Der Fürst: Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte 9783412324957, 3412119962, 9783412119966


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Der Fürst: Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte
 9783412324957, 3412119962, 9783412119966

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DER FÜRST

DER FÜRST Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte

Herausgegeben von WOLFGANG WEBER

§ 1998 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Der F ü r s t : Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte / hrsg. von Wolfgang Weber. Köln; Weimar; Wien: Böhlau, 1998 ISBN 3-412-11996-2

© 1998 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Alle Rechte vorbehalten Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem, säurefreiem Papier Druck und Bindearbeiten: MVR-Druck, Brühl Printed in Germany ISBN 3-412-11996-2

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

VI

Wolfgang E.J. Weber

Einleitung

Wolfgang Kuhoff

Antike Grundlagen Der römische Princeps

27

Der Fürst. Mittelalterliche Wirklichkeiten und Ideen ....

67

Dynastiesicherung und Staatsbildung Die Entfaltung des frühmodernen Fürstenstaates

91

Dieter Mertens

Wolfgang E.J. Weber

1

Harm Klueting

Der aufgeklärte Fürst

137

Günther Kronenbitter

Haus ohne Macht? Erzherzog Franz Ferdinand (1863 - 1914) und die Krise der Habsburgermonarchie

169

Ein moderner Fürst König Juan Carlos I. von Spanien

209

Walther L. Bernecker

Autorenverzeichnis

246

Vorwort

Der vorliegende Band hat eine lange, komplizierte Vorgeschichte. Daß er nunmehr erscheinen kann, ist entscheidend durch die Geduld meiner Mitautoren möglich geworden. Ich möchte es daher nicht versäumen, ihnen an dieser Stelle meinen tiefempfundenen Dank auszusprechen. Herausgeber und Autoren kann freilich trösten, daß das von ihnen behandelte Thema keineswegs an Aktualität verloren, sondern im Gegenteil unverkennbar an Bedeutung gewonnen hat. Seit Beginn der Planung des Buches sind zahlreiche selbständige und unselbständige einschlägige Darstellungen erschienen. Sowohl in der Sozialgeschichte und der Kulturgeschichte als auch in der politischen Geschichte, bei der Erforschung des europäischen Staates, hat sich ein neues Interesse an Fürsten und Dynastien entwickelt. Es bleibt zu hoffen, daß unser Band diesem Interesse entspricht und die gemeinsame Diskussion voranzutreiben imstande sein wird. Für unschätzbare praktische Unterstützung sei auch meiner ehemaligen Mitarbeiterin Frau Dr. Gabriele von Trauchburg, Frau Heike Veh, der unermüdlichen Chefin des Sekretariats des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg, sowie Frau Helga Hilmes, Lehrstuhlsekretärin in Freiburg i.Br., herzlichst gedankt.

Stadtbergen, im Frühjahr 1998

W. E. J. W.

WOLFGANG Ε. J. WEBER Einleitung

1. Wer sich gegenwärtig fachwissenschaftlich mit der Geschichte von Fürsten und fürstlichen Dynastien befaßt, kann kaum auf spontanen Applaus hoffen. Dieser Distanz oder gar Ablehnung liegen verschiedene inhaltliche, historiographiegeschichtliche und wissenschaftstheoretische Faktoren zugrunde.

Die folgenden Gedanken werden vornehmlich aus der Perspektive desjenigen historischen Teilfachs erwogen, für welches Verf. eigentliche Kompetenz beanspruchen kann, nämlich die Frühneuzeitforschung. - Zu den wenigen Neuzeithistorikern, die das Fehlen systematischer Erforschung der europäischen Dynastien mehr oder weniger ausdrücklich als Defizit beklagen, zählen in Deutschland hauptsächlich Johannes Kunisch (vgl. die einschlägigen, verstreuten Bemerkungen in ders.: Das Mirakel des Hauses Brandenburg. Studien zum Verhältnis von Kabinettspolitik und Kriegführung im Zeitalter des Siebenjährigen Krieges, München-Wien 1978; ders.: Staatsverfassung und Mächtepolitik. Zur Genese von Staatenkonflikten im Zeitalter des Absolutismus, Berlin 1979; ders. (Hg.): Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates, Berlin 1982, Einleitung S. IX-XV, und jetzt ders.: Fürst, Gesellschaft, Krieg. Studien zur bellizistischen Disposition des absoluten Fürstenstaates, Köln et al. 1992), die Autoren des Sammelbandes: Das Haus Wittelsbach und die europäischen Dynastien, München 1981 (= Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 44/1), Heinz Duchhardt (vgl. Editor's Preface, in: Majestas 1 (1993), 1-2), sowie von den außerdeutschen Historikern ζ. B. Herbert H. Rowen: The King's State. Proprietary Dynasticism in Early Modern France, New Brunswick/NJ 1980, der das Ausblenden der Dynastien aus dem Untersuchungsbereich moderner historischer Forschung S. 1 klar als eine "anomaly" der Geschichtswissenschaft bezeichnet. Richard Bonney (The European Dynastie States 1494-1660, Oxford et al. 1991) verzichtet hingegen weitgehend auf theoretisch-methodische Erwägungen, vgl. die knappe Feststellung im Vorwort S. IX: "The sense of dynasty was of enormous importance everywhere". Eine systematische Thematisierung der Dynastieproblematik läßt sich jetzt auch Ronald G. Asch, Heinz Duchardt (Hg.): Der Absolutismus - ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550-1700), Köln 1996 ( - Münstersche Historische Forschungen Bd. 9) entgehen. Zu erwähnen ist schließlich die Anerkennung der historischen Bedeutung von Fürsten und Dynastien in der marxistischen Neuzeithistoriographie der D D R kurz vor deren Ende, vgl. Günter Vogler: Europäische Herrscher. Ihre Rolle bei der Gestaltung von Gesellschaft und Politik vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Köln-Wien 1989. - Deutlich weniger Berührungsängste scheint die deutsche und außerdeutsche Mediävistik zu haben, vgl. die mittlerweile im 6. Jahrgang vorliegende, zu einem sachlich, zeitlich und räumlich umfassenden internationalen Publikationsorgan herangewachsene Zeitschrift: Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, hg. von der Arbeitsstelle Kiel unter der Leitung von Werner Paravicini.

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Wolfgang Ε . J . Weber

Erstens zieht seit dem Durchbruch der Sozialgeschichte in den 1970er Jahren und erst recht seit dem Aufkommen der sozialanthropologisch-kulturgeschichtlichen New History am Ende der 1980er Jahre die Geschichte der 'kleinen Leute' höchste Aufmerksamkeit auf sich, muß eine Beschäftigung mit den 'großen Leuten' daher als hoffnungslos veraltet oder bewußt provokativ erscheinen. Zweitens indiziert die historische Erforschung von Fürsten und Dynastien in der Perspektive der jüngeren Geschichtswissenschaft offenbar ein Festhalten an überholten Erkenntnisinteressen und Untersuchungsmethoden. Kein geringerer als der renommierte Berliner Frühneuzeithistoriker Heinz Schilling hat diesen Eindruck 1989 so formuliert: "Historie von 'Kaisern, Päpsten und Sultanen'" sei "nicht der Königsweg moderner Geschichtswissenschaft", sondern markiere eher eine "Flucht in den Hafen des Neopositivismus" mit dem Ziel, der "strapaziösen Auseinandersetzung mit komplizierten theoretischen Entwürfen der sozialwissenschaftlichen Nachbarfächer" zu entgehen und sich wieder gegenwartsabschichtender "Haupt- und Staatsaktionsgeschichte" hinzugeben statt "historische Entwicklungslinien herauszuarbeiten", um im Interesse kritischer historischer Aufklärung "vergangene Gegenwart zu erschließen".3 Diese Argumentation läßt ein drittes, einer erneuerten Fürsten- und Dynastiegeschichte grundsätzlich hinderliches Moment durchscheinen: die Fremdartigkeit und Distanz, welche die fürstliche Welt für eine Geschichtswissenschaft ausstrahlen muß, die ihre wesentlichen Grundlagen dem 'bürgerlichen' 19. Jahrhundert verdankt und - bewußt oder unbewußt, direkt oder weniger direkt, kritisch oder unkritisch - als eigentli-

Vgl. etwa Jim Sharpe: History from Below, in: Peter Burke (Hg.): New Perspectives on Historical Writing, Cambridge 1991, S. 24-21, oder Hubert Ch. Ehalt (Hg.): Geschichte von unten. Fragestellungen, Methoden und Projekte einer Geschichte des Alltags, WienKöln 1984. In den aktuellen Beiträgen zur allgemeinen theoretisch-methodischkonzeptionellen Grundlegung der Geschichtswissenschaft kommen Adel, Fürstentum, Dynastien u.a. zumeist kaum mehr zur Sprache. Heinz Schilling: Vom Aschenbrödel zum Märchenprinzen - Geschichtswissenschaft und historisch-politische Kultur in Deutschland, in ders., Conrad Wiedemann (Hg.): Wes Geistes Wissenschaften? Zur Stellung der Geisteswissenschaften in Universität und Gesellschaft, Gießen 1989 ( - Gießener Diskurse Bd. 1), S. 3549, Zitate S. 39-40. Eine weitere Besonderheit herkömmlicher Fürstengeschichte, die Betonung des Biographischen und Repräsentativen, ist bis zu einem gewissen Grade in der Sache an- und durch die Quellen nahegelegt. Diese Untersuchungsperspektiven können jedoch nicht per se als problematisch gelten; sie bedürfen vielmehr wie jeder andere Ansatz auch zunächst (selbstkritischer Durchleuchtung, um dann mit Gewinn genutzt zu werden.

Einleitung

3

chem historischem Bewertungsmaßstab dem Konzept westlich-industriegesellschaftlicher Modernisierung anhängt.4 Im vorliegenden Zusammenhang ist es nicht möglich, alle diese Vorbehalte systematisch zu diskutieren. Mindestens folgende Bemerkungen erscheinen jedoch angebracht. Zum Ersten: Wiewohl die Befassung mit den 'kleinen Leuten' nicht nur historiographiegeschichtlich legitim, sondern konzeptionell und methodisch dringend notwendig erscheint, weil die Geschichte der 'Großen' ohne die Geschichte der 'Kleinen' letztlich gar nicht erklärbar ist, so gilt doch auch der umgekehrte Satz, daß nämlich die Historie der 'Kleinen' ohne Kenntnis der 'Großen' kaum vollständig erfaßt werden kann. Zum Zweiten: Es ist kein Umstand erkennbar, der es verhindern könnte, auch Fürsten- und Dynastiegeschichte nach modernen sozial- und anthropologisch-kulturgeschichtlichen Kriterien zu konzipieren. Und zum Dritten: Abgesehen von der eher trivialen Tatsache, daß gerade die Beschäftigung mit fremden Welten wesentlich zur Kenntnis der eigenen beizutragen in der Lage ist: Auch in der jüngsten Entwicklungsphase der Geschichtswissenschaft ist zumindest ein leitendes Erkenntnisinteresse nicht völlig verlorengegangen, welches unmittelbare Bezüge zur Fürsten- und Dynastiegeschichte aufweist. Dieses Erkenntnisinteresse ist das Interesse an der Herrschaft, sei es in Gestalt sozialer, kultureller oder psychischer Unterordnungs- und Machtverhältnisse oder in ihrer institutionalisierten Form als Staat und Verwaltung. Mit anderen Worten, es ist davon auszugehen, daß Herrschaft, die Analyse der Prozesse von Machterwerb, Machtbewahrung und Machtverlust einerseits und Ausbeutung durch Macht andererseits, nach wie vor eine Zentralthematik kritischen geschichtswissenschaftlichen Arbeitens darstellt und hinreichende historische Kontingenz besteht, um in dieser Perspektive eine Befassung auch mit der alten europäischen Herrschaftselite, den Fürsten und Dynastien, nahezulegen und zu rechtfertigen. Daß moderne Analysen dieses Problemhorizonts viel umfassender angelegt sein müssen als ihre älteren Vorläufer, daß insbesondere historisch vermittelte, variable soziokulturelle Dispositionen sowohl zur Herrschaft als auch zum Gehorsam entschiedene Berücksichtigung zu erfahren haben - das versteht sich für aktuelle, sozialwissenschaftlich-anthropologisch-kultur-geschichtlich informierte Ansätze von selbst.

Vgl. für eine stringente Rekonstruktion und Kritik der Verwendung dieses Konzepts Günther Schäfer: Modernisierung der Vergangenheit. Geschichtswissenschaft in der Industriegesellschaft, Hamburg 1990.

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Wolfgang Ε. J. Weber

2. In welcher Weise also läßt sich die historische Relevanz des in diesem Band gewählten Gegenstandes begründen? Der wichtigste institutionelle und kulturelle Faktor, der wenigstens bis ins 17. Jahrhundert das Gesicht Europas prägte, war zwar unzweifelhaft das lateinische Christentum.5 Fragt man nach der bedeutendsten politisch-sozialen Kraft und orientiert man sich dabei an der herkömmlichen Unterscheidung von Adel, Bürgertum und Bauern, so ist es aber ebenso unbezweifelbar der Adel und in diesem Rahmen der Hochadel6 gewesen, der über die längste Periode hinweg Europa entsprechende Strukturen verschaffte. Die großen und mittleren europäischen Dynastien betrieben maßgeblich jene Rivalitäten und Konflikte, welche zur Bildung der europäischen Staaten und damit der Binnengrenzen Europas führten. Ihre Konkurrenz trug darüber hinaus wesentlich zur Expansion Europas in die übrige Welt und dadurch zur Festlegung selbst der dortigen Grenzen bei. Der ökonomische Bedarf der Dynastien wuchs zeitweilig zum bestimmenden Faktor der Güterverteilung und der wirtschaftlichen Produktion heran. Uber ihre Höfe vermochten die Fürsten vielfach nicht nur die Standards der künstlerischen Produktion, sondern auch das Verhalten und die Auffassungen breiter Bevölkerungsgruppen zu prägen. In hohem Maße treffen diese Sachverhalte auf die deutsche Geschichte zu.7 Ohne monarchisch-dynastischen Bedarf wäre es im Ubergang zum Mittelalter nicht zur Aneignung der politischen Tradition des Römischen Reiches gekommen. Ohne ein Auftreten bedeutender Fürsten hätte sich zu Beginn des Hochmittelalters kein eigenständiges östliches Reichsgebilde formen können. Ohne dynastisch fundiertes Königtum/Kaisertum wäre kein Kurfürsten- und Fürstentum und keine Spätmittelalter und frühe Neuzeit bestimmende kaiserlich-fürstliche Dynamik entstanden. Fürstliches Interesse verhinderte einerseits, daß sich Kaisergeschlechter, vor allem die Habsburger, 'nationale' Legitimität aneignen konnten, und brachte andererseits bei den Fürsten Ansätze

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7

Vgl. hierzu zuletzt Wolfgang Reinhard: Die lateinische Variante der Religion und ihre Bedeutung für die politische Kultur Europas. Ein Versuch in historischer Anthropologie, in: Saeculum 43 (1992) 231-255. - Die folgenden Ausführungen verstehen sich als Zusammenfassung sowohl allgemeinerer als auch in den nachfolgenden Beiträgen vertiefter historischer Argumente. Auf genauere Nachweise wird daher verzichtet. Unter Hochadel sei hier vor allem der Fürstenadel und nicht, wie sonst in der Forschung üblich, der gräfliche Adel verstanden. Das räumt auch Heinz Schilling ein, vgl. ders., Höfe und Allianzen. Deutschland 16481763, München 1989, S. 330: "Die Rolle, die Dynastie und dynastisches Erbrecht in der alteuropäischen Staatsbildung generell spielten, war im Reich besonders ausgeprägt."

Einleitung

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'nationaler' Auskleidung ihrer jeweils eigenen Herrschaft hervor. Diese Territorien entstanden aus dynastischen Akkumulationen von Rechten, Besitzungen und Ansprüchen und waren daher jedenfalls nach Peter Moraw "primär Fürstenleistungen". Fürstlich-dynastische Vorstellungen und Interessen entschieden wesentlich über die Durchsetzung und Nichtdurchsetzung der Reformation, wiewohl die Konfessionsproblematik ihrerseits - vor allem über die mit ihr einhergehende Beschränkung der Heiratsoptionen - Fürstentum und Dynastie merklich beeinflußte. Ohne Verknüpfung mit fürstlicher Ambition, und Rivalität wäre am Ausgang des 16. Jahrhunderts und zu Beginn des 17. Jahrhunderts keiner der durch die Glaubensauseinandersetzung zugespitzten politischen Konflikte des Reiches militärisch mehr oder weniger großflächig ausgebrochen. Ohne die Fürsten und die von ihnen betriebene Staatsbildung wäre weder der Dreißigjährige Krieg noch dessen Beendigung in der Form denkbar gewesen, in welcher sie stattfanden. In der Folge, mit dem Beginn des absolutistischen Zeitalters, unterlag die Entwicklung von Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft erst recht dem fürstlich-dynastischen Faktor.9 Auf diese Weise zunehmend 'verstaatlichtes' fürstlich-dynastisches Interesse begrenzte und begünstigte daher maßgeblich auch die Aufklärung in Deutschland. Die Kraft der Fürsten und Dynastien bewirkte die Abwehr der Französi8

Peter Moraw: Bestehende, fehlende und heranwachsende Voraussetzungen des deutschen Nationalbewußtseins im späten Mittelalter, in: Joachim Ehlers (Hg.): Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, Sigmaringen 1986 ( - Nationes Bd. 8), S. 99-120, hier S. 110. Zur Bedeutung der Dynastie zugleich als Mobilisierungsinstanz und als Bremser nationalistischer Tendenzen vgl. auch Reinhart Koselleck: Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in: Otto Brunner et al. (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, Stuttgart 1992, S. 141-431, hier S. 178f. Nur implizit wird diese ambivalente Rolle gewürdigt z.B. in den Beiträgen des Sammelbandes: Nationalismus und Regionalismus in Westeuropa, hg. Hans-Jürgen Puhle, Göttingen 1994 ( - Geschichte und Gesellschaft 20/3). Daß die dynastischen Staaten des 16. und 17. Jahrhunderts primär als zusammengesetzte ('composite') Staaten aufgefaßt und analysiert werden müssen, betont in der jüngeren Forschung besonders Helmut G. Koenigsberger, vgl. exemplarisch ders.: Zusammengesetzte Staaten, Repräsentatiwersammlungen und der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, in: Zeitschrift für historische Forschung 18 (1991) 399424.

'

Vgl. im Überblick Schilling, Höfe und Allianzen (FN 7), und Johannes Kunisch: Absolutismus. Europäische Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zur Krise des Ancien Regime, Göttingen 1986, S. 130, 159-169 u.ö. Hier gilt "der protonationale Staat des 18. Jahrhunderts im wesentüchen [als] die Schöpfung der Dynastie" (S. 161). Einen außerordentlich anregenden, die gesamte Diskussion entscheidend weiterführenden Ansatz hat mit seiner Konzeption des Dreißigjährigen Krieges als frühmoderner Staatsbildungskrieg Johannes Burkhardt entwickelt, vgl. J. Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a.M. 1992, besonders S. 204-213, und ders.: Der Dreißigjährige Krieg als moderner Staatsbildungskrieg, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994) 487-489.

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sehen Revolution; ihre Schwäche, ihre Eigensucht und ihr widersprüchliches Verhalten führten zum Untergang des Alten Reiches. Auf der Grundlage erneuerten fürstlich-dynastischen Interesses erfolgte die anschließende Napoleonische Neuordnung und 1848 scheiterte die Revolution an ihm. 1871 bestimmte es die Reichsgründung und zunächst maßgeblich die Tendenzen des neuen Reiches. Selbst nach 1918/19, dem Epochenjahr des Verlusts direkter politischer Macht, dauerte es noch zumindest eine Dekade, bis die letzten bedeutsamen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und damit indirekt politischen Bastionen geräumt werden mußten. Die historische Bedeutung der europäischen und deutschen Hocharistokratie zu betonen darf freilich nicht dazu verführen, die auf der anderen Seite ebenfalls gegebene vielfältige Abhängigkeit der fürstlichen Elite zu übersehen. Die Dynastien waren keinesfalls nur Urheber, sondern stets auch Produkt des historischen Wandels. Schon ihre Formierung, die sozio-kulturelle Herstellung einer historischen Familienkontinuität und -identität, war, abgesehen vom biologischen Zufall, spezifischen historischen Konstellationen zu danken. Durch Ideen über Geblütsheiligkeit bzw. über die biologische Determiniertheit militärisch-politischer Qualifikation sowie Positions- und Besitzinteressen begünstigt, setzte sie offenbar schon früh auf der königlichen Ebene ein, um dann, im deutschen Fall vor allem in der Umbruchsituation des 10. bis 12. Jahrhunderts, sukzessiv von den unterhalb der Ebene des Königsgeschlechts angesiedelten Adeligen mehr oder weniger erfolgreich nachgeahmt zu werden.10 Die Gegenkräfte - sozial die nicht mit den Fürsten kooperierenden Gruppen des übrigen Adels, des Bürgertums und gegebenenfalls der Bauern, verfassungsmäßig Kirche und Stände - entwickelten in bestimmten Phasen und in bestimmten Hinsichten durchaus wirksame, eigene Dynamik. Die antik, germanisch und christlich vermittelten Normensysteme und grundlegenden Lebens- bzw. Verhaltensformen Europas erwiesen sich dort, wo sie zu einem wesentlichen FakVgl. grundsätzlich und für das französische Beispiel die Bemerkungen bei Rowen, Proprietary Dynasticism (FN 1), S. 5-26, ferner für das deutsche Beispiel klassisch Karl Schmid: Zur Problematik von Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Dynastie beim mittelalterlichen Adel, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins N F 66 (1957) 1-62 und jetzt, mit Focus auf das Spätmittelalter, aber wichtigen Hinweisen auf die frühere Zeit, Karl-Heinz Spieß: Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters, Stuttgart 1993. Bedenken gegen diese Vorstellungen hat jüngst Benjamin Arnold erhoben (Princes and Territories in Medieval Germany, Cambridge/MA et al. 1991): Es habe eigentlich kein Wandel "from consanguinity to lineage" (S. 135-151) stattgefunden, sondern im sich wandelnden historischen Kontext habe man lediglich sein Instrumentarium zur Stabilisierung und Sicherung der eigenen Familie durch das Konzept der Dynastie ergänzt.

Einleitung

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tor der Identität sozialer Gruppen herangewachsen waren, als keineswegs grenzenlos manipulier- oder gar ohne weiteres liquidierbar. Die Dynastien waren zur Anpassung an die Umstände genötigt, eine Veränderung dieser Umstände im eigenen Interesse gelang im Ganzen nur unvollständig; 'Macht über die Verhältnisse' geriet oft und im Ganzen fortschreitend zur 'Macht in den Verhältnissen' (Christian Meier). Mit anderen Worten, bei der Analyse dieser Zusammenhänge ist von höchst komplexen Gefügen und Tendenzen auszugehen, deren Wandel jeweils prekär und offen, keinesfalls nach einer ausschließlich und vollständig von den Dynastien bestimmten, unentrinnbaren, quasi naturgeschichtlichen Logik erfolgte.

3. Eine Umsetzung dieser Perspektiven in ein modernes geschichtswissenschaftliches Untersuchungsprogramm erscheint in mehreren Hinsichten attraktiv. Von zentraler Bedeutung ist Fürsten- und Dynastiegeschichte zunächst zweifellos für die historische Analyse der politischen Systeme Europas bzw., abstrakter gefaßt, des Staates europäischen Typs. Die Fürsten (respektive die fürstlichen Dynastien) können nüchtern als primäre herrschaftliche Eliten11 aufgefaßt werden, denen es unter Einsatz jeweils konkret angebbarer und anzugebender Mittel gelang, hegemoniale oder monopole Machtpositionen zu erlangen, diese Positionen strukturell zu festigen und sie in steter Expansion zu einem politischen System zu transformieren, dessen Logik und Leistung höchste Systemakzeptanz bzw. -kontinuität zu garantieren vermochte. Die Dynastien sind insofern als die eigentlichen Begründer und Betreiber des frühmodernen Staates anzusehen, auch wenn eine alternative, möglicherweise sogar ältere Staatsgründungstradition von den aristokratisch-oligarchisch beherrschten Städten ausging und sich das fürstlich begründete System zu einem in der Forschung noch umstrittenen Zeitpunkt verselbständigte bzw. abschließend bekanntermaßen seinen Gründern den Laufpaß gab.12 11

Zur sozialwissenschaftlichen und sozialgeschichtlichen Diskussion dieses Konzepts vgl. Suzanne Keller: Beyond the Ruling Class: Strategic Elites in Modern Society, New York 1963; Christopher Charle: The Present State of Research on the Social History of Elites and the Bourgeoisie: A Critical Assessment, in: Contemporary European History 1 (1992) 99-112, und knappstens Wilhelm Weege: Politische Klasse, Elite, Establishment, Führungsgruppen. Ein Überblick über die politik- und sozialwissenschaftliche Diskussion, in: Thomas Leif et al. (Hg.): Die politische Klasse in Deutschland, Bonn-Berlin 1992, S. 35-64.

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Vgl. generell Wolfgang Reinhard: Das Wachstum der Staatsgewalt. Historische Reflexionen, in: Der Staat 28 (1992) 59-75, und für historische Fallstudien z.B. Mark

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Kritisch gefaßt, das heißt unter Einschluß der Kosten der fürstlich-dynastischen Herrschaft und Staatsbildung, wäre eine derartige Fürsten- und Dynastiegeschichte nicht nur konzeptionell weit von ihren Vorläufern entfernt. Sie könnte vielmehr über die genannten Aspekte der Herrschaft, der Ausbeutung, der Frage des Nationalismus, der Leistungen des Staates für die Beherrschten usw. zur von H. Schilling angemahnten 'Erschließung vergangener Gegenwart1 im Interesse kritischen Geschichtsbewußtseins wesentlich beitragen. Ihre Untersuchungsdimensionen liegen auf der Hand. Nur wenige seien hier explizit angeführt: die soziokulturellen und politischen Voraussetzungen und Umstände der Dynastieformierung und -reproduktion, dabei wesentlich die Mechanismen der Sozialisation und Integration der jeweiligen Dynastierepräsentanten; die Kommunikation bzw. Interaktion der Dynastien untereinander und mit der Außenwelt; die kulturellen und materiellen Mittel, Kosten und Ergebnisse der Legitimitäts- und Loyalitätsbeschaffung für die Dynastie und ihr politisches System; die Techniken und Kosten der Ressourcenabschöpfung und -Steigerung; die Anknüpfung an und Beeinflussung von Rechtsund Moralüberzeugungen der Beherrschten; die Verfahren und Wirkungen der Rekrutierung, Disziplinierung und funktionalen Optimierung unmittelbarer Helfer; der dialektische Einsatz von Personalisierung und Anonymisierung von Herrschaft, von Repression und Toleranz; die Voraussetzungen, Formen und Ergebnisse des Einsatzes von Krieg sowie grundsätzlich die Bedingung der Transformation 'privater' fürstlicher Fehde zum öffentlichen bzw. als öffentlich akzeptierten Krieg, usw. Ein im eigentlichen Sinne sozialgeschichtliches Erkenntnisinteresse wird demgegenüber unter explizitem Einsatz theoretischer Überlegungen auf die besonderen sozialen Merkmale und die Strukturveränderungen der Hocharistokratie im Kontrast und im Verhältnis zum übrigen Adel und zu den übrigen Sozialschichten zielen. Sie wird Daten zu ihrer Demographie (Lebenszyklen, Familienmerkmale), zu den typischen (und untypischen) Lebensläufen und Lebensformen, ihren spezifischen Interessen und interessengeleiteten Ideologien, horizontaler und vertikaler Mobilität usw. sowie zu den Formen und Ursachen von deren Wandel zu erarbeiten suchen. Eine weitere Relevanzebene fürstlich-dynastischer Geschichte könnte die historisch-anthropologische sein. Denn übersehbar lebten auch die Angehörigen der Hocharistokratie unter sich verändernden historischen Bedingungen, die entsprechend flexible Wahrnehmung, Deutung, Anpassung und Bewältigung Greengrass (Hg.): Conquest and Coalescence. The Shaping of the State in Early Modem Europe, London et al. 1991.

Einleitung

9

verlangten. Im Hinblick auf die vielleicht wichtigste Tendenz der europäischen Geschichte überhaupt, die letztlich demographisch bedingte fortlaufende Verdichtung und Verkomplizierung aller Lebensverhältnisse, kommt den Veränderungen und Anpassungen, denen die Angehörigen der Dynastien aufgrund ihrer zentralen sozialen, kulturellen und politischen Position ausgesetzt waren bzw. die sie entsprechend zu entwickeln hatten, möglicherweise sogar paradigmatische Bedeutung zu. Hinzu kommt der Vorteil der günstigen Uberlieferung. Gefragt werden könnte dementsprechend beispielsweise folgendermaßen: In welcher Weise gestaltete sich in den verschiedenen Epochen der Alltag der Fürsten? Wie gestalteten und veränderten sich unter den wechselnden Erfordernissen das Geschlechterverhältnis, Kindheit, Jugend, Familienleben, Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen, Individualität, Arbeit und Muße? Wie wurden die Herrscher mit den wachsenden physischen und psychischen Anforderungen ihrer Herrschaftsrolle fertig? Wie entwickelte sich vor diesem Hintergrund ihre Gefühlswelt? Aufgrund welcher Voraussetzungen konnten sie in welchem Ausmaß nach welchem Verständnis ihr Interessen 'rational' definieren und verfolgen? Welche Symbole und Mythen zur Bewältigung ihrer Probleme benutzten sie nichtsdestotrotz, und wie und mit welchem Ergebnis setzten sie diese ein? Wie deuteten und erfuhren sie Gesundheit, Krankheit, Tod? Historische Anthropologie und Alltagsgeschichte können jedenfalls nicht nur eine neue Art darstellen, Randgruppen, Unterschichten und 'kleine Leute' in den Stand relevanter Geschichtssubjekte zu erheben. Sie sind vielmehr als umfassende Konzepte neuer historischer Sichtweisen aufzufassen, deren Erprobung und Anwendung auch auf (historisch und historiographisch) etablierte Sozialgruppen und -schichten legitim, notwendig und nützlich sind.

4. Antiquarismus, Nostalgie und Machtverherrlichung erweisen sich damit als keineswegs notwendige Ingredenzien historischer Befassung mit Fürsten und Dynastien. Vielmehr können das nüchtern sozialgeschichtlich und -wissenschaftlich aufgefaßte und angewandte Elitenkonzept, Staatsbildungsmodelle Für einen ersten, bedeutenden Versuch dieser Art vgl. Roger Sablonier: Die aragonesische Königsfamilie um 1300, in: Hans Medick, David Sabean (Hg.): Emotionen und materielle Interessen. Sozial anthropologische und historische Beiträge zur Familienforschung, Göttingen 1984, S. 282-317, sowie, aus einer eher traditonellen, nichtsdestotrotz höchst einleuchtenden Sicht Hartmut Boockmann: Der Alltag eines spätmittelalterlichen Herrschers, in: ders.: Fürsten, Bürger, Edelleute. Lebensbilder aus dem späten Mittelalter, München 1994, S. 11-31.

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und ein komparativ ergänzter sozialgeschichtlicher und/oder historisch-anthropologischer Ansatz Wege zu einer modernen Fürsten- und Dynastiegeschichte eröffnen, welche nicht nur das Spektrum gegenwärtiger Geschichtsbetrachtung in bedeutsamer Weise ergänzt, sondern auch zu deren fortschreitend schärferer Perspektivierung beiträgt. Die Beiträge des vorliegenden Bandes beanspruchen allerdings nicht, bereits wesentliche Strecken dieses Weges zu einer erneuerten Fürsten- und Dynastiegeschichte abzuschreiten. Wir haben uns vielmehr darauf geeinigt, in freier Weise lediglich einige bekannte und unbekannte Aspekte dieses Umkreises zu beleuchten - als erste Vergewisserung über den Gegenstand sozusagen, jedenfalls weitgehend noch außerhalb des oben angedeuteten systematischen Interesses. Wolfgang Kuboff (Augsburg) umreißt in diesem Sinne die begrifflichen und politischkulturellen Grundlagen des europäischen Fürstentums, wie sie in der römischen Antike entwickelt und später, im Zuge der (in diesem Beitrag naturgemäß nicht mehr analysierten) verschiedenen Renaissancen des antiken Wissens selektiv und in verändertem Verständnis in das europäische Mittelalter und die europäische Neuzeit transportiert worden sind. Dieter Mertens (Freiburg i.B.) skizziert Wirklichkeiten und Ideen des mittelalterlichen Fürstentums anhand des Falles Württemberg, also eines im Vergleich mit den europäischen Großdynastien weniger bedeutenden, für die Verhältnisse des Reiches jedoch durchaus exemplarischen, erst am Ende des Mittelalters aufgestiegenen Fürstenhauses. Die anschließenden Ausführungen von Wolfgang E. J. Weber (Augsburg) befassen sich mit dem Aspekt der Kontinuität dynastischer Herrschaft als einer Zentralproblematik des politischen Denkens des 17. Jahrhunderts. Harm Klueting (Köln) hat sich eines nachgerade klassischen Themas angenommen, nämlich der Frage nach dem 'aufgeklärten' Fürsten. Im Gegensatz zum vorherrschenden Forschungsinteresse geht es ihm jedoch nicht so so sehr um die Darlegung verschiedener Varianten dieses Fürstentyps, sondern er fragt zunächst grundsätzlich nach dessen historischer Existenz. Günther Kronenbitter (Augsburg) untersucht die Krise der Habsburgermonarchie um 1900 als Paradigma einer Störung dynastischer Reproduktion mit unmittelbaren, schließlich in den 1. Weltkrieg und damit die 'Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts' (George F. Kennan) mündenden Folgen. Walther L. Bernecker (Erlangen-Nürnberg), der ausgewiesene Kenner der spanischen Geschichte bis zur Gegenwart, analysiert in einer ausgreifenden Studie die Rolle eines

Einleitung

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zeitgenössischen Fürsten und Monarchen im Übergangsprozeß eines autoritärdiktatorischen zum parlamentarischen politischen System, nämlich diejenige von König Juan Carlos I. in Spanien. Gegenstände und Methoden dieser Beiträge sind mithin durchaus selektiv und individuell. Die gemeinsamen Perspektiven des Bandes lassen sich eher indirekt fassen als daß sie explizit namhaft gemacht würden. In einem Forschungsfeld, dessen Erschließung unter modernen geschichtswissenschaftlichen Gesichtspunkten noch weitgehend aussteht, darf jedoch auch ein derartiger explorativer Zugriff als legitim gelten.

5. Gerade angesichts der Komplexität des Gegenstands und der Selektivität bisheriger wissenschaftlicher Befassung mit ihm erscheint es jedoch angebracht, noch einige Bemerkungen zur Begriffsgeschichte und zur (vornehmlich politischen) Entwicklung des europäischen Fürstentums zwischen Antike und Neuzeit anzufügen.14 Der neuhochdeutsche Begriff Fürst geht in seinem Zeichenbestand und seiner Bedeutung auf das althochdeutsche furisto bzw. dessen mittelhochdeutsche Fortbildung fürste zurück. In den vorneuzeitlichen und neuzeitlichen Quellen werden diese Begriffe regelmäßig mit dem lateinischen Princeps (eingedeutscht Prinz) gleichgesetzt. Ursprünglich scheint sich der Ausdruck auf den Vordersten bzw. Ersten in der Schlachtordnung bezogen zu haben. Mit der Übertragung der militärischen Hierarchie auf die politische Ordnung (vgl. die Ubergangsstufe des Heerkönigtums und das Herzogtum als analog übertragene Institutionen) wurde er dann zu einem politischen Begriff. Eine exakte Bedeutung nahm er dabei offenbar jedoch nicht an. Vielmehr kann sich der Ausdruck bis heute auf den bzw. die Monarchen (König(e), Kaiser) eines Reiches bzw. mehrerer Reiche, auf den bzw. die zur künftigen monarchischen Herrschaft bestimmten Königssohn/Königssöhne und auf die Großen (Magnaten, Optimaten, Potentaten) eines Reiches beziehen. Zu einem förmlichen Amtstitel wurde er hingegen selten.1 Es ist davon auszugehen, daß diese Begriffsun-

Systematische Studien zur mittelalterlichen Fürstengeschichte Europas fehlen; die folgende Skizze stützt sich daher vornehmlich auf allgemeinere Darstellungen, die in den entsprechenden Fußnoten nachgewiesen sind. H. W. Goetz und H. Zielinski: Fürst, Fürstentum, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. IV, München-Zürich 1988, Sp. 1029-1037, hier Sp. 1029; Gerhard Theuerkauf: Fürst, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1969, Sp. 1337-1351; detaillierte Nachweise zum Gebrauch der lateinischen Version zwischen dem 7. und dem

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schärfe Folge von Widersprüchen und Spannungslagen derjenigen politischsozialen Realität ist, die der Begriff jeweils abdecken soll. Wie sah diese Realität im Ubergang von der Antike zum Mittelalter und im Mittelalter aus? Nach Herwig Wolfram setzte der historische Prozeß, in dessen Verlauf sich der Prinzipat nachantik als besonderer Herrschaftsanspruch oder -typ zwischen Königtum und Hochadel etablieren konnte, erstmals am Ende der Völkerwanderungszeit, im 6. und 7. Jahrhundert, ein. In den Wanderungskämpfen besonders erfolgreiche Herzöge nahmen die Gründung neuer germanischer Reiche auf vormals römisch beherrschtem Boden zum Anlaß, sich ihrer alten Stammeskönige zu entledigen und selbst die Königswürde zu übernehmen. Weil ihnen in der Regel jedoch die notwendige Geblütslegitimität fehlte, waren sie stärker als die alten Könige auf Unterstützung durch ihre Mitherzöge angewiesen. Diesem Sachverhalt trugen sie Rechnung, indem sie vorübergehend oder auf Dauer, unter Verzicht auf den Königstitel oder in Verbindung mit ihm, durch Aneignung des Princeps-Titels signalisierten, lediglich erste unter prinzipiell gleichen, höchsten Herrschaftsträgern sein zu wollen. Nach diesem Modell vollzog sich auch der Aufstieg der Karolinger, und zwar in Verbindung mit der zusätzlichen Bedingung, daß zunächst ein Vertreter der alten Königsdynastie wenigstens formal noch weiter amtierte.17 Mit dem Gebrauch lediglich des Princeps-Titels konnten die Karolinger nicht nur vermeiden, den Vorwurf offener Untreue und Thronusurpation auf sich zu ziehen. Er versetzte sie vielmehr auch in die Lage, zentrifugale Tendenzen übriger duces des merowingischen Reiches abzuschwächen. Mit der formellen Übernahme des Königsthrons und der Aneignung des Kaisertums als zusätzlicher Legitimitätskomponente wurde das Konstrukt des Prinzipats aus karolingischer Perspektive überflüssig. Um zu verhindern, daß sich rivalisierende Herrschaftsträger ihrerseits erfolgreich dieses Konstrukts bedienten, integrier-

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13. Jahrhundert bietet Herwig Wolfram: Intitulatio. Lateinische Herrschertitel [...], Bd. I-m, Graz et al. 1967/1973/1988. H. Wolfram: The Shaping of the Early Medieval Principality as a Type of Non-royal Rulership, in: Viator 2 (1971) 33-51, vgl. ders.: Das Reich und die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter, Berlin 1990, und jetzt zur Gesamtproblematik der Landnahme Michael Müller-Wille, Reinhard Schneider (Hg.): Ausgewählte Probleme europäischer Landnahmen des Früh- und Hochmittelalters, Sigmaringen 1993. Vgl. hierzu und zum Folgenden neben Wolfram, Shaping (wie vorhergehende FN) Hans K. Schulze: Vom Reich der Franken zum Land der Deutschen: Merowinger und Karolinger, Berlin 1989, sowie zu den dynastischen Zusammenhängen jeweils im Überblick Eugen Ewig: Die Merowinger und das Frankenreich, Stuttgart 19932, und Rudolf Schleifer: Die Karolinger, Stuttgart 1993.

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ten es die Karolinger jedoch in ihr Herrschaftssystem. Als Principes galten nunmehr einerseits die Königssöhne, die als Unterkönige fungierten, sowie die höchste Schicht der königlich-/kaiserlichen Amtsträger, die Herzöge und Grafen. Diese sekundären Herrschaftsträger nach Belieben ein- und abzusetzen bzw. auszutauschen gelang freilich nur den starken karolingischen Herrschern. Im 9. Jahrhundert geriet die Dynastie bekanntlich in innere Zerwürfnisse, mit der Folge neuerlichen Machtzuwachses für die von Gerd Teilenbach so genannte Reichsaristokratie. Am Ende dieses Verfassungs- oder Systemwandels stand die Entstehung neuer Fürstentümer, wobei jedoch auch Verwandtschaftsbeziehungen der Principes zum Königshaus und, damit in Zusammenhang stehend, eigene Dynastiebildung nach dem Vorbild der königlichen Familie eine wesentliche Rolle spielten.18 Nach der Auflösung des karolingischen Großreiches setzte sich das spannungsvolle Mit- und Nebeneinander von Monarchen und Fürsten bzw. Monarchen und eher monarchietreuen Fürsten einerseits und Monarchen und eher monarchiefeindlichen Fürsten andererseits in den westfränkisch-französischen und ostfränkisch-deutschen Teilreichen fort. Es nahm allerdings unterschiedliche Formen an, welche in Verbindung mit anderen Faktoren zu entsprechend unterschiedlichen nationalgeschichtlichen Entwicklungen führten. In Frankreich herrschte bis zum 12. Jahrhundert die historische Tendenz fürstlicher Machtakkumulation vor. Erst danach, dann aber in umso entschiedenerem Maße, führte der Weg zum monarchischen System zurück. Was nicht verloren ging und daher zum wichtigsten Grundpfeiler der Monarchie heranwuchs, war das Prinzip der Thronweitergabe durch Vererbung statt Wahl.

Seit ungefähr 1180 optimierten durchsetzungsfähige Vertreter des ka-

G. Tellenbach: Vom karolingischen Reichsadel zum deutschen Fürstenstand [1943], in: Hellmut Kämpf (Hg.): Herrschaft und Staat im Mittelalter, Darmstadt 1964, S. 191-236; Schulze, Vom Reich der Franken (wie vorhergehende FN), passim. Noch nicht überzeugend beantwortet ist die (bis vor kurzem höchst umstrittene) weitere Frage nach den ethnisch-stammesmäßigen Grundlagen der neuen ('jüngeren') Fürstentümer. Zur Dynastiebildung vgl. Schmid, Zur Problematik (wie F N 10); ders.: Zur Entstehung und Erfassung von Geschlechterbewußtsein, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 134 (1986) 21-33, und für eine Teilproblematik Michael Mitterauer: Zur Nachbenennung nach Lebenden und Toten in Fürstenhäusern des Frühmittelalters, in: Ferdinand Seibt (Hg.): Gesellschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Bosl zum 80. Geburtstag, Bd. 1, München 1988, S. 386-399. Vgl. zu diesem Komplex systematisch Jean Dunbabin: France in the Making 843-1180, Oxford et al. 1985, S. 44-100, 162-222 und 295-356; in deutscher Sprache allgemeiner Karl-Ferdinand Werner: Die Ursprünge Frankreichs bis zum Jahre 1000, Stuttgart 1988 ( - Geschichte Frankreichs Bd. 1); Jean Favier: Frankreich im Zeitalter der Lehnsherrschaft 1000-1515, Stuttgart 1989 ( - Geschichte Frankreichs Bd. 2), und Ulrich

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petingischen Königshauses die Thronfolge rechtlich und politisch, reaktivierten wichtige königliche Jurisdiktions- und Legislativrechte, erneuerten die Krondomäne, zogen die großen Lehnsfürstentümer zur Apanagierung nachgeborener Königssöhne heran und dehnten die Kontrolle der Krone über die Kirche aus. Auf dieser Grundlage konnte das französische Königtum den Hundertjährigen Krieg 1337-1453, also die auf eigenem Boden ausgetragenen Auseinandersetzungen der mittlerweile herrschenden Valois mit rivalisierenden fürstlich-königlichen Dynastien, und den Aufstieg des fürstlichen Hauses Burgund (bis 1477) nicht nur überstehen, sondern sogar noch zur Festigung seiner Macht nutzen. Folgerichtig vermochten sich die Valois an der Wende zur Neuzeit äußerer Expansion zuzuwenden; erste Station war bekanntermaßen 1494 Italien, wo die unter den Anjou gewonnene und verlorene Machtposition wiedererrichtet werden sollte.20 Im ostfränkisch-deutschen Reich hingegen wechselten sich monarchisch und fürstlich bestimmte Phasen ab. Aus diesem schubweise formalisierten, komplexen Kooperations- und Konkurrenzverhältnis erwuchsen seit dem ausgehenden Hochmittelalter die charakteristischen Elemente der Reichsverfassung, darunter vor allem die Transformation des Konsensprinzips bei der Bestimmung des Königs zur förmlichen Königswahl. A m Beginn der deutschen Geschichte gelang den Ottonen und Saliern nicht zuletzt dank der Entwicklung eines neuen Konzepts sakralen Königtums die

Muhlack: Thronfolge und Erbrecht in Frankreich, in: Kunisch (Hg.), Fürstenstaat (FN 1), S. 173-197, sowie spezieller Helmut Scheidgen: Die französische Thronfolge (9871500). Der Ausschluß der Frauen und das salische Gesetz, Bonn 1976; Bernd Schneidmüller: Karolingische Tradition und frühes französisches Königtum. Untersuchungen zur Herrschaftslegitimation der westfränkisch-französischen Monarchie im 10. Jahrhundert, Wiesbaden 1979, und Andrew W. Lewis: Royal Succession in Capetian France. Studies on Familial Order and the State, Cambridge/MA 1981; aufschlußreich, wenngleich nicht auf die vorliegende Perspektive zugespitzt ferner Carlrichard Brühl: Deutschland-Frankreich. Die Geburt zweier Völker, Köln-Wien 1990. Die Entwicklung wurde bekanntlich 1317 und 1328 kurzzeitig unterbrochen, als zweimal kein Königssohn zur Thronübernahme zur Verfügung stand und eine englische Erbfolge drohte. In diesen Situationen kamen wieder Elemente des Wahlprinzips zum Tragen, ohne daß das Erbprinzip wesentliche Einschränkung erfuhr. Favier, Im Zeitalter der Lehnsherrschaft; Scheidgen, Französische Thronfolge (beide wie vorhergehende FN); Malcolm Vale: The Angevin Legacy and the Hundred Years War 1250-1340, London 1990; Werner Paravicini: Karl der Kühne. Das Ende des Hauses Burgund, Göttingen 1976; P. S. Lewis (Hg.): The Recovery of France in the 15th Century, London 1971. - Uber die Fürsten und fürstlichen Dynastien Italiens zu dieser und zur späteren Zeit gibt jetzt in deutscher Sprache knappen Aufschluß Volker Reinhardt (Hg.): Die großen Familien Italiens, Stuttgart 1990.

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Hervorbringung einer hegemonialen Monarchie. 2 1 Seinen schwersten Rückschlag erlitt dieses System durch den Investiturstreit und dessen Folgen, also v o r allem das verstärkte Auftreten des Papsttums als gegebenenfalls v o n monarchiefeindlichen Fürsten mobilisierbarer externer Machtfaktor und die Entstehung des geistlichen Fürstentums, das heißt das Herauswachsen auch dieser fürstlichen Herrschaftsträger aus der monarchischen Kontrolle. Strukturell zunehmend

herausgefordert

wurde

es

durch

den

Ubergang

zur

Lan-

desherrschaft, einer neuen Phase herrschaftlicher Verdichtung und damit fortschreitender Verwurzelung besonders der hochadeligen Herrschaftsträger in den ihnen als Lehen oder durch Vererbung jeweils anvertrauten Territorien. Seit Heinrich V . beruhte das König- bzw. Kaisertum demzufolge m e h r oder weniger ausdrücklich auf dem Konsens der Fürsten bzw. zumindest einer Mehrheit unter ihnen. Die jüngere Forschung versucht diesem Sachverhalt häufig begrifflich dadurch gerecht zu werden, daß sie f ü r die anschließende Zeit lieber statt v o n einem (monarchisch geprägten) Reich v o n einem (fürstlich mitbestimmten) Reichsverband spricht. 22

Hans K. Schulze: Hegemoniales Kaisertum. Ottonen und Salier, Berlin 1991; Helmut Beumann: Die Ottonen, Stuttgart 31992; Stefan Weinfurter: Idee und Funktion des "Sakralkönigtums" bei den Ottonischen und Salischen Herrschern (10. und 11. Jahrhundert), in: Rolf Gundlach, Hermann Weber (Hg.): Legitimation und Funktion des Herrschers. Vom ägyptischen Pharao zum neuzeitlichen Diktator, Stuttgart 1992, S. 99128; Die Salier und das Reich, 3 Bde., Sigmaringen 1991; Egon Boshof: Die Saüer, Stuttgart 21991; Jürgen Petersohn (Hg.): Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, Sigmaringen 1994. Eckhard Müller-Mertens: Romanum imperium und regnum Teutonicum. Der hochmittelalterliche Reichsverband im Verhältnis zur Karolingerzeit, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 14 (1990) 47-74; Karl Heinemeyer: König und Reichsfürsten in der späten Salier- und frühen Stauferzeit, in: Walter Heinemeyer (Hg.): Vom Reichsfürstenstande, Ulm 1987, S. 1-66; Heinrich Koller: Die Bedeutung des Titels "princeps" in der Reichskanzlei unter den Salier und Staufern, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 68 (1960) 63-80. Daß "die Bildung fürstlicher Landesherrschaften" auch heute noch "mit Recht als das bedeutsamste Ereignis der gesamten deutschen Verfassungsgeschichte" anzusehen sei, wird u.a. von Pankraz Fried betont (P. Fried: Vorstufen der Territorienbildung in den hochmittelalterlichen Adelsherrschaften Bayerns, in: ders., Walter Ziegler (Hg.): Festschrift für Andreas Kraus zum 60. Geburtstag, Kallmünz 1982, S. 33-44, Zitat S. 33). Während in der älteren Forschung jedoch die institutionelle Staatsbildung die wesentliche Grundlage für dieses Urteil abgab, wird in der jüngeren in wachsendem Maße ein politisch-kulturelles Element, die o.a. Früh- bzw. Sonderform der 'Nationsbildung' - der Versuch politisch-kultureller Identitäts- und Integrationsstiftung des bzw. im jeweils beherrschten Territorium(s) - betont, vgl. Moraw, Voraussetzungen (wie FN 8), und für die Geschichte eines zentralen Begriffs Thomas Eichenberger: Patria. Studien zur Bedeutung des Wortes im Mittelalter (6.-12. Jahrhundert), Sigmaringen 1991. Für bedenkenswerte Kritik an der herkömmli-

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Unter den Staufern kam es ungeachtet einer neuerlichen Steigerung des monarchischen Anspruchs und des Integrationsgrades des Reichsverbandes zu einer weiteren Verfestigung fürstlicher Selbständigkeit. Die süddeutsche Dynastie verdankte ihren Aufstieg zum König- und Kaisertum deutlicher als ihre Vorgänger fürstlicher Wahl. Ihr Versuch, gegen die Fürsten die Städte zu fördern, blieb stecken. Der stärkste Rivale, Heinrich der Löwe bzw. die Weifendynastie, konnte nicht aus eigener Kraft, sondern nur mit Hilfe der Fürsten ausgeschaltet werden. Das Standesgericht, zu welchem sich die Mehrheit der Fürsten bei dieser Gelegenheit zusammenfand, markiert nach Auffassung der Forschung den Beginn des konsequenten Abschlusses der Fürsten nach unten, zum übrigen Adel, und den endgültigen Ubergang zu selbständigem, koordiniertem politischen Handeln. Vermehrten Anlaß, diese neue Aktionsgemeinschaft zu erproben, gaben die tendenzielle Verlagerung des politischen Mittelpunkts des Reiches nach Süden und die dadurch bedingte Abwesenheit der Monarchen. Wegweisende Erfolge waren die Confoederatio cum

principibus

ecclesiasticis von 1220 und das Statutum in favorem principum von 1231/32, die fürstliche Privilegien gegenüber den Städten und dem übrigen Adel verfassungsmäßig festschrieben. 23 Das Spätmittelalter war durch eine Verdichtung und Beschleunigung dieser Ansätze und Tendenzen gekennzeichnet. Schon nach dem Tode Kaiser Heinrichs VI. setzte sich das Prinzip der freien, das heißt dynastisch ungebundenen Königswahl durch. Die Folge waren das Entstehen eines zeitweilig

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chen Einschätzung der Landesherrschaft als eher destruktiv für das Reich vgl. wieder Arnold, Princes and Territories (FN 10), S. 61-73. Heinemeyer, König und Reichsfürsten (wie vorhergehenden FN); Karl-Ferdinand Krieger: Fürstliche Standesvorrechte im Spätmittelalter, in: Heinemeyer (Hg.), Vom Reichsfürstenstande (wie vorhergehende FN), S. 91-116; Arnold Bühler: Königshaus und Fürsten. Zur Legitimation und Selbstdarstellung Konrads EL 1138, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 137 (1989) 78-90 (mit weiteren Verweisen); Walter Ullmann: Von Canossa nach Pavia. Zum Strukturwandel der Herrschaftsgrundlagen im salischen und staufischen Zeitalter, in: Historisches Jahrbuch 93 (1973) 265-300; Ernst Schubert: Königswahl und Königtum im spätmittelalterlichen Reich, in: Zeitschrift für historische Forschung 4 (1977) 257-338; Odilo Engels: Die Staufer, Stuttgart et al. 6 1990. Die beiden genannten Schlüsseldokumente jetzt bequem zugänglich bei Arno Buschmann (Hg.): Kaiser und Reich. Klassische Texte und Dokumente zur Verfassungsgeschichte des Hl. Römischen Reichs Deutscher Nation, München 1984 u.ö., S. 67-79. Daß die Fürsten dennoch nicht etwa an die Abschaffung des Königtums dachten, sondern dieses stets als Integrationsfaktor erhalten wissen wollten, betont Reinhard Schneider: Das Königtum als Integrationsfaktor des Reiches, in: Ehlers (Hg.), Nationsbildung (FN 8), S. 59-82; auf den analogen Befund für die Fürsten ("das Fürstentum wurde in seiner Existenzberechtigung im Spätmittelalter nie angegriffen") verweist Ernst Schubert: König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Göttingen 1979, S. 304.

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existentiell bedrohlichen Kontinuitätsproblems bei der Besetzung des Throns, eine Intensivierung der Hausmachtpolitik der führenden Dynastien und schließlich, durch die Habsburger, der Versuch der Begründung einer indirekten Erbfolge im Königtum. Im Laufe des 13./14. Jahrhunderts gelang es einer Fürstengruppe, die sich nach Armin Wolf durch Herkunft aus ehemaligen königlichen Dynastien auszeichnete, die Schlüsselkompetenz der Königswahl für sich zu monopolisieren. 1356 wurde dieser Anspruch der sieben Kurfürsten in der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. formalisiert und durch besondere Rechte und Verpflichtungen politisch und sozial abgesichert. Die Kurfürsten wurden fortan als die 'Grundfesten und unverrückbaren Säulen' bezeichnet, auf welchen 'das Reich ruhe'. Sie erhielten neben dem Königswahlrecht ein Exklusivrecht auf die sogenannten Erzämter des Reiches sowie zeremoniellen Vorrang, Gerichtshoheit, Regalienbesitz und Majestätsschutz garantiert. In den weltlichen Kurfürstentümern sollten Unteilbarkeit und Primogeniturerbfolge gelten. Die jeweiligen Erbprinzen sollten eine ihrer öffentlichen Verantwortung entsprechende, hervorragende Erziehung und Ausbildung genießen. Das Kollegium der Kurfürsten wurde als Kurverein bzw. Kurfürstenrat institutionalisiert und zu regelmäßigen Treffen verpflichtet. Genaue Regelung erfuhr ferner der Vorgang der Königswahl.24 Bereits 1298 und 1399 war die Macht der Kurfürsten so angewachsen, daß sie einen König (Adolf von Nassau bzw. 1400 Wenzel, Sohn Karls IV. aus dem Hause Luxemburg) absetzen und eine Art 'Nebenregierung' (F. Graus) installieren konnten. Entsprechend ist für die Zeit um 1400 eine ausdrückliche "Krise der Monarchie" konstatiert worden, die erst seit dem letzten Jahrhundertdrittel, vor allem unter dem Eindruck äußerer Bedrohungen (Hussiten, Türken, Ungarn), habe überwunden werden können. Eine wichtige Grundlage der Krisenüberwindung war nach Peter Moraw die bei König und Fürsten zunehmend gefestigte Einsicht, daß das Reich den gemeinsamen Handlungs- und Armin Wolf: Les deux Lorraine et 1' origine des princes electeurs du Saint-Empire. L' impact de l'ascendance sur l'institution, in: Francia 11 (1983) 241-256; Reinhard Schneider, Harald Zimmermann (Hg.): Wahlen und Wähler im Mittelalter, Sigmaringen 1990; Ernst Schubert: Die Stellung der Kurfürsten in der spätmittelalterlichen Reichsverfassung, in: Jahrbuch für Westdeutsche Landesgeschichte 1 (1975) 97-128; Karl-Friedrich Krieger: König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter, München 1992; ders.: Die Habsburger im Mittelalter von Rudolf I. bis Friedrich EL, Stuttgart 1993; Egon Boshof, Franz-Reiner Erkens (Hg.): Rudolf von Habsburg (1273-1291). Eine Königsherrschaft zwischen Tradition und Wandel, Köln et al. 1993; zum Text der Goldenen Bulle nach den verschiedenen Uberlieferungen vgl. wieder Buschmann (Hg.), Kaiser und Reich (wie vorhergehende FN), S. 105-156.

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Lebensraum darstelle, den es mithin auch gemeinsam zu verteidigen und zu gestalten gelte. Ihr Ergebnis bestand in der in mehreren Reformschüben erreichten Institutionalisierung eines flexiblen (und prekären) sogenannten 'Dualismus' von König und Reichsständen bzw. hier, nach dem jeweiligen Durchsetzungsvermögen gewichtet, Fürsten und Kurfürsten. Von einem politisch handlungsfähigen und -bereiten einheitlichen Reichsfürstenstand, wie ihn die ältere Forschung beschwor, könne allerdings kaum die Rede sein. 25 Die frühesten Reforminitiativen scheinen von den Königen bzw. Kaisern ausgegangen zu sein. Sie zielten naturgemäß auf Veränderungen zugunsten der Monarchie und der mit ihnen verbundenen Kräfte, also der Reichsstädte und der Reichsritterschaft. Demgegenüber war es das Bestreben fürstlicher Initiativen, die fürstliche Komponente zu stärken. Dabei blieb die Teilung der Fürsten in Kurund sonstige Fürsten jedoch erhalten, wie die abschließende Ausformung des höchsten politischen Gremiums des Reiches, des Reichstags, zeigt. Im Gegensatz zu landläufigen Annahmen ging dieser Reichstag allerdings nicht aus dem königlichen Hoftag hervor. Vielmehr handelte es sich nach seiner Wurzel um ein von den Fürsten installiertes Alternativgremium, die sogenannten königslosen Tage. Dieses Gremium setzte sich durch, weil die Könige bzw. Kaiser des 15. Jahrhunderts (Sigismund, Albrecht II., Friedrich ΙΠ.) im Kernraum des Reiches nur noch selten persönlich auftraten und es dadurch versäumten, auch politisch Präsenz zu demonstrieren. Ferdinand Seibt: Zur Krise der Monarchie um 1400, in: Josef Macek et al. (Hg.): Sigismund von Luxemburg. Kaiser und König in Mitteleuropa 1387-1437, Warendorf 1994, S. 3-13; ders., Winfried Eberhard (Hg.): Europa 1400, Stuttgart 1984; Schubert, König und Reich (FN 23), S. 297-316; Reinhard Schneider: Königtum in der Krise?, in: ders., (Hg.): Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich, Sigmaringen 1987, S. 279-294; Peter Moraw: König Sigismund in der Herrschernachfolge des deutschen Spätmittelalters, in: Macek et al. (Hgg.), Sigismund, S. 2744; ders.: Königliche Herrschaft und Verwaltung im spätmittelalterlichen Reich, in: Schneider (Hg.), Spätmittelalterliches Königtum, S. 185-200; ders., Fürstentum, Königtum und 'Reichsreform' im deutschen Spätmittelalter, in: Heinemeyer (Hg.), Reichsfürstenstand (FN 22), S. 117-136. Das Konzept eines 'Reichsfürstenstandes' geht bekanntlich auf Julius Ficker zurück (J. Ficker: Vom Reichsfürstenstande [1861-1927], 3 Bde., Aalen 1961. Thomas Michael Martin: Auf dem Weg zum Reichstag. Studien zum Wandel des deutschen Zentralgewalt 1314-1410, Göttingen 1993; Heinz Angermeier: Die Reichsreform 1410-1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984; zusammenfassend Heinz Duchhardt: Deutsche Verfassungsgeschichte 1495-1806, Stuttgart et al., S. 31-35; zu den Luxemburgern vgl. die von Friedrich Bernward Fahlbusch herausgegebene Reihe: Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit, Bd. Iff. Warendorf 1986ff., und zu den frühen Habsburgern Krieger, Habsburger (FN 24); Paul-Joachim Heinig (Hg.): Kaiser Friedrich ΙΠ. in seiner Zeit. Studien anläßlich seines 500jährigen Todestages am 19. August 1493/1993, Köln et al. 1993.

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Mit Hilfe des Reichstages konnten die Kurfürsten und Fürsten nicht nur dank ihres allgemeinen politischen Gewichts, sondern auch wegen deutlicher Bevorzugung in den komplexen Verhandlungs- und Abstimmungsverfahren dem König bzw. Kaiser höchst wirkungsvoll gegenübertreten. Ohne ihre Zustimmung waren weder die erfolgreiche Einberufung eines Reichstages noch dessen förmliche Beendigung durch Verkündigung von Reichstagsbeschlüssen (Reichsabschieden) durch das Reichsoberhaupt möglich. Von ihnen wesentlich hing ab, welche Materien zur Beratung kamen, wie über sie entschieden wurde und ob und wie die Reichsabschiede Verwirklichung erfuhren. Sie hauptsächlich verhinderten, daß das Reich eigene Exekutivorgane erhielt oder sich eine dauerhafte Finanzierungsgrundlage verschaffen konnte. Den höheren Kollegien (Kurfürsten und Fürsten) gelang es darüberhinaus, maßgeblichen Einfluß auf das neue Gericht zu gewinnen, welches für die juristische Interpretation der Reichsabschiede zuständig sein sollte, das Reichskammergericht. Dem Kaiser blieb lediglich der nunmehr wiederbelebte ursprünglich höchste Gerichtshof, der Reichshofrat, dessen Kompetenz letztlich unklar war, also je nach dem aktuellen politischen Durchsetzungsvermögen verengt oder ausgeweitet werden konnte. Was der Kaiser erfolgreich zu verhindern wußte, war jedoch die Errichtung eines ständisch (und damit fürstlich) bestimmten Reichsregiments. Dieses Reichsregiment, eine zunächst für die Zeit der Abwesenheit des Reichsoberhaupts vorgesehene Zentralregierung, hätte sich kraft seines institutionellen und politischen Eigengewichts unweigerlich zu einer mit der Monarchie konkurrierenden Instanz entwickelt. Daß es nicht auf Dauer zustandekam, ist auch dem Umstand zu verdanken, daß die Fürsten eigentlich kein Interesse an einem reichsständischen Zentralismus haben konnten, der sie unvermeidlich eigene Rechte und Kompetenzen gekostet hätte.27

Wichtige Hinweise zur politischen Relevanz des persönlichen Auftretens mittelalterlicher Herrscher aus der Sicht einer Fallstudie bietet jetzt Ellen Widder: Intinerar und Politik. Studien zur Reichsherrschaft Karls IV. südlich der Alpen, Köln et al. 1993. Klaus Schiaich: Die Mehrheitsabstimmung im Reichstag zwischen 1495 und 1613, in: Zeitschrift für historische Forschung 10 (1983) 299-340; Helmut Neuhaus: Reichsständische Repräsentationsformen im 16. Jahrhundert. Reichstag - ReichskreistagReichsdeputationstag, Berlin 1982; Fillipo Ranieri: Recht und Gesellschaft im Zeitalter der Rezeption. Eine rechts- und sozialgeschichtliche Analyse der Judikatur des Reichskammergerichts im 16. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1986; Oswald von Gschliesser: Der Reichshofrat. Bedeutung, Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten Reichsbehörde 1559-1806, Wien 1942; Heinz Angermeier: Die Reichsregimenter und ihre Staatsidee, in: Historische Zeitschrift 211 (1970) 265-315; Christine Roll: Das zweite Reichsregiment 1521-1530. Ständische Regierung oder kasierliche Regentschaft?, Köln et al. 1995.

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Wolfgang Ε. J. Weber Bedeutsamer als die Existenz eines Gefüges reichischer Institutionen war

mithin die konkrete politische Potenz der Beteiligten. Wie stellte sie sich um 1500 für die Fürsten und die habsburgische Kaiserdynastie dar? Prinzipiell nahmen alle Territorialfürsten an dem enormen Aufschwung Anteil, den ihnen das 15. Jahrhundert bescherte: an der beschleunigten Territorienakkumulation und -arrondierung angesichts des Ausfalls bzw. Zurückbleibens gräflicher und ritterschaftlicher Konkurrenten und der Städte; an der fortschreitenden Optimierung der dynastischen Verhältnisse durch formelle Festschreibung der Erbverfahren in sogenannten Hausgesetzen, durch Einführung der wie oben angedeutet zuerst für weltlichen Kurfürsten vorgesehenen Primogenitur, der Unteilbarkeit der Erblande und von Erbverbrüderungen; an der Verschriftlichung der Herrschaft, das heißt am zunehmenden Einsatz von am römischen Recht geschulten Juristen als neuer Expertenklasse; an der territorialstaatlichen Verdichtung; an der zunehmenden Durchsetzung von Steuern als allerdings noch besondere, jeweils spezifisch zu begründende Abgaben; an der wachsenden Fähigkeit, über kirchliche Institutionen und Personen fallweise Kontrolle auszuüben; an der (in ihrer Wirkung freilich ambivalenten) fortschreitenden Formalisierung des politischen Prozesses. Zu überschätzen sind diese Innovationen freilich nicht; so blieb z.B. das fürstliche Finanzwesen, das Zentralstück jeglicher Herrschaft, weit hinter dem zurück, was gleichzeitig bereits große Handelshäuser und Städte zu leisten in der Lage waren. 28 In welchem Ausmaß diese strukturellen Entwicklungen konkret genutzt wurden, hing indessen von den jeweiligen Umständen und der politischen Befähigung des Herrschers ab. Der "Schritt der [...] Dynastien aus der ständischen Existenz in die staatliche Potenz" 29 setzte bei den Dynastierepräsentanten auch entsprechende Wahrnehmung, Reflexion, Entwicklung zutreffender Intention, entsprechende Steuerung des Vorhaltens und Konsequenz in diesem Verhalten voraus - Leistungen, die nicht ohne weiteres erbracht werden konnten, sondern kultureller Vorbereitung und Durchsetzung bedurften und vermutlich u.a. der einsetzenden humanistischen Ausbildung der Fürstensöhne zuzuschreiben sind. Habsburg, die Kaiserdynastie, konnte durch erfolgreiche Heiratspolitik bekanntermaßen einen immensen europäischen Länderkomplex erwerben. Seit Vgl. zusammenfassend Ernst Schubert: Einführung in die Grundprobleme der deutschen Geschichte im Spätmittelalter, Darmstadt 1992, S. 196-216, zum Gesamtkomplex ferner Arnold, Princes and Territories (FN 10). Heinz Angermeier: Einleitung, in ders. (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Mittlere Reihe, Bd. 5, Göttingen 1981, S. 23-86, hier S. 73 (Zitat).

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der europäischen Entdeckung der neuen Welt verfügte es außerdem über ausgedehnte, edelmetallreiche, überseeische Besitzungen. Hinzu kam die enge Kooperation mit der bedeutendsten Handels- und Bankgesellschaft der Zeit, den Fuggern. Maximilian I. (1459-1518) vermochte mit burgundischer und humanistischer Hilfe überdies eine umfassende Kulturoffensive zu entfalten, die breite Bevölkerungsteile erfaßte und eine merkliche Festigung der kaiserlichen Autorität bewirkte. 30 Auch ihm gelang es jedoch nicht, das dem König als oberstem Lehnsherrn verbliebene Recht der Fürstenerhebung und der Fürstenabsetzung (wieder) zu einem effizienten Instrument der Monarchie zu machen; die erfolgreiche Fürstung Württembergs 1495 blieb eine Ausnahme. Das Institut der Fürstenerhebungen fand seine Grenze in dem Grundsatz, daß ein Fürst über herzogsgleiche, reichsunmittelbare, landesherrliche Herrschaftsqualitäten zu verfügen hatte und von den etablierten Fürsten kooptiert werden mußte. Ohne diese Voraussetzungen war lediglich ein Aufstieg zum 'Fürstengenossen' und damit nur eine indirekte Stärkung der habsburgfreundlichen Fürstenfraktion möglich. Fürstenabsetzungen erwiesen sich als so gut wie gar nicht durchsetzbar. Längst überholt war auch das von den Ottonen und Saliern erfolgreich geübte Verfahren, gezielt königs- bzw. kaisertreue geistliche Herrschaftsträger in den Rang von Fürsten zu erheben und reichspolitisch einzusetzen.31

Vgl. hierzu jetzt umfassend die Beiträge in: Hispania - Austria. Die Katholischen Könige, Maximilian I. und die Anfänge der Casa di Austria in Spanien, Mailand 1992; Hermann Wiesflecker: Maximilian I. Die Fundamente des habsburgischen Weltreiches, Wien 1991; ders.,: Kaiser Maximilian I. Das Reich, Osterreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, 4. Bde., München 1971-1981; Ausstellung Maximilian I. Innsbruck. Katalog, Innsbruck 1958, und Horst Pietschmann: Reichseinheit und Erbfolge in den spanischen Königreichen, in: Kunisch (Hg.), Fürstenstaat (FN 1), S. 199-246. Vgl. die einschlägigen Darlegungen und Ausblicke bei Karl-Friedrich Krieger: Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1200-1437), Aalen 1979, besonders S. 156-173 und 592-625 (Tabelle zur Belehnung geistlicher und weltlicher Fürsten in dieser Periode); Schubert, König und Reich (FN 23), S. 308-316; Thomas Klein: Die Erhebungen in den weltlichen Fürstenstand 1550-1806, in: Heinemeyer (Hg.), Vom Reichsfürstenstand (FN 22), S. 137-192; Konrad Bund: Thronsturz und Herrscherabsetzung im Frühmittelalter, 2 Tie., Bonn 1979, und Werner Troßbach: Fürstenabsetzungen im 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für historische Forschung 13 (1986) 425454. Während zuvor die Zahl der geistlichen Fürsten diejenige der weltlichen deutlich überstieg, kehrte sich im 15. Jahrhundert auch im Zusammenhang mit Erbteilungen das Verhältnis zugunsten der weltlichen um. 1521 standen nach Ausweis der Reichsmatrikel (vgl. deren Abdruck bei Gerhard Oestreich: Verfassungsgeschichte vom Ende des Mittelalters bis zum Ende des Alten Reiches, München 1974 (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte. dtv-Ausgabe Bd. 11), S. 137-143) 133 geistliche Fürsten 169 weltlichen gegenüber.

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Die Kurfürsten und Fürsten bzw. die entsprechenden großen, mittleren und kleineren fürstlichen Dynastien befanden sich demgegenüber in höchst unterschiedlichen Lagen, bedingt vor allem durch regional und materiell sehr differenzierte Entwicklungsvoraussetzungen.

"Nach dem Maßstab

der

'Real-

politik'" kann man mit Peter Moraw feststellen, daß (mit deutlichem Abstand) nur das Haus Wittelsbach noch als Großdynastie mit prinzipiell eigenständiger politischer Handlungsfähigkeit gelten konnte. Allerdings war dieses Haus Wittelsbach nicht nur in zwei Hauptzweige geteilt, nämlich Pfalz und Bayern, die für sich bedeutende fürstliche Mächte zweiten Ranges darstellten. Vielmehr hatten sich auch interne Aufzweigungen ergeben, die erst allmählich oder - im Falle der Pfalz - überhaupt nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten. 32 Große Fürstenmächte zweiten Ranges waren zu Beginn der Neuzeit neben Pfalz und Bayern Kurmainz (wiewohl infolge mangelnder Territorialarrondierung, verschiedener Doppelwahlen und Doppelherrschaften sowie nach der Stiftsfehde von 1461-1463 deutlich geschwächt) 33 , Kurköln (obwohl an finanzieller Auszehrung leidend, durch den Aufstieg mächtiger Nachbarn bedroht und seit der Soester Fehde 1444-1449 und der Münsterschen Stiftsfehde 14501457 angeschlagen) 34 und Brandenburg bzw. besser: die Hohenzollern. 35 Eine Moraw, Fürstentum (FN 25), S. 123 (Zitat); vgl. zu den Wittelsbachern: Haus Wittelsbach (FN 1; mit weiteren Verweisen); Hans und Marga Rail: Die Wittelsbacher in Lebensbildern, Graz et al. 1986; Karl-Ferdinand Krieger: Bayerisch-Pfälzische Unionsbestrebungen vom Hausvertrag von Pavia (1329) bis zur Wittelsbachischen Hausunion 1724, in: Zeitschrift für historische Forschung 4 (1977) 385-413; Ludwig Hüttl: Die bayerischen Erbansprüche auf Böhmen, Ungarn und Osterreich in der frühen Neuzeit, in: Ferdinand Seibt (Hg.): Die böhmischen Länder zwischen Ost und West. Festschrift für Karl Bosl zum 75. Geburtstag, München-Wien 1983, S. 70-88; die einschlägigen Abschnitte bei Meinrad Schaab: Geschichte der Kurpfalz, Bd. 1, Stuttgart 1988, und für einen umfassenden genealogischen Uberblick Michel Huberty et al.: L'Allemagne dynastique, Bd. 4, Le Perreux 1985. Vgl. zur Situation um 1500 die Angaben in den beiden Sammelbänden Friedhelm Jürgensmeier (Hg.): Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1490-1545). Ein Kirchenund Reichsfürst der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1991, und Berthold Roland (Hg.): Albrecht von Brandenburg. Kurfürst - Erzkanzler - Kardinal, Mainz 1990, sowie allgemeiner noch immer Karl Wenck: Die Stellung des Erzstiftes Mainz im Gang der deutschen Geschichte, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte 43 (1909) 278-318. Vgl. Franz Petri, Georg Droege (Hg.): Rheinische Geschichte, Bd. 1/3, Düsseldorf 1983, S. 77-80, 157-161, 216-221, 225-238 und 247-266, die einschlägigen Abschnitte in: Kurköln. Land unter dem Krummstab, Kevelaer 1985 (mit weiteren Verweisen), sowie jetzt Hanna Vollrath, Stefan Weinfurter (Hg.): Köln - Stadt und Bistunm in Kirche und Reich des Mittelalters, Köln et al. 1993. Der einschlägige Band der Kölner Bistumsgeschichte (Wilhelm Janssen: Geschichte des Erzbistums Köln, Bd. 2) fehlt noch. Vgl. Gerd Heinrich: Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, Frankfurt a.M. et al. 1981, S. 37-53; Günther Schuhmann: Die Markgrafen von Brandenburg- Ansbach, Ans-

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Einleitung

G r u p p e mittlerer Mächte bildeten u.a. das 1471 wiedervereinigte und unter Herzog

Magnus

(emestinische)

Π.

(1477-1503)

aufstrebende Mecklenburg 3 6 ,

das

reiche

Sachsen 37 , t r o t z fortlaufender Teilungen das Haus

Braun-

schweig 38 , das 1495 in den Kreis der Reichsfürsten erhobene Württemberg 3 9 (ungeachtet der jeweiligen Teilungen) sowie das Kurfürstentum Trier 4 0 . D e r gesamte Rest hat als (wenngleich fürstenrangige) Herrschaftsgebilde zu gelten, "denen wenig oder gar kein politischer Spielraum beschieden war." 4 1 Sie waren eingebunden in regionale Mächtesysteme, die v o n größeren A k t e u r e n geführt wurden, und demzufolge zur Anpassung gezwungen, auch w e n n m e h r oder weniger subtile Formen v o n Beteiligung und Verweigerung zur O p t i o n standen. N u r knapp fünf Prozent aller Fürsten bzw. Dynastien können demnach als Großmächte, nur rund 10 Prozent als große Mächte zweiten Ranges und n u r etwa 25 Prozent als mittlere Mächte, aber über 60 Prozent müssen als schwache und schwächste politische Gebilde angesehen werden. Die Informa-

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bach 1980, und Walther Hubatsch: Albrecht von Brandenburg-Ansbach. DeutschordensHochmeister und Herzog in Preußen 1490-1568, Köln 21965. Manfred Hamann: Mecklenburgische Geschichte. Von den Anfängen bis zur landständischen Union von 1523, Köln-Graz 1962, S. 229-269 und 326-340 (mit Stammtafeln in der Rückentasche). Vgl. allgemein Rudolf Kötzschke, Hellmuth Kretzschmar: Sächsische Geschichte, Frankfurt a.M. 1977, S. 116-135 und 162-174; speziell zum politischen System Herbert Heibig: Der wettinische Ständestaat. Untersuchungen zur Geschichte des Ständewesens und der landständischen Verfassung in Mitteldeutschland bis 1485, Köln-Wien 21980, und zur Dynastie Thomas Klein: Verpaßte Staatsbildung? Die wettmischen Landesteilungen in Spätmittelalter und früher Neuzeit, in: Kunisch (Hg.), Fürstenstaat (FN 1), S. 89-114, sowie Hans A. von Polenz (Hg.): 900 Jahre Haus Wettin, Göttingen 1989. Vgl. im Überblick die einschlägigen Abschnitte bei Richard Moderhack (Hg.): Braunschweigische Landesgeschichte im Überblick, Braunschweig 21977, sowie zur komplizierten Stammtafel Huberty, L'Allemagne (FN 32), Bd. ΙΠ. Vgl. neben dem Beitrag von Dieter Mertens in diesem Band systematisch Volker Press: Der Kaiser und Württemberg im 16. Jahrhundert, in: Schwaben, Habsburg und das Reich im 16. Jahrhundert. Protokoll der 51. Sitzung des Arbeitskreises für Landes- und Heimatgeschichte, Stuttgart 1978, S. 14-36; Württemberg im Spätmittelalter. Ausstellung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart und der württembergischen Landesbibliothek. Katalog, Stuttgart 1985 (mit weiteren Verweisen), und zur Dynastie Robert Uhland (Hg.): 900 Jahre Haus Württemberg, Stuttgart 31985, bzw. Gerhard Faix: Eberhard im Bart. Der erste Herzog von Württemberg, Stuttgart 1990. Vgl. im Überblick Ferdinand Pauly: Aus der Geschichte des Bistums Trier, Bd. Π, Trier 1969, und spezieller Ignaz Miller: Jakob von Sierck 1398/99-1456, Mainz 1983 (mit Verweisen auf die spätere Zeit). Moraw, Fürstentum (wie FN 32). Wer im einzelnen zu dieser Gruppe gehörte, ist anhand der o.a. Reichsmatrikel zu erschließen; Kurzinformationen und einschlägige Literatur vermitteln die Artikel bei Gerhard Köbler: Historisches Lexikon der deutschen Länder, München 31992.

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tion, Koordination und Mobilisierung unter den bzw. der Fürsten muß dementsprechend kompliziert, störanfällig und zeitraubend ausgefallen sein. Die Bildung selbst von ad-hoc-Bündnissen gegen den Kaiser war offenkundig schwierig und bedurfte besonderer, als besonders gefährlich eingeschätzter Umstände, um zur Verwirklichung zu gelangen. Diese Einschätzungen gewinnen umso mehr an Plausibilität, wenn man sich die mangelnde Abgrenzung des Reiches auch nach außen vor Augen hält. Auf der Fürstenbank des Reichstages saßen kraft ihrer Besitzungen innerhalb der Reichsgrenzen auch periphere Potentaten, so aus der Ubergangszone nach Frankreich burgundisch-lothringische Herrschaftsträger. Die Reichsgrenzen waren weder geographisch völlig klar noch soziopolitisch im heutigen Sinne relevant. Vielmehr stellten personenverbandliche Relationen vor allem verwandtschaftlichen, klientelären und lehnsrechtlichen Typs noch immer die entscheidende Herrschaftsbasis dar, und diese Beziehungen überschritten wie selbstverständlich jede lineare Territorialabgrenzung. Personale Zusammenhänge und deshalb eine persönlich-familiäre Perspektive prägten im übrigen auch die Beziehungen der Dynastien und Fürsten untereinander. Europa und das Reich wurden zumindest um 1500 noch kaum als politische Systeme gesehen, deren Komponenten überpersönliche staatliche Gebilde waren und deren Verhältnisse lediglich kaltem staatlichem Interessenkalkül unterlagen. Sie erschienen vielmehr als Komplexe tatsächlicher oder potentieller Verwandtschafts- und sonstiger dynastisch-sozialer Beziehungen. Deshalb redete man sich gegenseitig mit Verwandtschaftsbezeichnungen an, deshalb konnten sich aus der heutigen Perspektive staatlicher Interessenwahrnehmung oft überraschende, ja sogar widersprüchliche diplomatische und politische Wendungen ergeben. Uberhaupt nicht oder höchstens ansatzweise einbezogen in die "europäische Familie der Dynastien"43 waren aus religiösen, kulturellen und politischen Gründen die islamischen Herrscher und Herrscherfamilien der östlichen und südlichen Peripherie: die Osmanen44, die arabischen Lokaldynastien Syriens und des Hedschas45, die MamVgl. hierzu die Bemerkungen bei Angermeier, Einleitung (FN 29), besonders S. 71. Zu wenig Notiz von diesen Sachverhalten nimmt Garrett Mattingley: Renaissance Diplomacy [1955], New York 1970. Andreas Kraus: Das Haus Wittelsbach und Europa. Ergebnisse und Ausblick, in: Haus Wittelsbach (FN 1), S. 425452, hier (Zitat) S. 426. Vgl. im Uberblick zur osmanischen Herrschaftsbildung klassisch Paul Wittek: The Rise of the Ottoman Empire, London 1938; Kemal H. Karpat (Hg.): The Ottoman State and its Place in World History, Leiden 1974; Stanford Shaw: The Ottoman Empire, 2 Bde., Cambridge/Ma et al. 1977; Josef Matuz: Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte, Darmstadt 1985 (mit einer (gekürzten) Stammtafel S. 312-313); zur

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lukendynastie der Burdschiden in Ägypten (1382-1517) 46 , die Berberdynastien der Hafsiden (zwischen Tripolis und Tunis), der Abdalwadiden (im heutigen Algerien), der Sadier und Wattasiden in Marokko, die 1465 die Meriniden abgelöst hatten, und die 1482-1492 aus Granada vertriebenen Nasriden47. Nur langsam aus ihrer Isolierung durch ihre unmittelbaren Nachbarn befreien konnten sich die Großfürsten Moskaus, denen nach außen 1480 die Abschüttelung der mongolischen Oberherrschaft und im Inneren bis in die Anfänge des 16. Jahrhunderts die Emanzipation von der Bojarenaristokratie gelang.48 In Ungarn, Böhmen und Polen vollendete sich nach dem Aussterben der angestammten frühen Dynastien der Piasten (1301 in Ungarn, 1370 in Polen) und der Premysliden (1306) bis kurz nach 1500 die Herausbildung einer "Reinkultur von Ständestaatlichkeit", die zwar "Gewichtsverlagerungen zugunsten der Magnaten oder aber zugunsten des Gemeinadels zuließ, aber jeder etwaigen Drift zu einer frühabsolutistischen Nachfolgeordnung," also zur Formierung entwickelter Fürstenherrschaft, "hohe Dämme entgegenstellte".49 Matthias Corvinus (1443-1490) aus der baronalen Dynastie der Hunyadi, der unglückliche König Ungarns und Böhmens, wurde jedenfalls nach Werner Conze dementsprechend als "unterhalb der europäischen Fürstenfamilie" stehend betrachtet. In Polen-Litauen gelang es selbst den fast 200 Jahre lang herrschenden Jagiellonen nicht mehr, das dynastische Erbprinzip und dadurch den Anschluß an die westeuropäischen Dynastien durchzusetzen.50 In

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Geschichte des Hauses Osman speziell liegt vor A. D. Anderson: The Structure of the Ottoman Dynasty, Westport/Conn. 1956, ND 1982. In deutscher Sprache für alle islamischen Einflüsse auf Europa umfassend s. Francesco Gabrieli (Hg.): Mohammed in Europa. 1300 Jahre Geschichte, Kunst, Kultur, München 1983; dynastisch-genealogische Uberbücke zu allen islamischen Herrscherfamilien bietet C. E. Bosworth: The Islamic Dynasties. A chronological and genealogical Handbook, Edinburgh 1967. - Für die Situation in Italien vgl. Reinhardt (Hg.), Familien (FN 20). Ulrich Haarmann: Der arabische Osten im späten Mitteialter 1250-1517, in: ders. (Hg.): Geschichte der arabischen Welt, München 1987, S. 217-263 (mit weiteren Verweisen); Albert Hourani: Die Geschichte der arabischen Völker, Frankfurt a.M. 1992, S. 115-135. Vgl. Haarmann, Arabischer Osten (wie vorhergehende FN), und zum Herrschaftssystem D. Ayaion: The Mamluk Military Society, London 1979. Hans-Rudolf Singer: Der Maghreb und die Pyrenäenhalbinsel bis zum Ausgang des Mittelalters, in: Haarmann (Hg.), Geschichte der arabischen Welt (FN 41), S. 264-322; Gabriele Crespi: Die Araber in Europa, Stuttgart-Zürich 1992 (Stammtafel S. 321). Vgl. im Überblick Manfred Hellmann: Handbuch der Geschichte Rußlands, Bd, 1, Stuttgart 1981; Günther Stökl: Russische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1965, S. 154-212; ders., Das Problem der Thronfolge in Rußland, in: Kunisch (Hg.), Fürstenstaat (FN 1), S. 273-289; die einschlägigen Artikel bei HansJoachim Torke: Lexikon der Geschichte Rußlands, München 1985, und zur Genealogie der Herrscherfamilien des Raumes Wronislaw Dworzaczek: Genealogia, 2 Bde., Warschau 1959, ferner zur Mongolenherrschaft noch immer Bertold Spuler: Die Goldene Horde. Die Mongolen in Rußland 1223-1502, Leipzig 1943. Gottfried Schramm: Polen - Böhmen - Ungarn: Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, in: Przeglad Historyczny 76 (1984) 417-437, hier (Zitat) S. 420. Werner Conze: Ostmitteleuropa von der Spätantike bis zum 18. Jahrhundert, hg. von Klaus Zernack, München 1992, Zitat S. 134, vgl. zu Böhmen S. 111-115, zu Polen-

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Skandinavien herrschte im Spätmittelalter bzw. im 15. Jahrhundert der Einfluß eher kleiner oder allenfalls mittlerer deutscher Fürstendynastien vor, so vor allem der in Dänemark auf den Thron gelangten Oldenburger. 51 England schließlich nahm bis ins 17. Jahrhundert an der vorwaltenden Tendenz der Hervorbringung dynastischer Erbreiche teil; gerade das Erbprinzip brachte die Tudors ab 1534, zur Zeit Heinrichs VTEL, an den Rand der Katastrophe. 52

Litauen 121-132 und zu Ungarn 132-142; zu Polen-Litaeuen vgl. ferner Jörg K. Hoensch: Königtum und Adelsnation in Polen, in: Kunisch (Hg.), Fürstenstaat (FN 1), S. 315.343. Bei Conze, Osteuropa, finden sich auch Hinweise auf die im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter zu behandelnden, in Europa mehr oder weniger vergessenen Fürsten bzw. Fürstendynastien der Moldau, Walachei, Serbiens, Albaniens und Bosniens. Vgl. knapp Arthur Erwin Imhof: Grundzüge der nordischen Geschichte, Darmstadt 2 1985, S. 70-83 (mit Königslisten im Anhang und weiteren Verweisen). Ralph A. Griffiths, Roger S. Thomas: The Making of the Tudor Dynasty, Gloucester 1985; Peter Wende: Die Thronfolge in England im 16. und 17. Jahrhundert, in: Kunisch (Hg.); Fürstenstaat (FN 1), S. 345-357.

WOLFGANG KUHOFF Antike Grundlagen Der römische Princeps

Die bis heute gebräuchliche Bezeichnung für die Epoche der frühen und hohen Kaiserzeit während der römischen Geschichte lautet: der Prinzipat. Gemeint sind damit die Jahre von 27 v. Chr. bis 284 n. Chr., d.h. in personenbezogener und präziserer Sehweise: die Zeit von der Verleihung des Ehrenbeinamens Augustus an den Großneffen und politischen Erben Caesars am 16. Januar des erstgenannten Jahres bis zur Kaiserproklamation des mit offiziellem Namen C. Aurelius Valerius Diocletianus bezeichneten Herrschers am 20. November 284. Diese rund 300jährige Zeitspanne gilt als eine Epoche, während der die monarchische Herrschaft des in unserer Terminologie als Kaiser bezeichneten Lenkers des Imperium Romanum auf politischen Voraussetzungen aufgebaut habe, welche in der Spätzeit der republikanischen Staatsordnung entwickelt worden seien. Mit Diokletian aber habe die nach außen hin wenigstens partiell gemäßigte Alleinherrschaft jeglichen Anschein einer in spätrepublikanischen Traditionen wurzelnden Staatsform aufgegeben und sei zu einer wirklichen Monarchie, zu einer Alleinherrschaft geworden, die sich in einer besonders sinnfälligen Distanz zwischen Monarch und Untertanen geäußert habe.2 Grundlage für diese Abgrenzung ist also das Verständnis von Gestalt und Selbstdarstellung des Kaisertums, konzentriert auf die sowohl von außen den Herrschern beigelegten wie von ihnen selbst verwendeten Titel princeps und 1

Die beiden Tagesdaten dienen natürlich nur zur Illustration des in Frage stehenden Zeitraums, drücken aber keine Epochengrenze im strengen Sinne aus, da die zeitlichen Ubergänge selbstverständlich auch für den "Prinzipat" fließend sind. Als grundlegende neuere Literatur zu Augustus und Diokletian nenne ich hier nur Dietmar Kienast: Augustus. Prinzeps und Monarch, Darmstadt 2. Aufl. 1992 (beachtenswert ist hier die Ambivalenz der Begrifflichkeit im Untertitel als Ausdruck der unterschiedlichen Bewertungsmöglichkeit des ersten "Kaisers"), sowie Frank Kolb: Diocletian und die Erste Tetrarchie. Improvisation oder Experiment in der Organisation monarchischer Herrschaft?, Berlin/New York 1987. - Für die Auflösung der in den Fußnoten verwendeten Abkürzungen siehe das Abkürzungsverzeichnis am Schluß dieses Beitrags.

2

Die gebräuchliche Epochenabgrenzung wurde vor einiger Zeit ohne durchschlagende Wirkung von Jochen Bleicken: Prinzipat und Dominat. Gedanken zur Periodisierung der römischen Kaiserzeit, Wiesbaden 1978, in Frage gestellt.

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dominus. Ich möchte im folgenden zunächst auf diese Titel eingehen, dann die staatsrechtlichen Grundlagen und die Entfaltung des Prinzipats behandeln sowie anschließend die Probleme der Repräsentation dieser Herrschaft aufgreifen. Ein knapper Schlußausblick gilt der Entwicklung in der Spätantike.

Der Begriff princeps in der Epoche der römischen Republik In seinem Ursprung bezeichnet das Wort princeps in einem allgemeinen Sinn eine Person, welche die erste Stelle innehat; es kann auch vereinzelt auf Personengruppen (dann häufig im Plural) und geographische Begriffe angewendet werden. 3 Außerhalb der besonders häufigen Verwendung des Begriffs im staatlichen Leben betraf die wohl bekannteste Bezeichnung das Militärwesen, in dem die principes während der frühen Zeit der Republik das erste Treffen innerhalb der Schlachtordnung der Linieninfanterie bildeten.4 Spätestens mit den von Marius eingeleiteten grundlegenden Veränderungen im römischen Heer wurden diese Funktionen mitsamt den Bezeichnungen überflüssig und verschwanden. Nur innerhalb der Rangabstufung der Legionszenturionen hielt sich der Titel princeps bis in die späte Kaiserzeit; er erfuhr sogar noch eine Bedeutungsausweitung im Falle des Kommandeurs der aus den Militärprovinzen nach Rom abgeordneten und zu einer eigenen Truppe zusammengefaßten Soldaten für Sonderaufgaben, den peregrini: Es handelt sich um den princeps peregrinorum.5 Die Verwendung des Begriffs princeps im Militärwesen hat aber au3

Zum Wortgebrauch gibt bis heute umfassendste Auskunft das Oxford Latin Dictionary 1457 f.; der Artikel im Thesaurus Linguae Latinae ist noch nicht erschienen. Grundlegend für die Geschichte des Titels princeps in römischer Zeit von der Republik bis zum Jahre 284 ist weiterhin Lothar Wickert: Princeps (civitatis), in: RE ΧΧΠ, 1954, 19982295. Als eine Art Nachtrag zu diesem Artikel ist erschienen: Ders.: Neue Forschungen zum römischen Principat, in: A N R W Π 1, Berlin/New York 1974, 3-76.

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Die Heeresgliederung in der republikanischen Zeit behandelt die Arbeit von Eduard Meyer: Das römische Manipularheer, seine Entwicklung und seine Vorstufen, in: A P A W 1928, 1-54. Dazu kommt Michael J.V. Bell: Tactical Reforms in the Roman Republican Army, in: Historia 14 (1965) 404-422. Zu den Offiziersrängen im römischen Heere der Kaiserzeit sind die Monographien von Alfred von Domaszewsky: Die Rangordnung des römischen Heeres, 2. Aufl., hrsg. von Brian Dobson, Köln/Graz 1967 (allgemeine Zusammenstellung), und B. Dobson: Die Primipilares, Köln 1978 (Behandlung einer der höchsten Dienststellungen), zu konsultieren. Eine kurze zusammenfassende Darstellung zum Heer der Kaiserzeit bietet Ders.: The Roman Army: Wartime or Peacetime Army?, in: Werner Eck, Hartmut Wolff (Hgg.), Heer und Integrationspolitik. Die römischen Militärdiplome als historische Quelle, Köln/Wien 1986, 10-25.

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ßer in der ursprünglichen Wortbedeutung nichts mit dem Gebrauch im zivilen Bereich zu tun, welcher am Ende für die Ausprägung desjenigen Sinngehaltes maßgeblich wurde, der über das Ende des Römischen Reiches hinaus weiterreichte. Der Hinweis auf den militärischen Aspekt verdeutlicht andererseits aber, daß die Bezeichnung princeps zunächst nicht auf das zivile Leben festgelegt war. Die entscheidende Bedeutung kam der Ausbildung der monarchischen Staatsführung zu, die in der Person Caesars ihren Ausgang nahm und durch Augustus eine derartige Verfestigung erfuhr, daß sie auf lange Sicht hin unumkehrbar wurde. Ausgangspunkt für die Verwendung des Begriffs princeps als titelgleiche Heraushebung des "ersten Mannes im Staate" war der Ehrenrang des princeps senatus, der in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der republikanischen Staatsordnung zu sehen ist.6 Die Einrichtung des durch Volkswahl jährlich neu zu besetzenden Konsulates mit zwei gleichberechtigten Amtsinhabern als Leitern des Staates sowie die damit untrennbar verbundene Einräumung des Zugangs zu diesem Oberamte auch für Mitglieder der führenden Familien der römischen plebs ab 367/366 schufen nach und nach nicht nur eine neue Führungsschicht, die Nobilität, der die bis dahin allein die Politik bestimmenden Patrizier u n d die seitdem durch die Bekleidung des Konsulates aufsteigenden Plebeier angehörten. Sie führte auf diese Weise auch zu einer Ausweitung der Zahl derjenigen Personen, die im Senat, dem zweiten Gremium des Staates neben der Volksversammlung, die Politik des populus Romanus, des römischen Gesamtvolkes, mitbestimmten.7 Im Grunde war die Bestimmung eines princeps senatus als erster und ranghöchster Senator ebenso wie die Einrichtung des Priesteramtes eines rex sacrorum und die Schaffung eines jährlich wechselnden Oberamtes an der Staatsspitze eine Auswirkung der Abschaffung des Königtums und der Aufgliederung seiner Kompetenzen auf verschiedene neue Amter im sakralen und weltlichen Bereich, jedoch lange nach dem regifugium von etwa 500. Dabei handelte es sich um eine Ernennung durch die alle fünf Jahre tätigen Censoren: Auch die Einrichtung ihres Amtes war eine Übertragung ehemals königlicher Aufgaben auf republikanische Beamte. Die

Der princeps senatus der republikanischen Zeit ist im RE- Artikel von Wickert nicht berücksichtigt. Eine zusammenfassende Darstellung gibt Juho Suolahti: Princeps senatus, in: Arctos 7 (1972) 207-218. Die Herausbildung einer neuen Führungsschicht nach Abschluß der "Ständekämpfe" untersuchte erschöpfend Karl-Joachim Hölkeskamp: Die Entstehung der Nobilität. Studien zur sozialen und politischen Geschichte der Römischen Republik im 4. Jhdt. v. Chr., Stuttgart 1987.

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Censoren ernannten im Rahmen ihrer Durchsicht der Mitgliederliste des Senats jeweils für ein lustrum, eine Periode von fünf Jahren, einen durch seine früheren Amter und sein Ansehen besonders herausragenden Senator zum princeps senatus, d. h. sie verzeichneten seinen Namen an der ersten Stelle aller Angehörigen dieser Körperschaft: Das wichtigste Privileg dieses danach für fünf Jahre ausgezeichneten Politikers war das Recht, in den Senatssitzungen an erster Stelle seine Meinung zu den Tagesordnungspunkten zu äußern und auf diese Weise eine Meinungsführerschaft auszuüben. Obwohl diese Stellung keine direkte politische Macht mit sich brachte, konnte man über sie doch indirekt Einfluß ausüben. Andererseits bedeutete sie eine weitere Steigerung des ohnehin schon hohen Sozialprestiges ihres Inhabers, beispielsweise von Q. Fabius Maximus Verrucosus Cunctator, des fünfmaligen Konsuls und Feldherrn im 2. Punischen Kriege (für zwei lustra). Nach der Diktatur Sullas jedoch verlor der princeps senatus sein wichtigstes Vorrecht, das erste Votum im Senat. Danach bietet die antike Uberlieferung keine gesicherten Angaben mehr über eine weitere Besetzung dieser Ehrenstellung: Man darf deshalb annehmen, daß sie stillschweigend ihr Ende fand. 8 Aber nicht nur in einem offiziellen Sinne wie im Falle des rangältesten Senators fand der Begriff princeps Verwendung im politischen Leben der römischen Republik. In den Sprachgebrauch ging nämlich auch die inoffizielle Bezeichnung der führenden Männer des Staates als principes civitatis, als besonders herausgehobene Personengruppe innerhalb der res publica, ein.9 Dieser zunächst eher neutral erscheinende Ausdruck erfuhr allerdings im Laufe der Zeit, besonders in der Epoche der ausgehenden Republik, während der Auseinandersetzungen unterschiedlicher innenpolitischer Gruppierungen, eine Bedeutungsverengung auf diejenigen Männer, die sich selbst als optimates verstanden

Für Q. Fabius Maximus bietet seine postume Ehreninschrift vom stadtrömischen Augustusforum, erhalten in einer Abschrift in Arezzo, den sicheren Hinweis. Es heißt in ihr (CIL I [2. Aufl.] S. 193 - CIL XI 1828 - Πι ΧΙΠ 1, Nr. 80) in der letzten Zeile: princeps in senatum duobus lustris lectus est. Eine kurze Erläuterung findet sich bei Leonard Schumacher: Römische Inschriften, Stuttgart 1988, 174-176 Nr. 106. Grundlegend zu den Fasten der republikanischen Staatsbeamten ist T. Robert S. Broughton: The Magistrates of the Roman Republic, Bde. 1 und 2, Cleveland 1951 f., NDr. 1968, Bd. 3, Atlanta 1986. Die principes civitatis der republikanischen Zeit, die nicht den Rang eines princeps senatus innehatten, behandelt Wickert, Princeps 2014-2027 Nr. 1-70, doch gehören auch die unter Nr. 71-78 angesprochenen Personen mit einem Teil ihres politischen Wirkens in diese Epoche hinein.

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und ihren Gegnern, den populäres, mit dem Anspruch entgegentraten, die wahren leitenden Männer im Staate zu sein. Während aber alle diejenigen, die als princeps senatus bezeugt sind, Patrizier waren und zudem aus einem sehr kleinen Kreis besonders alter gentes stammten, traf diese Einschränkung auf die zur weiteren Führungsgruppe zählenden Senatoren nicht zu.10 Dennoch gilt es festzuhalten, daß mit dem Begriff princeps nicht nur eine einzige Person angesprochen werden konnte, sondern auch eine unterschiedlich aufgefaßte Gesamtheit vieler Politiker, die sich durch die Bekleidung der höchsten Staatsämter und durch ihre Friedens- und Kriegstaten für die res publica Romana einen Namen gemacht hatten und auf diese Weise an der Leitung der Tagespolitik beteiligt waren. Anfänglich geschah dies in einem ausgewogenen Wechselspiel, bis sich allmählich immer wieder Einzelpersönlichkeiten aus dieser Führungsgruppe herauskristallisierten, welche die Ausübung der Staatsgeschäfte für sich allein reklamierten. Namen wie C. Marius, L. Cornelius Sulla, Cn. Pompeius, M. Tullius Cicero, C. Iulius Caesar und der als Augustus bekanntgewordene erste Kaiser sind genügend bekannt. Hinzuweisen ist aber ebenso auf ganze Familien, die über Generationen hin die Politik entscheidend mitbestimmten, so die Cornelii Scipiones und die Caecilii Metelli, letztere keine Patrizier, sondern aus der plebs aufgestiegene homines novi, die sich nachdrücklich in der Nobilität etablierten und eine konservative Politik vertraten, wie es Aufsteiger immer wieder ganz bewußt taten, um ihre neugewonnene Stellung abzusichern.11 10

Zur Definition des Begriffs princeps in republikanischer Zeit äußert sich Wickert, Princeps 2029-2041; dabei spricht er auch die Sinnverbindung dieses Wortes mit dem der optimates an (2034 f.). Dieselbe Thematik behandelt auch Christian Meier: Die Ersten unter den Ersten des Senats, in: Gedächtnisschrift für Wolfgang Kunkel, Frankfurt 1984, 185-204. Zu bedenken ist dabei freilich, daß Bezeichnungen bedeutender Politiker als principes, die aus späterer Zeit stammen, für ihre jeweilige Gegenwart nicht unbedingt aussagekräftig sind. Für die in der ausgehenden Republik in den tagespolitischen Auseinandersetzungen besonders wichtige Unterscheidung zwischen optimates, den konservativ gesinnten Politikern, und populäres, den sich mehr für die Rechte der plebs einsetzenden Senatoren, ist jetzt heranzuziehen Georg Doblhofer: Die Populären der Jahre 111-99 vor Christi: Eine Studie zur Geschichte der späten römischen Republik, Wien 1990.

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Zur Geschichte der Nobilität ist noch immer mit Gewinn zu lesen das Werk von Matthias Geizer: Die Nobilität der römischen Republik, 2. Aufl., hrsg. von Jürgen von Ungern-Sternberg, Stuttgart 1983 (Originalausgabe Leipzig/Berlin 1912). An neuerer Literatur ist zu verweisen auf Jochen Bleicken: Die Nobilität der römischen Republik, in: Gymnasium 88 (1981) 236-253, und Peter A. Brunt: Nobilitas and Novitas, in: JRS 72 (1982) 1-18.

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Das bekannteste Beispiel für eine solche Haltung war Cicero, für den sogar angenommen wurde, er habe kurze Zeit vor seiner Ermordung in den Proskriptionen des Triumvirats vom Jahre 43 die Stellung eines princeps senatus bekommen, doch kann dies nicht nachgewiesen werden.12 Unbestritten ist aber, daß Cicero seit seinem Konsulat des Jahres 63 bis zu seinem Tode über 20 Jahre lang zu den führenden Männern im Staate zählte, allerdings entgegen seiner verschiedentlichen Uberschätzung der eigenen Position nie so deutlich, daß er die Politik allein bestimmen konnte. Der Staatsmann und Philosoph Cicero steht auf der Schwelle zwischen der durch die Verteilung der Staatsmacht auf verschiedene Personen in verantwortungsvollen Amtern geprägten republikanischen und der auf der Zusammenfassung wichtiger Amter und Amtsbefugnisse in einer einzigen Hand fußenden monarchischen Staatsordnung, dem Prinzipat. Seine persönliche Vorstellung beruhte freilich stets auf der Einbindung eines (oder mehrerer) leitender Politiker in die Struktur einer auf den traditionellen republikanischen Prinzipien der Staatsführung aufgebauten res publica.

Die staatsrechtlichen Grundlagen der monarchischen Herrschaft seit Augustus In seinem Taten- oder Rechenschaftsbericht, den res gestae (divi Augusti) aus dem Jahre 13 n. Chr., schildert Augustus in rückschauender Sicht sein politisches Lebenswerk und interpretiert dabei auch seine Stellung im Staate.14 Er führt einerseits seinen Werdegang vor, andererseits zählt er alle diejenigen Vgl. Pierre Grimal: Cicero. Philosoph, Politiker, Rhetor, München 1988; Manfred Fuhrmann: Cicero und die römische Republik. Eine Biographie, München/Zürich 1989; Christian Habicht: Cicero der Politiker, München 1990. Von einer Berufung Ciceros zum pnnceps senatus spricht aber keiner dieser Autoren. Sie ist bei Broughton, Magistrates 2, 130 Anm. 1, diskutiert, jedoch ebenfalls negativ beantwortet. Die Haltung Ciceros gegenüber dem jungen C. Iulius Caesar, dem späteren Augustus, und seine Politik des Lavierens zwischen den Caesarmördern, Antonius und Caesars Adoptivsohn schildert komprimiert Habicht, Cicero 92-104. Außer der letzten monographischen Darstellung zu Person und Wirken des Augustus, Dietmar Kienast, Augustus (Anm. 1), nenne ich aus der Fülle der übrigen Literatur noch die Sammelbände von Gerhard Binder (Hg.): Saeculum Augustum I: Herrschaft und Gesellschaft, Darmstadt 1987; Π: Religion und Literatur, ebd. 1988; ΙΠ: Kunst und Bildersprache, ebd. 1991.

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Vorgänge auf, die ihn an die Spitze des Staates geführt hatten. Mit allem Nachdruck muß nämlich betont werden, daß die rechtliche Stellung des Kaisers bis ins späte dritte Jahrhundert hinein offiziell nicht auf einer einzigen, allgemeinen Herrschaftsvollmacht beruhte. Sie war vielmehr eine gewachsene, die aus einer zuvor nicht bekannten Zusammenfassung von Amtern und Amtsbefugnissen in der Hand einer einzigen Person bestand, eine Stellung mithin, die nur vereinfachend als principatus bezeichnet werden kann. Augustus selbst verwendet den Begriff princeps in seinem Tatenbericht viermal. In der Mehrzahl der Fälle benutzt er ihn als zusammenfassende Bezeichnung seiner faktischen Alleinherrschaft, abgeleitet vom früheren Begriff der principes civitatis, nun aber auf eine einzige Person konzentriert. Die Aussage, in welcher der Ehrenrang des princeps senatus angesprochen wird, tritt demgegenüber an Bedeutung zurück. 15 Die von Augustus selbst verwendete Kennzeichnung seiner Stellung im Staate als princeps ist nach Ausweis seines Tatenberichtes nichts anderes als ein Notbehelf, der dazu dienen sollte, mit einem einzigen Worte, für alle Menschen verständlich und dazu bewußt an republikanische Traditionen anknüpfend, den komplexen Inhalt zusammenzufassen, welchen die Leitung der Politik des römischen Staates durch einen einzigen Mann bedeutete. Wie es für jemand angemessen war, der sich diese Führungsstellung als erster erworben hatte, ging Augustus in seiner Wortwahl behutsam vor. Während er sich allmählich an die Staatsspitze vorgearbeitet hatte, vereinigte er ein Amt nach dem anderen auf seine Person, löste Amtsbefugnisse aus dem ursprünglichen inhaltlichen Kontext und ließ sich zusätzliche, je nach den Bedürfnissen veränderte Rechte übertragen.

Dieses Vorgehen verlieh ihm letztlich einen überragen-

den, die Verdienste für die res publica einschließenden persönlichen Vorrang, den er mit dem ausdrucksstarken Wort auctoritas bezeichnete. Wie der Begriff princeps gehörte es der politischen Sprache an: Die beiden Sinnverbindungen

D i e T e x t s t e l l e n aus d e n Res gestae sind: 7 (princeps senatus fui usque ad eum diem, quo scripseram baec, per annos quadraginta.); 13 (Ianum Quirinum, quem claussum esse maiores nostri voluerunt,cum per totum Imperium populi Romani terra marique esset parta victoriis pax,...

ter me principe senatus claudendum esse censuit.); 30 (Pannoniorum gentes, quas ante

me principem populi Romani exercitus nunquam adit, devictas per Ti. Neronem ... imperio populi Romani subieci...); 32 (Plurimaeque aliae gentes expertae suntp. R.fidem

meprincipe

Eine prägnante Zusammenfassung der seit Augustus für die Herrschaft der Kaiser ausschlaggebenden Amter und Amtsbefugnisse, dazu auch der verschiedenen Arten von Ehrentiteln, findet sich bei Dietmar Kienast: Römische Kaisertabelle. Grundzüge einer römischen Kaiserchronologie, Darmstadt 2. Aufl. 1996, 24-44.

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von Belang waren die Bezeichnung eines nicht rechtsgültig gewordenen Senatsbeschlusses als senatus auctoritas

und die ursprünglich zum Inkrafttreten

von Volksbeschlüssen notwendige patrum auctoritas,

welche die Patrizier im

Senat zu Abstimmungsergebnissen in den beiden älteren Versammlungen des Gesamtvolkes abgaben. Augustus griff demnach auch hier auf einen traditionsreichen Begriff zurück und deutete ihn auf seine eigene Person um. Princeps und auctoritas

gehören deshalb eng zusammen, wenn es um die Definition der

von Augustus begründeten Alleinherrschaft geht, die man mit dem Begriff principatus

umschreiben kann.

Zwei Vorbilder waren es, die dem nach dem 15. März 44 mit 19 Jahren ins politische Leben eintretenden C. Iulius Caesar (Octavianus) langfristig den Weg zur alleinigen Staatsführung wiesen: der Großonkel und Adoptivvater Caesar sowie dessen ehemaliger Verbündeter, dann aber militärischer Gegner im Bürgerkrieg, Cn. Pompeius Magnus. Letzterer hatte im Verlaufe seiner langen, vor allem militärischen Laufbahn immer wieder außerordentliche Amts- und Befehlsgewalten auf seine Person vereinigt und war schon im Alter von 24 Jahren als Anhänger des Diktators Sulla erstmals als Heerführer aufgetreten. Seine in verschiedener Hinsicht anormale Karriere brachte ihn ohne die Bekleidung eines einzigen der üblicherweise vorgeschriebenen senatorischen Ämter ins Konsulat. Sie mündete auf dem Gipfelpunkt seines Erfolges als Feldherr in die Übertragung eines übergeordneten Oberkommandos gegen die aktuellen äußeren Feinde, die Piraten im Mittelmeer und den König Mithradates VI. von Pontos. Dazu kamen die Überwachung der Kornversorgung Roms, die cura annonae, und nach dem Abschluß des sogenannten ersten Triumvirats im Jahre 60, einer privaten Absprache über die Machtverteilung im Staate mit Caesar und M. Licinius Crassus, die Statthalterschaft der beiden Provinzen auf der iberischen Halbinsel. Das imperium proconsular maius und die Verwaltung von Provinzen in indirekter Weise durch persönliche Beauftragte, die legati, waren zwei wichtige Elemente innerhalb der Machtstellung des Pompeius in der res publicaF Caesar seinerseits benutzte als Basis seiner kurzzeitigen Alleinherrschaft das traditionelle Amt des Diktators, das durch das Vorbild Sullas zur Möglichkeit einer dauerhaften Herrschaft über den Staat geworden war. Zuerst jährlich, dann auf zehn Jahre und schließlich auf Lebenszeit wurde Caesar der offizielle Titel dictator rei gerundae causa übertragen. Das Streben nach einer monarchischen Stellung, die anscheinend in der Bezeichnung ihres Inhabers als König über Sullas Machtposition hinausgehen sollte, führte jedoch zu Caesars Ermordung; der Senat ächtete daraufhin die Diktatur und verbot ihre Wiederaufnahme für alle Zeit. Auf sie war seitdem keine dauerhafte Staatsführung mehr aufzubauen.18 Neben der älteren Monographie von Matthias Geizer: Pompeius, 2. Aufl. München 1959, neu hrsg. von Elisabeth Herrmann-Otto, Stuttgart 1984, ist aus jüngerer Zeit zu nennen Peter A. Greenhalgh: Pompey, 2 Bde., London 1980/81. Einen prononcierten Vergleich zwischen den Positionen von Pompeius und Caesar innerhalb der res publica, der bereits im Titel die Unterschiede offenlegt, zog Eduard Meyer: Caesars Monarchie und das Prinzipat des Pompeius, 3. Aufl. Stuttgart/Berlin

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Das im Herbst 43 legalisierte Triumvirat zwischen Octavianus, M. Antonius und M. Aemilius Lepidus stellte nur eine Zwischenstation auf dem Wege zur Alleinherrschaft des erstgenannten Mannes dar.19 Anfang August 30, nach dem Selbstmord des Antonius20, war der Weg zu einer Neuordnung des Staates gebahnt; diese vollzog sich in mehreren, an den aktuellen Bedürfnissen orientierten Schritten. Octavianus, der stillschweigend seine Triumviralgewalt beibehalten und sich darüberhinaus für den Krieg gegen Antonius ein auf einem Plebiszit beruhendes Oberkommando hatte übertragen lassen,21 faßte bei der Schaffung seiner monarchengleichen Führungsstellung mehrere Vorbilder zusammen, griff auf bewährte Bestandteile aus früherer Zeit zurück, vermied aber zugleich Elemente, die sich als anstößig erwiesen hatten. Um die komplizierte Rechtskonstruktion des von Augustus ins Leben gerufenen Prinzipats nachzuvollziehen, ist es daher vonnöten, auf Erwerb und Inhalt der verschiedenen Teilbefugnisse näher einzugehen. Seit dem 16. Januar 27 mit dem Ehrennamen Augustus ausgezeichnet, dokumentierte der Sieger im Bürgerkrieg wie seit dem Jahre 31 seine Führungsrolle im Staate weiterhin durch die Bekleidung des ordentlichen Konsulates, den er bis 23 jedes Jahr lang ununterbrochen übernahm. Auf diese Weise 1922. Aus der Überzahl der Literatur zu Caesar genügt es, auf Werner Dahlheim: Julius Caesar. Die Ehre des Kriegers und der Untergang der römischen Republik, München 1987, hinzuweisen; zweifelsfrei geklärt erscheint die Frage, in welcher Form Caesar eine Monarchie anstrebte, aber nicht. Die neueste Darstellung zum "zweiten" Triumvirat legte Jochen Bleicken: Zwischen Republik und Prinzipat. Zum Charakter des Zweiten Triumvirats, Göttingen 1990, vor, in der auch die Vorgeschichte gebührend behandelt wird. Die wichtige Frage der Stellung des Octavianus nach dem Ende des Triumvirates wurde von Klaus M. Girardet: Der Rechtsstatus Oktavians im Jahre 32 v. Chr., in: RhM 133 (1990) 322-350, neu aufgerollt: Hier wird das Schwergewicht auf den militärischen Teil der Vollmachten gelegt, die Octavianus besaß. Die letzte Auseinandersetzung um die Alleinherrschaft in der ausgehenden Republik behandelt unter einem ausdrucksstarken Titel das klassische Werk von Ronald Syme: The Roman Revolution, 2. Aufl. Oxford 1952, das zu ausführlichen Diskussionen Anlaß gab. Eine zusammenfassende Darstellung und Bewertung findet sich bei Geza Alföldy: Sir Ronald Syme, 'Die römische Revolution' und die deutsche Althistorie, Heidelberg 1983. Auch für dieses Ereignis findet Augustus im Tatenbericht bedeutungsschwere Worte (25): Iuravit in mea verba tota Italia sponte sua et me belli, quo vici ad Actium, ducem depoposcit. Iuraverunt in eadem verba provinciae Galliae, Hispaniae, Africa, Sicilia, Sardinia. Dieser sogenannte "Gefolgschaftseid" hat in der Forschung eine breite Beachtung gefunden, etwa bei Karl-Ernst Petzold: Die Bedeutung des Jahres 32 für die Entstehung des Prinzipats, in: Historia 18 (1969) 334-351, und Herbert W. Benario: Octavian's Status in 32 B. C., in: Chiron 5 (1975) 301-316; dazu kommt jetzt Girardet (Anm. 19).

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konnte er sowohl im innen- wie außenpolitischen Bereiche, domi und foris, eine ständige Kontrolle ausüben. Die bedeutungsreiche Selbstaussage, er habe nie mehr an Amtsgewalt besessen als seine jeweiligen Kollegen, sie aber durch seine persönliche Autorität überragt, liegt in dieser Ausübung des Konsulates begründet.22 Ein grundlegender Bestandteil der Staatsneuordnung von Anfang 27 war aber die Aufteilung der Provinzialverwaltung zwischen Augustus und dem Senat, die letzterem eine an die Tradition anknüpfende, freilich nicht mehr alleinige Kompetenz beließ: Die im Binnenland gelegenen und daher als befriedet geltenden Provinzen wurden nämlich seitdem zumeist durch jährlich wechselnde Beauftragte des Senats mit dem althergebrachten Titel

proconsul

verwaltet. Die Grenzprovinzen mitsamt dem weitaus größten Teil des Heeres und einige kleinere Binnenprovinzen unterstanden fortan jedoch dem princeps, der die ersteren von ihnen durch Beauftragte aus dem Senatorenstand, die legati Augusti pro praetore, procuratores provinciae, proconsulare

die anderen durch Angehörige des Ritterstandes, die verwalten ließ. Das ihn hierzu befähigende Imperium

war aus den Befugnissen der Triumviralzeit erwachsen; die indi-

rekte Ausübung durch Beauftragte ging auf das angesprochene Vorbild des Pompeius aus den fünfziger Jahren zurück. Die wesentlich umfassendere prokonsularische Amtsgewalt des Augustus war seitdem eine der tragenden Säulen des Prinzipats; sie beinhaltete die Aufsicht des Princeps über die Provinzen, die er in der Realität auch über die Senatsprovinzen ausübte. Insofern besaßen Augustus und seine Nachfolger eine den anderen übergeordnete Amtsgewalt in der Provinzverwaltung, ein imperium proconsulare

maius, auch wenn dieses

offiziell nicht so bezeichnet wurde. Seit dem frühen 2. Jahrhundert n. Chr. führten die Kaiser jedenfalls in ihrer Titulatur vielfach auch die Amtsbezeichnung proconsul.

Der vielzitierte Satz aus den res gestae (34) gehört in den Zusammenhang der Ereignisse Anfang des Jahres 27: In consulatu sexto et septimo, postquam bella civilia exstinxeram per consensum universorum potitus rerum omnium, rem publicum ex mea potestate in senatus populique Romani arbitrium transtuli. Quo pro merito meo senatus consulto Augustus appellatus sum ... (es folgen weitere Ehrungen). Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestate autem nihilo amplius habui quam ceteri, qui mihi quoque in magistratu conlegae fuerunt. Eine Diskussion über die Bedeutung des Konsulates in der ersten Phase der alleinigen Staatsführung des Augustus unternahm Bleicken, Republik und Prinzipat 6893; er bespricht auch alle anderen Aspekte der tatsächlichen Machtausübung. Zum Erwerb der Verfügungsgewalt über den Provinzialbereich seitens des Augustus bringt Bleicken, Republik und Prinzipat, hier 24-36 und 54-57 für die Triumviratszeit sowie 84-89 für die Zeit nach Januar 27 wichtige Hinweise.

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Nach dem Staatsakt von Anfang Januar 27 bedeutete das Jahr 23 einen noch wichtigeren Schritt zur Vervollkommnung und Institutionalisierung der Herrschaft des Augustus. Dabei ging es vornehmlich um die Neudefinition der Machtverteilung in der Hauptstadt Rom selbst, begründet in der Notwendigkeit, dem Princeps eine im Verhältnis zum Senat dauerhafte Vorrangstellung statt des jährlichen, als nicht mehr angemessen erachteten Konsulates zu übertragen. Nachdem Augustus schon im Jahre 36 wie seinem Adoptivvater Caesar die sacrosanctitas, die Unverletzlichkeit der Volkstribunen, verliehen worden war, erhielt er im Jahre 23 die gesamte tribunicia potestas, die normale Amtsgewalt der tribuni plebis, übertragen, und zwar losgelöst vom Amte selbst. Zur tribunicia potestas gehörte eine Reihe von wichtigen Befugnissen, die schon in der ausgehenden Republik den Volkstribunen immer wieder die Möglichkeit geboten hatten, entscheidend den Gang der Politik mitzubestimmen. Dadurch waren Konflikte geschaffen worden, die ihrerseits die historische Entwicklung hin zur Ausbildung einer Alleinherrschaft gefördert hatten.24 An erster Stelle und auch traditionsgemäß am wichtigsten war das ius intercedendi oder Vetorecht gegen alle Maßnahmen anderer Beamter sowie gegen Beschlüsse von Senat und Volksversammlung. Eng mit diesem verbunden war das ius auxilii ferendi, das Recht zur Hilfeleistung für einen römischen Bürger gegen Anordnungen von Beamten und Senatsbeschlüsse, verknüpft mit der Appellation an die Volksversammlung bei drohender Todesstrafe. Gleichfalls aus der Anfangszeit des Volkstribunates stammte das ius agendi cum plebe, das Recht zur Einberufung und Leitung einer der vier Formen der römischen Volksversammlung, der nur aus den Angehörigen der Plebs bestehenden concilia plebis, deren Befugnisse seit 287 v. Chr. entscheidend darin bestanden, für das Gesamtvolk bindende Beschlüsse zu fassen. Schließlich war im Laufe der Zeit auch das ius agendi cum senatu hinzugetreten, also Einberufung und Leitung von Senatssitzungen. Dieser Komplex von Rechten war mit der schon genannten Unverletzlichkeit verbunden, die ihren Inhabern sakrale Würde verlieh, aber faktisch die Ermordung von Volkstribunen nicht hatte verhindern können. Wie bedeutsam die Übertragung der tribunicia potestas für Augustus war, zeigt sich vor allem daran, daß sie Jahr für Jahr gezählt und damit zum wichtigsten datierenden Element in der kaiserlichen Titulatur wurde. Eine ausführliche Darstellung über die historische Entwicklung des Volkstribunates in der letzten Phase der republikanischen Zeit gibt Lukas Thommen: Das Volkstribunat der späten römischen Republik, Stuttgart 1989. Der Autor behandelt auch die Vorrechte der Amtsinhaber, die Augustus später für sich in Anspruch nahm, und die Rolle der Tribunen in den tagespolitischen Ereignissen.

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Diesem Brauch folgten alle Nachfolger bis in die Spätantike hinein, als sich die bisherige Form der monarchischen Staatsführung längst überlebt hatte.25 Die tribunizische Amtsgewalt bedeutete den grundlegenden, weil auch ständig ausgeübten Bestandteil der kaiserlichen Macht. Die mit ihr verbundenen Rechte zeigen den umfassenden Charakter an, der ihr innewohnte. Besonders die Möglichkeit, mit dem Senat einen ständigen Kontakt zu pflegen, besaß Gewicht. Denn dieses Gremium führte trotz des erfolgreichen Bestrebens der Kaiser, immer mehr Befugnisse an sich zu ziehen, über die gesamte Zeit des Prinzipats kein ausschließliches Schattendasein. Es wurde vielmehr als Forum für die Diskussion der kaiserlichen Politik von den Herrschern immer wieder herangezogen. Demgegenüber verloren die vier Formen der Volksversammlung ihre frühere Rolle nach und nach, und damit schwand auch die Notwendigkeit für die Kaiser, sich des Rechtes der Einberufung und Leitung von Volksversammlungen zu bedienen. Auch die Hilfeleistung für römische Bürger und das Vetorecht wurden obsolet, weil Maßnahmen gegen den kaiserlichen Willen von Senat oder Beamten je länger desto weniger vorgenommen werden konnten. Daß im Gleichklang hierzu das wirkliche Amt der weiterhin jährlich zehn tribuni plebis seiner Aufgaben verlustig ging, war eine natürliche Konsequenz. Es wirkt wie eine Ironie des Schicksals, daß sich die monarchische Gewalt des Kaisers im innenpolitischen Bereich grundlegend auf die (allerdings vom wirklichen Amt losgelöste) Gewalt des Volkstribunates stützte. Eine Folge war, daß die tribunizische Amtsgewalt dazu benutzt wurde, den vorgesehenen Nachfolger zu Lebzeiten als Kollegen des Kaisers mit ihr auszustatten, um ihn damit der Öffentlichkeit als nächsten princeps vorzustellen, ihm eine Einarbeitung in die Herrschaftsaufgaben zu ermöglichen und ihm zur reibungslosen Übernahme der Staatsgeschäfte beim Tode des Vorgängers zu verhelfen. Diese Art der Herrschaftsweitergabe wurde von Augustus selbst gegenüber seinem letzten Adoptivsohn Tiberius vorgenommen.

Die Bedeutung der tribunizischen Amtsgewalt für den Prinzipat wird in allen Werken zur römischen Kaiserzeit in unterschiedlicher Breite behandelt. Speziell zu dieser Thematik siehe etwa Ernst Kornemann: Volkstribunat und Kaisertum, in: Festschrift Leopold Wenger Bd. 1, München 1944, 284-316, und Helmut Castritius: Der römische Prinzipat als Republik, Husum 1982, 22-33. In RGDA 5 und 6 verdeutlicht Augustus durch die akribisch datierte Aufzählung einiger wichtiger Schritte die Ausbildung des Prinzipats: Ablehnung der Diktatur und des Konsulats auf Lebenszeit, Annahme der Sorge für die Getreideversorgung, dreimalige Ablehnung der Oberaufsicht über die Gesetze und Sitten und schließlich die Bedeutung der tribunicia potestas als grundlegendes innenpolitisches Herrschaftsinstrument. Vgl. hierzu Bleicken, Republik und Prinzipat 93-105.

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Dennoch reichte die tribunizische Gewalt für die innenpolitischen Belange nicht aus, denn sie beinhaltete etwa die früher den Censoren zugekommenen Befugnisse, den Senat personell zu ergänzen, nicht, und dies hatte sich in der ausgehenden Republik verschiedentlich als Notwendigkeit, etwa zur Zeit der Diktatur Caesars, herausgestellt. Dieses essentielle Recht wollte Augustus aber nicht dem früher alle fünf Jahre gewählten Paar der Censoren überlassen, auch wenn er im Jahre 22 noch einmal zwei Censoren amtieren ließ. Eine persönliche Übernahme dieses Amtes auf Dauer war jedoch, da ohne historisches Vorbild, nicht opportun. Die seinem Inhaber zustehende Möglichkeit, nach Bedarf einen census abzuhalten, also die Zahl der römischen Bürger festzustellen, übte er auf andere Weise aus, nämlich als Konsul. Ein weiteres Recht, die Zahl der Patrizier, der Angehörigen des aus der Königszeit stammenden alten Geburtsadels, die im Verlaufe der vergangenen Jahrzehnte merklich zurückgegangen war, wieder zu vergrößern, nahm er im Jahre 29 ebenfalls noch als Konsul, auf Beschluß von Senat und Volksversammlung, wahr. Diskutabel ist, ob sich Augustus nach der Ablegung des jährlichen Konsulates ein wiederum verselbständigtes imperium consulate zusprechen ließ, welches gleichfalls auf Lebenszeit gegolten hätte. Wahrscheinlich ließ er sich stattdessen im Jahre 19 v. Chr. nicht diese volle Amtsgewalt, sondern nur die äußeren Ehrenrechte der Konsuln verleihen: Dies waren im besonderen der Sitz zwischen den beiden Konsuln während der Senatssitzungen, die sella curulis, und die Begleitung durch zwölf Liktoren mit ihren fasces in der Öffentlichkeit in Rom, ein Recht, das er als Prokonsul außerhalb der rituellen Stadtgrenze, des pomerium, bereits besaß und wie das erstgenannte schon als Triumvir besessen hatte. Insofern war die Zuerkennung dieser konsularischen Ehrenrechte durch den Senat nur das Wiederaufgreifen früherer Regelungen.27 Neben diesen auf den politischen Bereich bezogenen Kompetenzen sah Augustus auch in der sakralen Sphäre die Notwendigkeit, grundlegende Rechte in seiner Person zu vereinigen. Sein Adoptivvater Caesar hatte immerhin bereits im Alter von 38 Jahren das höchste Priesteramt durch Volkswahl übertragen erhalten und sich seitdem zeit seines Lebens als pontifex maximus um die Belange des Staatskultes gekümmert. Nach seiner Ermordung war M. Aemilius Lepidus zum Nachfolger gewählt worden. Dieser behielt auch nach seiner politischen Entmachtung im Jahre 36 die Aufgabe des obersten Staatspriesters bei. Augustus rühmt sich in seinem Tatenbericht ausdrücklich, Lepidus nicht wider das Herkommen vorzeitig zum Verzicht genötigt zu haben. Doch nach dessen Tod im Jahre 12 konnte er endlich zugreifen und ließ sich, nach seinen Worten durch eine zuvor nie gekannte Volksmenge aus ganz Italien, in einem regulären Wahlakt des populus Romanus das A m t übertragen, das ihm zusätzlich zu Ich folge hier Bleicken, Republik und Prinzipat 100-103.

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seiner Mitgliedschaft in den anderen wichtigen Priesterkollegien die Leitung des gesamten Staatskultes ermöglichte. Wie wichtig die Funktion des pontifex maximus eingeschätzt wurde, zeigt sich darin, daß sie wie die tribunicia potestas in die offizielle Titulatur aufgenommen wurde. Seit Augustus bekleideten alle Kaiser dieses Amt und erweiterten so ihre Vorrangstellung im Staate auch auf den sakralen Bereich. Diese Verbindung von Politik und Kultwesen in der Person des princeps war einer der charakteristischen Züge des römischen Prinzipates.28 Zehn Jahre nach der Übernahme des Amtes des obersten Staatspriesters konnte Augustus seine Titulatur durch ein weiteres Element ergänzen, das aufgrund seiner ideologischen Bedeutung, nicht aber aufgrund eines Machtzuwachses als wichtig angesehen wurde. Am 5. Februar 2 v. Chr. erhielt er durch Senat, Ritterstand und Volk, also durch die Gesamtheit aller den Staat tragenden Kräfte, den Ehrentitel pater patriae verliehen. Zu recht ist dieses Ereignis als Krönung des augusteischen Prinzipates und als Abschluß des langwierigen Aufbaus seiner Alleinherrschaft gewertet worden, zumal Augustus selbst diese Ehrung markant an das Ende seines Tatenberichtes setzte. Ausgedrückt werden sollte mit diesem Titel einerseits, daß alle Bürger dem princeps gegenüber wie einem Vater pflichtgemäßen Gehorsam schuldeten und daß sie außerdem seine Leistungen für die res publica wie die eines Vaters des Staates anerkannten, der sich um sie verdient gemacht hatte. 29 Ergänzt wurden die zivilen Befugnisse des Augustus durch drei weitere Einzelrechte, die er im Jahre 23 ebenfalls anstelle des aufgegebenen Konsulates durch im Senat verabschiedete privilegia erhielt, weil sie in der tribunicia potestas nicht enthalten waren, aber wichtige Bereiche seines politischen Handelns in Rom betrafen. Es waren das Recht, innerhalb der sakralen Stadtgrenze das Imperium eines Prokonsuls, das eigentlich nur für die Provinzen galt, auf Dauer führen zu können und nicht immer wieder beim Uberschreiten des pomerium erneuern zu müssen, des weiteren die an das tribunizische ius agendi cum senatu anknüpfende Möglichkeit, in Senatssitzungen als erster reden zu dürfen, das ius primae relationis, und schließlich die Befugnisse der nominatio Der Wortlaut der RGDA 10 zur Wahl zum pontifex

und commendatio,

maximus

also

ist ebenfalls charakteris-

tisch für die Stilisierung des historischen Sachverhaltes: Pontifex maximus ne fierem in vivi conlegae mei locum populo id sacerdotium deferente mihi, quod pater meus habuerat, recusavi. Quod sacerdotium aliquod post annos eo mortuo, qui civilis motus occasione occupaverat, cuncta ex Italia ad comitia mea confluente multitudine, quanta Romae nunquam fertus ante id tempus fuisse, recepi (im Jahre 12). Nicht von ungefähr wird der Name des Vorgängers im Amte verschwiegen, um ihm nicht im Nachhinein eine unerwünschte Bedeutung zu geben.

Vgl. die klassische Darstellung bei Andreas Alföldi: Der Vater des Vaterlandes im römischen Denken, 3. Aufl. Darmstadt 1980.

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Prüfung und Empfehlung der Bewerber für die staatlichen Ämter in den Wahlgremien. Diese drei für die praktische Ausübung der Staatsleitung wichtigen Einzelprivilegien formten mit den anderen Amtern und Amtsbefugnissen jenen eigentümlichen Komplex an Macht im Staate, der die Stellung des princeps charakterisierte.30 Schließlich muß noch ein letzter Bestandteil der Kaisertitulatur angesprochen werden, der sich auf die faktische Ausübung des Oberbefehls über die gesamte römische Wehrmacht bezieht, welche zum weitaus größten Teil in denjenigen Provinzen stationiert war, die Augustus im Jahre 27 zugesprochen worden waren. In dieser Funktion besaß Augustus das Recht der auspicia, des für den Beginn aller Feldzüge notwendigen Einholens des Götterwillens durch die Abhaltung von Opfern. An dieses Recht, das Augustus nicht ohne anfänglichen Widerspruch für sich beanspruchte, war die Ehre geknüpft, sich nach Siegen von den Truppen auf dem Schlachtfeld zum imperator, zum siegreichen Feldherrn, ausrufen zu lassen. Sie war dem Oberbefehlshaber vorbehalten, auch wenn er nicht selbst im Felde die Soldaten geführt hatte, sondern Legaten, also Unterfeldherren, hatte kommandieren lassen. Diese imperatorischen Akklamationen warfen ein glanzvolles Licht auf den princeps und vermehrten sein Ansehen gegenüber der Bevölkerung, zumal wenn sie mehrfach ausgesprochen wurden. So erhielten diese äußeren Kennzeichnungen militärischen Erfolges einen Platz innerhalb der Gesamttitulatur, drückten bei Vervielfachung die dauernde Sieghaftigkeit des Kaisers aus und trugen so einen Gutteil zur Repräsentation des Herrschers bei. Darüberhinaus wurden, zwar noch nicht durch Augustus, aber doch von seinen Nachfolgern, nach bedeutsamen militärischen Erfolgen die Namen der besiegten Völker in die Herrschertitulatur in der Form von Siegerbeinamen, cognomina ex virtute, aufgenommen. Zur augusteischen Zeit verdiente sich aber sein jüngerer Stiefsohn Drusus aufgrund seiner Siege gegen germanische Völkerschaften den Siegerbeinamen Germanicus und gab diesen an seinen älteren Sohn als "Rufnamen" weiter, der ihn seinerseits an seinen einzigen überlebenden Sohn vererbte, der als Kaiser Caligula in die Geschichte einging.31

Bezug zu nehmen ist auch hierbei auf die Untersuchung von Bleicken, Republik und Prinzipat, hier 96-103. Die dort referierten Diskrepanzen beruhen verschiedentlich auf der späten Uberlieferung von Einzelheiten durch Cassius Dio, der dabei eher unbewußt die ihm bekannten späteren historischen Entwicklungen einfließen ließ, ohne sie genau von der Situation unter Augustus zu trennen. Die militärische Seite des Prinzipats erörtern u.a. Peter Kneißl: Die Siegestitulatur der römischen Kaiser. Untersuchungen zu den Siegerbeinamen des ersten und zweiten Jahr-

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Der römische Prinzipat war aufgrund seiner eigentümlichen Entstehungsgeschichte mithin keine festgefügte neue Staatsform, die eine vorhergehende von einem Tag zum nächsten ablöste und seitdem ohne Veränderungen eine neue Epoche bestimmte. Ganz im Gegenteil, seine Entwicklung charakterisierte ihn als gewachsenen neuen, aber nun entscheidend gewordenen Bestandteil des staatlichen Lebens. Zugleich muß betont werden, daß es sich um einen Komplex verschiedener, allmählich zusammenwachsender Amter, Amtsbefugnisse und Einzelprivilegien handelte, der für seinen Inhaber eine Stellung schuf, die in keiner Weise mit einem Königtum zu vergleichen ist. Denn sie ging aus einer republikanischen, nichtmonarchischen Staatsordnung hervor, auch wenn diese im vorhergehenden Jahrhundert im Grunde zwangsläufig auf die Errichtung einer Alleinherrschaft hinausgelaufen war. Diese neue monarchische Staatsführung war allerdings die alleinige Leistung des Augustus. Diese war geprägt von einer Kunst des Möglichen, mit der sich Caesars Adoptivsohn politisch behauptete und nach und nach die beherrschende Stellung erwarb, durch die er den Staat zu lenken verstand. Gerade in jüngerer Zeit stand in der Forschung wieder die Frage zur Diskussion, wie neuartig die Umordnung des Staates, zusammengefaßt unter dem Begriff "Prinzipat", wirklich gewesen sei: Uberwogen in der eigentümlichen Rechtskonstruktion die traditionellen republikanischen oder die neueingeführten monarchischen Bestandteile? Läßt sich überhaupt eine Unterscheidung dieser Art vornehmen?32 Wirksam war auf jeden Fall das Vorbild Caesars, eine Alleinherrschaft zu errichten. Dieser wiederum hatte Sullas Vorbild aufgegriffen, um seine Macht auf der nun auf Lebenszeit ausgeübten Diktatur aufzubauen, doch hatte sich dies als Fehlschlag erwiesen, ganz zu schweigen von dem weitergehenden Versuch, das altrömische und das hellenistische Königtum für eine regelrechte Monarchie nutzbar zu machen. Daher wurde als neue Grundlage die tribunicia potestas gewählt: Die Loslösung von Amtsbefugnissen vom Amte selbst ging auf das Vorbild des Pompeius zurück, die Benutzung des Volkstribunates hierfür aber war neuartig. Abgesehen von der bereits Caesar bewilligten sacrosanctitas war dieses Amt aufgrund seines Charakters der "legalen Obstruktion" bisher nie zur Begründung einer Alleinherrschaft herhunderts, Göttingen 1969, und John B. Campbell: The Emperor and the Roman Army, 31 B.C.- A.D. 235, Oxford 1984. Als jüngste Vertreter der republikanischen bzw. monarchischen Interpretation des augusteischen Prinzipates nenne ich nur (s.o.) die Monographien von Castritius, Prinzipat als Republik (mit dem bezeichnenden Titel), und Bleicken, Republik und Prinzipat (auch wenn hier vornehmlich das "zweite" Triumvirat im Vordergrund steht).

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angezogen worden, doch hatte seine gewachsene Bedeutung in der vorausgegangenen, rund hundertjährigen Zeitepoche seine Nutzbarkeit hierfür nahegelegt. Die Diktatur, der iterierte Konsulat, die dauernde Censur, die von ihr abgeleitete cura legum et morum, alle diese Amter oder Amtsbefugnisse hätten einen zu massiven Eingriff in das traditionelle Verständnis vom Wesen der res publica bedeutet, wären sie in ihrer Gesamtheit zur Grundlage einer monarchischen Staatsführung erkoren worden. Die subtile Nutzung anderer Möglichkeiten zeichnete das Vorgehen des Augustus aus und verlieh seiner neuen Staatsordnung den Keim jahrhundertelangen Bestandes. Der römische princeps mußte allerdings in besonderem Maße darauf achten, mit seiner Herrschaft behutsam umzugehen, um den Prinzipat erhalten und weitergeben zu können.

Die Entwicklung des Prinzipates in der nachaugusteischen Zeit: Principes, Augusti, Caesares Am Ende seines Lebens legte Augustus in seinem Tatenbericht Rechenschaft über sein politisches Wirken ab und krönte damit zugleich seine Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit; darüber hinaus gab er auf diese Weise Maximen für eine erfolgreiche Herrschaft an seine Nachfolger weiter.33 Der erste von ihnen, sein letzter Adoptivsohn Tiberius Iulius Caesar, der seit dem Jahre 4 n. Chr. im Mitbesitz der tribunicia potestas und damit zum neuen princeps designiert, aber auch im Testament als Haupterbe eingesetzt war, sträubte sich zuerst im Senat, die Stellung des Augustus zu übernehmen. Diese Reserviertheit dürfte nicht bloß äußerlich gewesen sein, sie entsprang offenbar seiner Einschätzung der großen Bürde aller auf ihn zukommenden Aufgaben. An dieser ersten Weitergabe des Prinzipats mitsamt allen seinen Rechten zeigt sich bereits das Dilemma, welches in der Folgezeit häufig Schwierigkeiten verursachte, nämlich die Regelung der Nachfolge. Neben der Übertragung der tribunicia potestas zu Lebzeiten des princeps an den präsumptiven Nachfolger war es im Falle fehlender leiblicher Nachkommenschaft grundlegend die Adoption, welche eine Wahl ermöglichte und rechtlich absicherte, da nach römischem

Die offizielle Titulatur kurz vor seinem Tode zeigt die Inschrift des Ponte di Tiberio in Rimini, einer Brücke, deren Bau von Augustus begonnen, von Tiberius aber vollendet wurde: Imp. Caesar divi f . Augustus pontifex maxim, cos. XIII imp. XX tribunic. potest. XXXVIIp. p. (es folgt die Titulatur des Nachfolgers Tiberius).

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Rechtsverständnis der adoptierte Sohn dem leiblichen völlig gleichgestellt 34

war. Neben der Adoptionsregelung stand selbstverständlich die vorher festgelegte Nachfolge leiblicher Söhne. Aber auch die gewaltsame Machtübernahme durch Bürgerkrieg und Ermordung des Vorgängers war als irreguläre Lösung nicht selten. Diese Möglichkeit konnte neue Familien zur Herrschaft bringen, welche dann die Chance erhielten, Dynastien zu begründen. Die von Augustus ausgehende, aus Mitgliedern der gens Iulia Caesars und der gens Claudia in verwickelter Verwandtschaftsbeziehung gebildete erste Dynastie vermochte den Prinzipat rund 95 Jahre zu behaupten. Schon während ihres Bestandes wurden verschiedene Formen der Nachfolge in die Tat umgesetzt. Am Ende aber stand ihre gewaltsame Ersetzung durch einen neuen princeps.i5 Eine Herrschaftskontinuität ohne Probleme war insgesamt betrachtet eher eine Ausnahme. Auch die von Zeitgenossen und der Nachwelt zumeist hochgepriesene Epoche der Adoptivkaiser im 2. Jahrhundert blieb in dieser Hinsicht nicht frei von Schwierigkeiten. Die Adoption trat nur dann, und zwar als Ausweichmöglichkeit, in Kraft, wenn leibliche Söhne fehlten, die ihr beigemessene Qualität als die "Auswahl der Besten" muß jedoch als eine nachträgliche, rechtfertigende Überhöhung eingeschätzt werden.36 Nachdem sich im Laufe des ersten Jahrhunderts des Prinzipats der ursprüngliche Ehrenbeiname des ersten Kaisers, Augustus, durch seine prononcierte Verwendung innerhalb der offiziellen Titulatur, nämlich unmittelbar Die durch die Aussagen des Tacitus, Annales 1 7 f. und 11-15, vorgeprägte Auffasssung, Tiberius habe sich nur den Anschein gegeben, die Nachfolge des Augustus nicht antreten zu wollen, in Wirklichkeit aber durch Zurückhaltung seine Hinterhältigkeit verdeckt, wird heute nicht mehr akzeptiert; vgl. etwa Paul Schrömbges: Tiberius und die Res Publica Romana. Untersuchungen zur Institutionalisierung des frühen römischen Prinzipats, Bonn 1986. Die Weitergabe der Herrschaft innerhalb der ersten Kaiserdynastie erörtert Blanche Parsi: Designation et investiture de l'empereur romain (Ier et He siecles apres J.C.), Paris 1963. Die Legende von der Adoption des kaiserlichen Nachfolgers als bestem Mittel für die Weitergabe der Herrschaft zum Nutzen des Staates und seiner Menschen wurde schon vom jüngeren Plinius in seiner Lobrede auf Kaiser Trajan, dem am 1. September des Jahres 100 im Senat gehaltenen und später grundlegend umgearbeiteten Panegyricus, in die Welt gesetzt; er liegt seit einigen Jahren in zweisprachiger Ausgabe vor: Plinius der Jüngere, Panegyrikus. Lobrede auf den Kaiser Trajan, hrsg., übersetzt und mit Erläuterungen versehen von Werner Kühn, Darmstadt 1985. Zur Herrschaftsnachfolge allgemein siehe Michael Hammond: The Transmission of the Powers of the Roman Emperors from the Death of Nero in A.D. 68 to that of Alexander Severus in A.D. 235, in: MAAR 24 (1956) 61-133.

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nach dem persönlichen Namen, zu einem geeigneten Distinktiv zur Bezeichnung des Herrschers entwickelt hatte, führte Galba bei der Adoption seines vorgesehenen Nachfolgers am 10. Januar 69 die Neuerung ein, den nicht mit ihm verwandten Adoptivsohn durch die Zuerkennung des Cognomens Caesar als zukünftigen Princeps auszuweisen. Von einer Übertragung der tribunizischen Gewalt war damals allerdings nicht die Rede. Durch Galbas Maßnahme wurde die zeremonielle Bestimmung eines nicht der kaiserlichen Familie angehörenden Nachfolgers in Form der privatrechtlich gültigen Adoption durch die Übertragung des nunmehrigen Titels Caesar im staatsrechtlichen Sinne vervollständigt und der Öffentlichkeit gegenüber verdeutlicht.37 Nerva folgte Ende Oktober 97 Galbas Vorbild und designierte seinen Adoptivsohn Trajan auf diese Weise zum Nachfolger, verlieh ihm aber gleichzeitig die tribunicia potestas.38 Als Musterbeispiel für die regelrechte Ausbildung eines Thronfolgers kann Marcus Aurelius dienen, der in seiner langen, 22 Jahre währenden Zeit als Caesar zugleich Adoptiv- wie Schwiegersohn des Antoninus Pius war und nach und nach mit den herrscherlichen Befugnissen ausgestattet wurde, bis er in jeder Hinsicht wohlvorbereitet die Regierung antrat. Wenn jedoch keine zumindest durch Adoption geregelte Nachfolge vorlag und eine Dynastie ihr Ende gefunden hatte, konnte der Senat die Initiative ergreifen und von sich aus einen neuen Herrscher küren. Am besten zeigt diese Möglichkeit eine der bedeutendsten lateinischen Inschriften auf, die lex de imperio Vespasiani, in der die Befugnisse des neuen Princeps in innen- und außenpolitischer Hinsicht angesprochen sind. Da der erste Teil der Inschrift verloren ist und aus der sonstigen Überlieferung kein Hinweis auf ähnliche Fälle vorliegt, die Rechte des Kaisers schriftlich zu fixieren, kann der Fall Vespasians nicht verallgemeinert werden.40 Die langfristige Vorbereitung auf das Herrscheramt bei Marcus Aurelius steht als Idealfall singular da, weil seine inhaltliche Qualität nie wieder erreicht wurde: Die Die Adoption des L. Calpurnius Piso Frugi Licinianus durch Galba behandelt Johannes Straub: Dignatio Caesaris, NDr. in: Ders., Regeneratio Imperii, Bd. 1, Darmstadt 1972, 36-63, hier 42-56. 38

Aus der kurzen Zeitspanne von nur drei Monaten zwischen Trajans Adoption und seinem Regierungsantritt am 28. Januar 98 sind weder Münzen noch Inschriften bekannt, in denen er als Caesar neben Nerva genannt wäre. Allerdings überliefern die Fasti Ostienses die Adoption (Ladislav Vidman: Fasti Ostienses, 2. Aufl. Prag 1982, 45).

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Kienast, Kaisertabelle 137-141; Anthony Birley: Marcus Aurelius. A Biography, London 2. Aufl. 1987, 53-115.

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Dieses Gesetz (CIL VI 930 - ILS 244) diskutiert etwa Peter A. Brunt: Lex de Imperio Vespasiani, in: JRS 67 (1977) 95-116.

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Persönlichkeit und die Fälligkeiten von Kaiser und Caesar ermöglichten durch die reibungslose Weitergabe der Herrschaft die Kontinuität einer erfolgreichen Politik innerhalb zweier Generationen. Sobald diese Voraussetzungen nicht gegeben waren, nützte auch eine lange Vorbereitungszeit für die Nachfolger nichts, wie die Fälle von Commodus und Caracalla überdeutlich erwiesen. In beiden Fällen gingen die Väter, Marcus Aurelius und Septimius Severus, sogar noch einen Schritt über die Erhebung zum Caesar hinaus: Sie ernannten die Prinzen nach unterschiedlich langer Zeit in diesem Rang sogar zum Augustus und damit zum nominellen Mitregenten.41 Während aber Commodus fast elf Jahre mit dem Caesar-Titel ausgestattet blieb, erhob Severus seinen älteren Sohn bereits nach einer wenig mehr als zweijährigen Ubergangszeit zum höheren Rang, schaltete dabei aber die Zwischenstufen eines auch für Commodus bezeugten, schon aus der augusteischen Zeit stammenden princeps iuventutis und des singulären Imperator destinatus kurz vor der Proklamation zum Mitherrscher vor. Der nur rund ein Jahr jüngere Bruder Caracallas, Geta, wurde zwar gleichzeitig mit Caracallas Ernennung zum Augustus zum Caesar erhoben, mußte jedoch etwa elf Jahre auf seine weitere Beförderung durch den Vater warten. Die Erhebung zum Mitregenten wurde erstmals im Jahre 161 vollzogen, als nach dem Tode des Antoninus Pius sein älterer Adoptiv- und zugleich Schwiegersohn, Marcus Aurelius, in einem eigenverantwortlichen Willensakt seinen jüngeren Adoptivbruder unter dem Namen Lucius Aurelius Verus zum Augustus erhob und ihm alle Rechte zuerkannte, die er selbst besaß; nur das Amt des pontifex maximus behielt er sich allein vor. Dieser Regelung folgten alle späteren Kaiser bis in die Mitte des dritten Jahrhunderts hinein. Dennoch unterschied sich die gemeinsame Regierung dieser beiden erwachsenen Principes in der inhaltlichen Substanz grundlegend von den meisten späteren Samtherrschaften, weil der Mitregent aufgrund seines Alters selbständige Aufgaben übernehmen und daher den Partherkrieg der Jahre 162-166 leiten konnte.42 Erst während der gemeinsamen Herrschaft von Valerianus und Gallienus zwischen 253 und 260 wiederholte sich eine derartige Situation, als Vater und Sohn sich in Form einer inoffiziellen Aufteilung des Reiches eigenständig den militärischen Problemen im Osten und Westen zuwandten, um sie jeder in eigener Verantwortung zu bewältigen.43 Die Institutionalisierung einer solchen Aufteilung der Herrscheraufgaben nahm dann Diokletian durch die Einrichtung der Tetrarchie vor, welche am Ende die UberZu Commodus: Kienast, Kaisertabelle 147-150; Birley, Marcus Aurelius 195-198 und 206210. Zu Caracalla: Kienast 162-165; A. Birley: The African Emperor: Septimius Severus, London 2. Aufl. 1988,117,128 und 130. Zur Person des L. Verus sind Kienast, ebd. 143-145 (mit Nennung weiterer Literatur), und Birley, Marcus Aurelius 116-158, passim, heranzuziehen. Der Samtherrschaft von Valerianus und Gallienus ging diejenige von Trebonianus Gallus und Volusianus (251 - 253) voraus, in welcher der erwachsene Sohn ebenfalls das Amt des pontifex maximus übernahm, eine selbständige Ausübung von Regierungsaufgaben jedoch nicht in die Tat umsetzen konnte, weil beide Kaiser zu früh ermordet wurden. Zu Valerianus und Gallienus siehe etwa Lukas De Blois: The Policy of the Emperor Gallienus, Leiden 1976, und Wolfgang Kuhoff: Herrschertum und Reichskrise. Die Regierung der römischen Kaiser Valerianus und Gallienus (253 - 268 n. Chr.), Bochum 1979.

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tragung der Verantwortung für jeweils einen territorial abgegrenzten Teil des Reiches auf vier Herrscher beinhaltete, in deren Titel als Augusti für die zwei rangälteren und als Caesares für die beiden jüngeren die frühere Regelung weiterlebte. Vor allem aber wurden auf diese Weise die Konsequenzen aus den krisengeschüttelten Dezennien des dritten Jahrhunderts gezogen, die eine Neuorganisation des Kaisertums zwingend nahegelegt hatten. Zur diokletianischen Zeit hatte sich immerhin ein schon lange angebahnter Wandel verfestigt, nämlich die Ausweitung des für die Herrschaft in Frage kommenden Personenkreises. Auf die Angehörigen patrizischer Familien aus den gentes der Iulii und Claudii waren die aus dem sabinischen Lande nordöstlich Roms stammenden Flavii gefolgt, die Aufsteiger in den Senatorenstand waren. Mit Trajan erlangte der erste nichtitalische Senator, und zwar von der iberischen Halbinsel, den Thron, während mit Pertinax 193 erstmals ein Aufsteiger in den Ritter- und danach in den Senatorenstand zur Herrschaft gelangte. Schließlich wurde mit Septimius Severus der erste aus dem römischen Nordafrika stammende Senator Kaiser. Macrinus war 217 der erste Princeps aus dem Ritterstand; der 244 an die Macht gekommene Philippus I. stammte aus der Provinz Arabia. Mit Decius trat dann 251 die pannonisch-illyrische Region in den Vordergrund und behauptete ihre Dominanz für die Herkunft der Kaiser bis in die Spätantike hinein: Prominente Herrscher wie Diokletian und Konstantin der Große entstammten ihr.44 Mit der Ermordung des Commodus am 31. Dezember 192 ging nicht nur eine Dynastie zu Ende. Schon die Geschichtsschreibung im frühen 3. Jahrhundert stellte spätestens für dieses Datum eine Wende fest, die das Geschick des römischen Reiches zum Schlechteren gekehrt habe.45 Diese Festlegung einer Epochengrenze ist nicht ohne Sinn, denn der Prinzipat geriet tatsächlich in eine existenzielle Krise, die nach außen hin schon durch die zahlreichen gewaltsamen Regierungswechsel gekennzeichnet war. 46 Die nach dem Bürgerkrieg der Jahre 193-197 etablierte Dynastie der Severer konnte sich immerhin bis 235 an der Macht halten. Nach der Ermordung des Severus Alexander Februar/März 235 gelang es bis zum Jahre 285 jedoch keinem Herrscher mehr, sich friedlich auf dem Thron zu halten. Für kurze Zeit, von 260 bis 273, spaltete sich sogar ein Teil des Reiches, nämlich Gallien mit Britannien Die Einzelangaben zu den genannten Kaisern lassen sich am besten bei Kienast, Kaisertabelle, passim, nachlesen. Cassius Dio L X X I I 36, 4 (in der Epitome des Xiphilinos), und nach ihm Herodianos 11, 5; zu diesem siehe Geza Alföldy: Zeitgeschichte und Krisenempfindung bei Herodian, NDr. (mit Nachträgen) in: Ders., Die Krise des Römischen Reiches: Geschichte, Geschichtsschreibung und Geschichtsbetrachtung. Ausgewählte Beiträge, Stuttgart 1989, 273-294, besonders 277-282. Diese Thematik erörtert systematisch Felix Hartmann: Herrscherwechsel und Reichskrise. Untersuchungen zu den Ursachen und Konsequenzen der Herrscherwechsel im Imperium Romanum der Soldatenkaiserzeit (3. Jahrhundert n. Chr.), Frankfurt a.M./Bern 1982.

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und vorübergehend Hispanien, unter eigenen Kaisern ab,47 und im Osten mußte das Vasallenkönigreich Palmyra nach dem Versuch, eine selbständige Herrschaft in Vorderasien und Ägypten zu erringen, 272/3 wieder in das Reichsganze zurückgezwungen werden.48 Die Vermehrung der drängenden Probleme im innen- wie außenpolitischen Bereich nötigte dazu, die Herrschaft auf mehr als einen Princeps zu verteilen, um an allen Brennpunkten einen Repräsentanten der Staatsmacht, nach den Worten des Augustus mit der nötigen auctoritas ausgestattet, zur Stelle zu haben. In den Fällen von Valerianus und Gallienus sowie von Carus, Carinus und Numerianus (282-284) liegen Vorstufen dieser Lösung vor. Erst das von Diokletian eingerichtete tetrarchische Regierungssystem sorgte für eine zumindest zwanzigjährige Abhilfe. Diese erwies sich letztlich als zu künstlich, um als Dauerlösung Bestand zu haben. Am Ende setzte sich wieder das dynastische Prinzip durch, welches mit Konstantin dem Großen zugleich eine Umorientierung im religiösen Bereich mit sich brachte. Diese Wende eröffnete dem Christentum die Möglichkeit, binnen siebzig Jahren zur neuen Staatsreligion zu werden. Das Kaisertum selbst nahm ebenfalls eine veränderte Gestalt an, so daß die Forschung traditionell mit dem Jahre 285 eine neue Epoche beginnen läßt, den sogenannten Dominat.

Die Regierungstätigkeit und Selbstdarstellung der principes Ihre Fähigkeit, das römische Reich mit fester Hand zu lenken, die Belange seiner Bewohner nach besten Kräften zu fördern und den territorialen Bestand zu wahren oder sogar auszuweiten, mußten die Kaiser in ihrer konkreten Politik nachweisen. Die wirklichen oder nur vorgegebenen Erfolge benutzten sie anschließend zu ihrer eigenen Selbstdarstellung in Rom, Italien und den Provinzen, zugleich auch im Hinblick auf die Nachwelt. Wichtigstes Medium dafür waren die Münzen mit den Herrscherbildnissen auf den Vorder- und vielfälti47

Die Zeit des "Gallischen Sonderreichs" behandelte eigens Ingemar König: Die gallischen Usurpatoren von Postumus bis Tetricus, München 1981.

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Die Person der Königin Zenobia von Palmyra hat erst jüngst eine historische Darstellung gefunden: Eugenia Equini Schneider: Septimia Zenobia Sebaste, Rom 1992. Vgl. auch noch Jean Gage: La montee des Sassanides et l'heure de Palmyre, Paris 1964.

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Eine knapp zusammenfassende Schilderung der Situation des Imperium Romanum im 3. Jahrhundert bietet Alexander Demandt: Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian 284-565 η. Chr. München 1989, 34-46. Dazu kommt die ausführliche Darstellung von Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zu Konstantin, München 3. Aufl. 1995, 600-702.

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gen bildlichen Szenen auf den Rückseiten, erläutert durch zugehörige Umschriften. Auch die plastischen Porträts der Principes und ihrer Familienangehörigen wurden im gesamten Reich verbreitet. Sie wurden nach den aus R o m in alle Gegenden versandten Urtypen an jedem Orte angefertigt und gaben den Untertanen eine optische Vorstellung vom Aussehen der regierenden Herrscher nebst ihren Frauen, Söhnen und anderen Verwandten, die zur engeren domus Augusta, dem Kaiserhaus, gehörten. Lebensgroß und vollplastisch bildeten auch die Porträts eine Form der Herrscherpräsentation; doch die zugehörigen Statuen mitsamt ihren Basen, auf denen die erklärenden Inschriften angebracht waren, gehörten zumeist nicht zu den direkten Mitteln der kaiserlichen Selbstdarstellung: Sie waren vielmehr Ehrungen für die Principes von Seiten einzelner Bürger, Körperschaften, Gemeinden oder Provinzen. Damit bildeten sie eine Antwort auf die öffentliche Eigenrepräsentation der Kaiser. Diesen Unterschied zwischen den kaiserlichen Maßnahmen der Selbstdarstellung und den für die Herrscher vollzogenen Ehrungen gilt es zu beachten. Zu den Statuen, die im Einflußbereich kaiserlichen Willens entstanden, gehören als besonders anschauliche Beispiele die Augustusstatue von Primaporta, heute in den Vatikanischen Museen ausgestellt, und die Büste des Commodus als Herkules im römischen Konservatorenpalast. Während erstere in der Villa der Livia, der Gemahlin des Augustus, in Primaporta nördlich Roms gefunden wurde und damit schon wegen ihres Aufstellungsortes einen offiziellen Charakter beanspruchen kann, 50 ist die Commodus-Büste zwar in Rom gefunden worden, doch in einem nicht mehr erkennbaren baulichen Zusammenhang. Ihre inhaltliche Relevanz, nämlich das auch in verschiedenen anderen Quellen (Inschriften, Münzen und Geschichtsschreibung) überlieferte Bemühen dieses Princeps, sich mit Herkules gleichzusetzen und damit seine fast übermenschlichen Bemühungen um das Wohl des Reiches zu verdeutlichen, macht sie gleichwohl wertvoll. 51 Ein noch eindrucksvolleres Beispiel kaiserlicher Selbstdarstellung ist die Reiterstatue des Marcus Aurelius aus vergoldeter Bronze, die 1538 in der Mitte des Kapitolsplatzes in Rom aufgestellt wurde und seit wenigen Jahren nach langer Restaurierung im Museo Capitolino wieder zu besichtigen ist. Der Princeps ist hier als siegreicher Feldherr abgebildet, der nach sei-

Zur Interpretation der Augustusstatue siehe Paul Zanker: Augustus und die Macht der Bilder, München 2. Aufl. 1990, besonders 192-196. Eine eingehende Diskussion der Commodus-Büste findet sich bei Klaus Fittschen - Paul Zanker: Katalog der römischen Porträts in den Capitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen der Stadt Rom, Bd. 1, Mainz 1985, 85-90.

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nem Erfolg die Tugend der dementia Caesaris übt, d.h. die besiegten Feinde begnadigt.52 Neben den Münzen, Porträts und Statuen waren es in größerer Dimension die Bauwerke, die zur Repräsentation der Herrscher errichtet wurden. Sie waren Dokumente kaiserlicher Fürsorge und zugleich Ausdruck besonders nachdrücklicher Eigenwerbung. Reaktion seitens der Untertanen waren Bauten, die den Kaisern direkt oder zu ihrem Wohl gestiftet wurden. Uberall im Reiche entstanden Beispiele für diese beiden Möglichkeiten baulicher Aktivität. Zahlreiche Uberreste sind noch heute in der Hauptstadt, in Italien, Afrika und Kleinasien sowie in den Gebieten des römischen Deutschland zu sehen. Gerichtet waren diese monumentalen Zeugnisse kaiserzeitlicher Bau- und Ingenieurkunst auch an die Nachwelt, um die Herrscherleistungen und die Beiträge von Privatpersonen zur Verbesserung urbaner Infrastrukturen und zur Demonstration persönlichen Mäzenatentums zu dokumentieren. Auf Seiten der Kaiser dienten die Bauten ihrem Anspruch, eine allumfassende Fürsorge für das Reich und seine Einwohner zu verwirklichen, auf Seiten der privaten Stifter dagegen war das Bemühen vorherrschend, den Monarchen nachzueifern und einen eigenen Beitrag zur Verschönerung und zum konkreten Nutzen der Städte zu leisten. Zur Verdeutlichung der praktischen wie ideellen Intentionen wurden an den Bauwerken Inschriften angebracht, die jedermann deren Sinn offenlegen sollten. Wie notwendig schriftliche Erläuterungen waren, zeigt eine Angabe des Suetonius in seiner Augustus-Vita, daß der erste Princeps der stadtrömischen Bevölkerung nach der Fertigstellung seines Forums in einem Edikt den Sinngehalt bekanntgegeben habe, den er mit diesem Baukomplex zu verfolgen gedachte. In diesem frühen und dazu singulären Zeugnis ist prononciert davon die Rede, daß sich das Forum Augustum an Gegenwart und Nachwelt gleichermaßen wenden sollte, und in dieser Hinsicht folgten alle anderen Herrscher dem maßgeblichen Vorbild des Begründers des Prinzipates.53

Das zum 21. April 1990, dem Tag des mythischen Geburtstages der Stadt Rom, auf das Kapitol zurückgekehrte Reiterstandbild ist das einzige erhaltene Beispiel für diese besonders nachdrückliche Darstellung eines Kaisers. Zur Geschichte, künstlerischen Einordnung und Restaurierung dieses Monumentes erschien das Buch von Alessandra Melucco Vaccaro - Anna Mura Sommella (Hg.): Marco Aurelio. Storia di un monumento e del suo restauro, Cisinello Balsamo 1989. Sueton, Aug. 31, 5. Während Paul Zanker: Forum Augustum. Das Bildprogramm, Tübingen 1967, 35, und Ders., Augustus 215 f., auf das augusteische Edikt hinweisen, geht Erika Simon: Augustus. Kunst und Leben in Rom um die Zeitenwende, München 1986, 46-51, nicht darauf ein.

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Die von den principes errichteten Zweckbauten waren Tempel für die Ausübung des Staatskultes, welche die pietas der Herrscher gegenüber den Göttern und ihre Tätigkeit als oberste Staatspriester ausdrücken sollten, dann Wasserleitungen, Thermenanlagen, Häfen, Getreidespeicher, Theater, Amphitheater, Stadien, Circusse, öffentliche Plätze, schließlich Straßen und Stadtmauern. Für alle diese Bauwerke liegen zahlreiche Beispiele vor: die Wasserleitungen von Agrippa, Claudius und Trajan in Rom; die Häfen in Ostia, Civitavecchia und Ancona; die horrea Galbiana in der Hauptstadt für die Lebensmittelversorgung; die Thermen von Agrippa, Nero, Titus, Trajan und Caracalla in Rom, aber auch ähnliche Bauten in Trier; das Marcellustheater, das flavische Amphitheater (Kolosseum) und der Circus Maximus in Rom sowie vergleichbare Bauwerke etwa im römischen Afrika; die stadtrömischen Fora von Augustus, Vespasianus, Nerva und Trajan; die innerstädtischen und die städteverbindenden Uberlandstraßen überall im Reich wie die besonders bekannte Via Traiarta in Mittel- und Süditalien zur Erleichterung von Kommunikation, Verkehr und Transport; die Stadtmauer Roms, als Aurelianische Mauer bekannt, und die Mauern vieler anderer Orte wie etwa Trier mit der Porta Nigra und Köln im römischen Deutschland zur Dokumentation städtischen Rechtscharakters in Friedenszeiten und zur Gewährleistung ausreichenden Schutzes im Falle kriegerischer Gefahren. Erwähnt werden müssen aber auch die Gebäude, die im Laufe der Prinzipatszeit auf dem Palatinhügel zum Gesamtkomplex des kaiserlichen Palastes zusammenwuchsen, der allen späteren herrschaftlichen Residenzen den Namen gab. Bauten des Augustus, Tiberius, Domitian und Septimius Severus stehen hier nebeneinander und bildeten den Wohn- und Repräsentationsbereich der Kaiser, eine grandiose Palastvilla, die jegliche Häuser auch reichster Senatoren weit übertraf. Besonders wichtige Zweck- und Repräsentationsbauten wurden auch auf Münzen abgebildet. Ein umfängliches Beispiel sowohl für die Bautätigkeit wie für ihre numismatische Präsentation bietet die Regierungszeit Trajans, nach der augusteischen die zweite große Epoche kaiserlicher Baupolitik.54 In den Gesamtbereich der zivilen Regierungstätigkeit gehörten auch auf den Augenblick, nicht auf Dauerhaftigkeit ausgerichtete Maßnahmen. Zu denken ist besonders an die stadtrömische Lebensmittelversorgung, die außer durch die Sicherstellung der langfristigen Bedürfnisse durch die Gewährung von Sonderspenden an Getreide, neben die Geldzahlungen traten, gekennzeichnet war. Anlaß waren normale Feiertage oder festliche Ereignisse, welche die Kaiser und ihre Familie betrafen, d.h. RegieEine Übersicht über alle Bereiche der kaiserlichen Baupolitik gibt Niels Hannestad: Roman Art and Imperial Policy, Aarhus 1986.

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rungsantritt und -jubiläen, Heiraten, Geburten, Nachfolgerbestimmung und militärische Siege. Diese liberalitates und congiaria waren für das Selbstverständnis der principes und für die Darstellung ihrer Fürsorge gegenüber den Bürgern Roms so wichtig, daß sie wie die Amter und Amtsbefugnisse der Kaiser jeweils durchgezählt wurden. Ihre Bekanntmachung für die Lebenden und die nachfolgenden Generationen erfolgte durch die Münzen, welche den dauerhaften Nachweis sicherten. Daß diesen außerordentlichen Maßnahmen nach und nach der Charakter selbstverständlicher, von den Empfängern erwartetet" Beweise der kaiserlichen cura zuwuchs, verwundert nicht. So wurden die Spenden ein integraler Bestandteil des Herrschaftserfolges, an dem die Menschen ihre principes zu messen gewohnt waren, und die Kaiser orientierten sich zumeist an diesen Erwartungsmaßstäben. Wie bei vielen anderen Regierungsmaßnahmen setzte auch hier Augustus das Vorbild: In seinen res gestae weist er nachdrücklich auf diese Leistungen hin.56 Der zweite Bestandteil kaiserlichen Wirkens zum Nutzen des Reiches war die Außenpolitik. Daß auch auf diesem Felde Augustus Maßstäbe setzte, braucht nicht eigens betont zu werden. Die Aussagen in seinem Tatenbericht zeigen aber ein Dilemma auf, das für jeden Princeps gefährlich werden konnte: Im Selbstverständnis des römischen Staates war eine erfolgreiche Politik gegenüber den auswärtigen und den in das Reich integrierten Völkern als Grundsatz fest verankert; dieser Maxime konnten sich auch die Kaiser nicht entziehen. Erfolgreiche Außenpolitik bedeutete aber zugleich die Erweiterung des Reichsgebietes mit der Konsequenz, Feldzüge und Kriege führen sowie feindliche Einfalle abwehren und gebührend vergelten zu müssen; zumindest war durch diplomatische Mittel die maiestas populi Romani zu wahren und zu vergrößern. Mißerfolge waren sogleich zu rächen und durften nicht ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gelangen, um nicht einem Princeps einen schlechten Ruf einzubringen, der fatale Folgen hervorrufen konnte. So verschwieg Augustus im Tatenbericht Niederlagen oder formulierte sie zu Erfolgen um, wobei er auch unbedeutende Geschehnisse aufzuwerten verstand: Niemand kann beispielsweise annehmen, daß die Katastrophe des Varus und seines Hee-

Eine kurze Erläuterung zu den kaiserlichen Spenden gibt Kienast, Kaisertabelle 44 f.; für die einzelnen Kaiser ist hier auch die Zahl ihrer Fürsorgemaßnahmen nachzulesen. Das grundlegende Werk ist Hans Kloft: Liberalitas Principis, Köln/Wien 1970. R G D A 15 (eine Aufzählung mit allen zugehörigen Daten; dabei sind die Getreidespenden nur summarisch angegeben, während die Geldzahlungen genau aufgeführt sind). Siehe auch Denis Van Berchem: Les distributions de ble et d'argent a la plebe romaine sous l'empire, Genf 1939, N D r . 1975.

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res im Jahre 9 n. Chr. der Reichsbevölkerung unbekannt geblieben und nicht diskutiert worden wäre. In den res gestae jedoch kommt sie nicht vor. 57 Die außenpolitischen Erfolge der principes bedurften im Gesamtrahmen der kaiserlichen Selbstdarstellung einer weitaus intensiveren Verbreitung als die Friedenstaten, da diese zum großen Teil in Zweckbauten für Gegenwart und Zukunft bestanden, deren bloßes Vorhandensein langfristiges Prestige garantierte. Außenpolitische, vor allem militärische Erfolge ließen sich durch die Abhaltung von Triumphzügen in der Reichshauptstadt dem dortigen Zuschauerpublikum nahebringen, doch war dies nur eine kurzfristige Demonstration der Erfüllung von Herrscherpflichten, nämlich derjenigen des verantwortlichen Oberbefehlshabers aller Truppen. Siege und die zugehörigen Festveranstaltungen wurden am leichtesten durch die Münzen einer weiten Bevölkerung im ganzen Reich kundgetan. 58 Dazu kam die Aufnahme einschlägiger Siegerbeinamen in die kaiserliche Titulatur, die nicht nur auf den Münzen erscheinen konnten, sondern auch durch Inschriften langdauernde Verbreitung fanden. Inschriften auf den Basen der Statuen, die den Kaiser in militärischem Gewände zeigten, gehören hierher: Für den Augustus von Primaporta ist allerdings keine erhalten. Die Inschriften bildeten mit den bildlichen Darstellungen nachdrückliche Sinneinheiten, welche ihre Wirkung auf Betrachter und Leser offenkundig nicht verfehlten. Noch größere Wirkung ist freilich den Siegesdenkmälern zuzuschreiben. Anlaß für die Errichtung derartiger Monumente waren in erster Linie aktuelle militärische Erfolge der Kaiser, sei es in eigener Person oder durch beauftragte Feldherren errungen. Dies gilt in besonderem Maße für die Triumphbögen und Siegessäulen in Rom und in vielen Orten der italischen Halbinsel, die nominell durch Senat und römisches Volk gestiftet und insofern aus der Staatskasse bezahlt, jedoch hinsichtlich Gestalt und inhaltlicher Aussage von den Kaisern und ihren politischen Beratern verantwortet wurden; im Wortlaut der Bauinschriften wird allerdings stets der Charakter von Ehrungen für die principes betont. Der inhaltliche Anteil der Architekten für den Bau insgesamt und der Bildhauer für die Reliefdarstellungen darf jedenfalls nicht überbewertet werden. Diese großen Staatsdenkmäler 57

Die Problematik der Auslassungen in den RGDA behandelt kurz Edwin S. Ramage: The Nature and Purpose of Augustus' "Res Gestae", Stuttgart 1987, 32-37. Zur nach jahrhundertelanger Diskussion wohl endgültig gelösten Frage nach der Lokalisierung der Varus-Schlacht beim Orte Kalkriese nahe Osnabrück siehe Wolfgang Schlüter (Hg.): Kalkriese - Römer im Osnabrücker Land. Archäologische Forschungen zur Varusschlacht, Bramsche 1993.

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Ernst Künzl: Der römische Triumph. Siegesfeiern im antiken Rom, München 1988, untersucht die historische Entwicklung der Triumphe in Republik und Kaiserzeit.

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waren Vorbild für von privaten Stiftern errichtete Bauwerke vergleichbarer Art, die sich zahlenmäßig besonders im römischen Afrika konzentrieren. Diese weisen aber meist nicht mehr den Bezug auf konkrete Ereignisse auf, sondern sind von ihnen losgelöste Ehrenmonumente, welche die allgemeine Sieghaftigkeit der Kaiser und den Erfolg der Regierung insgesamt feiern. Insofern müssen die meisten der zahlreichen Bögen auch als Ehrenbögen bezeichnet werden, weil sie keinen Zusammenhang zu wirklichen Triumphen aufwei59

sen. Die in Rom erhaltenen zwei Triumphbögen des Titus und des Septimius Severus am westlichen und östlichen Abschluß des Forum Romanum (zu ihnen tritt der spätantike Konstantinsbogen beim Kolosseum) waren nicht die einzigen Bauwerke ihrer Art in der Hauptstadt. Sie wurden für die Niederschlagung des jüdischen Aufstandes im Jahre 70 bzw. die Siege in den beiden Partherkriegen von 195 und 197/198 errichtet, doch ließen auch Claudius den Beginn der Eroberung Britanniens im Jahre 43 und Marcus Aurelius seine Germanensiege nach 169 durch Triumphbögen feiern, von denen im ersten Fall ein Teil der Inschrift, im anderen mehrere Reliefs erhalten sind. Darüberhinaus ist die Inschrift eines zweiten Bogens für Titus, der als monumentaler Eingang zum Circus Maximus gestaltet war, mittelbar überliefert. Dazu treten andere, nur literarisch bezeugte Denkmäler. Von den Säulenmonumenten sind die Trajanssäule für die Dakersiege von 102 und 107, die Markussäule für die Germanensiege des Marcus Aurelius errichtet worden, erstere im Gesamtzusammenhang des großen Trajansforums. Die Säule des Antoninus Pius, von der nur noch die Basis vorhanden ist, war dagegen ein Ehrendenkmal für Friedenstaten.60 Außerhalb Roms ist mit dem Trajansbogen von Benevent ein Ehrenmonument vorhanden, dessen umfänglicher Reliefzyklus ebenfalls nur Friedenserfolge feiert. 59

In knapper Form sind die Ehrenbögen in den afrikanischen Provinzen (mit dem Schwergewicht auf dem Text ihrer Bauinschriften) aufgelistet bei Wolfgang Kuhoff: 11 riflesso dell'autorappresentazione degli imperatori romani nelle province dell'Africa (Ι-ΠΙ sec. d. C.), in: L'Africa Romana: Atti del VII convegno di studio Sassari, 15-17 dicembre 1989, Sassari 1990, 943-960, hier 947-949. Die Bögen in Italien werden zusammenfassend bei Sandro De Maria: Gli archi onorari di Roma e dell'Italia romana, Rom 1988, erörtert.

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Für die Trajanssäule liegt das Werk von Werner Gauer: Untersuchungen zur Trajanssäule I: Darstellungsprogramm und künstlerischer Entwurf, Berlin 1977, vor. Zur Markussäule muß man sich mit dem überholten Buch von Willem Zwicker: Studien zur Markussäule, Amsterdam 1941, begnügen.

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Einige Literatur aus jüngerer Zeit: Klaus Fittschen: Das Bildprogramm des Trajansbogens zu Benevent, in: AA 1972, 742-788; Thuri Lorenz: Leben und Regierung Trajans

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Noch die Beisetzung der principes besaß den Charakter eines Staatsereignisses, welches die Nachfolger zum Ausdruck ihrer pietas gegenüber den Vorgängern veranstalteten, um die zu Ende gegangene Herrschaft als erfolgreich und erinnerungswürdig darzustellen und die Erhebung des verstorbenen Kaisers durch Beschluß des Senats zum Staatsgott, zum divus, zu feiern. Der festliche Leichenzug führte zum Marsfeld, wo die zeremonielle Einäscherung stattfand und ein Adler, der Vogel Iupiters, als äußeres Symbol der Vergöttlichung in die Luft entlassen wurde. Singulär war die Demonstration Hadrians im Jahre 117, der für seinen nach dem Ende des Partherkrieges verstorbenen Vorgänger Trajan einen postumen Triumphzug durch Rom durchführen ließ, in dem das Abbild des divus Traianus auf dem carrus triumphalis mitgefühlt wurde. Auch die Beisetzung dieses Princeps war ungewöhnlich, denn die Urne mit der Asche des Kaisers fand ihren Aufbewahrungsort in der Basis seiner Siegessäule, also entgegen den uralten Vorschriften in Rom selbst.62 Diese Besonderheiten stehen in gedanklicher Verbindung mit den zweifelhaften Umständen der Adoption Hadrians, die wegen fehlender Zeugen in der Öffentlichkeit mit ungewöhnlichem Nachdruck betont werden mußte.63 Für alle anderen divinisierten Herrscher wurde auch ein Leichenzug mit Einäscherung, das furuts publicum, auf das die Urnenbeisetzung folgte, begangen, womit die consecratio, die offizielle Vergöttlichung, abgeschlossen wurde, es fand jedoch kein Triumphzug statt. Die Bestattung wurde anschließend in der Grabstätte der principes vorgenommen, anfänglich im AugustusMausoleum auf dem Marsfeld, bis dieses mit dem Jahre 98 nicht mehr aufnahmefähig war, danach im Mausoleum Hadrians jenseits des Tiber. Beide Bauwerke wurden zu Lebzeiten ihrer Gründer im geläufigen Typus großer Rundgräber begonnen und in monumentaler Gestalt vollendet, um den Herrschaftsanspruch unübersehbar auszudrücken. Augustus ließ darüberhinaus zu Seiten des Eingangs seines Mausoleums zwei Pfeiler mit dem Text seines Tatenberichtes aufstellen, um auf diese Weise seine Leistungen zu unterstreichen. Hadrians heute noch weitgehend erhaltenes Grabmal ging mit seiner Größe noch einen Schritt weiter und gewann aufgrund seiner Lage direkt am Tiberufer eine einzigartige, optische wie ideologische Bedeutung.64 auf dem Bogen von Benevent, Amsterdam 1973; Werner Gauer: Zum Bildprogramm des Trajansbogens von Benevent, in: Jd I 89 (1974) 308-335; De Maria, Archi onorari 128132, 232-235; Wolfgang Kuhoff: Felicior Augusto melior Traiano. Aspekte der Selbstdarstellung der römischen Kaiser während der Prinzipatszeit, Frankfurt a.M. u.a. 1993, 214236. Den Ablauf und die Umstände der postumen Ehrungen für Trajan erörtert Wilhelm Kierdorf: Apotheose und postumer Triumph Trajans, in: Tyche 1 (1986) 147-156. Elke Merten: Die Adoption Hadrians, in: Bonner Festgabe für Johannes Straub, Bonn 1977, 247-259, diskutiert eingehend die dubiosen Umstände der hadrianischen Adoption. Zur politischen Bedeutung des Augustus-Mausoleums: Konrad Kraft: Der Sinn des Mausoleums des Augustus, in: Historia 16 (1967) 189-206, NDr. in: Ders., Gesammelte Aufsätze zur antiken Geschichte und Militärgeschichte, hrsg. von Helmut Castritius und Dietmar Kienast, Darmstadt 1973, 2946. Seine Frühdatierung in die Zeit vor dem Sieg über Antonius wurde von Jean-Claude Richard: "Mausoleum": d'Halicarnasse a Rome,

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Wolfgang Kuhoff Die für vergöttlichte Kaiser errichteten Tempel drückten ebenfalls einen

rechtfertigenden Anspruch aus, der ihre Leistungen für die Nachwelt wachhalten sollte. Sie waren zugleich sichtbarer Abschluß der Begräbnisfeierlichkeiten mitsamt der offiziellen Konsekration. Als erster erhielt Claudius nach seinem Tode einen Tempel südlich des späteren flavischen Amphitheaters geweiht. Ihm folgten Vespasian und Titus in einem gemeinsamen Heiligtum unterhalb des Kapitolshügels. Der für Trajan und seine Gattin Plotina erbaute Tempel bildete den Abschluß des Trajansforums und versinnbildlichte besonders nachdrücklich die in der Vergöttlichung gipfelnde Leistungsbilanz einer Herrschaftsepoche. Einen gemeinsamen Baukomplex bildeten auf dem Marsfeld die beiden Tempel, die Hadrian seiner Schwiegermutter Matidia und andererseits Antoninus Pius seinem Adoptivvater Hadrian widmeten. Die im Inneren des Hadrianstempels aufgestellten Reliefs mit Personifikationen römischer Provinzen erinnerten an die Friedenszeit unter diesem Princeps und an seine Reisetätigkeit als besonderem Ausdruck seiner Fürsorge für alle Regionen des Reiches, die auch in mehreren Münzserien Verbreitung fand. Ein letzter Tempel dieser Art ist der auf dem Forum Romanum stehende für die ältere Faustina und ihren Gemahl Antoninus Pius, der von diesem 141 seiner verstorbenen Gattin und nach seinem Tode zusätzlich ihm selbst geweiht wurde.65 Bereits zu ihren Lebzeiten wurden die principes außerhalb Roms und Italiens mit göttlichen Ehren versehen und in eigenen Tempeln verehrt, in denen vielfach auch der Kult der Göttin Roma gepflegt wurde. Dieser Kaiserkult wurde zu einem integrativen Bestandteil der Staatsreligion und bis in die Zeit Konstantins des Großen ausgeübt. Als ein bedeutsames Band zwischen Herrschern und Untertanen garantierte er für lange Zeit die sichtbare Verbundenheit der Menschen in allen Provinzen des Reiches mit den Kaisern, die durch ihre Fürsorge die Lebensverhältnisse der Reichsbewohner stets zu verbessern beanspruchten.66 puis ä Alexandrie, in: Latomus 29 (1970) 370-388, bestritten, sie wird aber von archäologischer Seite unterstützt, so durch Henner von Hesberg: Das Mausoleum des Augustus, in: Kaiser Augustus und die verlorene Republik. Katalog der Ausstellung in Berlin 1988, 245-251; siehe jetzt auch: Ders. - Silvio Panciera: Das Mausoleum des Augustus, München 1994. Zum Hadriansmausoleum vgl. allgemein Cesare D'Onofrio: Castel Sant'Angelo e Borgo tra Roma e Papato, Rom 1978. Die Tempel für vergöttlichte Kaiser werden im Zusammenhang der herrscherlichen Selbstdarstellung von Hannestad, Art and Policy, besprochen. Eine Monographie hegt nur für den Hadrianstempel vor: Lucos Cozza (Hg.): Tempio di Adriano, Rom 1982. Eine Zusammenfassung verschiedener Beiträge zum Thema des Kaiserkultes bietet Antonie Wlososk (Hg.): Römischer Kaiserkult, Darmstadt 1978.

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Zum Abschluß gilt es noch, auf eine Besonderheit innerhalb der kaiserlichen Repräsentation einzugehen, die abolitio nominis, die modern als damnatio memoriae bezeichnete Behandlung von ermordeten principes, die sich im Urteil ihrer Zeitgenossen als unfähig oder tyrannisch erwiesen hatten und aus diesem Grunde aus dem Gedächtnis der Nachwelt getilgt werden sollten.67 Zumeist wirkten hierbei die Einschätzungen seitens der neuen Herrscher, der Mehrheit der Senatoren und des artikulierten Volkswillens zusammen, aber auch Diskrepanzen sind bezeugt. Der Unmut vieler Senatoren und Menschen in Rom über den verstorbenen Tiberius drückte die Mißbilligung der letzten Regierungsjahre aus, doch führte dies nicht zur postumen Achtung. Das Versagen einer öffentlichen Leichenfeier, eine heimliche Bestattung außerhalb des Augustusmausoleums, die Tilgung des Namens in den Inschriften und die Vernichtung, zumindest Umarbeitung der Statuen und aller sonstigen bildlichen Darstellungen waren nach der Ermordung Caligulas Elemente der offiziellen Erklärung zum Staatsfeind, zum hostis publicus, und ihrer tatsächlichen Umsetzung. Sie wiederholten sich in der Folgezeit bei den anderen Kaisern, die der Auslöschung des Andenkens anheimfielen.68 Eine andere Maßnahme ließ sich wegen der fehlenden Kontrollmöglichkeiten nicht verwirklichen, nämlich die Einziehung aller Münzen der geächteten "Gewaltherrscher". Im Verlaufe der Prinzipatszeit wurde die Ausführung der abolitio nominis immer weiter verfeinert, teilweise jedoch auch brutalisiert: Die Schändung der Leiche wurde zum manifesten Ausdruck der Volkswut. Nur heimlich konnten in einem solchen Falle Verwandte oder Freunde die Uberreste bergen und wenigstens notdürftig bestatten, so bei Caligula, Nero, Galba, Vitellius, Domitian, Commodus, Pertinax und Elagabalus, ganz zu schweigen von den zahlreichen ermordeten Kaisern im 3. Jahrhundert. Galba, Commodus und Pertinax wurden allerdings zeitweise oder generell im Nachhinein rehabilitiert. Uber diese kurzfristig aktuellen oder langfristig symbolischen Maßnahmen hinaus gingen die manifesten Änderungen, die an den Staatsdenkmälern vorgenommen wurden. Am einfachsten war die gänzliche Vernichtung von Statuen, Porträts und Inschriften; schon mehr Überlegung und Können verlangte Zur Ächtung gestürzter Kaiser ist noch immer lesenswert die Untersuchung von Friedrich Vittinghoff: Der Staatsfeind in der römischen Kaiserzeit, Berlin 1936; eine knappe Zusammenfassung gibt Kienast, Kaisertabelle 53 f. Die Durchführung der damnatio memoriae im Bereich der bildlichen Darstellungen illustriert anschaulich Thomas Pekary: Das römische Kaiserbildnis in Staat, Kult und Gesellschaft, dargestellt anhand der Schriftquellen, Berlin 1985,134-142. Die einschlägigen Angaben bietet Kienast, Kaisertabelle, passim.

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die Umarbeitung bildlicher Darstellungen zu Abbildungen der neuen Herrscher, wie es beispielhaft die beiden großen Reliefs eines domitianischen Staatsmonumentes in Rom zeigen, bei denen in einem der Kopf des Ermordeten zum Haupt des Nachfolgers Nerva umgestaltet wurde.70 Zahlreicher sind jedoch die Fälle, in denen Gestalt und Bildnis der geächteten Vorgänger in öffentlich zugänglichen Monumenten zerstört wurden, ohne daß man eine Neufassung versuchte. Besonders anschaulich zeigen dies die zwei Reliefs der Kaiserfamilie am römischen Ehrenbogen der argentarii für Septimius Severus, in denen die Figuren des jüngeren Sohnes Geta und der Plautilla, Gattin des älteren, Caracalla, nach ihrer jeweiligen damnatio memoriae ausgemeißelt wurden.71 Einen Akt der Vernichtung im größten denkbaren Maßstab bedeutete es, als die von Nero angelegte domus aurea östlich des Forum Romanum nach seinem Tode teilweise zerstört, teilweise zugeschüttet wurde, bis Vespasian den Bau des flavischen Amphitheaters und später Trajan die Errichtung seiner Thermen über den Ruinen in Angriff nahmen.72 Weniger radikal wurde mit dem Forum, das Domitian zur Verbindung der Fora von Augustus und Vespasian angefangen und fast vollendet hatte, verfahren: Es wurde von Nerva unter seinem eigenen Namen eingeweiht, erhielt die Bezeichnung Forum Transitorium aber von seiner Funktion her.73 Die Achtung ermordeter Kaiser wurde besonders im inschriftlichen Bereich immer weiter entwickelt. Die bloße Namenstilgung in solchen epigraphischen Denkmälern, die nicht zerstört oder entfernt werden konnten oder sollten, genügte schon bald nicht mehr dem Anspruch neu an die Macht gelangter principes. Aus diesem Grunde ging man dazu über, die durch Tilgung entstandenen Textlücken mit neuen Worten auszufüllen, um den Lesern einen intakten Wortlaut zu suggerieren. Derartige Maßnahmen verdrängten nie die bloße Tilgung. Eine erste interessante Manipulation in einer offiziellen Inschrift stellt der Abschnitt für das Jahr 69 in den Akten des römischen Priesterkollegiums der fratres Arvales dar. In ihm sind verschiedene TilgungsZu diesen sogenannten Cancelleria-Reliefs siehe u. a. Gerhard Koeppel: Profectio und Adventus, in: BJ 169 (1969) 130-194, hier 138-144 und 172-174; Marianne Bergmann: Zum Fries Β der flavischen Cancelleriareliefs, in: Marburger Winckelmann-Programm 1981, 19-32. Zum Argentarierbogen: Denys E.L. Haynes - Peter E.D. Hirst: Porta Argentariorum, London 1939; De Maria, Archi onorari, 185-189 und 307-309. Neros "Goldenes Haus" und seine nachträgliche Wirkung auf die Renaissancemalerei behandelt Nicole Dacos: La decouverte de la Domus Aurea et la formation des grotesques a la Renaissance, London 1969; einen Uberblick zur archäologischen Interpretation gibt Bernard Andreae: Römische Kunst, Freiburg 1974, 510-514. Die archäologische Ausgrabungstätigkeit im Bereich des Nerva-Forums wird von Chiara Morselli - Edoardo Tortorici (Hg.): Curia -Forum Iulium-Forum Transitorium, Rom 1990, dokumentiert.

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möglichkeiten benutzt: Im Protokoll über die frühen für den Kaiser Otho verzeichneten Opfer ist sein Name unversehrt, während im Text für die später vorgenommenen Staatsfeierlichkeiten, der zum Zeitpunkt seines Todes im Kampf gegen den Kontrahenten Vitellius noch nicht in Stein abgefaßt war, Othos Name durch den des damaligen Siegers ersetzt wurde. Daß der Name des Vitellius andererseits nach seinem Untergang gegen den letztlich erfolgreichen Vespasianus aus diesen Passagen wieder getilgt wurde, vergrößert die bemerkenswerte Bedeutung dieses Dokumentes weiter.74 Für die Behandlung des ermordeten Domitian wurde nach 96 weitgehend die bloße Namenstilgung angewandt, doch findet sich in später formulierten Inschriften, die sich inhaltlich auf seine Regierungstätigkeit beziehen, vielfach nur der Kaisertitel ohne Namen angeführt.75 Den Höhepunkt der Manipulation von Inschrifttexten aufgrund der Achtung ermordeter Mitglieder des Kaiserhauses markiert zweifellos die Epoche der Severer von 193 bis 235. Anfang 205 wurde der bis dahin fast allmächtige Prätorianerpräfekt Plautianus, Verwandter des Kaisers Septimius Severus, ermordet; seine Tochter Plautilla, die Gemahlin des älteren Thronfolgers Caracalla, erlitt das Schicksal der Verbannung: Beide wurden daher der damnatio memoriae unterworfen. Die daraufhin angeordneten Tilgungsmaßnahmen führten an der Inschrift des römischen Argentarierbogens zur Erfindung einer neuen Titulatur für die Kaiserin Iulia Domna, die Gemahlin des Severus, und diese wurde verschiedentlich in anderen Inschriften nachgeahmt.76 Die von Caracalla befohlene Ermordung seines Mitkaisers Geta nach dem Tode des Severus 211 zeitigte eine umfassende Tilgungskampagne, die besonders an den vielen Inschriften im römischen Nordafrika, der Heimat der Kaiserfamilie, zu verfolgen ist. Bei einem Teil wurden Name und Titel Getas nur ausgemeißelt, bei einem anderen sofort durch die Siegerbeinamen oder Ehrenattribute Caracallas ersetzt, bei einem dritten aber wurden erst im Jahre 213 die Lücken durch die dann gültigen drei statt vorher zwei Siegerbeinamen ausgefüllt.77 Nicht nur durch die Auslöschung des Andenkens wurde die Intention neuer Herrscher bekanntgegeben, sich von der verfehlten Politik der Vorgänger zu Die gültige Zusammenstellung der Akten besorgte Elio Pasoli: Acta Fratrum Arvalium, Bologna 1950, hier 125-127 Nr. 34. In einer zweisprachigen Ehreninschrift eines Senators in Ephesos ist Domitian unter dem Begriff imperator Caesar ohne Namen angesprochen ist (ILS 8971 - IEph 5103, lat. Text; IEph 5102, griech. Text). In derselben Stadt wurden aber bei einer Reihe von Ehreninschriften für Domitian selbst, die von verschiedenen Gemeinden der Provinz Asia im Kaiserkulttempel gestiftet wurden, im griechischen Text die individuellen Namensbestandteile getilgt und so verändert, daß aus Domitian ein divus Vespasianus wurde (IEph 232-242). Eine Inschrift aus dem italischen Puteoli schließlich, die Domitian kurz vor seiner Ermordung den Dank der Gemeinde für einen Straßenbau aussprach, wurde gänzlich getilgt und später zweitverwendet (AE 1941, 73 - AE 1973,137). Die neue Titulatur Julia Domnas behandelt Wolfgang Kuhoff: Iulia Aug. mater Aug. n. et castrorum etsenatus et patriae, in: ZPE 97 (1993) 259-271. Eine kurze Ubersicht über den Vollzug der Achtung Getas in den afrikanischen Inschriften findet sich bei Kuhoff, Riflesso (Anm. 59), 955-959.

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distanzieren. Auch Münzen und Inschriften verfochten diesen Anspruch. Im Falle der Nachfolge des Claudius auf Caligula vom Jahre 41 begegnet in einer offiziellen Inschrift, die eine Wasserleitungsrenovierung erläutert, der Ausdruck disturbatio für die Handlungsweise des ermordeten Vorgängers, und dieser läßt sich durchaus als allgemeine Charakterisierung ansehen.78 Wichtig für die Sprachregelungen, mit denen ein Neubeginn verkündet wurde, war dann die Zeit nach Neros Ermordung mit dem Bürgerkrieg von 69. Das Schlagwort Galbas war die libertas restituta oder libertas publica, die auf Münzen als Symbol für den Neuanfang verwendet wurde. Flankierend wurden concordia und consensus für Heer und Bevölkerung gleichermaßen propagiert. Dieselben Formeln wurden für die Zeit nach Domitians Ermordung unter Nerva auf Münzen in die Öffentlichkeit hinausgetragen, aber auch in einer offiziellen Staatsinschrift benutzt, die noch am Mordtag, dem 18. September 96, im Kapitolstempel von Senat und Volk aufgestellt wurde: Gewidmet war sie der libertas ab imp. Nerva Caesare Aug. restituta. Vergessen werden sollte auch nicht, daß Pertinax zum Ausdruck seiner liberalen und senatsfreundlichen Haltung im Gegensatz zum neuen Hercules Commodus sich als princeps senatus bezeichnete und damit an den ersten Kaiser Augustus anknüpfte.81

Ausblick: Das Kaisertum in der Spätantike Nach der Ermordung seines Rivalen, des rechtmäßigen Kaisers Carinus, im Juli 285 trat C. Valerius Diocletianus die Alleinherrschaft an. Er begann sofort, die Konsequenzen aus den mißlichen Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte zu ziehen und das Kaisertum auf eine neue Grundlage zu stellen. Der erste Schritt war die Suche nach einem Mitregenten, mit dem die Fülle der anstehenden Aufgaben vor allem im militärischen Bereich geteilt werden konnte. Diokletian fand diesen in der Person 78

CIL VI 1252 - ILS 205 mit der Angabe, daß Claudius arcus ductus aquae Virginis disturbatos per C. Caesarem a fundamentis novos fecit ac restituit.

79

Auf diese offizielle Aussage antwortete die Weiheinschrift für ein Standbild der libertas restituta Ser. Galbae imperatoris Aug., welches eine Gemeinschaft für den Kaiserkult in Rom errichtete (CIL VI 471 - ILS 238).

80

CIL VI 472 - ILS 274. Dieses Dokument ist nur in einer vertrauenswürdigen frühmittelalterlichen Abschrift, dem Anonymus Einsidlensis, bezeugt: Gerold Walser: Die Einsiedler Inschriftensammlung und der Pilgerführer durch Rom (Codex Einsidlensis 326), Stuttgart 1987, hier 98 f. Nr. 39.

81

Inschriftliche Zeugnisse sind etwa CIL Π 5128 - ILS 408 aus Dertosa in Spanien, CIL Π 4125 - RIT 143 aus der Hauptstadt der Provinz Hispania citerior, Tarraco, und vor allem die Akten der fratres Arvales zum 12. Januar 193 (CIL VI 2102 + 32387).

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seines langjährigen Offizierskollegen M. Aurelius Valerius Maximianus, dessen Laufbahn wie seine eigene für uns weitgehend im Dunkeln liegt. Während Diokletian an der mittleren und unteren Donau wie im Osten die Grenzen gegen Germanen und Perser schützen mußte, hatte sich Maximianus mit Berberstämmen in Nordafrika, den Alamannen und als Bagauden bezeichneten Aufständischen in Gallien sowie dem Abfall Britanniens unter dem Gegenkaiser Carausius auseinanderzusetzen. Weil zur Bewältigung aller dieser drängenden Probleme auf die Dauer auch die Tatkraft zweier Herrscher nicht ausreichte, wurden im Frühjahr 293 nacheinander zwei "Gehilfen", die zugleich als Thronfolger ausersehen waren, ernannt, die Caesares Constantius und Galerius. Die so errichtete Tetrarchie wurde durch Heiratsverbindungen zwischen dem jeweiligen Augustus und seinem Caesar gefestigt und allmählich zu einem regelrechten Herrschaftssystem ausgebaut, das zugleich Usurpationen vorbeugen sollte: Potentielle Kandidaten waren entweder in das Kaiserkollegium als Mitglieder zu integrieren oder durch die Aussicht, allein gegen vier Gegner ankämpfen zu müssen, abzuschrecken. Ein Gutteil der durch die Tetrarchiegründung angestrebten Ziele konnte tatsächlich erreicht werden.82 Das Kaisertum wurde erst in der Epoche Diokletians wirklich institutionalisiert, d.h. den Untertanen entrückt und in eine übergeordnete, numinose Sphäre erhoben. Nicht mehr der einzelne Herrscher als Person stand im Vordergrund, vielmehr wurde das Herrschertum als alle Bereiche leitende Reichsregierung in jeder Hinsicht betont und mit der Aura übernatürlichen Glanzes umgeben. Damit wurden Reich und Kaisertum weit stärker als zuvor miteinander verbunden und in ihrer Abhängigkeit voneinander dargestellt. Vorstufen zu einer solchen Entwicklung waren während des frühen Prinzipates unter Caligula, Domitian und Commodus wegen der persönlichen Eigenheiten dieser Herrscher als Absonderlichkeiten mißbilligt worden. Erst Aurelianus und Probus hatten mit ihrer Selbstdarstellung als dominus et deus vorübergehenden Erfolg. Diokletian knüpfte an beider Vorbild an, verband es aber zur besseren Abstützung mit der Einrichtung der Tetrarchie. Ihre Mitglieder gaben als Bestandteile der Institution des Kaisertums ihre Individualität partiell auf. Die Vorderseitenbilder der Münzen aus den Prägestätten im gesamten Reich zeigen diese Tatsache eindrücklich, denn die Herrscher verkörpern allesamt den einen Typus des energischen, militärerfahrenen Regenten, der den Untertanen die Bewältigung aller Probleme schon durch sein Äußeres verspricht. Die plastische Tetrarchengruppe am Markusdom in 82

Zur Tetrarchie siehe neben Kolb, Diocletian (Anm. 1), auch William Seston: Diocletien et la tetrarchie, Bd. 1: Guerres et reformes, Paris 1946, und Timothy D. Barnes: The New Empire of Diocletian and Constantine, Cambridge (Mass.)/London 1982. Der Verfasser dieses Beitrages bereitet eine umfassende Monographie mit dem Titel „Diokletian und die Epoche der Tetrarchie. Das römische Reich zwischen Krisenbewältigung und Neuaufbau (284-313 n. Chr.)" vor.

83

Die Münztypen der Tetrarchie sind im Sammelwerk Roman Imperial Coinage (RIC), Bd. VI, London 1967, nachzuschlagen. Die spätantike Monarchie beschreibt allgemein Johannes Straub: Vom Herrscherideal in der Spätantike, Stuttgart 1939, NDr. 1964.

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Venedig und ihr kleineres Pendant in der vatikanischen Bibliothek manifestieren diese Tendenz bildlich. Daß darüberhinaus in den Inschriften alle Herrscher als Kollegium miteinander genannt werden oder etwa an den Straßen Meilensteine für Augusti und Caesares zusammen aufgestellt wurden, komplettiert dieses Bild im epigraphischen Bereich.85 Zur Selbstdarstellung der Tetrarchen gehörten die stadtrömischen Diokletiansthermen, das nicht mehr erhaltene Fünfsäulendenkmal und der gleichfalls zerstörte Diokletiansbogen in Rom sowie der Galeriusbogen in Thessalonike, Bestandteil einer Palastanlage dieses Kaisers in einer seiner Residenzstädte.86 Das alte Reichszentrum Rom verlor seine Bedeutung an diejenigen Städte, welche den vier Herrschern als ständiger Aufenthaltsort dienten, also an Trier, Mailand, Thessalonike bzw. Sirmium und Serdica in der Balkanregion sowie Nikomedia am Bosporus. Charakteristisch ist darüberhinaus, daß Diokletian sich für die Zeit nach seiner Abdankung 305 in Spalato (Split) einen großen Palast in Form eines Truppenlagers errichtete, der noch heute eindrucksvolles Dokument spätantiker Baukunst ist. In den letzten Jahren wurde für Galerius in seinem Heimatort Romulianum (Gamzigrad in Serbien) ein ähnlicher Baukomplex archäologisch nachgewiesen, welcher die Form einer starkbefestigten Anlage mit repräsentativer Innenbebauung aufweist.87 Die Errichtung großer Repräsentationsbauten wurde als monumentalste Form dauerhafter Eigenwerbung in der tetrarchischen Zeit weitergeführt, sie erfuhr aber teilweise eine Bedeutungsänderung, weil bei den Palästen von Spalato und Romulianum der Aspekt der Befestigung gegenüber äußerer Bedrohung ein unübersehbares Ubergewicht erhielt. Daß auch im Bereich der Militärarchitektur verstärkte Anstrengungen unternommen wurden, um die nach den Verlusten des späten 3. Jahrhunderts teilweise zurückgenommenen Grenzen zu sichern, läßt sich vielfach archäologisch belegen. Allerdings bestanden diese Bauwerke häufig aus der Wiederverwendung älterer Wehrbauten auf wesentlich

4

Hans Peter L'Orange-Reingart Unger: Das spätantike Herrscherbild von Diokletian bis zu den Konstantin-Söhnen 284-361 n. Chr., Berlin 1984, hier 14-16.

85

Die bekannteste Inschrift dieser Art, die Einleitung zum Preisedikt der Tetrarchen (Siegfried Lauffer: Diokletians Preisedikt, Berlin 1971), zeigt in aller Ausführlichkeit diese Repräsentation der Mitglieder des Herrscherkollegiums.

86

Eine Literaturauswahl zu diesen Bauwerken: Salvatore Aurigemma: Die Diocletiansthermen und das Museo Nazionale Romano, Rom 1954; Theodore V. Buttrey: The Dates of the Arches of "Diocletian" and Constantine, in: Historia 32 (1983) 375-383; Hans Peter Laubscher: Der Reliefschmuck des Galeriusbogens in Thessaloniki, Berlin 1975; Ders., Arcus Novus und Arcus Claudii, zwei Triumphbögen an der Via Lata in Rom, in: N A W G 1976, 64-108; Henning Wrede: Der genius populi Romani und das Fünfsäulendenkmal der Tetrarchen auf dem Forum Romanum, in: BJ 181 (1981) 11-142.

87

Jerko und Tomislav Marasovic: Der Palast des Diokletian, Wien 1969; John Wilkes: Diocletian's Palace, Split. Residence of a Retired Roman Emperor, Sheffield 1986; Dragoslav Srejovic (Hg.): Roman Imperial Towns and Palaces in Serbia - Sirmium, Romuliana, Naissus, Belgrad 1993.

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kleinerer Fläche, aber mit verstärkter Befestigung. Sie und die Neubauten manifestierten in ihrer Struktur den im Text der Bauinschriften ausgedrückten Anspruch kaiserlicher Fürsorge. Später wurden unter Valentinian I. (364-375) regelrechte Bauprogramme am Rhein verwirklicht, nachdem hier bereits Konstantin mit dem großen Militärlager von Köln-Deutz die tetrarchische Politik fortgesetzt hatte. 88 Mit dem Auftreten Konstantins 306 nahm das Kaisertum wieder persönlichere Züge an, was auf seinem sich des dynastischen Prinzips bedienenden Herrschaftsanspruch beruhte. Allerdings wurden seine Söhne als Nachfolger mit identischer Physiognomie dargestellt, so daß die Präsentation einer neuen Dynastie hierin eine klare Beziehung zum tetrarchischen System aufwies.89 Die wichtigste Neuerung, die Konstantin dem römischen Staat brachte, war indessen die Anerkennung des lange verfolgten Christentums neben den anderen schon bestehenden Religionen und dem Staatskult, verbunden mit seiner allmählichen persönlichen Hinwendung zum neuen Glauben. Freilich mußte sich das Christentum erst gegen seine zahlreichen Konkurrenten durchsetzen, die besonders zum Bereich der orientalischen Mysterienreligionen gehörten. Konstantin und seine Nachfolger bemühten sich, die christliche Religion, die aber erst 391/392 unter Theodosius I. zur alleinigen Staatsreligion erhoben wurde, als Instrument zur Regierungsausübung zu benutzen, wie es die früheren principes mit dem offiziellen Staatskult getan hatten. Bekanntlich überdauerte das Christentum mit seiner gefestigten inneren Struktur das Kaisertum im westlichen Teil des Imperium Romanum und übernahm sogar herrschaftliche Elemente wie den Primat des Papstes in Rom. Nichtsdestoweniger war das Verhältnis zwischen Monarchen und Kirche nicht immer reibungslos; die Streitigkeiten über religiöse Einzelheiten führten zu Irritationen, vor allem bei der Behandlung der arianischen Lehre. Radikal andersdenkende Herrscher wie Iulianus, zuvor schon Vetranio und nach ihm Procopius und Eugenius, offenbarten ihre Abwendung vom Christentum äußerlich durch ihre Barttracht in der Art der früheren illyrischen Herrscher oder griechischer Philosophenbildnisse und zeigten dies den Menschen auf den Vorderseiten ihrer Münzen deutlich. 90 Als besonders anschauliches Beispiel in Deutschland kann die Befestigungsanlage am Rheinufer von Ladenburg dienen: Berndmark Heukemes: Der spätrömische Burgus von Lopodunum-Ladenburg am Neckar, in: FBW 6 (1981) 432-476. Zu Köln-Deutz siehe zuletzt Maureen Caroll-Spillecke: Das römische Militärlager Divitia in Köln-Deutz, in KJ 26 (1993) 321-444. Die Gestaltung von Statuen und Porträts zeigen diejenigen auf dem römischen Kapitolshügel und im Konservatorenpalast, darunter die Reste der kolossalen Konstantinsstatue aus der Maxentius-/Konstantinsbasilika vom Forum Romanum. Zu diesen Bildwerken vgl. Fittschen - Zanker, Katalog (Anm. 51), 144-157. Herausragende Beispiele für Münztypen der genannten Kaiser bringt das Sammelwerk von John P.C. Kent -Bernhard Overbeck - Armin U. Stylow: Die Römische Münze, München 1973, hier Tai. 146,150 f., 153 und 157 mit den Erläuterungen S. 167 f., 169 f., 171 und 174: Während Vetranio und Procopius die Bartmode der illyrischen

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Obwohl sich das dynastische Denken mit Konstantin wieder durchgesetzt hatte, blieb der Grundsatz, die Herrscheraufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen, gewahrt. Nur Iulianus war von 361 bis 363 noch ein wirklicher Alleinherrscher, während Theodosius I. zwar faktisch 394/395 die alleinige Regierung kurzzeitig ausübte, doch hatte er nominell seine beiden Söhne Arcadius 383 und Honorius 393 zu Mitregenten bestimmt. Mit diesen beiden letztgenannten Augusti begann sich die Aufteilung des Reiches in eine östliche und westliche Hälfte durchzusetzen, obwohl eine solche im Rechtssinne niemals vollzogen wurde: Die Kaiser fühlten sich weiter als ein Kollegium und brachten dies etwa in der Publikation von Gesetzen zum Ausdruck, abgesehen natürlich von den verschiedenen Usurpatoren. Außer Gebrauch kam die Designierung des Nachfolgers zuerst zum Caesar, sie wurde, bis auf wenige Ausnahmen, in der östlichen Hauptstadt Konstantinopel durch die Bestellung des Thronfolgers gleich zum Augustus ersetzt. Dies war mit der Ablösung der vielen Amter und Amtsbefugnisse der principes alter Tradition durch ein nun wirklich institutionalisiertes Kaisertum verbunden, welches nicht mehr auf seine Herkunft aus republikanischen Vorstufen verweisen brauchte. Ein signifikantes Zeichen für die Abkehr vom alten heidnischen Staatskult war die Ablegung bzw. Nichtannahme des Titels pontifex maximus durch Gratianus und Theodosius um 379/383. Damit wurde das Kaisertum endgültig christlich geprägt. Der aus der Titulatur ausgeschiedene Bestandteil konnte nunmehr zur Bezeichnung des Papstes werden, der auf diese Weise seinen universalen Anspruch auf religiösem Gebiet dem Vorbild der Kaiser entlehnte. 91 Ausschlaggebend für den Niedergang des Kaisertums und sein Erlöschen im Westen des Reiches zwischen 476 und 480 war das Fortschreiten der großen Völkerwanderungsbewegung, die das gesamte Imperium Romanum erfaßte und im von Konstantinopel aus gelenkten Osten nur unter großen Mühen bewältigt werden konnte. Diesem weitangelegten Angriff auf die Grenzen vor allem an Rhein und Donau war die militärische Kraft des von Ravenna aus regierten westlichen Reichsteiles nicht gewachsen: Entgegen der nominellen Zahlenstärke des Heeres sank die wirkliche Zahl reichsangehöriger Soldaten rapide ab, so daß in großem Umfang Söldner und ganze Einheiten aus denjenigen Völkern angeworben werden mußten, die eigentlich als Feinde galten.92 Parallel dazu verlagerten sich die Aufgaben des Oberbefehlshabers

Soldatenkaiser weiterführten, zeigten Iulianus und Eugenius ihre betonte Anlehnung an die griechische Philosophietradition. Die Nichtweiterführung von Amt und Titel des obersten Staatspriesters ist in der Forschung viel diskutiert: Andreas Alföldi: Α Festival of Isis in Rome under the Christian Emperors of the IVth Century, Budapest 1937, 36 f.; Gunther Gottlieb, RAC ΧΠ, 1983, 718-731, s.v. Gratianus, hier 729; Adolf Lippold: Theodosius der Große und seine Zeit, 2. Aufl. München 1980, 12. Die militärische Entwicklung des römischen Reiches in der Spätantike ist bis heute in ihren Einzelheiten nicht befriedigend geklärt; vgl. zusammenfassend Dietrich Hoffmann: Das spätrömische Bewegungsheer, 2 Bde., Düsseldorf 1970.

Antike Grandlagen

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v o m Kaiser auf die seit Konstantin berufenen magistri equitum ter als magistri

militum

praesentales,

und peditum,

die spä-

am Kaiserhof wirkende Heermeister, den Befehl

über die gesamten Streitkräfte innehatten und damit bedeutenden Einfluß auf die Regierung erwarben. Besonders bekannt sind Stilicho, Constantius (421 selbst Mitkaiser), Aetius und Rikimer, die in versteckter oder offener Konkurrenz zu den Augusti die Regierangsgeschäfte ausübten. Neben Heermeistern aus dem Reichsgebiet gelangten auch Angehörige fremder Völker in diese Stellung. Diese schafften es jedoch nicht, bis zum Kaisertum aufzusteigen, solange es im Westen noch existierte. 93 Hinter den Heermeistern traten die Kaiser an persönlicher Bedeutung merklich zurück. Honorius, Valentinianus HL und die nur kurze Zeit amtierenden Kaiser Libius Severus, Anthemius, Olybrius, Glycerius und Iulius Nepos waren nicht fähig, die Macht in die eigenen Hände zu nehmen. Wenn es ein Kaiser wie Maiorianus (457461) versuchte, wurde er umgebracht. Im Osten entspannen sich verschiedentlich selbst militärische Auseinandersetzungen zwischen Augusti

und magistri

militum,

etwa im Falle von Zenon, Illus und Leontius (484488), doch am Schluß setzten sich die Kaiser durch. Hier waren mit Marcianus, Leo I., Zenon und später Justinian (527565) willensmächtige Herrscher auf dem Thron. Charakteristisch für die Machtverhältnisse im Westen war die Tatsache, daß der Truppenführer Odoacer den in Ravenna erhobenen Knabenkaiser Romulus 476 einfach absetzte und als Staatspensionär nach Kampanien schickte, wo er in der Vergessenheit sich seinen Augustulus perium

Spitznamen

redlich verdiente. Damit war der von Italien aus regierte Westteil des Im-

Romanum

sang- und klanglos untergegangen; der Kaiser in Konstantinopel

behielt jedoch uneingeschränkt den Anspruch aufrecht, alleiniger rechtmäßiger Monarch für das römische Reich zu sein. Auf Anordnung von Justinian konnten seine Feldherren einen beträchtlichen Teil des verlorengegangenen Gebietes zurückgewinnen. 94 Bestand hatte diese Rückeroberung allerdings nicht. Auch Constans Π. vermochte 662 keine dauerhafte Herrschaft im Westen mehr aufzurichten, sondern fand hierbei den T o d durch Mörderhand. Schließlich traten mit der Kaiserkrönung des Frankenkönigs Karls des Großen im Jahre 800 grandlegende Änderungen ein, welche die Vergangenheit wiederzubeleben und gleichzeitig die alte Idee des Romanum

Imperium

mit neuem Inhalt zu erfüllen suchten. 95

Eine Gesamtdarstellung über die Heermeister des Westreiches bietet John M. O'Flynn: Generalissimos of the Western Roman Empire, Edmonton 1983. Zur Rolle der Nichtreichsangehörigen im römischen Heer siehe Manfred Waas: Germanen im römischen Dienst im 4. Jahrhundert, Bonn 1971. Für die historische Entwicklung bis zur Zeit Justinians ist auf die Schilderung bei Demandt, Spätantike 137-210, zu verweisen. Dieser im Jahre 1991 verfaßte Beitrag wurde inhaltlich aktualisiert und bibliographisch entsprechend ergänzt, doch ist nicht angestrebt, umfassende Literaturhinweise zu geben.

Wolfgang Kuhoff

66

Abkürzungsverzeichnis

AA AE ANRW APAW Schäften BJ CIL FBW IEph lit ILS Jdl JRS KJ MAAR NAWG gen RAC RE RGDA RhM ZPE

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Archäologischer Anzeiger Annee Epigraphique Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissen

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Bonner Jahrbücher Corpus Inscriptionum Latinarum Fundberichte aus Baden-Württemberg Inschriften von Ephesos Inscriptiones Italiae Inscriptiones Latinae Selectae Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts Journal of Roman Studies Kölner Jahrbuch für Vor- und Frühgeschichte Memoirs of the American Academy in Rome Nachrichten der Akademie der Wissenschaften Göttin

= = = = -

Reallexikon für Antike und Christentum Reallexikon der classischen Altertumswissenschaft Res Gestae Divi Augusti Rheinisches Museum Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik

DIETER MERTENS Der Fürst. Mittelalterliche Wirklichkeiten und Ideen

I.

Adel legitimiert sich wesentlich durch Herkunft, und darum verweist das Bewußtsein, das ein Adelsgeschlecht von seiner Herkunft ausbildet, auf den Rang, den es beansprucht oder der ihm zuerkannt wird. Dieses Bewußtsein bleibt im Lauf der Jahrhunderte keineswegs konstant, sondern unterliegt Wandlungen und Formungen sowohl entsprechend den Veränderungen der politischen und sozialen Stellung als auch unter dem Einfluß der Herolde, Historiographen und Historiker. 1 Das genealogische Bewußtsein zeigt in der Regel zwei unterschiedliche Bereiche: einen jüngeren, der sich aus der einige Generationen zurückreichenden Familiengeschichte speist, und einen älteren, der eher vage eine ferne Herkunft konstruiert und hierin allgemein verbreiteten Auffassungen folgt und sich auch zusammen mit diesen verändert. Beide Bereiche werden entsprechend den geltenden Familienstrukturen als vorrangig patrilineare konstruiert. Für den Historiker ist das Bewußtsein des Adels von seiner Herkunft, die historische Genealogie, ebenso ein legitimer Forschungsgegenstand wie die Rekonstruktion der tatsächlich aufweisbaren biologischen Zusammenhänge in Abstammung und Verwandtschaft, also die biologische Genealogie, und wie auch - verstärkt in neuerer Zeit - die Erforschung der Familienstrukturen und Rollenverteilungen in den verschiedenen Epochen und Generationen, eine Fragestellung der historischen Familienforschung als eines Gebietes der historischen Anthropologie. Während der in diesem dreifachen Sinn genealogisch arbeitende Historiker nach allgemeineren gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen fragt, bedeuten Genealogien für den Adel die Beschreibung der besonderen Herkunft einer Adelsfamilie und ihrer Stellung im Adelsgefüge. Die Diskrepanzen zwischen den Aussagen der histori1

Die grundlegenden Aufsätze von Karl Schmid liegen gesammelt vor in: Ders., Gebetsgedenken und adeliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte Beiträge, Sigmaringen 1983. Siehe auch Gerd Althoff, Genealogische und andere Fiktionen in der mittelalterlichen Historiographie. In: Fälschungen im Mittelalter, hg. von Horst Fuhrmann (Schriften der M G H 33,1), Hannover 1988, S. 417441; ders., Genealogische Fiktionen und die historiographische Gattung der Genealogie im hohen Mittelalter. In: X V m . Internationaler Kongreß für Genealogie und Heraldik, 5.-9. September in Innsbruck, Kongreßbericht (Veröffentlichungen des Innsbrucker Stadtarchivs, Neue Folge 18), Innsbruck 1988, S. 67-79.

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sehen und der biologischen Genealogie, zwischen den Bewußtseinszeugnissen und den aufweisbaren genealogischen Zusammenhängen, weisen auf längerfristige Wandlungen im Adelsgefüge. Nach den Diskrepanzen fragen, heißt dem Auf- und Abstieg bestimmter Familien, der Bedeutung von Verwandtschaft, Amtern, Herrschaftsbildung und rechtlichen und sozialen Ordnungsvorstellungen, kurzum dem Problem der Selbstbehauptung und sozialen Identitätswahrung unter sich ständig wandelnden Bedingungen nachzufragen. Die in der Epoche des Aufstiegs einer adeligen Familie zu fürstlichem Rang im Bewußtsein verankerte, fiktive Herkunft muß nicht immer eine vornehmere sein als die historisch tatsächliche. Vornehme Herkunft wird nicht nur fingiert, sondern auch vergessen. Im 13. Jahrhundert galten weder die Markgrafen von Baden noch die Grafen von Württemberg als fürstlich, und im 15. Jahrhundert meinten beide Geschlechter, sich so wie viele andere Adelige auch aus römischem Adel herleiten zu sollen - weder den Badenern noch den Württembergern war bekannt und bewußt, daß sie im 11. und 12. Jahrhundert aus sehr hochrangiger, als fürstlich geltender Verwandtschaft herkamen. Bald nach der Mitte des 14. Jahrhunderts sind die Badener und am Ende des 15. die Württemberger als Fürsten anerkannt worden, ohne daß dabei die hochmittelalterliche Abstammung irgend eine Rolle gespielt, ja überhaupt bekannt gewesen wäre. Erst viel später hat die historische Forschung die hochmittelalterliche Herkunft herausgearbeitet und dargetan, daß der „Stammvater" der Badener, Hermann I., und der älteste Württemberger, Konrad, aus Familien höchsten Ranges hervorgegangen sind.2 Am Beispiel der Württemberger soll hier das aufgezeigte Problem beleuchtet werden. Dabei empfiehlt es sich, nicht etwa einer rekonstruierten biologischen Genealogie chronologisch zu folgen, sondern den spätmittelalterlichen Aufstieg in den vordersten Rang der Herrschaftsträger im Reich, in den Fürstenrang, voranzustellen und ihn dann mit den früheren Perioden zu konfrontieren. Es mag überraschen, wenn für Betrachtungen zum Problem des mittelalterlichen Fürsten ausgerechnet Württemberg als Beispiel herangezogen wird. Die Erhebung Württembergs liegt spät sowohl in der Geschichte der Fürstenerhebungen im Reich als auch in der Geschichte des Hauses Württemberg und der Bildung des württembergischen Territoriums; Haus und Herrschaft sind da2

Vgl. Handbuch der baden-württembergischen Geschichte Bd. 2: Die Territorien im Alten Reich. Im Auftrag der Kommission für geschichtlichen Landeskunde in BadenWürttemberg hg. von Meinrad Schaab und Hansmartin Schwarzmaier, Stuttgart 1995, S. 164 ff., 174 ff. (Schwarzmaier über Baden), S. 6 ff. (Mertens über Württemberg). - Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon, hg. von Sönke Lorenz, Dieter Mertens und Volker Press (t), Stuttgart 1997, S. 1 ff. 437 f.

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mals schon lange an dem Leitbild des Fürsten und des Fürstentums ausgerichtet. Das Beispiel Württemberg bietet die Möglichkeit, über einen langen Zeitraum hin aus einundderselben Perspektive die Veränderungen im Adel und die Verschiebungen im Gefüge der Adelswelt zu beobachten, wobei selbstverständlich auch Württemberg, die Familie und ihre Herrschaft, ein sich verändernder Teil des sich wandelnden Gefüges ist. Der Beobachtungszeitraum, der von dieser Perspektive aus zu erfassen ist, reicht vom 15. bis ins 11. Jahrhundert zurück. Im 11. Jahrhundert setzen die Zubenennungen des Adels, meist nach Burgen, auf breiter Front ein, ein Vorgang, der mit einer tiefgreifenden Umstrukturierung des Adels in Zusammenhang gebracht worden ist. Dies trifft der Zeit und der Sache nach auch für Württemberg zu. Doch um den Charakter und das Ausmaß dieser Umstrukturierung zu verstehen, ist es nötig, zeitlich noch weiter zurückzugehen in das frühe 11. und das 10. Jahrhundert, auch wenn dies mit erheblichen Unsicherheiten verbunden ist.

Π.

„Wir müssen mit der Erklärung beginnen, welcher Sinn eigentlich dem Wort 'König' beizumessen ist", schreibt Thomas von Aquin um 1270 zu Beginn einer Abhandlung, die bezeichnenderweise unter zwei verschiedenen Titeln verbreitet war und immer noch ist: „Uber die Königsherrschaft" und „Uber die Fürstenherrschaft". Thomas kommt darin zu dem Schluß: „König (rex) ist, wer die menschliche Gesellschaft einer Stadt oder eines Territoriums leitet (regit), und zwar des Gemeinwohls wegen."3 Thomas spricht als Philosoph verallgemeinernd von der Herrschaft und legt den Akzent nicht auf den Titel, sondern auf das Wesen rechter Herrschaft; sie bedeute die verantwortliche Ausrichtung auf das Gemeinwohl. Thomas überführt wesentliche Gedanken der damals gerade erst bekannt gewordenen „Politik" des Aristoteles in die Gattung der „Fürstenspiegel". Mit empirischen und theoretischen Gründen will er darlegen, daß eine Vielheit auf die beste Weise durch die Herrschaft eines Einzelnen auf das Gemeinwohl ausgerichtet werden könne. Das Königtum Thomas de Aquino, De regno ad regem Cypri, hg. von Hyacinthe F. Dondaine, in: Sancti Thomae de Aquino Opera omnia iussu Leonis ΧΙΠ. p.m. edita, Bd. XLII, Rom 1979, S. 421 ff.; De regimine principum ad regem Cypri, hg. von Joseph Mathis, Turin Rom 1948, S. 1 ff.: rex est qui unius multitudinem civitatis vel provinciae, et propter bonum commune, regit. - Während der von Thomas stammende Teil der Schrift terminologisch konsistent ist, ist dies in der eine Generation jüngeren Fortsetzung des Tolomeo di Lucca - eher ein historisch-politischer Traktat denn eine philosophische Abhandlung - überhaupt nicht der Fall.

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ist nicht eigentlich der Gegenstand der Untersuchung, sondern es dient als Modell des besten Herrschaftsform und rechter Herrschaft überhaupt. In der politischen Nomenklatur des späten 13. Jahrhunderts jedoch würde der Regierer einer Stadt, d.h. eines italienischen Stadtstaates, keineswegs den Titel eines Fürsten oder gar eines Königs führen, sondern nur den eines Herren (dominus, signore), und der Herrscher über ein Territorium, etwa eines der deutschen Territorien, könnte beispielsweise „Herzog" (dux) sein und damit zum Stand der Fürsten zählen. Als „Fürst" war er einer der „Fürdersten", d.h. der „Vordersten", Ersten beim König. Ein ihm gebührendes Rangzeichen war der Herzogshut, wogegen die Krone allein dem König zukam wie selbstverständlich auch der Königstitel. Die Sprache der rechtlichen Ordnung und der rechtlich-politischen Organisation hat die Unterschiede und wechselseitige Zuordnung der Herrschaftsträger zu bestimmen und nicht die theoretische Wesensgleichheit königlicher und fürstlicher Herrschaft herauszuarbeiten. Daher erklärt das um 1275/76 von einem Augsburger Franziskaner verfaßte „Kaiserliche

Land-

und

Lehnrechtbuch",

der

(später)

sogenannte

„Schwabenspiegel", wie die deutschen Fürsten den König wählen sollen und wie umgekehrt der König durch Belehnung Fürsten einsetzt: geistliche Fürsten und Fürstinnen (Bischöfe, Abte, Äbtissinnen), die der König mit dem Szepter, und weltliche Fürsten, die er mit der Fahne investiert. Das sprachlich durchaus zutreffende Verständnis des Wortes „Fürst" als „Vorderster" rückt der Autor jenes Rechtsbuches energisch in den Horizont des Lehnrechts: Nur wer „'der Vorderste' an dem Lehen" sei - also unmittelbar vom König belehnt worden sei und nicht von einem anderen Laienfürsten -, dürfe princeps oder Fürst heißen.4 Die etymologische Begründung ist ersichtlich eine Hilfskonstruktion, denn die Regel greift bekanntlich nicht ganz genau. Ein Laienfürst verlor keineswegs seinen fürstlichen Rang, wenn er von einem geistlichen Fürsten ein Lehen nahm. Gleichwohl handelt es sich um eine strenge Ordnung, denn sie faßt den Begriff des Fürsten eng. Sie tut dies auf der Ebene rechtlich-sozialer Normierung, und zwar just zu einer Zeit, in der auf der Ebene politisch-philosophischer Erörterung, wie Thomas sie betreibt, der Schritt vom alten „Königsspiegel" zum modernen „Fürstenspiegel" getan wird und eine Umorientierung zu beobachten ist vom Propagieren des Leitbilds einer Königsethik auf die philosophische Analyse fürstlicher Herrschaft überhaupt. Der Sprachgebrauch der Kanzleien zieht eine scharfe Grenze nicht nur zwischen Fürsten und König - dies ist Karl Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung, 2. Aufl. Tübingen 1913, S. 110 f.

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selbstverständlich sondern, auf der einen Seite, zwischen denen, die alleine Rang und Titel eines Fürsten behaupten dürfen, und, auf der anderen Seite, der Mehrzahl der Großen im Reich. Diese Ordnung - in der Forschung „Reichsfürstenstand", früher „jüngerer Reichsfürstenstand" genannt - bildete sich in der Spätzeit Kaiser Friedrich Barbarossas, im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts, heraus. Sie findet sich wenige Jahrzehnte später in der Rechtsliteratur ausformuliert - in Gestalt der berühmten schematisierenden „Heerschildordnung" des „Sachsenspiegels" und dann auch des „Schwabenspiegels".5 Nach diesem Schema hat der König den ersten Heerschild inne; die Bischöfe, Abte und Äbtissinnen halten den zweiten und die Laienfürsten den dritten, die freien Herren den vierten; es folgen noch drei weitere, jeweils niedrigere Gruppen. Die Scheidelinie, welche die Fürsten von den nichtfürstlichen Großen und den tieferen Rängen trennt, verläuft zwischen dem dritten Schild der Laienfürsten und dem vierten Schild der freien Herren. Die exklusive Zahl der Laienfürsten umfaßte freilich nicht alle Kronvasallen, sondern allein die Herzöge, Pfalz- und Markgrafen und älteren Landgrafen - und hier nur die Mehrzahl derer, die solche Titel führten. Für das ausgehende 12. Jahrhundert hat die Forschung 22 weltliche Reichsfürsten gezählt, die von 14 Geschlechtern gestellt wurden, und 92 geistliche Reichsfürsten.6 Es ist hier wohl der vorsorgliche Hinweis angebracht, daß weder ständische Ordnungsschemata noch ihre juristische Systematiserung und auch nicht ihre moderne statistische Rekonstruktion die politische Realität des Reiches beschreiben. Sie sagen nichts aus - und schon gar nicht mit diachroner Geltung über die Situation und Handlungsfähigkeit eines Fürstengeschlechts, über die Ausbildung und das Funktionieren von Fürstenhöfen und fürstlichen Handlungsmittelpunkten, über die Handlungswilligkeit der einzelnen Fürsten, d.h. ihr Mittun im Reich oder ihre Abstinenz, über ihr politisches Gewicht in der Region oder im Hinblick auf das Königtum.7 Die Ordnungsschemata des Mittelalters wie auch die Statistiken der Mediävisten sprechen auf einer anderen Ebene über den Fürsten. Sie sind eher der Beschreibung vereinbarter Luftkor5

6

7

Ebd. S. 59. Karl-Friedrich Krieger, Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 23), Aalen 1979, S. 117 ff. Zur Bedeutung für die Rechtspraxis S. 127 ff. Julius Ficker - Paul Puntschart, Vom Reichsfürstenstande, 2 Bde. in 4 Teilen, Innsbruck 1861-1923 (ND Aalen 1961), hier Bd. I, §§ 187, 198, 254; Krieger, Die Lehnshoheit (wie Anm. 5) S. 158-173, bes. S. 168,173. Dies sind die Fragen Peter Moraws, vgl. sein Handbuch: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung (Propyläen Geschichte Deutschlands 3), Frankfurt a.M. - Berlin 1985; ders., Fürstentum, Königtum und „Reichsreform" im deutschen Spätmittelalter. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 122 (1986), S. 117-136.

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ridore, Flugpläne und -preise vergleichbar als der Angabe von Flugbewegungen, Passagieraufkommen und Umsatz. Der sozialen und rechtlichen Fixierung, die um 1200 zu konstatieren ist der sog. „Entstehung" oder „Abschließung des Reichsfürstenstandes " - haften die Konturen ihrer Entstehungsbedingungen an. Das Interesse des Königs an der Ausweitung und Stärkung seiner lehnsherrlichen Stellung verband sich mit dem Interesse der Fürsten an einer ständischen Abgrenzung nach unten, und diese Verbindung zeitigte das Ergebnis, daß einem momentanen Zustand normative Qualitäten zugesprochen wurden - die Kontingenz der Genesis des Reichsfürstenstandes war ein Problem seiner künftigen Geltung. Denn die Tatsache, daß diejenigen geistlichen und weltlichen Großen, die nun in besonders qualifizierter Weise als Reichsfürsten galten, wichtige rechtliche Merkmale gemeinsam hatten, bedeutete ja keineswegs, daß sie nun auch politisch gemeinsam als Stand handelten. Gerade die weltlichen Fürsten, die, anders als die in ihre Amter gewählten Bischöfe und Abte, ihren fürstlichen Stand und ihr Fürstentum erblich besaßen, dachten zuallererst in Kategorien der Familie. „Die sehr geringe Kohärenz vor allem der weltlichen Reichsfürsten, die sich bis tief in das 15. Jahrhundert beobachten läßt, dürfte den Reichsfürstenstawd als Fiktion erweisen", urteilt Peter Moraw aus der Perspektive des politischen Handelns.8 Gemeinsam handlungsfähig und -willig, so stellte sich im Lauf des 13. Jahrhunderts heraus, war aus unterschiedlichen Gründen nur ein kleiner Kreis von geistlichen und weltlichen Reichsfürsten. Dieser setzte sich bis zum Ende des 13. Jahrhunderts als Kurfürsten, d.h. zunächst als vornehmliche, dann als alleinige Königswähler, von den übrigen Reichsfürsten deutlich ab. Ohne fürstliche Qualität blieben im ausgehenden 12. Jahrhundert einige Mark- und Pfalzgrafen sowie eine Reihe von Grafen und mehrere freie Herren, die der König unmittelbar belehnte. Diese Tatsache hat für den hier näher vorzustellenden Fall Württemberg Bedeutung und wird noch auszuleuchten sein. Um einen weltlichen Fürsten im Sinne jener neuen Ordnung zu definieren, reicht die Bestimmung des Lehnsnexus allein also nicht aus. Das Lehnsobjekt selbst mußte offenbar bestimmte Qualitäten aufweisen, als wichtigste eine landrechtliche: Es sollte keiner fremden Herzogsgewalt unterliegen, sollte also Moraw, Fürstentum (wie Anm. 7) S. 130. Vgl. die Studien zum Königswahlrecht und der Entstehung des Kurfürstenkollegs von Armin Wolf, zuletzt: Die Vereinigung des Kurfürstenkollegs. Zur Reformacio sacri status imperii bei der Königserhebung Albrechts von Osterreich im Jahre 1298, in: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Heinz Duchhardt und Gert Melville, Köln u.a. 1997, S. 305-371; dort S. 305 Anm. 1 die früheren einschlägigen Arbeiten Wolfs.

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ein Herzogtum sein oder einem Herzogtum vergleichbar sein.10 Zu einem Fürsten gehörte also ein reichslehenbares Fürstentum - in der Regel. Die sog. Titularherzöge besaßen ein solches freilich nicht, und dennoch waren einige von ihnen wie die 1218 ausgestorbenen Zähringer Reichsfürsten. Die Herrschaftsgebiete der Zähringer unterlagen keiner fremden Herzogsgewalt, aber sie bildeten gleichwohl kein Fürstentum, weder insgesamt noch teilweise, das 1218 einem anderen Geschlecht hätte verliehen werden können. Naturgemäß geriet die Fixierung der Reichsfürsten und -fürstentümer im späten 12. Jahrhundert in eine wachsende Diskrepanz zur faktischen Weiterentwicklung des Reiches, insbesondere seit dem Ende der Staufer, als es in einem so bedeutenden Herzogtum wie dem schwäbischen keinen Herzog mehr gab, das Herzogtum aber weiterhin als bestehend betrachtet wurde. Der ducatus Suevie sei schon längst in das Eigentum des Reiches übergegangen, stellte König Richard von Cornwall 1262 fest.12 Welche Schlußfolgerungen konnten die Grafen und die anderen Magnaten in Schwaben daraus ziehen? Etwa diese: Daß es im Bereich eines der großen alten Herzogtümer keinen weltlichen Fürsten mehr gebe und daß darum jetzt ein jeder Graf, wie ein Fürst, keiner Herzogsgewalt unterläge? Die Grafen von Württemberg waren unter den schwäbischen Grafen und Edelfreien die aktivsten im Kampf gegen die Staufer gewesen, geradezu die Anführer. Nun waren sie es - jedenfalls in den Augen ihrer schwäbischen Standesgenossen -, die am deutlichsten zu einer angemessenen Neubestimmung ihrer Position im herzoglosen Schwaben herausgefordert waren. Die Grafen von Württemberg haben dieser Erwartung sehr wohl entsprochen. „Der Fürst" ist ganz zweifellos das Leitbild ihres politischen Handelns im herzoglosen Schwaben. Daß ein Fürst Edelfreie zu Vasallen haben konnte, war sein Recht, aber es bestand gewiß nicht die Pflicht, diese aktive Lehnsfähigkeit auch auszuüben; Krieger, Die Lehnshoheit (wie Anm. 5) S. 168 f. mit Anm. 266 weist darauf hin, daß schon der Besitz, nicht erst die Ausgabe als Lehen, von Grafschaften und Herrschaften als Merkmal fürstlicher Gewalt ausreichte. Auch dies ist im Hinblick auf den Fall Württemberg festzuhalten. Hans Werle, Titelherzogtum und Herzogsherrschaft. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung) 73 (1956) S. 225-299. Gerd Althoff, Die Zähringer - Herzöge ohne Herzogtum. In: Die Zähringer. Schweizer Vorträge und neue Forschungen (Veröffentlichtingen zur Zähringer-Ausstellung IH), Sigmaringen 1990, S. 81-94. Hartmut Heinemann, Das Erbe der Zähringer. In: Die Zähringer (wie eben), S. 215-265, bes. 244 ff. Hans-Georg Hofacker, Die schwäbischen Reichslandvogteien im späten Mittelalter (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 8), S. 100; ders., Die schwäbische Herzogswürde. Untersuchungen zur landesfürstlichen und kaiserlichen Politik im deutschen Südwesten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 47 (1988) S. 71-148.

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Dieter Mertens Es hatten sich allerdings bereits unter den Staufern förmliche und für uns

urkundlich faßbare Regeln für eine „Erhebung" in den Reichsfürstenstand herausgebildet. 1184 und 1235 wurden die Markgrafschaft Namur und das Herzogtum der Braunschweiger Weifen als Fürstentümer geschaffen. Wesentlich aus der Existenz und dem Inhalt eben dieser Urkunden hat die Forschung die „Entstehung des Reichsfürstenstandes" abgelesen. Die erste nachstaufische Erhebung ist diejenige Hessens durch Adolf von Nassau. Den Grafen von Württemberg wurde eine solche Erhöhung erst viel später, 1495, zuteil. Die Urkunde, mit der erstmals ein Reichsfürst (princeps imperii) kreiert wurde, läßt die Anforderung an ein Fürstentum erkennen. Friedrich Barbarossa schuf 1184 aus dem gesamten Lehns- und Eigengut des Grafen Heinrich von Namur eine Mark des Reiches (marchia imperii), mit der er den Grafen Balduin von Hennegau, den Erben Heinrichs, belehnte und zum Vasallen und Fürsten des Reiches machte. Auf entsprechende Weise verband Friedrich Π. 1235 das Eigengut der Weifen mit Reichsgut zu einem Herzogtum (ducatus) und ähnlich erhob König Adolf von Nassau 1292 den Landgrafen Heinrich von Hessen zum Reichsfürsten.13 Nicht anders verfuhr König Maximilian I., als er 1495 den Grafen von Württemberg zum Herzog erhob. Von solch regelhafter, ausdrücklicher Erhebung gibt es einige wenige Ausnahmen. Eine von ihnen betrifft die Stellung der Markgrafen von Baden. Sie galten, anders als die Brandenburger Markgrafen, kaum je als Reichsfürsten, bis Kaiser Karl IV., ohne einen Grund dafür zu nennen, den Markgrafen Rudolf VI. 1362 als „Fürsten" bezeichnete, ihn entsprechend als „hochgeboren" titulierte und mit der Markgrafschaft als seinem „Fürstentum" belehnte.14 Eine ausdrückliche Erhebung nahm Karl nicht vor, er verstand den Markgrafentitel der Badener fortan als einen fürstlichen Titel. Doch in beiden Fällen, der ausdrücklichen und der sog. „stillschweigenden" Anerkennung, geht es nicht etwa darum, die Erlangung bestimmter Qualitätsmerkmale zu honorieren und gewissermaßen einem Beitrittskandidaten zum Reichsfürstenstand das Erreichen der Namur-Kriterien zu beurkunden. Ebenso wenig dürfte eine planvolle Fortentwicklung der Reichsverfassung seitens des Königs der Grund für die Julius Ficker - Paul Puntschart, Vom Reichsfürstenstande, 2 Bde. (wie Anm. 6), Bd. I, §§ 72, 134 ff., 187, 198; Krieger, Die Lehnshoheit, (wie Anm.5), S. 156-182; Ernst Schubert, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Göttingen 1979 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 63), bes. S. 297 ff. Gerd Althoff, Die Erhebung Heinrichs des Kindes in den Reichsfürstenstand. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 43 (1993) S. 1-18. Regesten der Markgrafen von Baden 1, Nr. 1174. - Ficker - Puntschart (wie Anm. 6) § 147; Krieger, Die Lehnshoheit (wie Anm. 5), S. 214.

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Zuerkennungen der Fürstenqualität auf die eine oder die andere Weise gewesen sein. Vielmehr sind stets aktuelle regional- und dynastiebezogene Konfliktlösungen als Ursachen für die Person und den Zeitpunkt der Erhebungen als ausschlaggebend zu erkennen. Die Erhebungen sind ein regionales Eingreifen des Königs. Das ist bereits bei der ersten Erhebung, Namur, so - ein Fall, der in der systematischen Betrachtung der Rechts- und Verfassungsgeschichte eine sehr bedeutsame Rolle spielt, aber konkret lediglich eine temporäre Lösung bedeutete; denn Namur verlor die Qualität als Fürstentum sehr schnell wieder.15 Auch bei der letzten Erhebung im Mittelalter, der württembergischen, zeigt sich ein sehr planvolles Abwägen und Ausgleichen der Interessen und Zukunftserwartungen beider Parteien, des habsburgischen Königs und des Württembergers.

m. Am 21. Juli 1495 wurde Graf Eberhard d. Ä. (im Bart) von Württemberg von König Maximilian I. zum Fürsten erhoben. Er wurde dabei mit dem hertzogthumb zu Wirtemberg zu rechtem manlehen belebet und fürstlichen hertzogthumblichen titel, eeren und wirden gewirdigt und gehöhet. Das Jahr 1495 markiert der üblichen Epocheneinteilung zufolge schon fast das Ende des Mittelalters. Seit etwa 1500 haben Historiographen sich bemüht, die Geschichte der Württemberger in ihrer gesamten zeitlichen Erstreckung zu erfassen; Johannes Nauclerus (fl510) und Johannes Trithemius (fl516) sind hier als erste zu nennen, für die Mitte des 16. Jahrhunderts Sebastian Küng (γ1561). Diese Bemühungen sind jedoch nicht etwa von der Erhebung des Grafen Eberhard zum Herzog und Fürsten veranlaßt, selbst wenn dieser Vorgang von dem Württemberger Nauclerus mit Nachdruck herausgestellt wird, von Küng übrigens nicht. Die Herzogserhebung nahm zwar der elsässische Humanist Jakob Wimpfeling, Domvikar in Speyer, zum Anlaß, den neuen Fürsten panegyrisch mit dem humanistischen Fürstenideal zu verbinden, doch württembergische Historiographie wurde dadurch nicht unmittelbar stimuliert.17 Naucler 15

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17

Ficker - Puntschart Π, 3 (wie Anm. 6), S. 217-219; Krieger, Die Lehnshoheit (wie Anm. 5), S. 202. 1495: Württemberg wird Herzogtum. Dokument aus dem Hauptstaatsarchiv Stuttgart zu einem epochalen Ereignis. Bearb. von Stephan Molitor. Mit Beiträgen von Klaus Graf und Petra Schön. Stuttgart 1995, S. 83. Dieter Mertens, Eberhard im Bart und der Humanismus. In: Eberhard und Mechthild. Untersuchungen zu Politik und Kultur im ausgehenden Mittelalter, hg. von HansMartin Maurer (Lebendige Vergangenheit 17), Stuttgart 1994, S. 35-81, hier S. 37 f., 71 u.ö. - Klaus Graf, Eberhard im Bart und die Herzogserhebung 1495. In: 1495: Württem-

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schreibt als spätmittelalterlich-humanistischer Weltchronist, Trithemius als Klosterreformer. Die auch heute noch für die Anfänge des Hauses Württemberg entscheidenden Quellen aus den Klöstern Hirsau, Zwiefalten, St. Blasien und Blaubeuren, die der hochmittelalterlichen Reform zu danken sind, wurden im Zuge der Klosterreform des ausgehenden 15. Jahrhunderts wieder zur Hand genommen und auf das Vorkommen des Adels durchgesehen.18 Es fiel auf, daß die Zubenennungen des Adels nur bis zu diesen Quellen des späten 11. und des 12. Jahrhunderts zurückverfolgt werden konnten. Man rätselte über die Gründe und ventilierte die Frage, wie man sich das ältere, vor das 11. Jahrhundert zurückreichende Herkommen denn vorzustellen habe. Einwanderungstheorien wurden herangezogen, aber von Autochthonentheorien abgelöst. Die ersteren bezogen sich auf den Adel - angeblich durch Konrad Π. von Italien nach Deutschland verpflanzt - die letzteren auf die Landesbewohner insgesamt, die seit der Sintflut im Lande wohnten und unter denen sich die Herren von Württemberg allmählich hervorgetan hätten - zuerst als Eigentumsherren von Beutelsbach, dann auch als Lehnsleute der Kaiser, von denen sie Grafschaften anfangs zu Lehen und später zum Kauf erhalten. Ein fürstliches Herkommen der Württemberger wird von den Historiographen des 16. Jahrhunderts weder behauptet noch konstruiert. Insofern haben die soeben zu Fürsten erhobenen Württemberger von der humanistischen Historiographie nicht profitiert, ganz im Gegensatz zu den Habsburgern unter Maximilian I., der sich von Humanisten, namentlich von Jakob Mennel, in Gestalt eines sehr elaborierten genealogisch-historiographischen Werkes eine gewaltige Ahnenprobe als monarcha mundi schreiben ließ.19 Der namhafteste und einflußreichste, Johannes Nauclerus, war kritisch genug, sich bei der Darstellung der württembergischen Geschichte - es ist keine fortlaufende Darstellung, sondern suo loco in die Schilderung der Weltgeschichte eingeflochtene Stücke - nicht an Spekulationen über die Zeit vor dem

berg wird Herzogtum (wie Anm. 16), S. 9-43, hier S. 30 f. - Die Chronik des Stuttgarter Ratsherrn Sebastian Küng, hg. von Ingrid Karin Sommer, Stuttgart 1971 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart 24), S. 96, 98. Hierzu und zu den folgenden Ausführungen vgl. Dieter Mertens, Zur frühen Geschichte der Herren von Württemberg. Traditionsbildung - Forschungsgeschichte - neue Ansätze. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 49 (1990) S. 11-95, hier bes. S. 19 ff. Dieter Mertens, Geschichte und Dynastie - Zu Methode und Ziel der 'Fürstlichen Chronik' Jakob Mennels. In: Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Hg. von Kurt Andermann ( - Oberrheinische Studien 7). Sigmaringen 1988, S. 121-153.

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11. Jahrhundert zu beteiligen.20 Zwar erklärte er den aus Hirsaus Schenkungsaufzeichnungen bekannten ersten Träger der Zubenennung von Württemberg Konrad, zum Grafen von Württemberg, und ebenfalls Konrads Bruder, den Hirsauer Abt Bruno (1105-1120), obwohl keiner von beiden in der herangezogenen Quelle einen solchen Titel trägt. Doch Fürsten waren sie damit nicht. Naucler betont ganz scharf, daß es das Innehaben einer bedeutenden Landesherrschaft sei, was den Fürsten ausmache und ihn unterscheide von Grafen und freien Herren, die Schwaben allenthalben zierten wie die Blumen das Feld. Doch Fürsten übertreffen die übrigen nicht allein an Würde und Berühmtheit des Geschlechts, sondern auch an Macht {potentia), sie haben Länder und sehr ausgedehnte Herrschaften.21 Eben dieses Erfordernis galt 1495 als längst erfüllt: weil die Vorfahren Eberhards die meisten Fürsten seit langer Zeit an Macht (potentia) übertroffen hätten, habe Maximilian aus dem Grafen einen Herzog geschaffen.22 Seit wann dies der Fall sein soll, sagt Naucler nirgends. Die seiner Weltchronik eingestreuten Passagen über Württemberg ergäben zusammengenommen allerdings auch keine kontinuierliche Darstellung. Auf den ersten Konrad von Württemberg an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert scheint Naucler jene Feststellung überlegener Macht noch nicht zu beziehen. Er hat das Modell eines durch erfolgreiche Herrschaftsausweitung politisch bewirkten und durch die förmliche königliche Erhebung schließlich auch rechtlich ratifizierten Aufstiegs in den höheren Stand vor Augen. Ganz anders sah das von Maximilians Hofgenealogen zugunsten der Habsburger entworfene Modell aus. Diesem zufolge hat der habsburgische Stammvater Ottpert, ein zweitgeborener merowingischer Königssohn des 7. Jahrhunderts, um des Friedens willen auf die königliche Würde verzichtet, aber den Namen Habsburg behalten und sich mit geringeren Herrschaften zwischen dem Uchtland und dem Elsaß begnügt - ein Fürstentum im spätmittelalterlichen Sinn ist nicht darunter, doch Maximilians Genealogen ließen Ottpert als einen Fürst gelten.

Ioannes Nauclerus, Memorabilium omnis aetatis et omnium gentium chronici commentarii. Tübingen, Thomas Anshelm, 1516, Π, fol. 301 r . Naucler nimmt bereits bei der Schilderung der Gründung Sindelfingens und Hirsaus auf die württembergische Her-

zogserhebung - in illustrissimorum ducum principumque ordinem sunt sublimati (fol. 162*)

- Bezug. Das den zweiten Band einleitende Register gibt auf seiner letzten Seite unter dem Lemma Wirtenbergenses comites Verweise auf die einschlägigen Stellen in chronologischer Reihung.

Ebd. fol. 301r: pnncipes non solum dignitate et generis claritate, sed et potentia antecedunt reliquos, terras habent et dominia latissima. Ebd.: quod maiores sui plerosqueprincipespotentia multis temporibus antecelluissent.

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Württembergs Aufstieg vollzog und vollendete sich im herzoglosen Schwaben. Den Kampf des Schwäbischen Adels gegen Kaiser Friedrich Π. und seinen Sohn König Konrad IV., zugleich Herzog von Schwaben, führten die Vettern Graf Hartmann von Grüningen und Graf Ulrich von Württemberg an. Jedem von ihnen soll, wohl seitens der übrigen Staufergegner, „die Hälfte des Herzogtums Schwaben" versprochen worden sein. Gemeint ist vielleicht das Herzogsgut, wenn nicht gar das zum „Herzogtum" verschmolzene Herzogs-, Reichsund Hausgut der Staufer in Schwaben.23 Doch wie auch immer diese Nachricht näherhin zu verstehen ist, sie kann nur das Streben nach einer herzogähnlichen Stellung der beiden Vettern in einem herzoglosen Schwaben meinen. Dazu ist es nicht gekommen, denn Graf Ulrich, der mächtig auf Reichs- und Staufergut zugriff, anerkannte Konradin, den noch unmündigen und nie von König Richard von Cornwall mit Schwaben belehnten Sohn Konrads IV., als Herzog. Doch Konradin verlieh ihm im Gegenzug das jetzt erstmals begegnende Amt eines Marschalls von ganz Schwaben und - vielleicht wichtiger - die Reichsvogtei über den alten Herzogsvorort Ulm, die durch den Tod des dem Württemberger nahe verwandten Grafen von Dillingen frei geworden war. Damit sollten wohl Ulrichs expandierende Stellung und seine Gewinne insgesamt legitimiert werden - zweifelhaft genug.24 Der Ansatzpunkt des bei Ulrich so deutlich sichtbar werdenden, auf eine fürstengleiche Stellung zielenden Ehrgeizes liegt just in der für die Verfassungsentwicklung so bedeutsamen Spätzeit Kaiser Friedrich Barbarossas. Es gibt Anzeichen dafür, daß zwar derjenige Württemberger namens Ludwig, der 1139 erstmals mit dem Grafentitel begegnet, vom Herzog belehnt wurde und so zum Herzogtum gehörte, daß aber 40 Jahre später ein weiterer Württemberger gleichen Namens seinen Grafentitel vom König trug und somit zum Reich gehörte.25 Eben damals schlossen sich die Reichsfürsten nach unten ab. Der Graf von Württemberg blieb außen vor; er wurde offenbar ein Kronvasall, aber kein Fürst. In dem seit Konradins Aufbruch nach Italien praktisch herzoglosen Schwaben war der Württemberger nicht der einzige gräfliche Kronvasall. Die staufischen Könige hatten in Schwaben außer zu den Grafen von Württemberg auch zu denen von Habsburg, Freiburg und Dillingen unmittelbare Lehnsbeziehungen. Die Habsburger nahmen seit der Mitte des 14. Jahrhunderts zentrale Positionen der niedergehenden Freiburger Grafen ein, und bereits einhundert Jahre zuvor hatten die Württemberger nicht unwesentliche Teile aus der HinterlasHelmut Maurer, Der Herzog von Schwaben, Sigmaringen 1978, S. 292. Ebd. S. 275 f. zur Herzogswürde Konradins; S. 103, 292, 294 zum Marschallamt Ulrichs. Dieter Mertens, „Württemberg", In: Handbuch (wie Anm. 2), S. 9, 11.

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senschaft der ausgestorbenen Dillinger gewonnen. Habsburg und Württemberg wurden die Hauptkonkurrenten in Schwaben, die Habsburger aber aus der stärkeren Position, und dies wohl schon vor dem Königtum Rudolfs von Habsburg (1273-1291) und Albrechts (1298-1308). Die erst später - unter Kaiser Sigismund (1410-1437) - als Kronvasallen neu in Erscheinung tretenden Grafen in Schwaben waren keine Konkurrenten um den Fürstenrang.26 Mit ihrem über den Grafenrang hinauszielenden Ehrgeiz befanden sich die Württemberger indes in einer Zwickmühle. Sie mußten ihre während des Interregnums gemachten Gewinne gegen die Rückforderungen des Königs behaupten, wenn sie denn im nachstaufischen Reich überhaupt eine Rolle spielen wollten. Sie konnten daher gar nicht anders als sich gegen das Königtum zu stellen. Dies gebot die politische Raison erst recht, wenn der König ein Habsburger und damit zugleich ihr schärfster territorialpolitischer Rivale im herzoglosen Schwaben war. Doch andererseits konnte jede Standeserhöhung nur vom König kommen, sei sie eine ausdrückliche oder auch nur eine stillschweigende. Eine Aussicht, aus dieser Zwickmühle zu entkommen, bot allein die Erweiterung und effiziente Organisation ihrer Macht. Diesen Weg haben die Grafen von Württemberg in der Tat konsequent verfolgt durch die Schlag auf Schlag getätigten Aufkäufe von acht Grafschaften, vier Herrschaften und dem Titelherzogtum Teck im ausgehenden 13. und im 14. Jahrhundert. Man kann diese neun Jahrzehnte als die Gründerzeit des württembergischen Territoriums bezeichnen. Ebenfalls ganz konsequent erscheint der organisatorische Grundsatz durchgehalten, diese Erwerbungen ihrer Herrschaft einzugliedern - die erworbenen Grafschaften in ihrer Eigenschaft als Grafschaften zur Gänze an Aftervasallen zu verleihen, wäre kaum möglich gewesen. Ein Graf als württembergischer Vasall hätte seinen Heerschild gemindert, ein Edelfreier dem Rang des Lehnsobjekts nicht entsprochen und ihn gefährdet. So blieb der Württemberger ohne gräfliche Vasallen, obwohl er dank der Ausweitung seiner Herrschaft über zahlreiche Grafschaften eine übergräfliche Stellung einnahm und seit dem 14. Jahrhundert Politik in den Dimensionen eines Reichsfürsten betrieb.27 Aber nicht die Lehnsherrschaft über gräfliche Vasallen, son-

Vgl. Krieger, Die Lehnshoheit (wie Anm. 5), S. 175 f., 275 f. Zu den neueren gräflichen Kronvasallen zählen Fürstenberg mit der Landgrafschaft Baar, Heiligenberg, Helfenstein, Kirchberg, Nellenburg, Öttingen, Toggenburg. Markus Müller, Das württembergische Lehnswesen zur Zeit Graf Eberhard des Greiners. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 56 (1997) S. 11-42, hier bes. S. 35-37.

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dem der Besitz von Grafschaften und Herrschaften galt als Merkmal fürstlicher Gewalt. 28 Das rasch und mit einer beachtlichen, die gräflichen Standesgenossen überflügelnden Bravour zusammengebrachte Herrschaftskonglomerat wurde 1442 zwischen dem Vater und dem Vatersbruder Eberhards, des nachmals ersten Herzogs, geteilt. Dies erschien Eberhard gefährlich für seine Bemühung um den Fürstenrang. Darum war die Uberwindung der Teilung Ziel seines ausgeprägten dynastischen Ehrgeizes; so wiederum Nauclerus, der es als enger Vertrauter Eberhards wissen mußte. 29 1482 besiegelten Eberhard und sein gleichnamiger jüngerer Vetter zu Münsingen den Einigungsvertrag, doch der jüngere Eberhard stellte ihn anschließend mehrfach in Frage. Die Umwandlung der Grafschaft Württemberg in ein Herzogtum sollte nun die Einheit und damit auch die einem Fürstentum gemäße Größe unanfechtbar sichern und für alle Zukunft garantieren. Es ist ein kunstvolles Verquicken von Mittel und Zweck, von lehensrechtlichen und landrechtlichen Wirkungen, von politischen Intentionen sowohl des Grafen als auch des Königs. Dabei folgt das Verfahren in wesentlichen Zügen dem schon seit mehreren Jahrhunderten üblichen Muster königlicher Standeserhöhung, demzufolge Eigengut und Reichslehen vereinigt werden zu einem einheitlichen Reichslehen höheren Ranges. Durch die Erhebung Württembergs zum Herzogtum wurde aus rund zwanzig unterschiedlichen Reichslehen und über vierzig allodialen Herrschaftstiteln ein einziges Lehen: das reichslehenbare Herzog- und Fürstentum Württemberg. Nur die Reichssturmfahne mit Burg und Stadt (Mark-) Groningen wurde mit einer gesonderten Urkunde verliehen.30 Das Bild, das sich die überflügelten und teils deklassierten ehemaligen Standesgenossen der Württemberger von deren Weg in den Fürstenstand machten, entspricht im Grundzug dem Selbstbild, doch fällt die Wertung begreiflicherweise negativ aus. Es hat nichts gemein mit den hehren Zügen des „besten Fürsten", die Jakob Wimpfeling 1495 und Philipp Melanchthon 1552 am ersten Herzog rühmten. 31 Die Zimmerische Chronik, ein unschätzbares Selbstzeugnis der Grafen- und Herrenschicht, zeichnet das Bild des fürstlichen Aufsteigers

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Krieger, Die Lehnshoheit (wie Anm. 5), S. 168 Anm. 266. Nauclerus, Memorabilium omnis aetatis et omnium gentium chronici commentarii (wie Anm. 20), fol. 30 l v : Quoniam vero dignitatem gentilitatis suae quantopere adaugere studuerit nemini obscurum est, nam ubi nuper pro exaltione sui generis inter ipsum et patruelem suum convenisset, ut terras suas ac dominia omnia in unum conferrent etpenitus unirent.... Vgl. 1495: Württemberg wird Herzogtum (wie Anm. 16): Dokumente Nr. 11-13, S. 8291. Vgl. Mertens, Eberhard im Bart und der Humanismus (wie Anm. 17), S. 39 f., 74 f.

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Württemberg mit einigen Strichen. Die Vergrößerung ihrer potentia, die Naucler pries, erscheint den Konkurrenten zumindest fallweise als Unrechte Gewalt, in jedem Fall aber als Unersättlichkeit, und das Herkommen der Württemberger imponiert ihnen überhaupt nicht. Man sagte sich solches sehr wohl ins Gesicht wie bei folgender Gelegenheit an einem Tag zu Rottenburg 1534. Herzog Ulrich von Württemberg, der soeben mit Hilfe der evangelischen Stände sein Land den Habsburgern wieder abgewonnen hatte - sie hatten es ihm 1519 abgenommen -, wollte auch Stadt und Herrschaft Sulz am Neckar wieder einnehmen. Die Habsburger hatten sie den Geroldseckern überlassen, welche bereits 1471 ein Opfer württembergischer Expansion geworden waren. Die unter der Leitung Werners von Zimmern zu Rottenburg versammelten Grafen und Herren ließen durch einen Herold Alter und Herkommen der Geroldsecker melden. Der Herold erkannte: Es handle sich um ein altes Geschlecht, das dem Haus Württemberg wohl anstehe. Herzog Ulrich widersprach. Die Geroldsecker seien nur edelleut vor jaren gewesen, kämen also gar nicht aus dem Freiherrenstand. Darauf replizierten etliche Grafen und Herren: sie wüßten sich nicht zu erinnern, daß die Herren von Geroldseck lediglich neue Herren seien; doch sei bekannt, das die von Württemberg neue Herzöge seien und nach ihrem Herkommen nicht mehr als Grafen, und unter den Grafen auch nicht die ältesten. Man wisse ja, wie das Land Württemberg entstanden sei: aus lauter Grafschaften und Herrschaften zusammengelesen; die Grafen von Württemberg seien anfangs selbst in keinem sonderlichen hohen thon gewesen. Sie hätten lediglich von der Zwietracht der Grafen und Herren und derer vom Adel profitiert; allein dieser Umstand habe sie u/die füß und in das increment., .gepracht. Nun ist das Verhältnis zwischen den ehemaligen Standesgenossen und den Aufsteigern stets ein Problem. Doch in der Sicht der Grafen und Herren Schwabens bedeutete die Erhebung der Württemberger in den Fürstenstand mehr als nur das Überholtwerden durch einen Erfolgreicheren, es war für sie die Prämierung des Siegers eines Verdrängungswettbewerbs, der aus ihrer Sicht auf ihre Kosten stattgefunden hatte und noch stattfand. Der Vorwurf, die Standessolidarität und ungeschriebene Normen des Umgangs miteinander verletzt zu haben, wurde laut. Eben den von den Humanisten als Personifizierung des „besten Fürsten" gepriesenen Grafen Eberhard, den nachmaligen Herzog, bezichtigte Graf Froben Christoph von Zimmern (fl576) namens seiner Stan-

Zimmerische Chronik, hg. von Karl Barack und Paul Herrmann, Meersburg und Leipzig o. J., Bd. I, S. 309 f., 312.

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desgenossen, ungetrewer Handlung bei der Verdrängung der Geroldsecker aus Sulz. IV. Fiel den ehemaligen Standesgenossen, den Grafen und Herren, die Anerkennung der überlegenen potentia des Aufsteigers schon schwer genug, so mochten sie eine überlegene Vornehmheit - was Naucler die dignitas und generis claritas nannte - naturgemäß überhaupt nicht anerkennen, stellt sie doch die Standesgenossenschaft überhaupt in Frage. Vor allem aber mußten bei einer Fürstenerhebung die neuen, die fürstlichen Standesgenossen den neuen Herzog akzeptieren und ihm in ihren Reihen einen genau definierten Platz einräumen. Dies wurde bei der Zeremonie der Herzogserhebung vollzogen. Der Reichsmarschall, Kurfürst Friedrich von Sachsen, führte den mit den Insignien der Herzogswürde - Rock, Mantel Hut und Schwert - bekleideten neuen Herzog an der Hand zu demjenigen Platz unter den Fürsten, den er und seine Nachkommen fortan einnehmen sollen: hinter denen, die früher als er Herzog geworden sind, aber vor allen Markgrafen und Landgrafen und sonstigen nichtherzoglichen Fürsten. Die Reichsfürsten waren nicht nur von den Kurfürsten auf der einen und den Grafen und Herren auf der anderen Seite streng unterschieden, sondern waren auch untereinander keineswegs gleichrangig. Das nächstrangige Herzogtum war Holstein (1474 erhoben), doch Herzog von Holstein war König Hans von Dänemark und Norwegen, der, wenn er denn 1495 in Worms anwesend gewesen wäre, gemäß seiner Königswürden und nicht seiner Herzogswürde hätte piaziert werden müssen. So wird Eberhard seinen Platz nach Herzog Johann Π. von Kleve eingenommen haben - Kleve war 1417 zum Herzogtum erhoben worden, aber vor dem Markgrafen Christoph I. von Baden - die Badener galten bereits seit 130 Jahren als Reichsfürsten - und auch vor dem Landgrafen Wilhelm von Hessen - Hessen war ein Reichsfürstentum immerhin seit 1292. (Nur nebenbei, um die Komplexität des Reichsfürstenstandes anzudeuten, sei vermerkt, daß die geistlichen Oheime Markgraf Christophs und Landgraf Wilhelms Kurfüsten waren, Erzbischof von Trier der eine, Erzbischof von Köln der andere, und daß beide weit vor ihren Neffen und auch vor dem Herzog und Fürsten Eberhard rangierten.) Die neuen Standesgenossen sind, im Unterschied zu den ehemaligen, sehr wohl daran interessiert, die den bisherigen Stand übersteigende Vornehmheit, ja fast die Ebenbürtigkeit des Gefürsteten festzustellen. Sie waren darum die eigentlichen Adressaten der Hinweise auf das fürstenmäßige Herkommen des

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Hauses Württemberg, die im Erhebungsakt an mindestens zwei Stellen ihren Platz hatten. Zur Zeremonie gehörte eine einleitende Empfehlungsrede auf den neuen Fürsten; der königliche Rat Veit von Wolkenstein hielt sie. Wolkenstein betonte, neben den Diensten für Könige und Kaiser, das herbringen fürstlichs stands, der in dem hus Wirtemberg allweg loblich herbracht und gehalten sy. Auch die Urkunde über die Herzogserhebung sagt, das Haus von Württemberg sei im Reich fürstmessig herkommen und gehalten, habe also Vordere von fürstenmäßigem Rang aufzuweisen und habe sich im Reich entsprechend verhalten. Doch präzisiert werden diese Prädikationen nirgends. Wiederum wird man an die jüngere, nicht an die fernere Vergangenheit denken müssen, wenn man die allgemeinen Aussagen konkret verstehen will: an die Ehefrauen aus fürstlichen Familien, etwa an die Ehe Eberhards und die seines gleichnamigen Vetters mit Markgräfinnen, und an die Ehe ihrer Väter Ludwig I. und Ulrich V. - Ludwig hatte eine Kurfürstentochter und Ulrich drei Herzoginnen geehelicht.- Ulrich war es auch, der schon 1463 beim Kaiser einen Vorstoß unternahm, um in den Fürstenrang erhoben zu werden. Damals war das Land Württemberg geteilt, und Ulrich verwies darauf, daß sein Neffe Eberhard, der Herr des anderen Landesteils, zu solcher erhebung ouch gern kommen wölt.H Der Vorstoß, den Ulrich übrigens wohl nicht ohne Grund aus bedrängter Lage unternahm - er befand sich seit der Niederlage gegen den Pfälzer Kurfürsten Friedrich bei Seckenheim 1462 in dessen Gefangenschaft -, wird wohl nicht auf eine Erhebung in den Herzogsrang gezielt haben, sondern auf die mindere Rechtsfigur des Fürstengenossen oder gefürsteten Grafen, die im 14. und 15. Jahrhundert gut belegt ist. Einigen Grafen wurden gewisse fürstliche Rechte in Rangfragen verliehen, jedoch fanden bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts seitens der königlichen Kanzler weder der Fürstentitel noch das entsprechende Prädikat illustris Anwendung, die Betroffenen behielten den Grafentitel, der höchstens ergänzt wurde: princeps comes oder gefürstet graf. Vor allem aber wurde durch solche Fürstung der Grafen ihr Land kein Fürstentum.35 Graf Ulrichs Bemühung verlief im Sande. Der König erklärte sich zwar grundsätzlich bereit und willigte sogar in den gewünschten Verzicht auf finanzielle Gegenleistungen ein; er schob die Aufstellung der Urkunden jedoch hin33 34

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1495: Württemberg wird Herzogtum (wie Anm. 16), S.82, S. 86. Vgl. Fritz Ernst, Eberhard im Bart. Stuttgart 1933, S. 229 ff. und demnächst die Tübinger Dissertation von Thomas Fritz über Ulrich V., den Vielgeliebten. Vgl. Karl-Friedrich Krieger, Fürstliche Standesvorrechte im Spätmittelalter. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 122 (1986), S. 91-116, bes. S. 97 f.; Ficker - Puntschart (wie Anm. 6), 1, §§ 78, 161,162.

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aus, bis Eberhard sich geäußert habe. Literarisch hatte Hermann von Sachsenheim schon 1453 in der Mörin die Württemberger als Fürstengenossen bezeichnet und dabei die Verbesserung ihres Adels {stamm) durch die fürstlichen Heiraten, besonders die Graf Ludwigs mit Mechthild, welcher die Mörin gewidmet ist. Auffällig bleibt immerhin, daß seit den 1470er Jahren Eberhard im Bart vom Kaiser als fürstenmäßig behandelt wurde und auch selber auf der Anerkennung und Bezeichnung als Fürstengenoß bestand. 1475 nahm ihn Kaiser Friedrich ΙΠ. als einzigen Nichtfürsten, d.h. als Fürstengenossen, in das Gericht über einen Herzog auf; und 1486 reihte ihn die Sitzordnung des Hofes nach den gefürsteten Grafen ein. Sehr weit in die Vergangenheit reicht die Anerkennung von Württembergs fürstenmäßigem Rang nicht zurück. Unter veränderter Perspektive würden das 13. und 14. Jahrhundert noch einmal zu beleuchten sein. Doch so viel kann aus der Perspektive der Herzogerhebung festgehalten werden: Es war ganz offenbar die Ansicht aller, daß das Haus Württemberg ursprünglich nicht fürstlichen Ranges gewesen ist und am Ende des 15. Jahrhunderts in einen neuen Rang erhoben wurde, aus dem nichtfürstlichen Stand der Grafen und Herren über die Zwischenstufe des Fürstengenossen in den Reichsfürstenstand erhoben wurde.

V. Bereits im Umkreis des ersten Herzogs von Württemberg sind die dem Kloster Hirsau entstammenden Nachrichten des 12. Jahrhunderts über den frühesten nach Württemberg benannten Herrn bekannt gewesen. Naucler, Trithemius, Küng und der Zimmerischen Chronik waren sie bekannt. In dem Hirsauer Schenkungsbuch ist von einem Conradus de Wirtenberg die Rede, der überhaupt keinen Titel trägt.37 Naucler las aus den frühen Nachrichten gräfliche Beim Eintritt in den Schwäbischen Bund, um gleichen Rang wie sein Habsburgischer Konkurrent Erzherzog Sigismund von Tirol (und Herr Vorderösterreichs) einzunehmen. Ernst, Eberhard im Bart (wie Anm. 34), S. 202. Statt einer gebührend ausführlichen Erörterung und der erforderlichen Einzelnachweisen seien die Arbeiten des Verfassers genannt, in denen die hier zugrundegelegte Sichtweise entwickelt und begründet wurde: Beutelsbach und Wirtemberg im Codex Hirsaugiensis und in verwandten Quellen. In: Person und Gemeinschaft im Mittelalter. Karl Schmid zum 65. Geburtstag. Herausgegeben von Gerd Althoff u.a. Sigmaringen 1988, S. 455-475; Vom Rhein zur Rems. Aspekte salisch-schwäbischer Geschichte. In: Die Salier und das Reich, Bd. 1: Salier, Adel und Reichsverfassung. Hg. von Stefan Wein furter unter Mitarbeit von Helmuth Kluger. Sigmaringen 1991, S. 221-252; Zur frühen Geschichte der Herren von Württemberg Traditionsbildung - Forschungsgeschichte - neue Ansätze.

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Anfänge des Geschlechts, Küng gar nur freiherrliche Anfänge heraus. Die Auffassungen über die „Anfänge des Hauses Württemberg" haben sich sehr lange in solchen Bahnen bewegt; sie haben feststrukturierte Adelshäuser, wie wir sie etwa seit dem 12. Jahrhundert kennen, in die Zeit vor 1100 zurückprojiziert, als sich diese Strukturen aber erst entwickelten und etablierten.38 Daß der in den Hirsauer Quellen genannte Konrad von Württemberg eine Zubenennung trägt, die offenbar auf eine Burg verweist, und daß er sie als erster trägt, verweist schon auf diesen Strukturierungsvorgang. Daß er keinen Titel trägt, bedeutet, in den Zeithorizont gerückt, nicht von vornherein eine Aussage über seinen Stand, sondern schließt nur aus, daß er zum Zeitpunkt dieser titellosen Nennungen ein Grafen- oder Herzogsamt ausübte. Denn anders als im Spätmittelalter waren die Grafen- und Herzogsämter im 12. Jahrhundert noch nicht durchweg erblich und machten noch nicht ihre Inhaber samt deren Nachfahren gräflich oder herzoglich. Auch der Begriff des Fürsten - genauer gesagt: der lateinische Terminus princeps, der seit dem 13. Jahrhundert in der Sprache der deutschen Rechtsbücher und Urkunden als Fürst wiedergegeben wird - war im 10., 11. und auch noch weithin im 12. Jahrhundert alles andere als ein feststehender Titel, der ein bestimmtes Amt oder eine bestimmte Würdestellung bezeichnet hätte und darum einem feststehenden Personenkreis beigelegt worden wäre. Einen Fürstenstand gab es in diesen Jahrhunderten noch nicht. Die etymologische Bedeutung des Wortes princeps liegt noch viel näher als in der stärker fixierten Terminologie des Spätmittelalters. Die lateinische Bibel - die im späten 4. und frühen 5. Jahrhundert erarbeitete und seit dem 9. Jahrhundert allgemein verbreitete Vulgata-Version, die man als den Basistext schlechthin des Mittelalters bezeichnen darf -, enthält eine Fülle politischer Begriffe und Vorstellungen politischer Ordnung.39 Das Wort princeps kommt dort rund lOOOmal vor, und zwar in den verschiedensten weltlichen und geistlichen Zusammenhängen und ebenso oft in der Einzahl wie in der Mehrzahl. Zahlreiche Wendungen und Zusammensetzungen hatten spätantik-römische, viele auch mittelalterliche politische Obertöne: reges et principes, nobilissimi principes, princeps et dux, consilium principum, principes et sacerdotes, principes Israel, Juda, Jacob und anderer tribus, principes terrae. Der biblische Sprachgebrauch stützte die breite Verwendung des Wortes princeps. Vor allem in der Pluralform ist dies der Fall. Da In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 49, 1990, S. 11-95. Das Haus Württemberg (wie Anm. 2), S. 1-12. Vgl. dazu insbesondere die Anm. 1 genannten Forschungen von Karl Schmid. Walter Ulimann, Medieval Political Thought, New York 1997, S. 21ff.

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sprechen die Könige von nostri imperii principes geistlichen und weltlichen Standes, von regni principes - seit dem späteren 11. Jahrhundert auch im Gegensatz zu den Bürgern - Geschichtsschreiber des späteren 11. Jahrhunderts wie Lampert von Hersfeld von principes Sueviae, Baiovariae, Saxoniae, Luthenngia und Franciae Teutonicae. Heinrich IV. beschwört 1077 in Canossa, daß er die gegen ihn aufbegehrenden Erzbischöfe und Bischöfe, Herzöge, Grafen und sonstige Fürsten des Reichs der Deutschen zur Eintracht führen werde - das Spektrum der Fürsten reicht im weltlichen Bereich über die Herzöge hinaus, umfaßt Grafen und eventuell auch weitere, die nicht näher spezifiziert werden, vielleicht, weil sie überhaupt keinen Titel tragen. Die Fürsten sind diejenigen auf deren Mitwirkung der König angewiesen ist, die er einbinden muß, wenn er als Herrscher wirksam werden und regieren will. Der Begriff des Fürsten verbindet sich im Singular und mehr noch im Plural darum mit Begriffen wie Hof und Hoftag {curia), Beratung (colloquium), Rat {consilium) und Hilfe {auxilium). Der pnnceps-Begnii ist in dieser auf Personen, nicht auf allgemeine Prinzipien bezogenen Bedeutung ersetzbar, durch die Begriffe optimates, primores, proceres.40 Im Vergleich zur ständisch geschlossenen Verwendung des Fürstentitels im späten Mittelalter erscheint die Umschreibung des Fürstenkreises in den früheren Jahrhunderten relativ offen. Deshalb ist durchaus möglich, den titellosen Konrad „fürstlichen" Vorfahren zuzuordnen. Seine Zubenennung weist auf die Burg Württemberg, deren Fertigstellung als Adelssitz inschriftlich datiert werden kann: 1083. Diese Nennung liegt zeitlich gleichauf mit den Burgen hochrangiger, gräflicher Adeliger in Schwaben (Zollern 1061, Calw 1075, Staufen 1079), so daß der Erbauer wohl derselben hochadeligen Schicht zuzurechnen ist. Auch die Hirsauer Mönche erkannten diesem Konrad einen hohen Rang zu: Er sei ein in Schwaben mächtiger Mann. Ihm trauten sie zu, ihr Kloster in den Auseinandersetzungen, die im Zusammenhang mit dem Investiturstreit Schwaben erschütterten, gegen seinen Vogt, den Grafen Gottfried von Calw, eine Stütze der Herrschaft König Heinrichs V., zu schützen. Die Mönche wählten Konrads Bruder Bruno zum Abt, um sich der Unterstützung Konrads zu versichern. Die Stellung, die Konrad damit zugewiesen wird, erscheint sehr bedeutend. Bruno, Konrad, ihrer beider Schwester Liutgard und deren Sohn Konrad sind ein in Vgl. die Artikel „Fürst" von G. Theuerkauf im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte und „Fürst, Fürstentum" u. a. von H.-W. Goetz im Lexikon des Mittelalters Bd. 4 (1988), Sp. 1029-1037. Heinrich Koller, Die Bedeutung des Titels 'princeps' in der Reichskanzlei unter den Saliern und Staufern, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 68 (1960) S. 63-80.

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den Hirsauer Quellen begegnender Verwandtenkreis, der an Hirsau auch Schenkungen vergibt und so einen aufgegebenen Teil seines Besitzes zu erkennen gibt. Zum Besitz Konrads gehörte auch Beutelsbach, das ursprünglich ein Teil des ausgedehnten Saliergutes im Remstal war und Konrad als Wohnsitz diente, nach dem er benannt wurde, bis die Burg Württemberg diese Funktion erhielt. Bruno war vor seinem Eintritt in das Kloster Hirsau um 1080 Speyerer Domkanoniker, d.h. er gehörte derjenigen Kommunität an, der die salischen Kaiser Konrad Π. und Heinrich ΙΠ. die Totensorge anvertraut hatten. Die Hinweise auf solche salischen Kontexte führen aber noch weiter und lassen sich verdichten. Mehrere Güter, die Konrad und Bruno um 1080 an Hirsau schenkten, weisen auf Orte, die Otto, der „Wormser Herzog" (tl004), dem Kloster Weißenburg geraubt hatte und die Ottos Sohn Konrad als Lehen belassen worden waren. Otto war der Großvater Kaiser Konrads Π. wie auch des bei Konrads Königswahl 1024 konkurrierenden Vetters des Gewählten, Konrads d. J. Otto war ebenfalls der Vater und Großvater zweier Geistlicher namens Bruno: der eine Bruno wurde von Kaiser Otto ΙΠ. zum Papst erhoben - Gregor V. -, der andere wurde Bischof von Würzburg. Die Hinweise, welche die Herkunft einiger der verschenkten Besitzungen des Konrad von Württemberg und seines geistlichen Bruders, des Abtes Bruno von Hirsau, geben, werden gestützt durch die Namen und deren geistlich-weltliche Zuordnung. Der Name der Schwester Liutgart bietet eine weitere Stütze. Auch er gehört zu diesem Vorfahrenkreis. Denn Otto „von Worms" war der Sohn Herzog Konrads des Roten, der 955 auf dem Lechfeld fiel, und der Liutgard, der Tochter Kaiser Ottos d. Gr. Eine andere der um 1080 an Hirsau getätigten Schenkungen läßt sich auf das Erbe der Mathilde, einer Tochter Herzog Hermanns Π. von Schwaben zurückführen, so daß neben der salisch-fränkischen auch die schwäbische Herkunft und Begüterung sichtbar wird. Zwischen der Generation der Enkel Ottos „von Worms", dem Würzburger Bischof Bruno (11045) und Konrad d.J. (tl039), und der Generation der Geschwister und Wohltäter Hirsaus, Abt Bruno (tll20), Konrad von Württemberg (fvor 1120) und Liutgard (fnach 1120), liegt eine Generation, der lediglich ein Konrad zuzuordnen ist, welcher sich im Besitz Bruchsals befindet, das er 1056 seinem Verwandten Kaiser Heinrich ΙΠ. abtritt. Bruchsal kommt aus dem Besitz Konrads d. J., so daß der Konrad von 1056 entweder ein Sohn Konrads d. J. sein muß, der beim Tod des Vaters noch unmündig war, oder ein erbender Neffe, der Sohn einer zu postulierenden Schwester und des Ezzonen Hezel sein kann. Die präzise Filiation ist

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nicht zu erweisen, doch die Zuordnung zu den Nachfahren Ottos „von Worms" ist von einem ziemlich dichten Netz von Hinweisen gestützt. Das heißt aber, daß Konrad von Württemberg und seine Geschwister von Generationen von Herzögen abstammen - sie waren seit Otto immer wieder in Kärnten als Herzöge eingesetzt - und Seitenverwandte der salischen Könige sind. Um den Rang dieser Adeligen einzuschätzen, ist es ratsam, auf Überlegungen Gerd Teilenbachs zurückzugreifen.41 Teilenbach hat 24 Geschlechter festgestellt, die vom 10. bis zum 12. Jahrhundert die Herzöge gestellt haben, sechs von ihnen haben mehrfach die Herzöge in fremden Stammesgebieten gestellt. „Wer sie nennt, spricht von den vornehmsten Geschlechtern des zehnten und elften Jahrhunderts." Otto „von Worms" und seine königlichen wie auch seine herzoglichen Nachfahren zählen zu diesen vornehmsten. Demnach muß auch Konrad von Württemberg von vornehmster Abkunft sein. Doch was bedeutet es vor diesem Hintergrund, daß in seiner oder vielleicht schon in der vorangehenden Generation kein Herzogsamt mehr erlangt wurde? Die Verdrängung aus Bruchsal 1056 scheint einen Abstieg zu markieren, die nicht zum Königtum gelangten Verwandten der Salier gerieten ganz in den Schatten Königslinie. Sich seit etwa 1080 an Hirsau anschließen, 1105 den Abt und den „ Gegenvogt" stellen, hieß nichts Geringeres, als den Kampf gegen den Abstieg und gegen die salischen Könige Heinrich IV. und Heinrich V. und gegen die staufischen Herzöge von Schwaben aufzunehmen. Konrad und Bruno haben diesen Kampf verloren. Denn Bruno mußte sich nach dem Tod seines Bruders mit dem Vogt Gottfried von Calw arrangieren. Die Namengebung drückte zwar hochrangige Herkunft aus und sollte die Identität der Familie über Generationen hin sichern helfen und zum Ausdruck bringen. Doch in der Enkelgeneration des Konrad von Württemberg taucht neues Namengut auf, Ludwig wird der (weltliche) Leitname anstelle von Konrad. Dies ist ein sicheres Anzeichen für eine Orientierung der Württemberger auf neue Verwandtschaftszusammenhänge. Die Erinnerung an die vornehme Herkunft mußte verblassen und verschwinden, je weiter die salischen Könige auch in die zeitliche Ferne rückten. Eine Bindung an Speyer hat es offensichtlich nicht mehr gegeben. Und die Pflege des Totengedächtnisses der Württemberger dürfte es erst im späteren 12. Jahrhunden gegeben haben. Unter den staufischen Herzögen und Königen gelangten die Württemberger zum Grafenamt. Die Ansätze zur eigenen Herrschaftsbildung im mittleren Neckarraum behinVom karolingischen Reichsadel zum deutschen Reichsfürstenstand. In: Adel und Bauern im deutschen Staat des Mittelalters, hg. von Theodor Mayer, Leipzig 1953 (Nachdruck Darmstadt 1976), S. 22-73, hier bes. S. 64 ff.

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derten die Staufer, so daß sich die Württemberger von der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bis zum Sturz der Staufer auf Ost- und Oberschwaben konzentrierten, sich auch mit dem dortigen Adel familiär verbanden und aus dessen Namengut Leitnamen wählten. Es war gräfliche Verwandtschaft und gräfliches Namengut, nicht fürstliches - die Ausgrenzung der Grafen aus dem Fürstenstand klärte die Grenzziehung. Die Zeit des Vergessens der vornehmen, herzoglich-fürstlichen Herkunft als Salierverwandte war die Stauferzeit. In dem Herrschaftgefüge der Staufer wurden die Württemberger gräflich. Ihre Anstrengungen, den Grafenstand zu übersteigen, setzten in der spätstaufischen Zeit ein, waren aber offenbar nicht durch die Erinnerung an frühere Vornehmheit motiviert. Der Bruch zwischen der Epoche des Herzogsrangs hochmittelalterlicher Prägung und der Epoche des Aufstiegs in den Herzogsrang der spätmittelalterlichen ständischen Verfestigung war deshalb so tief, weil der Abstieg in die Zeit der am tiefsten greifenden gesellschaftlichen und politischen Umgestaltung fiel.

WOLFGANG Ε. J. WEBER Dynastiesicherung und Staatsbildung Die Entfaltung des frühmodernen Fürstenstaats

Einleitung "Bis zum Ende des Ancien Regime, so kann man, etwas überspitzt, sagen, war Europa von einer einzigen Familie beherrscht, die aufgeteilt war in viele Linien, die große Familie der europäischen Dynastien". Nimmt man diese unzweifelhaft aus kompetenter Feder stammende Feststellung1 zum Ausgangspunkt fürsten- und dynastiegeschichtlicher Erörterung, so erheben sich vor allem zwei Fragen. Die erste betrifft die konkreten Formen dynastischer Kontinuität in Europa: Welche Dynastien beherrschten wann und in welcher Verflechtung untereinander welche Teile Europas bzw. aus welchen Gründen gestalteten sich diese Verhältnisse wie und wann um? Eine derartige, systematisch vergleichende und dadurch gegebenenfalls auch den Vergleich der europäischen mit außereuropäischen Befunden ermöglichende Studie fehlt bislang. Sie ist offenbar erst einmal, im Hinblick auf eine bestimmte europäische Entwicklungsphase, nämlich die Periode um 1400, in Angriff genommen worden.2 Dabei liegt das benötigte Rohmaterial in Form von Sukzessionstafeln der europäischen Monarchien 3 , von Genealogien der entsprechenden Herrscherhäuser4 und von Karten der wechselnden politischen Geographie des Halbkontinents 1

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Andreas Kraus: Das Haus Wittelsbach und Europa: Ergebnisse und Ausblick, in: Das Haus Wittelsbach und die europäischen Dynastien, München 1981 ( - Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 44/1), S. 425-452, hier (Zitat) S. 426. Armin Wolf: Prinzipien der Thronfolge in Europa um 1400. Vergleichende Beobachtungen zur Praxis des dynastischen Herrschaftssystems, in: Reinhard Schneider (Hg.): Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich, Sigmaringen 1987 ( - Vorträge und Forschungen Bd. 32), S. 233-278. Vgl. die Hinweise in der Einleitung zum vorliegenden Sammelband. Vgl. exemplarisch und mit Hinweisen auf die älteren Werke für Europa Brigitte Sokop: Stammtafeln europäischer Herrscherhäuser, 2 Tie., Wien et al. 21989, und für Deutschland Michel Huberty et al.: L'Allemagne dynastique, Tome I-V, Le Perreux 1976-1989, ferner zur frühneuzeitlichen Genealogie unten Abschnitt 2: Zur Reflexion der Dynastie- und Staatsbildung in der politischen Ideengeschichte.

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durchaus vor. Als relativ komplex müssen jedoch die Zusammenfügung, Berechnung und tabellarisch-graphische Darstellung der Ergebnisse eingeschätzt werden, welche Aufgaben wegen des Umfangs und der Streuung der Daten vermutlich nur computergestützt zu lösen sind.5 Noch interessanter erscheint indessen die zweite Frage, nämlich diejenige nach den Grundlagen der beeindruckenden Persistenz europäischer dynastischer Herrschaft. Wie gelang es der "europäischen Familie der Dynastien" ihre (im konkreten Charakter freilich jeweils noch genauer zu bestimmende) Herrschaft so lange aufrechtzuerhalten? Auch für diese historisch doch keineswegs unerhebliche Problematik hat die ältere und die jüngere geschichtswissenschaftliche Forschung bemerkenswerterweise keine systematische Antwort anzubieten. Im Gegenteil, noch der Urheber des eingangs aufgeführten Zitats ist geneigt, die Grundlagen der dynastischen Herrschaftskontinuität zu einem "Geheimnis", einem mit den Mitteln rationaler Analyse nicht lösbaren Rätsel, zu erklären6. Lediglich indirekt läßt sich eine kompetente Forschungsauffassung erschließen. Zu den wichtigsten Ergebnissen der in den letzten zwanzig Jahren entscheidend vorangekommenen Historiographie des europäischen Staates gehört die Theorie, daß die Protagonisten dieses Staates wesentlich die (fürstlichen) Dynastien gewesen seien. Diese Dynastien hätten zwischen Spätmittelalter und Französischer Revolution verschiedene Verfahren, darunter vor allem die verbindliche Regelung ungeteilter Erbfolge 7 , entwickelt und angewandt, um ihre Herrschaft gegen ihre Rivalen (Kirche, Adel, Stände) durchzusetzen und in inneren und äußeren Krisen zu stabilisieren, mit dem unerwarteten und unbeabsichtigten Effekt, daß aus der fortschreitenden Verfestigung des dynastischen Staates der (europäische, moderne) Staat schlechthin

Das fachhistorische Analyseprogramm KLEIO deckt die Bedürfnisse dieses Vorhabens soweit erkennbar derzeit noch nicht ab. Kraus, Haus Wittelsbach (wie F N 1): "Mir scheint, daß es keine Methode gibt, die in dieser Frage unmittelbare Ergebnisse verspricht, wir können uns dem Geheimnis der Dynastie bestenfalls auf indirektem Wege nähern"; ferner S. 425: "Mit einer rationalen Analyse, wie man natürliche Phänomene irgendwelcher Art zu begreifen pflegt, kommt man dieser Erscheinung allerdings nicht bei." Vgl. nach der knappen Pionierstudie von Eduard Meyer: Ursprung und Entwicklung des dynastischen Erbrechts auf den Staat und seine geschichtliche Wirkung, vor allem auf die politische Gestaltung Deutschlands, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse (1928) 144-159, jetzt zentral Johannes Kunisch (Hg.): Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates, Berlin 1982, besonders die Einleitung des Hg. S. IX-XV.

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erwachsen sei.8 Aus der vorliegenden Perspektive sozusagen vom Kopf auf die Füße gestellt besagt diese These nichts anderes, als daß die Dauer der Beherrschung Europas durch eine begrenzte Zahl untereinander verflochtener und gleichzeitig miteinander rivalisierender Dynastien auf deren Fähigkeit zurückzuführen ist, dynastische Herrschaft zu staatlicher Herrschaft zu transformieren, also - im Hinblick auf die im allgemeinen für am wichtigsten erachteten Merkmale dieses Staates9 - Herrschaft zu territorialisieren, zu institutionalisieren, zu verrechtlichen und auf eine feste finanzielle Grundlage zu stellen. Es gibt keinen Anlaß, diese Deutung grundsätzlich zu bezweifeln. Notwendig und wünschbar erscheint jedoch, sie schärfer zu fassen und damit verstärkt künftiger empirischer Prüfung zugänglich zu machen. Dieser noch wenig erprobten Erkenntnisperspektive 1 möchte sich der vorliegende Beitrag zuordnen. Dabei wird in der folgenden Weise verfahren. In einem ersten Schritt versuche ich den Zusammenhang von Dynastiesicherung und Staatsbildung historisch-idealtypisch zu umreißen. Dann wechsle ich zur politischideengeschichtlichen Ebene mit dem Ziel, die Thematisierung und Verarbeitung dieser Problematik in diesem in Deutschland zumindest während des hier beobachteten 17. Jahrhunderts sehr praxis- und empirienah gelagerten kulturhistorischen Segment wenigstens explorativ in den Griff zu bekommen. Die8

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Vgl. zusammenfassend Wolfgang Reinhard: Das Wachstum der Staatsgewalt. Historische Reflexionen, in: Der Staat 31 (1992) 59-75, hier S. 65-66 (mit Hinweis auf die Überlagerung oder Zuriickdrängung des alternativen Staatsbildungsprozesses bei und durch republikanisch-oligarchische(n) Systeme(n)). - Die wichtigste konkurrierende Deutung möchte die Begründung des modernen europäischen Staates bekanntermaßen dem 'Bürgertum' zuschreiben, aus welcher Vorstellung sich einerseits eine Verschiebung der Gründungsperiode von der frühen Neuzeit ins ausgehende 18. und das 19. Jahrhundert, andererseits eine Anonymisierung der staatsentwickelnden bzw. -betreibenden Gruppen und Individuen (Eliten) ergibt, vgl. für eine jüngere sozialwissenschaftlich-historische Diskussion dieser Probleme Heide Gerstenberger: Die subjektlose Gewalt. Theorie der Entstehung bürgerlicher Staatsgewalt, Münster 1990. Vgl. die kritische Fortentwicklung der klassischen Definition Max Webers vor allem bei Charles Tilly: Coercion, Capital, and European States, AD 990-1990, Oxford 1990, und ders. (Hg.): The Formation of National States in Western Europe, Princeton 1975, sowie Michael Mann: States, War, and Capitalism. Studies in Political Sociology, Oxford-New York 1988. Als bahnbrechend weit über die Mediävistik hinaus muß die Untersuchimg von HeinzDieter Heimann: Hausordnung und Staatsbildung: Innerdynastische Konflikte als Wirkungsfaktoren der Herrschaftsverfestigung bei den wittelsbachischen Rheinpfalzgrafen und den Herzögen von Bayern, Paderborn 1993, eingeschätzt werden; ihr voraus ging, allerdings nicht in der hier erörterten thematischen Zuspitzung, Benjamin Arnold: Princes and Territories in Medieval Germany, Cambridge/MA et al. 1991. Vergleichbare Arbeiten zur Friihneuzeit fehlen.

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sem Teil wird ein knappes Resümee folgen, welches nicht nur der Zusammenfassung der wichtigsten Befunde auf höherer Ebene, sondern auch der Formulierung neuer Untersuchungsperspektiven dienen soll.

Von der Dynastie zum Staat - eine historische Typologie Sozialwissenschaftliche Konzeptionalisierungen sowohl des Phänomens der Dynastie11 als auch des Zusammenhangs von Dynastie und Staat12 fehlen bisher. Der systematisch interessierte Historiker wird bei seinem Versuch, diesen Problemkreis theoretisch in den Griff zu bekommen, von dieser Seite her also ziemlich allein gelassen. Die folgenden, auf einer typisierenden Abstraktion vorliegender historischer Einzelbefunde basierenden Überlegungen13 können dementsprechend kaum mehr als eine Einführung in die Problematik sein. In den allgemeinen sozialwissenschaftlichen Fachlexika, Handbüchern und Einführungen kommen Begriff und Phänomen der Dynastie entweder überhaupt nicht oder nur sehr beiläufig, d.h. ohne systematische Definition, vor. Dies, obwohl Dynastiebildung bekanntermaßen auch bei gegenwärtigen politischen und industriellen Eliten auftritt und sie in dieser Variante jüngst mehrfach in TV-Serien popularisiert worden ist. Ahnlich ist die Lage in der einschlägigen speziellen Soziologie der Familie, wobei die historisch orientierte französische Familienforschung eine gewisse Ausnahme darstellt, vgl. exemplarisch Jean-Louis Flandrin: Familien. Soziologie - Ökonomie - Sexualität, Frankfurt a. M. 1978 (zuerst französ. 1976), S. 25-30. Als eine Vorstufe allerdings zu hohen Abstraktheitsgrades, um ohne weiteres historisch umgesetzt werden zu können, darf immerhin die sozialanthropologische Studie von Jack Goody (Hg.): Succession to High Office, Cambridge 1966, gelten. Die knappen einschlägigen Überlegungen bei Reinhard, Wachstum (FN 8) setzen die Existenz der Dynastie bereits voraus bzw. verknüpfen die letztlich zum Staat führenden Herrschaftsund Stabilisierungsbedürfnisse der Dynastie nicht immittelbar mit dem Kern der Existenz dieser Dynastie selbst, beziehen sich also lediglich auf die zweite hier zu beachtende Problemebene. Vgl. neben den oben und in der Einleitung zu diesem Band genannten Titeln Heinz Reif: Westfälischer Adel 1770-1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite, Göttingen 1979; Roger Sablonier: Die aragonesische Königsfamilie um 1300, in: Emotionen und soziale Interessen. Sozialanthropologische und historische Beiträge zur Familienforschung, hg. von Hans Medick und David Sabean, Göttingen 1984, S. 282-317; Gert Melville: Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft, in: Peter-Johannes Schuler (Hg.): Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur Frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, S. 203-309 (mit weiteren Verweisen), und spezifischer Hans-Martin Schwarzmaier: "Von der fürsten teilung". Die Entstehung der Unteilbarkeit der fürstlichen Territorien und die badischen Teilungen des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 126 (1990) 161-183.

Dynastiesicherung Grundlage und Ausgangspunkt dynastischer Herrschaftssicherung

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und

Staatsbildung ist naturgemäß die Dynastie selbst. Was ist (zumindest im vorliegenden Zusammenhang) unter diesem Phänomen zu verstehen, und wie hat man sich sein Zustandekommen vorzustellen? Typologisch-theoretisch betrachtet handelt es sich bei 'Dynastie' um eine optimierte Erscheinungsform der Familie, die sich durch erhöhte Identität (und damit verstärkte Abgrenzung nach außen), ausdrücklich gemeinsam genutzten (individueller Verfügung durch Familienmitglieder entzogenen) Besitz (Güter, Ränge, Rechte, Ämter), im Interesse ungeschmälerter Besitzweitergabe bzw. maximaler Besitzerweiterung bewußt gesteuerte Heirat und Vererbung sowie daher in der Regel gesteigerte historische Kontinuität auszeichnet.14 Sowohl die Entstehung einer Dynastie als auch deren Verfestigung sind deshalb wesentlich als Ergebnis bewußten Handelns aufzufassen, welchem entsprechend typische Elemente und Muster zugeschrieben werden können. Ursache bzw. Anlaß einer Dynastiebildung scheint in der Regel das Interesse daran zu geben, seinen für besonders hochwertig erachteten (und daher von anderen Individuen und Gruppen begehrten) Besitz den eigenen Nachkommen zu reservieren. Wer dieses Interesse und die Initiative zu seiner Umsetzung entwickelt, ist im allgemeinen ein Familienoberhaupt (der Familienvater), und zwar zumal in einer Situation möglichen Verlusts vielleicht gar erst unlängst erworbenen Besitzes. Als ausgesprochen dynastieträchtig muß dabei die Verfügung über ein nicht beliebig reproduzierfähiges, sondern jeweils nur mit einer Person besetzbares, mit hohem materiellen und immateriellen Profit verbundenes öffentliches Amt, vor allem ein Königsthron oder eine sonstige herausragende Herrscherposition, eingeschätzt werden.15 Übrige Initiatoren oder Ak14

Systematische geschichtswissenschaftliche Erläuterungen des Dynastiebegriffs fehlen fast völlig oder sind noch unzureichend, vgl. exemplarisch Dieter Schwab: Familie, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hg. Otto Brunner et al., Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 253-301, hier S. 265, und Werner Conze: Adel, Aristokratie, in: ebd., Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 148; dagegen hat die hier nicht zu diskutierende Bedeutungsvariante 'Haushalt' des Familienbegriffs historisch-demographisch und sozialgeschichtlich bekanntermaßen große Aufmerksamkeit gefunden. Die einzige Diskussion, die Familie und Staat bisher in einen systematischen Zusammenhang zueinander bringt, konzentriert sich auf eine speziellere Problematik, nämlich diejenige der Strategien der um Staatskarrieren bemühten adeligen und nichtadeligen Aufsteigerfamilien, vgl. (mit reichen Literaturhinweisen) zuletzt Giovanni Benadusi: Rethinking the State: Family strategies in Early Modern Tuscany, in: Social History 20 (1995) 157-178, sowie Sarah Hanley: Engendering the state. Family formation and state building in Early Modern France, in: French Historical Studies 1 (1989) 4-27.

15

Vgl. dazu theoretisch-systematisch Goody (Hg.), Succession (FN 12) und historisch zu den mittelalterlichen Anfängen die klassischen Darlegungen von Karl Schmid: Geblüt.

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teure einer Dynastiebildung können gerade in diesen Fällen Individuen und Gruppen sein, die sich ihrerseits direkten oder indirekten Gewinn aus dieser Lösung versprechen: andere Mitglieder der Familie des Dynastiegründers; weitere Verwandte, Freunde und Abhängige (Klienten); nicht mit der Familie verbundene, aber einer (wahrscheinlichen oder zumindest möglichen) Besitzbzw. Amtsübertragungsalternative abgeneigte Personen; schließlich, aber keineswegs zuletzt allgemein an friedlichem Wandel und möglichster politischsozialer Stabilität interessierte Kräfte. Wiewohl das Interesse an der Übertragung des eigenen Besitzes an die eigenen Kinder als anthropologische Konstante angesehen werden kann 16 , müssen für den weit über die unmittelbare Familienreproduktion hinausreichenden Prozeß der Dynastieformierung spezifische kulturelle Voraussetzungen angenommen werden. Zu diesen Voraussetzungen gehört zunächst die Historisierung der Familien- und Verwandtschafts-I&eziehungen, das heißt die Uberwindung der ursprünglichen, mehr oder weniger diffusen, lediglich eine oder zwei Generationen umfassenden Kollateralität durch Entdeckung und Verfestigung der Perspektiven langfristiger Aszendenz und Deszendenz. Erst diese wesentlich christlich vermittelte identitäts-, interessen- und verhaltensleitende Orientierung dürfte die jeweiligen Dynastiegründer und -betreiber mit demjenigen Loyalitäts- und Verantwortungsgefühl ausgestattet haben, welches sie dazu instandsetzte, unmittelbare persönliche bzw. auf die je eigene, gerade lebende Familie bezogene Bedürfnisse und Erwartungen entsprechend einzuordnen und damit einzuschränken. Dies gilt auch, wenn man die Erarbeitung dieser Perspektiven weniger als Voraussetzung, vielmehr als Folge von Dynastiebildung, als Mittel der Dynastiesicherung (s. u.), betrachtet.17 Herrschaft, Geschlechterbewußtsein. Grundfragen zum Verständnis des Adels im Mittelalter, MS Freiburg i.B. 1961, und ders., Zur Problematik von Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Dynastie beim mittelalterlichen Adel, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 105 (1977) 1-62. Vgl. hierzu und zu den grundlegenden Prinzipien und Erscheinungsformen von Verwandtschaft einschließlich des einschlägigen Fachvokabulars neben Flandrin, Familien (FN 11) Martine Segalen: Die Familie. Geschichte, Soziologie, Anthropologie, Frankfurt a.M.-New York 1990 (zuerst französ. 1981), besonders S. 64-135. Vgl. zu diesem Komplex für die wichtigste Epoche europäischer Dynastieformierung, das Spätmittelalter, Melville, Vorfahren (FN 13), mit weiteren, umfangreichen Verweisen. Elemente des christlichen Beitrags zur Historisierung der Verwandtschaftsvorstellungen sind hiernach entsprechende biblische Exempla (vgl. Buch Genesis), mit dem Dogma der Erbsünde verbundene einschlägige Ideen sowie aus diesen Ansätzen resultierende Bestandteile des christlichen Kultus (Gebetsgedenken, Reliquientranslation, Familienheilige, Eigenkirchen etc.).

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Eng verknüpft mit dieser Voraussetzung ist als weitere Bedingung das Vorhandensein der gesamtgesellschaftlich akzeptierten und sanktionierten Vorstellung, daß genealogisch nicht nur körperliche und charakterliche Eigenschaften, sondern auch soziale und rechtliche Ansprüche übertragen werden könnten. Darüberhinaus müssen für Dynastiebildung geeignete, das heißt einerseits hinreichend feste, andererseits je nach den wechselnden historischen Umständen flexibel interpretierfähige und anwendbare konkrete Normen der Verwandtschaftszuschreibung und Besitzübertragung vorliegen. Das europäische Spätmittelalter stellte diese Standards offenbar in optimaler Weise bereit. Das Prinzip der bilinealen Verwandtschaftszuschreibung (jedes Individuum gehört sowohl in die mütterliche als auch die väterliche Verwandtschaftslinie) verschränkte sich mit der Bevorzugung der patrilineal-agnatischen Filiation. Das Dogma der Unauflöslichkeit der Ehe war durch die Möglichkeit der Ungültigkeitserklärung (später im protestantischen Bereich: der Scheidung) relativiert. Das Prinzip der möglichst nahen (legitimen) Blutsverwandtschaft erfuhr Ergänzung durch das Recht der Adoption und Legitimierung. Sowohl egalitäre Vererbung (Übertragung auf alle Kinder) als auch nichtegalitäre (Übertragung auf bestimmte Kinder bzw. (Primogenitur) ein bestimmtes Kind) bei Abfindung der übrigen waren möglich.18 Schließlich dürfte zu den Voraussetzungen erfolgreicher Dynastiebildung auch die traditionelle patriarchalische Form der Familie gezählt haben; dieses Modell versetzte den Familienvater in die Lage, die im Hinblick auf die Dynastiebildung nowendigen Maßnahmen vor allem im Anfangsstadium tatsächlich durchzusetzen.19 Worin diese Maßnahmen bestehen, liegt nach dem Dargelegten auf der Hand. Sind noch keine legitimen Kinder existent, muß eine rangmäßig, gesundheitlich und nach ihrer familiären Ausstattung mit Besitz und Chancen geeignete Ehepartnerin gefunden werden, mit welcher die entsprechenden Kinder gezeugt werden können. Geht aus dieser Ehe kein erbfähiges Kind hervor, kann sie u. U. für ungültig erklärt oder geschieden und anschließend neu geheiratet werden. Kommt dennoch kein entsprechender Erbe zustande, bietet sich die Wahl eines Erben aus der nächsten Verwandtschaft an bzw. besteht Vgl. zu dieser europäischen Spezifik knapp Segalen, Familie (wie F N 16), ferner Jack Goody et al. (Hg.): Family and Inheritance. Rural Society in Western Europe 1200-1800, Cambridge 1976, passim. Richard Thurnwalds Diktum: "Der Staat geht nicht aus der Familie hervor, sondern aus der Männergesellschaft" (W.E. Mühlmann: Einleitung, in: Georg Schwägler: Soziologie der Familie. Voraussetzungen und Entwicklung, Tübingen 1970, S. IX-XIX, hier S. XVIii) trifft also insofern zu. Prinzipiell erscheint jedoch Dynastiebildung auch auf der Basis einer matriarchalen Familienorganisation möglich.

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gegebenenfalls die Möglichkeit, ein vorhandenes illegitimes Kind zu legitimieren. Letzter Ausweg wäre der Import eines fremden Kindes, also die (allerdings mit den gängigen Vorstellungen über die Bedeutung von Blutsverwandtschaft unvereinbare) Adoption. Mit der Herstellung der biologischen Voraussetzung von Vererbung ist jedoch noch keineswegs alles gewonnen. Denn worum es bei der Dynastiebildung geht, ist ja nicht die Sicherstellung unmittelbarer Besitzübertragung von einem Vater an die Kinder (Söhne) allein. Vielmehr soll mit dieser Übertragung die Verpflichtung verknüpft werden, den Familienbesitz nicht nur nicht zu verschleudern oder verkommen zu lassen, sondern zu bewahren, zu vermehren und ebenfalls ungeschmälert bzw. vergrößert und mit entsprechender Verpflichtung versehen an den bzw. die nächsten Erben weiterzugeben. Dieser Auftrag betrifft die unsichere Zukunft nach dem Tode des Erblassers. Er konkretisiert den im Prinzip der Dynastie angelegten Verzicht auf freies Handeln nach je eigenem, individuellem Interesse und Gutdünken. Der jeweils lebende Dynastieangehörige soll in die Rolle eines Verwalters oder eines Funktionärs eines höheren Interesses, eben desjenigen der Dynastie, versetzt werden. Zwar ist davon auszugehen, daß diese Roilenzuschreibung in ohnehin familiärverwandtschaftlich geprägten Gesellschaften eher durchsetzungsfähig ist als in individualisierten, wie sie sich in der späten Neuzeit in den fortgeschrittenen Regionen Europas und Nordamerikas herausbildeten. Dennoch muß die Durchsetzung und Stabilisierung dieses Rollenverständnisses und des entsprechenden Rollenverhaltens zu den entscheidenden Problemen der Dynastiebildung und Dynastiesicherung gezählt werden. Die Relevanz des Erbfolgeverfahrens tritt demgegenüber zurück bzw. muß in diesem Kontext neu bestimmt werden: Worauf es wesentlich ankommt, ist nicht so sehr das Verfahren selbst als dessen Vermittelbarkeit und tatsächliche Annahme als Instrument und Garant gerechter Chancen- und Pflichtenverteilung.20 Eine unmittelbare Möglichkeit der Verpflichtung eines Erben auf die Erwartungen und Forderungen eines Erblassers ist die Erzwingung einer entsprechenden Zusage. Derartige persönliche Zusicherungen können zwar mittels Formalisierung (unter Einschluß des Ubergangs von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit) und Ritualisierung in ihrer Bindungsfähigkeit gesteigert werden; die zur Verfügung stehende Skala reicht bekanntlich v o m einfachen Versprechen über das Ehrenwort und Gelübde bis zum feierlichen Eid. Dennoch bleibt ihre Wirksamkeit fragwürdig, wenn das Ereignis dieses Votums nicht fest in der Lebensorientierung bzw. im Lebensvollzug des Votierenden verankert ist. Erfolgreiche Dynastiegründung und -Sicherung beruhen demzu20

Vgl. die entsprechenden Ausführungen bei Schmid, Geblüt (FN 15), S. 91-93 u.ö.

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folge wie bereits angedeutet maßgeblich auf erfolgreicher Sozialisation der jeweiligen Nachkommenschaft im Geiste der Dynastie. Daß der Aufstieg der Dynastien in Spätmittelalter und früher Neuzeit mit einer Intensivierung fürstlicher Bildung einherging, ist demnach kein Zufall, sondern das über Bildung intensivierte dynastische Selbstverständnis der Fürsten war eine Bedingung dynastischen Erfolgs. Es ist bemerkenswert, daß dieser zentralen Funktion fürstlicher Bildung - eine weitere ist naturgemäß die Vermittlung spezieller Kenntnisse und Fertigkeiten zur praktischen Bewältigung fürstlicher Aufgaben - in der geschichtswissenschaftlichen und historischpädagogischen Literatur nur recht wenig Beachtung geschenkt worden ist.21 Zumal in Epochen beschleunigten historischen Wandels müssen aber auch strukturelle Loyalitätsprägung und akzidentelle Selbstverpflichtung zusammengenommen noch immer unsicher erscheinen. Aus diesem Grunde erstaunt nicht, daß schon früh weitere, vor allem externe Verfahren der Geltungssicherung für dynastische Obliegenheiten entwickelt und eingesetzt wurden. Sieben derartige Verfahren müssen aus der vorliegenden Perspektive als besonders relevant betrachtet werden: (1.) der Einbezug von (den Tod des Erblassers aller Wahrscheinlichkeit nach überlebenden) Verwandten mit dem Recht und dem Auftrag, sich über das Verhalten des Erben zu informieren, es zu kontrollieren, bei Abweichungen oder Obliegenheitsverletzungen zu mahnen oder letztlich sogar Sanktionen zu verhängen; (2.) die Heranziehung dynastiefremder Individuen und Gruppen als Zeugen bzw. Protokollanten, Interpretatoren, Mahner und Berater (Juristen, Räte, Beamte) bzw. Garanten (Standesgenossen, Stände, der Papst) und/oder sogar Exekutanten (im Reich: der Kaiser) entsprechender Verpflichtungen; (3.) die (indirekte) Einbindung der Untertanen mittels deren Verpflichtung nicht so sehr oder ausschließlich auf den jeweiligen individuellen Fürsten, sondern auf die Dynastie sowohl bei Gelegenheit der Huldigung als auch in der herrschaftlichen Repräsentation und im Zeremoniell insgesamt; (4.) die Verknüpfung der Interessen dieser Individuen und Gruppen mit dem Interesse der Dynastie; (5.) die möglichste Einbettung der dynastischen Normen und Faktensetzungen in die Rechts-, Billigkeits- und Wertvorstellungen der Gesamtgesellschaft; (6.) die möglichste Immunisierung des dynastischen Besitzes gegen Schädigung durch individualherrscherliche Vgl. für die ideengeschichtliche Ebene zuletzt Bruno Singer: Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation, München 1981; Peter Többicke: Höfische Erziehung. Grundsätze und Struktur einer pädagogischen Doktrin des Umgangsverhaltens, nach den fürstlichen Erziehungsinstruktionen des 16. und 17. Jahrhunderts, Darmstadt 1983; Rainer A. Müller: Die deutschen Fürstenspiegel des 17. Jahrhunderts. Regierungslehren und politische Pädagogik, in: Historische Zeitschrift 240 (1985) 571-597 (vgl. hier den einschlägigen Hinweis auf die "Fundierung des dynastischen Prinzips" S. 577), und Heinz Duchhardt: Einleitung, in: ders. (Hg.): Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der frühen Neuzeit, Darmstadt 1987, S. 1-16, sowie zur Realgeschichte der Fürstenerziehung die einschlägigen Beiträge von Notker Hammerstein: "Großer fürtrefflicher Leute Kinder". Fürstenerziehung zwischen Humanismus und Reformation, in: Renaissance - Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten, Wiesbaden 1984, S. 265-285, und Laetitia Boehm: Konservatismus und Modernität in der Regentenerziehung an deutschen Höfen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Wolfgang Reinhard (Hg.): Humanismus im Bildungswesen des 15. und 16. Jahrhundert, Weinheim 1986, S. 61-94.

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Willkür mittels institutioneller Verfestigung, vor allem a) streubesitzvermeidende (und damit die Gefahr von Entfremdung, Teilung und Verlust senkende) Arrondierung, einheitsfördernde Zentralisierung und formalisierte, herrscherwechsel- (und daher tendenziell völlig herrscher-) unabhängige Verwaltung des Territoriums, und b) Formalisierung, Institutionalisierung und systematische hierarchische Verknüpfung aller Amter und Rollen; schließlich (7.) die Erhöhung der Prämie für dynastische Loyalität, also des Gewinns aus dem dynastischen Unternehmen, per fortschreitender Intensivierung der Ressourcenabschöpfung, Förderung dieser Ressourcen durch gezielte Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie Ermöglichung der Erschließung neuer Ressourcen. Ein erheblicher Teil der Komplexität dieser Maßnahmen und Zielsetzungen entfällt, wenn ohnehin nur ein entsprechender Erbe vorhanden und zu verpflichten ist. Umgekehrt nimmt der Grad der Schwierigkeiten mit der Zahl der zu versorgenden und in das Interesse der Dynastie einzubindenen Kinder zu. Im Funktionsmechanismus der Dynastie ist deshalb eine Tendenz zur Privilegierung eines einzigen, das heißt in der Logik der dynastischen Räson: des nach Loyalität, Eifer und Geschick am besten geeigneten Erben angelegt. Diese Privilegierung kann zwar im christlichen Europa nicht in die fundamentalste Bevorzugungsart, nämlich das biologische Privileg, das heißt gegebenenfalls die Tötung anderer Prätendenten, umschlagen. Seit dem Ausgang des Mittelalters wird auch die Realisierung der nächstweiteren Möglichkeit, die Verbannung von Mitbewerbern in das Kloster, zunehmend schwierig. Sie spielt aber zweifellos beim ins Spätmittelalter und die frühe Neuzeit fallenden Ubergang von der egalitären Besitzübertragung zur nichtegalitären, also derjenigen von der Besitzteilung zur Primogenitur, eine entscheidende Rolle. Dieser Ubergang hat in der historischen Forschung seit jeher große Beachtung gefunden. 22 Der Primogenitur wird die Leistung zugeschrieben, innerdynastische Auseinandersetzungen reduziert, dadurch dynastische Herrschaft stabilisiert und die Transformation dynastischer Erbfolgeregelungen zu bzw. die Funktionalisierung dieser Regelungen als öffentlich-staatliche(n) leges fundamentales ermöglicht, vorbereitet und/oder beschleunigt zu haben. Nach der vorstehend skizzierten Logik der Dynastiebildung ist diese Bedeutung des Erstgeburtsrechts kritischer zu sehen. Tatsächlich stellt die Primogenitur aus der Perspektive dynastischer Räson nur eine zweitbeste Lösung dar. Sie markiert den unüberwundenen Widerspruch zwischen der im Interesse der Dynastie eigentlich erforderlichen uneingeschränkten Leistungsrekrutierung und der Geltungssicherung für jegliche Nachfolgeregelung. Als starre Regel, welche die Entscheidung einer höheren Instanz, nämlich Gott, überläßt, kann sie zwar weitgehende Akzeptanz bzw. Legitimität für den so Auserwählten, also Geltungssicherung, garantieren. Was sie unberücksichtigt läßt, ist jedoch die Notwendigkeit, das Schicksal der Dynastie dem jeweils Tüchtigsten anzuvertrauen.

Vgl. die reichen Schrifttumsnachweise bei Kunisch, Dynastischer Fürstenstaat (FN 7).

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Allerdings handelt es sich bei jeglicher humaner Leistungsfähigkeit um eine biographisch schwankende Eigenschaft. Wer zu einem gegebenen Zeitpunkt als fähigster Kandidat zu überzeugen vermag, kann wenig später von einem anderen Kandidaten überflügelt werden. Was die innerdynastische Kommunikation, Beratung und Entscheidung - der mehr oder weniger formalisierte Familienrat, dessen Strukturen und Erscheinungsformen weitgehend unerforscht geblieben sind - nicht zu leisten vermochten, war mithin die Organisation fortlaufenden, ausschließlich leistungs- bzw. erfolgsorientierten Wechsels in der Ausübung des höchsten dynastischen Amtes. Voraussetzung derartigen Wechsels ist das Vorhandensein von Alternativen. Zum Abschluß dieses Teils unserer Skizze haben wir uns deshalb nochmals der Frage zuzwenden, welche Bedeutung dem Vorhandensein einer Vielzahl von Kindern für Dynastieformierung und -Sicherung zukommt. Grundsätzlich ist klar: je mehr Kinder, desto größer ist das biologische Potential der Dynastie. Sollte z.B. ein privilegierter Erbe durch Krankheit oder Tod ausfallen, kann ein nächstes Geschwister nachrücken - gegebenenfalls selbst unter Rückgängigmachung des Ubertritts zum Klerus und des Klostereintritts. Nachdem (offenbar infolge verbesserter dynastischer Sozialisation) in der frühen Neuzeit nicht mehr der Aspekt der Sicherheitsverwahrung, sondern derjenige des produktiven Einsatzes von ('überzähligen') Kindern für die Dynastie im Vordergrund steht, bedeutet eine hohe Geschwisterzahl eine Vervielfältigung der dynastischen Chancen, zu in dieser oder jener Hinsicht für die Dynastie nützlichen fremden Individuen oder Gruppen (Familien, Standes- und Funktionsgruppen) mehr (Heirat) oder weniger (Klientage bzw. Patronage, Freundschaft) enge Beziehungen aufzunehmen. Je nach gegebener historischer Situation bzw. der strategischen Einschätzung dieser Situation können durchaus auch egalitäre Vererbung bzw. unvollständige oder selbst vollständige (aber vorübergehend gedachte) Besitzteilungen dynastische Interessen bedienen. Indessen wächst mit der Kinderzahl und der Differenzierung des Einsatzes dieser Kinder bzw. Geschwister ebenso unverkennbar auch die Gefahr der Auflösung der ursprünglichen dynastischen Loyalität. Gegenmittel wie z.B. im Falle der egalitären Besitzübertragung die (vollständige oder teilweise) gemeinsame oder alternierende Verwaltung des dynastischen Territoriums scheinen zu konfliktträchtig zu sein. Darüberhinaus nimmt der Anteil der Kinder am dynastischen Profit ab bzw. wird gegebenenfalls die Aufgabe des privilegierten Erben viel schwieriger, akzeptablen Ausgleich herzustellen und den Ertrag des dynastischen Unternehmens diesem Zweck entsprechend zu steigern.

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Dieser Aspekt führt uns zu einer letzten Überlegung. Erfolgreiche Dynastieformierung und -konservierung müssen angesichts all dieser Faktoren und Wirkungszusammenhänge als höchst komplexe Herausforderung betrachtet werden. Vor allem wird vom jeweils höchsten Dynastierepräsentanten bzw. maßgeblichen Dynastiebetreiber eigentlich nicht weniger erwartet als der fortlaufende, unmißverständliche Nachweis, daß die Beibehaltung und Förderung der Dynastie für alle Dynastieangehörigen profitabler ist als die alternative Lösung, nämlich alle ihre je eigenen Wege gehen zu lassen. Auf diesen internen Erfolgszwang bereits ist mithin zum großen Teil die ungeheure Dynamik zurückzuführen, welche den Aufstieg und die Entfaltung der Dynastien im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa auszeichnet. Der zweite Faktor, welchem erhebliche Wirkung für die Mobilisierung dynastischer Energie zugesprochen werden muß, ist demgegenüber externer Natur. Er ist die Konkurrenz, welche gerade mit dem Erfolg der Dynastien im Prozeß der europäischen Verdichtung fortwährend zunimmt und diese Verdichtung beschleunigt. Dem bekannten historischen Vorgang, daß in der Neuzeit Europas die Zahl der kleineren und mittleren herrschaftlich-staatlichen Gebilde zugunsten einiger Großsysteme ständig abnimmt, liegen wesentlich entsprechende Deklassierungen, Zerreibungen und Umstrukturierungen in der dynastischen Landschaft zugrunde. Bei der Untersuchung des Niedergangs und Verschwindens von Dynastien, auf welches Thema hier nicht näher einzugehen ist, bietet sich deshalb eine Unterscheidung externer und interner Ursachen an, die sich einerseits an den eben dargelegten Mechanismen der Dynastiebildung und -Sicherung, andererseits an den Konsequenzen der dynastischen Konkurrenz orientiert. Nach

der

Skizzierung

des

engeren

dynastischen

Formierungs-

und

-sicherungszusammenhangs haben wir die Perspektive zu wechseln und uns unter Inkaufnahme unvermeidlicher Wiederholungen - spezieller mit dem Bedingungsverhältnis von Dynastie und Staatsbildung zu befassen. Hierzu müssen zunächst zwei Feststellungen getroffen werden. Erstens sind in die Argumentation diejenigen aus dem engeren dynastischen Kontext herausfallenden, ebenfalls staatsbildungsrelevanten, unmittelbaren Herrschaftsbedürfnisse der Dynastien einzubeziehen, die Wolfgang Reinhard unlängst systematisch resümiert hat. 2 3 Zweitens müssen die vor- und außerdynastischen Traditionen und Elemente öffentlich-herrschaftlicher Ordnung berücksichtigt werden, in deren Rahmen bzw. unter deren Ausnutzung sich der Aufstieg der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Dynastien vollzog, also vor allem das oben angeführte Königtum, die verschiedenen Traditionen herzoglicher und gräflicher Gewalt bzw., für den mitteleuropäischen Raum, die entsprechenden Institutionen des Reiches. Indem die hochadelig-fürstliche Dynastiebildung wesentlich an dieser Stelle, im U m k r e i s germanischer und antik-römischer Amtstraditionen, einsetzt, erReinhard, Wachstum (FN 8), S. 63-66.

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hält sie von vornherein einen nicht lediglich 'privaten', sondern zumindest halböffentlichen Charakter.24 Hieraus ergeben sich -wesentliche Folgen. Die Betreiber der Dynastien vermögen einen doppelten herrschaftlichen Anspruch zu erheben: erstens denjenigen allgemeinen, welcher von ihnen als Angehörigen des Adels reklamiert werden kann, zweitens die spezifischere Befugnis, welche sich aus der Ausübung des jeweils okkupierten öffentlichen Amtes ergibt. Uber diese Stärkung ihrer Legitimität hinaus wachsen sie in eine doppelte, nämlich sowohl dynastische als auch öffentliche Rolle hinein. Die Anforderungen, die sich aus der Erfüllung dieser Doppelrolle ergeben, lassen sich als unaufhörliche Anreize zur Schärfung des politischen Bewußtseins und Verhaltens deuten. Aus der Formierung der Dynastie als Institution und der Funktionalisierung der Dynastieangehörigen für diese Institution erwächst die dynastische Räson als dynastiepolitische Orientierungs- und Verhaltensmaxime. Der institutionelle Charakter der Dynastie belebt den institutionellen Charakter der öffentlichen Ordnung; die Dynastieräson wird zum Paradigma der Staatsräson; die dynastische Identitätsstiftung trägt zur staatlichen Identitätsbildung bei. Schließlich muß die Dynastie in diesem Zusammenhang auch als diejenige Kraft angesehen werden, welche am entschiedensten die (sich später als am erfolgreichsten erweisende) mittlere, zwischen der universalen (Reich, christliches Europa) und der Mikroebene (Städte, Kleinregionen) angesiedelte Organisationsstufe öffentlicher Ordnung anstrebt.25 Eine vollentwickelte, in vielem für den weltlichen Staat vorbildliche, universale Institution ist demgegenüber die Kirche.26 Das dynastische Interesse muß sich einerseits darauf richten, die Kirche als Rivalin zu verdrängen und sich ihrer materiellen Ressourcen zu bemächtigen. Andererseits zielt es auf die Instrumentalisierung der Kirche z.B. im Hinblick auf deren Kapazität, gegebenenfalls religiöse Legitimation bereitzustellen. Diese Dienstleistungen sind zunächst im Hinblick auf die Unterstützung dy24

25

Vgl. exemplarisch die dynastiefördernden Bestimmungen (Kap. VII, XX, XXIV, XXXI) der Goldenen Bulle von 1356 für die Stabilisierung der Kurfürstentümer (in: Arno Buschmann (Hg.): Kaiser und Reich. Klassische Texte zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806, München 1984, S. 105-156) und zusammenfassend Jürgen Weitzel: Die Hausnormen deutscher Dynastien im Rahmen der Entwicklung von Recht und Gesetz, in: Kunisch, Dynastischer Fürstenstaat (FN 7), S. 35-48. Vgl. zur Bedeutung dieses Aspekts in speziellerem Zusammenhang jetzt grundlegend Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a.M. 1992, und ders., Der Dreißigjährige Krieg als moderner Staatsbildungskrieg, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994) 487499. Wolfgang Reinhard: Die Verwaltung der Kirche, in: Kurt G. A. Jeserich et al. (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1990, S. 143-176, und ders., Die lateinische Variante von Religion und ihre Bedeutung für die politische Kultur Europas. Ein Versuch in historischer Anthropologie, in: Saeculum 43 (1992) 231-255.

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nastischer Heiraten und Trennungen, Nachwuchsbeschaffung (Legitimierungen, Delegitimierungen, Adoptionen) und von Erbregelungen bzw. bei der Stiftung und Vertiefung innerdynastischer Identität gefragt. Hinzu kommt der komplexe Aufgabenbereich fortlaufender Aufrechterhaltung und Stärkung des Gehorsams der Untertanen. Um sich dieser Funktionen versichern zu können, muß die Kirche möglichst konfliktfrei und effizienzsteigernd in die dynastische Herrschaftsapparatur integriert bzw. zumindest an diese angekoppelt werden. Diese An- oder Einbindung ist nur in Gestalt fortschreitender funktionaler Differenzierung, Systematisierung und Institutionalisierung dynastischer Herrschaft, das heißt aber: Staatsbildung, möglich.27 Maßgeblich über die kirchliche Tradition konnten sich die Dynastien auch das Römische Recht aneignen, wiewohl sie dieses Recht dann vor allem gegen die Kirche einsetzten.28 Diesem komplexen Normengeflecht ist offenbar hauptsächlich die oben angesprochene, für die Geltungssicherung dynastischer Regeln und Entscheidungen unerläßliche Leistung zuzuschreiben, diese dynastischen Regeln einerseits an die gesamtgesellschaftlichen Normen anzukoppeln und damit zu untermauern, sie andererseits aber dennoch nicht diesen Normen völlig zu unterwerfen und damit der Kontrolle der Dynastie zu entziehen. Die Lösung dieser Aufgabe besteht in einer doppelten Operation. Erstens differenziert die nicht zufällig von den Fürsten und Dynastien kräftig geförderte, einschlägige neue Expertenklasse, die säkulare Juristenprofession, das Römische Recht weiter aus und reichert sie es flexibel mit germanischen Traditionen an, bis die Ansprüche und Grundsätze der Dynastien mehr oder weniger plausibel und vollständig integriert erscheinen können. Der Preis für diese Operation besteht in neuerlicher Verkomplizierung der Normen, was jedoch dem Wissens- und Deutungsmonopol der Juristen nur entgegenkommen kann. Zweitens treiben Dynastie und Juristenprofession den Ausbau der fürstlich-dynastischen Kontrolle über das Recht der Gesamtgesellschaft voran, indem sie die Möglichkeit bewußter Rechtsschöpfung (durch Gesetzgebung) und den Anspruch auf letztinstanzliche RechtsinEine wichtige jüngere Fallstudie für den lutherischen Bereich bietet Manfred Rudersdorf: Ludwig IV. Landgraf von Hessen-Marburg 1537-1604. Landesteilung und Luthertum in Hessen, Mainz 1991 (mit weiteren Verweisen). Zum Sonderfall der geistlichen Fürstentümer und deren Einbezug in das System der Dynastien vgl. Rudolf Reinhardt: Kontinuität und Diskontinuität. Zum Problem der Koadjutorie mit dem Recht der Nachfolge in der neuzeitlichen Germania Sacra, in: Kunisch, Dynastischer Fürstenstaat (FN 7), S. 115-156; ders., Die hochadeligen Dynastien in der Reichskirche des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Römische Quartalschrift 83 (1988) 213-235, und als Fallstudie jetzt Hubert Wolf: Die Reichskirchenpolitik des Hauses Lothringen (1680-1715). Eine Habsburger Sekundogenitur im Reich?, Stuttgart 1994. Übergreifende Analysen zur Staatsbildung in diesen Territorien fehlen noch, vgl. vorläufig Egon Johannes Greipl: Zur weltüchen Herrschaft der Fürstbischöfe in der Zeit vom Westfälischen Frieden bis zur Säkularisation, in: Römische Quartalschrift 83 (1988) 252-264, sowie die einschlägigen Publikationen von Günter Christ: Studien zur Reichskirche der Frühneuzeit, hg. von Luwig Hüttl, Stuttgart 1989. Vgl. zusammenfassend und mit weiteren Verweisen Michael Stolleis: Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1, München 1988, S. 58-79. Eine spezifische Darstellung des Zusammenhangs von Römischem und Öffentlichem Recht mit dem dynastischen Recht fehlt.

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terpretation für den Souverän erweitern bzw. zu einem herrschaftlichen Monopol ausgestalten.29 Um möglichst auszuschließen, daß fürstliche Souveräne mit diesem Monopol willkürlich und damit erneut dynastieschädigend umgehen, bieten sich die Verfestigung und Ausweitung willkürhemmender formeller Verfahren des Umgangs mit Recht und Gesetz, der Verzicht auf direkte, vollständige Integration von Rechtsprechung und Politik sowie umgekehrt die tendenzielle Verrechtlichung der Politik an - diese in der Forschung besonders für die deutsche politische Kultur seit der frühen Neuzeit reklamierte Tendenz hätte damit auch eine spezifisch dynastische Wurzel.30 Enge Verknüpfungen von dynastischen Stabilisierungserfordernissen und allgemeineren Herrschaftsinteressen ergeben sich ferner in Hinsicht auf den zweiten Rivalen, den (übrigen) Hochadel. Wie bereits angesprochen, erzwingt die Dynamik der Dynastie schon früh, gegebenenfalls außerhalb der Dynastie stehende Herrschaftsträger als Zeugen oder Garanten innerdynastischer Grundsätze und Entscheidungen heranzuziehen. Sowohl diesem Ziel als auch dem allgemeineren Herrschaftsziel der Vertiefung des Gehorsams der Untertanen dient die Öffnung des dynastischen Interesses für die Interessen der entsprechenden Adelsgruppierungen und übriger relevanter Individuen, Gruppen und Schichten. Die Verfahren der Umsetzung dieser Zwecke, nämlich die wachsend formellere Zusammenfassung, Organisation, Anhörung, Indienstnahme bzw. Beteiligung dieser Kräfte, müssen als zentrale Elemente des Prozesses der Ständebildung aufgefaßt werden; die Dynastie und die dynastische Herrschaftslogik schaffen sich ihre Stände zu einem wesentlichen Grad selbst.31 Mit diesem konstitutionellen Vorgang verbunden sind zwei weitere Entwicklungen. Weil unzweifelhaft klar sein muß, wer gegebenenfalls bei der Durchsetzung dynastierelevanter Entscheidungen, bei der herrschaftlichen Umsetzung sozialer Interessen und bei der Verteilung dynastischen Gewinns zu berücksichtigen ist, ergibt sich die Notwendigkeit genauer Festlegung der territorialen Grenzen. Mit anderen Worten, aus diesem Zusammenhang erwächst eine Verstärkung des Interesses an der Verdichtung der Landesgrenzen zu modernen Staatsgrenzen. Wie im Falle der Kirche, ist im übrigen eine Anbindung und Funktionalisierung des Hochadels und der sonstigen Bezugsgruppen nur auf dem Wege neuerlicher funktionaler Differenzierung, Systematisierung und Institutionalisierung des politischen Prozesses möglich, was erneut zu demjenigen Vorgang beiträgt, der gemeinhin als Staatsbildung bezeichnet wird. Die Wertigkeit der übrigen vorgenannten Elemente dynastischer Geltungssicherung für diese Staatsbildung liegt vor diesem Hintergrund auf der Hand. Territoriale

30

31

Michael Stolleis: Condere Leges et interpretari. Gesetzgebungsmacht und Staatsbildung in der frühen Neuzeit, in: ders., Staat und Staaträson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts, Frankfurt a.M. 1990, S. 167-196. Vgl. exemplarisch Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts (FN 28), S. 403-404, und für eine Auseinandersetzung mit dieser These demnächst Wolfgang E. J. Weber: Potestas, Potentia. Potestas et Potentia Imperii. Bemerkungen zum Bild des Reiches in der deutschen Politikwissenschaft des 17. Jahrhunderts, in: Rainer A. Müller: Bilder des Reiches, Sigmaringen 1997. Vgl. grundlegend und mit den notwendigen Differenzierungen Heimann, Hausordnung und Staatsbildung (FN 10).

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Arrondierung, infrastrukturelle Zentralisierung, der Aufbau herrscherunabhängiger, routinisierter, formalisierter zentraler Verwaltung zwecks Immunisierung des dynastischen Territoriums gegen schädliche individualherrscherliche Eigenwilligkeit oder Unfähigkeit; der Ubergang zur aktiven Finanz- und Wirtschaftspolitik und progressiver Ressourcenabschöpfung zwecks Steigerung des dynastischen Gewinns - das alles trägt nicht nur zur Staatsbildung bei, sondern ist Staatsbildung. 32 Auch auf den abschließend erwähnten Wirkungszusammenhang, die Entstehung des Staatensystems aus der Dynastiekonkurrenz und damit die Freisetzung neuer Staatsbildungsanreize und -zwänge, sei lediglich nochmals verwiesen. 33 Ergänzend zu nennen ist jedoch das wichtigste Exekutionsinstrument der Dynastie- und Staatenkonkonkurrenz, der Krieg. Seine staatsstiftende oder zumindest den Prozeß der Staatsbildung beschleunigende Wirkung beruht bekanntlich auf hauptsächlich folgenden Faktoren: auf dem wachsenden Steuerbedarf zur Finanzierung der Auseinandersetzungen, welcher maßgeblich den Aufbau der Staatsfinanz verursacht; auf dem wachsenden Legitimitätsbedarf der Staatsgewalt, welcher sich aus der Zumutung fortlaufend gesteigerter Abgaben für den Staat einerseits und des Einsatzes von Leib und Leben für diesen Staat im Krieg andererseits ergibt; auf der Intensivierung staatlichnationaler Identität, welche zur Befriedigung des wachsenden Legitimitätsbedarfs in Gang gesetzt wird und sich religiöser und patriotisch-nationaler Ideologeme bedient; schließlich, aber keineswegs zuletzt auf der durch den Krieg erzwungenen allgemeinen ökonomisch-politisch-institutionellen Effizienzsteigerung. 34

Vgl. übergreifend und an ausgewählten Beispielen im Detail unter reichlicher Benutzung der älteren Literatur Mark Greengrass: Conquest and Coalescence. The Shaping of the State in Early Modern Europe, London et al. 1991, und Giorgio Chittolini et al. (Hg.): Origini dello Stato. Processi di formazione statele in Italia fra medioevo ed eta moderna, Bologna 1994. Vgl. die Hinweise bei Heinz Schilling: Formung und Gestaltung des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit - Phasen und bewegende Kräfte, in: Peter Krüger (Hg.): Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems, Marburg 1991, S. 19-46. Vgl. zusammenfassend Reinhard, Wachstum (FN 8), S. 67-71, ders., KriegsstaatSteuerstaat-Machtstaat, in: Ronald G. Asch, Heinz Duchhardt (Hg.): Der Absolutismus ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550-1700), Köln 1996 ( - Münstersche Historische Forschungen Bd. 9), S. 277-310); aus einer für den vorliegenden Zweck zu abstrakten Perspektive argumentiert dagegen Mann, States and War (FN 9). Im Hinblick auf den unmittelbaren Zusammenhang von Dynastie und Krieg stehen sich in der Forschung derzeit zwei Positionen gegenüber: Eine erste Deutung bezieht sich auf die Kriegsmotivation und bescheinigt den Fürsten neben "persönlichem Ehrgeiz und Ruhmbegierde" letztlich auch irrationales Verhalten, Kriegsentfesselung "aus einer bloßen Laune" (Heinz Duchhardt: Altes Reich und europäische Staatenwelt 1648-1806, München 1990 [ - Enzyklopädie deutscher Geschichte Bd. 24], S. 3). Diese Auffassung dürfte vor dem Hintergrund des eben skizzierten dynastischen Mechanismus als besser geklärt und relativiert gelten. Die zweite Deutung (Johannes Kunisch) betont die letztlich systemstabilisierende Rolle dynastischer Kriege, ohne deren Entstehung eben aus der Erbfolgeproblematik zu übersehen. Meines Erachtens hat sie mehr Überzeugung für sich, wiewohl auch sie der Verdeutlichung bedarf:

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Unsere Skizze hat es unternommen, in der Dynastiegründung und der Dynastiesicherung angelegte typische Handlungschancen und Entwicklungslogiken herauszuarbeiten und in einen systematischen Bezug zur Staatsbildung zu bringen. Nicht erfaßt werden konnten die unübersehbar jeweils spezifischen Erscheinungsformen, welche diese Prozesse in den verschiedenen Regionen des europäischen Halbkontinents annahmen. Es wäre jedoch falsch anzunehmen, daß diese Perspektive historisch-politiktypisierender Reflexion ein unverwechselbares Merkmal moderner Sozial- bzw. Geschichtswissenschaft sei. Tatsächlich zielten bereits zeitgenössische Wissenschaftsbestrebungen auf diese Abstraktionsebene. Denn auch und gerade die Zeitgenossen waren veranlaßt, sich in einer verwirrenden, scheinbar amorphen Fülle empirischer Daten und Tendenzen unablässig dichter werdender, immer direkter in das persönliche Leben eingreifender öffentlicher Herrschaft Orientierung über die entscheidenden Kräfte und Wirkungszusammenhänge verschaffen zu müssen. Das bedeutet aber, daß auch eine politisch-ideengeschichtliche Auswertung der Texte, in welchen sich diese geistigen Bemühungen niederschlugen, Aufschluß über die Tragfähigkeit des vorstehend skizzierten Modells zu vermitteln in der Lage sein sollte.

Zur Reflexion der Dynastie- und Staatsbildung in der politischen Ideengeschichte Der vorliegende Versuch ging von der Annahme aus, daß Dynastiebildung und Dynastiesicherung wesentlich Prozesse intendierten menschlichen Handelns sind. Diese Vorstellung bedeutet zwar keineswegs, auch die Transformation des dynastischen Herrschaftssystems zum Staat oder gar die Hervorbringung des Staates überhaupt zu bewußten Leistungen, etwa Errungenschaften genialer europäischer Herrscher und Politiker, zu (v)erklären. Im Gegenteil wird, wie hoffentlich ausreichend deutlich geworden ist, für diesen zweiten, entscheidenden Vorgang ein Uberwiegen selbsttragender historischer Prozessualität, faßbar beispielsweise mit der Kategorie der Verdichtung, unterstellt. Dennoch unterstreicht die Herleitung des Staates aus der Dynastiebildung einen in der historisch-sozialwissenschaftlichen Forschung bis heute nicht in aller Konsequenz zur Kenntnis genommenen Befund: Die historische Hervorbringung nicht das Erbprinzip an sich, sondern dessen Uneindeutigkeit und in der jeweiligen Gestalt mangelnde Akzeptanz bei den Potentaten erzeugten die Bereitschaft zum Krieg.

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des europäischen Staates vollzog sich in einem zunehmend breiteren Umfeld reflektorischer Bemühungen, die teils deskriptiv-analytisch auf eine Erfassung und Ordnung aller einschlägigen empirischen Phänomene, teils präskriptiv v o n unterschiedlichen Standpunkten aus auf deren Bewertung, Kontrolle und Steuerung zielten. Diese geistigen Bemühungen und der Realprozeß der Dynastie- und Staatsbildung standen in einem komplexen Wechselverhältnis zueinander. Schon für das 17. Jahrhundert, die entscheidende Epoche der realen Staatsbildung, muß nach Ausweis bisheriger

politisch-ideengeschichtlicher

Forschung jedoch ein hoher Grad bewußter Praxissteuerung angenommen werden. 3 5 Mit anderen Worten, für eine politisch-ideengeschichtliche Suche nach den Zusammenhängen von Dynastie und Staat dürfte gerade diese Epoche besonders ertragreich sein. Zunächst scheint unsere Erwartung jedoch enttäuscht zu werden. In den zentralen Werken der Politikreflexion des 17. Jahrhunderts, den systematisch-kompendiösen Spitzenproduktionen des Faches Politikwissenschaft, ist vom Phänomen der Dynastie kaum die Rede. Vielmehr pflegen diese Beiträge bereits eine fortgeschrittene staatliche Perspektive, indem sie von der Konzeption der res publica, der Politik als praktischtheoretischer Wissenschaft dieser res publica, der Lehre von der Herrschaft als Kernelement der Politik, von den drei klassischen Staatsformen oder sonstigen spezifischen Merkmalen und Problemen des Staates ausgehen.36 Daß in diesem Befund dennoch keine Widerlegung unseres Ansatzes steckt, machen drei Gründe deutlich. Erstens ist angesichts des zumindest halb privaten und insofern notwendig arkanen Charakters der Dynastiebildung und der Sensibilität aller höchsten Fragen der Herrschaft eine freie, öffentliche und umfassende Diskussion ihrer Probleme überhaupt nicht zu erwarten: "Nostrum quidem non est, in Magnatum facta inspicere, cum difficile sit, solidum de iis ferre iudicium, & verba plane temperata aut serica potius re-

Vgl. dagegen z.B. Karlheinz Blaschke: Finanzwesen und Staatsräson in Kursachsen am Beginn der Neuzeit, in: Der Staat 25 (1986) 373-383, der in Ubereinstimmung mit der vorherrschenden Forschung (Gottfried Niedhart: Aufgeklärter Absolutismus oder Rationalisierung der Herrschaft, in: Zeitschrift für historische Forschung 6 (1979) 199-211) die Leistung bewußter Reformen eher dem 18. Jahrhundert reservieren möchte (S. 378): Zuvor hätten jedenfalls in Sachsen "noch keine bewußten Reformen" stattgefunden, sondern habe es sich im wesentlichen um "lautlose Anpassung" gehandelt. Vgl. zu diesen Werken und ihren Perspektiven sowie zur Politikwissenschaft des 17. Jahrhunderts grundsätzlich die Arbeiten von Horst Dreitzel, zuletzt vor allem: Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft. Semantik und Theorie der Einherrschaft in Deutschland von der Reformation bis zum Vormärz, 2 Bde., Köln et al. 1991, und ders., Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland. Ein Beitrag zur Kontinuität und Diskontinuität der politischen Theorie in der frühen Neuzeit, Mainz 1992, sowie Wolfgang Weber: Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts, Tübingen 1992 ( - Studia Augustana Bd. 4).

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quirantur".37 Zweitens gilt speziell, daß in das 17. Jahrhundert wie gesagt wesentlich der Prozeß des Übergangs von der Dynastiestabilisierung zum Staat, aber nicht mehr zentral derjenige der Dynastiebildung fällt. Drittens verschafften die Rezeption des Aristoteles und die Aneignung des Römischen Rechts der politiktheoretischen Debatte tatsächlich eine systematisch-institutionelle, strikt auf den öffentlichen Bereich bezogene Reflexionsperspektive, in deren Horizont die Problematik der Dynastie in das Vorfeld bzw. an die Peripherie rückte. Dort bewahrte sie jedoch ihren angestammten Platz. Die zeitgenössischen Fachbibliographien der Politikwissenschaft sehen eigene Literaturklassen zumindest für die politische Genealogie, die Erziehung des Prinzen durch Väter und Lehrer {opera propaedeutica) und die allgemeine Perfektion der fürstliche Rolle sowohl in Hinsicht auf die Dynastie bzw. den fürstlichen Stand als auch den (öffentlichen) Staat (Fürstenspiegel) vor. Hinzu kommen einschlägige Erörterungen in den Gattungen der historisch-statistischen Exempla und Praecepta, der allgemeinen und speziellen politisch-juristischen Diskurse, der systematischen und historischen Darstellungen der Monarchie (des Prinzipats) und der Staatsräson- bzw. Arcana Imperii-Schriften.38 Dieser Problemkreis der Dynastie- und Staatsräson wurde 1701 sogar in einer eigenen, von der Forschung bisher kaum zur Kenntnis genommenen Bibliographie aufgearbeitet. 39 Zu einer umfassenden Verselbständigung der Literaturverzeichnung zur Dynastie kam es bezeichnenderweise aber erst im Laufe des 18. Jahrhunderts, und zwar unter juristischen Vorzeichen: Die Staatsbildung war in dieser Periode bereits so weit vorangeschritten, daß das Verhältnis des Staates zur Dynastie zunehmend problematisch und daher wachsend regelungsbedürftig erscheinen mußte. Wie relevant diese Thematik war, läßt sich am breiten Umfang dieser bibliographischen Bemühungen ablesen.40 Doch nicht nur auf der Ebene der Dokumentation, sondern auch der Begriffsebene lassen sich erste Erkenntnisse über die zeitgenössische Befassung mit Dynastie bzw. Johann Heinrich Boeder: De Principalium Familiarum perpetuitate, in: ders., Dissertationes Academicae. Editio secunda, Pars Π, Straßburg 1701, S. 872-899, hier S. 884; vgl. zu Person und Werk unten F N 46. Vgl. zusammenfassend Weber, Prudentia (FN 36), S. 42-80. Die wichtigsten Bibliographien der zeitgenössischen Politikwissenschaft sind Johann Andreas Bose: De comparanda Prudentia civili, in: Thomas Crenius: De Philologia studüs liberalis doctrinae, informatione & educatione literaria generosorum Adolescentium, Leiden 1696, S. 355411, und Carl Arnd: Bibliotheca politico-heraldica selecta, Rostock-Leipzig 1705. Caspar Thurmann: Bibliotheca statistica, Halle 1701, vgl. dazu Wolfgang Weber: Ratio status, et quae eo pertinent. Die praktischen Dimensionen der Staatsräson im Spiegel der Bibliotheca statistica (1701) des Caspar Thurmann, in: Archiv für Kulturgeschichte 78 (1996) 145-178. Das zentrale Werk ist Johann Friedrich Wilhelm Neumann: Meditationes de jure personarum illustrium earumque ministris, 5 Bde., Frankfurt a.M. 1751-1756; schon zuvor erschien vom selben Autor: Bibliotheca juris imperantium quadripartita sive commentatio de scriptoribus jurium quibus summi imperantes utuntur naturae et gentium publici universalis et principum privati, Nürnberg 1727. Ebenfalls in diesen Zusammenhang gehören die einschlägigen Teile von Johann Jakob Moser: Ternsches Staatsrecht, 53 Bde., Leipzig 1737-1754.

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Dynastie und Staat gewinnen. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wird die Kategorie 'Dynastie' nur selten benutzt; stattdessen ist von Familie (familia) oder Haus (domus) die Rede.41 Denn einerseits war dieser Begriff als Spezialbezeichnung für die dynastischen Reiche Altägyptens und des Alten Orients bereits besetzt. Andererseits erhielt er gerade deshalb politisch eine negative Färbung: diese alten Reiche waren heidnische Tyranneien oder Despotien gewesen, also für das christliche Europa der Neuzeit keineswegs passende politische Systeme.42 Erst als sich im Zuge der fortschreitenden Politisierung der Aufklärung43 ein breiter Bedarf an fürsten- und dynastiekritischen Begriffen einstellte, wurde, so ist anzunehmen, 'Dynastie' eben aus diesem Grunde wieder interessant. Die seltenen Fälle, in denen der Begriff schon zuvor - und dann wertneutral - benutzt wurde, unterstreichen indessen den im vorliegenden Beitrag vertretenen Ansatz: Dynastie wird parallel gesetzt zu res publica, spielt also die Rolle eines Ersatz- oder Vorbegriffs für 'Staat'.44 Der nach Hermann Conring (1606-1681)45 bedeutendste deutsche Politologe des 17. Jahrhunderts, das Haupt der Straßburger lipsiänisch-aristotelischgrotianischen Schule Johann Heinrich Boeder (1611-1672) , definierte fürstliche Dynastie in seiner einschlägigen Dissertation De Principalium familiarum perpetuitate exemplarisch folgendermaßen: "Familia ... Principalis intellegitur tota ilia series, qua illustrissimarum Domuum Maiores & ab iis orti a Stirpe per ordinem successionis & propagationis ad proxima usque tempora numeran-

Vgl. z.B. Germanus Sincerus: Disquistio, an excrescens Austriacae domus potentia regni Hispaniae accessione Europae sit metuenda? o.O. o.J. [ca. 1500]; Reiner Reineccius: Syntagma de familiis, quae in monarchiis tribus prioribus rerum politiae sunt institutae, Basel 1580; Ernst von Lilien: De Magnitudine et Potentia Serenissimae Domus Brandenburgicae, Bayreuth 1678 [mit paralleler deutscher Ausgabe]; Boeder, De perpuitate (FN 37), und die Titel der gängigen genealogischen und heraldischen Werke nach Arnd, Bibliotheca (FN 38), S. 453-529, ferner den einschlägigen Artikel in Zedlers UniversalLexikon aller Wissenschaften und Künste (Haus, in: 12 (1735) Sp. 873-885). Vgl. Hermann Conring: De Asiae et Aegyptii antiquissimis dynastiis, adversaria chronologia, Helmstedt 1648, oder Gregorius Abulpharagius: Historia Dynastiarum Arabice, Oxford 1663. Hans-Erich Bödeker, Ulrich Herrmann (Hg.): Aufklärung als Politisierung - Politisierung der Aufklärung. Hamburg 1987 ( - Studien zum 18. Jahrhundert Bd. 8). Vgl. exemplarisch Joannis Barclaius [Barclay]: Icon Animorum. Editio auctior, Frankfurt 1675, S. 61 und 62: "respublicas aut dynast(i)as"; "provincias ac dynastias". Negativ besetzt ist 'Dynastia' auch in Zedlers Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 7, Halle-Leipzig 1734, Sp. 1685-186, hier allerdings in Gleichsetzung nicht mit Tyrannis oder Despotie, sondern Oligarchie. Auf Beispiele für neutralen juristischen Begriffsgebrauch am Ende des 18. Jahrhunderts verweist Martin Lipenius: Bibliotheca juridica realis, Bd. ΙΠ, Leipzig 1775, Sp. 160, und Bd. V, Breslau 1817, Sp. 506. Michael Stolleis (Hg.): Hermann Conring (1601-1681). Beiträge zu Leben und Werk, Berlin 1983. Ernst Jirgal: Johann Heinrich Bökler (1611-1672), in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 45 (1931) 322-382.

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tur". 4 7 Ihren Ursprung führt er auf die Absicht der jeweiligen Gründer zurück, ihrem Willen und W e r k {voluntas et opus) Fortsetzung zu verleihen und dadurch ewige memoria

bzw. fama zu gewinnen. 4 8 Daß dieser Absicht in den v o n

ihm namentlich aufgeführten Fällen (die großen Dynastien Europas und des Reiches seiner Zeit) 4 9 Erfolg beschieden war, schreibt er sowohl göttlicher Fügung als auch entsprechenden Leistungen der Dynastiebetreiber zu. Bei diesen Leistungen unterscheidet er zwei Ebenen: innerdynastische Reproduktionsleistungen und externe Verdienste für die Untertanen der Dynastie bzw. das Vaterland (patria) oder den Staat (respublica, civitas). N u r diese öffentlichen Leistungen machen für ihn die Legitimität der Dynastie aus. " C u r Principalium Familiarum propagatio optari debeat?" Sie ist nur dann und insofern zu wünschen, wenn erwiesene "magnitudo meritorum publicarum" sowie deren Voraussetzungen, die entsprechenden virtutes

illustres, vorliegen; dann gilt im

Hinblick auf diese Grundfrage: "ratio applaudit & aequitas postulat". D a ß das Vertrauen in die Fähigkeiten und den guten Willen des Fürsten sich als durchgehend berechtigt erweisen wird, ist damit aber noch keineswegs sicher; wir können letztlich nur darauf hoffen (speramus). 50

Boeder, De perpetuitate (FN 37), S. 881. Boeder, De perpetuitate (FN 37), S. 884; ausdrücklich ist von der beabsichtigten Überwindung der mortalitas humana die Rede; vgl. zu Ruhm und Ehre als Gründungs- bzw. Handlungsmotiven auch Trajano Boccalini: Relation aus Parnasso, Frankfurt 1644, Dedicatio (des Herausgebers und Ubersetzers Johann Bayer) o.S.; Jacob Le Bleu: Princeps successor, Gießen 1657, S. 35-45 und 144 ("stimulus honoris"), und Nicolaus Myler von Ehrenbach: Gamologia personarum illustrium Imperii, in quo de Matrimonio, tarn inter se, quam cum Exteris, aequali vel inaequali, ex Ratione Status, et ad Morganatam matrimoniam Virorum illustrium, idem de Uxore illustri, de dispensatione, de Vidua, Dotalitio, nec non de Liberis illustribus, tarn naturalibus quam legitimis, eorumque jure Sc dignitate agitur, Stuttgart 1664, S. 59 ("illustrium familiarum splendorem conservare"). Allerdings halten viele Theoretiker den Wunsch nach Uberwindung menschlicher Sterblichkeit für eine anthropologische Konstante, vgl. unten FN 54. S. 891-892. Weitere Aufzählungen bedeutender europäischer bzw. deutscher Dynastien der Zeit finden sich u.a. bei Jacob Lampadius: Tractatus de constitutione Imperii Romano-Germanici, Heidelberg 1620 u.ö., S. 59-65; Reinhard König: Theatrum politicum tripartitum, Jena 1622, S. 421430, und Josias Nolden: De statu nobilium civili synoptica tractatio, Gießen 1623. Boeder, De perpetuitate (FN 37), S. 894-895. Die Unterscheidung von 'privatem' dynastischem und öffentlich-staatlichem Interesse nebst Zuweisung jeweils spezifischer 'Statusräsonen' sowie jeweils zulässiger und unzulässiger Mittel zur Durchsetzung des jeweiligen Interesses durchzieht die gesamte politiktheoretische Diskussion, auch wenn diese Dimensionen nicht überall expliziert werden, vgl. aus dem akademischen Schrifttum beispielsweise Sigmund Pichler (Praes.), Theoderich von Bandemern (Resp.): Discursus politicus De vera ratione status regii seu Prudentia politics regia statum Principis Regnique firmandi. Christianorum Prindpum non idolo, sed Palladio, Königsberg 1641.

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W i e w o h l die zeitgenössische Diskussion den Gründern der fürstlichen D y nastien damit nicht n u r materielles Besitzinteresse 51 , sondern auch (und dazu dominant)

persönliches

Ruhmstreben 5 2

als Gründungsmotiv

bescheinigt,

stimmt sie also grundsätzlich mit unserem oben skizzierten Definitionsversuch überein. Darüberhinaus ist ihr bzw. zumindest ihren entsprechenden Teilrichtungen ein durchaus kritisches Verständnis v o n Dynastie zuzugestehen. Dav o n , daß sich politisches Denken im Deutschland des 17. Jahrhunderts mehr oder weniger auf Herrscherlob oder A f f i r m a t i o n bestehender Herrschaftsverhältnisse beschränkt hätte, kann jedenfalls keine Rede sein.

Diesen Eindruck

bestätigt auch der Fortgang der Argumentation. K a u m überraschen kann, daß die entscheidende Bedeutung der Eheschließung f ü r Dynastiegründung und -perpetuierung voll erkannt ist und deshalb ausführliche Diskussion findet.

Der Stoiberger Hofrat Peter Müller (1640-

Vgl. hierzu generell Johann Stübner (Praes.), Johann Georg Christoph Feuerlin (Resp.): Exercitations politicarum quinta de dominio rerum seu bonis fortunae. Quatenus felicitatem in familiis & rebuspublicis, tanquam nervus rerum gerendarum, promovent, Ansbach 1697, sowie speziell Anton Philipp Knipschildt: De fideicommissiis familiarum nobilium, sive, de bonis, quae familiarum nobilium conservatione constituunter. Von Stamm-Gütern, Ulm 1654, und die Erörterungen und Hinweise bei Neumann, Meditationes (FN 40), Bd. IV: Reale Principum Jus, seu de dominio & Servitute, pignore & hypothetica, [...] possessione, dotalio [...] Principum. Zur Diskussion der Bedeutung dieses Motivs für die Monarchie der Frühen Neuzeit im allgemeinen vgl. die verstreuten Hinweise bei Johannes Kunisch: Fürst - Gesellschaft Krieg. Studien zur bellizistischen Disposition des absoluten Fürstenstaates, Köln et al. 1992 (Register). Zu unterscheiden sind allerdings die verschiedenen Handlungsbezüge und Adressaten von Ruhmerwerbungsbestrebungen: der dynastische Bezug (Bewährung vor den Ahnen, Steigerung des Prestiges der Dynastie) und der unmittelbare Herrschaftsbezug (persönliche Darstellung, Verfestigung der eigenen Herrschaft vor den Untertanen und Zeitgenossen, Ruhm als Mittel zur Machtsteigerung). Vgl. hierzu auch die Befunde bei Weber, Prudentia (FN 36), S. 336-357. Vgl. aus der Vielzahl der selbständigen Traktate zu diesem Komplex die einschlägigen Teile des über 550 Seiten umfassenden Standardwerks Myler, Gamologia (FN 48); Michael Havemann: Gamologia synoptica, id est Tractatus de jure connubiorum, Frankfurt-Hamburg 1672; Justus Heinrich Boehmer (Praes.), Albert Christian Richter (Resp.): De secundis nuptiis praecipue illustrium personarum, Halle 1723, und Neumann, Meditationes (FN 40), Bd. Π: De matrimoniis Principum Commentatio, mit umfangreichen weiteren Verweisen. Kurze, eindeutige Feststellungen finden sich in fast allen allgemeineren und spezifischeren historisch-iuristisch-politiktheoretischen Traktaten der Zeit, vgl. exemplarisch Revemont de Cerizier: Französischer Tacitus, das ist: Allerhand politische [!] Staatsmaximen, Nürnberg 1680, S. 213 ("Das Interesse macht die Heyrathen grosser Herren"), oder Henning Arnisaeus: De jure connubiorum. Commentarius politicus, Frankfurt a.O. 1613, S. 18-24 u.ö.; der Helmstedter Mediziner und Politologe (vgl. umfassend Horst Dreitzel: Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die "Politica" des Henning Arnisaeus (ca. 1575-1636), Wiesbaden 1970) führt den Wunsch

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1696) macht in seinem umfangreichen Handbuch der Dynastiestabilisierung Praesidia Domus illustris, h. e. praecipuae ex ratione status axiomata, exemplis suhinde politicis illustrata, quibus edocetur, qua via modoque familiae illustres florescant atque in beato statu conserventur5, welches sich unmittelbar an das Haus Sachsen wendet, zunächst auf die Verpflichtung des regierenden Fürsten aufmerksam, zwecks Fortführung seines stirps nicht ledig zu bleiben. Dann fordert er den Fürsten auf, seine persönliche Eignung zur Eheschließung zu prüfen und gegebenenfalls in psychischer und physischer Hinsicht zu verbessern. Die anschließende Suche nach einer geeigneten Partnerin bedarf kluger Vorbereitung und sorgfältiger Durchführung. Drei Aspekte seien dabei nachdrücklich zu berücksichtigen: die persönlichen Voraussetzungen der künftigen Gattin, ihr möglichst hoher Wert im Hinblick auf das Interesse der Dynastie, und ihre Eignung in Hinsicht auf ihre künftige öffentlich-staatliche Rolle. Bei den persönlichen Voraussetzungen geht es in erster Linie um die Fähigkeit zur Hervorbringung gesunden männlichen Nachwuchses; außerdem sind eine gewisse Verträglichkeit, Häuslichkeit und Repräsentationsfähigkeit gefragt, um die Ehe dauerhaft werden lassen zu können. In dynastischer Hinsicht müssen die von ihr über ihre Verwandtschaftsverhältnisse eingebrachten Rechte und Ansprüche möglichst optimal ausfallen: "Principum matrimonia pro commodissimis instrumentis Imperia Regionesque connectendi, ac meliores fortunarum accessiones faciendi, aestimata sunt." Hilfen zur Berechnung dieser Chancen liegen in Gestalt entsprechender Hinweise in genealogischen Handbüchern oder spezieller Darstellungen der wichtigsten europäischen praetensiones vor.57 Mit der Wahrnehmung dieser Stabilisierungs- und Expansionsnach Eheschließung auf eine allgemein menschliche "cupido immortalitatis" zurück (S. 28). 55

Erste Auflage Jena 1667, zweite Auflage 1677. Singer, Fürstenspiegel (FN 21), ordnet diesen Titel richtig der von ihm behandelten Gattung zu (S. 162), erkennt aber nicht, daß es sich hier um einen der seltenen dynastischen, d.h. (jedenfalls nach der Grundintention) nicht auf die öffentliche Rolle des Fürsten bezogenen Fürstenspiegel handelt. Die übrigen Vertreter dieser Gattung lassen ihre zumeist doppelte Zielperspektive (Dynastie bzw. fürstlicher Stand und (öffentlicher) Staat) manchmal am Titel erkennen, vgl. z.B. Johann Joachim Runckel: De Principis vel Comitis vita generosa, statu felici et regimine salutari, Gießen 1668, und Jacob Otto: Hoher Herren und Potentaten, Standsund Staats-Personen Brevier, Ulm 1694.

56

Müller, Praesidia (FN 55), S. 54; Myler, Gamologia (FN 48), S. 28-33 u.ö.; vgl. ferner exemplarisch Georg Melchior von Ludolph: Dissertatio de Jure Foeminarum illustrium, Gotha 1710, S. 13-14 ("terrarum ... sive pecuniarum adquisitio, ... sobolis procreatio ..., pacis conciliatio"). Vgl. die Hinweise bei Arnd, Bibliotheca (FN 38), S. 480-483 (genealogische und heraldische Kenntnisse sind notwendig auch zwecks Informationsbeschaffung über Sukzes-

57

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vorteile für die Dynastie verknüpfen sich die v o n der Fürstin für den Staat erwarteten Dienste, nämlich die Mithilfe bei der Herstellung und Bewahrung v o n pax und amicitia im Inneren wie nach außen. 58 Alle A u t o r e n sind sich somit darüber im Klaren, daß diese Eheschließungen ausschließlich der ratio status der Dynastie und des Staates folgen. 59 Sie erkennen die Konsequenz dieses Sachverhalts, nämlich daß diese Ehen in der Regel weder dem einen n o c h dem anderen Partner emotionales Glück verschaffen und deshalb in direktem Kontrast zu felicia matrimonia

stehen. 60 Ferner sind

sie sich auch der Tatsache bewußt, daß die fürstliche Ehepraxis - einschließlich des (wegen eventuellen Ausbleibens geeigneter Erben) faktisch beanspruchten Scheidungsrechts - in vielen Hinsichten von der gesamtgesellschaftlich geltenden N o r m abweicht. Die fürstliche Heirat und die mit ihr verbundenen Prosionen und Erbansprüche), das von der jüngeren Forschung richtig erkannte und zugeordnete Standardwerk des preußischen Hofjuristen Christoph Hermann Schweder: Theatrum historicum praetensionum et controversiarum illustrium in Europa, Leipzig 1712, 2. Auflage 1726, (vgl. Johannes Kunisch: Der Nordische Krieg von 1655-1660 als Parabel frühneuzeitlicher Staatenkonflikte, in: ders., Fürst - Krieg (FN 52), S. 43-82, hier S. 4549), sowie von den übrigen zahlreichen, zeitgenössischen Zusammenstellungen: Anton Wilhelm Schowart: Observationes historico-genealogicae, Frankfurt a.M. 1696; Johann Joachim Müller: Königlich-spanischer Vermählungs-Saal, auf welchem so wol das oesterreichische Successions-Recht als die französische Praetension auf die spanische Monarchie ... dargestellet wird, Frankfurt-Leipzig 1710; Johann Ehrenfried Zschackwiz: Einleitung zu den vornehmsten Rechts-Ansprüchen der gecrönten hohen Häupter und anderer Souverainen in Europa, Frankfurt-Leipzig 1733; D. G. A. Zennern, Gottfried F. Altenberg: Comoedieuses Staats-Historisches Kriegs- und Friedens- Lexikon, Nürnberg 1734, und Anselm Desing: Auxilia historica, 8 Tie., Regensburg 1746-1747 (mit zahlreichen Karten, Stammtafeln usw.). Für das Reich liegt sogar eine Bibliographie des einschlägigen Schrifttums vor: Johann Christian Lünig: Bibliotheca curiosa deductionum, Leipzig 1717. Vgl. zu den schon zeitgenössisch als im Vergleich zu den übrigen Ehefrauen schlechter eingeschätzten Rechten der Fürstinnen neben Myler, Gamologia (FN 48), S. 203-237 ("uxor Principis deterioris conditionis quam uxores privatae") und Ludolph, De Iure Foeminarum (FN 56) z.B. noch Johann Paul Kress (Praes.), Georg Albert Bacmeister (Resp.): Dissertatio inauguralis iuridica De iuribus Foeminarum illustrium in Germania, Helmstedt 1730. Grundlegend Myler, Gamologia (FN 48), S. 18-84, mit ausführlichen Literaturhinweisen; ferner Ludolph, De Jure Foeminarum (wie FN 56), der zur ratio status in einer Fußnote vermerkt: "Res antiqua, vocabulum novum". Müller, Praesidia (FN 55) möchte diesen Aspekt allerdings nicht auf die fürstlichen Ehen beschränkt sehen: "Etiam in Privatorum matrimoniis cuiusvis Ratio Status ponderanda est"; ähnliche Tendenzen entwickelt Arnisaeus, De iure connubiorum (FN 54), S. 7, 23 u.ö. Im weiteren offenbar unbeachtet bleibt das Argument des Arnisaeus (De iure connubiorum (FN 54), S. 11), daß erfolgreiche Familienstabilisierung Freude bereite bzw. umgekehrt durch die Familie Freude maßgeblich zur erfolgreichen conservatio familiae beitrage.

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bleme stellen daher einen wesentlichen Schwerpunkt des oben angesprochenen Prozesses der (zwecks Geltungssicherung dynastischer Dispositionen unternommenen) Verkoppelung von dynastischer und gesellschaftlicher Norm dar, auf welchen weiter unten zurückzukommen sein wird. Die Diskussion der Bedeutung und Funktion der liberi illustri setzt mit einem Lob hohen Kinderreichtums ein: "Longe majori... cura Principibus aliisque Imperii viris illustribus incumbit, generis sui praeclarum & illustre nomen ad posteros derivare, quo dignitatem familiae, liberorum procreatione conservent." Dann beginnt sie sich auf die Notwendigkeit der Existenz eines geeigneten männlichen Erben zu konzentrieren: "Et hoc evidenti sane ratione: Princeps enim & quivis alius regiminis publici Praeses haereditarius, per hanc viam longe securior existit, dum prognatis pluribus liberis velut munimentis insistit. ... Nam darum est, pravas aliorum imperandi spes cohiberi, si successor non incertus sit, & praesertim jure haereditario praesens adsit."61 Prinzessinnen sind erwartungsgemäß vornehmlich als Manövriermasse in der Strategie dynastischer Stabilisierung und Expansion willkommen. Die Möglichkeit der Erbenbeschaffung durch Legitimierung illegitimer Sprößlinge oder Adoption erfährt zwar ebenfalls ausführliche Diskussion. Beide Verfahren gelten jedoch im Hinblick auf ihre Durchsetzungsfähigkeit als problematisch. Sie werden deshalb als weitgehend impraktikabel verworfen. Stattdessen wird empfohlen, sich gegebenenfalls des Instruments des Erbvertrags (Erbverbrüderung, Erbeinigung, s. u.) zu bedienen.62 Wie damit bereits angedeutet, hängen die deutschen Politikwissenschaftler des 17. Jahrhunderts keineswegs der illusionären Vorstellung an, Befähigungen zur Förderung der Dynastie und optimalen Ausübung öffentlicher Herrschaft sowohl zugunsten der Dynastie als auch der Untertanen bzw. des Staates

62

Myler, Gamologia (FN 48), S. 458-459; vgl. zum Prinzip "pluribus liberis familiae illustri gaudendum" auch [Jean de Marnix:] Institutio viri publici, Frankfurt a.M. 1647, S. 181183, mit Verwendung des Tacitus-Zitats: "Non classes, non legiones perinde firma imperii munimenta, quam numerus liberorum''. Boeder, De Perpetuitate (FN 37), S. 898 (zur Adoption); Myler, Gamologia (FN 48), S. 195 (Legitimierung morganatischer Söhne) und 498-555 (Legitimierung allgemein); Neumann, Meditationes (FN 40), Bd. ΠΙ, S. 70-113 (Legitimierung und Adoption); ein Befürworter der Adoption (neben der Erbverbrüderung) ist noch Le Bleu, Princeps successor (FN 48), S. 13-14; vgl. generell ferner die vielzitierten allgemeineren Traktate von Gabriele Paleotti: De nothis, spuriisque filiis Liber, Venedig 1572 [u.ö.], und Arnold von Reyger (Praes.), Gebhard von Moltken (Resp.): De adoptionibus, et quibus modis patria potestas insint, Jena 1591.

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pflanzten sich einfach durch Blutsvererbung fort. 6 3 Vielmehr erkennen sie in aller Deutlichkeit, daß es zu deren Hervorbringung und Festigung generationenübergreifender, je nach den historischen Umständen noch zu intensivierender Erziehung und Bildung bedarf. Diese Erkenntnis hat naturgemäß auch mit ihrem eigenen Interesse zu tun. Seit seiner Gründung in der Krise des ausgehenden 16. Jahrhunderts beansprucht das Fach Politikwissenschaft, sowohl den Fürsten als auch allen anderen Herrschaftsträgern diejenigen

professionellen

Kenntnisse zu vermitteln, welche für die Stabilisierung und Verbesserung sowohl des je eigenen Standes als auch des öffentlichen Staates notwendig sind. 64 Auf diesem öffentlichen Bereich, weniger auf den unmittelbaren Erfordernissen dynastischer Reproduktion, liegt auch der Schwerpunkt der einschlägigen Erörterungen, wiewohl andererseits zwischen beiden Sphären direkte Bezüge hergestellt werden: nur wer sein eigenes Haus gut regiert, wird auch erfolgreiche öffentliche Herrschaft ausüben können. 6 5 Eine klare Formulierung des primären Ansatzes fürstlicher

Erziehung

stammt wieder von J. H . Boeder. Die Abstammung des Prinzen soll als Verpflichtung dazu aufgefaßt bzw. ausgelegt werden, "mores virtutesque patrum imitare". Aus der erfolgreichen Nachahmung muß der edle Eifer erwachsen, die Väter noch zu übertreffen. 66 Das gilt erst recht dann, wenn von den Vor63

Barclay, Icon (FN 44), wirft S. 64 den Fürsten seiner Zeit übertriebenes Blutreinheitsdenken vor. Am Rande der Diskussion erwogen wird lediglich die Bedeutung des Stillens für die Weitergabe von (Un-)Tugenden: die fürstliche Mutter soll ihrem officium nutricationis so lang als möglich nachkommen, weil die Fütterung mit Milch von Hebammen den Kindern häufig eine Neigung zur (bei den Hebammen angeblich verbreiteten) Unzucht mitgebe, vgl. für viele Beispiele Müller, Praesidia (FN 55), S. 6. Der Herausgeber der deutschen Ausgabe von Boccalinis Parnasso (FN 48) formuliert in seiner Dedicatio eindeutig: Die "Wissenschafft wol zu regieren (wird) so wenig und noch viel weniger als die Reit- und Schiffkunst einigem Menschen angebohren; sondern muß allererst vermittelst guter Anweisung und Unterrichtung mit großer Mühe durch Kunst und Erfarenheit zu wegen gebracht werden". Vgl. auch Cerizier, Französischer Tacitus (FN 54), S. 50-52 und 181-183: "Nicht alle, die in Fürstenstand stehen, sind von der Natur darzu erschaffen, daß sie herrschen sollen" (S. 181).

64

Vgl. im Gesamtüberblick Weber, Prudentia (FN 36), passim, und spezieller, im Hinblick auf das von den Politikwissenschaftlern entwickelte (halb-)professionelle Paradigma des Politicus, demnächst ders.: Die Erfindung des Politikers. Anmerkungen zu einem gescheiterten frühneuzeitlichen Professionalisierungskonzept.

65

Vgl. zu dieser Konstruktion umfassend Paul Münch: Die Obrigkeit im Vaterstand. Zur Definition und Kritik des Landesvaters während der frühen Neuzeit, in: Daphnis 11 (1982) 15-40.

66

Boeder, De perpuitate (FN 37), S. 895; Cerizier, Französischer Tacitus (FN 54), S. 90-91 (die Väter an Tugend, Erfolg und Ruhm übertreffen zu wollen zählt zu den edlen aemu-

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fahren "wenig ruhms zu berichten" ist. 67 Auch diesen Ahnen ist im Übrigen ein ehrendes Gedächtnis zu bewahren, einerseits um sich selbst vor H o c h m u t zu schützen, andererseits um sie nicht der Verachtung des Pöbels preiszugeben und damit die eigenen Legitimitätsgrundlagen zu gefährden. Die Verpflichtung des Fürsten auf die unmittelbare und mittelbare Nachkommenschaft kommt demgegenüber beispielsweise in der einschlägigen Mahnung der Monita

paterna

des bayerischen Kurfürsten Maximilian I. aus dem Jahre 1639 zum Ausdruck: "Es ist... allen Menschen sowohl als dennen Fürsten angelegen, ihrer und ihrer nachkomblingschafft Ehre zu gedenckhen, obschon bey dennen gemainen sovil daran nit gelegen; bey denen Fürsten aber hat es ein weith andere Beschaffenheit, als deren E h r und Hochschätzung in die höche stehet, ein weith aussechente gedächtnus machet, welche Sye mit ihren Rumbwürtigen Lebenswandl verneuern sollen." 68 U m diesen Ansatz zu konkretisieren, ist Beschäftigung mit Genealogie und Heraldik69 sowie Geschichte70 einerseits und mit den rühm- und ehrevermittelnden fürstlichen Tugenden der prudentia, iustitia, magnanimitas, temperantia, liberalitas, fides, fortitude, Veritas, dementia usw.71 andererseits vonnöten. Die Kenntnisse und die Fer-

lationes). Auch dem Patriarchalismus frühneuzeitlicher Fürstenherrschaft ist an dieser Stelle eine innerdynastische Funktion zuzusprechen, nämlich eben diejenige, auch den jeweiligen Prinzen/Fürsten auf seinen Vater, d.h. aber: die Dynastie, zu verpflichten. Georg Draudius: Fürstliche Tischreden, Pars I, Frankfurt a.M. 1620, S. 31-32; vgl. diese Zusammenfassung gängiger Präzepte auch für die folgenden Ausführungen. Vätterliche Ermahnung [Monita paterna] Maximiliani [1639], in: Duchhardt (Hg.), Politische Testamente (FN 20), S. 119-135, hier S. 123. Eine andere einschlägige Stelle bei Matthias Bernegger: Observationes historico-politicae XXVIII, Tübingen 1666, S. 8-12: Der jeweils lebende Princeps möge longa serie suos posteros conspicere, ut benedictionis divinae, sic rationis exemplum esse. Vgl. die eindeutige Funktionszuschreibung bei Arnd, Bibliotheca (FN 38), S. 453-455. Moderne Darstellungen der Wissenschaftsgeschichte der Genealogie sind entsprechend ergänzungsfähig, vgl. Alfred Schröcker: Die deutsche Genealogie im 17. Jahrhundert zwischen Herrscherlob und Wissenschaft, in: Archiv für Kulturgeschichte 59 (1977) 426444, hier S. 430-433, und jetzt umfassend Roberto Bizzocchi: Genealogie incredibili. Scritti di storia nell'Europa moderna, Bologna 1995. Exemplarisch J. H. Boeder: Historia, Principum Schola, in: ders., Dissertationes academicae, Pars I (FN 37), S. 1105-1154. Vier vielzitierte Systematiken und Uberblicke: Georg Loysius: Pervigilium Mercurii, quo in agitur de praestantissimis peregrinantis Virtutibus, Hof 1598; Carlos Paschalius: Virtutes et vitia, hoc est virtutum et vitiarum definitiones descriptiones characteres, Genf 1620; Caspar Cecchellini: Viridarium politicum, Turin 21650 (vgl. Tabelle S. 51-56 und die genauen didaktischen Erwägungen S. 189-220); Corona Virtutum Principi dignarum, in: Consistorium Principis, Straßburg 1663, S. 683-798. Müller, Praesidia (FN 55, S. 1-21) hält einschlägige educatio für das wichtigste praesidium eines fürstlichen Hauses überhaupt. Der Verfasser der Corona Virtutum betont S. 703, daß die Laster eines Für-

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tigkeiten, die sich über sie erwerben lassen, sind jedoch naturgemäß auch für die Ausübung öffentlicher Herrschaft unerläßlich. Die entsprechenden Erziehungs- und Bildungsschriften (Fürstenspiegel) konzentrieren sich daher auf die Darlegung und Ausdeutung umfangreicher einschlägiger Qualifikationskataloge, ohne näher auf die unterschiedlichen Verwertungszusammenhänge - Dynastie und Staat - einzugehen. Die einzelnen Formen und Phasen der Erziehung und Ausbildung - von der Kleinkindererziehung durch Mutter und A m m e über die Anleitung des Knaben durch Vater und häusliche Präzeptoren bis zum Studium und der anschließenden Peregrinatio academica - bedürfen im vorliegenden Zusammenhang keiner detaillierten Analyse. Erwähnt sei lediglich, daß die Peregrinatio ausdrücklich auch dem Ziel zu dienen hat, verwandte Fürsten und Dynastien zu besuchen. Ihre ursprüngliche Funktion, die Abrundung der akademischen Ausbildung durch Besuch auswärtiger Universitäten und praktische Anwendung geographisch-historisch-statistischer Kenntnisse, hat sich also abgeschwächt; stattdessen soll sie zur Verdichtung der familiär-dynastischen Kommunikation und zur Vertiefung dynastischer Identität beitragen. 72 Aber auch die sonstigen Colloquia & Congressus Principum unterliegen diesem dynastischen Funktionszusammenhang, wie u. a. erneut J. H . Boeder in einem einschlägigen akademischen Beitrag unterstreicht. 73 U n d in einer weiteren Dissertation über die offiziellen Comitia Imperii zur Regelung der Nachfolge im Kaiseramt bzw. auf dem Königs- oder einem sonstigen Fürstenthron bestätigt er, daß diesen Reichsversammlungen in der Regel einschlägige dynastische Treffen, Absprachen und Entscheidungen vorausgehen. 74 Damit haben wir uns dem auch zeitgenössisch besonders intensiv diskutierten Komplex der Erbfolgeregelung zuzuwenden. Daß

die

Bestellung

von

Monarchen

aristokratischer Herrschaftsträger (proceres)

durch

freie

Wahl

fürstlich-dynastischem

ständischInteresse

zuwiderläuft, ist als G r u n d p r ä m i s s e allenthalben präsent. U m s o nachdrücklicher b e t o n e n die B e f ü r w o r t e r der E r b m o n a r c h i e , daß dieses M o d e l l herrschaftsten nicht nur dessen eigene Person und Position zerstörten, sondern auch dessen Familie und Dynastie. Vgl. zu diesen Komponenten insgesamt u.a. Müller, Praesidia (wie vorhergehende FN), und Philipp Scherb: De natura politicae, item De rectae iuvenum institutione sententia, Frankfurt 1608. Ein eindrucksvolles Dokument akademischer Einübung junger Fürsten in die Politik ist Thomas Lansius, Friedrich Achilles Herzog von Württemberg: Consultatio de principatu inter provincias Europae, Tübingen 1620; in dieser Sammlung sind öffentliche Vorträge des Friedrich Achilles, Franz Karls Herzog von Sachsen und junger Freiherren abgedruckt, in welchen sie monarchische Staaten beschreiben bzw. die monarchische Staatsform explizieren und verteidigen sollten. Eine wichtige Zusammenstellung zur Theorie der Peregrinatio academica und damit der Bildungsreise der Zeit im Ganzen ist Justin Stagl (Hg.): Apodemiken. Eine räsonnierte Bibliographie der reisetheoretischen Literatur des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, Paderborn 1982. J. H. Boeder: De Colloquiis & congressibus Principum, in: ders., Dissertationes Academicae, Pars I, (FN 37), S. 1018-1036; der Schwerpunkt der Ausführungen liegt jedoch auch hier auf der öffentlich-staatlichen Relevanz derartiger Treffen. J. H. Boeder: Comitia Imperii sive Electio Successoris descripta ex C. Cornelio Tacito 1. Histor. 12 & seqq., in: Dissertationes academicae, Pars II (FN 37), S. 835-872, hier S. 871.

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Ii eher Kontinuitätsstiftung den Vorteil mit sich bringe, die bei derartigen Wahlen üblichen Nachfolgekonflikte (turbationes) von vornherein zu vermeiden. 7 5 Welche verschiedenen Möglichkeiten erbrechtlicher

Nachfolgebestimmung

bestehen, ist ebenso geläufig. In der zentralen Dissertatio historica de variis modis decernendi

successorem

Gotthelf Struve von

in regnis des Juristen und Historikers

1703 werden vier prinzipielle Lösungen

Burcard angeführt

(Primogenitur, testamentarische Bestimmung, Deklaration durch den Vorgänger, Losentscheid) und in ihrem historischen Auftreten kritisch diskutiert. 76 A n politikwissenschaftlich-juristisch-historischen Darstellungen der faktischen Erbfolgen einzelner Dynastien fehlt es ebenfalls nicht. 7 7 Damit zeichnet sich bereits ab, daß aus der Sicht der Politikwissenschaftler Erbteilungen keine gangbare Lösung darstellen. Die Begründung dafür formuliert in prägnanter Kürze und bezeichnender Reihenfolge der Gießener Jacob Le Bleu: "Divisionibus offuscatur familiae splendor, imminuitur auetoritas, statusque periculo exponitur". 7 8 Demgegenüber scheint die am nachdrücklichsten empfohlene Primogenitur sowohl rechtlich breiter abgestützt zu sein als auch politisch die entscheidenden Vorteile auf sich zu vereinen.

Vgl. bereits Jean Bodin: Methodus ad facilem historiarum cognitionem [1566], Strasburg 1599, S. 295415, besonders 404-414: In monarchia fugienda est electio; ferner Christoph Besold: De electione et successione Dissertationes nomico-politicae, Tübingen 21617, besonders S. 78-89: Tractätlein, wie ein fürstlich Hauß zu erhalten; Le Bleu, Princeps successor (FN 48), S. 8-12; Gottfried Strauß (Praes.), Johann Laubenter (Resp.): Thema politicum utrum electio an successio in regno sit praeferenda, Leipzig 1666; Caspar Esias Siegfried (Praes.), Johann Schilling (Resp.): De regno successivo diatribae politica, Weisenfels 1667, sowie Carl Andreas Redel (Praes.), Georg Christian Ackermann (Resp.): Dissertatio Politica utrum electio magistratus melior sit successione, Leipzig 1691. Ein Befürworter der electio ist Peter Ernst Soetefleisch: Characterismi Poütici, o. O. 1659, S. 62-66. Burcard Gotthelf Struve (Praes.), Johann Conrad Welsius (Resp.): De variis modis decernendi successorem in regnis dissertatio historica, Jena 1703; zur Sprache kommen ferner die (systematisch mit der testamentarischen Bestimmung bzw. Nachfolgerdeklaration gleichzusetzende) Adoption eines Nachfolgers, die Bestimmung durch formelle Übertragung (oder gewaltsame Aneignung) der entsprechenden Herrschaftssymbole und die faktische Nachfolgeregelung durch Krieg und Sieg eines Prätendenten. Vgl. exemplarisch Carl Otto Rechenberg (Praes.), Christoph Johann von Münchhausen (Resp.): Dissertatio de successionibus in serenissima Guelfica Domo usitatis, Leipzig 1716, sowie die bei Arnd, Bibliotheca (wie FN 38) verzeichneten einschlägigen politischgenealogischen Werke. Le Bleu, Princeps successor (FN 48), S. 15-16, vgl. nochmals ausführlich S. 28: "Divisio est ordinata ad destruetionem subiecti, & unio ad conservationem dignitatis, decoris & splendoris familiae": ähnlich Soetefleisch, Characterismi (FN 75), S. 66-67: divisio bewirke nichts anderes als infirmitas futura.

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Für das Erstgeburtsrecht plädiert angeblich bereits die Bibel. Ferner bevorzugt es die Natur zumindest faktisch, indem sie regelmäßig nicht für eine gleichzeitige Geburt aller Nachkommen, sondern für aufeinanderfolgende, zeitlich versetzte Geburten sorgt. Diese Grundlagen hätten der Primogenitur entsprechende Absicherung im ius gentium & naturale und in der Tradition des ius feudale verschafft. Von diesen Vorgaben abweichende Lösungen zu wählen würde dementsprechend nur vermeidbare, gefährliche Verwirrung schaffen. Weil die Konkretisierung des Erstgeburtsrechts letztlich Gott überlassen bleibt, darf und muß das Ergebnis dieser Konkretisierung höchste Legitimität für sich beanspruchen, das heißt, es wird am wenigsten umstritten sein. Darüberhinaus hat die Primogenitur den Vorteil der Einfachheit und damit Voraussehbarkeit für sich. Schließlich enthält sie bereits eine ebenso plausible Verfahrensregel für den Fall, daß der Erstgeborene stirbt oder sonstwie ausfällt: der Nächstgeborene rückt nach. 79 Zwar gibt es auch Zweifelsfälle, so z.B. bei der Anwendung des Kaiserschnitts im Falle von Zwillingsgeburten, wie eine juristische Dissertation ausführlich darlegt. 80 Außerdem werde sich Neid und Zank seitens nachgeborener Brüder auch durch beste Erziehung und großzügigste Apanagierung nie ganz ausmer-

Vgl. zusammenfassend und mit weiteren Literaturangaben Neumann, Meditationes (FN 40), Bd. V: De haereditatibus & successionibus Principum, S. 20-53 und 103-148; speziell Le Bleu, Princeps successor (FN 48), S. 19-22; Andreas Tiraquell: De Nobilitate et jure primogenitorum, Frankfurt a.M 1597, und Nicolaus Betsius: Tractatus nomico-politicus ad usum Germaniae potissimum accomodatus de statutis, pactis & conventionibus familiarum illustrium et nobilium, Ulis praesertim quae Jus primogeniturae concernunt, Frankfurt a.M. 1611 [21661, 31699], S. 206-425 (das Standardwerk!). Einfache, flexibel handhabbare Statuta successionis verlangt auch Soetefleisch, Characterismi (FN 75), S. 70: "Statuta ita tarnen, ut tempori ad novos rerum casus inserviant". Johannes Klein (Praes.), Christoph Damm (Resp.): Disputatio iuridica De dubiae Primogeniturae Jure, vulgo Von dem Recht der zweiffelhaften Erstgeburt, in: Johannes Klein: Volumen Dissertationum iuridicarum, Berlin 1706, S. 829-880. Die Darstellung beginnt mit einer ausführlichen Liste derjenigen Staaten und Dynastien, welche die Primogenitur praktizieren. Die Problematik des Zwillings-Kaiserschnitts liegt darin, daß in diesem Fall kein Kind "primo vulvam Matris aperuit, exque ilia primus erupit" und sich dadurch als Primogenitus zu erkennen geben kann (S. 840). Die Meinungen der Gelehrten über die Lösung des Problems gingen auseinander. Manche plädierten dafür, beide als Primogeniti zu betrachten und den dynastischen Besitz auf dieser Basis zu teilen oder abwechselnd verwalten zu lassen (Mutschierung). Andere wollten keinen akzeptieren, sondern dem Vater das Recht der Bestimmung des Erstgeborenen zugestehen, wobei sich dieser an der Größe bzw. der Kraft oder dem Aussehen orientieren könne. Die Verfasser selbst bevorzugen einen Losentscheid, weil auf diese Weise Gottes Ratschluß eingeholt bzw. nachgeahmt werden könne. Vgl. zum gleichen Thema auch Antonio Perez: Ius publicum, quo Arcana & Iura Principis exponuntur, Frankfurt a.O. 1668, S. 25-26; zum Verfasser (1540-1611) dieses tacitistisch-lipsianischen Beitrags, dem berühmten, später gestürzten und nach England geflohenen Sekretär Philipps Π., s. umgreifend Gustav Ungerer: A Spaniard in Elizabethan England. The Correspondence of Antonio Perez's Exile, 2 Bde., London 1974-1976.

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zen lassen. 81 Auch in Bezug auf den Staat bzw. die utilitas publica stelle die Primogenitur jedoch unzweifelhaft die beste Lösung dar. Nicht nur die übrigen Dynastieangehörigen, sondern auch die Untertanen der Dynastie werden eine unmittelbar auf Gott zurückführbare Nachfolgerwahl am ehesten für legitim halten und deshalb akzeptieren. Die auctoritas dieses Nachfolgers wird demzufolge deutlich größer sein als diejenige eines auf andere Weise in sein A m t Gekommenen. Die Einfachheit und Berechenbarkeit der Primogenitur entsprechen ferner dem Gewißheits- bzw. Sicherheitsbedürfnis der Untertanen. Diese Lösung versetzt sie außerdem in die Lage, das Heranwachsen des künftigen Fürsten mehr oder weniger direkt zu beobachten, zu begleiten und seine Entwicklung scheinbar beurteilen zu können, was ihrer Mentalität ebenfalls entgegenkommt. Indem alle Untertanen ihre Hoffnungen und Erwartungen auf den einen, unbezweifelbar einzig legitimen Thronfolger setzen, optimiert das Erstgeburtsrecht den Vorteil der Monarchie, Uneinigkeit und Zwist gar nicht erst aufkommen zu lassen bzw. strukturell zu bekämpfen. Der Ubergang der Herrschaft v o m Vater zum Sohn wird daher fast unmerklich vonstatten gehen können; Interregna oder gefährliche Weiberherrschaft werden vermieden. Auf der anderen Seite erleichtert es das Erstgeburtsrecht, den Nachfolger optimal auf seine künftige Verantwortung vorzubereiten. Von Gott vor anderen auserwählt zu sein, bedeutet eine umso tiefere Verpflichtung, sich an seinem vorbestimmten Platz zu bewähren. Familiäre Prägung, Erziehung und herrschaftliche Ausbildung können langfristig und gezielt, unter flexibler Anpassung an die wechselnden Umstände, angelegt werden. Nicht nur die Verheiratung des Prinzen ist frühzeitig und strategisch planbar, sondern auch dessen Heranführung an die und Vertrautmachung mit den soziopolitisch wichtigen Gruppen und Individuen sowie der Masse der Untertanen des Landes. Für besonders wichtig erachtet die Diskussion im übrigen den langfristigen Aufbau und die selbsttragende Verpflichtungskraft der Ehre bzw. des Rufes (fama, existimatio) und der Vorbildhaftigkeit des erstgeborenen Thronfolgers. 8 2 Allerdings werden durchaus auch Gefahren gesehen, z.B., daß der erstgeburtlich legitimierte und designierte Thronfolger aus Ungeduld gegen seinen noch amtierenden Vater zu intrigieren beginnt. 83

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Le Bleu, Princeps successor (FN 48), S. 20-21; zur Apanage Betsius, Tractatus de statutis (FN 79), S. 218-229; Neumann, Meditationes (FN 40), Bd. V, S. 150-172, vgl. für weitere Literatur auch Bd. IX, S. 17-18. Le Bleu, Princeps successor (FN 48), S. 28-40 und 157-161: nicht nur "viribus, sed verum & nominis existimatione statum conservabit Princeps" (S. 157); [Philipp Andreas Oldenburger]: Politica curiosa sive Discursus de statistis Christianis eorumque officio & iure politico potissimum extraordinario per Rationem Status prudenter in Politicis applicando, Osterode 1686, S. 412-430; Perez, Ius publicum (FN 80), S. 4, 7, 11, 24-25, 3234 u.ö. Perez, Ius publicum (FN 80), S. 43-44; Mittel gegen diese Gefahr sind die Wegsendung des Prinzen zur Bewährung in abgelegene Provinzen oder ins Ausland, sowie die harte Bestrafung seiner Mitintriganten; wichtiger ist jedoch die Prävention durch gute Erziehung und konsequente Ausübung der väterlichen Herrschaft über den Sohn, vgl. Myler, Gamologia (FN 48), S. 479-498 und allgemein Arnisaeus, De iure connubiorum (FN 54), S.7-18.

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Was schließlich die eigentliche Problematik des Erstgeburtsprinzips betrifft, nämlich daß mit ihm keineswegs stets der jeweils geeignetste Nachfolger den Thron besteigt, sondern gegebenenfalls auch ein schlechter bzw. ungeeigneter {malus aut ineptus) bevorzugt wird, so wird auch dieser Sachverhalt klar erkannt und breit diskutiert. Knapp zusammengefaßt, überwiegt folgende Einschätzung: Erstens sei die empirische Relevanz der Problematik nicht sonderlich groß; das heißt, daß nachgeborene Söhne augenscheinlich tüchtiger sind als ihr ältester Bruder, komme nicht allzu häufig vor. Zweitens könne durch entsprechend angepaßte Erziehung und Ausbildung, mittels Einbezug besonders geeigneter Ratgeber oder gezielte Einbindung der Nachgeborenen in die konkrete Herrschaftsausübung mancher Ausgleich erreicht werden. Drittens ermögliche es im Notfall eben die Primogenitur, ungeeignete Erben nach festem (berechenbarem, die Gefährlichkeit des Herrschaftsübergangs reduzierendem) Nachfolgeprinzip auszuwechseln.84 Während demgegenüber der Losentscheid bestenfalls als Notlösung in besonderen Fällen gilt, widmen die Politikdenker den Verfahren testamentarischer oder vertraglicher {pacta familiarum) Erbregelung deutlich mehr Aufmerksamkeit. Allerdings werden diese Möglichkeiten vornehmlich auf den Fall des Fehlens bzw. nicht anderweitig beschaffbarer männlicher Erben (in casu deficientium masculorum) bezogen. Die Attraktivität dieser Lösungen liegt offenkundig in deren Rechtsförmigkeit und der dadurch gegebenen Möglichkeit, sie umfassend rechtlich abzusichern. Bei Nikolaus Betsius z.B. sind zu diesem Zweck die notarielle Beurkundung von Testament oder Vertrag, die formelle Vereidigung des bzw. der vorgesehenen Erben auf das väterliche Testament bzw. den Erbvertrag sowie ein ausdrückliches Verbot für Beamte und Untertanen vorgesehen, jemand anderem als dem testamentarisch oder vertraglich bestimmten Nachfolger Gehorsam zu leisten; zusätzliche Bekräftigung soll die Abmachung durch eine kaiserliche confirmatio erhalten. Mit anderen Wor84

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Vgl. Soetefleisch, Characterismi (FN 75), S. 62-66, und ausführlich Burcard Gotthelf Struve (Praes.), Alexander von Kalkreuth (Resp.): De successione secundogeniti prae primogenito in regna et principatus, Jena 1733. Zu einem der wichtigsten Auswechslungsgründe, dem Befallenwerden des Erstgeborenen durch eine Geisteskrankheit, liegen umfangreiche, hier nicht weiter erörterbare Texte vor, vgl. zur Realgeschichte dieser Problematik jetzt H. C. Erik Midelfort: Mad Princes of Renaissance Germany, Charlottesville-London 1994. Betsius, Tractatus de statutis (FN 79), S. 426-517 und 541-556, mit Abdruck eines entsprechenden Formulars, Eidesformel usw.; Boeder, De Perpetuitate (FN 37), S. 899; vgl. ferner grundlegend Bartholomaeus Kellenbentz: De renunciatoribus successionum qua Magnatum, Ulsutrium atque Nobilium familiarum foeminae, fratribus proximioribus suis agnatis, successionem paternam, maternam, fraternam, vel aliam quamcumque, fa-

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ten, es geht um Geltungssicherung durch Vereidigung der betroffenen Dynastieangehörigen, Einbezug dynastiefremder Zeugen und Garanten sowie Verkoppelung der dynastischen dispositio mit dem allgemeingültigen Recht - Verfahren, die jedoch unzweifelhaft die Handlungsfreiheit des Nachfolgers einschränken und insofern die Grundfrage aufwerfen, ob und inwieweit ein Thronfolger überhaupt zu bestimmtem Verhalten verpflichtet werden kann. Die Lösung dieses Problems erfolgt im Geiste Bodins: die dynastischen Erbregelungen sollen zu leges fundamentales transformiert und dadurch dem Zugriff des jeweils herrschenden Dynastievertreters bzw. Fürsten entzogen werden. 86 Es ist offenkundig, daß nicht nur dieser Debatte um die dynastisch und politisch günstigste Erbfolgeordnung, sondern auch der nachfolgend nochmals aufzugreifenden Diskussion um das fürstliche Eherecht eine durchaus skeptische Einschätzung der politischen Bedeutung fürstlicher Verwandtschaft zugrundeliegt. Tatsächlich sind die Politikdenker dieser Epoche von naiven Vorstellungen weit entfernt, wie beispielsweise das in der lateinischen Fassung anonym erschienene, weit verbreitete politische Bildungshandbuch Institutio viri publici belegt. Diese aus der Feder des Historikers und Politikers Jean de Marnix stammende Schrift machte dem lateinischsprechenden Europa die einschlägigen, besonders drastischen Erfahrungen der französischen Königsdynastie zugänglich.87 Durch Heirat gestiftete affinitates Principum können dem Staat nützen, indem sie helfen, Spannungen, Feindschaften und Konflikte zwischen Herrschaftsträgern abzubauen, Reiche zu vergrößern und die Reputation der Dyna-

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miliae decus ut inde auctius & stabilius reddatur, solemniter & spontanee cedunt, Tübingen "1624 [31655], mit ausführlichen dynastiesystematischen Erwägungen; Heinrich Hahn (Praes.), Johannes Klövehorn (Resp.): De Jure Hereditario et remediis pro eo competentibus, Helmstedt 1663 [unpag.], Kap. XLVE: De pactis successoribus Hlustrium personarum, mit u.a. folgenden unmißverständlichen Aussagen: "Recepta autem sunt eiusmodi pacta, ex speciali ratione, publicae seil, utilitatis, ut ex mutua successione, defensione, fide & concordia fraterna, senescentium Dlustrium famüiarum, splendor & dignitas conservetur. Adeoque inter solos tantum Illustres valent, non vero inter privatos"; Myler, Gamologia (FN 48), S. 154-155 u.ö. (Einbezug des Kaisers, der Stände usw.); Neumann, Meditationes (FN 40), Bd. V, S. 54-102 (mit weiterer Literatur). Einen Sonderfall behandeln aus iuristisch-politischer Sicht Ernst Friedrich Schroeter (Praes.), Johann Georg Klein (Resp.): Pactum successiorum inter unitos diversi matrimonn liberos, Jena 1663. Systematisch Johann Heinrich Böttcher (Praes.), Julius Basil Pape (Resp.): Dissertatio iuridica de obligatione successoris, Helmstedt 1682, weniger systematisch, aber stärker unter politischen Gesichtspunkt argumentierend Perez, Ius publicum (FN 80), S. 54-56 und 70-81, sowie Le Bleu, Princeps successor (FN 48), passim. Im Hinblick auf die im vorhergehenden Abschnitt angeschnittene Diskussion um die Bedeutung der Primogenitur für die Hervorbringung von leges fundamentales ist somit festzustellen, daß das Verfahren der (nicht ausschließlich auf die Primogenitur festgelegten) testamentarischen und vertraglichen Erbenbestimmung für diese Hervorbringung als zumindest ebenso bedeutsam eingeschätzt werden muß. [Marnix], Institutio (FN 61), Pars V: De Affinitatibus, S. 175-183.

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stien zu steigern.88 Sie können sich jedoch auch als schädlich (detrimentiosae) herausstellen, und zwar sowohl aus prinzipiellem als auch spezifischem Grunde. Generell gilt, daß Verwandtschaft stets in der Gefahr steht, zu einem "campus fertilissimus certaminum & querelarum" zu werden.89 Fürstliche Verwandtschaft vervielfacht diese Gefahr, weil es bei ihr um den Verlust oder Gewinn bedeutenden Reichtums, einflußreicher Beziehungen oder herausragender Macht geht. Die Angehörigen der Dynastie entwickeln daher unstillbare aemulationes, die leicht in ebenso endlosen Streit und tödliche Feindschaften umschlagen können. Weitere Gefahr von Konflikt und Krieg entsteht aus der Vielzahl, der räumlichen Nähe und der fortschreitend sich verschärfenden Konkurrenz der europäischen Dynastien: "Nostra Europa misera, quam multis seculis expers fuit pacis? Jactatur assiduis bellis aut dissidiis. Quare? Quia Regna aut Dynastiae [!] parvis aut modicis finibus inclusae, semper in vicinos causam habent timendi vel sperandi, quaerendi, vel ulciscendi".90 Zur Austragung dieser Konflikte und zur Realisierung bzw. Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft sind die Dynastien auf Unterstützung durch ihre Untertanen angewiesen. Wie stellen sich die Politologen der Zeit deren Gewinnung, Verpflichtung und Mobilisierung für die dynastischen Belange vor? Erwartungsgemäß findet zunächst das Instrument der Huldigung bzw. des Huldigungseids große Beachtung. Objekt dieser mehr oder weniger erzwungenen Selbstverpflichtung der Untertanen ist jedoch, wie sich bei näherem Zusehen zeigt, in erster Linie der jeweils herrschende Fürst und nicht dessen Dynastie, die in vielen Huldigungsformeln direkt überhaupt nicht erwähnt ist. Diesem Verfahren liegen offenbar zwei Überlegungen zugrunde. Erstens wird von der angeblich vernunftlosen, affektbestimmten, wankelmütigen Natur des gemeinen Volkes die Notwendigkeit abgeleitet, ihm eine unmittelbar sinnlich 88

Myler, Gamologia (FN 48), S. 27-84; [Marnix], Institutio (FN 61), S. 177; vgl. zu diesem Komplex auch die oben gemachten Ausführungen. Durch Heirat erworbene Gebiete zu einem geschlossenen Reich zu vereinigen (ex diversorum nationum & provinciarum unum regnum formare) muß jedoch als äußerst schwierige Aufgabe betrachtet werden. Zur zeitgenössischen Einschätzung des Nutzens der Vergrößerung des Staatsgebiets vgl. unsere Bemerkungen im vorliegenden Abschnitt weiter unten.

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[Marnix], Institutio, wie vorhergehende Fußnote. Justus Lipsius: De magnitudine Romae, Leiden 1602, zitiert nach Johann Friedrich Reinhard: Theatrum Prudentiae Elegantioris ex Justi Lipsii Libris Politicorum erectum, Berlin 1702, S. 1775; [Marnix], Institutio, wie vorhergehende Fußnote; Myler, Gamologia (FN 48), S. 21, 24: Heiraten mit auswärtigen, gewinnbringenden Partnern reizt die cupiditas imperii an; von diesem Laster werden auch und bevorzugt die entsprechenden Prinzessinnen und dann Fürstinnen erfaßt, deshalb ist Vorsicht bei der Vermählung mit derartigen Frauen angebracht. Vgl. die ausführlichen Erörterungen über den Krieg und das ständig gebotene Mißtrauen gegenüber Rivalen und Feinden bei Cerizier, Französischer Tacitus (FN 54), S. 304-341.

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erfahrbare, konkrete Bezugsperson geschuldeten Gehorsams anzubieten. Zweitens soll möglicherweise vermieden werden, über zu direkte Bezugnahme auf die Herrscherfamilie im Rahmen dieses zentralen politischen Aktes Spekulationen über (anzunehmende oder offenkundige) private Interessen dieser Familie auszulösen oder anzuheizen.91 Als Komponenten indirekter Verpflichtung der Huldigenden auf die Dynastie sind die Erwähnung des Vaters oder der Vorväter des neuen Fürsten, die Verwendung dynastietypischer fürstlicher (Vor-)Namen einschließlich gegebenenfalls deren Durchzählung sowie letztlich die Verwendung der immer gleichen Huldigungsformeln zu werten. 92 Genauer zu untersuchen wäre im übrigen, ob in der zeitgenössischen Rezeption auch dem Gebrauch des Pluralis majestaticus ein dynastischer Akzent innewohnte. In der Erörterung der Mittel und Effekte der allgemeinen Herrschaftsrepräsentation sind die Bezüge zur Dynastie zahlreicher und enger. Genannt sind vor allem die stets stärker dynastisch-familiär als einzelherrscherlich-individuell ausgerichtete Heraldik 93 , der Gebrauch dynastie- bzw. hoftypischen Zeremoniells, die Umfunktionierung 'privater' Vorgänge wie Geburt, Geburtstag, Heirat und Tod von Dynastieangehörigen zu öffentlichen Ereignissen zwecks Erzeugung sentimentaler Loyalität sowie der demonstrative öffentliche Ahnenkult. 94

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Vgl. zu diesem Komplex knapp Cerizier, Französischer Tacitus (FN 54), S. 409-412, sowie ausführlich und mit weiteren Aspekten und Literaturhinweisen Johann Eisenhart (Praes.), Franz Andreas Voigt (Resp.): De Homagio, vulgo von Erb-Landes-Huldigung, Helmstedt 1682. In der neueren Literatur wird der dynastische Aspekt kaum diskutiert, vgl. Paolo Prodi: D sacramento del potere. Π giuramento politico nella storia costituzionale dell' Occidente, Bologna 1992, S. 227-282, und von germanistischer Seite Georg Braungart: Hofberedsamkeit. Studien zur Praxis höfisch-politischer Rede im deutschen Territorialabsolutismus, Tübingen 1988, mit Abdruck einer auf die Dynastie ("Successorn und Nachkommen") bezogenen brandenburgischen Huldigungsformel.

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Vgl. die verstreuten Anknüpfungspunkte für diese These bei Eisenhart-Voigt, De Homagio (wie vorhergehende FN), ferner in allgemeinerem Horizont Nicolaus Myler ab Ehrenbach: Nomologia ordinum Imperialium, h.e. Principum & aliorum statuum Imperii Rom. Germanici obligatione legali, seu legalitate Uber singularis, Tübingen 1663 (breite Diskussion u.a. von fürstlichen Bekräftigungsformeln und deren iuristischpolitischer Wirkung). Explizite Diskussionen über die (interne und externe) dynastische und die politische Funktion fürstlicher Namengebimg konnten bisher nicht eruiert werden. Vgl. die ausführlichen Erläuterungen und Literaturnachweise bei Arnd, Bibliotheca (FN 38), S. 455-473. [Marnix], Institutio (FN 61), S. 181-183; Thurmann, Bibliotheca Statistics (FN 39), S. 1921, ferner zu den Funktionen des Zeremoniells nach einem der wichtigsten Zeremonielltheoretiker Wolfgang Weber: Zeremoniell und Disziplin. J. B. von Rohrs Ceremo-

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Völlig im Klaren ist sich die politiktheoretische Debatte über die herrschafts- bzw. herrscher- und dynastiestabilisierende Funktion der Erzeugung spezifischer Autorität (autoritas, fama, existimatio) und in diesem Zusammenhang des politisch-ideologisch-juristischen Konstrukts fürstlicher sacrosanctitas und deren Schutzrechts, des cnmen laesae majestatis. Diese Konstrukte sind eben nicht auf die Person des Souveräns beschränkt, sondern beziehen dessen Ahnen und Familienangehörigen ein.95 Ähnliche Tendenzen und Wirkungen lassen sich den Konzeptionen des Gottesgnadentums und des Patriarchalismus zusprechen.96 Um sie und die übrigen Ideologeme der Erzeugung untertänigen Gehorsams durchzusetzen, bedarf es freilich zielgerichteter Erziehung und Konditionierung der Untertanen. Peter Müller ordnet in seinen Praesidia die Erziehung der Untertanen daher unmittelbar derjenigen des Fürsten nach. In Übernahme einer Feststellung des Petrus Tholosanus kennzeichnet er sie eindeutig als funktional herrschaftlich: sie soll einerseits veranstaltet werden, damit die Untertanen nicht "universum coetum, civilem rempublicam & ejus administrationem conturbant" oder in (wirtschaftlich oder politisch) schädlichen Müßiggang verfallen. Andererseits dient sie der Rekrutierung geeigneter Bedienter und der Festigung der je besonderen Aufgaben und Leistungen der Stände und Professionen. In jedem Fall steht die Erziehung zur Frömmigkeit (pietas) an erster Stelle, weil sie "prora quasi ac puppis omnis felicitatis & sapientiae" darstelle.97 Daß hier bewußt ein politisch-staatliches Erziehungs- und

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niel-Wissenschafft (1728/29) im Kontext der frühneuzeitlichen Sozialdisziplinierung, in: Jörg Jochen Berns, Thomas Rahn (Hg.): Zeremoniell als höfische Ästhetik im Europa des 15. bis 18. Jahrhunderts, Tübingen 1995,1-20. Müller, Praesidia (FN 55), schätzt in Kapitel ΧΠ: De autoritate seu existimatione Principis (S. 232-250) die Autorität des Fürsten als dessen "optimum praesidium" ein (S. 232), denn sie erzeuge reverentia subditorum und helfe deshalb über widrige Phasen monarchischer Herrschaft hinweg. Die Familie bzw. Dynastie des Fürsten ist dabei integral miteinbezogen: deren fama und existimatio beeinflussen die Reputation des Fürsten unmittelbar. Vgl. ferner Boeder, De Perpetuitate (FN 37), S. 884-890, mit Hinweis auf die Stabilisierungsstrategie der antiken Principes, sich zu Göttern zu erheben, und den mit dieser Hochsteigerung fürstlicher Unantastbarkeit zur sacrosanctitas angestrebten Effekt, jeglichen Angriff auf den Fürsten zur Sünde zu machen. Zur Frage des crimen laesae majestatis s. knapp Weber, Prudentia (FN 36) S. 271-272, und Crimen laesae maiestatis, in: Zedlers Universal-Lexicon 6 (1733) Sp. 1645, mit der eindeutigen Definition: "das Laster der beleidigten Majestät, welche entweder mit Worten oder Wercken, wider das gemeine Wesen, oder dessen, bey welchem die höchste Herrschafft ist, Sicherheit, Ehre und Gewalt, begangen wird". Vgl. Münch, Obrigkeit (FN 65) und für eine einschlägige Quelle Friedrich Geisler (Praes.), Michael Heinrich Hagelganß (Resp.): De titulo Nos Dei Gratia, Wir von Gottes Gnaden, Leipzig 1677. Müller, Praesidia (FN 55), S. 23 und 26-28.

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Ausbildungswesen angezielt wird, dessen wichtigstes Instrument die allerdings auf die Eliten beschränkte Universität ist, machen weitere einschlägige Traktate deutlich.98 Kaum eingehender Darstellung bedarf, daß auch die Notwendigkeit erkannt ist, sich in dieser oder jener Form und in diesem oder jenem Maß den Interessen relevanter Untertanengruppen bzw. der Untertanen insgesamt zu öffnen. In diesem Rahmen zielt die Argumentation zunächst darauf ab, das unreflektierte, spontane fürstlich-dynastische Eigeninteresse zu kanalisieren und zu zügeln. Die unübersehbare Neigung der Herrschenden, zu ungehemmt "um sich fressenden Staats-Herren" zu degenerieren, unterminiert mittel- und langfristig die eigenen Herrschaftsgrundlagen.99 Sie widerspricht damit dem wohlverstandenen Eigeninteresse bzw. der wahren dynastischen Räson. Bewußtheit in der Profitabschöpfung und im Konsum, Planung und Sparsamkeit dienen unmittelbar der Dynastie, sind nicht als unzumutbare Einschränkungen standesgemäßer Lebensführung des individuellen Herrschers aufzufassen. Darüberhinaus ist demonstrative Bescheidenheit bzw. der Verzicht auf offenes Wohlleben naturgemäß auch der Akzeptanz der Herrschenden bei den Untertanen förderlich. Vor allem darf nicht der Eindruck entstehen, daß sich Fürst und Dynastie unmittelbar der Finanzen der Untertanen bedienten. Die Politikdenker des 17. Jahrhunderts legen deshalb entschiedenen Wert darauf, die Legitimität der Erhebung von Abgaben und Steuern bzw. der Ausgabe dieser Mittel auf den öffentlichen Bereich, die Erfordernisse des Staates, zu beschränken. Noch lieber wäre ihnen sogar, auf diese Geldabschöpfungen überhaupt verzichten und alle Staatskosten aus der fürstlichen Domäne bestreiten zu können. Grundlage dieser Auffassung sind unverkennbar nicht nur herrschaftstechnische Erwägungen (Vermeidung gefährlicher Empörung, Unzufriedenheit und Armut), sondern auch die Uberzeugung, den zur Realisierung der felicitas des Einzelnen (konkret: des einzelnen Hausvaters) wie der Gesamtheit unerläßlichen jeweili-

Z.B. Caspar Ziegler (Praes.), Michael Friedrich Lederer (Resp.): Exercitatio de Juribus Majestatis, agens de Jure erigendi Academias, creandi Doctores, Licentiatos, Magistros, Baccalaureos, Poetas, & Notarios publicos, Wittenberg 1673, grenzen den politischstaatlichen Erziehungs- und Ausbildungsanspruch systematisch von demjenigen des Hausvaters, der Kirche und der Gemeinden (Städte) ab. Johann Elias Keßler: Detectus ac a fuco politico repurgatus candor... rationis status boni principis, Das ist Reine und Unverfälschte Staats-Regul christlicher Staats-Fürsten und Regenten, Nürnberg 1678, S. 303; vgl. Wolfgang E.J. Weber: Staatsräson und christliche Politik. Johann Elias Keßlers Reine und unverfälschte Staats-Regul (1678); in: A. Enzo Baldini (Hg.): Aristotelismo politico e ragion di Stato, Florenz 1995, 157-180.

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gen persönlichen Besitz schützen zu müssen.100 Daß dennoch die Neigung besteht, in der Definition des öffentlichen Interesses gegebenenfalls dynastischen Bedürfnissen entgegenzukommen, zeigt die überwiegende Befürwortung der Fräuleinsteuer, also der zwecks standesgemäßer Vermählungsausstattung einer Prinzessin erhobenen Sonderabgabe.101 Zum Problemkomplex der Öffnung des dynastischen Interesses für andere Interessen zählen jedoch nicht nur defensiv die möglichste Achtung der materiellen Interessen anderer, sondern auch die Achtung anderer, nämlich immaterieller Interessen, sowie offensiv die Förderung dieser Bestrebungen und Zwecke. Der Fürst soll sich auch nachdrücklich des Schutzes der Ehre bzw. Reputation der Individuen, Familien, Stände und Gruppen annehmen bzw. entsprechend materielle und immaterielle Prämien für Wohlverhalten und konstruktive Leistung aussetzen. Die Konzepte und Kategorien, unter welchen alle diese Bestrebungen zusammengefaßt werden können, sind hinlänglich bekannt. Es geht um (geometrische und distributive) Gerechtigkeit und - in der Diktion Max Webers - "die Legende des Patrimonialismus", den "Wohlfahrtsstaat", das Gemeinwohl (bonum commune). Wenn die Beförderung dieses Gemeinwohls zeitgenössisch zur Voraussetzung der felicitas Principum

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Vgl. exemplarisch Perez, Ius publicum (FN 80), S. 198 (nimia paupertas und nimiae divitiae sind zu meiden); Le Bleu, Princeps successor (FN 48), S. 45, 65-67 u.ö. (keine Armut entstehen lassen, keine zu harten Abgaben erpressen); Müller, Praesidia (FN 55), S. 61-79 (Ehepolitik auf der Grundlage der Anerkennung des Eigentums bzw. des Verzichts auf Abgaben, die in die Armut treiben); Anton Euonymus (Praes.), Albert Grawe (Resp.): Theses de politica hominis felicitate, Wittenberg 1593; [Anonym] Beschreibung eines verbesserten Fürstenstaats durch drey getreue Ministros, o.O. 1699 [umfassend zum gesamten Themenkomplex]; Waremund de Erenbergk: Verisimilia Theologica, iuridica et politica: de regni subsidiis ac oneribus subditorum, Frankfurt 1606; Bartholomaeus Keckermann (Praes.), Simon Clugius (Resp.): Cursus Philosophic! disputatio XXXIV: Quae est Politica sexta De Aula Principis, deque eiusdem reditibus; de cura Principis circa mortem; denique de officio subditorum, Danzig 1608 (strenge Unterscheidung des 'privaten' Hofstaates vom öffentlichen Hof, Mahnung zur Sparsamkeit im eigenen Interesse, usw.). Aus der einschlägigen Literatur zur Theorie der Staatsfinanz sei lediglich vermerkt Michael Stolleis: Pecunia nervus rerum. Zur Diskussion um Steuerlast und Staatsverschuldung im 17. Jahrhundert, in: ders., Pecunia nervus rerum. Zur Staatsfinanzierung der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1983, S. 63-128. Ahasver von Fritsch: Diatribe de donatione filiae principis & in specie de collectis maritagii, vulgo Fräuleinsteuer, Gera 1671; Georg Heinrich Hinüber: Exercitatio de iure statuum S. R. G. I. dotis subsidia filiarum illustrium a subditis exigendi per observantiam stabilito, Frankfurt und Leipzig 1756.

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erklärt wird, so ist dieses Argument demnach zunächst durchaus wörtlich und ernst zu nehmen. 1 0 2 N o c h über die Forderung nach Verzicht auf Ausbeutung einerseits und nach Leistung für die Allgemeinheit im ureigensten, wohlverstandenen Interesse hinaus geht schließlich die ebenfalls unermüdlich wiederholte Mahnung, sich V o l k und Vaterland auch emotional zuzuwenden, das heißt es bzw. sie zu lieben. Denn ohne diese Zuneigung gelte unter der Perspektive der Herrschaftsstabilisierung, daß sich Volk und Fürst bzw. Dynastie fremd blieben. Ein entfremdetes Volk werde sich jedoch einer Verdrängung seines angestammten Fürsten nicht widersetzen, und ein entfremdeter Fürst werde sein V o l k weder jemals richtig zu verstehen und zu behandeln wissen noch jemals das für den langfristigen Bestand seiner und seiner Dynastie Herrschaft erforderliche Verantwortungs- und Dankbarkeitsgefühl entwickeln. 103 A u c h zur Indienstnahme der Kirche und von deren Möglichkeiten liegt eine Fülle einschlägiger Äußerungen vor. Z u m Teil sind sie bereits angesprochen worden. Sie betreffen sowohl die Sakralisierung der fürstlich-dynastischen Herrschaftsordnung und der einzelnen Herrschaftsakte als auch die Legitimie-

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Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Tübingen 51985, S. 651 (Zitat); Müller, Praesidia (FN 55), S. 96-162 (Ökonomie des Fürsten; Abschaffung aller überflüssigen Fürstendiener; Pflicht zur Versorgung der Untertanen mit Getreide im Hungerfall; Zurückhaltung bei Steuern bzw. gezielte Förderung des Wohlstands der Untertanen nach dem Prinzip Divitiae subditorum sunt opes Principis; administratio iustitiae als imperiorum fulcrum)·, Le Bleu, Princeps successor (FN 48), S. 127 (verdiente Untertanen sind besonders zu ehren und zu belohnen), S. 135 (Böse nicht unbestraft lassen, weil der Fürst sonst der Verachtung anheimfällt); Perez, Ius publicum (FN 80), S. 198-203 (den Gehorsam durch Prämien belohnen, jedoch nach der Regel: magnis magna, minoribus minora·, dabei öffentliche (Ehren-)Amter auch für einfache Leute öffnen, usw.); Cerizier, Französischer Tacitus (FN 54), S. 160-161 (Verpflichtung des Fürsten für seine Untertanen sogar soweit, daß er ihnen "mehr zu leisten schuldig ist als seinen Kindern"; als "Vater des Volkes" ist er sogar in gewisser Weise auch dessen "Sohn, weil er von ihm Oberherrschaft und Regierung empfängt"); Jacob Bornitz: De praemiis in Republica decernendis libri duo, Leipzig 1610; Christoph Besold: Vitae et mortis consideratio politica, libellis tribus comprehensa, quorum I de vitae sustentatione, Π de cura sanitatis, ΠΙ de sepultura agit, Straßburg 1641 (u.a. Fürsorge des Fürsten für diese Belange der Untertanen). Friedrich Becker: Via felicitatis, et principi bono, et ministris eius ingenuis et subditis morigeris, conveniens, o.O. 1715, S. 15; Johann Lauterbach: Princeps christianus vel simulacrum Saxonicum ad illustrissimum Principem ac Dominum Christianum Π, Meißen 1598, S. 15-18 (patriae amor sowohl für Princeps als auch dessen Minister nötig); Boeder, De Perpetuitate (FN 37), S. 897-898 (umfassend zu den causae naturales des Staatsuntergangs). Im Gegenbild zum verantwortlich handelnden, guten Fürsten, also beim Tyrannen, tritt an die Stelle der Vaterlands- und Untertanenliebe entsprechend der Haß.

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rung dynastischer Dispositionen z.B. auf der Ebene von Heirat und Eheauflösung, die Immunisierung des Fürsten und seiner Dynastie gegen kirchliche Kritik oder Kirchenstrafen und den Zugriff auf das Kirchengut. Die Bedeutung dieser Aspekte für die Verstärkung untertänigen Gehorsams und herrschaftlicher Autorität ist klar erkannt: das ius sacrorum bzw. ius in res sacras sei bereits "dimidium summae potestatis".104 Die Notwendigkeit der Umwerbung und Kontrolle des Hochadels erfährt Thematisierung z.B. in den Mahnungen, sich angesichts der Erfahrungen aus dem antiken Rom bewußt nur des Fürsten-, aber nicht des verhaßten Königstitels zu bedienen; filii illustres nicht ohne weiteres in ausländische Dienste treten zu lassen, sondern ihnen im eigenen Staat Amter, Verdienst und Gelegenheit zum Erwerb von Ruhm zu bieten; sie als Provinzgouverneure jedoch nur nach längerem Aufenthalt am Hof, der als schola magnorum magistratuum dienen soll, zu installieren; ihnen dann die Annahme von Geschenken und die Einheirat in große Familien ihrer Provinz nur nach besonderer Erlaubnis zu gestatten; die dieser Gruppe zugestandenen höchsten Rats- bzw. Ministerämter nicht Mitgliedern einer einzigen Familie anzuvertrauen; zu verhindern, daß die Macht der Großen sowohl in den Provinzen als auch in der eigenen Herrschaftszentrale allzu stark anwächst; schließlich ihnen jedoch andererseits an der eigenen Position und an den fürstlich-staatlichen Einkünften als pars corporis Principis gebührend Anteil einzuräumen.105 Unschwer zu eruieren sind weiter die zeitgenössische Einsicht in die doppelte, sowohl private als auch öffentliche Funktion des fürstlichen Hofes106, in das Bedürfnis nach Steigerung der 104

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Oldenburger, Politica curiosa (FN 82), S. 232 (Zitat)-240 (ius sacrorum als umfassendes Recht auf inspectio & reformatio de Religione), 256-284; [Barclay], Icon (FN 44), S. 192202; Boeder, De Perpetuitate (FN 37), S. 884-890 (s.o.); Müller, Praesidia (FN 55), S. 27, 80-95; Corona virtutum (FN 71), S. 710-714; Neumann, Meditationes (FN 40), Bd. I S. 146 (Wirkungslosigkeit von Kirchenstrafen für fürstliche dignitas), Bd. Π und ΠΙ (umfassend zur Eheschließung und -auflösung); Myler, Gamologia (FN 48), S. 238-262 (mit detaillierter Darlegung der konfessionellen Unterschiede in den Möglichkeiten der Erlangung kirchlicher Unterstützung für Eheauflösungen u.a.); vgl. generell auch König, Theatrum politicum (FN 49), S. 45-65 und aus der Literatur Weber, Prudentia (FN 36), S. 281-288; zu vermerken ist jedoch nochmals, daß die Betonung der christlichen Qualität fürstlich-dynastischer Herrschaft auch der Steigerung der Chance dienen soll, daß sich der jeweilige Fürst selbst an die ihm vorgegebenen Normen hält. Perez, Ius publicum (FN 80), S. 6, 142-167 u.ö., in Verarbeitung spanischer und französischer Erfahrungen. Vgl. exemplarisch Keckermann, Cursus (FN 100), Th. Ι-ΙΠ; Runckel, De Principis (FN 55), S. 244-247 (ministri privati, unter Bezug auf Veit Ludwig von Seckendorffs Teutscher Fürsten-Staat); Neumann, Meditationes (FN 40), Bd. I Buch ΠΙ (das Particulair-Recht der Fürsten im Hinblick auf ihre ministri).

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Leistungsfähigkeit der fürstlich-dynastischen Ökonomie 107 und in die Notwendigkeit der Kontinuitätsstiftung durch Beibehaltung bewährter statuta & instituta sowie in den Verzicht auf unbedachte Entlassung erfahrener Räte und Minister bzw. auf den Rat bewährter amici paterni.108 Spätestens damit ist derjenige Bereich erreicht, der von der allgemeinen Herrschaftslehre des zeitgenössischen Politikdenkens abgedeckt wird und an anderer Stelle bereits ausführlich dargelegt worden ist.109 Hier sei deshalb nur noch kurz zum Aspekt der Verknüpfung der dynastischen Norm mit dem allgemeinen Recht am Beispiel des Ehe- und Erbrechts zurückgeblendet. Die einschlägige zeitgenössische Diskussion geht grundsätzlich von der Einsicht aus, daß die Verpflichtung der Fürsten zu rechtsförmigem Verhalten im wesentlichen nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn dieses Verhalten als im ureigenen fürstlichen (persönlichen und dynastischen) Interesse liegend ausgewiesen werden kann. 110 In der heutigen Forschung hinlänglich bekannt, wenngleich in politik- und sozialgeschichtlicher Perspektive noch nicht angemessen bewertet ist der Befund, daß es der Rechtswissenschaft bis ins 19. Jahrhundert hinein jedoch nicht gelang, die "Hausnormen" der Dynastien widerspruchsfrei entweder dem öffentlichen oder dem Privatrecht zuzuordnen. 111 Die ältere Lösung, nämlich von einem speziellen ius imperantium zu sprechen, war offenbar in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der Phase bereits fortgeschrittener Verstaatung und Verrechtlichung fürstlicher Herrschaft, nicht mehr vermittelbar. Johann Jakob Moser entschied sich dementsprechend für die Bezeichnung "Familien-Staats-Recht", die den historischen Prozeß dynastischer Staatsbildung unmißverständlich ausdrückt.112 Im Hinblick auf das fürstliche Eherecht bedeutsam ist zunächst äußerlich, daß diese Rechtsmaterie in den allgemeinen Ehetraktaten der Zeit gar nicht oder nur am 107

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Müller, Praesidia (FN 55), S. 91-116, wieder in nachfolgender Parallelisierung mit der Ökonomie der Untertanen. Vgl. knapp unter der eindeutigen Kennzeichnung dieser Techniken als Arcana Monarchiae Soetefleisch, Characterismi (FN 75), S. 69-73. Weber, Prudentia (FN 36), S. 169-335, mit weiteren Verweisen, u.a. zur Frage der Gesetzgebung und Rechtsprechung. Vgl. das Avertissement bei Neumann, Meditationes (FN 40), Bd. 1, S. 1-3, mit Betonung des politischen Aspekts: die Fürsten verhalten sich nach Recht und Billigkeit, um "sich bey der Welt durch unwiedersprechliche Ungerechtigkeit (nicht) verhaßt zu machen" (S. 2). Vgl. Weitzel, Hausnormen (FN 24), besonders S. 1-44. Neumann, Bibliotheca iuris imperantium (FN 40); Moser, Teutsches Staatsrecht (FN 40), Bd. ΧΠ, vgl. Weitzel, Hausnormen (FN 24), S. 43; Betsius, Tractatus de statutis (wie FN 85), S. 25-54 (Statuar- und Familienvertragsrecht ausschließlich für Adel und Fürsten).

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Rande vorkommt, also schon formal als eigener Bereich behandelt wird. 1 1 3 Inhaltlich ergibt sich unübersehbar eine dynastisch-politische Privilegierung der Fürstenehe gegenüber der allgemeinen Ehe. Zwar soll auch auf dieser Ebene das christliche Prinzip der plena libertas conjugii gelten, dürfen also weder Fürstensöhne noch Fürstentöchter in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt, vor allem nicht von ihren Eltern zu bestimmten Heiraten etwa schon im unmündigen Alter gezwungen werden. 114 Jedoch muß gleichzeitig angesichts der unvermeidlichen politischen Konsequenzen fürstlicher Heirat eine fallweise Durchbrechung dieser N o r m zugestanden werden. Nicht völlig von der Hand zu weisen sei daher die Auffassung, daß Heiraten von Fürsten oder Prinzessinnen des Reiches nach auswärts, welche die Machtverhältnisse im Reich im Allgemeinen oder die Kaiserwahl im Besonderen beeinflussen können oder gar sollen, kaiserlicher Zustimmung bedürfen. 115 Ferner erweist sich die Bewertung der consuetude liberos in cunabulis disponendi unter diesem Gesichtspunkt als doch zumindest zwiespältig (ambiguum): urgentissimae necessitates wie z.B. die Vermeidung oder Beendigung blutigen Krieges können derartige Maßnahmen fürstlicher Eltern letztlich selbst dann erlaubt erscheinen lassen, wenn nicht nur die ausdrückliche, sondern auch die stillschweigende Zustimmung der Betroffenen oder eines Betroffenen fehlt. 116 Ehen von Fürsten oder Fürstinnen mit Partnern aus niedrigerem Stand sind ohnehin nur in wenigen Fällen erlaubt, nämlich dann, wenn sich insgesamt dennoch eine Stärkung der entsprechenden Dynastie ergibt, also Beschädigungen ihrer Reputation, Position, Zukunftsaussichten (Chancen der aus diesen Ehen hervorgehenden Kinder) und materiellen Ausstattung vermieden werden. 117 An dieser Stelle bricht die Unver-

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Die unvermeidliche Folge dieses Sachverhalts ist, daß diese Materie auch in der entsprechenden rechtshistorischen Literatur kaum Beachtung findet, ohne daß dieses Faktum gebührend bewertet würde, vgl. jedoch Paul Mikat: Die Polygamiefrage in der frühen Neuzeit, Opladen 1988, und Stephan Buchholz: Recht, Religion und Ehe. Orientierungswandel und gelehrte Kontroversen im Ubergang vom 17. zum 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1988. In der speziellen Frage der Polygamie (sie wird vor allem wegen der mit ihr verbundenen "turba sanguinis" und der durch sie zu erwartenden Familienstreitigkeiten abgelehnt, vgl. Johann Barthold Herold: Dissertatio politico-iuridica de Polygamia simultanea et successiva eiusque iustitia interna, Frankfurt 1675) geht die Diskussion regelmäßig von der von Luther und Melanchthon gebilligten Doppelehe Philipps von Hessen aus. Die einschlägigen fürstlichen Ehetraktate verzeichnen wie o.a. Neumann, Bibliotheca, und ders., Meditationes (wie F N 40, vgl. F N 54).

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Myler, Gamologia (FN 48), S. 6-48 und 74-81. Myler, Gamologia (FN 48), S. 18-26: De Matrimonio Principum Imperii cum Exteris Sc de Connubio Magnatum ex Ratione Status. Der Lutheraner Myler führt als Beispiel die europäischen Heiratsbeziehungen der calvinischen Pfälzer an und warnt (s. oben F N 90) vor allem vor dem Import herrschaftssüchtiger und machtlüsterner fremder Fürstinnen. Myler, Gamologia (FN 48), S. 74-84; mündig geworden, sollen die Betroffenen allerdings ein Widerspruchsrecht haben. Vgl. zum Problem erzwungener Ehen demgegenüber allgemein Justus Henning Böhmer (Praes.), Benjamin Friedrich Reichenbach (Resp.): Dissertatio iuridica de matrimonio coacto, Halle 1728. Myler, Gamologia (FN 48), S. 84-155. Grundsätzlich gelte jedenfalls im Reich lediglich das Postulat der proportio geometrica, aber nicht dasjenige einer proportio aritbmetica. Das heißt, Heiratsbeziehungen zum jeweils nächstunteren Adelsstand sind durchaus erlaubt.

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einbarkeit der beiden rationes offen auf: Unter dem dynastischen Gesichtspunkt ist die Heirat eines Fürstensohnes, und zwar auch eines zweitgeborenen, mit einer uxor ex civico aut plebeio ordine automatisch illegitim, weil sie stets eine massive Beeinträchtigung der dignitas der Dynastie bedeutet; nach dem ius canonicum jedoch bleibt sie gültig, zumal dann, wenn die Braut ex honoratiori familia stammt. Der politisch bewußte Jurist kann sich deshalb nur auf eine persönliche Meinung zurückziehen: "Ego numquam aut vix [!] consulerim Principi aut Comiti ..., ut Filiam ex honesta civica familia natam, quamvis divitem, uxorem ducat".118 Konkubinate von Fürsten, welche diesen Fürsten sexuelle Erfüllung ermöglichen, sind weniger deshalb abzulehnen, weil sie biblisch und naturrechtlich untersagt sind, sondern weil sie in der Regel den Zusammenhalt, die Reputation und (im Fall des Entstehens von Kindern) die Zukunft der Dynastie gefährden.119 Dagegen sind ex consuetudine loci & ratione status conservandi gratia die nach der Offenbarung und dem Naturrecht höchst bedenklichen und daher für die nichtadelige Menschheit untersagten morganatischen Ehen, also Heiraten reduzierten Rechtes für die Gattin, deren Verwandte und die aus ihr hervorgehenden Kinder, vor allem für Fürsten als durchaus erlaubt und nützlich anzusehen: "Negamus, quod haec Conventio ad Morganaticam ullam turpitudinem in se contineat; ea, quae ad familiae splendorem conservandum tendunt, nec legibus, nec moribus improbantur, sed statui publico magis necessaria sunt".120 Entsprechend flexibel ist auch die Frage der Eheauflösung zu handhaben, wobei allerdings die Neigung besteht, klare Angaben zu den Erlaubtheitsgründen zu vermeiden.121 Durchbrechung allgemeiner Standards zeichnet auch das fürstliche Erbrecht aus: die Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der einzelnen Kinder und der Kinder als Gemeinschaft im Hinblick auf Heirat (der Zölibat ist allerdings nicht erzwingbar) und Verfügung über Besitz (Unveräußerlichkeit durch Fideikommiß) geht erheblich weiter als üblich; ausschließlich dem Adel bzw. den Fürsten vorbehalten ist nicht nur das Recht auf FestDennoch mahnt Myler fortwährend, daß ob conservandum splendorem illustris familiae imparia matrimonia evitanda seien (S. 128/129). 118 119

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Myler, Gamologia (FN 48), S. 144. Myler, Gamalogia (FN 48), S. 147 und 498-555 (Rechtsstellung der Bastarde); Betsius, Tractatus de statutis (FN 79), S. vgl. oben FN 62; eine zumindest faktische Hinnahme fürstlicher Konkubinate läßt sich aus der Tatsache ableiten, daß die Rechtstellung der * natürlichen' Fürstenkinder ausführliche Erörterung und genaue Festlegung erfährt. Der Verzicht auf Konkubinate und unbedachte Heiraten (seit der Reformation?) habe dem Reich im Übrigen entscheidend zum Aufschwung verholfen. Myler, Gamologia (FN 48), S. 189, vgl. insgesamt zu dieser Problematik S. 155-202 sowie (in höchst kritischer Kommentierung) Thurmann, Bibliotheca Statistica (FN 39), S. 18; eine erbrechtliche Bevorzugung eines morganatischen Sohns vor einem Erstgeborenen aus der Hauptehe ist nur im Extremfall sonst nicht mehr möglicher Rettung der Dynastie erlaubt. Vgl. Myler, Gamologia (FN 48), S. 33-48 (Verbot der Auflösung lediglich aus Gründen der sterilitas der Frau) und S. 238-262 (Auflösungen zur Rettung der Dynastie bzw. des bonum commune unter Maßgabe der Vermeidung eines Skandals, der Entstehung tödlicher Feindschaften, von Auseinandersetzungen über das Heiratsgut oder über die Rechte bereits vorhandener Kinder sowie der Beeinträchtigung des Prinzips dauernder Gültigkeit der Ehe letztendlich doch nicht ausgeschlossen).

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legung öffentlich anzuerkennender Ehestatuten, sondern auch dasjenige des Abschlusses von pacta hereditaria}11 Auf die erheblich komplexere Frage danach, ob und in welcher Weise die zeitgenössische Politikreflexion den Krieg als Instrument und Motor dynastischer Staatsbildung wahrnimmt, kann hier nicht mehr eingegangen werden. Vermerkt sei lediglich, daß eine ausgeprägt kriegskritische, ja kriegsfeindliche Tendenz vorherrscht. Diese Tendenz ist offenkundig nicht nur als Ausfluß anhaltender und durch Kriegserfahrung schubweise verstärkter christlich-humanistischer Friedenssehnsucht zu betrachten. Vielmehr dürften auch die im Reich für gezielten Kriegseinsatz objektiv ungünstigen Bedingungen zu Buche schlagen: die Vielzahl und mehrheitlich relative Schwäche der Dynastien; ihre Durchsetzung mit aristokratisch-oligarchischen Herrschaftsgebilden (Ritterschaften, Städte) und geistlichen Fürstentümern; auf dieser Grundlage die wenigstens potentielle Friedensdurchsetzungsfähigkeit des Reichssystems. 3 Nicht unerwähnt bleiben darf abschließend die teils positive, teils negative Einschätzung des Wachstums dynastischer Staatsgewalt. Die hier berücksichtigten Autoren erkennen und begrüßen die Befähigung des dynastisch-monarchischen Staates, fortschreitend verbesserte innere und äußere Sicherheit für seine subditi bzw. cives herzustellen. In dieser Hinsicht sind sie Apologeten dieses in seinem Mechanismus und seiner Grenzenlosigkeit klar erkannten Wachstums: "Imperii natura, ad amplificationem sua sponte incitatur: quia, quo augustius, amplius & potentius, Regnum quodque est, eo firmius, tutius, & diuturnius habetur. Quodlibet autem, adpetit conservationem sui: dum vero rite Respublica conservatur, ea sui natura augetur, estque amplificatio, fructus conservationis. Quippe quemadmodum arbores cultura crescunt: ita & Respublica, si recte administretur. Et usu quoque constat, amplissimis Regni finibus, subditus sub Rege maximo beatius vivere. Sunt namque ab injuriis Principum finitimorum tutiores; & bellis civilibus, quae ab impotenti potentiorum cupiditate oriuntur, vacant plerumque: cum potentissimi Regis Imperio facillime coerceantur. ... Hincque augendae, amplificandaeque Reipublicae Studium, 122

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Myler, Gamologia (FN 48), S. 48-65; Betsius, Tractatus de statutibus (wie F N 111), und Hahn-Klövekorn, De Jure hereditario (wie F N 85). - Ein weiteres Feld widersprüchlicher Zusammenfügung fürstlich-dynastischer Ansprüche und allgemeiner Rechtsnormen ist dasjenige der Definition und Ahndung fürstlicher Delikte, vgl. dazu die höchst ausführliche, auf breiter Literaturauswertung beruhende Debatte bei Neumann, Meditationes (FN 40), Bd. VI. Ich beabsichtige, dieses für die allmähliche Funktionalisierung der Dynastie für den Staat höchst bedeutsame Thema an anderer Stelle zu behandeln. Vgl. für eine exemplarische Eindeutschung eines italienischen politisch-kriegstheoretischen Traktats Jacob Le Bleu: Bellator prudens et politicus, Gießen 1666, und zur Friedenspotentialität des Reiches gerade im Hinblick auf ihr größtes Versagen, den 30jährigen Krieg, die einschlägigen Bemerkungen bei Burkhardt, Dreißigjähriger Krieg (FN 25).

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numquam est intermittendum, cuius Caesares nostri gloriossissimo titulo suo admonentur, ... allzeit Mehrer des Reiches". 124 Gleichzeitig sind sie sich aber auch der Gefahr bewußt, daß das konstruktive Streben der Fürsten nach Staatswachstum jederzeit in unstillbare Herrschsucht (cupiditas regnandi, ambitio potentiae) bzw. dann Tyrannei umschlagen kann: "Ac quemadmodum sub Rege maximo atque potenti, cui satis superque est, unde cupiditates explere potest, bene vivere licet: ita miserrimum est, angusta unius Tyrannide concludi; nisi Princeps optime a natura, melius etiam ab optimis artibus imperandi fuerit subornatus." Als Ausweg aus diesem Dilemma schwebt ihnen allerdings überwiegend nur die allmähliche Zähmung und produktive Steuerung der Dynastie und des Fürsten vor - wobei sie richtigerweise an deren wohlverstandenem Eigeninteresse ansetzen - , und nicht etwa die völlige Liquidierung der dynastischen Staatsbildung: "Hincque vulgo fertur: sub Rege [!] magno vivere, summum esse libertatem".

Resümee Der vorliegende Beitrag ging von einer historisch-typologisch-theoretischen Betrachtung aus, welche politisch-ideengeschichtlich wenigstens explorativ verifiziert werden sollte. Dieses Ziel darf ungeachtet der Selektivität unserer Quellenheranziehung als erreicht gelten. Die frühneuzeitliche Politikreflexion zumal des Schlüsselsäkulums des 17. Jahrhunderts befaßte sich nachdrücklich mit bestimmten Aspekten dynastischfürstlicher Herrschafts- und Staatsbildung, welche sich auf diese Weise als Zentralkomponenten dieses Prozesses erfassen und beschreiben lassen: der Kontinuitätssicherung der Dynastie durch Beschaffung von Nachkommenschaft; entsprechende Sozialisation dieser Nachkommenschaft; Organisation dynastischer Loyalität, gezielter konfliktfreier Besitzweitergabe und Heiratspolitik; Stabilisierung der Herrschaftsansprüche und -chancen; Institutionalisierung und Optimierung der Herrschaftsstrukturen. Sie identifizierte, diskutierte und 124

Christoph Besold: De Incrementis imperiorum, eorumque amplitudine procuranda, cui inserta est dissertatio singularis, de novo orbe, Straßburg 1640, S. 3. Besold, wie vorhergehende Fußnote; vgl. zur Problematik von Herrsucht und Tyrannei auch Gregor Richter: Editio nova axiomatum politicorum, Görlitz 1604, "ambitio" (Index), und Joachim Burger: Singularium observationum iuridico-politico-militarium centuriae quattuor, Köln 1654, Cap. I, 0 . 3 ("cupido insatiabilis & dulcens regnandi dissoluit omnia iura"). Für eine Diskussion einer parallelen Stelle vgl. Weber, Staatsräson und christliche Politik (FN 99), S. 170-171.

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löste zumindest programmatisch ferner eine Reihe bedeutsamer Probleme, die sich intern und extern, d.h. aus dem Versuch öffentlich-übergreifender Indienstnahme der dynastischen Potenz, ergaben. Darüberhinaus markierte sie implizit und explizit einige unüberwindliche Widersprüche zwischen der dynastischen und der öffentlich-staatlichen Perspektive bzw. Entwicklungstendenz. In ihrem Spiegel läßt sich deshalb nicht nur der Aufstieg der Dynastie und die Hervorbringung des dynastischen Staates nachvollziehen, sondern auch die allmähliche Vereinnahmung der Dynastie durch den Staat, welche typischerweise über das Stadium der konstitutionellen Monarchie und der Abdrängung der Dynastie bzw. der Monarchen in eine lediglich repräsentative Position hin zur völligen Ausstoßung der Dynastie aus dem ursprünglich von ihr selbst initiierten Staat führen konnte. Die Forschungsprobleme, die sich vor diesem Hintergrund eröffnen, lassen sich drei Ebenen zuordnen. Erstens bedürfen alle hier erarbeiteten Einsichten historisch-empirischer Erhärtung, einerseits anhand territorial begrenzter, aber sachlich umfassender, andererseits anhand territorial übergreifender, jedoch sachlich spezifizierter Fallstudien. Zweitens bedürfen sie auf der Grundlage dieser empirischen Anreicherung und Zuschärfung weiterer theoretischer Differenzierung. Drittens und letztens müssen gleichzeitig die hier geschlagenen politisch-ideengeschichtlichen Schneisen zu tragfähigen Erkenntnisachsen ausgebaut werden.

HARM KLUETING Der aufgeklärte Fürst

Johann Georg Schlosser, 1739 in Frankfurt am Main geboren und in erster Ehe mit Goethes Schwester Cornelia verheiratet, ist als Kritiker des Absolutismus auch in seiner aufgeklärten Variante bekannt. Er war seit 1773 Hof- und Regierungsrat des Markgrafen Karl Friedrich von Baden, eines unter die aufgeklärten Fürsten gerechneten Herrn, und wußte daher, wovon er sprach, wenn er Aufklärung und Absolutismus für unvereinbar hielt. Auch "der weiseste, wohltuendste, beste Despot", so das häufig zitierte Diktum Schlossers von 1784, könne "mit allen seinen Tugenden kein Aufklärer sein". 1 Gab es, so ist angesichts der Skepsis Schlossers zu fragen, überhaupt aufgeklärte Fürsten, oder handelt es sich bei dem Titel, unter dem die nachfolgenden Überlegungen stehen, um einen Widerspruch im Beiwort, eine 'contradictio in adjecto', schließt also das Fürstsein das Aufgeklärtsein aus? Es waren die französischen Aufklärer und Physiokraten, die Voltaire, Turgot, Diderot, Le Mercier de la Riviere u.a., die - freilich eine Generation vor Schlossers pessimistischem Urteil über die Aufklärung der Fürsten - das Ideal des 'despote eclaire' verkündeten. Dahinter stand die Uberzeugung, daß nur ein 'Despot', ein absoluter oder unumschränkter Herrscher, Aufklärung bewirken könne, weil nur er sich mit seinen Machtmitteln über die die Aufklärung behindernden Kräfte der Tradition hinwegsetzen könne.2 Unabhängig

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Dieser Beitrag geht auf einen Vortrag zurück, den der Verfasser am 7. Januar 1992 an der Universität Zürich gehalten hat. Der Text wurde 1996 überarbeitet. Die Anmerkungen sind auf das wichtigste begrenzt. Johann Georg Schlosser, Kleine Schriften, 4. Tl., Frankfurt am Main 1785, S. 98. Von Diderot ist das Wort von 1766 überliefert: "Es gibt jetzt keinen Fürsten in Europa, der nicht Philosoph wäre", zitiert nach Reinhold Koser, Die Epochen der absoluten Monarchie in der neueren Geschichte, in: Walther Hubatsch (Hg.), Absolutismus, Darmstadt 1973, S. 1-44 (zuerst 1889), hier S. 41. Siehe im übrigen Karl Otmar Freiherr von Aretin, Einleitung: Der Aufgeklärte Absolutismus als europäisches Problem, in: ders. (Hg.), Der Aufgeklärte Absolutismus, Köln 1974, S. 11-51, hier S. 11 u. 20 f.; Ders., Herrscher (wie Anm. 13), S. 80; Heinz Holldack, Der Physiokratismus und die absolute Monarchie, in: Historische Zeitschrift 145 (1932), S. 517-549, wieder in: Aretin (Hg.), Der Aufgeklärte Absolutismus (wie oben), S. 137-162; Ulrich Muhlack, Physiokratie und Absolutismus in Frankreich und Deutschland, in: Zeitschrift für historische Forschung 9 (1982), S. 15-46. Zur Physiokratie ferner statt zahlreicher anderer Literatur Klaus Gerteis, Physiokratismus und aufgeklärte Reformpolitik, in: Aufklärung 2 (1987),

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davon, ob 'eclaire' lediglich 'einsichtig', 'klug' oder 'weitblickend' meinte, 3 oder ob einsichtig und klug regieren unter Aufklärern eben doch im Sinne der Aufklärung regieren hieß, 4 war die Hoffnung auf den aufgeklärten Fürsten doch immer die bis auf Piaton zurückgehende Hoffnung auf den Philosophenkönig, 5 auf den "roi philosophe", als den sich Friedrich Π. von Preußen sah, der seine bis dahin entstandenen Werke 1750 unter dem Titel "CEuvres du Philosophe de Sanssouci" veröffentlichte. Uberhaupt war Friedrich Π. - der jugendliche Verfasser des "Antimachiavell" ebenso wie der kriegserprobte Herrscher der frühen fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts, in denen sich Voltaire als Gast des Königs in Sanssouci aufhielt - in den Augen der französischen Aufklärer der aufgeklärte Fürst schlechthin, der Philosoph auf dem Herrscherthron und die gelebte Verbindung von Geist und Macht. 6 Drei Jahrzehnte später, beim Herrschaftsantritt Josephs Π. in Osterreich 1780, wurden ähnliche Töne laut. So sah der Schriftsteller Johann Pezzl dieses Ereignis als "Sieg der Vernunft und Menschheit" und als Beginn des "wahren philosophischen Jahrhunderts", als "Jahr der Erleuchtung", in dem die Philosophie auf den Thron gelangte.7 Was 1780 aber nur noch als Herrscherlob und Liebedienerei vor Fürstenthronen erschien, das war in den Jahren um 1750 eine für realistisch gehaltene Erwartung, die sich bei Autoren wie Diderot besonders auf die Herrscher der kleineren deutschen Territorialstaaten richtete, weil man hier am ehesten die Möglichkeit einer von der Aufklärung inspirierten Reform von Staat und Gesellschaft sah. So lobte Friedrich Melchior Grimm 1770 in seiner "PhiHeft 1, S. 75-94; Rainer Gömmel u. Rainer Klump, Merkantilisten und Physiokraten in Frankreich, Darmstadt 1994. Zur Physiokratie in Deutschland, auch hier statt weiterer Literatur, Alfred Krebs, J. A. Schlettwein. Der "deutsche Hauptphysiokrat". Ein Beitrag der Physiokratie in Deutschland, Leipzig 1909; Kurt Braunreuther, Über die Bedeutung der physiokratischen Bewegung in Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ein geschichtlich-politökonomischer Beitrag zur "Sturm- und Drang"-Zeit, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 5 (1955/56), S. 15-65; Diethelm Klippel, Der Einfluß der Physiokraten auf die Entwicklung der liberalen politischen Theorie in Deutschland, in: Der Staat 23 (1984), S. 205-226; Birger P. Priddat, Bibliographie der physiokratischen Debatte in Deutschland 1759-1799, in: Das Achtzehnte Jahrhunden 9 (1985), Heft 2, S. 128-149; 11 (1987), Heft 1, S. 62-64. 3 4 5

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So Sellin (wie Anm. 12), S. 93. So gegen Sellin Aretin, Herrscher (wie Anm. 13), S. 80, Anm. 10. Dazu Werner Schneiders, Philosophenkönige und königliche Völker, Modelle philosophischer Politik bei Piaton und Kant, in: Filosofia Oggi 4 (1981), S. 165-175. Schlobach (wie Anm. 13), S. 331. Siehe auch die dort Anm. 11 genannte Literatur. Johann Pezzl, Faustin oder das philosophische Jahrhundert, o. 0. 1783, Bd. 1, S. 277.

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losophischen Predigt" die zur Aufklärung bekehrten deutschen Fürsten und nannte mehr als zehn regierende Angehörige der fürstlichen Häuser von Baden-Durlach, Hessen-Darmstadt, Sachsen-Gotha, Ansbach-Bayreuth, Württemberg und Braunschweig-Wolfenbüttel sowie die Herrscher Preußens und Österreichs. Uberall seien Vernunft, Philosophie und Literatur untrennbar mit der Macht der Herrscher verbunden. Dabei sahen die französischen Aufklärer und Physiokraten die Fürsten als Instrumente, mit deren Hilfe sie Aufklärung erreichen wollten, sich selbst aber als Erzieher der Fürsten. Auch deutsche Naturrechtler forderten die Aufklärung der Herrscher als Voraussetzung und Mittel zur Aufklärung durch die Herrscher.9 Der aufgeklärte Fürst war also Hoffnung und Erwartung, Zielsetzung und Aufforderung an die Fürsten von Seiten der Aufklärer, bevor - bedingt durch die wachsende Radikalisierung zumal der französischen Aufklärung, aber auch der sichtbar werdenden Unmöglichkeit auch eines aufgeklärten Fürsten, das ganze Aufgabenfeld aufgeklärter Reformtätigkeit noch überblicken und bestimmen zu können - eine Entfremdung zwischen aufgeklärten Intellektuellen und der Aufklärung nahestehenden Fürsten eintrat.10 Damit wurde die 'Aufklärung des Herrschers' von der 'Herrschaft der Aufklärung' abgelöst; die Aufklärung hörte auf, herrscherbezogen zu sein, machte den Herrscher entbehrlich und konnte sich, wenn er als Hindernis von Aufklärung erkannt wurde, auch gegen ihn wenden.11 In diesem Kontext stand die Skepsis eines Johann Georg Schlosser gegenüber der Aufklärung der Fürsten. Man hat von aufgeklärten Fürsten im Zusammenhang mit dem aufgeklärten Absolutismus gesprochen und in der stark personalistisch geführten Diskussion um das spätabsolutistische Herrschaftssystem in Mittel-, Süd-, Nord- und Osteuropa und in den Territorialstaaten Deutschlands aufgeklärten Absolutismus dort geglaubt konstatieren zu können, wo Äußerungen oder Verhaltensweisen von Herrschern zu bemerken waren, die mit der Aufklärung in Verbindung gebracht werden konnten.12 Erst in jüngster Zeit wurde auch dem 8

' 10 11 12

Schlobach (wie Anm. 13), S. 334 f., 339 f. u. 347. Klippel (wie Anm. 13), S. 198, 200. Dazu Schlobach (wie Αηχη. 13), S. 343-346. Klippel (wie Anm. 13), S. 202-209. Zum aufgeklärten Absolutismus: Aretin, Einleitung (wie Anm. 2); Volker Sellin, Friedrich der Große und der aufgeklärte Absolutismus. Ein Beitrag zur Klärung eines umstrittenen Begriffs, in: Ulrich Engelhardt u.a. (Hg.), Soziale Bewegung und politische Verfassung, Stuttgart 1976, S. 83-112; Gottfried Niedhart, Aufgeklärter Absolutismus oder Rationalisierung der Herrschaft, in: Zeitschrift für historische Forschung 6 (1979), S. 199-211. Siehe ferner Johannes Kunisch, Absolutismus. Europäische Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zur Krise des Ancien Regime, Göttingen 1986, bes. S. 20-36;

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aufgeklärten Herrscher selbst Aufmerksamkeit geschenkt.13 Den Anfang machte Günter Birtsch mit seinem Beitrag "Idealtyp des aufgeklärten HerrFritz Härtung, Der Aufgeklärte Absolutismus, u.a. in: Hubatsch (Hg.), Absolutismus, (wie Anm. 2), S. 118-151 (zuerst 1955); Bela Köpeczi, Albert Soboul, Eva H. Balazs u. Domokos Kosary (Hg.), L'Absolutisme eclaire, Budapest/Paris 1985; Maurizio Bazzoli, H pensiero politico dell'assolutismo illuminato, Firenze 1986; Hamish M. Scott (Hg.), Enlightened Absolutism. Reform and Reformers in Later Eighteenth-Century Europe, London 1990; Jean Meyer, Le despotisme eclaire, Paris 1991; Walter Demel, Vom aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus, München 1993; Charles Ingrao, The Problem of "Enlightened Absolutism" and the German States, in: The Journal of Modern History 58 (1986), Supplement, S. 161-180; Geraint Parry, Enlightened Government and its Critics in Eighteenth-Century Germany, in: Historical Journal 6 (1963), S. 178-192; Ingrid Mittenzwei, Über das Problem des aufgeklärten Absolutismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 18 (1970), S. 1162-1172; Dies., Theorie und Praxis des aufgeklärten Absolutismus in Brandenburg-Preußen, in: Dies. u. KarlHeinz Noack (Hg.), Preußen in der deutschen Geschichte vor 1789, Berlin 1983, S. 7-101 (zuerst 1972); Eberhard Weis, Absolute Monarchie und Reform im Deutschland des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts, in: ders., Deutschland und Frankreich um 1800, München 1990, S. 192-219 (zuerst 1974); Ders., Der Aufgeklärte Absolutismus in den mittleren und kleinen deutschen Staaten, ebd. S. 28-45 (zuerst 1979); Ders., Aufklärung und Absolutismus im Heiligen Römischen Reich. Zum Problem des Aufgeklärten Absolutismus in Deutschland, ebd. S. 9-27; Rudolf Vierhaus, Aufklärung und Reformzeit. Kontinuitäten und Neuansätze in der deutschen Politik des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, in: Ders., Deutschland im 18. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 249-261 (zuerst 1984); Manfred Kossok, Herrscher und Macht im aufgeklärten Absolutismus. Ein Versuch, in: Günter Vogler (Hg.), Europäische Herrscher. Ihre Rolle bei der Gestaltung von Politik und Gesellschaft vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Weimar 1988, S. 300-311; Dietrich Geyer, Der Aufgeklärte Absolutismus in Rußland. Bemerkungen zur Forschungslage, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas N.F. 30 (1982), S. 176-189; Karl Otmar Freiherr von Aretin, Das Problem des Aufgeklärten Absolutismus in der Geschichte Rußlands, in: Handbuch der Geschichte Rußlands. Hg. von Manfred Hellmann, Gottfried Schramm u. Klaus Zernack, Bd. 2, Tl. 2, Lfg. 12, Stuttgart 1993, S. 849-867; Christian Windler, Lokale Eliten, seigneurialer Adel und Reformabsolutismus in Spanien (1760-1808), Stuttgart 1992; Stefan Mörz, Aufgeklärter Absolutismus in der Kurpfalz während der Mannheimer Regierungszeit des Kurfürsten Karl Theodor (1742-1777), Stuttgart 1991. Günter Birtsch, Der Idealtyp des aufgeklärten Herrschers. Friedrich der Große, Karl Friedrich von Baden und Joseph Π. im Vergleich, in: ders. (Hg.), Der Idealtyp des aufgeklärten Herrschers, Hamburg 1987 (= Aufklärung 2, 1987, Heft 1), S. 9-47; Karl Otmar Freiherr von Aretin, Aufgeklärter Herrscher oder aufgeklärter Absolutismus? Eine notwendige Begriffsklärung, in: Festschrift Karl Bosl, Bd. 1, München 1988, S. 7887; Dietmar Klippel, Von der Aufklärung der Herrscher zur Herrschaft der Aufklärung, in: Zeitschrift für historische Forschung 17 (1990), S. 193-210, wieder in: Werner Schneiders (Hg.), Aufklärung als Mission. La mission des Lumieres. Akzeptanzprobleme und Kommunikationsdefizite, Marburg 1993, S. 159-174 (hier zitiert nach dem Erstdruck); Jochen Schlobach, Französische Aufklärung und deutsche Fürsten, in: Zeitschrift für historische Forschung 17 (1990), S. 327-349, wieder in: Schneiders (Hg.), Aufklärung als Mission (wie oben), S. 175-194 (hier zitiert nach dem Erstdruck). Siehe

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schers" von 1987. 14 Doch trennt Birtsch nicht zwischen 'aufgeklärtem Fürsten' und 'aufgeklärtem Absolutismus': wo der Herrscher aufgeklärt war, dort wurde demnach auch aufgeklärt regiert, bestand aufgeklärter Absolutismus. Demgegenüber betont Karl Otmar von Aretin die Verschiedenartigkeit beider Phänomene: "Das heißt, der Aufgeklärte Absolutismus ist eine Regierungsform, die unabhängig von dem Selbstverständnis des Herrschers und von seiner Beteiligung am aufgeklärten Diskurs ist". 15 Gewiß gab es das, was man aufgeklärten Absolutismus nennt, in einer monarchisch bestimmten Zeit nicht gegen den Herrscherwillen. Es gab ihn aber ohne aufgeklärten Herrscher und unter Umständen, die wohl am ehesten als 'Gewährenlassen' seitens des den Dingen mehr oder weniger verständnislos gegenüberstehenden Fürsten beschrieben werden können. Kennzeichnend war oft eine Form des aufgeklärten Minister- oder Beamtenabsolutismus, nicht nur im Königreich Neapel mit dem Ministerpräsidenten Tanucci, in Spanien mit Aranda und Floridabianca, in Portugal mit Pombai oder in Dänemark mit Johann Friedrich von Struensee. Auch in Osterreich war in der Zeit Maria Theresias die Bedeutung des Staatskanzlers Kaunitz für das, was es dort vor Joseph Π. an aufgeklärtem Absolutismus gab, und für die Grundlegung des Josephinismus ungleich größer als die der in vieler Hinsicht voraufklärerischen Herrscherin. 16 Dasselbe gilt für viele geistliche und weltliche Fürstentümer des Reiauch die Beiträge über die drei ersten Hohenzollernkönige (Peter Baumgart), über Friedrich Π. (Ingrid Mittenzwei), Gustav ΙΠ. von Schweden (Jörg-Peter Findeisen), Franz von Anhalt-Dessau (Hartmut Ross) und Joseph Π. (Volker Press) in: Vogler (Hg.), Europäische Herrscher (wie Anm. 12). Birtsch (wie Anm. 13). Aretin, Herrscher (wie Anm. 13), S. 87. Ferdinand Maaß, Der Frühjosephinismus, Wien/München 1969; Ders. (Hg.), Der Josephinismus. Quellen zu seiner Geschichte in Osterreich 1760-1790 (mit umfangreichen Einleitungen), Bde. 1 u. 2 (von 5) Wien 1951-53; Harm Klueting (Hg.), Der Josephinismus. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der theresianisch-josephinischen Reformen, Darmstadt 1995; Rudolf Reinhardt, Zur Kirchenreform in Österreich unter Maria Theresia, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 77 (1966), S. 105-119; Anton Schindling, Theresianismus, Josephinismus, katholische Aufklärung, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 50 (1988), S. 215-224; Karl Vocelka, Der "Josephinismus" in der maria-theresianischen Epoche, in: Osterreich zur Zeit Kaiser Josephs Π. Mitregent Kaiserin Maria Theresias, Kaiser und Landesfürst, Wien 1980, S. 148-152; Heinrich Benedikt, Der Josephinismus vor Joseph Π., in: Festschrift Hugo Hantsch, Graz/Wien/Köln 1965, S. 183-201; Harm Klueting, Deutschland und der Josephinismus. Wirkungen und Ausstrahlungen der theresianisch-josephinischen Reformen auf die außerösterreichischen deutschen Reichsterritorien, in: Helmut Reinalter (Hg.), Der Josephinismus. Bedeutung, Einflüsse und Wirkungen, Frankfurt am Main 1993, S. 63-102; Ders., Kaunitz, die Kirche und der Josephinismus. Protestantisches landesherrliches Kirchenregiment, ra-

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ches. So w a r e n die R e f o r m e n im Kurfürstentum K ö l n in der Zeit des KurfürstErzbischofs Maximilian Friedrich v o n Königsegg-Rothenfels (1761-1784) mehr eine Sache des leitenden Ministers, des Grafen Kaspar A n t o n v o n Belderbusch, 1 7 und im kurkölnischen Herzogtum Westfalen des Landdrosten Franz W i l h e l m v o n Spiegel 18 als des Erzbischofs selbst. 19 Dieses Muster begegnet zuletzt noch in Bayern mit dem Kurfürst-König Maximilian I. Joseph und seinem Minister Montgelas. 2 0 A u f der anderen Seite konnte man, wie der Fürstbischof v o n Speyer, Philipp Karl Graf v o n Limburg-Styrum, aufgeklärter Absolutist und gleichzeitig Gegner der Aufklärung sein. 21 'Aufgeklärter Fürst' und 'aufgeklärter Absolutismus' waren also zwei verschiedene, w e n n auch sich berührende Erscheinungen. Man kann somit einen der A u f k l ä r u n g nahestehenden Fürsten nicht ohne weiteres dem aufgeklärten Absolutismus zuordnen und umgekehrt. 2 2 Hier soll n u r nach dem aufgeklärten Fürsten, nicht - oder nur am Rande - nach dem aufgeklärten Absolutismus gefragt werden.

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tionaler Territorialismus und theresianisch-josephinisches Staatskirchentum, in: Klingenstein/Szabo (Hg.), Staatskanzler Kaunitz (wie Anm. 52), S. 169-196; Ders., "Quidquid est in territorio, etiam est de territorio": Josephinisches Staatskirchentum als 'rationaler Territorialismus 1 , demnächst in: Der Staat; Ders., Die theresianisch-josephinischen Reformen im europäischen Zusammenhang des 18. und 19. Jahrhunderts. Vergleich und Abgrenzung, demnächst in: Colloques de Matrafüred. Etudes sur les Lumieres. Zu Kaunitz auch Anm. 52 u. 53. Hermann Hinsen, Kaspar Anton von Belderbusch und der Einbruch der Aufklärung in Kurköln. Kurkölnische Innenpolitik von 1761-1784, Phil. Diss. Bonn 1952. Max Braubach, Die Lebenschronik des Freiherrn Franz Wilhelm von Spiegel zum Diesenberg. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung in Rheinland-Westfalen, Münster 1952; Harm Klueting, Franz Wilhelm von Spiegel und sein Säkularisationsplan für die Klöster des Herzogtums Westfalen, in: Westfälische Zeitschrift 131/132 (1981/82), S. 47-68; Rudolfine Freiin von Oer, Franz Wilhelm von Spiegel zum Diesenberg und die Aufklärung in den Territorien des Kurfürsten von Köln, in: Klueting (Hg.), Katholische Aufklärung (wie Anm. 103), S. 335-345. Eduard Hegel, Das Erzbistum Köln zwischen Barock und Aufklärung vom Pfälzischen Krieg bis zum Ende der französischen Zeit 1688-1814, Köln 1979; Max Braubach, Die vier letzten Kurfürsten von Köln. Ein Bild rheinischer Kultur im 18. Jahrhundert, Bonn/Köln 1931; Ders., Minister und Kanzler, Konferenz und Kabinett in Kurköln im 17. und 18. Jahrhundert, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 144/145 (1946/47), S. 141-209. Eberhard Weis, Montgelas, Bd. 1: Zwischen Revolution und Reform 1759-1799, 2 München 1988. Der Folgeband liegt immer noch nicht vor. Ders., Die Begründung des modernen bayerischen Staates unter König Max 1. (1799-1825), in: Handbuch der Bayerischen Geschichte. Hg. von Max Spindler, IV, 1, München 1974, S. 3-86. Johannes Rössler, Die kirchliche Aufklärung unter dem Speyerer Fürstbischof August von Limburg-Styrum, Speyer 1914, S. 40-44. Das macht jedoch Schlobach (wie Anm. 13).

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Günter Birtsch nennt drei Kriterien einer aufgeklärten Herrschergestalt: 1. Die Ersetzung des Gottesgnadentums durch rationale Herrschaftslegitimation im Selbstverständnis der Fürsten, 2. die Partizipation des Herrschers am aufgeklärten Denkprozeß, sei es passiv durch Rezeption aufgeklärter Ideen oder aktiv durch eigene Beiträge zum aufgeklärten Denken, und 3. die Aufnahme und Durchsetzung aufgeklärter Reformimpulse.23 Entscheidend für unsere Fragestellung nach dem aufgeklärten Fürsten kann davon nur das zweite Kriterium sein, die Partizipation des Fürsten am aufgeklärten Denkprozeß. Zu diesem Punkt hat Birtsch für drei Herrschergestalten - Friedrich II. von Preußen, Markgraf Karl Friedrich von Baden und Kaiser Joseph Π. - Material geliefert, während Jochen Schlobach, daran anknüpfend, der Aufnahme speziell der französischen Aufklärung durch deutsche Fürsten nachgegangen ist. Soweit die von Birtsch herausgearbeiteten Kriterien 1 und 3 überhaupt in Betracht kommen, können sie nur als Teilphänomene des Kriteriums 2 aufgefaßt werden. Deutlich ist das vor allem bei der Ersetzung des Gottesgnadentums durch die rationale Herrschaftslegitimation, die - soweit sie sich im Selbstverständnis eines Fürsten vollzog - Teil der passiven oder aktiven Partizipation am aufgeklärten Denkprozeß war. Im übrigen ist die Rationalisierung der Herrschaftslegitimation ebenso wie die Reformtätigkeit und die Aufnahme von Impulsen der Aufklärung nicht Kennzeichen des 'aufgeklärten Fürsten', sondern des 'aufgeklärten Absolutismus1. Darunter versteht der Verfasser - um auch kurz auf das zu sprechen zu kommen, wovon hier nicht die Rede sein soll - ein monarchisches Herrschaftssystem, das in der rationalen Herrschaftslegitimation und in einer Vielzahl von 'Reformen von oben' seinen Ausdruck fand. An die Stelle der supranaturaltheologischen Herrschaftslegitimation trat die den Herrscher zum Organ des Staates und zum (obersten) Beamten machende Legitimation der monarchischen Herrschaft durch Leistung, Pflichterfüllung und Effizienz, deren Unvereinbarkeit mit den Zufällen der dynastischen Erbfolge zum Problem werden mußte, ohne daß der aufgeklärte Absolutismus die Konsequenz - konstitutionelle Monarchie oder Republik mit Präsidialsystem - gezogen hätte. Diese Ambivalenz macht das Wesen des aufgeklärten Absolutismus aus.24

23 24

Birtsch (wie Anm. 13), S. 13. Dazu auch Aretin, Einleitung (wie Anm. 2), S. 12: "Das Phänomen 'Aufgeklärter Absolutismus' selbst aber ist in sich widersprüchlich. Eine dieser Widersprüchlichkeiten besteht unter anderem darin, daß ein von der Aufklärung bestimmtes Regierungssystem in der letzten Konsequenz unter einem absolutistischen Herrscher unmöglich ist. Der Aufgeklärte Absolutismus trug daher den Keim der Überwindung in sich".

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Äußerlich fand dieses neue Herrscherverständnis seinen Ausdruck darin, daß in der Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg die höfische Repräsentation immer mehr zurücktrat, wie zu dieser Zeit auch kaum noch, von Münster, Kassel oder Koblenz abgesehen, große Residenzschlösser gebaut wurden, wobei allerdings auch wirtschaftliche Gründe und eine gewisse 'Marktsättigung' mitspielten. Die Hofhaltungen mit ihrem barocken Prachtaufwand und dem umfangreichen Personal wurden teilweise drastisch eingeschränkt, wofür Friedrich Wilhelm I. in Preußen allerdings schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Beispiel gegeben hatte. Eine nüchterne Zeit kehrte ein, die vom Utilitätsdenken, vom Pflichtethos und von Reformbestrebungen auf nahezu allen Gebieten von Staat und Gesellschaft geprägt war. Diese Reformbestrebungen machen das Bild des aufgeklärten Absolutismus aus. Zumeist läßt sich dahinter das Motiv feststellen, den Abstand unterentwikkelter zu ökonomisch und sozial weiter entwickelten Ländern zu verringern, wozu auch die politisch-militärischen Aspekte dieses Entwicklungsrückstandes gehörten.

Ökonomisch weiter entwickelt waren - tatsächlich oder, was in

diesem Zusammenhang auf dasselbe hinauslief, in den Augen der Reformer England, Holland, teilweise Frankreich, aus österreichischer Sicht auch Preußen. Zu denken ist hier an Reformmaßnahmen wie Förderung des Manufakturwesens, Beseitigung des wachstumshemmenden Zunftwesens, Förderung der Landwirtschaft durch Aufteilung und Privatisierung der unproduktiv genutzten Allmenden, Einführung neuer Nutzpflanzen wie der Kartoffel, neue Agrartechniken und Ansätze zu Reformen der Agrarverfassung. Dasselbe gilt für die Verbesserung des Verkehrswesens durch den im späteren 18. Jahrhundert in Gang kommenden Kunststraßenbau, aber auch für die Toleranzpolitik und die josephinische Staatskirchenpolitik. Kaunitz, einer ihrer Hauptprotagonisten, sah die wichtigste Ursache für den ökonomischen Rückstand Österreichs gegenüber England und Holland, aber auch gegenüber dem Rivalen Preußen, in konfessionellen Faktoren wie der Bindung von Kapital im Besitz der katholischen Kirche. 26 Demselben Zweck Gottfried Niedhart spricht von "Machtsicherung im Innern und Machtzu-

26

Harm Klueting, Die Lehre von der Macht der Staaten. Das außenpolitische Machtproblem in der "politischen Wissenschaft" und in der praktischen Politik im 18. Jahrhundert, Berlin 1986. Siehe z.B. Klueting (Hg.), Josephinismus (wie Anm. 16), Nr. 50 (1770), bes. S. 147 f., ferner Nr. 42 (1768) und Nr. 46 (1769), bes. S. 130. Hinweise auch bei Aretin, Einleitung (wie A n m . 2), S. 25 sowie allgemein aucli Klueting, Lehre v o n der M a c h t der Staaten

(wie Anm. 25), S. 180-184, 204-212.

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wachs nach außen" und von "Kriegsbereitschaft in Permanenz 1,27 - dienten die in Preußen (Friedrich Wilhelm I.) und Österreich (Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz) schon vor der üblicherweise für den aufgeklärten Absolutismus in Anspruch genommenen Phase begonnenen Verwaltungsreformen. Alles in allem kann von 'Rationalisierung der Herrschaft' (Niedhart) gesprochen werden, und zwar sowohl im Sinne eines Rational-Machens der Herrschaft anstelle irrationaler Herrschaftsbegründungen als auch im Sinne eines EffektivMachens - also Rationalisierung in dem Sinne, wie wenn man heute ein Industrieunternehmen rationalisiert, d.h. die Produktion technisch und betriebswirtschaftlich effektiver gestaltet. Dabei ist in beiden Fällen die Affinität mit dem Denken der Aufklärung offensichtlich - beim Rational-Machen der Herrschaft das Moment der Säkularisierung, beim Effektiv-Machen der Herrschaft der Utilitarismus, der Praxisbezug und die mit zahlreichen Forderungen der Aufklärung in Verbindung stehenden Einzelreformen. Nun kann aber nicht der - hier notwendigerweise sehr knapp skizzierte aufgeklärte Absolutismus den Maßstab abgeben, wenn es um den aufgeklärten Fürsten geht. Dieser Maßstab kann nur die Aufklärung selbst sein. Es ist also die Frage nach dem Wesen der Aufklärung zu stellen. Die Aufklärung 28 war im Kern Teil des Prozesses der Säkularisierung oder Verweltlichung aller Lebensbereiche oder - wie Max Weber formuliert hat - des umfassenden Prozesses der Entzauberung der Welt 29 , oder - wie er auch sagt der Rationalisierung, der sich auch beschreiben läßt als Prozeß der Emanzipa27 28

29

Niedhart (wie Anm. 12), S. 205. Hier muß ein knapper Literaturhinweis genügen: Fritz Schalk, Aufklärung, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. von Joachim Ritter, Bd. 1 (1971), Sp. 620-633; Fritz Valjavec, Geschichte der abendländischen Aufklärung, Wien/München 1961; Paxil Hazard, Die Krise des europäischen Geistes, Hamburg 1948; Ders., Die Herrschaft der Vernunft. Das europäische Denken im 18. Jahrhundert, Hamburg 1949; Horst Möller, Vernunft und Kritik. Deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1986; Werner Schneiders, Die wahre Aufklärung. Zum Selbstverständnis der deutschen Aufklärung, Freiburg 1974. Siehe auch Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Freiburg/München 1959 (und jüngere Ausgaben); Isaiah Berlin, The Age of Enlightenment. The Eighteenth-Century Philosophers. Selected with Introduction and Commentary, Oxford 1979; Roy Porter u. Mikulas Teich (Hg.), The Enlightenment in National Context, Cambridge 1981; Hans Erich Bödeker u. Ulrich Herrmann (Hg.), Uber den Prozeß der Aufklärung in Deutschland im 18. Jahrhundert. Personen, Institutionen und Medien, Göttingen 1987; Siegfried Jüttner u. Jochen Schlobach (Hg.), Europäische Aufklärungen. Einheit und nationale Vielfalt, Hamburg 1992. Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: Ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I ( - UTB 1488), Tübingen 1988, S. 17-206, ZitatS. 114.

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tion von den Mächten und Bindungen der Religion und der Tradition.30 Zum Wesen der Aufklärung gehörte es, daß sie die Eigenart des Menschen in der Eigenschaft der Vernunft sah und nicht mehr in der Gottebenbildlichkeit, im Sünderdasein und in der Erlösungsbedürftigkeit. Dieser Glaube an die Kraft der Vernunft führte zu der Uberzeugung, daß alle Menschen 'vernünftig' und daher auch gleich seien, und zu dem Bewußtsein der Autonomie des 'vernünftigen' Individuums gegenüber den überlieferten Formen der Religion und anderer das Leben der Menschen bestimmender sozialer Kräfte. Das war ja der Sinn von Kants Aufklärungsdefinition von 1783.31 Hinzu trat die Kritik, und zwar zunächst die Religionskritik, bevor die Kritik über den religiösen Bereich hinausgriff und alle denkbaren Gestalten annahm von der Literatur- und Kunstkritik bis zur Staats- und Gesellschaftskritik. 32 Mit der Religionskritik hing die Annahme einer natürlichen Religion jenseits der kirchlichen Glaubenslehren und der Offenbarungsreligion zusammen, aber auch der Grundzug der Toleranz, was ja noch ausschließlich religiöse Toleranz hieß. Ein Grundzug der Aufklärung war auch die Anthropozentrik, d.h. der Mensch und seine irdische Glückseligkeit rückten in den Mittelpunkt - wie schon einmal in der italienischen Renaissance, doch jetzt nicht mehr durch das Vorbild der Antike legitimiert, sondern durch die Berufung auf die Vernunft. Das stützte die Ausbildung eines 'vernünftigen' Selbstbewußtseins, das sich auf die Autonomie des Denkens gründete und vor allem durch die Fortschritte der naturwissenschaftlichen Erkenntnis getragen und bestätigt wurde, aber auch die 'vernünftige' Begründung der Moral und der Gesellschaft und die 'vernünftige' Lehre der Lebensführung. Das eine mündete in die Staats- und Gesellschaftskritik, das andere in die Pädagogik. Der Charakter der Aufklärung als einer Intellektuellenbewegung limitierte die Erscheinung des aufgeklärten Fürsten, da Fürsten selten Intellektuelle und Herrschergestalten wie Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel Teilweise andere Akzente bei Rudolf Vierhaus, Was war Aufklärung?; Göttingen 1995. Auch zu diesem Komplex, zu dem der Verfasser eine die voraufklärerische Zeit seit der italienischen Renaissance einbeziehende Gesamtdarstellung vorzulegen gedenkt, hier nur knappe Literaturhinweise: Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt am Main 1977; Luigi Lombardi Vallauri u. Gerhard Dilcher (Hg.), Christentum, Säkularisation und modernes Recht, 2 Bde., Milano/Baden-Baden 1982. Immanuel Kant, Was ist Aufklärung? Aufsätze zur Geschichte und Philosophie, 2 Göttingen 1975. Siehe auch Norbert Hinske (Hg.), Was ist Aufklärung? Beiträge aus der Berlinischen Monatsschrift 1783-1786, Darmstadt 1981. Dazu Schalk (wie Anm. 28), Sp. 622. Siehe auch Karlfried Gründer u. Karl Heinrich Rengsdorf (Hg.), Religionskritik und Religiosität in der deutschen Aufklärung, Heidelberg 1989.

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im 17. und frühen 18. oder König Friedrich Π. von Preußen im 18. Jahrhundert seltene Ausnahmen waren. Das gibt Friedrich Π., diesem Sonderfall eines Intellektuellen auf dem Thron, im Zusammenhang der Frage nach dem aufgeklärten Fürsten sein Gewicht als Paradigma mit idealtypischen Zügen. Die im Laufe des 18. Jahrhunderts erfolgende Ausweitung der Aufklärung zunächst von kleinen auf immer größere Intellektuellenkreise und danach auf Teile der bildungsfernen - besser: der nicht in Intelligenzberufen tätigen - Bevölkerung, die die Aufklärung zu einer sozialen Bewegung machte, verlief auf der sozialen Stufenleiter nicht nur nach unten, sondern in beide Richtungen: der 'Volksaufklärung' entsprach die 'Fürstenaufklärung'. Dabei waren die Vermittlungswege - die Medien der Aufklärung - bei den Fürsten teilweise dieselben wie beim Rest der Bevölkerung, teilweise spezifisch fürstliche. Allgemein zugänglich waren das gedruckte Wort in Büchern und Zeitschriften, die Kanzelpredigt aufgeklärter Pfarrer, das Theater und die Aufklärungsgesellschaften.33 Die wachsende Buch- und Zeitschriftenproduktion brachte Bücher und Zeitschriften nicht nur zu den Pfarrern und Apothekern, den Rechtsanwälten und Gymnasiallehrern, den Ärzten und Verwaltungsbeamten und anderen Angehörigen des frühen "Bildungsbürgertums"; sie gelangten auch an die Höfe und hier nicht nur in die Hand des Schloßbibliothekars.34 Es kommt ja nicht von ungefähr, daß sich Joseph Π. und sein Bruder Leopold Π. in einem Doppelporträt darstellen ließen, bei dem Montesquieus - in Osterreich von der Zensur verbotener - "L'esprit des lois'" sichtbar auf dem Tisch

Manfred Agethen, Aufklärungsgesellschaften, Freimaurerei, Geheime Gesellschaften. Ein Forschungsbericht (1976-1986), in: Zeitschrift für historische Forschung 14 (1987), S. 439-463; Richard van Dülmen, Die Aufklärungsgesellschaften in Deutschland als Forschungsproblem, in: Francia 5 (1977), S. 251-276; Ulrich Im Hof, Das gesellige Jahrhundert. Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung, München 1982; Ders., Der Sozietätsgedanke im 18. Jahrhundert, in: Pietismus und Neuzeit 7 (1981), S. 9-27; Rudolf Vierhaus (Hg.), Deutsche patriotische und gemeinnützige Gesellschaften, München 1980; Hans-Ulrich Thamer, Die Republik der Gebildeten. Aufklärungsgesellschaften in Deutschland und Frankreich im 18. Jahrhundert, in: Westfälische Zeitschrift 139 (1989), S. 123-139; Helmut Reinalter (Hg.), Aufklärungsgesellschaften, Frankfurt am Main 1993; Monika Neugebauer-Wölk, Esoterische Bünde und Bürgerliche Gesellschaft. Entwicklungslinien zur modernen Welt im Geheimbundwesen des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1995. Paul Raabe, Die Zeitschrift als Medium der Aufklärung, in: Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, Bd. 1, Wolfenbüttel 1974, S. 99-136; Rudolf Jentzsch, Der deutschlateinische Büchermarkt nach den Leipziger Ostermeßkatalogen von 1740, 1770 und 1800 in seiner Gliederung und Wandlung, Leipzig 1912; Helmuth Kiesel u. Paul Münch, Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Entstehung des literarischen Markts in Deutschland, München 1977.

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lag.35 Joseph Π. und andere Fürsten lasen auch Schlözers "Staatsanzeigen", wie sie vorher seinen "Briefwechsel meist statistischen Inhalts" und seinen "Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts" gelesen hatten. Einen bemerkenswerten Beleg liefern die Akten der Wiener Staatskanzlei, in denen der Kaiser seinem Staatskanzler Kaunitz 1784 entgegenhielt: "Je vous prie, mon eher prince, de lire dans Schlötzer (...)", wobei Kaiser und Kanzler über den Aussagewert statistischer Angaben eines Aufklärungsautors wie Schlözer stritten. Die Predigt aufgeklärter Pfarrer wurde nicht nur auf den harten Kirchenbänken gehört, sondern auch in den Fauteuils der Fürsten in ihren Hofkirchen. 37 Lessings Trauerspiel "Emilia Galotti" mit seiner Hof- oder Fürstenkritik fand sein erstes Publikum in Kreisen der braunschweigischen Hofgesellschaft, als es dort am 13. März 1772 aufgeführt wurde, auch wenn die Zuschauer Lessings Botschaft gegenüber gleichgültig blieben. In den Freimaurerlogen gab es in beachtlichem Umfang regierende Fürsten und Prinzen fürstlicher Häuser als Mitglieder, die in dieser utopischen Gegenwelt zur Ständegesellschaft aufklärerische Ideen und das freimaurerische Menschenbild mit seiner Betonung der Würde des Einzelmenschen vor den Unterschieden des Standes oder der Konfession aufnehmen konnten.38 Schon 1738, Zu diesem auf dem Schutzumschlag des vorliegenden Bandes reproduzierten Gemälde Pompeo Batonis auch Hans Wagner, Der Höhepunkt des französischen Kultureinflusses in Osterreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Osterreich in Geschichte und Literatur 5 (1961), S. 507-517, hier S. 510. Bildbeschreibung: Kaiser Joseph Π. (Bildmitte) und sein Bruder Leopold, Großherzog von Toskana, Doppelporträt (Kniestück) vor der Kulisse Roms (St. Peter und Engelsburg), Gemälde von Pompeo Batoni (1769). Auf dem Tisch vor der Minerva Schreibzeug, ein "Plan de Rome" und Montesquieus "L'esprit des lois" (2 Bände). Erkennbar das Rückenschild des 1. Bandes: DE L'ESPRIT DES L O K . TOM I. Im Hintergrund hinter dem Fuß der Minerva weitere Bücher. Das Gemälde hing früher im Vieux Laque-Zimmer von Schloß Schönbrunn, heute Kunsthistorisches Museum Wien. 36

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Dazu Klueting, Lehre von der Macht der Staaten (wie Anm. 25), S. 191 f. Dort auch das Zitat. Werner Schütz, Die Kanzel als Katheder der Aufklärung, in: Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, Bd. 1, Wolfenbüttel 1974, S. 137-171; Ders., Geschichte der christlichen Predigt, Berlin/ New York 1972, S. 159-171: "Die Predigt der Aufklärung". Möller, Vernunft und Kritik (wie Anm. 28), S. 224. Siehe auch Manfred Agethen, Geheimbund und Utopie. Hluminaten, Freimaurer und deutsche Spätaufklärung, München 1984; Helmut Reinalter (Hg.), Freimaurerei und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, Frankfurt am Main 1983; Ludwig Hammermayer, Zur Geschichte der europäischen Freimaurerei und Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert, in: Ε. H. Balazs u.a. (Hg.), Beförderer der Aufklärung in Mittel- und Osteuropa, Berlin 1979, S. 9-68; Rudolf Vierhaus, Aufklärung und Freimaurerei in Deutschland, in: Ders., Deutschland im 18. Jahrhundert. Politische Verfassung, soziales Gefüge, geistige Bewegung. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1987, S. 110-125 (zuerst 1973); Edith Rosenstrauch-

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ein Jahr nachdem in Hamburg die erste deutsche Freimaurerloge gegründet worden war, trat der preußische Thronfolger und spätere König Friedrich Π. in Braunschweig in eine Freimaurerloge ein. Auch Joseph Π. und sein Vater Franz I. waren Anhänger der Freimaurerei. Die Verbindung von Aufklärung und Geheimnis, die Arkanpraxis und die innere Hierarchisierung der Logen mit ihren Graden dürften fürstlichem Selbstverständnis entgegengekommen sein. Aber auch offene Aufklärungsgesellschaften wie die Patriotischen und Ökonomischen Gesellschaften hatten fürstliche Mitglieder. Das konnte von einer Art Ehrenpräsidentschaft bis zu aktiver Beteiligung reichen und kam, zumal in kleinen Residenzstädten, auch patriarchalischen Verhaltensweisen entgegen. Eines von zahlreichen Beispielen bietet die Gräfin Caroline von Wied-Neuwied (1720-1795), Gemahlin des regierenden Reichsgrafen (1784 zum Fürsten erhobenen) Johann Friedrich Alexander von Wied-Neuwied, als Mitglied der "Ismenischen Gesellschaft" in Neuwied.39 Andere Aufklärungsgesellschaften wie die spezifisch bürgerlichen Lesegesellschaften,40 stießen hingegen kaum auf das Interesse von Fürsten. Der ursprüngliche Zweck dieser Gesellschaften, der kostengünstige gemeinsame Bezug von Zeitschriften und die Anschaffung von Büchern, war für die materiell ungleich besser gestellten Fürsten, zudem oft Besitzer großer Schloßbibliotheken, ohne Bedeutung, wie die innere Struktur dieser Gesellschaften - anders als die geschlossenen Freimaurerlogen mit ihrem Kult des Geheimnisses und offene Aufklärungsgesellschaften mit ihrer prestigeträchtigen Verpflichtung auf das 'Gemeine Beste' - fürst-

Königsberg, Freimaurerei im josephinischen Wien, Wien 1975; Wilfried Dotzauer (Hg.), Quellen zur Geschichte der deutschen Freimaurerei im 18. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des Systems der strikten Observanz, Frankfurt am Main 1991; Helmut Reinalter (Hg.), Aufklärung und Geheimgesellschaften. Freimaurer, Üluminaten und Rosenkreuzer. Ideologie, Struktur und Wirkungen, Bayreuth 1992. Werner Trossbach, "Im Kleinen ein ganz wohl eingerichteter Staat". Aufgeklärter Absolutismus in der Grafschaft Wied-Neuwied, in: Journal für Geschichte 1985, Heft 5, S. 2631, hier S. 28. Otto Dann (Hg.), Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation. Ein europäischer Vergleich, München 1981; Ders., Die Lesegesellschaften des 18. Jahrhunderts und der gesellschaftliche Aufbruch des deutschen Bürgertums, in: Ulrich Herrmann (Hg.), "Die Bildung des Bürgers". Die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft und die Gebildeten im 18. Jahrhundert, Weinheim/Basel 1982, S. 100-118 (zuerst 1977); Marlies Prüsener, Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Lesergeschichte, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 12 (1972), S. 369-594; Herbert G. Göpfert, Lesegesellschaften im 18. Jahrhundert, in: Franklin Kopitzsch (Hg.), Aufklärung, Absolutismus und Bürgertum in Deutschland. Zwölf Aufsätze, München 1976, S. 403-411 (zuerst 1971).

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Harm Klueting

lichen Reputationsbedürfnissen nicht entgegenkam und daher für sie nicht attraktiv war. Besondere Bedeutung besaßen daneben fürstenspezifische Medien der Aufklärung. Das gilt vor allem für die Prinzenerziehung, 4 Erasmus v o n Rotterdam

43

seit Fenelon, 4 2 ja seit

ein wichtiges Feld geistiger Berührung zwischen

bürgerlicher Intelligenz und fürstlicher Macht und als solches v o m Humanismus bis zur Aufklärung und darüber hinaus v o n außerordentlicher, w e n n auch n o c h immer zu wenig beachteter Bedeutung. So wurde zumindest ein Teil der Fürsten mit zentralen Gedanken der Aufklärung vertraut gemacht. Das ist besonders deutlich bei Joseph Π. und den Kronprinzenvorträgen seines Lehrers Christian August v o n Beck, der dem jungen Erzherzog die rationale Naturrechtslehre ebenso vermittelte wie die Vorstellung v o n der Verpflichtung des Herrschers für die Glückseligkeit der Untertanen und den Gedanken der Toleranz.

Dasselbe gilt auch noch für die Vorträge, die Carl Gottlieb Svarez

Für die Zeit von Humanismus und Reformation: Notker Hammerstein, "Großer fürtrefflicher Leute Kinder". Fürstenerziehung zwischen Humanismus und Reformation, in: August Buck (Hg.), Renaissance, Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten, Wiesbaden 1984, S. 193-285; Laetitia Boehm, Konservativismus und Modernität in der Regentenerziehung an deutschen Höfen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung 12 (1984), S. 69-93; Fallstudien: Notker Hammerstein, Prinzenerziehung im landgräflichen Hessen-Darmstadt, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 33 (1984), S. 193-238; Ders., Fürstenerziehung der frühen Neuzeit am Beispiel Hessen-Homburg, in: Bad Homburg vor der Höhe 782-1982. Beiträge zur Geschichte, Kunst und Literatur. Bad Homburg v.d.H. 1983, S. 133-190. Franjois de Salignac de la Mothe de Fenelon, Les Aventures de Telemaque (1699). Dazu: Susanne Hahn, Von der Prinzenerziehung zur Menschenerziehung. Fenelons "Les aventures de Telemaque" und seine Rezeption im 18. Jahrhundert, in: Die Schiefertafel 4 (1981), S. 5-20; Maria Michels, Bibüographie deutscher Ausgaben des Telemach-Romans (Auswahl), ebd. S. 20-23. Erasmus von Rotterdam, Die Erziehung eines christlichen Fürsten - Institutio principis christiani, Paderborn 1968. Siehe auch Rudolf Grieser, Leibniz und die Fürstenerziehung, in: Wilhelm Totok/Carl Haase (Hg-)> Leibniz, Hannover 1966, S. 511-533. Hermann Conrad (Hg.), Recht und Verfassung des Reiches in der Zeit Maria Theresias. Die Vorträge zum Unterricht des Erzherzogs Joseph im Natur- und Völkerrecht sowie im Deutschen Staats- und Lehnrecht, Köln/Opladen 1964; Ders., Recht und Verfassung des Reiches in der Zeit Maria Theresias. Aus den Erziehungsvorträgen für den Erzherzog Joseph, in: Hanns Hubert Hofmann (Hg.), Die Entstehung des modernen souveränen Staates, Köln 1967, S. 228-243, 427-432; Ders., Reich und Kirche in den Vorträgen zum Unterricht Josephs Π., in: Festschrift Max Braubach, Münster 1964, S. 602612; Ders., Staatsverfassung und Prinzenerziehung. Ein Beitrag zur Staatstheorie des aufgeklärten Absolutismus, in: Festschrift Leo Brandt, Köln/Opladen 1968, S. 589-611; Ders., Zu den geistigen Grundlagen der Strafrechtsreform Josephs Π. (1780-1788), in: Festschrift Hellmuth von Weber, Bonn 1963, S. 56-74; Anna Hedwig Benna, Der Kronprinzenunterricht Josefs Π. in der inneren Verfassung der Erbländer und die Wiener

Der aufgeklärte Fürst

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1791/92 dem preußischen Kronprinzen, dem nachmaligen König Friedrich Wilhelm HL, hielt.45 Nicht von ungefähr setzten daher französische Aufklärer wie Diderot auf die Prinzenerziehung als Mittel auf dem Weg zur Herrschaft der Aufklärung. 46 Zu den fürstenspezifischen Vermittlungswegen wird man auch den französischen Kultureinfluß rechnen können, weil die kulturelle Orientierung an Frankreich sowie Kenntnis und Gebrauch der französischen Sprache an den deutschen Höfen auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch immer sehr viel stärker waren als im lange an späthumanistischen Bildungsidealen festhaltenden, vom Latein der Universitäten geprägten und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von der deutschen Nationalsprache begeisterten gebildeten Bürgertum. Dabei war auch in fürstlichen Kreisen französischer Kultureinfluß nicht identisch mit Rezeption der französischen Aufklärung. Doch konnte die Offenheit für die französische Kultur der französischen Aufklärung als Vehikel dienen. Tatsächlich läßt sich für viele deutsche Fürsten und Angehörige fürstlicher oder reichsgräflicher Familien dieser Zeit die Kenntnis oder zumindest der Besitz der Werke Voltaires, Diderots, der Encyclopedic und der Physiokraten, aber auch Rousseaus, nachweisen. Das ging, abgesehen von dem persönlichen Umgang Friedrichs Π. mit Voltaire,47 über die Lektüre der Schriften französischer Aufklärer und über Stellungnahmen in Briefen oder Tagebüchern und dergleichen bis zum bloßen Vorhandensein der

45

46 47

Zentralstellen, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 20 (1967), S. 115-179; Derek Beales, Joseph Π, Bd. 1: In the Shadow of Maria Theresa, 1741-1780, Cambridge 1986, S. 29-68. Hermann Conrad u. Gerd Kleinheyer (Hg.), Carl Gottlieb Svarez, Vorträge über Recht und Staat, Köln/Opladen 1960; Hermann Conrad, Staatsgedanke und Staatspraxis des aufgeklärten Absolutismus, Opladen 1971. Schlobach (wie Anm. 13), S. 333. Walter Mönch, Voltaire und Friedrich der Große. Das Drama einer denkwürdigen Freundschaft. Eine Studie zur Literatur, Politik und Philosophie des XVHL Jahrhunderts, Stuttgart/Berlin 1943; Christiane Mervaud, Voltaire et Frederic Π. Une dramaturgie des lumieres 1736-1778, Oxford 1985; A. R. Todd, The Intellectual Relationship between Voltaire and Frederic le Grand, Ann Arbor 1972; Peter Brockmeier, Roland Desne u. Jürgen Voss (Hg.), Voltaire und Deutschland. Quellen und Untersuchungen zur Rezeption der Französischen Aufklärung, Stuttgart 1980; Wilhelm Dilthey, Friedrich der Große und die deutsche Aufklärung, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 3, 'Stuttgart/Göttingen 1976, S. 81-205; Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche, Frankfurt am Main 1983; Ulrich Muhlack, Geschichte und Geschichtsschreibung bei Voltaire und Friedrich dem Großen, in: Johannes Kunisch (Hg.), Persönlichkeiten im Umkreis Friedrichs des Großen, Köln/Wien 1988, S. 29-57.

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Encyclopedic oder der historischen Schriften Voltaires48 und bis zu Nippsachen und auffälligen Moden der Namengebung. So erhielt der 1765 geborene Reichsgraf und spätere Fürst zu BentheimTecklenburg von seinen Eltern Moritz Casimir Π. und Helene Charlotte Sophia, geb. Gräfin von Sayn-Wittgenstein-Berleburg, den in dieser Familie bis dahin völlig ungebräuchlichen Namen "Emile " (Emil Friedrich) nach Rousseaus Erziehungsroman "Emile ou de l'education" von 1762. Die Nachfahren des Fürsten Emil Friedrich zu Bentheim-Tecklenburg besitzen noch heute in einem ihrer Schlösser (Schloß Hohenlimburg in Westfalen) Biskuitfiguren mit plastischen Ganzporträts Voltaires und Rousseaus, in einem anderen Schloß (Schloß Rheda in Westfalen) aber auch eine Sammlung von Kupferstichporträts Göttinger Professoren von Achenwall bis Schlözer und von Gatterer bis Pütter. Emil Friedrichs Vater Moritz Casimir (1735-1805) hat diese Porträts zur Erinnerung an seine Göttinger Studentenzeit erworben. Somit zeigt sich in der Namengebung und in Gegenständen des Zimmerschmucks anschaulich die Aufnahme und Verbindung von deutscher und französischer Aufklärung in ein und derselben Generation einer Reichsgrafenfamilie. Der Bibliotheksbestand der Fürstlich zu Bentheim-Tecklenburgischen Bibliothek aus dem 18. Jahrhundert vermittelt dasselbe Bild: vorhanden waren nicht nur Werke von Christian Wolff und Lessing sowie Johann Hübners Zeitungslexikon, sondern auch Pierre Bayles "Dictionnaire historique et critique", Fenelons "Les Aventures de Telemaque", Montesquieus 'L'esprit des lois', verschiedene Werke Voltaires und Rousseaus "Emile".49 48

Wenig Auskunft gibt Jürgen Voss, Verbreitung, Rezeption und Nachwirkung der Encyclopedic in Deutschland, in: Gerhard Sauder/ Jochen Schlobach (Hg.), Aufklärungen. Frankreich und Deutschland im 18. Jahrhundert, Bd. 1, Heidelberg 1985, S. 183-191. Dort heißt es: "Im Vergleich zu den westlichen Nationalstaaten läßt sich die Verbreitung und Rezeption der Encyclopedie im deutschen Kulturraum (...) weitaus schwieriger erfassen" (S. 185); "da es an entsprechenden bibliotheksgeschichtlichen Vorarbeiten fehlt, kann man noch keine Ubersicht darüber erstellen (...) wer das große Werk in seiner Bibliothek stehen hatte" (S. 186). Das von J. Voss dort S. 183, Anm. 1 für 1986 angekündigte Werk "Deutschland und die Encyclopedie. Unbekannte Dokumente zur Geschichte ihrer Wirkung in Deutschland 1768-1800" ist m.W. bis heute (1996) nicht erschienen, siehe jedoch auch Jürgen Voss, Deutsche und französische Enzyklopädien des 18. Jahrhunderts, in: Schneiders (Hg.), Aufklärung als Mission (wie Anm. 13), S. 238247.

49

Renate Schusky, Die Fürstlich zu Bentheim-Tecklenburgische Bibliothek in Rheda. Repräsentationsbibliothek und Gebrauchsbücherei, Heidelberg 1984, S. 15 f. Siehe auch Harm Klueting, Das fürstliche Haus Bentheim-Tecklenburg. Eine Familiengeschichte in Bildern. Mit kunstgeschichtlichen Beiträgen von Carsten Felgner, Münster 1993, dort S. 22 zu einer anderen interessanten Namengebung in dieser Familie: Der am 9. August 1812 und somit zu einer Zeit, in der Napoleon in Rußland noch als siegreicher Eroberer

Der aufgeklärte Fürst

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Es blieb aber nicht bei bloßer Rezeption der französischen Aufklärung. Der Auffassung der französischen Aufklärer und Physiokraten vom 'despote eclaire' und von den Fürsten als Instrumenten der Aufklärung entsprechend gab es auch gezielte Versuche, deutsche und europäische Fürsten in den Diskurs der Aufklärung hineinzuziehen. Dazu diente besonders die in Paris von Friedrich

Melchior

Grimm

von

1753

bis

1773

herausgegebene

"Correspondance litteraire", die nur für Fürsten bestimmt war und diesen ausgewählten Personenkreis mit den Gedanken der französischen Aufklärung vertraut machen sollte. 50 Ein anderer fürstenspezifischer Vermittlungsweg der Aufklärung waren die bürgerlichen, nobilitierten oder adeligen Beamten der Fürsten, deren Zahl mit dem Ausbau der Verwaltung und dem Zug zur Bürokratisierung im Laufe des 18. Jahrhunderts zunahm. Das galt für die höchste Ebene der Kabinette und Geheimen Räte der großen Herrscherhäuser ebenso wie für die nur mit wenigen Beamten besetzten Kanzleien kleiner Fürsten und Reichsgrafen. Uberall waren im 18. Jahrhundert Beamte tätig, die als Angehörige der ständeübergreifenden Funktionselite auf ein juristisches (oder kameralistisches) Studium zurückblickten, wobei auch für katholische Höfe und Kanzleien und für katholische Beamte Universitäten wie Halle und später vor allem Göttingen Bedeutung gewannen. Mit diesen akademisch gebildeten Beamten kamen die Gedanken Samuel Pufendorfs und Christian Wolffs und später Kernelemente der Philosophie Kants ebenso wie die Naturrechtsdebatte und das aufklärerische Interesse für Statistik

und Kameralistik an die Höfe. Was der österreichische

Staatskanzler Graf (später Fürst) Kaunitz, der an der protestantischen Universität Leipzig studiert hatte,52 über Jahrzehnte hin Woche für Woche in Denkschriften und schriftlichen Vorträgen seiner Herrscherin Maria Theresia und

auf das erst am 14. September 1812 erreichte Moskau vordrang, geborene jüngste Sohn des Grafen Emil Friedrich zu Bentheim-Tecklenburg erhielt den in der Familie bis dahin ebenfalls ungebräuchlichen Namen Kaiser Alexanders I. von Rußland, was die antinapoleonische Haltung des Hauses Bentheim-Tecklenburg verdeutlicht. Schlobach (wie Anm. 13), S. 332; Ders., Diderot und Grimms Correspondance litteraire, in: H. Dieckmann (Hg.), Diderot und die Aufklärung, München 1980, S. 47-63. Klueting, Lehre von der Macht der Staaten (wie Anm. 25). Grete Klingenstein, Der Aufstieg des Hauses Kaunitz. Studien zur Herkunft und Bildung des Staatskanzlers Wenzel Anton, Göttingen 1975; Franz A. J. Szabo, Kaunitz and enlightened absolutism, 1753-1780, Cambridge 1994; Grete Klingenstein u. Franz A. J. Szabo (Hg.), Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg 1711-1794. Neue Perspektiven zu Politik und Kultur der europäischen Aufklärung, Graz 1996.

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ihrem Sohn Joseph Π. unterbreitete,53 kam einer Dauerinfusion mit den Ideen der Aufklärung gleich. Dasselbe gilt, ohne bisher hinreichend erforscht zu sein, für zahllose Beamte großer und kleiner Fürsten bis hin zu dem Regierungsrat Ferdinand Wilhelm Hoffmann 54 des Grafen von Bentheim-Tecklenburg, wobei die Wirksamkeit dieses Beamten als Vermittler von Aufklärung bei den kleinen Fürsten und Reichsgrafen durch das Phänomen der Beamtenausleihe zwischen verwandten oder befreundeten Höfe gesteigert wurde. Fürstenerzieher und Beamte, beide Angehörige der sozialen Hauptträgerschicht der Aufklärung in Deutschland,55 waren für viele Fürsten das wichtigste Medium der Aufklärung. Ein weiterer Aspekt der Kommunikation von Fürsten mit der Aufklärung kommt hinzu, der selten gesehen wird: der Prestigegewinn. Die Fürsten umgaben sich mit Aufklärern, suchten den Rat von Aufklärern, beschäftigten von der Aufklärung geprägte Beamte und beauftragten Aufklärer mit Reformplänen oder ließen entsprechende Reformen anderer Territorialstaaten nachahmen. Das Prestige eines Fürsten stieg, wenn er als aufgeklärt galt. Das war neu gemessen an der Vergangenheit, in der die Herrscher ihr Prestige aus glänzenden Kriegstaten, aus der Großartigkeit eines adeligen Stammbaumes, aus höfischer Prunkentfaltung mit den ausgeklügelten Formen des Hofzeremoniells mit einem großen Gefolge adeliger Höflinge und aus der Herrscherpanegyrik bezahlter Lobredner und Hofdichter bezogen hatten. Jetzt konnte man als Fürst sein Ansehen aus der Korrespondenz mit Intellektuellen oder durch Reformen gewinnen, durch Verbesserungen der landwirtschaftlichen Produk53

54

55

Klueting, Lehre von der Macht der Staaten (wie Anm. 25), S. 167-235. Siehe auch Lothar Schilling, Kaunitz und das Renversement des alliances. Studien zur außenpolitischen Konzeption Wenzel Antons von Kaunitz, Berlin 1994. Zu diesem Harm Klueting, Die Polizeiordnungen und der Polizeistaat des Ancien regime in der Grafschaft Limburg und der Herrschaft Rheda, in: Heimatblätter für Hohenlimburg 39 (1978), S. 49-61 u. 69-85, hier S. 73, Anm. 82. Allgemein Franklin Kopitzsch, Einleitung. Die Sozialgeschichte der deutschen Aufklärung als Forschungsaufgabe, in: Ders. (Hg.), Aufklärung (wie Anm. 40), S. 11-169; Rudolf Vierhaus, Umrisse einer Sozialgeschichte der Gebildeten in Deutschland, in: Ders., Deutschland im 18. Jahrhundert (wie Anm. 38), S. 167-182 (zuerst 1980). Zu den Beamten allgemein hier nur Günther Franz (Hg.), Beamtentum und Pfarrerstand 14001800, Limburg 1972; Johannes Kunisch, Die deutschen Führungsschichten im Zeitalter des Absolutismus, in: Hanns Hubert Hofmann/Günther Franz (Hg.), Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit. Eine Zwischenbüanz, Boppard 1980, S. 111-141; Hans Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums, Köln 1980; Bernd Wunder, Geschichte der Bürokratie in Deutschland, Frankfurt am Main 1986; Hubert C. Johnson, Frederick the Great and his Officials, New Haven/London 1975; Bernd Schminnes, Bildung und Staatsbildung. Theoretische Bildung und höhere Staatsverwaltungstätigkeit. Entwicklungen in Preußen im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Kleve 1994.

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tionsbedingungen, Straßenbau, Errichtung von Krankenhäusern und Findelanstalten, durch Gründung von Schulen oder Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten. So verzichtete der Kölner Kurfürst Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels, Nachfolger des prunkliebenden und auf höfisch-barocke Weise nach Prestige strebenden Clemens August von Bayern (gest. 1761), auf die Wiederherstellung des im Siebenjährigen Krieg zerstörten Arnsberger Schlosses, wohnte, wenn er sich in dieser kurkölnischen Nebenresidenz aufhielt, als Gast in einem Adelshof und errichte unter Verwendung von Steinen des Schlosses ein Zuchthaus, was ein Beitrag zur Modernisierung des Strafvollzugs war. 56 An die Stelle der Prunkporträts, die den Herrscher als siegreichen Kriegshelden, womöglich in antiker Kostümierung, oder im theatralischunwirklichen Auftritt aus den Kulissen zurückgezogener Vorhänge nach dem Vorbild des Porträts Ludwigs XIV. von Hyazinthe Rigaud von 170157 darstellten, trat das Porträt, das ihn bei nützlichen Verrichtungen - Joseph Π. als Landwirt hinter dem Pflug58 - oder umgeben von Büchern als Insignien der Aufklärung - nicht, wie beim Gelehrtenporträt, der Gelehrsamkeit - zeigte. Das beste Beispiel dürfte das schon erwähnte Doppelporträt Josephs Π. und Leopolds Π. mit Montesquieus "L'esprit des lois" auf dem Tisch sein. Das macht deutlich, daß die Meinungsbildung nicht mehr von Fürst, Hof und Kirche bestimmt wurde, sondern von publizierenden Intellektuellen, bei denen die Fürsten 'gut angeschrieben' sein, d.h. als aufgeklärt gelten wollten. Welche Elemente von Aufklärung gelangten nun zu den Fürsten und wurden von ihnen aufgenommen? Hier ist zunächst an das Moment der Säkularisierung zu denken, das bei den Fürsten vor allem als Absage an das Gottesgnadentum, als Verzicht auf die religiös-theologische Legitimation ihrer Herrscherstellung, hervortrat. Es war Teil des Säkularisierungsprozesses, wenn Für-

Harm Klueting, Arnsberg als Hauptstadt und Wechselresidenz in der Zeit der Kölner Kurfürsten (1371-1802), in: 750 Jahre Arnsberg. Zur Geschichte der Stadt und ihrer Bürger, Arnsberg 1989, S. 65-108, hier S. 98. Peter Berghaus, Das Herrscherporträt. Graphische Kunst im Dienste von Herrschaftsidee und Staatspropaganda, in: Porträt 1. Der Herrscher. Graphische Bildnisse des 16.19. Jahrhunderts aus dem Porträtarchiv Diepenbroick. Ausstellungskatalog, Münster 1977, S. 9-21; Harm Klueting, Wissen ist Macht. Beobachtungen zum SteinerSchmutzerschen Porträt des Staatskanzlers Kaunitz (1765-67) - zugleich ein Beitrag zum Thema "Das Bild als Quelle", in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 95 (1987), S. 297-310, dort auch Abbildung des Ludwig XIV.Porträts von Rigaud. Abbildung bei Klueting (Hg.), Josephinismus (wie Anm. 16), Nr. 48, S. 141. Siehe auch Heinz Haushofer, Das kaiserliche Pflügen, in: Festschrift Günther Franz, Frankfurt am Main 1967, S. 171-180.

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sten sich nicht mehr als Stellvertreter Gottes auf Erden - nicht mehr als "Götter der Erde, die zu Regenten der Menschen bestellet sind"59 - sahen, sondern als Beauftragte und Sachwalter des Volkes und als prinzipiell kritisierbare Amtsträger, 60 im übrigen als normale, wenn auch durch ihr Herrscheramt herausgehobene Menschen. Diese rationale Herrscherauffassung war nicht neu und seit den Vertragslehren des 17. Jahrhunderts der Staatstheorie vertraut. Neu war, daß regierende Fürsten diese Vorstellung übernahmen und sich gleichsam selbst säkularisierten. Allerdings findet sich die Absage an das Gottesgnadentum und die vernunftrechtliche Begründung der Monarchenstellung voll ausgeprägt nur bei Friedrich Π. In seiner Schrift gegen den radikalen französischen Aufklärer Baron von Holbach, dem "Examen de l'Essai sur les prejuges 1 macht sich der hinter der Anonymität der ohne Verfasserangabe erschienenen Broschüre verborgene König 1770 lustig über "Titel wie Ebenbilder der Gottheit oder Statthalter der Gottheit". Mit dem Gottesgnadentum stand Friedrich Π. aber auch der Institution der Erbmonarchie kritisch gegenüber. Im Schlußkapitel seiner 1751 veröffentlichten "Memoires pour servir a l'histoire de la Maison de Brandebourg" erwägt der König die Vorzüge von Monarchie und Republik. Wenn es zutreffe, daß eine gut verwaltete Monarchie die vollkommenste Regierungsform sei, so sei doch ebenso gewiß, daß Republiken sich am besten erhielten, weil die guten Könige sterblich, die weisen Gesetze aber unsterblich seien. In den Königreichen sei die einzige Grundlage der Gesetze, des Militärwesens, des Handels, der Gewerbe und aller anderen Bereiche des Staates der "despotisme du souverain" - oder die Laune eines einzelnen Menschen, unter dessen Nachfolgern keiner dem anderen gleiche. Auf einen ehrgeizigen Fürsten folge ein Faulenzer, auf diesen ein Frömmler, danach ein Krieger, dann ein Gelehrter, schließlich ein 59

So noch der physikotheologische Bevölkerungsforscher Johann Peter Süßmilch (17071767), vgl. J. P. Süßmilch, Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts. 2. Aufl. Berlin 1761 (zuerst 1742), Zitat Tl. 1, S. 57. Siehe auch Klueting, Lehre von der Macht der Staaten (wie Anm. 25), S. 80. Zu der dort S. 78 f., Anm. 284, 286 u. 287 genannten Literatur noch Wolfgang Neugebauer, Johann Peter Süßmilch. Geistliches Amt und Wissenschaft im friderizianischen Berlin, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1985, S. 33-68; Herwig Birg (Hg.), Ursprünge der Demographie in Deutschland. Leben und Werk Johann Peter Süßmilchs (1707-1767), Frankfurt am Main 1986, darin S. 29-141: Horst Dreitzel, J. P. Süßmilchs Beitrag zur politischen Diskussion der deutschen Aufklärung.

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Dazu Aretin, Einleitung (wie Anm. 2), S. 21 f. Friedrich Π., Kritik der Abhandlung "Über die Vorurteile", in: Ders., Antimachiavell und Testamente ( - Die Werke Friedrichs des Großen, Bd. 7), Berlin 1913, S. 238-257; französischer Originaltext in: CEuvres de Frederic le Grand, Bd. 9, Berlin 1848. Ebd., S. 255.

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Wollüstling. Daher werde ein monarchisch regierter Staat gewöhnlich nach dem Regierungsantritt eines neuen Fürsten nach neuen Grundsätzen regiert: "Und das ist es", so der König von Preußen, "was gegen diese Regierungsform spricht". 63 Auch diese Erkenntnis war nicht neu, hatte doch schon Jean Bodin 1566 bemerkt, daß in Monarchien jeweils auf einen besonders ruchlosen ein besonders rechtschaffener Fürst folge, bis ein neuer Fürst wieder ins entgegengesetzte Extrem verfalle.64 Neu war auch hier, daß sich ein absoluter Monarch dieser Problematik bewußt war und ihr Ausdruck verlieh, nämlich des Zentralproblems der Erbmonarchien, der Nachfolgefrage. Doch wich auch ein Friedrich vor der Konsequenz dieser Erkenntnis zurück, die zur Beschränkung des Herrschers auf die Rolle eines konstitutionellen Monarchen oder auf die Wahl des jeweils Besten zum Präsidenten der Republik hinauslaufen mußte. Stattdessen versuchte er, das Problem der Monarchie durch den 'guten König' zu lösen. In seinem "Essai sur les formes de gouvernement et sur les devoirs des souverains"65 von 1777 heißt es, die monarchische Regierung sei die schlimmste oder die beste von allen, je nachdem wie sie geführt werde. In diesem Zusammenhang fällt das auch aus früheren Äußerungen des Königs bekannte

Wort

vom "ersten Diener des Staates", vom "premier serviteur de l'Etat": "Die Aufrechterhaltung der Gesetze war der einzige Grund", so der König, "der die Menschen bewog, sich Obere zu geben; denn das bedeutet den wahren Ursprung der Herrschergewalt. Ihr Inhaber war der erste Diener des Staates".67 "Le souverain est le premier serviteur de Γ Etat", so hatte es schon in Friedrichs Politischem Testament von 1752 geheißen: "Der Herrscher ist der erste Diener des Staates. Er wird gut bezahlt, damit er die Würde seiner Stellung

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Friedrich Π., Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg (= Werke I, 1913), S. 221. Siehe auch Klueting, Lehre von der Macht der Staaten (wie Anm. 25), S. 158 f. Jean Bodin, Methodus ad facilem historiarum cognitionem (1566), Amsterdam 1650 (Nachdruck Aalen 1967), S. 224. Der Verfasser verdankt den Hinweis auf diese BodinStelle Ulrich Muhlack, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München 1991, S. 308. Friedrich Π., Regierungsformen und Herrscherpflichten, in: Werke VII, S. 225-237. Französischer Text: CEuvres de Frederic le Grand, Bd. 9, S. 195-210. Dazu Peter Baumgart, Naturrechtliche Vorstellungen in der Staatsauffassung Friedrichs des Großen, in: Hans Thieme (Hg.), Humanismus und Naturrecht in BrandenburgPreußen, Berlin 1979, S. 143-154, hier S. 146 f.; Ders., Herrschaftssauffassung und Regierungsstil der drei ersten Hohenzollernkönige, in: Vogler (Hg.), Europäische Herrscher (wie Anm. 12), S. 202-214, hier S. 212 f. Friedrich Π., Regierungsformen (wie Anm. 65), S. 226.

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aufrechterhalte; aber man fordert von ihm, daß er wirksam für das Wohl des Staates arbeite". 68 War somit für Friedrich Π. die rationale Legitimation der monarchischen Herrschaft durch Leistung und Pflichterfüllung an die Stelle des Gottesgnadentums getreten, so war dieser Wandel bei anderen Fürsten längst nicht so eindeutig - wenn man von Leopold Π. absieht. Der Großherzog von Toskana schrieb 1783 in dem nicht verwirklichten Verfassungsentwurf für die Toskana: "Die begrenzte Monarchie, wo die exekutive Gewalt in den Händen eines Einzigen frei ist und die gesetzgebende Gewalt in denen der Repräsentanten der Nation, ist die beste von allen". Das war eine Absage an den Absolutismus unter Aneignung von Montesquieus Gewaltenteilungslehre. Von Gottesgnadentum war dabei längst keine Rede mehr. Hingegen hielt Leopolds Bruder Joseph Π.70, der sich und seinen Beamten keine geringeren Pflichten auferlegte als der preussische König,71 am Gottesgnadentum fest72 - besser: er verwarf es nicht ausdrücklich, sondern konnte den Staatsdienst mit Gottesdienst gleichsetzen: "Car le service de Dieu est inseparable de celui de l'Etat".73 Beim Markgrafen Karl Friedrich von Baden, einem pietistisch beeinflußten Lutheraner, findet sich so etwas wie innere Säkularisierung des Gottesgnadentums, das ihm keine supranaturale Legitimation seiner Fürstenstellung im Sinne einer Stellvertretung Gottes mehr ermöglicht, aber ihm von Gott die Pflicht auferlegen läßt, für die Wohlfahrt seiner Unter-

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Jetzt zu zitieren nach der zweisprachigen Ausgabe von Richard Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern, Köln/Wien 1986, Zitat S. 329. Siehe auch Otto Hintze, Das Politische Testament Friedrichs des Großen von 1752, in: Ders., Regierung und Verwaltung ( - Gesammelte Abhandlungen ΙΠ), 2 Göttingen 1967, S. 429447 (zuerst 1904); Heinz Duchhardt, Das Politische Testament als "Verfassungsäquivalent", in: Der Staat 25 (1986), S. 600-607. Adam Wandruszka, Leopold Π. Erzherzog von Österreich, Großherzog von Toskana, König von Ungarn und Böhmen, Römischer Kaiser, 2 Bde., Wien/München 1963/65, Zitat S. 389 f. Zu Joseph Π. außer Beales (wie Anm. 44) noch immer Paul von Mitrofanov, Joseph Π. Seine politische und kulturelle Tätigkeit, 2 Bde., Wien/Leipzig 1910; Timothy C. W. Blanning, Joseph II and Enlightened Despotism, New York 1971; Volker Press, Kaiser Joseph Π. Reformer oder Despot?, in: Vogler (Hg.), Europäische Herrscher (wie Anm. 12), S. 275-299; Peter Baumgart, Joseph Π. und Maria Theresia 1765-1790, in: Anton Schindling u. Walter Ziegler (Hg.), Die Kaiser der Neuzeit 1519-1918. Heiliges Römisches Reich, Osterreich, Deutschland, München 1990, S. 249-276. Harm Klueting, "Bürokratischer Patriotismus". Aspekte des Patriotentums im theresianisch-josephinischen Osterreich, in: Aufklärung 4 (1989), Heft 2, S. 37-52. Birtsch (wie Anm. 13), S. 17 f. Zitat ebd. S. 19.

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tanen zu sorgen, was auch als Amtspflichtgedanke ("devoir que de la fonction") aufgefaßt werden kann. 74 Dabei ist zu bedenken, daß ein Karl Friedrich als Reichsfürst und Lehnsmann des Kaisers mit dem Titel eines Markgrafen sowohl wegen seiner Bindung an Kaiser und Reich als auch wegen fehlenden königlichen Ranges ohnehin nicht Träger des Jure-Divino-Königtums im Sinne des 17. Jahrhunderts sein konnte. 75 Dasselbe gilt für Friedrich Π. und sein erst 1701 geschaffenes, im Kreis der alten Monarchien Europas parvenühaftes Königtum. Dem steht nicht entgegen, daß Friedrich I. sich "Von Gottes Gnaden/König zu Preußen/Souverainer Prinz von Oranien/Markgraf zu Brandenburg ... " genannt hatte. Überhaupt war dem protestantischen Milieu - der Fall Jakobs I. und Karls I. in England und Schottland liegt auch konfessionell ganz anders - die Vorstellung des Jure-Divino-Königtums kaum annehmbar und der lutherische Amtsgedanke viel gemäßer. Dieser aber ließ sich relativ leicht zum rationalen Leistungs- und Pflichtgedanken säkularisieren. Im Protestantismus "lebt die christliche Vorstellung von der Humilitas fort und wird zur Idee des gewöhnlichen, niedrigen Menschen ( . . . ) säkularisiert".76 Auch dieser Humilitasgedanke taucht in säkularisierter Form in der Aufklärung und bei Fürsten nicht nur protestantischer Konfessionszugehörigkeit auf, indem er sich mit dem allgemeinen Vernunftprinzip verbindet. Wenn die Aufklärung die Eigentümlichkeit des Menschen in der Eigenschaft seiner Vernünftigkeit sah, so war dies auch das Ergebnis von Säkularisierung, weil Vernunft als den Menschen vom Tier unterscheidendes Charakteristikum an die Stelle von Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit getreten war, die Luthers Menschenbild geprägt hatten. Waren aber alle Menschen schon als solche 'vernünf-

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76

Ebd. S. 16 f.; Schlobach (wie Anm. 13), S. 338 mit Anm. 28. Otto Brunner, Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip. Der Weg der europäischen Monarchie seit dem hohen Mittelalter, in: Ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. 3Göttingen 1980, S. 160-186 (zuerst 1956). Siehe auch Herbert von Borch, Das Gottesgnadentum. Historisch-soziologischer Versuch über die religiöse Herrschaftslegitimation, Heidelberg 1934; Heinrich von Srbik, Wilhelm von Schröder. Ein Beitrag zur Geschichte der Staatswissenschaften (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Phil.-hist. Klasse, Bd. 164/1), Wien 1910; Horst Dreitzel, Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft. Semantik und Theorie der Einherrschaft in Deutschland von der Reformation bis zum Vormärz, 2 Bde., Köln/Weimar/Wien 1991; Heinz Duchhardt, Richard A. Jackson u. David Sturdy (Hg.), European Monarchy. Its Evolution and Practice from Roman Antiquity to Modern Times, Stuttgart 1992. Brunner, Gottesgnadentum (wie Anm. 75), S. 174.

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tig', so waren auch alle Menschen gleich, unabhängig von tatsächlicher sozialer Ungleichheit. Das war der aufklärerische Gedanke der naturrechtlichen Gleichheit. Besonders deutlich wurde er von Friedrich Π. zum Ausdruck gebracht, und zwar schon im "Antimachiavell" von 1739/40, wo der junge Thronerbe schrieb, die Könige seien, "philosophisch betrachtet" und wenn man "von den Verschiedenheiten der Geschicke und des Standes" absehe, "nichts anderes als Menschen und alle Menschen sind gleich".77 1777 heißt es dann bei dem König, ein Fürst sei "ein Mensch wie der geringste seiner Untertanen".78 Auch Joseph Π. teilte die naturrechtliche Gleichheitsvorstellung. 1765 schrieb er, eben zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation gewählt und gekrönt und zum Mitregenten seiner Mutter Maria Theresia in der österreichischen Monarchie bestellt: "Wir erben von unseren Eltern nur das nackte Leben, also gibt es hier zwischen König, Graf, Bürger und Bauer nicht den geringsten Unterschied".79 Das war die aufklärerische Berufung auf die "natürliche Gleichheit" und durchaus etwas anderes als das Bewußtsein frommer Fürsten des 16. Jahrhunderts, die das Psalmwort: "Verlaßt euch nicht auf Fürsten; sie sind Menschen, die können ja nicht helfen"80 kannten und um die Gemeinsamkeit und damit Gleichheit - aller im Sünderdasein wußten. Deutlich ist jedoch, daß dieses Bewußtsein späteren Fürstengenerationen in Erinnerung gerufen werden mußte - so mit dem Kirchenliedvers des nassau-idsteinischen Hofpredigers Johann Daniel Herrnschmidt von 1714: "Fürsten sind Menschen, vom Weibe geboren,/und kehren um zu ihrem Staub;/ihre Anschläge sind auch verloren/wenn nun das Grab nimmt seinen Raub" 81 - , bevor der naturrechtliche Gleicheitsgedanke an seine Stelle trat. Kritik, sei es Religionskritik, Literatur- und Kunstkritik oder gar Staats- und Gesellschaftskritik, war hingegen nicht Sache der Fürsten und konnte es aufgrund ihrer Stellung auch bei gewandeltem Herrscherselbstverständnis nicht

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Friedrich Π., Antimachiavell, in: Werke VII, S. 1-114, Zitat S. 33. Ders., Regierungsformen (wie Anm. 65), S. 235. Joseph Π., Denkschrift des Kaisers über den Zustand der österreichischen Monarchie (Original französisch), vom 2. Januar 1766, Druck: Alfred von Arneth (Hg.), Maria Theresia und Joseph Π. Ihre Correspondenz sammt Briefen Joseph's an seinen Bruder Leopold, 3 Bde., Wien 1867/68, hier Bd. 3, S. 335-361 (dort Datierung "Ende 1765"), Zitat S. 352. Dasselbe in deutscher Ubersetzung bei Klueting, (Hg.), Josephinismus (wie Anm. 16), Nr. 39, Zitat S. 103. Siehe auch Ders., Lehre von der Macht der Staaten (wie Anm. 25), S. 215, Anm. 326. Dasselbe Zitat auch bei Birtsch (wie Anm. 13), S. 18. Psalm 146, 3. Evangelisches Kirchengesangbuch (EKG) Nr. 198, Vers 2: "Lobe den Herren, ο meine Seele".

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sein - so sehr sie, etwa Joseph Π.82, ihre Beamten und deren bloß "handwerksmässige" Art der Amtsführung kritisieren mochten. Doch war das eine andere Ebene des Kritisierens, die hier nicht zur Debatte steht. Eine Ausnahme macht auch hier der Intellektuelle Friedrich EL, von dem nicht nur Beiträge zur Literaturkritik und religionskritische oder religionssatirische Schriften vorliegen, sondern auch Arbeiten zur Staats- oder Politikkritik. Was denn sonst ist der "Antimachiavell" und sind die wiederholten Äußerungen des Königs zum Problem der monarchischen Staatsform, auch wenn er am Ende immer Argumente für die Monarchie fand? Es war auch der preußische König, der wie kein anderer seiner Herrscherkollegen die Vorstellung von der natürlichen Religion übernahm und den Deismus der Aufklärung teilte. Hingegen hielt Joseph Π., ungeachtet der ja nur im Institutionellen radikalen josephinischen Staatskirchenpolitik, an einer mehr oder weniger traditionellen katholischen Frömmigkeit und an den Glaubenslehren der tridentinischen Kirche fest. Ähnliches gilt für die meisten deutschen Fürsten dieser Zeit, die in ihrer Gesamtheit entweder das Bild eines dogmatisch intakten Katholizismus oder eines herkömmlichen Luther- oder Reformiertentums zeigten, wobei jansenistische Einsprengsel auf katholischer und pietistische auf evangelischer Seite diesen Eindruck eher verstärken als relativieren. Die Neologie eines August Friedrich Wilhelm Sack oder eines Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem - der erste Hofprediger in Berlin, der zweite Hofprediger in Wolfenbüttel - oder gar der theologische Rationalismus scheint für die überwiegende Mehrzahl der protestantischen Fürsten kaum prägende Bedeutung gewonnen zu haben. Etwas anders stellen sich die Dinge im Zusammenhang mit dem Toleranzpostulat dar, das für Friedrich Π. aufgrund seiner deistischen Haltung und we82 83

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Klueting, "Bürokratischer Patriotismus" (wie Anm. 71), S. 49. Friedrich Π., Betrachtungen über die Betrachtungen der Mathematiker über die Dichtkunst (1762), in: Werke VIH, S. 62-73; Ders., Über die deutsche Literatur. Die Mängel, die man ihr vorwerfen kann, ihre Ursachen und die Mittel zu ihrer Verbesserung (1780), ebd. S. 74-99. Dazu auch Schieder, Friedrich (wie Anm. 47), S. 386-398. Friedrich Π., Predigt über das Jüngste Gericht (1759), in: Werke Vm, S. 154-160; Ders., Vorrede zum Auszug aus Fleurys Kirchengeschichte (1766), ebd. S. 103-112; Ders., Hirtenbrief Sr. Hochwürden des Bischofs von Aix, worin die gottlosen Werke des p. p. Marquis d'Argens verdammt werden und auf seine Verbannung aus dem Königreiche erkannt wird (1766), ebd. S. 132-136; und andere mehr. Karl Aner, Die Theologie der Lessingzeit, Halle 1929 (Nachdruck Hildesheim 1964); Heinz Liebing, Zwischen Orthodoxie und Aufklärung, Tübingen 1961; Arno Schilson, Lessings Christentum, Göttingen 1980. Adam Wandruszka, Zur Religiosität Joseph Π., in: Barton (Hg.), Im Zeichen der Toleranz (wie Anm. 90), S. 101-108.

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gen der Tradition seines Hauses seit dem Konfessionswechsel seines Ahnherrn Johann Sigismund von 1613 kein Problem und überdies seit der Annexion des großenteils katholischen Schlesien eine politische Notwendigkeit war.

Das

hinderte ihn aber nicht daran, unter Gesichtspunkten der Staatsräson, d.h. als König und nicht als Intellektueller, "die evangelische Religion" als "die beste und weit besser als die katholische" 88 anzusehen. Dagegen scheint Toleranz für Joseph Π. ein persönliches Anliegen gewesen zu sein, auch wenn sich handfeste wirtschaftliche, außenpolitische 89 und staatskirchenpolitische Interessen mit seiner Toleranzpolitik verbanden. 90 Anders ist seine Rücktrittsdrohung vom 23. September 1777 kaum zu verstehen, 91 auch wenn der Charakter der josephinischen Toleranz als "Fortsetzung der Gegenreformation " mit anderen Mitteln (Peter F. Barton) davon unberührt bleibt. Der Zug der Aufklärung zur systematischen und enzyklopädischen Erfassung und Ordnung tritt bei Friedrich Π., aber auch bei Joseph Π., hervor. Selbst der System-Begriff besaß bei beiden Herrschern ähnliche Validität. Der König von Preußen schrieb 1752, eine gut geführte Regierung müsse ein ebenso geschlossenes System haben wie "un systeme de philosophie": "Alle Maßnahmen müssen gut durchdacht sein, Finanzen, Politik und Heerwesen auf ein gemeinsames Ziel steuern: nämlich die Stärkung des Staates und das Wachstum

Günter Birtsch, Religions- und Gewissensfreiheit in Preußen von 1780 bis 1817, in: Zeitschrift für historische Forschung 11 (1984), S. 177-204; Hartmut Rudolph, Öffentliche Religion und Toleranz. Zur Parallelität preußischer Religionspolitik und josephinischer Reform im Lichte der Aufklärung, in: Barton (Hg.), Im Zeichen der Toleranz (wie Anm. 90), S. 221-249; Anton Schindling, Friedrichs des Großen Toleranz und seine katholischen Untertanen, in: Peter Baumgart (Hg.), Kontinuität und Wandel. Schlesien zwischen Osterreich und Preußen, Sigmaringen 1990, S. 257-272. Zitat bei Birtsch (wie Anm. 13), S. 37. Siehe auch das "Politische Testament" von 1752, bei Dietrich (Bearb.), Politische Testamente (wie Anm. 68), S. 313-317; "Politisches Testament" von 1768, bei Dietrich a.a.O., S. 462-711, hier S. 603: "Die lutherische und die reformierte Religion, die in unserm Lande die herrschenden sind, könnten niemals dem Staat schaden, vorausgesetzt, man hält die Pfarrer in den Schranken, in denen sie sich zur Zeit befinden". Josef Karniel, Die Toleranzpolitik Kaiser Josephs Π., Gerlingen 1986. Hier muß der Hinweis genügen auf die Beiträge bei Peter F. Barton (Hg.), Im Zeichen der Toleranz. Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts in den Reichen Joseph Π., ihren Voraussetzungen und ihren Folgen, Wien 1981; Ders. (Hg.), Im Lichte der Toleranz. Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts in den Reichen Joseph Π., ihren Voraussetzungen und ihren Folgen, Wien 1981; Karniel, Toleranzpolitik (wie Anm. 89). Handschreiben im französischen Original bei Arneth (Hg.), Maria Theresia und Joseph Π. (wie Anm. 79), Bd. 2, S. 161; deutsche Übersetzung bei Klueting (Hg.), Josephinismus (wie Anm. 16), Nr. 78.

Der aufgeklärte Fürst

163

seiner Macht".92 Dieses Systemdenken konnte sich mit Utilitarismus und Effektivitätsstreben verbinden, das sich auch hinter den Rechtskodifikationsbestrebungen zeigt, so wenn Friedrich Π. 1750 in einer in der Berliner Akademie der Wissenschaften verlesenen Abhandlung die Ansicht vertrat: "Ein vollkommenes Gesetzbuch wäre das Meisterwerk des menschlichen Geistes im Bereich der Regierungskunst. Man müßte darin Einheit des Planes und so genaue und abgemessene Bestimmungen finden, daß ein nach ihm regierter Staat einem Uhrwerk gliche, in dem alle Triebfedern nur einen Zweck haben".93 Dasselbe gilt für die Strafrechtskodifikationen Josephs Π., bei denen sich, auch in seinen eigenen Auffassungen, Utilität und Effektivität sowie Vereinheitlichung und gesamtstaatliche Homogenität mit Humanität eigenartig mischten. Schließlich wurde von einigen Fürsten auch die aufklärerische Vorstellung von der "vernünftigen" Lebensführung aufgenommen, die sich mit pädagogischen Interessen und mit der Anthropozentrik der Aufklärung verband. Zu denken ist dabei nicht an die Schulpolitik Friedrichs Π.95, auch wenn für ihn "Aufklärung und Erziehung geradezu synonyme Begriffe"96 gewesen sein mögen, und auch nicht an die Gründung von Normalschulen im theresianischen Österreich und an die Bildungsreformen Maria Theresias und Josephs Π.97 Zu 92

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Friedrich Π., Politisches Testament (1752), hier zitiert nach Friedrich der Große. Hg. von Otto Bardong, Darmstadt 1982, S. 205, dasselbe Zitat bei Klueting, Lehre von der Macht der Staaten (wie Anm. 25), S. 159. Dasselbe bei Dietrich (wie Anm. 68), S. 327 mit Ubersetzungsvarianten. Friedrich Π., Über die Gründe, Gesetze einzuführen oder abzuschaffen (1749), in: Werke Vm, S. 22-39, Zitat S. 32. Dasselbe Zitat bei Aretin, Einleitung (wie Anm. 2), S. 17. Siehe auch Barbara Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine. Zur poÜtischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaates, Berlin 1986. Birtsch (wie Anm. 13), S. 41 ff. Auszüge aus dem "Josephmischen Strafgesetzbuch" von 1787 bei Klueting (Hg.), Josephinismus (wie Anm. 16), Nr. 164. Siehe auch Werner Ogris, Joseph Π. Staats- und Rechtsreformen, in: Barton (Hg.), Im Zeichen der Toleranz (wie Anm. 90), S. 109-151. Zum Zivilrecht Heinrich Strakosch, Privatrechtskodifikation und Staatsbildung in Österreich (1753-1811), München 1976. Wolfgang Neugebauer, Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in BrandenburgPreußen, Berlin/New York 1985; Ders. (Bearb.), Schule und Absolutismus in Preußen. Akten zum preußischen Elementarschulwesen bis 1806, Berlin/New York 1992. Siehe auch Ulrich Herrmann (Hg.), "Das pädagogische Jahrhundert". Volksaufklärung und Erziehung im 18. Jahrhundert in Deutschland, Weinheim/Basel 1981; Peter Albrecht/Ernst Hinrichs (Hg.), Das niedere Schulwesen im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, Tübingen 1995. Birtsch (wie Anm. 13), S. 35. Ulrich Krömer, Johann Ignatz von Felbiger. Leben und Werk, Freiburg 1966; Helmut Engelbrecht, J. I. Felbiger und die Vereinheitlichung des Primarschulwesens in Österreich. Bemerkungen zur pädagogischen Schrift "Kern des Methodenbuches (...)" (1777)

Harm Klueting

164

denken ist an pädagogische Interessen v o n Fürsten, die auf das Menschenbild der A u f k l ä r u n g abhoben und Erziehung zum Selbstdenken, zur A u t o n o m i e des freien Willens und der V e r n u n f t verwirklichen wollten und dabei das Erziehungsziel der Mündigkeit und des eigenständigen Vernunftgebrauchs im Sinne Kants und zugleich das der gesellschaftlichen Verantwortung des Individuums und insgesamt eine v o m K i n d her erfolgende Erziehung im Auge hatten, wobei es u m die Entfaltung der individuellen natürlichen Fähigkeiten der K i n d e r ging. 98 Das w a r Erziehung im Stile Rousseaus, v o n dessen "Emile" und den darauf gerichteten Interessen mancher Fürsten und Grafen schon die Rede war, aber auch J o h a n n Bernhard Basedows und der deutschen Philanthropinisten. Hier ist v o r allem an den Fürsten Leopold Friedrich Franz v o n AnhaltDessau zu denken, der 1771 Basedow einlud, das Schulwesen im Fürstentum Anhalt-Dessau zu reformieren und in der Residenzstadt eine Erziehungsanstalt einzurichten.

Daraus

entstand

das

berühmte,

1774

gegründete

"Philanthropinum" in Dessau, das zum Zentrum der pädagogischen Reformbewegung des Philanthropinismus w u r d e . " Zu nennen ist auch die G r ä f i n Casimire zur Lippe, Gemahlin des regierenden Reichsgrafen (Fürsten) Simon August zur Lippe und Schwester des Fürsten Leopold Friedrich Franz v o n Anhalt-Dessau, 1 0 0 und auf katholischer Seite die "Pädagogische Tafelrunde" des

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= Beilage zu J. I. Felbiger, Kern des Methodenbuches (...), Nachdruck der.2. Aufl., Wien 1981; Josef Stanzel, Die Schulaufsicht im Reformwerk des Johann Ignaz von Felbiger (1724-1788). Schule, Kirche und Staat in Recht und Praxis des aufgeklärten Absolutismus, Paderborn 1976. Siehe auch Gerald Grimm, Die Schulreform Maria Theresias 1747-1775. Das österreichische Gymnasium zwischen Standesschule und allgemeinbildender Lehranstalt im Spannungsfeld von Ordensschule, theresianischem Reformabsolutismus und Aufklärungspädagogik, Frankfurt am Main 1987; Rudolf Gönner, Bildungsreform als Staatspolitik. Zu den Wirksamkeiten Maria Theresias auf dem Gebiete des Schulwesens, in: Walter Koschatzky (Hg.), Maria Theresia und ihre Zeit. 2 Salzburg/Wien 1980, S. 209-212; Grete Klingenstein, Bildungskrise. Gymnasien und Universitäten im Spannungsfeld theresianischer Aufklärung, ebd. S. 213-223, Ernst Wangermann, Aufklärung und staatsbürgerliche Erziehung. Gottfried van Swieten als Reformator des österreichischen Unterrichtswesens 1781-1791, München 1978. Möller, Vernunft und Kritik (wie Anm. 28), S. 136-140. Friedrich Paulsen, Aufklärung und Aufklärungspädagogik, in: W. Rein (Hg.), Encyklopädisches Handbuch der Pädagogik, Bd. 1, Langensalza 1903, S. 305-317; Ulrich Herrmann (Hg.), "Das pädagogische Jahrhundert". Volksaufklärung und Erziehung im 18. Jahrhundert in Deutschland, Weinheim/Basel 1981; Auguste Pinloche, Geschichte des Philanthropinismus. Leipzig 21914; Johannes Rammelt, Basedow, der Philanthropinismus und das Dessauer Philanthropin, Dessau 1929. Volker Wehrmann, Die Aufklärung in Lippe. Ihre Bedeutung für Politik, Schule und Geistesleben, Detmold 1972, S. 76-81. Siehe auch Neithard Bulst, Jochen Hoock und Wolfgang Kaiser (Hg.), Die Grafschaft Lippe im 18. Jahrhundert. Bevölkerung, Wirtschaft und Gesellschaft eines deutschen Kleinstaates, Bielefeld 1993; Johannes Arndt u.

Der aufgeklärte Fürst

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Fürstbischofs Adam Friedrich von Seinsheim in Würzburg, die ebenfalls den Idealen des Philanthropinismus anhing und Forderungen nach zeitgemäßen Unterrichtsmethoden vertrat. 101 Ein anderes Beispiel für fürstliches Interesse an Pädagogik im Geist der Aufklärung bietet die Fürstin Sophie Erdmuthe von Nassau-Saarbrücken, der Diderot sein Drama "Le Pere de Familie" von 1758 widmete, welchem er die Druckfassung eines zuvor von der Fürstin gebilligten Widmungsbriefes, "Epitre a Son Altesse Serenissime Madame la Princesse de Nassau Sarrebruck", voranschickte. In diesem der Fürstin mit ihrer Zustimmung in den Mund gelegten Erziehungsprogramm für fürstliche Kinder ist u.a. vom freien Gebrauch der Vernunft als Erziehungsziel die Rede, aber auch von der Lebenswirklichkeit der breiten Masse der Bevölkerung - "Menschen, die vielleicht nützlicher sind als die Fürsten, schlafen auf Stroh und hungern" 102 - , mit deren Leben Fürstenkinder früh vertraut gemacht werden sollten. Nur Sinnlichkeit und Sexualität als Erziehungsziel hatte die Fürstin Diderot vor dem Druck zu streichen gebeten. Es gab ihn also, trotz Schlossers Verdikt, den aufgeklärten Fürsten. Er hieß vor allem Friedrich II., der als Sonderfall des Intellektuellen auf dem Thron, als Schriftsteller, Korrespondenzpartner und Gastgeber anderer Aufklärer selbst ein Aufklärer war, auch wenn manche Seiten der Aufklärung, etwa der pädagogische Impuls, bei ihm kaum ausgebildet waren. Es gab sodann eine Reihe von Fürsten, beginnend mit Kaiser Joseph Π. und bis hin zu zahlreichen kleinen - auch geistlichen - Fürsten und Reichsgrafen, die bestimmte aufgeklärte Ideen rezipierten und sich zu eigen machten, ohne aktiv, d.h. ohne eigene Beiträge, am aufgeklärten Diskurs beteiligt zu sein. Das waren - in den Grenzen selektiver Wahrnehmung der Aufklärung - aufgeklärte Fürsten, nicht aber

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Peter Nitschke (Hg.), Kontinuität und Umbruch in Lippe. Sozialpolitische Verhältnisse zwischen Aufklärung und Restauration 1750-1820, Detmold 1994. Karl Küffner, Beiträge zur Geschichte der Volksschule im Hochstift Würzburg von Johann Friedrich von Guttenberg bis zum Tode Adam Friedrichs von Seinsheim, Würzburg 1888; Georg Hübsch, Die Reformen und Reformbestrebungen auf dem Gebiete der Volksschule im ehemaligen Hochstift Bamberg unter den Fürstbischöfen Adam Friedrich von Seinsheim (1757-79) und Franz Ludwig von Erthal (1779-95), Bamberg 1891; John Christopher Doney, The Catholic Enlightenment and Popular Education in the Prince-Bishopric of Würzburg, 1765-95, in: Central European History 21 (1988), S. 3-30; Annemarie Lindig, Franz Oberthür als Menschenfreund. Ein Kapitel aus der katholischen Auf-klärung in Würzburg, Würzburg 1966; Elisabeth Roth, Hohe Schulen und Seminarien, in: Dies. (Hg.), Oberfranken in der Neuzeit bis zum Ende des alten Reiches, Bayreuth 1984, S. 627-661; Günter Christ, Das Hochstift Bamberg und die Aufklärung, in: Klueting (Hg.), Katholische Aufklärung (wie Anm. 103), S. 369409. Paraphrase bei Schlobach (wie Anm. 13), S. 334.

Harm Klueting

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Aufklärer wie der "roi philosophe" in Preußen. Diese selektive Rezeption von Aufklärung konnte, wie bei Joseph Π., ihre Schwerpunkte bei der rationalen Naturrechtslehre, dem naturrechtlichen Gleichheitsgedanken, Toleranzvorstellungen und Strafrechtshumanisierungsideen und vor allem bei Effektivitätsstreben und Nützlichkeitsvorstellungen haben und das alles übersetzen in ein rigoros gegen sich selbst und gegen andere geltend gemachtes Pflicht- und Dienstethos. Sie konnte, wie bei Karl Friedrich von Baden, mehr auf die physiokratische Wirtschafts- und Gesellschaftslehre hinauslaufen und dabei durchaus zu Zweifeln an der bestehenden Gesellschaftsordnung gelangen oder, wie bei manchen geistlichen Fürsten, mehr auf kirchliche Probleme fixiert sein, eine Selektionsweise, die wir "katholische Aufklärung" 103 nennen. Sie konnte aber auch im pädagogischen Gewand auftreten wie bei dem Fürsten von Anhalt-Dessau oder die Form eines allgemeinen intellektuellen Interessiertseins mit gewissen pädagogischen Einschlägen annehmen wie bei der Fürstin von Nassau-Saarbrücken. Die Aufgeklärtheit der Fürsten hatte oft keine unmittelbaren Folgen für die von ihnen regierten Länder und Menschen. Der König von Preußen beließ es bei einer theoretischen Absage an das Gottesgnadentum ohne praktische Folgen für seine autokratische Regierungsweise und zog aus seinen Bedenken gegen die Institution der Erbmonarchie nicht die sich aufdrängende konstitutionelle oder republikanische Konsequenz - auch nicht theoretisch; er blieb absoluter Herrscher. Auch führte die naturrechtliche Gleichheitsforderung nicht zur Beseitigung der Ständegesellschaft. Eher wurde das bestehende soziale Ordnungsgefüge konserviert - trotz der Adelsfeindschaft Josephs Π.; in Preußen geschah das dem Willen des Königs gemäß. Auch konnten die Fürsten dem mit dem Postulat des eigenständigen Vernunftgebrauchs zusammenhängenden aufklärerischen Prinzip der intellektuellen Freiheit nicht gerecht werden, wenn sie ihre - mit dem Pflichtgedanken und der Dienst- und Leistungsidee der rationalen Herrschaftslegitimation nach Aufgabe des Gottesgnadentums intellektuell eher notdürftig verteidigte - Stellung nicht aufgeben wollten. So obsiegte von allen Grundideen der Aufklärung der Effektivitätsund Utilitätsgedanke - bei Friedrich Π. "le systeme" - , mit dem sich die mit Leistung und Pflichterfüllung und mit dem Argument effektiver Verwaltung legitimierte Herrschaft begründen ließ. Hier nun verband sich die persönliche Haltung aufgeklärter Fürsten mit dem aufgeklärten Absolutismus.

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Harm Klueting (Hg.), Katholische Deutschland, Hamburg 1993.

Aufklärung - Aufklärung

im

katholischen

Der aufgeklärte Fürst

167

Eine Wegstrecke lang konnten die Aufklärer mit ihrer in den "despote eclaire" gesetzten Erwartung diesen Weg mitgehen, der Aufklärung vor allem als Effektivität sich konkretisieren ließ. Doch dann trennten sich die Wege. Für die Aufklärer wurde der aufgeklärte Herrscher entbehrlich. Für die Fürsten wurde die Aufklärung, die französische vor allem, zu radikal. Diese Entfremdung schon auf die Zeit um 1770 zu datieren104 - erscheint verfrüht, vor allem dann, wenn man an Joseph Π. und nicht nur an die französische Aufklärung denkt. Einer allerdings blieb bis an sein Lebensende, 1786, Aufklärer: Friedrich Π. von Preußen. Doch bezog auch er 1770 in seiner Schrift gegen Holbach Stellung gegen eine radikale Richtung der französischen Aufklärung, wobei in diesem Essay auch sonst bemerkenswerte Limitierungen der Aufklärung hervortreten: "Was kommt dabei heraus, wenn man einen Menschen aufklärt, den seine Illusionen glücklich machen".105

104 105

So jedoch Schlobach (wie Anm. 13), S. 338, 343-347. Friedrich Π., Kritik (wie Anm. 61), S. 241.

GÜNTHER KRONENBITTER Haus ohne Macht? Erzherzog Franz Ferdinand (1863-1914) und die Krise der Habsburgermonarchie Zum 50. Geburtstag Erzherzog Franz Ferdinands im Dezember 1913 erschien ein Sonderheft der dem Thronfolger der Habsburgermonarchie nahestehenden "Österreichischen Rundschau". Der als nicht sonderlich populär geltende Franz Ferdinand sollte dem Publikum als Hoffnungsträger Österreich-Ungarns präsentiert werden.1 Der Herausgeber der Zeitschrift betonte die vielen Beweise starker Willenskraft des Erzherzogs, die für die Zeit nach dem Thronwechsel energische Führungskraft zum Wohl der Monarchie erwarten ließen. Dies sei von großer Bedeutung, denn "Österreich-Ungarns Kaiser kann sich nicht damit begnügen, die Spitze der staatlichen Pyramide zu sein und als solche den ganzen, auf fester Grundlage ruhenden Bau zu krönen. Hier ist die Dynastie selbst das Fundament eines nicht immer logisch und organisch gegliederten Aufbaues - es trägt nicht, wie anderwärts der Staat die Dynastie - hier trägt die Dynastie den Staat."1 Keine andere Großmacht ist noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts so mit ihrem Herrscherhaus identifiziert worden wie Österreich-Ungarn. Die verfassungsjuristisch nicht leicht zu bestimmende und politisch heftig umstrittene staatsrechtliche Qualität des Zusammenhangs Ungarns und Österreichs, oder korrekt der "im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder", drückte sich schon in der zeitgenössischen Nomenklatur aus. Wie die durch den Ausgleich rechtlich abgesicherten Institutionen zur Wahrnehmung der gemeinsamen Angelegenheiten, vor allem das Außen- und das Kriegsministerium benannt wurden, war ein Politikum. Unstrittig war nur das Cis- und Transleithanien gemeinsame Herrscherhaus Habsburg-Lothringen. Realpolitisch blieb zwar trotz aller Diskussionen und Reibungsverluste der diplomatische Apparat arbeitsfähig, und die Bereitstellung der für die Wahrung des Großmachtstatus 1

Erzherzog Franz Ferdinand unser Thronfolger. Zum 50. Geburtstag. Illustriertes Sonderheft der "Österreichischen Rundschau", [Wien-]Berlin 1913. Leopold Freiherr von Chlumecky: Unser Thronfolger, in: Erzherzog Franz Ferdinand unser Thronfolger (FN 1), S. 5-8, hier S. 5.

Günther Kronenbitter

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erforderlichen Gewaltmittel gelang zumindest weitgehend, aber die Funktionsfähigkeit der dafür notwendigen politischen Entscheidungsprozesse beruhte weniger auf dem Verfassungsrecht, eher schon auf der Bindung der ausschlaggebenden Eliten an den Kaiser bzw. König und die Dynastie als Repräsentanten tradierter Herrschaftsformen. Im Zeitalter von Nationalstaaten und Nationalbewegungen und unter den Bedingungen des Dualismus war das Herrscherhaus ein wesentlicher Bezugspunkt der "zentripetalen" Kräfte in Armee, Bürokratie und Adel.3 Diese Konstellation machte Österreich-Ungarn in den allerdings erst im Weltkrieg geäußerten - Worten Franz Josephs "in der heutigen Welt" zu einer "Anomalie" .

Dynastie und Herrschaftsbildung Die Historiographie hat immer wieder die Kontinuität der Habsburgerherrschaft zum Leitfaden der politischen Geschichte weiter Teile Mittel- und Südosteuropas vom Mittelalter oder der Frühen Neuzeit bis 1918 erhoben, ohne deshalb darüberhinausgehende länderbezogene oder imperiale Aspekte auszuklammern. 5 Neben solchen "Geschichten des Habsburgerreiches" gibt es noch eine kaum mehr zu überblickende Fülle von Biographien einzelner Mitglieder der Dynastie, auch für die Regierungszeit Franz Josephs.6 Obwohl über die Bedeutung des Herrschergeschlechts für die Entstehung und Stabilisierung des Habsburgerreichs kein Zweifel zu sein scheint, trotz allen Interesses an den Lebensgeschichten vieler Habsburger - die Dynastie wurde nur selten als eigenständige Analyseebene herausgearbeitet. Dabei ließe sich die Verbindung von 3

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Vgl. Jozsef Galantai: Der österreichisch-ungarische Dualismus 1867-1918, Budapest Wien 1990, S. 31-73 und Istvan Dioszegi: Hungarian Nationalism and the Disintegration of the Monarchy, in: ders.: Hungarians in the Ballhausplatz. Studies on the Austro-Hungarian Common Foreign Policy, Budapest 1983, S. 320-345. Zur Geschichte ÖsterreichUngarns allgemein vgl. Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hgg.): Die Habsburgermonarchie 1848-1918, Bd. I-VI/2, Wien 1973-1993. Carl. J. Burckhardt: Begegnungen, Zürich 1958, S. 57, zitiert in Adam Wandruszka: "In der heutigen Welt eine Anomalie", in: ders./Urbanitsch (Hgg.), Habsburgermonarchie VI/1, S. XI-XVI, hier S. XI. Zwei Beispiele dafür bieten Robert A. Kann: Geschichte des Habsburgerreiches 1526 bis 1918, 3. Auflage, Wien-Köln-Weimar 1993 und Jean Berenger: Die Geschichte des Habsburgerreiches 1273-1918, Wien-Köln-Weimar 1995. Ein wichtiges Hilfsmittel in diesem Bereich ist Brigitte Hamann (Hg.): Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon, 3. Auflage, München 1988. Eine Ausnahme bildet - allerdings sehr knapp gehalten - Adam Wandruszka: Das Haus Habsburg. Die Geschichte einer europäischen Dynastie, Stuttgart Wien 1956.

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Dynastiegründung und -Sicherung einerseits und Aufbau des Fürstenstaats andererseits an diesem Beispiel auf der Basis einer außerordentlich umfassenden Forschungsliteratur überprüfen.8 Da jedoch hier die Doppelkrise von monarchischer Herrschaft und Dynastie des Hauses Habsburg in den letzten Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg zur Debatte steht, muß es an dieser Stelle genügen, die für die Sonderrolle des Habsburgerreichs im späten 19. Jahrhundert besonders wichtigen Elemente der Entwicklung der Wechselbeziehung von Staat und Dynastie thesenartig reißen. Dynastien als Verstetigung personaler Herrschaft, die aus der Sicht ihrer sich als Gruppe verstehender Teilhaber der Optimierung des jeweils zeittypisch gefaßten Ertrags dieser Herrschaft dienen, sind aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive damit zugleich Stützen der bei steigender Komplexität und Verdichtung sozialer und ökonomischer Beziehungen erforderlichen Stabilität. Die Erbfolgeregelung ist der für die frühneuzeitliche dynastische Fürstenherrschaft zentrale normative Bezugspunkt; der Grad ihrer Verbindlichkeit für den Herrscher, die übrigen Mitglieder der Dynastie, das Herrschaftspersonal, die Stände, konkurrierende Dynastien, gegebenenfalls auch kirchliche Institutionen, Kaiser und Reich entscheidet über den Bedarf an Bereitstellung von Gewaltmitteln und finanziellen Ressourcen zur Durchsetzung der vom Herrscher gewünschten Nachfolgeregelung. Da Kriege und die mit ihnen einhergehenden Finanzierungsprobleme gewöhnlich zu den zentralen Triebkräften der Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit gerechnet werden, ergibt sich ein Auseinanderklaffen der Optima dynastischer Normierung und des Staatsausbaus. Erst auf den Ebenen individueller Wirkungsspielräume und der Konkurrenz dynastischer Verbände werden Auseinandersetzungen um Erbfolgefragen zu risikobehafteten Chancen der Neuverteilung herrschaftsabhängiger Ressourcen.9 Der Wechsel von partieller Stabilität und Berechenbarkeit der Zuteilung von Herrschaftsrechten und Phasen der Unsicherheit als Folge dynastischer Krisen bot einen Rahmen für die Verfolgung der spezifischen Interessen der Teilhaber

Vgl. dazu und im folgenden Wolfgang E.J. Weber: Dynastiesicherung und Staatsbildung. Bemerkungen zur Entfaltung des frühmodernen Fürstenstaats: historische Typologie, politisch-ideengeschichtliche Reflexion, im vorliegenden Band. Vgl. dazu auch Johannes Kunisch: Staatsverfassung und Mächtepolitik. Zur Genese von Staatenkonflikten im Zeitalter des Absolutismus, Berlin 1979 ( - Historische Forschungen Bd. 15) und Jean Berenger: Die Habsburger und ihre Erbfolgekrisen als Formationsphase des neuen europäischen Staatensystems, in: Peter Krüger (Hg.): Das europäische Staatensystem im Wandel. Strukturelle Bedingungen und bewegende Kräfte seit der Frühen Neuzeit, München 1996 ( - Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien Bd. 35), S. 63-88.

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an den Dynastien wie derjenigen der außerdynastischen Eliten, die den Aufund Ausbau des Staatsapparats betrieben. Je fester die Basis der eigenen Macht in der Konkurrenz um Herrschaftsbereiche, umso erfolgreicher die Dynastie je stabiler der jeweilige Herrschaftsbereich einer Dynastie durch staatliche Strukturen, umso unbedeutender die Rolle des Herrschergeschlechts für die auf den Staat angewiesenen Eliten. Die Erbfolgeregelungen der Habsburger blieben bis ins 17. Jahrhundert hinein uneinheitlich, auch in den bezeichnenderweise so genannten "Erblanden", in denen weder Reichsrecht noch das Wahlrecht der Stände der Verfügungsgewalt der Dynastie Grenzen setzte. Die Ausbildung eines mythisch überhöhten dynastischen Bewußtseins und die einzelne Linien wechselseitig im Erbfall begünstigenden Sukzessionspakte wirkten den zentrifugalen Tendenzen entgegen. Dazu trug im Reichsgebiet die faktisch dauernde Sicherung der Kaiserwürde für die Dynastie bei, die die Gefahr äußerer Einmischung unter Berufung auf reichsrechtliche Normen minimierte und zugleich durch zusätzliche Ressourcen die Bindekraft der Dynastie nach innen und außen stärkte. Die spanische und die - im engeren Sinne - österreichische Linie hielten durch Heiraten, durch Erziehung und Verwendung erbländischer Erzherzöge im Herrschaftsbereich des spanischen Zweiges und durch häufiges, allerdings oft spannungsreiches politisches Zusammenwirken ihre Verbindung aufrecht. Die gemeinsame Parteinahme für die katholische Variante der Konfessionalisierung wirkte in die gleiche Richtung, und die fast vollständige konfessionelle Zuverlässigkeit der Habsburger muß aus dieser Perspektive als Unterordnung der einzelnen Mitglieder nicht unter die Räson eines noch nicht existierenden Staates, sondern unter die der Dynastie gesehen werden. Die Flexibilität, die die Teilung der Herrschaft in überschaubare territoriale Einheiten mit sich brachte, konnte zwar für den Zusammenhalt des Gesamthauses gefährlich werden, ließ sich aber, das demonstriert die Rolle des Erzherzog-Palatins Joseph in Ungarn, bis Mitte des 19. Jahrhunderts zur Stabilisierung der Habsburgerherrschaft nutzen, solange institutionelle Rahmenbedingungen, individuelles Nutzenkalkül und gruppenorientiertes Wertesystem Selbstdisziplin zugunsten der Dynastie nahelegten. Das Verhältnis der Habsburger zu den über die Ständevertretungen politisch organisierten traditionalen Eliten gestaltete sich in den einzelnen Teilen des von der österreichischen Linie beherrschten Gebiets unterschiedlich. Die Voraussetzungen für eine Durch- und Umsetzung des Herrschaftsanspruchs der Dynastie waren dabei aber insgesamt so ungünstig, daß noch heute zu einem klassischen Deutungsmuster gegriffen wird, wenn der Erfolg der Habsburger

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erklärt werden soll: "Therefore, in the long run, perhaps the most important factor in the process of Habsburg state-building in the early modern era was the Habsburg character itself - pragmatic, opportunistic, defensive, and, above all, stubborn."10 Gerade der typisch dynastische Weg der Expansion durch Heiratspolitik und Erbfall mußte den Gestaltungsspielraum im Vergleich zur blanken Eroberung gering halten. Erst der gescheiterte Versuch der böhmischen Stände, über die Durchsetzung ihres Rechts auf Königswahl aus dem Herrschaftsbereich der Habsburger auszubrechen und einen von den Ständen beherrschten Staat aufzubauen, führte nach dem gewaltsamen Elitentausch zur gesicherten Kontrolle über Böhmen und zur Festschreibung der Erblichkeit der Wenzelskrone im Haus Habsburg. 1687 gelang auch im nicht von den Osmanen dominierten Teil Ungarns die endgültige Bestätigung des Erbanspruchs der Dynastie. Dies geschah in beiden Fällen durch die jeweiligen Stände, und in Ungarn blieb deren Entscheidungsspielraum trotz einer Reihe von gescheiterten Aufständen langfristig erhalten. Auch der letztendliche Verzicht auf die konfessionelle Einheit unterstreicht die Sonderrolle Ungarns. Natürlich bestand hier noch bis ins 18. Jahrhundert die sehr reale Gefahr einer türkischen Intervention auf der Seite widerständiger Ungarn, aber darüberhinaus machte sich dabei seit der Rückeroberung Ungarns der enge Zusammenhang von machtpolitischer Konkurrenz im langsam entstehenden Staatensystem und innerer Staatsbildung geltend. Es zeigt sich gerade an der Politik Ungarn gegenüber, daß seit dem 17. Jahrhundert die permanente Verwicklung in kriegerische Auseinandersetzungen die dauerhafte und zentrale Kontrolle des gesamten Herrschaftsgebiets entscheidend erschwerte. In einer zusammenfassenden Analyse der Entwicklung der Habsburgermonarchie zwischen dem Prager Fenstersturz und dem Wiener Kongreß stellt Charles Ingrao heraus, daß die Erfolge der Dynastie in der Stabilisierung und Erweiterung ihres Herrschaftsbereichs darauf beruhten, daß ihre Monarchie den "needs of the international community"11 entsprochen habe. "From beginning to end their monarchy's fate was shaped by the European practice of power diplomacy, especially by the assistence of neighbouring rulers and states that perceived it to be sufficiently strong to help resist more powerful enemies, Paula Sutter Fichtner: Habsburg State-Building in the Early Modern Era: The Incomplete Sixteenth Century, in: Austrian History Yearbook 25 (1994), S. 139-157, hier S. 156; vgl. mit ähnlichen Tönen Andrew Wheatcroft: The Habsburgs. Embodying Empire, London 1995. Charles Ingrao: The Habsburg Monarchy 1618-1815, Cambrige-New York-Melbourne 1994 ( - New Approaches to European History Bd. 3), S. 2.

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yet weak enough not to pose a serious threat to their own security."12 Auch wenn dieses Argument etwas überspitzt ist und stark von den Gegebenheiten des 18. und 19. Jahrhunderts ausgeht, so spricht doch das Bündnisnetz der Habsburger in den vielen Konflikten der Frühen Neuzeit für die - zunächst aber sicher noch unbewußte - Funktion ihrer Monarchie als Element machtpolitischer Gleichgewichtspolitik. Die Rolle der Dynastie wirkt dann eher zwangsläufig weniger bedeutsam, aber dieser Deutungsansatz läßt sich mit der hier gewählten Perspektive durchaus verknüpfen, denn bei allem Zwang zur Organisation der Machtressourcen des Hauses in der von den Konkurrenten vorgeführten territorial-, militär- und fiskalstaatlichen Form handelt es sich im Falle der Habsburger doch nur um den gewissermassen steckengebliebenen universalen Herrschaftsanspruch der Dynastie. Bis ins 18., ja noch im 19. Jahrhundert steht die - pointiert christlich gedeutete - Kaiserwürde im Zentrum habsburgischer Selbstdarstellung, und sowohl aus den Traditionen des Hauses als auch für die Geltungsanprüche der einzelnen Mitglieder der Dynastie konnte auf eine konsequente zentralstaatliche Durchdringung des Herrschaftsgebiets verzichtet werden, solange die adeligen Eliten der Dynastie bei ihrer Großmachtpolitik nicht gefährlich wurden; die Unterstützung anderer Mächte verminderte nur die Kosten der Selbstbehauptung und damit den Zwang zur steuerlichen Belastung.13 An die verfassungshistorische Diskussion der letzten Jahrzehnte ÖsterreichUngarns anknüpfend hat Otto Brunner versucht, die Struktur der Donaumonarchie "aus ihrem geschichtlichen Ursprung als einer monarchischen Union von Ständestaaten [zu] begreifen." Das einzige ideologische Bindeglied, der "universale Kaisergedanke des Hauses Österreich"15 habe die Dynastie gehindert, ihren gesamten Herrschaftsbereich "als individuellen Einzelstaat mit eigener Staatsidee und Staatsräson zu betrachten."16 Entsprechend, so Brunner, habe dieser "Kaisergedanke" der Habsburger zusammen mit den Sonderinteressen der Stände, besonders in Ungarn, der institutionellen Vereinheitlichung und bürokratischen Zentralisierung Grenzen gesetzt. Aus dem Blickwinkel der 12 13

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Ebd., S. 3. Vgl. dazu Robert E.J. Evans: Das Werden der Habsburgermonarchie 1550-1700, WienKöln-Graz 1986 und Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt am Main 1992 ( - Neue Historische Bibliothek). Otto Brunner: Das Haus Österreich und die Donaumonarchie, in: Festgabe dargebracht Harold Steinacker zur Vollendung des 80. Lebensjahres, München 1955, S. 122-144, hier S. 126. Ebd., S. 133. Ebd.

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Dynastie kann die von Brunner postulierte Zurückhaltung nicht überraschen, denn die Interessen des Hauses mußten keineswegs immer und überall mit dem Ausbau des Staates übereinstimmen. Anders gewendet: das Haus Habsburg war zu erfolgreich bei der Sicherung von materiellen und immateriellen Vorteilen für die Dynastie, um die Perfektionierung des Staatsapparats im Innern über die Wahrung des Prestigevorrangs als Kaiserhaus zu stellen, insbesondere angesichts des zu erwartenden Widerstandes gegen eine solche Politik speziell in Ungarn. Es waren erst die zunehmende Bedeutung der nationalen Frage und schließlich der Dualismus, die im 19. Jahrhundert die Idee der Sonderstellung des Hauses Habsburg, die durch das Ende des Alten Reiches ohnehin eine entscheidende realpolitische Stütze verloren hatte, zu einem defensiven Legitimationsinstrument für das Weiterbestehen eines beide Teile der Habsburgermonarchie umfassenden "Reichs" zusammenschrumpfen ließen.17 Noch Robert A. Kann hat in der "Imperial Idea" der Habsburgermonarchie mehr als eine dynastische Idee zu sehen versucht, auch wenn er nicht umhin konnte zuzugestehen, daß "in the lands gathered together under Habsburg rule the dynasty represented the very union itself and therefore constituted an intrinsic part of the imperial idea."18 Kanns zwiespältiges Urteil reflektiert die seit dem Untergang der Donaumonarchie nicht mehr durchsetzbaren Interessen und Sichtweisen derer, für die bis 1918 nicht Ungarn, einzelne Kronländer oder Nationen den Bezugspunkt ihres politischen Denkens und Handelns gebildet hatten. Wie Josef Redlich waren sie bemüht zu zeigen, daß das Habsburgerreich zwar ein Geschöpf der Dynastie gewesen sei, aber zugleich ein "europäisches Bedürfnis als seinen Lebensgedanken verwirklichte"19. Ende des 19. Jahrhundert waren Dynastien als staatsbildende Faktoren in Europa weitgehend überflüssig geworden, und das u.a. aus der Bewältigung dynastischer Krisen entstandene System der internationalen Beziehungen wurde nur mehr selten mit Erbfolgefragen konfrontiert. Die Heiratspolitik Nikitas von Montenegro, die spanische Thronkandidatur der Hohenzollern oder die 17

Dazu beispielsweise Friedrich Tezner: Die Wandlungen der österreichisch-ungarischen Reichsidee. Ihr Inhalt und ihre politische Notwendigkeit, Wien 1905. Zur Neubewertung des Spannungsverhältnisses von Altem Reich und Kaiserhaus Anton Schindling/Walter Ziegler: Das deutsche Kaisertum in der Neuzeit. Gedanken zu Wesen und Wandlungen, in: dies. (Hg.): Die Kaiser der Neuzeit 1519-1918. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland, München 1990, S. 11-30, hier S. 21. f.

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Robert A. Kann: The Dynasty and the Imperial Idea, in: Austrian History Yearbook 3 (1967), S. 11-37, hier S. 29. Josef Redlich: Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches, 2 Bde., Leizig 1920/26, hier Bd. I, S. ΥΠ.

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gescheiterte Monarchiegründung des Fürsten zu Wied sind Beispiele dafür, daß dynastische Fragen ihr politisches Gewicht keineswegs völlig eingebüßt hatten, aber die Großmachtpolitik wurde trotz der Dominanz der Monarchie als Staatsform davon nicht geprägt.20 Die Julikrise und der Erste Weltkrieg unterstrichen dies erneut, gerade in den einschlägigen Episoden wie dem Telegrammwechsel zwischen Wilhelm Π. und Nikolaus Π. oder der Sixtus-Mission. Andererseits ist zumindest für Österreich-Ungarn erst unlängst von Alan Sked scharf herausgestellt worden, daß die 1914 so wichtige Kriegsbereitschaft der Donaumonarchie bis zuletzt eine dynastische Wurzel gehabt habe: "Zunächst und vor allem war das Habsburger Reich eine 'Hausmacht'. Sein Daseinszweck bestand darin, den politischen Ambitionen desjenigen Habsburgers, der es gerade geerbt hatte, eine Machtbasis zu bieten. Er hatte die Pflicht, dafür zu sorgen, daß kein Territorium verlorenging, zumindest nicht ohne entsprechenden Ersatz, er mußte für den Erhalt seiner Erblande kämpfen und dem kaiserlichen Erbe, wenn irgend möglich, etwas hinzufügen." 21 Hier die eigentliche Ursache für den Kriegswillen des Sommers 1914 zu suchen, setzt eine Uberbetonung der Rolle des Monarchen voraus, aber die politische Relevanz dynastischer Fragen darf wenigstens im Fall Österreich-Ungarns auch für die letzten Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg angenommen werden. Ein Faktor, der dazu beitrug, neben dem Monarchen auch das Herrscherhaus als dynastischen Verband ins öffentliche Bewußtsein zu rücken, war das politische Wirken Erzherzog Franz Ferdinands.

Herz und Krone Ein Grundproblem jeder Dynastie, die Sicherstellung der geregelten Erbfolge, hatte auch die Habsburger im 18. Jahrhundert in eine existentielle Krise gestürzt. Nur die Änderung der Kriterien der Erbberechtigung, die der Sanktionierung durch Stände und fremde Dynastien bedurfte, um wenigstens im eigenen Machtbereich des Herrscherhauses akzeptiert zu werden, konnte eine 20

Daher bleibt auch die Dynastie als roter Faden der Darstellung so blaß bei Edmund Taylor: The Fall of the Dynasties. The Collapse of the Old Order, 1905-1922, Garden City, N Y 1963 (The Mainstream of the Modern World); vgl. auch Gordon BrookShepherd: Monarchien im Abendrot. Europas Herrscherhäuser bis 1914. Wien Darmstadt 1988 und Robert A. Kann: Dynastie Relations and European Power Politics (18481918), in: Journal of Modern History 45 (1973), S. 387410. Alan Sked: Der Fall des Hauses Habsburg. Der unzeitige Tod eines Kaiserreichs, Berlin 1993, S. 309.

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Lösung bieten. Seit der Pragmatischen Sanktion war dann einheitlich für den Gesamtbereich der Habsburgerherrschaft die lineare Erbfolge festgelegt, und zwar "nach den Grundsätzen der gemischt-cognatischen Succession [...], d.h. der jeweils älteste Prinz aus der ältesten Linie des Hauses ist nach dem Ableben seines Vorgängers zum Throne berufen. Die weiblichen Mitglieder des Hauses haben nur dann ein Recht auf Thronfolge, wenn kein männlicher Sprosse des Kaiserhauses mehr vorhanden, sowie auch die Nachkommenschaft weiblicher Mitglieder erst nach dem gänzlichen Aussterben der männlichen Linie succedirt. Uebrigens entscheidet sowohl bei männlichen, wie bei weiblichen Descendenten das Erstgeburtsrecht."22 Der den patriarchalischen Tendenzen der Zeit eigentlich zuwiderlaufende Rückgriff auf weibliche Mitglieder des Hauses als Erbberechtigte kann als Zeichen dafür gelten, daß die Dynastie schon in einem starken Maß von außerdynastischen Eliten am Hof und in der Bürokratie als Garant institutioneller Stabilität instrumentalisiert wird. Die als Familienstatut 1713 in Anwesenheit der Minister und Geheimen Räte kundgemachte hausrechtliche Sukkessionsordnung wurde durch die Zustimmung der Stände der einzelnen Teile des Herrschaftsgebiets rechtlich aufgewertet zum "erste[n] gemeinsame[n] Staatsgrundgesetz aller Länder der Monarchie." Die Formulierung der Erbrechtsordnung wich aber besonders im Falle der ungarischen Gesetzesartikel I und II von 1723 vom Familienstatut ab, und vor allem die Festlegung des Wahlrechts der böhmischen und ungarischen Stände im Gegensatz zur Testierfreiheit in den Erblanden im Fall des Aussterbens des Hauses Habsburg-Lothringen in allen Zweigen trug der Uneinheitlichkeit der Habsburgermonarchie Rechnung.24 Wichtiger als die verfassungsrechtlichen Unterschiede im Detail ist aber die Tatsache, daß hier über die Sicherstellung der Akzeptanz der dynastieinternen Erbfolgeregelung das bis 1918 gültige öffentlich-rechtliche Fundament der Staatlichkeit des Gesamtherrschaftsbereichs gelegt wurde. "So hat denn der Entstehungsprozeß der pragmatischen Sanktion trotz der patrimonialen Ausdrucksweise dieses weltgeschichtlichen Dokuments zur Umwandlung einer auf Patrimonialrecht beruhenden Verbindung

Katechismus der österreichischen Staatsverfassung, 5., nach dem neuesten Stande der Gesetzgebung bearbeitete Auflage, Wien 1887, S. 8; vgl. hier und im folgenden auch die Übersicht zum Thronfolgerecht bei Ernst C. Hellbling: Osterreichische Verfassungsund Verwaltungsgeschichte. Ein Lehrbuch für Studierende, Wien 1956 ( - Rechts- und Staatswissenschaften Bd. 13), S. 65-76, 162-165, 191-194, 267-280. J. Ulbrich: Das österreichische Staatsrecht, Neubearbeitung, Tübingen 1909 ( - Das öffentliche Recht der Gegenwart Bd. 10), S. 25. Vgl. dazu ebd., S. 25-28 und Heinrich Marczali: Ungarisches Verfassungsrecht, Tübingen 1911 (= Das öffentliche Recht der Gegenwart Bd. 15), S. 52-55.

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der Länder in einen auf verfassungsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtungsverhältnissen zwischen dem Monarchen und den Ständen einerseits, den Ländern andererseits beruhenden Länderverband geführt [...]·1,25 Dank des Kinderreichtums Maria Theresias und Leopolds Π. war im Hause Habsburg-Lothringen seither für ausreichende Nachkommenschaft und damit für ein großes Reservoir von Thronfolgeberechtigten gesorgt. Die Einrichtung der Sekundogenitur in der Toskana und der Tertiogenitur in Modena bot Teilen des Familienverbandes völlig eigenständige Herrschaftsbereiche, während mit der Einrichtung des Familienfonds die ökonomische Versorgung der nun so zahlreich gewordenen Mitglieder des Hauses auf eine feste Basis gestellt wurden. Die von den Söhnen Leopolds begründeten Linien bildeten bis zum Ende der Monarchie das genealogische Grundschema der Habsburger. Schwierigkeiten mit der Thronfolge blieben trotz der rechtlichen Klärung in der Pragmatischen Sanktion und der großen Zahl der somit unbezweifelt thronfolgeberechtigten Mitglieder des Hauses dennoch nicht aus.26 Kaiser Ferdinand I., der 1835 den Thron erbte, war gesundheitlich nicht in der Lage, sein Amt selbständig auszuüben. Eine Änderung der Erbfolge oder einen Nachfolgeverzicht seines an Epilepsie leidenden Sohnes erwog Franz I. zwar, aber letztlich wurde nur eine Staatskonferenz zur Leitung der Regierungsgeschäfte eingesetzt, der neben zwei Onkeln des zukünftigen Kaisers der Minister Kolowrat und Staatskanzler Metternich angehörten. Daß gerade Metternich unter Hinweis auf das Legitimitätsprinzip für die Thronbesteigung Ferdinands eintrat, war neben allen taktischen Motiven auch ein Indiz des Funktionswandels der Fürstenherrschaft. Die dann 1848 von Familie und politischen Beratern erzwungene Abdankung Ferdinands und der Nachfolgeverzicht von Erzherzog Franz Karl zugunsten seines Sohnes Franz Joseph machten aber deutlich, daß in Krisenzeiten eine energische Wahrnehmung der Monarchenrolle zum Schutz der Dynastie unerläßlich schien.28 Das Interesse an der Herrschaftswah-

Friedrich Tezner: Der Kaiser, Wien 1909 ( - Österreichisches Staatsrecht in Einzeldarstellungen für den praktischen Gebrauch), S. 139 f. Die Thronfolgeordnung knapp zusammengefaßt bei Ulbrich, Österreichisches Staatsrecht (FN 23), S. 81 f. und Tezner, Kaiser (FN 25), S. 143-152. Heinrich von Srbik: Metternich. Der Staatsmann und der Mensch. Band I, ND Darmstadt 1957, S. 550-553. Zum Thronwechsel 1848 Friedrich Walter: Die Österreichische ZentralVerwaltung. ΙΠ. Abteilung. 1. Band, Wien 1964 ( - Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs Bd. 49), S. 259-261, Joseph Redlich: Kaiser Franz Joseph von Österreich. Eine Biographie, Berlin 1929, S. 37-46, Egon Caesar Conte Corti: Vom Kind zum Kaiser. Kindheit und erste Jugend Kaiser Franz Josephs I. und seiner Geschwister,

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rung führte unter den Habsburgern und in der militärischen und politischen Elite zur Zurückstellung der Sorge vor den möglichen Erschütterungen des Bildes von der Verbindlichkeit der dynastischen Ordnung. Das Beharren der Ungarn darauf, daß Ferdinand weiterhin ihr König sei, hatte mitten im Bürgerkrieg ohnehin keine Bedeutung mehr. 1863 in Graz als ältester Sohn von Erzherzog Karl Ludwig und dessen zweiter Frau Maria-Annunziata von Neapel-Sizilien geboren, stand Franz Ferdinand in der Thronfolgeordnung zunächst nur an vierter Stelle.29 Als Maximilian ein Jahr später die mexikanische Kaiserkrone annahm, erlaubte dies Franz Joseph seinem Bruder nur nach Abschluß eines dem Reichsrat mitgeteilten Familienpakts. Maximilian mußte für sich und seine eventuellen Nachkommen - mit einer faktisch unwichtigen Einschränkung - auf das Thronfolgerecht und Versorgungsansprüche an den Familienfonds verzichten. 30 Durch den Selbstmord des Kronprinzen Rudolf 1889 in Mayerling wurde Franz Ferdinand dann plötzlich zum präsumptiven Thronerben, da Karl Ludwig nicht zum offiziellen Thronfolger ernannt wurde und als politisch völlig uninteressiert galt. Der Tod seines Vaters 1896 änderte für Franz Ferdinands Thronanwartschaft also nicht mehr viel.31 Das Mittel des freiwilligen, nahegelegten oder abgepreßten Thron- oder Nachfolgeverzichts wurde im 19. Jahrhundert somit zum entscheidenden Korrektiv für als unglücklich gedeutete Ergebnisse der letztlich eignungsunabhängigen Auswahlverfahren. Mitglieder der Dynastie konnten auf nicht voll regierungsfähige Herrscher informellen Druck ausüben, aber eben nur außerhalb aller Regeln. Dem Monarchen waren als Haupt

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Graz-Salzburg-Wien 1950, S. 322-335 und Jean Paul Bled: Franz Joseph. "Der letzte Monarch der alten Schule", Wien-Köln-Graz 1988, S. 85-89. Aus der umfangreichen Literatur über Franz Ferdinands Biographie seien die von engen Vertrauten oder zumindest mit Franz Ferdinand persönlich Bekannten verfaßten Titel erwähnt: Paul Nikitsch-Boulles: Vor dem Sturm. Erinnerungen an Erzherzog Thronfolger Franz Ferdinand, Berlin 1925; Edmund Glaise-Horstenau: Erzherzog Franz Ferdinand. 1863 bis 1914, in: Neue Osterreichische Biographie 1815-1918. Erste Abteilung. Biographien. ΙΠ. Band, (Zürich-Leizig-)Wien 1926, S. 9-33; Theodor von Sosnosky: Franz Ferdinand. Der Erzherzog-Thronfolger. Ein Lebensbild, München-Berlin 1929; Leopold von Chlumecky: Erzherzog Franz Ferdinands Wirken und Wollen, Berlin 1929; Victor Eisenmenger: Erzherzog Franz Ferdinand. Seinem Andenken gewidmet von seinem Leibarzt, Zürich-Leipzig-Wien 1930. Aus der neueren Literatur u.a.: Gerd Holler: Franz Ferdinand von Österreich-Este, Wien-Heidelberg 1982 und Friedrich Weissensteiner: Franz Ferdinand. Der verhinderte Herrscher, 2. Auflage, Wien 1984. Eine Zwischenposition nimmt nicht nur dem Erscheinungsjahr nach Rudolf Kiszling: Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este. Leben, Pläne und Wirken am Schicksalsweg der Donaumonarchie, Graz-Köln 1953, ein. Der Familienpakt bei Tezner, Kaiser (FN 25), S. 196-199. Kiszling, Franz Ferdinand (FN 29), S. 18 und 32.

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der Familie durch die Traditionen der Dynastie, das bezeichnenderweise 1839, unter Ferdinand I. erlassene, nicht veröffentlichte Familienstatut und öffentliche Rechtsakte wie die Pragmatische Sanktion in der Verfügung über den Thron die Hände gebunden, aber seine Hausgewalt gab ihm unter bestimmten Bedingungen Entscheidungsmöglichkeiten. Nach Ansicht des Verwaltungsrechtlers Friedrich Tezner Schloß diese "Hausgewalt des Kaisers als Regenten des Hauses Osterreich [...] alle Elemente der Herrschaft des Geschlechtshäuptlings oder eines Patriarchats in sich, wie sie uns in den ersten Stadien der Entwicklung eines staatlichen Gemeinwesens begegnet. Auch als Inhaber der Hausgewalt ist der Kaiser Herr und darum nicht selbst der Hausgewalt unterworfen, wenn auch im Rahmen ihres gesetzlichen Inhalts an sie gebunden. Familien- und öffentliche Gewalt stehen hier in so inniger Verbindung, daß sich schwer sagen läßt, wo die eine aufhört und die andere anfängt." Vor dem Hintergrund der Genese des modernen Fürstenstaats aus der Dynastiebildung ist es nicht verwunderlich, daß auch nach dem Ende des Alten Reichs eine Herrscherfamilie "als ein genossenschaftlicher, korporativer Verband mit dem Rechte der Autonomie" 33 durch Hausgesetze die Thronfolgefähigkeit, die Sukzessionsordnung, die Unveräußerlichkeit von Territorien, also die Bewahrung des Gesamtbesitzes und die Allokation der Herrschaftsrechte, aber auch die Teilhabe der einzelnen Mitglieder am gemeinsamen Vermögen, Gruppenprestige usw. regeln konnte. 34 Zwar bewahrte das Haus Habsburg bis ins 20. Jahrhundert diese Autonomie, aber schon die Pragmatische Sanktion in der Fassung der Gesetzesartikel I und Π von 1723 hatte die Anerkennung des ungarischen Rechtsbestandes mit dem Akzeptieren der hausrechtlichen Verfügungen als Thronfolgeregelung verknüpft. 36 Das Familienstatut von 1839 war nicht veröffentlicht, seine Existenz aber allgemein bekannt. 37 Noch zu Lebzeiten Franz' I. hatte die Unterscheidung von Staatsund Hausleistungen an die Mitglieder der Dynastie den Anstoß zu Entwürfen für eine Bündelung hausgesetzlicher Regelungen, zunächst auf finanziellem Gebiet, gegeben. Staats- und Hofinstitutionen wirkten bei der Gestaltung des 32 33

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Tezner, Kaiser (FN 25), S. 59. Franz Xaver Baumann: Hausgesetz und Staatsgesetz, Lauingen 1906 f = Diss. jur. Erlangen 1905], S. 16. Eine Übersicht der hausgesetzlich geregelten Fragen bei Ulbrich, Österreichisches Staatsrecht (FN 23), S. 79 f. Vgl. zur juristischen Diskussion auch Baumann, Hausgesetz (FN 33) und Hermann Rehm: Modernes Fürstenrecht, München 1904. Tezner, Kaiser (FN 25), S. 143. So beispielsweise durch den Familienpakt von 1864. Dazu ebd., S. 197.

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Statuts mit. Aus Rücksicht auf die ungarische Auffassung des verfassungsrechtlichen Stellenwerts der Pragmatischen Sanktion wurde schließlich von einer staatspolitischen Zuspitzung abgesehen. Was 1839 festgeschrieben wurde, waren die Reform des Familienversorgungsfonds und die Grenzen der Hausgewalt des Kaisers. Ihre Beteiligung am Entstehungsprozeß des Statuts und die schwache Position Ferdinands kamen der Berücksichtigung der individuellen und der Gruppeninteressen der Agnaten zugute. Abgesehen davon bedeutete schon die schriftliche Fixierung selbst einen Schutz gegen die Willkür des Familienoberhaupts. 38 Insbesondere die Heiratsbewilligungen nach dem Ebenbürtigkeitsprinzip und die Kompetenz, Anordnungen zu treffen, sobald "die Ruhe, Ehre und Wohlfahrt des Erzhauses sowie des Staates"39 tangiert seien, boten Franz Joseph dennoch genügend Eingriffsmöglichkeiten, um die Gruppendisziplin durchzusetzen bzw. gegebenenfalls unbotmäßige Mitglieder des Hauses auszuschließen und/oder um ihre Thronfolgerechte zu bringen. Die Belohnung für die Unterwerfung unter die Normen der Dynastie bestand außer in der - zumeist rein hypothetischen - Chance, den Thron zu erben, u.a. in einer ganzen Fülle von Ehrenvorzügen, von denen hier nur die Stellung nach dem Hofzeremoniell und Ordensverleihungen erwähnt seien, in der Nutzung des Immobilienbesitzes des Hauses und in den Staatsapanagen sowie Zuwendungen des Familienfonds und aus der Privatschatulle des Kaisers. Als kritischer Punkt bei der Aufrechterhaltung der hausgesetzlichen Ordnung erwiesen sich seit der Ehe Erzherzog Johanns mit Anna Plochl immer öfter die Heiratswünsche der Familienmitglieder, so auch im Fall Franz Ferdinands. Die Beziehung des Erzherzogs zu seiner späteren Frau hatte schon in der für Franz Ferdinand so mühsam durchgestandenen Zeit einer lebensbedrohlichen Tuberkuloseerkrankung begonnen, und erst nach vielen Monaten, als der Entschluß zur Ehe schon gefaßt war, wurde sie in der Familie bekannt. Den enormen emotionalen Stellenwert, den diese Beziehung für den Thronfolger besaß, zeigt sein hartnäckiger Kampf um die Durchsetzung seines Ehe38

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Dazu Hannes Stekl: Der Wiener Hof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Karl Möckl (Hg.): Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, Boppard am Rhein 1990 ( - Deutsche Führungsschichten der Neuzeit Bd. 18), S. 17-60, hier S. 31-35. Paragraph 25 des Statuts zitiert in ebd., S. 34. Vgl. zum Problem der zeremoniellen Stellung und finanziellen Ausstattung der Mitglieder des Hauses Habsburg angesichts der Erosion der dynastischen Disziplin in den letzten Dezennien vor dem Ersten Weltkrieg hier und im folgenden Margit Silber: Obersthofmeister Alfred Fürst von Montenuovo. Höfische Geschichte in den beiden letzten Jahrzehnten der österreichisch-ungarischen Monarchie (1896-1916), Diss. phil. Wien 1992.

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Wunsches gegen die beinahe einhellige Ablehnung durch die Dynastie einschließlich der engeren Familie. Die Choteks waren ein zwar altes, aber nicht als ebenbürtig angesehenes böhmisches Adelsgeschlecht. Eine unter Franz I. 1825 im Zusammenhang mit Artikel XIV der Deutschen Bundesakte durch kaiserliches Handschreiben getroffene Festlegung sah vor, daß Mitglieder souveräner oder namentlich genannter mediatisierter reichsständischer Häuser als ebenbürtig anzusehen seien, und nach dem Familienstatut von 1839 waren nur ebenbürtige Ehen mit allen Rechten der Mitgliedschaft im Haus Habsburg für Ehegatten und eheliche Kinder verknüpft. Es bedurfte langwieriger Verhandlungen und vielschichtiger Einflußnahmen, um vom Kaiser das Zugeständnis einer morganatischen Ehe zu erhalten, ohne daß Franz Ferdinand seine Thronfolgeansprüche aufgab. Franz Ferdinand mußte sich allerdings dazu durchringen, für seine Frau, die zunächst zur Fürstin, später zur Herzogin von Hohenberg erhoben wurde, und für die eventuellen Nachkommen auf die Zugehörigkeit zur Dynastie zu verzichten, mit der Folge, daß der älteste Sohn von Franz Ferdinands Bruder Otto ab 1906 als zweiter Thronerbe nach Franz Ferdinand galt. Widerstrebend gab er außerdem seine Zustimmung dazu, daß die Ebenbürtigkeitsregel des erwähnten Handschreibens von 1825 dem Familienstatut formell beigefügt wurde. Die feierliche Ablegung des Renuntiationseids durch Franz Ferdinand im Juni 1900 in der Geheimen Ratsstube der Hofburg vor allen volljährigen männlichen Mitgliedern des Hauses und vor den ranghöchsten Vertretern von Cis- und Transleithanien, des Hofes und der katholischen Kirche wurde noch durch die Veröffentlichung des Textes der dabei beeideten Urkunde ergänzt.42 Wie prekär Franz Ferdinands Festhalten an der Ehe mit Sophie Chotek bei gleichzeitigem Beharren auf dem Thronfolgeanspruch war, hatte aus der Sicht der Dynastie Erzherzog Rainer kurz zuvor noch einmal deutlich gemacht: "S.M. kann, wenn es überhaupt möglich ist, auf eine Bewilligung einzugehen, unmöglich eine Entscheidung treffen, bevor nicht die staatsrechtlichen Fragen, und zwar in beiden Reichshälften klar gestellt [sind]: Dein Fall ist eben durch Deine Stellung ganz verschieden von den vorangegangenen anderen Erzherzogen. Diese waren nach Abschluß einer morganatischen Ehe in den Hinter41

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Zu den Problemen rund um die Eheschließung Franz Ferdinands vor allem Johann Christoph Allmayer-Beck: Ministerpräsident Baron Beck. Ein Staatsmann des alten Österreich, Wien 1956, S. 42-53. Vgl. dazu auch Silber, Obersthofmeister Montenuovo (FN 40), S. 600-609, Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 87-102 und Kiszling, Erzherzog Franz Ferdinand (FN 29), S. 32-47. Der Text von Eidesformel und Urkunde bei Gustav Kolmer: Parlament und Verfassung in Österreich. Achter Band. 1900-1904, Wien-Leipzig 1914, N D Graz 1980, S. 114-116.

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grund getreten. Während Du der erste Agnat nicht auf Dein Thronrecht verzichten willst,... S.M. und besonders Du tragen diese Verpflichtung dem gesamten Reich gegenüber. [...] Jeden Mann treffen in seinem Lebenslaufe, mehr oder weniger schwierige, auch schmerzliche Augenblicke; die Erinnerung an die Pflicht, hilft diesselben zu überwinden und je höher man steht, desto weniger darf man sich von der Erfüllung derselben abbringen lassen."43 Tatsächlich gab die Verknüpfung von Pragmatischer Sanktion und habsburgischer Erbfolgeordnung auf Wunsch der ungarischen Regierung Anlaß zu einer parlamentarischen Behandlung des Renuntiationseids in Reichstag und Reichsrat. Durch die Geheimhaltung des Hausstatuts hatten es Dynastie und Hof verstanden, die "nicht vollständig koordinierten Sukzessionsbestimmungen"44 der Auslegungskompetenz der Parlamente zu entziehen, und so war schon jede Diskussion dieser Materie unerwünscht, auch wenn das Statut letztlich nicht veröffentlicht werden mußte. In Budapest wurde die Eideserklärung durch Reichstagsbeschluß inartikuliert, während der Wiener Reichsrat diese nur zur Kenntnis nahm. Die Opposition im Budapester Reichstag nutzte den Umstand, daß das ungarische Recht das Institut der morganatischen Ehe nicht kannte, dazu, indirekt mit dem Ende der für Osterreich und Ungarn gemeinsamen Erbfolge nach dem Hausgesetz zu drohen.46 Franz Ferdinands Ehe gab also zu Diskussionen über die Autonomie hausrechtlicher Regelungen Anlaß und lieferte im Dauerkonflikt um die Auslegung der Ausgleichsgesetze ein neues Thema. Die staatspolitische Brisanz der Eheschließung im Hinblick auf Ungarn wurde noch durch die Gerüchte um Machenschaften einiger böhmischer Aristokraten ergänzt.47 Aber nicht nur für das Verhältnis von Staat bzw. Staaten und Dynastie, sondern auch für die innerdynastische Ordnung barg das Verhalten des Thronfolgers Gefahren. 43

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Erzherzog Rainer an Erzherzog Franz Ferdinand, 2.5.1900, zitiert in Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 98. Silber, Obersthofmeister Montenuovo (FN 40), S. 603. Zur reichsrechtlichen Grundlage der Geheimhaltung und zur Gültigkeit des Familienstatuts vom 3.2.1839 Gustav Turba: Neues über lothringisches und habsburgisches Privateigentum, Wien und Leipzig 1925, S. 6-14. Dazu Kolmer, Parlament (FN 42), S. 173-182. Dazu z.B. Oswald Thun an Max Egon Fürstenberg, 25.6.1900, in: Ernst Rutkowski (Hg.): Briefe und Dokumente zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie unter besonderer Berücksichtigimg des böhmisch-mährischen Raumes. Teil Π, München 1991 ( - Veröffentlichungen des Collegium Carolinum Bd. 51/Π), S. 344 und Friedjung an Aehrenthal, 14.5.1900, in: Solomon Wank (Hg.): Aus dem Nachlaß Aehrenthal. Briefe und Dokumente zur österreichisch-ungarischen Innen- und Außenpolitik 18851912, 2 Teile ( - Quellen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts Bd. 6), hier Teil I, S. 222 f.

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Der österreichische Ministerpräsident Koerber kolportierte im Frühjahr 1900, wie unzugänglich Franz Ferdinand wohlgemeintem Rat sei. In der Ehe mit Sophie Chotek werde der Thronfolger "keinesfalls das Glück finden [...], denn selbst wenn die häuslichen Verhältnisse sich günstig gestalten würden, bliebe immer der Stachel, daß Frau und Kinder ausgeschlossen sind. Der E[erzherzog] setzt alledem den Hinweis auf die unglücklichen Ehen der Erzherzoge und Erzherzoginnen entgegen, sieht es als ganz selbstverständlich an, daß seine Kinder nicht sukzessionsfähig sein würden, versichert, daß seine Frau nie bei Hof erscheinen werde (!) usw., ist aber in der Sache untraitable." 48 Franz Ferdinand beharrte auch dem Kaiser gegenüber darauf, daß die "Ehe mit der Gräfin [Chotek] [...] das Mittel [ist], mich für die ganze Zeit meines Lebens zu dem zu stempeln, was ich sein will und soll: Zu einem berufstreuen Mann und zu einem glücklichen Menschen. [...] Und eine andere Heirath kann und werde ich nie mehr eingehen; denn es widerstrebt mir und ich vermag es nicht, mich ohne Liebe mit einer anderen zu verbinden und sie und mich unglücklich zu machen, während mein Herz der Gräfin gehört und für ewig gehören wird." 49 Die absolut gesetzte Lebenserfüllung in schicksalsgegebener Liebesbeziehung - vorformuliert von Franz Ferdinands Berater Beck, aber in voller Ubereinstimmung mit anderen Äußerungen des Thronfolgers - stieß mit der Sorge des Kaisers um die Stellung der Dynastie zusammen. Möglich, daß das Mißtrauen in die politischen Fähigkeiten von Franz Ferdinands Bruder Otto, der für sein ausschweifendem Liebesleben außerhalb der dynastisch korrekten Ehe berüchtigt war, den Kaiser bewog, einzulenken. Vielleicht stand aber weniger die Eignung des Thronerben im Vordergrund als vielmehr die Angst vor der Eskalation des Konflikts mit schwer berechenbaren Folgen für die Dynastie.50 Die beharrliche Weigerung seines Neffen, auf den Thron zu verzichten, zwang den Kaiser letztlich ohnehin zum Einlenken, denn auch zur Absicherung des Ebenbürtigkeitsprinzips war es immer noch besser, Franz Ferdinand die Eheschließung zu erlauben, bevor der Erbfall eintrat: nach der Thronbesteigung wäre der neue Herrscher der Hausgewalt nicht mehr unterworfen gewesen, "und das Familienstatut zählte die Gattin des Kaisers ohne jede Ein-

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Baernreither an Karl Auersperg, [27.4.1900], in: Rutkowski (Hg.), Briefe (FN 47), S.232. Vgl. dazu auch die Warnung Erzherzog Rainers in seinem Brief an Erzherzog Franz Ferdinand vom 2.5.1900, zitiert in: Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 98. Erzherzog Franz Ferdinand an Kaiser Franz Joseph, Mai 1900, zitiert in: Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 99 f. Vgl. dazu die vagen Angaben bei Kiszling, Erherzog Franz Ferdinand (FN 29), S. 43 und Bled, Franz Joseph (FN 28), S. 470.

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schränkung zu den Mitgliedern des Erzhauses"51. Die morganatische Ehe in Verbindung mit dem Renuntiationseid war ein Kompromiß, aber die hausrechtliche Selbstverpflichtung des Thronfolgers konnte nie ganz den Zweifel daran ausräumen, ob Franz Ferdinand als Herrscher nicht doch versuchen könnte, seinen zwischen 1901 und 1904 geborenen Kindern eine bessere Stellung zu verschaffen. Sicher ist, daß er plante, beim Thronwechsel seiner Frau unverzüglich "Titel und Würde der Kaisers- und Königs-Gemahlin mit allen aus dieser Stellung hervorgehenden Vorrechten als erste Dame am Ah. Hofe zu verleihen"53. Die Zurücksetzung bzw. Ignorierung seiner Frau nach den Regeln des Hofzeremoniells hat den Thronfolger jedenfalls in den folgenden Jahren doch offensichtlich sehr gestört, und er trachtete danach, durch möglichst seltene Aufenthalte in der Residenzstadt Wien den offiziellen Anlässen für die Zurschaustellung dieser untergeordneten Position aus dem Weg zu gehen.54 Er unterwarf sich zwar grundsätzlich den traditionellen Verhaltensnormen des Hofes, genoß es aber spürbar und bis zur Beeinflußung seines politischen Urteils, wenn auswärtige Souveräne wie Wilhelm Π. oder König Carol seine Frau protokollarisch als Gattin des Erzherzog-Thronfolgers und nicht als Fürstin bzw. Herzogin behandelten. Franz Ferdinands seit seiner Eheschließung eher kühles persönliches Verhältnis zu vielen Mitgliedern der Dynastie und sein häufiges Fernbleiben vom Hof und dessen Zeremoniell, auch Anfang des 20. Jahrhunderts immer noch eine wichtige Form dynastischer Selbstinszenierung, gehörte zu den Nachwirkungen der Kompromißlösung von 1900. Um für seine Kin-

Allmayer-Beck, Ministerpräsident Beck (FN 41), S. 39. Vgl. Egon Caesar Conte Corti/Hans Sokol: Der alte Kaiser. Franz Joseph I. vom Berliner Kongreß bis zu seinem Tode, 2. Auflage, Graz-Wien-Köln 1955, S. 257 und Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 144 f. Abschnitt über die "Stellung Ihrer Hoheit der Frau Herzogin von Hohenberg" im "Programm für den Thronwechsel", erstmals veröffentlicht im "Neuen Wiener Journal" vom 30.12.1923 und 1.1.1924. Das Konzept des Programms von der Hand Alexander Brosch von Aarenaus im Osterreichischen Staatsarchiv, Abteilung Kriegsarchiv Wien [im folgenden: KA], Nachkß Brosch Β 232:11a. Vgl. Silber, Obersthofmeister Montenuovo (FN 40), S. 613-623 (die die Angemessenheit und die Flexibilität der - mehrfach verbesserten - protokollarischen Stellung der Herzogin von Hohenberg betont) und Nikitsch-Boulles, Vor dem Sturm (FN 29), S. 29. Vgl. dazu Brigitte Hamann: Der Wiener Hof und die Hofgesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Möckl (Hg.), Hof und Hofgesellschaft (wie in F N 38), S. 61-78 und Jean-Paul Bled: La Cour de Franjois-Joseph, in: Karl Ferdinand Werner (Hg.): Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert. Akten des 18. Deutsch-französischen Historikerkolloquiums Darmstadt vom 27.-30. September 1982, Bonn 1985 ( - Pariser Historische Studien Bd. 21), S. 169-182.

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der eine ausreichende Versorgung zu sichern, versuchte er von dem estenischen Erbe, das ihm testamentarisch zugefallen und an die Führung des Namens D'Este und die Zugehörigkeit zum Kaiserhaus gebunden war, einen möglichst großen Teil in frei verfügbares Vermögen umzuwandeln. Jedenfalls lag in der Divergenz von dynastischen Vorgaben und dem persönlichen Interesse am Wohlergehen seiner Frau und seiner Kinder ein Störpotential. Daß er seinen hausrechtlich vorgesehenen Nachfolger, den ältesten Sohn Ottos, dennoch wenigstens ansatzweise als den künftigen Thronfolger behandelte, spricht für die Integrationskraft der Dynastie. 57 Auch bewies die scharfe Ablehnung der Heirat seines jüngsten Bruders Ferdinand Karl mit einer Bürgerlichen, daß Franz Ferdinand die Geblütsreinheit, die als wesentliches Element dynastischer Abgrenzungsideologie einzuschätzen ist, im Prinzip akzeptierte.

Dynastische Sozialisation Obwohl Franz Ferdinand mit der Wahl seiner Ehepartnerin dem Ansehen und der inneren Geschlossenheit des Hauses schadete, blieb er ansonsten in den Bahnen dynastischen Denkens. Es liegt daher nahe, nach den Wegen zu suchen, auf denen das Zugehörigkeitsgefühl zum Haus Habsburg so gefördert wurde, daß es verhaltensleitend werden konnte. Dazu gehört der Blick auf das Elternhaus, die Erziehung, die Ausbildung und die bewußte Formung eines Bildes von der Bedeutung der Dynastie. Leider ist über die Kindheit und die frühe Jugend Franz Ferdinands wenig bekannt, auch weil er erst mit 25 Jahren 56 57

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Vgl. Nikitsch-Boulles, Vor dem Sturm (FN 29), S. 3640. Vgl. Arthur Graf Polzer-Hoditz: Kaiser Karl. Aus der Geheimmappe seines Kabinettschefs. Mit einer Einleitung v. Wolfdieter Bihl, 2. Aufl Wien 1980 [um Einleitung ergänzter N D der ersten Auflage 1929], S. 70 f. und den Passus über die "Stellung des Erzherzogs Karl Franz Josef als Thronfolger" im "Programm für den Thronwechsel", erstmals veröffentlicht im "Neuen Wiener Journal" vom 30.12.1923 und 1.1.1924, sowie Peter Broucek: Karl I. (TV.). Der politische Weg des letzten Herrschers der Donaumonarchie, Wien - Köln - Weimar 1997, S. 917. Das Ausscheiden Ferdinand Karls aus dem Haus Habsburg 1911 und Franz Ferdinands Rolle als Befürworter einer harten Linie bei der Anwendung der hausrechtlichen Normen bei Silber, Obersthofmeister Montenuovo (FN 40). Zur Bedeutung des Ebenbürtigkeitsprinzips auch für die Hocharistokratie Österreich-Ungarns z.B. Hannes Stekl/Marija Wakounig: Windisch-Graetz. Ein Fürstenhaus im 19. und 20. Jahrhundert, Wien-Köln-Weimar 1992, S. 58-74 und für die standesherrlichen Familien Heinz Gollwitzer: Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815-1918. Ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte, 2., durchgesehene und ergänzte Auflage, Göttingen 1964, S. 262-268.

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als (de facto) Thronfolger eine Sonderrolle unter den Erzherzögen zu spielen begann. Eine systematische Monarchenerziehung wurde ihm deshalb nicht zuteil. 59 Der Vater, der zuvor als Statthalter in Tirol eine recht verantwortungsvolle Tätigkeit ausgeübt hatte, erfüllte nach der konstitutionellen Umgestaltung der Monarchie nur mehr Aufgaben als Vertreter des Kaisers, etwa in der Bearbeitung von Gnadengesuchen, und trat vor allem als Protektor zahlreicher Organisationen und Ausstellungskommittees in Erscheinung. Milde und Frömmigkeit, die die habsburgische Propaganda traditionell den Mitgliedern des Hauses zu- und damit auch vorschrieb, prägten das offiziöse Karl Ludwig-Bild.

Durch den Rahmen, den Schlösser wie Ambras dem Familien-

leben gaben, durch den Kontakt zur weiteren Verwandtschaft und durch die gesellschaftliche Stellung des Vaters wurde Franz Ferdinand mit großer Wahrscheinlichkeit ein Eindruck von der Bedeutung der Dynastie vermittelt. In die Erziehung griff Karl Ludwig durch die Auswahl der Lehrer entscheidend ein. Der Dompropst Marschall übernahm die religiöse Unterweisung Franz Ferdinands und Ottos; er verlor den Kontakt zum Thronfolger erst, nachdem er sich gegen Franz Ferdinands Heiratspläne gestellt hatte.

Besonde-

res Interesse bekundete der Vater für den Geschichtsunterricht, den u.a. der Hannoveraner Onno Klopp den beiden Erzherzogen und Herzog Albrecht von Württemberg erteilte.62 Seit 1866 mit König Georg V. im Exil, gelang es Klopp, dem erbitterten Gegner der national-liberalen Strömungen in Politik und Historikerzunft Deutschlands und "jenes Preußentums, mit dem man sich in Österreich abfinden zu müssen glaubte"63, in Wien nicht recht, Fuß zu fassen. Sein protestantismuskritisches und entschieden preußenfeindliches Ge59

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Vgl. John C.G. Röhl: Wilhelm Π. Die Jugend des Kaisers 1859-1888, München 1993, S. 133. Auch die Kindheit des durch die allzeit aufsehenerregende Mutter und seinen eigenen Status schon von Geburt an viel interessanteren Kronprinzen Rudolf ist aber längst noch nicht so gut erforscht wie die Wilhelms Π. Zu Rudolf vgl. Brigitte Hamann: Rudolf. Kronprinz und Rebell, Wien-München 1982, S. 15-85. Alfred von Lindheim (Hg.): Erzherzog Carl Ludwig 1833-1896. Ein Lebensbild, Wien 1897. Als engstirnig und übertrieben statusbewußt erscheint Karl Ludwig dagegen bei Erich Graf Kielmansegg: Kaiserhaus, Staatsmänner und Politiker. Aufzeichnungen des k.k. Statthalters. Mit einer Einleitung von Walter Goldinger, Wien 1966, S. 124-128. Vgl. [Adam Müller-Gutenbrunn]: Franz Ferdinands Lebensroman. Ein Dokument unserer Zeit. Den Tagebüchern eines seiner Lehrer und vertrauten Berater nacherzählt. Mit einem Geleitwort von Karl Hans Strobl, 4. Auflage, Stuttgart 1919 ( - Memoiren Bibliothek. V. Serie Bd. 10), S. 3-7, 51-54, 130-145. Zu Franz Ferdinands Rache an Marschall vgl. Silber, Obersthofmeister Alfred Fürst von Montenuovo, S. 609-613. Vgl. dazu Wiard v. Klopp: Onno Klopp. Leben und Wirken. Hg. v. Franz Schnabel, München 1950, S. 154-156. Ebd., S. 103.

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schichtsbild entwickelte Klopp auch seinen Schülern.64 Die Rolle Gustav Adolfs im Dreißigjährigen Krieg und die Machtpolitik Friedrichs Π. von Preußen rückte er mit Bismarcks Bundesbruch 1866 zusammen: für Klopp waren dies Glieder einer Kette von Versuchen, die nationenübergreifende Herrschaft des Hauses Osterreich als Hort von Recht und Glauben auszuschalten. Es ist schwer, den Einfluß von Klopps Auffassung der geschichtlichen Mission Österreichs auf Franz Ferdinands historisch-politisches Urteil auszumessen, nicht zuletzt deshalb, weil der Erzherzog-Thronfolger sich im Unterschied zu seinem Cousin Rudolf nur selten systematisch und in schriftlicher Form mit prinzipiellen Fragen des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens auseinandergesetzt hat. Immerhin ließ Franz Ferdinand Jahrzehnte später den Auftrag dafür erteilen, eines der Lieblingsthemen Klopps, die Einnahme Magdeburgs durch Tillys Truppen 1631 - den Brand der Stadt legte Klopp den Schweden zur Last -, für einen Zyklus historischer Gemälde in der Hofburg ins Bild setzen zu lassen.67 Grundsätzlich sollte die Bedeutung des Unterrichts für Franz Ferdinands Vorstellungen von Dynastie und Staat nicht überschätzt werden. Neben Lebensweise und Kommunikation der engeren Familie boten die weitere Verwandtschaft, das Erzhaus mit dem Monarchen als Oberhaupt und dem Hof als institutionellem Sammelpunkt Möglichkeiten, dynastisches Selbstverständnis aufzunehmen und zu festigen.69 Hier erfuhr Franz Ferdinand allerdings auch, wie wenig Rücksicht auf sein Empfinden genommen wurde, als er, wie schon erwähnt an Lungentuberkolose leidend, von 1895 an zwei Jahre gegen die lebensbedrohliche Krankheit kämpfte. Das Selbsterhaltungsinteresse der Dynastie ließ zwar echte Anteilnahme auch aus dem weiteren VerNach ebd., S. 155 sei Onno Klopp: Politische Geschichte Europas seit der Völkerwanderung. Vortrage. [Hg. v. Wiard von Klopp], 2 Bde., Mainz 1912 auf der Basis der Unterrichtsunterlagen entstanden. O. Klopp, Politische Geschichte Europas Π (FN 64), S. 376-394. Vgl. aber Wilhelm Granner: Franz Ferdinand, seine Entwicklung und seine poütischen Ideen. Eine quellenkritische Untersuchung, Diss. phil. Wien 1942, S. 3 f., der Franz Ferdinands Kritik an der Politik der Habsburger im Zeitalter Napoleons bei Albert Freiherr von Margutti: Kaiser Franz Joseph, Wien-Leipzig 1924, S. 119 f., mit Klopps Unterricht in Verbindung bringt. Im Hinblick auf das positive Napoleonbild ebd., S. 121 f. ist dieser Schluß aber doch eher gewagt. "Verzeichnis der für den Hofburgbau in Auftrag gegebenen Gemälde samt Preisen" in: K A Militärkanzlei Franz Ferdinand [im folgenden: MKFF] 183/1. Vgl. O. Klopp, Politische Geschichte Europas I (FN 64), S. 258-261. Vgl. dazu auch Allmayer-Beck, Ministerpräsident Beck (FN 41), S. 26-29. Ein besonders markantes Beispiel für das Einbeziehen auch der jüngsten Mitglieder des Hauses in den Deferenzmechanismus des höfischen Zeremoniells bei Margutti, Kaiser Franz Joseph (FN 66), S. 143.

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wandtenkreis zu, aber trotzdem mußten für den recht wahrscheinlichen Fall, daß Franz Ferdinand seinem Leiden erliegen würde, die notwendigen Vorkehrungen getroffen werden. Die Heranziehung Ottos zu Repräsentationsaufgaben und dessen Ausstattung mit Obersthofmeister und einem Palais als Wohnsitz wirkte auf Franz Ferdinand, als ob er bereits aufgegeben worden sei. Kein Wunder, daß er dies sehr übel nahm, allerdings weniger dem Kaiser oder Otto, dafür aber dem Hof und dem auch für Angelegenheiten des Herrscherhauses zuständigen Außenminister Goluchowski. Der Zorn Franz Ferdinands galt zwar mehr den Funktionären als den Mitgliedern der Dynastie, aber der Kampf gegen die Krankheit stärkte ohne Zweifel die Ichbezogenheit des Thronfolgers und verminderte seine Bereitschaft, sich in als existentiell bewerteten Fragen dem Urteil seiner Umgebung zu beugen.70 Die Entschiedenheit, mit der der Thronfolger seine finanziellen Interessen vertrat, ging gelegentlich, etwa bei der Zweckentfremdung von Mitteln des Stadterweiterungsfonds, auf Kosten von Haus und öffentlicher Hand. Er baute seinen privaten Immobilien- und Kunstbesitz zur Sicherung der materiellen Zukunft seiner Kinder und aus persönlichen Neigungen mit Hilfe der hoch angesetzten Hofdotation stark aus und bewies vor allem bei der Ausgestaltung von Schloß Konopischt in Böhmen mit der Präsentation seiner selbst erworbenen oder vom Haus Este geerbten Kunstschätze und mit seinem weithin bewunderten Rosengarten standesgemäße ästhetische Interessen. Die Sammelleidenschaft Franz Ferdinands wirkt allerdings teilweise etwas schrankenlos, und die ungehemmte Schießwut, die der Erzherzog auf der Jagd auslebte, erschien schon den mit aristokratischer Waidmannslust vertrauten Zeitgenossen als merkwürdiger Zug der Persönlichkeit des Thronfolgers. Gerade im Zusammenhang mit seiner Passion für die Jagd setzte Franz Ferdinand seine Exklusivitätsansprüche rücksichtslos durch. Es ist zwar wohl übertrieben, dem 70

Vgl. Eisenmenger, Erzherzog Franz Ferdinand (FN 29), S. 9-129, Silber, Obersthofmeister Alfred Fürst von Montenuovo (FN 40), S. 561-567 (besonders zu den Folgen für das Verhältnis zur Hofverwaltung), Kielmansegg, Kaiserhaus (FN 60), S. 144 f. und Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 59-84.

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Vgl. Jeroen Bastiaan van Heerde: Staat und Kunst. Staatliche Kunstförderung 1895 bis 1918, Wien-Köln-Weimar 1993, S. 275 f. und Silber, Obersthofmeister Montenuovo (FN 40), S. 597-599. Vgl. Silber, Obersthofmeister Montenuovo (FN 40), S. 623-628, Robert Hoffmann: Erzherzog Franz Ferdinand und der Fortschritt. Altstadterhaltung und bürgerlicher Modernisierungswille in Salzburg, Wien-Köln-Weimar 1994, S. 16-36, Georg Graf Mycielski: Erzherzog Franz Ferdinand als Kunstfreund, in: Erzherzog Franz Ferdinand unser Thronfolger (FN 1), S. 55-84, hier S. 62-77 und Nikitsch-Boulles, Vor dem Sturm (FN 29), S. 173-206.

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Thronfolger deshalb einen Anflug von "Cäsarenwahnsinn" zu attestieren,73 aber von einer patrimonialen Staatsauffassung zeugt Franz Ferdinands Verhalten dennoch. 74 Die Distanzierung vom Hofleben und das Ausweichen in die abgeschirmte Idylle der Landsitze, die der Status von Frau und Kindern, aber auch persönliche Neigungen des Erzherzogs nahelegten, gingen Hand in Hand mit dem Anspruch auf die Autorität des zukünftigen Monarchen und Oberhaupts des Hauses. Wie schon im Falle des Kronprinzen Rudolf, so spielte auch bei Franz Ferdinand Erzherzog Albrecht die Rolle des Vermittlers eines durchgeformten dynastischen Bewußtseins. Als Militär- und Zivilgouverneur Ungarns zwischen 1851 und 1860, als siegreicher Feldherr in Italien 1866, als Militärdiplomat 1870 und als Generalinspektor des Heeres von 1869 bis zu seinem Tod 1895 gehörte Erzherzog Albrecht zum Kreis der wichtigsten Entscheidungsträger der Monarchie und verkörperte, im Unterschied zum Kaiser, die militärische Glorie der Habsburger. Schon in der Affäre um Benedek, den Verlierer von Königgrätz, profilierte sich Albrecht als kompromißloser Verteidiger des Prestiges der Dynastie. 75 Selbst ohne männliche Nachkommen, machte er sich die Erziehung der jungen Erzherzoge zu guten Habsburgern und Soldaten zur Aufgabe. Kronprinz Rudolf war dabei zunächst der wichtigste, aber auch besonders widerspenstige Adressat der Ermahnungen und Belehrungen Albrechts. In Form eines Beichtspiegels zur Karwoche 1876 suggerierte Albrecht dem Kronprinzen Normen dynastieverträglichen Verhaltens unter dem Titel "Wie haben sich die Prinzen einer alten, historisch mit ihren Völkern erwachsenen Dynastie heut zu Tage zu benehmen?"76 Besonders wichtig war So der Politiker Baernreither in seinem Tagebucheintrag vom 13.4.1913, in: Joseph M. Baernreither: Fragmente eines politischen Tagebuches. Die südslawische Frage und Österreich-Ungarn vor dem Weltkrieg. Hg. und eingeleitet von Professor Joseph Redlich, Berlin 1928, S. 233. Vgl. das sehr pointierte Urteil bei Glaise-Horstenau: Erzherzog Franz Ferdinand (FN 29), S. 19 und Franz Ferdinands Definition des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in dessen Brief an Außenminister Aehrenthal vom August 1909, in Wank (Hg.), Nachlaß Aehrenthal Π (FN 47), S. 701 f. Zu Erzherzog Albrechts dynastisch-politischen Anschauungen jetzt grundlegend Matthias Stickler: Erzherzog Albrecht von Osterreich - Selbstverständnis und Politik eines konservativen Habsburgers im Zeitalter Kaiser Franz Josephs, Husum 1997 ( - Historische Studien Bd.. 450). Vgl. auch Johann Christoph Allmayer-Beck: Der stumme Reiter. Erzherzog Albrecht. Der Feldherr „Gesamtösterreichs", Graz - Wien Köln 1997, S. 279-298. Abgedruckt in Brigitte Hamann: Erzherzog Albrecht - die graue Eminenz des Habsburgerhofes. Hin-weise auf einen unterschätzten Politiker, in: Isabella Ackerl/Walter Hummelsberger/Hans Mommsen (Hg.): Politik und Gesellschaft im alten und neuen

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für Albrecht überhaupt die Einigkeit der Dynastie als Gewähr für den Fortbestand des Reiches, und er stellte klar, daß die "Erhaltung der FamilienTugenden, Traditionen, des Familien-Vermögens, des Ansehens der Familie" 77 Selbstdisziplin der Angehörigen des Hauses, nicht zuletzt bei der Wahl des Ehepartners erforderten. In einer kleinen Sammlung von "Aphorismen" 78 für Rudolf hat Albrecht im folgenden Jahr unter scharfer Ablehnung von Sekundogenituren betont, daß in einem "solchen Reiche, wo die Dynastie den Schlußstein und zugleich das Bindemittel für dessen heterogene Theile bildet, [...] die Einheit in derselben von höchster Notwendigkeit" 79 sei. Rudolf, zeitweise auch der von diesem beeinflußte Franz Ferdinand, sahen in den Ermahnungen Albrechts nur verknöcherte Griesgrämigkeit am Werke, aber hinter ihnen steckte eine Auffassung von der Würde der Dynastie, die nicht im Monarchischen aufging.80 Dem Monarchen als Oberhaupt der Dynastie schuldeten alle Habsburger zwar Gehorsam, aber durch die grundsätzliche Berechtigung zur Thronfolge seien die Mitglieder des Erzhauses als solche keine Untertanen. Der Geschlossenheit und dem Ansehen des Gesamthauses, nicht nur einzelner Monarchen, verdanke sich auch die politische Stabilität, denn: "Wäre ohne die bisherige hohe und unbestrittene Stellung des Herrscherhauses eine dreizehnjährige Regierung des Kaisers Ferdinand denkbar gewesen? Nicht ein Jahr hätte sie dauern können." 81 Es kann nicht erstaunen, daß Albrecht die Anzeichen einer Aufweichung der dynastischen Diziplin im Kreis der Erzherzoge in den 1880er und 1890er Jahren für außerordentlich gefährlich für die Fortdauer der Habsburgerherrschaft hielt. Er suchte Franz Ferdinand in diesem Sinne zu beeinflussen - zunächst mit nur mäßigem Erfolg, was Franz Ferdinands Pflichtbewußtsein als Offizier anging.

Den Abscheu vor dem Verhalten Rudolfs und dem des

"Deserteurs" Johann Salvator, zwei schweren Schlägen für die Dynastie innerhalb eines Jahres, verbarg Albrecht nicht, und Franz Ferdinands Reaktion auf

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Österreich. Festschrift für Rudolf Neck zum 60. Geburtstag. Bd. I, München 1981, S. 6277, hier S. 70-75. Ebd., S. 71. Abgedruckt in ebd., S. 75-77. Ebd., S. 77. Vgl. Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 30-33. Erzherzog Albrecht an Crenneville, 10.2.1861, abgedruckt in: Heinrich Ritter von Srbik: Erzherzog Albrecht, Benedek und der altösterreichische Soldatengeist, in: ders.: Aus Österreichs Vergangenheit. Von Prinz Eugen zu Franz Joseph, Salzburg 1949, S. 107-140, hier S. 135. Vgl. dazu auch Wandruszka, Haus Habsburg (FN 7), S. 190-194. Das Verhältnis von erzherzoglichem Standesbewußtsein und militärischer Disziplin in der Sozialisation Franz Ferdinands z.B. bei Kielmansegg, Kaiserhaus (FN 60), S. 126 f.

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Fehlverhalten anderer Habsburger zeigt, daß der Thronfolger Albrechts Auffassungen letztlich doch teilte.83 Während Franz Ferdinand für Erzherzog Ludwig Salvator, den systemkonformen "Aussteiger" der Dynastie starke Sympathie bewies, 84 plädierte er bei Verstössen gegen die hausrechtlichen Regeln und der Festlegung der Modalitäten des Ausscheidens aus dem Erzhaus grundsätzlich für eine harte Linie, von den Skandalen in der ohnehin unbeliebten toskanischen Linie bis zu Ferdinand Karls Eheschließung.85 Besonders empfindlich waren Albrecht wie Franz Ferdinand dabei in Fällen, in denen erzherzogliches Fehlverhalten die Eintracht von Dynastie und Militärapparat zu beschädigen drohten. Im 19. Jahrhundert war die Dienstleistung in Armee und Marine für die männlichen Angehörigen des Erzhauses zur Normalkarriere geworden, im Unterschied zur Hocharistokratie, die sich eher aus dem Militär zurückzog. 86 Die oft betonte und zur Schau getragene Übereinstimmung von Herrscherhaus und Militär, die im Verfassungsstaat auch anderswo zum Schutzwall der Monarchie erhoben wurde, hatte seit den Erfahrungen der Jahre 1848/49 im Habsburgerreich einen besonders hohen Stellenwert.

Aktionsfelder Militärische Ausbildung und die für Erzherzoge übliche und nur sehr bedingt leistungsabhängige Blitzkarriere als Offizier prägten die Jugend Franz Ferdinands. Nach seiner Genesung wurde er, nunmehr unzweifelhaft Thronfolger, 1898 "zur Disposition des Allerhöchsten Oberbefehls" gestellt und zunächst in erster Linie mit der Inspektion größerer Heeresverbände und der Leitung von Manövern betraut. Außerhalb des Militärs hatte Franz Ferdinand nur geringen offiziellen Einfluß. 1901 übernahm er das Protektorat über den "Katholischen Schulverein", der der propagandistischen Bekämpfung der von alldeutscher Seite inszenierten "Los-von-Rom"-Bewegung dienen sollte. 83 84 85

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Dazu Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 34-38. Nikitsch-Boulles, Vor dem Sturm (FN 29), S. 21-25. Vgl. Silber, Obersthofmeister Montenuovo (FN 40), S. 399-403, 517-534. - In Übernahme der militärischen Ehrbegriffe befürwortete der Thronfolger beim Skandal um Louise von Sachsen-Coburg-Gotha die Duellforderung Philipp von Coburgs. Vgl. Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 157 f. und Istvan Deak: Chivalry, Gentlemanly Honor, and Virtuous Ladies in Austria-Hungary, in: Austrian History Yearbook 25 (1994), S. 1-12. Vgl. Gollwitzer, Standesherren (FN 58), S. 301 f. und Istvan Deak: Der k.(u.)k. Offizier 1848-1918, Wien-Köln-Weimar 1991, S. 191-198.

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Durchaus zu Recht sah Franz Ferdinand in den Angriffen auf die katholische Kirche eine indirekte Absage an die Habsburgermonarchie, und so bezog er öffentlich gegen die Bewegung Stellung. Diese öffentliche Parteinahme wurde vom Monarchen sofort und sehr deutlich kritisiert. Der Thronfolger mußte sich sagen lassen, er habe nicht genug Rücksicht auf seine Stellung als künftiger Herrscher genommen. Franz Joseph betonte, daß jedes Wirken dieser Art der Genehmigung durch den Monarchen bedürfe.87 Rein repräsentative Aufgaben im Rahmen der Pflege der dynastischen Außenbeziehungen, die der Kaiser Franz Ferdinand übertragen ließ, nahm der Erzherzog ungern wahr. Sein Auftritt als Vertreter Franz Josephs in St. Petersburg 1902 geriet gleich zum Skandal, da Franz Ferdinand mit der Auswahl seiner Reisebegleitung ein unübersehbares Zeichen seiner Aversion gegen die ungarische Regierung setzte.88 Die für den Thronfolger typische Mißachtung einer zumindest prinzipiellen Unparteilichkeit des Herrscherhauses im öffentlichen Meinungsbildungsprozeß kam aber auch außerhalb des im engeren Sinne politischen Bereichs zum Tragen. Ein typisches Feld für das öffentliche Engagement von Mitgliedern des Erzhauses war traditionell der kulturelle Bereich. Karl Ludwig, der Vater Franz Ferdinands, wurde sogar "Vortrags- und Ausstellungs-Erzherzog" genannt.89 Besonders in Wien war die Dynastie über Hofinstitutionen wie Theater, Oper und Sammlungen, durch die Mitwirkung in Kommissionen und die Übernahme von Protektorenfunktionen sowie die Vergabe von Aufträgen im Kulturleben präsent. Anders als der Kaiser und die meisten in der Kulturförderung aktiven Erzherzoge, die um 1900 nur gelegentlich ihre Mißbilligung bestimmter künstlerischer oder städtebaulicher Tendenzen zum Ausdruck brachten, bezog Franz Ferdinand recht dezidiert Position. Als erklärter Gegner der etwa vom "Hagenbund" repräsentierten Moderne und Befürworter der Wiederbelebung des Historismus versuchte er durch Druck auf das zuständige österreichische Unterrichtsministerium und mit Hilfe seiner offiziellen Funktionen beispielsweise als Vorsitzender des mit dem Bau der Neuen Hofburg befaßten Verwal-

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Dazu Sosnosky, Franz Ferdinand (FN 29), S. 45-51 und Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 129 f. Vgl. Silber, Obersthofmeister Monenuovo (FN 40), S. 629-631 und Kinsky an Aehrenthal, 4.3.1902, in: Wank (Hg.), Aus dem Nachlaß Aehrenthal I (FN 47), S. 273. Zu den ersten Auslandsmissionen Franz Ferdinands 1889 und 1891 vgl. Kiszling, Erzherzog Franz Ferdinand (FN 29), S. 23-25. Robert A. Kann/Peter Leisching (Hg.): Ein Leben für Kunst und Volksbildung. Eduard Leisching 1858-1938. Erinnerungen, Wien 1978 ( - Fontes Rerum Austriacum. Osterreichische Geschichtsquellen, 1. Abteilung: Scriptores Bd. 11), S. 141.

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tungsrats des Wiener Stadterweiterungsfonds seine ästhetischen und kulturpolitischen Vorstellungen durchzusetzen.90 Besonders stark engagierte sich der Thronfolger, seit 1910 Protektor der österreichischen "Zentralkommission für kunst- und historische Denkmale", für Denkmalschutz und -pflege.91 Er scheute auch in diesem Zusammenhang keinen Konflikt mit den Lobbyisten radikaler städtebaulicher Umgestaltungsmaßnahmen und konnte dabei durchaus einzelne Erfolge erzielen.92 Die institutionelle Basis von Franz Ferdinands politischer Einflußnahme entstand aus seiner militärischen Stellung heraus. Als "zur Disposition des Ah. Oberbefehls" gestellter Feldmarschalleutnant erhielt Franz Ferdinand einen kleinen, nur von einem Flügeladjutanten und einem Ordonnanzoffizier gebildeten Stab zur Unterstützung. Der 1906 zum Flügeladjutanten berufene Hauptmann Alexander Brosch von Aarenau, ein Generalstabsoffizier mit Erfahrung im Verwaltungsdienst des Kriegsministeriums, gestaltete mit Beharrlichkeit, großem organisatorischen Geschick und ausgeprägtem politischen Spürsinn auf dieser Grundlage die Militärkanzlei Franz Ferdinands zu einem wirkungsvollen Instrument des Thronfolgers aus.93 Die wesentliche offizielle Informationsquelle der Kanzlei bildeten die Einsichtsakten des für die k.u.k. Armee und die Marine zuständigen Kriegsministeriums sowie der Landesverteidigungsministerien in Budapest und Wien, in deren Kompetenzbereich die militärisch wesentlich weniger bedeutsame Honved bzw. Landwehr fielen. Nur rechtzeitige Information ermöglichte es dem Thronfolger, auf die Entscheidungen des Monarchen einzuwirken, und deshalb kämpfte Brosch beharrlich, wenn auch nur teilweise mit Erfolg, um Akteneinsicht ante expeditionem, also vor Erledigung. Der Arbeitsstil Franz Ferdinands, der im Unterschied zum Kaiser dem Schreibtisch gerne auswich, und die häufigen Interventionen und Rückfragen des Thronfolgers waren der Militäradministration lä-

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Vgl. ebd., S. 119-182, bes. S. 162-182, Bertha Zuckerkandl: Österreich intim. Erinnerungen 1982-1942. Hg. von Reinhard Federmann, Wien-Darmstadt-Berlin 1970, S. 105-107, Mycielski, Franz Ferdinand als Kunstfreund (FN 72), S. 78-81, Van Heerde, Staat und Kunst (FN 71), bes. S. 235, 271-279 und Hoffmann, Franz Ferdinand und der Fortschritt (FN 72), bes. S. 4 2 4 9 . Vgl. Mycielski, Franz Ferdinand als Kunstfreund (FN 72), S. 77 f., 81-83 und Hoffmann, Franz Ferdinand und der Fortschritt (FN 72), S. 49-60. Salzburg als Beispiel für das Eingreifen Franz Ferdinands bei Hoffmann, Franz Ferdinand und der Fortschritt (FN 72), S. 61-106. Grundlegend dazu Rainer Egger: Die Militärkanzlei des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand und ihr Archiv im Kriegsarchiv Wien, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 28 (1975), S. 141-163.

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stig.94 Der Militärkanzlei des Kaisers erwuchs eine Konkurrenzinstitution, den Ministerien eine nicht recht zu umgehende Kontrollinstanz. Brosch verstand es im Unterschied zu fast allen anderen verantwortlichen Mitarbeitern Franz Ferdinands, dem Erzherzog notfalls zu widersprechen und ihn so von problematischen Entschlüssen abzubringen, ohne in Ungnade zu fallen. Als Vertrauensmann des Thronfolgers gewann er im Laufe der Jahre mit der genauen Kenntnis der militärischen, politischen und dynastischen Verhältnisse der Habsburgermonarchie eine starke informelle Machtposition. Auch nach der Versetzung zur Truppendienstleistung nach Tirol Ende November 1911 behielt Brosch das Wohlwollen Franz Ferdinands.95 Die von Brosch selbst lancierte Berufung von Oberstleutnant Carl Bardolff zum Nachfolger sicherte die Kontinuität der Arbeit der inzwischen gut etablierten Militärkanzlei. 96 Unter Bardolffs Leitung wurde der Geschäftsgang stärker formalisiert und der Personalstand vermehrt. Die Vorarbeit Broschs, die Stellung Franz Ferdinands und das hohe Alter und die zunehmende gesundheitliche Schwäche des Kaisers stärkten die Durchschlagskraft der Kanzlei, weshalb die eher bürokratische Arbeitsweise Bardolffs adäquat wirkt. Die Ernennung Franz Ferdinands zum "Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht" 1913 gab dem Thronfolger eine herausgehobene Rangstellung unmittelbar hinter dem Kaiser. Die Bedeutung der Militärkanzlei schien immer mehr dem Wunschbild zu entsprechen, "als eine Art Reichskanzlei [...] Entgleisungen, die der national-föderalistischen Zerbröckelung Vorschub leisten könnten, zeitgerecht zu bremsen. [...] Die Tätigkeit der Militärkanzlei als Organ des Reichsgedankens und als Bollwerk gegen jede nationale Sonderbestrebung ist eine Funktion, die gesetzlich nie zu erreichen gewesen wäre, die aber trotzdem mit beharrlicher Konsequenz errungen wurde, und in dieser Richtung erschien der

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Vgl. Chlumecky, Franz Ferdinands Wirken (FN 29), S. 49 f. Vgl. Martha Sitte: Alexander von Brosch, der Flügeladjutant und Vorstand der Militärkanzlei des Thronfolgers Franz Ferdinand, Diss. phil. Wien 1961 und Samuel R. Williamson, Jr.: Influence, Power, and the Policy Process: the Case of Franz Ferdinand, 1906-1914, in: Historical Journal 17 (1974), S. 417434. Einen Einblick in das weitgespannte Netz persönlicher Beziehungen Broschs ermöglicht K A Nachlaß Brosch B/232:ll. Vgl. auch Broschs Charakterisierung des Thronfolgers "als Mensch und Soldat" vom Oktober 1913, abgedruckt in Chlumecky, Franz Ferdinands Wirken (FN 29), S. 355-362. Vgl. Carl Freiherr von Bardolff: Soldat im Alten Österreich. Erinnerungen aus meinem Leben, [2. Auflage], Jena 1943, S. 107-184.

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Ausbau der Militärkanzlei notwendig, um den Einfluß auf eine noch breitere Basis auszudehnen."97 Der Kampf gegen die "Zerbröckelung" des Habsburgerreichs war letzten Endes der programmatische Kern der immer weiter gespannten Aktivitäten des Thronfolgers und seiner Kanzlei. Nach den negativen persönlichen Erfahrungen, die Franz Ferdinand als Offizier bei einer ungarischen Truppe gemacht haue, boten ihm die militärpolitischen Turbulenzen ab 1902/03 Anlaß genug, die vom Budapester Reichstag betriebene Koppelung von Rüstungsfragen und nationalpolitischen Zugeständnissen an Ungarn als Anschlag auf die Geschlossenheit und Dynastietreue der Armee und damit auf die Existenz der Gesamtmonarchie zu deuten. Er stand hier in der Tradition Erzherzog Albrechts, der - ausnahmsweise ganz im Einklang mit Kronprinz Rudolf - 1886 kurz und bündig gewarnt hatte: "Spaltet sich die Armee, entwertet sich ihr Geist, so ist die Dynastie verloren, und Oesterreich besteht nicht mehr."98 Die Stärkung der militärischen Schlagkraft als Garant der inneren und äußeren Sicherheit Österreich-Ungarns und die Abwehr der ungarischen Forderungen, wie sie im sogenannten "Neunerprogramm" von 1903 zusammengefaßt wurden, waren aus der Sicht des Thronfolgers untrennbar miteinander verquickt.99 Franz Ferdinand fürchtete 1904, daß "nun auch die Armee, das letzte Bollwerk des Thrones und der Dynastie, magyarisiert werden soll"100. Außenpolitische Fragen gewannen dann vor allem in den letzten Vorkriegsjahren an Bedeutung.101 Zu diesen unmittelbar drängenden Aufgaben trat die Vorbereitung auf den Thronwechsel, also die personelle und programmatische Weichenstellung für den vermeintlich immer näher rückenden Tag, an dem Franz Ferdinand mehr Gestaltungsspielraum haben würde. Dem doppelten Ziel der zunächst besonders drängenden Bemühungen, nämlich Ausbau der Wehrmacht und

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Konzept Hüttenbrenner "Material für die Ausgestaltung der Militärkanzlei" 1912, zitiert in: Egger, Militärkanzlei (FN 93), S. 157. Vgl. auch ebd., S. 153-161. Erzherzog Albrecht an Kronprinz Rudolf, 5.6.1886, abgedruckt in: Oskar Freiherr von Mitis: Das Leben des Kronprinzen Rudolf. Mit Briefen und Schriften aus dessen Nachlaß. Neu hg. und eingeleitet von Adam Wandruszka, Wien-München 1971, S. 312. Vgl. auch Hamann, Rudolf (FN 59), S. 263-285. Vgl. Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 36, 73 f., 119-124 und Kiszling, Erzherzog Franz Ferdinand (FN 29), S. 77-83. Erzherzog Franz Ferdinand an Beck, [Sommer] 1904, zitiert in: Edmund von Glaise-Horstenau: Franz Josephs Weggefährte. Das Leben des Generalstabschefs Grafen Beck, Zürich-Leipzig-Wien 1930, S. 405. Vgl. auch die Beilage zum Schreiben Erherzog Franz Ferdinands an Beck, 6.5.1896, abgedruckt in ebd., S. 474-483. Vgl. dazu die umfassende Berichterstattung der Kanzlei an Franz Ferdinand über die Balkankrise 1912/13 in K A MKFF 191-197.

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Eingrenzung des ungarischen Selbständigkeitsstrebens, versuchten sich Franz Ferdinand und Militärkanzlei auf verschiedenen Wegen zu nähern. Im militärischen Bereich gab die vage gefaßte Kompetenz des Erzherzogs Gelegenheit, bis in Detailfragen hinein die Entscheidungsprozesse direkt zu beeinflussen. Die Verbesserung der Ausrüstung der Armee und die Verjüngung des Offizierskorps beschäftigten die Militärkanzlei ebenso wie die Regelung der Dienstzeit und die Festlegung des Rekrutenkontingents.

1903 unterstütz-

te Franz Ferdinand den Kaiser vehement bei der Ablehnung der zentralen ungarischen Forderung nach Einführung des Magyarischen als Kommandosprache der in Ungarn rekrutierten Regimenter der k.u.k. Armee als des politischen Preises für eine Wehrreform.

Die große Bedeutung, die Franz

Ferdinand in Auseinandersetzung mit ungarischen Forderungen der politischen Symbolik beimaß, unterstrich sein wütender Protest gegen die Umbenennung des "Reichskriegsministeriums" in ein bloßes "Kriegsministerium" 1911. Für sein Selbstverständnis als Thronfolger bezeichnend ist, daß Franz Ferdinand sich förmlich gegen diese Entscheidung des Kaisers verwahrte und ankündigte, sich als künftiger Monarch an die Neuregelung nicht gebunden zu fühlen. 104 Besonderes Interesse zeigte der Thronfolger im Unterschied zum Kaiser und ähnlich wie Wilhelm Π. am Ausbau der Flotte. Den Bau österreichisch-ungarischer Dreadnoughts befürwortete er nachdrücklich, wenigstens soweit keine ungarischen Werften beauftragt wurden.

Der Bau dieser presti-

gesichernden Schlachtflotte ging aber notwendigerweise auf Kosten der Heeresrüstung.106 Insgesamt fällt die Bilanz von Franz Ferdinands Bemühungen um eine Stärkung des österreichisch-ungarischen Militärpotentials also nur sehr bedingt positiv aus.107

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Vgl. zur Frage der Wehrreform 1909-1912 KA MKFF 188. Vgl. Kiszling, Erzherzog Franz Ferdinand (FN 29), S. 73-77 und Walter Wagner: Die k.(u.)k. Armee - Gliederung und Aufgabenstellung, in: Wandruszka/Urbanitsch (Hg.), Habsburgermonarchie V (FN 3), S. 142-633, hier S. 492 f. Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 168. Vgl. Lawrence Sondhaus: The Naval Policy of Austria Hungary, 1867-1918. Navalism, Industrial Development, and the Politics of Dualism, West Lafayette, Indiana 1994, S. 143 f., 176-178, 188, 195-198, 220-232 und Emil Seeliger: Hotel Sacher. Weltgeschichte beim Souper, Berlin 1939, S. 141-148. Vgl. Lothar Höbelt: Die Marine, in: Wandruszka/Urbanitsch (Hgg.), Habsburgermonarchie V (FN 3), S. 687-763, hier S. 721-724. Vgl. z.B. Johann Christoph Allmayer-Beck: Die bewaffnete Macht in Staat und Gesellschaft, in: Wandruszka/Urbanitsch (Hg.), Habsburgermonarchie V (FN 3), S. 1-141, hier S. 129-139.

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Eine besonders scharfe Waffe stand dem Thronfolger und seiner Kanzlei mit dem Einfluß auf die Personalpolitik zur Verfügung, der sich in den letzten Vorkriegsjahren über Manöverkritik und Personalkonferenzen massiv bemerkbar machte. Die Karrieren der hohen Offiziere hingen zunehmend vom Wohlwollen Franz Ferdinands ab.108 Auch bei der Besetzung der Spitzenpositionen im Militärapparat entschied der Erzherzog mit. Den mit Franz Joseph persönlich eng verbundenen, über 75 Jahre alten, nicht sonderlich innovationsfreudigen Generalstabschef Friedrich von Beck konnte Franz Ferdinand 1906 zu Fall bringen, also zu einem Zeitpunkt, als die Politik des Kaisers in Ungarn erhebliche Rückschläge erlitten hatte.109 Im gleichen Jahr konnte der Thronfolger den Sturz des aus seiner Sicht zu ungarnfreundlichen Kriegsministers Pitreich feiern. Mit Conrad von Hötzendorf als Generalstabschef und Schönaich als Kriegsminister setzte Franz Ferdinand zwei Männer seiner Wahl für die beiden militärpolitischen Schlüsselstellungen durch. Schon bald erbitterten ihn jedoch Schönaichs Versuche, durch Kompromißbereitschaft in Ungarn für die Wehrreform Unterstützung zu gewinnen, und 1911 lancierte Brosch im Auftrag des Thronfolgers eine regelrechte Kampagne gegen den Kriegsminister, u.a. unter Zuhilfenahme von Pressekontakten.

Der Nachfol-

ger Schönaichs, Auffenberg, war zunächst ebenfalls ein Wunschkandidat Franz Ferdinands, wurde aber schon Ende 1912 fallengelassen, um in einer Art Tauschgeschäft beim Kaiser die Wiederberufung Conrads als Generalstabschef durchzusetzen. Conrad war nach Konflikten mit dem Außenminister ein Jahr zuvor entlassen worden. Auch mit dem wiederernannten Chef des Generalstabs häuften sich jedoch in den folgenden Monaten die Unstimmigkeiten. 111 Ohne Sarajevo hätte Franz Ferdinand die Ära Conrad wohl schon bald beendet. Auch außerhalb des Militärs und damit außerhalb seines eigentlichen Kompetenzbereichs versuchte der Thronfolger durch Personalpolitik seine Vorstellungen zur Geltung zu bringen. 1906 wurde der Triumph durch die von Franz

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Karrierefragen spielen deshalb eine wichtige Rolle in den Privatkorrespondenzen der beiden Vorstände der MKFF in KA Nachlaß Brosch B/232 und Nachlaß Bardolff B/207. Vgl. auch die Ranglisten der Generale und Obersten in KA MKFF 184-186. Vgl. Glaise-Horstenau, Franz Josephs Weggefährte (FN 100), S. 409437. Vgl. dazu Sitte, Alexander von Brosch (FN 95), S. 62-105, Walther Hetzer: Franz von Schönaich. Reichskriegsminister von 1906-1911, Diss. phil. Wien 1968, S. 177-190, KA MKFF 207/1 und KA Nachlaß Brosch B/232:6. Vgl. Peter Broucek: Erzherzog Franz Ferdinand und sein Verhältnis zum Chef des Generalstabes Franz Freiherr Conrad von Hötzendorf, in: Od Sarajeva k velke valce. Ab Sarajewo zum großen Krieg. I. Bd., Praha 1995, S. 19-33.

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Ferdinand aus persönlichen und außenpolitischen Motiven erwünschte Entlassung Goluchowski komplettiert.112 Die Politik des neuen Außenministers Aehrenthal fand zunächst die Zustimmung des Erzherzogs, die aber bald in harte Kritik umschlug.113 Berchtold, Nachfolger des 1912 verstorbenen Aehrenthal, bemühte sich wesentlich stärker um Franz Ferdinands Wohlwollen als seine beiden Vorgänger. Kurz vor dem Attentat von Sarajevo herrschte zwischen Minister und Thronfolger eine für Franz Ferdinand ganz ungewöhnliche Harmonie, auch weil der immer stärker in die Entscheidungsprozesse eingebundene Erzherzog die Grenzen der von ihm favorisierten rußlandfreundlichen und prorumänischen Außenpolitik besser einzuschätzen lernte. Bezeichnend dafür war das Scheitern seines Proteges Czernin bei dem Versuch, die ungarische Nationalitätenfrage zusammen mit den Sicherheitsproblemen der Donaumonarchie einer Lösung zuzuführen. Langsam fand sich der Thronfolger bereit, die in monarchischem Denken begründete Sympathie für eine Annäherung an Rußland und die persönlich-dynastisch und innenpolitisch motivierte Vorliebe für Rumänien bzw. Abneigung gegen Bulgarien etwas zurückzustellen.114 Der wichtigste Beitrag Franz Ferdinands zur österreichischungarischen Außenpolitik der Jahre 1912/13 war sein Eintreten für eine friedliche Lösung des Konflikts mit Serbien, im Gegensatz zu Conrad und im Einklang mit Wilhelm Π.

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Die Furcht vor einem Krieg gegen Serbiens Schutz-

Vgl. Silber, Obersthofmeister Montenuovo (FN 40), S. 582-586, Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 136 f. und Francis Roy Bridge: Österreich(-Ungarn) unter den Großmächten, in: Wandruszka/Urbanitsch (Hg.), Habsburgermonarchie VI/1 (FN 3), S. 196-373, hier S. 307-309. Vgl. Erzherzog Franz Ferdinand an Aehrenthal, 11.10.1908, in: Wank (Hg.), Nachlaß Aehrenthal Π (FN 47), S. 624 und das von der MKFF zusammengestellte "AehrenthalSündenregister" vom März 1912, in ebd., S. 762-764. Zu den im "Sündenregister" aufgehsteten Charakteristika der Politik Aehrenthals aus der Sicht eines Franz FerdinandBewunderers vgl. Chlumecky, Franz Ferdinands Wirken (FN 29), S. 100-117. Vgl. Hugo Hantsch: Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand und Graf Leopold Berchtold, in: ders./Eric Voegelin/Franco Valsecchi (Hg.): Historica. Studien zum geschichtlichen Denken und Forschen, Wien-Freiburg-Basel 1965, S. 175-198, Robert A. Kann: Erzherzog Franz Ferdinand und Graf Berchtold als Außenminister, 1912-1914, in: ders., Erzherzog Franz Ferdinand Studien, München 1976 ( - Veröffentlichungen des österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts Bd. 10), S. 206-240, Gary W. Shanafelt: Activism and Inertia: Ottokar Czernin's Mission to Roumania, 1913-1916, in: Austrian History Yearbook 29/30 (1983/1984) 1,189-214 und Onokar Czernin: Im Weltkriege, 2. Auflage, Berlin und Wien 1919, S. 103-110. Vgl. zu Franz Ferdinands Rolle in den Krisen 1913 Samuel R. Williamson, Jr.: AustriaHungary and the Origins of the First World War, Basingstoke and London 1991 ( - The Making of the 20th Century), S. 121-163 und Bardolff, Soldat (FN 96), S. 177. Vgl. zum Zweibund Robert Α. Kann: Kaiser Wilhelm Π. und der Thronfolger Erzherzog Franz

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macht Rußland und die Priorität der inneren Umgestaltung der Monarchie im Fall des Thronwechsels können diese Haltung erklären. In militärischen Belangen besaß Franz Ferdinand erhebliche Kompetenzen, und in der Außenpolitik gab ihm sein Status als künftiger Monarch wenigstens in den letzten Lebensjahren die Rolle eines wichtigen Ratgebers von Kaiser und Außenminister. Im Bereich der Außenbeziehungen der Monarchie blieb der Erzherzog insgesamt vergleichsweise zurückhaltend und achtete die Prägorative des Monarchen. Der Gegensatz zwischen den Parteigängern des Thronfolgers und der Umgebung des Kaisers - in der Sprache der Zeit nach den jeweiligen Residenzen: zwischen "Belvedere" und "Schönbrunn" - durchzog in den letzten Vorkriegsjahren zwar das gesamte politischen Leben der Monarchie, besonders deutlich wurde er aber auf den Feldern der Nationalitätenpolitik, der turnusmäßigen Ausgleichsverhandlungen zwischen Cis- und Transleithanien und des Wahlrechts. In Ungarn, dessen politische Führungsschicht Franz Ferdinand in toto verabscheute, scheiterten alle Versuche des Erzherzogs und Broschs, durch Geheimverhandlungen mit Oppositionskräften einen Regierungswechsel ins Werk zu setzen oder die Machtstellung der herrschenden magyarischen Elite durch ein allgemeines und damit die nationalen Minderheiten Ungarns förderndes Wahlrecht zu erschüttern. Diese Politik führte dazu, daß nur die Vertreter dieser nationalen Minderheiten, einige Aristokraten und Repräsentanten kleiner magyarischer Oppositionsgruppen mit Franz Ferdinand und seiner Kanzlei zusammenarbeiteten, der direkte Einfluß des künftigen Königs auf Politik und Verwaltung Ungarns aber sehr gering blieb. In Osterreich waren die Mitgestaltungsmöglichkeiten des Thronfolgers aufgrund der nationalitätenpolitischen Situation und der stärkeren Position der

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Ferdinand in ihrer Korrespondenz, in: ders., Erzherzog Franz Ferdinand Studien (wie in F N 114), S. 47-85 und die in Günther Kronenbitter: Bundesgenossen? Zur militärpolitischen Kooperation zwischen Berlin und Wien 1912 bis 1914, in: Walther L. Bernecker/Volker Dotterweich (Hg.): Deutschland in den internationalen Beziehungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Josef Becker zum 65. Geburtstag, München 1996 ( - Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg Bd. 50), S. 143168, hier S. 144 angegebene Literatur. Zu den informellen Beziehungen zwischen Alldeutschem Verband und Belvedere Günter Schödl: Paul Samassa. Ein biographischer Beitrag zur Vorgeschichte des "extremen Nationalismus" in Deutschland und Osterreich, in: Südostdeutsches Archiv 21 (1978), S. 75-104, hier S. 84-90. Vgl. Robert A. Kann: Franz Ferdinand der Ungarnfeind?, in: ders., Erzherzog Franz Ferdinand Studien (wie in F N 114), S. 100-126, Georg Franz: Erzherzog Franz Ferdinand und die Pläne zur Reform der Habsburger Monarchie, Brünn/München/Wien 1943 (=- Südosteuropäische Arbeiten Bd. 35), S. 47-67, 70 und Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 136-142.

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Krone einem kaum arbeitsfähigen Parlament gegenüber erheblich größer.117 Neben konservativen Hochadeligen boten sich vor allem die ChristlichSozialen, deren politischer Katholizismus und judenfeindliche Tendenz zu Franz Ferdinands politisch-gesellschaftlichen Emotionen paßten, als Helfer des Belvedere an.118 Von der Bedeutung der veröffentlichten Meinung als Machtfaktor überzeugt, bemühte sich der Erzherzog durch Brosch und Bardolff, nicht nur Journalisten wie Funder oder Chlumecky als Sprachrohr des Belvedere einzusetzen, sondern gegebenenfalls bei politisch willkommenen Zeitungsprojekten die Finanzierung sicherzustellen.119 Die solcherart gesteigerte Macht des Thronfolgers bekam besonders drastisch sein langjähriger Berater Max Vladimir von Beck zu spüren, nachdem dieser 1906 vom Kaiser zum österreichischen Ministerpräsidenten ernannt wurde. Die Enttäuschung über den "Seitenwechsel" Becks, die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, die Franz Ferdinand für Osterreich - anders als für Ungarn - ablehnte, auch die Handhabung der Wahrmund-Affäre und die Führung der Ausgleichsverhandlungen ließen den Erzherzog nicht ruhen, bis Beck 1908 zurücktreten mußte.120 Da der jeweilige Herrscher in Militär und Diplomatie der Gesamtmonarchie sowie in Regierung und Verwaltung vor allem der österreichischen Reichshälfte über das Gelingen oder Scheitern vieler Karrieren entscheiden konnte, suchten ambitionierte Staatsdiener und Parlamentarier den Rückhalt von Belvedere oder Schönbrunn, oder sie versuchten, zwischen beiden Lagern zu lavieren. Der Sozialdemokrat Karl Renner sprach die prekäre Situation

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Vgl. zur Ausschaltung des Reichsrats unmittelbar vor dem Krieg Alexander Fussek: Ministerpräsident Karl Graf Stürgkh und die parlamentarische Frage, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18 (1964/65), S. 337-358, hier S. 341-352.

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Vgl· John W. Boyer: Culture and Political Crisis in Vienna. Christian Socialism in Power, 1897-1918, Chicago and London 1995, S. 330-344. Ein häufig zitiertes Beispiel für Franz Ferdinands u.a. antijüdische Verbalinjurien enthält ein Brief an Berchtold vom 12.4.1914, abgedruckt in Kann, Franz Ferdinand und Berchtold (FN 114), S. 237 mit der Passage über "dieses ekelhafte Judenaquarium Abbazia, eingekeilt zwischen Slawen und Irredentisten". Der sich später zum Nationalsozialismus bekennende Bardolff bedauerte dagegen in der Rückschau Franz Ferdinands Distanz zum Äasjenantisemitismus in seinem Vortragsmanuskript "Franz Ferdinand und sein Kreis" in: KA Nachlaß Bardolff B/207:8a, fol. 6 f. Vgl. z.B. Sitte, Alexander von Brosch (FN 95), S. 23-27 und Alexander Spitzmüller: "...und hat auch Ursach, es zu lieben.", Wien-München-Stuttgart-Zürich 1955, S. 93-103. Vgl. Allmayer-Beck, Ministerpräsident Beck (FN 41), S. 90-246 und Helmut Rumpier: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie, Wien 1997 (Osterreichische Geschichte), S. 551-553.

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1910 im Abgeordnetenhaus an: "Wir haben ja keine Monarchie mehr, keine Einherrschaft, sondern eine Dynarchie [...].1,121

Verpaßte Chancen? Auch wenn man angesichts der schwachen Kontrollmechanismen, denen das Regierungshandeln in Osterreich und auf der Ebene der Gesamtmonarchie unterworfen war, Franz Ferdinand zubilligen kann, er habe "functions that a parliament in another country might have performed" 122 ausgeübt, so war seine Wirkung auf die Politik Österreich-Ungarns doch in erster Linie eine bremsende. Die Demokratisierungstendenzen in der österreichischen Politik und den streng konstitutionellen Kurs Ungarn gegenüber lehnte er ab, aber eine wirkliche Trendwende konnte Franz Ferdinand erst als Monarch versuchen; so blieb ihm oft nur das Blockieren als die vorläufig geeignetste Taktik. Dies gilt selbst für Felder, auf denen der Thronfolger ähnliche Ziele wie der Kaiser verfolgte und nur auf eine energischere Politik zu deren Erreichung drängte, so etwa bei der Wahrung der Einheit und Stärke der k.u.k. Armee. Die Wehrreform, die bei größeren Zugeständnissen an Ungarn erheblich leichter durchzusetzen gewesen wäre, ist dafür ein besonders markantes Beispiel. Was die Positionen von Schönbrunn und Belvedere auch in diesen Fragen trennte, war nicht zuletzt der unterschiedliche Grad an Krisenbewußtsein und folglich an Bereitschaft zu konfliktträchtigen Veränderungen. Franz Ferdinands pessimistische Lagebeurteilung nährte einen Radikalismus, den der Monarch ablehnte. Ohne Erfolg blieb Franz Josephs Appell im Jahr 1903, sein Neffe möge sich seiner Stellung entsprechend mäßigen: "Je schwieriger sich staatliche, politische, nationale und militärische Verhältnisse gestalten, je eigenartiger solche Verhältnisse gerade in Unserer Monarchie sind, welche ihr Entstehen und ihren Bestand dem Hause verdankt, dessen Haupt Ich bin, dessen Erbe Du sein wirst, desto klarer muß der Blick, desto unermüdlicher soll das Streben derjenigen, welchen der mächtigste Einfluß auf das Wohl und Wehe der Monarchie

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Zitiert in: Silber, Obersthofmeister Montenuovo (FN 40), S. 762. Williamson, Influence (FN 95), S. 434. Dies entspricht auch der Selbsteinschätzung der MKFF nach dem Konzept Hüttenbrenners "Material für die Ausgestaltung der Militärkanzlei" 1912, zitiert in: Egger, Militärkanzlei (FN 93), S. 157.

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zukömmt, sein, damit in allen Dingen die höchste erreichbare Objectivität walte."123 Dazu war der Erzherzog nicht bereit, und die tiefe Abneigung gegen die politische Führung Transleithaniens ließ Franz Ferdinand alle anderen Gesichtspunkte zurückstellen. Die von persönlicher Erfahrung, dynastischem Denken, Unverständnis gegenüber dem Stellenwert des Parlaments in Budapest, Sorge um die Einheit der Armee und des Habsburgerreichs genährte Ungarnfeindlichkeit bildete das Zentrum seines politischen Handelns als Thronfolger. Der Fülle an Belegen für die Heftigkeit seiner magyarophoben Gefühle stehen nur wenige und daher kaum aussagekräftige Andeutungen einer Differenzierung zwischen ungarischer Oligarchie und dem Volk der Magyaren gegenüber.124 Bei aller Berücksichtigung von Franz Ferdinands sicher auch spielerischer Freude an einer derben und aggressiven Sprache kann an seiner Ungarnfeindlichkeit kein Zweifel sein, wenn er beispielsweise schreibt, "daß der sogenannte 'anständige Ungar' überhaupt nicht existiert"125 und sich "die Ungarn stets mit den Feinden des Hauses Habsburg verbündet"126 hätten. Dabei verdankten die Ungarn doch ihre ganze "Existenz nur Oesterreich und [dem] Haus Habsburg. Wenn heute die Dynastie, Oesterreich, [die] Armee ihre Hand von Ungarn abzieht, so ist es verloren [...]."127 Die Einsicht in die exponierte Lage der magyarischen politischen Elite hätte sich nutzen lassen, um etwa durch die in Transleithanien geforderte Eingliederung Bosnien-Herzegovinas und Dalmatiens in den Länderverband der Stephanskrone die Abhängigkeit Ungarns von österreichischer Unterstützung gegen südslawische Aspirationen langfristig zu steigern. Statt einer Umarmungstaktik bestand Franz Ferdinand jedoch auf direkter Konfrontation und auf der Bekämpfung aller "Ungarnfreunde" am Wiener Hof, in Armee und Diplomatie, österreichischer Regierung und Presse

123

Kaiser Franz Joseph an Erzherzog Franz Ferdinand, 7.2.1903, in: Österreichisches Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Nachlaß Erzherzog Franz Ferdinand Karton 1, fol. 708.

124

Vgl. Edmund Steinacker: Lebenserinnerungen, München 1937 ( - Veröffentlichungen des Instituts zur Erforschung des deutschen Volkstums im Süden und Südosten in München Bd. 13), S. 226 und Seeliger, Hotel Sacher (FN 105), 174 f., aber auch Georg Franz [Hg.]: Alexander Vaida-Voevod und die Reformpläne Erzherzog Franz Ferdinands, in: Südost-Forschungen 12 (1953), S. 178-191, hier S. 184 f. Erzherzog Franz Ferdinand an Beck, 30.7.1904, zitiert in: Kann, Franz Ferdinand der Ungarnfeind? (FN 116), S. 114. Erherzog Franz Ferdinand an Szecsen, 25.11.1895, zitiert in ebd., S. 118. Eigenhändiges Konzept Franz Ferdinands von 1909, in: KA Nachlaß Bardolff B/207:5, fol. 28. Vgl. dazu Kann, Franz Ferdinand der Ungarnfeind? (FN 116), S. 125 f.

125

126 127

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und in der Dynastie. 128 Er war überzeugt, man benötige in den Verhandlungen mit Ungarn nur "Energie, Konsequenz und guten Willen und es muß gehen. Natürlich kann man wie bisher den Ungarn hier mit schlotternden Knien stets Konzessionen anbieten, damit ja die lieben Bubis nicht einmal unzufrieden sind, [und] so wären sie zu dumm, wenn sie diese Angst und Schwäche nicht voll ausnützen würden." 129 Solange Franz Joseph herrschte, mußte es Franz Ferdinand vor allem darum gehen, eine weitere Lockerung des Reichsverbandes vor seiner Thronbesteigung zu verhindern. Aber nicht wegen dieser eher defensiven Ziele seines Wirkens wurde er im Kreis seiner Berater als Hoffnungsträger gesehen, der durch eine Reform der Monarchie den drohenden Untergang des Habsburgerreiches verhindern würde. Noch während des Ersten Weltkriegs haben frühere Mitglieder des Belvedere-Kreises an Reformkonzepte der Vorkriegszeit anzuknüpfen versucht, 130 und bis in die Gegenwart hat es nicht an Versuchen gefehlt, in Franz Ferdinand den verhinderten Retter Österreich-Ungarns und "Europas verlorene Hoffnung" 131 zu entdecken. Es ist nicht leicht, die Realisierungschancen der im Belvedere zusammengestellten Pläne für die Zeit nach dem Thronwechsel auszuloten. Denkbar ist immerhin, daß die ins Auge gefaßten staatsstreichartigen Sofortmaßnahmen des künftigen Monarchen, die in erster Linie darauf abzielten, durch Verzögerung des Krönungseides einen außerverfassungsgesetzlichen, also einen ex lex-Zustand zur Oktroyierung einer nationalitätenfreundlichen Wahlreform in Ungarn zu nutzen, nicht auf unüberwindlichen Widerstand gestoßen wären.132 Es ist aber auch vorstellbar, daß der Schritt des neuen Kaisers und Königs die Monarchie sofort in blutige Auseinandersetzungen nach dem Muster von 1848/49 gestürzt hätte, und dies vor dem Hintergrund einer wesentlich unvorteilhafteren internationalen Konstellation als Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Vermutung ist nicht abwegig, bei Durchführung des in der Militärkanzlei Franz Ferdinands ausgearbeiteten

129 130

131

132

Sorge um die ungarnpolitische Linie der Mitglieder des Erzhauses zeigt beispielsweise Erzherzog Franz Ferdinand an Aehrenthal, April 1909, in: Wank (Hg.), Nachlaß Aehrenthal Π (FN 47), S. 658 f. Erzherzog Franz Ferdinand an Aehrenthal, 9.4.1909, in ebd., S. 665. Vgl. Peter Broucek: Refompläne aus dem Beraterkreis Erzherzog Franz Ferdinands und Kaiser Karls, in: Richard Plaschka et al. (Hg.): Mitteleuropa-Konzeptionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wien 1995 ( - Zentraleuropa-Studien Bd. 1), S. 111-121. So der Titel von Max Polatschek: Franz Ferdinand. Europas verlorene Hoffnung, WienMünchen 1989. Zum Thronwechselprogramm vgl. Sitte, Alexander von Brosch (FN 95), S. 106-119 und Franz, Erzherzog Franz Ferdinand (FN 116), S. 82-89.

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Plans hätte es "keines Weltkrieges bedurft, um die Monarchie in die Luft zu sprengen."133 Neben dem Programm für die unmittelbar mit dem Thronwechsel verbundenen Veränderungen wurden vom Belvedere auch jene weitergehenden Umstrukturierungspläne für die Monarchie gesammelt, die noch während des Krieges erneut diskutiert und auch später als Lösungsansätze für die Krise des Vielvölkerstaats Österreich-Ungarn betrachtet wurden. Georg Franz hat überzeugend dargestellt, in welchen Stufen und unter Hinzuziehung welcher Berater sich diese Pläne im Laufe der Jahre entwickelten. Föderalistische Organisationsformen auf der Basis der alten Kronländer, trialistische Lösungen der Strukturprobleme der Monarchie, also die Schaffung eines dritten, südslawischen Pfeilers in der Verfassungsarchitektur des Habsburgerreichs und schließlich ein bundesstaatliches Großösterreich als Verbindung einer starken Zentralgewalt mit territorialer Autonomie der Völker des Reiches wechselten dabei einander ab.134 Die Schwerpunkte der in der Militärkanzlei eingereichten Konzeptionen verschoben sich im Laufe der Jahre, und es ist kaum möglich, klar zu bestimmen, mit welchen der Pläne sich Franz Ferdinand wenigstens zeitweise identifizierte und mit welchen nicht. Föderativpläne in unterschiedlicher Ausprägung gehörten sicher zu den Konstanten seiner politischen Zukunftsvorstellungen, aber doch vor allem als Mittel zur Beseitigung des Dualismus und letztlich der Stärkung der Krone.135 Der beste Kenner der intensiven Diskussion über mögliche Reformen der Monarchie, Robert A. Kann, hat daher betont, daß der Thronfolger "einen Zickzackkurs in seinen Plänen verfolgte und zwischen einem ethnischen und historisch-traditionellen Föderalismus und allgemein einer Art von verwässertem Zentralismus hin und her schwankte."136 Über den eher diffusen Reformwillen hinaus war das Denken und Wirken des Thronfolgers in erster Linie von der Sorge um die Einheit von Armee und Habsburgerreich geprägt, nicht von staatstheoretischen Überlegungen. Der Ungarnpolitik Franz Ferdinands läßt sich zugute halten, daß er nach Wegen suchte, den nach innen und außen schädlichen Magyarisierungsdruck in Transleithanien als ein Grundübel der Monarchie zu bekämpfen.137 Andererseits 133 134 135 136

137

Holler, Franz Ferdinand (FN 29), S. 125. Franz, Erzherzog Franz Ferdinand (FN 116), S. 67-98. Vgl. dazu aber auch Margutti, Kaiser Franz Joseph (FN 66), S. 122-127. Robert A. Kann: Groß-Österreich, in: ders., Erherzog Franz Ferdinand Studien (wie in FN 114), S. 26-46, hier S. 42. Die Vermutung, daß die Zuneigung zu den nicht-magyarischen Nationalitäten Ungarns ihrer vermeintlichen Treue zum Herrscherhaus entsprang, stützt auch der Um-

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brachte er seine Person und auf lange Sicht auch die Dynastie in scharfen Gegensatz zur politischen Führungsschicht Ungarns, die durch ihre ethnische und soziale Geschlossenheit mehr Stabilität in Transleithanien aufrechterhalten konnte, als jede andere Führungsgruppe in der Monarchie. Die widerspenstige magyarische Elite, die über den Reichstag die Politik Ungarns beherrschte, war Franz Ferdinand ein solches Ärgernis, daß er deren sozialkonservative Ausrichtung in keiner Weise honorierte und das Verhältnis zu Ungarn zum Prüfstein politischer Zuverlässigkeit erhob. Als er sich 1907 über die Regierung Beck in Wien echauffierte, schrieb er, man möge ihn "einen Reactionär heißen, aber nach meinen anscheinend veralteten Begriffen sollte sich die Regierung des Kaisers von Osterreich auf den Adel, den Clerus, die christlichen Bürger ... und die Bauern stützen. Auf wen stützt sich die glorreiche Regierung Beck [...], auf die Juden, die Ungarn, die Freimaurer u. Sozialdemokraten."1

Außer dem

energischen Kampf gegen ungarische Forderungen und Massendemokratie war die von ihm praktizierte Politik sehr stark von taktischen Momenten bestimmt. Die ablehnende Haltung des Thronfolgers gegen das Projekt eines böhmischen Ausgleichs in der unmittelbaren Vorkriegszeit zeigt, daß Franz Ferdinand alle Reformschritte der Durchsetzung seines persönlichen Machtanspruchs unterzuordnen bereit war. Die zeitgenössische Kritik war berechtigt, daß Franz Ferdinands Stellungnahme "gegen das Interesse der Dynastie [ist]. Die weitere Anwendung des 'divide et impera' in Osterreich ist seine langsame aber sichere Auflösung." 139 Franz Ferdinands Vorstellungen von seiner künftigen Rolle als Kaiser und König waren mit liberalen verfassungspolitischen Grundsätzen weit schwerer zu vereinbaren als die von Franz Joseph seit den späten 1860er Jahren praktizierte konstitutionelle Herrschaft. Die autokratischen Neigungen

Franz

Ferdinands, sein zum Teil hochkonservativer Kreis aristokratischer Freunde und Berater, seine dezidierte Abneigung gegen alles, was ihm ungläubig, jüdisch, freimaurerisch vorkam, und seine verbalen Ausfälle gegen die Magyaren kehrschluß aus Franz Ferdinands Urteil über den Vorrang der deutschen Sprache in Cisleithanien. So schrieb er an Beck im Jahr 1909 (zitiert in: Robert A. Kann: Erzherzog Franz Ferdinand und die österreichischen Deutschen, in: ders., Erzherzog Franz Ferdinand Studien (wie in F N 114), S. 86-99, hier S. 89): "Wir leben ja zufällig noch in Osterreich und da ist doch die Sprache des Kaisers, der Dynastie, des Allgemeinbegriffs 'Österreich' die deutsche und dann kommen erst die hunderte von Schnackerlsprachen wie slowenisch, ladinisch etc. etc." 138

139

Erzherzog Franz Ferdinand an Jaroslav Thun, 5.12.1907, zitiert in: Robert A. Kann: Franz Ferdinand und die böhmische Frage, in: ders., Erzherzog Franz Ferdinand Studien (wie in F N 114), S. 126-156, hier S. 142. Tagebucheintrag vom 24.1.1913, in: Baernreither, Fragmente (FN 73), S. 193.

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machen es verständlich, warum Koerber meinte, bei Franz Ferdinand "herrschten sehr eigentümliche Vorstellungen über die Rechte des Souveräns in moderner Zeit: er stehe dem 17. Jahrhundert näher als dem 20." Die rückwärtsgewandten Konzepte gingen mit der Bereitschaft zum Bruch der verfassungspolitischen Kontinuität Hand in Hand. John W. Boyer hat den staatsstreichartigen Veränderungsplänen für den Thronwechsel mit Blick auf ihre soziokulturelle Basis unlängst attestiert, daß sie "reflected a curious restatement of eighteenth-century Josephist German administrative centralism placed in the service of corporatist, high noble reverence for a hierarchically integrated, but socially compartementalized, world. These plans may have been written in Vienna, but their moral habitat was that of Artstetten, of Konopischt and the dozens of other islands of moral tranquility in which feudalists like Franz Ferdinand both consoled and isolated themselves and their Stand from the twentieth century. If, before, absolutism was the opponent of customary justice, absolutism now became the last haven of corporate privilege. Such privilege functioned as a device to mediate political partisanship and was now epitomized by the political-sacerdotal person of the Dynast."141 Vorausgesetzt, daß Franz Ferdinand auch nach der Thronbesteigung in etwa den Maximen und Methoden seines "Kronprinzenkonservativismus"142 treu geblieben wäre, so hätte seine Herrschaft im Zeichen des Bemühens gestanden, das aus seiner Sicht im Zerfall begriffene Habsburgerreich vom Monarchen her neu zu einigen. Angesichts der Entstehungsgeschichte des frühmodernen Staats erscheint dies als Bestreben, die während des 18. und 19. Jahrhunderts nicht abgeschlossene Staatsbildung auf dynastischer Grundlage im 20. Jahrhundert für den Gesamtbereich der Monarchie zu vollenden. Das Pochen auf die Tradition des Hauses Habsburg war der Versuch, seinem Herrschaftsanspruch jene Legitimität zu verleihen, die ihm das verfassungspolitische Denken seiner Zeit nicht einräumen konnte. Der mit dem konstitutionellen Zeitalter kaum zu vereinbarende Aktivismus eines "persönlichen Regiments" nach dem Muster

140

141 142

Tagebucheintrag vom 18.2.1912, in Schicksalsjahre Österreichs 1908-1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs. I. Band. 1908-1914. Bearbeitet v. Fritz Fellner, Graz-Köln 1953 ( - Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs Bd. 39), S. 126. Vgl. dazu auch das Urteil bei Glaise-Hostenau, Erzherzog Franz Ferdinand (FN 29), S. 19 f. Boyer, Culture and Political Crisis (FN 118), S. 365. Auf Franz Ferdinand gemünzt bei Paul Samassa: Der Völkerstreit im Habsburgerstaat, Leipzig 1910, S. 155. Vgl. aber Viktor Bibl: Thronfolger, München 1929, S. 22: "Doch wird man schwerlich einen Prinzen konservativ nennen können, der förmlich darauf brannte, die ganze Monarchie auf den Kopf zu stellen."

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Wilhelm Π. drohte das wichtigste politische Kapital, das der Monarchie Anfang des 20. Jahrhunderts geblieben war, zu zerstören: den Nimbus des überparteilichen, Recht und Gesetz verpflichteten Herrschers, wie ihn Franz Joseph seit den 1870er Jahren weit über bloßes Amtscharisma hinaus verkörpert hatte. Das Voranstellen persönlicher Glücksvorstellungen bürgerlichen Zuschnitts vor das dynastische Ebenbürtigkeitsprinzip und das stets spannungsvolle Verhältnis zum Monarchen als Oberhaupt von Haus und Staat wurzelten in der Persönlichkeit Franz Ferdinands, spiegelten aber auch die nachlassende Integrationskraft dynastischer Normen in einem Zeitalter schwindender fürstlicher Einflußmöglichkeiten und Privilegien. 143 Franz Ferdinands Versuch, mit Fürstenherrschaft Staat zu machen, steckte voller Widersprüche. Ohne ihn damit gleich zum "Leitbild einer konservativen Revolution" zu stilisieren, läßt sich so festhalten, daß seine Hoffnung, die Krise der Habsburgermonarchie durch sein persönliches Eingreifen zu überwinden, die Züge einer gewaltsamen Synthese alteuropäischer politischer Symbolik und moderner autoritärer Herrschaft trug.

143

144

Vgl. Gabriel Graf Gudenus: Kaiser und Thronfolger, in: Eduard Ritter von Steinitz (Hg.): Erinnerungen an Franz Joseph I.[,] Kaiser von Österreich^] Apostolischer König von Ungarn, Berlin 1931, S. 137-149, hier S. 148 f. über die Ambivalenz der Gefühle Franz Ferdinands gegenüber Franz Joseph als Resultat dynastischer Sozialisation 148 f. und Wandruszka, Haus Habsburg (FN 7), S. 198-201. Zur - aller Erbitterung der Bewunderer des Thronfolgers zum Trotz - sachlich-korrekten Handhabung des Zeremoniells durch den Hof bei der Uberführung der Leichen der in Sarajevo Ermordeten vgl. Silber, Obersthofmeister Montenuovo (FN 40), S. 774-809 und Nikitsch-Boulles, Vor dem Sturm (FN 29), S. 217-221. Vgl. dazu auch die Reaktion Franz Josephs auf die Attentatsmeldung bei Margutti, Kaiser Franz Joseph (FN 66), S. 138 f. Emil Franzel: Franz Ferdinand d'Este. Leitbild einer konservativen Revolution, WienMünchen 1964, S. 105. Vgl. auch ebd., S. 140.

WALTHER L. BERNECKER Ein moderner Fürst. König Juan Carlos I. von Spanien

1. Thema und Fragestellung

Daß Spanien in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts eine stabile, in die E G / E U und die NATO integrierte demokratisch-parlamentarische Monarchie sein würde, hätte vor 20 Jahren kaum ein Zeitgenosse zu prophezeien gewagt. Das Land hatte bis 1931 eine konstitutionelle Monarchie gekannt, auf die eine instabile Republik folgte; diese war nicht in der Lage, die Krise der 30er Jahre zu bewältigen. Die unüberbrückbaren Gegensätze stürzten das Land in einen grausamen Bürgerkrieg, dessen Dauer und Ausmaß wesentlich durch die Einmischung des Auslandes mitbedingt wurden. Das aus diesem Krieg siegreich hervorgegangene Franco-Regime war eine nahezu vierzig Jahre währende personalistische Diktatur, die es nicht verstand, die sozialen und ideologischen Gräben, die das Land spalteten, zuzuschütten. Als die franquistische Ära sich ihrem Ende näherte, war daher im In- und Ausland immer öfters die bange Frage nach der Zukunft Spaniens zu hören. Spekulationen und Befürchtungen gab es zuhauf. Der nach 1975 sodann einsetzende friedliche Ubergang vom autoritären Franco-Regime in eine liberal-parlamentarische Demokratie wurde jedoch derart geschickt bewerkstelligt, daß er nicht nur verstärktes Interesse von Historikern und Sozialwissenschaftlem hervorgerufen hat, sondern zugleich als "spanisches Modell" in vielen Ländern Lateinamerikas und des früheren kommunistischen Ostblocks als Muster für eine gewaltfreie Transition gilt. Entsprechend ist die theoretische und theoretisch-systematische Literatur1 ebenso

Aus der Vielzahl der theoretischen Literatur sei genannt: Julian Santamaria (Hg.): Transicion a la democracia en el Sur de Europa y America Latina. Madrid 1981; Guillermo O'Donnell/Philippe C. Schmitter/Lawrence Whitehead (Hgg.): Transitions from Authoritarian Rule. Comparative Perspectives. Baltimore 1986; Norbert Lechner (Hg.): Cultura politica y democratizacion. Santiago de Chile 1987; Guillermo O'Donnell/Philippe C. Schmitter: Tentative Conclusions about Uncertain Democracies. Baltimore 1986; Geoffrey Pridham (Hg.): The New Mediterranean Democracies. London 1984.

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wie auch der Bestand historisch-deskriptiver2 Untersuchungen zum geglückten Regime-Ubergang Spaniens zwischenzeitlich schon fast nicht mehr zu überblicken. Es geht im folgenden nicht um eine abermalige Darstellung dieses Ubergangsprozesses. Der Beitrag beschränkt sich darauf, die Rolle des Königs, der als neues Staatsoberhaupt institutionell und politisch eine herausragende Position einnahm, zu untersuchen. Dabei ist eine Analyse der Funktion des Königs als change agent im politischen Übergangsprozeß von der Diktatur zur Demokratie deshalb von besonderem Interesse, weil die meisten Studien die strukturellen Variablen betonen und die langfristigen Tendenzen herausarbeiten. Demgegenüber hat die Führungsrolle einzelner Politiker relativ wenig Beachtung erfahren, obwohl sie zweifellos von größter Bedeutung ist: "No sociological structural or even political model is adequate to explain such a process without reference to particular political actors making decisions day by day, facing unexpected and disturbing crisis which could have derailed the process, even if there had been a clearly conceived and premeditated political plan. In such a context the question of leadership is central."3 In theoretischen Diskussionen über postautoritäre Demokratisierungsprozesse wird ebenfalls hervorgehoben, daß unabhängig von der funktionalen Bedeutung "demokratiefreundlicher" sozioökonomischer Entwicklungsfaktoren eine historischgenetische und damit stärker auf den Einzelfall abzielende Analyse ihre Berechtigung behält, daß somit "das zielgerichtete, auf politischen Kalkülen be2

Einige Beispiele: Victor Alba: Transition in Spain: From Franco to Democracy. New Brunswick 1978; Raymond Carr/Juan Pablo Fusi: Espafia de la dictadura a la democracia. Barcelona 1979; John Coverdale: The political Transformation of Spain after Franco. New York 1979; Jose Maria Maravall: La politica de la transicion (1975-1980). Madrid 1981; Diario 16: Diez afios que cambiaron Espafia, 1973-1983. Historia de la transicion. Madrid 1985; Raul Morodo: La transicion politica. Madrid 1985; Sondernummer 68/69 (November 1985) der Zeitschrift Sistema (La transicion democratica en Espafia); David Gilmour: La transformacion de Espafia. Madrid 1986; Donald Share: The Making of Spanish Democracy. New York 1986; Paul Preston: Spanien. Der Kampf um die Demokratie. Rheda-Wiedenbrück 1987; vgl. auch den Artikel Transicion (mit weiterführender Literatur) in Walther L. Bernecker (u.a.): Spanien-Lexikon. München 1990, S. 419-425 und die Beiträge in Walther L. Bernecker/Josef Oehrlein (Hgg.): Spanien heute. Politik, Wirtschaft, Kultur. Frankfurt am Main 1991 sowie in Walther L. Bernecker/Carlos Collado Seidel (Hgg.): Spanien nach Franco. Der Übergang von der Diktatur zur Demokratie 1975-1982. München 1993.

3

Juan J. Linz: Innovative leadership in the transition to democracy and a new democracy: the case of Spain. MS (Jerusalem) 1987, S. 2. Des weiteren führt Linz aus: "The Spanish case is clearly one in which leadership emerges in response to a situation, a task, rather than through a slow process of selection before the events, and certainly not on the basis of broad popular appeal pushing the leaders into their positions."

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ruhende Handeln interessengeleiteter Akteure - das sind hier Regimeanhänger und -gegner mit konkurrierenden Absichten und Strategien - als Motor einer Regimetransformation herausragende Bedeutung" erhält.4 Um die Funktion des Königs in der Transition und seinen Beitrag zur Konsolidierung der Demokratie zu verstehen, bedarf es nicht unbedingt einer grundsätzlichen Erörterung der Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte oder des Verhältnisses zwischen makrostrukturellen und mikropolitischen Faktoren. Es soll im folgenden vielmehr um eine systematische Annäherung an das Thema und um die Frage gehen, wie ein Teil des politischen Systems die Krone - zur Demokratisierung beitragen konnte. Zu beachten ist dabei, daß die Monarchie selbst erst konsolidiert werden mußte, während zugleich der Systemübergang von der Krone beschleunigt wurde. Einleitend wird ein knapper Uberblick über die wichtigsten Aspekte und Phasen der Transition gegeben; dieser Uberblick steckt den chronologischen und thematischen Rahmen ab und führt zugleich in die Hauptprobleme der Jahre nach 1975 ein. Sodann wird der lange und schwierige Weg 'zurück zur Monarchie' skizziert, der während des Franquismus durchlaufen werden mußte. Das folgende Kapitel behandelt die staatsrechtliche Position des Monarchen in der Ubergangsphase nach Francos Tod bis zur Verabschiedung der Verfassung von 1978. Die Frage, was eine selbst noch nicht konsolidierte Monarchie für die Festigung der Demokratie leisten konnte, verweist auf den Beitrag der Krone zur Verringerung der Legitimitätsdefizite, die andere Teile des politischen Systems noch aufwiesen. Daher wird in einem fünften Kapitel die politische Rolle des Königs als "Motor des Wandels" dargestellt, bevor sodann auf die Legitimationsproblematik und die verschiedenen Legitimationsformen eingegangen wird. Die beiden abschließenden Kapitel behandeln zum einen die Stellung des Monarchen in der Verfassung, zum anderen das heutige Verhältnis von Monarchie und Demokratie in Spanien.

2. Von der Diktatur zur Demokratie: Spaniens Transiciön Die Weichen für den politischen Wandel des franquistischen Systems waren lange vor dem Tod des Diktators gestellt worden; spätestens seit der Ermordung des Ministerpräsidenten und Franco-Vertrauten Luis Carrero Blanco 4

Peter A. Kraus: Elemente einer Theorie postautoritärer Demokratisierungsprozesse im südeuropäischen Kontext, in: Politische Vierteljahresschrift 31. Jg., H. 2, 1990, S. 191213, Zit. S. 193.

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(Dezember 1973) war die Zukunft des Regimes ungewiß.5 Die letzte Phase des Franquismus war politisch bereits von der Diskussion über den NachFranquismus beherrscht. Zur Diskussion standen die vom "Bunker" des Regimes verfochtene Fortsetzung (continuismo) des Franquismus (mit welchen Mitteln und in welcher Form auch immer), die von reformwilligen Kräften des Systems propagierte allmähliche Veränderung der Systemstrukturen und deren Anpassung an "europäische" Vorbilder (evolucionismo), schließlich der insbesondere von der demokratischen Opposition geforderte inhaltliche Bruch (ruptura) mit den Grundprinzipien des nicht-demokratischen autoritären Regimes. Die Jahre ab 1969 werden als "Vorphase des Ubergangs" (pretransicion politico) bezeichnet; damals wurde in Spanien der Ausnahmezustand verkündet, die königliche Nachfolgeregelung endgültig geklärt, die Diskussion über politische "Assoziationen" als Parteisurrogate in Gang gesetzt - Maßnahmen, die erkennen lassen, daß das Regime für die Zeit nach Ableben des Diktators eine modifizierte und vor allem von oben kontrollierte Form des "Franquismus nach Franco" anstrebte. Zaghafte Reformversuche der Regierung Carlos Arias Navarro (1974) dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Regime zu Lebzeiten des Diktators nur unwesentliche Formveränderungen vornahm, in seinen Grundstrukturen aber unverändert blieb.6 Der Tod Francos bedeutete noch nicht das Ende des Franquismus, war aber Katalysator der folgenden Reformentwicklungen. In seiner Thronrede (22. November 1975) kündigte König Juan Carlos I. eine Öffnung und Demokratisierung des politischen Systems an; dieses Programm wurde dann in der Regierungserklärung vom Dezember 1975 konkretisiert (Reform der repräsentativen Institutionen, Gewährung des Vereinigungsrechts, Ausweitung der Freiheiten und Rechte der Bürger), machte in der ersten Hälfte des Jahres 1976 jedoch unter der noch stark dem alten System verpflichteten Führung des altfranquistischen Ministerpräsidenten Arias Navarro nur wenig Fortschritte. Die Frage, die sich für den König und die politisch Verantwortlichen stellte, lautete: Bruch mit dem Franquismus (wie es die Opposition forderte) oder KontiZu den verschiedenen Optionen politischen Wandels in der spätfranquistischen Phase vgl. den Beitrag von Dieter Nohlen/Carlos Huneeus: Elitenwettbewerb in der Spätphase des Franco-Regimes. Der Kampf um die politische Reform, in: Peter Waldmann/Walther L. Bernecker/Francisco Lopez-Casero (Hgg.): Sozialer Wandel und Herrschaft im Spanien Francos. Paderborn 1984, S. 349-369. Zur Typologie des Franquismus vgl. Walther L. Bernecker: Modernisierung und Wandel eines autoritären Regimes: Spanien während des Franquismus, in: Karl-Heinz Ruffmann/Helmut Altrichter (Hgg.): 'Modernisierung' versus 'Sozialismus'. Formen und Strategien sozialen Wandels im 20. Jahrhundert. Erlangen 1983, S. 113-166.

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nuität bei unwesentlichen Korrekturen am System (was die Rechte erstrebte)? Die schließlich eingeschlagene Lösung verzichtete auf die abrupte Demontage des Franco-Systems, setzte statt dessen auf den langsamen Wandel, auf das Aushandeln von Änderungen, auf den "paktierten" Ubergang (transition pactada oder ruptura pactada). Die Transition erfolgte als Reform; das Besondere des Regimewandels bestand darin, daß er unter Leitung und Kontrolle der franquistischen Institutionen und eines Teils der in ihnen vorherrschenden politischen Elite durchgeführt wurde, formal somit innerhalb der von Franco errichteten Legalität vor sich ging und mit dem autoritären Verfassungsrecht des Franquismus nicht brach - was wohl der wesentliche Grund dafür war, daß die Streitkräfte nicht eingriffen, sondern die Veränderungen akzeptierten -, inhaltlich jedoch nicht eine Reform oder Revision des franquistischen Systems, sondern - unter Bruch mit den Strukturprinzipien des franquistischen Staates dessen Ersetzung durch eine neue, auf demokratischen Prinzipien basierende Regierungsform darstellte. Die Originalität der Transition bestand somit darin, daß sie politisch als Verhandlung zwischen Regierung und Vertretern des alten Regimes einerseits, den Kräften der demokratischen Opposition andererseits erfolgte, daß sie verfassungsrechtlich mittels den in den franquistischen "Grundgesetzen" für deren Revision vorgesehenen Mechanismen stattfand, so daß die franquistische Legalität für ihre eigene Ersetzung durch eine neue, demokratische Legalität instrumentalisiert wurde. Die erste, entscheidende Maßnahme im Prozeß des Ubergangs war die Ablösung von Arias Navarro durch Adolfo Suarez im Amt des Ministerpräsidenten (Juli 1976). Suarez' Strategie, die bereits im "Projekt für die politische Reform" (September 1976) zum Ausdruck kam, war dualer Art: Einerseits mußte er die erforderliche Unterstützung seitens der Franquisten für die geplanten, als "Reform" dargestellten Änderungen erwirken, andererseits zielte er auf Duldung des eingeschlagenen, inhaltlich als "Bruch" dargestellten Prozesses seitens der demokratischen Opposition ab. Die Dialektik Reform/Bruch begleitete denn auch die gesamte Übergangsphase, deren Erfolg darin bestand, einen breiten Konsens dieser sich eigentlich ausschließenden Positionen erreicht zu haben.7 Im November 1976 stimmten die Cortes dem "Gesetz über die politische Reform" zu, das die Ersetzung der Ständekammer durch ein allgemein gewähltes Zweikammerparlament (mit verfassunggebenden Vollmachten) vorsah; bei einem Referendum über das Gesetz im Dezember sprachen sich bei einer ho7

Hierzu ausführlich Walther L. Bernecker: Spaniens Geschichte seit dem Bürgerkrieg. München 1988, S. 206-288.

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hen Wahlbeteiligung (über 77%) mehr als 95% der Bevölkerung für das Reformprojekt aus, obwohl die demokratische Opposition - da sie am bisherigen Demokratisierungsprozeß nicht beteiligt worden war - zur Stimmenthaltung aufgerufen hatte, die in den autonomistisch orientierten Regionen besonders hoch ausfiel. Mit der Annahme des Reformgesetzes gilt die erste Phase der Transition als beendet; da in dieser Phase im wesentlichen die Regierung Suarez die Ereignisse vorantrieb, kann 1976 auch als Jahr der "Demokratisierung ohne Demokraten" bezeichnet werden. In der danach beginnenden zweiten Phase hing die Dynamik des Wandels weit mehr als zuvor vom (zuerst impliziten, später expliziten) Konsens zwischen Regierung und demokratischer Opposition ab. Consenso wurde fortan zum Schlüsselwort aller wichtigen, den Ubergang bestimmenden Entscheidungen. Die Hauptstationen dieser zweiten Phase waren die Zulassung von Parteien und Gewerkschaften, die Parlamentswahlen von 1977, die soziopolitischen Pakte und die Verfassung von 1978. Die demokratische Opposition hatte sich im Frühjahr 1976 zur "Demokratischen Koordination" zusammengeschlossen und ihre Absicht bekundet, Spanien auf friedlichem Weg in einen demokratischen Staat umzuwandeln. Auch die 1977 wieder legalisierten Gewerkschaften forcierten durch massenhaften Basisdruck den Demokratisierungsprozeß, dessen Geschwindigkeit nur aus der sich ergänzenden Dynamik von Reformwillen (von oben) und Veränderungsdruck (von unten) zu erklären ist. Aus den Wahlen von 1977 ging die erst kurz zuvor gegründete "Union des Demokratischen Zentrums" von Ministerpräsident Adolfo Suarez mit 34,7% der abgegebenen Stimmen als Siegerin hervor; die Sozialistische Partei kam (mit 28,8%) überraschend auf den zweiten Platz. Das neue Parlament hatte als wichtigste Aufgabe die Ausarbeitung einer Verfassung vor sich, nach deren Verabschiedung im Dezember 1978 Neuwahlen stattfanden, die im März 1979 der "Union des Demokratischen Zentrums" mit 35% erneut die Mehrheit brachten. Während der ersten Jahre nach Francos Tod stand die schwierige Änderung der politischen Strukturen, die oft genug einer gefährlichen Gratwanderung glich und alle politischen Energien absorbierte, im Vordergrund; Sanierung und Modernisierung der Wirtschaft (vor allem im Hinblick auf den angestrebten EG-Beitritt) wurden 1976/77 vernachlässigt. Die Ubergangsphase zur Demokratie bescherte Spanien auch zweistellige Inflationsraten (um 25% pro Jahr), zahllose Konkursverfahren, wilde Streiks und einen rapiden Anstieg der Arbeitslosigkeit. Erst das Jahr 1978 zeigte im Anschluß an die "Moncloa-

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Pakte" zaghafte Versuche der Regierung, im Schatten der die politische Szene beherrschenden Verfassungs- und Autonomiedebatten ein Stabilisierungsprogramm aufzulegen. Insgesamt blieben jedoch die ökonomische Entwicklung und vor allem ihre sozialen Auswirkungen äußerst kritisch: Arbeitslosigkeit und Drogenkonsum wurden zum Hauptproblem der Jugend; im Land mit der höchsten Arbeitslosenquote Westeuropas hat heute nicht einmal die Hälfte der unter 20jährigen Aussicht auf eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz.8 Das zweite große Problem der Transition, neben der Bewältigung der Wirtschaftskrise, war die Autonomiefrage, die sich besonders dringlich im Baskenland - mit der beängstigenden Zunahme an ETA-Attentaten und Mordanschlägen - und in Katalonien, bald aber auch in anderen Regionen des Landes stellte. Nach heftigen und jahrelangen Auseinandersetzungen erfolgte schließlich eine integrale Regionalisierung des Landes, das heißt eine regionalpolitische Neuordnung Gesamtspaniens. Inzwischen ist Spanien ein Staat von 17 Autonomen Regionen, deren Rechte und Pflichten in Autonomiestatuten festgeschrieben sind.9 Das Ende der Transition wird unterschiedlich angesetzt: Für die meisten ist es mit der Verabschiedung der Verfassung Ende 1978 erreicht; andere geben 1981 an, nachdem die spanische Demokratie in der Abwehr des TejeroPutsches (23. Februar 1981) ihre Bewährungsprobe bestanden hatte; wieder andere sprechen von 1982, da in jenem Jahr die Sozialisten die Regierungsgewalt übernahmen und damit ein in liberal-parlamentarischen Demokratien übliches Alternieren in der Regierung zwischen "linken" und "rechten" Parteien begann. Daß die Kräfte des alten Regimes dem politischen Wandel schließlich zustimmten, dürfte im wesentlichen auf vier Faktoren zurückzuführen sein: Zum einen auf die entschiedene Haltung von König Juan Carlos, der den Demokratisierungsprozeß unterstützte und vorantrieb, was vor allem die Haltung der Streitkräfte beeinflußte; zum anderen auf das auch und besonders in den Massenmedien zum Ausdruck kommende "politische Klima", das eine demokratieorientierte Entwicklung als unausweichlich erscheinen ließ; sodann auf die Uberzeugung der traditionellen Machtelite, daß nur durch Preisgabe gewisser

Zur ökonomischen und sozialen Entwicklung in der Transition und in den 80er Jahren vgl. die Beiträge von Walther L. Bernecker, Werner Lang und Francisco Lopez-Casero in Bernecker/Oehrlein (Anm. 2). Hierzu (mit weiterführender Literatur) die Beiträge von Andreas Hildenbrand/Dieter Nohlen und Peter Waldmann in Bernecker/Oehrlein (Anm. 2) sowie Juan Pablo Fusi (Hg.): Espana. Autonomias. Madrid 1989.

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Positionen eine Radikalisierung des Prozesses verhindert werden könne; schließlich auf den internationalen Rahmen, da die Interessen der westlichen Staaten mit der Einrichtung einer "gemäßigten" liberal-pluralistischen Demokratie übereinstimmten. Als eigentliche Architekten des Ubergangs zur Demokratie gelten vielen Beobachtern König Juan Carlos und Ministerpräsident Adolfo Suarez; hinzuzufügen sind noch die politische Mäßigung des spanischen Volkes und die Selbstverpflichtung der politischen Pole - der Rechten von Alianza Popular durch Manuel Fraga Iribarne und des Partido Comunista durch Santiago Carrillo - auf das demokratische Reformprogramm. Zwei wichtige Voraussetzungen waren für das Gelingen der Ubergangsleistung entscheidend: Zum einen liegen die tieferen Gründe für den politischen Wandlungsprozeß in den strukturellen Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft; von entscheidender Bedeutung war das Vorhandensein einer "modernen" und weitgehend säkularisierten Gesellschaft (demographische Muster entwickelter Industrienationen, hohe Urbanisierungsrate, Professionalisierung und Berufsmobilität, hohe Alphabetisierungsquote, modernes Wertesystem etc.). Zum anderen ließ die nachwirkende traumatische Erfahrung mit der Gewalt, insbesondere während des Bürgerkrieges und in den ersten, stark repressiven Nachkriegsjahren bei allen Beteiligten die Neigung zu Kompromissen deutlich steigen. In historischer Perspektive hat die Transition die in der spanischen Geschichte schon traditionelle Ungleichzeitigkeit der politischen und der wirtschaftlich-sozialen "Verfassung" des Landes endgültig aufgehoben. Galt für die Zeit der Zweiten Republik (1931-1936/39), daß Spanien in politischer Hinsicht modern, wirtschaftlich-sozial aber eher rückständig war, und für die Schlußphase des Franquismus, daß das Land sozioökonomisch durchaus moderne, politisch aber unzeitgemäß-traditionelle Strukturen aufwies, so ist das Ergebnis der Transition die "Gleichziehung" der politischen mit der ökonomischen Entwicklung. In diesem Sinne erhielt Spanien durch die Transition die Strukturen der 'westlichen' Welt.

3. Die Re-Instauration der Monarchie Der Tod Francos und die Proklamation von Juan Carlos zum spanischen König standen am Anfang jenes wechselvollen, soeben kursorisch skizzierten Transition-Prozesses, zu dessen Hauptprotagonisten der neue Monarch gehören sollte. Die Ausrufung von Juan Carlos zum König hatte eine kompliziert-

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verschlungene Vorgeschichte, die es lange Zeit als eher unwahrscheinlich erscheinen ließ, daß der Prinz je den spanischen Thron besteigen würde. In seiner Inthronisationsrede vom 22. November 1975 sprach der Monarch selbst vom Zusammenwirken dreier Faktoren: der historischen Tradition, den Gesetzen des Staates und dem Willen des Volkes. Damit deutete er den bis auf den Bürgerkrieg (1936-1939) zurückreichenden Prozeß an, der mehrere deutlich voneinander abgrenzbare Phasen aufweist: Die erste Phase reicht von 1939 bis 1947, als Spanien eine staatsrechtlich nicht klar definierbare Diktatur unter General Franco war. Der frühere Träger der Krone, Ex-König Alfons ΧΙΠ., der auf seine Thronrechte nicht verzichtet hatte, weilte im römischen Exil; nach seinem Tod (1941) erbte sein Sohn, Don Juan de Borbon y Battenberg, sämtliche dynastischen Rechte und Ansprüche auf den Thron. Die zweite Etappe setzte 1947 ein, als das "Nachfolgegesetz" angenommen und Spanien damit wieder zum "Königreich" erklärt wurde. Der Träger der historischen Rechte auf die Krone, Don Juan, blieb zwar weiter im Exil, sandte aber seinen 1938 in Rom geborenen Sohn Juan Carlos nach Spanien, wo er seine Schul- und Ausbildung erhalten sollte. Die dritte Phase begann sodann 1969, als Juan Carlos zum königlichen Nachfolger Francos ernannt wurde. Die dynastischen Rechte hatte zwar weiterhin Don Juan inne; er akzeptierte aber de facto die neue Situation, ohne allerdings auf seine angestammten Rechte zu verzichten. Diese monarchische 'Interimslösung' fand erst mit der Thronbesteigung von Juan Carlos und dem Thronverzicht durch den Vater des Königs im Mai 1977 ihr Ende. Die Wiedereinführung der Monarchie im Jahr 1947 ist keineswegs auf monarchistische Grundüberzeugungen Francos zurückzuführen; eher das Gegenteil dürfte der Fall sein. Wie neuerdings überzeugend herausgearbeitet worden ist, war Franco alles andere als ein Monarchist; die Monarchisten stellten vielmehr eine bedeutende Oppositionskraft gegen seine personalistische Diktatur dar.10 Als jedoch nach Ende des Zweiten Weltkriegs das franquistische Sieger-Regime außenpolitisch in arge Bedrängnis geriet und innenpolitisch der GuerrillaKampf stärker als vorher um sich griff, war Franco mit allen Mitteln bemüht, seine Position zu festigen und sich eine zumindest pseudodemokratische Legitimation zu verschaffen. Im Rahmen dieser Bemühungen ließ er 1947 das "Gesetz über die Nachfolge in der Staatsführung" durch Referendum billigen; mit diesem Gesetz gelangte die institutionelle Grundlegung des politischen SyVgl. Jose Maria Toquero: Franco y Don Juan. La oposicion monarquica al franquismo. Barcelona 1989. Zurecht ist in Rezensionen zu dieser Studie kritisiert worden, daß die Monarchisten allzu einseitig als die Haupt-Opposition gegen Franco dargestellt werden.

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stems des Neuen Staates zum Abschluß. Spanien wurde zur Monarchie erklärt: "Spanien, als politische Einheit, ist ein katholischer, sozialer und repräsentativer Staat, der in Ubereinstimmung mit seiner Tradition erklärt, als Königreich verfaßt zu sein." 11 Die Staatsführung wurde Franco als persönliche, außerordentliche Magistratur mit Ausnahmecharakter übertragen; ihm allein stand das Recht zu, seinen königlichen Nachfolger zu bestimmen. Zum damaligen Zeitpunkt war das Verhältnis zwischen Franco und Don Juan auf einem Tiefpunkt angelangt. Der Sohn des letzten Königs hatte sich zwar anfangs mit der Bewegung gegen die Republik identifiziert und im Bürgerkrieg General Franco zweimal (vergeblich) seine Dienste als Soldat auf der Seite der Aufständischen angeboten; seine Parteinahme bedeutete aber keineswegs Verzicht auf seine dynastischen Rechte. Nach dem Krieg distanzierte sich der Thronprätendent immer deutlicher von der personalen Diktatur Francos; wie die meisten Monarchisten, begrüßte er die Eliminierung der Republik, wandte sich aber gegen die franquistische Herrschaft. Er setzte sich für die Restauration der traditionellen Monarchie in seiner Person ein. Im März 1945 veröffentlichte er von seinem Schweizer Exilort aus die "Erklärung von Lausanne", in der es unter anderem hieß: "Das nach dem Muster der totalitären Systeme der Achsenmächte errichtete Regime General Francos widerspricht [...] dem Charakter und den Traditionen eines Volkes wie des unseren [...] Einzig die traditionelle Monarchie ist imstande, die Spanier wieder zu versöhnen und Frieden und Eintracht wiederherzustellen."12 Zit. nach Peter Cornelius Mayer-Tasch: Die Verfassungen Europas. München 1975, S. 551. Der spanische Thronprätendent gegen das Regime Francos, in: Neue Zürcher Zeitung v. 23.3.1945. Zu Don Juan vgl. die Biographien von Victor Salmador: Don Juan de Borbon. Madrid 1976 und Francisco Gonzalez Doria: Don Juan de Borbon. El padre del rey. Madrid 1990. Von der in den letzten Jahren zahlreich erschienenen Literatur zu Don Juan und seiner wechselvollen Beziehung zu Juan Carlos vgl. auch Rafael Borras Betriu: El Rey de los Rojos. Don Juan de Borbon, una figura tergiversada. Barcelona 1996, der Don Juan als opportunistisch und machtgierig darstellt; als einer von drei Königssöhnen, die nie die Krone erlangten, wird er porträtiert bei Juan Balanso: Trio de Principes. Barcelona 1995; die Rolle von Don Juans Berater Pedro Sainz Rodriguez wird stark herausgestellt bei Luis Maria Anson: Don Juan. Barcelona 1994; Sainz Rodriguez selbst hat die politische Geschichte des Lebens von Don Juan zwischen 1941 (dem Thronverzicht Alfons 1 ΧΙΠ.) und 1977 (dem Thronverzicht Don Juans) dargestellt in Pedro Sainz Rodriguez: Un reinado en la sombra. Barcelona 4 1993; eine um Don Juans Ehefrau Maria de Borbon y Orleans zentrierte Familiengeschichte ist Javier Gonzalez de Vega: Yo, Maria de Borbon. Madrid 1996; eher apologetisch zugunsten von Don Juan ist Jose Maria Toquero: Don Juan de Borbon, el Rey Padre, Barcelona 1993; anekdotisch, allerdings im Detail gut informiert, ist Ismael Fuente: Don Juan de Borbon. Hijo de Rey, Padre de Rey, nunca Rey. Barcelona 1993.

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Genauso deutlich wie die Diktatur Francos lehnte D o n Juan 1947 das "Gesetz über die Nachfolge in der Staatsführung" ab, das zwar die Monarchie wiedereinführte, aber den Träger der Krone von allen Entscheidungen ausschloß.

Als das Nachfolgegesetz mit der überwältigenden Mehrheit von 93%

in einer Volksabstimmung - die im Grunde genommen nichts anderes als ein Plebiszit zugunsten Francos darstellte - angenommen worden war und das Regime sich im Windschatten des Kalten Krieges zusehends konsolidierte, begann D o n Juan seine Haltung zu ändern und auf eine Kompromißverständigung mit Franco zuzusteuern. Im Sommer 1948 einigten sich Franco und D o n Juan darauf, daß dessen Sohn Juan Carlos in Spanien erzogen werden sollte. 14 Bei späteren Gesprächen (1954 und 1960) zwischen den beiden wurden zusätzliche Details des weiteren Ausbildungsweges des Prinzen festgelegt. Franco nahm die Ausbildung des Prinzen, die er detailliert plante, außerordentlich ernst. Seine (später realisierten) Vorstellungen in bezug auf die Erziehung von Juan Carlos legte der Diktator in einem Brief vom 17. Juli 1954 bezeichnenderweise am Jahrestag des Bürgerkriegsbeginns - an D o n Juan dar: "Nichts ist patriotischer, pädagogischer und vorbildhafter als seine Ausbildung als Soldat in militärischen Zentren [...] Daher erscheint seine Teilnahme zwei Jahre lang am Ausbildungsprogramm der Militärakademie von Zaragoza außerordentlich angemessen. Dort wird er sich zum Mann entwickeln, er wird im Geiste von Befehl und Gehorsam ausgebildet, er wird den Wert von Disziplin und militärischen Tugenden schätzen lernen, er wird das Band von Kameradschaft und Kollegialität in einer Gemeinschaft fühlen und erfahren und die Probleme der Ehre empfinden. Nach Abschluß dieser zweijährigen Ausbildung wird er - schon mit dem Dienstgrad eines Leutnants versehen - einen Einführungskurs als Fähnrich in der Flottenschule und einen weiteren in der Luftwaffenakademie durchlaufen [...] Diese Phase dürfte insgesamt ein Jahr betragen. Nachdem sodann sein Charakter während dieser drei Jahre in den militärischen Zentren geformt worden ist, wird der Zeitpunkt gekommen sein, ihn mit der Universität in Kontakt zu bringen. Er wird dann eine zweijährige Ausbildung an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät absolvieren; ohne die Probleme im Detail zu studieren, wird er sich allgemein über Aspekte von Politik und Wirtschaft informieren, die er kennen muß. Diese zwei Universitätsjahre bringen ihn - über die Universitätsprofessoren - in Kontakt mit der spanischen Intellektualität; zugleich ermöglichen sie, daß er vermittels eines Sonderprogramms die Doktrin der Nationalen Bewegung und ihrer Organisationen sowie die modernen Lehren über ökonomische und soziale Themen kennenlernt. Nach diesen Universitätsjahren erDer Text der öffentlichen Zurückweisung des Gesetzes ist das "Manifiesto de Estoril"; vgl. Antonio Maria Calero: Estudios de Historia. Madrid 1988, S. 111 f. Zu den Kindheitsjahren von Juan Carlos vgl. Juan Antonio Perez Mateos: La infancia desconocida de un rey. Barcelona 1980; ders.: El rey que vino del exilio. Barcelona 1981.

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scheint es ratsam, wenn er seine Kenntnisse zu den drei großen Bereichen der nationalen Produktion erweitert: dem landwirtschaftlichen, dem industriellen und dem Bergbausektor [...] Während dieses gesamten Programms erachte ich intensiven Kontakt mit dem Caudillo und direkte Orientierung durch diesen als wesentlich. Ergänzt werden kann das Ganze später mit einer praktischen Phase im Amt des Regierungschefs [Presidencia del Gobierno], wo er den Aufbau der Verwaltung kennenlernt und engeren Kontakt mit dem Caudillo und den nationalen Problemen hat. Ich halte es für wichtig, daß das Volk sich daran gewöhnt, den Prinzen beim Caudillo zu sehen; mit Natürlichkeit und ohne nachteilige Künsteleien soll deutlich werden, was er für die Nation darstellt."15 Der franquistischen Vorstellung entsprechend ging Juan Carlos zuerst in Madrid und San Sebastian auf die Schule, dann besuchte er die verschiedenen Militärakademien, schließlich hörte er Vorlesungen an der Philosophischen und der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Madrid. Dieser Werdegang entsprach zwar dem Programm Francos; die Lösung der Nachfolgefrage war aber damit keineswegs präjudiziert. Gerne verwies Franco in der Öffentlichkeit darauf, daß er an der Spitze des Staates, an die ihn "Gott und die Vorsehung" gestellt hatten, bis zu seinem Tod ausharren würde. Die verschiedenen "politischen Familien", die sein Regime stützten, drängten ihn unaufhörlich, einen Nachfolger zu bestimmen. 1968 verdichteten sich endlich die Gerüchte, daß eine Entscheidung in der Nachfolgefrage unmittelbar bevorstehe. Am 22. Juli 1969 schließlich verkündete Franco vor den Cortes, daß er Prinz Juan Carlos de Borbon y Borbon zu seinem königlichen Nachfolger ernennen wolle. Damit war jene Operation Lucero vorerst erfolgreich beendet worden, die der Stellvertretende Regierungschef, Admiral Luis Carrero Blanco, und der Minister für den Entwicklungsplan, das führende Opus Dei-Mitglied Laureano Lopez Rodo, seit Jahren zugunsten des Prinzen betrieben hatten.16 Als Franco 1969 Juan Carlos von den Cortes als seinen Nachfolger bestätigen ließ, erklärte er vor der Ständekammer: "Ich halte es für notwendig, daran zu erinnern, daß das Königreich, das wir mit der Zustimmung der Nation errichtet haben, der Vergangenheit nichts schuldet; es entsteht aus jenem entscheidenden Akt des 18. Juli [1936], der eine grundlegende historische Tatsache darstellt, die weder Pakte noch Bedingungen zuläßt [...] Die Legitimität bei der Zit. nach Pilar Cernuda u.a.: Todo un Rey. Madrid 1981, S. 154 f. Zur Operacwn Lucero vgl. Cernuda (Anm. 15), S. 147-1/8; Charles T. Powell: El piloto del cambio. El Rey, la monarquia y la transicion a la democracia. Barcelona 1991, S. 2352; Carlos Seco Serrano: Juan Carlos I., el Rey que reencontro America. Madrid 1988, S. 58-87; zu Luis Carrero Blanco vgl. die ausführliche Biographie von Javier Tusell: Carrero. La eminencia gris del regimen de Franco. Madrid 1993.

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Ausübung stellt die Grundlage der zukünftigen Monarchie dar, bei der das Wichtige nicht die Form, sondern der Inhalt ist." 17 Für Juan Carlos als Thronfolger sprächen, so führte Franco weiter aus, daß er der bourbonischen Dynastie angehöre, den Prinzipien und Institutionen des Regimes gegenüber Treue bewiesen habe, eng mit der spanischen Armee verbunden und in den vorhergehenden zwanzig Jahren auf das hohe Amt vorbereitet worden sei. In der Person von Juan Carlos könnten die Prinzipien der "Nationalen Bewegung" fortgeführt werden; die Kontinuität bleibe gewahrt. Die Cortes-Abgeordneten stimmten sodann (in der ersten öffentlichen und namentlichen Abstimmung seit 30 Jahren) über Francos Vorschlag ab; von den 519 anwesenden Deputierten stimmten 491 mit Ja, 19 mit Nein, 9 enthielten sich der Stimme. Juan Carlos erhielt den neu geschaffenen Titel eines "Prinzen von Spanien"; fortan sollte er als "Königliche Hoheit" behandelt werden, "mit allen Rechten und Pflichten, die seiner hohen Würde zukommen". Am 23. Juli 1969 fand die feierliche Vereidigung des Prinzen statt. Die Eidesformel lautete: "Ich schwöre Loyalität gegenüber Seiner Exzellenz, dem Staatschef, und Treue gegenüber den grundlegenden Prinzipien der Nationalen Bewegung sowie gegenüber den anderen Grundgesetzen des Staates."18 In seiner Annahme-Rede ließ auch Juan Carlos keinen Zweifel daran, wem er die Krone verdankte: "Im vollen Bewußtsein der von mir übernommenen Verantwortung habe ich soeben, als Nachfolger mit königlichem Titel, Seiner Exzellenz dem Staatschef, den Prinzipien der Nationalen Bewegung und den Grundgesetzen des Reiches Treue geschworen. An erster Stelle möchte ich betonen, daß ich von Seiner Exzellenz dem Staatschef und Generalissimus Franco die politische Legitimität übernehme, die am 18. Juli 1936 entstanden ist[...]". 19 Die Wiedereinführung der Krone war im Prinzip ein politischer Vorgang; historische Rechte wurden vom Gesetz allenfalls indirekt, etwa in der Form dynastischer Tradition, berücksichtigt. Durch die Wiedereinführung der Krone wurde die Kontinuität des franquistischen Regimes nicht betroffen; im Gegenteil: Die Krone sollte die Verfassungsstruktur vervollständigen und entwikkeln, nicht jedoch verändern. Die politische Rechtsgrundlage dieser Kontinuität war die Vereidigung auf die "Grundgesetze" und die Treue gegenüber den

17 18 19

Zit. nach Calero (Anm. 13), S. 114. Zit. nach Bernecker (Anm. 7), S. 187. Zit. nach Calero (Anm. 13), S. 115.

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grundlegenden Prinzipien der "Nationalen Bewegung".20 Salvador de Madariaga kommentierte die Einsetzung von Juan Carlos bissig: "Franco will seine absolute Macht über das Grab hinaus verlängern. Die Monarchie darf nicht 'restauriert' werden. Weil das gewisse verfassungsmäßige Beschränkungen und einen traditionellen Liberalismus mit sich bringen würde. Sie wird 'instauriert', das heißt durch Franco gemacht, damit sie seinen Wünschen folge. Der Prätendent [Don Juan, Graf von Barcelona] ist übergangen [...] Die beiden Säulen jeder Monarchie, Kontinuität und Legitimität, sind gebrochen [...] Don Juan hätte vielleicht mit einiger Aussicht auf Erfolg versuchen können, eine liberale Monarchie wiederherzustellen. Juan Carlos kann das nicht."21 Ob Juan Carlos, trotz seiner Designierung, je auf den spanischen Thron gelangen würde, war zum damaligen Zeitpunkt aus mehreren Gründen sehr umstritten. Der legitime Anwärter auf den Thron war ja Juan Carlos' Vater, der im (inzwischen portugiesischen) Exil lebende Chef der spanischen Bourbonendynastie, Don Juan, der seinen Anspruch auf den Thron aufrechterhielt. Er wollte eine parlamentarische und demokratische Monarchie einführen, seine liberalen Überzeugungen ließen ihn für den "Generalissimus" allerdings als ungeeignet erscheinen, eine Monarchie von Francos Gnaden zu begründen. Denn eine einfache Restaurierung der früheren Monarchie war von Anfang an für Franco undenkbar gewesen. 1955 schon hatte er verkündet, daß die in Spanien zu errichtende Monarchie nicht mit der "liberalen und parlamentarischen Monarchie" verwechselt werden dürfe, unter der Spanien "gelitten" habe. Der künftige König müsse sich im Geist und in den Idealen ganz mit der "Nationalen Bewegung" identifizieren. Schied Don Juan somit als Kandidat Francos praktisch aus - auch wenn es zwischenzeitlich, etwa 1960, doch so aussah, als akzeptiere Franco den Grafen von Barcelona -, so gab es doch noch die zweite Linie des spanischen Königshauses, die Karlisten, die Franco im Bürgerkrieg ja unterstützt hatten. Zwar sprach sich Franco schon 1955 gegen die Ansprüche der Karlisten aus, die drei Jahre später übrigens Don Juan als Thronprätendenten anerkannten. 1960 jedoch proklamierte eine starke Karlistenfraktion auf ihrer traditionellen Jahresversammlung in Navarra ihre Loyalität zu ihrem eigenen Thronprätendenten, 20

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Vgl. hierzu Luis Sanchez Agesta: Die Entwicklung der spanischen Verfassung in den Jahren 1960-1970, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart. N. F., Bd. 20, 1971, S. 135-168, bes. S. 148 f. Zit. nach Michael Bothe/Kay Hailbronner: Die neuere verfassungsrechtliche Entwicklung in Spanien, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart. N. F., Bd. 21, 1972, S. 194.

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Don Jaime de Borbon. Eine andere Karlistengruppierung wiederum stand hinter Carlos Hugo de Borbon y Parma, der allerdings wegen seines Geburtsortes Paris als Franzose galt und die spanische Staatsangehörigkeit nicht erworben hatte. Schließlich galt auch noch Alfonso de Borbon y Dampierre, ein Enkel von Alfons ΧΙΠ. und Cousin von Juan Carlos, als weiterer möglicher Thronprätendent. (Er heiratete später, nach erfolgter Designierung von Juan Carlos, eine Enkelin Francos, was die politische Gerüchteküche erneut anheizte.) An Bewerbern für den spanischen Thron fehlte es also nicht. Da Franco sorgfältig eine Entscheidung vermied, rankten sich vielfältige Spekulationen um jeden der Kandidaten. Neben der zögernden Haltung Francos ließ noch ein weiterer, innerdynastischer und legitimistischer Grund es als zweifelhaft erscheinen, ob Juan Carlos nach dem Tod des Diktators die spanische Krone erhalten würde. Denn der Bourbonenprinz hatte wiederholt erklärt, daß er seinen Vater als legitimen Anwärter auf den spanischen Thron betrachte, daß nur Don Juan die Monarchie in Spanien wiederherstellen könne. Auch die orthodoxen Monarchisten waren nicht bereit, einen anderen König als Don Juan auf dem spanischen Thron zu akzeptieren. Im Januar 1969 gewährte Juan Carlos, noch bevor er offiziell zum Nachfolger Francos avancierte, der staatlichen Nachrichtenagentur ein vielbeachtetes Interview, in dem er u.a. ausführte: "Wir dürfen nicht vergessen, daß die ReInstauration des monarchischen Prinzips in Spanien erfolgte, nachdem die Monarchie eine schwere Krise durchlaufen hatte, die ihr definitives Ende hätte bedeuten können. Die politische Situation, die die Re-Instauration des monarchischen Prinzips ermöglicht hat, wurde durch die Zusammenarbeit vieler Monarchisten und das Opfer Hunderttausender spanischer Familien erreicht. Es erscheint logisch, daß diese äußerst treuen Aufrechterhalter dynastischer Prinzipien irgendein Opfer bei ihren Bestrebungen akzeptieren [...] Blicken Sie in die Geschichte: Keine Monarchie ist in rigider Weise und ohne Opfer reinstauriert worden." 22 Juan Carlos deutete somit seine Bereitschaft an, unter Umgehung der regulären Erbfolge - das hieß: seines Vaters - sich selbst auf Spaniens Thron berufen zu lassen, während er sich bis dahin immer nur als einen "Verbindungsmann" zwischen seinem Vater und Spanien bezeichnet hatte. Die traditionellen Monarchisten hörten und verstanden die Botschaft: Zum Wohle Spaniens, sagte Juan Carlos, solle sein Vater Don Juan auf den Thron zu seinen Gunsten verzichten. Das war das geforderte "Opfer". Der von Juan Carlos verwendete

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Zit. nach Cernuda u.a. (Anm. 15), S. 166 f.

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Terminus "Re-Instauration" stellte eine sprachliche Neuschöpfung dar, die einen Kompromiß zwischen den legitimistischen Monarchisten, für die nur eine Restauration der Monarchie in Frage kam, und den franquistischen Vorstellungen, die von einer Instauration, also der Einsetzung einer neuen Monarchie ausgingen, ermöglichen sollte. In einem (von der spanischen Presse zensierten) Manifest reagierte Don Juan aus seinem Exil in Estoril, in dem er darauf verwies, daß die Nachfolgelösung ohne sein Zutun und ohne freie Willensäußerung durch das spanische Volk zustande gekommen sei, er somit jegliche Verantwortung für diese "Instauration" ablehne. Zu den wesentlichen Charakteristika einer künftigen Monarchie zählte er: "Der König muß König aller Spanier sein und einem Rechtsstaat vorstehen; die Institution hat als ein Instrument der nationalen Politik im Dienste des Volkes zu funktionieren; die Krone muß sich zu einer schiedsrichterlichen Gewalt über und neben den Gruppen und Sektoren des Landes erheben. Hinzu kommt die echte Volksvertretung, der in allen Organen des politischen Lebens vorhandene nationale Wille; die Gesellschaft muß sich frei über die bestehenden Meinungsorgane äußern können; es muß volle Garantie der kollektiven und individuellen Freiheiten geben, wodurch das politische Niveau West-Europas erreicht werden soll, zu dem Spanien gehört."23 Die Annahme der franquistischen Nachfolgeordnung durch Juan Carlos führte zu einem Konflikt im Bourbonischen Königshaus. Der Prinz rechtfertigte seinem exilierten Vater gegenüber seine Haltung mit dem Argument, nur durch die Annahme der Nachfolge sei die Monarchie in Spanien wiederherzustellen. Erst viele Jahre später sollte Don Juan sich diese Uberzeugung zu eigen machen. 24 In den Jahren bis zu Francos Tod war die Beziehung zwischen Don Juan und Juan Carlos öfters gespannt; die dynastische Frage blieb in der Schwebe, wenn auch andererseits vermutet werden darf, daß es zwischen Vater und Sohn im Hinblick auf die Wiederherstellung der Monarchie eine Art "Familienpakt" gab, der bei gleichlautender Zielsetzung eine duale Politik der Rollenverteilung erforderlich machte.25

Zit. nach Cernuda u.a. (Anm. 15), S. 170 f. Vgl. Pedro Sainz Rodriguez: Un reinado en la sombra. Barcelona 1981. So die Interpretation von Javier Tusell im Vorwort zu Toquero (Anm. 10), S. 16 f.

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4. Die staatsrechtliche Stellung des Monarchen in der Übergangsphase (1975-1978) Nach seiner Designierung zum zukünftigen König von Spanien übernahm Juan Carlos immer häufiger staatliche Funktionen. Im Juli 1971 wurde er zum Stellvertreter Francos im Fall von dessen Erkrankung bestimmt, ein Jahr später seine Nachfolge beim Ableben des Diktators geregelt. In der spanischen Öffentlichkeit wurde der Prinz zwar nicht sehr ernst genommen; kaum jemand glaubte daran, daß er sich längere Zeit auf dem Thron würde halten können. Allmählich aber gewöhnte man sich daran, zumindest für eine Ubergangszeit in ihm den Nachfolger des greisen Diktators zu sehen. Im Sommer 1974 übergab der schwer erkrankte Franco zum ersten Mal die Amtsgeschäfte (vorübergehend) an Prinz Juan Carlos; umsonst drängten die Reformer den Diktator, den Prinzen zum König auszurufen und durch sein, des Caudillos, Prestige den ruhigen Ubergang zum Nachfranquismus zu gewährleisten. Im September, nach erfolgter Genesung, ließ sich Franco zur Enttäuschung der Reformer die Fülle der Macht zurückgeben. Zum zweiten Mal wurde Juan Carlos am 30. Oktober 1975 von der Regierung Arias Navarro zum amtierenden Staatschef ernannt. In Pressekommentaren hieß es, Franco habe sich bis zuletzt geweigert, auf sein Amt als Staatschef zu verzichten, da er im Amt habe sterben wollen; andererseits habe sich Juan Carlos geweigert, das Amt des Staatschefs wie 1974 nur vorübergehend zu übernehmen und sich erst dazu bereit erklärt, als die Arzte ihm versichert hatten, daß Franco nicht mehr genesen könne. Bei Francos Tod, am 20. November 1975, trat automatisch, wie vorgesehen, die Nachfolgeregelung in Kraft. Der Regentschaftsrat übernahm die Regierung. Am 22. November wurde Juan Carlos in einer Zeremonie in den Cortes vor den Abgeordneten, den Mitgliedern des Rates des Königreichs und zahlreichen Ehrengästen durch den Vorsitzenden des Regentschaftsrates, Alejandro Rodriguez de Valcarcel, vereidigt und als Juan Carlos I. zum König von Spanien proklamiert. Die Eidesformel lautete: "Ich schwöre bei Gott und über den Evangelien, die Grundgesetze des Königreichs zu erfüllen und für ihre Erfüllung zu sorgen sowie den Prinzipien Loyalität zu bewahren, die der Nationalen Bewegung innewohnen." Bei Francos Tod trat vorerst die seit langem vorgesehene "Machtaufteilung" zwischen den verschiedenen staatlichen Stellen in Kraft. Mitte 1973 hatte der Diktator den damaligen "Vizepräsidenten" Luis Carrero Blanco zum Regierungschef ernannt, womit erstmalig die Amter des Staats- und des Regierungs-

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chefs getrennt wurden. Die Bestellung des Admirals zum Ministerpräsidenten war Teil eines sogenannten Demokratisierungsprozesses gewesen, der für die Zeit nach Franco eine Ausbalancierung der Macht zwischen mehreren Institutionen vorsah: zwischen König Juan Carlos als Staatschef, dem Ministerpräsidenten und der Regierung, dem Rat des Königreiches als oberstem Beratungsgremium und dem Ständeparlament. Franco selbst hatte Carrero Blanco als seinen 'Hausmeier' betrachtet, der die Kontinuität des Regimes und der Regierungsmacht in der Ubergangszeit nach seinem T o d wahren sollte. Die Ermordung des Ministerpräsidenten im Dezember 1973 hatte sodann die Vorbereitungen Francos für seine eigene Nachfolge wieder zunichte gemacht; die Ernennung von Carlos Arias Navarro zum Ministerpräsidenten war nur eine Notlösung. Seit Beginn der 70er Jahre hatten Verfassungsjuristen über die Kompetenzen des künftigen Königs diskutiert. 1972 veröffentlichte Miguel Herrero

y

Rodriguez de Mifion eine juristische Studie, deren Hauptargument besagte, daß die franquistischen "Grundgesetze" keineswegs unabänderlich seien. 26 Der zukünftige Monarch würde Souverän des Staates sein und seine Gewalt so ausüben können, daß die übrigen Staatsgewalten ihre Kompetenzen auf ihn ausrichten müßten. Damit stand dem König aber auch die Ausübung jener "Residualkompetenzen" zu, die keinem anderen Staatsorgan zugeordnet waren. Die Regierung würde v o m Vertrauen des Monarchen abhängen und Exekutivorgan königlicher Politik sein. Diese Interpretation sprach dem Monarchen zahlreiche Kompetenzen und die Berechtigung zu, sie relativ frei ohne institutionelle Hindernisse auszuüben. Sowohl eingefleischte Franquisten wie Verfechter einer Demokratisierung widersetzten sich sofort dieser Deutung. In jenen Jahren erschienen noch zahlreiche andere Studien, die sich alle mit der Zukunft des Systems und der Rolle des Staatsoberhauptes beschäftigten. Luis Garcia San Miguel plädierte für eine evolutionistische Linie, einen Prozeß der Selbstreform und des legalen Reformismus, durch den das System sich überwinden könnte. 2 7 Jorge de Esteban ging ebenfalls von einem "Mittelweg" zwischen Immobilismus und Bruch aus; die Souveränität des Staates sei im Monarchen personifiziert und werde durch die Cortes repräsentiert. Eine Monarchie mit schiedsrichterlichen Funktionen (Monarquia arbitral)

könne

Miguel Herrero y Rodriguez de Minon: El principio monarquico. Un estudio sobre la soberania del Rey en las Leyes Fundamentales. Madrid 1972. Der ursprüngliche Artikel von 1973 (Sistema Nr. 1, 1973) ist wieder abgedruckt in: Luis Garcia San Miguel: Teoria de la transicion. Un analisis del modelo espanol, 1973-1978. Madrid 1981.

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eine Demokratisierungsentwicklung einleiten, an deren Ende der König eine nurmehr marginale Funktion einnehmen würde.28 Eine Analyse von Rafael Arias-Salgado kam zu dem Ergebnis, daß der Motor der politischen Öffnung nicht bei König und Cortes, sondern bei der "doppelten Exekutive" von Monarch und Regierung liege. Unabhängig von den verschiedenen Schwerpunkten war allen "reformistischen" Interpretationen ein Aspekt gemein: Das zukünftige Staatsoberhaupt würde in der nachfranquistischen Ubergangsphase eine herausragende, die weitere Entwicklung wesentlich mitbestimmende Rolle spielen. Im Gegensatz zu diesen "reformistischen" Ansätzen, die dem zukünftigen Monarchen die Fähigkeit zur Generierung des politischen Wandels vom Autoritarismus zur Demokratie zutrauten, betonten die politischen Immobilisten unter den Interpreten die grundsätzliche Gültigkeit und Unveränderlichkeit der franquistischen Grundgesetze. Juan Carlos übernahm im November 1975 zwar nicht alle von Franco ausgeübten Gewalten; er war aber weit mächtiger als jeder andere Monarch Europas. Die Rede war von einer "eingeschränkten" (im Gegensatz zur absoluten) Monarchie, deren Hauptunterschied zum franquistischen System darin bestand, daß alle Verfügungen der Krone der Gegenzeichnung durch eines der Staatsorgane (Regierung, Cortes, Rat des Königreiches) bedurften. Juan Ferrando Badia hat darauf verwiesen, daß die franquistischen Grundgesetze dem neuen Staatschef symbolische, exekutive, legislative und judikative Gewalten übertrugen.29 Symbolische Gewalten hatte der Monarch insofern, als er die nationale Souveränität personifizierte und die höchste Vertretung der Nation darstellte. Außerdem hatte er über die Kontinuität des Staates und der 'Nationalen Bewegung' zu wachen. Des weiteren erhielt der König verfassunggebende Gewalten, da ohne seine Zustimmung keine Verfassungsreform möglich war, er aber über das Mittel des Referendums sich direkt an das Volk wenden konnte, um eine Reform der Grundgesetze zu initiieren. Auch die exekutiven Gewalten des Königs waren weitreichend. Er hatte den politischen Apparat unter sich, war für das Funktionieren der wichtigsten Staatsinstitutionen verantwortlich, besorgte die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, ernannte und erließ den Regierungschef und den CortesPräsidenten. Er durfte den Ministerrat leiten, stand dem 'Rat des Königreiches' Jorge de Esteban u.a.: Desarrollo politico y Constitucion espafiola. Barcelona 1973. Vgl. die Systematisierung der königlichen Gewalten in der Ubergangsphase bei Juan Ferrando Badia: Teoria de la instauracion monarquica en Espana. Madrid 1975, S. 271 ff. Vgl. auch Powell (Anm. 16), S. 127 f.

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vor, ratifizierte völkerrechtliche Verträge und verfügte über Notstandskompetenzen. Im legislativen Bereich sanktionierte der König die Gesetze und überwachte ihre Inkrafttretung; er verfügte über ein suspensives Vetorecht und konnte die Legislaturperiode verlängern. Mit Zustimmung der Cortes und der Regierung durfte er außerdem Gesetzesverordnungen erlassen. Schließlich hatte er den Oberbefehl über sämtliche Streitkräfte inne - nicht nur symbolisch, wie in parlamentarischen Monarchien, sondern real. Staatsrechtlich nahm der neue Monarch somit eine zentrale Stellung ein, die ihm gewissermaßen ex officio die Funktion zusprach, den folgenden politischen Prozeß entscheidend zu beeinflussen. Vieles würde darauf ankommen, welche Absichten der König verfolgte und welche Schwerpunkte er setzen würde.

5. Die politische Rolle des Königs als 'Motor des Wandels' Beim Tod des Diktators läßt sich das politische System des Franquismus als ein konsolidierter institutioneller Apparat beschreiben, der sich selbst perpetuieren wollte, dessen Hauptglied allerdings - die Krone - weitgehend eine Unbekannte war. Immerhin hatte Juan Carlos wenige Wochen vor Francos Tod über ein Hintergrundinterview in Newsweek einige seiner politischen Grundüberzeugungen und Pläne für die nachfranquistische Zeit dargelegt: "Die Regierung wird regieren, und Juan Carlos vertraut darauf, sie beraten sowie ihre Initiativen und Schritte orientieren zu können. Er ist entschlossen, über der Parteipolitik stehend, König aller zu sein [...] Die Wiederherstellung der echten Demokratie ist eines der Ziele, aber Spanien darf keine Mühe scheuen, um Unordnung und Chaos zu vermeiden [...] Er glaubt mehr an die Reform als an die Repression, mehr an die demokratische Evolution als an Revolution. Er beabsichtigt, eine moderne Regierung zu bilden, die die Zukunft Spaniens sichern, nicht die Vergangenheit erhalten will."30 Im Anschluß an seine Vereidigung vor den Cortes führte Juan Carlos am 22. November 1975 in der ersten "Botschaft der Krone" (Mensaje de la Corona) u.a. 31 aus : Newsweek v. 3.11.1975, zit. nach Vicente Palacio Atard: Juan Carlos I. y el advenimiento de la democracia. Madrid 1989, S. 53. Mundo Hispdnico Nr. 333, 1975, S. 18. Die "Botschaft der Krone" - die in mancherlei Hinsicht dem genau hundert Jahre zuvor von dem ebenfalls restaurierten Bourbonenkönig Alfons ΧΠ. verlesenen Sandhurst-Manifest entsprach - dürfte in ihrer endgültigen Formulierung von General Alfonso Armada stammen, dem früheren Lehrer

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"Heute beginnt eine neue Etappe in der Geschichte Spaniens. Diese Etappe, durch die wir zusammen fortschreiten werden, nimmt ihren Ausgangspunkt in Frieden, Arbeit und Wohlfahrt, der Frucht gemeinsamer Anstrengung sowie gemeinsamen und entschlossenen Willens. Die Monarchie wird der getreue Wächter dieser Erbschaft sein und jederzeit versuchen, engsten Kontakt mit dem Volke zu bewahren [...] Die Institution, die ich verkörpere, verbindet alle Spanier miteinander; und heute, in dieser bedeutsamen Stunde, wende ich mich an Euch, da es die Pflicht aller ist, Spanien zu dienen. Laßt uns alle im Geist des Großmuts und der Würde begreifen, daß unsere Zukunft auf der wirklichen nationalen Einigkeit gründen wird [...] Ich möchte ein Mittler sein, ein Wächter der Verfassung und Wortführer der Gerechtigkeit [...] Ich werde die Gesetze schützen und darauf achten, daß sie geschützt werden; ich werde Gerechtigkeit als meinen Leitstern ansehen und wissen, daß der Dienst am Volke jener Auftrag ist, der alle meine Funktionen rechtfertigt [...] Der König wünscht, König aller zu sein, und zugleich jedes einzelnen in seiner eigenen Kultur, Geschichte und Tradition [...] Die Krone sieht es als ihre grundsätzliche Verpflichtung an, soziale und wirtschaftliche Rechte anzuerkennen [...] Eine freie und moderne Gesellschaft bedarf der Teilhabe aller an den Entscheidungszentren, den Medien, den unterschiedlichen Ebenen des Erziehungswesens und der Kontrolle des nationalen Wohlstands." Die Rede ließ allgemein aufhorchen, stellte sie doch - quasi als 'Regierungsprogramm' - größere Partizipation der Bürger und eine Demokratisierung in Aussicht. Vorerst änderte sich jedoch gar nichts: Arias Navarro bildete im Dezember 1975 erneut die Regierung, in der allerdings bereits etliche reformwillige Technokraten saßen. Sehr schnell wurde sodann deutlich, daß es Arias Navarro vor allem um eine Verbesserung des bestehenden Systems ging, nicht jedoch um einen radikalen Neuanfang. Im Frühjahr 1976 zeigte sich immer deutlicher, daß eine konsequente Reformpolitik nicht mit diesen Vertretern des alten Regimes durchgeführt werden konnte. Die Frage, die sich für den König und die politisch Verantwortlichen stellte, lautete: Bruch mit dem Franquismus (wie es die Opposition forderte) oder Kontinuität bei unwesentlichen Korrekturen am System (was die Rechte erstrebte)? Von seinen Beratern nachdrücklich gedrängt, verwarf Juan Carlos den "demokratischen Bruch", die abrupte Demontage des Franco-Systems; er setzte statt dessen auf den langsamen Wandel, auf das Aushandeln der Reformen, auf den "paktierten Ubergang". Diese Methode - der Versuch, Kontinuität und Wandel zu vereinen - barg zweifellos Risiken, hat sich insgesamt aber bewährt. Der Opposition wurde bald klar, daß sie angesichts der realen politivon Juan Carlos und Hauptverschwörer des fehlgeschlagenen Putsches vom 23.2.1981. Ein sprachlicher Vergleich der beiden Texte hat ergeben, daß ganze Sätze aus dem Manifest von 1875 übernommen worden sind. Vgl. Palacio Atard (Anm. 30), S. 59-61. Zur Redaktion vgl. auch Alfonso Armada: Al servicio de la corona. Barcelona 1984, S. 194.

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sehen Kräfteverhältnisse im Land ihre Maximalforderungen nicht durchsetzen konnte; in realistischer Einschätzung der machtpolitischen Situation, angesichts aber auch der "von oben" eingeleiteten politischen Öffnung des Regimes gab die Opposition die Forderung nach ruptura allmählich stillschweigend auf und gab sich mit einem "paktierten" Ubergang zufrieden. Die erste und wichtigste Aufgabe bestand für den neuen König darin, die Krone zu stabilisieren. Nur eine parlamentarische Monarchie konnte die Defizite an Legitimität eliminieren, mit denen er ins Amt gekommen war. Andererseits durfte der Bruch mit der franquistischen Vergangenheit nicht zu abrupt erfolgen, da sonst sowohl die Monarchie als auch der Demokratisierungsprozeß akuter Gefährdung ausgesetzt worden wären. Die Rolle des Königs muß somit in einem Zwei-Phasen-Modell untersucht werden: Zuerst ging es um die Konsolidierung der Krone, danach um die Stabilisierung der Demokratie. Bei der Durchsetzung dieser Strategie spielte der Monarch selbst eine entscheidende Rolle. Die Schwierigkeiten einer Konsolidierung der monarchischen Ordnung bestanden nach 1975 vor allem in der politischen Identifizierung zwischen restaurierter Monarchie und franquistischem Regime sowie in der früher engen persönlichen Beziehung zwischen Franco und König Juan Carlos. Letztere ging auf das von Franco entworfene Erziehungs- und Ausbildungsprogramm des Prinzen zurück; in den letzten Jahren des Regimes hatte der Bourbonensprößling auch immer häufiger staatliche Repräsentationsaufgaben übernommen, so daß er nach außen hin als Werkzeug Francos und Vertreter der Diktatur erschien. Dieses Bild mußte korrigiert werden. Betrachtet man im nachhinein die Strategie des Königs, so lassen sich klar drei Schwerpunkte feststellen: Der eine war personalpolitischer Art, der andere hatte die Unterstützung der Eliten, der dritte die des Volkes zum Ziel. Diese drei Aspekte sollen kurz erörtert werden: A) Vom ersten Augenblick an war der Monarch bestrebt, reformwillige Politiker zu ernennen, denen er die politische Implementierung des Demokratisierungsprozesses übertragen konnte. In einem ersten Fall kam ihm der zeitliche Zufall zu Hilfe. Am 26. November 1975 endete die Amtszeit des CortesPräsidenten Alejandro Rodriguez Valcarcel. Gegen Widerstände und Verhinderungsversuche konnte Juan Carlos wenige Tage später die Ernennung seines früheren Lehrers und Vertrauten Torcuato Fernandez Miranda zum Cortes32

Nach Carlos Huneeus: Consolidacion de la democracia y legitimacion de partes del sistema politico: El Rey. MS 1982 (Bad Homburg).

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Präsidenten und Vorsitzenden des "Rates des Königreiches" durchsetzen. Diese Ernennung sollte für die weitere Entwicklung des Demokratisierungsprozesses von großer Bedeutung sein. Schwieriger war der 'Fall' Arias Navarro zu lösen, dessen Ablösung sich für eine konsequente Reformpolitik immer deutlicher als unausweichlich herausstellte. Als allen reformbereiten Beobachtern klar geworden war, daß Arias Navarro zu keinen substantiellen Reformen bereit war, ergriff im Frühjahr 1976 der Monarch die Initiative. Er nahm Kontakt mit der in der "Demokratischen Koordination" zusammengeschlossenen Opposition auf; auch der Vater des Königs sprach mit den oppositionellen Kräften über eine Fortentwicklung des Regimes. Im April kamen führende sozial- und christdemokratische Politiker zu einem Gespräch in den königlichen Zarzuela-Palast. Am meisten Aufsehen erregte allerdings in jenem Monat ein Artikel in der USZeitschrift Newsweek, dessen Inhalt unmittelbar auf Aussagen des Königs zurückging.33 Darin wurde Arias Navarro als unmitigated disaster bezeichnet; der Regierungschef sei reformunfähig, trete nur als Vorkämpfer des extrem reaktionären "Bunker" auf und polarisiere die spanische Gesellschaft. Juan Carlos war - auch auf dringendes Anraten seines Vaters hin - entschlossen, sich so schnell wie möglich Arias Navarros zu entledigen. In seiner bedeutenden Rede vor dem US-Kongreß bekannte sich der König erneut zu demokratischen Prinzipien, zu Rechtsstaatlichkeit und sozialem Frieden. Nach der Rückkehr von seiner erfolgreichen US-Reise provozierte Juan Carlos eine Regierungskrise und nötigte Arias Navarro zum Rücktritt, nachdem seit Wochen die Kritik am zögernden Fortgang der notwendigen Reformen aus den unterschiedlichsten Kreisen der Öffentlichkeit zugenommen hatte. Aus der ihm vom Kronrat vorgelegten Liste von drei möglichen Nachfolgern berief der König den bisherigen Generalsekretär der "Nationalen Bewegung" im Kabinettsrang, den erst 43jährigen Adolfo Suarez, zum bis dahin jüngsten Premier in der spanischen Geschichte. Der König selbst hatte die Aufnahme von Suarez in den Dreiervorschlag durchgesetzt. Die Ernennung des neuen Premiers stieß bei der demokratischen Opposition auf erhebliche Skepsis, ging Suarez doch eindeutig aus dem franquistischen System hervor. Juan Carlos war jedoch von der Reformbereitschaft des jungen Politikers überzeugt; der Monarch wollte die entscheidenden Schritte in die Demokratie mit einem ungefähr Gleichaltrigen wagen, der durch sein Wirken im alten Regime noch nicht allzusehr belastet war. 33

Vgl. Cernuda u.a. (Anm. 15), S. 182 f.; Cambio 16 v. 26.11.1990, S. 95.

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Mit Fernandez Miranda als Cortes-Präsident und Suarez als Regierungschef hatte der König zwei äußerst geschickte Politiker - die bereit waren, demokratieorientiert mit ihm zusammenzuarbeiten - in entscheidende Positionen gebracht. Bereits im August 1976 erfolgte, im Zusammenhang mit einer Regierungskrise, eine weitere wichtige personalpolitische Entscheidung. Verteidigungsminister Fernando Santiago y Diaz de Mendivil trat aus Protest gegen den eingeschlagenen Demokratisierungskurs zurück. Die im Militär einsetzende Unruhe konnte durch die Ernennung des liberalen Generals Manuel Gutierrez Mellado zum Stellvertretenden Ministerpräsidenten beigelegt werden. Die von der gesamten demokratischen Opposition begrüßte Ernennung sollte dem Demokratisierungsprozeß der folgenden Jahre äußerst nützlich sein.34 B) Sollte der eingeschlagene Reformkurs erfolgreich fortgesetzt werden, so bedurfte er der Absicherung und Unterstützung durch die Eliten. Am 22. November 1975 hatte der König nicht nur eine Botschaft an das spanische Volk gerichtet, sondern zugleich auch an das Militär. In diesem Tagesbefehl betonte er die Disziplin, brachte seine Hoffnung auf Unterstützung durch die Streitkräfte zum Ausdruck und erinnerte sie an ihre verfassungsmäßig festgelegten Pflichten. Zum damaligen Zeitpunkt konnte der König der Loyalität der Streitkräfte sicher sein ; die Saharakrise der vorhergehenden Wochen hatte Juan Carlos und das Heer einander angenähert.

Zu Fernandez Miranda und Gutierrez Mellado ist inzwischen viel Literatur erschienen. Was die Rolle des Parlamentspräsidenten (und Lehrers von Juan Carlos) betrifft, vgl. vor allem die auf seinem Nachlaß beruhende Darstellung seiner Tochter und seines Neffen Pilar Fernandez-Miranda Lozana/Alfonso Fernandez-Miranda Campoamor: Lo que el Rey me ha pedido. Torcuato Fernandez-Miranda y la reforma politica. Barcelona 1995. Zur Rolle Gutierrez Mellados im Hinblick auf die Integration des Militärs in das entstehende demokratische System vgl. die lobenden Nachrufe vom 16.12.1995: Murio Gutierrez Mellado, el general de la transicion. In: ABC. vom 16.12.1995. Zum Tagesbefehl vom 22.11.1975 vgl. Mario Hernandez Sanchez-Barba: La Corona y las Fuerzas Armadas, in: Las Fuerzas Armadas Espafiolas. Historia social e institutional. Bd. 8, Madrid 1986, S. 94 f. Zur Rolle des Militärs in der Transicion vgl.die Sondernummer 36/1986 der Revista Espanola de Investigaciones Sociolögicas "El papel de las Fuerzas Armadas en la transicion espanola" (Koordination: Julio Busquets); sowie Joaquin Romero Maura: After Franco, Franquismo?: The Armed Forces, The Crown and Democracy, in: Government and Opposition 11, 1, 1976, S. 35-64. In der Studie von Fernando Rodrigo: El Camino hacia la democracia. Militares y politica en la transicion espanola. Madrid (Universidad Complutense) 1989 wird darauf verwiesen, daß die Militärs 1975 zwar erheblichen Einfluß hatten, aber weder über eine klare Doktrin noch über eindeutige Führer verfügten. Ausgezeichnet ist die neuere Studio von Felipe Agüero: Militares, Civiles y democracia. La Espana postfranquista en perspectiva com-

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Die von Juan Carlos benötigte Hilfe und Unterstützung 'von oben' mußte vor allem von den Militäreliten kommen, deren institutionelle Bedeutung im Franquismus und in der Phase der Transition kaum überschätzt werden kann und deren vollständige Integration in das politische System für die Stabilisierung der Demokratie entscheidend war. Juan Carlos war sich dessen völlig bewußt; entsprechend intensiv und regelmäßig waren seine Kontakte mit den Streitkräften. Er selbst war und fühlte als Soldat; seine Beziehungen zu den Militärs, die ihn als einen der ihren akzeptierten, waren und sind enger als die Francos mit seinen Generalskollegen. Carlos Huneeus hat darauf hingewiesen , daß der König vor allem über das Mittel der regelmäßig stattfindenden Militäraudienzen den Kontakt mit den Streitkräften suchte und aufrechterhielt. Der weitaus größte Teil seiner Gesprächspartner waren Generäle und höhere Offiziere des Landheeres - ein Faktor, der bei dem Putschversuch vom 23. Februar 1981 bedeutsam werden sollte. C) Neben die Unterstützung des Reformkurses durch die Eliten trat das Erfordernis, für den eingeschlagenen Kurs die Billigung durch 'das Volk' zu erhalten. Wollte Juan Carlos Glaubwürdigkeit in der breiten Masse der Bevölkerung erringen, so mußte er schnell Fortschritte auf dem Weg der Demokratisierung vorweisen. Ein erster Testfall für die Glaubwürdigkeit des Monarchen war 1976/77 die Gewährung einer Amnestie, die von der (noch illegalen) Opposition ungeduldig gefordert wurde.37 Das erste Amnestiedekret war noch äußerst zaghaft angelegt und wurde von den reformfreudigen Kräften mit Enttäuschung aufgenommen. Im Juli 1976 wurde sodann eine umfassende Generalamnestie angekündigt; der Gnadenakt war gewissermaßen der Preis der herrschenden Elite für das proklamierte politische Ziel: die nationale Versöhnung Spaniens, die Herstellung des inneren Friedens. Begnadigt werden sollten alle Mitglieder der inhaftierten Opposition, die nicht das Leben von Personen gefährdet hatten. Wegen der Schwierigkeit der Einordnung der Inhaftierten erweiterte der dritte königliche Amnestie-Erlaß vom März 1977 den strafrechtlichen Gnadenakt auf alle Handlungen mit "politischer Absicht" - eine Art Generalpardon für die Vergangenheit. Beim Versuch, Legitimierung 'von unten1 zu erhalten, läßt sich des weiteren auf die zahlreichen "Antrittsbesuche" verweisen, die der König seit Februar

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parada. Madrid 1995, aus der deutlich die ausgesprochen demokratieskeptische Haltung der spanischen Militärs in der zweiten Hälfte der 70er Jahre hervorgeht. Huneeus (Anm. 32). Vgl. Volker Mauersberger: Amnestie statt Abrechnung, in: Die Zeit v. 4.5.1990, S. 5.

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1976 in die verschiedenen spanischen Regionen unternahm. Zu den mit diesen Reisen verfolgten Absichten dürfte der Wunsch gehört haben, die starre Regierung Arias Navarro/Fraga Iribarne zu einer intensiveren Reformpolitik zu bewegen. Das Königspaar (das zumeist zusammen auftrat) suchte eine massive Mobilisierung der Bevölkerung zu erreichen und diese auf eine Unterstützung der Krone hinzuorientieren, während die Regierung derartige Reisen auf Kontakte mit Behörden und einem kleinen Kreis auserwählter Honoratioren beschränkt wissen wollte. Juan Carlos durchbrach demgegenüber das vorgesehene Protokoll, mischte sich unter die Bevölkerung, wich vom vorgesehenen Redetext ab und beschloß seine ersten öffentlichen Auftritte in Katalonien (im Februar 1976) auf katalanisch, womit er indirekt die kulturellen und sprachlichen Autonomieforderungen der katalanistischen Opposition unterstützte. In Andalusien sprach er direkt die sozioökonomischen Probleme der von einer heftigen Wirtschaftskrise geschüttelten Region an, und im Baskenland überstand er (im Februar 1981) würdevoll eine spannungsgeladene Situation, als Mitglieder der extremistischen Partei Herri Batasuna den offiziellen Akt in Gernika störten. 40 Der wohl wichtigste Aspekt, durch den der Monarch Glaubwürdigkeit 'von unten' erringen konnte, lag aber nicht im juristischen Sektor - etwa durch Gnadenerlasse - oder im symbolischen Bereich - zum Beispiel in der Verwendung des Katalanischen -, sondern in seinem konkreten politischen Verhalten im Demokratisierungsprozeß. Sehr schnell wurde einer breiteren Öffentlichkeit klar, daß der König der eigentliche "Motor des Wandels" - wie ihn Außenminister Jose Maria de Areilza genannt hat - war und hinter vielen der weitreichenden Reformmaßnahmen stand. Er tolerierte demokratische, das heißt oppositionelle Organisationen in der ersten Phase nach 1975, als sie noch nicht legalisiert waren; er setzte sich, neben Adolfo Suarez, im Herbst 1976 nachdrücklich für die Verabschiedung des entscheidenden "Gesetzes über die politische Reform" ein, durch das der politische Weg zu einer Eliminierung der franquistischen Strukturen geebnet wurde; er sicherte den Reformprozeß gegen politische Interventionen des Militärs ab - beispielsweise nach der Legalisierung der Kommunistischen Partei in der Karwoche 1977, als er die Militärs beruhigte und ihre heftige Kritik an dieser Entscheidung dämpfte; er warb 38

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Auf die Rolle von Königin Sophie wird im vorüegenden Beitrag nicht näher eingegangen. Sie wird ausführlich in den verschiedenen Biographien des Monarchen berücksichtigt. Vgl. Jose Luis Herrera: Dona Sofia. Madrid 1984; Fran^oise Laot: Juan Carlos und Sofia. München 1988. Joaquin Bardavio: Los silencios del Rey. Madrid 1979, S. 168 f. Jose Oneto: Los ultimos dias de un presidente. Barcelona 1981, S. 55.

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zwar vorsichtig, aber entschieden - wo immer er konnte - für den Reformkurs; er verstand es, auch im Ausland ein neues Bild Spaniens zu vermitteln, so daß auf internationaler Ebene der Glaube an die demokratischen Absichten der neuen spanischen Führung wuchs.

6. Zur Legitimationsproblematik Die politischen Handlungen des Monarchen waren auf den Erwerb von Legitimität ausgerichtet. Dabei mußten die Legitimierungsversuche der Krone auf zwei Ebenen verlaufen: Zum einen waren sie auf die Basis hinorientiert, um der Monarchie Anhänger im Volk zu verschaffen, zum anderen auf die politischen und militärischen Eliten, die aus dem Franquismus stammten und die Schlüsselpositionen im Staat innehatten. Seine erste "Botschaft der Krone" begann Juan Carlos, unmittelbar nach seiner Vereidigung als König, mit den Worten: "Als König von Spanien - diesen Titel zu tragen berechtigen mich die historische Tradition, die Grundgesetze des Königreiches und der legitime Auftrag der Spanier - ist es für mich eine Ehre, die erste Botschaft der Krone, die aus dem Tiefsten meines Herzens kommt, an Euch zu richten."

Von den

drei angesprochenen Legitimierungstypen - nach den Kriterien Max Webers: der traditionalen, der legalen und der charismatischen

- verfügte Juan Carlos

zum damaligen Zeitpunkt (entgegen eigener Aussage) eigentlich nur über die legale Legitimation. Er war in Ubereinstimmung mit den "Grundgesetzen des Königreiches", das heißt aufgrund der franquistischen Nachfolgeregelung, König geworden. Damit hatte er aber allenfalls für einige Sektoren des alten Regimes eine Legitimitätsgrundlage; in der Terminologie von Giuseppe Di Palma läßt sich für den Anfang seiner Regierungszeit nur von einer rückwärtsgerichteten ("backward") Legitimität sprechen.43 In seiner Thronrede vom 22. November 1975 bezeichnete Juan Carlos die Annahme der Krone als eine Pflicht; die explizite Erwähnung seines Vaters in diesem Zusammenhang kann als Hinweis auf die problematische dynastische Legitimierung verstanden werden: "Diese Norm [der Pflichterfüllung] lehrte Text: Mundo Hispdnico Nr. 333,1975, S. 18. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1980 (Erstveröffentlichung 1922). Giuseppe Di Palma: Founding Coalitions in Southern Europe: Legitimacy and Hegemony, in: Government and Opposition 15, 1980, S. 162-189; ders.: Government Performance: An Issue and Three Cases in Search of Theory, in: Geoffrey Pridham (Hg.): The New Mediterranean Democracies. London 1984, S. 172-187.

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mich mein Vater von Kind auf, und sie war eine Konstante meiner Familie, die Spanien mit all ihren Kräften dienen wollte." Für überzeugte Monarchisten entbehrte der König der dynastischen, das heißt der traditionalen Legitimität, die nach wie vor bei seinem Vater lag. Innerdynastisch gab es zum damaligen Zeitpunkt aber bereits keine Schwierigkeiten mehr, was die Frage der Nachfolge betraf. Offensichtlich hat sich nämlich D o n Juan schon kurz nach Juan Carlos' Proklamation zum König in einer vertraulichen Botschaft ("Operation Dädalus") an seinen Sohn gewandt und ihm die historischen Rechte der Dynastie übertragen; die öffentliche Bekanntmachung dieser Übertragung sollte einem geeigneten Zeitpunkt vorbehalten bleiben.

Durch dieses Verhalten verhinderte der König-Vater eine von

vielen Monarchisten befürchtete dynastische Dualität. Einen Monat vor den ersten, für Juni 1977 angesetzten demokratischen Parlamentswahlen verzichtete sodann D o n Juan am 14. Mai 1977, in Anwesenheit der königlichen Familie und des Notars des Reiches, auf seinen Thronanspruch: "Nachdem die Monarchie in der Person meines Sohnes und Erben Don Juan Carlos eingesetzt und konsolidiert ist, der in der ersten Phase seiner Regierungszeit die deutlich geäußerte Billigung des Volkes erfahren hat und der auf internationaler Ebene dem Vaterland neue Wege öffnet, halte ich den Augenblick für gekommen, ihm das historische Legat, das ich geerbt habe, zu übergeben; dementsprechend biete ich meinem Vaterland den Verzicht auf die historischen Rechte an der spanischen Monarchie an, auf seine Titel, Privilegien und auf den Vorstand in der königlichen Familie und im königlichen Haus Spaniens, die ich alle von meinem Vater, König Alfons XIII., erhalten habe; für mich möchte ich den Titel Graf von Barcelona behalten und, wie bisher, weiterführen. Aufgrund dieses meines Verzichtes folgt mit allen dynastischen Rechten als König von Spanien auf meinen Vater, König Alfons ΧΠΙ., mein Sohn und Erbe König Juan Carlos I."45 Die durch den Thronverzicht seines Vaters erlangte historisch-dynastische Legitimität ermöglichte es dem König, an die monarchische Tradition Spaniens anzuknüpfen und das Merkmal einer franquistisch "instaurierten" Monarchie zugunsten der Restauration der Monarchie abzuschütteln. In diesem Zusammenhang ist von Interesse, daß in der Verfassungskommission des Senats auf Initiative des baskischen Senators Satrustegui dem Satz: "Die Krone Spaniens ist erblich in der Linie der Nachfolger S. M. Don Juan Carlos I. von Borbon" der Zusatz hinzugefügt wurde: "des legitimen Erben der historischen Dyna44

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Antonio Fontan: Las claves de la transicion (1975-1985). Madrid 1985; Jose Maria Areilza: Diario de un ministro de la Monarquia. Barcelona 1977. Zit. nach Calero (Anm. 13), S. 120.

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stie". p i e s ist der endgültige Wortlaut von An. 57, 1 der Verfassung.) Durch diesen Zusatz wurde Juan Carlos als legitimer Erbe der historischen Dynastie anerkannt (der Verzicht seines Vaters war schon vorher ausgesprochen worden) und die franquistische Genese der Monarchie eliminiert. Der Verzicht auf die franquistische Legitimation bedeutet zugleich den Rückgriff auf die historisch-traditionale Legitimation. Dieser Rückgriff wiederum stellte insofern eine Einschränkung der Verfassunggebenden Versammlung dar, als die Monarchie ein eigenes Recht erhielt, von dem die Verfassungsväter als gegeben auszugehen hatten.46 Von entscheidender Bedeutung war aber letztlich weder die aus dem Franquismus stammende noch die dynastische, sondern die demokratischcharismatische Legitimation der Monarchie durch die politische Rolle, die Juan Carlos im Demokratisierungsprozeß spielte. Von den verschiedenen Möglichkeiten, seine Herrschaft zu legitimieren, wählten Juan Carlos und seine Berater daher zu Recht die demokratisch-charismatische, da dieser Legitimierungstyp die schnellsten Erfolge versprach, nachdem ja die legal-rationale und die traditionale Legitimierung aus historischen Gründen - wegen der strukturellen Schwäche der spanischen Monarchie im 19. und 20. Jahrhundert, den dynastischen Auseinandersetzungen im Königshaus, der demokratischen Defizite in der Restaurationsära und während der Diktatur Primo de Riveras - nicht primär oder allenfalls im Hinblick auf einige Sektoren des alten Regimes in Frage kamen. Die Legitimierungsstrategie entspricht dem, was Max Weber das Amtscharisma nennt; von der Krone sollte das Charisma dann auf den Amtsinhaber zurückwirken. Die politische Strategie von Juan Carlos ist ganz im Sinne dieser "vorwärtsgerichteten" Legitimation (Giuseppe Di Palma) zu verstehen. Die einzelnen Reformmaßnahmen bedeuteten den schrittweisen Erwerb demokratischer Legitimität. In den Jahren bis zur endgültigen Konsolidierung der Demokratie (1982) trat der König als Protektor - und häufig auch als Antriebskraft - des rapiden Transformationsprozesses auf. In diesem Bereich liegt sicher ein persönliches Verdienst des Monarchen. Unabhängig davon ist aber zugleich auf die Bedeutung der Krone im Institutionengefüge des Staates zu verweisen; ihr war durch die franquistischen Gesetze gewissermaßen ex officio eine herausragende Rolle für die Zeit nach Francos Tod eingeräumt worden. (Den Verfassungsvätern blieb deswegen auch nicht viel anderes übrig als die Vgl. Antonio Bar Cendon: La "Monarquia Parlamentaria" como forma politica del Estado Espanol segun la Constitution de 1978, in: Manuel Ramirez (Hg.): Estudios sobre la Constitucion Espanola. Madrid 1979, S. 193-215, Zit. S. 202 f.

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Monarchie als Staatsform anzuerkennen; es ging im verfassunggebenden Prozeß nicht darum, die Monarchie zu etablieren.) Zweifellos war die für die meisten Spanier wichtigste Form von Legitimität diejenige, die auf der Leistung Juan Carlos' als "Pilot des Wandels" (Charles T. Powell) und sichtbares Haupt der neuen Demokratie beruhte. Durch die Führungsfunktion im Ubergang zur Demokratie gewann der Monarch die Unterstützung vieler, die gegenüber Franco in Opposition gestanden hatten, auch der Republikaner 47 und selbst der Kommunistischen Partei. Die Zustimmung zur Verfassung im Jahr 1978 durch eine überwältigende Mehrheit bedeutete zugleich die Zustimmung zur parlamentarischen Monarchie, die damit demokratisch legitimiert war. Auf der Grundlage von Meinungsumfragen aus dem Jahr 1978 hat Juan Jose Linz die damalige Akzeptanz des Königs untersucht. Lediglich 9,3% der entschiedenen Antifranquisten lehnten auch die Leistungen des Königs ab, während 40,3% seine Leistungen als "gut" bzw. "sehr gut" bezeichneten. Von der Minderheit, die Franco (noch 1978) total akzeptierte, lehnten 6,8% Juan Carlos ab, während 70,3% ihre Zustimmung zum König gaben. Aus diesen Angaben läßt sich schließen, daß Juan Carlos die Annahme der neuen Demokratie durch jene ermöglichte (oder zumindest erleichterte), die ihr am mißtrauischsten gegenüberstanden. 1978 war der Monarch von der großen Mehrheit jener, die dem franquistischen Regime gegenüber eine gemäßigte Haltung eingenommen hatten, akzeptiert worden; das gleiche gilt für eine große Anzahl jener, die dem früheren Regime in größter Opposition gegenübergestanden hatten. Für jene erste, kritische Ubergangsphase in die Demokratie lautet das Fazit von Linz: "Wenn man das Meinungsbild innerhalb der Bevölkerung betrachtet, so kann der König durch sein Eintreten für die Demokratie nicht viel Unterstützung verlieren, sondern nur seine Unterstützung durch das Volk verstärken und in diesem Prozeß die Monarchie festigen. Die formale Legitimation, die ihm aus der Instauration der Monarchie durch Franco zugeflossen ist, war ein Beitrag zum glatten Ubergang zur Demokratie; die Legitimierung der Institution als solcher hängt aber letztlich von den Antifranquisten ab. Ihre Unterstützung ist es, die ihn zum König aller Spanier macht."49 47

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Darauf ist der Titel des Buches von Nourry zurückzuführen. Philippe Nourry: Juan Carlos, un roi pour les republicains. Paris 1986; Vgl. auch Charles Powell: Juan Carlos of Spain. Self-Made Monarch. London 1996. Zum folgenden vgl. Juan J. Linz: Das Erbe Francos und die Demokratie, in: Waldmann/Bernecker/Lopez-Casero (Anm. 5), S. 371-391. Ebda., S. 391.

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Im Jahrzehnt, das auf diese Umfrage folgte, wurde Juan Carlos zu eben diesem König aller Spanier. Die Akzeptanz des Königs hat über die Jahre hinweg zugenommen. Der Aussage: "Ohne die Anwesenheit und die Handlungen des Königs wäre der Ubergang in die Demokratie nicht möglich gewesen" stimmten 1983 rund 64% und 1985 sogar 67% der Befragten zu; zwischen 80% und 89% stimmten mit der Meinung überein, daß der König die Zuneigung auch jener Spanier erhalten habe, die die Monarchie nicht befürworteten. 50 Weitgehende Ubereinstimmung besteht darüber, daß sich der König durch sein Verhalten beim Putschversuch vom 23. Februar 1981 den Respekt der Demokraten erworben hat: Ganze 86% der Befragten äußerten sich anerkennend zur Rolle des Königs in jener krisenhaften Situation. Der während des gesamten Abends - als Regierung und Parlament von den Putschisten als Geiseln gehalten wurden und große Teile des Militärs nur auf den Einsatzbefehl zum Losschlagen warteten - nicht in der Öffentlichkeit auftretende König arbeitete in jenen Stunden für die Rettung der parlamentarischen Demokratie in Spanien.51 Er telefonierte mit den Generalkapitänen, den Oberkommandierenden der elf Militärregionen, um zu verhindern, daß sie sich dem Putsch anschlossen; er lehnte - beraten von seinem Generalsekretär, General Sabino Fernandez Campo - die Forderung des Generalstabs der Gesamtstreitkräfte ab, die Regierung zu übernehmen; statt dessen ließ er eine Notregierung aus Staatssekretären unter der Führung des Polizeiexperten Francisco Laina bilden. Mit Hilfe des loyal gebliebenen Oberkommandierenden der Panzerdivision Brunete, General Jose Juste, gelang es dem König, das Vorrücken der schlagkräftigen Division auf Madrid zu verhindern.52 50 51

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Linz (Anm. 3). Bis heute halten sich in der spanischen Öffentlichkeit Gerüchte und Verdächtigungen, denen zufolge der König zwischen 18.30 Uhr (23.2.1981) bis zu seinem kurzen Fernsehauftritt in den frühen Morgenstunden des 24.2.1981 angeblich unentschieden war und die Möglichkeit eines Zusammengehens mit den Putschisten sondierte. Insbesondere wird vermutet, General Armada - langjähriger Lehrer und Vertrauter von Juan Carlos hätte einen derartigen Putschversuch nie ohne Kenntnis und Billigung des Königs unternommen. Vgl. hierzu auch John Hooper: Los espanoles de hoy. Madrid 1987, S. 58. Inzwischen liegen mehrere Untersuchungen über den mißlungenen Putsch vor. Jose Oneto: Los ultimos dias de un presidente. Barcelona 1982; ders.: La noche de Tejero. Barcelona 1981; ders.: La verdad sobre el caso Tejero. Barcelona 1982; Julio Busquets u.a.: El golpe. Anatomia y claves del asalto al Congreso. Barcelona 1981; Pilar Urbano: Con la venia... Y o indague el 23 F. Madrid 1982; vgl. auch die Memoiren von Leopoldo Calvo Sotelo: Memoria viva de la transicion. Madrid 1990. Neueste Untersuchungen haben deutlich gemacht, daß die Gefahr eines Erfolges der Putschisten weit größer war als damals angenommen. Die meisten Generalkapitäne verhielten sich "unentschieden" Und warteten den Ausgang des Putschversuches ab, ohne sich klar für die Aufrechterhaltung

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Im Winter 1989/90 vertraten, bei einer repräsentativen Umfrage, 74% der Spanier die Meinung, der Monarch habe eine Rolle von grundlegender Bedeutung für das Funktionieren der Demokratie in Spanien inne; genausoviel meinten, der Staatschef sei weiterhin als Schiedsrichter und Moderator des demokratischen Systems wichtig. 82% zeigten sich gar überzeugt davon, daß der König erheblich zur Stabilität der Demokratie beigetragen habe. 53 Insgesamt läßt das Umfrageergebnis erkennen, daß die Person des Monarchen in der spanischen Öffentlichkeit ein viel größeres Ansehen als die Institution der Monarchie genießt. Immerhin hielten 42% der Befragten die Monarchie für "etwas längst Überholtes", während 77% die Meinung vertraten, der König habe bewiesen, daß die Monarchie sich ändern und den heutigen Erfordernissen der spanischen Gesellschaft anpassen könne. 84% zeigten sich davon überzeugt, daß der König durch sein Verhalten während des Staatsstreichversuchs von 1981 sich den Respekt der spanischen Demokraten erworben habe. Schon aus Anlaß seines 50. Geburtstags im Januar 1988 hatten alle Zeitungen des Landes überschwenglich die politische Rolle des Staatsoberhauptes gewürdigt, auf die gelungene Integration des politisch zuvor gespaltenen spanischen Volkes hingewiesen und seine große Popularität betont. Die führende Zeitung des Landes, El Pais, nannte ihn eine der wenigen Figuren des öffentlichen Lebens, die auf einmütige Anerkennung stoße. Die 'duale' Strategie von Juan Carlos ist damit aufgegangen: Ihm ist es gelungen, in einer Kombination von rückwärts- und vorwärtsgerichteter Legitimation die Monarchie sowohl bei den aus dem alten Regime stammenden Eliten als auch in breiten Schichten des Volkes zu verankern. Damit konnte zugleich die Demokratie durchgesetzt und schließlich stabilisiert werden. Im Verlauf dieses Prozesses wurde zwar die Akzeptanz des Königs unter den Spaniern ständig vergrößert; seine reale Machtposition wurde dabei allerdings beschnitten und schließlich in der (heute gültigen) Verfassung von 1978 festgeschrieben.

der verfassungsmäßigen Legalität auszusprechen. Vgl. El Pais ν. 17.2.1991 (Beilage), S. 1-4; v. 18.2.1991, S. 22; v. 19.2.1991, S. 20. f.; v. 20.2.1991, S. 20 f.; v. 21.2.1991, S. 20 f. Z u Fernandez C a m p o , dem Generalsekretär (1978-1990) und Chef (1990-1992) des königlichen Privatbüros, sowie zu seiner wichtigen Rolle beim Putschversuch v o n 1981 vgl. Manuel Soriano: Sabino Fernandez C a m p o . L a sombra del Rey. Madrid 1995. C e n t r o de Investigaciones Sociologicas: L o s espanoles ante la Constitucion y las instituciones democraticas: 11 anos de Constitucion (1978-1989). Madrid 1990 ( = Estudios y Encuestas N r . 23); vgl. auch einige Ergebnisse der U m f r a g e in El Pais ν. 22.9.1990, S. 14.

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7. König und Monarchie in der Verfassung Die Ausarbeitung der Verfassung begann nach der Konstituierung der ersten frei gewählten Cortes von 1977, die verfassunggebenden Charakter hatten. Dem Verfassungsrechtler Pedro Cruz Villaion zufolge kam im Prozeß des Ubergangs von der verfassunggebenden Gewalt zu den verfaßten Gewalten dem König aus Gründen der personellen Identität die komplexeste Stellung zu54, da Juan Carlos diejenige Person war, die seit der Thronbesteigung - welche im Einklang mit der franquistischen Legalität erfolgt war - der eigentliche Impulsgeber für den Prozeß des politischen Wandels war, der schließlich zur Verfassung von 1978 führte. Als Staatsoberhaupt unterstützte er aktiv die Strategie der "politischen Reform", setzte einen neuen Ministerpräsidenten ein und ernannte nach freiem Ermessen 20% der Mitglieder des Oberhauses. Bei der königlichen Verkündigung der neuen Verfassung wurde sodann bewußt jeder Ausdruck vermieden, der die Verfassung als "paktiert" hätte erscheinen lassen können; der König hatte sich auf ihre Ausfertigung zu beschränken. In den parlamentarischen Debatten des Verfassungsentwurfs war es nicht sosehr um die klassischen Staatsform-Alternativen Monarchie oder Republik, sondern vielmehr um die Legitimation der neuen Verfassungs-Monarchie gegangen. Die Regierungspartei "Union des Demokratischen Zentrums" und die rechtskonservative "Volksallianz" erblickten die Berechtigung der Monarchie zum einen in der Geschichte; die Monarchie wurde als traditionelle Form des spanischen Staates bezeichnet. Zum anderen galt ihnen die Monarchie, ganz aktualitätsbezogen, als die geeignetste Form zur Organisation des Staates, wobei die politische Rolle des Monarchen in der vorhergehenden Phase (seit 1975) ein wichtiges Argument darstellte. Letzterer Aspekt bewog auch die Kommunisten, die Basken und die Katalanen im Parlament, für die Monarchie zu stimmen. Die soziopolitische Realität der Ubergangsjahre hätte die Einführung einer Republik - so lautete ihre Überlegung - sehr erschwert. Dieser Einsicht verschloß sich schließlich auch die Sozialistische Partei PSOE nicht. Sie stellte ihre ideologischen Bedenken gegen die Monarchie hintan und bestand lediglich darauf, daß über die Staatsform genauso wie über alle anderen Aspekte der Verfassung zu debattieren sei und die Monarchie nicht kommentarlos als Staatsform akzeptiert werden dürfe.55 Dieser Forderung entsprechend wurden

Vgl. Pedro Cruz Villalon: Zehn Jahre spanische Verfassung, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 37, 1988, S. 90 f. Die Parlamentsdebatten faßt zusammen Bar Cendon (Anm. 46), S. 200-202.

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alle die Krone betreffenden Fragen ausführlich in beiden Häusern des Parlaments diskutiert. Art. 1 der Verfassung von 1978 legte schließlich fest: "Die politische Form des spanischen Staates ist die parlamentarische Monarchie." In der spanischen Verfassungstradition gibt es eine derartige Formulierung nicht; sie stellt somit verfassungsrechtlich ein Novum dar.56 Frühere monarchische Verfassungen waren nie über die "konstitutionelle" Monarchie hinausgegangen, in der die Souveränität und die Legislativfunktionen zwischen Krone und Parlament aufgeteilt waren 57 ; demgegenüber liegt seit 1978 die Souveränität beim Volk und die gesetzgebende Funktion ausschließlich bei den Cortes. Titel Π der Verfassung (Art. 56) regelt die Stellung der Krone: "Der König ist Oberhaupt des Staates, Symbol seiner Einheit und Beständigkeit. Er wacht als Schiedsrichter und Lenker über den regelmäßigen Gang der Institutionen, vertritt als höchster Repräsentant den Spanischen Staat auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen, vor allem mit den historisch eng verbundenen Nationen, und übt die Funktionen aus, die ihm die Verfassung und die Gesetze ausdrücklich zuschreiben."58 Durch die Gegenzeichnungspflicht aller Handlungen der Krone bleiben dem König nahezu keinerlei Befugnisse, deren Ausübung nicht von einem Kabinettsmitglied politisch zu vertreten wäre. Art. 62 zählt die wichtigsten Aufgaben des Königs auf: Er bestätigt und verkündet die Gesetze, er löst das Parlament auf und schreibt Neuwahlen aus, er setzt Volksabstimmungen fest, er schlägt den Regierungschef vor und entläßt ihn, er ernennt die Regierungsmitglieder, er bestätigt die Regierungsverordnungen, er hat den Oberbefehl über die Streitkräfte und das Begnadigungsrecht inne. Mit dem Inkrafttreten der Verfassung wurde der König zu einer weiteren Gewalt unter den "verfaßten Gewalten". Seine Amtsübernahme und die Ausübung seiner Befugnisse erfolgen im Einklang mit den verfassungsmäßig vorgesehenen Bestimmungen. Die Verfassung enthält übrigens keine Erklärung, welcher Person anfangs die Besetzung des Thrones zustand; nur indirekt identifiziert sie - im Unterschied zu früheren monarchischen Verfassungen - den König mit einer konkreten Person. Der Grund hierfür dürfte darin gelegen haben, daß 1978 keinerlei dynastischen Probleme mehr die Übernahme der Krone gefährdeten. 56

57

58

Vgl. Bar Cendon (Anm. 46); vgl. auch Manuel Fernandez-Fontecha Torres/Alfredo Perez de Arminan y de la Serna: La Monarquia y la Constitucion. Madrid 1987. Hierzu Walther L. Bernecker: Sozialgeschichte Spaniens im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt 1990, S. 107-117, 169-181. Zit. nach der dt. Übs. der Verfassung in: Keesing's Archiv der Gegenwart v. 11.2.1979, S. 22378.

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Die Verfassung schreibt dem Monarchen eine Position zu, die in etwa an die Befugnisse und Funktionen der britischen Krone erinnert; sie engt den Ermessensspielraum der Krone stark ein und regelt ihre Kompetenzen bis ins Detail. Zumeist kann der Monarch nur als "Notar" parlamentarischer Vorgänge fungieren. Obwohl die Stellung des Monarchen eigentlich ausführlich geregelt ist, herrscht keine letzte Klarheit über die königlichen Prärogativen im Einzelfall.59 Entscheidend dürfte die Persönlichkeit des Monarchen im politischen Kräftespiel sein. Die Verfassung überträgt dem König die Rolle eines "Schiedsrichters" und "Vermittlers" im Funktionsgefüge der Institutionen eine Funktion, die an die These der gemäßigten Liberalen des 19. Jahrhunderts erinnert, derzufolge der Krone die Schlichtungsfunktion einer vierten, moderierenden Gewalt (poder moderador) über Exekutive und Legislative zugesprochen wurde. 60 Der heutige Monarch verfügt zur Ausübung seiner politischen Funktionen weit mehr über auctoritas als über potestas·, letztere hat er mit der Unterzeichnung der Verfassung Ende 1978 abgetreten. Die "personale" Legitimation von Juan Carlos ist durch die Annahme der Verfassung durch die Bevölkerung gewissermaßen vom König auf die Monarchie, das heißt von der Person auf die Institution übertragen worden.

8. Schlußbetrachtung: Monarchie und Demokratie Die Monarchie als Staatsform ist in Spanien seit längerem bei praktisch allen politischen Kräften unumstritten. Dies unterscheidet sie von ihren Vorgängerinnen, der Restaurationsmonarchie von Alfons ΧΙΠ., der Zweiten Republik der 30er Jahre und dem Franquismus, die alle äußerst kontrovers eingeschätzt und schließlich erbittert bekämpft wurden. Zur positiven Einschätzung der heutigen Monarchie hat maßgeblich Juan Carlos als politische Persönlichkeit beigetragen. Die Frage der Staatsform spielt für die meisten Spanier längst eine untergeordnete Rolle; viel wichtiger ist die Frage, unter welchen Bedingungen sich die Demokratie im Lande stabilisieren kann. Im Laufe der Jahre hat unter den Spaniern die positive Einschätzung der Rolle des Königs für den Demokratisierungsprozeß weiter zugenommen. Waren 1985 'nur' 71% der Meinung, der König habe für die Erreichung der Demokratie eine große Rolle gespielt, 59

60

Vgl. Luis Sanchez Agesta: Significado y Poderes de la Corona en el Proyecto Constitutional, in: Estudios sobre el Anteproyecto de Constitution. Madrid 1978, S. 95 ff. Hierzu Bernecker (Anm. 57), S. 69.

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so Ende 1995 bereits 80%. Und 89 % der befragten Spanier äußerten ihre Uberzeugung, daß es Juan Carlos gelungen sei, die Sympathie selbst jener Personen zu gewinnen, die der Monarchie skeptisch gegenüberstanden; für 79% schließlich ist die Monarchie auch heute noch eine Garantie für Ordnung und Stabilität. Von allen sozialen Gruppen oder Institutionen erfährt die Krone das größte Vertrauen von Seiten der spanischen Bürger.61 Eine Demokratisierung ist keineswegs die einzig denkbare 'logische' Folge einer Krise autoritärer Herrschaft; erst die Entscheidung maßgeblicher politischer Akteure für bestimmte Strategien führt in einem konkreten Kontext zu einer Präferenz für demokratische Institutionen. Auch im spanischen Fall war das schließlich erzielte Ergebnis nicht vorhersehbar; es ist vielmehr auf ganz konkrete Entscheidungen bestimmter Akteure zurückzuführen. Die eingeschlagene Strategie und die Ergebnisse im Demokratisierungsprozeß legitimierten und stabilisierten schließlich das Gesamtsystem: "In Spain the King legitimated the monarchy rather than the institution legitimating the royal incumbent. However, we should not forget that initially the important role that the king would play in the transition was based on his office more or at least as much as on his personal qualities that were still unknown." Die Stabilisierung der Krone (als Teil des politischen Systems) war nur möglich, wenn die Konsolidierung des gesamten politischen Systems gelang; es mußte daher im Interesse des Monarchen liegen, die neue (Verfassungs-) Ordnung so schnell wie möglich zu stabilisieren. In seiner Funktion als Staatsoberhaupt sah sich Juan Carlos dabei einer ambivalenten Situation ausgesetzt; Politikwissenschaftler haben das Problem folgendermaßen umschrieben: "Das Staatsoberhaupt befindet sich in einem Konflikt zwischen der erwarteten Rolle politischer Neutralität und der beobachteten Rolle politischer Aktivität." 63 Im Rückblick läßt sich für den König feststellen, daß er soviel Neutralität wie nötig und soviel Aktivität wie möglich praktizierte, was zu einer Form monarchischer Institutionalisierung führte, die zwar als relativ entfernt von Regierung und Parlament erscheint - im Gegensatz zu Großbritannien etwa gibt es weder die Einrichtung des "King's speach" noch "His Majesty's Government" , in der politischen Praxis aber eine große Nähe zu den übrigen Verfassungsorganen aufweist. 61

62 63

Vgl. die Umfrage zur "Lage der Nation" 20 Jahre nach Francos Tod in El Pais vom 19.11.1995. Linz (Anm. 3), S. 7 f. Werner Kaltefleiter: Die Funktionen des Staatsoberhauptes in der parlamentarischen Demokratie. Köln 1969, S. 10.

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Die Gegenzeichnungspflicht ist eine Einrichtung, die es der Krone ermöglicht, am Rande der politischen Aktivität zu verbleiben und ihre Rolle als pouvoir neutre (Benjamin Constant) zu festigen. Die Funktionen der Krone sind heute symbolischer, moderierender und repräsentativer Art. Im Rückblick auf die Jahre des Ubergangs schrieb einer seiner Architekten, der frühere Regierungschef Adolfo Suarez: "In Spanien stellte die Krone den unverzichtbaren Stützpunkt zur Durchführung des politischen Wandels dar. Hierzu griffen wir auf die Gewalten zurück, die die Grundgesetze des [franquistischen] Regimes dem König zusprachen, um - unter Verzicht auf diese Gewalten - eine parlamentarische und moderne Monarchie zu errichten, die zum gemeinsamen Bezugspunkt aller Spanier wurde."64 Betrachtet man die Rolle der Krone bei den beiden Demokratieversuchen Spaniens im 20. Jahrhundert, so wird ihre geradezu entgegengesetzte Funktion deutlich. In den 20er und 30er Jahren waren die Zeitgenossen davon überzeugt, daß die Etablierung einer Demokratie nur durch Eliminierung der Monarchie möglich sein würde; dementsprechend war auch der erste Versuch Spaniens, eine Demokratie zu errichten, republikanisch. Eine Generation später geschah genau das Entgegengesetzte: Es war die Monarchie, die bei der Durchsetzung der Demokratie und ihrer Konsolidierung einen entscheidenden Beitrag leistete. Sowohl in der Analyse von Sozialwissenschaftlern wie in der Uberzeugung der großen Mehrheit der spanischen Bevölkerung besteht heute - ganz im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung vor ungefähr 20 Jahren - nicht nur kein Gegensatz zwischen Monarchie und Demokratie; erstere wird vielmehr übereinstimmend als entscheidende Variable betrachtet, die den Ubergang vom autoritären System des Franquismus in die Demokratie erst ermöglicht hat.

Adolfo Suarez: Apuntes sobre la transicion politica, in: Cambio 16, Sonderheft 1000 v. 16.1.1991, S. 14.

Autorenverzeichnis Bernecker, Waither L., geb. 1947; Studium der Geschichte, Germanistik und Hispanistik; Promotion an der Universität Erlangen-Nürnberg 1976; Akademischer Rat an der Universität Augsburg 1976-1984; University of Chicago 1984/85; Habilitation 1986; Lehrtätigkeit an den Universitäten Bielefeld, Augsburg, Pittsburgh, Universidad Iberoamericana (Mexiko), Fribourg (Schweiz); 1988-1992 Professor für Neuere Allgemeine Geschichte an der Universität Bern; seit 1992 Inhaber des Lehrstuhls für Auslandswissenschaft (Romanischsprachige Kulturen) an der Universität ErlangenNürnberg. Herausgeber der Reihen Forschungen zu Spanien (Saarbrücken), Editionen der Iberoamericana (Frankfurt a.M.), Hispanoamericana (Bern/Frankfurt a.M.) sowie der Zeitschriften Iberoamerikanisches Archiv (Berlin/Frankfurt a.M.) und NOTAS (Frankfurt a.M.). Veröffentlichungen (u.a.): Anarchismus und Bürgerkrieg in Spanien 1936-1939 (Hamburg 1978, spanisch 1988); Spaniens Geschichte seit dem Bürgerkrieg (München 3. Aufl. 1997); Die Handelskonquistadoren (Stuttgart 1988); Sozialgeschichte Spaniens im 19. und 20. Jahrhundert (Frankfurt a.M. 1990); Religion in Spanien (Gütersloh 1995). Zus. mit H. Pietschmann: Geschichte Spaniens von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Stuttgart 2. Aufl. 1997.

Klueting, Harm, geboren 1949 in Iserlohn. Studium der Slavistik und Germanistik (Dr. phil. in Slavistik), Geschichte (M.A. in Mittlerer und Neuerer Geschichte), evangelischen Theologie (Erste Theologische Prüfung) und der Rechtswissenschaften in Bochum, Köln, Wuppertal (Kirchl. Hochschule), Edinburgh/Schottland und Münster, 1984 Habilitation für Neuere Geschichte in Köln. Privatdozent in Köln 1984, Lehrstuhlvertreter in Osnabrück 1985, außerplanmäßiger Professor in Köln 1989, Lehrstuhlvertreter in Bonn 1989, Lehrstuhlvertreter in Göttingen 1990, Lehraufträge in Halle/Saale (PH) 1991 und an der University of Leicester/England 1991, Gastprofessor an der Emory University in Atlanta/Ga., USA. Professor der Neueren Geschichte an der Universität zu Köln. Veröffentlichungen (u.a.): Die Säkularisation im Herzogtum Westfalen 1802-1834, 1980; Die Lehre von der Macht der Staaten. Das außenpolitische Machtproblem in der "politischen Wissenschaft" und in der praktischen Politik im 18. Jahrhundert, 1986; Das Konfessionelle Zeitalter 1525-1648, 1989; Der Josephinismus. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der theresianisch-josephinischen Reformen, 1995; Das Reich und Österreich 1648-1740, in: Sacrum Imperium. Das Reich und Osterreich 996-1806, hg. v. Wilhelm Brauneder u. Lothar Höbelt, 1996, S. 162-287; Der Aufgeklärte Absolutismus, erscheint 1998; Geschichte Westfalens vom 8. bis zum 20. Jahrhundert, er-

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scheint 1998; Die reformierte Konfessionsbildung als „negative Gegenreformation": Zum kirchlichen Profil des Reformiertentums im Deutschland des 16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 1998. - Hg.: Nation, Nationalismus, Postnation. Beiträge zur Identitätsfindung der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert, 1992; Katholische Aufklärung - Aufklärung im katholischen Deutschland, 1993; Stadt und Bürger im 18. Jahrhundert, 1993 (zus. mit G. Frühsorge u. F. Kopitzsch); Geschichte von Stadt und Amt Medebach, 1994.

Kronenbitter, Günther R., geb. 1960; Studium der Politischen Wissenschaften und der Geschichte; Promotion an der Universität Augsburg 1992; seit 1993 Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Augsburg; 1995 Lehrtätigkeit an der University of British Columbia, Vancouver. Veröffentlichungen (u.a.): Wort und Macht. Friedrich Gentz als politischer Schriftsteller (1994).

Kuhoff, Wolfgang, geboren 1951 in Paderborn. Studium der Geschichte, Kunstwissenschaft und Klassischen Archäologie an der Ruhr-Universität Bochum, 1981 Promotion, 1988 Habilitation an der Universität Augsburg. Außerplanmäßiger Professor für Alte Geschichte, Universität Augsburg. Veröffentlichungen (u.a.): Herrschertum und Reichskrise. Die Regierungszeit der römischen Kaiser Valerianus und Gallienus (253 - 268 n. Chr.), 1979; Studien zur zivilen senatorischen Laufbahn im 4. Jahrhundert n. Chr. Amter und Amtsinhaber in Clarissimat und Spektabilität, 1983; Quellen zur Geschichte der Alamannen VI: Inschriften und Münzen, 1984; Ein Mythos in der römischen Geschichte: Der Sieg Konstantins des Großen über Maxentius vor den Toren Roms am 28. Oktober 312 n. Chr., in Chiron 21 (1991) 127-174; Felicior Augusto melior Traiano. Aspekte der Selbstdarstellung der römischen Kaiser während der Prinzipatszeit, 1993; "La Grande Roma dei Tarquini": Die früheste Expansion des römischen Staates im Widerstreit zwischen literarischer Uberlieferung und historischer Wahrscheinlichkeit, 1995.

Mertens, Dieter, geboren 1940 in Hildesheim. Studium der Fächer Latein, Geschichte, Germanistik und Philosophie in Freiburg und Münster. 1971 Promotion, 1977 Habilitation. 1983 Ernennung zum außerplanmäßigen Professor, 1984 ordentlicher Professor an der Universität Tübingen, Direktor des Instituts für geschichtliche Landeskunde und historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen. 1985 Vorstandsmitglied der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, seit 1995 deren stellvertretender Vorsitzender. 1991 Berufung auf den Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte an die Universität Freiburg.

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Veröffentlichungen (u. a.): Iacobus Carthusiensis. Untersuchungen zur Rezeption der Werke des Kartäusers Jakob von Paradies (1381-65) ( - Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte 50) 1976; Reich und Elsaß zur Zeit Maximilians I. Untersuchungen zur Ideen- und Landesgeschichte im Südwesten des Reiches am Ausgang des Mittelalters, Habil. (Masch.Schr.) 1977; Geschichte der politischen Ideen im Mittelalter, 1981, S. 119-200 (Fischer Taschenbuch: 1987, S. 143-238) (zus. mit H. Fenske, W. Reinhard, K. Rosen). Editionen: Jakob Wimpfeling. Briefwechsel. Kritische Ausgabe mit Einleitung und Kommentar, 2 Teilbände ( - Jacobi Wimpfelingi opera selecta ΠΙ, 1.2). München 1990 (zus. mit O. Herding); Julius Wilhelm Zincgref, Gesammelte Schriften Π/1; Π/2: Emblemata ethico politica ( - Neudrucke deutscher Literaturwerke. Neue Folge 44. Hg. von Hans Henrik Krummacher) 1993 (zus. mit Th. Verweyen).

Weber, Wolfgang E. J., geboren 1950 in Freiburg i.B. Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Sozialwissenschaften in Freiburg i.B.; 1982 Promotion, 1988 Habilitation für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg, apl. Professor. Seit 1995 Geschäftsführender Wissenschaftlicher Sekretär des Instituts für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Veröffentlichungen (u.a.): Priester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Geschichte der Geschichtswissenschaft in Deutschland, Osterreich und der Schweiz 1800-1970, 1984, 2. Aufl. 1987; Die USA und Israel, 1991; Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen Politikwissenschaft des 17. Jahrhunderts, 1992. - Hg.: Disziplinierte Wissenschaft. Studien zur Historischen Wissenschaftssoziologie, 1997 (i.E.); zusammen mit A. Maczak und R. Rexheuser: Der frühmoderne Staat in Ostzentraleuropa, Bd. I und Π, 1997 (i.Dr.).

(Bausteine zur slavischen Jurij Μ . L o t m a n

Rußlands Adel Eine

Kulturgeschichte

v o n P e t e r I. b i s N i k o l a u s I. Aus d e m Russischen v o n Gennadi Kagan

Philologie u n d Kulturgeschichte, B a n d 21) 1997. V, 456 Seiten. 69 s/w Abbildungen. G e b u n d e n mit S c h u t z u m schlag. I S B N 3-412-13496-1

Wie lebten sie im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, die Mitstreiter und Günstlinge der russischen Zaren, die Militärs, die Poeten und die zahllosen großen und kleinen Namenlosen des alten Rußland? Wie kleideten, wie gebärdeten sie sich? Das Buch Jurij M. Lotmans gibt Antwort, ist ein faszinierender Führer durch aufregende Phasen der russischen Adelsgeschichte. Es fuhrt uns in Kinderstuben und Ballsäle, auf die Schlachtfelder und an die Kartentische, auf die Landsitze und an die Austragungsorte erbitterter Duelle. Es läßt uns an allem teilhaben, was das Leben dieser Menschen ausmachte, was sie fühlten, dachten, sich erträumten. Dieses Buch ist nicht nur eine Fundgrube fur den historisch, kulturell oder biographisch am alten Rußland Interessierten, es ist zugleich eine spannende und unterhaltsame Lektüre. Einer der glänzendsten russischen Kulturhistoriker erzählt hier, Kapitel fur Kapitel, grandiose und erschütternde Schicksale, deren Helden bedeutende historische Persönlichkeiten wurden, Herrscher, einfache Menschen, Dichter und Denker. „Die Geschichte geht durch das Haus des Menschen und durch sein privates Leben. Nicht die Titel, die Orden oder die Zarengunst, sondern die ,Selbständigkeit des Menschen' verwandelt ihn in eine historische Person." (J. M. Lotman)

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