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German Pages 149 [152] Year 1958
DER FALL HEINE-MEYERBEER
HEINZ
BECKER
DER FALL HEINE-MEYERBEER NEUE
DOKUMENTE
REVIDIEREN EIN
GESCHICHTSURTEIL
W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Gösdien'sdie Verlagshandlung · J. Gnttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer · Karl J . Trübner • Veit & Comp.
BERLIN
1958
© Copyright 1958 by Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35. — Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vom Verlag vorbehalten. — Archiv-Nr. 13 36 58. Satz und Drude: Sala-Druck, Berlin Ν 65. — Printed in Germany.
VORWORT Während die Literatur über Goethes Beziehungen zur Musik unübersehbar angewachsen ist, wurde Heinrich Heines Bedeutung für die Musik bisher nur wenig gewürdigt. Der Grund mag darin liegen, daß Heine weniger spekulierend als vielmehr reflektierend an seine klingende Umwelt herangetreten ist, daß sein Musikurteil häufig von der Unausgeglichenheit seines Temperaments bestimmt wird und daher eine einheitliche Sicht sehr erschwert ist. Dennodi kann nicht übersehen werden, daß sowohl die Musik als auch die Musiker seiner Zeit einen breiten Raum in seinem Denken einnehmen und daß Heines Gedichte neben denen Goethes am häufigsten komponiert wurden; Grund genug, sich mit den Musikalismen seines Werkes auseinanderzusetzen. Unstreitig bildet Giacomo Meyerbeer in den Heineschen Musikberichten wie auch in seinen ironischen Gedichten einen gewichtigen Mittelpunkt, und man sagt sogar nicht zuviel, daß Meyerbeer als Mensch und als Künstler einen Schlüssel für das Verständnis der Heineschen Musikauffassung bietet. Mehr als bei irgend einem anderen Dichter sind Heines Lyrik und Prosa in der Realität seines eigenen Lebens verhaftet. Erst aus der genauen Kenntnis von Heines Umweltbeziehungen heraus kann der Bewertungsmaßstab für sein dichterisches und journalistisches Werk gewonnen werden; nur eine synthetische Betrachtungsweise, die die schriftlichen Äußerungen Heines — im weitesten Sinne verstanden — unmittelbar mit seiner gleichzeitigen Erfahrungswelt in Beziehung setzt, die sein Schaffen als den Reflex eigenen Erlebens sieht, vermag sich einem gültigen Resultat zu nähern. Auf Grund dieser Überlegung wurde das Thema Heine und Meyerbeer aus dem umfassenderen Stoffgebiet Heine und die Musik herausgelöst, da von hier aus ein breiter Weg in Heines musikalische Vorstellungswelt hineinführt. Daß beide Persönlichkeiten, sowohl Heine als auch Meyerbeer, das geistige Antlitz ihrer Zeit wesentlich mitgeprägt haben, gibt dem Historiker nicht nur die Berechtigung, sondern stellt an ihn geradezu die Forderung, ihre persönlichen Beziehungen zum Gegenstand eingehender Untersuchungen zu machen. Es ist nicht der Sinn und Zweck dieses Buches, Heine seines menschlichen Verhaltens wegen zu schmähen. Wenn dieser Abhandlung überhaupt eine Absicht zugrunde liegt, dann nur die: im Rankeschen Sinne zu untersuchen und darzulegen, wie es wirklich gewesen ist. Da nur die genaue Kenntnis der Schriftzeugnisse zu einer historisch einwandfreien Urteilsbildung führen kann, namentlich wenn, wie bei Heine, jede indirekte Wiedergabe das Wesentliche seiner Aussage zerstört, wurde Wert darauf gelegt, möglichst die Dokumente selber sprechen zu lassen. Bei
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VORWORT
der Darstellung von Heines Jugend war eine Beschränkung auf die wichtigsten Tatsachen gerechtfertigt, da der Lebensweg dieses bedeutenden Dichters als allgemein bekannt vorausgesetzt werden darf, während die Erinnerung an Meyerbeers "Werdegang heute verblaßt ist. In der Anlage des Hauptabschnitts Paris wurde die chronologische Darstellung der systematischen Gliederung vorgezogen. Dieses Vorgehen erwies sich schon deshalb als notwendig, weil die Elsjersche Ausgabe der Werke Heines, die audi heute noch unumstritten führend ist, die Lutezia nach dem bearbeiteten Druck von 1854 wiedergibt, so daß der Leser sehr leicht der Täuschung verfällt, Heine habe schon 1840 Meyerbeer gegenüber eine kritische oder gar ablehnende Stellung eingenommen, während gerade zu zeigen war, daß der Dichter sich erst aus persönlichen Motiven heraus zu seinem Gegner entwickelte. Da sich selbst Friedrich Hirth in der Chronologie der Ereignisse verheddert hat, wäre es zu wünschen, daß in einer Neuausgabe von Heines Werken Erstfassung und spätere Bearbeitung deutlicher gekennzeichnet würden. Besonders irreführend ist in dieser Hinsicht die Ausgabe Oskar Walzeis, da sie eines Lesartenanhanges entbehrt. Was ein Historiker nicht bieten kann, sind die nur mündlich geführten Gespräche, deren Inhaltskenntnis das nur von den erhalten gebliebenen schriftlichen Äußerungen abgeleitete Urteil möglicherweise erheblich retuschieren würde. Friedrich Hirth, der wichtiges Material zur Heineforschung herbeischaffen konnte, sagt am Schluß seiner Heine-Meyerbeer-Studie: „Der Fall HeineMeyerbeer könnte vielleicht völlig geklärt werden, wenn die Tagebücher des Komponisten zu Rate gezogen werden könnten." Meyerbeers Briefnachlaß war bis in die jüngste Zeit hinein für eine wissenschaftliche Auswertung nicht zugänglich, und die darin enthaltenen Taschenkalender und abschriftlichen Tagebücher werden hier nun erstmalig für die Heineforschung als Quelle herangezogen. Darüber hinaus standen 6 bisher unbekannte Heinebriefe, sowie die für dieses Thema so eminent wichtige und bisher unausgewertete Korrespondenz zwischen Meyerbeer und seinem französischen Adlatus Louis Gouin zur Verfügung, nicht zuletzt auch eine Abschrift des wichtigen Briefes von Carl Heine an Giacomo Meyerbeer, Heines Erbschaftsangelegenheiten betreffend. Eine Gesamtausgabe der Meyerbeerkorrespondenz wird vom Verfasser vorbereitet. Für gewährte Auskunft und Hilfe danke ich dem Institut für Musikforschung Berlin, den Herren Dr. Wessely, Wien, Dr. Geissler, Augsburg, sowie Madame R. PM. Masson und Monsieur L. M. Miction, Paris. Es sei mir gestattet, einen besonderen Dank an meine liebe Frau zu richten, die mir stets mit fachkundigem Rat zur Seite stand. Hamburg, im Herbst 1957
Heinz Becker
Inhaltsverzeichnis
Seite
VORWORT
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JUGENDJAHRE
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Das Elternhaus Heines — Erziehung und Bildungsgang des Diditers — Lauska, Carl Friedrich Zelter, Bernhard Anselm Weber, Abt Vogler — Wien — Paris — London — Italien Heine und das Haus Beer — Michael Beer — Die Struenseerezension — Erste Begegnung mit Meyerbeer 17
UMWELT Judentum und Staat — Verhältnis zur Religion — Familiäre Bindungen
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PARIS Pressebestechungen — Monsieur Gouin — Robert der Teufel — Erste Geldforderungen — Die Hugenotten — Heines Hugenottenrezension — Vertraute Briefe an August Lewald — Oheim und Neffe — Zeitungsaffären — Die Gebrüder Escudier — Goethe und Meyerbeer — Neue Wechsel — La France Musicale — Dichter und Millionär — Zerwürfnisse — Gasparo Spontini — Freundschaftskündigung — Drohungen — Carl Heine — Ferdinand Lassalle — Meyerbeers Schlichtungsversuch — Heines Attacken — Souvenirs de Weill — Versöhnungsgespräche — Festgedicht — Der Doktor Faust — Die Vermischten Schriften — Heines Tod — Nachlaßaffären — Letzte Gedichte
DICHTER UND
MUSIKER
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ANMERKUNGEN
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LITERATUR
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NAMENREGISTER
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»Wenn aber ein edler, vorzüglich begabter Mensch ... sich als Paria fühlt und alle die unsägliche Schmad) seines Standes mit Bewußtsein in vollem Gefühl seiner Menschenwürde erdulden muß, so wird ein Conflict seines edlen Selbst mit den ihn erniedrigenden Satzungen und bürgerlichen Verhältnissen entstehen, der nidht tragischer gedacht werden kann." Johann Peter Eckermann über Michael Beers Paria
JUGENDJAHRE Das Werden Heines und Meyerbeers vollzog sich, obwohl beide einem jüdischen Elternhause entstammten, auf gänzlich verschiedenen Lebensflächen. Die erst sehr viel später sichtbar werdenden Gegensätze zwischen beiden sind zutiefst in der so andersgearteten Lebensstruktur ihrer Kindheit verwurzelt. Obwohl beide die Qual menschlicher Zweitrangigkeit durchleben mußten und denselben rassischen Ressentiments gegenüberstanden, obwohl sie beide Zeit ihres Lebens die Umweltfremdheit nicht überwinden konnten, hat das Trennende das Gemeinsame ihres Daseins endlich überragt und somit die Tragik ihrer Freundschaft vollendet. Heinrich Heine, dessen ursprünglicher Vorname Harry war, wurde am 13. Dezember 1797 in Düsseldorf geboren. Sein Vater Samson Heine (1764—1828) entstammte einer zwar nicht armen, aber doch audi nicht wohlhabenden Familie, die in Hannover ansässig war. Schon als junger Mensch stand dieser in den Diensten des Herzogs Ernst August von Cumberland und nahm als Furier an dem Feldzug in Flandern und Brabant teil, wodurch seine Neigung für den Soldatenstand geweckt wurde. Hier genoß er auch die ersten Züge aus dem Freudenbecher des Lebens, die ihm die Freiheit des Soldatendaseins in reichem Maße gewährte. Von ihm erbte Heine den Hang zum sdiönen Geschlecht und seine Abneigung gegen bürgerliche Konvention. 1797 vermählte sich der Vater in Düsseldorf mit Peira van Geldern, der Tochter eines angesehenen jüdischen Arztes, und gründete dort eine kleine Handlung. Empfindliche geschäftliche Einbußen zwangen ihn später» sein Geschäft aufzugeben und sich in Lüneburg eine neue, bescheidene Existenz zu suchen. Er starb schließlich 1828 in geradezu ärmlichen Verhältnissen in Hamburg. Samson Heine war das, was man vielleicht einen Lebenskünstler nennen könnte: das Schöne des Lebens und das Ästhetische, die Anmut menschlichen Seins waren ihm pflegenswerte Dinge. Harte Arbeit und entsagungsvolles Streben lagen ihm fern. An Bildung des Geistes und an Stärke des Charakters war ihm seine Frau Peira, die Mutter Heines, deutlich überlegen. Aufgewachsen in einem jüdischen Arzthaushalt, erschloß sich ihr schon früh das Bildungsgut ihrer Zeit. Zusammen mit ihrem Bruder, der den Beruf seines Vaters ergriff, wurde sie in der lateinischen Sprache unterwiesen und kannte bald die wertvolle Literatur ihrer Zeit. Auch blies sie die Flöte und kam auf diese Weise mit den elementaren Kunstfragen in Berührung. Alles in allem genommen, wurde ihr die Erziehung des gehobenen Standes zuteil.
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JUGEND JAHRE
Ihre charakterliche Energie bewies sie, als man es ihrem Bräutigam verwehren wollte, si. Er schenke uns allen Gesundheit und bewahre uns vor dem Unglück. ... Amen. Gott gebe seinen Segen."
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UMWELT
Auch der letzte Neujahrsbrief, den er an seine geliebte Frau richtete, ist in religiöser Stimmung geschrieben: Paris 30ter December 1863 Theures geliebtes Weib·' Der Moment wo ein durchlebtes Jahr sich von der Gegenwart ablösend in Vergangenheit versenkt, und ein neues sich erhebt, in seinem Schöße die uns nod? unbekannte Geschichte bergend, ist für mich immer ein ängstlich-feierlicher Moment. Unwillkürlich wendet sich dann das Herz zu Gott um den Allvater um die Erhaltung aller der Theuern zu flehen, die wir lieben, und von denen wieder geliebt zu werden, das höchste Glück ist. Und so flehe ich denn zu Gott daß dieses neue Jahr an dessen Schwelle wir stehen, Deine Gesundheit wieder herstelle; Deinem Geist und Deinem Herzen Heiterkeit und Zufriedenheit gebe; daß es den geliebten Kindern und dem herzigen Fritz [Meyerbeers Enkel] recht wohl gehe, und du die Freude genießest, Caecilie und Cornelie recht bald glücklich verheirathet zu sehen. Wenn Gott der Allmächtige diese meine Wünsche erhört so kannst Du zufrieden sein und ich gewiß aud>. Mein Herz birgt zwar ηοώ manche Wünsche auf das Gedeihen meiner Künstlerlaufbahn, auf den günstigen Erfolg meiner neuen Oper [Die Afrikanerin], auf die Erhaltung, meiner Gesundheit und unseres Wohlstandes, etc. etc., aber alles das was mich nur persönlich betrifft, wie tief steht es im Bereich meiner Wünsche unter dem was die Erhaltung und das Glück von Dir mein theures Weib und den geliebten Kindern betrifft28 Kennzeichnend für die Vielschichtigkeit von Meyerbeers seelischer Disposition ist sein ausgeprägter Aberglaube, der oftmals sein Verhalten bestimmt hat und für die Beurteilung seines Gesamtbildes wesenhaft ist. Jeder Freitag war für Meyerbeer ein „dies acer" an dem er vermied, wesentliche Handlungen zu vollziehen. Kein Vertrag wurde an einem Freitag abgeschlossen; begann ein Jahr mit einem Freitag, so quälten ihn ängstliche Befürchtungen: Freitag, 1. I. 1847... Heute ist Neujahr. Gott der Allmächtige schenke meiner teuren Minna, den geliebten Kindern, meiner ganzen Familie im weitesten Umfange und auch mir ein glückliches, segensreiches, zufriedenes Jahr. Amen. Es ist mir nur nicht lieb, daß es mit dem ominösen Freitag anfängt29." Zeit seines Lebens hat es Meyerbeer vermieden, sein Reiseziel an einem Freitag zu erreichen. Lieber verließ er vorzeitig die Eisenbahn und verbrachte den Freitag im einem nahegelegenen Ort, so daß er erst am Sonnabend seine Reise beendete. Nach streng jüdischer Sitte ließ er sich vor Antritt seiner Reise von seiner Mutter benchen, d. h. den jüdischen Reisesegen sprechen. Vor der Zahl 13 empfand er eine heftige Furcht und es erregt geradezu Verwunderung, was er alles unternahm, nur um dem vermeintlichen
MEYERBEERS ABERGLAUBE
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Einfluß dieser Zahl zu entgehen. Naiver Aberglaube und religiöse Vorstellung lebten in ihm eine enge Symbiose. Die Uraufführungen seiner neuen Opern, die zu den großen Erschütterungen seines Lebens zählten, verursachten ihm Angstzustände und Meyerbeer unterließ es wohl nie, sich den mütterlichen Segen hierfür wenigstens brieflich mitteilen zu lassen. Den Segenssprudi trug er dann solange auf dem Herzen, bis die Ungewißheit um das neue Werk ausgestanden war. Obwohl Meyerbeer eine führende Stellung im Gesellschaftsleben seiner Zeit errang, ist er nie von Animositäten, die sich gegen seine jüdische Herkunft richteten, dem Richesse, verschont geblieben. Daß er trotzdem niemals auch nur entfernt daran dachte, diesen Demütigungen durch die Taufe die Spitze zu nehmen, ist ein Beweis dafür, wie sehr er im mosaischen Glauben gefestigt war, aber auch dafür, daß er wußte, wie wenig die Taufe im Grunde daran änderte. Wenn Heine in seinen Schriften verschiedentlich behauptete, Meyerbeer sei „ein durchtriebener Fuchs" gewesen, oder von „Meyerbeersehen Intriguen" spricht, ihn ferner als Ränkeschmied hinzustellen versuchte oder sich über seine „Filzigkeit" in Gelddingen moquiert, so steht dagegen Meyerbeers naives Bemühen, keinen Tag seines Lebens ohne die Verrichtung einer guten Tat vorübergehen zu lassen. Es ist psychologisch aufschlußreich, wie Meyerbeer oftmals die Erfüllung eines eigenen Wunsches mit dem Gelübde für eine gute Tat verknüpfte; darin erwies er sich als der rechte Sohn seiner Mutter. Als Amalie Beer 1822 in Italien von einer schweren Krankheit genas, beauftragte sie Meyerbeer, sich mit folgendem Anliegen an> den Vorsteher der Berliner Judenschaft zu wenden: Theuerster, verehrtester
Herr!
Meine Mutter, die durch Gottes Fügung von einer lebensgefährlichen Krankheit fast wunderähnlich schnell errettet worden ist, wünsd)t dem Drange ihrer Dankbarkeit für diese ausgezeichnete Wohlthat der Vorsehung Genüge zu thun, indem sie den Armen ihrer Vaterstadt und ihrer Religion eine Spende zur Unterstützung ihrer Hilfsbedürftigkeit bestimmt. Sie wendet sich wie immer, so auch diesesmaal, an Sie; an Sie, der seit vielen Jahren das so schwierige Geschäft des Almosenspendens mit dem edelsten Entusiasmus für die leidende Menschheit vorstehet, und deßhalb (wie Mutter noch gestern erst sagte) zu geben erlernt haben, wie kein andrer, sie überläßt sich auch der sichern Zuversicht, daß ihre gute Absicht in ihrem ganzen Maaß erfüllt, da sie weiß daß Ihr psychologischer Blick unter dem Kreise der Verlangenden sicher stets die heraus zu finden weiß, die der Hülfe am werthesten und bedürftigsten sind30."
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UMWELT
Ähnlich verhielt sich Meyerbeer sehr viel später bei der Erkrankung seines eigenen Kindes, wie aus seinem Tagebuch ersichtlich ist: 8. Mai 1848 „Ein 8jähriger Knabe (er beißt Pejon) bettelte mich fast täglich vor der Türe des Hotels an. Er hat eine gutmütige Physiognomie. Nach eingezogenen Erkundigungen (wobei mir Madame Gouin behilflich war) soll seine Mutter, die sich auch selbst präsentierte, eine schöne, glückliche, brave Witwe sein. Ich hatte, während meine Tochter Caecilie in Venedig krank war, das Gelübde getan, das, wenn ihr der Himmel die Gesundheit wiederschenkte, ich die Erziehung irgend eines armen Kindes bestreiten wollte. Hiezu habe ich nun den obgedachten Kleinen erwählt, und von morgen ab kömmt er in ein Pensionat..., wo ich 25 fr. monatlich für ihn bezahle und wo er ernährt, erzogen und ihm ein Handwerk gelehrt wird ..." Am 1. Januar 1863 findet sich in Meyerbeers Tagebuch gleichfalls eine Notiz, die für seine Lebenseinstellung bezeichnend ist: „Um am 1. Tag des neuen Jahres einen Wohltätigkeitsakt auszuüben gebe ich 20 Franken zu einer Subskription, welche die Gazette des Etrangers für ein armes Kind ... eröffnet." Meyerbeers Wohltätigkeit, die in seinen Beziehungen zu Heinrich Heine einen Streitpunkt bildet und vielfach mißdeutet worden ist, wächst im Grunde aus drei Wesenskomponenten hervor: der Erziehung im Elternhaus, dem religiösen Bewußtsein und dem naiven Aberglauben. Waren es wohl auch überwiegend die finanziellen Dinge, die zu Spannungen zwischen Meyerbeer und Heine führten, so darf man nicht übersehen, daß bei dem berechtigten Mißtrauen, mit dem die strengen Anhänger der mosaischen Religion den Konvertiten aus ihren Reihen begegneten, auch zwischen Meyerbeer und Heine zeitlebens eine trennende Kluft bestehen blieb, eine Kluft, die auch Meyerbeer von dem Konvertiten Mendelssohn trennte. — Für die Klarstellung des Verhältnisses zwischen Heine und Meyerbeer ist neben der gleichen jüdischen Abstammung, der sehr unterschiedlichen Erziehung und der völlig anders gearteten Religiosität auch das gegensätzliche familiäre Verhältnis wesentlich. Obwohl Meyerbeer in seiner Jugend manche erotischen Eskapaden hinter sich brachte, ist er nach seiner Verheiratung mit seiner Cousine Minna Mosson ein in strengen Grundsätzen lebender Ehemann gewesen, der für das freie Verhältnis, in dem Heine jahrelang lebte, wenig Verständnis erübrigte. Wenn er auch dem Dichter eine individuell ausgerichtete Lebensform zugestanden haben mag, so hat er das Verhalten von dessen Geliebten und späteren Frau doch offenbar gerügt. Friedrich Hirth, dem die wichtigsten Untersuchungen über das Verhältnis zwischen Heine und Meyerbeer zu danken sind, hat merkwürdigerweise diesen wichtigen Punkt an keiner Stelle berührt, obwohl der auch von ihm herangezogene
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FAMILIÄRE BINDUNGEN
Alexander Weill sich unmißverständlich über die gespannte Lage zwischen Meyerbeer und Mathilde Heine äußert. Weill, dem Hirth unberechtigterweise — wie zu zeigen sein wird — jede Glaubwürdigkeit abspricht, sagt von Heines Frau, daß sie Meyerbeer gehaßt habe, weil Meyerbeer sie niemals eingeladen und auch niemals eine Einladung ihrerseits angenommen habe, und daß sie deswegen ihren Mann immer wieder gegen Meyerbeer aufgestachelt hätte 31 . Dieser Hinweis Weills ist für die richtige Einschätzung der später entstehenden Verdrießlichkeiten zwischen Heine und Meyerbeer von großer Tragweite, wenngleich er natürlich nicht wörtlich genommen werden darf und sich erst auf die Zeit nach 1840 oder noch später beziehen kann. Die beiden folgenden, leider undatierten Briefe, beweisen zur Genüge, daß Mathilde Heine von Meyerbeer eingeladen wurde, obwohl man auch bei diesem nachweisbaren Falle nicht übersehen darf, daß die Einladung wohl erst durch den Wink Heines erfolgte: [Heine an Meyerbeer] Ich will gerne morgen mit Ihnen essen. Laube, wissen Sie, ist mein Freund. Mit Heller hin [ich] sehr gut. Bin auch gut mit Dulsberg, aber mich dünkt er paßt nicht zu uns morgen; die Gründe ein ander mal. Vielleicht lasse ich meine Frau morgen aus der Pension kommen, und wenn es Ihnen genehm, bringe ich sie mit zu Tische. — Jedenfalls lasse ich es Ihnen morgen voraussagen. Warum haben Sie Madame Laube nicht eingeladen? Diese und meine Frau stehen sehr gut mit einander. Ibf Frmnd R Der folgende Brief Meyerbeers ist vermutlich das Antwortschreiben auf diesen Brief Heines: Lieber Heine! Ich habe Madame Laube zu unserm Diner an der table d'hote eingeladen; nun müssen Sie aber auch ja Ihre liebe Frau mitbringen, für die ich folgende Zeilen hinzufüge: Si Madame Heine veut bien ne pas dedaigner de prendre part a un petit diner a notre table d'hote, eile obligera infinement M. Meyerbeer, en lui faisant I'honneur d'accompagner Monsieur Heine ä 5h & demie a l'hotel de ce Samedi
matin33.
Beide Briefe müssen dem Winter 1839/40 zugerechnet werden, da sich Laube mit seiner Frau zu dieser Zeit in Paris aufhielt und auch in seinen Erinnerungen über Begegnungen mit Mathilde spridit und die in dem HeineBrief zitierte Pension erwähnt. Laube kehrte im Frühjahr 1840 Paris den Rücken und kam erst 1847 wieder in die Seinestadt zurück.
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PARIS
Daß Mathilde Heine, die für eine sparsame Haushaltführung nicht begabt war und die Heine oft nur die „Verbrengerin" nannte, nicht gerade die besondere Zuneigung des in Gelddingen äußerst peniblen Meyerbeer erringen konnte, ist leicht einzusehen. Um aber ein abschließendes Urteil über das Verhältnis Meyerbeers zu Mathilde Heine fällen zu können, fehlen bisher alle Unterlagen. PARIS Bei einer genauen Untersuchung der Beziehungen Heines und Meyerbeers darf man nie aus den Augen verlieren, daß der Schauplatz der Geschehnisse Paris heißt. Die französische Metropole war eines der Hauptziele der damaligen schriftstellernden Emigranten, und bei der Gegenüberstellung des Dichters und des Komponisten muß immer der Gedanke gegenwärtig bleiben, daß es sich hier um einen Emigranten und — wenigstens in der späteren Zeit — einen preußischen Hofkapellmeister handelt. Der unerfreulidie Ausklang ihres Verhältnisses gründet nicht zuletzt audi in der Kluft zwischen dem Sozialisten und dem in preußischen Diensten stehenden Generalmusikdirektor. Wie schon erwähnt wurde, sind bisher die wichtigsten Untersuchungen über ihre Beziehungen von Friedrich Hirth angestellt worden, der allerdings in seiner einseitigen Blickrichtung auf Heine und in seiner verhängnisvollen Neigung, aus einem großen Dichter auch einen großen Menschen herausmodellieren zu wollen, der geschichtlichen Wahrheit mehr als nur einmal Gewalt angetan hat. Hirths Interesse an diesem Thema wurde belebt durdi die 1912 erfolgte Versteigerung von sechs Heiinebriefen, die aus dem Briefnachlaß Meyerbeers stammten34. Bei der Beurteilung dieser wichtigen Dokumente ging Hirth von der irrigen Voraussetzung aus, Heine habe Meyerbeer in Paris wichtige Dienste geleistet, indem er die Presse für ihn im günstigen Sinne beeinflußte. Er sei also so etwas wie Meyerbeers Pressechef gewesen. Mehrfach habe er sich von Meyerbeer Geld leihen müssen, damit er die korruptive Pariser Presse für Meyerbeer bei guter Laune halten konnte35. Um seinen Behauptungen stärkeres Gewicht zu verleihen, führte Hirth aus: „Wir wissen,... daß Meyerbeer selbst kleine Journalisten (wie Johann Peter Lyser, von dem ich es bewiesen habe) sich mit 20 Gulden günstig stimmte3e." Hirth vermeidet hier vorsichtig das Wort „bestechen", deutet es aber unmißverständlidi an. Tatsächlich hatte Hirth herausgefunden, daß Lyser, der bekannte Hamburger Schriftsteller und Maler, einmal von Meyerbeer 20 Gulden empfangen hatte, und nutzte diese Entdeckung leider kritiklos für seine Beweisführung aus. Meyerbeers Pressebestediung war für ihn eine erwiesene Tatsadie. Nur ver-
PRESSEBESTECHUNGEN
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schob Hirth dabei die wahren Motive, die er möglicherweise — es sei ihm zugute gehalten — gar nicht kannte. Meyerbeers Tagebudi ermöglicht es auch in diesem Falle, der Wahrheit nachzuspüren, und seine „Pressebestechung" rückt dabei in ein völlig anderes Licht: 24. Dezember 1846 ... Lyser (der taubstumme Literat) schreibt mir, daß seine Kinder nichts mehr zu essen haben, und verlangt ein Darlehen von 20 Gulden Konventionsmünze, welches ich ihm schicke3T." Es sei hier darauf verzichtet, den juristischen Unterschied zwischen einer Bestechung und einer Wohltätigkeit auszubreiten, es sei auch nicht andeutungsweise behauptet, Meyerbeers Charakter hätte vor Lauterkeit gestrahlt und sein Tagwerk sei eitel Liebe gewesen; wenn er aber am Heiligen Abend einem darbenden Bekannten die Bitte um Unterstützung nicht abschlug, so hat er dabei sicherlich nicht geahnt, daß man später einmal diese Tat als Bestechung auslegen würde. Hirths Einstellung zum Thema Heine-Meyerbeer ist zumindest einseitig. Die Fragwürdigkeit seiner Argumentierung wird auch noch an anderen Stellen sichtbar. So versucht er in der erwähnten Studie nachzuweisen, daß Heine keineswegs ein großer Anhänger der Meyerbeerschen Musik gewesen sei, sondern vielmehr die Musik Gioacchino Rossinis vorgezogen habe. Heine schreibt im neunten Brief an August Lewald: „Wenn ich mit Rossini vielleicht mehr noch als mit Meyerbeer sympathisiere, so ist das nur ein Privatgefühl, keineswegs eine Anerkenntnis größeren Werts38Hirth meint hierzu: „Heine gab trotz seiner Freundschaft mit Meyerbeer unumwunden zu, daß ihm Rossini sympathischer war. Und von Rossini, von dem wir nur wissen, daß er Heine einmal bei einem Diner Stockfische vorsetzte, die dieser refüsierte, wird man kaum behaupten wollen, er habe Heine irgendwie bestochen39." Diese Argumentierung Hirths ist zwar falsch, aber wenigstens originell. Hirth will damit nicht mehr oder weniger sagen, als daß Heine, obwohl er von Meyerbeer zum Teil mit erheblichen Geldsummen versorgt wurde und obwohl Rossini seinen Gaumen mit einem Stockfisch beleidigte, trotzdem objektiv genug war, um die größere Kunst Rossinis zu erkennein und zu verkünden. Es ist dabei merkwürdig, wie oberflächlich Hirth seinen Heine gelesen hat; denn die Begebenheit mit dem Stockfischgericht ist zwar nicht zu leugnen, aber auch hier sind die Lichter ein wenig anders gesetzt, als Hirth wahrhaben will. Hören wir Heine selbst: „Rossini war immer einer der größten Gourmands. Meyerbeer ist just das Gegenteil; wie in seiner äußeren Erscheinung, so ist er auch in seinen Genüssen die Bescheidenheit selbst. Nur wenn er Freunde geladen hat, findet man bei ihm einen guten Tisch. Als ich einst a la fortune du pot bei ihm speisen wollte, fand ich ihn bei einem ärmlichen Gerichte Stockfische, welches 3
B e c k e r , Heine — Meyerbeer
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PARIS"
sein ganzes Diner ausmachte; wie natürlich ich behauptete, schon gespeist zu haben40." Es war also gar nicht Rossini, sondern gerade Meyerbeer, der seinen dichtenden Freund mit einem Stockfisdigeridit verdroß. Die Beweisführung Hirths bricht damit in sich selbst zusammen. Zur Beurteilung der beruflichen Beziehungen zwischen Heine und Meyerbeer muß erst eine Antwort auf die Kardinalfrage gefunden werden: in welchem Umfange ist Heine für Meyerbeers Interessen tätig gewesen? Diese Frage ist weder von Hirth beantwortet worden, noch läßt sich heute dafür eine gültige Lösung finden. Hirth behauptet, aus den Briefen Heines an Meyerbeer gehe einwandfrei hervor, daß er ihm „schwerwiegende Dienste" geleistet habe. Gerade das aber läßt sich bei genauer Prüfung aller erhaltenen Dokumente nicht bestätigen. Hirth geht von der allgemein verbreiteten Überzeugung aus, Meyerbeer habe erhebliche Geldsummen aufgewendet, um die französische und deutsche Presse in seinem Sinne zu beeinflussen. Daß die Pressebestechungen damals — übrigens nicht nur damals — an der Tagesordnung waren, ist nur zur Genüge bekannt. Die Überzeugung von Meyerbeers Pressebestechungen stützte sich namentlich auf zwei unantastbare Tatsachen: auf Meyerbeers Reichtum — er war vielfacher Millionär — und auf seine beinahe pathologische Empfindlichkeit gegenüber aggressiven Zeitungsartikeln. Sie stützte sich ferner auf die Tatsache, daß Meyerbeer an Journalisten, wie ζ. B. Heine, mehrfach Geld gegeben hat. Aber es bedarf zunächst größter Unvoreingenommenheit und sehr behutsamer Untersuchungen, um hier einen Richtspruch fällen zu können, zumal schon der Fall Lyser gezeigt hat, wie fragwürdig die bloße Registrierung irgendwelcher Geldzuwendungen sein kann, wenn der Anlaß hierzu nicht einwandfrei bekannt ist. Wir wissen auch in bezug auf Heine, daß Meyerbeer in keinem einzigen nachweisbaren Fall von sich aus dem Dichter eine mehr oder weniger geringe Summe Geldes geboten hätte, um seinen Freund zu einer schriftstellerischen Gefälligkeit anzuregen. Stets war es Heine, der — mit dem Hinweis auf einen geleisteten Dienst — von dem Komponisten forderte, und wenn Meyerbeer diesen Bitten nachgab, so nicht zuletzt im Hinblick auf Heines verzweifelte wirtschaftliche Lage. Nicht weniger trostlos war häufig die finanzielle Situation der übrigen Journalisten in Paris, zumeist Emigranten aus Deutschland und Österreich, die literarische Aufrichtigkeit und politischen Mut mit der Verbannung aus der Heimat bezahlt hatten oder zumindest der strengen Zensur zu entfliehen dachten, und nun, in der Fremde, ohne eine feste Anstellung gezwungen wurden, ihre Feder in den Dienst jedweder materieller Unternehmen zu stellen. Mangelnde Altersversorgung und Krankheit taten bei anderen ein übriges. Daß auch sie alle häufig forderten,
MONSIEUR GOUIN
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um der eigenen Not Herr zu werden, ist unschwer zu erraten und ihnen in Berücksichtigung der Situation nicht zu verargen, wie man es auch Meyerbeer nicht verübeln darf, wenn er diesen Wünschen genügte. Hätte er, der Millionär, ihnen unter Hinweis auf ihren Beruf die Hilfe versagen sollen? Es mutet wie ein Paradoxon an, daß man Meyerbeer zu Lebzeiten wie auch nach seinem Tode sowohl schwerwiegende Bestechungen als auch ausgeprägte „Filzigkeit" vorwarf, daß man in einem Atemzuge geleistete Zahlungen verdammte, um sich zugleich über deren mangelnde Höhe zu entrüsten. Es ist auffällig, daß Hirth die „schwerwiegenden Dienste" Heines lediglich aus dessen eigenen Briefen herausliest. "Weshalb, so muß man sich fragen, ist denn nicht in einem einzigen der erhaltenen zwanzig Briefe Meyerbeers an Heine, die in der Mehrzahl belanglose Schreiben sind, ein diesbezüglicher Beleg vorhanden? Die Antwort kann nur lauten: Weil Heine gar nicht Meyerbeers Pressechef in Paris gewesen ist, sondern nur sein wollte! Nun soll nicht gesagt werden, daß sich Meyerbeer der Presse gegenüber gleichgültig verhalten hätte. Ganz im Gegenteil! Aber der wichtige Mann in Paris, die Schlüsselfigur für Meyerbeers Kunstpolitik war nicht Heine, sondern Louis Gouin, seines Zeichens ein biederer Postbeamter, der unermüdlich für Meyerbeer tätig war, für ihn die schwierigsten und heikelsten Verhandlungen führte, der die Presse mit den erforderlichen Nachrichten über Meyerbeer versah, und der für diese „sdowerwiegenden Dienste" seinem „eher et excellent ami" nicht einen einzigen Sous abforderte. Er war Meyerbeer in gleichmäßiger, aufrichtiger Freundschaft ergeben, und es ist wichtig zu wissen, daß diese Freundschaft mit Meyerbeer schon ein halbes Dutzend Jahre bestand, ehe sich Heine und Meyerbeer in Paris begegneten. Richard Wagner äußert sich in einem Brief an Meyerbeer über diesen im Verborgenen wirkenden Postbeamten sehr charakteristisch: „Wunderbar ist aber des Geschicks Fügung. Ihre wundervolle Weisheit hatte mir Ihren Freund, Herrn Gouin zugewiesen. Nun muß ich gestehen, daß wenn es eine Möglichkeit wäre, mir Ihre persönliche Anwesenheit zu ersetzen, dies aber nur durch Hrn. Gouin hätte geschehen können. Mit voller Rührung erkannte ich von Neuem, welch ein herrlicher Mensch Sie sein müssen, daß sich ein Mann zu einer Freundschaft der Art zu Ihnen hingezogen fühlen muß, daß er, wie Hr. Gouin, mit einer so liebenswürdigen Aufopferung sich eines rein Fremden annimmt, der, hätte er nicht den Vorzug von Ihnen empfohlen zu sein, sonst auch nicht das entfernteste Interesse einflößen könnte*1." Gouin war zeitlebens Meyerbeers einziger und wahrer Freund, mit dem dieser all die Dinge besprechen konnte, die er sonst nur seinem Bruder Wilhelm, der für ihn in Deutschland, vornehmlich in Berlin, eine ähnliche Stellung wie Gouin in Paris einnahm, anvertraute. Ihm konnte sich Meyerbeer 3*
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PARIS
restlos offenbaren; denn Gouin war eines vor allem: verschwiegen. Niemals legte er persönlichen Ehrgeiz an den Tag, um sich selbst bei irgendwelchen Aktionen in den Vordergrund zu spielen oder auch anderweitige persönliche Vorteile daraus zu ziehen. Niemand wird behaupten wollen, Meyerbeer habe den „billigeren" Gouin dem „kostspieligeren" Heine vorgezogen. Wenn die Freundschaft zwischen Meyerbeer und Gouin zeitlebens von unverminderter Herzlichkeit war, so ist es nicht zuletzt darauf zurüdkzuführen, daß sich zwischen beiden nie die Peinlichkeit des Geldgebens und Geldnehmens auftat. Nicht materielle, sondern ideelle Absichten standen für Gouin im Vordergrund. „Er war mir durch 25 Jahre ein treuer liebreicher ergebener Freund, mein Stab & meine Stütze in allen meinen künstlerischen Beziehungen in Paris. Sein Tod ist ein unersetzlicher Verlust für mich" vertraute Meyerbeer seinem Tagebuch am 13. Oktober 1856, dem Todestag Gouins, an. Heine hegte jedoch wenig Zuneigung für diesen wackeren Postbeamten und schildert ihn in seinen Briefen und Schriften als einen primitiven und ungeschickten Menschen, dessen Tätigkeit dem Ansehen Meyerbeers mehr Schaden als Nutzen einbrachte. Daß er ihn aus der Gunst Meyerbeers zu verdrängen suchte, um selbst dessen Stellung einzunehmen, wird — wie noch später zu zeigen ist — nur allzu deutlich und selbst von Hirth zugegeben, wie dieser audi einräumt, daß Heine zwischen Meyerbeer und Maurice Schlesinger, der dessen Verleger war, ebenfalls einen Keil zu treiben versuchte. In Paris gestaltete sich das persönliche Verhältnis zwischen Heine und Meyerbeer zunächst recht freundlich, wenn auch nicht innig. Heine, der sich stets in Geldnöten befand, versicherte den zahlungskräftigen Bekannten seiner Ergebenheit und hatte sehr bald herausgefunden, wo Meyerbeers Schwächen zu suchen waren. Hinzu kam, daß Meyerbeer sich mit seiner Oper Robert der Teufel die Spitzenposition der eben aufblühenden Großen Oper erobert hatte und bei seiner Empfindlichkeit gegenüber Presseangriffen für jeden lobenden Artikel dankbar war. Ein Opernerfolg wollte in damaliger Zeit nicht nur mit künstlerischen "Waffen erkämpft sein; vielmehr kam es darauf an, sich der Intrigen und Animositäten neidvoller Konkurrenten zu erwehren. Heine fühlte sehr wohl, daß er für dieses schwierige und nervenraubende Metier das gehörige Talent mitbrachte und bedeutete immer wieder seinem komponierenden Freunde, wie nützlich er hier und da hinter den Kulissen für seinen Ruhm wirken könne. Am 13. April 1832 ließ er in der Augsburger Allgemeinen Zeitung inmitten eines politischen Artikels geschickt einige Sätze über den Erfolg von Meyerbeers Robert le Diable einrücken, die in erweiterter Form 1833 in die bei Hoffmann und Campe in Hamburg erschienenen französischen Zustände übernommen wurden:
„ROBERT DER TEUFEL"
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„Meyerbeer hat das Unerhörte erreicht, indem er die flatterhaften Pariser einen ganzen Winter lang zu fesseln gewußt; noch immer strömt alles nach der Akademie de Musique, um „Robert le Diable" zu sehen; aber die enthusiastischen Meyerbeerianer mögen mir verzeihen, wenn ich glaube, daß mancher nicht bloß von der Musik angezogen wird, sondern auch von der politischen Bedeutung der Oper! Robert le Diable, der Sohn eines Teufels, der so verrucht war wie Philipp Egalite, und einer Fürstin, die so fromm war wie die Tochter Penthievres, wird von dem Geiste seines Vaters zum Bösen, zur Revolution, und von dem Geiste seiner Mutter zum Guten, zum alten Regime, hingezogen, in seinem Gemüte kämpfen die beiden angeborenen Naturen, er schwebt in der Mitte zwischen den beiden Prinzipien, er ist Justemilieu; — vergebens wollen ihn die Wolf schluchtstimmen der Hölle ins Mouvement ziehen, vergebens verlocken ihn — die Geister der Konvention, die als revolutionäre Nonnen aus dem Grabe steigen, vergebens gibt Robespierre in der Gestalt der Mademoiselle Taglioni ihm die Akkolade: er widersteht allen Anfechtungen, allen Verführungen, ihn leitet die Liebe zu einer Prinzessin beider Sizilien, die sehr fromm ist, und auch er wird fromm, und wir erblicken ihn am Ende im Schöße der Kirche, umsummt von Pfaffen und umnebelt von Weihrauch. Ich kann nicht umhin, zu bemerken, daß bei der ersten Vorstellung dieser Oper durch ein Versehen des Maschinisten das Brett der Versenkung, worin der alte Vater Teufel zur Hölle fuhr, ungeschlossen geblieben, und daß der Teufel Sohn, als er zufällig darauf trat, ebenfalls hinabsank. — Da in der Deputiertenkammer von dieser Oper so viel gesprochen worden, so war die Erwähnung derselben keineswegs diesen Blättern unangemessen. Die gesellschaftlichen Erscheinungen sind hier durchaus nicht politisch unwichtig, und ich begreife jetzt sehr gut, wie Napoleon in Moskau sich damit beschäftigen konnte, das Reglement für die Pariser Theater auszuarbeiten42..." Die Verbindung, die Heine hier zwischen .der politischen Zeitsituation und der Oper konstruiert, ist zwar kühn, aber genial, und wie instinktiv er das Richtige erahnte ohne es voll begreifen zu können, beweist seine Erwähnung der „Wolfschluditstimmen", womit er die leise Verwandtschaft des Robert mit dem Freischütz C. M. v. Webers andeutet. Im 7. Gedicht seines Zyklus Angelique streift der Dichter sehr launig einen Vorteil, den ihm die Bekanntschaft mit Meyerbeer einbrachte, den kostenlosen Opernbesuch43, wobei allerdings zu beachten ist, daß die beiden letzten Strophen in der damaligen ersten Druckfassung nicht enthalten waren:
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PARIS
Ja freilich du bist mein Ideal Hab's dir ja oft bekräftigt Mit Küssen und Eiden sonder Zahl; Doch heute bin ich beschäftigt. Komm morgen zwischen zwei und Dann sollen neue Flammen Bewähren meine Schwärmerei; Wir essen nachher zusammen. Wenn ich Billete bekommen Bin ich sogar kapabel, Dido in die Oper zu führen Man gibt Robert-le-Diable.
drei,
kann alsdann:
Zauberstück Es ist ein großes Voll Teufelslust und Liebe; Von Meyerbeer ist die Musik, Der schlechte Text von Scribe. Meistens war es Gouin, der dem Dichter die gewünschten Plätze besorgen mußte und darüber keineswegs sehr erbaut war. In einem Brief vom 29. Januar 1833, der möglicherweise mit dem etwa 1832/33 entstandenen Gedicht Heines in engem Zusammenhang steht, beklagt sidi Gouin gegenüber Meyerbeer, daß er von Heine schon wieder um zwei Plätze in der 3. Loge 4 4 gebeten worden sei, für zwei Damen, die sicherlich über sein unsterbliches Werk in höchstes Entzücken geraten, aber weder Arme noch Beine für ihn rühren würden, und das sei nicht das, was er brauche. Heine wußte, daß Meyerbeer bei seiner ängstlichen Gemütsveranlagung alles aufbot, um einen drohenden Presseangriff gegen sich abzuwehren, und daß er vor allem auch dazu die erforderlichen Mittel besaß. Auch für die übrigen Journalisten, nicht nur in Paris, gab es keinen einfacheren Weg um sich Geld zu verschaffen, als Meyerbeer gelegentlidi die Information zuzuspielen, daß ihm wieder ein Pressefeldzug drohe. Meyerbeer war schwach genug, um sich in solchen Fällen zu einem Geldopfer bewegen zu lassen. Es ist dabei aber eine unumstrittene Tatsache und muß gerade zu Anfang der sich nun anspinnenden Presseaffären herausgehoben werden, daß Meyerbeer es stets vermied, von sich aus Journalisten durch Zuwendung eines Geldbetrages für eine bestimmte schriftliche Stellungnahme zu gewinnen. Umgekehrt wurde natürlich audi Meyerbeer nicht in konkreter Form vor eine Alternative gestellt, dafür hatte man feinere und unauffälligere Mittel
ERSTE GELDFORDERUNGEN
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parat. Wie Meyerbeer in Wahrheit über die bestechlichen Journalisten dachte, verrät eine Stelle seines Tagebuches aus dem Jahre 1846: 12. Dez. 1846 „Unglaublicher Brief (Zeichen der heutigen Zeit) von Pierson, worin er mich auffordert, ihm ein schriftliches Zeugnis seines musikalischen Talents zu geben, und sich erbietet, in diesem Falle für midi und gegen diejenigen Künstler, welche er als meine Feinde bezeichnet, zu schreiben! O! welch verächtliche Zeit, worin ein solcher Brief etwas ganz Gewöhnliches ist." Eine derartige Äußerung, deren Echtheit und Lauterkeit dadurch verbürgt ist, daß sie in seinem Tagebuch steht, das laut Testamentsverfügung verbrannt werden sollte, also für keinen Menschen außer Meyerbeer selbst bestimmt war, ist ein Beweis dafür, daß dieser weit davon entfernt war, sich der korruptiven Möglichkeiten seiner Zeit zu bedienen und mit silbernen Lanzen zu kämpfen. Prüft man die Briefe Heines aus der folgenden Zeit, so fällt sofort ins Auge, daß hier höchst selten konkrete Dinge zur Sprache kommen, sondern daß sich der Dichter vielmehr immer nur in vorsichtigen Andeutungen bewegt, wohl wissend, daß er damit dem ängstlichen und mißtrauischen Meyerbeer gegenüber die stärkste Tonart anschlug. Manches mag bei diesen bloßen Andeutungen auf das Konto der damals scharf geübten Brief zensur zu setzen sein, aber auch nur manches. Wenn Heine in dem folgenden Brief von „blindem Vertrauen" spricht, um gegen Ende seiner Epistel mit der konkreten Forderung von 500 fr. — dem bei ihm üblichen Satz — herauszurücken, so kann man sich eines Kommentars enthalten, zumal Meyerbeer absolut im unklaren darüber gelassen wird, wofür er das Geld eigentlich zahlen sollte: den 6. April 1835 Werthester Freund! Da der Brief, den ich Ihnen nach Nice geschrieben, nicht angekommen, wage ich heute nicht, mich über delikate Dinge auszusprechen in geschriebenen Worten, und ich denke, es ist besser, daß ich Sie zu blindem Vertrauen auffordere. Ich glaube, ich darf es. Ich zeige mich oft in unrühmlichem Lichte, die meisten Menschen persiftire ich oder mystifizire ich, ich handle selten wie ein Marquis Posa und noch seltener wie ein Titus (ich spreche von dem Titus, wie ihn die Römer schildern und wie ihn Mozart componirt; der wirkliche Titus, wie wir sehr gut wissen, war ein Rosche). Wie gesagt, ich bin kein Posa, kein Titus Vespasianus, kein Nathan der Weise, ich bin sogar das Gegentheil, kurz, es ist viel bedenkliches über mich zu sagen... Aber das ist sicher, in der Tiefe meines Herzens wohnt Sympathie für alles, was herrlich und tragisch ist, für die Mitmärtyrer in der Poesie und Kunst, Sympathie für das verwandte Genie. Ich bestehe vielleicht aus zwey Personen;
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PARIS
die eine, die bessere Person, schreibt Ihnen heute; sie schreibt auch nicht an den gewöhnlichen Meyerbeer, der gewöhnlich einen braunen Rock trägt und sehr gequält wird von Impressionen, schlechten Sängern, aufgeklärten Israeliten, vorurtheilsfreyen Christen, schätzenswerthen Dilettanten, Inhabern von Albums (an diesen Meyerbeer habe ich diese Tage einen Empfehlungsbrief geschrieben, den ihm ein junger Sprachlehrer mosaischer Confesion, welcher wahrscheinlich auch Violine spielt, überreichen wird) — ich schreibe an den zweyten Meyerbeer, den Maestro divino, den Schöpfer, den Triumphator mit dem Lorbeerkranz, den Geisterfürsten, an den die Menschen, eben so wie an mich, noch lange denken werden. ]a, ich überlasse mich der wehmütig übelen Hoffnung, daß man den Namen dieses Μeyerbeers nicht selten mit dem meinigen zusammen nennen wird, wenn wir nebbich beide längst im Grabe liegen. — So eben bin ich im Pathos unterbrochen worden durch eine Visite des Herrn Büloz, welcher, als ich ihm sagte, an wen ich schreibe, mich sehr bat, Sie daran zu erinnern, daß Sie ihm einen Aufsatz sur la composition musicale versprochen haben. (Wann kommt der Messias?) Auch solle ich Sie daran erinnern, daß Sie ihm bald die biographischen Notizen schicken, die er nöthig hat, damit, wenn Ihre Oper anlangt, gleich eine gründliche Arbeit über Sie fertig seyn kann. Der Abbe Mainzer, dem ich einen Eintritt in die Revue verschafft, hat sich gegen Büloz schlingelhaft betragen, und letzterer hat jetzt große Abneigung gegen Deutsche, die ich keineswegs zu mildern suche. Auch gegen Schlesinger ist Büloz in diesem Augenblick mit Recht sehr ungehalten; er hat sich wenigstens unklug betragen bey Gelegenheit der Juive. Über die Vortrefflichkeit dieser Oper ist in ganz Paris nur eine Stimme, und diese einzige Stimme ist von Herrn Maurice Schlesinger. Dieser ist jetzt sehr ägrirt, daß das Publikum ihm nicht aufs Wort glaubt und diese Oper vortrefflich findet. Es muß ihn und Veron verdrießen, daß das Publikum sich weder von ihren Coulissen noch Trompeten betrügen läßt; diese Herren meinten schon, sie wären die Schöpfer der Renomeen. Dem Schlesinger wird seine Halsstarrigkeit viel Geld kosten. — Doch ich habe Ihnen wichtigeres zu schreiben, nemlich meine deutsche Noth. Germania, die alte Bärin, hat alle ihre Flöhe auf Paris ausgeschüttet und ich Aermster werde davon am unaufhörlichsten zernagt. Herr Spazier, wie ich vorausgesehen, dient allem deutschen Lumpengesindel jetzt als Foyer. Die erste Nummer seiner Revue du Nord ist erschienen; die Malizen sind darin erst angekündigt. Bis jetzt habe ich den bewußten Niederträchtigkeiten, so viel ich weiß, vorgebeugt, mit Klugheit und Geld. Leider ist er nicht der einzige dieser Sorte, eben so widerwärtige, ekelhafte Erscheinungen haben sich seitdem hier kund gegeben. (Sie werden sich über die Unverschämtheiten wundern). Das freche Gesindel häuft sich hier täglich,
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„DIE HUGENOTTEN"
und ich habe die Wahl, sie entweder zu unterstützen und der Chef einer Räuberbande zu werden, oder sie bestimmt abzuweisen und beständig von ihnen inkommodirt zu seyn. — Peinigend, widerwärtige Geschichten; eine derselben (vous y etes beaucoup) drängt mich in diesem Augenblick, an Sie zu schreiben. Ich habe keinen Tag zu verlieren, wenn ich großen Aergernissen zuvorkommen will. Mit Widerwillen entschließe ich mich dazu, denn ich muß wieder Geld von Ihnen verlangen. Diese Menschen sind noch gefährlicher, wenn sie nicht zu essen haben. Meine Mittel sind erschöpft. Von einer Summe von 2000 Franks, die ich jüngst als Etrennes von meinem Oheim erhielt, habe ich 700 francs an deutsche Hungerleider spenden müssen. Heute müssen Sie wieder helfen und unverzüglich einen Betrag von fünfhundert, sage fünfhundert Franks zu meiner Verfügung stellen. Wenn ich sie nicht gleich habe, kann es nichts helfen. Sie werden sehen, ich verwende sie auf eine höchst nützliche Art, höchst ersprießlich für die Folge. Unsere Nöthen sind hier wieder gemeinschaftlicher Natur. Jedenfalls werde ich Ihnen von jedem Sous strenge Rechenschaft ablegen, und was Sie nicht billigen, gebe ich Ihnen zurück. Ich bin, wie gesagt, meinerseits ganz ausgebeutelt worden, und die Sache ist höchst dringend. Ich erwarte daher umgehend Ihren Brief nebst Subsidien. Meine Addresse ist Η. H., rue de Petits Augustins No. 4, Hotel d'Espagne. Mündlid) (man sagt, Sie kämen Ende des Monaths) werde ich Ihnen erzählen, wie nöthig und dringend mein(en) heutiger Brief war. Sie sind so reich, Sie geben so viel weg für fremde Misere, so daß ich nicht zu sthonen brauche. Dabey wissen Sie, im Verhältniß kosten mir die Dinge weit mehr als Ihnen, da ein Frank bey mir mehr Werth hat als bey Ihnen 400; und ich erspare Ihnen Noth und Schererey. Ach, diese Woche habe ich deren vollauf. Die zwey ersten Bände meines Buches de l'Allemagne werden in einigen Tagen erscheinen, und dann muß ich überall poignees de main geben und als Lohnlakay meines eignen Ruhmes in ganz Paris herumlaufen. Wissen Sie mir für den 3ten Band de l'Allemagne keinen schon gedruckten oder erst geschriebenen Aufsatz über deutsche Musik, den ich übersetzt mittheilen kann? — Dodv ich muß abbrechen; in diesem Augenblick kommt Herr Marmier und stört mich und läßt Sie herzlich grüßen. Leben Sie wohl und behalten Sie lieb Ihren H. Heine46 Am 29. Februar 1836 fand in der Pariser Grand Op6ra die Uraufführung der Hugenotten statt, mit der Meyerbeer seine durch den Robert errungene
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Vorrangstellung in Paris festigte. Zweifellos bildet diese Oper den Höhepunkt seiner künstlerischen Leistungen. Dem ohngeachtet waren unerquickliche Kabalen voraufgegangen. Zahlreiche Umänderungen, die nicht nur Meyerbeer selbst, sondern auch die Hauptdarsteller Adolphe Nourrit und Mademoiselle Falcon von dem Textdichter Scribe verlangten, hatten zur Folge, daß Meyerbeer mit der Komposition nicht termingerecht fertig wurde und sidi unter einem familiären Vorwand aus der Affäre zu ziehen versuchte. Veron, der damalige Operndirektor, bestand jedoch unklugerweise, seine eigenen Kräfte über- und Meyerbeers Hartnäckigkeit weit unterschätzend, auf der Einhaltung des Termins und forderte andernfalls eine Enschädigung von 30000 fr., wovon 10000 fr. Scribe als Textdichter zufließen sollten, während der Rest für seine eigene Schatulle gedacht war. Damit hatte er aber eine Situation heraufbeschworen, die ihm großen Schaden und wenig Nutzen bringen konnte, denn gegen die Summen, die ihm Meyerbeers Robert allabendlich einspielte (bis zu 10000 fr.) war der Betrag der Konventionalstrafe eine Bagatelle. Meyerbeer, den 30 000 fr. nicht arm machten, legte dem verdutzten Operndirektor das Geld auf den Tisch und reiste nach Italien, in seinem Gepäck die Hugenottenpartitur. Mit Scribes Hilfe hoffte der Komponist das Werk auf ein neues Sujet umarbeiten zu können, um es in verkleinerten Dimensionen für das künstlerisch geringwertigere Theatre Faydeau einzurichten. Veron jedoch hatte seinen Ruf verspielt, als sich Meyerbeer von der Academie zurückzog; für ihn gab es an der Pariser Oper -nun nichts mehr zu verdienen und zwangsläufig schied er Ende 1835 aus dem Unternehmen aus, übrigens ein Beweis dafür, welch hervorragende Stellung Meyerbeer schon damals in der Pariser Musikwelt einnahm. Verons Nachfolger Edmond Duponchel war nicht nur umsichtiger, sondern audi elastischer als dieser, zahlte nach Übernahme der Direktionsgeschäfte sofort die 20 000 fr. an Meyerbeer zurück und sicherte sich somit die Sympathie und die Hugenottenpartitur des Komponisten. Tatsächlich brachten die Hugenotten der Acad£mie die größten Kasseneinnahmen, die jemals in Paris registriert wurden. Der Erfolg der Hugenotten war unbeschreiblich. Die Zeitungen ergingen sich in lauten Elogen und selbst im Charivari, der Meyerbeer wenig gewogen war, las man das feuilletonistische Wortspiel, daß die Hugenotten keinen einzigen Protestanten im Saal gefunden hätten. Trotzdem regten sidi die Neider sehr spürbar, und namentlich Rossini und Halevy bemühten sich, den Erfolg des Stückes zu schmälern. Man versuchte, die Hauptdarstellerin Falcon zu überreden, eine Unpäßlichkeit vorzutäuschen, um das Stück, dessen Aufführung in zweiter Besetzung Meyerbeer nie gestattet hätte, vom Spielplan zu verdrängen. Für Meyerbeer gab es in dieser Zeit viel Ärger und für Gouin viel zu tun. Heine ließ am 8. März 1836 in
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der Augsburger Allgemeinen Zeitung einen Artikel veröffentlichen, in dem er seine Eindrücke über die Uraufführung wiedergibt: Meyerbeers „Hugenotten". Paris, 1. März. Für die schöne Welt von Paris war gestern ein merkwürdiger Tag: die erste Vorstellung von Meyerbeers langersehnten „Hugenotten" gab man in der Oper, und Rothschild gab seinen ersten großen Ball in seinem neuen Hotel. Ich wollte von beiden Herrlichkeiten an demselben Abend genießen und habe mich so übernommen, daß ich noch wie berauscht hin, daß mir Gedanken und Bilder im Kopfe taumeln, und daß ich vor lauter Betäubnis und Ermüdung fast nicht schreiben kann. Von Beurteilung kann gar nicht die Rede sein. „Robert le Diable" mußte man ein dutzendmal hören, ehe man in die ganze Schönheit dieses Meisterwerkes eindringen konnte. Und wie Kunstrichter versichern, soll Meyerbeer in den Hugenotten noch größere Vollendung der Form, noch geistreichere Ausführung der Details gezeigt haben. Er ist wohl der größte jetzt lebende Kontrapunktist, der größte Künstler in der Musik; er tritt diesmal mit ganz neuen Formschöpfungen hervor, er schafft neue Formen im Reiche der Töne; und auch neue Melodien gibt er, ganz außerordentliche, aber nicht in anarchischer Fülle, sondern wo er will und wann er will, an der Stelle, wo sie nötig sind. Hierdurch eben unterscheidet er sid) von andern genialen Musikern, deren Melodienreichtum eigentlich ihren Mangel an Kunst verrät, indem sie von der Strömung ihrer Melodien sich selber hinreißen lassen und der Musik mehr gehorchen als gebieten. Ganz richtig hat man gestern im Foyer der Oper den Kunstsinn von Meyerbeer mit dem Goetheseben verglichen. Nur hat im Gegensatz gegen Goethe bei unserm großen Maestro die Liebe für seine Kunst, für die Musik, einen so leidenschaftlichen Charakter angenommen, daß seine Verehrer oft für seine Gesundheit besorgt sind. Von diesem Manne gilt wahrhaftig das orientalische Gleichnis von der Kerze, die, während sie andern leuchtet, sich selber verzehrt. Auch ist er der abgesagte Feind von aller Unmusik, allen Mißtönen, allem Gegröhle, allem Gequieke, und man erzählt die spaßhaftesten Dinge von seiner Antipathie gegen Katzen und Katzenmusik. Schon die Nähe einer Katze kann ihn aus dem Zimmer treiben, sogar ihm eine Ohnmacht zuziehen. Ich bin überzeugt, Meyerbeer stürbe, wenn es nötig wäre, für einen musikalischen Satz wie andere etwa für einen Glaubenssatz. Ja, ich bin der Meinung, wenn am Jüngsten Tage ein Posaunenengel schlecht bliese, so wäre Meyerbeer kapabel, im Grabe ruhig liegen zu bleiben und an der allgemeinen Auferstehung gar keinen Teil zu nehmen. Durch seinen Enthusiasmus für die Sache sowie auch durch seine persönliche Bescheidenheit, sein edles, gütiges Wesen besiegt er gewiß auch jene kleine Opposition, die, hervorgerufen durch den kolossalen
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Erfolg von Robert le Diable, seitdem hinlängliche Muße hatte, sich zu vereinigen, und die gewiß dieses Mal bei dem neuen Triumphzug ihre bösmäuligsten Lieder ertönen läßt. Es darf Sie daher nicht befremden, wenn vielleicht einige grelle Mißlaute in dem allgemeinen Beifallsrufe vernehmbar werden. Ein Musikhändler, welcher nicht der Verleger der neuen Oper, wird wohl das Mittelpünktchen dieser Opposition bilden, und an diesen lehnen sich einige musikalische Renommeen, die längst erlosdoen oder noch nie geleuchtet. — Es war gestern abend ein wunderbarer Anblick, das eleganteste Publikum von Paris, festlich geschmückt, in dem großen Opernsaale versammelt zu sehen mit zitternder Erwartung, mit ernsthafter Ehrfurcht, fast mit Andacht. Alle Herzen schienen erschüttert. Das war Musik. — Und darauf der Rothschildsche Ball. Da ich ihn erst um vier Uhr diesen Morgen verlassen und noch nicht geschlafen habe, bin ich zu sehr ermüdet, als daß ich Ihnen von dem Schauplatze dieses Festes, dem neuen, ganz im Geschmack der Renaissance erbauten Palaste, und von dem Publikum, das mit Erstaunen darin umherwandelte, einen Bericht abstatten könnte. Dieses Publikum bestand wie bei allen Rothsch'üdschen Soireen in einer strengen Auswahl aristokratischer Illustrationen, die durch große Namen oder hohen Rang, die Frauen aber mehr durch Schönheit und Putz, imponieren könnten. Was jenen Palast mit seinen Dekorationen betrifft, so ist hier alles vereinigt, was nur der Geist des 16. Jahrhunderts ersinnen und das Geld des 19. Jahrhunderts bezahlen konnte; hier wetteiferte der Genius der bildenden Kunst mit dem Genius von Rothschild. Seit zwei Jahren ward an diesem Palast und seiner Dekoration beständig gearbeitet, und die Summen, die daran verwendet worden, sollen ungeheuer sein. Herr von Rothschild lächelt, wenn man ihn darüber befragt. Es ist das Versailles der absoluten Geldherrschaft. Indessen muß man den Geschmack, womit alles ausgeführt ist, ebensosehr wie die Kostbarkeit der Ausführung bewundem. Die Leitung der Verzierungen hatte Hr. Duponchel übernommen, und alles zeugt von seinem guten Geschmack. Im Ganzen sowie in Einzelheiten erkennt man auch den feinen Kunstsinn der Dame des Hauses, die nicht bloß eine der hübschesten Frauen von Paris ist, sondern, ausgezeichnet durch Geist und Kenntnisse, sich auch praktisch mit bildender Kunst, nämlich Malerei, beschäftigt. — Die Renaissance, wie man das Zeitalter Franz' I. benannt, ist jetzt Mode in Paris. Alles möbliert und kostümiert man jetzt im Geschmacke dieser Zeit; ja, manche treiben dieses bis zur Wut. Was bedeutet diese plötzlich erwachte Leidenschaft für jene Epoche der erwachten Kunst, der erwachten Lebensheiterkeit, der erwachten Liebe für das Geistreiche in der Form der Schönheit? Vielleicht liegen in unserer Zeit einige Tendenzen, die sich durch diese Sympathie beurkunden4β.
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Bei dem erwähnten Musikhändler handelt es sich um die Gebrüder Escudier, die alle Mittel aufboten, um mit Meyerbeer ins Geschäft zu kommen. Da das nicht gelang, nahmen sie keinen Anstand, die gehässigsten Angriffe gegen ihn zu lancieren. Diese Hugenotten-Besprechung bedeutet Heines nachdrücklichstes Eintreten für Meyerbeer, wie Hirth ausführt47. Trotzdem darf man den "Wert dieses Artikels für Meyerbeer nicht überschätzen, denn bei dem allgemeinen Enthusiasmus der Presse für die neue Oper, in den auch Hector Berlioz mit seinen Rezensionen einstimmte, war Heines Artikel nur ein Glied in der großen Kette, noch dazu eines der letzten, da sein Hugenotten-Beitrag erst am 8. März, also sehr verspätet erschien. Schon zwei Tage früher berichtete Meyerbeer über den Gesamteindruck der Pariser Blätter an seine Frau: 6. III. 1836. „Mit dem Ton der Journale bin ich ganz außerordentlich zufrieden, nicht nur mit den lobenden, sondern sogar mit den tadelnden. 2 Journale unter 20 und 30 sind die einzigen, die unbedingt und bitter tadeln. Ich habe Dir schon einige Journale gesd>i alsdann nicht zufrieden, bis die Schöpfung seines Geistes sich auch glänzend dem übrigen Volke offenbart, bis das ganze Publikum von seiner Musik erbaut wird, bis seine Oper in alle Herzen die Gefühle gegossen, die er der ganzen Welt predigen will, bis er mit der ganzen Menschheit kommuniziert hat. Wie der Apostel, um eine einzige verlorene Seele zu retten, weder Mühe noch Schmerzen achtet, so wird auch Meyerbeer, erfährt er, daß irgend jemand seine Musik verleugnet, ihm unermüdlich nachstellen, bis er ihn zu sich bekehrt hat; und das einzige gerettete Lamm und sei es auch die unbedeutendste Feuilletonistenseele, ist ihm dann lieber als die ganze Herde von Gläubigen, die ihn immer mit orthodoxer Treue verehrten. Die Musik ist die Überzeugung von Meyerbeer, und das ist vielleicht der Grund aller jener Ängstlichkeiten und Bekümmernisse, die der große Meister so oft an den Tag legt, und die uns nicht selten ein Lächeln entlocken. Man muß ihn sehen, wenn er eine neue Oper einstudiert; er ist dann der Plagegeist aller Musiker und Sänger, die er mit unaufhörlichen Proben quält. Nie kann er sich ganz zufrieden geben, ein einziger falscher Ton im Orchester ist ihm ein Dolchstich, woran er zu sterben glaubt. Diese Unruhe verfolgt ihn noch lange, wenn die Oper bereits aufgeführt und mit Beifallsrausch empfangen worden. Er ängstigt sich dann noch immer, und ich glaube, er gibt sich nicht eher zufrieden, als bis einige tausend Menschen, die seine Oper gehört und bewundert haben, gestorben und begraben sind; bei diesen wenigstens hat er keinen Abfall zu befürchten, diese Seelen sind ihm sicher. An den Tagen, wo seine Oper gegeben wird, kann es ihm der liebe Gott nie recht machen; regnet es und ist es kalt, so fürchtet er, daß Mademoiselle Falcon den Schnupfen bekomme, ist hingegen der Abend hell und warm, so fürchtet er, daß das schöne Wetter die Leute ins Freie locken und das Theater leer stehen möchte. Nichts ist der Peinlichkeit zu vergleichen, womit Meyerbeer, wenn seine Musik endlich gedruckt wird, die Korrektur besorgt; diese unermüdliche Verbesserungssucht während der Korrektur ist bei den Pariser Künstlern zum Sprichwort geworden. Aber man bedenke, daß ihm die Musik über alles teuer ist, teurer gewiß als'sein Leben. Als die Cholera in Paris zu wüten begann, beschwor ich Meyerbeer, so schleunig als möglich abzureisen; aber er hatte noch für einige Tage Geschäfte, die er nicht hintenan setzen konnte, er hatte mit einem Italiener das italienische Libretto für „Robert le Diable" zu arrangieren.
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Weit mehr als „Robert le Diable" sind die „Hugenotten" ein Werk der Überzeugung, sowohl in Hinsicht des Inhalts als der Form. Wie ich schon bemerkt habe, während die große Menge vom Inhalt hingerissen wird, bewundert der stillere Betrachter die ungeheuren Fortschritte der Kunst, die neuen Formen, die hier hervortreten. Nach dem Ausspruch der kompetentesten Richter müssen jetzt alle Musiker, die für die Oper schreiben wollen, vorher die „Hugenotten" studieren. In der Instrumentation hat es Meyerbeer am weitesten gebracht. Unerhört ist die Behandlung der Chöre, die sich hier wie Individuen aussprechen und aller opernhajten Herkömmlichkeit entäußert haben. Seit dem „Don Juan" gibt es gewiß keine größere Erscheinung im Reiche der Tonkunst als jener vierte Akt der „Hugenotten", wo auf die grauenhaft erschütternde Szene der Schwerterweihe, der eingesegneten Mordlust, noch ein Duo gesetzt ist, das jenen ersten Effekt noch überbietet; ein kolossales Wagnis, das man dem ängstlichen Genie kaum zutrauen sollte, dessen Gelingen aber ebensosehr unser Entzücken wie unsere Verwunderung erregt50. Was mich betrifft, so glaube ich, daß Meyerbeer diese Aufgabe nicht durch Kunstmittel gelöst hat, sondern durch Naturmittel, indem jenes famose Duo eine Reihe von Gefühlen ausspricht, die vielleicht nie, oder wenigstens nie mit solcher Wahrheit, in einer Oper hervorgetreten, und für welche dennoch in den Gemütern der Gegenwart die wildesten Sympathien auflodern. Was mich betrifft, so gestehe ich, daß nie bei einer Musik mein Herz so stürmisch pochte wie bei dem vierten Akte der Hugenotten, daß ich aber diesem Akte und seinen Aufregungen gern aus dem Wege gehe und mit weit größerem Vergnügen dem zweiten Akt beiwohne. Dieser ist ein Idyll, das an Lieblichkeit und Grazie den romantischen Lustspielen von Shakespeare, vielleicht aber noch mehr dem „Aminta" von Tasso ähnlich ist. In der That, unter den Rosen der Freude lauscht darin eine sanfte Schwermut, die an den unglücklichen Hofdichter von Ferrara erinnert. Es ist mehr die Sehnsucht nach der Heiterkeit als die Heiterkeit selbst, es ist kein herzliches Lachen, sondern ein Lächeln des Herzens, eines Herzens, welches heimlich krank ist und von Gesundheit nur träumen kann. Wie kommt es, daß ein Künstler, dem von der Wiege an alle blutsaugenden Lebenssorgen abgewedelt worden, der, geboren im Schöße des Reichtums, gehätschelt von der ganzen Familie, die allen seinen Neigungen bereitwillig, ja enthusiastisch frönte, weit mehr als irgend ein sterblicher Künstler zum Glück berechtigt war, — wie kommt es, daß dieser dennoch jene ungeheurerl Schmerzen erfahren hat, die uns aus seiner Musik entgegenseufzen und -schluchzen? Denn was er nicht selber empfindet, kann der Musiker nicht so gewaltig, nicht so erschütternd aussprechen. Es ist sonderbar, daß der Künstler, dessen materielle Bedürfnisse befriedigt sind, desto unleidlicher von moralischen Drangsalen heimgesucht
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wird! Aber das ist ein Glück für das Publikum, das den Schmerzen des Künstlers seine idealsten Freuden verdankt. Der Künstler ist jenes Kind, wovon das Volksmärchen erzählt, daß seine Thränen lauter Perlen sind. Ach! die böse Stiefmutter, die Welt, schlägt das arme Kind um so unbarmherziger, damit es nur recht viele Perlen weine! Man hat die „Hugenotten" mehr noch als „Robert le Diable" eines Mangels an Melodien zeihen wollen. Dieser Vorwurf beruht auf einem Irrtum. „Vor lauter Wald sieht man die Bäume nicht". Die Melodie ist hier der Harmonie untergeordnet, und bereits bei einer Vergleichung mit der Musik Rossinis, worin das umgekehrte Verhältnis stattfindet, habe ich angedeutet, daß es diese Vorherrschaft der Harmonie ist, welche die Musik von Meyerbeer als eine menschheitlich bewegte, gesellschaftlich moderne Musik charakterisiert. An Melodien fehlt es ihr wahrlich nicht, nur dürfen diese Melodien nicht störsam schroff, ich möchte sagen egoistisch, hervortreten, sie dürfen nur dem Ganzen dienen, sie sind diszipliniert statt daß bei den Italienern die Melodien isoliert, ich möchte fast sagen außergesetzlich, sich geltend machen, ungefähr wie ihre berühmten Banditen. Man merkt es nur nicht; mancher gemeine Soldat schlägt sich in einer großen Schlacht ebenso gut wie der Kalabrese, der einsame Raubheld, dessen persönliche Tapferkeit uns weniger überraschen würde, wenn er unter regulären Truppen, in Reih und Glied sich schlüge. Ith will einer Vorherrschaft der Melodie beileibe ihr Verdienst nicht absprechen, aber bemerken muß ich, als eine Folge derselben sehen wir in Italien jene Gleichgültigkeit gegen das Ensemble der Oper, gegen die Oper als geschlossenes Kunstwerk, die sich so naiv äußert, daß man in den Logen, während keine Bravourpartien gesungen werden, Gesellschaft empfängt, ungeniert plaudert, wo nicht gar Karten spielt. Die Vorherrschaft der Harmonie in den Meyerbeerschen Schöpfungen ist vielleicht eine notwendige Folge seiner weiten, das Reich des Gedankens und der Erscheinungen umfassenden Bildung. Zu seiner Erziehung wurden Schätze verwendet, und sein Geist war empfänglich; er ward früh eingeweiht in allen Wissenschaften und unterscheidet sich auch hierdurch von den meisten Musikern, deren glänzende Ignoranz einigermaßen verzeihlich, da es ihnen gewöhnlich an Mitteln und Zeit fehlte, sich außerhalb ihres Faches große Kenntnisse zu erwerben. Das Gelernte ward bei ihm Natur, und die Schule der Welt gab ihm die höchste Entwicklung; er gehört zu jener geringen Zahl Deutscher, die selbst Frankreich als Muster der Urbanität anerkennen mußte. Solche Bildungshöhe war vielleicht nötig, wenn man das Material, das zur Schöpfung der „Hugenotten" gehörte, zusammenfinden und sicheren Sinnes gestalten wollte. Aber ob nicht, was an Weite der Auffassung und Klarheit des Überblicks gewonnen ward, an anderen Eigen-
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scbaften verloren ging, das ist eine Frage. Die Bildung vernifhtet bei dem Künstler jene scharfe Accentuation, jene schroffe Färbung, jene Ursprünglichkeit der Gedanken, jene Unmittelbarkeit der Gefühle, die wir bei rohbegrenzten, ungebildeten Naturen so sehr bewundern. Die Bildung wird überhaupt immer teuer erkauft, und die kleine Blanka hat recht. Dieses etwa achtjährige Töchterchen von Meyerbeer beneidete den Müßiggang der kleinen Buben und Mädchen, die sie auf der Straße spielen sieht, und äußerte sich jüngst folgendermaßen: „Welch ein Unglück, daß ich gebildete Eltern habe! Ich muß von Morgen bis Abend alles Mögliche auswendig lernen und still sitzen und artig sein, während die ungebildeten Kinder da unten den ganzen Tag glücklich herumlaufen und sich amüsieren können51!" In diesem Artikel hat Heine mit Abstand das Treffendste niedergeschrieben, was jemals über Meyerbeer gesagt wurde. Vielleicht ist es auch nicht Zufall, daß in dieser Studie die Persiflage kaum in den' Vordergrund tritt. Selten ist Heine wie hier auf wirkliche musikalische Probleme eingegangen, etwa in der Konfrontierung des Melodikers Rossini und des Harmonikers Meyerbeer. Was Heine über Meyerbeers Sorgfalt in der Inszenierung sagt, ist korrekt und berührt ohne Impetus das Problem Meyerbeerscher Kunst überhaupt. Er war einer der ersten Opernmeister, für die der Schaffensvorgang nicht mit der Komposition abgeschlossen war, sondern die noch die Inszenierung mit all ihren aufreibenden Begleiterscheinungen einbezogen. Der Dichter erkennt auch sehr deutlich in der ausgezeichneten Bildung, dem Reichtum und der hochherrschaftlichen Haushaltsführung Meyerbeers einen Wesensunterschied zu anderen Komponisten seiner Zeit. In der Tat fehlt Meyerbeers Opern die Ursprünglichkeit. Alles ist sorgfältig, ökonomisch und wohlüberlegt disponiert, aber niemals ursprünglich. Meyerbeer schuf nicht mit leichter Hand, sondern mußte sich für einen musikalischen Gedanken quälen. Er war als Künstler seiner nie sicher, und wenn Heine seinen Robert ein Meisterwerk der Zagheit nennt, so rührt er an den Nerv der Dinge. Wichtig, gerade im Hinblick auf Heine selbst, ist auch die Bemerkung, Meyerbeer sei nur geizig in Ausgaben, die seine Person betrafen, anderen gegenüber aber die Freigebigkeit selbst gewesen. Des Dichters Hinweis auf die politische und aktuelle Bedeutung der Meyerbeersdien Opern, der an anderer Stelle nochmals wiederholt wird, ist ein wichtiger Fingerzeig für die musikwissenschaftliche Forschung, den soziologischen Bedeutungsgehalt dieser Werke einmal zu untersuchen und auszuschöpfen. Interessant ist auch Heines Hinweis, daß man den Hugenotten einen Mangel an Melodie vorgeworfen habe — was natürlich im Vergleich zu Rossini verstanden werden muß —, ein Vorwurf, dem sich später bekanntlich auch Wagner ausgesetzt sah. Daß
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Heines Schilderung der Amalie Beer einen nachhaltigen Eindruck auf den Komponisten gemacht hat, ist bei dessen tiefer Verehrung seiner Mutter nur zu verständlich. Neben seiner Struensee-Rezension hat sich Heine auch mit diesen Sätzen die bleibende Zuneigung dieser weitgeachteten Frau gesichert, und ihrer ausgleichenden Güte mag Heine später so manch nachgiebiges Verhalten Meyerbeers zu danken gehabt haben. Den fertigen Artikel übersandte er sogleich dem Komponisten, der über diesen Lobeshymnus recht erfreut gewesen zu sein scheint, da er unmittelbar danach daran ging, einen T e x t Heines zu vertonen. Am 8. März 1838 vollendete er die Komposition zu dem hübschen Gedicht „Die Rose, die Lilie, die Taube", die zwei Jahre später bei Breitkopf Sc Härtel in Leipzig im Druck erschien. Es ist schwierig zu entscheiden, ob Heines Aufsatz ganz ohne Eigennutz geschrieben wurde, oder ob der Dichter nicht nur ein günstiges Klima für seine weiteren Absichten schaffen wollte. Gerade im Falle Heine sollte man Hypothesen tunlichst vermeiden, aber es fällt zumindest auf, daß sich Heine sogleich nach Erscheinen des Artikels an den Meister wandte, um ihn für ein privates Anliegen zu gewinnen. Seit einem Jahr bemühte sich der Dichter vergeblich, seinen Onkel Salomon Heine zur Zahlung einer festen Jahresrente zu bewegen, nun sollte Meyerbeer gewissermaßen auf Millionärsebene mit dem Onkel darüber verhandeln. Damit wurde Meyerbeer in den unwürdigen Erbschaftsstreit hineingerissen, der viel dazu beigetragen hat, daß sich das freundschaftliche Verhältnis zu dem Dichter nach und nach zu lösen begann und schließlich bis zur offenen Feindschaft ausartete. Wodurch das Zerwürfnis zwischen dem Dichter und seinem Onkel Salomon Heine wirklich ausgelöst wurde, ist schwer zu sagen. Heine hatte seinem Onkel durch seine mißlungene kaufmännische Ausbildung, sein recht ausgedehntes Studium und sein Leben als freier Schriftsteller in Paris erhebliche Geldmittel abgefordert, wie überhaupt die Geldfrage die Ursache allen Streites bildete. Heines Bruder Maximilian berichtet in seinen Erinnerungen zudem von mancherlei Eigenmächtigkeiten und boshaften Redensarten, die der angehende Dichter seinem Onkel gegenüber gebrauchte und die kaum geeignet waren, das persönliche Verhältnis zwischen Onkel und Neffen freundlicher zu gestalten. Daß der große Dichter dem erfolgreichen Kaufmann im Grunde seines Herzens viel Achtung entgegenbrachte, ist sicher, ebenso wie dieser vor der geistigen Leistung seines Neffen allen Respekt empfand. Trotzdem waren sie in ihrem Naturell entgegengesetzt, und Heine war erbost darüber, daß er von seinem Onkel — der hierzu durchaus in der Lage war — nicht die Mittel erhielt, um unabhängig und aller wirtschaftlichen Sorgen ledig, ganz seinem Schaffen hingegeben leben zu können. Hinzu kam, daß man in der Umgebung des Onkels alles daran setzte, um die Kluft zu dem Neffen immer
OHEIM UND NEFFE
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mehr zu vertiefen. Audi das Verhältnis zwisdien Carl Heine, dem Sohn Salomons, und dem Dichter war ziemlich gespannt, da Heine in Paris mit Cecile Furtado, einer Verwandten des reichen Hauses Fould, die inzwischen Carl Heines Braut geworden war, in intimer Beziehung gestanden hatte. Was Wunder, daß dieser kein lebhaftes Interesse zeigte, den ehemaligen Liebhaber Cέciles mit reichen Geldspenden bedacht zu sehen. — Als Heines Bemühungen um eine feste Pension sämtlich fehlschlugen, sah er seine letzte Rettung in Meyerbeer, den er für sein Anliegen zu gewinnen suchte:
Paris, d. 24. Merz 1838 Liebster und verehrtester Maestro! Den einliegenden Brief habe ich so abgefaßt, daß Sie einestheils die Wahrheit daraus erfahren, anderes Theils auch ihn meinem Oheim mittheilen können, ohne daß er die Absichtlichkeit merkt. Sie müssen ihm jetzt sdoreiben und zugleich von Ihrem Bruder W[ilhelm] den Brief apostilliren lassen; ich überlasse Ihrem Scharfsinn, wie Sie die Nothwendigkeit einer Versöhnung zwischen ihm und mir darstellen und es zugleid) meinem Oheim fühlen lassen, daß die ganze Welt der Meinung sey, ich erhielte jährlich von ihm eine fixe Summe. Er muß an der Ambition angegriffen werden, daß er mir endlich ein bestimmtes Jahrgeld aussetzt, welches, wenn es auch noch so gering, mir sehr wünschenswerth wäre und auch mein Verhältniß zu meinem Oheim sicherer gestaltet; ich habe deßhalb in meinem Briefe immer behauptet, er habe nie etwas Ordentliches für mich gethan, obgleich er dennoch sich manchmal sehr honett gegen mich benommen; aber eben indem ich ihm ein bischen Unrecht thue, wird er angespornt, meinen Behauptungen auch durch erneuete That zu widersprechen. Ich lege also heute meine wichtigsten Interessen in Ihre Hände, und ich bin überzeugt, daß Sie sich derselben mit Liebe annehmen. Sie gehören zu den wenigen Menschen, die meine Lage und die schmerzlichen Verwicklungen, worinn ich mein Leben verzappele, begreifen können. Donnez moi un coup d'epaule pour que je puisse porter ma croix! — Was ich Ihnen über meine Zeitungsgeschichten geschrieben, ist die ganze Wahrheit; aber ich gebe das Projekt darum doch nicht auf, ich muß coute que coute hier ein deutsches Organ für mich stiften, die Nothwendigkeit verlangt es. Gehts nicht mit der Zeitung, so stifte ich eine deutsche revue, Monathschrift; die Geldmittel stehen mir zu Geboth, eben so wie die geistigen Mittel. Sehen Sie sich ein bischen um, wer mir zu dem einen oder dem anderen Zwecke musikalische Berichte ausDeutsdilandschi