Stauffacher, Mathias 31 Stauffacher-Schaub, Marianne XII Stegemann, Ekkehard W. XII, 31,40,60 Steiner, Rudolf 2, 146 Steinmann, Martin XII Sterchi, Bernhard XII Sternberger, Dolf 97 Stingelin, Martin XII, 50,53, Strauss, David Friedrich 9, 17,60,74, 80f„ 83, 87, 96,105-107,112 Strecker, Georg 103 Strecker, Karl 14 Sybel, Heinrich von 49 Tacitus, Publius Cornelius 105 Talayrach,J. 63 Tapia, Coya XII Taubes, Jacob 31,103 Taver, Katja V. XI Tertullianus, Septimius Florens Quintus 35,135 Tetz, Martin XII, 49,93f„ 99,110 Thomas a Kempis 99 Tillich, Paul 92 Treitschke, Heinrich von 29,31,84f„ 91,96 Uechtritz, Fr. von 136f. Uhlhorn, Gerhard 125

Personenregister Venturelli, Aldo 22 Vergeer, Charles 56 Verrecchia, Anacaleto 2,11, Vischer, Eberhard 3 , 2 9 , 3 1 Volkelt, Johannes 9 1 , 1 2 8 , 1 4 0 - 1 4 5 , 1 4 7 Voltaire 6 5 , 1 1 6 , 1 2 8 Vosse, Wilhelm 71 Wagner, Cosima 43f. Wagner, Richard 12f„ 43f„ 5 8 , 6 6 , 7 4 , 7 7 , 8 4 , 110, 112 Weber, Jörg 5 Weber, Max 42 Websky, Julius 97 Wehrli, Rudolf 4 White, Hayden 17,59 Widmer, Benno Β. XII Wilson, John Elbert 6 , 9 , 8 5 Winter, Aloysius 77 Wittgenstein, Ludwig 74 Wolf, Friedrich August 24 Wolff, Gustav 132

183 Zarathustra 13, 112f.,139 Zarncke, Friedrich 67 Zeller, Eduard 124,135f. Zeus (—» Götter, griechische) 77 Zweig, Stefan 11

Bibelstellen Hiob 17,12:34 Psalm 22,10f: 132 Matthäus 5,13: 124 Matthäus 9,17:26 Matthäus 10,9: 123 Matthäus 19,12: 102 Johannes (Evangelium): 136f. Römer 1,16: 100 Römer 4,17-25: 61 Galater 2,1 Iff.: 36 Offenbarung 12,3-9: 112f.