Der Drittschutz in der Baunutzungsverordnung durch die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung [1 ed.] 9783428498413, 9783428098415


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Der Drittschutz in der Baunutzungsverordnung durch die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung [1 ed.]
 9783428498413, 9783428098415

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KLAUS H. J. PETERSEN

Der Drittschutz in der Baunutzungsverordnung durch die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 794

Der Drittschutz in der Baunutzungsverordnung durch die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung

Von Klaus H. J. Petersen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Petersen, Klaus H. J.: Der Drittschutz in der Β aunutzungsVerordnung durch die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung / von Klaus H. J. Petersen. Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 794) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09841-2

Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09841-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meinen Eltern

Vorwort Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 1998/99 unter dem Dekanat von Prof. Dr. Max Frisch als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 23. und 24. November 1998 statt. Herrn Prof. Dr. Friedrich Schoch danke ich für die stets freundliche und hilfreiche Beratung sowie die vielfältigen Anregungen bei der Abfassung des Manuskripts. Für die Erstattung des Zweitgutachtens im Promotionsverfahren bin ich Herrn Prof. Dr. Thomas Würtenberger zu Dank verpflichtet.

Freiburg, im März 1999 Klaus Petersen

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

17 1. T e i l

Dogmatische Grundlagen und Voraussetzungen des Drittschutzes im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis

20

1. Kapitel Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis

20

A. Begriff und Grundlagen des subjektiven öffentlichen Rechts

20

B. Die Maßgeblichkeit des einfachen Rechts als Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte

23

C. Die Grundlagen der Schutznormtheorie

25

D. Systematisierung und Neuordnung der Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis

26

I.

Das Interessenschutzkriterium

27

1. Einwendungen gegen das Interessenschutzkriterium 2. Die Leistungsfähigkeit des Interessenschutzkriteriums 3. Anwendbarkeit der Vermutungsthese von Bachof

28 29 34

Π. Das Rechtsmachtkriterium 1. 2. 3. 4.

36

Das „Ob" der Rechtsmachterteilung 37 Anerkennung des Kriteriums des Ausgleichs und der Rücksichtnahme .... 40 Anwendbarkeit der Vermutungsthese beim Rechtsmachtkriterium? 43 Das „Wie" der Rechtsmachterteilung 46 a) Abstrakt-generell und partiell-konkret schützende Normen

48

b) Das Problem der faktischen Betroffenheit

49

10

Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme

51

A. Die Starrheit der Schutznormtheorie

53

B. Fehlen einer dogmatischen Grundlage im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis

56

I.

Abgrenzbarer Kreis der Begünstigten

Π. Subjektivierungsformel

57 58

1. Die gesetzlich angeordnete Rücksichtnahme 2. Das Unzumutbarkeitserfordernis C. Aufgabe des Rücksichtnahmegebots mangels eigenständiger Funktion

60 63 65

3. Kapitel Die Bedeutung der Grundrechte für den Drittschutz A. Die Schutzpflichtdimension der Grundrechte I.

66 66

Die Begründung subjektiver öffentlicher Rechte mittels norminterner Wirkung grundrechtlicher Schutzpflichten

66

1. Die Bedeutung der subjektiven Seite der Schutzpflichten

67

a) Nebeneinander von objektiver und subjektiver Seite der Schutzpflichten auf einfachgesetzlicher Ebene b) Gegenargumente zur Subjektivierungsfunktion der subjektiven Seite der Schutzpflichten 2. Subjektivierung aufgrund der Dogmatik der Schutzpflichten

68 69 70

a) Drittschutz durch die Schutzpflichten bei notwendigem Recht

70

b) Überprüfung anhand der Schutznormtheorie (1) Interessenschutzkriterium und Rechtsmachtkriterium (2) Keine Drittschutz erzwingende Wirkung der Schutzpflichten

71 72 72

Π. Normexterne Wirkung der Schutzpflichten B. Die Abwehrrechtsdimension der Grundrechte I. Normexterne Wirkung von Art. 14 Abs. 1 GG Π. Norminterne Wirkung von Art. 14 GG

75 75 75 80

Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel Zusammenfassung

84

2. T e i l Der Drittschutz in der BauNVO hinsichtlich der Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung

87

1. Kapitel Grundlagen

87

2. Kapitel Der Drittschutz durch die Festsetzungen von allgemeinen Baugebieten

91

A. Der Aufbau der Gebietsvorschriften und die Bedeutung der allgemeinen Zweckbestimmung 91 B. Der generelle Drittschutzcharakter der §§ 2-9 BauNVO I.

Das Austauschverhältnis als drittschutzerzeugendes Merkmal

Π. Der Drittschutzcharakter des Austauschverhältnisses 1. Begründung mittels des Gleichheitsgrundsatzes 2. Begründung mittels des rechtsstaatlichen Vertrauensgrundsatzes 3. Begründung mittels des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG

93 94 95 97 99

a) Gleichheitsgebot und Eigentumsrecht

101

b) Sozialbindung (1) Drittschutz als Erfordernis der Sozialbindung? (2) Drittschutz durch die normierte Abwägung nach der Sozialbindung

105 105

C. Der Drittschutz in den Regelungen der allgemeinen Zulässigkeit von Nutzungen in den §§ 2-9 BauNVO I.

93

106 112

Verstoß gegen „Funktionsbestimmung" und „Störgrad"

113

1. Sachlicher Schutzbereich 2. Einschränkung durch den persönlichen Schutzbereich ?

113 118

Π. Verstoß gegen das,Mischungsverhältnis" 1. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung 2. Drittschutzverankerung in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nach der überwiegenden Auffassung 3. Ablehnung einer Drittschutzverankerung in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO

121 122 126 129

12

Inhaltsverzeichnis a) Bedeutung der Merkmale Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung

130

b) Bedeutung und Inhalt des Merkmals „Widerspruch" zur Eigenart des Baugebiets

132

c) Planungsrechtliche Funktion und sachlicher Anwendungsbereich des § 15 BauNVO 4. Drittschutzverankerung in den einzelnen Gebietsvorschriften 5. Sachlicher Anwendungsbereich - Gebietsveränderung a) Veränderungen der vorrangig gebietsprägenden Nutzungen (1) Hauptnutzungen im Kleinsiedlungsgebiet (2) Hauptnutzungen im Dorfgebiet (3) Hauptnutzungen im Kerngebiet

135 139 141 144 146 147 150

b) Veränderungen der auch gebietsprägenden Nutzungen 152 (1) Auch gebietsprägende Nutzungen im Kleinsiedlungsgebiet 154 (2) Auch gebietsprägende Nutzungen im allgemeinen Wohngebiet ..155 (3) Auch gebietsprägende Nutzungen im besonderen Wohngebiet... 156 (4) Auch gebietsprägende Nutzungen im Kerngebiet 158 (5) Auch gebietsprägende Nutzungen im Gewerbegebiet 159 6. Persönlicher Anwendungsbereich 161 D. Der Drittschutz durch die Ausnahmeregelungen der §§ 2-9 BauNVO I.

Schutz gegen gebietsfremde Vorhaben

163 163

Π. Drittschutz über das Erfordernis eines Ausnahmetatbestandes?

164

Π. Schutz gegen gebietsverändernde Vorhaben

168

IV. Die Bedeutung des Ermessens

170

E. Sonderfalle des Drittschutzes in den einzelnen Gebietsvorschriften I.

Einteilung der Sonderfälle

Π. Den Drittschutzcharakter insgesamt betreffende Sonderfalle 1. Zwei-Wohnungs-Klausel in § 2 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 2. Festlegung einer bestimmten Geschoßfläche für Wohnungen

173 173 174 174 177

a) Der Schutz der Wohnnutzung als Zweck der Festsetzung

177

b) Die Anordnung der Rücksichtnahme als Folge der Festsetzung (1) Mindestanordnung der Wohnnutzung nach der ersten Alternative (2) Mindestanordnung der Wohnnutzung nach der zweiten Alternative

178

c) Die subjektive Rechtsverletzung 3. Bestimmungen über die örtliche Lage der Nutzung

180 181 182 184

Inhaltsverzeichnis a) Festlegung der Wohnnutzung ab einem bestimmten Geschoß

184

b) Örtliche Bestimmung von Vergnügungsstätten

185

ΙΠ. Die das „Wie" der Rechtsmachterteilung betreffenden Sonderfälle F. Gebietsübergreifende Schutzwirkung der Gebietsfestsetzungen I.

187 188

Dogmatische Grundlagen des gebietsübergreifenden Drittschutzes

188

Π. Abgrenzung zur gebietsüberschreitenden Bedeutung von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO

191

ΙΠ. Der Umfang des gebietsübergreifenden Drittschutzes

194

3. Kapitel Der Drittschutz durch die Festsetzung von Sondergebieten nach den §§ 10,11 BauNVO A. Allgemeiner Drittschutz durch die Festsetzung von Sondergebieten I.

Der Aufbau der Sondergebiete nach §§ 10,11 BauNVO

Π. Die durch Festsetzung eines Sondergebiets erzeugte Rechtsposition B. Sondergebiete gem. § 10 Abs. 3-5 BauNVO I.

197 197 199 201

Das Wochenendhausgebiet

202

1. Der zeitlich begrenzte Aufenthalt zur Erholung 2. Die Grundflächenzahl

202 205

Π. Das Ferienhausgebiet 1. Das Merkmal der touristischen Nutzung zur Erholung 2. Die Grundflächenzahl im Ferienhausgebiet ΙΠ. Das Campingplatzgebiet C. Sondergebiete gem. § 11 Abs. 3 BauNVO I.

197

Der Drittschutz in der Zulässigkeitsregelung von Einkaufszentren, großflächigen Einzelhandels- und Handelsbetrieben

207 207 210 211 213 213

1. Der Schutz der Stör- und Konfliktfreiheit im Baugebiet über die Zulässigkeitsregelung als subjektive Rechtsposition 213 2. Partieller Drittschutz gegen gebietsfremde Einkaufszentren, großflächige Einzelhandels- und Handelsbetriebe 217 3. Kein Drittschutz in Gewerbe- und Industriegebieten 219 Π. Drittschutz vermittelnde Auswirkungen nach § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO 1. Die auch individuelle Interessen schützenden Auswirkungen 2. Die allein öffentliche Interessen schützenden Auswirkungen 3. Zusammenfassung

220 220 223 225

14

Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel Der Drittschutz durch die §§ 12-14 BauNVO

A. § 12 BauNVO - Stellplätze und Garagen I.

Drittschutz im Auffangtatbestand des Absatzes 1

Π. Gebietsbezogener Drittschutz in Absatz 2 1. Der durch die zugelassene Nutzung verursachte Bedarf 2. Voraussetzungen der subjektiven Rechtsverletzung

226 227 228 228 228 230

ΠΙ. Drittschutz durch den Ausschluß bestimmter Arten von Stellplätzen in Absatz 3

233

IV. Festlegung der Lage von Stellplätzen und Garagen in bestimmten Geschossen nach Absatz 4 und 5

234

V. Drittschutz über die Ermächtigung zum Ausschluß und zur Beschränkung von Stellplätzen und Garagen nach Absatz 6

235

Β. § 13 BauNVO - Gebäude und Räume fìlr freie Berufe I.

Der Nachbarschutz in den allgemeinen Wohngebieten durch § 13 BauNVO 1. Drittschutzfunktion für die Wohngebiete nach §§ 2 bis 4 BauNVO 2. Kein eigenständiger Drittschutz der zweiten Alternative des § 13 BauNVO

Π. Drittschutz ftlr die Sondergebiete nach § 13 BauNVO? C. Nebenanlagen gem. § 14 BauNVO I.

Der Nachbarschutz über die allgemeine Zulässigkeit von Nebenanlagen nach Absatz 1 1. Kein Drittschutz über die Wesensmerkmale der Nebenanlage 2. Drittschützende Funktion des Merkmals „Vereinbarkeit mit der Eigenart des Baugebiets" 3. Einschränkungen der Zulässigkeit von Nebenanlagen

Π. Nebenanlagen der öffentlichen Daseinsvorsorge nach Absatz 2

238 238 238 241 242 243 244 245 246 249 249

5. Kapitel Der Drittschutz durch § 15 BauNVO A. Inhalt und Anwendungsbereich der Vorschrift B. Der Drittschutz in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO I. Allgemeiner Drittschutzcharakter über die Wesensmerkmale des Baugebiets

250 250 251 251

Inhaltsverzeichnis Π. Der Verstoß gegen die Wesensmerkmale des Baugebiets als subjektive Rechtsverletzung C. Der Drittschutz in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO I.

254 256

Die Gebiets- und die Umgebungsalternative

256

1. Drittschutzfunktion des Merkmals „unzumutbare Belästigungen und Störungen"

256

a) Der Störgrad als drittschützende Zumutbarkeitsgrenze im Regelfall . 258 b) Die drittschützende Zumutbarkeitsgrenze bei bestandsgeschützten Vorhaben 260 2. Drittschutzbegründung der Gebiets- und Umgebungsalternative nach derh. M 263 3. Die Voraussetzungen der subjektiven Rechtsverletzung 264 Π. Das Sich-Aussetzen von unzumutbaren Störungen und Belästigungen

266

1. Allgemeiner Drittschutz für die störende Nutzung 2. Das „Wie" der Rechtsmachterteilung in der dritten Alternative

266 272

D. Die analoge Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO

273

6. Kapitel Die Bedeutung des Ortsgesetzgebers für den Nachbarschutz durch die §§ 2-15 BauNVO als Festsetzung im Bebauungsplan A. Die bundesrechtliche Verankerung des Drittschutzes in den §§ 2-14, 15 BauNVO

274 274

B. Rechtsfolgen einer nicht drittschützenden Festsetzung nach §§2-14 BauNVO.. 276 I.

Kein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG

276

Π. Kein Verstoß gegen § 1 Abs. 6 BauGB

278

ΙΠ. Nichtdrittschützende Festsetzungen als Überschreiten der Satzungsbefugnis C. Der Umfang des bundesrechtlichen Nachbarschutzes bei Gebietsgestaltungen gem. § 1 Abs. 4-9 BauNVO I.

279 281

Die Wesensmerkmale des Baugebiets als subjektive Grenze des bundesrechtlich vorgeschriebenen Drittschutzes

281

Π. Gebietsausgleichsgestaltende Wirkung als Kriterium des bundesrechtlich vorgegebenen Nachbarschutzes

283

ΙΠ. Der bundesrechtliche Nachbarschutz nach den Absätzen 4-9

284

16

Inhaltsverzeichnis 7. Kapitel Der Drittschutz von §§ 2-9,12-14, 15 BauNVO über § 34 Abs. 2 BauGB

287

A. Der Drittschutzcharakter des Verweises auf die BauNVO für die Art der baulichen Nutzung in § 34 Abs. 2 BauGB 287 B. Der Umfang des Nachbarschutzes durch den Verweis auf die §§ 2-9, 12-14 BauNVO

291

8. Kapitel Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

293

Literaturverzeichnis

301

Sachwortverzeichnis

315

Einleitung Erst in unserem Jahrhundert ist der Nachbarschutz im Baurecht als eine öffentlich-rechtliche Problematik anerkannt worden, nachdem die Rechtswissenschaft1 zunächst den öffentlich-rechtlichen Charakter gänzlich abgelehnt und eine Konfliktschlichtung allein im Zivilrecht versucht hatte.2 Entscheidend für Anerkennung und Entwicklung des öffentlichen Nachbarschutzes und mit diesem untrennbar verbunden ist die Frage nach Existenz und Bedeutung des subjektiven öffentlichen Rechts. Die Grundlagen des Nachbarschutzes sind im öffentlichen Baurecht entwickelt worden, das als eine Plattform für die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem subjektiven öffentlichen Recht in Literatur und Rechtsprechung gelten kann. Entscheidende Impulse für die Weiterentwicklung der subjektiven öffentlichen Rechte entstammen dabei der Rechtsprechung.3 Beim Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht steht die planungsrechtliche Zulässigkeit einer Anlage im Vordergrund, nach der sich Art und Umfang der von den Nachbarn zu duldenden Anlagenrichten.Von besonderer Bedeutung ist dabei die Art der baulichen Nutzung, die ausschlaggebend ist für die Art der Auswirkungen einer Anlage in ihrer Umgebung. Die zulässige Art der baulichen Nutzung legt fest, ob auf einem Grundstück ζ. B. eine Schule, ein Wohnhaus oder aber ein Gewerbebetrieb errichtet werden darf. Konkrete planungsrechtliche Regelungen über die Art der baulichen Nutzung hat der Gesetzgeber in den §§ 1-15 der BauNVO vorgenommen.

1 So die damalige Rspr. des preußischen OVG, vgl. PrOVG 2, 351 (354 f,); 14, 378 f f ; 38, 359, 376; 61, 175; 70, 377; 78, 357; übereinstimmend dazu auch die Rspr. der süddeutschen Verwaltungsgerichtshöfe; Übersicht zur Problematik bei Breuer, Baurechtlicher Nachbarschutz, DVB1 1983, 431 ff. 2 Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung: Seilmann DVB1 1963, 273 ff.; Laubinger, Der Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, 1967, S. 43 ff., 91 ff. 3 Vgl. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 519, der feststellt: „In der ganzen Frage der subjektiven öffentlichen Rechte hat bis jetzt die Theorie viel mehr von der Praxis als diese von ihr zu lernen gehabt."; vgl. auch ders., GS Jellinek, S. 269 (271). 2 Petersen

Einleitung

18

Das BVerwG hat im Urteil vom 16.09.1993 erstmals umfassender zum Nachbarschutz in den Vorschriften der §§ 1-15 BauNVO Stellung genommen.4 In der Entscheidung ging es um die Frage, ob und inwieweit sich ein Nachbar gegen die Zulassung von fünf Garagen in einem reinen Wohngebiet wehren konnte. Maßgeblich für die Zulässigkeit der Garagen war § 12 Abs. 2 BauNVO. Nach dieser Vorschrift sind u. a. in reinen Wohngebieten Stellplätze und Garagen nur für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig. Das BVerwG hat der Regelung einen allgemeinen Drittschutzcharakter zuerkannt, da sie Bestandteil der nachbarschützenden Gebietsfestsetzungen nach der BauNVO sei. Die besondere Bedeutung des Urteils liegt in der Begründung des Nachbarschutzes und der Bestimmung seines Umfangs. Nach Auffassung des Gerichts soll der drittschützende Charakter der Gebietsfestsetzungen bereits bundesrechtlich in den Vorschriften der BauNVO verankert sein.5 Nach der bisher geltenden Auffassung bildeten die §§ 2 ff BauNVO keine ausreichende Grundlage für den Nachbarschutz; erst der Ortsgesetzgeber konnte durch die konkrete Festsetzung im Bebauungsplan den Drittschutzcharakter begründen.6 In der Urteilsbegründung hat das BVerwG zugleich den Umfang des durch die Gebietsvorschriften vermittelten subjektiven Rechts dahingehend erweitert, daß es für die subjektive Rechtsverletzung nicht mehr auf eine tatsächliche Beeinträchtigung des Einzelnen durch das festsetzungswidrige Vorhaben ankomme.7 Der klagende Nachbar sollte den Bau der Garagen verhindern können, soweit deren Errichtung objektiv rechtswidrig wäre. Auch die Frage der Erforderlichkeit einer tatsächlichen Betroffenheit des Nachbarn für den Drittschutz ist bislang ein umstrittenes Problem.8 Allein die bundesrechtliche Begründung des Drittschutzes durch die Gebietsvorschriften und seine Erweiterung auf die Abwehr jeglicher der Vorschrift widersprechender Anlagen geben Grund genug, den Nachbarschutz durch die Vorschriften der Art der baulichen Nutzung systematisch zu untersuchen. Das BVerwG hat in dem Urteil aber noch weitergehend eine Änderung des Nachbarschutzes durch die §§2 ff. BauNVO dahin angedeutet, daß 4

BVerwG, BVerwGE 94, 151 ff.=DVBl 1994, 284 ff. BVerwG, BVerwGE 94, 151 (157)=DVB1 1994, 284 (286). 6 Vgl. BVerwG, NVwZ 1985, 748; DVB1 1986, 187. 7 BVerwG, BVerwGE 94, 151 (161)=DVB1 1994, 284 (287). 8 Siehe hierzu nur die in letzter Zeit erschienenen Stellungnahmen: Stollmann, SächsVBl 1995, 155 ff.; Mampel, BauR 1993, 44 ff.; Ladeur, UPR 1992, 81 ff.; Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 107 ff. 5

Einleitung

19

die Gebietsvorschriften der BauNVO auch in § 34 Abs. 2 BauGB für den unbeplanten Innenbereich einen identischen Nachbarschutz wie bei einer Festsetzung im Bebauungsplan vermitteln sollen. Die überwiegende Auffassung ging dagegen bisher davon aus, daß den Gebietsvorschriften über § 34 Abs. 2 BauGB keine drittschützende Wirkung beizumessen sei.9 Aufgrund der Entscheidung des BVerwG besteht damit hinreichender Anlaß, den Drittschutz durch die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung in den §§ 1-15 BauNVO näher zu erforschen. Da die Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden (müssen), beschäftigt sich die vorliegende Arbeit zunächst in einem ersten Teil allgemein mit der Dogmatik des Nachbarschutzes im Baurecht. Mit den daraus gewonnenen Grundlagen sollen in einem zweiten Teil Aufbau und Struktur öffentlicher Nachbarrechte innerhalb der §§1-15 BauNVO untersucht werden.

9

Vgl. Schmidt-Preuß, Anm. zu BVerwG, U. v. 16.09.1993, DVB1 1994, 288 (290) mit umfangreichen Beispielen aus Rechtsprechung und Literatur.

1. T e i l

Dogmatische Grundlagen und Voraussetzungen des Drittschutzes im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis 1. Kapitel

Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis A. Begriff und Grundlagen des subjektiven öffentlichen Rechts Das subjektive öffentliche Recht ist als Teilbereich des Öffentlichen Rechts und im Gegensatz zum objektiven öffentlichen Recht zu sehen. Öffentliches Recht wird allgemein als Sonderrecht der öffentlichen Hand verstanden. Im Rahmen eines individualistischen Staatsverständnisses1 dient das Öffentliche Recht nicht irgendwelchen verselbständigten staatlichen Interessen und ist auch als Konfliktentscheidung über die Reichweite individueller und staatlicher Befugnisse unzureichend beschrieben. Es ist in seinem Kern vielmehr auch Ausgleichs- und Konfliktentscheidung über private Interessen.2 Die Konfliktregelungen der ursprünglich horizontalen Interessenkonflikte hat der Gesetzgeber durch Erhebung und damit Erweiterung der Individualinteressen zu öffentlichen Interessen vereinfacht und in Vertikal- und Horizontalverhältnisse unterteilt. In der Logik dieser Vereinfachungsfunktion des Öffentlichen Rechts liegt die allgemein objektive Ausgestaltung desselben, wodurch die Ausführung und Verfolgung der öffentlichen Interessen grundsätzlich der öf-

1

Grundlegend Bleckmann, Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht, § 7 Rn. 165 ff. 2 Vgl. Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 56 ff.

1. Kapitel: Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts

21

fentlichen Verwaltung übertragen und der Einzelne von der eigenständigen Interessenwahrnehmung ausgeschlossen und entlastet wird. Das subjektive öffentliche Recht kann daher als der Bereich beschrieben werden, in dem das objektive Recht subjektiviert, d. h. dem Einzelnen zur eigenen Interessenwahrnehmung übertragen wird.3 Unter dem Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts versteht man nach der von Jellinek 4 und Bühler 5 begründeten und vor allem von Bachof 6 weiterentwickelten, heute herrschenden Auffassung die dem Einzelnen durch das objektive Recht eingeräumte „Rechtsmacht", mit Hilfe der Rechtsordnung eigene Interessen zu verfolgen.7 Inhalt des subjektiven öffentlichen Rechts ist die Rechtsmacht i. S. einer materiellen Berechtigung, eine normative Konfliktentscheidung den verpflichteten Rechtssubjekten gegenüber geltend zu machen.8 Nicht damit zu verwechseln ist die Gewährung von Klage- und Beschwerdebefugnissen, die lediglich die rechtstechnischen Mittel zur Durchsetzung der materiellen Berechtigung darstellen und nicht zu den konstitutiven Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts zählen.9 Das verdeutlichen auch Art. 19 Abs. 4 GG, §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO, die ein subjektives öffentliches Rechts für den individuellen Rechtsschutz voraussetzen. Unter dem Begriff öffentlicher Nachbarrechte versteht man diejenigen subjektiven öffentlichen Rechte, die Drittschutz gegenüber einer öffentlichrechtlichen Maßnahme gewähren, deren Adressat der Berechtigte des Nachbargrundstücks und Inhaber der Nachbarrechte nicht ist. Dreh- und Angelpunkt der öffentlichen Nachbarrechte - unabhängig vom Rechtsgebiet - sind folglich das subjektive öffentliche Recht und dessen dogmatische Grundlagen.

3

So Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 60. 4 System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 41 ff. 5 Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der Verwaltungsrechtsprechung, S. 15 ff., 214; ders.. in: GS Jellinek, S. 269 (74f.). 6 VVDStRL 12 (1954), 36 (72 ff.); ders., in: GS Jellinek, S. 269 (274 ff.). 7 Vgl. nur Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 118 ff.; Erichsen, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 30; Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 170. 8 Vgl. hierzu ausführlich Scherzberg, DVB1 1988, 129 (131 f.). 9 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 143; Scherzberg, DVB1 1988, 129 (131 f.); Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 4 ff., 56 f.; teilweise anders die ältere Lehre, vgl. Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, S. 78 ff. m.w.N.

22

1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Aus der Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts ergeben sich die Voraussetzungen und Anforderungen, die für das Entstehen von öffentlichen Nachbarrechten erfüllt sein müssen. Sie liefert damit die theoretischen Grundlagen zur Untersuchung der Nachbarrechte innerhalb eines Rechtsgebiets. Die folgenden Untersuchungen beschränken sich grundsätzlich auf die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts im öffentlichen Baurecht. Aufgrund der Leitfunktion des öffentlichen Baurechts und der vergleichbaren Situationen in anderen öffentlich-rechtlichen Bereichen sind die in diesem Teil aufgestellten Grundsätze aber auch auf andere Bereiche übertragbar. Aus diesem Grund ist auch auf allgemeine Entwicklungen der Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts einzugehen. Grundsätzlich sind beim subjektiven öffentlichen Recht zwei Grundsituationen voneinander zu unterscheiden.10 Die erste besteht in dem Bürger-Staat-Verhältnis, das allein die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und dem Bürger erfaßt und auch bipolares Verwaltungsrechtsverhältnis oder Vertikalbeziehung genannt wird. Die zweite umfaßt die Bürger-Staat-BürgerSituation, die die Bezeichnung mehrpolares Verwaltungsrechtsverhältnis oder Horizontalverhältnis trägt und in der es letztlich um die Konfliktsituationen zwischen Privaten geht, die durch eine öffentlich-rechtliche Regelung gegenüber einem Bürger entstehen. Allein im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis ist die Frage des Nachbarschutzes angesiedelt. Die verschiedenen Konfliktsituationen im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis lassen sich nach Schmidt-Preuß in zwei übergeordnete Konflikttypen einteilen, die kehrseitigen und die wechselseitigen Konfliktlagen.11 Bei den wechselseitigen Konfliktlagen stoßen konkurrierende Zugangsinteressen vor dem Hintergrund kapazitätsbezogener staatlicher Auswahl- und Verteilungsentscheidungen aufeinander. Unter diese Gruppe fallen ζ. B. die Taxengenehmigung nach dem PBerfG oder die Genehmigung zum Betrieb von Güterfernverkehr nach dem GüKG. Demgegenüber kollidieren in kehrseitigen Konfliktsituationen aktive Gestaltungsinteressen und passive Verschonungsinteressen. Beim Drittschutz im Baurecht liegt die Konstellation der Kehrseitigkeit vor, da hier die Gestal-

10

Vgl. hierzu ausführlich Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 61 ff., vgl. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 1 ff., 20 ff. 11 Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 20 ff., 30 ff.

1. Kapitel: Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen R e c h t s 2 3

tungsinteressen des Bauherrn mit den Verschonungsinteressen der Nachbarn zusammenstoßen.12

B. Die Maßgeblichkeit des einfachen Rechts als Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte Zur dogmatischen Begründung des subjektiven öffentlichen Rechts hat es im Laufe seiner Entwicklung unterschiedliche Ansatzpunkte gegeben. Den ersten Ansatz lieferte die sog. Schutznormtheorie, die als Ausgangspunkt das einfache Recht wählte, aus dem sich allein mittels der verschiedenen Auslegungsmethoden das subjektive öffentliche Recht ergeben sollte.13 Die Anerkennung subjektiver öffentlicher Rechte hängt danach vom Vorliegen eines Rechtssatzes ab, der nicht nur im öffentlichen Interesse erlassen wurde, sondern zumindest auch dem Schutz einzelner Bürger zu dienen bestimmt ist. Um die Jahrhundertwende nahezu unbestritten14 sah und sieht sich die Schutznormtheorie bis heute zum Teil grundsätzlicher Kritik 15 ausgesetzt, die zu zwei weiteren dogmatischen Ausgangspositionen führte. Gegen die Rechtssatzabhängigkeit und der damals damit einhergehenden, vorherrschenden historischen Interpretation gewandt gründete ein Teil der Autoren die Herleitung subjektiver öffentlicher Rechte auf die tatsächlichen Auswirkungen der Normanwendung.16 Die Ableitung subjektiver öffentlicher Rechte mittels der faktischen Betroffenheit ist aber heute als allgemein überwunden anzusehen, da das Faktische keine originäre rechtserzeugende Wirkung zeitigen kann, sondern Rechte sich grundsätzlich nur aus Rechtssätzen ergeben können.17

12

Schapp, Das Verhältnis von privatem und öffentlichem Nachbarrecht, S. 32. Vgl. Loening, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, S. 8; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1. Aufl., S. 8. 14 Vgl. Giese, Die Grundrechte, S. 62, der auf die vereinzelten gegensätzlichen Positionen hinweist. 15 Umfassender Überblick und Auseinandersetzung bei Huber, Konkurrentenschutz, S. 153 ff.; König, Drittschutz, S. 102 ff. 16 Hierfür sind insbesondere: Bartlsperger VerwArch 60 (1969), 35 ff., 47 ff.; ders. DVB1 1971, 723 ff.; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 81 tt.-ders. DÖV 1980, 621 ff. 17 Vgl. hierzu: König, Drittschutz, S. 144 ff .\Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Recht, Rn. 152 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 120; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 190 f. 13

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Die andere, neue dogmatische Ausgangsposition entwickelte sich aus der Kritik gegen die mangelnde Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Direktiven und rekurrierte unter grundsätzlicher Ablehnung subjektiver Rechte unmittelbar auf die Grundrechte, die an deren Stelle treten sollen.18 Da sich im Baurecht mittlerweile die Erkenntnis von der Ausgestaltungsbedürftigkeit der Grundrechte - jedenfalls bei Art. 14 GG - durch das einfache Recht durchgesetzt hat19, können auch die Grundrechte als alleinige dogmatische Basis subjektiver Rechte auf einfachgesetzlicher Ebene nicht mehr angesehen werden. Hiervon zu unterscheiden sind neuere Ansätze in der Literatur, die zwar von der Versubjektivierunsgfunktion grundrechtlicher Schutzpflichten ausgehen, für die aber Ausgangspunkt zunächst das einfache Recht ist.20 Auf diese Entwicklungen soll zu einem späteren Zeitpunkt genauer eingegangen werden.21 Als allgemeine Auffassung darf demnach im öffentlichen Baurecht heute die Maßgeblichkeit des einfachen Rechts gelten, das damit den dogmatischen Ausgangspunkt aller subjektiven öffentlichen Rechte im einfachen Recht bildet.22 Die sog. Schutznormtheorie, die diesen Ansatzpunkt wählt, ist trotz der seit ihrer Begründung nicht enden wollenden Kritik und der Versuche neuerer Ansätze auch heute noch als ganz herrschende Meinung in Literatur wie Rechtsprechung anzusehen.23

18

Hierfür Zuleeg DVB1 1976, 509 ff.; Bernhard JZ 1963, 302 ff. Vgl. Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 156 ff ; SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 121; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, S. 37 ff ; Wahl, in: FS Redeker, S. 245 ff; ebenso ansatzweise die Rspr., BVerfGE 83, 182 (195); BVerwG, NVwZ 1990, 755 (757); NVwZ-RR 1991, 231 (232); NVwZ 1997, 384 (386). 20 Neue Ansätze bei: Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 193 ff ; Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 180 ff ; König, Drittschutz, S. 172 ff ; Wiegand, BayVBl 1994, 609 ff 21 1. Teil, 3. Kap. 22 Battis , Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, S. 299; Dürr/König, Baurecht für Bayern, Rn. 376 ff; ders. DÖV 1994, 841 ff; Erichsen, in: ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 38; Finkelnburg/Ortloff\ Öffentliches Baurecht, Bd. Π, § 16, VI.; Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 17 Rn. 25 ff ; Krebs, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 233 ff ; Mampel, Drittschutz, Rn. 134; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 6 ff; Oldiges, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 229 ff ; Schlez, Rechtsschutz im Baurecht, § 11 Rn. 8 ff; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 118; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 37 ff; Wolf.; Allgemeines Verwaltungsrecht, 1994, § 43 Rn. 10 ff 23 St. Rspr.: BVerwGE 72, 226 (229 f.); 77, 70 (73); 81, 329 (384); 82, 343 (344); 92, 313 (317); zur Literatur vgl. Fn. 22. 19

1. Kapitel: Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts

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C. Die Grundlagen der Schutznormtheorie In ihrer ursprünglichen Form sind nach der Schutznormtheorie für die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts drei Voraussetzungen konstitutiv: das Vorliegen eines Rechtssatzes24 (1), der nicht nur den öffentlichen Interessen, sondern zumindest auch dem Interesse des Einzelnen zu dienen bestimmt ist (2), und der dem Einzelnen die Rechtsmacht zur - bei Bedarf auch gerichtlichen - Durchsetzung dieses geschützten Interesses verleiht (3).25 Unbestritten und unproblematisch ist die erste Voraussetzung, das Erfordernis des konkreten Rechtssatzes, der den Ausgangspunkt der dogmatischen Begründung bildet. Von entscheidender Bedeutung und auch heute noch Ansatzpunkt der verschiedenen Ausgestaltungen der Schutznormtheorie sind die anderen beiden Voraussetzungen, das Interessenkriterium und das Rechtsmachtkriterium. Die Frage der Rechtsmachtverleihung wurde als eigenständig zu prüfendes Kriterium nach Erarbeitung einer verfassungsrechtlichen Vermutungsthese für das Rechtsmachtkriterium zurückgestellt. Nach dieser These ergibt sich aus der von Art. 19 Abs. 4 GG mitgeprägten Gesamtsicht des Grundgesetzes vom Verhältnis des Einzelnen zum Staat, daß im Zweifel diejenige Interpretation den Vorrang verdiene, die dem Bürger den Rechtsschutz einräumt.26 Literatur und Rechtsprechung führen das eigentlich konstitutive Merkmal der Rechtsmacht daher nur noch pauschal an27 oder aber unterschlagen es größtenteils anmerkungslos28 mit der Folge, daß beide ausdrücklich nur das Interessen-

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Das von Bühler noch engere Erfordernis eines zwingenden Rechtssatzes ist mit dem allgemeinen Anerkenntnis des Anspruchs auf fehlerfreie Ermessensausübung entbehrlich geworden, vgl. Bachof VVDStRL 12 (1954), 37 ff. (76). 25 Vgl. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 21 ff.; ders. in: GS Jellinek, 1955, S. 269 (275 ff). 26 Zunächst entwickelt von Bachof, in: GS Jellinek, S. 287 (300), wurde die Vermutungsthese später bestätigt in BVerfGE 15, 275 (281 f.) unter Hinweis auf Bachof,; Urteilsanmerkung DVB1 1961, 128 (131). 27 Battis , Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, S. 299; Erichsen, in: ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 1%\Mampel, Drittschutz, Rn. 134; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 118. 28 Vgl. ζ. B. BVerwG, DVB1 1987, 476; Dürr/König, Baurecht für Bayern, Rn. 376 ff; ders. DÖV 1994, 841 ff; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § Rn. 6 ff; Wolf Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rn. 10 ff; Oldiges, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 229 ff; Krebs, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 233 ff; Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 17 Rn. 25 ff; Finkelnburg/Ortloff Bd. Π, § 16, VI..; Schlez, Rechtsschutz im Baurecht, § 11 Rn. 8 ff.

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

schutzkriterium fordern. Nach heutiger Auffassung in der Schutznormtheorie vermitteln Drittschutz solche Normen, die „auch der Rücksichtnahme auf individuelle Interessen oder deren Ausgleich untereinander dienen".29 Neben dem Interessenschutzkriterium erfolgt einerseits vermehrt die Untersuchung der Frage, inwieweit an die Entstehung des subjektiven öffentlichen Rechts die Forderung einer faktischen Betroffenheit zu stellen ist durch die Unterscheidung zwischen partiell-konkret und abstrakt-generell schützenden Normen.30 Zudem hat sich die Kritik an der „eingliedrigen Interessenformer insbesondere für das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis wieder verstärkt.31 Es drängt sich daher die Frage auf, ob die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts auf das Rechtsmachtkriterium zugunsten einer reinen Interessenschutzformel mit einer ergänzenden Unterscheidung zwischen partiell-konkret und abstrakt-generell schützenden Normen tatsächlich verzichten kann.32

D. Systematisierung und Neuordnung der Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis Um Bedeutung und Inhalt von Interessenschutz- und Rechtsmachtkriterium richtig erfassen zu können, ist zum ursprünglichen Inhalt der Merkmale nach der dreigliedrigen Formel von Bühler zurückzukehren. Danach dienen das

29 So ausdrücklich zuletzt BVerwG, DVB1 1987, 476; diese Formel verwendend: Finkelnburg/Ortloff\ Öffentliches Baurecht, Bd. Π, § 16, VI.; Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 17 Rn. 25 ff; Battis , Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, S. 299; 30 Vgl. diesbzgl. insbes. BVerwG, DVB1 1987, 476 ff; BVerwG, BVerwGE 94, 151 ff.=DVBl 1994, 284 ff ; in der Lit. statt vieler: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. II, § 16, VI. und Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 17 Rn. 25 ff. 31 Vgl. hierzu Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 193 ff; hier ansetzend auch Bauer JuS 1990, 24 (28 ff); ders., in: Heckmann/Meßerschmidt, Gegenwartsfragen, S. 113 (149 ff.) m.w.N. 32 Für entbehrlich hält Lorenz, Rechtsschutz, S. 56, das Rechtsmachtkriterium, als notwendig betrachten es hingegen: Sachs, in: Stern, Staatsrecht m/1, S. 543; ders. NVwZ 1988, 127 ff. (129); Schenke, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rn. 289; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 423 ff, Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 196 ff; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 131 ff, 136 ff, führt nur noch ausdrücklich zwei Kriterien an, den Rechtssatz und die individualisierte Rechtsmacht.

1. Kapitel: Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts

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Interessenschutz- wie das Rechtsmachtkriterium der Unterscheidung der den Einzelnen begünstigenden, unterschiedlichen Rechtsreflexe vom subjektiven öffentlichen Recht. Das Interessenschutzkriterium soll auf einer ersten Stufe ermöglichen, die rein tatsächliche, ungewollte oder minder zufällige Begünstigung als Reflex des objektiven Rechts von der gewollten Begünstigung zu trennen. Das Rechtsmachtkriterium soll dazu dienen, auf einer zweiten Stufe die gewollten Rechtsreflexe, d. h. die gewollten Begünstigungen, vom subjektiven öffentlichen Recht zu unterscheiden; es umfaßt die Frage, »ob und unter welchen Voraussetzungen die gewollten Reflexe, die rechtlich geschützten Interessen also, zum subjektiven Recht werden".33

L Das Interessenschutzkriterium Zur Erfüllung des Interessenschutzkriteriums muß eine Norm nicht nur den öffentlichen Interessen, sondern zumindest auch den Interessen des Einzelnen zu dienen bestimmt sein. In dieser Form ist das Kriterium in letzter Zeit insbesondere für das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis mit der Begründung abgelehnt worden, das Abstellen allein auf die Interessen des Einzelnen ließe die Interessen des Gegenspielers außer Acht. Der gewollte Schutz der Interessen reiche in mehrpolaren Verhältnissen für die Begründung eines subjektiven öffentlichen Rechts deshalb nicht aus, weil dem der prinzipiell gleichermaßen bezweckte Schutz kollidierender Privatinteressen eines anderen entgegenstehe.34 Diese Kritik hängt mit der bisher allgemein anerkannten Vermutungsthese von Bachof zusammen, die allein das Interessenschutzkriterium für das Entstehen des subjektiven Rechts neben dem Erfordernis des konkreten Rechtssatzes ausreichen läßt. Eine differenzierte Prüfung, ob eine Norm nicht nur dem Interessenschutz des Einzelnen dient, sondern auch eine materielle Rechtsmacht zur Durchsetzung der geschützten Interessen verleiht, erübrigte sich folglich. Den Kritikern könnte insofern gefolgt werden35, als daß die Interessenschutzformel allein nicht das subjektive öffentliche Recht zu begrün-

33

Bachof in: GS Jellinek, S. 287 (299);. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 210. 35 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Problem ist bei den Befürwortern des Interessenschutzkriteriums nicht zu finden, vgl. König, Drittschutz, S. 118 mit Hinweis auf Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, S. 140. 34

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

den vermag. Andernfalls ginge die Unterscheidung zwischen gewollten Rechtsreflexen und subjektiven Rechten verloren. Gerade im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis könnte aber für die Annahme eines subjektiven Rechts noch die Rechtsmachtverleihung erforderlich sein, weil dort nicht jeder gewollte Interessenschutz dem subjektiven Recht gleichkommt. Funktion und Bedeutung des Rechtsmacht- und des Interessenschutzkriteriums sind jedoch getrennt zu betrachten, ebenso wie die Gültigkeit der Vermutungsthese für beide Kriterien. Im folgenden gilt es zunächst zu untersuchen, ob das Interessenschutzkriterium die Abgrenzung zwischen faktischem und gewolltem Interesse im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis ermöglicht und ob eine solche Differenzierung erforderlich ist.

7. Einwendungen gegen das Interessenschutzkriterium Nicht überzeugend ist das Argument, daß beim Interessenschutzkriterium die Interessen des Gegenspielers außer acht gelassen würden.36 Da allein die Frage maßgeblich ist, ob die Norm überhaupt Interessen des Dritten schützt, ist eine Einbeziehung des Gegenspielers in diesen Fragenkreis auch im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis nicht erforderlich. Erst bei der Frage der Rechtsmacht stellt sich das Problem, daß der hierdurch verliehene materielle Anspruch notwendigerweise auf Kosten des anderen Gegenspielers geht, wofür eine besondere Rechtfertigung notwendig sein könnte. Daher sind erst unter diesem Gesichtspunkt die Interessen des Gegenspielers mit einzubeziehen. Ebenso geht der Einwand fehl, die Vermutung des Interessenschutzes streite für beide Seiten, so daß dem bezweckten Schutz des einen der prinzipiell gleichermaßen bezweckte Schutz eines anderen entgegenstehe.37 Zum einen ist gerade genau zu untersuchen, wessen Individualinteressen die Norm schützt38, so daß die Feststellung eines Individualinteressenschutzes nicht automatisch den Schutz jedes Einzelnen, sondern nur des in der Norm individualisierten Einzelnen bewirkt. Zum anderen ist es durchaus denkbar und im Baurecht gera-

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Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 210. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 210; der dortige Hinweis in Fn. 134 nui Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 144, ist insoweit ungenau, als Schmidt-Aßmann sich auf die Frage der Rechtsmacht und eben nicht auf das Interessenschutzkriterium bezieht. 38 Bachof, in: GS Jellinek, S. 287 (298). 37

1. Kapitel: Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen R e c h t s 2 9

dezu typisch, daß eine Norm verschiedene Individualinteressen gleichzeitig schützt. Damit steht aber der gewollte Interessenschutz des einen nicht notwendig dem eines anderen derart hindernd entgegen, daß nur die Interessen des einen oder anderen durch die Norm geschützt sein können. So dienen ζ. B. die Gebietsfestsetzungen den Interessen des Bauwilligen bei gebietskonformen Bauvorhaben wie den des gebietsansässigen Nachbarn bei gebietswidrigen Vorhaben.

2. Die Leistungsfähigkeit

des Interessenschutzkriteriums

Gegen die Verwendung des Interessenschutzkriteriums wird eingewandt, daß eine Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Interesse nicht möglich sei.39 Das Individualinteresse sei als Teil des Allgemeininteresses zu sehen, und zwischen beiden Arten von Interessen bestehe kein notwendiger Gegensatz.40 Dem ist zwar insoweit beizupflichten, als eine Grenzziehung anerkanntermaßen in der Praxis problematisch und häufig auch nicht trennscharf ist. Dennoch ist sie möglich und notwendig. Entscheidend ist allein die Leistungsfähigkeit dieses Kriteriums zur Abgrenzung subjektiver öffentlicher Rechte vom objektiven öffentlichen Recht, genauer des rein tatsächlichen, ungewollten Reflexes von der gewollten Begünstigung. Aufgrund der Anerkennung subjektiver Rechte besteht hier keine Notwendigkeit, auf die weitergehende und grundsätzliche Frage einzugehen, ob sich Allgemeininteressen von Individualinteressen überhaupt trennen lassen41 und ob diese Unterscheidung im öffentlichen Recht zulässig ist.42 Zunächst kann unterschieden werden, ob die im Allgemeininteresse mitgeschützten Einzelinteressen den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit oder konkret als Individuum schützen. Während beim Schutz des Einzelnen als 39

Hierzu ausführlich Bauer, AöR 113 (1988), 582 (594); vgl. auch König, Drittschutz, S. 119 ff. 40 Vgl. hierzu Bauer, AöR 113 (1988), 595, m.w.N. 41 Zu dieser Problematik Bauer, AöR 113 (1988), 594 ff, m.w.N.; für eine Unterscheidung zwischen öffentlichen und individuellen Interessen ist Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 57 f, der zutreffend die öffentlichen Interessen als aggregierte Interessen des Einzelnen bezeichnet, die durch die Zusammenfassung jedoch einen „qualitativen Umschlag" erfahren, in einen „anderen Aggregatzustand" gelangen. 42 Insofern fragend Scherzberg DVB1 1988, 129 (131).

30

1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Teil der Allgemeinheit der Einzelne als solcher nicht mehr individualisierbar ist, eben in der Allgemeinheit aufgeht, ist beim Schutz als Individuum der Einzelne individualisierbar, d. h. konkret bestimmbar. Eine solche Differenzierung kann bereits im Wortlaut der Norm angelegt sein. Eindeutig ist daher der Individualschutz, wenn die Norm ausdrücklich dem Einzelnen Schutz oder ein Recht gewährt. Das gilt ζ. B. für § 31 Abs. 2 BauGB, wonach die „nachbarlichen Interessen" beim Dispens ausdrücklich zu berücksichtigen sind. Fehlen solche Zuordnungen, dann ist ein individueller Interessenschutz gegeben, wenn die Norm einen individualisierbaren, von der Allgemeinheit unterscheidbaren Kreis der Betroffenen schützt und eben nicht die Allgemeinheit als Summe aller Einzelnen.43 Zudem ist eine Differenzierung danach möglich, ob der Interessenschutz des von der Allgemeinheit abgrenzbaren Kreises in einem öffentlichen Interesse und damit als faktischer Reflex oder aber (auch) im Individualinteresse und damit als gewollter Reflex erfolgt. Dem Einzelnen kann, anders formuliert, der individuelle Interessenschutz in seinem Interesse oder im öffentlichen Interesse zuteil werden. Hilfreich für die letzte Abgrenzung ist die Frage, ob der zugewiesene Interessenschutz ausschließlich in den Bereich einer öffentlichen Aufgabe fällt, die der öffentlichen Hand obliegt. Soweit dies der Fall ist, kann der Interessenschutz auch nur im öffentlichen Interesse, nicht aber im Individualinteresse erfolgen. 44 Die Möglichkeit dieser beiden Differenzierungen ergibt sich auch aus folgenden Überlegungen: Das öffentliche Interesse kann seinem Ursprung nach als Zusammenfassung der Einzelinteressen verstanden werden.45 Die Zusammenfassung transponiert das öffentliche Interesse jedoch auf eine qualitativ andere Stufe. Öffentliche Interessen beinhalten ein - wie im Wortlaut schon

43

Für dieses Abgrenzungskriterium Bachof in: GS Jellinek, S. 287 (297); das BVerwG stellte zunächst auf einen klar abgrenzbaren Kreis Begünstigter ab, und erst im U. v. 19.09.1986, DVB1 1987, 476 ff. forderte es nur noch einen von der Allgemeinheit unterscheidbaren Personenkreis. 44 Vgl. ζ. B. baurechtliche Bestimmungen zum Brandschutz, die nicht drittschützend sind, da zwar ein bestimmbarer Personenkreis vorliegt, aber der Brandschutz öffentliche Aufgabe ist und damit im öffentlichen Interesse erfolgt; andere Begründung Bleckmann VB1BW 1985, 361 (362), der den Drittschutz ablehnt, weil die Interessen zahlreicher Individuen betroffen seien. 45 Bauer, AöR 113 (1988), 582 (595); Giese, Die Grundrechte, S. 71; Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers und Rechtsweggarantie, S. 69, der von einer unentwirrbaren Verflechtung beider Interessen spricht; Wahl, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 57 ff; für den Bereich der Grundrechte: kritisch Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 21 ff. und Uber, Freiheit des Berufs, S. 72.

1. Kapitel: Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts

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erkennbar - über das Einzelinteresse hinausgehendes Allgemeininteresse, ein kollektives Gut, aus dem sich für die Träger der öffentlichen Gewalt besondere Aufgaben und Pflichten ergeben.46 Eine dem Allgemeininteresse dienende Norm kann nun entweder allein den über das Einzelinteresse hinausgehenden Teil, das kollektive Gut regeln oder aber gerade auch die zusammengefaßten Individualinteressen betreffen. So erfolgt ζ. B. die Einteilung eines Bebauungsplans in ein bestimmtes Baugebiet im öffentlichen Interesse der städtebaulichen Ordnung. Die Festsetzung des Baugebiets betrifft zugleich aber die individuellen Nutzungsinteressen der Grundstückseigentümer, die nach § 1 Abs. 6 BauGB bei der Abwägung sogar ausdrücklich mitzuberücksichtigen sind. Auf die Einteilung des Baulandes in ein bestimmtes Baugebiet hat der Einzelne keinen Anspruch; die Einteilung dient nicht seinem Individualinteresse, sondern hierdurch wird allein das öffentliche Planungsinteresse - die Pflicht, das begrenzte Bauland einer der Allgemeinheit entsprechenden Nutzungsordnung zuzuführen - geregelt. Über dieses kollektive Gut als Allgemeininteresse - die Nutzungsordnung des Baulandes - kann und darf der Einzelne auch nicht verfügen, ihm, genauer seinem Rechtskreis, ist dieses gerade nicht zugeordnet. Soweit eine Regelung nur den über die Einzelinteressen hinausgehenden Bereich erfaßt, ist allein das öffentliche Interesse und nicht das Einzelinteresse angesprochen. Die Norm dient primär nicht dem Einzelinteresse, sondern dem öffentlichen Interesse.47 Dann ist der Einzelne auch nicht als Individuum gemeint, sondern als nicht individualisierbarer Teil der Allgemeinheit.48 Im vorgenannten Beispiel betrifft die potentielle Möglichkeit der Baugebietsfestlegung alle Grundstückseigentümer theoretisch nicht unterscheidbar. Die konkrete, im Bebauungsplan festgelegte Baugebietseinteilung schützt dagegen gerade auch die individuellen Nutzungsinteressen des Einzel-

46 So auch Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 57; dies meint wohl auch Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 21, wenn er das öffentliche Interesse als „aliud" gegenüber dem Einzelinteresse bezeichnet. 47 Vgl. hierzu das Beispiel von Bachof in: GS Jellinek, S. 287 (298): Art. 42 Abs. 3 BayGemO vom 25.1.1952 enthielt nur das über das Einzelinteresse hinausgehende Allgemeininteresse (kollektive Gut) der Sicherung von Hoheitsausgaben durch unabhängige Beamte, während das Individualinteresse des Einzelnen am Aufstieg zum Beamten nur faktisch mitbetroffen ist. Dahingegen schützt § 30 DBG (1955), der die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit bestimmt, gerade auch die Interessen des Beamten auf Beendigung der Unsicherheit seines vorläufigen Status, ist also dieses Interesse seinem Rechtskreis zugeordnet. 48 Ebenso Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2, Rn. 131.

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

nen, die Gebietsfestsetzung ist nunmehr seinem Rechtskreis zugeordnet. Der Schutz individueller Interessen erfolgt insoweit im Interesse des Einzelnen. Daß die Gebietsfestsetzung zugleich das öffentliche Interesse der städtebaulichen Ordnung konkretisiert, ändert daran nichts. Allgemein- und Individualinteressen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern können auch nebeneinander bestehen. Das Interessenschutzkriterium sieht die vorgenannten Differenzierungen vor, da es zum einen den Schutz von individualisierbaren Interessen fordert und zum anderen verlangt, daß die Norm auch zum Schutz dieser Interessen zu dienen bestimmt sein muß. Darüber hinaus erweist sich eine generelle trennscharfe Unterscheidung von Allgemeininteressen und Individualinteressen als nicht notwendig. Es kommt allein auf die Zuweisung eines individualisierbaren Interesses an ein Individuum, nicht aber darauf an, ob dieses Einzelinteresse grundsätzlich von einem Allgemeininteresse unterscheidbar ist. Andererseits ist gerade das Kriterium des Individualinteressenschutzes vonnöten, da eine Aufgabe desselben letztlich zu einem Gesetzesvollzugsanspruch führen würde. Soweit man subjektive öffentliche Rechte anerkennt, ist auf den Einzelnen, das Individuum abzustellen. Dem scheinen auch Rechtsprechung und Literatur zu folgen, die das Interessenschutzkriterium nur noch als „individuelle Interessen" umschreiben, d. h. als individualisierbare Interessen Einzelner, und nicht mehr als die Interessen des Einzelnen.49 Darin sind die erörterten Differenzierungen enthalten, da der geschützte Personenkreis individualisierbar, d. h. bestimmbar und damit von der Allgemeinheit abgrenzbar, und der Interessenschutz für den Einzelnen, also nicht für die Allgemeinheit bestimmt sein muß. Mit diesen beiden Kriterien sind gerade auch im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis die faktischen von den gewollten Reflexen zu unterscheiden. Auf das Interessenschutzkriterium verzichtend fordert die Literatur häufig eine sog. Konfliktschlichtungsformel als (alleiniges) konstitutives Merkmal. Danach sollen nachbarschützend diejenigen Normen sein, die durch „Postulate der Zuordnung, Verträglichkeit und Abstimmung benachbarter Nutzungen ei-

49 So verwendete das BVerwG zunächst den Begriff „Interessen des Einzelnen", ζ. B. BVerwGE 28, 268; ebenso Simon, BayVBl 1967, 227; anders von Anfang an Bachof\ in: GS Jellinek, S. 287 (296), der auch dafür die hinreichende Bestimmbarkeit des Kreises der Interessenten verlangte; vgl. zudem Kilbler/Speidel, Handbuch des Baunachbarrechts, I Rn. 4; für den Begriff der „individuellen Interessen" grundlegend BVerwG, DVB1 1987, 476.

1. Kapitel: Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts

33

nen Ausgleich konfligierender Nachbarinteressen" bewirken.50 Der Verzicht des Interessenschutzkriteriums bei der Konfliktschlichtungsformel kann sich aber gerade im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis als des öfteren problematisch erweisen, soweit die jeweiligen Normen allein einen faktischen Ausgleich konfligierender Privatinteressen vornehmen, ohne daß dieser im Interesse des Einzelnen erfolgt. In solch einem Fall fuhrt die formale Anwendung der Konfliktschlichtungsformel grundsätzlich zur Annahme subjektiver öffentlicher Rechte, obwohl die faktische Ausgleichsregelung lediglich öffentliche Interessen verfolgen könnte. Insoweit fehlt den Konfliktschlichtungsformeln ein Merkmal, das die vorgenannte Frage der Zuweisung des geregelten Interessenausgleichs berücksichtigen könnte. Ohne auf Details einzugehen sei dies am Beispiel der Vorschriften über das Maß der baulichen Nutzung in den §§ 16 ff. BauNVO verdeutlicht. Allgemein bestimmen diese Vorschriften, in welchem (Aus-)Maß der einzelne Grundstückseigentümer sein Grundstück bebauen darf insbesondere durch Festlegung von Grundflächen-, Geschoßflächen- und Baumassenzahlen. Durch die Bestimmung des Maßes der baulichen Nutzung erfolgt jedenfalls auch der Ausgleich der unterschiedlichen privaten Nutzungsinteressen am (Aus-)Maß der baulichen Nutzung der Grundstücke. Gleichwohl geht die allgemeine Auffassung davon aus, daß die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung in §§ 16 ff. BauNVO grundsätzlich nicht nachbarschützend sind, weil sie allein städtebaulichen und damit öffentlichen Interessen dienen sollen.51 Mittels der Konfliktschlichtungsformel müßte aber umgekehrt i. d. R. eine Drittschutzfunktion dieser Vorschriften anzunehmen sein wegen des jedenfalls faktischen Ausgleich der Interessen am Maß der baulichen Nutzung, wie ζ. B. bei der Bestimmung der Zahl der Vollgeschosse nach § 20 BauNVO oder der Bauweise nach § 22 BauNVO.52 Gerade in den zuletzt genannten Fällen ist für den Drittschutz ausschließlich maßgeblich, ob 50

Vgl. Breuer, DVB1 1983, 431 (437); Wahl, JuS 1984, 577 (585); Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2, Rn. 131; Steinberg NJW 1984, 457 (460); Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 151; vgl. auch Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 247 f., der verlangt, daß „eine Ordnungsnorm die kollidierenden Privatinteressen in ihrer Gegensätzlichkeit und Verflochtenheit wertet, begrenzt, untereinander gewichtet und derart in ein normatives Konfliktschlichtungsprogramm einordnet, daß die Verwirklichung der Interessen des einen notwendig auf Kosten des anderen geht". 51 BVerwG, NJW 1974, 811; Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. Π, § 17, I 1 a) aa); Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rn. 68 ff.; Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2, Rn. 117. 52 Für einen derartigen Drittschutz auch Breuer, DVB1 1983, 431 (437). 3 Petersen

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

die Anordnung allein aus städtebaulichen Gründen und damit im öffentlichen Interesse (faktischer Interessenschutz) oder auch im Interesse des Einzelnen (gewollter Interessenschutz) erfolgte, eben diesen auch schützen will.53 Die Befürworter der Konfliktschlichtungsformel argumentieren zwar in solchen Fällen, daß auf ein „erkennbares Austauschverhältnis" abzustellen54 bzw. entscheidend sei, ob die Norm dem Zweck diene, „die kollidierenden Gestaltungsund Verschonungsinteressen im Sinne der Konfliktschlichtungsformel zu begrenzen und einander zuzuordnen".55 Seinem Inhalt nach stellt diese Argumentation aber letztlich nichts anderes als ein unbenanntes Interessenschutzkriterium dar, für das sich in der Konfliktschlichtungsformel eigentlich keine Grundlage mehr finden läßt.

5. Anwendbarkeit der Vermutungsthese von Bachof Die Vermutungsthese von Bachof findet nicht nur beim Rechtsmachtkriterium, sondern auch beim Interessenschutzkriterium, der Abgrenzung des gewollten vom faktischen Reflex, Anwendung. Danach gelten faktisch geschützte Interessen bei Schutzwürdigkeit als tatsächlich geschützte Interessen: „...es besteht eine Vermutung dafür,... daß ein Rechtssatz, der einem Interesse faktisch zugute kommt, diesem Interesse auch zugute kommen, es schützen soll, sofern es als rechtsschutzwörrf/g zu erachten ist".56 Zwar stehe die Entscheidung über die Schutzwürdigkeit von Interessen grundsätzlich dem Gesetzgeber zu, es sei aber im Wege der Vermutung von einem rechtlich geschützten Interesse auszugehen, „wenn ein faktisch begünstigtes Interesse ... nach allgemeiner Auffassung als schutzwürdig angesehen wird".57 Inhaltlich folgert Bachof seine Vermutung aus der Verfassungsordnung, „ihrer Sicht des Verhältnisses von Mensch und Staat, wie sie im Grundgesetz in der Betonung

53

Ausdrücklich betonen dies Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§2 ff Rn. 38.1, 39. 54 Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 38.1, 39. 55 Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 276. 56 Bachof in: GS Jellinek, S. 296 ff. 57 Bachof in: GS Jellinek, S. 296; ebenso schon Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 45.

1. Kapitel: Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts

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der Menschenwürde als des zentralen Wertes seiner Rechtsordnung einerseits, in der Sozialstaatserklärung andererseits zum Ausdruck gelangt ist".58 Evidenz und Legitimation der Vermutungsthese sind für das bipolare Verwaltungsrechtsverhältnis hinsichtlich der Rechtsmacht59 und damit auch für das Interessenschutzkriterium nachgewiesen worden.60 Im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis gilt aber für das Interessenschutzkriterium nichts anderes, da die diesbezüglich vorgetragenen Bedenken, wie oben gezeigt, nicht überzeugen.61 Darüber hinaus erschließt sich die Gültigkeit der Vermutungswirkung im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis aus ihren Anwendungsvoraussetzungen. Die Vermutungsthese greift nur dann ein, wenn die Norm ein Individualinteresse rein tatsächlich schützt, d. h. ein von dem Gemeininteresse zu unterscheidendes Individualinteresse vorliegt, dessen Schutzzuweisung nicht im öffentlichen Interesse, sondern im Interesse des Einzelnen erfolgt ist. Für die Frage, ob dieses Interesse dann auch dem Einzelnen zu dienen bestimmt ist, gilt allein die Vermutungsthese, daß bei allgemein schützenswerten Interessen von einem gewollten Rechtsreflex, einer gewollten Begünstigung auszugehen ist. Auch hier wirkt sich „die Gesamtsicht des Grundgesetzes vom Einzelnen zum Staat" aus, da nur der Staat im Verhältnis zum Dritten betrachtet wird.62 Beim Interessenschutzkriterium stellt sich nur die Frage, ob der Staat durch die Rechtsnorm die Interessen des Dritten schützen wollte, nicht aber, ob der Dritte sie auch gegenüber dem Anderen auf dessen Kosten durchsetzen kann. Letztere Frage bleibt im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis der Rechtsmacht vorbehalten, für die die Vermutungsthese gesondert zu prüfen ist. Für das Interessenschutzkriterium besitzt die Vermutungsthese unter den angegebenen Voraussetzungen daher weiterhin Gültigkeit.

58

Bachof, in: GS Jellinek, S. 296; vgl. auch ders., DVB1 1961, 128 (130). Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 145; Menger/Erichsen, VerwArch 61 (1970), 274 (289), in Übereinstimmung mit Bachof; ausführlich auch Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 201 ff. m.w.N. 60 Hierzu Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 246 ff.; Friauf,; in: v. Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl., S. 201 (229). 61 1. Teil, 1. Kap., D I . 62 Beim Interessenschutzkriterium liegt also letztlich ein bipolares Verhältnis vor, das gegenüber dem Dritten wie dem Anderen besteht. 59

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Π. Das Rechtsmachtkriterium Das Rechtsmachtkriterium soll auf einer zweiten Stufe die Unterscheidung zwischen den gewollten Rechtsreflexen und den subjektiven öffentlichen Rechten ermöglichen. Eine Norm, die einen gewollten Rechtsreflex enthält, muß nicht zugleich auch ein subjektives Recht vermitteln. Der Gesetzgeber kann grundsätzlich lediglich einen objektiven Interessenschutz normieren, ohne dem Einzelnen gleichzeitig die materielle Befugnis zur Verfolgung der geschützten Interessen zu erteilen. Das Rechtsmachtkriterium dient daher der Feststellung, ob eine Norm dem Einzelnen auch diese materielle Befugnis und damit ein subjektives Recht verleiht. Nach Bachof umfaßt die zweite Stufe damit die Fragestellung, „ob und unter welchen Voraussetzungen die gewollten Reflexe, die rechtlich geschützten Interessen also, zum subjektiven Recht werden".63 Beim Rechtsmachtkriterium gilt es zwei Problemkreise deutlich voneinander zu trennen. Zum einen besteht die Frage, ob eine Norm dem Dritten generell Rechtsmacht verleiht. Hier geht es allein um die generelle materielle Befugnis, das „Ob" der Rechtsmachterteilung. Zum anderen stellt sich das Problem, unter welchen Voraussetzungen diese materielle Befugnis einen - wie auch immer im einzelnen ausgestalteten - Reaktionsanspruch auslöst.64 Steht fest, daß eine Norm generell eine subjektive Rechtsmacht vermittelt, so ist noch nicht geklärt, unter welchen Voraussetzungen der Einzelne von der Rechtsmacht Gebrauch machen kann. Das ist gleichbedeutend mit der Frage, wann der in der materiellen Befugnis verankerten Reaktionsanspruch auf Durchsetzung der geschützten Interessen aktualisiert wird. Dieser Problemkreis soll als „Wie" der Rechtsmachterteilung bezeichnet werden. Rechtsprechung und Literatur nehmen grundsätzlich nur noch zur letztgenannten Problematik, den Voraussetzungen für die Aktualisierung des Reaktionsanspruchs, ausführlich Stellung, soweit sie das Interessenschutzkriterium bejaht haben. Demnach ist zunächst zu klären, ob das Rechtsmachtkriterium neben dem Interessenschutzkriterium noch notwendige Bedingung dafür ist, daß eine Norm generell die materielle Befugnis zur Durchsetzung der geschützten Interessen, also ein subjektives Recht vermittelt. 63

Bachof in: GS Jellinek, S. 287 (299). Vgl. Bachof in: GS Jellinek, S. 299, der jedoch nur die Unterscheidung erwähnt, ohne näher auch auf das "Wie", die Voraussetzungen der Rechtsmachterteilung, einzugehen; ebenso Jarass, in: FS Lukes, S. 57 (61). 64

1. Kapitel: Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts

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L Das „ Ob " der Rechtsmachterteilung Nach der Ursprungsformel Bühlers setzt das Vorliegen des Rechtsmachtkriteriums voraus, daß der die individuellen Interessen schützende Rechtssatz „mit der Wirkung erlassen sei, daß die Interessenten sich auf ihn sollen berufen, d. h. mittels desselben ein bestimmtes Verhalten von der Verwaltungsbehörde herbeiführen können".65 Das Rechtsmachtkriterium ist durch die Vermutungsthese ersetzt worden, daß bei Vorliegen eines gewollten Interessenschutzes des Einzelnen durch eine Norm sich aus der von Art. 19 Abs. 4 GG mitgeprägten Gesamtsicht des Grundgesetzes vom Verhältnis des Einzelnen zum Staat ergebe, daß im Zweifel diejenige Interpretation den Vorrang verdiene, die dem Bürger den Rechtsschutz einräumt.66 Aufgrund des „individualistischen Staatsverständnisses" könne der Bürger nicht als bloßes Objekt der Rechtsordnung angesehen werden, sondern erfahre eine Subjektstellung gegenüber dem Staat. Daher stehe es dem Gesetzgeber auch grundsätzlich nicht frei, objektive Begünstigungen, wenn er sie gewährt, nach seinem Belieben zu bloßen Rechtsreflexen objektiven Rechts zu erklären und ihnen die Ausgestaltung zum subjektiven öffentlichen Recht abzusprechen.67 Infolgedessen hatte das Rechtsmachtkriterium bei Vorliegen des Interessenkriteriums seine Bedeutung für die Feststellung verloren, ob eine Norm generell die materielle Befugnis zur Interessenwahrnehmung vermittelt. Während die Begründung der Vermutungsthese im bipolaren Verhältnis zu überzeugen vermag, erscheint es äußerst zweifelhaft, ob Entsprechendes auch für das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis gilt, da dieses durch die Auswirkungen des vertikalen Staat-Bürger-Verhältnisses auf das horizontale Bürger-Bürger-Verhältnis geprägt ist. Es mehren sich mittlerweile auch in der Literatur die Stimmen, die im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis bei der Frage, ob eine Norm die materielle Befugnis zur Interessenwahrnehmung verleiht, die verfassungsrechtliche Vermutungsthese für nicht anwendbar erklären.68 In der Rechtsprechung findet sich hierzu keine ausdrückliche Stel65

Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 21; vgl. auch ders., in: GS Jellinek, S. 269 (274 f.). 66 Entwickelt von Bachof, in: GS Jellinek, S. 287 (300 ff.); ders., DVB1 1961, 128 (131); ebenso BVerfGE 15, 275 (281 f.). 67 Bachof, in: GS Jellinek, S. 287 (302). 68 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 144; SchmidtPreuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 205 ff.; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 168; Jarass, in: FS Lukes, S. 57 (65, 67 f.); Schwerdtfeger,

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lungnahme mehr, nachdem das BVerwG bereits in seinem Urteil vom 14.06.196869 gegen die Anwendbarkeit der Vermutungsthese im Baurecht wegen der Beteiligung von Dritten grundsätzliche Bedenken angemeldet hatte. Neuralgischer Punkt der Vermutungsthese ist die fehlende Einbeziehung des Dritten in das Staat-Bürger-Verhältnis. Infolgedessen könnten sich sowohl der Begünstigte als auch der Drittbetroffene bei einer Individualinteressen schützenden Norm auf die Vermutungsthese berufen. Das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis ist durch die horizontale Konfliktsituation von Privatinteressen geprägt, bei der die Verwirklichung des einen Privatinteresses notwendig zu Lasten des anderen geht. Die gegenseitigen Interessen werden dabei vielfach durch dieselben Normen geregelt. In diesen Fällen streitet die Vermutungsthese innerhalb derselben Normen für beide Seiten. Die gegenseitigen Vermutungen müßten sich dann untereinander aufheben, so daß sie keiner Partei ein subjektives öffentliches Recht einzuräumen vermögen.70 Andernfalls könnte sich der zuerst Klagende auf seine durch die Norm geschützten Interessen berufen, und diese einseitig zu Lasten des anderen, dessen Interessen die Norm ebenfalls berücksichtigt, durchsetzen.71 Die Vermutungsthese kann angesichts ihrer Herleitung aus dem von der Gesamtsicht des Grundgesetzes geprägten Verhältnis des Einzelnen zum Staat nur gegenüber dem Staat rechtserzeugend wirken, weil in dieser Sichtweise der Drittbetroffene ausgeblendet ist. Den primär auf die Abwehr staatlichen Handelns gerichteten Grundrechten und -freiheiten ist eine Wertung und Kollisionsregelung für das Zusammentreffen der Interessen verschiedener Grundrechtsträger fremd. 72 Dann kann sich im Kollisionsfall aber aus der Gesamtsicht der Grundrechte erst recht keine Vermutung für die Interessen des einen oder anderen ergeben. Zum gleichen Ergebnis kommt die Feststellung von Isensee, daß die Formel des „in dubio pro liberiate" „nur anwendbar auf ein bipolares Spannungsverhältnis zwischen einem Grundrechtssubjekt... und dem Staat" sei, nicht aber dort, „wo die grundrechtlichen Beziehungen polygonal ausdifferenziert" sei-

NVwZ 1983, 199 (200); dagegen für eine Anwendung Schenke, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rn. 287 ff; Kopp, WiVerw 1978, 188 f.; Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 128 ff; Sendler UPR 1981, 1 (5 f.); Kühl, Die Rechtsstellung der obligatorisch Berechtigten, S. 110 f. 69 BVerwG, NJW 1968, 2393 ( 2394); König, Drittschutz, S. 195 f. 70 Insofern ist der Kritik von Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 210, zuzustimmen. 71 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 144. 72 Ausführlich hierzu Berg, Konkurrenz schrankendivergierender Freiheitsrechte, S. 91 ff; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 405 m.w.N.

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en.73 Die verfassungsrechtliche Vermutungsthese von Bachof vermag daher bei Vorliegen des Interessenschutzkriteriums nicht auch die Rechtsmachterteilung gegenüber anderen Bürgern zu begründen. Das entscheidende Problem der Rechtsmacht im mehrpolaren Verhältnis liegt in den Rechtswirkungen gegenüber dem Dritten. Ist der Schluß vom rechtlich geschützten Individualinteresse auf die Rechtsmacht im Verhältnis Staat-Bürger zulässig und verfassungsgemäß, so bedarf die Rechtsmachterteilung gegenüber dem Dritten einer erweiterten dogmatischen Grundlage. Umgesetzt in die Formel von Bühler bedeutet dies, daß der Einzelne nicht nur von der Verwaltung mittels der Rechtsmacht ein bestimmtes Verhalten herbeifuhren kann, sondern daß der begünstigte Dritte dieses auch berücksichtigen, gegenüber sich selbst gelten lassen muß. In mehrpolaren Rechtsverhältnissen ist dabei - wie Schmidt-Aßmann feststellt - ohne eine materielle Wertung aller beteiligten Interessen privater Interessenträger nicht auszukommen74, um vom gewollten rechtlichen Interessenschutz zum subjektiven Recht des Einzelnen zu gelangen. Dem Rechtsmachtkriterium kommt folglich für die Feststellung der generellen materiellen Befugnis zur Interessenwahrnehmung eine eigenständige Bedeutung neben dem Interessenschutzkriterium zu. Die dogmatische Grundlage der Rechtsmachterteilung gegenüber Dritten ergibt sich aus der Kollision der grundgesetzlichen Rechtspositionen der am Interessenkonflikt beteiligten Bürger und der Ausgestaltungsbedürftigkeit dieser Grundrechtspositionen. Den Grundrechten ist insgesamt eine eigenständige Kollisionsregelung fremd, sie enthalten keine Bewertungsregeln für die Kollision einzelner Grundrechte und sind teilweise ausgestaltungsbedürftig wie Art. 14 GG.75 Die in den Grundrechten verankerten Schutzpflichten fordern jedoch eine solche Kollisionsregelung und Ausgestaltung der Grundrechte durch den Gesetzgeber76, der hierzu auch die verfassungsrechtliche Kompetenz77 besitzt. Ausgestaltung und Kollisionsregelung hat der Gesetzgeber in den einzelnen Fachgesetzen vorgenommen, im Baurecht insbesondere durch das BauGB, die BauNVO und die LandesBauOen. In diesen Gesetzen werden die kollidierenden Grundrechtspositionen ausgeglichen und dabei als objektive Interessenpositionen (sog. gewollte Rechtsreflexe) oder subjektive 73 74 75 76 77

Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 47. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 144. Siehe Fn. 72. Vgl. hierzu die Ausführungen unter 1. Teil, 3. Kap. Bleckmann, DVB1 1988, 938 (943).

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Rechte ausgestaltet. Soweit der Gesetzgeber in einer Norm kollidierende Rechtspositionen in Ausgleich bringt oder auf einzelne Rechtspositionen Rücksicht nimmt und dadurch die (kollidierenden) Grundrechtspositionen ausgestaltet, ist der Ausgleich auch von allen betroffenen Interessenträgern zu beachten.78 Wie grundrechtseinschränkende Grundrechtspositionen (verfassungsimmanente Schranken) vermitteln diese Kollisionsregelungen auch den materiellen Anspruch der Beachtung der eingeräumten und berücksichtigten Rechtsposition. Dann geben solche Normen aber auch dem Träger der geschützten Interessen die Rechtsmacht, die normative Konfliktentscheidung gegenüber den Rechtssubjekten geltend zu machen. Eine Norm verleiht im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis demnach dann Rechtsmacht, wenn sie auf eine Rechtsposition eines Dritten, ein rechtlich geschütztes Individualinteresse Rücksicht nimmt und bzw. oder die Interessen in Ausgleich mit den anderen betroffenen Einzelinteressen bringt. In diesem Fall ist die Rechtsposition des Dritten nicht nur objektiv, reflexartig in die Norm einbezogen, sondern die Norm selbst verleiht dem Dritten einen materiellen Anspruch auf Durchsetzung seiner Interessen und damit die Rechtsmacht zu ihrer Durchsetzung. Die gesetzliche Anordnung der Berücksichtigung einer Rechtsposition des Dritten ist damit rechtsmachterzeugend.

2. Anerkennung des Kriteriums des Ausgleichs und der Rücksichtnahme Die rechtsmachterzeugende Wirkung des Kriteriums des Ausgleichs und der Rücksichtnahme für das subjektive öffentliche Recht haben bereits Kritiker der Schutznormtheorie herausgearbeitet, die für eine drittschützende Norm fordern, daß diese durch Postulate der Zuordnung, Verträglichkeit und Abstimmung benachbarte Nutzungen regeln und zu einem Ausgleich bringen

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Hiervon ging schon Kübler/Speidel, Handbuch des Baunachbarrechts, I Rn. 8, S. 21 m. w. N. aus: „Zur Ermittlung der Zweckbestimmung einer Baurechtsnorm ist nach h. M. insbesondere die von der Norm erfaßte Interessenlage zu untersuchen. Denn - so wird gefolgert - erfasse die Norm auch gewichtige Interessen des Nachbarn, so sei bei der heutigen verfassungsrechtlichen Lage davon auszugehen, daß das Gesetz diese Interessen auch schützen wolle und insoweit dem Einzelnen ein subjektives öffentliches Recht einräume."

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müsse.79 Schmidt-Preuß hat ausgehend von der Schutznormtheorie eine ähnliche Formel entwickelt, die für die Entstehung des subjektiven öffentlichen Rechts fordert, daß eine Ordnungsnorm die kollidierenden Privatinteressen in ihrer Gegensätzlichkeit und Verflochtenheit wertet, begrenzt, untereinander gewichtet und derart in ein normatives Konfliktschlichtungsprogramm einordnet, daß die Verwirklichung der Interessen des einen Privaten notwendig auf Kosten des anderen geht.80 Nach diesen Konfliktschlichtungsformeln kommt rechtsmachterzeugende Wirkung letztlich der gesetzlich ausgeformten Konfliktregelung, der - wie Wahl* 1 es nennt - „horizontalen Ausgleichsordnung" zu. Dem entspricht exakt das herausgearbeitete Merkmal der Rücksichtnahme auf und/oder des Ausgleichs von Individualinteressen. Auch das BVerwG hat sich dieser Erkenntnis mit der Entwicklung des Rücksichtnahmegebots angeschlossen, indem es die ursprünglich aus Art. 14 GG entwickelten Grundsätze des Rücksichtnahmegebots zu einem generellen neuen dogmatischen Ansatz fortentwickelte. Ohne die Frage des Rechtsmachtkriteriums konkret zu benennen, fordert das BVerwG allgemein für das Vorliegen des drittschützenden Rücksichtnahmegebots, daß sich aus der Norm die Rücksichtnahme auf Individualinteressen eines Dritten ergeben müsse, und hinsichtlich der subjektiven Ausgestaltung, dem „Wie" des Rücksichtnahmegebots, eine „Qualifizierung und Individualisierung".82 Statt aus der den Individualinteressen dienenden Norm folgerte das Gericht den Drittschutz aus der gesetzlich angeordneten Rücksichtnahme auf Individualinteressen, die sich damals noch aus Art. 14 GG ergeben sollte.83 In einem ersten Schritt hat das BVerwG das Rücksichtnahmegebot von seiner unklaren Verankerung aus Art. 14 GG losgelöst und festgestellt, daß ein das gesamte Baurecht umfassendes außergesetzliches Rücksichtnahmegebot nicht bestehe, sondern lediglich

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So zuerst Breuer DVB1 1983, 431 (437); ebenso Wahl JuS 1984, 577 (585); ders., in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2, Rn. 114 f.; vgl. auch Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 151 m.w.N. 80 Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 248 f. 81 In: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2, Rn. 114 f. 82 St. Rspr. seit BVerwGE 52, 122(128 ff.); vgl. auch BVerwG, Buchholz 406.19, Nachbarschutz Nr. 44. 83 So eindeutig Weyreuther, BauR 1975, 1 ff., auf den sich das BVerwG in seiner Urteilsbegründung zum drittschützenden Rücksichtnahmegebot ausdrücklich beruft, BVerwGE 52, 122 (129 f.)

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im einfachen Recht seine Ausprägungfinden könne.84 Eine Norm war damit drittschützend, weil sie entweder allein den Interessen des Einzelnen zu dienen bestimmt war oder aber nach den Voraussetzungen des Rücksichtnahmegebots Rücksichtnahme auf Interessen Dritter verlangte. Diese beiden Kriterien bestanden zunächst unabhängig nebeneinander. In seinem Urteil vom 19.09.198685 hat das BVerwG schließlich den Grundgedanken des Rücksichtnahmegebots zu einer grundlegenden Erweiterung der Interessenschutzformel verwendet.86 Danach ist für ein subjektives öffentliches Recht erforderlich, daß die drittschützende Norm „auch der Rücksichtnahme auf individuelle Interessen oder deren Ausgleich untereinander dienen"87 muß. Das eigentlich aus dem Rücksichtnahmegebot stammende Kriterium der Rücksichtnahme auf individuelle Interessen Dritter wird damit verallgemeinert und zum allein maßgeblichen Merkmal für die Drittschutzfunktion einer Vorschrift. Auch das zweite Merkmal, der Ausgleich individueller Interessen, ist nichts anderes als die gegenseitige Rücksichtnahme. So legt der normierte Ausgleich individueller Interessen den Grad der Rücksichtnahme für eine bestimmte Interessenkollision fest. Die frühere Voraussetzung, daß die drittschützende Norm lediglich den Interessen des Einzelnen zu dienen bestimmt sein muß, hat damit für das Baurecht eine an das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis angepaßte Erweiterung gefunden. Dies wird ganz deutlich, wenn das Gericht bei der Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Charakter einer baurechtlichen Vorschrift darauf abstellt, ob sie „dem Schutz individueller Interessen dient, ob sie also Rücksichtnahme auf Interessen Dritter verlangt".88 Mit der Forderung nach Rücksichtnahme und Ausgleich der individuellen Interessen hat das BVerwG aber letztlich die Frage der materiellen Befugnis zur Interessenwahrnehmung, das „Ob" der Rechtsmachterteilung, umschrieben. Sie ist letztlich als ein von der Rechtsprechung unbenanntes Kriterium für die Rechtsmachterteilung anzusehen. Der überwiegende Teil der Literatur hat sich diese Kriterien mittlerweile zu eigen gemacht, ohne sich jedoch dabei mit dem 84 BVerwG, Buchholz 406.19, Nachbarschutz Nr. 44, S. 8; BVerwGE 67, 334 (337 ff); BVerwG, DVB1 1985, 122. 85 BVerwG, DVB1 1987, 476. 86 Zu einer ähnlichen Schlußfolgerung kommen auch Ladeur, UPR 1992, 81 (85); Battis , Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, S. 300 f.; Hoppe/Grotefels, öffentliches Baurecht, § 17 Rn. 26, die auf das Merkmal der „Rücksichtnahme auf individuelle Interessen Dritter" entscheidend abstellen; Knaup/Stange, BauNVO, Anhang nach § 27 Rn. 7-9. 87 BVerwG, DVB1 1987, 476. 88 BVerwG, ibid.

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Rechtsmachtkriterium auseinanderzusetzen oder dies auch nur ausdrücklich zu erwähnen.89

3. Anwendbarkeit der Vermutungsthese beim Rechtsmachtkriterium? Bei der Untersuchung des „Ob" der Rechtsmachterteilung wurde dargelegt, daß die gesetzliche Normierung der Rücksichtnahme auf oder die des Ausgleichs von Individualinteressen als hinreichende Bedingung anzusehen ist, um dem Interessenträger einen materiellen Anspruch gegenüber dem Begünstigten auf Einhaltung der gesetzlich ausgeprägten Rücksichtnahme zu verschaffen. Für das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis war die Vermutungsthese von Bachof aufgrund des Interessenkriteriums abzulehnen, weil es an der Einbeziehung des Dritten in die Betrachtung fehlte. Unbeantwortet ist aber die Frage geblieben, ob im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis der Gesetzgeber, wenn er die konfligierenden Individualinteressen in einen normativen Ausgleich bringt, sich frei für die Ausgestaltung als subjektives oder objektives Recht entscheiden kann.90 Beim objektiven Vorliegen der Voraussetzungen des Rechtsmachtkriteriums könnte nämlich die unwiderlegbare Vermutung zur Rechtsmachterteilung bestehen, die dem Gesetzgeber auch den ausdrücklichen Ausschluß der Rechtsmacht verbieten würde. Dieses Problem entspringt zum einen dem Spannungsverhältnis der Rechtssatzabhängigkeit, der die grundsätzliche Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers begründet, zum anderen der Grundrechtsabhängigkeit des subjektiven öffentlichen

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Battis , Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, S. 299; Knaup/Stange, BauNVO, Anhang nach § 27 Rn. 8,9. Mampel, Drittschutz, Rn. 134; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 118; Dürr, DÖV 1994, 841 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 6 ff.; Oidi ges, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 229 ff.; Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 17 Rn. 25 ff., Finkelnburg/Ortloff.\ Öffentliches Baurecht, Bd. Π, § 16, VI.; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S.247 ff., 423 ff., der ausdrücklich zur Frage des Rechtsmachtkriteriums Stellung bezieht. 90 Mit diesem Problem haben sich unter dem Aspekt des Drittschutzes insbesondere auseinandergesetzt Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 77 ff.; ders., DVB1 1996, 641 (646); Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 201 f.; Brohm, VVDStRL 30 (1971), 245 (272 f.); Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlichen Drittschutzes, S. 132 ff.; Wolff/Bachof.\ Verwaltungsrecht I, S. 322; Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 117.

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Rechts, aus der die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers resultiert.91 Die Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers umfaßt regelmäßig den Umfang und die allgemeine Art und Weise der Regelung einer gesetzlichen Materie, woraus sich a maiore ad minus der Schluß ziehen ließe, daß damit auch die subjektive oder objektive Ausgestaltung der Vorschriften zur freien Disposition steht. Eine grundsätzliche Gestaltungsfreiheit widerspricht jedoch dem Staatsverständnis des Grundgesetzes in seiner durch Art. 19 Abs. 4 GG mitgeprägten Gesamtsicht vom Einzelnen gegenüber dem Staat, wonach der Bürger nicht bloßes Objekt, sondern Subjekt einfachgesetzlicher Regelungen ist. Im Ergebnis führt dies dazu, daß bei der gesetzlichen Normierung der Rücksichtnahme oder des Ausgleichs kollidierender Individualinteressen die Vermutung für eine dem betroffenen Individuum eingeräumte Rechtsmacht zur Normdurchsetzung besteht.92 Dem widerspricht auch nicht die zuvor begründete Ablehnung der im Kern gleichermaßen begründeten Vermutungsthese von Bachof für das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis. Der wesentliche Unterschied liegt darin, daß die Norm nicht nur faktisch, d. h. rein tatsächlich Individualinteressen schützt - dies war schon die hinreichende Bedingung für die Vermutungsthese von Bachof -, sondern auch ihre Beachtung vom Begünstigten anordnen muß. Dadurch wird das faktisch geschützte Individualinteresse aber zum rechtlich geschützten. Zu untersuchen bleibt damit der zweite Teil der Frage, ob die Vermutungsthese widerlegbar ist. Dabei ist sowohl an die Möglichkeit, allein die Klagebefugnis auszuschließen, zu denken als auch die Schutzzielrichtung der Norm entsprechend festzulegen. Die insbesondere an Art. 1 GG und den materiellen Grundrechten evident werdende Aufwertung des Bürgers vom passiven Objekt staatlichen Handelns zum aktiven Subjekt könnte jedoch zur Folge haben, daß ein rechtlich geschütztes Individualinteresse von Verfassungs wegen mit Reaktionsansprüchen bewehrt sein muß und damit zwingend subjektive öffentliche Rechte nach sich zieht.93 Dieser Schlußfolgerung ist jedoch entgegenzu91 Vgl. Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 75 f f , der die Verarbeitung dieser Doppelabhängigkeit als die Herausforderung der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht bezeichnet. 92 Ebenso Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 201 f.; Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. §42 Abs. 2 Rn. 114; Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlichen Drittschutzes, S. 132 f f ; Brohm, VVDStRL 30(1971), 245 (272 f.). 93 So ausdrücklich Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen des öffentlichen Drittschutzes, S. 133; Brohm, VVDStRL 30 (1971), 245 (272 f.); König, Drittschutz, S. 222 f,; Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsschutzga-

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halten, daß die Grundrechte zwar die Subjektivierung des Staat-BürgerVerhältnisses bewirken und daher grundsätzlich auch die subjektive Ausgestaltung des objektiven Rechts verlangen. Sie sind aber nicht in der Lage, auch ein subjektives öffentliches Recht auf einfachgesetzlicher Ebene zu erzwingen, da sie die Ausgestaltung des einfachen Rechts nicht vorwegnehmen können.94 Zweifellos stellt aber der „gezielte Rechtsreflex", d. h. die den Dritten schützende Schutznorm ohne Durchsetzungsbefugnis, ein Paradoxon dar. Man könnte dazu neigen, diesen Widerspruch mit der Begründung hinzunehmen, daß die grundgesetzlichen Vorgaben den Gesetzgeber gerade nicht zur subjektivrechtlichen Ausformung des objektiven Rechts zwingen könnten und ihm daher zur Disposition stünden. Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß der Gesetzgeber von den grundrechtlichen Vorgaben, von der Subjektstellung des Einzelnen gegenüber dem Staat durch die mangelnde positive Verpflichtung zur subjektiven Ausgestaltung nicht völlig frei werden kann.95 Diese grundrechtliche Vorgabe ist in das System der unterschiedlichen Pflichten des Grundgesetzes einzuordnen, die vom konkreten Verfassungsgebot bis zum „einfachen" Verfassungsprinzip reichen. Eine umfassende Einordnung kann hier jedoch nicht geleistet werden, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Möglich ist eine allgemeine Einordnung der Bindungswirkungen und folgen. Die im Grundgesetz angelegte Subjektivierung des StaatBürger-Verhältnisses ist kein streng formales Prinzip, von dem der Gesetzgeber nicht abweichen könnte, sondern sie enthält zunächst die zuvor herausgearbeitete Vermutung. Die Vermutungsthese bindet den Gesetzgeber darüber hinaus derart, daß er bei Vorliegen der Vermutungsvoraussetzungen eines besonderen sachlichen Grundes in Form eines überwiegenden öffentlichen Interesses bedarf, um die Vermutungswirkungen auszuschließen.

rantie, S. 55, 57; wohl auch Schenke, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4, Rn. 288 ff 94 Siehe hierzu die eingehende Untersuchung unter 1. Teil, 3. Kap; vgl. auch Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 77 f. 95 Dieser Auffassung scheint Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 102 zu sein, wenn er zur Frage der grundrechtlich gebotenen Subjektivierung ausführt: „In den beiden Konfliktfeldern des öffentlichen Rechts, der vertikalen wie der horizontalen Richtung, ist der Gesetzgeber nicht frei, ob er subjektive öffentliche Rechte anerkennen will, sondern er hat nur einen Ausgestaltungsspielraum, in welchem Umfang er sie anerkennen will. (...) Zu diesem Spielraum gehört es auch, in gewissem Rahmen darüber zu entscheiden, ob der Ausgleich zwischen kollidierenden Privatinteressen objektivrechtlich oder subjektivrechtlich vorgenommen wird."

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Zum gleichen Ergebnis gelangt man durch Heranziehen des allgemein gültigen Grundsatzes von Treu und Glauben, der auch in der Beziehung zwischen Staat und Bürger Geltung beansprucht.96 Aufgrund der grundrechtlichen Konzeption von der Subjektstellung des Einzelnen im Verhältnis zum Staat besteht ein allgemeines Vertrauen, daß objektiv den Einzelnen - auch gegenüber Dritten - schützende Normen ein subjektives öffentliches Recht zur Durchsetzung vermitteln. Erläßt der Gesetzgeber aber eine bindende Vorschrift zum Schutz eines individuellen Personenkreises und entläßt er gleichzeitig das in die Pflicht genommene Organ aus der Verantwortung gegenüber dem Bürger, setzt er sich dem Vorwurf des widersprüchlichen und mißbräuchlichen Handelns aus. Daraus läßt sich die Schlußfolgerung ziehen, daß die Frage der Einräumung einer individuellen Rechtsmacht zur Durchsetzung einer zumindest auch den Individualschutz dienenden Norm nicht in das Belieben des Gesetzgebers gestellt sein kann, sondern zumindest einer konkreten Rechtfertigung aufgrund eines übergeordneten Interesses bedarf. 97 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß sich aus der von Art. 19 Abs. 4 GG mitgeprägten Gesamtsicht der Grundrechte vom Einzelnen zum Staat zum einen die Vermutungsthese im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis ergibt, wonach eine die Rücksichtnahme auf oder den Ausgleich von Individualinteressen anordnende Norm ein subjektives öffentliches Recht vermittelt. Zum anderen begrenzt dies die Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dahingehend, daß er bei Vorliegen der Vermutungsvoraussetzungen die Entstehung eines subjektiven öffentlichen Rechts nur ausschließen darf, wenn dafür ein besonderes und überwiegendes öffentliches Interesse besteht.

4. Das „ Wie " der Rechtsmachterteilung Das „Wie" der Rechtsmachterteilung umfaßt die Voraussetzungen, unter denen der in der generellen materiellen Befugnis verankerte Reaktionsanspruch auf Durchsetzung der geschützten Interessen aktualisiert wird. Das ist gleichbedeutend mit der Frage, wann eine Verletzung des in der Norm verankerten subjektiven Rechts vorliegt, weil diese den subjektiven Reaktionsan-

96

So argumentiert Diet lein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 202. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 202; ebenso schon ansatzweise Bachof; in: GS Jellinek, S. 287 (304 f.). 97

1. Kapitel: Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen R e c h t s 4 7

spruch auslöst. Die subjektive Rechtsverletzung ist von der objektiven zu unterscheiden. Eine objektive Rechtsverletzung liegt immer dann vor, wenn die Norm rechtswidrig angewendet wurde. Hingegen meint die subjektive Rechtsverletzung diejenige rechtswidrige Anwendung einer Norm, die zur Verletzung der geschützten subjektiven Rechtsposition führt. Die subjektive Rechtsverletzung kann entweder gleichbedeutend mit jeder objektiven Rechtsverletzung sein oder aber eine bestimmte objektive Rechtsverletzung verlangen, so daß nur ein Ausschnitt aus dem objektiven Normbereich subjektiviert ist. Im letzteren Fall spricht man auch von einer partiell drittschützenden Norm.98 Angesprochen sind hiermit der sachliche und persönliche (subjektive) Schutzbereich der Norm sowie die Problematik der tatsächlichen Betroffenheit. Der sachliche Schutzbereich beinhaltet die drittschützende Rechtsposition, die in der einzelnen Vorschrift verankert ist. Negativ formuliert umschreibt der sachliche Schutzbereich diejenige objektive Rechtsverletzung, die zu einer Verletzung der geschützten Drittinteressen führt. Der persönliche Schutzbereich bestimmt allgemein, wer sich auf eine Verletzung der geschützten Rechtsposition berufen kann. Er fragt darüber hinaus, ob die Norm noch weitere Anforderungen an die subjektive Rechtsverletzung stellt, ob auch eine persönliche Verletzung der drittgeschützten Interessen, also eine eigene tatsächliche Betroffenheit erforderlich ist. Zumeist ergibt sich direkt aus dem sachlichen auch der persönliche Schutzbereich. Unter dem Begriff der tatsächlichen Betroffenheit ist eine objektiv meßbare Rechtsgutverletzung zu verstehen. Sowohl die objektive als auch die subjektive Rechtsverletzung können eine konkrete, tatsächliche Betroffenheit des Dritten verlangen. Damit ist nicht der partielle Drittschutz durch eine Norm zu verwechseln, der vorliegt, wenn der objektiv-rechtliche Anwendungsbereich, der die objektive Rechtsverletzung festlegt, über den subjektiv-rechtlichen Bereich einer Norm, der die subjektive Rechtsverletzung umschreibt, hinausgeht.99

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So ist z. B. § 31 Abs. 2 BauGB partiell drittschützend allein hinsichtlich der „Würdigung nachbarlicher Belange"; eine Befreiung ohne Vorliegen eines Befreiungstatbestandes der Nr. 1-3 enthält daher lediglich eine objektive Rechtsverletzung, wenn sie nicht gleichzeitig ohne Würdigung nachbarlicher Belange erfolgte, vgl. Finkelnburg/O rtloff, Öffentliches Baurecht, Bd. Π, § 17, I. 3.; allgemein zum partiellen Drittschutz Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 180 f. 99 Ungenau insofern Finkelnburg/Ortloff \ Öffentliches Baurecht, Bd. II, § 16, VI. 3.

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

a) Abstrakt-generell und partiell-konkret schützende Normen Der Gesetzgeber kann zur Ausgestaltung einer Drittschutz vermittelnden Norm entweder zu abstrakt-generell oder zu partiell-konkret nachbarschützenden Normen greifen. 100 Bei den abstrakt-generell drittschützenden Vorschriften hat der Gesetzgeber die sachlichen Probleme abstrakt bereits abschließend geregelt, so daß sich eine situations- und einzelfallbezogene Prüfung erübrigt.101 Der sachliche und personelle Schutzbereich ist dabei in abstraktgenerellen Tatbestandsmerkmalen typisierend umschrieben. Der dadurch gewährte Drittschutz erfolgt unabhängig von der Frage einer tatsächlichen Beeinträchtigung der geschützten Interessen, da der Gesetzgeber ohne Berücksichtigung der konkreten Situation einen abstrakten Ausgleich der Interessen geschaffen hat. Im Fall der objektiven Rechtsverletzung sind danach die geschützten Individualinteressen immer als rechtlich beeinträchtigt anzusehen, so daß auch eine subjektive Rechtsverletzung vorliegt. Ein allseits bekanntes Beispiel hierzu stellen die Vorschriften über die Abstandsflächen im Bauordnungsrecht der Länder dar102, die bei jeder objektiven Rechtsverletzung den subjektiven Reaktionsanspruch aktualisieren. Die Möglichkeiten, mittels abstrakt-genereller Regelungen einen gerechten Ausgleich der kollidierenden Interessen zu finden, sind jedoch gerade im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis eingeschränkt. Zum einen können die Grundrechte eine situationsbezogene Feinabstimmung verlangen, wenn die fehlende Berücksichtigung von Ausnahmefällen im Normenkomplex zu einer Grundrechtsverletzung und damit zur Verfassungswidrigkeit der Regelungen führen würde. Zum anderen beinhaltet die abstrakt-generelle Regelung latent die Gefahr der einseitigen Berücksichtigung der Interessen des Nachbarn unter Außerachtlassung der widerstreitenden Interessen des Bauherrn.103 Zur Lösung dieser Konflikte muß der Gesetzgeber partiell-konkret drittschützende Regelungen erlassen, die auf die tatsächliche Situation verweisen und damit eine Berücksichtigung der

100 Vgl. hierzu Mampel, Drittschutz, Rn. 236 ff.; ders., BauR 1993, 44 (46 f.); Knaup/Stange, BauNVO, Anhang nach § 27 Rn. 10, 11. 101 Vgl. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 184; Mampel, BauR 1993,44 (47). 102 Vgl. etwa Art. 6 BayBO, §§ 6 LBO BW, 6 BauO Bin, 7 BremLBO - Grenzabstände (Bauwich) -, 6 LBO Hamb, 8 HBO, 7 ff. NBauO - Grenzabstände -, 6 BauONW, 6 LBO Rh-Pf, 6 ff. LBO Saarl, 6 LBO Schl-H. m Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 104, der dies allgemein unter der Frage der „Grenzen des Normierens" behandelt.

1. Kapitel: Die Dogmatik des subjektiven öffentlichen R e c h t s 4 9

konkreten, räumlichen Situation erfordern. Wahl 104 spricht davon, daß die Normen in diesen Fällen unter einem „Situationsvorbehalt" stünden, der für die rechtliche Problemlösung unvermeidlich und sachlogisch sei. Der durch diese Normen gewährte Drittschutz ist dementsprechend auch partiell-konkret, da er für die Frage der subjektiven Rechtsverletzung ebenfalls auf die konkrete Situation abstellt und eine tatsächliche Beeinträchtigung der Interessen erfordert. Hierzu gehört z. B. § 31 Abs. 2 BauGB, der erst bei der tatsächlichen Betroffenheit der nachbarlichen Belange durch die Befreiung Drittschutz enthält.

b) Das Problem der faktischen Betroffenheit Eng verbunden mit der Unterscheidung zwischen partiell-konkret und abstrakt-generell schützenden Normen ist die immer noch umstrittene Frage105, ob die Verletzung des subjektiven öffentlichen Rechts allein eine rechtliche Beeinträchtigung, deren Anforderungen sich aus der Norm ergeben, oder stets eine tatsächliche Beeinträchtigung oder Betroffenheit der nachbarlichen Rechtsgüter erfordert. Der folgenden Erörterung ist zunächst voranzustellen, daß weder § 42 Abs. 2 VwGO noch § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine tatsächliche Beeinträchtigung fordern, sondern lediglich eine mögliche rechtliche Beeinträchtigung des subjektiven Rechts verlangen.106 Hauptargument der Verfechter eines isolierten Betroffenheitskriteriums ist der negatorische Charakter des subjektiven öffentlichen Rechts aufgrund seiner grundrechtlichen Basis, die eine konkrete Beeinträchtigung des Nachbarn verlange.107 Von diesem Ansatz her kann jedoch lediglich eine rechtliche, 104

106.

Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn.

105 Vgl. hierzu die jüngst erschienenen Stellungnahmen: Stollmann, SächsVBl 1995, 155 ff., der sich insbesondere auf den Drittschutz von Abstandsflächen bezieht; Mampel, BauR 1993, 44 ff.; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 1005 ff.; Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 107 ff.; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 182 ff.; Ladeur, UPR 1992, 81 (84 f.). 106 Hierzu ausführlich Jacob, BauR 1984, 1 ff.; ebenso Mampel, BauR 1993, 44 ff. 107 Breuer, DVB1 1984, 431 (437); Marburger, Gutachten C zum 56. Deutschen Juristentag, S. 36; Wahl, JuS 1984, 577 (586), der allerdings von einer Individualisierung spricht. 4 Petersen

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

nicht aber eine tatsächliche Betroffenheit notwendig sein. Denn der negatorische Charakter eines Anspruchs verlangt allein, daß das geschützte Recht, d. h. die geschützte Rechtsnorm verletzt ist. Die Voraussetzungen der Normverletzung ergeben sich aus der jeweiligen Rechtsnorm. Diese kann Rechtsschutz entweder abstrakt-generell, ohne daß es auf eine tatsächliche Beeinträchtigung ankäme, oder partiell-konkret mit dem Erfordernis einer tatsächlichen Beeinträchtigung vermitteln. Ein weiteres Argument besteht darin, daß der Nachbar keinen Anspruch auf Einhaltung einer Norm um ihrer selbst willen habe.108 Soweit der Nachbar keine Beeinträchtigung durch die Verletzung der drittschützenden Norm zu befürchten habe, könne er den reinen Normverstoß auch nicht geltend machen. Hiergegen läßt sich zweierlei einwenden. Zum einen gibt es immer eine Grenze, bei deren Unterschreitung keine und ab deren - noch so geringfügiger - Überschreitung eine Verletzung der subjektiven Rechtsposition vorliegt und Drittschutz zu gewähren ist. Das Erfordernis der Betroffenheit verschiebt diese Grenze lediglich, ohne die Grenzprobleme vermeiden zu können. So gibt es auch bei einem Betroffenheitskriterium Bagatellfälle der leichten Unter- bzw. Überschreitung, womit das Argument, keinen Rechtsschutz um seiner selbst willen zu gewähren, eingreifen könnte. Das Merkmal der tatsächlichen Beeinträchtigung bietet daher letztlich keine Lösung und offenbart sich als eine an praktischen Bedürfnissen, nicht aber an der Rechtsdogmatik ausgerichteten Sichtweise. Das Erfordernis einer tatsächlichen Betroffenheit kann sich allein aus dem materiellen Recht ergeben.109 Ein zusätzliches, normunabhängiges Erfordernis der Betroffenheit würde daher gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit aus Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen.110 Zum anderen übersieht dieser Einwand, daß der Gesetzgeber sehr wohl die Möglichkeit hat, die Einhaltung einer Norm um ihrer selbst willen anzuordnen, d. h. dem Einzelnen eben abstrakt Schutz zu gewähren. Die Kompetenz des Gesetzgebers, dem Einzelnen durch die Rechtsnorm Rechtsmacht oder nur bloßen Rechtsreflex zuteil werden zu lassen, beinhaltet auch die Kompetenz, die Rechtsmacht von einer tat-

m Stollmann, SächsVBl 1995, 155 (157), mit Hinweis auf Friauf, in: v. Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 1988, S. 587 und Wahl, JuS 1984, 577 (586). 109 So Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. II, § 21,1. 2. unter Hinweis auf BVerwG, NVwZ 1985, 39; ebenso nunmehr Knaup/Stange, BauNVO, Anhang nach § 27 Rn. 40. UQ Mampel BauR 1993, 44 (48).

2. Kapitel: Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme

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sächlichen Beeinträchtigung abhängig zu machen oder abstrakt-generellen Schutz zu gewähren.1,1 Der Rechtsprechung und der überwiegenden Meinung in der Literatur ist daher darin zuzustimmen, daß es kein allgemeines Erfordernis gibt, wonach für die Geltendmachung des subjektiven öffentlichen Rechts eine spürbare Beeinträchtigung erforderlich wäre.112 Lediglich die Auslegung einer generell Drittschutz vermittelnden Norm kann ergeben, daß diese Schutz erst ab einer bestimmten Schwelle der Beeinträchtigung gewährt.113 Das ist nur dann der Fall, wenn das einfache Recht auf die faktischen Gegebenheiten verweist, also bei den sog. partiell-konkret drittschützenden Normen. Für die Entstehung des subjektiven öffentlichen Rechts ist damit mehr als eine rechtliche Betroffenheit nicht erforderlich; das „Wie" der Rechtsmacht richtet sich daher allein nach den in der drittschützenden Rechtsnorm festgelegten Kriterien.

2. Kapitel

Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur kann eine Norm auch über das Rücksichtnahmegebot Drittschutz entfalten. Das grundsätzlich objektive und nur ausnahmsweise subjektiv-rechtlich zu verstehende Rücksichtnahmegebot bildet dabei nicht ein das gesamte Baurecht umfassendes Gebot, das neben dem Recht besteht, sondern gilt nur nach Maßgabe des einfachen Rechts. Es ist in solchen Normen ausgeprägt, die objektiv eine Rücksichtnahme auf Interessen Dritter verlangen. Eine drittschützende Wirkung entfaltet das Rücksichtnahmegebot, „soweit in qualifizierter und individualisierter Weise auf besondere Rechtspositionen Dritter Rücksicht zu nehmen ist, und (...) wenn unabhängig von der besonderen rechtlichen Schutzwürdigkeit der Betroffenen deren Betroffensein wegen der gegebenen

111

Mampel BauR 1993, 44 (46). BVerwG, NVwZ 1985, 39; für die Literatur vgl. nur Finkelnburg/Ortloff Öffentliches Baurecht, Bd. Π, § 21,1. 2. 113 BVerwG, DVB1 1987, 476 (477), unter Hinweis auf BVerwGE 52, 122 (139); BVerwGE 67, 334, 336 und BVerwG, DVB1 1981, 928. 112

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Umstände so handgreiflich ist, daß dies die notwendige Qualifizierung, Individualisierung und Eingrenzung bewirkt."1 Die Definition läßt im Unklaren, was genau unter den Merkmalen der Qualifizierung und Individualisierung zu verstehen ist. So verlangen Teile der Literatur für die Qualifizierung eine unzumutbare Beeinträchtigung und für die Individualisierung eine besonders geschützte Rechtsposition, durch die sich der Nachbar von den anderen abhebt und angesichts derer sich seine Schutzwürdigkeit aufdrängt.2 Andere sehen hingegen sowohl in der Qualifizierung als auch der Individualisierung allein das Erfordernis einer besonders geschützten Rechtsposition, die den Nachbar individualisiert und qualifiziert. 3 Gänzlich verwirrend ist es, wenn die Rechtsprechung und mit ihr ein großer Teil der Literatur eine drittschützende Wirkung auch dann annimmt, wenn sich aus der Intensität des Betroffenseins die notwendige Qualifizierung und Individualisierung ergeben. Das hat dazu geführt, daß das subjektive Rücksichtnahmegebot in einer Norm zumeist dann angenommen wurde, wenn allein nach Abwägung der betroffenen Interessen der Nachbar unzumutbar beeinträchtigt war.4 Nach den vorgenannten Voraussetzungen für die drittschützende Wirkung bleibt jedoch offen, ob das Rücksichtnahmegebot ein eigenständiges, in den jeweiligen Normen verankertes Rechtsinstitut5 oder aber lediglich ein Topos6 zum Nachweis des subjektiven öffentlichen Rechts bei der Anwendung der Schutznormtheorie ist. Es kann daher nicht verwundern, daß beim Rücksicht-

1

So das BVerwG erstmals im U. v. 25.02.1977, BVerwGE 52, 122 (131) unter Rückgriff auf Weyreuther, BauR 1975, 1 (7 ff.); seitdem st. Rspr.: vgl. BVerwG, BRS40 Nr. 4; BRS 40 Nr. 198; BRS 49 Nr. 188 (S. 435); BRS 54 Nr. 193 (S. 517); gleichlautend die Begründungen in der Literatur: ζ. B. Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 39 ff.; Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. Π, § 16, VI. 3.; Grotefels, in: Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 17 Rn. 26; Battis , Öffentliches Baurecht, S. 300. 2 Ζ. B. Mampel, Drittschutz, Rn. 782, 790-792. 3 Ζ. B. Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§29 ff. Rn. 39, 40; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 34. 4 Vgl. hierzu die umfassenden Nachweise für die Rechtsprechung bei Hauth, BauR 1993, 673 (674). 5 Noch weitergehender Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 30 BauGB Rn. 66, der das Rücksichtnahmegebot entgegen der überwiegenden Auffassung für ein von den einzelnen Normen losgelöstes Rechtsinstitut hält. 6 So Schlichter, in: Dokumentation zum 7. Verwaltungsrichtertag 1983, S. 177.

2. Kapitel: Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme

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nahmegebot auch in jüngster Zeit Kritik7 und Fürsprache8 anhalten. Allerdings scheint sich in Teilen der Rechtsprechung und Literatur die Erkenntnis durchzusetzen, daß das Rücksichtnahmegebot funktionslos geworden ist, weil es in der Dogmatik der allgemeinen Schutznormtheorie aufgegangen ist.9 Die damit aufgeworfene Frage nach der Funktion des Rücksichtnahmegebots in der heutigen Dogmatik der Schutznormtheorie muß sich zunächst mit dessen geschichtlicher Entwicklung beschäftigen. Die Gründe für die Entwicklung des Rücksichtnahmegebots vermögen seine dogmatische Ungenauigkeiten zu verdeutlichen und das ihm eigentlich zugrundeliegende Problem aufzuzeigen.

A. Die Starrheit der Schutznormtheorie Ausschlaggebend für die Entwicklung des Rücksichtnahmegebots war die Ablehnung der drittschützenden Funktion des § 35 BBauG im Urteil des BVerwG vom 06.12.196710 und des § 34 BBauG im Urteil vom 13.06.196911. Begründet wurde die Ablehnung des Drittschutzes damit, daß es den Normen an einer klaren Abgrenzung des berechtigten Personenkreises fehle. Der Schutz zugunsten eines oft nicht mehr übersehbaren Kreises von angeblich Berechtigten würde den Bauherrn einem für ihn ebenfalls nicht mehr überschaubaren Risiko aussetzen und ihn oft über Jahre hinweg im Unklaren lassen. Das beschränkende Merkmal des abgrenzbaren Personenkreises diene dazu, den Kreis der Drittschutzberechtigten zugunsten des Bauherrn einzugren-

7 Vgl. König, Drittschutz, S. 131 ff.; Hauth BauR 1993, 673; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 46 ff., 87 ff. 8 Battis, Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, Kap. 8 IV 2, S. 300; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 30 BauGB Rn. 58-60; ders., DÖV 1994, 841 (844); Schlichter/Roeser in: Schlichter/Stich, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 27 ff.; Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 754 f f , 876 ff. 9 Vgl. ζ. B. Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 17 Rn. 26, die das Rücksichtnahmegebot mit den allgemeinen Voraussetzungen einer drittschützenden Norm nach der Schutznormtheorie vermengen; ebenso Battis, Öffentliches Baurecht, S. 300; Knaup/Stange, Anhang nach § 27 Rn. 8-11. 10 BVerwGE 28, 268 (273 ff.). 11 Vgl. BVerwGE 32, 173 (174 f.), wo zur Begründung des Merkmals „bestimmter und abgegrenzter Kreis der Berechtigten" auf die den Drittschutz verneinenden Entscheidungen zu § 35 Abs. 2 BBauG (BVerwGE 28, 268) und zu § 11 Abs. 1 Satz 1 RGarO (BVerwGE 27, 29) verwiesen wird.

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

zen, der andernfalls zu weitgehend benachteiligt sei.12 Die Notwendigkeit der Eingrenzung zum Schutz des Bauherrn ergab sich aus dem damals absolut verstandenen Drittschutz, wonach eine Norm entweder absolut oder überhaupt nicht drittschützend war. 13 Soweit eine Norm auch den Interessen des Einzelnen zu dienen bestimmt war, sollte sie aufgrund der verfassungsrechtlichen Vermutungsthese von Bachof auch absolut drittschützend sein, d. h. in jeder rechtswidrigen Anwendung der drittschützenden Norm lag auch eine Verletzung des subjektiven Rechts. Innerhalb der Theorie zum subjektiven öffentlichen Recht war die Möglichkeit des partiellen Drittschutzes durch eine Norm noch nicht erkannt, da es an einer grundlegenden Unterscheidung zwischen der subjektiven und objektiven Rechtsverletzung fehlte. 14 Erschwerend kam hinzu, daß die materielle Bedeutung der Betroffenheit des Dritten im Rahmen der Schutznormtheorie dogmatisch nicht erschlossen war. So verlangten damals einige Verwaltungsgerichte für eine (subjektive) Rechtsverletzung, daß der Nachbar durch die Abweichung von der nachbarschützenden Norm tatsächlich, d. h. mit der Folge einer Wertminderung des Grundstücks beeinträchtigt war.15 Hingegen ging in der Literatur der überwiegende Teil von dem Erfordernis einer Beeinträchtigung aus, ohne daß diese jedoch ein bestimmtes Maß erreicht haben mußte.16 Das BVerwG tendierte wiederum zu der Annahme, daß es allein auf die objektive Rechtswidrigkeit unabhängig von der tatsächlichen Beeinträchtigung des Nachbarn ankomme.17 Auch in diesem Sinne wurde der Drittschutz also eher absolut verstanden.

12 Grundlegende Erörterung des Personenkreismerkmals bei Kiibler/Speidel, Handbuch des Baunachbarrechts, Teil I, Rn. 14 ff. 13 Vgl. hierzu VG Köln NJW 1981, 1463; Thiele, DÖV 1979, 239 (241); Berger, Grundfragen umweltrechtlicher Nachbarklagen 1982, S.108; Müller, NJW 1979, 2378 (2381); dies bemängelt Wahl, JuS 1984, 577 (586) mit Hinweis auf Sendler, BauR 1970, 79, aus dessen Ausführungen sich diese Prämisse ergibt; ablehnend auch Alexy, DÖV 1984, 953 (961). 14 Vgl. nur Kübler/Speidel, Handbuch des Baunachbarrechts, Teil I Rn. 41 f f , wo das Thema allgemein unter der Frage der Rechtsverletzung behandelt wird. 15 Umfassender Nachweis für die Rechtsprechung bei Kübler/Speidel, Handbuch des Baunachbarrechts, Teil I, Rn. 53, der dies auch als h. M. bezeichnet. 16 Vgl. jeweils m.w.N. Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, S. 179; Schäfer, DVB1 1962, 844; Schütz/Frohberg, Kommentar zum Bundesbaugesetz, §31, A 1; Bender/Dohle, Nachbarschutz im Zivil- und Verwaltungsrecht, Rn. 68 f. 17 So andeutungsweise das BVerwG, BVerwGE 32, 173 (175 f.), wenn es feststellt, daß der Nachbar, „wie weit man auch seine Rechte ausdehnen mag, nur eine objektiv rechtswidrige Baugenehmigung zu Fall bringen kann"; eindeutig aber viel später BVerwG, BRS 42 Nr. 182, wo das Gericht feststellt, daß es keinen

2. Kapitel: Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme

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Durch die Ablehnung eines Drittschutzcharakters für die §§ 34, 35 BBauG war der Nachbar auf den „dornigen Weg" des Eigentumsschutzes nach Art. 14 GG verwiesen, der nur bei schweren und unerträglichen Eingriffen in das Eigentum Drittschutz eröffnete. Dieser alsbald als zu beschränkt empfundene Nachbarschutz des Nachbarn durch Art. 14 GG, insbesondere in Fällen der nachträglichen Nichtigkeit von Bebauungsplänen, veranlaßte das BVerwG zur Entwicklung des drittschützenden Gebots der Rücksichtnahme. Vordergründig war für die Neuorientierung demnach die durch die Vermutungsthese verursachte Starrheit der Drittschutzdogmatik verantwortlich18, wonach eine Norm entweder absoluten oder keinen Drittschutz vermittelte. Infolgedessen war eine Bewältigung der Interessenkonflikte unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls nicht möglich. Diesen Automatismus von Interessenschutz und „genereller" Drittschutznorm hat das BVerwG für das Rücksichtnahmegebot ausdrücklich außer Kraft gesetzt. Mit der Begründung, daß im Baurecht einer Norm drittschützende Wirkung nur dann zukommen könne, wenn sie einen bestimmten und abgrenzbaren, d. h. individualisierbaren und nicht übermäßig weiten Kreis der hierdurch Berechtigten erkennen lasse, lehnte das BVerwG den Drittschutzcharakter des allgemeinen, objektiven Gebots der Rücksichtnahme ab, obwohl dieses „so offenkundig den Interessen eben dieser anderen" diene.19 Grund war auch hier das „Schutzbedürfhis derer, denen antragsgemäß Baugenehmigungen erteilt werden". Mit der Subjektivierungsformel entwickelte das BVerwG sodann einen partiellen Drittschutz durch das Rücksichtnahmegebot, um unter Einbeziehung der besonderen Situation des Einzelfalls sowohl die Interessen des Bauherrn als auch des Dritten berücksichtigen zu können. Beim objektiven Rücksichtnahmegebot komme „es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist"20. Eine partielle Subjektivierung sollte nicht bei jeder ungleichen Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen erfolgen, sondern nur, „soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf besondere Rechtsposiallgemeinen Rechtssatz im Baurecht gibt, der für den Erfolg nachbarlicher Einwendungen eine tatsächliche Beeinträchtigung fordert. 18 So auch Marburger, Gutachten C zum 56. Deutschen Juristentag, C 24, der von einem „relativ starren System" spricht; vgl. auch Alexy, DÖV 1984, 953. 19 BVerwG U. v. 25.02.1977 - IV C 22.75, E 52, 122 (129); dieses Merkmal wurde damit zum entscheidenden Kriterium für eine drittschützende Norm bis zur Aufgabe in BVerwG, DVB1 1987, 476. 20 BVerwGE 52, 122(126).

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

tionen Rücksicht zu nehmen ist", insbesondere auch dann, „wenn unabhängig von der besonderen rechtlichen Schutzwürdigkeit der Betroffenen ihr Betroffensein wegen der gegebenen Umstände so handgreiflich ist, daß dies die notwendige Qualifizierung, Individualisierung und Eingrenzung bewirkt."21

B. Fehlen einer dogmatischen Grundlage im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis War vordergründig die durch den Automatismus hervorgerufene Starrheit der Schutznormtheorie der Grund für die Entwicklung des Rücksichtnahmegebots, so liegt die eigentliche Ursache in der Unanwendbarkeit der den Automatismus auslösenden Vermutungsthese von Bachof für das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis. Die Unanwendbarkeit der Vermutungsthese ergibt sich aus ihrer Ausrichtung auf das Verhältnis Staat-Bürger, in das der durch den Verwaltungsakt begünstigte Dritte nicht einbezogen ist.22 Sie führt bei ihrer Anwendung zur generellen Bevorteilung desjenigen, der sich auf die geschützten Interessen beruft. Aufgrund der Vermutungsthese entfiel der notwendige Nachweis der durch die Rechtsnorm zu verleihenden Rechtsmacht. War aber die Rechtsmacht nicht mehr nachzuweisen, waren auch die Voraussetzungen für ihr Entstehen - das „Wie" der Rechtsmachterteilung - nicht mehr zu überprüfen und erübrigte sich die Frage der materiellen Betroffenheit des Dritten. Als Folge entstand der Automatismus, daß jede den Einzelinteressen zu dienen bestimmte Norm auch (absolut) drittschützend war, den das Rücksichtnahmegebot durchbrechen sollte. Das Rücksichtnahmegebot mußte dabei zwei Problemkreise lösen: Auf der einen Seite galt es, bei den Drittschutzkriterien die Berücksichtigung der Interessen des Dritten sicherzustellen. Auf der anderen Seite stand das Problem der situationsbezogenen Einzelfallgerechtigkeit beim Ausgleich der konfligierenden Interessen zwischen Bauherrn und Nachbarn, das auch mit der Frage der materiellen Betroffenheit des Dritten umschrieben werden kann.

21 22

BVerwGE 52, 122 (131). Vgl. hierzu ausführlich die Ausführungen bei 1. Teil, 1. Kap., D II 1.

2. Kapitel: Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme

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L Abgrenzbarer Kreis der Begünstigten Das BVerwG, das die Problematik der Annahme des Drittschutzes allein aufgrund der Vermutungsthese erkannte, verlangte für eine drittschützende Norm im Baurecht, daß sich „von der jeweiligen Norm her ein bestimmter und abgrenzbarer Kreis der Berechtigten" ergebe.23 Eine schlechthin drittschützende Funktion des (objektiven) Rücksichtnahmegebots lehnte das Gericht mangels konkret bestimmbaren Kreises der Berechtigten ab. Der Grund für die Unanwendbarkeit der Vermutungsthese liegt aber in der fehlenden Berücksichtigung des Begünstigten. Das Abgrenzbarkeitskriterium ermöglicht jedoch nur mittelbar eine Rücksichtnahme auf die „Bauinteressen" des Begünstigten, da infolgedessen nicht jeder Grundstückseigentümer sich auf die geschützten Interessen berufen kann. Eine dogmatische Rechtfertigung des Drittschutzes gegenüber dem Begünstigten liegt darin nicht. Das BVerwG hat mittlerweile selbstrichtiggestellt,daß es für den Drittschutz gerade nicht auf einen eindeutig bestimmbaren und abgegrenzten Kreis der Betroffenen ankommt.24 Die Ablehnung des Drittschutzcharakters vom objektiven Rücksichtnahmegebot mittels des Personenkreiskriteriums erweist sich somit als dogmatisch unzutreffend. Das sog. objektive Gebot der Rücksichtnahme ist trotzdem richtigerweise nicht drittschützend, soweit es nicht individuelle Interessen des Einzelnen, sondern dem öffentlichen Interesse der städtebaulichen Ordnung und dem allgemeinen Ausgleich bauplanerischer Interessen dient.25 Es liegt in diesem Fall ein ungewollter Rechtsreflex vor, der dementsprechend keinen Drittschutz vermittelt.

23 Entwickelt in BVerwGE 27, 30 (32); fortgesetzt in BVerwGE 28, 268, (275); BVerwGE 32, 173 (175); BVerwGE 41, 58 (63) und BVerwG, Buchholz 406.11 Nr. 3, S.l (10); diese Annahme geht auf die ursprüngliche Definition des subjektiven öffentlichen Rechts von Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 21 zurück, wonach ein objektiver „Rechtssatz subjektive öffentliche Rechte für den Untertanen dann und nur dann zur Entstehung (bringt), wenn er ... zugunsten bestimmter Personen oder Personenkreise, zur Befriedigung ihrer Individualinteressen und nicht nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen ist...". 24 BVerwG, DVB1 1987, 476 (477). 25 Vgl. hierzu Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§29 ff. Rn. 29, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung, die das objektivrechtliche Rücksichtnahmegebot als durch das „öffentliche Wohl" gefordert ansah, vgl. BVerwG, NJW 1968, 1105.

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Π. Subjektivierungsformel Nach der Subjektivierungsformel ist das Rücksichtnahmegebot drittschützend, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise Rücksicht auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter zu nehmen ist.26 Seit der Konkretisierung der Formel in den Urteilen des BVerwG vom 05.08.198327 liegt das Merkmal der Individualisierung vor, soweit sich aus den tatsächlichen Umständen handgreiflich ergibt, auf wen Rücksicht zu nehmen ist, und das Merkmal der Qualifizierung, wenn eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des Betroffenen anzunehmen ist.28 Das Merkmal der Individualisierung mittels der tatsächlichen Umstände ist abzulehnen, da nicht die tatsächlichen Umstände, sondern allein die rechtlichen Voraussetzungen über den Drittschutzcharakter einer Norm entscheiden können. Die Norm kann eine Rücksichtnahme auf die tatsächlichen Umstände erfordern, was jedoch nur eine Frage des „Wie" der Rechtsmachterteilung ist. Das „Wie" der Rechtsmachterteilung umfaßt nur die Voraussetzungen, unter denen der subjektive Reaktionsanpruch aktualisiert wird, die Norm also konkret Schutz entfaltet. Hierzu gehört insbesondere auch, wer sich auf den Drittschutz berufen kann. Davon klar zu trennen ist die Frage, ob die Norm überhaupt drittschützend ist. Zudem erweist sich das Merkmal der Individualisierung als unzutreffend und überflüssig, weil es nach allgemeiner Meinung für den Drittschutzcharakter einer Norm gerade nicht auf einen klar abgrenzbaren Kreis der Berechtigten ankommt. Ausreichend sind individualisierende Tatbestandsmerkmale, aus denen sich ein von der Allgemeinheit unterscheidbarer Personenkreis entnehmen läßt.29 Soweit individuelle Interessen Dritter zu berücksichtigen sind, ist damit eine hinreichende Unterscheidung zum Allgemeininteresse und zur Allgemeinheit gegeben. Einer weiteren Individualisierung der subjektiven Interessen bedarf es nicht.

26 So ausdrücklich zuletzt BVerwG, BRS 49 Nr. 188 (S. 435); BRS 54 Nr. 193 (S. 517). 27 BRS 40 Nr. 4 und Nr. 198. 28 Für diese Auslegung spricht neben dem Wortlaut der Urteile auch der Aufsatz von Weyreuther, BauR 1975, 1 (8 f.), der Grundlage für die Entwicklung des Rücksichtnahmegebots durch die Rechtsprechung war. 29 BVerwG, DVB1 1987, 476 (477). Das bedeutet nichts anderes als das Erfordernis Schutz individueller Interessen, aus denen sich der von der Allgemeinheit unterscheidbare Personenkreis ergibt.

2. Kapitel: Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme

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Auch das Merkmal der Qualifizierung durch die besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des betroffenen Nachbarn vermag den Drittschutz des Rücksichtnahmegebots innerhalb einer Norm nicht zu begründen.30 Die besondere rechtliche Schutzwürdigkeit soll sich allgemein aus einer die Individualinteressen des Nachbarn schützenden Rechtsposition ergeben.31 Allein das Bestehen einer solchen schutzwürdigen Position erzeugt grundsätzlich für das Rücksichtnahmegebot innerhalb einer anderen Norm und damit für die Norm selbst keinen Drittschutz. Das wäre nur der Fall, wenn die Norm nach dem Rücksichtnahmegebot eine Berücksichtigung der Rechtsposition anordnete, aus der sich die schützenswerten Interessen ergäben. Nur dann ist nach der Norm auch das geschützte Interesse des Nachbarn zu beachten und erzeugt die Norm insoweit Drittschutz.32 Nicht ausreichend ist daher, daß irgendeine Norm individuelle Interessen des Nachbarn schützt und diesen insofern rechtlich qualifiziert, sondern die das Rücksichtnahmegebot enthaltende Norm muß gerade auch diese Interessen berücksichtigen. Noch viel weniger kann allein die Intensität der Beeinträchtigung zu einer drittschützenden Wirkung des Rücksichtnahmegebots innerhalb einer Norm iühren. Dieses unzutreffende Kriterium rührt von der ursprünglichen grundrechtlichen Herleitung des Rücksichtnahmegebots aus Art. 14 GG her33, bei dem die Schwere des Eingriffs die erforderliche Individualisierung für den Drittschutz ergibt. Daß allein das Maß der Beeinträchtigung infolge der fehlenden Rücksichtnahme nicht ein subjektives öffentliches Recht begründen kann, erschließt sich aus der allgemeinen Erkenntnis, daß sich Rechte grundsätzlich nur aus Rechtssätzen ergeben können.34 Wie bei Art. 14 GG kann sich die Frage der tatsächlichen Beeinträchtigung allein auf das „Wie" der Rechtsmachterteilung, die 30

Die besonders geschützte Rechtsposition ist auch für Weyreuther, BauR 1975, 1 (7 ff.) Ausgangspunkt der drittschützenden Wirkung. 31 Vgl. hierzu BVerwG, BauR 354 (356). 32 Das verkennt auch Weyreuther, BauR 1975, 1 (8), der eine generelle Berücksichtigung aller rechtlich geschützten Interessen beim Rücksichtnahmegebot über Art. 14 GG postuliert. 33 Vgl. BVerwGE 52, 122 (130), wonach bei „Art. 14 GG keine zusätzlichen Anforderungen an die Erkennbarkeit des Kreises der Berechtigten gestellt werden, (...)» w e i l insoweit die außergewöhnliche Schwere des Eingriffs hinreichend individualisierend wirkt"; Schlichter DVB1 1984, 875 (876). 34 Allgemein hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 120. Das hat speziell für das Rücksichtnahmegebot auch Alexy», DÖV 1984, 953 (959), herausgestellt: „Es ist aber auch deutlich, daß dieses Kriterium, wenn man unter „Beeinträchtigung" etwas Faktisches versteht, für sich allein nicht ausreicht." Zur Bedeutung des Richterrechts in diesem Zusammenhang vgl. Peine, DVB1 1984, 936 ff.

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Rechtsverletzung beziehen. Im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis ist die Annahme einer Subjektivierung wesentlich davon abhängig, wie die kollidierenden Individualinteressen nach den Rechtsnormen zu gewichten sind.35

1. Die gesetzlich angeordnete Rücksichtnahme Die Subjektivierungsformel enthält jedoch denrichtigenAnsatz, der zur Fortentwicklung der Schutznormtheorie für das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis erforderlich war, nämlich die neben der Unzumutbarkeit geforderte, gesetzlich angeordnete Rücksichtnahme auf eine Rechtsposition des Dritten. Hierdurch verlangt die Norm die Beachtung der Interessen des Nachbarn auch vom Begünstigten, die als das entscheidende Merkmal einer drittschützenden Norm anzusehen ist.36 Subjektivierend wirkt damit die gesetzliche Anordnung der Berücksichtigung einer Rechtsposition des Nachbarn in der einzelnen Norm.37 Konsequenz dieses Ergebnisses ist, daß jeder Norm, die ausdrücklich oder konkludent die Rücksichtnahme auf Individualinteressen Dritter anordnet, ein drittschützender Charakter zukommt, und zwar unabhängig von der Frage der Betroffenheit. Auch das BVerwG hat sich langsam dieser Auffassung angenähert, wenn auch die anfängliche Gewichtung des Betroffenheitsmerkmals unzutreffend war, auf das es zunächst primär abstellte. Im Laufe der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot hat das BVerwG jedoch bei der Frage der Subjektivierung immer mehr die geschützte Rechtsposition des Nachbarn, auf die die Norm Rücksicht nehmen soll, zum entscheidenden Kriterium gemacht.38 Zwar verlangt das Gericht immer noch die unzumutbare Beeinträchtigung, die

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So bereits Alexy DÖV 1984, 953 (957). Vgl. oben 1. Teil, 1. Kap., D Π 1. 37 Vgl. auch Schlichter/Roeser in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§29 f f , Rn. 39: „Hiernach kann es nur darum gehen, aus der in den einfachrechtlichen Vorschriften geforderten Rücksichtnahme auf nachbarliche Interessen zu schließen, daß der Betroffene einen Anspruch auf Einhaltung dieser vom Gesetz geforderten Bewertung der wechselseitigen Interessen hat." 38 Vgl. hierzu BVerwG, DVB1 1987, 476 (477), wo der Drittschutz von § 31 Abs. 2 BBauG/BauGB mit der gesetzlich angeordneten Würdigung nachbarlicher Interessen, also der gesetzlich festgelegten Rücksichtnahme auf diese begründet wird und lediglich für die Frage des Maßstabs für eine Verletzung der Rechte des Nachbarn auf die Kriterien des Rücksichtnahmegebots zurückgegriffen wird. 36

2. Kapitel: Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme

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durch die Abwägung der widerstreitenden Interessen festgestellt werden soll. Zu einer solchen Abwägung gelangt es aber nur unter der Voraussetzung, daß der Nachbar auch eine abwägungserhebliche schutzwürdige Position besitzt: „Denn Rücksicht zu nehmen ist nur auf solche Interessen des Nachbarn, die wehrfähig sind, weil sie nach der gesetzgeberischen Wertung, die im materiellen Recht ihren Niederschlag gefunden hat, schützenswert sind. Fehlt es hieran, so ist für Rücksichtnahmeerwägungen von vornherein kein Raum."39 Damit mißt das BVerwG letztlich aber allein der gesetzlich angeordneten Rücksichtnahme auf Rechtspositionen des Dritten rechtsmachterzeugende Wirkung bei. Dessen ungeachtet bleiben auch weiterhin die Ungenauigkeiten bei der Unterscheidung zwischen dem „Ob" und dem „Wie" der Rechtsmachterteilung in der Rechtsprechung bestehen. Untersucht man die mittels des Rücksichtnahmegebots drittschützenden Normen, §§ 31 Abs. 2, 34 Abs. 1, 35 Abs. 1, 2, 3 BauGB und § 15 Abs. 1 BauNVO, so findet man gerade bei diesen eine gesetzlich angeordnete Berücksichtigung der Interessen von Dritten.40 Ein umfassender Nachweis kann hier nicht geleistet werden, da dies den Umfang der Arbeit übersteigen würde. Die maßgeblichen Ansatzpunkte vermögen aber bereits überzeugende Indizien zu liefern. Bei § 31 Abs. 2 BauGB ergibt sich schon aus dem Wortlaut „Würdigung nachbarlicher Interessen" die Normierung der Berücksichtigung von Individualinteressen Dritter. 41 Zwar fehlt in § 34 Abs. 1 BauGB eine ausdrückliche Anordnung der Rücksichtnahme. Das Bauvorhaben muß sich jedoch in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen, insbesondere nach der Art der baulichen Nutzung. Da der Begriff der Art der baulichen Nutzung mit den in § 1 Abs. 2 BauNVO aufgeführten Baugebieten identisch ist42 und diese zweifelsohne auch Individualinteressen schützen, ordnet die Norm mittels des Merkmals „einfügen" dann aber die Berücksichtigung der durch die Eigenart der Umgebung nach der Art der baulichen Nutzung geschützten Interessen der 39 BVerwG, BauR 1994, 354 (356); die subjektive Rechtsposition betrachten auch Knaup/Stange, BauNVO, Anhang nach § 27 Rn. 11 als ausschlaggebend für die Subjektivierung. 40 Vgl. allgemein die Nachweise bei Redeker, DVB1 1984, 871 (873 ff.); Schröer, BauR 1985, 406 (410 ff.); Hauth, BauR 1993, 673 (681 ff.); Dürr, NVwZ 1985, 719 (720 ff.). 41 Für § 31 BauGB hat auch das BVerwG mittlerweile eine unmittelbare Herleitung des Drittschutzes ohne Rücksichtnahmegebot anerkannt, BVerwG, DVB1 1987, 476 (477). 42 Vgl. nur Schlichter/Hoflierr, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, § 34 Rn. 32.

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Nachbarn an.43 Überdies deutet das auf die Umgebung abstellende Merkmal „einfügen" auf ein zwischen den Grundstücken bestehendes - faktisches Austauschverhältnis hin, das in seiner Intensität aber nicht dem der festgelegten Baugebiete entspricht.44 Für die Rücksichtnahme fruchtbar gemacht werden kann zudem das Merkmal aus § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB. Durch die Voraussetzung, daß die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt werden müssen, sollen Immissionskonflikte und unzumutbare Beeinträchtigungen vermieden werden, ähnlich wie in § 35 Abs. 3, Spiegelstrich 2 BauGB.45 Für § 35 Abs. 1 und 2 BauGB folgt die Rücksichtnahme aus dem eben erwähnten, für beide Absätze geltenden Absatz 3, Spiegelstrich 2 der Vorschrift, wobei insbesondere § 3 BImSchG diese Auslegung belegt.46 Darüber hinaus resultiert aus der Systematik der Absätze 1 und 2, daß die Nutzungsinteressen der nach Absatz 1 privilegierten Vorhaben bei Absatz 2 zu berücksichtigen sind. Schließlich ergibt sich bei § 15 Abs. 1 BauNVO aus dem Begriff „Eigenart des Baugebiets" und in Satz 2 aus der ausdrücklichen Berücksichtigung der Umgebung die gesetzlich normierte Rücksichtnahme auf Drittinteressen.47 Zu beachten ist, daß in den Normen ausschließlich die gesetzlich angeordneten Interessen zu berücksichtigen sind und nicht grundsätzlich jedes irgendwie geartete Interesse des Nachbarn. Die Auslegung der Norm hat zu ergeben, welche Interessen geschützt sind und vom Nachbar geltend gemacht werden können. Dabei ist es möglich, daß sich die schutzwürdigen Rechtspositionen auch aus anderen Normen ergeben, soweit diese bei der Anwendung der drittschützenden Norm zu beachten sind.

43 Ebenso Schenke, NuR 1983, 81 (84 f.); Erbguth, in: FS Ernst, S. 99 (100 ff.); Dürr, NVwZ 1985, 719 (721); Peine, DÖV 1984, 963 (969); Redeker, DVB1 1984, 870 (873); Wahl, JuS 1984, 567; Wachsmuth, NVwZ 1988, 323 (325). 44 Ausführlich hierzu Menger, VerwArch 69 (1978), S. 313 (319 f.). 45 Vgl. hierzu Hauth, BauR 1993, 673 (682). 46 So auch Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 36; Hauth, BauR 1993, 673 (683). 47 Vgl. nur Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 6 f; eine umfassende Untersuchung erfolgt unter 2. Teil, 5. Kap., B.

2. Kapitel: Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme

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2. Das Unzumutbarkeitserfordernis Die beim subjektiven Rücksichtnahmegebot geforderte Qualifizierung und Individualisierung ist durch die Vornahme einer Abwägung der Interessen des Nachbarn und des Bauherrn festzustellen. Eine Drittschutz auslösende Wirkung des Rücksichtnahmegebots liegt nach der Abwägung vor, wenn der Nachbar in seinen Interessen derart tatsächlich betroffen ist, daß die Grenze dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird.48 Die für die Abwägung maßgeblichen Kriterien sollen sich dabei aus den konkreten Umständen des Einzelfalles ergeben. Ihrem Inhalt nach legt die für das Rücksichtnahmegebot entwickelte Abwägung damit die Anforderungen fest, die sich aus dem „Wie" der Rechtsmachterteilung ergeben, d. h. den Voraussetzungen, unter denen die Norm konkret Drittschutz entfaltet. Den mittels des Rücksichtnahmegebots drittschützenden Normen ist jedoch unmittelbar selbst zu entnehmen, daß für die Aktualisierung des subjektiven Reaktionsanspruchs eine tatsächliche Betroffenheit i. S. einer Unzumutbarkeit erforderlich ist. Es zeigt sich, daß die jeweiligen Normen auf die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls verweisen, also unter einem sog. Situationsvorbehalt stehen.49 Die Einbeziehung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls in die Abwägung der konfligierenden Interessen folgt damit aus der jeweiligen Norm. So verlangt § 31 Abs. 2 BauGB, daß die Befreiung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Unabhängig von dem nachbarschützenden Charakter der Festsetzung, von der befreit werden soll, verweist die Norm damit auf die tatsächlichen Auswirkungen der Abweichung für den Nachbarn. Mangels Festlegung einer bestimmten Grenze in der Norm ist eine Unvereinbarkeit erst dann gegeben, wenn die Befreiung Interessen des Nachbarn, die durch die aufgehobene Festsetzung zuvor geschützt waren, unzumutbar beeinträchtigt. Ähnliches gilt für die Frage des Einfügens bei § 34 Abs. 1 BauGB. Das Merkmal „einfügen" vermittelt Drittschutz, soweit die Art der baulichen Nutzung betroffen ist, nicht jedoch, wenn allein städtebauliche Interessen berührt sind. Ob sich ein Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung noch in die Umgebung einfügt oder bereits die darin enthaltenen individuellen Interessen

48

BVerwG, Buchholz 406.19, Nachbarschutz Nr. 44, S.8. Ebenso Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. 42 Abs. 2 Rn. 106 f. 49

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

des Nachbarn verletzt, läßt sich nur nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten unter Abwägung der tatsächlichen Verhältnisse in der Auswirkungsumgebung des Vorhabens beurteilen. Eine Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände erfordert auch das Merkmal „Wahrung der gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse" in § 34 Abs. 1 S. 2 BauGB. Unter Abwägung der bereits bestehenden Wohn- und Arbeitsverhältnisse mit den hinzukommenden Auswirkungen des geplanten Vorhabens ist zu ermitteln, ob gesunde Verhältnisse gewahrt bleiben.50 Der Maßstab ist hierbei nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten unter Einbeziehung der tatsächlichen Verhältnisse zu bilden. In § 35 Abs. 2 BauGB weist die Vorschrift durch die Zulässigkeitsvoraussetzung, keine öffentlichen Belange zu beeinträchtigen, auf die tatsächlichen Gegebenheiten hin. So kann die hieibei geforderte Berücksichtigung auch der Interessen der privilegierten Vorhaben aus § 35 Abs. 1 BauGB nur durch eine Abwägung der Folgewirkungen des geplanten Vorhabens auf die bestehenden und bereits konkretisierten zukünftigen Nutzungen i. S. von Abs. 1 erfolgen. Mangels ausdrücklich vorgeschriebenen Maßstabs muß das Vorliegen einer Beeinträchtigung nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten untersucht werden. Ebenso verlangt die Prüfung des Merkmals „schädliche Umwelteinwirkungen" in § 35 Abs. 3 BauGB eine Bezugnahme auf die in der Umgebung betroffenen Nachbarn. Schädliche Umwelteinwirkungen, die eine subjektive Rechtsverletzung bedeuten, sind dann anzunehmen, wenn ihre Auswirkungen auf den Nachbarn unzumutbar sind.51 Schließlich fordert auch der Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO eine tatsächliche Beeinträchtigung nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten, und § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO rekurriert für die Unzumutbarkeit der Belästigungen und Störungen ausdrücklich auf die tatsächlichen Umstände im Baugebiet oder dessen Umgebung.52 Das Merkmal der Unzumutbarkeit ist nicht derart abstrakt zu verstehen, daß immer das gleiche Maß der konkreten Beeinträchtigung zur Verletzung des subjektiven Rechts, also zur Überschreitung der Grenze des Zumutbaren führt. Vielmehr legt jede Norm bzw. das Normgefüge das erforderliche Maß fest. 53 So liegen die Grenzen der zumutbaren Beeinträchtigung in § 31 Abs. 2 50

Vgl. Hauth, BauR 1993, 673 (682); Redeker, DVB1 1984, 871 (874). Ebenso Hauth, BauR 1993, 673 (680). 52 Hierzu ausführlich unten 2. Teil, 5. Kap., C. 53 So auch Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kapitel H Rn. 136. 51

2. Kapitel: Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme

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BauGB bei der Befreiung von nachbarschützenden Festsetzungen wesentlich höher als bei der von nicht nachbarschützenden.54 Eine ähnliche Differenzierung zeigt § 35 BauGB für die schädlichen Umwelteinwirkungen, wonach das Maß der Betroffenheit des privilegierten Bauvorhabens zur Abwehr eines nicht privilegierten geringer zu bewerten ist als umgekehrt die Abwehr eines privilegierten Vorhabens durch nichtprivilegierte.55 In § 15 Abs. 1 BauNVO bemißt sich die Zumutbarkeit nach den unterschiedlichen Baugebieten und der tatsächlich verwirklichten Bebauung, so daß auch hier eine differenzierte Grenze des Zumutbaren normiert ist.

C. Aufgabe des Rücksichtnahmegebots mangels eigenständiger Funktion Bei der Darstellung der Schutznormtheorie hat sich herausgestellt, daß mittels des Rücksichtnahmegebots ein grundlegender dogmatischer Neuansatz für die Schutznormtheorie im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis entwickelt worden ist56. Die Untersuchung der einzelnen nach der Rechtsprechung ursprünglich mittels des Rücksichtnahmegebots als drittschützend qualifizierten Normen hat gezeigt, daß diesen Normen Drittschutz unmittelbar nach den Voraussetzungen der so angepaßten Schutznormtheorie zukommt, ohne daß es eines Rückgriffs auf das Rücksichtnahmegebot bedarf. Damit kommt dem Rücksichtnahmegebot keine eigenständige Bedeutung mehr zu, es ist durch die Umsetzung in die Schutznormtheorie materiell überflüssig geworden. Von der Rechtsprechung wie von einigen Autoren in der Literatur57 wird es auch nur noch als Topos und Auslegungshilfe58 bei der Anwendung der Schutznormtheorie verstanden und sollte daher auch formell aufgegebenwerden.

54

Hiervon geht auch das BVerwG aus, vgl. nur BVerwGE 56, 71 (79). Ausführlich Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 268 f. 56 Vgl. oben 1. Teil, 1. Kap., Π 2. 57 Vgl. BVerwG, DVB1 1987, 476 (478); erstmals Schlichter, NVwZ 1983, 641; Finkelnburg/Ortloff Öffentliches Baurecht, Bd. Π, § 16, VI., die das Rücksichtnahmegebot als „Kriterium des nachbarschützenden Charakters" bezeichnen; Krebs, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Abschn. Rn. 238. 58 So auch Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 50, der davon ausgeht, daß sich das Rücksichtnahmegebot als Auslegungshilfe einfachrechtlicher Vorschriften weiter bewähren wird. 55

5 Petersen

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

3. Kapitel

Die Bedeutung der Grundrechte fur den Drittschutz Es ist allgemein anerkannt, daß den Grundrechten eine Ausstrahlungswirkung auf die einfachgesetzlichen Regelungen zukommt, wobei zwischen norminterner und normexterner Wirkung unterschieden wird. Bei der norminternen Wirkung1 handelt es sich ausschließlich um eine von der einfachgesetzlichen Grundlage ausgehende Auslegung der Norm, in der bereits ein subjektivrechtlicher Gehalt vorhanden ist, mithin um ein Verdeutlichen, nicht aber um ein Anreichern des vorhandenen Regelungsgehalts.2 Eine normexterne Wirkung der Grundrechte liegt hingegen vor, wenn die Grundrechte ohne Vermittlung des einfachen Rechts subjektive Rechte erzeugen3. Die norminterne wie die normexterne Wirkung der Grundrechte kann sich zum einen aus der Schutzpflichtdimension und zum anderen aus der Abwehrrechtsdimension ergeben.4

A. Die Schutzpflichtdimension der Grundrechte L Die Begründung subjektiver öffentlicher Rechte mittels nonninterner Wirkung grundrechtlicher Schutzpflichten In neuerer Zeit mehren sich die Stimmen5, die die Bedeutung der in den Grundrechten verankerten Schutzpflichten bei der Bestimmung der subjektiven Rechte vermehrt betonen. Die grundrechtlichen Schutzpflichten werden

1 Zur Abgrenzung von norminterner Wirkung und verfassungskonformer Auslegung vgl. Stern, Staatsrecht ΠΙ/1, § 69 m 4 (S. 927). 2 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 123; ähnlich Pietzcker, JuS 1982, 106 (109). 3 Vgl. grundlegend Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 125; speziell zur normexternen Wirkung der Schutzpflichten Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 208 ff. 4 Vgl. zur Unterscheidung der beiden Grundrechtsdimensionen Kühl, Die Stellung der obligatorisch Berechtigten, S. 117 ff. 5 König, Drittschutz, S. 217 ff.; Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 193 ff.; Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 180 ff.; Wiegand, BayVBl 1994, 609 ff., 647 ff.; Klein, DVB1 1994, 489 ff.; Kühl, Die Rechtsstellung der obligatorisch Berechtigten, S. 109 ff.

3. Kapitel: Die Bedeutung der Grundrechte für den Drittschutz

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dabei nicht unmittelbar zur Herleitung des subjektiven öffentlichen Rechts herangezogen, vielmehr bleibt das einfache Recht Ausgangspunkt für das subjektive öffentliche Recht. Es geht um die Einwirkungsmöglichkeiten der grundrechtlichen Schutzpflichten auf das einfache Recht, um die Verzahnung von einfachem Recht und Verfassung6.

1. Die Bedeutung der subjektiven Seite der Schutzpflichten Die grundrechtlichen Schutzpflichten sind mittlerweile als objektivrechtlicher Gehalt der Grundrechte allgemein anerkannt.7 Darüber hinaus ist nach der Literatur den Schutzpflichten unmittelbar ein subjektiver Schutzanspruch zu entnehmen8, dessen dogmatische Begründung jedoch immer noch schwer fällt und umstritten ist. Dieser Anspruch auf grundrechtlicher Ebene, der sich primär gegen den Gesetzgeberrichtet,ist jedoch nicht Gegenstand der Untersuchung. Die Frage ist hier vielmehr, welche Auswirkungen die Schutzpflichten auf einfachgesetzlicher Ebene für die Ausgestaltung subjektiver öffentlicher Rechte haben.

6

König, Drittschutz, S. 226; Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 203; Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 182; Wiegand, BayVBl 1994, 609 (614). 7 Vgl. nur BVerfGE 77, 170 (214 f.); 79, 174 (201 f.); sowie ausführlich hierzu Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 26 ff. und allgemein König, Drittschutz, S. 203 ff.; Isensee, in: ders/Kirchof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 111. 8 Hierzu i. S. eines grundsätzlichen Ansatzes Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 144 ff. und König, Drittschutz, S. 203 ff., 218 ff., sowie allgemein zur Anerkennung solch eines Anspruchs in der Literatur, Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410 ff; Badura, in: FS Eichenberger, S. 481 (491 ff); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 209 ff; Klein, DÖV 1977, 704 (707); Krawietz, in: GS Klein, S. 245 ff; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Rn. 41-44; Rupp, AöR 101 (1976), S. 161 (178 ff); Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), S. 21 (42); Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 ff ; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 128; Eva Marie v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 6 Rn. 35.

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

a) Nebeneinander von objektiver und subjektiver Seite der Schutzpflichten auf einfachgesetzlicher Ebene Ein Teil der Literatur9 vertritt die Auffassung, daß die Schutzpflichten aufgrund ihrer subjektiven Seite die subjektive Ausgestaltung einfachgesetzlicher Regelungen zu begründen vermögen. Ausgangspunkt ist die Annahme, daß ein enges Nebeneinander von objektivem und subjektivem Gehalt der Grundrechte besteht. Aufgrund der Ausstrahlungswirkung sowohl der subjektiven als auch der objektiven Komponente setze sich dieses Nebeneinander auf einfachgesetzlicher Ebene fort, so daß auch hier der den Grundrechtsgehalt konkretisierende objektive Regelungsinhalt mit einem subjektiven korrespondiere.10 Voraussetzung für eine derartige Subjektivierung ist, daß die objektive Wertordnung, die die Verfassung erst von der Rahmenordnung zu einer auf das gesamte Gemeinschaftsleben wirkenden Ordnung macht, tatsächlich darauf ausgerichtet ist, eben diese Wertentscheidungen auch als subjektive Rechtspositionen zu gewährleisten.11 Hierzu wird ausgeführt, daß der Prinzipiencharakter der Grundrechte, deren Geltungsgrund im Schutz des Individuums liege und nicht in der Garantie objektiver Ordnungen oder kollektiver Güter, eine solche Verknüpfung von objektiver Ordnung und subjektiven Rechten begründe.12 Der Prinzipiencharakter der Grundrechte ziele darauf ab, die verfassungsrechtlich garantierten Rechtspositionen so weit wie möglich zu realisieren, was rechtslogischerweise am besten durch eine subjektive Berechtigung möglich sei.13 Schließlich soll für die Subjektivierung auch die gesellschaftsvertragliche Begründung der staatlichen Schutzpflicht sprechen. Wenn der Einzelne beim Übergang vom vorstaatlichen zum staatlichen Zustand auf sein Recht zum effektiven Selbstschutz seiner Grundrechtsgüter verzichte,

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Wiegand, BayVBl 1994, 609 ff.; ebenso König, Drittschutz, S. 219 ff. Wiegand, BayVBl 1994, 609 (652); ebenso König, Drittschutz, S. 223, der daraus folgert, „daß objektive Schutzpflicht des Staates und subjektiver Schutzanspruch des Einzelnen grundsätzlich im selben Umfang bestehen". 11 Dies ist, wie Wiegand, BayVBl 1994, 609 (652) zutreffend anmerkt, eine der umstrittensten Fragen der Grundrechtsdogmatik, vgl. dort Fn. 194 m.w.N. 12 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 144 ff., Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 177; Wiegand, BayVBl 1994, 609 (653) unter Hinweis auf Alexy, Staat 29 (1990), S. 49 (61). 13 König, Drittschutz, S.220; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 414 f.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1354 ff., Klein, NJW 1989, 1633 ( 1637). 10

3. Kapitel: Die Bedeutung der Grundrechte für den Drittschutz

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dann könne dies nur unter der Voraussetzung geschehen, daß er als Kompensation ein (einklagbares) Recht auf staatlichen Schutz erhalte.14

b) Gegenargumente zur Subjektivierungsfunktion der subjektiven Seite der Schutzpflichten Die vorgetragenen Argumente vermögen jedoch nicht zu überzeugen, weil sie weder erklären noch begründen können, warum die Schutzpfiichten eine subjektive Ausgestaltung der schützenden Regelungen und nicht nur objektive Schutzregelungen verlangen. Der Prinzipiencharakter der Grundrechte reicht wenn überhaupt - nur zur Begründung subjektiver Rechte aus den Schutzpflichten auf Ebene der Grundrechte aus.15 Die darüber hinausgehende subjektivierende Ausstrahlungswirkung auf einfachgesetzlicher Ebene ist nur bei Annahme einer den Schutzpflichten innewohnenden Optimierungsverpflichtung zur subjektiven Ausgestaltung der Schutzregelungen anzunehmen. Es ist aber bereits fraglich, ob ein höheres Maß an Schutz mit der Versubjektivierung verbunden ist, weil der subjektive Schutz lediglich ein aliud zum objektiven Schutz ist.16 Dagegen spricht auch die Regelung des Art. 20 Abs. 3 GG, wonach alle staatliche Gewalt zum rechtmäßigen Vollzug der Gesetze verpflichtet ist. Da diese Verpflichtung unabhängig von der subjektiven oder objektiven Ausgestaltung des Rechts besteht, vermittelt abstrakt betrachtet eine objektive Regelung inhaltlich denselben Schutz wie eine subjektive. Dadurch, daß der Einzelne selbst die geschützten Interessen verfolgen kann, ändert sich nicht der Schutzinhalt der Norm. Die Subjektivierung kann daher lediglich die Effektivität des Drittschutzes insoweit verstärken, als daß der Dritte, der tatsächlich seine Rechte wahrnimmt, diese bei der Verwaltung und bei Gericht auch durchsetzen kann. Gegen ein sich automatisch fortsetzendes Nebeneinander von objektiver und subjektiver Seite ist zudem die Gestaltungskompetenz des Gesetzgebers

14 König, Drittschutz, S. 220, unter Berufung auf Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 404. 15 Vgl. auch Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 154 ff., der sogar die Möglichkeit der Ableitung für die Subjektivierung auf Grundrechtsebene ablehnt. 16 Vgl. hierzu Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 154 f f , der die grundrechtliche Versubjektivierung durch die Annahme einer Optimierungspflicht aus dem Prinzipiencharakter für nicht möglich hält.

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

anzuführen, dem beim Erlaß der gesetzlichen Regelungen ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt.17 Infolgedessen kann der Gesetzgeber über Gewährung von subjektiven öffentlichen Rechten oder reinen Rechtsreflexen grundsätzlich frei entscheiden.18 Die Ausgestaltungskompetenz erfährt durch die verfassungsrechtlich begründete Vermutungsthese lediglich insoweit eine Einschränkung, als daß der Ausschluß der Drittschutzfunktion eines besonderen öffentlichen Interesses bedarf, wenn die Norm die Rücksichtnahme auf Individualinteressen anordnet.19 Dem Prinzipiencharakter der Grundrechte wohnt damit keine darüber hinausgehende Optimierungspflicht inne, die eine Ausstrahlungswirkung und damit zwingende Subjektivierungsfunktion der Schutzpflichten auf einfachgesetzlicher Ebene begründen könnte. Vor dem Hintergrund des Art. 20 Abs. 3 GG verliert auch das gesellschaftsvertragliche Argument seine Bedeutung. Dieses vermag nur einen subjektiven Anspruch auf schützende Regelungen zu begründen, die den aufgegebenen Selbstschutz ersetzen. Eine weitergehende Ausgestaltung als subjektives Recht ist aufgrund der durch Art. 20 Abs. 3 GG gesicherten inhaltlichen Gleichwertigkeit von subjektiver und objektiver Regelung nicht erforderlich. Damit bleibt zunächst festzuhalten, daß sich mittels der subjektiven Seite der Schutzpflichten ihre Subjektivierungsfunktion auf einfachgesetzlicher Ebene nicht begründen läßt.

2. Subjektivierung aufgrund der Dogmatik der Schutzpflichten a) Drittschutz durch die Schutzpflichten bei notwendigem Recht Offen bleibt auch bei der grundsätzlichen Ablehnung einer Subjektivierungsfunktion der Schutzpflichten aufgrund ihrer subjektiven Seite, ob die Schutzpflichten nicht an sich, also von ihrer objektiven Seite her ein subjekti-

17 BVerfGE 77, 170 (214 f.); ebenso BVerfGE 79, 174 (202); Klein, DVB1 1994, 489 (495). 18 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 127 ff.; Sachs, NVwZ 1988, 127 (129); dies anerkennend auch Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 195; für die Rechtsprechung BVerwGE 66, 307 (308 ff.); 61, 256 (262 ff.); 52, 122(129). 19 Ausführlich hierzu unter 1. Teil, 1. Kap., D Π 3.

3. Kapitel: Die Bedeutung der Grundrechte für den D r i t t s c h u t z 7 1

ves öffentliches Recht erzwingen können. Dagegen spricht zunächst die Zielrichtung des Schutzanspruchs. Die Schutzpflichten richtensich primär an den Gesetzgeber, der entsprechende Regelungen erlassen soll und dabei die oben ausgeführte Ausgestaltungskompetenz besitzt. Die Vertreter einer konstitutiven Wirkung wollen unter Berücksichtigung dieser Ausgestaltungskompetenz eine drittschutzbegründende Wirkung der Schutzpflichten nicht allgemein, sondern nur unter besonderen Voraussetzungen annehmen. Ausgangspunkt bildet die Funktion der Schutzpflichten, den Einzelnen vor Eingriffen in grundrechtliche Freiheiten durch Dritte zu schützen. Diese Funktion greife dann ein, wenn sich grundrechtliche Freiheitsbereiche überschnitten.20 Die Schutzpflichten erforderten dann ein Abwägen der verschiedenen grundrechtlichen Interessen. Nehme der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Schutzpflichten eine solche Interessenbewertung vor, so seien gesetzliche Regelungen, die diese Kollision lösten, per se individualschützend.21 Von einer konstitutiven Bedeutung der Schutzpflichten sei daher auszugehen, wenn die Norm in Erfüllung einer staatlichen Schutzpflicht erlassen worden sei und es sich um notwendiges Recht handele, das ohne Verfassungsverstoß nicht ersatzlos gestrichen werden könne.22

b) Überprüfung anhand der Schutznormtheorie Die Auswirkungen der Schutzpflichten auf das einfache Recht lassen sich anhand der Kriterien der Schutznormtheorie überprüfen. Eine Einwirkung kann grundsätzlich im Bereich des Interessenschutz- oder Rechtsmachtkriteriums erfolgen. Geht man von einer konstitutiven Wirkung derart aus, daß Schutzpflichten ein subjektives öffentliches Recht erzwingen können, dann müßten beide Kriterien erfüllt sein. Die drittschützende Wirkung der einfachgesetzlichen Regelung müßte sich dabei aus den Schutzpflichten ergeben.

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Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 186; vgl. auch König, Drittschutz, S. 214 ff., der dies unter dem Stich wort des Abwägungserfordernisses behandelt. 21 Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 186 f., bei dem insoweit unklar bleibt, ob er sich allein auf den Fall des notwendigen Rechts bezieht oder nicht. 22 Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 187; König, Drittschutz, S. 227; einschränkend für eine zwingende Ableitung des Drittschutzcharakters Kühl, Die Rechtsstellung der obligatorisch Berechtigten, S. 117 ff., 119; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 276.

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

(1) Interessenschutzkriterium und Rechtsmachtkriterium Das Vorliegen des Interessenschutzkriteriums unter den obigen Voraussetzungen ist unschwer anzunehmen, soweit man auf die individuelle Schutzzielrichtung der Grundrechte abstellt. Der Einzelne soll gerade durch die Schutzpflicht geschützt werden. Eine dementsprechend die Schutzpflichten erfüllende Norm dient den individuellen Interessen des Einzelnen. Auch die Voraussetzungen des Rechtsmachtkriteriums liegen grundsätzlich vor, da das notwendige Recht die Kollision zwischen den Freiheitsrechten regeln soll und damit in der Norm die Rücksichtnahme auf individuelle Interessen des Anderen oder der Ausgleich von Individualinteressen geregelt ist.23 Offen ist aber, ob diese Rechtsmacht auf den Schutzpflichten basiert.

(2) Keine Drittschutz erzwingende Wirkung der Schutzpflichten Geht man davon aus, daß die Schutzpflichten verlangen, die Kollision grundrechtlicher Freiheiten zu regeln, so bleibt dies eine objektive Pflicht, die durch die Gesetzgebung zu erfüllen ist. Normen, die der Erfüllung der Pflicht dienen, haben daher lediglich zunächst den Schutz individueller Interessen zum Zweck. Davon zu unterscheiden ist aber die Frage der Rechtsmacht, ob die Schutzpflichten auch dem Einzelnen die materielle Befugnis zur Durchsetzung der geschützten Interessen verleihen können.24 Zur Ermächtigung der Durchsetzung von Rechtspositionen gegenüber Dritten müßte den Schutzpflichten eine allgemeine Kollisionsordnung zu entnehmen sein, aus der sich die Bewertung der unterschiedlichen Rechtspositionen und damit auch die jeweilige Kollisionsregelung entwickeln ließe. Den Schutzpflichten wie den Grundrechten ist aber eine eigenständige Wertung der verschiedenen Grundrechte und Schutzpflichten untereinander fremd. Dementsprechend enthalten 23

Vgl. zu den Voraussetzungen für das Rechtsmachtkriterium oben 1. Teil, 1. Kap., D Π. 24 Dieser Gesichtspunkt wird teilweise übersehen, vgl. Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 185, der dem Rechtsmachtkriterium keine Bedeutung mehr beimißt unter Verkennung des Bedeutungsinhalts des Merkmals als Klagbarkeitsvoraussetzung (und wohl stillschweigender Annahme der verfassungsrechtlichen Vermutungsthese Bachofs), sowie König, Drittschutz, S. 223 f., der diese Möglichkeit dem Gesetzgeber nur ausnahmsweise zubilligt und grundsätzlich die Schutznormtheorie ablehnt.

3. Kapitel: Die Bedeutung der Grundrechte für den D r i t t s c h u t z 7 3

sie aber auch keine Regelung für einen Ausgleich bei Interessenkollisionen.25 Vielmehr geht das Grundgesetz allgemein von der Gleichwertigkeit der Grundrechte und der ihnen innewohnenden Schutzpflichten aus. Kollisionsregelungen ergeben sich daher allein aus den gesetzlichen Regelungen26, zu deren Erlaß der Gesetzgeber auch durch das Grundgesetz originär ermächtigt und ggf. verpflichtet ist.27 Drittschutzbegründend ist dann nicht die Schutzpflicht, sondern nur die Erfüllung derselben durch den Gesetzgeber, d. h. die gesetzliche Regelung.28 Daher läßt sich aus der Schutzpflicht lediglich ein (subjektiver) Anspruch auf Gesetzgebung herleiten. Normen, die die Kollision regeln und damit die Interessen ausgleichen, sind drittschützend, weil das Gesetz damit die Beachtung der Rechtsposition des Dritten anordnet.29 Die Rechtsmachterteilung liegt dann in dieser gesetzlichen Anordnung und nicht in der grundrechtlichen Schutzpflicht, die nur Schutz durch irgendeine Regelung verlangt. Zum gleichen Schluß führt das weitere oder auch allein als konstitutiv angesehene Erfordernis des notwendigen Rechts. Soweit notwendiges Recht vorliegt, ist die Gesetzesnorm zur Erfüllung der Schutzpflicht erforderlich, und ein ersatzloses Streichen kommt einem Eingriff in das Grundrecht gleich.30 In diesen Fällen ist also auch das (spezielle) Handeln des Dritten, vor dem die Regelung schützen soll, als Grundrechtseingriff anzusehen, ist die Beachtung der Rechtsposition des Betroffenen durch den Dritten grundrechtlich gefor-

25 Vgl. hierzu ausführlich Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 86 ff.; König, Drittschutz, S. 232 ff.; ferner Berg, Konkurrenz schrankendivergierender Freiheitsrechte, S. 91 ff.; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 405 m.w.N. 26 Vgl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 43 ff.; Isensee, Das Grundrecht der Sicherheit, S. 46, der von der Aufgabe des Rechtsstaates zur Grundrechtskoordination spricht; auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 121; allgemein hierzu Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (556). 27 Bleckmann, DVB1 1988, 938 (943). 28 Ebenso Badura, in: FS Lukes 1989, S. 3 (10), der Schutzansprüche aus Gesetzen, die in Erfüllung einer grundrechtlichen Schutzpflicht erlassen wurden, allgemein als „durch Gesetz begründete Ansprüche und nicht grundrechtliche Ansprüche" bezeichnet. 29 Vgl. hierzu die Ausführungen zur Rechtsmacht oben 1. Teil, 1. Kap., D II 1; ebenso Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 76, der feststellt, „daß die Grundrechte die Ausformung im einfachen Recht nicht vorwegnehmen können". 30 So ausdrücklich Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 168 (172 f.); vgl. auch Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 187, der von einer Verpflichtung zum Neuerlaß in diesen Fällen ausgeht sowie König, Drittschutz, S. 227, der im Streichen einen Verfassungsverstoß sieht.

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

dert.31 Notwendiges Recht beschreibt damit nur den Anwendungsfall der Schutzpflichten, d. h. die Schutzpflichten müßten demnach letztlich die subjektive Ausgestaltung des objektiven Rechts verlangen können. Hierzu sind sie aber nicht hinreichend konkret. Sie gebieten kein spezielles Handeln, sondern verbieten allgemein ein solches, das einem Grundrechtseingriff gleichkommt. Dementsprechend können die Schutzpflichten auch kein spezielles Handeln verlangen32, sondern nur den Schutz vor solchem Handeln, das einem Eingriff in die Grundrechte entspricht.33 Die Schutzpflichten greifen demnach erst ein, wenn der Gesetzgeber keine der möglichen Regelungen ergriffen hat. Vermögen die Schutzpflichten keine bestimmte gesetzliche Regelung zu fordern, gebieten sie aber erst recht keine subjektive Ausgestaltung der schützenden Regelung. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß auch der Handlungsspielraum der Verwaltung bei Normen mit Ermessen nicht die Entstehung eines subjektiven öffentlichen Rechts hindere.34 Zum einen sind bei den Ermessensvorschriften die Voraussetzungen der Schutznormtheorie grundsätzlich erfüllt, und es ist nur fraglich, ob das Ermessen als solches hindert. Bei der hier diskutierten Problematik ist aber bereits das Vorliegen der Voraussetzungen zweifelhaft. Zum anderen ist das Ermessen des Rechtsanwenders, das einen Handlungsspielraum auf der Rechtsfolgenseite eröffnet, mit der Gestaltungskompetenz des Gesetzgebers, bei dem es um den Handlungsspielraum im Rechtssetzungsverfahren geht, nicht vergleichbar. Der von den Schutzpflichten geforderte Schutz liegt dementsprechend in der Regelung. Sie fordern darüber hinaus kein subjektives Recht auf rechtmäßigen Normvollzug. Es gilt der Schutz durch die Normsetzung, nicht aber durch den subjektiven Anspruch auf ordnungsgemäßen Normvollzug. Letzterer ist abstrakt durch Art. 20 Abs. 3 GG sichergestellt. Dem entspricht auch 31

Dabei ist bis heute nicht eindeutig geklärt, wann ein solcher Eingriff durch Unterlassen vorliegt, vgl. zur Rspr. BVerfGE 56, 54 (70 f.) m.w.N.; BVerfG NJW 1983, 2931; EuGRZ 1987, 353; UPR 1981, 19 (21); zur Literatur Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 426; Murswiek, Die staatliche Verantwortung, S. 281; allgemein Stern, Staatsrecht m/1, S. 950 ff., S. 1315 ff. 32 So auch Enders, AöR 115 (1990), 610 (628), der die konkrete Handlungsverpflichtung aus den Schutzpflichten als nur in „Latenz" bestehend beschreibt: „Ein bestimmtes Handelnmüssen kann sich nie allein aus einem Grundrecht ergeben"; ebenso Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 194; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 ff; Wahl, DVB1 1996, 641 (646). 33 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 171 ff.; ebenso Ehlers, in: FS Lukes, S. 337 (340); Henke, DVB1 1968, 649 (654). 34 So aber König, Drittschutz, S. 222, der das Argument der fehlenden Konkretisierung der Schutzpflichten nicht anerkennt.

3. Kapitel: Die Bedeutung der Grundrechte für den Drittschutz

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die Erkenntnis, daß zwischen gewollten Rechtsreflexen und subjektiven öffentlichen Rechten zu unterscheiden ist und daher der Gesetzgeber die Rechtsmacht theoretisch auch in den Fällen des notwendigen Rechts ausschließen könnte.35

IL Normexterne Wirkung der Schutzpflichten Für die Frage, ob aus den Schutzpflichten ein normexternes Abwehrrecht für den Dritten bei einer Genehmigung hergeleitet werden kann36, kann grundsätzlich auf die vorherigen Ausführungen zur norminternen Wirkung der Schutzpflichten verwiesen werden. Daher sei hier nur erwähnt, daß gegen eine externe Wirkung bereits die fehlende Konkretisierung der Schutzpflichten spricht, die mit der Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers korrespondiert.37 Der Einschätzungs-, Bewertungs- und Gestaltungsspielraum führt im Zusammenhang mit dem Parlamentsvorbehalt in seiner Ausformung durch die Wesentlichkeitstheorie zur Ablehnung einer normexternen Wirkung. Danach darf die Exekutive nicht ohne vorherige Regelung des Gesetzgebers eine Bewertung und Einschätzung von Gefahrenlagen und damit die grundrechtsgebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen vornehmen.38 Dementsprechend können die Schutzpflichten auch kein eigenständiges Abwehrrecht vermitteln.

B. Die Abwehrrechtsdimension der Grundrechte L Normexterne Wirkung von Art· 14 Abs. 1 GG Die normexterne Wirkung der Grundrechte in ihrer Abwehrrechtsdimension kann zum einen eingreifen, wenn die Kollision der Grundrechte oder der

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Kritisch hierzu Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 202. Dafür VGH Kassel, U. v. 06.11.1989, NVwZ 1990, 276 ff.; dagegen ablehnend die Literatur, vgl. nur Enders, AöR 115 (1990), 610 ff.; Wahl/Masing, JZ 1990, 553. 37 Vgl. obige Ausführungen zur norminternen Wirkung der Schutzpflichten 1. Teil, 3. Kap., A. 38 So Enders, AöR 115 (1990), 610 (631 ff.) m. w. N. 36

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Eingriff in die Grundrechte nicht geregelt wurde, es also an einer einfachgesetzlichen Regelung von vornherein fehlt. Zum anderen kommen Grundrechte unmittelbar anspruchsbegründend zur Geltung, wenn ein bestehendes Gesetz den Anforderungen des grundrechtlichen Mindeststandards nicht genügt.39 Die Untersuchung soll sich hier allein auf Art. 14 GG beschränken, da das Eigentumsgrundrecht von zentraler Bedeutung für das Baurecht ist.40 Das BVerwG hat bisher Abwehransprüche aus Art. 14 GG anerkannt, wobei es zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen unterscheidet. Unmittelbare Eingriffe in die Substanz des durch §§ 903 und 905 Satz 1 BGB umschriebenen („Säulen"-)Eigentums soll der Eigentümer nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG in jedem Falle abwehren können, ohne daß es auf den Grad der Beeinträchtigung ankommt.41 Mittelbare Eingriffe in das Eigentum insbesondere durch von außen einwirkende Immissionen hat der Nachbar ebenso nicht hinzunehmen, wenn aus ihnen eine nachhaltige Veränderung der Grundstückssituation und eine schwere und unerträgliche Betroffenheit des Nachbarn resultieren.42 In der Literatur mehren sich dagegen die Stimmen, die eine Herleitung subjektiver öffentlicher Rechte unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ablehnen, da allein das einfache Gesetz Inhalt und Schranken des Eigentums bestimme und damit auch abschließend den Umfang subjektiver Rechte festlege.43 Diese Auffassung erweist sich bei näherer Untersuchung als konsequente Weiterentwicklung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG. Nach dem im Verlauf der achtziger Jahre vom Bundesverfassungsgericht entwickelten System enthält Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG einerseits eine Instituts- und andererseits eine Be-

39

49 ff. 40

Siehe allgemein hierzu Schmidt-Preuß,

Kollidierende Privatinteressen, S.

Zur grundsätzlichen Untersuchung normexterner Wirkung der Grundrechte vgl. Kühl, Die Rechtsstellung der obligatorisch Berechtigten, S. 96 ff 41 Vgl. ζ. B. Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 15 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 42 St. Rspr. seit BVerwGE 32, 173, vgl. etwa BVerwGE 36, 248; 44, 244; 50, 282. 43 Wahl, in: FS Redeker, S. 245 (266); Mampel, DVB1 1994, 1053 (1054); ders., Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 189 ff, wobei er bei unmittelbaren Eingriffen in das („Säulen"-) Eigentum weiterhin Ansprüche unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG anerkennt; Sendler, WuV 1993, 235 (253 ff); Bönker, DVB1 1994, 506; Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. Π, 3. Auf. 1994, S. 202 f.; Ortloff NVwZ 1993, 331; Kleinlein, Das System des Nachbarrechts, S. 166 f.; Wachsmuth, NVwZ 1988, 323; kritisch Sarnighausen, DÖV 1993, 758 ff

3. Kapitel: Die Bedeutung der Grundrechte für den D r i t t s c h u t z 7 7

standsgarantie.44 Während erstere gebietet, daß eine Rechtsstellung gewährleistet sein muß, die den Namen „Eigentum" verdient, begründet letztere das subjektive Recht des Einzelnen auf Erhalt des Eigentums.45 Zunächst gilt es den verfassungsrechtlichen Begriff des Eigentums zu klären. Obwohl Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG im Hinblick auf Inhalt und Schranken des Eigentums auf das einfache Recht verweist, muß der verfassungsrechtliche Begriff des Eigentums, d. h. das, was unter dem Rechtsinstitut Eigentum zu verstehen ist, allein aus der Verfassung gewonnen werden.46 Das Grundgesetz liefert keine ausdrückliche (Legal-)Definition, sondern gibt allein Strukturmerkmale des Begriffs vor. Die wesentlichen sind die Privatnützigkeit, die Verfügungs- und Nutzungsbefugnis sowie die Gewährung der Substanz des Eigentums. Mit dem verfassungsrechtlichen Eigentumsbegrifif ist die Institutsgarantie umschrieben, die das Rechtsinstitut Eigentum garantieren soll. Sierichtetsich in ihrer objektiven Ausgestaltung an den Gesetzgeber und verpflichtet ihn, einen Kernbestand von Normen zur Verfügung zu stellen, welche die Existenz, die Funktionsfahigkeit und die Privatnützigkeit des Eigentums ermöglichen und dem privatnützigen Eigentum durch hinreichende Verfahrens- und materiell-rechtliche Sicherungen trotz aller Gemeinwohlanforderungen einen gesicherten Platz in der Sozialordnung verschaffen. 47 Die Institutsgarantie legt damit lediglich einen allgemeinen Rahmen in Form elementarer Strukturmerkmale fest. Mit Wahl kann auch so formuliert werden: „Vor dieser gesetzlichen Ausgestaltung gibt es nur (verfassungsrechtliche) Anforderungen an die Ausgestaltung, aber die Ausgestaltung, das konkrete verwaltungsrechtliche Institut, der konkrete verwaltungsrechtliche (Genehmigungs-)Anspruch besteht noch nicht".48 Subjektive öffentliche Rechte vermittelt hingegen die Bestandsgarantie, die die vorhandenen Vermögenswerten Rechte in der Hand des jeweiligen Eigentümers sichert.49 Die nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG durch die Bestandsgaran44

Zur verfassungsrechtlichen Rechtsprechung im einzelnen vgl. Dörr, NJW 1988, 1049 ff. 45 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 962 f. und 1022 f.; Schoch, Jura 1989, 113 (116 f.). 46 Vgl. nur BVerfGE 58, 300 (335); zustimmend Dörr, NJW 1988, 1049 (1050). 47 Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 11, mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG. 48 Wahl, in: FS Redeker, S. 245 (257). 49 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14 Rn. 31 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn 8 f.

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

tie geschützten Rechtspositionen des Eigentums erfahren gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ihre konkrete Ausgestaltung erst durch die Inhalts- und Schrankenbestimmungen in den einfachen Gesetzen. Von den Inhalts- und Schrankenbestimmungen ist die Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG zu unterscheiden, die die rein vermögensrechtliche Seite des Eigentums schützt.50 Mit dieser strikten Differenzierung geht einher, daß eine Umdeutung von Inhalts- und Schrankenbestimmungen in eine Enteignung verfassungsrechtlich nicht zulässig ist.51 Infolgedessen beschreiben alle verfassungsgemäßen Inhalts- und Schrankenbestimmungen des einfachen Rechts abschließend zunächst den objektiven Gehalt, d. h. die objektiven Rechtspositionen des Eigentums. Nach dem verfassungsrechtlichen Modell des Art. 14 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG bestimmt damit der Gesetzgeber konstitutiv den Inhalt des Eigentumsgrundrechts.52 Legen die einfachen Gesetze den Inhalt der Bestandsgarantie, d. h. dessen, was im Bestand geschützt sein soll, fest, können sich Ansprüche aus dem Eigentum, insbesondere subjektive Abwehr- und Schutzansprüche allein aus den einfachgesetzlichen Rechtsnormen ergeben.53 Art. 14 Abs. 1 GG kann daher weder eine einzelne Eigentumsposition bestimmen noch kann er die aus dem Eigentum sich ergebenden oder dafür geltenden Abwehr- und Schutzansprüche festlegen. Ansprüche aus dem Eigentum, d. h. subjektive öffentliche Rechte kann folglich ebenso nur das einfache Recht begründen. Diese Systematik des Art. 14 Abs. 1 GG bezeugt auch das verfassungsrechtliche Abwägungsgebot zwischen Sozialbindung und Privatnützigkeit. Danach hat der Gesetzgeber bei dem Auftrag zur Inhalts- und Schrankenbestimmung den Ausgleich zwischen dem Privateigentum, wie es Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisten will, und der sich aus Art. 14 Abs. 2 GG ergebenden Verpflichtung zu schaffen, daß der Gebrauch des Eigentums zugleich dem Wohl der Allgemeinheit unter Berücksichtigung der berechtigten Belange Dritter zu dienen habe. Der Gesetzgeber muß letztlich „i. S. einer sozialge50

Zur Differenzierung zwischen Bestands- und Wertgarantie vgl. Böhmer, NJW 1988, 2561 (2562); Leisner, in: Isensee/Kirchof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 149 Rn. 168 ff ; Schoch, Jura 1989, 113 (117). 51 Vgl. nur BVerwGE 77, 295 (297 f.); aus der Literatur Ossenbühl, JuS 1993, 200; Bönker, DVB1 1994, 506 (510). 52 So Schoch, Jura 1989, 113 (117). 53 Vgl. Gallwas, Grundrechte, Rn. 531; Schwerdtfeger, JuS 1983, 104 (105 f.); noch weitergehender Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 193, der unter dem durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährten Eigentumsschutz „die Summe der subjektiven öffentlichen Rechte, die das einfache Recht (ihm) einräumt", versteht.

3. Kapitel: Die Bedeutung der Grundrechte für den D r i t t s c h u t z 7 9

rechten Eigentumsordnung die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Interessen aller am Interessenkonflikt Beteiligten in einen gerechten Ausgleich (zu) bringen".54 Die einfachen Gesetze ordnen damit an, was dem einzelnen Eigentümer wie der Allgemeinheit an Einschränkungen zumutbar ist und vor welchen Beschränkungen beide geschützt werden sollen. Daraus folgt, daß der Gesetzgeber zur Festlegung der objektiven wie subjektiven Schutznormen verpflichtet ist und diese sich nicht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben können, dem die dafür erforderliche Bewertung der konfligierenden Interessen fehlt. Auch das BVerwG hat sich dieser Auffassung mittlerweile angeschlossen. Im Urteil vom 26.09.1991 hat es zunächst erklärt: „Soweit drittschützende Regelungen des einfachen Rechts vorhanden sind, kann aber ein weitergehender, unmittelbar auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG beruhender Anspruch nicht bestehen. Denn durch eine den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 genügende gesetzliche Regelung werden Inhalt und Schranken des Eigentums dergestalt bestimmt, daß innerhalb des geregelten Bereichs weitergehende Ansprüche aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ausgeschlossen sind."55 Damit war noch nicht die Frage beantwortet, ob es bei Fehlen von ausreichenden einfachgesetzlichen Schutznormen nicht doch einen Anspruch aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geben könnte.56 Im Urteil vom 23.08.1996 hat das BVerwG nunmehr zum einen festgestellt, daß eine jeden Nachbarschutz ausschließende Ermächtigungsnorm im Baurecht nicht verfassungsgemäß sei.57 Zum anderen hat es ausdrücklich erklärt: „Allerdings begründet Art. 14 Abs. 1 selbst keine unmittelbaren Abwehransprüche oder Plangewährleistungsansprüche."58 Damit kommt bei Unterschreiten des verfassungsrechtlich geforderten Mindestschutzes durch einfachgesetzliche Normen nach der Systematik des Art. 14 GG nur ein (subjektiver) Anspruch auf Regelung durch den Gesetzgeber in Betracht. Darüber hinaus ist Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG keine normexterne Wirkung zu eigen, mit der sich unmittelbar subjektive öffentliche Rechte begründen ließen.

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BVerwGE 88, 191 (194). BVerwGE 89, 69 (78). 56 Woraus S endler, WuV 1993, 235 (254 f.) den Schluß zieht, daß sich das BVerwG noch nicht von den unmittelbaren Abwehransprüchen aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verabschiedet hat. 57 BVerwG, NVwZ 1997, 384 (386). 58 BVerwG, ebd.. 55

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

IL Norminterne Wirkung von Art. 14 GG Die norminterne Wirkung der Grundrechte in ihrer Abwehrdimension könnte sowohl das Interessenschutzkriterium als auch das Rechtsmachtkriterium erfassen. Vorliegend sollen wiederum allein die Auswirkungen des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG konkret betrachtet werden. Unproblematisch ist die norminterne Wirkung auf das Interessenschutzkriterium. Soweit eine Norm dem grundrechtlichen Schutzgut dient oder die grundrechtlichen Schutzpflichten des Art. 14 GG erfüllt, ist die Norm den Interessen des Einzelnen zu dienen bestimmt.59 Fraglich ist aber, ob sich die norminterne Wirkung darüber hinaus auch auf das Rechtsmachtkriterium erstreckt und damit zu einer drittschützenden Auslegung der Norm führen kann oder gar muß. Ausgangspunkt der Überlegungen bilden die zu Art. 14 GG dargelegten Grundsätze, daß zum einen subjektive öffentliche Abwehrrechte allein aus den die Inhalts- und Schrankenbestimmungen konstituierenden einfachen Gesetzen zu gewinnen sind und zum anderen die Inhalts- und Schrankenbestimmungen nicht in Enteignungen umschlagen oder umgedeutet werden können. Daraus folgt, daß verfassungsgemäße Inhalts- und Schrankenbestimmungen insbesondere nicht die Intensität einer Enteignung haben dürfen, sondern vorher Schutz gewähren müssen.60 Als ungelöst erweist sich die Frage, wo die Grenze der zulässigen Eigentumsbeschränkungen durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen liegt und wie sie zu ermitteln ist. Hierbei streiten die alten Abgrenzungstheorien zur Enteignung61 mit der „neuen" Schrankentrias aus Gleichheitssatz, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Grundsatz des Vertrauensschutzes.62 Einzig überzeugend erscheint die Grenzziehung mittels der Schrankentrias, da die

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Vgl. allgemein zur Bedeutung der Grundrechte insoweit Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 200 f., 203 ff. 60 Rechtsprechung und Literatur beschäftigen sich allgemein mit dem Problem der Grenzüberschreitung bei (rechtmäßiger) Anwendung der Norm, den sog. ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen, vgl. hierzu die Nachweise bei Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 336 ff. 61 Vgl. Leisner, in: Isensee/Kirchof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 149 Rn. 148 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 83, 353; BVerwGE 32, 173 (178); 36, 248 (249); 50, 282 (287); 66, 307 (309). 62 Vgl. hierzu: Ossenbühl, JuS 1993, 200 (203); Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14 Rn. 63 ff.; Schock, Jura 1989, 113 (119, 121); BVerfGE 31, 229 (240); 34, 139 (146); 52, 1 (27, 29 f.); 70, 191 (200f.).

3. Kapitel: Die Bedeutung der Grundrechte für den D r i t t s c h u t z 8 1

alten Schwellentheorien mit dem Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG 63 nicht mehr unmittelbar zur Anwendung kommen können. Bei der Bestimmung der Verhältnismäßigkeit i. e. S. sind allerdings die alten Abgrenzungstheorien im neuen Kleid heranzuziehen, da sie am genauesten das dem Eigentümer gerade noch Zumutbare beschreiben.64 Die Grenze der zulässigen Beeinträchtigungen bei Inhalts- und Schrankenbestimmungen läßt sich damit weiterhin als schwerer und unerträglicher Eingriff umschreiben.65 Eine Norm bzw. das diese umgebende Normgeflecht muß daher als verfassungsgemäße Inhalts- und Schrankenbestimmung zunächst - objektiv - Schutz vor schweren und unerträglichen Beeinträchtigungen gewährleisten. In der Auswahl der Schutzmittel ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei. 66 Sie lassen sich in subjektive Abwehrrechte und Kompensations- bzw. Ausgleichsrechte (ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmungen) unterteilen. Bei den die verfassungsrechtliche Grenze überschreitenden Beschränkungen gilt es zwischen mittelbaren und unmittelbaren Eingriffen zu unterscheiden. Unter den unmittelbaren sind solche Eingriffe zu verstehen, bei denen sich die Beschränkung direkt aus der Anwendung des Gesetzes auf den Betroffenen ergibt, also keine Drittwirkung vorliegt. Im Baurecht fallen darunter allgemein die Einschränkungen, die unmittelbar aus der Festlegung der Grundstücksnutzungen im Bebauungsplan für die Planbetroffenen erfolgen. Damit sind allein die bipolaren Verhältnisse Bürger-Staat, d. h. Plangeber und Planungsbetroffener erfaßt, die nicht in den Bereich der Drittschutzproblematik fallen. Mittelbare Eingriffe liegen dagegen vor, wenn sich die Eigentums63

BVerfGE 58, 300. Hierzu scheint auch der überwiegende Teil in der Literatur letztlich zu tendieren, wobei einschränkend gesagt werden muß, daß sich die Auffassungen auf den Bereich der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen beziehen: vgl. Schmidt-Aßmann, in: FS Heidelberg, S. 107 (118, 121); Maurer, in: FS Dürig, S. 293 (307, 310 ff.); Schoch, Jura 1989, 113 (121); Pietzcker, JuS 1991, 369 (371); Steinberg/Lubberger, Aufopferung - Enteignung und Staatshaftung, S. 228; Ossenbühl, JuS 1993, 200 (203); Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (226); Kleinlein, DVB1 1991, 365 (375); Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 353; vgl. auch BVerwGE 94, 1 (11). 65 Vgl. hierzu auch Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (222 f.), der den Gesetzgeber in weiterem Umfang gebunden sieht: „Das Untermaßverbot der Institutsgarantie verpflichtet den Gesetzgeber nicht nur, den Nachbarn vor schweren und unerträglichen Belastungen zu schützen, sondern gebietet einen weitergehenden Schutz."; ebenso Mampel, DVB1 1994, 1053 (1054). 66 Ebenso für die Frage der Mittel beim Ausgleichsanspruch BVerwGE 94, 1 (7); vgl. zudem Ossenbühl, JuS 1993, 200 (203); Maurer, in: FS Dürig, S. 293 (311 ff.). 64

6 Petersen

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

beschränkungen aus Drittwirkungen der Normanwendung ergeben. Angesprochen sind im Baurecht damit die Beschränkungen der eigenen Grundstücksnutzung, die von den Nutzungsmöglichkeiten der Nachbargrundstücke herrühren, die sog. Umplanung der Umgebung.67 Ausschließlich diese Beeinträchtigungen spielen sich im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis ab. Für die Frage des Drittschutzes sind folglich die mittelbaren Beeinträchtigungen durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen zu betrachten, die durch Drittwirkungen der rechtmäßigen wie rechtswidrigen Normanwendung entstehen.68 Die mittelbaren Beeinträchtigungen durch eine Norm bzw. ein Normgefüge dürfen im Baurecht zunächst allgemein die verfassungsrechtliche Grenze des Art. 14 GG nicht überschreiten, d.h. das Normgefüge muß abstrakt einen diese Grenze nicht überschreitenden Ausgleich der Nutzungsinteressen normieren. Dem Gesetzgeber kommt nämlich nach Art. 14 GG die Verpflichtung zu, einen gerechten - allgemeinen - Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu verfassen. Verfehlt der Gesetzgeber den Ausgleich, ist eine Heilung durch eine allgemeine Entschädigung nicht möglich, da diese generell gerade nicht für Art. 14 Abs. 2 GG vorgesehen, sondern - wenn überhaupt69 - nur im Einzelfall zulässig ist.70 Auch ein allgemeines Abwehrrecht für den Nachbarn verhilft der Regelung nicht zur Verfassungsgemäßheit, da bei einer derartigen Generalklausel das Abwägungsgebot verletzt bleibt, weil es letztlich keine Regelung der Nutzungskonflikte gegeben hat. Bei dieser Konstellation hat der Gesetzgeber dann den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 GG nicht genüge getan, womit die Regelung (der Bebauungsplan) verfassungswidrig und nichtig ist.71 Subjektive Schutzregelungen in der Form von Abwehr- oder Entschädigungsansprüchen zum Ausgleich der Grenzüberschreitung kommen damit nur für den atypischen Einzelfall in Betracht, in dem die Norm und/oder ihre Anwendung einen Dritten derart beschränken, daß sie sich auf sein gesetzlich konkretisiertes Eigentum schwer und unerträglich auswirkt. Im Baurecht ist 67

So u.a. Breuer, in: Schrödter, Baugesetzbuch, § 42 Rn. 76 ff. Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß jede Rechtsnorm und ihre Anwendung neben unmittelbaren zugleich mittelbare Eingriffe verursachen können, da jede Norm wie ihre Anwendung einen Adressaten haben, der immer unmittelbar betroffen ist. 69 Ablehnend Schmitt-Kammler, in: FS Köln, S. 821 (837 ff.); Kimminich, NuR 1985, 1 (2). 70 Vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 338 ff. 71 So schon Wahl, in: FS Redeker, S. 245 (253 f.). 68

3. Kapitel: Die Bedeutung der Grundrechte für den D r i t t s c h u t z 8 3

das der Fall, wenn die Genehmigung einer Nutzung als Rechtsanwendung bei einem Nachbargrundstück dazu führt, daß der Nachbar in der eigenen Grundstücksnutzung schwer und unerträglich betroffen ist. Ließe nun das objektive Recht als Inhalts- und Schrankenbestimmung zu, daß der betroffene Nachbar eine durch die Normanwendung entstehende, unzumutbare (schwere und unerträgliche) Beeinträchtigung nicht abwehren kann oder entschädigungslos hinnehmen muß, so wäre die Regelung insgesamt verfassungswidrig, da sie die zulässige Grenze der Beeinträchtigung nach Art. 14 Abs. 1 GG überschritte. Ein anderes Ergebnis ist nur mit der Annahme eines unmittelbaren Abwehranspruchs aus Art. 14 Abs. 1 GG denkbar, der jedoch bereits abgelehnt wurde. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß ein Normgefüge insgesamt immer einen Schutzanspruch gegen unzumutbare Eingriffe in Form eines Abwehrrechts oder Entschädigungsanspruchs72 gewährleisten muß. In der Regel enthält das Normgefüge jedoch keinen Entschädigungsanspruch, so daß lediglich bei Annahme eines subjektiven Abwehrrechts die Regelung noch verfassungsgemäß sein kann. Die Auslegung der Norm oder des Normgefüges, deren Rechtsanwendung zur Grenzüberschreitung führt, muß daher die drittschützende Wirkung ergeben.73 Andernfalls ist die Norm als verfassungswidrig anzusehen. Dazu muß die Norm aber zumindest die Voraussetzungen für eine Auslegungsmöglichkeit enthalten. Das bedeutet, daß in der Norm objektive Anhaltspunkte für die Verankerung von nachbarlichen Rechtspositionen gegeben sein müssen. Die norminterne Wirkung der Grundrechte führt dann zur Annahme eines subjektiven Abwehrrechts gegen schwere und unerträgliche Beeinträchtigungen. Der Gesetzgeber stellt in der Regel zur Lösung derartiger atypischer Fälle, die zu unzumutbaren Härten führen, sog. Härteklauseln zur Verfügung. Aufgrund der norminternen Wirkung des Art. 14 GG ist dann die Härteklausel als objektive Regelung dahingehend auszulegen, daß sie drittschützende Wirkung für den Dritten entfaltet.

72 Zwar wird ein Entschädigungsanspruch für mittelbare Eingriffe bei § 42 BauGB allgemein abgelehnt, da diese Norm nach richtiger Auslegung nur unmittelbare Eingriffe erfaßt, vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 451, 457, 458. Das bedeutet aber nicht, daß der Gesetzgeber Entschädigungsansprüche für mittelbare Beeinträchtigungen nicht (ausdrücklich) normieren könnte. 73 Vgl. auch BVerwG, NVwZ 1997, 384 (386), wonach eine jeden Nachbarschutz ausschließende Ermächtigungsgrundlage für Gebietsfestsetzungen im Baurecht nicht verfassungsgemäß sei und daher der verfassungskonformen Auslegung und lückenfüllenden Ergänzung bedürfe; ebenso Steinberg, NJW 1984, 457 (459 ff).

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Zum gleichen Ergebnis gelangt auch Ortloff für den mittelbaren Eingriff durch eine rechtswidrige Normanwendung, wenn er behauptet, daß „die verfassungsrechtliche - Unzumutbarkeit der Wirkungen einer rechtswidrigen Baugenehmigung dazu zwinge, die entsprechende Norm des öffentlichen Rechts als - generell oder partiell - nachbarschützend zu interpretieren".74 Auch im Urteil des BVerwG vom 16.05.199175 lassen sich zumindest zu dieser Ansicht tendierende Ansatzpunkte finden. Darin hat das Gericht festgestellt, daß eine bauordnungsrechtliche Härteklausel nicht nur dazu diene, das vom Gesetzgeber selbst verfolgte Programm sachgerecht zu verwirklichen, sondern daneben aus Gründen verfassungsrechtlicher Vorgaben des Art. 14 GG auch dazu, die Möglichkeit einer sachbezogenen Korrektur zu eröffnen. In einem so verstandenen Sinn schließt es verallgemeinernd daraus, daß eine Härteklausel „verfassungskonform" angewandt werden muß.76 Damit hat das BVerwG zumindest angedeutet, daß Härteklauseln, die nach ihrem objektiven Regelungsgehalt vor schweren und unerträglichen Eingriffen schützen sollen, gerade auch ein subjektives öffentliches Recht vermitteln müssen, um den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 14 GG entsprechen zu können.77

4. Kapitel

Zusammenfassung Die Untersuchung der Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis hat zu folgenden Ergebnissen gefuhrt: 1. Das Interessenschutz- und das Rechtsmachtkriterium sind auch zur Begründung des subjektiven öffentlichen Rechts im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis notwendig. Das Interessenkriterium verlangt, daß die Norm individuelle Interessen schützt, die dem Einzelnen als Individuum zugeordnet 74

Ortloff,; in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, 3. Aufl. 1994, Bd. Π, S. 203. 75 BVerwGE 88, 191. 76 BVerwGE 88, 191 (199); dem zustimmend Wahl, in: FS Redeker, S. 245 (253 f.). 77 So auch schon früher Steinberg, NJW 1984, 457 (460), auf den sich das BVerwG, NVwZ 1997, 384 (386) für die Frage des nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zu gewährenden Drittschutzes ausdrücklich beruft.

4. Kapitel: Zusammenfassung

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sein müssen. Es ermöglicht damit die Unterscheidung von faktischem und gewolltem Interessenschutz auch für das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis. Das ursprünglich für das bipolare Verwaltungsrechtsverhältnis entwikkelte Rechtsmachtkriterium ist für das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis zu erweitern, da bei diesem nicht nur die Interessen des Begünstigten, sondern auch die des Dritten zu berücksichtigen sind. Eine Norm kann dem Dritten die Rechtsmacht zur Durchsetzung seiner geschützten Interessen nur verleihen, soweit sie der Begünstigte auch bei Anwendung der Norm beachten muß. Das Rechtsmachtkriterium verlangt daher im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis, daß die Norm die Rücksichtnahme auf Individualinteressen oder aber deren Ausgleich anordnen muß. 2. Die von Bachof entwickelte Vermutungsthese für das Interessenschutzund Rechtsmachtkriterium ist an das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis anzupassen. Unbedenklich kann bei Vorliegen der Voraussetzungen des Interessenschutzkriteriums ein gewollter Interessenschutz angenommen werden. Zur Begründung der Drittschutzwirkung einer Norm allein über die Vermutung des Interessenschutzkriteriums reicht die Vermutungswirkung jedoch nicht aus, da es an einer Einbeziehung des begünstigten Dritten in die Betrachtung fehlt. Liegen jedoch die Voraussetzungen des Rechtsmachtkriteriums vor, so daß der Begünstigte die geschützten Interessen des Dritten objektiv beachten muß, folgt im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis aus der von Art. 19 Abs. 4 GG entscheidend mitgeprägten Gesamtsicht des Grundgesetzes vom Verhältnis des Einzelnen zum Staat, daß ein Ausschluß der Drittschutzwirkung nur bei Vorliegen eines besonderen Grundes in Form eines überwiegenden öffentlichen Interesses zulässig ist. 3. Die Entwicklung des partiell drittschützenden Rücksichtnahmegebots ist in der Entwicklung der Drittschutzdogmatik begründet. Durch das Rücksichtnahmegebot sollte der Automatismus der damals geltenden Schutznormtheorie überwunden werden, wonach eine objektiv Individualinteressen schützende Norm stets absolut drittschützend war. Der materielle Gehalt des Rücksichtnahmegebots ist durch die Unterscheidung zwischen abstrakt und partiell drittschützenden Normen sowie die Einbeziehung des Dritten in die Voraussetzungen des Rechtsmachtkriteriums umgesetzt worden. Die bisher nach der Rechtsprechung aufgrund des Rücksichtnahmegebots partiell drittschützenden Normen entfalten daher bereits nach den Voraussetzungen der Schutznormtheorie nachbarschützende Wirkung, da sie die Rücksichtnahme auf eine geschützte Rechtsposition des Dritten anordnen. Damit kommt dem

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1. Teil: Dogmatische Grundlagen

Rücksichtnahmegebot eine eigenständige Bedeutung für den Drittschutzcharakter einer Norm nicht mehr zu. 4. Die grundrechtlichen Schutzpflichten vermögen auf einfachgesetzlicher Ebene weder durch eine normexterne noch durch eine norminterne Wirkung den Drittschutz einer Norm zu begründen. Der nach den Schutzpflichten zu gewährende Schutz liegt allein in der gesetzlichen Regelung, nicht aber auch in einem subjektiven Anspruch auf objektiv rechtmäßigen Normvollzug. Auch in ihrer Abwehrrechtsdimension können die Grundrechte auf einfachgesetzlicher Ebene keinen eigenständigen Drittschutzanspruch aufgrund einer normexternen Wirkung erzeugen, sondern ggf. lediglich einen unmittelbaren grundrechtlichen Abwehranspruch. Das gilt insbesondere für Art. 14 Abs. 1 GG, der einer Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedarf und daher aus sich heraus keinen eigenständigen Drittschutz gewähren kann. Art. 14 Abs. 1 GG verlangt jedoch, daß der Gesetzgeber bei den Inhalts- und Schrankenbestimmungen Schutz vor schweren und unerträglichen Beeinträchtigungen auch gegen mittelbare Eingriffe gewährt. Mittels norminterner Wirkung von Art. 14 GG sind infolgedessen Normen, deren rechtswidrige Anwendung zu einem Überschreiten dieser verfassungsrechtlichen Grenze führt, zwingend drittschützend auszulegen, da die gesetzliche Regelung andernfalls verfassungswidrig wäre. Insoweit sind auch Härteklauseln, die objektivrechtlich solche Interessenkonflikte regeln, als drittschützend zu interpretieren.

Zweiter Teil

Der Drittschutz in der BauNVO hinsichtlich der Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung 1. Kapitel Grundlagen Mittels der im ersten Teil erarbeiteten Grundlagen zum subjektiven öffentlichen Recht läßt sich nunmehr der Drittschutz in der BauNVO durch die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung untersuchen. Die BauNVO beruht ursprünglich auf der Ermächtigung in § 2 Abs. 10 BBauG 1960, von der der zuständige Bundesminister mit Zustimmung des Bundesrates erstmals 1962 Gebrauch gemacht hat. Seither ist die BauNVO insgesamt viermal geändert worden, 1968, 1977, 1986 und zuletzt 1990. Für die BauNVO in der Fassung von 1990, die allein Gegenstand dieser Arbeit sein soll, ergibt sich die Ermächtigungsgrundlage aus § 2 Abs. 5 BauGB entsprechend dem Änderungsgesetz zum BauGB vom 08.12.1988.1 Die BauNVO enthält in den §§ 1-15 die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung. Diese Regelungen legen den möglichen Inhalt der Festsetzungen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 5 BauGB für den Flächennutzungsplan und gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 i. V m. § 2 Abs. 5 BauGB für den Bebauungsplan verbindlich fest. Entsprechend seiner systematischen Stellung übernimmt § 1 BauNVO eine leitende und gestaltende Funktion für die anderen Vorschriften. Eine leitende Rolle kommt den Absätzen 1 bis 3 der Vorschrift zu, die die Anwendbarkeit der BauNVO hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung für die beiden Bauleitpläne regeln. Die Absätze 1 und 2 beziehen sich auf den Flächennutzungsplan und umschreiben die möglichen Darstellungen der Bauflächen (Absatz 1) und

1 Vgl. für die Einzelheiten der jeweiligen Änderungen der BauNVO sowie seiner Ermächtigungsgrundlage Fickert/Fieseler, BauNVO, Einführung, S. 1 ff.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

der Baugebiete (Absatz 2). In § 1 Abs. 3 BauNVO ist die Anwendbarkeit der BauNVO für den Bebauungsplan bestimmt. Nach Satz 1 des Absatzes kann der Plangeber im Bebauungsplan die in Absatz 2 genannten Baugebiete festsetzen. Durch die Gebietsfestsetzung werden dabei nach Absatz 3 Satz 2 die §§ 2-14 BauNVO unmittelbar Bestandteil des Bebauungsplans. Die Verweisung des § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO ist wegen der jedem Bebauungsplan gem. § 1 Abs. 6 BauGB zugrundeliegenden Abwägung, die allein auf den Zeitpunkt der Beschlußfassung über den Bebauungsplan bezogen ist, eine statische und keine dynamische.2 Die Gebietsfestsetzung hat daher die rechtliche Bedeutung, die sich aus der im Zeitpunkt der Festsetzung geltenden Fassung der BauNVO ergibt. Eine gestaltende Funktion kommt in § 1 BauNVO den Absätzen 4-10 zu, die sich ausschließlich an den Bebauungsplanrichten.Nach den Regelungen kann der Träger der Bauleitplanung von dem engen Korsett der Baugebietstypen in den §§ 2-9 BauNVO aus städtebaulichen Gründen unter Wahrung der Zweckbestimmung des Baugebiets abweichen. Die Vorschriften ermöglichen es dem Plangeber, im Sinne einer „Feinsteuerung", die zulässige bauliche Nutzung des jeweiligen Baugebiets zu erweitern oder einzuschränken und das Baugebiet horizontal wie vertikal zu gliedern.3 Die eigentlichen Regelungen über die Art der baulichen Nutzung für die jeweiligen Baugebiete beinhalten die §§ 2-15 BauNVO. Die Vorschriften lassen sich ihrem Inhalt nach in drei Kategorien aufteilen. Die erste Kategorie bilden die Gebietsvorschriften nach §§2-11 BauNVO, die die Baugebiete durch eine allgemeine Zweckbestimmung und Regelungen über die allgemein und ausnahmsweise zulässigen Nutzungen typisierend festlegen. Die Gebietsvorschriften umfassen zum einen die allgemeinen Baugebiete in den §§ 2-9 BauNVO und zum anderen die Sondergebiete in den §§ 10 und 11 BauNVO. Zu den allgemeinen Baugebieten der BauNVO gehören die Kleinsiedlungsgebiete gem. § 2, die reinen Wohngebiete gem. § 3, die allgemeinen Wohngebiete gem. § 4, die besonderen Wohngebiete gem. § 4a, die Dorfgebiete gem. § 5, die Mischgebiete gem. § 6, die Kerngebiete gem. § 7, die Gewerbegebiete gem. § 8 und die Industriegebiete gem. § 9. Die allgemeinen Baugebiete stehen dabei untereinander in einer städtebaulich gewollten, abgestuften Zuordnung, insbesondere hinsichtlich ihrer Störintensität. Bei den Sondergebieten ist zwischen der Erholung dienenden Sondergebieten gem. § 10 BauNVO und 1 3

.

Finkelnburg/Ortloff Öffentliches Baurecht, Bd. I, § 7, Π. 2. Hierzu ausführlich Finkelnburg/Ortloff 9 Öffentliches Baurecht, Bd. I, § 7, II.

1. Kapitel: Grundlagen

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den sonstigen Sondergebieten gem. § 11 BauNVO zu unterscheiden. Die Sondergebietsvorschriften dienen bauplanungsrechtlichen Bedürfnissen, die durch die „allgemeinen Baugebiete" nicht gedeckt werden können. Die zweite Kategorie der Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung bilden die Regelungen über Anlagen und Einrichtungen, die nach Abstufungen in allen Baugebieten zulässig sind: Stellplätze und Garagen gem. § 12 BauNVO, Gebäude und Räume für freie Berufe gem. § 13 BauNVO sowie Nebenanlagen nach § 14 BauNVO. Die §§ 12-14 BauNVO ergänzen damit die Gebietsvorschriften aus §§ 2-11 BauNVO. Die dritte Kategorie bildet allein § 15 BauNVO, der als Regelung der allgemeinen Zulässigkeit aller baulichen und sonstigen Anlagen eine Sonderstellung einnimmt. Im Sinne einer Generalklausel findet die Vorschrift bei jedem der §§2-14 BauNVO Anwendung, ohne daß es der Überleitung des § 1 Abs. 3 BauNVO bedarf. Inhaltlich regelt die Norm die Zulässigkeit von an sich nach den §§ 2-14 BauNVO zulässigen Bauvorhaben für den Einzelfall unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände.4 Nachbarschutz können die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung nur dann vermitteln, wenn sie gegenüber dem Einzelnen auch konkrete Rechtswirkungen entfalten. Unmittelbarrichtensich die Regelungen nur an die Träger der Bauleitplanung zum Aufstellen von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen.5 Die Vorschriften kommen jedoch mittelbar gegenüber dem Einzelnen zur Anwendung, soweit sie als Bestandteil eines Bauleitplans oder unmittelbar für die Genehmigung einzelner baulicher Anlagen Bedeutung haben. Auf die Regelungen der § 1 Abs. 1 und 2 BauNVO kann sich der Bauwillige auch über den Flächennutzungsplan nicht berufen. Der Flächennutzungsplan ist seiner Rechtsnatur nach weder ein rechtsverbindlicher Bauleitplan noch ein Rechtssatz und kann infolgedessen aus sich heraus keine unmittelbaren Rechtswirkungen gegenüber Dritten entfalten.6 Er enthält als vorbereitender Bauleitplan lediglich die Grundzüge der städtebaulichen Entwicklung und gibt den rechtlichen Rahmen für das Aufstellen der Bebauungspläne vor.7 Dementsprechend läßt sich aus den Bestimmungen des § 1 Abs. 1 und 2 BauNVO auch über den Flächennutzungsplan kein Nachbarschutz herleiten, so daß dieser für die vorliegende Untersuchung ohne Bedeutung ist. 4 Allg. Α., vgl. nur Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 24; aus der Rspr. ζ. B. BVerwGE 79, 309. 5 Vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn. 1. 6 Siehe hierzu Gaentzsch, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, § 5 Rn. 2. 7 Vgl. Stiier, in: Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil Β Rn. 59.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Dagegen entfalten die §§ 1 Abs. 3-10, 2-15 BauNVO für den Einzelnen eine mittelbare Rechtswirkung bei der bauplanungsrechtlichen Genehmigung eines Vorhabens nach dem BauGB. Maßgeblich für die Anwendung der BauNVO sind dabei die §§ 30, 31, 33 und 34 BauGB. Die §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1, 2 und 33 Abs. 1, 2 BauGB verweisen für die Zulässigkeit des Vorhabens auf die Festsetzungen des Bebauungsplans. Gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO werden die §§ 2-14 BauNVO bei Festsetzung eines Baugebiets nach der BauNVO unmittelbar Bestandteil des Bebauungsplans. Legt der Ortsgesetzgeber ein Baugebiet nach §§ 3-11 BauNVO fest, so regelt die jeweilige Gebietsvorschrift mit den Ergänzungen aus den §§ 12-14 BauNVO die im einzelnen zulässigen Nutzungen im Baugebiet. Insoweit richten sich die Vorschriften unmittelbar zunächst an den Ortsgesetzgeber. Da die §§ 2-14 BauNVO aber als konkrete Festsetzung die zulässigen Nutzungen im Baugebiet bestimmen, erlangen sie über den Bebauungsplan auch mittelbar Geltung für den Bauwilligen. Direkt zur Anwendung gelangt die BauNVO bei der Baugenehmigung von Vorhaben innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile gem. § 34 Abs. 2 BauGB. Danach sind für die Art der baulichen Nutzung allein die Vorschriften der BauNVO maßgeblich, soweit die nähere Umgebung einem Baugebiet nach der BauNVO entspricht. § 34 Abs. 2 BauGB ermöglicht dadurch einen Rückgriff auf die §§ 2-9, 12-14, 15 BauNVO. Für den Einzelnen entfalten die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung damit Rechtswirkung, soweit nach dem BauGB die Regelungen entweder unmittelbar oder mittelbar als Festsetzungen des Bebauungsplans für die Zulässigkeit eines Bauvorhabens maßgeblich sind. Zur Anwendung kommen dabei allein die §§ 2-15 BauNVO, nicht jedoch § 1 BauNVO, der sich ausschließlich an die Träger der Bauleitplanung richtet. Die §§2-15 BauNVO können demnach grundsätzlich Drittschutz entfalten, soweit die weiteren Voraussetzungen des subjektiven öffentlichen Rechts erfüllt sind. Bei der Untersuchung ist zu unterscheiden, ob die Vorschriften als Festsetzung des Bebauungsplans gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO oder direkt über § 34 Abs. 2 BauGB zur Anwendung gelangen. Dabei stehen vor allem die Fragen im Raum, ob und inwieweit den §§ 2-15 BauNVO eine Drittschutzfunktion zu eigen ist und welchen Einfluß die Träger der Bauleitplanung auf den Drittschutzcharakter haben.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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2. Kapitel

Der Drittschutz durch die Festsetzungen von allgemeinen Baugebieten A. Der Aufbau der Gebietsvorschriften und die Bedeutung der allgemeinen Zweckbestimmung Die Gebietsvorschriften bestimmen die zulässigen baulichen Nutzungen für die jeweiligen Baugebiete gemeinsam mit den §§ 12-14 BauNVO, die Regelungen für in allen Baugebieten gleichermaßen zulässige Anlagen enthalten.1 Grundsätzlich in ihrem Aufbau gleich umschreiben die Vorschriften in Absatz 1 die sog. allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets, in Absatz 2 die allgemein und in Absatz 3 die ausnahmsweise zulässigen Anlagen. Darüber hinaus enthalten die §§ 3, 4a und 7 BauNVO einen vierten Absatz mit weiteren Festsetzungsmöglichkeiten, auf die später einzugehen ist. Der allgemeinen Zweckbestimmung kommt für das jeweilige Baugebiet eine zentrale Bedeutung zu, da sie das Baugebiet in seinen wesentlichen Merkmalen charakterisiert.2 Die wesentlichen Merkmale sind die Funktionsbestimmung, der Störgrad und das Mischungsverhältnis der zulässigen Nutzungen im Baugebiet, die nachfolgend erläutert werden sollen. Die zentrale Bedeutung der allgemeinen Zweckbestimmung erschließt sich aus ihrem Inhalt nach Absatz 1 im Zusammenhang mit den Absätzen 2 und 3 sowie ihrer Abgrenzungsfunktion zu den anderen Baugebieten. In Absatz 1 legt die allgemeine Zweckbestimmung fest, welchen Nutzungen aus Absatz 2 das jeweilige Baugebiet dient. Sie ordnet damit eine bestimmte, gebietsspezifische Zusammensetzung aus den nach Absatz 2 allgemein zulässigen Anlagen an. Grundsätzlich umfaßt die Regelung nicht alle nach Absatz 2 der Gebietsvorschrift allgemein zulässigen Anlagen, sondern nur einen bestimmten Teil. Die allgemeine Zweckbestimmung ist jedoch nicht immer abschließend in dem Sinne, daß sie ausdrücklich anordnet, welchen Nutzungen das Baugebiet insgesamt dient. Vielmehr normiert sie teilweise lediglich, welcher oder welchen Nutzung(en)

1 Zum Streit, ob dabei auch die Zweckbestimmung eine Zulässigkeitsnorm für bauliche Nutzungen im Plangebiet ist, vgl. Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 38 ff. 2 Vgl. hierzu BVerwG, BRS 40 Nr. 45; BRS 40 Nr. 64; sowie Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 18 ff.; Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 1 ff.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

das Gebiet vorrangig dient. Dann ist erst durch Auslegung zu ermitteln, welchen allgemein zulässigen Nutzungen aus dem jeweiligen Absatz 2 der Gebietsvorschrift das Gebiet auch dient. Die derart bestimmten Nutzungen prägen das jeweilige Baugebiet und geben ihm sein spezifisches Ortsbild, in dem es sich von allen anderen Baugebieten unterscheidet. Die darüber hinaus noch allgemein zulässigen Nutzungen entfalten dagegen keine gebietsprägende Wirkung. Sie sind im Baugebiet allgemein zulässig, da sie sich als gebietsverträglich erweisen und ihnen keine städtebauliche Leitfunktion zukommt. Ebenfalls ohne gebietsprägende Bedeutung sind die ausnahmsweise zulässigen Nutzungen nach Absatz 3 der Gebietsvorschriften. Die jeweilige Baugebietsvorschrift weist den in der allgemeinen Zweckbestimmung enthaltenen und das Gebiet prägenden Nutzungen einen Vorrang gegenüber den anderen Nutzungen zu, die sonst noch allgemein oder ausnahmsweise im Baugebiet zulässig sind. Der zugewiesene Vorrang liegt dabei in einem qualitativen wie quantitativen Überwiegen der gebietsprägenden Nutzungsarten gegenüber den anderen allgemein zulässigen. Die allgemeine Zweckbestimmung nimmt somit auch eine Gewichtung der gebietszulässigen Nutzungen nach ihrer gebietsprägenden Bedeutung vor. Unter dem Begriff des Mischungsverhältnisses ist daher die gebietstypische Zusammensetzung der in einem Gebiet zulässigen Nutzungen entsprechend ihrer gebietsprägenden Bedeutung zu verstehen. Mit der Bestimmung des gebietsspezifischen Mischungsverhältnisses und den gebietsprägenden Nutzungen legt die allgemeine Zweckbestimmung gleichzeitig auch Funktionsbestimmung und Störgrad des Baugebiets fest. Die prägenden Nutzungen lassen sich abstrakt einer der vier Hauptfunktionen3 menschlichen Lebens, Wohnen, Arbeiten, Personen- und Güterverkehr sowie Erholen, zuordnen. Die Hauptfunktionen sind als Sammelbegriffe zu verstehen, die sich in unterschiedliche Teilfunktionen gliedern lassen, wie sich ζ. B. die Funktion Arbeiten dem Arbeitsgegenstand nach allgemein in Produktion, Verwaltung, Vertrieb und Verkauf unterteilen läßt. Die gebietszulässigen Nutzungsfunktionen ergeben sich allgemein aus den zulässigen Nutzungen. Über die im Mischungsverhältnis verankerte Gewichtung der prägenden Nutzungen erfolgt dabei gleichermaßen eine Gewichtung der Nutzungsfunktionen des Baugebiets. Dementsprechend definieren die gebietsprägenden Nutzungen in ihrer gebietstypischen Zusammensetzung die Funktionsbestimmung des jeweiligen Baugebiets. Unter dem Begriff des Störgrads sind die im Baugebiet 3

Vgl. zu diesen Hauptfunktionen im Zusammenhang mit den Nutzungsinteressen Stich, DÖV 1978, 537 (538); Braun, BaWüVBl 1963, 113 (115).

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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zulässigen und damit zu erduldenden Auswirkungen zu verstehen, die von den Nutzungen ausgehen dürfen. Der Störgrad bestimmt sich über die von den gebietsprägenden Nutzungen üblicherweise verursachten Belästigungen und Störungen, die entsprechend ihrer gebietstypischen Zusammensetzung zu gewichten sind. Über die Merkmale Funktionsbestimmung und Störgrad charakterisiert die allgemeine Zweckbestimmung umfassend die Nutzungen, die als gebietsverträglich, d. h. als der Eigenart des Baugebiets entsprechend anzusehen sind. Die allgemeine Zweckbestimmung konstituiert insoweit zugleich eine allgemeine Zulässigkeitsschranke für alle Nutzungen des Baugebiets. Die in den Absätzen 2 und 3 aufgeführten Nutzungsbegriffe enthalten aufgrund ihrer Typisierung nur eine allgemeine Bestimmung der zulässigen Anlagen, wie ζ. B. beim Begriff „Gewerbebetrieb". Die in der Typisierung begründete Weite der Nutzungsbegriffe bedarf einer Konkretisierung, damit die jeweilige Anlage auch der Eigenart des Baugebiets entspricht. Diese Konkretisierung erfolgt durch die allgemeine Zweckbestimmung über die Merkmale Funktionsbestimmung, Störgrad und Mischungsverhältnis.4

B. Der generelle Drittschutzcharakter der §§ 2-9 BauNVO L Das Austauschverhältnis als drittschutzerzeugendes Merkmal Nach allgemeiner Auffassung entfalten die Gebietsvorschriften nachbarschützenden Charakter, weil sie ein Austauschverhältnis begründen, das durch die Festsetzung des Baugebiets entstehen soll.5 Ausgangspunkt der Überlegun4 Dem stimmt auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 Rn. 33 f., 35 zu, der aber in § 15 Abs. 1 BauNVO das begrenzende Instrumentarium erblickt. Zu diesem Problem unten 2. Teil, 2. Kap., C Π 2-3. 5 Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Recht, Rn. 535; ders., DVB1 1994, 1053 (1055); Schlez, Rechtsschutz im Baurecht, § 11 Rn. 22; Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 17 Rn. 30; Battis , Öffentliches Baurecht, S. 302 f.; Bender/Dohle, Nachbarschutz im Zivil- und Verwaltungsrecht, Rn. 143; Braun, BaWüVBl 1963, 113 (114 f.); Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 Rn. 86.; Dyong in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, § 31 BBauG Rn. 135; Evers, JuS 1962, 87 (89 f.); Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 26; Finkelnburg/Ortloff Öffentliches Baurecht, Teil Π, S. 189 f.; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öf-

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

gen ist, daß die Grundstückseigentümer im Geltungsbereich eines Bebauungsplans zu einer „bau- und bodenrechtlichen Schicksalsgemeinschaft" zusammengeschlossen6 sind. Diese Schicksalsgemeinschaft zeichnet sich dadurch aus, daß alle Planbetroffenen in gleicher Weise dem Zweck des Baugebiets untergeordnet sind.7 So erlegen die Gebietsvorschriften als Festsetzungen des Bebauungsplans sämtlichen Grundstückseigentümern im Plangebiet dieselben Beschränkungen mit allen sich daraus ergebenen Vor- und Nachteilen auf. Die rechtliche Grundlage für die Beschränkungen liegt in § 1 Abs. 5, 6 BauGB, wonach der rechtmäßige Bebauungsplan die öffentlichen und privaten Nutzungsinteressen der Grundstücke im Planungsbereich koordinieren und ausgleichen muß.8 Indem der Bebauungsplan in dieser Weise auf einen Ausgleich möglicher Bodennutzungskonflikte zielt, bestimmt er zugleich den Inhalt des Grundeigentums.9 Das wechselseitige Austauschverhältnis besteht darin, daß der Einzelne durch die Baugebietsfestsetzung einerseits einer Beschränkung der Nutzungen seines Grundstücks unterliegt. Aufgrund der gleichen Beschränkung auch aller anderen Grundstückseigentümer im Baugebiet korrespondiert damit andererseits der Vorteil der ungestörten Ausübung der zulässigen Nutzungen. So kann der Grundstückseigentümer ζ. B. im reinen Wohngebiet das Grundstück grundsätzlich nur zur Wohnbebauung nutzen, wodurch ihm aber wechselseitig wegen der gleichartigen Beschränkung aller anderen Grundstückseigentümer ein ruhiges und lärmfreies Wohnen ermöglicht wird.

Π. Der Drittschutzcharakter des Austauschverhältnisses Den drittschützenden Charakter des Austauschverhältnisses begründet die überwiegende Auffassung - wenn überhaupt - mit Argumenten, die im wesentlichen Baurechts, Kapitel H Rn. 216 f.; Jäde, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil A Rn. 32; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rn. 62; Meyer, DWW 1962, 133 (134 f.); Schlei, Rechtsschutz im Baurecht, § 11 Rn. 22; Sendler, BauR 1970, 4 (6 f.); Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§29 ff. Rn. 56; Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, S. 73 ff.; aus der Rspr: BVerwG, BVerwGE 94, 151 (156)=DVB1 1994, 284 (285); NVwZ 1997, 384 (386 f.); DVB1 1969, 213. OVG Münster, BauR 1977, 389 (393). 6 BVerwG, DVB1 1974, 358 (361); auch schon BVerwG, DVB1 1971, 754 im Anschluß an Sendler, BauR 1970, 4 (6). 7 Kübler/Speidel, Handbuch des Baunachbarrechts, I Rn. 10. 8 Jäde, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil A Rn. 32. 9 BVerwG, BVerwGE 94, 151 (156)=DVB1 1994, 284 (285).

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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sentlichen gegen Ende der 50er Jahre entwickelt wurden.10 Gedankliche Ausgangspunkte dieser Begründungen bilden der Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, der Vertrauensgrundsatz und das Eigentumsrecht nach Art. 14 Abs. 1 und 2 GG. Das Austauschverhältnis vermag nach diesen Begründungen in den Gebietsvorschriften nur dann Drittschutz zu erzeugen, wenn es damit einerseits das Interessenschutzkriterium erfüllt und andererseits dem Einzelnen auch die Rechtsmacht zur Durchsetzung der geschützten Interessen verleiht, womit auch das „Ob" der Rechtsmachterteilung gegeben wäre.

1. Begründung mittels des Gleichheitsgrundsatzes Nach der auf dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG basierenden Argumentation erwirbt der Einzelne bei gleicher Belastung einer abgrenzbaren Gruppe Einzelner und der Schaffung entsprechender Vorteile zugunsten aller Beteiligten einen Anspruch auf Wahrung der Vorteile.11 Grundlage und Maßstab der Gleichbehandlung sei die generelle, für alle Rechtsgenossen gleich verbindliche Rechtsnorm, deren Einhaltung der Gleichheitsgrundsatz gebiete.12 Der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG setze nicht ein subjektives öffentliches Recht voraus, sondern gewähre selbst gegen die Verwaltung ein subjektives Recht, bei wesentlich gleichem Sachverhalt auch gleiche Rechtsfolgen eintreffen zu lassen. Daraus ergebe sich eine Bindung der „Obrigkeit" nicht nur in ihren Handlungen, sondern auch in ihrem Unterlassen. Aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes könne der Einzelne dann aber auch verlangen, daß einem anderen versagt wird, was ihm selbst versagt worden ist oder - falls er es überhaupt nicht beantragt hat - von Rechts wegen hätte versagt werden müssen.13

10 Vgl. hierzu erstmals Pietzonka, NJW 1954, 1181 (1182) und NJW 1957, 1582 (1584) mit einer Untersuchung der Rechtsprechung; danach diesen Ansatz weiterentwickelnd Evers, JuS 1962, 87 (89 f.); Meyer, DWW 1962, 133 (134 f.); Braun, BaWüVBl 1963, 113 (114 f.); Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, S. 73 ff.; Sendler, BauR 1970, 4 (6 ff.). 11 Kübler/Speidel, Handbuch des Baunachbarrechts, I Rn. 10; Braun BaWüVBl 1963, 113 (115); Brohm, Der Rechtsschutz im Bauplanungsrecht, S. 97; Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, S. 75 ff. 12 Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, S. 77.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Gegen eine Drittwirkung des Austauschverhältnisses mittels des Gleichheitsgrundsatzes spricht zunächst, daß Art. 3 Abs. 1 GG nur gegen solche Maßnahmen der öffentlichen Hand ein subjektives öffentliches Recht auf Abwehr entfaltet, die eine Ungleichbehandlung für den Betroffenen bedeuten. In der Erteilung einer Baugenehmigung unter Verletzung der Festsetzungen des Bebauungsplans liegt grundsätzlich zwar eine formale Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den anderen Grundstückseigentümern, die unter Einhaltung der Festsetzungen eine Baugenehmigung erhalten haben. Fraglich ist aber, ob diese formale Ungleichbehandlung für die anderen Grundstückseigentümer einen Eingriff in das Grundrecht des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG bedeutet. Ihnen ist eine rechtmäßige Baugenehmigung erteilt worden, so daß die spätere rechtswidrige Baugenehmigung ihnen gegenüber eigentlich keine nachteiligen Ungleichbehandlungswirkungen zeitigt.14 Soweit die anderen Grundstückseigentümer noch keine Baugenehmigung beantragt haben, fehlt es sogar bereits an einer vergleichbaren Behandlung ihrerseits. Insbesondere können nachfolgende Antragsteller nicht unter Berufung auf die Nichtbeachtung der Festsetzungen in früheren Fällen ein Überschreiten der Festsetzungen verlangen, da der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG kein Recht auf Gleichbehandlung im Unrecht vermittelt.15 Erscheint es damit bereits als fraglich, ob die rechtswidrige Baugenehmigung insofern als Eingriff in das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG zu werten ist, so vermittelt das Grundrecht dem Dritten aber jedenfalls keine subjektive Rechtsmacht dem Begünstigten gegenüber auf Durchsetzung seiner Rechtsposition vor der Verwaltung. Bei der Begründung einer subjektiven Rechtsmacht durch Art. 3 Abs. 1 GG gilt es grundsätzlich zu unterscheiden, ob der Gleichheitsgrundsatz dem Einzelnen eine Rechtsmacht gegenüber der öffentlichen Gewalt oder gegenüber anderen einzelnen Privaten vermitteln soll.16 Hinsichtlich dieser Problematik hat sich für das Öffentliche Recht die Auffassung

13

Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, S. 78 insbs. Fn. 90, der damit keinçn Anspruch auf Ablehnung eines fremden Antrags meint, sondern einen Abwehranspruch auf Ablehnung. 14 Vgl. hierzu grundsätzlich Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 471 f. 15 Vgl. Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, S. 75 f.; allgemein Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 437. 16 Vgl. v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Art. 3 Anm. Α Π 5 a. E.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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durchgesetzt, daß das Grundrecht der Gleichheit nur das Verhältnis des einzelnen Bürgers zu den drei Gewalten betrifft und diesem daher grundsätzlich nicht das Recht zu gewährleisten vermag, daß die Behörde einen Dritten gleich zu behandeln hat.17 Das ist im Baurecht zum einen darin begründet, daß in der gebietswidrigen Genehmigung keine echte Ungleichbehandlung dritter Grundstückseigentümer, sondern lediglich eine formale Ungleichbehandlung zu sehen ist, die den Abwehranspruch des Art. 3 Abs. 1 GG nicht auslöst. Zum anderen ist das Gleichheitsgebot nicht drittgerichtet in dem Sinne, daß es den Ausgleich oder die Rücksichtnahme auf andere Interessen regelt. Es ordnet bei staatlichen Maßnahmen lediglich eine Gleichbehandlung von im wesentlichen gleichen Interessenlagen gegenüber dem Adressaten an, ohne die verschiedenen Interessen in ein wertendes Verhältnis zueinander zu setzen, insbesondere ohne Wertungswirkung auf den Dritten. Der Gleichheitsgrundsatz ist damit zwar auch im Dreiecksverhältnis Bürger-Staat-Bürger anwendbar, er entfaltet eine subjektive Rechtsmacht und Schutzwirkung aber nur innerhalb des direkten Verhältnisses Staat-Bürger, also nur für den Adressaten der Maßnahme. Die gegenteilige Auffassung müßte über den Gleichheitsgrundsatz zur Annahme eines Anspruchs auf rechtmäßigen Normenvollzug kommen für alle Dreiecksverhältnisse, in denen der Dritte ein vergleichbare Maßnahme zuvor beantragt hat. Daher vermag der Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG beim Austauschverhältnis kein subjektives öffentliches Recht auf Ablehnung eines fremden Antrags zu vermitteln, der gegen die Festsetzungen verstößt.

2. Begründung mittels des rechtsstaatlichen

Vertrauensgrundsatzes

In Verbindung mit dem Gleicheitsgrundsatz begründen einige Autoren die Drittschutzfunktion des Austauschverhältnisses mit dem rechtsstaatlichen und eigentumsspezifischen Vertrauensgrundsatz, der das Vertrauen der Grundstückseigentümer in die Einhaltung der Gebietsfestsetzungen und die in die-

17

v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Art. 3 Anm. Α ΠΙ 5, unter Berufung auf: Zinn/Stein, Die Verfassung des Landes Hessen, Bd. 1, Erl. 1 Abs. 2 zu Art. 1, S. 104 f.; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 471; allgemein ablehnend Laubinger, Der Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, S. 113, 143; ebenso Schäfer, DVB1 1960, 837 (842 f.). 7 Petersen

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

sem Vertrauen getätigten Investitionen schütze.18 Die Planunterworfenen würden ansonsten in ihrer nach dem Gleichheitssatz berechtigten Erwartung enttäuscht, daß ihnen als Glieder einer Vorteils- und Opfergemeinschaft wenigstens die Vorteile erhalten bleiben, die mit den ihnen von der planerischen Festsetzung angesonnenen Nachteilen verbunden sind.19 Gegen eine Drittschutzwirkung mittels des rechtsstaatlichen Vertrauensgrundsatzes ist einzuwenden, daß der Vertrauensgrundsatz im Verwaltungsrecht Abwehr- bzw. Gewährleistungsrechte allgemein nur dem unmittelbaren Adressaten staatlicher Maßnahmen gewährt.20 Damit taugt der allgemeine Vertrauensgrundsatz nicht zur Rechtsmachterzeugung des Austauschverhältnisses gegenüber Dritten, die eine festsetzungswidrige Genehmigung erhalten haben. Der in Art. 14 GG für das Eigentum anerkannte Veitrauensgrundsatz entfaltet allein gegenüber dem Gesetzgeber einen - umstrittenen - Schutzanspruch, der durch Härteklauseln und Übergangsregelungen einen eventuellen Eingriff abfedern muß.21 Der Vertrauensschutz kann daher auch im Austauschverhältnis nicht die Abwehr von rechtswidrigen, gegen die Festsetzungen der Art verstoßenden Baugenehmigungen erwirken. Ihm ist das für die Rechtsmacht erforderliche Ausgleichen und Rücksichtnehmen auf andere Rechtspositionen fremd. Der Vertrauensgrundsatz erfaßt beim Bebauungsplan nur das Vertrauen des Einzelnen in die Festsetzungen des Plans gegenüber dem Planungsgeber.22 Ein gebietswidriges Vorhaben vermag aber zum einen das Vertrauen in das Bestehen der Festsetzungen nicht zu beeinträchtigen. Zum anderen ist der Vertrauensschutz bei Änderungen des Bebauungsplans bereits in den §§ 39 ff. BauGB geregelt, wonach eine Entschädigung zu leisten ist und kein Anspruch auf absoluten Erhalt der Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung besteht.

18 Dyong, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, § 31 BBauG Rn. 135; Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, S. 75, Bender/Dohle, Nachbarschutz im Zivil- und Verwaltungsrecht, I Rn. 10. 19 Bender/Dohle, Nachbarschutz im Zivil- und Verwaltungsrecht, I Rn. 10. 20 Hierzu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 21 ff., 28 ff., 39 ff. 21 Vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 268; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 1005 f. 22 So auch Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. I, § 14, IV.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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3. Begründung mittels des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG Einen anderen Ansatzpunkt für die Drittschutzfunktion des Austauschverhältnisses bietet das Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 GG. Nach heute überwiegender Meinung23 entsteht die Baufreiheit, d.h. das Recht des Eigentümers, bauliche Anlagen auf seinem Grundstück zu errichten und zu ändern, nicht erst durch verwaltungsrechtlichen Zuteilungsakt24, sondern sie ist Bestandteil des verfassungsrechtlich gewährten Eigentumskerns aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG25. Das Grundgesetz gewährt in Art. 14 Abs. 1 GG die Baufreiheit jedoch nicht uneingeschränkt, sondern ermächtigt und beauftragt den Gesetzgeber in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu Inhalts- und Schrankenbestimmungen. Der Gesetzgeber hat dabei vor allem die in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG normierte Privatnützigkeit und die in Art. 14 Abs. 2 GG festgelegte Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu beachten. In diese verfassungsrechtliche Regelungsstruktur des Art. 14 GG fügt sich das Bauplanungsrecht als Inhalts- und Schrankenbestimmung ein. Das gilt insbesondere für den Bebauungsplan, wenn die Planung erstmalig die Nutzung des Eigentums festlegt.26 Die Gebietsfestsetzungen des Bebauungsplans nach der BauNVO stellen sich damit als Inhalts- und Schrankenbestimmungen dar, die zu einer Einschränkung der grundrechtlichen Baufreiheit führen. Die auf Art. 14 GG basierende Argumentation setzt an diesem Punkt an. Das durch den Bebauungsplan erzeugte Austauschverhältnis bewirke, daß die Einschränkung der Nutzbarkeit des Grundeigentums aus Art. 14 GG und ggf. einhergehende Wertminderungen wechselseitig durch die damit bedingten Vorteile ausgeglichen würden. Wenn aber die Grundstückseigentümer auf der einen Seite in der baulichen Nutzbarkeit ihrer Grundstücke beschränkt seien, um die Vorteile der Baugebietsart zu gewährleisten, so müsse ihnen auf der 23

Für die Rspr. vgl. BVerfGE 35, 263 (276); BVerwGE 48, 271 (273); BGHZ 88, 51 (59 f.); für die Literatur vgl. Oldiges, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, IV Rn. 140; Peine, Öffentliches Baurecht, S. 95 ff.; Erhguth, Bauplanungsrecht, Rn. 16 ff.; Battis , Öffentliches Baurecht, S. 83; Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 2 Rn. 55 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 59 ff. 24 Hierfür jedoch insbesondere Breuer, Die Bodennutzung im Spannungsfeld zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, S. 165 ff.; Schulte, DVB1 1971, 133 ff. 25 Vgl. hierzu die ausführliche und überzeugende Begründung von Leisner, DVB1 1992, 1065 ff. 26 BVerfGE 79, 174 (191 f.); vgl. auch Erbguth, Bauplanungsrecht, Rn. 45.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

anderen Seite das Recht zustehen, auch die Einhaltung der Festsetzungen von der Baugenehmigungsbehörde verlangen zu können.27 Kerngedanke ist, daß die Beschränkung des Eigentumsrechts unter gleichzeitiger Gewährung von Vorteilen zum Ausgleich ein subjektives Recht auf Abwehr festsetzungswidriger Vorhaben ermöglicht. Überzeugen könnte diese Argumentation nur dann, wenn in Art. 14 GG ein allgemeiner Grundsatz enthalten wäre, wonach Einschränkungen von eigenen Rechten, die wechselseitig mit Vorteilen verbunden sind, auch ein Recht auf Einhaltung dieser Einschränkungen gäbe. Das wäre allerdings der Fall, wenn die Einschränkung der Nutzbarkeit des Grundeigentums ohne die Gewährung eines subjektiven Abwehrrechts von Beeinträchtigungen der wechselseitig gewährten Vorteile nicht rechtmäßig wäre, d.h. keine zulässige Beschränkung nach Art. 14 GG darstellen würde. Als Inhalts- und Schrankenbestimmung müssen die Baugebietsfestsetzungen nach der BauNVO den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 GG entsprechen. Dies sind vor allem die Instituts- und Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1, die Sozialpflichtigkeit nach Art. 14 Abs. 2 GG und der auch bei der Sozialbindung zu beachtende Gleichheitsgrundsatz. Auf die Sozialbindung des Eigentums28 und den dabei zu beachtenden Gleichheitsgrundsatz29 greifen die den Drittschutz des Austauschverhältnisses aus Art. 14 GG herleitenden Auffassungen zum Nachweis ihrer These zurück.

27

Dyong, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, § 31 BBauG Rn. 135; Fikkert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 26; Sendler, BauR 1970, 4 (5 ff.); Bender/Dohle, Nachbarschutz im Zivil- und Verwaltungsrecht, Rn. 143; Rüfner, DVB1 1963, 609 (612); ebenso letztlich das BVerwG schon im U. v. 17.02.1971, BRS 24 Nr. 168 (S. 272) unter Hinweis auf BVerwGE 28, 29 (30); BVerwG, NJW 1974, 811; BVerwG, BVerwGE 94, 151 (155)=DVB1 1994, 284 (285): „Bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz beruht demgemäß auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks bei dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn verlangen."; OVG Berlin, NVwZ-RR 1989, 116. 28 Dieses weitere Argument fehlt bei Dyong, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, § 31 BBauG Rn. 135; das BVerwG beruft sich zwar nicht ausdrücklich auf die Sozialbindung, der Bezug ergibt sich jedoch aus der eindeutigen Einbettung des Drittschutzes in Art. 14 GG, vgl. nur BVerwG, NVwZ 1997, 384 (386). 29 Insbesondere ausführlich Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, S. 73 f.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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a) Gleichheitsgebot und Eigentumsrecht Auch der Planungsträger als normsetzende Exekutive hat wie der Gesetzgeber allgemein30 den Gleichheitsgrundsatz in der Form der Rechtsetzungsgleichheit zu beachten.31 Das gilt insbesondere auch bei der Normierung von Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch den Bebauungsplan, die Ausdruck der Sozialbindung sind. Die Grundstückseigentümer verschiedener Baugebiete sehen sich formal einer Ungleichbehandlung hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten ausgesetzt. Diese faktische, formale Ungleichheit stellt sich zwar rechtlich als eine durch die Sozialpflichtigkeit begründete Differenzierung 32 dar und ist damit enteignungsrechtlich als gleich anzusehen. Die „Ungleichheit in der Gleichheit" wird aber teilweise als „Antinomie" empfunden, die nur dadurch zur echten, rechtlichen Gleichheit werden könne, indem die lineare Beschränkung durch einen Rechtsanspruch der betroffenen Grundstückseigentümer auf den mit der gemeinschaftlichen Belastung bezweckten gemeinschaftlichen Vorteil ausgeglichen werde.33 Ein derartiger Ausgleich sei gerechtfertigt und durch die Differenzierungen geboten, die bei der Konkretisierung der sich aus der Sozialbindung ergebenden Pflichtigkeit zur Pflicht 34 wesensnotwendig entstehen.35 Das Austauschverhältnis, das die gemeinschaftlichen Vorteile zeitigt, könnte danach einen solchen subjektiven Anspruch vermitteln, soweit der Gleichheitsgrundsatz einen derartigen Ausgleich verlangt. Darin liegt eine neue Betrachtungsweise des Austauschverhältnisses, weil sich der Drittschutz insofern nicht mehr aus den Verhältnissen innerhalb des Baugebiets als Ausgleich der für die Beschränkung gewährten Vorteile ergeben soll. Vielmehr wird die Bedeutung der durch das Austauschverhältnis gewährten Vorteile zunächst im Vergleich zu den in 30 Vgl. allgemein Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Rn. 292 ff.; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 8; speziell zum Baurecht Fackler, Verfassungsund Verwaltungsrechtliche Aspekte eines Individualanspruchs auf Bauleitplanung, S. 148 f.; Würtenberger, AöR 105 (1980), 370 (379). 31 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 8, 30. 32 So schon Bender, NJW 1965, 1297 (1301). 33 Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, S.73 f. 34 Sämtliche Grundstücke trifft die sich aus der generellen Sozialbindung ergebene Pflichtigkeit, d.h. sie könnten allesamt wegen der Sozialbindung in ihrer Nutzbarkeit beschränkt werden. Nur bei einigen Grundstücken verdichtet sich die Pflichtigkeit zur konkreten Pflicht und damit zur Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten, vgl. Imboden, VVDStRL 18 (1960), 113 (129); Weyreuther, DOV 1977,419 (422). 35 Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, S.74.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

anderen Baugebieten gewährten Nutzungsmöglichkeiten unter den Anforderungen des Gleichheitsgebots betrachtet. Es mag dabei auf der Hand liegen, daß die unterschiedlichen Beschränkungen bei Ausweisung verschiedener Baugebiete letztlich keine gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlungen der Grundstückseigentümer darstellen. Andererseits ist das Argument nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, daß die „zufällige" Zugehörigkeit einzelner Grundstücke in verschiedene Baugebiete durch den Ortsgesetzgeber eine Ungleichheit erzeugt, die zur formalen Gleichheit erst durch Gewährung eines subjektiven Anspruchs auf Einhaltung der im Austauschverhältnis gewährten Vorteile werden könnte. Zu bedenken ist dabei insbesondere, daß ein subjektiver Ausgleichsanspruch bei gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Inhalts- und Schrankenbestimmungen gerade auch im Bauplanungsrecht nicht mehr ausgeschlossen wird.36 Daher bedarf es an dieser Stelle einer genaueren Untersuchung, welche Anforderungen der Gleichheitsgrundsatz insoweit an den Normgeber und damit auch den Ortsgesetzgeber stellt. Dem vom Gesetzgeber bei den Inhalts- und Schrankenbestimmungen zu beachtenden Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ermangelt es an einem allgemeinen Gleichheitsmaßstab, aufgrund dessen er nicht absolut gilt wie in Art. 3 Abs. 2 oder Abs. 3 GG, sondern nur in Relation zu einem sachlichen Grund. Kern des Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 GG war daher nach dem BVerfG bisher das Verbot willkürlicher Differenzierungen. 37 In der neueren Rechtsprechung des BVerfG ist das Willkürverbot konkretisiert worden.38 Für den Ausschluß der Willkür soll nicht mehr irgendein sachlicher Grund ausreichen. Vielmehr muß der rechtfertigende Grund in einem angemessenen Verhältnis zur Ungleichbehandlung stehen.39 Das so verstandene Willkürverbot richtetsich damit nach den jeweiligen sachlichen Gründen, bedarf folglich einer Konkretisierung für das jeweilige Rechtsgebiet. Die Feststellung der maßgeblichen sachlichen Gründe hat durch die Prüfung zu erfol36

Vgl. BVerfGE 58, 137 (150 f.); Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14 Rn. 65. Anerkannt ist dies bei dem Problem der willkürlichen Aussparung einzelner Grundstücke von der Bauleitplanung; vgl. hierzu insbesondere Fackler, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte eines Individualanspruchs auf Bauleitplanung, S. 147 ff.; Würtenberger, AöR 105 (1980), 370 (379). 37 BVerfGE 1, 14 (52); 4, 144 (155); 27, 364 (371 f.); 46, 55 (62). 38 BVerfGE 55, 72 (88); 60, 123 (133f.); 74, 9 (24); vgl. auch Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 19 ff. 39 BVerfGE 81, 208 (224); 82, 126 (146); vgl. auch Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 14.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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gen, ob die Differenzierungskriterien im richtigen Verhältnis zu den Differenzierungszielen stehen.40 Das für das Bauplanungsrecht zu konkretisierende Willkürverbot richtet sich nach den Geboten der Systemgerechtigkeit und Konsequenz.41 Der Gesetzgeber hat dabei nach dem BVerfG den tatsächlichen Gegebenheiten, der Sachgesetzlichkeit des zu ordnenden Tatbestandes Rechnung zu tragen. So muß zum einen die Ungleichbehandlung den Gesetzlichkeiten entsprechen, die sich aus der Art der zu regelnden Lebensbereiche ergeben, zum anderen müssen die von dem konkreten Gesetz erfaßten Tatbestände in sich sachgesetzlich geregelt werden.42 Im Bauplanungsrecht wird dementsprechend eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes durch einen Verstoß gegen die vom Gesetzgeber selbst statuierte Sachgesetzlichkeit, durch eine Zuwiderhandlung gegen das Gebot willkürfreier Sachgerechtigkeit indiziert.43 Die innere, selbst statuierte Sachgesetzlichkeit der Planungrichtetsich nach § 1 BauGB, die sachgerecht, systemgerecht und folgerichtig im Bebauungsplan umgesetzt werden muß. Allgemein bedeutet dies für das Planungsrecht, „daß in den Plänen als herrschender, allgemeiner Gesichtspunkt nicht die Folgerichtigkeit formaler Gleichbehandlung, sondern eine andere, auf das Planungsziel ausgerichtete und zu ungleicher Auswirkung auf die Betroffenen führende, zweckrationale Folgerichtigkeit räumlich-geometrischer Ordnung waltet".44 Die sich aus dem Planungszweck folgerichtig ergebenden Unterschiede in der Beeinträchtigung enthalten mithin eine sach- und systemgerechte Differenzierung, die auch dem Gleichheitsgrundsatz entspricht. Lediglich die zweckwidrigen und damit schon der sachgerechten Eigengesetzlichkeit widersprechenden Unterschiede verletzen das Gleichheitsgebot. Aus dem vorher Gesagten folgt, daß sich die unterschiedliche Einteilung von Baugebieten ausschließlich aus dem städtebaulichen Planungszweck ergeben muß und damit der willkürfreien Sachgerechtigkeit entspricht. Andernfalls, d.h. bei anderen als städtebaulichen Gestaltungsinteressen, wäre der Plan nicht systemgerecht, sondern willkürlich und schon wegen des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG nichtig. Die Unterschiede in der Nutzung der Grundstücke aufgrund der Zugehörigkeit zu verschiedenen Baugebieten sind damit 40

Zum Ganzen: Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 12 ff. Ausführlich Fackler, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte eines Individualanspruchs auf Bauleitplanung, S. 152 ff. 42 BVerfGE 4, 219 (243); 11, 64 (71); 36, 336 (394). 43 Weyreuther, DÖV 1977, 419 (422). 44 BVerwG, DÖV 1969, 644; ebenso: Imboden, VVDStRL 18 (1960), 123 f.; Hoppe, DVB1 1964, 165 (172). 41

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

aber eine zulässige, nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßende Inhaltsund Schrankenbestimmung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG gilt, wie anfangs dargestellt, eben nicht absolut. Damit sind die mittels des Austauschverhältnisses gewährten Vorteile nicht nach dem Willkürveibot als Ausgleich anzusehen, da dieses einen solchen gerade nicht verlangt. Im Zusammenhang mit den Anforderungen des Gleichheitsgrundsatzes an den Normgeber soll zum Schluß wieder zur ursprünglichen Betrachtungsweise des Austauschverhältnisses, seiner Wirkung und Bedeutung innerhalb desselben Baugebiets zurückgekehrt werden. Die drittschützende Wirkung des Austauschverhältnisses könnte darin begründet sein, daß die Baugebietsvorschriften grundsätzlich ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen darstellen, die einen Ausgleichsanspruch auf Erhaltung der Gebietsvorteile verlangen. Ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen sind allgemein dann anzunehmen, wenn die dem Gleichheitsgrundsatz genügende Beschränkung im Einzelfall unzumutbar ist und damit der Gleichheit der Beschränkung widerspricht.45 Eine solche Möglichkeit ist jedoch im Ansatz bereits abzulehnen, da die ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung gerade eine im Einzelfall unzumutbare Beeinträchtigung im Vergleich zur allgemeinen Beschränkung verlangt. Die Baugebietsbestimmungen beschränken jedoch alle Grundstückseigentümer gleichermaßen in ihrer baulichen Nutzung auf ein bestimmtes Spektrum. Im Gegenzug soll die jeweilige Baugebietsvorschrift mittels des Austauschverhältnisses allen Eigentümern im Baugebiet gleichermaßen Drittschutz vermitteln. Eine alle Betroffenen gleichermaßen beschränkende Nutzungsregelung kann aber nicht gleichzeitig auch jeden Einzelnen im Vergleich zu den anderen unzumutbar beeinträchtigen und von daher einen Ausgleich fordern, der sich im Austauschverhältnis konkretisiert. Als Zwischenergebnis bleibt damit festzuhalten, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz innerhalb der Sozialbindung die drittschützende Funktion des Austauschverhältnisses insgesamt nicht zu begründen vermag. Vielmehr entsprechen die Baugebietsvorschriften mit ihren unterschiedlichen Nutzungsregelungen auch unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes den verfassungs45 Hierzu grundsätzlich Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14 Rn. 65; Pie roth/Schlink, Grundrechte, Rn. 1003; kritisch zur Möglichkeit einer ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 283 ff.

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rechtlichen Anforderungen. Zudem sind die im Austauschverhältnis begründeten Vorteile nicht als ein sich aus einer ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung ergebender Anspruch anzusehen.

b) Sozialbindung Ausgangspunkt der Sozialbindungsargumentation ist, daß es Aufgabe des Bauleitplanungsrechts sei, die einzelnen Grundstücke einer auch im Verhältnis untereinander verträglichen Nutzung zuzuführen. Durch die entsprechenden Regelungen der Bodennutzungskonflikte bestimme das Planungsrecht gleichzeitig den Inhalt des Grundeigentums.46 Die damit einhergehenden Einschränkungen der Nutzungsmöglichkeiten des Eigentums seien als Sozialbindung nur im Hinblick auf die entsprechende Einschränkung bei den Nachbargrundstücken gerechtfertigt, die dann zu den wechselseitig gewährten Vorteilen führe. Weil auch die Verwirklichung der geordneten städtebaulichen Entwicklung die Einhaltung bzw. Verwirklichung jenes Austauschverhältnisses voraussetze, müsse der Nachbar gegen etwas, was nicht mehr durch die Sozialbindung gedeckt ist, angehen können.47 Den folgenden Untersuchungen liegt damit wieder die Ausgangsbetrachtung von Inhalt und Bedeutung des Austauschverhältnisses zugrunde.48

(1) Drittschutz als Erfordernis der Sozialbindung? Für die Frage der drittschützenden Wirkung kraft des Sozialbindungsgebots kann zunächst ausschlaggebend sein, ob die Grundrechtseinschränkungen rechtfertigende Sozialbindung49 nur eine abstrakt-rechtliche Bindung an das 46

Vgl. BVerwG, DVB1 1989, 1056 (1060). So ausdrücklich Sendler, BauR 1977, 4 (6 f.), der den Drittschutz damit jedoch auch direkt aus Art. 14 GG ableiten wollte; dort Hinweise auf Brohm, Der Rechtsschutz im Bauplanungsrecht, S. 96 ff.; Rüfner, DVB1 1963, 609 (612); Redeker, DVB1 1968, 7 ff; Fickert/Fieseier, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 26; Bender/Dohle, Nachbarschutz im Zivil- und Verwaltungsrecht, Rn. 143. 48 Vgl. 2. Teil, 2. Kap., Β I. 49 Zur Problematik, was unter die Sozialbindung fällt, vgl. Leisner, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 149 Rn. 156 ff.; zur Abgrenzungs- und Einordnungsproblematik von Situationsgebundenheit des Eigentums 47

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Gemeinwohl fordert oder zusätzlich auch ein subjektives Recht gegen rechtswidrige tatsächliche Veränderungen der Sozialbindung, d.h. der vorgenommenen Grundrechtseinschränkung verlangt. In diesem Fall käme dem Einzelnen bei Überschreitung der Sozialbindung ein entsprechendes Abwehrrecht zu. Wie bereits bei Darstellung der Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts herausgearbeitet wurde, vermag Art. 14 GG aufgrund seiner Ausgestaltungsbedürftigkeit nicht allgemein auf einfachgesetzlicher Ebene ein subjektives Recht und damit einen Anspruch auf Einhaltung einfachgesetzlicher Einschränkungen durch Dritte zu begründen. Gleiches muß aber für die Inhalts- und Schrankenbestimmungen hinsichtlich der Sozialbindung gelten. Die Sozialbindung verlangt lediglich eine abstrakt-rechtliche Bindung des Eigentums auch an das Gemeinwohl, d. h. dessen Sozialnützigkeit ist bei den Inhalts- und Schrankenbestimmungen zu berücksichtigen. Die Art der gesetzlichen Regelungen und damit insbesondere die Frage des drittschützenden Charakters ist dem Gesetzgeber vorbehalten. Da die Sozialbindung kein subjektives Recht auf Einhaltung ihrer selbst verlangt, eröffnet die auch insofern keine Begründungsmöglichkeit für die Drittschutzwirkung des Austauschverhältnisses.

(2) Drittschutz durch die normierte Abwägung nach der Sozialbindung Zur Begründung der Drittschutzfunktion des Austauschverhältnisses kommt noch ein weiterer Aspekt der Sozialbindung in Betracht. Nach der Rechtsprechung des BVerfG verlangt die sich in seiner sozialen Funktion artikulierende Gemeinschaftsgebundenheit und Gemeinschaftsbezogenheit des Eigentums vom Eigentum gestaltenden Gesetzgeber auch, auf die durch die Nutzung des Eigentumsobjekts berührten Belange privater Dritter Rücksicht zu nehmen oder sie in einen Ausgleich mit den Nutzungsinteressen zu bringen.50 Nach Auffassung einiger Autoren ist daher Art. 14 Abs. 2 GG gleichzeitig „Richtschnur" für die Schaffung subjektiver Rechte Dritter. 51 Die Drittschutzfunktion des Austauschverhältnisses einer Baugebietsfestsetzung könnte

und Sozialbindung insbes. ders., Situationsgebundenheit des Eigentums - eine überholte Rechtssituation. 50 BVerfGE 52, 1 (29); 52, 137 (147f.). 51 Mampel, DVB1 1994, 1053 (1054) unter Hinweis auf Krebs, in: SchmidtAßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Abschn. Rn. 238.

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demnach darin begründet sein, daß sich das Austauschverhältnis als eine Konkretisierung dieser von der Sozialbindung geforderten Rücksichtnahme und Ausgleichsverpflichtung darstellt. Das setzt erstens voraus, daß die Sozialbindung auch den Individualinteressen des Nachbarn zu dienen bestimmt ist und Rücksichtnahme oder Ausgleich fordert 52, und zweitens, daß das Austauschverhältnis eine Konkretisierung dieser Abwägung enthält. Wie bereits dargestellt ist die Baufreiheit Gegenstand der in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährten Bestandsgarantie53, die die individuellen Interessen des Eigentümers am Eigentum und dessen Gebrauch schützt.54 Die Bestandsgarantie steht im Gegensatz zur Sozialbindung nach Art. 14 Abs. 2 GG, die bei der Ausgestaltung der Baufreiheit die Allgemeininteressen an Bestand und Nutzung des Bodeneigentums umfaßt. Der verfassungsrechtliche Auftrag aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, verpflichtet den Gesetzgeber zur umfassenden Abwägung55 der Bestands- und Allgemeininteressen.56 Der Gesetzgeber hat damit einen Ausgleich zwischen Privateigentum und Sozialbindung zu schaffen, wonach der Gebrauch des Eigentums zugleich dem Wohl der Allgemeinheit unter Berücksichtigung der berechtigten Belange Dritter zu dienen hat.57 Unter dem Blickwinkel der Bestandsgarantie werden nicht die Individualinteressen von Dritten, sondern allein die des Eigentümers und damit des Beschränkten berücksichtigt. Von diesem Gesichtspunkt aus liegt nur ein Ausgleich von Individual- und Allgemeininteressen vor und kein Schutz von Nachbarinteressen. Die Rücksichtnahme auf Interessen des Eigentümers ist aber nicht rechtsmachterzeugend für den Dritten, d.h. nur der Eigentümer, nicht aber der Dritte kann verlangen, daß er eine den Beschränkungen entsprechende Genehmigung erhält. Die Berücksichtigung der Interessen Dritter kann sich mithin nur aus der Sozialbindung, den geschützten Allgemeininteressen an der Eigentumsnut52 Damit wären das Interessenkriterium und das Rechtsmachtkriterium hinsichtlich des der Rechtsmachterteilung erfüllt. 53 Vgl. zur Unterscheidung von Bestands- und Institutsgarantie in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (216 ff.); Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 11 ff. 54 Vgl. oben unter 2. Teil, 2. Kap., Β Π 3. 55 Das Abwägungserfordernis ergibt sich seinerseits aus der Pflicht zur Inhaltsund Schrankenbestimmung, vgl. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (226); BVerfGE 37, 132 (129 ff.); 58, 300 (334 ff.). 56 Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 303 ff. 57 Vgl. BVerwG, NJW 1991, 3293 (3294); hierzu ausführlich Wahl, in: FS Redeker, S. 245 (252).

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

zung ergeben. Die Sozialbindung des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 2 GG zielt vordergründig darauf ab, daß das Eigentum nicht nur dem Privaten zur Verfugung steht, sondern in die soziale Gemeinschaft eingebunden und dieser auch verpflichtet ist. Da die Sozialbindung im Interesse der Allgemeinheit, also für das Gemeinwohl erfolgt 58, dient sie primär gerade nicht Individualinteressen. Soweit aber neben dem Allgemeinwohl gleichzeitig Individualinteressen zu berücksichtigen sind, könnte der nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG geforderte Ausgleich von Privatnützigkeit und Sozialbindung drittschützende Wirkung für den vom Eigentumsgebrauch betroffenen Dritten entfalten. Allgemein dient die Festsetzung von Baugebieten wie jeder Bauleitplan dem öffentlichen Interesse der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung gem. § 1 Abs. 3 BauGB.59 Die bei der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung zu berücksichtigenden Interessen sind in den Leitsätzen von § 1 Abs. 5 Satz 2 BauGB formuliert. Den dort aufgeführten Interessen liegt bei der Festsetzung von Baugebieten ein Allgemeininteresse als Sozialbindung zugrunde. Aus städtebaulichen, aber auch sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Gründen sollen bei der Enge des verfügbaren Raums das einzelne Baugebiet und das Einzelgrundstück gegen die allenthalben drohenden Kollisionen geschützt werden.60 Die Festsetzung von Baugebieten dient daher dazu, die verschiedenen sich gegenseitig störenden Nutzungen voneinander zu trennen und unterschiedlichen Bauzonen zuzuordnen.61 Diese sog. Funktionstrennung geht von vier raumbeanspruchenden Hauptfunktionen des menschlichen Lebens aus, dem Wohnen, Arbeiten, Personen-/ Güterverkehr und Erholen, die größtenteils zueinander unverträglich und daher voneinander räumlich zu trennen sind.62 Grundsätzlich lassen sich sämtliche Nutzungen jeweils einer der Hauptfunktionen zuordnen. Die BauNVO weist die Baugebiete in Abstufungen den verschiedenen Funktionen zu, indem sie die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets entsprechend festlegt. So dienen in Abstufungen schwerpunktmäßig das reine, allgemeine und besondere Wohngebiet der Funktion Wohnen, das Dorfgebiet,

58

Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 299; BVerfGE 79, 174 (198). Vgl. hierzu Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 16 ff. 60 Braun, BaWüVBl 1963, 113 (115). 61 So bereits die amtliche Begründung zur BauNVO von 1962, BR-Drucks. 53.62, S. 3; dem folgt Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, S. 72; Brohm, Der Rechtsschutz im Bauplanungsrecht, S. 96 f.; allgemein Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 191 ff.; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn. 40 ff. 62 Vgl. Stich, DÖV 1978, 537 (538) zur BauNVO von 1962; ebenso Braun, BaWüVBl 1963, 113 (115). 59

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das Mischgebiet und das Kerngebiet den Funktionen Wohnen und Arbeiten und schließlich das Gewerbegebiet und das Industriegebiet den Funktionen Arbeiten und Personen-/Güterverkehr. Die Funktionstrennung vollzieht sich über die Bestimmung der Nutzungsarten für ein Baugebiet nach der Funktion, der das Baugebiet dienen soll. Dabei faßt die BauNVO jeweils zueinander passende, sich nicht gegenseitig störende Nutzungen in einem Baugebiet zusammen, um so eine ungestörte Ausübung der Nutzungsart sicherzustellen. Dem Allgemeininteresse der Koordinierung der verschiedenen Nutzungsinteressen liegen damit die individuellen Nutzungsinteressen der Einzelnen zugrunde. Die Sozialbindung bei der Festsetzung von Baugebieten dient dementsprechend gerade auch individuellen Interessen, verlangt allgemein eine Berücksichtigung der durch die Nutzung des Eigentums berührten privaten Belange Dritter. Dem Allgemeininteresse der konfliktfreien Koordinierung der Nutzungen ist die allgemeine Baufreiheit des Grundeigentümers, das Interesse, jegliche Art von Nutzung auf einem Grundstück zu verwirklichen, entgegengesetzt. Aus dem Erfordernis der umfassenden Abwägung zwischen Eigentums- und Allgemeininteressen ergibt sich demnach, daß die Festsetzung eines Baugebiets einen gerechten Ausgleich aller am Interessenkonflikt Beteiligten und dadurch letztlich aller unterschiedlichen individuellen Nutzungsinteressen verlangt.63 Das Erfordernis der Abwägung kann aber von sich aus nicht drittschützend sein, sondern allein die Abwägung, d.h. der in der Gebietsfestsetzung festgeschriebene und sich eventuell im Austauschverhältnis konkretisierende Ausgleich. Art. 14 GG liefert insoweit letztlich nur den dogmatischen Grund für den Ausgleich, ordnet aber selbst konkret keinen solchen an.64 Die Sozialbindung aus Art. 14 Abs. 2 GG kann daher lediglich Richtschnur für subjektive öffentliche Rechte Dritter sein und selbst keinen Drittschutz erzeugen.65 Dementsprechend kann sich auch aus der einfachgesetzlichen Konkreti-

63 Vgl. hierzu allgemein das BVerwG, NJW 1991, 3293 (3294) m.w.N., wonach der Gesetzgeber die Aufgabe hat, i. S. einer sozialgerechten Eigentumsordnung die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Interessen aller am Interessenkonflikt Beteiligten in einen gerechten Ausgleich zu bringen; bestätigt in BVerwG, NVwZ 1997, 384 (386). 64 Dieser Auffassung ist auch Krebs, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Abschn. Rn. 238, der daraus folgert, daß lediglich die „unterverfassungsrechtliche Norm in Erfüllung dieser Grundrechtspflicht" die Rücksichtnahme gebieten kann; ebenso jetzt auch das BVerwG, NVwZ 1997, 384 (386) für Art. 14 Abs. 1 GG. 65 Vgl. Mampel, DVB1 1994, 1053 (1054) m. w. N.

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sierung des verfassungsrechtlichen Erfordernisses der gerechten Abwägung in § 1 Abs. 6 BauGB und der Wirkung des Austauschverhältnisses nichts anderes ergeben. Auf das Abwägungserfordernis des § 1 Abs. 6 BauGB soll an dieser Stelle kurz eingegangen werden, weil in neuerer Zeit damit der Drittschutzcharakter des Austauschverhältnisses begründet wird66 und die einfachgesetzlichen Anforderungen aus § 1 Abs. 6 BauGB ihrem Inhalt nach vergleichbar zu den verfassungsrechtlichen sind. Schmaltz argumentiert, daß mittels normerhaltender Interpretation von der drittschützenden Wirkung einer Festsetzung dort auszugehen sei, wo eine nicht drittschützende Festsetzung eine Fehlgewichtung nachbarlicher Belange und damit einen Verstoß gegen das Abwägungsgebot darstelle.67 Das sei bei Festsetzungen der Fall, die ein Austauschverhältnis erzeugen, da sich bei diesen der Verstoß gegen die Festsetzung auf alle Grundstücke auswirke. Gedanklicher Ausgangspunkt dieser Ansicht ist, daß der Drittschutz ein Instrument zum Ausgleich von Interessenkonflikten im Nachbarschaftsverhältnis darstellt.68 Diese Argumentation ist jedoch ungenau und führt zu Mißverständnissen. Einen eigenständigen Ausgleich der berührten Interessen kann der Drittschutz nicht bewirken, er stellt selbst kein Instrument zum Ausgleich dar, weil er einen vorgenommenen Ausgleich voraussetzt. Der Drittschutz kann nur die im Ausgleich enthaltenen Rechtspositionen schützen. Er enthält selbst keine Rechtsposition, die in einen Interessenausgleich mit eingebracht werden könnte. Berücksichtigt eine Festsetzung nicht die Rechtspositionen der Nachbarn, nimmt sie keinen entsprechenden Ausgleich vor, kann auch der Drittschutz keine ausreichende Berücksichtigung der Nachbarinteressen ermöglichen. Eine die nachbarlichen, individuellen Belange nicht ausreichend berücksichtigende Festsetzung ist dann unabhängig von ihrer subjektiven Ausgestaltung objektiv rechtswidrig und nichtig.69 Andernfalls ließe sich durch die drittschützende Auslegung einer objektiv abwägungsfehlerhaften und damit rechtswidrigen Festsetzung das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB umgehen, indem die objektiv rechtswidrige Abwägung

66

Schmaltz, in: FS Schlichter, S. 583 ff. In: FS Schlichter, S. 583 (588). 68 Schmaltz, in: FS Schlichter, S. 583 (587). 69 Nur die einen objektiv rechtmäßigen Ausgleich enthaltende Festsetzung ist durch Auslegung versubjektivierbar, wenn die fehlende Abwehrmöglichkeit eines Verstoßes gegen die Festsetzung sich als Grundrechtsverletzung von Art. 14 GG erweist; vgl. zur dann möglichen verfassungskonformen Auslegung Wahl, in FS Redeker, S. 245 (252). 67

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durch Annahme eines subjektiven Abwehranspruchs sich zur fehlerfreien Abwägung wandeln würde.70 Das Erfordernis der gerechten Abwägung vermag daher nicht den Drittschutzcharakter des Austauschverhältnisses zu begründen, es kann ihn nur fordern mit der Folge, daß die Festsetzung andererseits rechtswidrig und nichtig sein könnte. Drittschutzerzeugend kann mithin nur das in der Vorschrift normierte Austauschverhältnis selbst sein, wenn es im Baugebiet den durch das Abwägungserfordernis des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG verlangten Ausgleich aller Nutzungsinteressen konkretisiert und damit auch das Rechtsmachtkriterium erfüllt. Eine Gebietsvorschrift faßt von den der Funktionstrennung zugrundeliegenden möglichen Nutzungsinteressen wie Wohnen, Freizeitbetätigungen oder Betreiben eines Gewerbebetriebes ein untereinander verträgliches, sich nicht störendes Spektrum zusammen, das gleichzeitig auch die möglichen Nutzungsinteressen des Grundstückseigentümers auf dasselbe beschränkt. Das in der jeweiligen Gebietsvorschrift enthaltene Austauschverhältnis erzeugt im Plangebiet ein Wechselverhältnis zwischen Vor- und Nachteilen der individuellen Nutzungsinteressen aus Bestandsgarantie und Sozialbindung, indem es der Beschränkung auf die nach den Absätzen 2 und 3 der jeweiligen Gebietsvorschrift zulässigen Nutzungen zugleich die - allgemeinen wie individuellen Vorteile der ungestörten Ausübung der Nutzungen beifügt. Genau hierdurch vollzieht sich der Ausgleich zwischen Allgemein- und Eigentumsinteressen. Im Plangebiet konkretisiert das Austauschverhältnis damit letztlich den gerechten Ausgleich aller individuellen Nutzungsinteressen, kommt ihm eine Ausgleichsfunktion zu, womit die Voraussetzungen des „Ob" der Rechtsmachterteilung erfüllt sind. Auf die Ausgleichsfunktion des Austauschverhältnisses stellen mittlerweile neben dem BVerwG auch einige Autoren ab. Subjektive öffentliche Rechte vermitteln danach diejenigen Festsetzungen und Normen, die dem Ausgleich privater Interessen in Form einer alle Grundstückseigentümer zugleich belastenden und begünstigenden Regelung dienen.71

70 Dafür aber Schmaltz, in: FS Schlichter, S. 583 (588), der eine „normerhaltende Interpretation" der bei fehlendem Drittschutzcharakter abwägungsfehlerhaften Festsetzungen fordert. 71 Dürr, in: Brügelmann, BBauG, § 31 Rn. 74; Jäde, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil A Rn. 32; Schmidt-Preuß, DVB1 1994, 288 (289); BVerwG, BVerwGE 94, 151=DVB1 1994, 284; BVerwG, NVwZ 1997, 384 (386 f.).

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Der durch das Baugebiet festgelegte Ausgleich zwischen den individuellen Nutzungsinteressen aller Grundstückseigentümer erfolgt in der Gesamtheit der Festsetzungen der Art der baulichen Nutzung. Verneinte man bei auch nur einer einzelnen Festsetzung die Ausgleichsfunktion und damit den Drittschutzcharakter, so fiele diese aus dem festgelegten Ausgleich heraus. Dadurch entstünde ein neuer Ausgleich der Nutzungsinteressen ohne die entsprechende Festsetzung. Führt das Ablehnen der Ausgleichsfunktion einer einzelnen Festsetzung der Art der baulichen Nutzung zu einem neuen Ausgleich, dann muß auch jeder einzelnen Festsetzung eine Drittschutzfunktion zu eigen sein.72 Drittschutzvermittelnd ist folglich jeder Teil der einzelnen Gebietsvorschriften, soweit er die Art der baulichen Nutzung umschreibt und damit den Ausgleich der Nutzungsinteressen im einzelnen mitgestaltet.

C. Der Drittschutz in den Regelungen der allgemeinen Zulässigkeit von Nutzungen in den §§ 2-9 BauNVO Beim Drittschutz durch die Gebietsvorschriften ist zwischen den allgemein zulässigen Nutzungen nach den Absätzen 1 und 2 der §§ 2-9 BauNVO sowie den ausnahmsweise zulässigen Nutzungen nach dem jeweiligen Absatz 3 der Vorschriften zu unterscheiden. Die Regelungen über die allgemein zulässigen Nutzungen weisen nämlich im einzelnen eine etwas andere Systematik auf als die ausnahmsweise zulässigen Nutzungen. Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen die einzelnen Absätze der Gebietsvorschriften ihre drittschützende Wirkung entfalten, also des „Wie" der Rechtsmachterteilung, ist die durch die Rechtsnorm vermittelte drittschützende Rechtsposition maßgeblich. Da das normierte Austauschverhältnis den Drittschutz in den Baugebietsbestimmungen vermittelt, bestimmt das Austauschverhältnis auch inhaltlich die geschützte Rechtsposition. Drittschützend ist mit anderen Worten dasjenige, was vom Austauschverhältnis erfaßt wird. Der drittschützende Charakter des Austauschverhältnisses ergibt sich aus dem darin konkretisierten Ausgleich der unterschiedlichen Nutzungsinteressen. Der Ausgleich besteht inhaltlich in der Beschränkung aller Grundstückseigentümer auf ein Nutzungsspektrum aus den gebietszulässigen Nutzungen, das Störungen und Nutzungskonflikte un-

72

27.

Allg. Α., vgl. nur Fickert/Fieseler,

BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. BauNVO Rn. 26,

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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tereinander ausschließt. Die geschützte subjektive Rechtsposition liegt damit in der stör- und konfliktfreien Ausübung der gebietszulässigen Nutzungen, oder, kürzer formuliert, in der gebietsspezifischen Stör- und Konfliktfreiheit. Das untereinander verträgliche Nutzungsspektrum beschreibt die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets. Die in der Zweckbestimmung enthaltenen Wesensmerkmale „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis" legen nicht nur die Eigenart des Baugebiets fest, sondern bestimmen auch die gebietsverträglichen Nutzungen abschließend nach Art, Umfang und Zusammensetzung. Nach Art und Umfang charakterisieren Funktionsbestimmung und Störgrad die Nutzungen, während das Mischungsverhältnis die Zusammensetzung der Nutzungen bestimmt. Damit umschreiben die drei Kriterien das gebietsspezifische Austauschverhältnis, bei dem Nutzungskonflikte ausgeschlossen sind und der zulässige Störgrad die Ausübung der Nutzungen nicht beeinträchtigt. Gleichzeitig formen sie folglich auch die dem Einzelnen durch die Gebietsfestsetzung vermittelte subjektive Rechtsposition aus. Ein Verstoß gegen eines der Wesensmerkmale könnte sich dementsprechend als eine Verletzung des subjektiven öffentlichen Rechts erweisen. Ein solcher Verstoß wäre allgemein in der Zulassung eines Vorhabens zu sehen, das einem der drei Wesensmerkmale nicht entspricht. Da die beiden Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" die gebietsverträglichen Nutzungen der Art und dem Umfang nach typisieren, während das Merkmal „Mischungsverhältnis" allein die Zusammensetzung der gebietsverträglichen Nutzungen im Baugebiet bestimmt, lassen sich die Verstöße gegen die drei Wesensmerkmale in zwei Gruppen aufteilen. Wie zu zeigen sein wird, unterscheiden sich die Vorhaben, die gegen die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" verstoßen, in ihrem Widerspruchscharakter von den Vorhaben, die das Merkmal „Mischungsverhältnis" verletzen. Aus diesem Grund ist es angezeigt, die Verstöße nach den vorbezeichneten Gruppen getrennt zu untersuchen.

L Verstoß gegen „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" 1. Sachlicher Schutzbereich Ausgangspunkt für die Verletzung des in den Merkmalen „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" verkörperten subjektiven Rechts als sachlicher 8 Petersen

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Schutzbereich ist die objektive Rechtsverletzung nach der Baugebietsnorm. Wie bereits aufgezeigt, stellen die beiden Merkmale eine objektive Zulässigkeitsschranke für alle allgemein und ausnahmsweise zulässigen Nutzungen eines Baugebiets dar, weil sie die gebietsverträglichen Nutzungen der Art und dem Umfang nach charakterisieren.73 Dementsprechend gehören zu den insoweit objektiv rechtswidrigen Vorhaben diejenigen, die nicht dieser allgemeinen Zulässigkeitsschranke entsprechen. Darunter fallen zum einen alle Vorhaben, die sich nicht einem der weiten Nutzungsbegriffe nach den Absätzen 2 und 3 der jeweiligen Gebietsvorschrift zuordnen lassen. Diese Vorhaben sind nicht vom Austauschverhältnis des Baugebiets erfaßt und verstoßen objektiv abstrakt gegen die allgemeine Zweckbestimmung, die Wesensmerkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad". Der Verstoß ist abstrakt, weil die Vorhaben aufgrund der Nichteinbeziehung in das Austauschverhältnis a priori die Merkmale nicht erfüllen und es daher keiner weiteren konkreten Überprüfung anhand der Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" mehr bedarf. Es liegt insoweit eine abstrakte Verletzung beider Merkmale vor. Zum anderen gehören zu den die objektive Zulässigkeitsschranke verletzenden Vorhaben auch diejenigen, die sich zwar allgemein unter die weiten, nicht aber unter die durch die beiden Wesensmerkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" eingeschränkten Nutzungsbegriffe der Absätze 2 und 3 subsumieren lassen. Diese Vorhaben verstoßen objektiv konkret gegen die Wesensmerkmale, weil sie aufgrund der allgemeinen Zugehörigkeit zu den zulässigen Nutzungsbegrififen nicht abstrakt, sondern nur konkret zumindest eines der Merkmale verletzen.74 Die in dieser Gruppe zusammengefaßten Nutzungen sollen als gebietsfremde Vorhaben bezeichnet werden. Sie sind gebietsfremd, da sie nach Art und Umfang in das durch die Gebietsvorschrift charakterisierte Baugebiet nicht hineinpassen. In der Zulassung eines gebietsfremden Vorhabens liegt gleichzeitig eine subjektive Rechtsverletzung, soweit die Verwirklichung des objektiv rechtswidrigen Vorhabens die in den Wesensmerkmalen der Zweckbestimmung verankerte subjektive Rechtsposition verletzt. Die geschützte Rechtsposition besteht in der durch Funktionsbestimmung und Störgrad gesicherten Stör- und Konfliktfreiheit im Baugebiet. Eine Verletzung dieser Stör- und Konfliktfrei-

73

2. Teil, 2. Kap., A. Ausdrücklich dagegen allein Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 29 f f , der diese Fälle nicht unter die Gebietsvorschriften, sondern unter § 15 Abs. 1 Satz 1 subsumiert; ausführlich hierzu unten 2. Teil, 2. Kap., C Π 2-3. 74

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heit könnte entweder eine konkrete Gebietsbetroffenheit erfordern oder bereits bei Zulassung eines gebietsfremden Vorhabens i. S. einer abstrakten Gebietsbetroffenheit anzunehmen sein. Beim Erfordernis einer konkreten Gebietsbetroffenheit vermitteln die Gebietsvorschriften einen konkret-partiellen Drittschutz, während bei Ausreichen einer abstrakten Gebietsbetroffenheit die Vorschriften zu den abstrakt-generell drittschützenden Normen gehören.75 Ohne ausdrückliche Begründung stellen aber einige Stimmen für die Rechtsverletzung darauf ab, ob das Vorhaben konkret den Gebiets- oder den Nutzungscharakter beeinträchtigt.76 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß die Absätze 1 und 2 einen abstrakten, normativen Ausgleich konstituieren, indem sie durch die abschließende Bestimmung der zulässigen Vorhaben die Eigenart des Baugebiets festlegen. Diese Eigenart formiert einen Nutzungsausgleich, bei dem keine Nutzungskonflikte entstehen und ein für die Nutzungen verträgliches Störpotential vorliegt. Jede Zulassung eines gebietsfremden Vorhabens verändert und stört den abstrakten Ausgleich, da hierdurch eigentlich ausgeschlossene Nutzungskonflikte erneut entstehen können. Die Aufnahme eines gebietsfremden Vorhabens führt folglich in tatsächlicher Hinsicht zu einer rechtswidrigen Erweiterung der allgemein gebietszulässigen Vorhaben unabhängig davon, ob es tatsächlich im konkreten Baugebiet zu einer spürbaren Gebietsveränderung kommt. Der vom Verordnungsgeber mit den Absätzen 1 und 2 vorgenommene Ausgleich erweist sich in diesem Sinne als absolut und abschließend, eben als normativ. Auf eine wertende, die Gesamtheit des Baugebiets einbeziehende Betrachtung kommt es für den sachlichen Anwendungsbereich der gebietsfremden Vorhaben gerade nicht an, da beim normativen Ausgleich die faktische Betrachtung irrelevant ist. Der Annahme eines abstrakten, normativen Ausgleichs entspricht auch die planungsrechtliche Funktion der Gebietsvorschriften. So regeln die Baugebietsvorschriften in ihren Absätzen 1 und 2 den allgemeinen, großen Ausgleich der widerstreitenden und parallelen Nutzungsinteressen innerhalb eines Baugebiets ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Situation im Einzelfall. Eine Berücksichtigung der konkreten Umstände erfolgt erst über § 15 Abs. 1 BauNVO, der allgemein nach den Bauge-

75

Vgl. hierzu 1. Teil, 1. Kap., D Π 4 a). So ausdrücklich Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kapitel Η Rn. 223 für das Kleinsiedlungsgebiet gem. § 2 BauNVO; ebenso Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 61, § 3 Rn. 27. 76

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

bietsvorschriften zulässige Nutzungen im Einzelfall für unzulässig erklärt, wenn sie zu unzumutbaren Beeinträchtigungen in der Umgebung führen. Mit der Feststellung eines absoluten und abschließenden, normativen Ausgleichs durch die Absätze 1 und 2 geht die Erkenntnis einher, daß im fest umgrenzten Raum des Plangebiets jede Veränderung des Austauschverhältnisses sich auch auf alle einzelnen Grundstücke auswirken kann. Zwar sind unmittelbar nur die direkten Nachbargrundstücke von den möglichen Störungen der gebietswidrigen Nutzung betroffen, kommt nur bei ihnen eine tatsächliche Beeinträchtigung in Betracht. Wie jedoch Sendler 77 bereits aufgezeigt hat, stehen beim Drittschutz im Baurecht insbesondere durch die Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung nicht die Störanfälligkeit und der Störungsgrad der Nutzungen im Vordergrund, sondern die bodenrechtlichen und vor allem auch städtebaulichen Folgen der Nutzungen. Unter dem Blickwinkel der bodenrechtlichen Folgen beginnt mit der Zulassung eines gebietsfremden Vorhabens eine schleichende Gebietsveränderung, da das gebietsfremde Vorhaben den Rahmen der gebietszulässigen Nutzungen überschreitet und dadurch den vorgegebenen Ausgleich verändert. Die sich aus dem Baugebiet ergebende Situationsgebundenheit der Grundstücke bedingt, daß die beginnende Gebietsveränderung alle Grundstücke des Baugebiets gleichermaßen betrifft. 78 Eine tatsächliche Veränderung der Gebietsart, d. h. eine fehlende, auch in naher Zukunft ausgeschlossene Übereinstimmung der tatsächlichen Verhältnisse mit den in der allgemeinen Zweckbestimmung der Baugebietsvorschrift umschriebenen, verursacht neben ihren unmittelbar spürbaren Folgen zudem konkret rechtliche. So können im Falle der tatsächlichen Gebietsveränderung die einzelnen Festsetzungen oder ggf. auch der gesamte Bebauungsplan die Wirksamkeit verlieren79. Dieses sog. Funktionsloswerden eines Bebauungsplans bzw. einzelner seiner Festsetzungen stellt einen mittlerweile in Rechtsprechung und Literatur anerkannten außerordentlichen Außerkraftsetzungs77

BauR 1970,4 (13). Diese Argumente auch aufgreifend Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 573 ff.; früher schon Sendler, BauR 1970, 4 (9, 13); Bender/Dohle, Nachbarschutz im Zivil- und Verwaltungsrecht, Rn. 143. 79 Grundlegend zu diesem Problem: Baumeister, GewArch 1996, 318 ff.; Steiner, Planung und Plankontrolle, S. 313 ff.; Degenhart, BayVBl 1990, 71 ff.; Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 10 Rn. 8 ff.; Grooterhorst, Der Geltungsverlust von Bebauungsplänen; Gronemeyer, DVB1 1977, 756 ff.; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 429 ff.; Osthof\ Nutzungsgehalt und Ordnungsgehalt des Bebauungsplans, S. 119 ff.; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, Rn. 519; Zeiler, BayVBl 1978, 626 ff. 78

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grund dar.80 Voraussetzung für das Funktionsloswerden ist zum einen, daß die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sich der Bebauungsplan bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzungen auf unabsehbare Zeit ausschließt.81 Zum anderen muß eine Offenkundigkeit des Mangels vorliegen, d.h. die tatsächliche Situation muß in ihrer Erkennbarkeit einen Grad erreicht haben, der ein etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetztes Vertrauen die Schutzwürdigkeit entzieht.82 An das Vorliegen beider Voraussetzungen sind hohe Anforderungen zu stellen, da das Funktionsloswerden einzelner Festsetzungen wie des Bebauungsplans nur eine eng begrenzte Ausnahme im Kanon der Geltungsbeendigungsgründe darstellt.83 Eine die Verwirklichung der Festsetzung auf lange Zeit ausschließende tatsächliche Entwicklung liegt insbesondere dann vor, wenn die Festsetzung ihre städtebauliche Ordnungsfunktion verliert. Das ist aber der Fall, wenn eine tatsächliche Gebietsveränderung vorliegt, d. h. durch die Überhandnahme gebietsfremder Nutzungen die tatsächlichen Verhältnisse im Baugebiet nicht mehr der allgemeinen Zweckbestimmung der Gebietsvorschrift entsprechen und dies auch für die nahe Zukunft ausgeschlossen ist. Die Gebietsvorschrift kann dann ihre städtebauliche Ordnungsfunktion, nämlich die Umsetzung und Sicherstellung der in der Vorschrift festgeschriebenen städtebaulichen Verhältnisse nicht mehr erfüllen. Diese tatsächliche Veränderung ist wegen der augenscheinlichen Zunahme gebietsfremder Nutzungen auch derart offenkundig, daß ein schutzwürdiges Vertrauen in die Fortgeltung der Gebietsvorschrift nicht mehr bestehen kann. Zur Klarstellung sei daran erinnert, daß derartige Fallkonstellation nur in eng begrenzten Ausnahmefällen tatsächlich vorliegen werden. In der Zulassung eines gebietsfremden Vorhabens liegt der Beginn ei80

Erstmals ausdrücklich anerkannt in BVerwGE 54, 5; vgl. aus der neueren Rspr. BVerwG, Buchholz 406.11, § 10 Nr. 30; BVerwGE 98, 235; BVerwG, BauR 1997, 803; für die Verwaltungsgerichte: BayVGH, BayVBl 1987, 210; VGH BW, VB1BW 1983, 371; NVwZ 1987, 241 ff.; UPR 1994, 110 ff.; OVG Lüneburg, ZfBR 1986, 49; OVG Berlin, ZfBR 1979, 125; für die Lit.: Steiner, Planung und Plankontrolle, S. 313 ff.; Degenhard BayVBl 1990, 71 ff.; Lohr, in: Batti s/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 10 Rn. 8 ff.; Grooterhorst, Der Geltungsverlust von Bebauungsplänen; Gronemeyer, DVB1 1977, 756 ff.; aus normtheoretischer Sicht ablehnend: Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 471 ff.; Osthof \ Nutzungsgehalt und Ordnungsgehalt des Bebauungsplans, S. 119 f f ; Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Normen, S. 358 ff. 81 BVerwGE 54, 5(11). 82 BVerwG, ibd. 83 So ausdrücklich VGH BW, NVwZ 1987, 241 (243).

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ner Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die zur Gebietsveränderung führen kann und damit die Gefahr des Funktionsloswerdens der Festsetzung in sich trägt.84 Mit dem Funktionsloswerden gingen aber gleichzeitig die durch die Festsetzungen vermittelten subjektiven Rechtspositionen unter, wodurch nicht nur einige Grundstückseigentümer tatsächlich, sondern alle auch rechtlich beeinträchtigt wären. Die Zulassung eines gebietsfremden Vorhabens führt folglich gleichzeitig zu einer Verletzung der im Austauschverhältnis verankerten subjektiven Rechtsposition, da das gebietsfremde Vorhaben eine schleichende Gebietsveränderung in Gang setzt. Aufgrund dieser rechtlichen Betroffenheit kommt es auf eine tatsächliche Beeinträchtigung des Einzelnen wie des Baugebiets für die subjektive Rechtsverletzung nicht an. Die Absätze 1 und 2 der Gebietsvorschriften gehören dementsprechend zu den abstrakt-generell drittschützenden Normen.85

2. Einschränkung durch den persönlichen Schutzbereich ? Einige Autoren vertreten die Auffassung, daß zwar keine tatsächliche Betroffenheit des Einzelnen für den Drittschutzanspruch durch die Gebietsfestsetzungen erforderlich sei. Dieser abstrakte Schutz vor gebietsfremden Vorhaben finde aber dort seine Grenze, wo keine (schleichende) Gebietsbeeinträchtigung denkbar sei und die gebietsfremde Nutzungsart die bodenrechtliche Situation des Grundstücks des Dritten nicht beeinträchtigen könne.86 Dementsprechend scheide ein Drittschutz gegenüber einem seiner Art nach unzulässigen Vorhaben für den Grundstückseigentümer dann aus, wenn die gebietsfremde Nutzung die bodenrechtliche Situation seines Grundstücks nicht tangiere und umgekehrt die Nutzung seines Grundstücks gleichfalls ohne bodenrechtlich erheblichen Einfluß auf jene Fläche sei, die artfremd genutzt werden 84 Dieser Auffassung ist auch das BVerwG, BVerwGE 94, 151 (161)=DVB1 1994, 284 (287), wonach bereits die Zulassung eines mit den Festsetzungen unvereinbaren Vorhabens eine Verfremdung des Gebiets einleitet. 85 Ebenso Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 26, 27; Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 519 ff., 539 f.; Schmidt-Preuß, DVB1 1994, 288 (291); Sendler, BauR 1970, 4 (6, 9); Schmaltz , in: FS Schlichter, S. 583 (592); BVerwG, DVB1 1994, 285 (287). 86 So bereits Sendler, BauR 1970, 4 (13); ebenso Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 594 ff.; Schmidt-Preuß, DVB1 1994, 288 (291).

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solle.87 Dahinter steckt wohl die Überlegung, daß der Dritte gegen planwidrig zugelassene Vorhaben keinen weiterreichenden Schutz als gegen plankonforme Vorhaben beanspruchen könne, folglich also zumindest die Möglichkeit einer bodenrechtlichen Grundstücksbeeinträchtigung vorliegen müsse. In diesem Sinne wird als Argument für die Beschränkung vorgebracht, daß die Legitimation eines subjektivrechtlichen Gebietsschutzes bei Fehlen einer multipolaren Risikolage entfalle.88 Desweiteren wird behauptet, daß die Annahme eines Drittschutzes bei Fehlen jeglicher bodenrechtlicher Auswirkungen auf die Anerkennung eines Planbefolgungsanspruchs hinauslaufe, der jedoch mit der ganz überwiegenden Auffassung abzulehnen sei.89 Dieser Einschränkung über den persönlichen Anwendungsbereich ist zunächst entgegenzuhalten, daß die Ausgangsvoraussetzung - das Fehlen jeglicher denkbaren Beeinträchtigung der bodenrechtlichen Situation eines Grundstücks - ein verkapptes tatsächliches Betroffenheitskriterium darstellt. Wie bereits dargelegt, leitet die Zulassung auch nur eines gebietsfremden Vorhabens in bodenrechtlicher Hinsicht die tatsächliche Veränderung des Baugebiets ein und enthält somit eine Störung des abstrakten Ausgleichs. Eine bodenrechtliche Betroffenheit ist daher bei jeder Zulassung gebietsfremder Vorhaben gegeben, so daß die geforderte „denkbare Beeinträchtigung" nur eine tatsächlich spürbare meinen kann. Die Annahme eines Drittschutzes durch die Gebietsvorschrifien ohne Vorliegen einer tatsächlichen bodenrechtlichen Betroffenheit birgt auch nicht die Gefahr eines Planbefolgungsanspruchs, unter dem ein Drittschutz gegen jedwede Verletzung einer Bebauungsplanbestimmung zu verstehen ist. Die Gebietsvorschriften stellen nur einen Teil der möglichen Planfestsetzungen dar, so daß die Anerkennung eines abstrakt-generellen Drittschutzes auch nicht zum Drittschutz für alle Festsetzungen führen kann. Aus der bodenrechtlichen Betrachtungsweise läßt sich zudem ein teleologisches Argument gegen die vorgeschlagene Einschränkung gewinnen. Unbestrittenerweise sind Inhalt und Ziel des Drittschutzes durch die Gebietsfestsetzungen, die Eigenart des Baugebiets zu sichern, d. h. die Erhaltung der durch diese vermittelten Vorteile.90 Wollte man den abstrakt-generellen Anwendungsbereich durch das Erfordernis einer tatsächlichen bodenrechtlichen Be87

Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 599. So Schmidt-Preuß, DVB1 1994, 288 (291). 89 Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 569. 90 Vgl. nur Söflcer, in: Erast/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 31 BauGB Rn. 138; Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 27. 88

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einträchtigung wieder eingrenzen, könnte der einzelne Grundstückseigentümer gegen eintretende Gebietsveränderungen, die aufgrund ihrer räumlichen Entfernung sein Grundstück noch nicht berühren, keinen Drittschutz geltend machen. Auf diesem Wege wäre damit der schleichenden Gebietsveränderung Tor und Tür geöffnet. Der Nachbarschutz käme dann in der Regel zu spät, da die tatsächlichen Änderungen bereits die Nichtigkeit zumindest einzelner Festsetzungen bewirkt haben, wenn die zunächst entfernte Gebietsveränderung sich schließlich auch auf das Grundstück des Dritten auswirkt. Der drittschützende Zweck von Baugebietsvorschriften gebietet daher, daß der Dritte gegen jedes gebietsfremde Vorhaben vorgehen kann.91 Zudem soll der Drittschutz den allgemeinen Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Verwaltung für den Einzelnen dadurch verbessern, daß er die ihm zugedachten Rechte selbst verteidigen kann. Gestaltet der Gesetzgeber die drittschützenden Rechtspositionen unabhängig von einer tatsächlichen Betroffenheit abstrakt-generell aus, so soll der Dritte gerade nicht erst bei eigener tatsächlicher Betroffenheit eingreifen können, sondern bei jeder objektiven Rechtsverletzung. Er muß sich also nicht auf andere Dritte verweisen lassen, die als Betroffene handeln könnten. Solcher Drittschutz kommt dann in Betracht, wenn bereits jede objektive Rechtsverletzung potentiell einen subjektiven Rechtsverlust für alle Rechtsbetroffenen bedeuten kann. Eine derartige Drittschutzsituation konstituieren die Gebietsvorschriften, die als Festsetzung im Bebauungsplan die planbetroffenen Grundstückseigentümer zu einer Rechtsgemeinschaft formieren. Die Zulassung gebietsfremder Vorhaben enthält die Möglichkeit einer Gebietsveränderung und damit die potentielle Gefahr des Funktionsloswerdens der Gebietsvorschrift, was zum subjektiven Rechtsverlust für alle Grundstückseigentümer führen würde. Dann muß aber jeder Grundstückseigentümer jedwedes gebietswidrige Vorhaben abwehren können, um so die mögliche Gefahr des Rechtsverlustes verhindern zu können. Das Argument der fehlenden Legitimation des Drittschutzes bei fehlender tatsächlicher, bodenrechtlicher Betroffenheit des einzelnen Grundstückseigentümers überzeugt folglich nicht.

91

Dies vertritt auch das BVerwG in seinem U. v. 16.09.1993 - 4 C 28.91, BVerwGE 94, 151 (161)=DVB1 1994, 284 (287), wonach bereits die Zulassung eines gebietsfremden Vorhabens abstrakt die Gefahr einer schleichenden Gebietsveränderung enthält. Das BVerwG trifft jedoch nicht die vorgenommene Unterscheidung zwischen gebietsfremden und gebietsverändernden Vorhaben.

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Π. Verstoß gegen das „Mischungsverhältnis" Der Schutz gegen gebietsfremde Vorhaben ergab sich aus der abstrakten Betrachtung des durch die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" erzeugten Austauschverhältnisses der gebietszulässigen Nutzungsarten. Das Mischungsverhältnis als drittes Merkmal der Zweckbestimmung ordnet eine bestimmte Zusammensetzung der gebietszulässigen Nutzungen untereinander an, indem es die gebietsprägenden Nutzungen in ein quantitatives und qualitatives Rangverhältnis untereinander und zu den anderen gebietszulässigen Nutzungen setzt.92 Es stellt sich die Frage, ob eine Veränderung der vorgegebenen Zusammensetzung der Nutzungen im Baugebiet als Verstoß gegen das Mischungsverhältnis einen Drittschutzanspruch auslöst. Zu denken ist ζ. B. an eine Veränderung der Zusammensetzung der beiden gebietsprägenden Nutzungen Wohnen und Gewerbebetriebe im Mischgebiet nach § 6 BauNVO dahingehend, daß im Baugebiet nur noch die Wohnnutzungen oder die Gewerbebetriebe vorhanden sind. Mit der Zusammensetzung der gebietszulässigen Nutzungen bestimmt das Mischungsverhältnis die Merkmale Funktionsbestimmung und Störgrad, da es über die Gewichtung der Nutzungen und der von den Nutzungen ausgehenden Störungen entscheidet. Eine Veränderung der Mischungsverhältnisse93, also der Zusammensetzung der Nutzungen im Baugebiet insgesamt, führt nicht nur zu einer anderen Gewichtung und damit zu einer anderen Funktionsbestimmung und einem anderen Störgrad, sondern sie kann auch faktisch eine neue Gebietsart ergeben. Die Folge davon ist eine Gesamtstörung des Baugebiets, die das Funktionsloswerden94 der Gebietsfestsetzung und den Verlust der garantierten Stör- und Konfliktfreiheit nach sich ziehen kann.95 Das über die drei Wesensmerkmale der Zweckbestimmung vermittelte subjektive öffentliche Recht beinhaltet aber gerade die Stör- und Konfliktfreiheit im Baugebiet als subjektive Rechtsposition. Als zweiter sachlicher Anwendungsfall des Drittschutzes durch die Gebietsvorschrift ist daher ein Schutz vor solchen Vorha92

Vgl. hierzu oben unter 2. Teil, 2. Kap., A. Zu den sachlichen Voraussetzungen für eine Veränderung des Mischungsverhältnisses unten 2. Teil, 2. Kap., C Π 5. 94 Vgl. zu den Voraussetzungen des Funktionsloswerdens oben 2. Teil, 2. Kap., C I 1 sowie allgemein Grooterhorst, Der Geltungsverlust von Bebauungsplänen, S. 59 ff., 94; Degenhart, BayVBl 1990, 71 ff. 95 Zur Gefahr des Funktionsloswerdens infolge der Mischungsverhältnisänderung im einzelnen unten 2. Teil, 2. Kap., C Π 5. 93

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ben denkbar, die zwar nicht gegen die Funktionsbestimmung oder den Störgrad nach der allgemeinen Zweckbestimmung verstoßen, aber zu einer Veränderung der gebietstypischen Zusammensetzung der Nutzungen führen und damit das Merkmal Mischungsverhältnis verletzen. Solche Vorhaben sollen als gebietsverändernde Vorhaben bezeichnet werden, weil ihre Zulassung die konkrete Gefahr einer tatsächlichen Gebietsänderung enthält.96

1. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung In der Literatur finden sich zum Drittschutzanspruch gegen gebietsverändernde Vorhaben größtenteils keine grundlegenden Stellungnahmen. Einige Autoren behandeln das Problem der Veränderung des gebietsspezifischen Mischungsverhältnisses nur allgemein von der objektiven Seite her, ohne eventuelle subjektive Ansprüche Dritter in die Überlegungen mit einzubeziehen.97 Andere diskutieren allein punktuell zu einigen Baugebietsvorschriften einen derartigen Schutzanspruch, zeigen dessen allgemeine Verortung in einer Norm oder dessen Grundlagen jedoch dabei nicht auf. So wird das Problem des Umkippens des gebietstypischen Mischungsverhältnisses für das Mischgebiet gem. § 6 BauNVO gesehen und auf Drittschutzmöglichkeiten hingewiesen, die sich aus der Festlegung des Mischgebiets ergeben sollen.98 Andererseits soll sich der Drittschutz gegen Änderung „der gesetzlich umgrenzten Nutzungsarten" in § 2 BauNVO nicht direkt aus der Vorschrift, sondern erst aus § 15 BauNVO ergeben, auf den verwiesen wird.99 Ausführlicher beschäftigen sich allein Ziegler und Bielenberg mit der objektiven und subjektiven

96

Die gebietsfremden Vorhaben enthalten dagegen grundsätzlich keine konkrete Gefahr einer Gebietsänderung, sondern sie können lediglich eine schleichende Gebietsänderung einleiten. Erst bei einer massiven Zunahme gebietsfremder Vorhaben, die die Verwirklichung der allgemeinen Zweckbestimmung in Frage stellt, kann auch den gebietsfremden Vorhaben eine gebietsverändernde Wirkung zukommen. 97 Lediglich die objektive Seite betrachtend: Βoeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 10 ff.; Förster, BauNVO, § 15 Anm. 3 b) aa); Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 23. 98 Hierzu ζ. B. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 6 Rn. 2.1; Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 582 f. 99 So verweisen Fickert/Fieseler, BauNVO, § 2 Rn. 2.2 für den Nachbarschutz bei § 2 BauNVO auf Erhaltung der gesetzlich umgrenzten Nutzungsart auf § 15 BauNVO.

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Seite, wobei beide den Drittschutz des Mischungsverhältnisses ausschließlich in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO verankert sehen.100 Die Gemeinsamkeiten bestehen jedoch allein darin, daß beide den Drittschutz des gebietstypischen Mischungsverhältnisses unter das Merkmal Eigenart des Baugebiets subsumieren. Darüber hinaus geht Ziegler von einem abstrakt-generellen Drittschutz aus, wobei er auf die Verletzung des Austauschverhältnisses abstellt.101 Hingegen scheint Bielenberg den Drittschutz ausschließlich durch das Rücksichtnahmegebot gewährleistet zu sehen, das nur partiell-konkret drittschützend ist.102 In der Literatur bleibt damit ungeklärt, ob sich der Schutzanspruch aus der Gebietsvorschrift selbst oder aber aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ergibt. Zudem bedarf es weiterhin einer Klärung, ob eine Gebietsbetroffenheit oder auch eine Grundstücksbetroffenheit 103 des Einzelnen erforderlich ist oder ob der Schutz des Mischungsverhältnisses abstrakt-genereller Art ist. Das BVerwG hat bisher zur Frage der Erhaltung des gebietstypischen Mischungsverhältnisses lediglich in bezug auf das bipolare Verwaltungsrechtsverhältnis ausdrücklich Stellung genommen.104 Von besonderer Bedeutung ist das Urteil vom 04.05.1988105, in dem das BVerwG explizit zur Rechtmäßigkeit der Ablehnung einer Baugenehmigung für ein gegen das gebietstypische Mischungsverhältnis von § 6 BauNVO verstoßendes Vorhaben Stellung genommen hat. In diesem Urteil stellt das Gericht für die Unzulässigkeit des Vorhabens allein auf § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ab. Dabei weist es zudem darauf hin, daß das gleichwertige Nebeneinander zweier Nutzungsarten die „wechsel100 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 17c, § 15 Rn. 80 ff.; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 6 BauNVO Rn. 10, 44; § 7 Rn. 56; § 8 Rn. 2d, 3, 10c, 35; § 9 Rn. 7, 27; § 15 Rn. 26. 101 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 17c. 102 Zwar ist teilweise zweifelhaft, ob Bielenberg in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 6 BauNVO Rn. 44, nicht doch den Drittschutz in der jeweiligen Gebietsvorschrift verankert wissen will. Die Bezugnahme auf OVG Berlin, ZfBR 1992, 242 ff. in § 9 Rn. 6 und VGH BW, UPR 1991, 359 in § 15 Rn. 26 (beide Urteile leiten den Drittschutz aus dem Rücksichtnahmegebot her) sowie die Darstellungen in § 15 Rn. 24, 26 zeigen einen (noch) eindeutigen Bezug auf das Rücksichtnahmegebot. 103 Unstimmig sind ζ. B. die Darstellungen von Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 585 f f , der einerseits Schutz gegen jegliche mögliche Änderung des Gebietscharakters verlangt (Rn. 585), andererseits zusätzlich eine persönliche, bodenrechtliche Betroffenheit fordert (Rn. 599). 104 Zu § 6 BauNVO: BVerwGE 40, 94; 68, 207; BVerwG, ZfBR 1986, 147 und BVerwGE 79, 309 bestätigt durch BVerwG, NVwZ 1989, 960; zu § 8 BauNVO: BVerwG, ZfBR 1987, 262; zu § 9 BauNVO: BVerwG, DÖV 1994, 37. 105 BVerwGE 79, 309 ff.

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seitige Rücksichtnahme der einen Nutzung auf die andere und deren Bedürfnisse" voraussetze.106 Hierin ist zumindest ein erster Hinweis auf einen Drittschutz über das Rücksichtnahmegebot erkennbar.107 Darüber hinaus hat das BVerwG jedoch in seinem Urteil vom 16.09.1993 - 4 C 28.91 - 1 0 8 grundlegend den Nachbarschutz durch die Baugebietsfestsetzung neu bestimmt, wonach der Nachbar auf die Bewahrung der festgesetzten Gebietsart einen Anspruch hat. Dieser Anspruch soll „grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst (werden), weil hierdurch das nachbarliche Austauschverhältnis gestört und eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet wird".109 Zu den mit den Gebietsfestsetzungen unvereinbaren Vorhaben lassen sich auch solche rechnen, die gegen das Mischungsverhältnis verstoßen und infolgedessen eine Gebietsveränderung in Gang setzen. Damit liefert das Gericht entgegen den früheren Ansätzen aber zumindest Anhaltspunkte für einen Drittschutz des Mischungsverhältnisses über die allgemeinen Baugebietsfestsetzungen. Welche Rolle in diesem Zusammenhang noch § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO spielt, bleibt offen.

Ausdrücklich mit dem Problem des Nachbarschutzes bezüglich des gebietstypischen Mischungsverhältnisses haben sich hingegen das OVG Berlin u\ der VGH Baden-Württemberg 111 und das OVG Schleswig 112 befaßt. I dem der Entscheidung des OVG Berlin zugrundeliegenden Sachverhalts ging es um die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung einer Fensterfabrik in einen Verbrauchermarkt. Die Wohnnutzung umfaßte in dem insgesamt 9375 qm großen Mischgebiet nur 600 qm, während die restliche Fläche ausschließlich von Gewerbebetrieben genutzt wurde. Das OVG Berlin nimmt in seinem Urteil für die Herleitung des Drittschutzes gegen das dem Mischungsverhältnis des Baugebiets widersprechendes Vorhaben neben der maßgeblichen Baugebietsvorschrift § 6 BauNVO auch auf § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO Bezug. Die Besonderheit besteht hierbei darin, daß das Gericht den Drittschutz allein aus der Baugebietsvorschrift § 6 BauNVO herleitet, während es

106

BVerwGE 79, 309 (311). In diesen Sinne bezieht sich auch der VGH BW, UPR 1991, 359 f. für die Begründung des Drittschutzes durch das Mischungsverhältnis auf das obige Urteil des BVerwG. 108 BVerwGE 94, 151 ff.=DVBl 1994, 284 ff. 109 BVerwGE 94, 151 (161)=DVB1 1994, 284 (287). 110 NVwZ-RR 1992, 121 ff. 111 UPR 1991, 359 ff. 112 NVwZ-RR 1995, 252 f. 107

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für die Rechtswidrigkeit des Vorhabens auch auf § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO verweist, da dieser hinsichtlich der quantitativen Mischung die Funktion des Mischgebietes bestätige.113 Bei der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg ging es um den umgekehrten Sachverhalt, daß in einem Mischgebiet auch auf dem letzten freien Grundstück eine Wohnnutzung errichtet werden sollte. Im Gegensatz zur Entscheidung des OVG-Berlin rekurriert der VGH Baden-Württemberg sowohl für die Frage der Unzulässigkeit des Vorhabens als auch für die der subjektiven Rechtsverletzung auf § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, wobei sich der Drittschutz aus dem Rücksichtnahmegebot ergeben soll.114 In der Entscheidung des OVG Schleswig ging es um die Zulassung eines Mehrfamilienhauses mit 20 Wohneinheiten in einem unbeplanten Innenbereich, der einem Dorfgebiet nach § 5 BauNVO entsprach. Nach den Feststellungen des Gerichts sollte die Zulassung des Mehrfamilienhauses zu einem Übergewicht der Wohnnutzung führen. In der Begründung des Nachbarschutzes arbeitet das OVG Schleswig gänzlich ohne einen Hinweis auf § 15 BauNVO, indem es den Drittschutz des Mischungsverhältnisses in § 5 BauNVO115 allein aus der Baugebietsnorm selbst herleitet. Dazu beruft sich das OVG explizit auf den vom BVerwG neu begründeten Anspruch auf Bewahrung der Gebietsart aus den Gebietsvorschriften 116, der nach seiner Auffassung auch den Schutz des Mischungsverhältnisses umfaßt.117 Somit bleiben auch in der Rechtsprechung die Grundlagen für einen Nachbaranspruch auf Erhaltung des gebietstypischen Mischungsverhältnisses weitgehend ungeklärt. Trotz aller Unstimmigkeiten besteht in Literatur und Rechtsprechung grundsätzlich Einverständnis darüber, daß ein Drittschutzanspruch auf Bewahrung des konkreten, in den jeweiligen Baugebietsvorschriften angeordneten Mischungsverhältnisses der verschiedenen Nutzungsarten existiert. Als problematisch und zu verschiedenen Ergebnissen führend erweist sich die Frage der Verortung dieses Anspruchs in den Baugebietsvorschriften oder in §15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sowie die Frage, ob der Schutz durch das Mischungsverhältnis abstrakt-genereller oder partiell-konkreter Art ist. Die Antwort auf die Frage der Verortung wird durch den Schutzcharakter des Mi-

113

NVwZ-RR 1992, 121 (123); ähnlich OVG Berlin, ZfBR 1992, 242 (243 f.). UPR 1991,359 (360). 115 Zur umstrittenen Frage, ob § 5 BauNVO überhaupt den Schutz eines spezifischen Mischungsverhältnisses gewährt, vgl. unter 2. Teil, 2. Kap., C II 5 a) (1). 116 BVerwG, BVerwGE 94, 151 ff.=DVBl 1994, 284 ff. 117 NVwZ-RR 1995, 252. 114

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schungsverhältnisses vorgezeichnet, der auf einen allgemeinen, das gesamte Baugebiet umfassenden Nachbarschutz abzielt. Das Mischungsverhältnis beschreibt den konkreten Ausgleich der verträglichen Nutzungsarten und legt die Störempfindlichkeit für das gesamte Baugebiet fest. Der diesen Drittschutz vermittelnden Norm muß infolgedessen eine das gesamte Plangebiet einbeziehende Betrachtung zugrunde liegen. Von entscheidender Bedeutung ist daher, ob die §§ 2 ff. oder § 15 BauNVO sich allgemein auf das gesamte Baugebiet beziehen und dessen gebietstypische Zusammensetzung der baulichen Nutzung insgesamt sichern wollen.

2. Drittschutzverankerung in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nach der überwiegenden Auffassung Für eine Verankerung des Drittschutzes in der jeweiligen Gebietsvorschrift spricht, daß diese das Mischungsverhältnis gesetzlich anordnet und damit die unterschiedlichen Nutzungsinteressen der Grundstückseigentümer im Plangebiet ausgleicht. Dieses dem Wortlaut der Gebietsvorschriften entspringende Argument vermag für sich genommen aber wenig zu überzeugen, da die Gebietsvorschriften allein den Vorrang oder das Gleichgewicht einzelner Nutzungsarten normieren, ohne zugleich ausdrücklich gegen diesen Vorrang verstoßende Vorhaben für unzulässig zu erklären. Vielmehr sind die das Mischungsverhältnis konstituierenden Nutzungsarten nach den Absätzen 2 der §§ 2-9 BauNVO ohne Einschränkung zulässig. Mangels ausdrücklicher Bestimmung über die Unzulässigkeit von Vorhaben, die das Mischungsverhältnis verändern, könnte dementsprechend in den Gebietsvorschriften auch ein Drittschutz gegen diese fehlen. Dagegen erklärt § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ausdrücklich allgemein zulässige Vorhaben im Einzelfall für unzulässig, soweit sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Scheinbar zielt gerade das Merkmal „Anzahl" auf den Schutz der baugebietstypischen Mischungsverhältnisse ab. Durch die Bezugnahme auf die Eigenart des jeweiligen Baugebiets in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO könnte der Vorschrift jedoch andererseits lediglich eine die §§2 ff. BauNVO ergänzende, verdeutlichende Funktion beizumessen sein.118 Allein

118 Zu dieser Ansicht scheinen insbesondere auch Fickert/Fieseler, § 15, Rn. 1.13 zu neigen.

BauNVO

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aus dem Wortlaut der in Betracht kommenden Normen lassen sich damit keine überzeugenden Argumente gewinnen. Auf den ersten Blick scheinen systematische Stellung und formaler Anwendungsbereich für eine Verankerung des Drittschutzes in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO zu sprechen. So findet die Vorschrift bei allen Vorhaben, soweit sie nach den §§ 2-14 BauNVO zulässig sind, Anwendung in der Funktion einer weiteren allgemeinen Zulässigkeitsschranke. Zumindest erweckt die vom Verordnungsgeber für § 15 BauNVO verfaßte Überschrift „Allgemeine Voraussetzungen für die Zulässigkeit baulicher und sonstiger Anlagen" diesen Anschein ebenso wie die Stellung am Ende des ersten Abschnitts der BauNVO.119 In der Annahme einer auf das gesamte Baugebiet bezogenen Bedeutung von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO folgert die h. M., daß die Vorschrift über das Merkmal „Anzahl" die Eigenart der Baugebiete in ihrer Zusammensetzung der Nutzungsarten sichern und dem Einzelnen den zwar in der Baugebietsbestimmung begründeten, aber erst durch § 15 BauNVO konkretisierten Drittschutz vermitteln will.120 Die Anzahl der Vorhaben wäre damit nach dem Gesamtgebiet zu bemessen, nicht aber nach der direkten Umgebung des Vorhabens. Ein weiteres Argument leitet die h. M. aus dem Merkmal des Widerspruchs zur Eigenart des Baugebiets her. Der Begriff des Widerspruchs ist nach h. M. 121 eng auszulegen. Nicht ausreichend sei, daß das Vorhaben der Eigenart des Baugebiets lediglich nicht entspreche. Andererseits sei aber auch nicht notwendig, daß die Zulassung der Anlage zu einem Umkippen in einen anderen Gebietstyp führe. Ein Widerspruch läge daher nur dann vor, wenn die Anlage bei beabsichtigter Ausführung dem konkreten Gebietscharakter ein119

Für diese Auslegung auch Kleinlein, DVB1 1989, 184 (188), der die Norm als „Vorschrift über die allgemeine Zulässigkeit, nicht aber über die ausnahmsweise Unzulässigkeit von Anlagen" versteht. 120 Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 17c, § 15 Rn. 26; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 10; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, Bd. 5, § 15 BauNVO Rn. 80; VGH BW, UPR 1991, 359 (360); lediglich von der objektiven Seite: Β oeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 12; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 23; Förster, BauNVO, § 15 Anm. 3 b) aa). 121 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 9.1, der jedoch bei den einzelnen Merkmalen auch einen umgebungsbezogenen Widerspruch in Erwägung zieht, Rn. 10; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 10; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 20; Upmeier, in: Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil A Rn. 413; Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 113 ; ebenso Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 28, 87, 91, der dies jedoch am Begriff der Eigenart des Baugebiets festmacht; BVerwGE 79, 309 (312 f.); VGH BW, BRS 29 Nr. 25.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

deutig entgegenstünde. Das sei ζ. B. der Fall, wenn im jeweiligen Gebiet eine der beiden Hauptnutzungsarten nach Anzahl und/oder Umfang beherrschend und in diesem Sinne „übergewichtig" in Erscheinung trete.122 Die h. M. tendiert damit zu einer auf das Plangebiet insgesamt bezogenen Interpretation des Begriffs. Erfordert der Widerspruch nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO aber eine Beeinträchtigung des Gebietscharakters bezogen auf das gesamte Baugebiet, dann wäre es nur folgerichtig, im Merkmal „Anzahl der Vorhaben" den Schutz des gebietstypischen Mischungsverhältnisses der Nutzungsarten verankert zu sehen. Diese gesamtgebietsbezogene Auslegung ergibt sich nach Ziegler auch aus dem Merkmal „Eigenart des Baugebiets", das den Maßstab des Widerspruchs umschreibt. Der Begriff des Baugebiets meine immer das gesamte Baugebiet, nicht aber nur Gebietsteile, da alle angrenzenden gleichartigen Baugebiete als ein Baugebiet zu betrachten seien.123 Für diese Annahme spreche zum einen, daß der Verordnungsgeber sonst zur Einbeziehung von Teilen des Baugebiets diese ausdrücklich nenne, wie in § 1 Abs. 8, § 12 Abs. 6 BauNVO.124 Zum anderen gelte die Gesamtgebietsbezogenheit des Begriffs auch beim Gebot der Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung im Rahmen besonderer Festsetzungen nach § 1 Abs. 4 BauNVO. Wegen der Regelung in § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO sei die Vorschrift anders nicht verständlich und erfordere danach die Einbeziehung aller gleichartigen angrenzenden Bauflächen.125 Da unter dem Baugebiet nur das gesamte Gebiet gleichartiger Nutzung zu verstehen sei, müsse sich auch der Widerspruch zum Baugebiet auf das gesamte Baugebiet und nicht auf Gebietsteile erstrecken. Schließlich führt Ziegler noch die Funktion des § 15 BauNVO als weiteres Argument zur gesamtgebietsbezogenen Auslegung des Merkmals „Eigenart" ins Feld, die (auch) der Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung der Baugebietsvorschriften diene. Die Vorschrift fungiere als Korrektur der aufgrund ihrer typisierenden Darstellung zu weit gefaßten §§ 2-14 BauNVO zugunsten der städtebaulichen Ordnung.126 § 15 BauNVO transformiere die all-

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So ausdrücklich BVerwGE 79, 309 (313). Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 28 ff., 87, 91, § 1 Rn. 174 f. 124 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 87. 125 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 174, § 15 Rn. 28. 126 Ausdrücklich Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 8, 50; ebenso ansatzweise Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 2. 123

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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gemeinen Zweckbestimmungen in den §§ 2-14 BauNVO in eine allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung, die den grundsätzlich zu offenen Zulässigkeitsmaßstab der Baugebietsvorschriften ergänze und präzisiere.127 Dementsprechend sei das Merkmal „Eigenart" vor allem durch die allgemeine Zweckbestimmung der jeweiligen Baugebietsvorschrift bestimmt, bestünde gerade in derselben. Diene das Merkmal „Eigenart" nach der Funktion der Vorschrift der Korrektur der allgemeinen Zweckbestimmung, könne sich § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO wie die Zweckbestimmungen selbst nur auf das Baugebiet insgesamt, nicht jedoch auch auf Gebietsteile beziehen. Die allgemeine Zweckbestimmung, die „Eigenart" des Baugebiets, müsse nur im ganzen Baugebiet und nicht in allen seinen Teilen gewahrt sein.128 Zwar sei es auch möglich, die allgemeinen Zweckbestimmungen in den Baugebietsvorschriften unmittelbar durch eine den Wortlaut einschränkende Auslegung zur Anwendung zu bringen. § 15 BauNVO enthalte jedoch insofern ausdrücklich ein Instrumentarium, das bei den allgemeinen Gebietsvorschriften nur durch Auslegung erlangt werden könne. Daher sei die Vorschrift als speziellere Norm anzuwenden.129

3. Ablehnung einer Drittschutzverankerung in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO Gegen eine Verankerung des Drittschutzes in § 15 BauNVO könnte jedoch der sich im Wortlaut andeutende sachliche Anwendungsbereich der Vorschrift sprechen. Abs. 1 Satz 1 erklärt die Vorhaben lediglich im Einzelfall für unzulässig. Richtig verstanden könnte die Vorschrift dementsprechend keine allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung darstellen, sondern lediglich eine „Generalklausel für die Zulässigkeit... im Einzelfall" 130 bilden. Ein Drittschutz des Mischungsverhältnisses verlangt aber eine allgemeine, auf das gesamte Planungsgebiet bezogene Betrachtung, bei der Einzelfalle außer Betracht bleiben. Die Vorschrift könnte also allein auf konkrete Einzelfalle ausgerichtet sein

127 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 33 ff. unter Berufung auf Kleinlein, DVB1 1989, 184 (188). 128 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 87. 129 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 35. 130 So Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 1; vgl. auch Roellecke, DÖV 1976, 301. 9 Petersen

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

und infolgedessen einen Schutz der Zusammensetzung der unterschiedlichen Nutzungsarten im Baugebiet insgesamt gerade nicht leisten.

a) Bedeutung der Merkmale Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung Die von der h. M. vorgenommene Auslegung des Merkmals „Anzahl", die sich auf den Schutz der Mischungsverhältnisse bezieht, zeigt sich bei näherer Betrachtung als oberflächlich. Zwar kann das Merkmal seinem Wortlaut nach gerade den Widerspruch meinen, der durch ein zahlenmäßiges Überhandnehmen von Anlagen einer Nutzungsart im gesamten Baugebiet entsteht. Die Anzahl wäre somit nach dem gesamten Baugebiet zu bemessen. Der offene Wortlaut ermöglicht aber auch eine umgebungsbezogene Interpretation. Das einzelne Vorhaben kann ebensogut in seiner örtlichen Umgebung der Anzahl nach der Eigenart des Baugebiets widersprechen, soweit ζ. B. örtlich begrenzt eine gebietswidrige Konzentration der nicht vorrangigen Nutzungsart entsteht, die auf das gesamte Baugebiet bezogen das Mischungsverhältnis noch nicht ändert.131 Die dann vereinzelten baulichen Vorhaben, denen nach dem konkreten Baugebiet eigentlich ein Vorrang einzuräumen wäre, verlören bei diesem örtlichen Überhandnehmen ihren gebietsspezifischen Schutz. Erweist sich die Auslegung des Merkmals „Anzahl" aufgrund dieser Offenheit zunächst nur als schwaches Argument, entpuppt sie sich bei näherer Betrachtung im Kanon mit den anderen Merkmalen „Lage", „Umfang" und „Zweckbestimmung" als zumindest sehr fraglich. Die inhaltliche Bedeutung des Merkmals „Anzahl" kann nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit den anderen Merkmalen betrachtet werden. Diese legen aber ihrer Bedeutung nach eine umgebungsbezogene Auslegung nahe.132 So spricht das Merkmal „Lage" den Einzelfall an, in dem gerade der gewählte Standort für die in

131 Dies als eine Anwendungsmöglichkeit von § 15 BauNVO anerkennend Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 26. 132 Von einer derartigen Wertung scheint auch das BVerwG, BRS 40, Nr. 4, S. 9 und BVerwGE 67, 334 (338) auszugehen, das für die Merkmale in § 15 Abs. 1 BauNVO bei beiden Entscheidungen betont hat: „ Die Lage oder der Umfang eines Gebäudes, besonders aber die von einem Gebäude ausgehenden Störungen können sich nämlich auch auf das nachbarliche Verhältnis der Planbetroffenen auswirken;..."; ebenso BVerwG, DVB1 1984, 143 (144).

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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unmittelbarer Nachbarschaft vorhandenen Anlagen unzumutbar ist.133 Eine Gesamtgebietsbetrachtung kommt hier nicht in Betracht, da die Lage nur konkret ortsbezogen zu verstehen ist.134 Gleiches gilt für das Kriterium „Umfang des Vorhabens". Dieses Merkmal, das qualitativ und nicht quantitativ zu deuten ist, stellt darauf ab, ob die bauliche Anlage größenmäßig nach Höhe und Fläche in ihrer Umgebung aus dem Rahmen fallt, insbesondere unter Beachtung ihrer Folgewirkungen.135 Soweit man bei diesem Merkmal das ganze Plangebiet zum Maßstab nimmt, vergrößern sich die Grenzwerte für den Umfang entsprechend. Das Vorhaben könnte dann im Gesamtgebiet von seinem Umfang her noch ohne Widerspruch sein, obwohl es seiner konkreten (Auswirkungs-)Umgebung bereits widerspricht. Das Merkmal „Zweckbestimmung" bestimmt sich überwiegend nach der Art der baulichen Nutzung des Bauvorhabens. Es hat insbesondere die vom Vorhaben infolge der Betriebsausübung unmittelbar ausgehenden sowie mittelbar bewirkten Emissionen im Visier.136 Lediglich bei einer auf die konkrete örtliche Umgebung beschränkten Betrachtungsweise kann dieses Merkmal Bedeutung erlangen, da ein Widerspruch zum Gesamtgebiet nicht möglich ist. Die Bestimmungen über die gebietszulässigen Anlagen in den §§2 ff. BauNVO legen nämlich die gebietsverträglichen Zweckbestimmungen für das Plangebiet insgesamt fest. Da § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO voraussetzt, daß das Vorhaben nach den §§ 2 ff. BauNVO zulässig ist und folglich der allgemeinen Zweckbestimmung entspricht, kann das Vorhaben seiner Zweckbestimmung nach nicht im Widerspruch zum Gesamtgebiet stehen, also grundsätzlich der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Das bedeutet zudem, daß sich gerade bei diesem Merkmal der Maßstab für den Widerspruch, die Eigenart des Baugebiets, nach der konkreten örtlichen Gestaltung des Plangebiets im Bereich des Einzelvorhabensrichtenmuß.

133 Dies entspricht der h. M., vgl. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 27; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 10.1; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 13; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 24; Förster, BauNVO, § 15 Anm. 3 b) bb); a. A. lediglich Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 86 ff. 134 Α. A. ist lediglich Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 28,

86.

135 Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 27; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 10.2; Βoeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 19; Förster, BauNVO, § 15 Anm. 3 b) cc), Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 25. 136 Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 26; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 20.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Während die Kriterien „Lage", „Umfang" und „Zweckbestimmung" eindeutig auf die örtliche Umgebung und nicht generell auf das gesamte Plangebiet bezogen sind, kann das Merkmal „Anzahl" sowohl umgebungs- als auch gesamtgebietsbezogen sein. Eine einheitliche Auslegung der Merkmale führt dann aber zu einer einschränkenden Auslegung des Merkmals „Anzahl" auf eine umgebungsbezogene Bedeutung. Für eine solche einheitliche Auslegung ist neben ihrer aneinandergereihten Aufzählung in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO anzuführen, daß die Merkmale gemeinsam in starkem Maße die Struktur eines Gebiets bestimmen.137 Ist dies aber der Fall, können sie in ihrer inhaltlichen Reichweite nicht unterschiedlich ausfallen, sondern sind einheitlich, d.h. im Zusammenhang zu würdigen.138

b) Bedeutung und Inhalt des Merkmals „Widerspruch" zur Eigenart des Baugebiets Die umgebungsbezogene Auslegung der Tatbestandsmerkmale „Anzahl", „Lage", „Umfang" und „Zweckbestimmung" erweist sich nur dann als zutreffend, wenn auch die Unzulässigkeitsformel des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, der Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets, umgebungsbezogen auszulegen wäre. Die Merkmale, aus denen sich der Widerspruch ergeben soll, könnten nämlich nicht einerseits rein umgebungsbezogen zu interpretieren sein, während der Widerspruch selbst gesamtgebietsbezogen zu verstehen wäre und damit eine Beeinträchtigung des Baugebiets verlangte. Ausschlaggebend ist folglich, ob der für die Unzulässigkeit erforderliche Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets allein umgebungsbezogen oder gesamtgebietsbezogen auszulegen ist. Die h. M. 139 legt das Merkmal „Widerspruch" entsprechend ihrer Annahme vom Schutz des Mischungsverhältnisses durch § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 137

Vgl. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn.

25.

138

So auch ansatzweise Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 10.1, der zum Merkmal „Lage" darauf hinweist, daß der Standort vielfach dafür maßgebend sei, „ob die übrigen in Abs. 1 genannten Tatbestandsmerkmale zur Unzulässigkeit des beabsichtigten Vorhabens infolge des Widerspruchs zur Eigenart des Baugebiets führen." 139 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 9.1; Βoeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 10; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 20; Upmeier, in: Hoppen-

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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eng aus. Erforderlich und ausreichend sei ein konkretes Entgegenstehen des Vorhabens zur Gebietsart, womit eine sich auf das gesamte Gebiet auswirkende Beeinträchtigung gemeint ist. Obwohl nach dem Wortlaut der Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets sich auch auf die Umgebung des Bauvorhabens beziehen könnte, lassen sich in den einzelnen Darstellungen eigenständige Argumente für die allein gebietsbezogene Auslegung nicht finden. Entgegen der h. M. geht lediglich Bielenberg davon aus, daß der Widerspruch nicht erst dann gegeben sei, wenn das Vorhaben Auswirkungen auf das gesamte Baugebiet zeige. Vielmehr erfasse § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO auch den Widerspruch mit nur beschränkten Auswirkungen auf das Baugrundstück selbst oder auf die benachbarten Grundstücke.140 Für diese Auslegung spricht, daß der erste Teil der Unzulässigkeitsformel „Eigenart des Baugebiets" sich nicht ausschließlich nach den §§ 2 ff. BauNVO bestimmt, sondern insbesondere auch nach den örtlichen Verhältnissen des Baugebiets und damit dessen tatsächlichen Gegebenheiten, soweit sie den Planungsabsichten entsprechen.141 Das deutet auf eine Bindung an die konkrete Ausformung des Baugebiets, auf eine Situationsbezogenheit der Formel hin, womit ein anderer, konkreterer Ordnungsbereich bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO im Gegensatz zu der allgemeinen und abstrakten Ordnung der Gebietsvorschriften angesprochen ist. Das Merkmal „Baugebiet" muß sich zudem nicht immer auf das ganze Plangebiet beziehen, sondern kann auch ein Teilgebiet mit spezifischer baulicher Nutzung umfassen.142 Der dagegen erhobene Einwand von Ziegler, daß der Begriff des Baugebiets immer alle angrenzenden, gleichartigen Flächen wegen der Bedeutung in § 1 Abs. 4 BauNVO erfasse und daher gesamtgebietsbezogen zu verstehen sei, vermag auch mit dem weiteren Argument, daß auch das Merkmal „Eigenart" eine solche gesamtgebietsbezogene Betrachtung verlange und es daher nicht auf die Umstände in Teilbereichen des Baugebiets berg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil A Rn. 413; Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 113; BVerwGE 79, 309 (312 f.); VGH BW, BRS 29 Nr. 25. 140 Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 25; ähnlich Leder/Scholtissek y BauNVO, § 15 Rn. 1; dafür auch OVG Bremen, BauR 1983, 553. 141 Ausführlich zum Begriff „Eigenart des Baugebiets" Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 22 ff. 142 Vgl. OVG Bremen, BauR 1983, 553 (554), das unter Berufung auf BGH, BauR 1980, 557 sogar noch verallgemeinernd festlegt: „Baugebiet i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1962 ist nicht das gesamte Planungsgebiet, sondern ein Gebiet spezifischer baulicher Nutzung i. S. des § 1 Abs. 2 BauNVO 1962".

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

ankomme, nicht zu überzeugen. Zwar istrichtig,daß unter dem Begriff „Baugebiet" in § 1 Abs. 4 BauNVO eine zusammenhängende Baufläche einheitlicher Art der baulichen Nutzung zu verstehen ist, da anders Satz 2 des Absatzes nicht verständlich ist. Zutreffend ist gleichermaßen, daß § 1 Abs. 4 BauNVO eine Gesamtgebietsbetrachtung beim Gebot der Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung erfordert. Unzutreffend ist aber der daraus gezogene Schluß, daß das Merkmal „Eigenart des Baugebiets", das wesentlich durch die allgemeine Zweckbestimmung bestimmt ist, auch bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO eine gesamtgebietsbezogene Betrachtung verlangt. Diese findet bei § 1 Abs. 4 BauNVO ihre spezifische Notwendigkeit in der Aufteilung eines einheitlichen Baugebiets in verschiedene Teilgebiete nach der Art der baulichen Nutzung. Unter einem Baugebiet ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 BauNVO eine Fläche besonderer Art der baulichen Nutzung unabhängig von einer bestimmten Größe zu verstehen, die einem der dort angeführten Gebietstypen entspricht. Ein nach § 1 Abs. 4 BauNVO aufgeteiltes Baugebiet besteht dementsprechend eigentlich aus mehreren unterschiedlichen Baugebieten und kann in den Teilen a priori nicht der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets entsprechen. Allein aus diesem Grunde sind die einzelnen Teilbereiche für die Frage der Bewahrung der allgemeinen Zweckbestimmung zwingend mit in die Betrachtung einzubeziehen. Daraus folgt jedoch nicht, daß das Kriterium „Eigenart des Baugebiets", das auch durch die allgemeine Zweckbestimmung der Gebietsvorschrift im wesentlichen bestimmt wird, eine gesamtbezogene Gebietsbetrachtung erfordert. Stellt § 1 Abs. 4 BauNVO ausdrücklich die Möglichkeit einer horizontalen Gliederung nach der Art der zulässigen Nutzung zur Verfügung, läßt sich daraus der Umkehrschluß ziehen, daß die einzelnen Gebietsvorschriften grundsätzlich von einer homogenen, der allgemeinen Zweckbestimmung entsprechenden Verteilung der unterschiedlichen zulässigen Nutzungsarten im gesamten Gebiet, d.h. in jedem einzelnen Teilbereich ausgehen. Für eine derartige Grundgestaltung spricht die dargelegte Legaldefinition des Begriffs „Baugebiet" nach § 1 Abs. 2 BauNVO. Ein sehr weiträumiges Baugebiet besteht danach letztlich aus vielen kleinen Baugebieten des gleichen Gebietstypus. Gingen die einzelnen Baugebietsvorschriften grundsätzlich nicht von solch einer homogenen Verteilung aus, könnten Gebietsteile bei zunehmender Konzentration einzelner gebietszulässiger Nutzungen anderen Baugebietstypen entsprechen und daraus „neue" Baugebiete i. S. von § 1 Abs. 2 BauNVO entstehen. In einem nach § 6 BauNVO festgelegten Mischgebiet könnte sich dann ζ. B. ein Teil, in dem ausschließlich Gewerbebetriebe vorzufinden sind, zum Gewerbegebiet um-

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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wandeln, während in einem anderen Teil das Übergewicht der Wohnnutzung zum allgemeinen Wohngebiet führen könnte.143 Eine derartige Änderung der tatsächlichen Zusammensetzung der Nutzungen hätte ein Umkippen des Baugebiets und letztlich wohl auch die Funktionslosigkeit der Gebietsfestsetzung zur Folge.144 Die allgemeine Zweckbestimmung muß als Eigenart des Baugebiets daher bei nicht nach § 1 Abs. 4 BauNVO aufgeteilten Baugebieten in Teilbereichen wie im gesamten Baugebiet bewahrt bleiben, da andernfalls die Gebietsvorschriften die Möglichkeit von Gebietsänderungen und Funktionsloswerden in sich selbst trügen. Entgegen der Auffassung von Ziegler erlaubt das Merkmal „Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets" damit sowohl eine Gesamtgebiets- als auch eine Teilgebietsbetrachtung. Indessen bleibt offen, ob sich § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO auf die Bewahrung im einzelnen Gebietsteil oder Gesamtbereich bezieht. Die Merkmale „Einzelfall" und „Eigenart des Baugebiets", die bereits eine Bezugnahme auf die konkreten örtlichen Umstände enthalten, weisen aber zusammen mit den umgebungsbezogenen Merkmalen „Anzahl", „Lage", „Umfang" und „Zweckbestimmung" in ihrer gesamten Konzeption auf eine Situations- und damit Umgebungsbezogenheit der Unzulässigkeitsformel hin. Der von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO angesprochene Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets kann sich insoweit nur auf die Umgebung des Vorhabens beziehen.

c) Planungsrechtliche Funktion und sachlicher Anwendungsbereich des § 15 BauNVO Überzeugende Argumente für eine ortsbezogene Auslegung des Merkmals „Widerspruch" lassen sich aus der planungsrechtlichen Bedeutung und Funktion der Vorschrift gewinnen. Die konkrete Situationsbezogenheit der einzelnen Tatbestandsmerkmale deuten eine Funktion des § 15 Abs. 1 Satz 1

143 Um aber eine solche Einteilung eines Baugebiets unter Einhaltung der allgemeinen Zweckbestimmung dennoch vornehmen zu können - und hier schließt sich der Kreis wieder -, sind gerade die Einteilungsmöglichkeiten nach § 1 Abs. 4 BauNVO vorgesehen. 144 Diese Folge erkennt auch das BVerwGE 79, 309 (312) ausdrücklich als möglich an. Zum Problembereich des Funktionsloswerdens durch eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse vgl. oben 2. Teil, 2. Kap., C I 1 .

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

BauNVO an, wonach die Vorschrift nicht die Festsetzungen des Bebauungsplans allgemein und abstrakt absichert, sondern auf eine Sicherstellung der Planverwirklichung für den Einzelfall hinausführt. So ist § 15 Abs. 1 BauNVO kein Ersatzplan oder genereller Auffangtatbestand für Planungsfehler. 145 Die allgemeinen Planungsentscheidungen muß bereits der Ortsgesetzgeber durch die Festsetzungen im Bebauungsplan treffen, wie es § 1 BauGB in den Absätzen 5 und 6 fordert. Dabei sind die sich aus der Planung und den örtlichen Gegebenheiten des Plangebiets ergebenden privaten wie öffentlichen (Nutzungs-)Konflikte umfassend zu lösen, soweit sie zuvor erkennbar und planbar sind.146 Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung lösen die Gebietsvorschriften als Festsetzung des Bebauungsplans die das gesamte Baugebiet betreffenden Probleme, die durch die Zulässigkeit der Nutzungen entstehen. Sie fassen ein Spektrum untereinander verträglicher Nutzungen zusammen, das Störungen und Konflikte bei Ausübung der zulässigen Nutzungen verhindert. Die abstrakte, in den Gebietsvorschriften ausgeführte Planung des Baugebiets stößt aber dort an ihre Grenzen, wo sich die Nutzungskonflikte erst aus der konkreten Umsetzung des Plans in der örtlichen Sachlage ergeben (sog. Grenzen der Normierbarkeit). Genau diese Grenzprobleme sind der Zielkorridor von § 15 Abs. 1 BauNVO. Die Vorschrift erfahrt ihre planungsrechtliche Aufgabe in den durch die konkrete Bebauung entstehenden Konflikten der Einzelvorhaben in ihrer örtlichen Umgebung.147 Insofern ergänzt sie die Festsetzungen des Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung, der begrenzt auf diese Einzelfälle planerisch zurückhaltend sein kann.148 Die von Ziegler iA 9 vorgenommene Festlegung der Funktion des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO auf die Korrektur der §§ 2-14 BauNVO zugunsten der städtebaulichen Ordnung und damit auf eine allgemeine Zulässigkeitsregelung ist folglich abzulehnen. Eine derartige Einschränkung der Funktion hätte zur Folge, daß die Vorschrift sich ihrer Bedeutung nach auf eine einschränkende Auslegung der Gebietsvorschriften verengte.150 Ein nach § 15 Abs. 1 Satz 1 145 Statt vieler Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 1.12; ebenso bereits die amtliche Begründung zur Änderung des § 15, BR-Drucks. 261/77, S. 44. 146 Gebot der Konfliktbewältigung, BVerwGE 47, 144 (155) und Gebot konkret-individueller planerischer Festsetzungen, BVerwGE 50, 114 (119 ff.). 147 Leder/Scholtissek, BauNVO, § 15 Rn. 1; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 1.12. 148 So ist auch das BVerwG, NVwZ 1989, 960 zu verstehen. 149 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 8, 32 ff., 50. 150 Genau darauf abstellend Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 8, 33.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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BauNVO unzulässiges Vorhaben wäre danach im gesamten Baugebiet unzulässig und somit als ein nach dem Baugebiet allgemein und nicht nur im Einzelfall unzulässiges Vorhaben einzustufen. Diese Aussage steht im offenen Widerspruch zu der Anwendungsvoraussetzung des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, daß die Vorhaben nach den §§2-14 BauNVO allgemein zulässig sein müssen. Ein allgemein zulässiges Vorhaben kann nicht gleichzeitig allgemein unzulässig sein. Die allgemeine Zulässigkeit und als deren Kehrseite die allgemeine Unzulässigkeit bestimmen sich nach den §§ 2-14 BauNVO, wie bereits der Wortlaut der einzelnen Bestimmungen festlegt. Die erforderliche Einschränkung der weiten Nutzungsbegriffe erfolgt über die Gebietsvorschriften selbst. Über ihre Wesensmerkmale formiert die im jeweiligen Absatz 1 der Gebietsvorschriften verankerte allgemeine Zweckbestimmung eine allgemeine Zulässigkeitsschranke für alle (gebiets)zulässigen Nutzungen, die die Einschränkung der Nutzungsbegriffe bewirkt.151 Die Annahme der Regelung der gesamtgebietsbezogenen Konflikte in den Gebietsvorschriften entspricht auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 14 GG. Danach ist der Gesetzgeber bei Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums verpflichtet, die bei der Nutzung des Eigentums entstehenden Konflikte zu lösen.152 Eine verfassungsgemäße Inhalts- und Schrankenbestimmung muß die Nutzungskonflikte derart regeln, daß abstrakt keine schweren und unerträglichen Beeinträchtigungen des Eigentums entstehen können. Unzulässig ist die generelle Zuweisung von Konflikten an Generalklauseln, weil darin keine Regelung enthalten ist. So greift die Generalklausel erst bei Entstehen der Konflikte ein, ohne sie vorher zu regeln. Nur für die nicht vorhersehbaren und daher nicht einplanbaren Einzelfälle erlaubt Art. 14 GG eine Konfliktlösung mittels allgemeiner Entschädigungsregelung oder eines allgemeinen subjektiven Abwehrrechts.153 § 15 Abs. 1 BauNVO enthält in diesem Sinne keine eigenständige Regelung, sondern ermöglicht allein bei Auftreten von Nutzungskonflikten durch die Zulassung eines Vorhabens, den Konflikt durch Erklärung des Vorhabens als unzulässig nachträglich zu verhindern.

151 Diese Möglichkeit einräumend auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 34; vgl. zudem 2. Teil, 2. Kap., Α, Β I. 152 Ausführlich zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen 1.1. Teil, 3. Kap. 153 Vgl. 1. Teil, 3. Kap., Β Π.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Darüber hinaus könnte § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nach der Funktionsbestimmung von Ziegler nicht mehr die Fälle erfassen, die sich durch die konkrete Bebauung ergeben und nur in ihrer konkreten örtlichen Situation, nicht aber überall im Baugebiet unzulässig sind.154 Eine derartige Auslegung verkennt die verfassungsrechtliche Bedeutung von § 15 Abs. 1 BauNVO. Die allgemeinen und abstrakt gehaltenen Regelungen der §§ 2-14 BauNVO berücksichtigen nicht atypische Einzelfalle 155, die den dort vorgenommenen allgemeinen Interessenausgleich in Frage stellen und zu unzumutbaren Härten angesichts der Umstände des Einzelfalls führen. Das ist vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 GG nur zulässig, da diese Fälle durch § 15 Abs. 1 BauNVO einer sachbezogenen Korrektur für den Einzelfall zugeführt werden.156 Bei Auslegung der Vorschrift als Zulässigkeitsschranke zur Sicherung der Eigenart des Baugebiets im Gesamtgebiet könnte § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO eine dem Art. 14 Abs. 1, 2 GG entsprechende Lösung für die nur im Einzelfall, in der konkreten Situation unzumutbaren Vorhaben nicht mehr ermöglichen. Aus der planungsrechtlichen Funktion des § 15 BauNVO ergibt sich der sachliche Anwendungsbereich der Vorschrift. Sie dient der Verwirklichung der Planungsziele und der Bewahrung der allgemeinen Zweckbestimmung beim Einzelvorhaben in seiner örtlichen Situation. Entscheidungserheblich sind die Auswirkungen des einzelnen Vorhabens in seinem örtlichen Wirkungskreis und nicht im gesamten Planungsgebiet. Die situationsbezogene Funktion begrenzt gleichermaßen das Anwendungsgebiet allein auf das spezifische örtliche Auswirkungsgebiet des Vorhabens. § 15 BauNVO bietet nur für den Einzelfall, der durch die konkrete Situation zu außerplanmäßigen örtlichen Konflikten führt, eine gesonderte Lösung. Die abstrakte Ordnung des Gesamtgebiets, d.h. das Vorhaben in seinem Verhältnis zum Gesamtgebiet

154 Der von Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 29, 86 ff. vorgenommene Versuch, diese Fälle teilweise über das Merkmal „Lage" zu lösen, ist in sich widersprüchlich, da er einerseits den Bezug auf das gesamte Baugebiet auch beim Merkmal „Lage" betont, a. a. O., Rn. 87, andererseits eine Umgebungsbezogenheit anerkennen will, a. a. O., Rn. 29, 113. 155 Diese Begrifflichkeit darf nicht mit den atypischen Fällen nach Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 33, verwechselt werden. Dieser bezieht die Atypik allein auf die typisierenden Gattungsbeschreibungen der §§2-14 BauNVO, nicht auf die konkreten Umstände, und grenzt diese Fälle allgemein aus den zulässigen Vorhaben aus. 156 Vgl. hierzu BVerwGE 88, 191 (198 f.); Wahl, in: FS Redeker, S. 245 (253 f.).

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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ohne Bezug zur konkreten örtlichen Situation, wird von den Gebietsvorschriften erfaßt.

4. Drittschutzverankerung in den einzelnen Gebietsvorschriften Der Schutz der gebietstypischen Mischungsverhältnisse kann somit nur in den einzelnen Gebietsvorschriften verankert sein. Dafür spricht die ausdrückliche Festlegung der Mischungsverhältnisse jeweils in Absatz 1 der §§ 2-9 BauNVO sowie die systematische Auslegung der Absätze 1 bis 3 der Gebietsvorschriften. Zwar normiert keiner der Absätze ausdrücklich, daß Vorhaben, die gegen das Mischungsverhältnis verstoßen, unzulässig sind. Bei der Auslegung der nach Absatz 2 und Absatz 3 zulässigen Anlagen ist jedoch die in Absatz 1 normierte allgemeine Zweckbestimmung als Auslegungshilfe und allgemeine Zulässigkeitsschranke heranzuziehen. Das ergibt sich einerseits aus der Stellung des Absatzes 1 vor den anderen Absätzen und der in einigen Gebietsvorschriften in Absatz 2 für die Zulässigkeit ausdrücklich enthaltenen Bezugnahme auf den in Absatz 1 beschriebenen Gebietscharakter.157 Andererseits erfordern die in allen Gebietsvorschriften offenen Nutzungsbegriffe eine inhaltliche Bestimmung durch die allgemeine Zweckbestimmung des Absatzes l. 1 5 8 Zu den Wesensmerkmalen der allgemeinen Zweckbestimmung gehört neben „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" auch das im jeweiligen Absatz 1 der Gebietsvorschriften niedergelegte Mischungsverhältnis. Bei der Prüfung der allgemeinen Zulässigkeit eines Vorhabens ist dementsprechend stets das Mischungsverhältnis als allgemeine Zulässigkeitsschranke mit zu berücksichtigen. Sollte eine auf das gesamte Baugebiet gerichtete Überprüfung des Mischungsverhältnisses ergeben, daß die Zulassung des Vorhabens gebietsverändernd wirkt, also nicht mehr der normierten Zusammensetzung der Nutzungsarten entspricht, so ist es auch nicht mehr allgemein zulässig. Ist das Vorhaben aber nicht mehr allgemein zulässig, kommt auch eine Anwendung von § 15 Abs. 1 BauNVO nicht mehr in Betracht, da dieser gerade die Zulässigkeit nach den § 2 ff. BauNVO verlangt.

157 158

So in §§ 2 Abs. 2 Nr. 2 und 4, 4 Abs. 2 Nr. 2, 7 Abs. 2 Nr. 7. Vgl. hierzu Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 3.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Diese Auslegung entspricht der harmonischen Abgrenzung von sachlichem sowie drittschützendem Anwendungsbereich der §§ 2 ff. und des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. In sachlicher Hinsicht bestimmen die Gebietsvorschriften abschließend die allgemeine, auf das Gesamtgebiet bezogene Zulässigkeit der baulichen Anlagen ohne Berücksichtigung des Einzelfalls. Sie normieren den „großen Ausgleich" der Nutzungen für das Plangebiet und verhindern Nutzungskonflikte, die die Eigenart des Baugebiets insgesamt und damit den geschaffenen Ausgleich beeinträchtigen könnten. Dagegen befaßt sich § 15 BauNVO mit den durch die konkrete Bebauung verursachten Konflikten in der örtlichen Umgebung der Anlagen, die grundsätzlich nach den §§ 2 ff. BauNVO zulässig sind. Die Vorschrift sichert im Detail in der Auswirkungsumgebung der einzelnen Vorhaben die Eigenart des Baugebiets. Zusammen verwirklichen die Vorschriften auf zwei Ebenen die Eigenart des Baugebiets, einmal gesamtgebietsbezogen und zum anderen konkret umgebungsbezogen. In diesen Zusammenhang fügt sich auch die oben gewonnene Erkenntnis ein, daß die Baugebietsvorschriften von einer homogenen Umsetzung der allgemeinen Zweckbestimmung ausgehen. Die auf das gesamte Baugebiet bezogene Verwirklichung kann allein von den Gebietsvorschriften geleistet werden. Zu einer auf den Einzelfall bezogenen Kontrolle eignen sie sich jedoch nicht, da ihnen hierzu die Bezugnahme auf die konkreten örtlichen Umstände fehlt. Einen solchen Bezug auf den Einzelfall in seiner konkreten Umgebung enthält jedoch § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Da die Merkmale „Anzahl", „Lage", „Umfang" und „Zweckbestimmung" die Struktur und damit die allgemeine Zweckbestimmung eines Baugebiets charakterisieren, zielt die Vorschrift damit in sachlicher Hinsicht auf die konkrete örtliche Verwirklichung der Zweckbestimmung. Parallel zu der sachlichen Abgrenzung verläuft die Abgrenzung der Schutzbereiche, die über den durch den jeweiligen sachlichen Anwendungsbereich gesteckten Rahmen nicht hinausgehen können. Die Gebietsvorschriften gewähren einen abstrakt, auf das gesamte Plangebiet bezogenen Schutz gegen Vorhaben, die die Eigenart des Baugebiets insgesamt beeinträchtigen und damit die durch das Baugebiet vermittelten rechtlichen Vorteile verletzen könnten. Dieser Drittschutz steht allen Grundstückseigentümern gleichermaßen zu, da jeder von ihnen durch eine mögliche Beeinträchtigung des Gebietscharakters rechtlich betroffen ist, unabhängig von einer tatsächlichen Beeinträchtigung. Abwehransprüche bestehen danach gegen allgemein unzulässige Vorhaben nach den Gebietsvorschriften. Das sind die gebietswidrigen sowie die gebietsverändernden baulichen Anlagen, die unabhängig von ihrer örtlichen

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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Umgebung im Baugebiet unzulässig sind. Hierunter fällt auch der Schutz des gebietstypischen Mischungsverhältnisses der Nutzungen im Gesamtgebiet, das insoweit ebenfalls nicht (nur) nach seiner örtlichen Zusammensetzung, sondern nach seiner Zusammensetzung im gesamten Baugebiet zu sichern ist. Eine Veränderung des Mischungsverhältnisses hat gleichsam eine Veränderung von „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" zur Folge und führt zu einer Gesamtstörung des Baugebiets, die alle Grundstückseigentümer unabhängig von der örtlichen Situation gleichermaßen rechtlich beeinträchtigt. Der von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO konzipierte Drittschutz soll dagegen die Grundstückseigentümer in der Auswirkungsumgebung eines allgemein zulässigen baulichen Vorhabens vor dessen im Einzelfall durch die örtliche Situation bedingten gebietswidrigen Folgen schützen. Auf diesen Schutz können sich dementsprechend nur die Grundstückseigentümer berufen, die von den Auswirkungen tatsächlich betroffen sind. Den nicht tatsächlich beeinträchtigten Grundstückseigentümern steht dagegen kein Abwehrrecht zu, da es gerade an einer (rechtlichen) Auswirkung auf das gesamte Baugebiet fehlt. Der doppelten Absicherung der Planungverwirklichung entspricht damit die doppelte Sicherung der subjektiven Rechte. Eine harmonische Abgrenzung der Gebietsvorschriften und § 15 BauNVO führt zu dem Ergebnis, daß der allgemeine, auf das gesamte Planungsgebiet bezogene Nachbarschutz des Mischungsverhältnisses nicht durch § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO geleistet werden kann. In Betracht kommt lediglich ein auf die örtliche Umgebung eines Vorhabens bezogener Schutz des Mischungsverhältnisses im Einzelfall. Dagegen vermitteln allein die Gebietsvorschriften in ihrer abstrakten Ausgestaltung einen Schutz des Gesamtgebiets nicht nur gegen die gebietsfremden, sondern auch gegen die gebietsverändernden Vorhaben.

5. Sachlicher Anwendungsbereich - Gebietsveränderung Der durch das Merkmal „Mischungsverhältnis" vermittelte Nachbarschutz setzt in sachlicher Hinsicht eine objektive Verletzung der Regelung voraus. Allgemein liegt ein objektiver Verstoß gegen das Mischungsverhältnis in einer Veränderung der gebietstypischen Zusammensetzung der Nutzungen, die zu einer Aufhebung der im Mischungsverhältnis vorgeschriebenen Gewichtung der Nutzungen und damit zu einer Veränderung der Gebietsart führt. Das

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Merkmal „Mischungsverhältnis" nimmt in allen Gebietsvorschriften eine Gewichtung der allgemein zulässigen Nutzungen nach ihrer gebietsprägenden Bedeutung vor. Über die Anordnung der allgemeinen Zweckbestimmung, welchen Nutzungen das Baugebiet dient, unterteilt das Merkmal damit die Nutzungen in die Kategorien „vorrangig gebietsprägende Hauptnutzungen", „auch gebietsprägende" und „nicht gebietsprägende Nutzungen". Die Kategorie der auch gebietsprägenden Nutzungen ist nur bei allgemeinen Zweckbestimmungen zufinden, die nicht bereits abschließend bestimmen, welchen Nutzungen das Gebiet ausschließlich dient. Parallel zur Einteilung verläuft die Gewichtung der Nutzungen, die zu einem qualitativen wie quantitativen Rangverhältnis der Nutzungen und damit der Nutzungskategorien führt. Die Zusammensetzung der Nutzungskategorien einer Gebietsvorschrift definiert folglich das gebietstypische Mischungsverhältnis und die Gebietsart. In jeder Veränderung der Gewichtung einer Nutzungskategorie liegt dann eine Veränderung der Gebietsart und ein objektiver Verstoß gegen das Merkmal Mischungsverhältnis. Nach der Nutzungskategorie, deren tatsächliche Gewichtung sich verändert, lassen sich die möglichen Verstöße gegen das Mischungsverhältnis in drei Fallgruppen unterscheiden: Veränderungen der vorrangig gebietsprägenden Nutzungen (Hauptnutzungen), der auch gebietsprägenden und der nicht gebietsprägenden Nutzungen. Überwiegend auch als Umkippen des Baugebiets bezeichnet liegt eine derartige Veränderung vor, wenn die tatsächliche Bebauung im Baugebiet nicht mehr der Gewichtung der Nutzungskategorien nach dem Mischungsverhältnis der Baugebietsvorschrift entspricht und/oder entsprechen kann.159 In die wertende Betrachtung sind nicht nur die bereits bebauten, sondern auch die noch bebaubaren Flächen des Plangebiets mit einzubeziehen, da die Vorgaben des Mischungsverhältnisses als Planziel anzusehen sind. Soweit nur in einem Teilgebiet die tatsächliche Bebauung nicht mit der Gewichtung nach dem Mischungsverhältnis übereinstimmt, liegt ein Verstoß gegen das Merkmal „Mischungsverhältnis" nach der Zweckbestimmung nicht vor. Den lediglich teilbereichsspezifischen Widerspruch zum Mischungsverhältnis erfaßt allein § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO.160 Für die wertende Betrachtung der Zusammensetzung im Gesamtgebiet sind nicht nur die Anteile

159

Ähnlich Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 320-324, § 15 Rn. 80-85; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 20p, § 15 Rn. 24, 26, die jedoch beide zur Problematik der Bewahrung der allgemeinen Zweckbestimmung nach § 1 Abs. 4-9 BauNVO Stellung nehmen. 160 Dieser Auffassung ist wohl auch Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 26.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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der einzelnen Nutzungen an der Grundfläche des Baugebiets maßgeblich, sondern auch alle anderen tatsächlichen Umstände, die für eine quantitative Beurteilung in Frage kommen, wie ζ. B. die Geschoßflächen oder die Zahl der selbständigen Gebäude für die Nutzungen.161 Ein Verstoß gegen das Mischungsverhältnis ist in der Zulassung eines Vorhabens zu sehen, das die Möglichkeit der Änderung der gebietstypischen Gewichtung einer Nutzungskategorie mit sich bringen kann, da andernfalls der Drittschutz des Mischungsverhältnisses zu spät käme. Darüber hinaus setzt der Nachbarschutz durch das Mischungsverhältnis keine tatsächliche Betroffenheit des Einzelnen voraus.162 Das durch die allgemeine Zweckbestimmung festgelegte Mischungsverhältnis weist abstrakt-generell den einzelnen Nutzungen eines Baugebiets ein gebietstypisches Schutzniveau zu, bei dem es auf die konkreten Verhältnisse im Einzelfall nicht ankommt. Eine solche Bezugnahme auf die tatsächlichen Verhältnisse fehlt auch in den einzelnen allgemeinen Zweckbestimmungen. Das jeweilige nutzungsspezifische Schutzniveau konkretisiert sich für den einzelnen Grundstückseigentümer mit der Aufnahme einer konkreten Nutzung. Durch das Mischungsverhältnis erfolgt aber nicht nur die Zuweisung eines bestimmten Schutzes für die einzelnen Nutzungsarten, sondern auch die Ausgestaltung des Baugebiets mit seinen gebietstypischen Nutzungen. An dem Vorhandensein der gebietstypischen Nutzungen haben alle Grundstückseigentümer unabhängig von ihrer Nutzung ein gleichermaßen geschütztes Interesse. Die Veränderung des Mischungsverhältnisses betreffen folglich rechtlich jeden einzelnen Grundstückseigentümer in gleicher Weise, da sich der gebietstypische Schutz seiner Nutzung verändert und sein Interesse an der dem Mischungsverhältnis entsprechenden Ausgestaltung des Baugebiets beeinträchtigt wird. 163 Schließlich trägt die Veränderung des Mischungsverhältnisses die Gefahr, wenn nicht sogar die Realisierung des Funktionsloswerdens der Gebietsfestsetzung in sich. Wie zuvor im einzelnen dargestellt164, fordert die Rechtsprechung für die Annahme des Funktionsloswerdens einer Festsetzung eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse in ihrem Geltungsbereich, die ihre Verwirklichung 161 Ebenso das BVerwGE 79, 309 (313) für die Frage des quantitativen Mischungsverhältnisses bei § 6 BauNVO . 162 So auch BVerwG, ZfBR 1997, 51 (52) zu einem Verstoß gegen das Mischungsverhältnis in § 6 BauNVO. 163 Insofern zustimmend auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 17c. 164 2. Teil, 2. Kap., C I 1.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

auf lange Sicht ausschließt, sowie die Offenkundigkeit dieses Mangels, die dem Vertrauen in ihre Fortgeltung die Schutzwürdigkeit entzieht.165 Infolge der Mischungsverhältnisänderung haben sich die tatsächlichen Verhältnisse derart entwickelt, daß eine Verwirklichung des in der Zweckbestimmung vorgesehenen Mischungsverhältnisses der Nutzungen nicht mehr möglich ist. Damit hat die Baugebietsvorschrift jedenfalls insoweit ihre städtebauliche Ordnungsfunktion verloren. Da diese tatsächliche Änderung auch offenkundig ist, weil die Veränderung der Zusammensetzung der Nutzungen für jeden erkennbar offen zu Tage tritt, sind die Voraussetzungen des Funktionsloswerdens abstrakt gesehen erfüllt. Es bleibt lediglich im Einzelfall zu prüfen, ob auch die Gebietsfestsetzung insgesamt funktionslos geworden ist, also eine Verwirklichung der in ihr normierten städtebaulichen Verhältnisse vollends ausgeschlossen ist. Verliert die Gebietsfestsetzung im Bebauungsplan ihre Gültigkeit, dann gehen auch für die Grundstückseigentümer im Baugebiet die in dieser Festsetzung vermittelten subjektiven Rechte verloren. Wann eine Drittschutz auslösende Änderung einer Nutzungskategorie vorliegt, ist getrennt nach den Nutzungskategorien und den Gebietsvorschriften zu untersuchen.

a) Veränderungen der vorrangig gebietsprägenden Nutzungen Zu den vorrangig gebietsprägenden Nutzungen, den sog. Hauptnutzungen eines Baugebiets, gehören die Anlagen, denen das Baugebiet nach der allgemeinen Zweckbestimmung vorrangig oder ausschließlich dient. Den Hauptnutzungen räumt das Mischungsverhältnis einen besonderen Vorrang gegenüber allen auch oder nicht gebietsprägenden Nutzungen des Baugebiets ein, der in einem qualitativen wie quantitativen Überwiegen liegt. Unabhängig von der gebietsspezifischen Ausgestaltung liegt eine Störung der Kategorie „Hauptnutzungen" vor, wenn im gesamten Baugebiet die Hauptnutzungen nicht mehr überwiegen. Für die drittschutzrelevanten Veränderungen dieser Nutzungskategorie ist darüber hinaus danach zu unterscheiden, ob die allgemeine Zweckbestimmung ein Vorherrschen allein einer oder mehrerer Hauptnutzungen anordnet. Soweit das Mischungsverhältnis von einem Überwiegen mehrerer vorrangig gebietsprägender Nutzungen ausgeht, können sich Verstö-

165

BVerwGE 54, 5 (11); vgl. zudem Degenhart, BayVBl 1990, 71 ff.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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ße gegen das Merkmal aus Änderungen der Zusammensetzung dieser Hauptnutzungen ergeben. Den Vorrang allein einer Hauptnutzung bestimmen die §§ 3, 4, 4a, 8 und 9 BauNVO166, wobei nach dem Wortlaut der jeweiligen allgemeinen Zweckbestimmung „ausschließlich" einer Nutzungsart die §§3 und 9 BauNVO und „vorwiegend" einer Nutzungsart die §§ 4, 4a und 8 BauNVO dienen. So ordnet § 3 Abs. 1 BauNVO für das reine Wohngebiet ausschließlich das Überwiegen der Nutzung „Wohnen" an. Ebenfalls ausschließlich für eine Nutzungsart, und zwar zur Errichtung von Gewerbebetrieben, ist das Industriegebiet gem. § 9 Abs. 1 BauNVO bestimmt, obwohl dem Wortlaut nach das Gebiet zugleich nur „vorwiegend" den in den anderen Gebieten unzulässigen Betrieben dient. Umstritten ist beim Industriegebiet lediglich, ob unter den Begriff der in anderen Gebieten unzulässigen Anlagen nur die „erheblich belästigenden", im Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO unzulässigen167 oder auch die „wesentlich störenden" Anlagen fallen, die in Dorfgebieten gem. § 5 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 6, in Mischgebieten gem. § 6 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 und in Kerngebieten gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO unzulässig sind.168 Vorwiegend einer Hauptnutzung dienen das allgemeine und das besondere Wohngebiet gem. §§4 Abs. 1, 4a Abs. 1 BauNVO (Wohnen) sowie das Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 1 BauNVO (der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben169). Bei den §§ 3, 4, 4a, 8, 9 BauNVO kommt als Nachbarschutz auslösende Veränderung der Nutzungskategorie nur ein Überhandnehmen der auch oder nicht gebietsprägenden Nutzungen in Betracht. Einen Vorrang mehrerer Hauptnutzungen legen die allgemeinen Zweckbestimmungen der §§ 2, 5, 6, 7 BauNVO fest. Neben dem Überhandnehmen der

166

Vgl. Ziegler, in; Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 321, § 8 Rn. 8 f, 22, § 9 Rn. 9, § 15 Rn. 80; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 3 BauNVO Rn. 3, § 4 Rn. 8, § 4a Rn. 15, 26, 35, § 8 Rn. 1, 3, 10c, § 9 Rn. 6; Fikkert/Fieseler, BauNVO, § 3 Rn. 1, § 4 Rn. 1, § 4a Rn. 11.2, 12, eine Hauptnutzung ablehnend in § 8 Rn. 1 und § 9 Rn. 1. 167 So die h. M., vgl. nur Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 9 BauNVO Rn. 2; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 9 Rn. 1.12; Leder/Scholtissek, BauNVO, § 9 Rn. 1; Müller/Weiß, BauNVO, § 9 Rn. 1; BVerwG, ZfBR 1993, 297. 168 Hierfür Ziegler, in; Brügelmann, BauGB, § 9 BauNVO Rn. 3 ff. 169 Zum Begriff der nicht erheblich belästigenden Nutzungen allgemein Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 8 BauNVO Rn. 10; einschränkender Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 8 BauNVO Rn. 8, 9, der hierzu nur das produzierende Gewerbe zählt. 10 Petersen

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

auch oder nicht gebietsprägenden Nutzungen können bei diesen Vorschriften auch Änderungen in der Gewichtung unter den Hauptnutzungen das Mischungsverhältnis und die darin enthaltene subjektive Rechtsposition beeinträchtigen. Maßgeblich ist dafür, ob das Merkmal „Mischungsverhältnis" eine bestimmte Gewichtung der Hauptnutzungen vorschreibt. Allgemein anerkannt als Störung des Mischungsverhältnisses ist die Veränderung der Gewichtung der Hauptnutzungen beim Mischgebiet gem. § 6 BauNVO.170 Die Vorschrift ordnet nicht nur in qualitativer, sondern auch in quantitativer Hinsicht ein Gleichgewicht der beiden vorrangig gebietsprägenden Nutzungsarten „Wohnen" und „Geweibebetriebe" an.171 Zwar ist für die gleichwertige Zusammensetzung der Hauptnutzungen kein bestimmtes zahlenmäßiges Verhältnis vorgegeben, und ein solches ist auch nicht durch die Gemeinde festsetzbar. Eine Störung der Gewichtung der Hauptnutzungen ist jedoch allgemein bei eindeutigem Überwiegen einer der Nutzungsarten gegeben. Problematisch und bisher nur teilweise bearbeitet sind die anderen Gebietsvorschriften, die wie § 6 Abs. 1 BauNVO mehrere Hauptnutzungsarten in ihrer allgemeinen Zweckbestimmung festlegen.

(1) Hauptnutzungen im Kleinsiedlungsgebiet Nach der allgemeinen Zweckbestimmung des Kleinsiedlungsgebiets in § 2 Abs. 1 BauNVO dient das Baugebiet „vorwiegend der Unterbringung von Kleinsiedlungen einschließlich Wohngebäuden mit entsprechenden Nutzungsgärten und den landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen". Das Adverb „vorwiegend" bezieht sich gleichermaßen auf die Kleinsiedlungen und die landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen, ohne der einen oder der anderen Nutzungsart einen qualitativen wie quantitativen Vorrang einzuräumen.172 Dafür spricht zum einen, daß das Adverb unmittelbar vor dem Substantiv „Unterbringung" steht, das damit wie eine Klammer vor beiden Nutzungsarten wirkt. Zudem ist eine trennscharfe Unterscheidung zwischen den Kleinsiedlungen 170 BVerwGE 79, 309; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 6 BauNVO Rn. 9, 44; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 6 Rn. 2.1; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 6 BauNVO Rn. 6 ff.; Knaup/Stange, BauNVO, § 6 Rn. 6; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 250. 171 H. M., vgl. nur Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 6 BauNVO Rn. 6 ff., 44; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 6 Rn. 1.3. 172 So ausdrücklich auch Knaup/Stange, BauNVO, § 2 Rn. 6.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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und landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen nicht möglich, da bei beiden Nutzungsarten die landwirtschaftlichen Produkte zur Ergänzung und Aufbesserung des Lebensunterhalts dienen sollen. Der eigentliche Unterschied besteht lediglich darin, daß bei Kleinsiedlungen die landwirtschaftlichen Produkte und bei den landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen deren Verkauf zur Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse beitragen sollen.173 Daher ist davon auszugehen, daß keine bestimmte Gewichtung zwischen den beiden Hauptnutzungen in der allgemeinen Zweckbestimmung enthalten ist, sondern beide wie eine Nutzungsart zu behandeln sind.174 Eine veränderte Gewichtung der Hauptnutzungen liegt beim Kleinsiedlungsgebiet damit lediglich bei einem Überwiegen der auch oder nicht gebietsprägenden Nutzungen vor.

(2) Hauptnutzungen im Dorfgebiet Beim Dorfgebiet gem. § 5 BauNVO bestehen nicht nur unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die allgemeine Zweckbestimmung nach Absatz 2 einer der Nutzungsarten einen besonderen Vorrang zuweist, sondern auch darüber, ob die Vorschrift überhaupt ein dem § 6 Abs. 1 BauNVO vergleichbares Mischungsverhältnis anordnet. Einigkeit besteht mittlerweile zumindest dahingehend, daß die allgemeine Zweckbestimmung jedenfalls keinen quantitativen Vorrang in § 5 Abs. 1 BauNVO von den Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe zwingend verlangt. Das ergibt sich zum einen aus der Vorschrift selbst. So dienen Dorfgebiete nach Absatz 1 Satz 1 „der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben". Diesen formalen Gleichrang schränkt lediglich Satz 2 des Absatzes ein, wonach auf die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen ist. Daß sich aus diesem einseitigen Rücksichtnahmegebot - wenn überhaupt lediglich ein qualitativer Vorrang ergeben kann, veranschaulicht insbesondere der Begriff der „Entwicklungsmöglichkeiten". Hierunter sind die künftigen Ausweitungen der bestehenden Betriebe im Rahmen einer normalen Betriebs-

173 174

Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 21. So auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 321.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

entwicklung zu verstehen.175 Damit verlangt die Vorschrift aber andererseits kein grundsätzlich quantitatives Überwiegen dieser Anlagen. Zum anderen hat der Gesetzgeber in der amtlichen Begründung zur Neufassung des § 5 der BauNVO von 1990 zunächst allgemein festgestellt, daß die bisherige Vorschrift zwar „für die Annahme eines quantitativen Vorrangs landwirtschaftlicher Betriebe Anlaß geben konnte"176. In der Begründung zu den einzelnen Vorschriften heißt es dann jedoch unmißverständlich: „Insbesondere soll ein zahlenmäßiges Überwiegen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe in Dorfgebieten nicht verlangt werden."177 Mithin postuliert der Absatz 1 von § 5 BauNVO eindeutig keinen quantitativen Vorrang land- und forstwirtschaftlicher Anlagen mehr. Unbeantwortet bleibt jedoch damit die Frage, in welchem Mischungsverhältnis die einzelnen Nutzungen in Absatz 1 zueinander stehen. Für ein Gleichrangverhältnis wie bei § 6 BauNVO könnte das ungewichtete Nebeneinanderstellen der Nutzungen in Satz 1 sprechen.178 Eine solche Auslegung vernachlässigt aber Satz 2 der Vorschrift, der Satz 1 modifiziert und konkretisiert. Bei der Annahme eines mit § 6 Abs. 1 BauNVO vergleichbaren Gleichgewichtsverhältnisses müßte man bei einem wesentlichen Überwiegen der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe ein Umkippen der Gebietsart annehmen. Dem widerspricht aber offensichtlich die in Satz 2 des Absatzes festgeschriebene Rücksichtnahme auf die Entwicklungsmöglichkeiten dieser Betriebe. Ist aber sogar auf die künftigen Entwicklungen der Betriebe Rücksicht zu nehmen, so kann eine tatsächliche Veränderung des Gebiets zum überwiegend durch die land- und forstwirtschaftlichen Anlagen geprägten Baugebiet nicht der allgemeinen Zweckbestimmung widersprechen oder gar zum Umkippen des Dorfgebiets führen. 179 Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß die Vorschrift gerade kein Überwiegen der Wirtschaftsstellen verlange. Denn Nicht-Verlangen ist nicht gleichbedeutend mit Nicht-Dürfen. Die Neufassung sollte zwar der Entwicklung der Dorfgebiete und der Landwirtschaft Rech175 Vgl. hierzu Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 5 BauNVO Rn. 9g. 176 BR-Drucks. 354/89, S. 26. 177 BR-Drucks. 354/89, S. 49. 178 Hierzu neigt insbesondere auch das OVG Schleswig, NVwZ-RR 1995, 252. 179 Ablehnend zur Übernahme des Mischungsverhältnisses aus § 6 auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 5 BauNVO Rn. 3j. Einschränkend dagegen Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 5 BauNVO Rn. 9, der in diesem Fall die Festsetzung eines Sondergebiets nach § 11 BauNVO für landwirtschaftliche Betriebsstätte empfiehlt.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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nung tragen, die durch eine abnehmende Zahl der Betriebe gekennzeichnet ist. Sie soll aber die Erhaltung der Lebensfähigkeit und Weiterentwicklungsmöglichkeiten der landwirtschaftlichen Betriebe sichern und kann daher nicht gleichzeitig ihre Entwicklung begrenzen wollen.180 So weist die amtliche Begründung zur Neufassung ausdrücklich darauf hin, daß die „Erweiterung der Zweckbestimmung ... nicht ausschließen (soll), daß ein Dorfgebiet - ggf. im Rahmen einer Gliederung nach § 1 Abs. 4 - mit vorwiegend landwirtschaftlichen Betrieben festgesetzt werden kann".181 Unzutreffend wäre es aber auch, aus der Entwicklung der Vorschrift von einem eindeutig geforderten quantitativen und qualitativen Überwiegen in den Fassungen von 1962/1968 und 1977 zu einem nicht mehr erforderlichen quantitativen Überwiegen der land- und forstwirtschaftlichen Anlagen nach der Fassung von 1990 den Schluß zu ziehen, daß nach der letzten Fassung Dorfgebiete lediglich für diese Anlagen offen sein müssen.182 Dann könnte nämlich ein Aufgeben der letzten Wirtschaftsstelle durch Nutzungsänderung die allgemeine Zweckbestimmung nicht berühren, da das Baugebiet weiterhin für diese offen stünde und diese weiterhin zulässig wäre.183 Eine derartige Auslegung verliert die Abgrenzung zwischen Dorf- und Mischgebiet aus den Augen, wonach sich das Dorfgebiet durch land- und forstwirtschaftliche Wirtschaftsstellen vom Mischgebiet deutlich unterscheidet.184 Zudem verkennt ein Abstellen allein auf den rechtlichen Unterschied der Zulässigkeit von landund forstwirtschaftlichen Wirtschaftsstellen, daß auch die Dorfgebietsfestsetzung bei Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten funktionslos werden kann. Daher ist beim Verschwinden der gebietsprägenden Wirtschaftsstellen sogar im Gegenteil vom Umkippen des Baugebiets, wenn nicht vom Funktionsloswerden der Dorfgebietsfestsetzung auszugehen.185

180

Rn. 8.

181

Ähnlich Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 5 BauNVO

BR-Drucks. 354/89, S. 29. So aber Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 5 BauNVO Rn. 3i-k. 183 Hierfür aber ausdrücklich Jade, UPR-Spezial 4, 1994, 87; ders., AgrarR 1993, 71 (72 f.); Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 5 BauNVO Rn. 3j. 184 So ausdrücklich auch die amtliche Begründung zur Novelle von 1990, BRDrucks. 354/89, S. 26. 185 Für ein Funktionsloswerden in diesem Fall ausdrücklich Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 5 BauNVO Rn. 8; Söfker, in: Bielenberg/Krautzberger/Söfker, Baugesetzbuch, BauNVO Rn. 45 f. 182

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Die neben den land- und forstwirtschaftlichen Anlagen in § 5 Abs. 1 BauNVO aufgeführten Nutzungsarten dürfen aber auch nicht völlig untergehen. So wurde in der Neufassung von § 5 BauNVO die allgemeine Zulässigkeit von Wohnen, Handwerk und Gewerbe dahingehend bewußt erweitert, daß diese nunmehr auch zu den vorrangig gebietsprägenden Nutzungen des Dorfgebiets gehören. Nach der allgemeinen Zweckbestimmung sollen die Hauptnutzungen „Wohnen" und „Gewerbe" neben den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben zumindest städtebaulich in Erscheinung treten. Der typisierte Bereich des Gebietscharakters eines Dorfgebiets hat sich mit der Neufassung von 1990 folglich erweitert von Baugebieten, in denen land- und forstwirtschaftliche Betriebe eine zahlenmäßig unbedeutende Rolle neben Wohn- und Gewerbenutzung spielen, bis hin zu solchen, in denen insgesamt die land- und forstwirtschaftliche Nutzung wesentlich überwiegt. Die allgemeine Zweckbestimmung in Absatz 1 normiert somit kein bestimmtes Mischungsverhältnis der Hauptnutzungen untereinander. Das Verhältnis zwischen Wohn- und Gewerbenutzung sowie der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung charakterisiert lediglich die qualifizierte Rücksichtnahmeklausel. Infolgedessen stehen sich die land- und forstwirtschaftliche Nutzung und als eine Einheit die Wohn- und Gewerbenutzung derart gegenüber, daß zum einen den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben vorrangige Entwicklungsmöglichkeiten eingeräumt sind, die auch zu einem wesentlichen Überwiegen derselben führen dürfen. Zum anderen widerspricht es nicht der allgemeinen Zweckbestimmung, wenn lediglich nur eine der Nutzungen Wohnen und Gewerbe städtebaulich in Erscheinung tritt, während die andere völlig unterrepräsentiert ist. Von einem Umkippen des Dorfgebiets sollte man daher beim völligen Verschwinden der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe und jedenfalls bei gänzlichem Verdrängen der Wohn- und Gewerbenutzungen ausgehen.186

(3) Hauptnutzungen im Kerngebiet Zum gebietstypischen Mischungsverhältnis des Kerngebiets gem. § 7 Abs. 1 BauNVO fehlen eingehende Abgrenzungen, die ein Umkippen des Baugebiets

186

9.

Ebenso Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 5 BauNVO Rn.

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bei Änderungen in der Zusammensetzung der Hauptnutzungen festlegen. Nach dem Wortlaut der allgemeinen Zweckbestimmung dienen Kerngebiete „vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur". Die Konjunktion „sowie", was soviel bedeutet wie „und", „und auch", könnte die Hauptnutzungen in zwei Gruppen aufteilen, und zwar einerseits in die Handelsbetriebe und andererseits in die zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, Verwaltung und Kultur. Das hätte aber weitergehend zur Folge, daß dann das Adverb „vorwiegend" ein qualitatives oder quantitatives Überwiegen der Handelsbetriebe bestimmen könnte. Dagegen spricht aber, daß sich das Substantiv „der Unterbringung" auf alle Nutzungen bezieht, wie sich aus der Wiederholung des Artikels „der" im zweiten Teil des Satzes ergibt, und somit wie eine Klammer nach dem Adverb „vorwiegend" wirkt. Für diese Auslegung läßt sich zudem die Entstehungsgeschichte des § 7 BauNVO 1962 anführen. Nach dem Entwurf vom September 1957 war das noch als „Geschäftsgebiet" bezeichnete Baugebiet „für bauliche Anlagen der Wirtschaft, der freien Berufe und der Verwaltung bestimmt." Ebenso dienten im Entwurf vom Dezember 1960 Kerngebiete „vorwiegend der Wirtschaft und Verwaltung" und nach dem Entwurf vom Februar 1961 „vorwiegend den zentralen Einrichtungen, dem Handel und der Verwaltung".187 In diesen Entwürfen kommt zum Ausdruck, daß keine Rangordnung unter den Hauptnutzungen vorgenommen werden sollte. Das Adverb „sowie" hat heute188 primär die Bedeutung darauf hinzuweisen, daß das Kerngebiet neben den Hauptnutzungen auch noch der Wohnnutzung dienen kann, soweit dies im Bebauungsplan gem. Absatz 2 Nr. 7 festgelegt worden ist. Dementsprechend charakterisiert die allgemeine Zweckbestimmung die aufgezählten Nutzungen durch das Adverb „vorwiegend" lediglich als Hauptnutzungen. Wie aber das Mischungsverhältnis unter den in Absatz 1 genannten Hauptnutzungen ausgestaltet ist, bleibt offen. Die Aufzählungsweise der Nutzungsarten in Absatz 1 enthält keine Gewichtung, sie bestimmt auch

187

Vgl. zu den Entwürfen Fickert/Fieseler, BauNVO, § 7 Rn. l-8b. In den früheren Fassungen dienten Kerngebiete darüber hinaus schon immer auch den Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke, ohne daß diesen jedoch eine prägende Bedeutung zukam. Die Aufnahme in die allgemeine Zweckbestimmung bei der Novelle von 1990 hatte nämlich nur klarstellende Funktion, vgl. amtl. Bgrd., BR-Drucks. 354/89, S. 53; vgl. auch BVerwGE 68, 207; Hess. VGH, ZfBR 1986, 194; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 7 BauNVO Rn. 11 f. 188

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

kein dem § 6 Abs. 1 BauNVO vergleichbares Gleichgewicht der Hauptnutzungen. Die Nutzungen nach Absatz 1 müssen infolgedessen nur insgesamt quantitativ und qualitativ gegenüber den sonstigen Nutzungen des Absatzes 2 überwiegen. Das Adverb „sowie" nimmt jedoch eine gewisse Zweiteilung der Hauptnutzungen derart vor, daß einerseits die Handelsbetriebe und andererseits die zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, Verwaltung und Kultur als Hauptnutzungsgruppe anzusehen sind.189 Aufgrund der gebietsprägenden Bedeutung beider Hauptnutzungsgruppen muß jede von ihnen in städtebaulich relevanter Weise im Baugebiet vertreten sein.190 Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß nur ein völliges Vorherrschen oder ein gänzliches Ausbleiben einer Nutzungsgruppe insgesamt eine Veränderung der Gewichtung unter den Hauptnutzungen und damit ein Umkippen des Baugebiets verursachen kann.

b) Veränderungen der auch gebietsprägenden Nutzungen Die Kategorie der „auch gebietsprägenden Nutzungen" erfaßt all diejenigen Nutzungen, die zwar nicht zu den Hauptnutzungen des Baugebiets zählen, aber dennoch das gebietstypische Mischungsverhältnis und damit auch die Eigenart des Baugebiets mitprägen. Die „auch gebietsprägenden Nutzungen" zeichnen sich dadurch aus, daß nicht nur ihr Überwiegen im Baugebiet eine Störung des Mischungsverhältnisses wegen der Verdrängung der Hauptnutzungen verursacht, sondern auch ihr Ausbleiben im Baugebiet zu einer Gebietsveränderung führen kann.191 Die Annahme einer auch gebietsprägenden Funktion hängt davon ab, ob ein generelles Ausbleiben der Nutzung im gesamten Baugebiet die Eigenart desselben verändert. Ausgeschlossen ist eine auch gebietsprägende Funktion, wenn die Zweckbestimmung der jeweiligen Gebietsvorschrift abschließend festlegt, welchen Nutzungen das Baugebiet dient. Allein die in der Zweckbestimmung aufgeführten Nutzungen prägen in diesem Fall das Baugebiet. Die in Absatz 2 darüber hinaus enthaltenen Anla189

Zu dieser Einteilung scheint auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 7 BauNVO Rn. 3, 4 zu tendieren. 190 Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, §7 BauNVO Rn. 11; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 255; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 323, § 7 Rn. 5. 191 Vgl. hierzu Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 325, der das gleichgelagerte Problem der Zulässigkeit des Ausschlusses derartiger Nutzungen nach § 1 Abs. 5 BauNVO als allgemein noch nicht geklärt bezeichnet.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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gen sind allgemein zulässig, weil sie sich grundsätzlich als gebietsverträglich erweisen und ihnen keine städtebauliche Leitfunktion zukommt. Sie sind im Baugebiet erwünscht, aber nicht notwendig. Eine abschließende Aufzählung der das Baugebiet prägenden Vorhaben in Absatz 1 enthalten eindeutig die §§ 3, 5, 6 und 9 BauNVO, wie ihrem Wortlaut zu entnehmen ist. So formuliert die allgemeine Zweckbestimmung in § 9 Abs. 1 BauNVO, daß das Industriegebiet „ausschließlich" der Unterbringung von Gewerbebetrieben dient. Beim reinen Wohngebiet ergibt sich die Ausschließlichkeit der Wohnnutzung daraus, daß § 3 Abs. 1 BauNVO allein das Wohnen als diejenige Nutzung aufzählt, der das Baugebiet dient.192 Die Abgeschlossenheit der allgemeinen Zweckbestimmungen bei den Dorf- und Mischgebieten nach §§ 5, 6 BauNVO ist darin begründet, daß sie ohne Einschränkung und Vorbehalt die Nutzungen nacheinander nennen, denen die Gebiete dienen. Die besondere Rücksichtnahme auf die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe in § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthält lediglich eine bestimmte Gewichtung der Hauptnutzungen des Dorfgebiets, ohne die Abgeschlossenheit der Zweckbestimmung in Frage zu stellen. Den sonst nach Absatz 2 der §§ 3, 5, 6 und 9 BauNVO allgemein zulässigen Anlagen, die nicht unter die allgemeine Zweckbestimmung fallen, kommt auch keine städtebauliche Leitfunktion zu. So bestimmen ζ. B. den Gebietscharakter des Dorfgebiets wie des Mischgebiets nicht die Tankstellen oder Gartenbaubetriebe, die nach § 5 Abs. 2 Nr. 8, 7 bzw. § 6 Abs. 2 Nr. 6, 7 BauNVO allgemein zulässig sind. Bei diesen Gebietsvorschriften wirkt sich ein vollständiges Ausbleiben der sonst allgemein zulässigen Anlagen mithin nicht gebietsverändernd aus, es handelt sich bei ihnen um nicht gebietsprägende Nutzungen. Gegen ein Verdrängen dieser Nutzungen können sich die Planbetroffenen auch nicht zur Wehr setzen, da deren Ausbleiben die im Mischungsverhältnis verankerten subjektiven Rechte nicht berührt. Die §§ 2, 4, 4a, 7 und 8 BauNVO legen dagegen in ihrem Absatz 1 lediglich fest, welchen Nutzungsarten das Baugebiet vorwiegend dient. Neben den in der allgemeinen Zweckbestimmung genannten Hauptnutzungen prägen daher auch andere, im jeweiligen Absatz 2 aufgezählte Nutzungen das jeweilige Baugebiet. Ein genereller Ausschluß dieser auch gebietsprägenden Nutzungen muß im jeweiligen Baugebiet dann aber zum Umkippen der Gebietsart führen können. Offen bleibt dabei, ob von einer gebietsverändernden Wirkung erst beim Ausbleiben aller oder schon bereits einzelner Nutzungen auszugehen ist.

192

So auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 321.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Das hängt davon ab, welchen der sonstigen allgemein zulässigen Nutzungen eine unverzichtbare, auch gebietsprägende Funktion beizumessen ist. Denkbar wäre es, eine auch gebietsprägende Bedeutung anzunehmen, wenn die Anlage der Hauptnutzung dienen kann. Dieses Kriterium verwendet Ziegler 193 zur Beantwortung der Frage, ob der Ausschluß einer Nutzung nach § 1 Abs. 5 BauNVO zulässig ist. Entscheidend für die Zulässigkeit des Ausschlusses ist wie bei der Frage nach der Veränderung der Gebietsart, ob die allgemeine Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets beim Ausbleiben der Nutzung bewahrt bleibt. Zieglers Kriterium erweist sich aber insofern als ungeeignet, als auch völlig untergeordnete Anlagen der Hauptnutzung dienen können, wie ζ. B. Garagen. Solchen Anlagen kommt aber keine eigenständige gebietsprägende Funktion zu. Zutreffender ist es, danach zu unterscheiden, ob der einzelnen Nutzung eine auf das Baugebiet bezogene Funktion zukommt, ob die Nutzung der allgemeinen Zweckbestimmung dient, indem sie eines ihrer Wesensmerkmale mit charakterisiert. Entscheidend ist darüber hinaus die Bedeutung der Nutzung für die Abgrenzung zu den anderen Baugebieten. Soweit eine Nutzung die allgemeine Zweckbestimmung derart mitgestaltet, führt ihr Ausbleiben oder Verschwinden im Gesamtgebiet zu einer zunächst tatsächlichen Veränderung des Gebietscharakters. Das Baugebiet entspricht dann nicht mehr der allgemeinen Zweckbestimmung, was ein Funktionsloswerden der Gebietsfestsetzungen zur Folge haben kann. Ein Verdrängen dieser auch gebietsprägenden Nutzungen verletzt damit auch die im Mischungsverhältnis enthaltene subjektive Rechtsposition.

(1) Auch gebietsprägende Nutzungen im Kleinsiedlungsgebiet Bei den Kleinsiedlungsgebieten nach § 2 BauNVO kommt eine auch gebietsprägende Funktion dem Nutzungskatalog der Nr. 2 zu.194 Die darin festgelegten Nutzungen stellen einerseits wegen des Merkmals „der Versorgung des Gebiets dienend" ausdrücklich auf eine gebietsbezogene Bedeutung ab. Das gilt auch für die Handwerksbetriebe, da sich auf diese das Merkmal bereits dem Wortlaut nach bezieht. Zudem entspricht die Einbeziehung dem Sinn und 193 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 325, jedoch auf die Frage der Zulässigkeit des Ausschlusses der Nutzungsart nach § 1 Abs. 5 bezogen. 194 Ebenso Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 326 für die gleichbedeutende Frage des Ausschlusses der Nutzungen nach § 1 Abs. 5.

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Zweck des Nummernkatalogs.195 Andererseits ergänzen die in Absatz 2 Nr. 2 aufgeführten Nutzungen das Merkmal „Funktionsbestimmung" nach der allgemeinen Zweckbestimmung. Der Nutzungskatalog enthält infrastrukturelle Einrichtungen, die zur Versorgung der Bewohner des Gebiets mit den Konsumartikeln des täglichen Bedarfs allgemein erforderlich sind. Auch diese Versorgungsfunktion soll das Kleinsiedlungsgebiet erfüllen. 196 Gleichzeitig grenzt sich das Kleinsiedlungsgebiet durch den Nutzungskatalog vom reinen Wohngebiet nach § 3 BauNVO ab, in dem diese Nutzungen nur als Ausnahme und zudem in beschränkterem Umfang zulässig sind. Bleiben sämtliche Nutzungen von Absatz 2 Nr. 2 im Baugebiet aus, so erfüllt das Gebiet nicht mehr seine Versorgungsfunktion und nähert sich seiner Eigenart nach dem reinen Wohngebiet aus § 3 BauNVO an. Die tatsächliche Gebietsänderung könnte demnach auch zum Funktionsloswerden der Gebietsfestsetzung führen. Nicht ausreichend ist dafür jedoch das Ausbleiben nur einzelner Nutzungsarten des Nutzungskatalogs.197 Auch gebietsprägend sind daher die Nutzungen des Nutzungskatalogs aus Absatz 2 Nr. 2 jeweils insgesamt und nicht die singulären Nutzungen.

(2) Auch gebietsprägende Nutzungen im allgemeinen Wohngebiet Im allgemeinen Wohngebiet gem. § 4 BauNVO ist dem zu § 2 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO gleichlautenden Nutzungskatalog von Absatz 2 Nr. 2 ebenfalls eine auch gebietsprägende Funktion zu eigen. Wie beim Kleinsiedlungsgebiet dient der Nutzungskatalog der Ergänzung des Merkmals „Funktionsbestimmung". Eine Charakterisierung dieses Merkmals bewirkt zudem der Nutzungskatalog in § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO. Der Katalog enthält eine Aufzählung von sozialen und gesellschaftlichen Infrastruktureinrichtungen und bestimmt damit die zum Lebensbereich „Wohnen" im allgemeinen Wohngebiet gehörenden so-

195 Vgl. nur Müller/Weiß, BauNVO, § 2 Abs. 2, Bielenberg, in: Em st/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 31; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 24. 196 So ist das von Fickert/Fieseler, BauNVO, § 2 Rn. 9 genannte Erfordernis der funktionellen Zuordnung der Nutzungen nach Nr. 2 zur Zweckbestimmung zu verstehen; ähnlich Knaup/Stange, BauNVO, § 12 Rn. 23, die eine enge Beziehung der Nutzungen zur Zweckbestimmung verlangen. 197 Ähnlich für die Frage des zulässigen Ausschlusses nach § 1 Abs. 5 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 327.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

zialen und gesellschaftlichen Funktionen.198 Dem Nutzungskatalog kommt darüber hinaus eine entscheidende Abgrenzungsfunktion gegenüber dem reinen Wohngebiet nach § 3 BauNVO zu. Die in den Nummern 2 und 3 aufgeführten Nutzungen von § 4 Abs. 2 BauNVO sind im reinen Wohngebiet lediglich als Ausnahmen und damit nur in eingeschränkter Weise zulässig. Bei ihrem völligen Verschwinden oder Ausbleiben käme das allgemeine Wohngebiet seinen tatsächlichen Verhältnissen nach dem reinen Wohngebiet gem. § 3 Abs. 1, 2 BauNVO gleich. Desweiteren wären damit zwei wesentliche Elemente der Funktionsbestimmung des allgemeinen Wohngebiets nicht erfüllt. Zwar könnte man darüber streiten, ob das Baugebiet dann nicht bereits umgekippt und die Gebietsfestsetzung damit funktionslos geworden ist.199 Zweifellos bestünde jedoch zumindest die Gefahr des Umkippens der Gebietsart. In der allgemeinen Zulässigkeit von Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke nach Absatz 2 Nr. 3 unterscheidet sich das allgemeine Wohngebiet zudem vom Kleinsiedlungsgebiet, in dem die Anlagen lediglich gem. § 2 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO als Ausnahme zulässig sind. Daher birgt auch allein das Ausbleiben oder Verschwinden der Anlagen nach Absatz 2 Nr. 2 die Möglichkeit der Gebietsänderung. Sowohl dem Nutzungskatalog nach Nr. 2 als auch dem Nutzungskatalog nach Nr. 3 ist damit eine auch gebietsprägende Funktion zu eigen.200

(3) Auch gebietsprägende Nutzungen im besonderen Wohngebiet Einen Sonderfall stellen die besonderen Wohngebiete nach § 4a BauNVO dar. Zum einen dient nach der allgemeinen Zweckbestimmung in Absatz 1 Satz 2 das Baugebiet sämtlichen nach der Vorschrift allgemein oder ausnahmsweise zulässigen Nutzungen, so daß alle Nutzungen eine auch gebietsprägende Funktion haben könnten. Zum anderen ergeben sich nach Absatz 1

198

Vgl. BR-Drucks. 354/89, S. 45. Gegen ein Funktionsloswerden der Gebietsfestsetzung ist das OVG Nds., U. v. 24.04.1995 - 6 L 1257/94, was vom BVerwG, BauR 1995, 813 nicht beanstandet wurde. 200 Ebenso jeweils zum gleichgelagerten Problem des Ausschlusses nach § 1 Abs. 5: Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 Rn. 327; Knaup/Stange, BauNVO, § 1 Rn. 68, 71; Förster, BauNVO, § 1 Anm. 8 b); Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 20p, der vorsichtig von „Bedenken" spricht. 199

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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Satz 1 die neben der vorwiegenden Wohnnutzung gebietsprägenden Anlagen aus den tatsächlichen Gegebenheiten, soweit diese gemeinsam mit der Wohnnutzung eine besondere Eigenart aufweisen. Aufgrund dieser Besonderheiten wird die Ansicht vertreten, daß alle nach § 4a BauNVO zulassungsfähigen Nutzungen, sogar die Anlagen nach Absatz 3, das Baugebiet prägen können.201 Gegen diese Auffassung spricht jedoch zunächst der eindeutige Wortlaut des Absatzes 1 Satz 1, wonach die mit der Wohnnutzung gebietsprägenden Nutzungen ausschließlich dem Absatz 2 entstammen. Zudem erfolgt die Anführung des Absatzes 3 im § 4a Abs. 1 Satz 2 BauNVO, um das Merkmal „Vereinbarkeit mit der Wohnnutzung" als allgemeine Zulässigkeitsschranke für sämtliche Nutzungen im besonderen Wohngebiet zu konstituieren, unter die auch die ausnahmsweise zulässigen Nutzungen fallen. 202 Gleichzeitig legt dieses Merkmal die Störanfälligkeit des besonderen Wohngebiets fest. 203 Infolgedessen können zu den gebietsprägenden Nutzungen allein die Anlagen aus Absatz 2 gehören, nicht jedoch die ausnahmsweise zulässigen Anlagen nach Absatz 3. 204 Wegen des Abstellens auf die tatsächlichen Umstände in Absatz 1 Satz 1 gilt darüber hinaus lediglich, daß von den Nutzungen aus § 4a Abs. 2 BauNVO gebietsprägend diejenigen sind, die die besondere Eigenart des Baugebiets mit der Wohnnutzung bilden.205 In diesen Nutzungen unterscheidet sich das besondere Wohngebiet auch von allen anderen Wohngebieten, weshalb sie zugleich die Funktionsbestimmung des besonderen Wohngebiets charakterisieren. Daraus ergibt sich im direkten Umkehrschluß, daß bei Verschwinden der das Baugebiet erst prägenden Nutzungen das besondere Wohngebiet umkippt, während alle anderen allgemein zulässigen Anlagen - außer der Hauptnutzung Wohnen - ohne Gefahr des Umkippens im Baugebiet ausbleiben können.206 201 So Förster, BauR 1978, 439 (442); Βoeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 4a Rn. 9. 202 Vgl. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 4a BauNVO Rn. 16. 203 So auch die amtliche Begründung BR-Drucks. 261/77, S. 25; ebenso Boeddinghaus/Franßen/Rauhte, BauNVO, § 4a Rn. 12. 204 Η. M., vgl. Leder/Scholtissek, BauNVO § 4a Rn. 6; Schlez, BauNVO, § 4a Rn. 4; Knaup/Stange, BauNVO, § 4a Rn. 12; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 4a BauNVO Rn. 16; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 4a BauNVO Rn. 16; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4a Rn. 9. 205 Vgl. nur Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 4a BauNVO Rn. 13. 206 Ähnlich Förster, BauR 1978, 439 (443); zustimmend auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 324.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

(4) Auch gebietsprägende Nutzungen im Kerngebiet In Baugebieten nach § 7 BauNVO kommt aufgrund der Bezeichnung „Kerngebiet" in Betracht, daß sowohl der Wohnnutzung nach Nr. 6 und 7 des Absatzes 2 als auch den Nutzungen nach Nr. 2 - außer der Hauptnutzung „Einzelhandelsbetriebe"207 - eine auch gebietsprägende Funktion zukommt. Der Begriff „Kerngebiet" als Übersetzung des Wortes „City" beschreibt einen innerörtlichen Bereich, in dem sich gesamtörtliche und überörtliche Funktionen des Gemeinschaftslebens vereinigen. Zu dessen Zentralfunktionen gehören neben Handel, Wirtschaft, Verwaltung und Kultur auch das Gaststättenund Vergnügungswesen sowie das Wohnen.208 Vor diesem Hintergrund könnte dem Wohnen und den im Katalog des § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO genannten Nutzungen eine zumindest gebietsmitprägende Funktion zukommen. Zweifelsohne ist von einer auch gebietsprägenden Bedeutung der Wohnnutzung auszugehen, wenn Wohnungen nach § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO im Bebauungsplan vorgeschrieben sind. Darüber hinaus dient das Kerngebiet jedoch nicht der Wohnnutzung nach Absatz 2, da eine Erweiterung der allgemeinen Zweckbestimmungen in den Novellen 1977 und 1990 zugunsten der Wohnnutzung ausdrücklich nicht vorgenommen wurde, obwohl dies vorher zur Diskussion stand.209 Hierfür spricht weiter, daß die private Wohnnutzung ohne besondere Festsetzung im Bebauungsplan auch nach der Novelle von 1990 nicht allgemein, sondern nur als Ausnahme sowie zweckorientiert und von nur untergeordneter Bedeutung nach § 7 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO zulässig ist. Anders als die Wohnnutzung sind Schänk- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO allgemein zulässig, so daß sie eine nach dem Begriff des Kerngebiets naheliegende prägende Funktion erfüllen könnten. Diese Anlagen ergänzen die Funktionsbestimmung des Kerngebiets um eine Unterhaltungs- und Vergnügungsfunktion, die nicht bereits den zentralen Einrichtungen der Kultur zu

207

Den Ausschluß der Einzelhandelsbetriebe gem. § 1 Abs. 5 BauNVO für unzulässig hält deshalb auch Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 20p. 208 Allg. A. vgl. Knaup/Stange, BauNVO, § 7 Rn. 9; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 7 Rn. 1; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 7 BauNVO Rn. 9; Boeddinghaus/Franßen/Rhode, BauNVO, § 7 Rn. 4; Förster, BauNVO, § 7 Anm. 1. 209 Vgl. hierzu ausführliche Darstellungen bei Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 7 BauNVO Rn. 7, 8a, 17, 56, der der Wohnnutzung daher auch den gebietsprägenden Charakter abspricht.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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entnehmen ist. Zudem weisen die Schänk- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten eine Abgrenzungsfunktion gegenüber dem Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO auf. Im Gewerbegebiet sind die Vergnügungsstätten lediglich ausnahmsweise und nicht allgemein zulässig. Beim gänzlichen Verschwinden der Nutzungen nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO gleicht das Kerngebiet in tatsächlicher Hinsicht dann im wesentlichen dem Gewerbegebiet. Dem Nutzungskatalog des § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO kommt damit insgesamt - außer den der Hauptnutzung zuzurechnenden Einzelhandelsbetrieben - eine auch gebietsprägende Funktion zu, bei deren gänzlichem Ausbleiben sich die Eigenart des Kerngebiets verändert.210 Den anderen Nutzungskatalogen der Nummern 4 bis 7 des § 7 Abs. 2 BauNVO fehlt dagegen eine die allgemeine Zweckbestimmung ergänzende Funktion, sie sind lediglich als nicht störende Nutzungen allgemein zulässig. Für die Nutzungen nach Nummer 4 ist dabei bestimmend, daß die Anlagen für kulturelle Zwecke bereits zur Hauptnutzung gehören, der allein eine entscheidend gebietsprägende Bedeutung zukommt. Für das Fehlen einer auch gebietsprägenden Wirkung der anderen Nutzungen aus Nummer 4 ist überdies anzuführen, daß diese - einschließlich der Anlagen für kulturelle Zwecke - immerhin auch als Ausnahme im Gewerbegebiet gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zulässig sind.

(5) Auch gebietsprägende Nutzungen im Gewerbegebiet Beim Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO gehören zu der in Absatz 1 umschriebenen Hauptnutzung sämtliche unter Nr. 1 des Absatzes 2 genannten Anlagen. Die neben den Gewerbebetrieben aufgeführten Lagerplätze, Lagerhäuser und öffentlichen Betriebe sind in Nr. 1 ausdrücklich aufgeführt, weil diese Anlagen nicht unbedingt einen Gewerbebetrieb im gewerberechtlichen Sinne darstellen.211 Unter die Begriffe der Lagerhäuser und Lagerplätze212 fal210

Ähnlich zum gleichgelagerten Problem des Ausschlusses nach § 1 Abs. 5 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn. 102. 211 Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 8 BauNVO Rn. 12, 17; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 8 Rn. 9, 11; Förster, BauNVO, § 8 Anm. 2; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 8 Rn. 30; a. A. Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 8 Rn. 8. 212 Zum Begriff der Lagerhäuser und Lagerplätze allgemein Fickert/Fieseler, BauNVO, § 8Rn. 9.1.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

len in § 8 BauNVO nur die baurechtlich selbständigen Anlagen, nicht hingegen die unselbständigen Anlagen, die in einem engen räumlichen Zusammenhang zu einer anderen Nutzung stehen.213 Zu den öffentlichen Betrieben gehören alle Anlagen, deren Betriebszweck in der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe besteht, unabhängig von ihrer Rechts- und Organisationsform. 214 Beide Anlagetypen sind ausschließlich dem Geweibegebiet und dem Industriegebiet zugeordnet, da von ihnen nicht unerhebliche negative Auswirkungen auf die Umgebung ausgehen können, die denen von Gewerbebetrieben verursachten nach Art und Umfang gleichstehen. Auf diesem Hintergrund sind planungsrechtlich alle Nutzungen aus Nr. 1 dem Begriff des Gewerbebetriebs zuzuordnen, und diese stellen gemeinsam die Hauptnutzung(en) des Gewerbegebiets dar. Für eine auch gebietsprägende Funktion kommen daher nur die Anlagen nach den Nr. 2 bis 4 in Betracht. Von vornherein ausgeschlossen ist eine auch gebietsprägende Funktion der Tankstellen nach Nr. 3 und der Anlagen für sportliche Zwecke nach Nr. 4. Beide Nutzungen sind in fast allen Baugebieten allgemein215 oder zumindest als Ausnahme216 zulässig, so daß von ihnen weder eine städtebauliche Leitbildfunktion noch eine die allgemeine Zweckbestimmung mitbestimmende Bedeutung ausgehen kann.217 Zu den mit gebietsprägenden Nutzungen können lediglich die „Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude" nach Nr. 2 gehören.218 Die Anlagen charakterisieren den Störgrad des Gewerbegebiets näher, den Absatz 1 lediglich durch die Umschreibung „nicht erheblich belästigend" allgemein bestimmt. So dürfen die Gewerbebetriebe als Hauptnutzung des Gewerbegebiets abstrakt ihren Auswirkungen nach die Arbeit in Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäuden nicht erheblich belästigen, weil die Anlagen allgemein im Baugebiet zulässig und daher

213 Allg. Α., vgl. nur Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 8 BauNVO Rn. 12, 13. 214 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 8 BauNVO Rn. 30. 215 Sportliche Anlagen in §§ 4, 5, 6, 7, 8; Tankstellen in §§ 5, 6, 7 und 8. 216 Sportliche Anlagen in §§ 2, 3; Tankstellen in §§ 2, 4. 217 So auch Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 8 BauNVO Rn. 10a. 218 Zustimmend Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 8 BauNVO Rn. 3, 10; § 1 Rn. 20p; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 8 Rn. 4; Fikkert/Fieseler, § 8 Rn. 2; ablehnend Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 325, der den Nutzungen nach Abs. 2 Nr. 2 keine unverzichtbare Bedeutung beimißt.

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von der Hauptnutzung zu berücksichtigen sind.219 Vor allem im Störgrad unterscheidet sich das Gewerbegebiet zudem wesentlich vom Industriegebiet nach § 9 BauNVO, das ausschließlich Gewerbebetrieben dient und in dem Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude unzulässig sind.220 Aufgrund ihrer den Störgrad konkretisierenden Bedeutung ist den Nutzungen aus Absatz 2 Nr. 2 somit zugleich eine Abgrenzungsfunktion gegenüber dem Industriegebiet zu eigen. Insgesamt bestimmen die Anlagen den Gebietscharakter des Gewerbegebiets mit, d.h. ihnen kommt eine auch gebietsprägende Funktion zu. Beim völligen Ausbleiben oder Verdrängen sämtlicher Nutzungen nach Absatz 2 Nr. 2 liegt daher eine tatsächliche Veränderung der Gebietsart vor, die die Möglichkeit des Umkippens des Baugebiets und damit Funktionsloswerdens der Gebietsfestsetzung in sich trägt.221

6. Persönlicher Anwendungsbereich Aufgrund des abstrakt-generellen Schutzes durch das gebietstypische Mischungsverhältnis besteht der Drittschutz grundsätzlich für alle Grundstücke gleichermaßen, und zwar unabhängig von ihrer konkreten Nutzung. Insbesondere können sich auch die das Baugebiet nicht prägenden Nutzungen auf die Verletzung des Mischungsverhältnisses berufen. Zum einen besteht ebenfalls bei den nicht prägenden Nutzungen das oben bereits festgestellte allgemeine Interesse an der planmäßigen Ausgestaltung des Baugebiets entsprechend dem gebietstypischen Mischungsverhältnis, das unabhängig von der konkreten Nutzung abstrakt für jedes Grundstück besteht. Die sonstigen Anlagen sind 219

So auch Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 8 BauNVO Rn. 10. 220 Allg. Α., Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 8 Rn. 6; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 8 Rn. 1; Knaup/Stange, BauNVO, § 8 Rn. 10; Förster, BauNVO, § 8 Anm. 1, 2; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 8 Rn. 3, 10; BVerwG, BauR 1984, 145, wonach sich Gewerbegebiete und Industriegebiete danach unterscheiden, daß „die Erheblichkeit der Belästigungen der Maßstab dafür ist, ob der Gewerbebetrieb noch im Gewerbegebiet oder nur im Industriegebiet zulässig ist". 221 Zustimmend Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, §1 BauNVO Rn. 20p, unklar jedoch ders., a. a. O., § 8 BauNVO Rn. 3, wonach die allgemeine Zulässigkeit der Nutzungen durch „Festsetzungen nach § 1 Abs. 4 ff. auch ausgeschlossen oder eingeschränkt werden könnte(n)"; dagegen klar ablehnend Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 325 und Förster, BauNVO, § 1 Anm. 8b). 11 Petersen

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

zum anderen im jeweiligen Baugebiet nicht völlig schutzlos. Vielmehr kommt ihnen der Schutz zu, daß sie jeweils allgemein oder ausnahmsweise im Baugebiet zulässig sind. Eine Veränderung des Mischungsverhältnisses beeinträchtigt gerade diese beiden Interessen. Insbesondere kann sich beim Umkippen eines Baugebiets in ein anderes, der BauNVO entsprechendes Baugebiet abstrakt die Zulässigkeit der Nutzung ändern, die sich dann über § 34 Abs. 2 BauGB nach der entsprechenden Baugebietsvorschrifi bestimmen würde. So könnte sich ζ. B. die ausnahmsweise Zulässigkeit von Tankstellen nach § 4 Abs. 3 Nr. 5 BauNVO beim Umkippen des allgemeinen Wohngebiets in ein reines Wohngebiet in eine allgemeine Unzulässigkeit wandeln. Zwar entfiele die materielle Rechtmäßigkeit der Anlagen aufgrund der früheren Baugenehmigung nicht; dafür würden sich aber ihr Schutz sowie insbesondere die emissionsschutzrechtliche Situation nach der neuen Rechtslage bemessen. Fraglich ist jedoch, ob der durch das Mischungsverhältnis vermittelte Schutz auch diejenigen Nutzungen erfaßt, die das Mischungsverhältnis verändern und ein Umkippen des Gebiets bewirken. Die durch das qualitative und/oder zahlenmäßige Überwiegen der Nutzung verursachte Gebietsveränderung könnte zu einer Verbesserung des Schutzniveaus dieser Nutzung führen. Eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, die die Rechtsstellung einer Nutzung über ihr früheres Schutzniveau erweitert, bedingt weder eine rechtliche noch eine tatsächliche Beeinträchtigung derselben. Das Mischungsverhältnis soll aber die einzelnen Nutzungen nur vor einer Verschlechterung, nicht aber vor einer Verbesserung des gebietsspezifischen Schutzes der Nutzung bewahren. Ausschlaggebend ist daher, wie sich die rechtliche Situation für die das Mischungsverhältnis ändernde Nutzung bei einer tatsächlichen Veränderung entwickelt. Durch das Umkippen des Baugebiets infolge der Mischungsverhältnisänderung kann der Bebauungsplan zumindest hinsichtlich der Festsetzungen der Art der baulichen Nutzung funktionslos werden und die Festsetzung des Baugebiets nach der BauNVO ihre Gültigkeit verlieren.222 Die rechtliche Situation beurteilt sich in solch einem Fall allgemein nach § 34 Abs. 2 BauGB. Über diese Vorschrift käme dann wieder eine Gebietsvorschrift der BauNVO zur Anwendung, soweit die tatsächlichen Verhältnisse einem Baugebiet entsprächen, die verstärkt den das Umkippen auslösenden Nutzungen dienen müßte. Geht man mit der Rechtsprechung223 davon aus, daß der 222 Ausführlich zum Funktionsloswerden des Bebauungsplans infolge der Veränderung des Mischungsverhältnisses 2. Teil, 2. Kap., C Π 5. 223 Vgl. hierzu das Urteil des BVerwG vom 16.09.1993, DVB1 1994, 285.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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Drittschutz bei Anwendung der BauNVO über § 34 Abs. 2 BauGB demjenigen der Anwendung über § 1 Abs. 3 BauNVO entspricht224, so hätte in diesem Fall die Veränderung des Baugebiets eine Ausdehnung des Schutzbereichs der das Mischungsverhältnis ändernden Nutzung zur Folge. Soweit aber die tatsächlichen Verhältnisse nicht einem Baugebiet nach der BauNVO entsprechen, wäre beim dann maßgeblichen § 34 Abs. 1 BauGB der Schutz allein auf das Rücksichtnahmegebot nach der h. M. beschränkt, das eine tatsächliche Beeinträchtigung der Interessen verlangt. Der feingliedrige Schutz der Baugebietsvorschriften ginge damit auch für die gebietsändernde Nutzung verloren. Zudem enthält die Umwandlung in ein anderes Baugebiet nach der BauNVO auch Einschränkungen für diese Nutzungen. Mit der Änderung des Baugebiets geht eine Änderung der Störintensität einher, die durchaus auch nachteilig für die gebietsändernden Nutzungen ist. Zwar entspricht das neue zulässige Störpotential mehr demjenigen der gebietsändernden Nutzungen, indem es entweder gegenüber dem früher zulässigen steigt oder fallt. Bei einer gesteigerten Störintensität sind die Nutzungen aber auch den stärkeren Störungen ausgesetzt und bei einer abnehmenden Störintensität dem niedrigeren Störgrad unterworfen. Darüber hinaus verletzt das Umkippen des Baugebiets auch das allgemeine Interesse an der plangemäßen Ausgestaltung des Baugebiets entsprechend dem Mischungsverhältnis, das infolge des Funktionsloswerdens nicht mehr verwirklicht werden kann. Insgesamt liegt dementsprechend auch bei der gebietsverändernden Nutzung eine rechtliche Beeinträchtigung ihrer durch das Mischungsverhältnis geschützten Interessen vor, so daß auch diese Nutzungen unter den personalen Anwendungsbereich fallen.

D. Der Drittschutz durch die Ausnahmeregelungen der §§ 2-9 BauNVO L Schutz gegen gebietsfremde Vorhaben Die Gebietsvorschriften der §§ 2-9 BauNVO enthalten im jeweiligen Absatz 3 Regelungen über ausnahmsweise zulässige Anlagen. Auch die Ausnahmeregelungen haben drittschützenden Charakter, da sie den durch das Aus-

224 Zum Problem des Drittschutzes über die BauNVO bei § 34 Abs. 2 BauGB vgl. 2.Teil, 7. Kap.

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

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tauschverhältnis vermittelten Ausgleich der verschiedenen individuellen Nutzungsinteressen mitgestalten. Der Austausch vollzieht sich insgesamt über alle zulässigen Nutzungen des Baugebiets und ist insofern als eine Einheit zu betrachten. Das durch die Ausnahmetatbestände vermittelte subjektive Recht beschreiben entsprechend den Absätzen 1 und 2 der Gebietsvorschriften die drei Wesensmerkmale der Zweckbestimmung, die generell Drittschutz gegen gebietsfremde wie gebietsverändernde Vorhaben gewähren. Der Drittschutz gegen die gebietsfremden Vorhaben ist bei den Ausnahmetatbeständen identisch mit dem in den Absätzen 1 und 2 der Gebietsvorschriften gewährten. Gebietsfremd sind folglich alle Vorhaben, die nicht unter einen der Nutzungsbegriffe der Ausnahmeregelung fallen oder zwar allgemein einem der weiten Nutzungsbegriffe zuzuordnen sind, nicht aber den durch die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" eingeschränkten.225

IL Drittschutz über das Erfordernis eines Ausnahmetatbestandes? Desweiteren könnten die Ausnahmeregelungen Schutz gegen solche Vorhaben entfalten, die zwar grundsätzlich einer der ausnahmsweise zulässigen Nutzungen angehören, aber die sonstigen Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nicht erfüllen. Was allgemein zu den weiteren Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen gehört, ist umstritten. Ein durchaus heftiger Streit226 herrscht darüber, ob für die ausnahmsweise Zulässigkeit der Anlagen ein besonderer Ausnahmetatbestand gegeben sein muß. Dieser Ausnahmetatbestand soll darin bestehen, daß bei ausnahmsweise zulässigen Anlagen eine gewisse funktionelle Zuordnung zur jeweiligen Gebietsart bestehen müsse.227 Träfe diese Annahme zu, so müßte man darin einen weiteren sachlichen Anwendungsfall für den Drittschutz durch die Ausnahmeregelungen sehen. Bei Fehlen des

225

Zu den Einzelheiten 2. Teil, 2. Kap., C I. Vgl. hierzu die Ausführungen von Fickert/Fieseler, BauNVO Vorb. §§ 2 ff. Rn. 6 ff., § 2 Rn. 25.18 ff. und Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 56, 60 sowie Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauGB Rn. 16. 227 So ausdrücklich Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 6, 6.5, § 2 Rn. 25.17 ff., 25.25; allgemein für einen Ausnahmetatbestand Hoppe, in: Hoppe/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 8 Rn. 19; Schlichter, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, § 31 Rn. 9, 13; grundsätzlich Erwe, Ausnahmen und Befreiungen, S. 46 f. 226

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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funktionalen Zusammenhangs mit der Gebietsart stünde die Anlage nämlich im Widerspruch zum Merkmal „Funktionsbestimmung" und wäre damit als gebietsfremdes Vorhaben einzuordnen. Für den Drittschutz kommt es dementsprechend entscheidend darauf an, ob die Ausnahmeregelungen im jeweiligen Absatz 3 der §§ 2-9 BauNVO einen derartigen allgemeinen Ausnahmetatbestand fordern. Allgemein findet das Erfordernis spezieller Ausnahmetatbestände seine Grundlage in der Dogmatik von Regel und Ausnahme im Normensystem.228 Danach haben die Ausnahmeregelungen ihren Ursprung im Konflikt von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit.229 Während die Rechtssicherheit durch ihre formelle Aussage nur die Stetigkeit der Rechtsregelung, die gleichmäßige Anwendung positiven Rechts gewährleistet und dadurch die Voraussehbarkeit der Rechtsfolge ermöglicht, erhebt die Gerechtigkeit den materiellen Anspruch an Rechtsetzung wie Rechtsanwendung, Gleiches gleich, aber Ungleiches ungleich zu behandeln.230 Ausnahmeregelungen als Lösung dieses Konflikts erfassen dementsprechend diejenigen atypischen Fälle, die von der abstraktgenerellen Regelung, von der abgewichen werden soll, nicht bedacht, in sie nicht eingeschlossen wurden.231 Vor diesem Hintergrund erschließt sich die Notwendigkeit eines besonderen Grundes, d. h. einer atypischen Situation für die Ausnahme als Abweichung von der bindenden Regel von selbst. Solche Ausnahmeregelungen verlangen neben einer quantitativen Beschränkung der Ausnahmen gegenüber den der allgemeinen Regelung entsprechenden Anwendungen, daß sich die Ausnahme durch eine Besonderheit vom Normfall unterscheidet, den der Gesetzgeber mit seiner grundsätzlich zwingenden Norm treffen wollte.232 Die so verstandenen Ausnahmeregelungen erhalten auch eine verfassungsrechtliche Absicherung insbesondere durch das Eigentum und dessen Sozialbindung in Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG, da die typisierten Vorschriften notwendigerweise einen Regelungsüberhang für die atypischen Fäl-

228 Zu den allgemeinen Grundlagen und der geschichtlichen Entwicklung von gesetzlichen Ausnahmen vgl. Mußgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften. 229 Zu dieser Problematik im Baurecht Erwe, Ausnahmen und Befreiungen, S. 63 ff. 230 Henkel, Recht und Individualität, S. 16, 24 f. 231 Weinberger, Logische Analyse in der Jurisprudenz, S. 166, 190; BVerwGE 23, 149 (158) auf die Bedeutung von Härteregelungen bezogen; ähnlich BVerfGE 60, 16 (39) zur Härteregelung § 87 Abs. 1 BVG. 232 So Mußgnug, Der Dispens, S. 65.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

le enthalten.233 Das insoweit Überschießende entspricht nicht mehr dem Zweck der allgemeinen Regelung und unterliegt infolgedessen nicht der Sozialbindung.234 Die Ausnahmeregelungen sichern durch das Auffangen dieser Fälle die Verfassungsgemäßheit der allgemeinen Regelungen. Eine derartige Ausnahmeregelung enthalten jedoch die Absätze 3 der §§ 29 BauNVO nicht. So durchbrechen die ausnahmsweise zulässigen Tatbestände nicht die abstrakt-generellen Regelungen der Absätze 1 und 2, um atypische Fälle einer gerechten Regelung zuzuführen. Vielmehr beschränken die Ausnahmeregelungen allein in quantitativer Hinsicht die Zulässigkeit bestimmter Anlagen. Die Absätze 3 der Baugebietsvorschriften vervollständigen in diesem Sinne das gebietstypische, allgemeine Mischungsverhältnis der Nutzungen, ohne daß die ausnahmsweise zulässigen Nutzungen irgendeine gebietsprägende Wirkung entfalten. Diese Einordnung der Ausnahmen nach den Absätzen 3, die bereits der Wortlaut nahelegt, findet ihre Bestätigung darin, daß der Ortsgesetzgeber nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO die Ausnahmen auch für ein Baugebiet insgesamt ausschließen darf. Eine derartige Ermächtigung wäre aber nach dem obigen Verständnis von Ausnahmeregelungen verfassungswidrig, da aufgrund des Ausschlusses der Ausnahmen die atypischen, nicht von der Sozialbindung gedeckten Fälle dann doch wieder von den allgemeinen Regelungen erfaßt wären. Die Verfassungsgemäßheit der Ermächtigung nach § 1 Abs. 6 BauNVO ist indessen nie bezweifelt worden, weil den Ausnahmeregelungen der Baugebietsvorschriften eine ganz andere Funktion zukommt. Sie sollen lediglich bestimmte Nutzungen zahlenmäßig begrenzen, die zwar eine sinnvolle Ergänzung der allgemein zulässigen Nutzungen darstellen, deren Eigenart aber der allgemeinen Zweckbestimmung eher widerspricht.235 Den ausnahmsweise zulässigen Nutzungen kommt dementsprechend auch gerade keine gebietsprägende Bedeutung zu. Den Gebietscharakter bestimmen die allgemein zulässigen Nutzungen, denen eine prägende Wirkung nach der allgemeinen Zweckbestimmung für das Baugebiet innewohnt. Die Rechtfertigung der Ausnahmeregelungen als quantitative Schranken ist darin zu sehen, daß

233

Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Ausnahmeregelungen im Baurecht vgl. Erwe, Ausnahmen und Befreiungen, S. 69 f f ; grundsätzlich, insbesondere hinsichtlich der drittschützenden Bedeutung vgl. 1. Teil, 3. Kap., Β Π. 234 Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 31 BauGB Rn. 5; Erichsen, DVB1 1967, 269 (270) auf den Dispens nach § 31 Abs. 2 BBauG bezogen; allgemein für Ausnahmen und Befreiungen nach § 31 BauGB Erwe, Ausnahmen und Befreiungen, S.76. 235 Ähnlich Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauGB Rn. 17.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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die allgemeine Zulässigkeit der in ihnen enthaltenen Vorhaben den Gebietscharakter als städtebauliches Ziel des Baugebiets verändern und damit auch den darin bestimmten Ausgleich der Nutzungsinteressen beeinträchtigen würde. Schließlich spricht gegen das Erfordernis von besonderen Ausnahmetatbeständen, daß die damit zu regelnden Probleme entweder allein durch § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO oder die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" der allgemeinen Zweckbestimmung gelöst werden können. Die Ausnahmegründe ergeben sich entweder aus der örtlichen Situation des Vorhabens oder aber aus der besonderen Art der Nutzung. Die atypische Situation, die von den konkreten, tatsächlichen Umständen des Einzelfalls herrührt, findet allein über § 15 Abs. 1 BauNVO ihre Berücksichtigung. Eine derartige Bezugnahme auf örtliche Besonderheiten können die Baugebietsvorschriften als abstrakt-generelle Regelungen auch gar nicht leisten. Die sich aus den tatsächlichen örtlichen Umständen ergebenden Probleme erfaßt allein § 15 Abs. 1 BauNVO, der die Eigenart des Baugebiets in der konkreten Umgebung des jeweiligen Vorhabens absichert. So ist ζ. B. eine unter die Ausnahmen im Wohngebiet fallende Tankstelle, die nach allen Seiten von Wohngebäuden umgeben ist, nicht zulässig, da sie ihrer Lage nach der Eigenart des Wohngebiets widerspricht, nicht aber, weil es an einem Ausnahmetatbestand mangelt. Liegt die Tankstelle hingegen auf einem Eckgrundstück und stört sie daher nicht die Wohnbebauung, widerspricht sie auch nicht der Eigenart des Baugebiets nach § 15 Abs. 1 BauNVO. Ihre Zulässigkeit folgt damit aber nicht aus diesem „Ausnahmetatbestand". Soweit sich die Besonderheit aus dem funktionalen Zusammenhang mit der Eigenart des Baugebiets erschließen soll, betrifft dies die offenen Nutzungsbegriffe wie ζ. B. die nicht störenden Gewerbebetriebe in § 2 Abs. 3 Nr. 4 BauNVO. Die notwendigen Eingrenzungen ergeben sich in diesen Fällen aus den Merkmalen „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" der jeweiligen Gebietsvorschrift. Die Ausnahmeregelungen der Absätze 3 in den Gebietsvorschriften erfordern damit aus normtheoretischer Sicht keine besonderen Ausnahmetatbestände, ebensowenig wie diese zur Erhaltung der Gebietsart zwingend notwendig sind. Ein dementsprechendes Erfordernis ist damit insgesamt abzulehnen.236

236

Das entspricht auch der h. M. in der Literatur, vgl. Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauGB Rn. 16 ff.; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 56; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 31 BauGB Rn. 25; Bie-

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

IL Schutz gegen gebietsverändernde Vorhaben Wie bereits im Wortlaut angedeutet, muß die ausnahmsweise zulässige Anlage gegenüber allen anderen allgemein zulässigen Nutzungen im Baugebiet eine Ausnahme in quantitativer Hinsicht darstellen.237 Auch aufgrund ihrer systematischen Stellung setzen die Ausnahmeregelungen nach den Absätzen 3 der Baugebietsvorschriften die danach zulässigen Nutzungen in ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu den in den Absätzen 1 und 2 aufgezählten allgemein zulässigen Anlagen. Neben den quantitativen Aspekt tritt dementsprechend der qualitative, daß die Ausnahmen in keiner Weise das Gebiet prägen dürfen. 238 Die Ausnahmeregelungen erweitern damit inhaltlich das gebietstypische Mischungsverhältnis, indem sie das Mischungsverhältnis zwischen den allgemein und den ausnahmsweise zulässigen Nutzungen festlegen. Das Erfordernis des Regel-Ausnahme-Verhältnisses hat als Teil des Wesensmerkmals „Mischungsverhältnis" drittschützende Wirkung, da das Mischungsverhältnis Funktionsbestimmung und Störgrad des Baugebiets bestimmt und damit Stör- und Konfliktfreiheit im Baugebiet sichert.239 Aus dem Verstoß gegen das Mischungsverhältnis bei Ausnahmeregelungen erwächst der zweite sachliche Anwendungsfall des Drittschutzes, der zur Kategorie der gebietsverändernden Vorhaben zählt. Ein solcher Verstoß liegt vor, soweit ein Vorhaben bei seiner Zulassung das Regel-Ausnahme-Verhältnis von allgemein und ausnahmsweise zulässigen Vorhaben in quantitativer oder/und qualitativer Hinsicht zum Umkippen bringen kann. Das Umkippen führt als Veränderung des Mischungsverhältnisses im Baugebiet insgesamt zu einer Gesamtstörung des Baugebiets, die die Gefahr des Funktionsloswerdens der Gebietsfestsetzung und damit den Verlust der Stör- und Konfliktfreiheit in sich trägt.240 Der über die Ausnahmeregelung vermittelte Drittschutz erweist sich dabei als abstraktlenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 59; Schlichter, in Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, § 31 Rn. 16. 237 Allg. Α., vgl. nur Söjker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, §31 BauGB Rn. 25; Schlichter, in: Schlichter/Stich , Berliner Kommentar, § 31 Rn. 16; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauGB Rn. 16; Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. Rn. 6; Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 Rn. 12. 238 Ebenso Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauNVO Rn. 17 239 Allgemein zum Drittschutz über das Mischungsverhältnis 2. Teil, 2. Kap., C II. 240 Auf die Gefahr des Umkippens weist auch der VGH BW, VB1BW 1996, 24 (26) ausdrücklich für die Zulassung einer Ausnahme nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO hin; ebenso allgemein Schlichter, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, § 31 Rn. 16.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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genereller Art, der neben der Möglichkeit der Gebietsveränderung keine weitere tatsächliche Beeinträchtigung des Dritten verlangt. Nach der heute noch überwiegenden Meinung findet der aus diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis hergeleitete Drittschutz seine Verankerung in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unter dem Merkmal „Anzahl", wobei auf das Rücksichtnahmegebot zurückgegriffen wird.241 Wie bereits zum Drittschutz vor gebietsverändernden Vorhaben in den Absätzen 1 und 2 der §§ 2-9 BauNVO nachgewiesen wurde, vermag § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO einen auf das gesamte Baugebiet bezogenen Drittschutz gerade nicht zu leisten.242 Die Vorschrift beschränkt sich aufgrund ihrer Systematik ebenso wie ihres Anwendungsbereichs auf den konkreten Einzelfall in seiner konkreten Umgebung. Die Absätze 3 der Baugebietsvorschriften normieren dagegen das Austauschverhältnis der individuellen Nutzungsinteressen hinsichtlich der ausnahmsweise zulässigen Anlagen fur das jeweilige Baugebiet durch die Festschreibung eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses von allgemein und ausnahmsweise zulässigen Anlagen. Damit scheidet eine Verankerung des Drittschutzes der Ausnahmeregelungen in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO aus. Dieser Erkenntnis folgend sehen mittlerweile einige die nachbarschützende Wirkung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses im jeweiligen Absatz 3 der Gebietsvorschriften verwurzelt.243

241

Dieser Auffassung sind: Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauGB Rn. 22; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, §2 BauNVO Rn. 17c, 55, 60, § 15 Rn. 82, der jedoch einen abstrakt-generellen Drittschutz ohne Rückgriff auf das Rücksichtnahmegebot postuliert; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, §31 BauGB Rn. 27; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, §15 BauNVO Rn. 26; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 10; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 9; Schlichter, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, § 31 Rn. 16; lediglich nur objektiv: Förster, BauNVO, § 15 Anm. 3 b) aa) und Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 23. 242 2. Teil, 2. Kap., C Π 3. 243 So erkennen Fickert/Fieseler, BauNVO, § 2 Rn. 2.1 ein Abwehrrecht des Nachbarn „gegen die vermehrte Zulassung sonstiger Wohngebäude nach Abs. 3 Nr. 1 (an), sofern hierdurch die Eigenart des WS-Gebiets nicht mehr gewahrt bleibt". Damit setzen sich Fickert/Fieseler allerdings in Widerspruch zu ihren Anmerkungen bei § 15 Rn. 10. Für einen im Absatz 3 verankerten Drittschutz auch Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 61, § 3 Rn. 26, der damit auch seinen Ausführungen zu § 15 Rn. 26 widerspricht. Von einer Verankerung in der Gebiets Vorschrift gehen Bender/Dohle, Nachbarschutz in Zivil- und Verwaltungsrecht, Rn. 193 aus, ebenso der VGH BW, VB1BW 1996, 24 (25 f.).

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

IV» Die Bedeutung des Ermessens Die Absätze 3 der Baugebietsvorschriften räumen der Baubehörde nach allgemeiner Auffassung ein Ermessen bei der Beurteilung der ausnahmsweisen Zulässigkeit eines Vorhabens ein, da nach dem Wortlaut der Ausnahmetatbestände die Behörde eine Ausnahme erteilen „kann".244 Welche Bedeutung Ermessensvorschriften für den Drittschutz im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis haben, ist bislang noch nicht eingehend untersucht worden. Grundlegende Ausführungen gibt es jedoch teilweise zum Problem der Ausgestaltung von Ausnahmeregelungen als Ermessensvorschriften für den Drittschutz.245 Hierzu wurde zunächst die Auffassung vertreten, daß ein Dritter die Ausnahmegenehmigung erst dann abwehren könne, wenn feststehe, daß keine andere Ermessensentscheidung als die Versagung der Ausnahme rechtmäßig ist.246 Der Nachbar könne sich nur auf die auch seinem Interesse dienenden Schranken der Ausnahmevorschrift berufen. Entscheidend sei daher allein, „ob die in einer Ausnahmevorschrift gezogenen Schranken oder die das Ermessen eröffnenden Tatbestandsvoraussetzungen auch dem Schutz des Nachbarn dienen."247 Mit der Anerkennung, daß die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung generell drittschützend sind, wird heute unter Aufgabe der vorgenannten Differenzierungen ein subjektiver Abwehranspruch des Nach-

244

Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 6.5 f.; Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 706 f f ; allgemein auf die Ausnahmen nach § 31 Abs. 2 BauGB bezogen: Schlichter, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, § 31 Rn. 15; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauGB Rn. 19 ff.; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, §2 BauNVO Rn. 51 ff.; Söjker, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 31 BauGB Rn. 26. 245 Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 695 ff.; Erwe, Ausnahmen und Befreiungen im öffentlichen Recht, S. 176 f.; Kübler/Speidel, Handbuch des Baunachbarrechts, Π Rn. 13-21. 246 Ausdrücklich Kübler/Speidel, Handbuch des Baunachbarrechts, Π Rn. 14 ff., mit umfassenden Nachweisen aus der Literatur; Bay VGH, BRS 44, Nr. 166; OVG NW, BRS 40, Nr. 211; etwas einschränkender Dyong, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BBauGB, § 31 BBauGB Rn. 114, der dies als Voraussetzung für ein endgültiges Obsiegen des Nachbarn mit der Aufhebungsklage ansieht. 247 Kübler/Speidel, Handbuch des Baunachbarrechts, Π Rn. 16, unter Hinweis insbesondere auf Laubinger, Der Verwaltungsakt mit Doppel Wirkung, S. 52, Meyer, DWW 1962, 133 (136) und Rupp, Grundlagen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 206, denen eine derartig eindeutige Unterscheidung jedoch nicht zu entnehmen ist.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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barn angenommen, soweit die Ausnahmegenehmigung nicht insgesamt rechtmäßig war. 248 Zutreffender Ausgangspunkt für die Frage der Auswirkungen des Ermessens ist die Unterscheidung danach, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen oder die Grenzen des Ermessens in der jeweiligen Vorschrift drittschützend sind. Infolge der Aufgabe dieser Differenzierungen in der neueren Literatur und Rechtsprechung bleibt im Unklaren, woraus sich die Verletzung des subjektiven Rechts ergibt.249 Es kann dabei zunächst nicht ernstlich fraglich sein, daß die Verletzung einer rein objektiven Tatbestandsvoraussetzung oder Ermessensgrenze den subjektiven Abwehranspruch nicht aktiviert. Ohne Auswirkungen ist das Ermessen darüber hinaus, soweit drittschützende Wirkung allein auf der Tatbestandsseite begründet ist, die Tatbestandsmerkmale also nachbarschützenden Charakter aufweisen. Soweit eine in der Ausnahmevorschrift verankerte Ermessensgrenze sich als drittschützend erweist, könnte sich das Ermessen auch auf den Drittschutz auswirken. Für die Frage der Bedeutung des Ermessens kann auf die allgemein anerkannten Grundsätze aus dem bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis zurückgegriffen werden. Der Einzelne kann dort bei einer ihn schützenden Ermessensnorm als subjektive Rechtsverletzung Ermessensfehler, nämlich Ermessensüberschreitung, Ermessensnichtgebrauch und Ermessensfehlgebrauch 250 geltend machen und dadurch eine erneute Entscheidung erwirken. Ein Anspruch auf eine bestimmte Entscheidung besteht nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null.251 Soweit der Einzelne eine ihn belastende, auf einer Ermessensnorm beruhende Maßnahme abwehren will, erfolgt die Aufhebung aber bereits bei jedem Ermessensfehler. Diese Grundsätze lassen sich auf das mehrpolare Verwaltungsrechtsverhältnis

248 Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 703; Sendler, BBauBl 1968, 63 (64); Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 105; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 168; dafür wohl auch Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauGB Rn. 22; Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§29 ff. Rn. 58; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 31 BauGB Rn. 27; aus der Rspr. OVG Lüneburg, BauR 1983, 150; dass., NVwZ-RR 1993, 532; OVG Berlin, BRS 20, Nr. 167; VGH BW, VB1BW 1996, 24. 249 Dies gilt insbesondere für die Ausführungen von Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 700 ff.; offen insoweit auch OVG Lüneburg, NVwZRR 1993, 532; VGH BW, VB1BW 1996, 24. 250 Zum Schutz im bipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis bei Ermessen allgemein Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 31 Rn. 44 ff., 54 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 19 ff. 251 Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 31 Rn. 55 m. w. N.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

übertragen, da der Dritte nicht mehr Schutz als der direkt von der Maßnahme Betroffene verlangen kann. Bei der Abwehrklage des Nachbarn geht es um die Aufhebung einer ihn belastenden Maßnahme. Der Nachbar kann folglich ebenfalls Ermessensfehler bei der Ausnahmegenehmigung als subjektive Rechtsverletzung geltend machen, jedoch nur, wenn der Ermessensfehler zugleich eine Verletzung einer drittschützenden Ermessensschranke enthält. Auf andere objektive Ermessensfehler kann sich der Dritte dagegen nicht berufen, weil es bei ihnen an einer eigenen subjektiven Rechtsverletzung des Dritten mangelt. Letztlich kommt dem Ermessen in einer drittschützenden Norm folglich keine besonders einschränkende Wirkung zu. Der Nachbar kann lediglich nicht jeden Ermessensfehler geltend machen, sondern nur solche Fehler, die zugleich eine drittschützende Ermessensgrenze verletzen. Bevor die drittschützenden Merkmale in den Absätzen 3 der §§ 2-9 BauNVO danach untersucht werden sollen, ob sie zu den Tatbestandsvoraussetzungen oder Ermessensgrenzen gehören, sei kurz darauf hingewiesen, daß Ziel des Drittschutzes durch die Ausnahmeregelungen allein die Aufhebung der Baugenehmigung ist. Die darüber hinausgehende Frage, ob auch ein Anspruch auf Abriß des bereits rechtswidrig errichteten Baus besteht,richtetsich nach dem Bauordnungsrecht und ist nicht Gegenstand dieser Arbeit.252 In den Ausnahmeregelungen weisen einen drittschützenden Charakter einerseits die in den Absätzen 3 der §§ 2-9 BauNVO festgelegten Nutzungskataloge zusammen mit den Merkmalen „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" aus der jeweiligen Gebietsvorschrift auf. Die Nutzungskataloge der Ausnahmetatbestände betreffen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ausnahmeregelung. Nur bei Vorliegen eines Vorhabens, das unter die ausnahmsweise zulässigen Nutzungen fallt, ist die Ermessensentscheidung über die Zulassung des Vorhabens nach Absatz 3 der Gebietsvorschrift eröffnet. Der Schutz gegen gebietsfremde Vorhaben wird durch die Einräumung des Ermessens mithin nicht berührt. Die Zulassung eines gebietsfremden Vorhabens enthält immer eine objektive wie subjektive Rechtsverletzung, die zur Aufhebung der Baugenehmigung führt. Als drittschützend erweist sich in den Ausnahmeregelungen andererseits das Merkmal des Regel-Ausnahme-Verhältnisses, das Bestandteil des als nachbarschützend erkannten gebietstypischen Mischungsverhältnisses ist. Die-

252 Für diese Problematik sei allgemein auf die Ausführungen von Finkelnburg/Ortloff Öffentliches Baurecht, Bd. Π, § 19 Π, verwiesen.

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ses Merkmal gehört zu den Grenzen des Ermessens, zur Rechtsfolgenseite der Ausnahmevorschriften. 253 Die Genehmigungsbehörde kann ein Vorhaben nach den Absätzen 3 der §§ 2-9 BauNVO nur als Ausnahme zulassen. Während die Zugehörigkeit zu einem der Nutzungskataloge der Ausnahmeregelungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift zählt, betrifft die Genehmigung als Ausnahme allein die Rechtsfolgenseite, das Ermessen. Darin verankert ist die drittschützende Ermessensschranke des Regel-AusnahmeVerhältnisses, wonach die Zulassung des Vorhabens nicht zu einem Umkippen des Mischungsverhältnisses zwischen den allgemein und ausnahmsweise zulässigen Vorhaben führen darf. Die Zulassung eines das Regel-AusnahmeVerhältnis überschreitenden, also gebietsverändernden Vorhabens stellt folglich eine Ermessensüberschreitung dar, die zugleich eine subjektive Rechtsverletzung enthält und zur Aufhebung der Ausnahmegenehmigung führt. Da weitere subjektive Ermessensgrenzen den Ausnahmeregelungen nicht zu entnehmen sind, führen alle anderen möglichen Ermessensfehler im Rahmen der Entscheidung nach dem jeweiligen Absatz 3 der §§ 2-9 BauNVO nicht zu einer Verletzung des subjektiven Rechts.

E. Sonderfälle des Drittschutzes in den einzelnen Gebietsvorschriften L Einteilung der Sonderfälle Der Nachbarschutz innerhalb der einzelnen Gebietsvorschrift erfaßt - unterschieden nach den Absätzen - jeweils die gesamte Regelung, d.h. grundsätzlich jede einzelne Bestimmung. Die Gebietsvorschriften der §§ 2-9 BauNVO beinhalten jedoch einige Sonderfälle, bei denen fraglich ist, ob sie überhaupt oder in welchem Umfang sie drittschützenden Charakter besitzen. Zu diesen

253

So auch die überwiegende Auffassung, vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 31 BauGB Rn. 25; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauGB Rn. 19; Schlichter, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, §31 Rn. 16; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 26; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 52, 56, § 15 BauNVO Rn. 82; VGH BW, VB1BW 1996, 24 (26); a. A. Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 6.8, § 2 Rn. 25.2.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Sonderfällen zählen die §§ 2 Abs. 3 Nr. 1, 4a Abs. 4, 6 Abs. 2 Nr. 8, 7 Abs. 4 BauNVO.

IL Den Drittschutzcharakter insgesamt betreffende Sonderfalle 1. Zwei-Wohnungs-Klausel

in § 2 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO

Der Drittschutzcharakter von „Zwei-Wohnungs-Klauseln" in der BauNVO ist schon seit langem umstritten. Bis zur Novelle von 1990 enthielten die §§ 2 Abs. 3 Nr. 1, 3 Abs. 4, 4 Abs. 4 BauNVO eine solche Klausel, wobei die §§ 3 Abs. 4, 4 Abs. 4 BauNVO die Gemeinde zur Festsetzung der Wohnungszahl im Bebauungsplan ermächtigte und § 2 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO eine grundsätzliche Ausnahmeregelung normierte. Mit der Novelle von 1990 befindet sich nur noch in § 2 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO eine Zwei-Wohnungs-Klausel.254 Nach dieser Vorschrift sind ausnahmsweise sonstige Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen zulässig. Drittschutzcharakter kommt unzweifelhaft dem Merkmal des Wohngebäudes zu, da es als Festsetzung der Art der baulichen Nutzung mit am Austauschverhältnis des Baugebiets partizipiert und individuellen Nutzungsinteressen dient. Fraglich ist aber, ob auch die Wohnungsklausel als Qualifizierung des Wohngebäudes den Nachbarschutzcharakter teilt. Kernpunkt der Nachbarschutzproblematik ist bei der Zwei-WohnungsKlausel das Interessenschutzkriterium, zu dessen Erfüllung die Klausel den Interessen des Einzelnen zu dienen bestimmt sein müßte. Dagegen spricht, daß die Begrenzung auf zwei Wohnungen allein dem wohnungspolitischen Ziel der Familienheimförderung nach dem II. WoBauG, also einem öffentlichen Interesse dienen könnte.255 Wohnungspolitisches Ziel dieses Gesetzes ist u.a. die planungsrechtliche Bereitstellung von Bauland für Familienheime im

254

Hintergrund für das Streichen der Ermächtigungen nach §§3 Abs. 4, 4 Abs. 4 BauNVO ist, daß mittlerweile gem. § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB allgemein bei Vorliegen besonderer städtebaulicher Gründe die höchstzulässige Zahl der Wohnungen festgesetzt werden kann. 255 So argumentiert Grabe, BauR 1986, 258; ebenso Hess VGH, B. v. 09.09.1969 - 4 TH 40.69 -, zitiert bei Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 3 BauNVO Rn. 28.

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Sinne des Wohnbaurechts bei der Aufstellung von Bebauungsplänen durch die Gemeinde. Unter den Begriff der Familienheime fallen nach § 7 II. WoBauG u.a. Eigenheime, worunter gem. § 9 II. WoBauG Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen zu verstehen sind. Zudem könnte man annehmen, daß die Wohnungszahl keine äußeren Wirkungen zeigt, sondern nur die innere Struktur eines Gebäudes betrifft. Mangels äußerer Wirkung könnte die Wohnungszahl eines Gebäudes die vorhandene Bebauung dann auch nicht stören.256 Ließen sich keine weiteren individuellen Interessen feststellen, die grundsätzlich mit der Festsetzung einer Zwei-Wohnungs-Klausel verbunden sind und diese begründen könnten, so müßte man einen Drittschutzcharakter der Klausel im Regelfall ausschließen.257 Ausreichend für das Vorliegen des Interessenschutzkriteriums ist, daß die Klausel auch individuellen Interessen dient. Für einen Schutz auch solcher Interessen spricht zunächst, daß es sich bei der Zwei-Wohnungs-Klausel nicht um eine Bestimmung über das Maß der baulichen Nutzung handelt, da die Wohnungszahl keinen unmittelbaren Einfluß auf die Größe und damit Baumasse der Wohngebäude nimmt. Vielmehr legt die Wohnungszahl die Art der baulichen Nutzung, genauer die Art der Nutzung eines Wohngebäudes fest. 258 So bezeichnet § 9 II. WoBauG diese Art von Wohngebäuden als Eigenheime. Die Begrenzung auf zwei Wohnungen je Wohngebäude erzeugt zudem entgegen der obigen Annahme Außenwirkungen, die die Art der Nutzung betreffen. Eine derartige Begrenzung verhindert das Entstehen von Wohnsilos mit unzähligen Wohnungen und unterstützt eine familienfreundliche Wohnstruktur. 259 Die Zwei-Wohnungs-Klausel sichert somit Wohnruhe und Wohnkultur eines Baugebiets, die gerade auch den Interessen des Einzelnen dienen. Dem entspricht auch das wohnungspolitische Ziel der Schaflung von Eigenheimen. Mit dem öffentlichen Interesse an Familienheimen nach dem II. WoBauG sind folglich zugleich auch individuelle Interessen verbunden.

256

Dieser Auffassung ist das OVG Bremen, BauR 1989, 456 (457) unter Hinweis auf OVG Bremen, BRS 35 Nr. 28. 257 So Schmaltz , in: FS Schlichter, S. 583 (593). 258 Mittlerweile allg. Α., vgl. nur BVerwG, BauR 1981, 45 (47); bestätigt in BVerwGE 89, 69 (80) und BVerwG, BauR 1993, 581 (582); OVG Saarland, BRS 36 Nr. 198 (S. 398); OVG Berlin, BauR 88, 454 (456); Fickert/Fieseler, BauNVO, § 3 Rn. 20.9; unentschieden Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 3 BauNVO Rn. 28; Mampel, Nachbarschutz, Rn. 732. 259 Hierfür auch Förster, BauNVO, § 3 Anm. 4.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Die Zwei-Wohnungs-Klausel erfüllt unproblematisch auch das Rechtsmachtkriterium. Auch die ausnahmsweise zulässigen Nutzungen nehmen am Austauschverhältnis des Baugebiets teil, da sie den Ausgleich mitbestimmen und insbesondere der Funktionsbestimmung und dem Störgrad entsprechen müssen. Die Zwei-Wohnungs-Klausel umschreibt Störgrad und Funktion der ausnahmsweise zulässigen Wohngebäude, da sie dadurch u.a. Wohnruhe und Wohnkultur sichert. Allein Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen entsprechen auch der Funktionsbestimmung und dem Störgrad im Kleinsiedlungsgebiet. Dies ergibt sich daraus, daß auch die Hauptnutzungen nach § 2 Abs. 1 BauNVO, Kleinsiedlungen und Wohngebäude mit entsprechenden Nutzungsgärten, lediglich zwei Wohnungen enthalten dürfen. 260 Wohngebäude mit mehr als zwei Wohnungen erzeugen gebietsfremde Störungen und Nutzungskonflikte und sind dementsprechend als gebietsfremde Vorhaben zu bezeichnen, gegen die die Gebietsvorschrift Drittschutz vermittelt. Ein weiteres Argument erschließt sich aus der Einordnung der ZweiWohnungs-Klausel als Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung. So kann nach dem BVerwG die Zwei-Wohnungs-Klausel in §§ 3 Abs. 4, 4 Abs. 4 BauNVO 1962-1977261 geeignet sein, den „Gebietscharakter i. S. einer Bebauung vorwiegend mit Familienheimen zu bestimmen"262. Das BVerwG stellt damit den Bezug der Wohnungsklausel zur Gebietsvorschrift und deren allgemein drittschützendem Charakter her. 2 6 3 Erfolgt eine Festsetzung der Wohnungsklausel nach den §§3 Abs. 4, 4 Abs. 4 BauNVO für das Baugebiet oder einen Teil desselben, so ergibt sich aus der gebietsprägenden Wirkung der Festsetzung für das betreffende Gebiet zwingend ihr grundsätzlicher Drittschutzcharakter.264 Ihren allgemein drittschützenden Charakter verliert die Zwei-Wohnungs-Klausel in § 2 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO auch nicht, wenn sie

260

Allg. Α., vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 2 Rn. 5.2, 6. Auf den Streit, ob die Klauseln in der Fassung von §§3 Abs. 4, 4 Abs. 4 1962-1968 wegen des Wortes „nur" einen ausschließenden Charakter hatten, so daß andere Nutzungen in den Gebieten nicht möglich waren, soll hier nicht eingegangen werden, denn der prägende Charakter der Klauseln änderte sich damit nicht, da sie abschließend die Art der Wohngebäude festlegten und schon aus diesem Grunde gebietsprägende Funktion hatten. 262 BVerwG, BauR 1993, 581 (582); dem folgt Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 3 BauNVO Rn. 28, wenn er für die Wohnungsklausel feststellt, daß die Quantität in Qualität umschlagen könne. 263 Ebenso Fickert/Fieseler, BauNVO, § 3 Rn. 20.9. 264 Diese folgt aus dem Anspruch des einzelnen Grundstückseigentümers auf Erhaltung der Eigenart des Baugebiets, BVerwG, DVB1 1994, 285. 261

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nicht mehr eine gebietsprägende Nutzung (mitbestimmt, sondern lediglich eine ausnahmsweise zulässige Nutzung näher definiert. Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen schützen auch als Ausnahmen die individuellen Interessen der Wohnruhe und Wohnkultur und ergänzen den Wohngebietscharakter der Kleinsiedlungsgebiete.265 Grundsätzlich ist daher von einer drittschützenden Funktion der Zwei-Wohnungs-Klausel in § 2 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO auszugehen, die nur ausnahmsweise bei entsprechenden Bestimmungen des Plangebers im Bebauungsplan ausgeschlossen sein kann.266

2. Festlegung einer bestimmten Geschoßfläche für Wohnungen Nach §§ 4a Abs. 4, 7 Abs. 4 BauNVO kann der Plangeber gem. Satz 1 Nr. 2 im Bebauungsplan festsetzen, daß in Gebäuden ein bestimmter Anteil der zulässigen Geschoßfläche oder eine bestimmte Größe der Geschoßfläche für Wohnungen zu verwenden ist. Dabei unterscheiden sich die Festsetzungsmöglichkeiten nach beiden Vorschriften lediglich darin, daß bei § 4a Abs. 4 Satz 1 BauNVO nicht nur wie bei § 7 Abs. 4 Satz 1 BauNVO die Festsetzung für Teile des Baugebiets, sondern auch für das ganze Baugebiet möglich ist.

a) Der Schutz der Wohnnutzung als Zweck der Festsetzung Bei der drittschützenden Wirkung von Festsetzungen gem. §§ 4a Abs. 4 Nr. 2, 7 Abs. 4 Nr. 2 BauNVO steht zunächst die Frage des Interessenkriteriums im Raum, da für die Festsetzung besondere städtebauliche Gründe erforderlich sind. In Betracht kommen als solche ausschließlich die Sicherung der Wohnnutzung, insbesondere bei § 4a BauNVO auch die Sicherung der Fortentwicklung der Wohnnutzung.267 Diese Schutzzielrichtung schreibt bei § 4a 265 Vgl. zum Gebietscharakter der Kleinsiedlungsgebiete Fickert/Fieseler, BauNVO, § 2 Rn. 2. 266 OVG Berlin, BauR 1988, 454 (455 f.); OVG Saarland, BRS 36 Nr. 198. 267 Vgl. hierzu Boeddinghaus/Franßen/Rhode, BauNVO, § 4a Rn. 32; Knaup/ Stange, BauNVO, § 4a Rn. 59; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4a Rn. 30, die jedoch das Erfordernis lediglich auf die Festsetzungen nach Abs. 4 Nr. 1 begrenzt sehen wollen. 12 Petersen

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

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BauNVO bereits die allgemeine Zweckbestimmung vor, wonach die Wohnnutzung erhalten und fortentwickelt werden soll. Eine Sicherung und Fortentwicklung ist allein mit den Festsetzungen aus den Absätzen 1 bis 3 nicht möglich, sondern erst mit den Instrumenten des Absatzes 4. 268 Bei § 7 BauNVO bestätigt Satz 2 des Absatzes 4 den vorrangigen Schutz der Wohnnutzung als Ziel der Festsetzungsmöglichkeiten nach Absatz 4 Satz 1. Danach kann die Wohnnutzung entgegen der allgemeinen Zweckbestimmung aus § 7 Abs. 1 BauNVO in den bestimmten Gebietsteilen überwiegen. Die schon in der Systematik der Vorschriften begründete Schutzzielrichtung ist auch der amtlichen Begründung für beide Vorschriften zu entnehmen, wonach §§ 4a Abs. 4, 7 Abs. 4 BauNVO jeweils der Sicherung der störungsfreien Wohnnutzung dienen269. Sinn und Zweck von Festsetzungen nach Absatz 4 der §§ 4a, 7 BauNVO ist folglich die Ermöglichung und Sicherung einer wohngebietsartigen Nutzung. Daß die Festsetzungen damit gleichzeitig entsprechende individuelle Interessen an der störungsfreien Wohnnutzung schützen, bedarf keiner weiteren Erörterung.

b) Die Anordnung der Rücksichtnahme als Folge der Festsetzung Die Voraussetzungen des Rechtsmachtkriteriums, und zwar des „Ob" der Rechtsmachterteilung, scheinen bei einer Festlegung der Geschoßfläche für Wohnungen zu fehlen, da Geschoßflächenzahlen wie Grundflächen- und Baumassenzahlen nur das Maß der baulichen Nutzung betreffen und das nachbarliche Austauschverhältnis nicht berühren.270 Die Bestimmung der Geschoßfläche erfolgt jedoch nicht allgemein für alle Nutzungen, sondern ausschließlich für Wohnungen. Wenn die Regelung damit verbindlich einen zwingenden Anteil von Wohnnutzung für jedes Grundstück bestimmt, könnte sie eine gesetzliche Anordnung der Rücksichtnahme auf diese Nutzungsinteressen bzw. einen Ausgleich der möglichen Nutzungsinteressen enthalten. Eine derartige Regelung würde gleichzeitig das Mischungsverhältnis der Wohnnutzung gegenüber den anderen gebietszulässigen Nutzungen genauer, d.h.

268

Ebenso Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4a Rn. 11.1. So BR-Drucks. 261/77, S. 25, 28 f. 270 Vgl. Dyong, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, § 31 BBauG Rn. 143 f.; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 30 BauGB Rn. 89; Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 137, 139c, 141a; Mampel, Nachbarschutz, Rn. 735. 269

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grundstücksbezogen festlegen und damit auch die Wesensmerkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" für das festgesetzte Gebiet nach der grundstücksbezogenen Wohnnutzung konkretisieren. Darin liegt eine grundstücksbezogene Übertragung des Mischungsverhältnisses nach der allgemeinen Zweckbestimmung. Auf jedem einzelnen Grundstück ist allein die Wohnnutzung nach der festgelegten Geschoßfläche entsprechend der allgemeinen Zweckbestimmung zu verwirklichen. Die Anteile der anderen Nutzungen nach der Zweckbestimmung müssen lediglich auf den restlichen Geschoßflächen aller anderen Grundstücke insgesamt vorliegen, damit das Wesensmerkmal des Mischungsverhältnisses gewahrt bleibt. Durch die Geschoßflächenzahlfestsetzung erfolgt eine Feinabstimmung der Wesensmerkmale der allgemeinen Zweckbestimmung auf die Wohnnutzung, die dementsprechend der Wohnnutzung auch eine besondere Rechtsposition einräumt. Dem Wesensmerkmal des Mischungsverhältnisses kommt aber eine drittschützende Funktion zu, da es die subjektive Rechtsposition ausgestaltet.271 Die Sicherung lediglich eines Mindestmaßes der überbaubaren Fläche für die Wohnnutzung reicht zur Anordnung der Rücksichtnahme und eines grundstücksbezogenen Mischungsverhältnisses nicht aus, weil damit nicht gleichzeitig die Verpflichtung gegeben ist, zuerst die Wohnnutzung zu verwirklichen. Vielmehr kann zunächst oder auch ausschließlich eine Nutzung des Grundstücks mit den sonstigen zulässigen Nutzungen bis zur Höhe der nicht reservierten Geschoßfläche erfolgen. Ist keine Mindestnutzung zwingend vorgeschrieben, ist auch keine Rücksichtnahme auf die Wohnnutzung angeordnet, da die Wohnnutzung ausbleiben und verdrängt werden kann. Ohne verpflichtende Mindestwohnnutzung entsteht aber kein Austauschverhältnis. Ein solches scheitert daran, daß der Freihaltungspflicht für Wohnungen kein entsprechender Vorteil zum Ausgleich gegenübersteht. Allein die allgemeine Verpflichtung zur Einhaltung eines bestimmten Höchstmaßes der baulichen Nutzung mit den zulässigen Nutzungsarten enthält ebensowenig einen spezifischen Vorteil wie jede allgemeine Festsetzung über das Maß der baulichen Nutzung. Andererseits erwächst dem Einzelnen bei der Verwirklichung der Wohnnutzung auch kein Vorteil, da alle anderen Regelungsbetroffenen nicht zur Mindestwohnnutzung verpflichtet sind, was allein eine gewisse störungsfreie Wohnnutzung sichern könnte. Zum gleichen Ergebnis führt der Gesichtspunkt des Mischungsverhältnisses. Da eine Mindestwohnnutzung auf 271 Vgl. hierzu die allgemeinen Ausführungen zum Drittschutz durch das Mischungsverhältnis 2. Teil, 2. Kap., C II.

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dem Einzelgrundstück nicht gesichert ist, kann die nicht zwingende Festsetzung der Geschoßfläche für Wohnungen auch kein grundstücksbezogenes Mischungsverhältnis bewirken. Etwas anderes gilt, wenn jedes Grundstück bei Bebauung zwingend einen bestimmten Teil an Wohnnutzung enthalten muß. Die zwingende Mindestanordnung hat zur Folge, daß dem Nachteil der vorbestimmten Wohnnutzung der Vorteil der Wohnruhe infolge der gleichmäßigen Wohnbebauung gegenübersteht. Damit ist ein Austauschverhältnis hinsichtlich der Wohnnutzung begründet, das eine Rücksichtnahme auf dieselbe enthält.272 Gleichzeitig bewirkt die Festsetzung einer Mindestanordnung der Wohnnutzung die Festlegung eines grundstücksbezogenen Mischungsverhältnisses in ihrem Geltungsbereich, in dem die Wohnnutzung überwiegen kann bzw. muß.273 Mit dieser Feinabstimmung des Mischungsverhältnisses erfolgt auch eine genauere, vorwiegend wohnungsorientierte Festlegung von Funktionsbestimmung und Störgrad im Geltungsbereich der Festsetzung.

(1) Mindestanordnung der Wohnnutzung nach der ersten Alternative Die erste Alternative nach Absatz 4 Nr. 2 der §§ 4a und 7 BauNVO ermöglicht die Festsetzung eines bestimmten Anteils der zulässigen Geschoßfläche, der für Wohnungen zu verwenden ist. Der Anteil ist dabei in Prozentzahlen oder Brüchen anzugeben. Durch das Abstellen auf die zulässige Geschoßfläche reserviert die erste Alternative einen bestimmten Teil der insgesamt zulässigerweise bebaubaren Grundstücksfläche für die Wohnnutzung. Wäre alleiniger Bezugspunkt für die vorgeschriebene Wohnnutzung die zulässige Geschoßfläche, so bliebe es bei dieser abstrakten Freihaltungspflicht. Eine weitere damit verbundene Verpflichtung zur vorrangigen Errichtung der Wohnungen bis zum vorgeschriebenen Anteil der Geschoßfläche wäre dann nicht gegeben.274 272

Dem scheint auch Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 4a BauNVO Rn. 66, zuzuneigen, wenn er - etwas zögernd - darauf verweist, daß sich ein subjektives öffentliches Recht bei den Festsetzungen aus einem dem Bebauungsplan zugrundeliegenden Austauschverhältnis oder der Zielrichtung der Festsetzungen ergeben kann. 273 Im besonderen Wohngebiet muß die Wohnnutzung entsprechend der allgemeinen Zweckbestimmung überwiegen, während im Kerngebiet nach Absatz 4 Satz 2 ein Überwiegen der Wohnnutzung lediglich möglich ist. 274 Dieser Auffassung sind Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 4a BauNVO Rn. 63; Βoeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 4a Rn. 32; Fikkert/Fieseler, BauNVO 7. Aufl., § 4a Rn. 33.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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Nach dem Wortlaut der ersten Alternative von Absatz 4 Nr. 2 knüpft die Freihaltungspflicht konkret an die bebaute Fläche an. Der Regelung nach kann „in Gebäuden", also auf der bebauten Fläche, der Anteil der zulässigen Geschoßfläche für Wohnungen reserviert werden. Das bedeutet nicht, daß sich der Anteil der freizuhaltenden Baufläche nach der tatsächlich genehmigten Baufläche richtet, sondern daß von der konkret genutzten Baufläche, d.h. dem verwirklichten Gebäude, der sich nach der zulässigen Geschoßfläche bestimmende Anteil für Wohnungen freizuhalten und zu nutzen ist.275 Diese Mindest(wohn)nutzung entspricht nicht einer Festsetzung nach § 16 Abs. 4 BauNVO, der die Anordnung eines zwingend zu bebauenden Mindestmaßes ermöglicht. Während nach § 16 Abs. 4 BauNVO das Mindestmaß bei jeder Bebauung zu verwirklichen ist, bestimmt die erste Alternative von Absatz 4 Nr. 2 lediglich, daß bei Bebauung bis zum festgelegten Anteil zunächst Wohnungen zu errichten sind. Dabei kann der Bauende durchaus das für die Wohnung reservierte Maß unterschreiten. Festsetzungen nach der ersten Alternative bestimmen folglich eine konkrete, absolute Baufläche, die bei Bebauung vorrangig für Wohnungen zu verwenden ist. Neben dem Wortlaut fordern auch Sinn und Zweck ebenso wie die amtliche Begründung von Absatz 4 der §§ 4a, 7 BauNVO diese Auslegung, wonach die Festsetzungen der Sicherung der Wohnnutzung dienen sollen. Dieses Ziel ist bei einer reinen Freihaltungspflicht gefährdet, da damit ein Ausbleiben oder gar Verschwinden der Wohnnutzung nicht zu unterbinden wäre. Insgesamt läßt sich feststellen, daß aufgrund der zwingenden Anordnung einer Mindestwohnnutzung die erste Alternative aus Absatz 4 Nr. 2 das Rechtsmachtkriterium erfüllt und dem Einzelnen ein subjektives öffentliches Recht vermittelt.

(2) Mindestanordnung der Wohnnutzung nach der zweiten Alternative Die zweite Alternative des Absatzes 4 Nr. 2 der §§ 4a und 7 BauNVO ermöglicht es, eine bestimmte, in Quadratmetern festzulegende Größe der Geschoßfläche für Wohnungen zu reservieren. Nach allgemeiner Auffassung ordnet eine Festsetzung nach der zweiten Alternative ein Mindestmaß von Wohnnutzung an, das vorrangig bei der Bebauung zu verwirklichen ist. Der

275 Hierfür auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 4a BauNVO Rn. 110; ihm folgend mittlerweile Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4a Rn. 33.1.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Bauherr muß, wenn er außer der Wohnnutzung auch andere zulässige Nutzungen verwirklichen will, zunächst das für die Wohnungen vorgeschriebene Mindestmaß erfüllen. 276 Darüber hinaus hat eine Festsetzung nach der zweiten Alternative nicht die Wirkung eines Mindestmaßes i. S. von § 16 Abs. 4 BauNVO.277 Zwar verwendet die zweite Alternative von Absatz 4 Nr. 2 in den §§ 4a, 7 BauNVO den gleichen Wortlaut wie § 16 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO.278 Damit erweist sich die Festlegung der Geschoßflächenzahl aber lediglich als eine Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung, denn eine Mindestfestsetzung ist nach § 16 Abs. 4 BauNVO nur durch entsprechenden eindeutigen Wortlaut möglich.279 Darüber hinaus enthalten die erste und zweite Alternative von ihrer inhaltlichen Bedeutung her eine identische Festsetzung eines vorrangig zu verwirklichenden Mindestmaßes der Wohnnutzung. Sie unterscheiden sich nur in der Bestimmung des konkreten Mindestmaßes, bei der ersten Alternative in Relation zur zulässigen Geschoßfläche und bei der zweiten unabhängig davon durch Festsetzung einer absoluten Quadratmeterzahl. Die zweite Alternative des Absatzes 4 Nr. 2 erfüllt durch die Anordnung eines vorrangigen Mindestmaßes für Wohnungen ebenso wie die erste Alternative das Rechtsmachtkriterium und vermittelt somit ein subjektives öffentliches Recht.

c) Die subjektive Rechtsverletzung Die Festsetzung einer bestimmten Geschoßfläche für Wohnungen nach Absatz 4 Nr. 2 der §§ 4a, 7 BauNVO vermittelt der Wohnnutzung im Geltungsbereich der Festsetzung eine besondere Rechtsposition. Die grundstücksbezogene Bestimmung des Mischungsverhältnisses der Wohnnutzung hat eine Feinabstimmung der Wesensmerkmale auf die Wohnnutzung zur Folge, die der Wohnnutzung im Festsetzungsgebiet einen grundstücksbezogenen Störgrad sichert. Der Wohnnutzung auf dem einzelnen Grundstück wird damit ein grundstücksbezogener Störgrad vermittelt, der auf die Wohnnutzung 276

Vgl. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 4a BauNVO Rn. 64; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 4a BauNVO Rn. 112; Fikkert/Fieseler, BauNVO, § 4a Rn. 34; Βoeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 4a Rn. 33. 277 Dieser Meinung sind allein Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4a Rn. 34. 278 Das ist das einzige Argument von Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4a Rn. 34. 279 Vgl. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 4a BauNVO Rn. 64.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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Rücksicht nimmt. Die für die Verletzung der subjektiven Rechtsposition notwendige objektive Rechtsverletzung liegt bei beiden Alternativen zum einen vor, wenn der Bauherr bei Ausnutzen oder Unterschreiten der für Wohnungen vorgesehenen Geschoßfläche nicht lediglich Wohnungen baut. Zum anderen ist eine Rechtsverletzung gegeben, wenn bei Überschreiten der Geschoßfläche für Wohnungen der Bauherr nicht den für Wohnungen vorgesehenen Anteil, also die festgeschriebene Größe auch für Wohnnutzung verwendet.280 Entsprechend der Geschoßflächenfestsetzung ist in diesen beiden Fällen auch das grundstücksbezogene Mischungsverhältnis nicht verwirklicht worden. Der mit der Festsetzung vermittelte besondere Störgrad geht infolge der objektiven Rechtsverletzung verloren, so daß auch eine subjektive Rechtsverletzung vorliegt. Darüber hinaus ist eine persönliche Beeinträchtigung mangels anderer Anhaltspunkte nicht erforderlich. Da die Festsetzungen nach Absatz 4 Nr. 2 jeweils für einen bestimmten Teil des Baugebiets erfolgen, können sich nur die innerhalb des Gebiets liegenden Grundstückseigentümer auf die Rechtsverletzung berufen. Nur diese Grundstücke sind in das durch die Festsetzungen erzeugte Austauschverhältnis einbezogen. Aus der grundstücksbezogenen Festlegung des Störgrads folgt, daß durch die Festsetzung auch nur die Wohnnutzung auf den benachbarten Grundstücken geschützt werden kann und soll. Die Festsetzung sichert dem Einzelnen lediglich einen grundstücksbezogenen Störgrad der ihn umgebenden Grundstücke zu. Dementsprechend erfaßt der persönliche Schutzbereich lediglich die unmittelbaren Nachbarn des gegen die Festsetzung verstoßenden Vorhabens. Eine weitere Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs ergibt sich aus dem Schutzzweck, den geschützten Interessen. Die Regelungen nach Absatz 4 der §§ 4a, 7 BauNVO enthalten eine gesetzlich angeordnete Rücksichtnahme auf die Wohnnutzung und schützen folglich ausschließlich die Interessen an einer ungestörten Wohnnutzung. Dementsprechend können sich auf den objektiven Verstoß gegen die Festsetzungen auch nur Grundstückseigentümer berufen, die auch eine unter die Bestimmungen fallende Wohnnutzung verwirklicht haben oder zumindest verwirklichen können. 280 Für die etwas engere Auslegung von § 7 Abs. 4 Nr. 1 BauNVO vgl. Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 7 BauNVO Rn. 32 ff. Danach kann unter gewissen Umständen auch die Überschreitung der für Wohnungen festgesetzten Geschoßfläche zum Rechtsverstoß führen. Dies löse jedoch kein subjektives öffentliches Recht aus, da hierdurch die geschützten Wohnungsinteressen nicht verletzt würden.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

3. Bestimmungen über die örtliche Lage der Nutzung Festlegungsmöglichkeiten über die örtliche Lage für eine bestimmte Art der baulichen Nutzung finden sich in §§ 4a Abs. 4 Nr. 1,7 Abs. 4 Nr. 1 BauNVO sowie in § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO. Die Regelungen der §§ 4a, 7 BauNVO ordnen die Lage für die Wohnnutzung innerhalb eines Gebäudes an, während die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO allgemein die örtliche Lage für Vergnügungsstätten innerhalb des Baugebiets bestimmt. Die Festschreibung einer bestimmten Lage für eine Nutzungsart eignet sich im besonderen Maße für die Vermittlung von subjektiven öffentlichen Rechten, weil dadurch entweder die örtlich beschränkte Nutzung einen besonderen Schutz erfährt oder aber die anderen Nutzungen Schutz vor den Auswirkungen der örtlich begrenzten Nutzung erhalten. Dadurch erzeugt die Bestimmung der örtlichen Lage einer Nutzung ein wechselseitiges Austauschverhältnis zwischen den Interessen der beschränkten Nutzungsart und denen der anderen Nutzungen.

a) Festlegung der Wohnnutzung ab einem bestimmten Geschoß Nach Absatz 4 Nr. 1 der §§ 4a, 7 BauNVO kann der Plangeber festlegen, daß oberhalb eines bestimmten Geschosses nur Wohnungen zulässig sind. Eine derartige Festsetzung bewirkt, daß oberhalb des festgelegten Geschosses Wohnungen zu errichten und andere Nutzungen ausgeschlossen sind. Sinn und Zweck dieser Regelungen ist wie bei den Festsetzungsmöglichkeiten nach Absatz 4 Nr. 2 der Vorschriften die Ermöglichung und Sicherung einer wohngebietsartigen Nutzung.281 Die Festsetzungen lassen, abstrakt gesprochen, ein reines Wohngebiet ab einem bestimmten Geschoß entstehen. Mit den Bestimmungen sind infolgedessen auch individuelle Interessen an der störungsfreien Wohnnutzung verbunden, die das Interessenkriterium erfüllen. Die Anordnung von Wohnungen ab einem bestimmten Geschoß enthält eine Rücksichtnahme auf die Wohnnutzung und erzeugt ein wechselseitiges Austauschverhältnis unter den betroffenen Grundstücken. Dem Nachteil der Beschränkung auf die Wohnnutzung ab einem bestimmten Geschoß steht der Vorteil ihrer störungsfreien Ausübung ab diesem Geschoß gegenüber. Eine derartige Festsetzung enthält nicht nur eine grundstücksbezogene Feinabstimmung von 281

Vgl. hierzu die Ausführungen unter 2. Teil, 2. Kap., Ε II 2 a)-b).

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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Funktionsbestimmung und Störgrad auf die Wohnnutzung, sondern noch enger und genauer eine im Gebäude selbst auf die Geschosse ausgerichtete Abstimmung auf die Wohnnutzung. Aufgrund des dadurch erfüllten Rechtsmachtkriteriums enthalten die Regelungen nach Absatz 4 Nr. 2 subjektive öffentliche Rechte. Die durch die Festsetzung nach Absatz 4 Nr. 1 der §§ 4a, 7 BauNVO vermittelte subjektive Rechtsposition besteht in einer Stör- und Konfliktfreiheit der Wohnnutzung ab dem festgelegten Geschoß, die nur durch die von der Wohnnutzung selbst verursachten Beeinträchtigungen eingeschränkt ist. Der sachliche Anwendungsbereich dieses Drittschutzes setzt voraus, daß oberhalb des festgelegten Geschosses etwas anderes als Wohnungen verwirklicht wurde. Eine weitere tatsächliche Betroffenheit ist nicht erforderlich. Auf diese objektive Rechtsverletzung können sich lediglich die Grundstückseigentümer berufen, deren Grundstücke in dem für die Bestimmung festgesetzten Gebiet liegen.282 Zudem hat die Gebäudebezogenheit der Festsetzung zur Folge, daß nur die Grundstückseigentümer, deren Grundstücke unmittelbar an das „störende Geschoß" angrenzen, einen Drittschutzanspruch haben. Nur auf diese ist nämlich der Schutz der Wohnnutzung ausgerichtet. Schließlich ist der persönliche Anwendungsbereich wie bei Absatz 4 Nr. 2 auf solche Grundstücke beschränkt, die eine unter die Regelung fallende Wohnnutzung enthalten oder zumindest enthalten können.

b) Örtliche Bestimmung von Vergnügungsstätten Gem. § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO sind nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten nur in den Teilen des Baugebiets zulässig, die überwiegend durch gewerbliche Nutzung geprägt sind. Nach der amtlichen Begründung soll die Regelung vor allem die Wohnnutzung und andere insoweit sensible Nutzungen vor nachteiligen Auswirkungen von Vergnügungsstätten schützen.283 Die Vorschrift ordnet folglich die Rücksichtnahme auch auf die individuellen Interessen der Wohnnutzung und ähnlich sensibler Nutzungen an und konstituiert einen Ausgleich zwischen den Interessen der ungestörten Ausübung dieser Nutzungen und denen der Vergnügungsstätten. Für das damit vermittelte sub282 283

Vgl. 2. Teil, 2. Kap., Ε II 2 c). BR-Drucks. 354/89, S.32.

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jektive öffentliche Recht ist lediglich die Frage des „Wie" der Rechtsmachterteilung noch offen. In sachlicher Hinsicht setzt das subjektive Abwehrrecht die Zulassung der Vergnügungsstätte in einem Gebiet mit nicht überwiegend gewerblicher Prägung voraus. Nach übereinstimmender Auffassung muß der durch die gewerbliche Nutzung geprägte Bereich dabei so weit reichen, wie sich die konkrete Vergnügungsstätte unmittelbar auswirken kann.284 Abzustellen ist für die Abgrenzung einerseits auf die von der Anlage ausgehenden Auswirkungen auf andere Grundstücke sowie andererseits auf die Spürbarkeit der Auswirkungen auf den benachbarten Grundstücken. Das so ermittelte Gebiet muß von gewerblichen Nutzungen überwiegend geprägt sein, d.h. die gewerbliche Nutzung muß entweder aufgrund ihres quantitativen oder qualitativen Überwiegens vorherrschend sein und das Gebiet prägen.285 Einzubeziehen sind in die Bewertung allein die tatsächlich vorhandenen Nutzungen, nicht aber lediglich erst genehmigte Vorhaben, weil von letzteren als noch nicht existenten Vorhaben keine prägende Wirkung ausgehen kann.286 Für den Fall des quantitativen Überwiegens ist nicht erforderlich, daß das Gebiet im Vergleich zu den anderen, insbesondere zur Wohnnutzung, als von der gewerblichen Nutzung beherrscht erscheint. Eine solche Situation würde bereits gegen die Eigenart des Mischgebietes verstoßen mit der Folge, daß Vergnügungsstätten wie jegliche Gewerbebetriebe in diesem Gebietsteil nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht mehr zulässig wären.287 Aus diesen Voraussetzungen der objektiven Rechtsverletzung ergeben sich weitere Erfordernisse für die subjektive Rechtsverletzung. In persönlicher Hinsicht kann sich auf den Drittschutz nur deijenige berufen, der eine Wohnnutzung oder ähnlich sensible Nutzung auf seinem Grundstück ausübt. Allein auf den Schutz dieser Nutzungen zielt nämlich die Regelung bereits nach der

284 Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 6 BauNVO Rn. 34; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 6 BauNVO Rn. 23; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 6 Rn. 16.21; Hess VGH, GewArch 1992, 198, der dabei den Vergleich zum Einfügen nach § 34 Abs. 2 BauGB zieht. 285 Amtl. Bgrd. BR-Drucks. 354/89, S. 52; vgl. auch BVerwG, UPR 1994, 262; für die Einzelheiten des Merkmals „prägen" wird auf die umfassenden Ausführungen von Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 6 BauNVO Rn. 35 verwiesen. 286 Allg. Α., vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, §6 Rn. 16.21; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 6 Rn. 24; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 6 BauNVO Rn. 35. 287 Ebenso Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 6 BauNVO Rn. 36.

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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amtlichen Begründung ab.288 Zum anderen muß der Drittschutzsuchende in der Ausübung seiner Nutzung durch konkrete Auswirkungen der genehmigten Vergnügungsstätte tatsächlich betroffen sein und in einem Gebiet wohnen, das nicht durch eine gewerbliche Nutzung geprägt ist. Die Zuweisung der Vergnügungsstätten in ein durch gewerbliche Nutzung geprägtes Gebiet hat nämlich zur Folge, daß in diesen Gebieten die von ihnen ausgehenden Auswirkungen als gebietstypisch und daher zulässig anzusehen sind. Das Erfordernis der tatsächlichen Betroffenheit erschließt sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift sowie der Abgrenzung des maßgeblichen Gebiets. Das durch die gewerbliche Nutzung geprägte Gebiet muß seinem Umfang nach nur so weit reichen, wie die von der Vergnügungsstätte verursachten tatsächlichen Auswirkungen spürbar sind. Nutzungen, die nicht von den Störungen betroffen sind, schließt die Zuweisung nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO nicht in ihren Schutzbereich ein. Sie können damit einen objektiven Verstoß gegen die Regelung nicht geltend machen.

HL Die das „Wie" der Rechtsmachterteilung betreffenden Sonderfälle Teilweise hängt nach den einzelnen Regelungen der Art der baulichen Nutzung die Zulässigkeit eines Vorhabens konkret davon ab, ob es nach der Vorschrift als störend zu betrachten ist. Unter diese Gruppe fallen § 2 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 4, § 3 Abs. 3 Nr. 1, § 4 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2, § 4a Abs. 1, 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 2 Nr. 3 und § 8 Abs. 1 BauNVO. Die einzelnen Bestimmungen stellen darauf ab, ob die festgelegten Anlagen „nicht störend", „wesentlich störend" oder „nicht erheblich belästigend" sind.289 Als Teil der allgemein drittschützenden Vorschriften über die Nutzungsart bestimmen sie damit auch das subjektive Recht näher. Es stellt sich dabei die Frage, ob für die subjektive Rechtsverletzung eine tatsächliche Betroffenheit des Einzelnen in Form einer Störung erforderlich ist. Dies hängt im wesentlichen davon ab, wie der Begriff der Störung zu verstehen ist und welchen Zweck die Regelungen damit verfolgen. Aus den unterschiedlichen Beschrei288

BR-Drucks. 354/89, S.32. Nur § 4a verwendet einen etwas anderen Begriff, die „Vereinbarkeit mit dem Wohnen". Er umschreibt aber letztlich auch nur die Störanfälligkeit des Gebiets; vgl. hierzu Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 4a BauNVO Rn. 7. 289

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

bungen der Intensität der Störung in den einzelnen Regelungen ergibt sich, daß die BauNVO nicht von einem einheitlichen, sondern nur einem relativen Störungsbegriff ausgeht. Was nach der jeweiligen Regelung als „nicht störend", „nicht wesentlich störend" oder „erheblich belästigend" zu bezeichnen ist, definiert die Eigenart des jeweiligen Baugebiets. Mittels der allgemeinen Zweckbestimmung und den allgemein zulässigen Nutzungen legt jede Gebietsvorschrift fest, welche Störungen im Gebiet allgemein zu erdulden sind.290 Sie bestimmt damit das Wesensmerkmal des Störgrades. Der Störungsbegriff bezieht sich daher abstrakt auf das Baugebiet ohne eine Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelvorhabens.291 Er ergibt sich aus dem Wesensmerkmal des Störgrades nach der allgemeinen Zweckbestimmung. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale „nicht störend", „nicht wesentlich störend" und „erheblich belästigend" erweisen sich damit als eine Konkretisierung dieses Wesensmerkmals. Sie folgen auch in ihrer Funktion dem Wesensmerkmal „Störgrad", sichern also abstrakt die Gebietsverträglichkeit der einzelnen Nutzung nach ihrem Störgrad und dienen der Abgrenzung der gebietsfremden Vorhaben. Als abstrakte Sicherung des Störgrades im Baugebiet können sie aber keine tatsächliche Betroffenheit des Einzelnen verlangen, sondern schützen abstrakt-generell vor gebietsfremden Vorhaben.

F. Gebietsübergreifende Schutzwirkung der Gebietsfestsetzungen L Dogmatische Grundlagen des gebietsubergreifenden Drittschutzes Als allgemein erkanntes Problem erfährt der gebietsübergreifende Drittschutz eine eher stiefmütterliche Behandlung. Schon Ende der siebziger Jahre machte nach allgemeiner Auffassung 292 die drittschützende Wirkung einer

290 Hierzu ausführlich Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 8 ff. und Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 150 ff. 291 Allg. Α., vgl. Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 152; Fikkert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§2 ff. Rn. 8.3, 9; BVerwG, BauR 1984, 142; BauR 1986, 417; Hess VGH, BRS 50 Nr. 61; a. A. Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 713, 796. 292 Vgl. nur Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 982 ff.; Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 37.1; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 30 BauGB

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Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung nicht halt an der Baugebietsgrenze. Vielmehr sollte sich damals wie heute auch der Grundstückseigentümer außerhalb des Plangebiets auf den drittschützenden Charakter der einzelnen Festsetzungen unter bestimmten Voraussetzungen berufen können. Für die Zulässigkeit des gebietsübergreifenden Drittschutzes verweist die allgemeine Auffassung darauf, daß dieser nach Bundesrecht nicht ausgeschlossen sei, insbesondere sich auch aus dem drittschutzbegründenden Austauschverhältnis in einem Baugebiet kein Ausschluß ableite.293 Dies belege insbesondere auch § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, der ausdrücklich gebietsübergreifenden Drittschutz ermögliche, ebenso wie dies auch die immissionsschutzrechtlichen Streitigkeiten zeigten. Schließlich wird auf den Vertrauensschutz zurückgegriffen, denn der Einzelne kenne die beschränkenden Vorschriften für die Grundstükke im angrenzenden Baugebiet und vertraue darauf, daß diese auch eingehalten würden.294 Ausgangspunkt für den gebietsübergreifenden Drittschutz bilde die einzelne Vorschrift, aus deren Inhalt und Ausgestaltung sich ergebe, ob sie den Nachbarschutz auch auf Vorhaben außerhalb des Baugebiets erstrecke.295 Zur dogmatischen Begründung eines gebietsübergreifenden Drittschutzes genügen diese Ausführungen nicht gänzlich. Die Feststellung, daß das Bundesrecht planübergreifenden Nachbarschutz nicht ausschließt, enthält kein taugliches Argument für sein Bestehen. Das sich aus der Baugebietsfestsetzung ergebende und drittschutzbegründende Austauschverhältnis spricht eher für eine Begrenzung des Drittschutzes auf das Baugebiet, denn ein solches rechtliches Austauschverhältnis besteht nicht mit den Grundstücken außerhalb des Baugebiets.296 Als wenig überzeugend erweist sich das Vertrauensschutzargument, da grundrechtlicher Vertrauensschutz nur in sehr engen Grenzen möglich ist und ansonsten der einfachgesetzlichen Normierung bedarf. Zutreffend gewählter Ausgangspunkt ist indessen die einzelne Vorschrift, in der planübergreifender Drittschutz nach Ausgestaltung und Inhalt der Regelung Rn. 96; Knaup/Stange, BauNVO, 7. Aufl., Anhang § 15 Anm. II, 4 a); Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 53; BVerwG, DÖV 1974, 381; VGH BW, BRS 49 Nr. 26. 293 Hierzu Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 53 m. w. N. 294 So ausdrücklich Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 985. 295 Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 54; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 986 unter Berufung auf BVerwG, BauR 1971, 106. 296 Dieser Ansicht ist insbesondere der VGH BW, VB1BW 1995, 30; ders., VGH RSpDienst 1996, Beilage 11, Β 6.

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normiert sein kann. Die dogmatische Grundlage für den gebietsübergreifenden Nachbarschutz erwächst jedoch aus § 1 Abs. 6 BauGB, wonach bei Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind.297 Die Gemeinde ist demnach beim Aufstellen der Bebauungspläne nicht nur zur Interessenabwägung der Grundstücke innerhalb des Baugebiets verpflichtet, sondern hat auch die an den Gebietsgrenzen entstehenden Nutzungskonflikte zwischen den gebietsangehörigen und gebietsfremden Grundstücken zu regeln. Das gilt insbesondere bei der Ausweisung des Baugebiets nach der BauNVO. Soweit die einzelne Vorschrift bzw. Festsetzung auch die widerstreitenden oder auch parallelen Nutzungsinteressen ausgleicht, kommt ihr eine planüberschreitende Drittschutzfunktion zu. Ein rechtliches Austauschverhältnis begründen diese gebietsübergreifenden Drittschutznormen zwischen den benachbarten Grenzgrundstücken dabei nicht, da die Vorschriften Rechtsbindungen jeweils nur für das gebietszugehörige, nicht jedoch für das gebietsfremde Grundstück enthalten. Der gebundene Grundstückseigentümer erhält für die im Interesse der Nachbarschaft auferlegte Beschränkung keinen entsprechenden Vorteil durch die Vorschrift. 298 Problematisch ist bei diesem Ansatz jedoch, daß sich die angrenzenden Gebiete im Laufe der Zeit ändern können. Die dadurch entstehenden Grenzkonflikte müssen die neuen Bebauungspläne lösen. Die Vorschriften des alten Bebauungsplans erweisen sich dann trotzdem noch als gebietsübergreifend drittschützend, soweit sie potentiell die neuen Konflikte mitregeln. Deshalb ist allgemein darauf abzustellen, inwieweit eine Norm potentiell bestehende Grenzkonflikte i. S. von § 1 Abs. 6 BauNVO löst. Betrachtet man unter diesen Gesichtspunkten die von der Gemeinde gem. § 1 Abs. 6 BauGB vorzunehmende Abwägung, so zeigt sich, daß Anknüpfungspunkt des Ausgleichs die für die Grenzgrundstücke maßgeblichen Normen sind. Die in diesen Vorschriften erfolgten Nutzungsregelungen als zugewiesene (subjektive) Rechtspositionen der einzelnen Grundstückseigentümer hat die Gemeinde zu berücksichtigen und in Ausgleich mit den für das neue Baugebiet vorgesehenen Nutzungsregelungen zu bringen.299 Bei der Ermittlung des gebietsübergreifenden Drittschutzgehalts einer Vorschrift als Festset297

Auf diese Grundlage verweist auch Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauGB Rn. 96. 298 Ebenso Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauGB Rn. 96. 299 Vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, Die Berücksichtigung situationsbedingter Abwägungselemente bei der Bauleitplanung, S.91 ff.; ebenso Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 167.

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zung im Bebauungsplan sind daher immer auch die für die Grenzgrundstücke maßgeblichen Vorschriften zu betrachten. Der von § 1 Abs. 6 BauGB geforderte Ausgleich an den Gebietsgrenzen bestimmt den gebietsübergreifenden Teil der drittschützenden Vorschrift. Hier einzureihen ist der Gedanke, daß grenzübergreifender Drittschutz durch die drittschützende Norm nur in Betracht kommt, soweit das Vorhaben auch nach den für das andere Grundstück maßgeblichen Vorschriften unzulässig ist.300 Gebietsübergreifenden Drittschutz vermitteln Normen dementsprechend, soweit sie nach Maßgabe des § 1 Abs. 6 BauGB für die Grenzgrundstücke Rücksicht auf drittschützende Nutzungsregelungen der Gebietsvorschriften nehmen.301 Daß die Gemeinde dabei über die durch § 1 Abs. 6 BauGB vorgegebenen Grenzen hinausgehen kann, bedarf keiner gesonderten Erörterung. 302

IL Abgrenzung zur gebietsüberschreitenden Bedeutung von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO Die aus § 1 Abs. 6 BauGB bei der Aufstellung des Bebauungsplans gewonnenen Überlegungen lassen sich auch für den gebietsübergreifenden Drittschutz durch Gebietsvorschriften der BauNVO fruchtbar machen.303 Soweit der Satzungsgeber eine Gebietsfestsetzung nach der BauNVO vornimmt, muß er nach § 1 Abs. 6 BauGB auch die Nutzungskonflikte an den Gebietsgrenzen ausgleichen. Gebietsübergreifender Drittschutz könnte daher den einzelnen Zulässigkeitsregelungen der Gebietsvorschriften als Festsetzung im Bebauungsplan zukommen, soweit sie potentiell Rücksicht auf Nutzungen nehmen,

300

So Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 984, 988. Einen ähnlichen Ansatz wählt das BVerwG, Buchholz 406.11 Nr. 26, S. 16 (23), wonach die Grundstücksnutzung beim Zusammentreffen verschiedener Baugebiete mit einer „spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet" ist, bestätigt in BVerwGE 40, 59 (54 f.); ebenso Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 55. 302 Vgl. hierzu das allseits aufgenommene Beispiel des BVerwG, DVB1 1971, 754, vom Schutz der Aussicht durch Festsetzung einer eingeschossigen Bebauung für die Grundstücke des anderen Baugebiets. 303 Einen solchen Drittschutz lehnt der VGH BW ab, vgl. VB1BW 1995, 30 und ders., VGH RSpDienst 1996, Beilage 11, Β 6; dagegen ausdrücklich für einen gebietsübergreifenden Drittschutz VGH BW, VB1BW 1996, 24; Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 55; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauGB Rn. 96. 301

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

die nach den für die Grenzgrundstücke maßgeblichen Normen zulässig sind. Fraglich ist jedoch, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zukommt. Nach dieser Vorschrift sind Vorhaben im Einzelfall unzulässig, soweit von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder dessen Umgebung unzumutbar sind. Die Vorschrift ermöglicht nach allgemeiner Auffassung einen grenzüberschreitenden Drittschutz gegen an sich nach der Baugebietsvorschrift zulässige Vorhaben.304 Der Drittschutz in § 15 Abs. 1 BauNVO beruht letztlich auf der jeweiligen Gebietsvorschrift, da diese die drittschützende Schwelle der Zumutbarkeit nach der Eigenart des Baugebiets bestimmt.305 Denkbar wäre es, daß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO damit erst recht gebietsübergreifenden Drittschutz gegen unzulässige Vorhaben gewährt, wenn diese die Grenznachbarn unzumutbar beeinträchtigen.306 § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO könnte dann die von § 1 Abs. 6 BauGB geforderte Berücksichtigung und den verlangten Ausgleich der Nutzungsinteressen an den Gebietsgrenzen insgesamt für die zulässigen wie unzulässigen Vorhaben enthalten. Eine gebietsübergreifende Drittschutzfunktion käme den Baugebietsvorschriften dann nur bei entsprechender Begründung im Bebauungsplan zu, wie etwa bei einer Gliederung nach § 1 Abs. 4 BauNVO zur Sicherstellung verträglicher Nutzungen im Grenzbereich. Für eine derartige Auslegung spricht, daß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO bei allen Baugebietsvorschriften anwendbar ist und infolgedessen für alle Baugebiete den notwendigen grenzüberschreitenden Drittschutz gewähren könnte. Zudem ist der Anwendungsbereich von §15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO auf die konkrete Auswirkungsumgebung eines Vorhabens beschränkt und erfaßt damit genau die Interessenkonflikte, die durch Ausweisung unterschiedlicher Nutzung an den Gebietsgrenzen entstehen. Indessen ist aus planungsrechtlichen Gründen die Annahme eines in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO allgemein begründeten, grenzüberschreitenden Nach304

Vgl. Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 17c; Schlichter, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 60; Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. Rn. 37.1; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 33; aus der Rspr. BVerwGE 82, 343 (345); VGH BW, BauR 1995, 70. 305 Ähnlich Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 6. 306 Dies hält das BVerwG im U. v. 06.10.1989, BVerwGE 82, 343 (345), ausdrücklich für möglich; hierfür schon früher Meyer/Stich/Titel, Bundesbaurecht, §3 Rn. 1; Förster, in: Brügelmann, Bundesbaugesetz, Stand Okt. 1967, § 15 BauNVO Anm. 3c.

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barschutzes nicht möglich. Planungsrechtlich hat die Vorschrift bei den Bebauungsplänen nur eine begrenzte Funktion, insbesondere kann sie Planungsfehler nicht ausgleichen.307 § 15 BauNVO kann nicht die Planungsfehler bereinigen, die bei Ausweisung zweier Baugebiete nebeneinander entstehen, deren zulässige Nutzungen zueinander unverträglich sind, wie ζ. B. die eines Industriegebiets neben einem reinen Wohngebiet. Die Festsetzung des zum bestehenden Baugebiet unverträglichen Baugebiets verstieße gegen den bei § 1 Abs. 6 BauGB zu beachtenden Trennungsgrundsatz und hätte die Nichtigkeit der Festsetzung zur Folge.308 Richtigerweise sind daher die allgemeinen Grenzkonflikte durch die Festsetzung der Baugebietsart nach der BauNVO dadurch zu lösen, daß die Baugebiete nach der BauNVO Nutzungen, die generell unzumutbare Auswirkungen auf die Grenzgrundstücke haben können, ausschließen und ein - zumindest an den Gebietsgrenzen - untereinander verträgliches Nutzungsspektrum aufweisen. Der Bebauungsplan bestimmt daher auch, was an Immissionen infolge der Festsetzung bestimmter Nutzungen im Plangebiet oder außerhalb desselben hinzunehmen ist.309 Allein die grundsätzliche Regelung auch der Gebietsgrenzkonflikte entspricht schließlich auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 GG.310 Danach muß auch der Satzungsgeber grundsätzlich selbst den Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen an der Eigentumsnutzung vornehmen, ohne daß es zur schweren und unzumutbaren Beeinträchtigung des Eigentums kommt. Dabei darf er sich keiner Generalklauseln bedienen, die allgemein ein Abwehrrecht gegen solche Beeinträchtigungen aufweisen, da darin keine Lösung der Nutzungskonflikte enthalten ist. Den grenzüberschreitenden Drittschutz gegen nach der Vorschrift unzulässige Vorhaben müssen daher bereits die einzelnen Gebietsvorschriften als Festsetzungen im Bebauungsplan enthalten. Zu den unzulässigen Vorhaben gehören auch diejenigen, die an sich unter einen der weiten Nutzungsbegriffe fallen, jedoch abstrakt gegen eines der Wesensmerk-

307 Hierauf schon hinweisend Kübler/Speidel, Handbuch des Baunachbarrechts, Π Rn. 103; vgl. allgemein Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 1.12; ausführlich unter 2. Teil, 2. Kap., Π 3 c). 308 So schon die amtliche Begründung zur Erweiterung von § 15 Abs. 1 Satz 2 um das Merkmal „Umgebung", BR-Drucks. 261/77, S. 44; vgl. auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 192o, 192s, mit umfangreichen Beispielen zur Rspr., Rn. 192u-z. 309 BVerwG, DVB1 1988, 485 (486); Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 166; Kleinlein, DVB1 1989, 184 (188). 310 Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 14 GG vgl. insbesondere 1. Teil, 3. Kap., Β Π. 13 Petersen

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

male der allgemeinen Zweckbestimmung verstoßen. Für einen allgemeinen gebietsübergreifenden Drittschutz gegen unzulässige Vorhaben durch § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO mittels eines Erst-Recht-Schlusses besteht folglich kein Bedürfnis, er wäre vielmehr seinerseits unzulässig. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO kann daher nur die Fälle der an sich zulässigen Vorhaben erfassen, die im Einzelfall in ihrer konkreten Umgebung unzumutbar sind.311

HL Der Umfang des gebietsübergreifenden Drittschutzes Ungeklärt ist bisher der Umfang des gebietsübergreifenden Drittschutzes, das „Wie" der Rechtsmachterteilung. Der Auffassung, daß für den Umfang des grenzüberschreitenden Drittschutzes die gleichen Grenzen gelten wie innerhalb des Baugebiets,312 kann nicht gefolgt werden. Gegen eine derartige Annahme spricht grundlegend, daß die Gebietsvorschriften ihre Nutzungsregelungen zunächst auf das Baugebiet beschränken und nicht das gesamte Nachbargebiet in ihren Interessenausgleich mit einbeziehen, weil sie nur die Grenzkonflikte mit den Nachbargebieten lösen müssen. Das „Wie" der Rechtsmachterteilung läßt sich allgemein dahingehend beschreiben, daß denjenigen Grundstückseigentümern in der Umgebung des Plangebiets gebietsübergreifender Drittschutz zukommt, in deren vom Bebauungsplan geschützten Rechtspositionen die Zulassung eines an sich unzulässigen Vorhabens eingreift. 313 Enthält die Vorschrift keine eigene Bestimmung über Art und Reichweite des gebietsübergreifenden Drittschutzes - was zumeist der Fall ist -, kann durch Heranziehen von § 1 Abs. 6 BauGB das „Wie" der Rechtsmachterteilung konkretisiert werden. Die nach dieser Vorschrift maßgeblichen Grenzen für die Abwägung der privaten und öffentlichen Belange bestimmen die gebietsübergreifenden (Mindest-)Schutzpositionen innerhalb der jeweiligen Gebietsvorschrift als Festsetzung im Bebauungsplan, die auch der Satzungsgeber beachten muß. Das ergibt sich daraus, daß bei Überschreiten dieser Grenzen die Anordnung der Gebietsvorschrift im Bebauungsplan ebenso wie

311

Hierzu ausführlich unter 2. Teil, 5. Kap., C. Zu dieser Ansicht neigt aber der VGH BW, VB1BW 1996, 24 (25), da er bei aneinandergrenzenden gleichen Baugebieten nach der BauNVO den gebietsübergreifenden Nachbarschutz auf den vollen Umfang der Rechtsfehlerfreiheit erstreckt sieht; vgl. allgemein hierzu Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 988. 313 So auch Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 31 BauGB Rn. 96. 312

2. Kapitel: Der Drittschutz durch allgemeine Baugebiete

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der Bebauungsplan nichtig wäre, da ein Fehler im Abwägungsergebnis vorläge. Mittels des Abwägungsgebots aus § 1 Abs. 6 BauGB läßt sich damit der notwendige Mindestgehalt gebietsübergreifenden Drittschutzes einer Gebietsfestsetzung nachzeichnen. Die Abwägungsgrenze von § 1 Abs. 6 BauGB ist nach dem BVerwG dort überschritten, „wo einer der beteiligten Belange in geradezu unvertretbarer Weise zu kurz kommt, wo er und sein Gewicht einfach verkannt werden, wo das Verhältnis zwischen ihm und dem Planungsinhalt auch bei Berücksichtigung der planerischen Gestaltungsfreiheit und aller sonstigen Gegebenheiten nicht mehr aufgeht."314 Damit normiert § 1 Abs. 6 BauGB nichts anderes als ein Ausgleichsgebot der widerstreitenden Interessen, wonach insbesondere auch auf die geschützten Rechtspositionen der Grenzgrundstücke bei der Festlegung der Baugebietsart Rücksicht zu nehmen ist.315 Die durch die Gebietsvorschriften der BauNVO sowie die §§ 34, 35 BauGB geschützten Rechtspositionen lassen sich als die dem einzelnen Grundstückseigentümer zugewiesenen Nutzungsmöglichkeiten beschreiben, deren ungestörte Ausübung die jeweilige Vorschrift sicherstellt. Das Abwägungsgebot verlangt somit eine Harmonisierung dieser verschiedenen Nutzungsinteressen (auch) an den Gebietsgrenzen bei der Festsetzung eines Baugebiets nach der BauNVO. Das geschieht positiv formuliert entweder durch Ausweisen von Baugebieten mit einander generell verträglichen Nutzungsarten oder aber durch Gliederung der zulässigen Nutzung gem. § 1 Abs. 4 BauNVO, so daß zumindest die zulässigen Nutzungsarten für die beiderseitigen Grenzgrundstücke untereinander verträglich sind.316 Die in Ausgleich gebrachten Gebietsvorschriften schützen folglich die benachbarten Grenzgrundstücke vor tatsächlichen unzumutbaren Beeinträchtigungen, die von nach beiden Gebietsvorschriften unzulässigen Vorhaben ausgehen.317 Das Vorhaben muß nach der Gebietsvorschrift des anderen Grenzgebiets unzulässig sein, weil die zulässigen Nutzungen nach der Abwägung gem. § 1 Abs. 6 BauGB als auch im eigenen Baugebiet verträglich gelten und daher zu erdulden sind.

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BVerwGE 45, 309. Vgl. hierzu allgemein Schmidt-Aßmann, Die Berücksichtigung situationsbedingter Abwägungselemente bei der Bauleitplanung, S. 98 ff. (101). 316 Das ist der Grundsatz der räumlichen Trennung sich gegenseitig beeinträchtigender Nutzungen, der in BVerwGE 45, 396, entwickelt wurde; vgl. hierzu allgemein Schmidt-Aßmann, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, § 1 Rn. 254; Lenz, BauR 1975, 159; Dolde, DVB1 1983, 732; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn. 40 ff. 317 Dies ist die oben allgemein beschriebene Rechtsposition, die den gebietsfremden Grundstückseigentümern durch den Bebauungsplan eingeräumt wird. 315

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Im eigenen Baugebiet muß das Vorhaben unzulässig sein, da die im eigenen Gebiet zulässigen Vorhaben auch jenseits der Gebietsgrenze als zulässig anzusehen sind. Die Notwendigkeit einer tatsächlichen Betroffenheit findet ihre Begründung im Schutzziel des gebietsübergreifenden Nachbarschutzes. Dieser soll die Nutzungskonflikte an den Gebietsgrenzen lösen und den Grundstückseigentümern die störungsfreie Ausübung der zulässigen Nutzungen sichern. Eine Verletzung dieses Schutzanspruchs liegt vor, wenn die Zulassung eines unzulässigen Vorhabens ein Grundstück im benachbarten Baugebiet derart beeinträchtigt, daß die nach dem anderen Baugebiet vermittelte störungsfreie Ausübung zulässiger Nutzungen nicht mehr möglich ist. Die tatsächliche Beeinträchtigung hängt daher von dem Schutzniveau der Nutzungen ab, das ihnen die angrenzende Baugebietsvorschrift zuweist. Allgemein ist das zulässige Störpotential mit dem nach der Eigenart des Baugebiets zulässigen Störgrad identisch. Ein anderes Störpotential gilt nur insoweit, als das Baugebiet nach § 1 Abs. 4 BauNVO gegliedert ist. Maßgeblich ist bei der Aufgliederung das für das Grenzgebiet ausgewiesene Störpotential, das sich aus den üblichen Auswirkungen der im Gebietsteil zulässigen Nutzungen ergibt. Die Gebietsvorschriften der BauNVO ermöglichen dementsprechend einen gebietsübergreifenden Drittschutz, soweit ein auch nach der für das Grenzgrundstück maßgeblichen Vorschrift unzulässiges Vorhaben den Dritten tatsächlich beeinträchtigt. Dies gilt zweifelsohne, wenn zwei Baugebiete nach der BauNVO aneinandergrenzen. Liegen die angrenzenden Grundstücke im Außenbereich oder unbeplanten Innenbereich, erscheint der grenzüberschreitende Drittschutz jedoch fraglich. Das Problem entsteht einerseits durch das Erfordernis einer drittschützenden Rechtsposition, die bei der Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB zu berücksichtigen wäre. Andererseits kann theoretisch an den unbeplanten Innen- wie Außenbereich jede Art von Nutzung in zulässiger Weise angrenzen. Aber auch die für den Außen- und Innenbereich maßgeblichen Vorschriften vermitteln in begrenztem Umfang Drittschutz, wie mittlerweile allgemein anerkannt ist.318 Diese subjektiven Rechtspositionen sind bei der Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB auch dann zu beachten, wenn die Gemeinde dem Baugebiet eine Gebietsvorschrift nach der BauNVO zuweist. So muß die Gemeinde ζ. B. bei der Ausweisung eines reinen Wohngebiets i. S. von § 3 BauNVO mit angrenzendem Außenbereich die dort befindlichen Landwirtschaftsbetriebe berücksichtigen. Konkret vermittelt die Gebietsvor318 Vgl. nur Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 34 BauGB Rn. 83 ff., § 35 Rn. 176 ff. mit umfassenden Nachweisen.

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schrift demnach einem Grundstückseigentümer im unbeplanten Innenbereich grenzüberschreitenden Drittschutz, wenn sich das nach der Gebietsvorschrift unzulässige Vorhaben auch nicht in die Umgebung i. S. von § 34 Abs. 1 BauGB einfugt und die Zulassung den Grundstückseigentümer tatsächlich beeinträchtigt. Der Sonderfall des § 34 Abs. 2 BauGB, daß die nähere Umgebung im Innenbereich einem Baugebiet der BauNVO entspricht, ist später zu behandeln. Bei § 35 BauGB gilt es zwischen den privilegierten Vorhaben gem. Absatz 1 und den sonstigen nach Absatz 2 zu differenzieren. Den privilegierten Vorhaben kann durch die Gebietsvorschrift Nachbarschutz zuteil werden, soweit ein unzulässiges Vorhaben die ungehinderte Ausnutzung ihres Bestandes in Frage stellt oder gewichtig beeinträchtigt.319 Wesentlich geringer sind hingegen die sonstigen Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB geschützt. Sie müssen grundsätzlich alle Beeinträchtigungen hinnehmen, die durch privilegierte Vorhaben entstehen. Auf planübergreifenden Drittschutz können sich nichtprivilegierte Vorhaben nur berufen, wenn sie über dieses Maß hinausgehend durch die Auswirkungen des unzulässigen Vorhabens getroffen werden, so daß eine Ausübung ihrer Nutzung nicht mehr möglich ist.

3. Kapitel

Der Drittschutz durch die Festsetzung von Sondergebieten nach den §§ 10,11 BauNVO A. Allgemeiner Drittschutz durch die Festsetzung von Sondergebieten L Der Aufbau der Sondergebiete nach §§ 10,11 BauNVO Die §§ 10, 11 BauNVO enthalten eine Ermächtigung zur Festsetzung von Sondergebieten, die nur allgemein ihrer Funktion nach vorgegeben sind. Die Vorschriften stellen mittels der jeweiligen Absätze 1 und 2 einen allgemeinen Rahmen auf, wonach der Ortsgesetzgeber bei der Festsetzung eines Sonderge319

Dies ist auch die nach allgemeiner Auffassung den privilegierten Vorhaben zustehende subjektive Rechtsposition, vgl. nur Krautzberger, in: Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB, § 35 Rn. 110; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 35 BauGB Rn. 176; BVerwG, DVB1 1969, 263.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

biets zur Ausgestaltung der Zweckbestimmung und der Art der baulichen Nutzung nach dem allgemeinen Gebietszweck der Sondergebiete verpflichtet ist. Sondergebiete gem. § 10 Abs. 1 BauNVO müssen dem „zeitweiligen Wohnen im Erholungsraum"1 dienen, und die sonstigen Sondergebiete nach § 11 Abs. 1 BauNVO müssen sich in ihrer Funktion wesentlich von den Gebieten gem. §§2 bis 10 BauNVO unterscheiden. Gemeinsam ist beiden Sondergebietsvorschriften, daß sie einige Sondergebiete der Bezeichnung nach selbst anführen. Zusätzlich enthält § 10 BauNVO in den Absätzen 3 bis 5 eine genauere Festlegung der Zweckbestimmung für die beispielhaft aufgezählten Sondergebiete Wochenendhaus-, Ferienhaus- und Campingplatzgebiet durch Aufzählung und Beschreibung der zulässigen Hauptnutzungen. Solche näheren Bestimmungen über die Gebietsart fehlen in § 11 BauNVO. In § 11 Abs. 3 findet sich jedoch eine Zulässigkeitsregelung für Einkaufszentren, großflächige Einzelhandels- und Handelsbetriebe. Die in den Sondergebietsfestsetzungen verankerten subjektiven öffentliche Rechte ergeben sich erst aus den Festsetzungen des Bebauungsplans, weil die in den Vorschriften festgelegten Leitlinien allein zu abstrakt sind und sich lediglich an den Ortsgesetzgeber richten.So ist dieser bei der Zusammensetzung der Nutzungen und der Zweckbestimmung für das jeweilige Sondergebiet lediglich an den allgemeinen Gebietszweck nach der Sondergebietsvorschrift und an die allgemeinen Regeln über Bauleitpläne nach dem BauGB gebunden. Innerhalb dieses Rahmens kann er jedoch frei über den Inhalt der Festsetzungen bestimmen. Ihrer Struktur nach lassen sich die über den Bebauungsplan vermittelten subjektiven öffentlichen Rechte jedoch allgemein bestimmen, da die Vorschriften über die Sondergebiete in ihrem systematischen Aufbau, allgemeine Zweckbestimmung, allgemein und ausnahmsweise zulässige Anlagen, den allgemeinen Gebietsvorschriften entsprechen. Darüber hinaus lassen sich unmittelbar subjektive öffentliche Rechte aus den speziellen Regelungen der §§ 10 Abs. 3-5, 11 Abs. 3 BauNVO herleiten.

1 Allg. Α., vgl. Knaup/Stange, BauNVO, § 10 Rn. 5; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 3; Söjker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 5; Boeddinghaus/Franßen/Rhode, BauNVO, § 10 Rn. 2; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 1, 10.

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IL Die durch Festsetzung eines Sondergebiets erzeugte Rechtsposition Grundsätzlich konstituieren die konkreten Festsetzungen eines Sondergebiets nach §§ 10, 11 BauNVO als Bestimmungen über die Art der baulichen Nutzung ein drittschützendes Austauschverhältnis, womit sie wie jede Gebietsfestsetzung abstrakt-generellen Schutz gegen gebietsfremde und gebietsverändernde Anlagen vermitteln können. Der Inhalt des Drittschutzes einer Gebietsfestsetzung bestimmt sich über die Wesensmerkmale „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis" nach der allgemeinen Zweckbestimmung der jeweiligen Gebietsvorschrift. Der Verordnungsgeber hat bei den Baugebieten gem. §§ 2-9 BauNVO einen besonders engen Ausgleich der Nutzungen nach ihrer Verträglichkeit vorgenommen, weshalb die Zulassung jeder objektiv unzulässigen Anlage als gebietsfremdes oder gebietsveränderndes Vorhaben die durch das Austauschverhältnis vermittelten subjektiven Rechte beeinträchtigen kann.2 Zu einer solch engen Zusammenfassung verträglicher Nutzungen ist der Ortsgesetzgeber bei den Sondergebieten jedoch nicht verpflichtet, da die §§ 10, 11 BauNVO in den Absätzen 1 und 2 nur den allgemeinen Rahmen für die Sondergebiete aufstellen. Dementsprechend muß die Festsetzung eines Sondergebiets nicht bereits gegen jedes nach der Gebietsfestsetzung objektiv unzulässige Vorhaben Drittschutz erzeugen.3 Maßgeblich ist die vom Ortsgesetzgeber vorgenommene Ausgestaltung der allgemeinen Zweckbestimmung in ihren Wesensmerkmalen „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis", nach denen sich der Inhalt des Drittschutzes auch bei den Sondergebieten bestimmt.4 Die allgemeine Zweckbestimmung steht in einer Abhängigkeit zu den in der Gebietsvorschrift aufgeführten allgemein wie ausnahmsweise zulässigen Nutzungen, weil diese die Zweckbestimmung inhaltlich konkretisieren. Je genauer der Plangeber die Zweckbestimmung und die allgemein wie ausnahmsweise zulässigen Nutzungen festlegt, desto bestimmter sind die drittschützenden Wesensmerkmale der Zweckbestimmung und desto enger ist der Ausgleich unter den Nutzungen.

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Allgemein zum Schutz gegen gebietsfremde und gebietsverändernde Vorhaben 2. Teil, 2. Kap., C. 3 So auch Schmaltz , in: FS Schlichter, S. 583 (592). 4 Ebenso Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 272.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Beim Drittschutz gegen gebietsverändernde Vorhaben über das Wesensmerkmal „Mischungsverhältnis" besteht zwischen Sondergebieten und den anderen Baugebieten der BauNVO kein Unterschied. Eine objektive Verletzung des Wesensmerkmals liegt in allen Gebieten gleichermaßen vor, wenn die Zulassung eines Vorhabens, das nicht gegen die Funktionsbestimmung oder den Störgrad verstößt, zum Umkippen des allgemein nach der Zweckbestimmung bestimmten oder durch die Ausnahmeregelung erweiterten Mischungsverhältnisses führen kann.5 Bei einem solchen objektiv unzulässigen, gebietsverändernden Vorhaben liegt auch im Sondergebiet stets eine subjektive Rechtsverletzung vor, weil das Umkippen als Gesamtstörung des vorgenommenen Ausgleichs nicht nur den Verlust der Stör- und Konfliktfreiheit, sondern auch ein Funktionsloswerden der Gebietsfestsetzung zur Folge haben kann.6 Unterschiede bestehen aber beim Drittschutz durch die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" gegen gebietsfremde Vorhaben. Aufgrund des engen Ausgleichs bei den vorgegebenen Gebietsvorschriften der BauNVO verstoßen alle nicht unter den Zulässigkeitskatalog fallenden Nutzungen automatisch auch gegen die Funktionsbestimmung und/oder den Störgrad. Das ist bei Sondergebieten jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die Ausgestaltung des Sondergebiets mittels nur einiger Nutzungen eher grobmaschig erfolgt ist. Die durch den grobmaschigen Ausgleich bestimmten Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" vermitteln eine eher allgemeinere Stör- und Konfliktfreiheit. Dann stellt sich die Frage, ob die Sondergebietsfestsetzung Drittschutz gegen Vorhaben eröffnet, die zwar nicht unter den Nutzungskatalog des Sondergebiets fallen und damit objektiv unzulässig sind, die aber auch nicht gegen die Funktionsbestimmung und/oder den Störgrad verstoßen. In Betracht kommt nur noch eine Verletzung der durch das Mischungsverhältnis vermittelten Rechtsposition. Das Mischungsverhältnis schützt den Dritten gerade vor Vorhaben, die zwar nicht gegen die Funktionsbestimmung oder den Störgrad des Baugebiets verstoßen, deren Zulassung aber ein Umkippen des gebietstypischen Mischungsverhältnisses bewirken kann. Auch die Zulassung objektiv gebietsunzulässiger Vorhaben, die nicht gegen Funktionsbestimmung und Störgrad verstoßen, kann das Mischungsverhältnis verändern. Eine solche gebietsverändernde Wirkung hat die Zulas5

Ähnlicher Auffassung Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 15. 6 Vgl. im einzelnen für die Voraussetzungen des Funktionsloswerdens bei Mischungsverhältnisänderungen 2. Teil, 2. Kap., C II 5. und allgemein 2. Teil, 2. Kap., C I 1.

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sung jedenfalls dann, wenn die gebietsunzulässigen Vorhaben das Gebiet prägen, so daß es nicht mehr dem Mischungsverhältnis der gebietszulässigen Nutzungen entspricht. Die Zulassung eines gebietsverändernden Vorhabens führt aufgrund der damit bewirkten Gesamtstörung im Baugebiet stets zur Verletzung der im Mischungsverhältnis enthaltenen subjektiven Rechtsposition. In Sondergebieten kann daher der Dritte gegen an sich objektiv unzulässige Vorhaben, die nicht gegen die Funktionsbestimmung oder den Störgrad verstoßen, nur dann vorgehen, wenn sie auch zu einer Veränderung des Mischungsverhältnisses führen.

B. Sondergebiete gem. § 10 Abs. 3-5 BauNVO Neben dem allgemeinen Drittschutz durch die Festsetzung eines Sondergebiets können sich aus den Absätzen 3 bis 5 des § 10 BauNVO für Wochenendhaus·, Ferienhaus- und Campingplatzgebiete unmittelbar subjektive öffentliche Rechte ergeben. Die Absätze 3 bis 5 legen zusammen mit Absatz 2 Satz 2 des § 10 BauNVO jeweils bindend für ein Baugebiet den zulässigen Inhalt der Zweckbestimmung und die Art der Nutzung fest. Zudem enthalten sie den notwendigen Mindestinhalt für die Festsetzungen des jeweiligen Baugebiets7, weshalb der entsprechende Absatz bei Festsetzung eines Wochenendhaus-, Ferienhaus- oder Campingplatzgebiets automatisch Bestandteil des Bebauungsplans gem. § 1 Abs. 3 BauNVO ist. Es handelt sich bei den Absätzen 3 bis 5 damit um konkrete Festsetzungen wie in den anderen Gebietsvorschriften der §§ 2-9 BauNVO. Grundsätzlich gilt auch für die Wochenend-, Ferienhausund Campingplatzgebiete das allgemein bei den Sondergebieten zum Drittschutzcharakter Ausgeführte. Darüber hinaus lassen sich genauere Angaben über den Drittschutz gegen gebietsfremde Vorhaben machen. Bei den gebietsfremden Vorhaben ist zu unterscheiden zwischen denjenigen, die nicht unter die Hauptnutzung fallen, und denjenigen, die nicht den sonstigen zulässigen Nutzungen entsprechen. Bei den Sondergebieten reicht es wegen ihrer Ausgestaltungsfreiheit grundsätzlich nicht für den Drittschutz gegen gebietsfremde Vorhaben aus, daß sie nicht unter die nach der Vorschrift zulässigen Nutzun7 Allg. Α., vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 9; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 12; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 12; Förster, BauNVO, § 10 Anm. 2. a); Knaup/Stange, BauNVO, § 10 Rn. 14.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

gen fallen. Vielmehr ist allein entscheidend, ob sie gegen die Funktionsbestimmung und/oder den Störgrad nach der Zweckbestimmung des jeweiligen Sondergebiets verstoßen. Maßgeblich für die Wesensmerkmale des Baugebiets ist die allgemeine Zweckbestimmung. Unmittelbar legt sie das Mischungsverhältnis, d. h. die gebietsspezifische Zusammensetzung der gebietsprägenden Nutzungen fest und mittelbar über das Mischungsverhältnis und die gebietsprägenden Nutzungen die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad".8 So ergibt sich die Funktionsbestimmung des Baugebiets aus den Nutzungsfunktionen der gebietsprägenden Nutzungen in ihrer Gewichtung nach dem Mischungsverhältnis und der Störgrad aus den typischerweise von den gebietsprägenden Nutzungen verursachten Auswirkungen, ebenfalls gewichtet nach dem Mischungsverhältnis. Bei den drei Sondergebieten nach § 10 Abs. 3 bis 5 BauNVO stellen die in den Absätzen aufgeführten Hauptnutzungen die einzig gebietsprägenden Nutzungen dar, weil andere Anlagen nach Absatz 2 Satz 2 der Vorschrift nur bei entsprechender Festsetzung zulässig sind und dann der Eigenart des Baugebiets entsprechen müssen. Die Zweckbestimmung dieser Baugebiete definiert sich aus dem Merkmal der Erholung gem. Absatz 1 gemeinsam mit der jeweiligen Hauptnutzung. Konkrete Nachbarrechte können sich daher aus der die Eigenart des Gebiets festlegenden Zweckbestimmung und/oder aus den Merkmalen der Hauptnutzung ergeben.

L Das Wochenendhausgebiet 1. Der zeitlich begrenzte Aufenthalt zur Erholung Für das Wochenendhausgebiet sind nach Absatz 3 als gebietsprägende Hauptnutzung Wochenendhäuser zulässig. Der Begriff des Wochenendhauses hat sich mangels gesetzlicher Definition aus der Zweckbestimmung des Wochenendhausgebiets herausgebildet. Unter einem Wochenendhaus ist damit ein Gebäude zu verstehen, das nach Größe und Ausstattung einen Aufenthalt über mehrere Tage hinweg ohne unzumutbare Einschränkungen ermöglicht.9 Das 8 Vgl. zur Bedeutung und zum Aufbau der Merkmale 2. Teil, 2. Kap., A und zur Bedeutung der Gebietsfestsetzung 2. Teil, 2. Kap., C. 9 Allg. Α., vgl. BVerwG, DÖV 1975, 537; BGH NVwZ 1987, 168; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn.16, 20; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 47; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 21.

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wesentliche Abgrenzungsmerkmal zu den allgemeinen Wohngebäuden erschließt sich aus einer nutzungstypischen Betrachtungsweise. Während Wohngebäude zu einem Wohnen auf Dauer bestimmt sind, dienen Wochenendhäuser nur einem zeitlich begrenzten Aufenthalt im Erholungsraum in vorwiegend eigenen Räumlichkeiten. Die Art der baulichen Nutzung Wochenendhaus hängt folglich untrennbar mit der Nutzungsweise zusammen. Das Merkmal der zeitlich begrenzten Nutzung zum Erholen ist nicht nur das charakteristische Merkmal der Hauptnutzung Wochenendhaus, sondern bestimmt wegen der gebietsprägenden Bedeutung der Hauptnutzung darüber hinaus die Eigenart des Baugebiets10 und das Austauschverhältnis. Genaugenommen besteht das Merkmal aus den Kriterien „zeitlich begrenzte Nutzung" und „Erholung". Diese Kriterien umschreiben allgemein die Funktionsbestimmung und den Störgrad des Wochenendhausgebiets. Ihrer Funktion nach dienen Wochenendhausgebiete dem zeitlich begrenzten Aufenthalt zum Erholen, womit indirekt auch der Störgrad bestimmt ist. So dürfen die gebietszulässigen Nutzungen nicht das Erholen im Baugebiet stören.11 In ihrer Eigenschaft als allgemeine objektive Zulässigkeitsschranke im Baugebiet zeigen Funktionsbestimmung und Störgrad für die Hauptnutzung Wochenendhaus und die anderen zulässigen Nutzungen konkrete Konsequenzen. So stellt die Dauernutzung eines Wochenendhauses eine nach den Bauordnungen der Länder genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung i. S. von § 29 Satz 1 BauGB dar, die objektiv der Eigenart des Wochenendhausgebiets widerspricht.12 Der objektive Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets ergibt sich aus dem Merkmal der Funktionsbestimmung. Fraglich ist aber, ob in diesem objektiven Verstoß auch eine Verletzung der subjektiven Rechtsposition zu sehen ist. Die Funktionsbestimmung sichert eine bestimmte Nutzungsweise im Baugebiet und damit auch eine bestimmte Benutzungsstärke. Nach der Funktionsbestimmung richtet sich daher insbesondere auch die Ausstattung mit gemeindlichen und sonstigen öffentlichen Einrichtungen sowie der „Ge-"

10 Ebenso BGH, NVwZ 1987, 168; Hess VGH, BRS 29 Nr. 64; BVerwG, DÖV 1975, 537. 11 So auch Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 269. 12 Allg. Α., vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 23; Förster, BauNVO, § 10 Anm. 3 b); Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 872; Knaup/Stange, BauNVO, § 10 Rn. 23; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 17; Süß, BayBgm 1965, 7; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 48; aus der Rspr. BVerwG, DÖV 1975, 537; BGH, NVwZ 1987, 168.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

und „Verbrauch" des Gebiets. Die Beschränkung auf einen zeitweiligen Aufenthalt zur Erholung dient vor allem der Schonung des Erholungsraums und sichert dessen Erholungsfunktion fur die Allgemeinheit wie für den Einzelnen.13 Würde man insoweit dem Nutzungsbegriff der das Wochenendhausgebiet charakterisierenden Hauptnutzung im Zusammenhang mit der Funktionsbestimmung keine Drittschutzwirkung beimessen, dann wäre insgesamt fraglich, ob nicht der Gebietsfestsetzung eine Drittschutzwirkung zukommt. Es entspricht aber allgemeiner Auffassung, daß auch die Festsetzung von Sondergebieten drittschützende Wirkung entfaltet. Durch die Dauernutzung der Wochenendhäuser tritt jedoch eine gesteigerte Nutzung des Erholungsraums auf, die den Erholungswert des Gebiets gefährdet und eine schleichende Gebietsänderung einleitet. Damit beeinträchtigt eine Dauernutzung gleichzeitig die in der Funktionsbestimmung vermittelte subjektive Rechtsposition, da hierzu jedenfalls auch der Erholungswert des Wochenendhausgebiets gehört. Allgemeine Wohngebäude, auch soweit erst durch eine Dauernutzung umfunktioniert, gehören mithin zu den gebietsfremden Vorhaben, gegen die eine Gebietsvorschrift grundsätzlich Drittschutz gewährt. 14 Dieses Abwehrrecht erweist sich jedoch als stumpfes Schwert, da sich die dauernde und zeitweilige Nutzung in der Praxis einer trennscharfen Abgrenzung entziehen.15 So beschränkt sich der begrenzte Aufenthalt nicht allein auf das Wochenende, sondern umfaßt auch den Aufenthalt in den Ferien oder in sonstiger Freizeit. Zudem können sich mehrere Familien durchaus ein Wochenendhaus - ohne daß eine Vermietung stattfindet - teilen, wodurch eine gewisse zulässige Dauerbenutzung auftreten kann. Bei allen anderen zulässigen Vorhaben nach Absatz 2 Satz 2 bewirken die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" in ihrer Funktion als allgemeine Zulässigkeitsschranke die notwendige Einschränkung der weiten Nutzungsbegriffe. Für diese Funktion liefert Absatz 2 Satz 2 einen konkreten Anhaltspunkt im Wortlaut, da alle Nutzungen danach der Eigenart des Bauge-

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So auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 48. Auch das BVerwG, BVerwGE 94, 151 (161)=DVB1 1994, 284 (287) hat allgemein anerkannt, daß der Einzelne einen subjektiven Abwehranspruch gegen die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens zusteht; vgl. zudem allgemein zum Drittschutz gegen gebietsfremde Nutzungen oben unter 2. Teil, 2. Kap., C I. 15 Dem entspricht die allgemeine Erkenntnis hinsichtlich der Möglichkeiten für die Bauaufsichtsbehörde, eine Dauernutzung zu unterbinden, vgl. nur Fikkert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 23. 14

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biets entsprechen müssen.16 Dementsprechend gehören alle Vorhaben, die nach ihrer Funktionsbestimmung und ihrem Störgrad in Widerspruch zu den Kriterien des zeitlich begrenzten Aufenthalts und der Erholung stehen, zu den gebietsfremden Vorhaben.17

2. Die Grundflüchenzahl Neben der zeitlich begrenzten Nutzung könnte auch die Grundflächenfestsetzung nach Absatz 3 Satz 2 drittschützendes Merkmal des Wochenendhauses sein. Bei der Grundfläche handelt es sich um ein absolutes Höchstmaß i. S. von § 16 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 BauNVO.18 Für den Drittschutzcharakter der Festlegung der Grundfläche kommt es darauf an, ob die Festsetzung wesentliches Merkmal des Wochenendhauses ist und nicht allein im öffentlichen Interesse erfolgt. Als wesentliches Merkmal würde es die Nutzungsart charakterisieren und an dessen drittschützender Wirkung teilhaben. Die Bestimmung der Grundfläche gehört grundsätzlich zu den Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, denen ein Drittschutzcharakter fremd ist. Unter diesem Blickwinkel erscheint die Grundfläche nicht als ein Kriterium zur Bestimmung der Nutzungsart Wochenendhaus.19 Zudem erfolgt die Festlegung unter Berücksichtigung der landschaftlichen Gegebenheiten, womit die Anordnung allein aus öffentlichem Interesse erfolgen könnte. Die fehlende Unterscheidungsfahigkeit und Drittschutzeignung sind bei den allgemeinen Bestimmungen über das Maß der baulichen Nutzung, insbesondere auch bei Grundflächenzahlen gem. § 16 BauNVO, in ihrer gleichmäßigen Bedeutung für alle Nutzungen begründet. Die Festlegung der Grundfläche nach § 10 Abs. 3 BauNVO erfolgt dagegen ausschließlich für das Wochenendhaus. Für die Annahme eines wesentlichen Unterscheidungsmerkmals spricht ferner, daß gem. Absatz 3 Satz 2 die besondere Eigenart des Bauge-

16 Das Kriterium „Eigenart des Gebietes" bezieht sich auf alle Einrichtungen und Anlagen, vgl. nur Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 15; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 36.1. 17 Begrenzt auf den Störgrad will auch Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 270, Drittschutz anerkennen. 18 Vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 22; Knaup/Stange, BauNVO, § 10 Rn. 32. 19 Dieser Ansicht scheinen Fickert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 22 zuzuneigen.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

biets die Festlegung der Grundfläche begrenzt. Mit der besonderen Eigenart des Baugebiets ist die allgemeine Eigenart des Wochenendhausgebiets gemeint. Die begrenzende Wirkung durch Bezugnahme auf die Eigenart des Baugebiets kann nur als Beschreibung eines absoluten Höchstmaßes zu verstehen sein, das der Plangeber nicht überschreiten darf. Das Höchstmaß soll dabei die Festlegung einer kleinen Grundfläche sichern. Dieser Zweck der Bezugnahme ergibt sich daraus, daß wesentliches Merkmal der Eigenart des Baugebiets der zeitlich begrenzte Aufenthalt zur Erholung ist. Für diesen sind kleinere Wohngebäude zum einen völlig ausreichend. Zum anderen sichert eine geringe Grundfläche und damit eine kleine Wohneinheit eine zeitlich begrenzte Nutzung, da die Bereitschaft, auf engem Wohnraum zu leben, nur kurzzeitig besteht. Dem entspricht die allgemeine Auffassung, daß über eine geringe Grundflächenbestimmung am besten eine Dauernutzung des Wochenendhauses verhindert werden kann.20 Der zeitlich begrenzte Aufenthalt zur Erholung als Merkmal der Eigenart des Baugebiets verlangt daher eine niedrige Bemessung der Grundfläche. Aufgrund seiner Doppelfunktion dient das Merkmal nicht nur zur Festlegung der Eigenart des Baugebiets, sondern gleichzeitig als Abgrenzungskriterium für die Nutzungsart Wochenendhaus. Die Grundflächenbestimmung stellt sich mit ihrer Ausrichtung an der Eigenart des Baugebiets letztlich als eine Konkretisierung des Merkmals der Nutzungsart heraus. Als wesentliches Merkmal des Wochenendhauses ist die Grundflächenbestimmung in die drittschützende Wirkung der Nutzungsart einbezogen. Am drittschützenden Charakter der Grundflächenbestimmung ändert auch das Erfordernis nichts, daß die Festlegung unter Berücksichtigung der landschaftlichen Gegebenheiten erfolgen muß. Die Verpflichtung beruht zwar auf den Grundsätzen der Bauleitplanung nach § 1 Abs. 5 BauGB, insbesondere der Verpflichtung zur Berücksichtigung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie der Verpflichtung, mit Grund und Boden sparsam und schonend umzugehen.21 Diese öffentlichen Interessen folgenden Grundsätze dienen aber gleichzeitig zur Erhaltung der Landschaft als Erholungsgebiet, woran sich entsprechende Individualinteressen an der Erhaltung der Eigenart des Wochenendhausgebiets anknüpfen. Die Grundflächenzahl

20 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 23.1; Förster, BauNVO, § 10 Anm. 3 a); Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 866; Boeddinghaus/Franßen/Rhode, BauNVO, § 10 Rn. 13; Knaup/Stange, BauNVO, § 10 Rn. 37; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 22; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 61. 21 Vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 22.

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vermittelt somit als drittschützendes Merkmal ein Abwehrrecht gegen Wochenendhäuser, die die Festsetzung überschreiten.

ü. Das Ferienhausgebiet 1. Das Merkmal der touristischen Nutzung zur Erholung Als prägende Hauptnutzungsart in Ferienhausgebieten nennt § 10 Abs. 4 Satz 1 BauNVO die Ferienhäuser. Wesentliche Merkmale nach der in Absatz 4 enthaltenen Legaldefinition sind die Eignung zum zeitlich begrenzten Erholungsaufenthalt und die Bestimmung, überwiegend und auf Dauer einem wechselnden Personenkreis zu dienen. Der wesentliche Unterschied zu den Wochenendhäusern besteht darin, daß Ferienhäuser überwiegend und auf Dauer einem wechselnden Personenkreis dienen müssen. Das Tatbestandsmerkmal „auf Dauer" beinhaltet die Forderung, daß die Ferienhäuser ihrer Beschaffenheit nach zu einer dauernden Nutzung durch wechselnde Personen geeignet sind. Das bedeutet nichts anderes als eine Eignung zur touristischen Vermietung.22 Die Dauernutzung eines Ferienhauses, soweit sie durch einen wechselnden Personenkreis geschieht, ist damit im Gegensatz zum Wochenendhaus nicht nur zulässig, sondern mit der Anforderung „auf Dauer" auch beabsichtigt. Aufgrund der prägenden Wirkung der Ferienhäuser als Hauptnutzung umschreibt das Merkmal des dauernden Aufenthalts wechselnder Personenkreise zur Erholung auch Funktionsbestimmung und Störgrad nach der Zweckbestimmung des Ferienhausgebiets und damit die Eigenart des Gebiets.23 Allgemeiner formuliert ist das Ferienhausgebiet durch die touristische Nutzung i. S. eines Fremdenverkehrswesens geprägt. Mittels des Tatbestandsmerkmals „überwiegend" eröffnet die Vorschrift die Möglichkeit, einen kleineren Teil des Ferienhauses dauernd von einer oder mehreren Personen bewohnen zu lassen, und zwar nicht nur zu Erholungszwecken. Gemeint sind damit jedenfalls Wohnungen für Personal, das die dauernde Nutzung durch einen wechselnden Personenkreis ermöglicht und si-

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So auch Fickert/Fieseler, Ebenso Fickert/Fieseler, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 68. 23

BauNVO, § 10 Rn. 34. BauNVO, § 10 Rn. 35.1; Ziegler, in: Brügelmann,

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

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cherstellt wie ζ. B. Betriebsleiter und Betriebspersonal.24 Seinem Wortlaut nach könnte das Tatbestandsmerkmal auch die teilweise Nutzung eines Ferienhauses als Dauerwohnsitz ζ. B. für Rentner und Pensionäre zulassen, da sich das Tatbestandsmerkmal „überwiegend" auch auf das Merkmal „zur Erholung" bezieht.25 Die herrschende Auffassung lehnt die Zulässigkeit dieser Art der Dauernutzung ab mit der Begründung, daß sie in Widerspruch zur Zweckbestimmung und Eigenart des Baugebiets stehe.26 Dieser Auslegung ist zuzustimmen, wobei sich der Widerspruch genaugenommen auf das Merkmal der Funktionsbestimmung bezieht. Der Funktionsbestimmung nach sollen das Ferienhaus wie das Ferienhausgebiet einem dauernd wechselnden Personenkreis zur Erholung dienen. Das Ferienhausgebiet ist daher ein Erholungsgebiet, das für die Allgemeinheit und nicht nur für einen kleinen Kreis der Hausbzw. Wohnungseigentümer wie beim Wochenendhausgebiet zugänglich ist und bleiben soll. Das Merkmal des dauernd wechselnden Personenkreises sichert der Allgemeinheit den Zugang zum Erholungsgebiet. Dazu steht die Dauernutzung als Altersruhesitz oder zum Wohnen allgemein in Widerspruch, da sie der Allgemeinheit Wohnungspotential zur zeitweiligen Erholungsnutzung entzieht. Darüber hinaus läßt sich eine Dauernutzung grundsätzlich nur mit Schwierigkeiten verhindern.27 Durch die allgemeine Zulässigkeit einer derartigen Dauernutzung in Ferienhäusern, auch nur zu einem geringen Teil über das Tatbestandsmerkmal „überwiegend", ließe sich die schleichende Veränderung des Ferienhausgebiets zu einem allgemeinen Wohngebiet letztlich nicht mehr verhindern. Dem Entzug der Erholungsnutzung des Ferienhausgebiets für die Allgemeinheit stünde damit Tür und Tor offen. Die Funktionsbestimmung verlangt daher eine Auslegung des Merkmals „überwiegend", wonach lediglich solche Dauernutzungen zulässig sind, die auch der touristischen Nutzung des Gebiets dienen oder sich aus dieser ergeben. Zulässig ist danach auch noch die Eigennutzung des Ferienhauses durch den Eigentümer zu Erholungszwecken. Die Dauernutzung eines Ferienhauses auch nur in Teilen,

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Allg. Α., vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 35; Knaup/Stange, BauNVO, § 10 Rn. 44; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 27; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 66, 73. 25 Dieser Auffassung ist jedenfalls Förster, BauNVO, § 10 Anm. 4 b). 26 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 35; Knaup/Stange BauNVO, § 10 Rn. 44; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 27; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 66. 27 Vgl. nur Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 27, der sogar davon ausgeht, daß die praktischen Eingriffsmöglichkeiten der Bauaufsicht im Ferienhausgebiet noch wesentlich erschwert sind.

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die nicht durch die touristische Nutzung bedingt ist, stellt infolgedessen eine objektiv gegen die Funktionsbestimmung verstoßende und damit unzulässige Nutzungsänderung dar.28 Fraglich ist, ob dieser objektive Verstoß gegen die Funktionsbestimmung zu einer subjektiven Rechtsverletzung führt. Dagegen spricht zunächst, daß die dauernde Nutzung als Wohngebäude keine Störung der Ferienhausnutzung beinhaltet.29 Die Funktionsbestimmung sichert mit dem Verbot der nicht durch die touristische Nutzung bedingten Dauernutzung objektiv den Erhalt des Erholungsgebiets für die Allgemeinheit. Darin liegt aber keine individualschutzfähige Rechtsposition. Die in der Funktionsbestimmung enthaltene subjektive Rechtsposition ist der Erholungswert, den die touristische Nutzung, d.h. die Fremdenverkehrswesensart ermöglicht. Eine auch nur teilweise Dauernutzung des Ferienhauses beeinträchtigt den Erholungswert des Ferienhausgebiets jedoch nicht. Die Zulassung einer Dauernutzung in einem Ferienhaus vermag daher subjektive öffentliche Rechte grundsätzlich nicht zu beeinträchtigen. Das Merkmal der touristischen Dauernutzung ist nicht nur charakteristisches Merkmal der Hauptnutzung, sondern zugleich Wesensmerkmal des Ferienhausgebiets. Die touristische Dauernutzung konkretisiert vor allem die Funktionsbestimmung und den Störgrad des Gebiets. So ist das gesamte Baugebiet, insbesondere die Versorgung und Erschließung, auf die touristische Dauernutzung ausgerichtet. Die touristische Nutzungsweise bedingt einen intensiveren Gebrauch des Gebiets und seiner Einrichtungen als im Wochenendhausgebiet, der durch den dauernden Wechsel der Erholungsuchenden verursacht wird. Dementsprechend ist der Störgrad im Ferienhausgebiet etwas höher anzusiedeln als im Wochenendhausgebiet, womit er in etwa dem des allgemeinen Wohngebiets nach § 4 BauNVO gleichkommt. Zu den gebietsfremden Nutzungen gehören demnach sämtliche Vorhaben, die zwar nach einer Festsetzung gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 BauNVO zulässig sind, aber gegen die derart bestimmten Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" verstoßen. Gegen diese Vorhaben vermittelt die allgemeine Zweckbestimmung

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So die überwiegende Auffassung, vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 35.1; Knaup/Stange, BauNVO, §10 Rn. 40; Söjker, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 27; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 66. 29 So zumindest Schmaltz , in FS Schlichter, S. 583 (592), der daher eine subjektive Rechtsverletzung ausschließt. 14 Petersen

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

des Ferienhausgebiets ein subjektives Abwehrrecht.30 Bei einem Verstoß gegen die Funktionsbestimmung kann jedoch einschränkend eine subjektive Rechtsverletzung nur angenommen werden, soweit das Vorhaben auch den darin bestimmten Erholungswert des Ferienhausgebiets verletzen würde.

2. Die Grundflächenzahl

im Ferienhausgebiet

Nach Absatz 4 Satz 2 kann der Plangeber im Ferienhausgebiet unter den gleichen Voraussetzungen wie im Wochenendhausgebiet die Grundfläche für Ferienhäuser festlegen. Die derart bestimmte Grundfläche kennzeichnet dementsprechend auch für Ferienhäuser das zulässige, absolute Höchstmaß der Grundfläche wie eine Festsetzung nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 BauNVO. Im Gegensatz zur Festsetzung im Wochenendhausgebiet hat die Bestimmung der Grundfläche grundsätzlich keinen drittschützenden Charakter. Darauf deutet bereits die Ausgestaltung der Grundflächenfestlegung als „Kann-Bestimmung" hin. Die Grundflächenbestimmung ist daher für die Festlegung eines Ferienhausgebiets nicht zwingend erforderlich. Die fehlende Notwendigkeit ist u.a. begründet in dem wesentlich größeren Maß der baulichen Nutzung im Ferienhausgebiet, das gem. § 17 Abs. 1 BauNVO dem der reinen und allgemeinen Wohngebiete entspricht. Aufgrund der durch das weite Maß eröffneten Variationsbreite existiert für das Ferienhaus kein typisches, diese Nutzungsart charakterisierendes Maß der baulichen Nutzung. Die Festlegung der Grundfläche kann damit grundsätzlich nicht der Sicherung der Eigenart des Ferienhauses oder des Baugebiets dienen. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß beim Ferienhausgebiet ebenso wie im Wochenendhausgebiet die besondere Eigenart des Baugebiets die Festlegung der Grundfläche begrenzt. Die Variationsbreite des Maßes für das Ferienhaus erfaßt auch die Eigenart des Baugebiets, die keine auf das Baumaß bezogene Eigenart besitzt. Die begrenzend gedachte Bezugnahme ist daher in Absatz 4 Satz 2 vornehmlich als Hinweis auf das zulässige Maß der baulichen Nutzung gem. § 17 Abs. 1 BauNVO zu verstehen. Da für das Ferienhaus wie für das Ferienhausgebiet kein charakteristisches Maß der baulichen Nutzung besteht, gehören gegen eine festgesetzte Grund30

Dafür auch Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 271.

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fläche verstoßende Vorhaben auch nicht zu den gebietsfremden Vorhaben. Der Grundflächenfestsetzung nach Absatz 4 Satz 2 kommt dementsprechend im allgemeinen keine drittschützende Wirkung zu. Etwas anderes kann sich nur daraus ergeben, daß der Plangeber der Festsetzung ausdrücklich drittschützende Wirkung beimißt. Das ist ζ. B. der Fall, wenn die Grundflächenbestimmung eindeutig der Sicherung des Erholungswertes des Baugebiets dienen soll.

ΠΙ· Das Campingplatzgebiet Aufgrund der spärlichen Angaben des Absatzes 5, wonach Camping- und Zeltplätze zu den prägenden Hauptnutzungen des Campingplatzgebiets gehören, lassen sich nur allgemeine Aussagen über den Drittschutz gegen gebietsfremde Vorhaben treffen. Wesentliche Merkmale der Camping- und Zeltplätze ergeben sich mangels gesetzlicher Definition aus der Natur der Sache. Eine strikte Trennung von Camping- und Zeltplätzen ist dabei planungsrechtlich nicht erforderlich. 31 Sie sind beide dadurch gekennzeichnet, daß ihre Benutzer - während des ganzen Jahres oder wiederkehrend - Zelte, Wohnwagen oder ähnliche mobile Anlagen aufstellen.32 Zu den auf Camping- und Zeltplätzen zulässigen Anlagen gehören nur mobile Unterkünfte, nicht dagegen feste Anlagen.33 Ein Camping- oder Zeltplatz mit festen Unterkünften für die Benutzer gehört folglich zu den gebietsfremden Vorhaben, gegen die Absatz 5 Drittschutz vermittelt. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß lediglich die Camping- bzw. Zeltplätze einer planungsrechtlichen Genehmigung bedürfen, nicht jedoch das Aufstellen oder Entfernen der mobilen Unterkünfte. Unter den planungsrechtlichen Begriff der Nutzungsart Campingplatz fallen jedoch auch alle für den Betrieb eines derartigen Platzes notwendigen Anlagen wie ζ. B. sanitäre Einrichtungen und Verwaltungseinrichtungen.34 Sie sind als genehmigungsbedürftiger Teil der Nutzung „Camping-" bzw. „Zeltplatz" zu 31

So Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 880. Allg. A. vgl., Fickert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 42; Knaup/Stange, BauNVO, § 10 Rn. 47; Leder/Scholtissek, BauNVO, § 10 Rn. 9; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 878 f.; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 32; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB; § 10 BauNVO Rn. 79. 33 Vgl. nur Fickert/Fieseler, BauNVO, § 10 Rn. 47. 34 Umfassende Auflistung bei Ziegler, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 82. 32

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

betrachten. Von den zum Camping- bzw. Zeltplatz gehörenden Anlagen sind solche zu unterscheiden, die einer Festsetzung nach Absatz 2 Satz 2 bedürfen. Abgrenzungskriterium ist die Erforderlichkeit zum Betrieb des Platzes, die sich u.a. auch aus dem Landesrecht, insbesondere einer Campingplatzverordnung ergeben kann.35 Welche Anlagen im einzelnen noch für den Betrieb des Camping- bzw. Freizeitplatzes notwendig sind, richtet sich allein nach den Umständen des Einzelfalls. Soweit die Anlagen eine Festsetzung nach Absatz 2 Satz 2 verlangen, sind sie innerhalb des Campingplatzes unzulässig und gehören bei fehlender Festsetzung zu den gebietsfremden Anlagen. Allein gegen die als gebietsfremd zu bezeichnenden Anlagen vermittelt Absatz 5 auch ein subjektives öffentliches Recht. Das Abwehrrecht steht dabei den Grundstückseigentümern der Camping- bzw. Zeltplatznutzungen im Plangebiet zu. Aus den Wesensmerkmalen eines Camping- und Zeltplatzes ergibt sich die Zweckbestimmung des Gebiets. Das Campingplatzgebiet dient dem vorübergehenden Erholungsaufenthalt in mobilen Unterkünften mit unmittelbarem Kontakt zur Natur.36 Die damit beschriebene Funktionsbestimmung verlangt, daß gebietszulässige Anlagen nicht dem ungezwungenen und ungebundenen Freizeitgenuß in der Natur widersprechen dürfen. Entsprechend der Funktionsbestimmung, insbesondere aufgrund des direkten Naturkontakts, ist ein sehr geringer Störgrad im Campingplatzgebiet nach der Zweckbestimmung zulässig. Die Zweckbestimmung vermittelt daher gegen Vorhaben, die gegen die Funktionsbestimmung und/oder den Störgrad als allgemeine Zulässigkeitsschranke für alle gebietszulässigen Vorhaben verstoßen, ein subjektives öffentliches Recht. Auf diesen Schutz können sich die Grundstückseigentümer der Camping- und Zeltplatznutzungen im Plangebiet berufen.

35

Zu den Campingplatz Verordnungen der Länder vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 41. 36 Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 10 BauNVO Rn. 32; Knaup/Stange, BauNVO, § 10 Rn. 48, jeweils m. w. N.

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C. Sondergebiete gem. § 11 Abs. 3 BauNVO L Der Drittschutz in der Zulässigkeitsregelung von Einkaufszentren, großflächigen Einzelhandels- und Handelsbetrieben Konkreter Drittschutz in den sonstigen Sondergebieten nach § 11 BauNVO kann allein in Absatz 3 verankert sein. Danach sind Einkaufszentren, großflächige Einzelhandels- und Handelsbetriebe, wenn sie nach Art, Lage oder Umfang nicht unwesentliche Auswirkungen auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung haben, nur in Kerngebieten und in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig. Die Regelung ergänzt auf diese Weise die in den Baugebietsvorschriften geregelte Zulässigkeit von Gewerbebetrieben, die die Merkmale der in Absatz 3 bezeichneten großflächigen Betriebe aufweisen. Aus der Zuweisung dieser Vorhaben in Kerngebiete und für sie festgelegte Sondergebiete ergibt sich im Umkehrschluß, daß sie in allen anderen Baugebieten unzulässig sind. Als in den anderen Baugebieten gebietsunzulässige Vorhaben könnten Einkaufszentren sowie großflächige Einzelhandels- und Handelsbetriebe dort zu den gebietsfremden Vorhaben gehören, gegen die die Gebietsvorschriften über Funktionsbestimmung und Störgrad abstrakt-generell Drittschutz gewähren. Maßgeblich für einen derartigen Drittschutz ist, ob die Zuweisung der Nutzungen nach § I I Abs. 3 BauNVO in Kern- und Sondergebiete die durch die allgemeine Zweckbestimmung der anderen Gebietsvorschriften vermittelte subjektive Rechtsposition ergänzt. Negativ formuliert ist eine drittschützende Funktion von § 11 Abs. 3 BauNVO anzunehmen, wenn die Zulassung von Einkaufszentren, großflächigen Einzel- und Handelsbetrieben in anderen als Kern- und Sondergebieten als eine Verletzung der drittschützenden Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" nach der jeweiligen Baugebietsvorschrift zu werten ist.

7. Der Schutz der Stör- und Konfliktfreiheit im Baugebiet über die Zulässigkeitsregelung als subjektive Rechtsposition Ausgangspunkt der Regelung ist die Bestimmung der örtlichen Lage von Einkaufszentren, großflächigen Einzelhandels- und Handelsbetrieben wegen ihrer Auswirkungen auf die Ziele der Raumordnung und Landesplanung bzw.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung. Im Vordergrund stehen die planungsrechtlichen Folgen der lokalen Ansiedlung von Anlagen aus Absatz 3 auf die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung und die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche sowie auf die Infrastruktur und den Verkehr.37 Unter den Auswirkungen sind allgemein die Folgen des mannigfaltigen und massenhaften Angebots von Konsumartikeln zu verstehen, das eine entsprechend große Zahl von Konsumenten voraussetzt und nach sich zieht, sowie eine entsprechend umfangreiche und dauerhafte Belieferung mit den angebotenen Gütern erfordert. Nach der Weitung des Verordnungsgebers weist von den in der BauNVO vorgegebenen Baugebieten allein das Kerngebiet die planungsrechtlichen Voraussetzungen für derartige Betriebe auf. So ist das Kerngebiet wegen seiner infrastrukturellen Bedingungen, dem zulässigen Verkehr, der vorhandenen Nachfrage nach den angebotenen Versorgungsgütern sowie des zulässigen Störpegels in der Lage, die nicht unwesentlichen Auswirkungen von Nutzungen nach Absatz 3 aufzunehmen. Die Zuweisung von Einkaufszentren, großflächigen Einzelhandels- und Handelsbetrieben in Kerngebiete und für sie festgesetzte Sondergebiete erfolgt damit zur Steuerung der planungsrechtlichen Folgen, die die Auswirkungen der Betriebe verursachen. Nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 ist bei Einkaufszentren das Vorliegen von derartigen Auswirkungen nicht im einzelnen zu prüfen, da nach Auffassung des Verordnungsgebers von diesen immer nicht unwesentliche Auswirkungen ausgehen.38 Hingegen ist bei den großflächigen Einzelhandels- und Handelsbetrieben das Vorliegen von Auswirkungen auf die Ziele der Raumordnung und Landesplanung bzw. auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nach Art, Ort oder Umfang im einzelnen nachzuweisen. Für die Einordnung als großflächiger Einzelhandels- oder Handelsbetrieb i. S. von Absatz 3 reicht bereits das Vorliegen nicht unwesentlicher Auswirkungen auf einen einzigen Belang aus.39 Die Zuweisung der Vorhaben in bestimmte Baugebiete allein wegen ihrer planungsrechtlichen Auswirkungen spricht zunächst entschieden gegen eine

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Vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 11 BauNVO Rn. 41; BVerwG, ZfBR 1984, 135 f. 38 Dies entspricht auch der allg. Α., vgl. Knaup/Stange, BauNVO, § 11 Rn. 39; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 11 Rn. 16; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 894; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 11 BauNVO Rn. 88. 39 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 21.1.

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zumindest auch individualschützende Funktion der Regelung.40 So ist bei den Auswirkungen auf die Ziele der Raumordnung oder Landesplanung ein Schutz von Individualinteressen ausgeschlossen, da dem Einzelnen keine planungsrechtlichen Befugnisse oder Rechtspositionen zukommen. Denkbar ist hier allein ein Schutz der gemeindlichen Interessen an der Planungshoheit.41 Dem Merkmal der Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung können aber neben den gemeindlichen Planungsinteressen auch die individuellen Interessen an der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung des Baugebiets zugrunde liegen. Der Begriff der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung ist § 1 Abs. 3 BauGB entlehnt. Allgemein hat der Begriff der städtebaulichen Ordnung das Planungsrecht zum Inhalt, also das, was die §§ 30, 34 und 35 BauGB für die einzelnen Grundstücke bodenrechtlich vorsehen. Im beplanten Gebiet bestimmen gem. § 8 Abs. 1 BauGB die rechtsverbindlichen Festsetzungen des Bebauungsplans die städtebauliche Ordnung. Unter der städtebaulichen Entwicklung sind allgemein die vorgesehenen Änderungen der städtebaulichen Ordnung im Rahmen des Flächennutzungsplans zu verstehen.42 Nach den vorhandenen, hinreichend konkretisierten planerischen Willensbetätigungen der Gemeinde bestimmt sich daher, was im einzelnen die geordnete städtebauliche Entwicklung ist.43 Der Bebauungsplan stellt eine derartige konkretisierte planerische Willensbetätigung der Gemeinde dar und legt damit die städtebauliche Entwicklung und Ordnung innerhalb des Plangebiets fest. Abstrakt für den jeweiligen Gebietstypus beinhalten die einzelnen Gebietsvorschriften der BauNVO die städtebauliche Entwicklung und Ordnung. Die planungsrechtlichen Zielvorstellungen der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung eines Baugebiets sind in der allgemeinen Zweckbestimmung nach dem jeweiligen Absatz 1 der Gebietsvorschrift, in den sich daraus ergebenden Wesensmerkmalen des Baugebiets, „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis", enthalten. Die Gebietsvorschriften legen dabei über die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" diejenigen Nutzungen fest, die in ihren städtebaulichen Auswirkungen auch dem geplanten Baugebiet, dessen städtebaulicher Ordnung und Entwicklung entsprechen. Das Mischungsverhältnis bestimmt hingegen allein die Zusammenset40 Beckmann, VR 1990, 152 (158), geht mit diesem Argument davon aus, daß § 11 Abs. 3 BauNVO lediglich ausschließlich öffentlichen Interessen dient. 41 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 11.21; ablehnend Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Nachbarrechts, Teil H Rn. 257. 42 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 11 BauNVO Rn. 93. 43 Vgl. hierzu ausführlich BVerwGE 18, 247 (252).

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

zung der nach ihren Auswirkungen gebietszulässigen Vorhaben. Als objektive Zulässigkeitsschranke für alle gebietszulässigen Vorhaben sichern Funktionsbestimmung und Störgrad gleichzeitig die Stör- und Konfliktfreiheit im Baugebiet.44 Die Ausgrenzung von Vorhaben aus dem Baugebiet nach § 11 Abs. 3 BauNVO, die negative Auswirkungen auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung haben, dient damit auch der Einhaltung von Funktionsbestimmung und Störgrad und insoweit dem Schutz der Stör- und Konfliktfreiheit im Baugebiet. Offensichtlich ist dies für das in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO aufgeführte Auswirkungsmerkmal der schädlichen Umwelteinwirkungen.45 Die negativen Auswirkungen umfassen jedoch eine Bandbreite von Einzelwirkungen, die nicht immer zwingend auch die Stör- und Konfliktfreiheit der Baugebiete berühren müssen, in denen sie gem. § 11 Abs. 3 BauNVO unzulässig sind. Daher ist das Merkmal der negativen Auswirkungen lediglich als partielle Ergänzung des Schutzes der Stör- und Konfliktfreiheit aufzufassen. Letztere umschreibt allgemein das im Austauschverhältnis einer Baugebietsvorschrift verankerte subjektive Recht. Die einzelne Gebietsvorschrift vermittelt dadurch den Grundstückseigentümern im Baugebiet ein abstrakt-generelles Abwehrrecht von gebietsfremden Vorhaben, die gegen die Funktionsbestimmung oder den Störgrad verstoßen.46 § 11 Abs. 3 BauNVO konkretisiert diesen allgemeinen Schutz für die Zulässigkeit von Einkaufszentren, großflächigen Einzelhandels- und Handelsbetrieben in anderen als Kern- und Sondergebieten, indem es über das Merkmal „Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung" auch eine Übereinstimmung mit Funktionsbestimmung und Störgrad nach der jeweiligen Gebietsvorschrift verlangt.47 Die Regelung kann somit über das Merkmal „Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung" drittschützende Wirkung entfalten, soweit das einzelne Auswirkungsmerkmal zugleich die Stör- und Konfliktfreiheit des jeweiligen Baugebiets schützt.48

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2. Teil, 2. Kap., C. Ausführlich zu den einzelnen Auswirkungen unten 2. Teil, 3. Kap., C Π. 46 2. Teil, 2. Kap., C I. 47 Diesen Zusammenhang der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung mit dem Abwehrrecht aus der Baugebietsvorschrift über Funktionsbestimmung und Störgrad verkennt Beckmann, VR 1990, 152 (158), der eine drittschützende Funktion von § 11 Abs. 3 BauNVO ablehnt. 48 Ein genaue Untersuchung der Drittschutz vermittelnden Auswirkungen erfolgt unter 2. Teil, 3. Kap., C Π. 45

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2. Partieller Drittschutz gegen gebietsfremde Einkaufszentren, großflächige Einzelhandels- und Handelsbetriebe Ausgangspunkt für die Verletzung der in § 11 Abs. 3 BauNVO enthaltenen subjektiven Rechtsposition ist die objektive Rechtsverletzung der Vorschrift. Eine objektive Rechtsverletzung liegt in der Zulassung von Einkaufszentren, großflächigen Einzelhandels- oder Handelsbetrieben in anderen als den Kernoder Sondergebieten, soweit sie unter die Regelung des Absatzes 3 fallen. Nach § 11 Abs. 3 BauNVO ist zwischen den Voraussetzungen der Zulässigkeit von Einkaufszentren und von großflächigen Einzelhandels- und Handelsbetrieben zu differenzieren. Bei großflächigen Einzelhandels- und Handelsbetrieben entfällt die Zulässigkeit in den anderen als Kern- und Sondergebieten, wenn sie sich auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht unwesentlich auswirken können. Ausreichend ist dabei bereits die Möglichkeit der Auswirkung auf einen der planungsrechtlichen Belange. § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO enthält eine widerlegliche Vermutung von negativen Auswirkungen für die Einzelhandels- und Handelsbetriebe, soweit sie eine Geschoßfläche von mehr als 1.200 m 2 haben. Bei Einkaufszentren ist das Vorliegen von Auswirkungen auf die Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nach § 11 Abs. 3 BauNVO nicht im einzelnen zu prüfen. Der Verordnungsgeber geht mit der allgemeinen Auffassung davon aus, daß Einkaufszentren stets derartige Auswirkungen verursachen. Drittschützend ist in § 11 Abs. 3 BauNVO nur das Merkmal der Auswirkungen auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung, weil allein diese auch Funktionsbestimmung und Störgrad mit umfassen. Die wegen ihrer Auswirkungen allein auf die Raumordnung oder Landesplanung objektiv rechtswidrige Zulassung großflächiger Einzelhandels- oder Handelsbetriebe in anderen als Kern- oder Sondergebieten kann mithin nicht die subjektive Rechtsposition verletzen. Zudem ergibt sich aus der widerleglichen Vermutung negativer Auswirkungen von Einzelhandels- und Handelsbetrieben nach Absatz 3 Satz 3 nicht automatisch das Vorliegen negativer Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung. Gleiches gilt für die Einkaufszentren, bei denen lediglich allgemein das Vorliegen negativer Auswirkungen angenommen wird. Die subjektive Rechtsposition aus § 11 Abs. 3 BauNVO ist nur bei Zulassung eines unter die Regelung fallenden Vorhabens in einem anderen als dem Kern- oder Sondergebiet verletzt, dessen Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung gegen Funktionsbestimmung

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

und/oder Störgrad nach der Gebietsvorschrift verstoßen. Nur diese Vorhaben beeinträchtigen die Stör- und Konfliktfreiheit im Baugebiet und zählen dementsprechend zu den gebietsfremden Vorhaben. Als Konkretisierung des subjektiven Abwehrrechts gegen gebietsfremde Vorhaben ist für die subjektive Rechtsverletzung bei § 11 Abs. 3 BauNVO darüber hinaus keine tatsächliche Betroffenheit des Einzelnen von den negativen Auswirkungen erforderlich. Auch die gebietswidrigen Einkaufszentren, Einzelhandels- und Handelsbetriebe leiten eine Gebietsänderung ein, die alle Grundstückseigentümer gleichermaßen rechtlich betrifft. 49 Aus den Voraussetzungen für die subjektive Rechtsverletzung ergeben sich zwei Schlußfolgerungen: Zum einem ist bei allen Vorhaben nach § 11 Abs. 3 BauNVO das Vorliegen von Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung, die zu einer Verletzung der Funktionsbestimmung und/oder des Störgrads führen, gesondert nach der jeweiligen Baugebietsvorschrift zu prüfen, innerhalb dessen Bereich das Vorhaben liegt. Daher ist auch bei Vorliegen der widerleglichen Vermutung von negativen Auswirkungen für Einzelhandels- und Handelsbetriebe nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO konkret die Verletzung von Funktionsbestimmung und Störgrad nachzuweisen.50 Aus der allein auf die jeweilige Gebietsvorschrift abgestellten subjektiven Rechtsverletzung folgt zum anderen, daß das Abwehrrecht nur für das jeweilige Baugebiet gilt. Der darüber hinausgehende Wortlaut von § 11 Abs. 3 BauNVO, wonach das Vorhaben bei derartigen Auswirkungen in allen anderen Baugebieten als Kern- und Sondergebieten unzulässig ist, erfaßt nur die objektive Rechtsverletzung und objektive Unzulässigkeit. § 11 Abs. 3 BauNVO vermittelt somit einen abstrakt-generellen Drittschutz gegen Einkaufszentren, großflächige Einzelhandels- oder Handelsbetriebe für das jeweilige Baugebiet, in dem die Auswirkungen der Anlagen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung die Funktionsbestimmung und/oder den Störgrad des Baugebiets verletzen.

49 Zum abstrakt-generellen Drittschutz gegen gebietsfremde Vorhaben 2. Teil, 2. Kap., C I. 50 Ähnlicher Auffassung ist auch das OVG Nds., DÖV 1996, 749 (750), wenn es für den Drittschutz über § 11 Abs. 3 BauNVO verlangt, daß durch „den Verstoß gegen die Festsetzung die Vorteile in Frage gestellt werden können, die aus der gemeinsamen Einhaltung der Festsetzung resultieren".

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3. Kein Drittschutz in Gewerbe- und Industriegebieten Bei Gewerbe- und Industriegebieten gem. §§ 8, 9 BauNVO kommt eine Beeinträchtigung von Funktionsbestimmung und Störgrad durch die Zulassung eines unter die Regelung des § 11 Abs. 3 BauNVO fallenden Vorhabens grundsätzlich nicht in Betracht. So waren schon nach der BauNVO von 1962 Einzelhandelsbetriebe unabhängig von ihrer Größe allgemein in Gewerbe- und Industriegebieten zulässig und widersprachen folglich nicht Funktionsbestimmung und Störgrad dieser Baugebiete.51 An der Einschätzung hat sich auch nach der Systematik der Baugebiete in der BauNVO von 1990 nichts geändert. Die Vereinbarkeit der Einkaufszentren, Einzelhandels- und Handelsbetriebe mit Funktionsbestimmung und Störgrad gilt für die festgesetzten Baugebiete nach der heutigen Regelung des § 11 Abs. 3 BauNVO uneingeschränkt nur in Kerngebieten. Diese liegen nach ihrer Funktionsbestimmung und ihrem Störgrad unter der Grenze für Gewerbe- und Industriegebieten. Schon danach können die Vorhaben nach § 11 Abs. 3 BauNVO die Stör- und Konfliktfireiheit in diesen Gebieten nicht beeinträchtigen, da sie nach ihrem Stör- und Konfliktpotential unter der Schwelle der Gewerbe- und Industriegebiete auch nach der BauNVO von 1990 einzuordnen sind.52 Die Zuweisung von Einkaufszentren und Verbrauchermärkten allein in Kern- und Sondergebiete in der BauNVO von 1968 wie den folgenden Fassungen erfolgte nach der amtlichen Begründung von 1968 vor allem wegen ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur der Umgebung, insbesondere auf die Entwicklung einer Gemeinde als wirtschaftlichen, geistigen und sozialen Schwerpunkt.53 Im Vordergrund standen allein planungsrechtliche Folgen der örtlichen Ansiedlung solcher Betriebe und gerade nicht die Probleme der Stönvirkung innerhalb von Gewerbe- und Industriegebieten.54 Auch aus dem Grund der Ausweisung von Einkaufszentren, großflächigen Einzel- und Handelsbetrieben aus den Gewerbe· und Industriegebieten folgt mithin, daß sich hierdurch an der grundsätzlichen Übereinstimmung der Betriebe in den Gebieten nach Funktionsbestimmung und Störgrad nichts geändert hat.

51

Hierzu allgemein Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 11 BauNVO Rn. 93. 52 Dieser Auffassung ist auch das OVG Nds., DÖV 1996, 749 (750). 53 BR-Drucks. 402.68. 54 Vgl. Schöning, B1GWB 1969, 101 ff.; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 12; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 11 BauNVO Rn. 2 ff., 93.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

IL Drittschutz vermittelnde Auswirkungen nach § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO In § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO sind nicht abschließend die wesentlichsten Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung55 angeführt, die eine Zuweisung der Einzelhandels- und Handelsbetriebe allein zu Kernund Sondergebieten zur Folge haben. Zu diesen gehören insbesondere schädliche Umwelteinwirkungen, Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf den Verkehr, auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich des Vorhabens, auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden, auf das Orts- und Landschaftsbild und auf den Naturhaushalt. Die abstrakt zum Drittschutz über § 11 Abs. 3 BauNVO dargestellten Aussagen lassen sich anhand der einzeln aufgelisteten Auswirkungen konkretisieren. Soweit die Auswirkungen auch individuelle Interessen nach der Funktionsbestimmung oder dem Störgrad der jeweiligen Gebietsvorschrift mitschützen, kommt dem Merkmal eine drittschützende Funktion zu.

1. Die auch individuelle Interessen schützenden Auswirkungen Als auch individualschützend erweist sich das Merkmal der schädlichen Umwelteinwirkungen, das sich nach § 3 BImSchG bestimmt.56 Schädliche Umwelteinwirkungen sind danach Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Der

55

Es ist nicht eindeutig, ob es sich hierbei lediglich um Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung handelt; dafür Fickert/Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 25 ff.; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 11 BauNVO Rn. 97; Söjker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 11 BauNVO Rn. 70. Nach dem Wortlaut erfaßt die Aufzählung beispielhaft Auswirkungen i. S. von Satz 1 Nr. 2 und 3 insgesamt, also auch die Auswirkungen auf die Raumordnung und Landesplanung. Es ist daher davon auszugehen, daß die in Absatz 2 Satz 2 aufgeführten Auswirkungen auch von raumordnerischer Bedeutung sein können, vgl. Söfker, a. a. O., § 11 BauNVO Rn. 71. 56 Ebenso Dürr, DÖV 1994, 841 (847), der dies als das einzig drittschützende Merkmal in Absatz 3 ansieht; ders., in: Brügelmann, BauGB, § 30 BauGB Rn. 84 mit gleicher Einschränkung; ablehnend Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Nachbarrechts, Teil H Rn. 275.

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negebiete

1

Schutz individueller Interessen liegt aufgrund der Einbeziehung der Nachbarn auf der Hand. Da die schädlichen Umwelteinwirkungen sich auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung beziehen, ist Maßstab für das Vorliegen von nicht unwesentlichen Auswirkungen der Störgrad nach der jeweiligen Baugebietsvorschrift. Dieser Zusammenhang folgt auch aus dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen selbst. Das Tatbestandsmerkmal der Erheblichkeit knüpft an die rechtlichen Vorgaben, die bauplanungsrechtliche Prägung des Gebiets an, in dem das Vorhaben liegt.57 Die planungsrechtlichen Vorgaben bestimmen, was in einem Gebiet an Belästigungen und Nachteilen zu dulden und damit unerheblich ist. Im beplanten Bereich sind die als zulässig zu duldenden Belästigungen und Nachteile in den Festsetzungen des Bebauungsplans niedergelegt. Für das jeweils festgesetzte Baugebiet ergeben sich die planungsrechtlichen Vorgaben aus der entsprechenden Gebietsvorschrift der BauNVO, dem nach der Gebietsvorschrift zulässigen Störpotential.58 Letzteres ist inhaltlich nichts anderes als das Merkmal Störgrad nach der allgemeinen Zweckbestimmung der Baugebietsvorschrift. Zur Feststellung, ob nicht unwesentliche Auswirkungen vorliegen, ist als Maßstab der Störgrad nach der allgemeinen Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets heranzuziehen. Das Merkmal der schädlichen Umwelteinwirkungen ergänzt daher die subjektive Rechtsposition, die das Merkmal Störgrad dem Einzelnen vermittelt. Das Merkmal „Ortsbild" ist § 34 Abs. 1 BauGB entnommen. Bei §34 BauGB bestimmt sich das Ortsbild inhaltlich einerseits nach der tatsächlichen Umgebung. Letztlich entscheidend sind aber andererseits die allgemeinen planungsrechtlichen Vorgaben aus § 1 Abs. 5 BauGB, da die Umgebung bei einem Verstoß gegen diese allgemeinen Planungsgrundsätze nicht mehr Maßstab für das Ortsbild sein kann.59 Sinn und Zweck des Merkmals „Ortsbild" ist es, städtebauliche Mißstände zu verhindern. Eine Beeinträchtigung des Ortsbildes liegt nur vor, wenn das Vorhaben zum Ortsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen

57

BVerwGE 71, 150 (155 f.); 88, 143 (144); Petersen, Schutz und Vorsorge, S. 73 f f ; Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 41. 58 BVerwG, UPR 1983, 26 (28); Jarass NJW 1981, 727; Kutscheidt, NVwZ 1989, 192 (196); auch Classen , JZ 1993, 1042 (1045 f.), der dabei davon ausgeht, daß das Planungsrecht „vollzugsfähige Voraussetzungen" für das Immissionsschutzrecht zu schaffen hat. 59 Schlichter/Hoflierr, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, § 34 Rn. 9; BVerwG, NVwZ-RR 1991, 59.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Betrachter als belastend empfunden wird.60 Maßgeblich sind allein Auswirkungen bodenrechtlicher Natur, da die bauordnungsrechtlichen Elemente nur dem Bauordnungsrecht unterliegen.61 Die Anführung des Ortsbildes als eigenständiges Merkmal in § 34 Abs. 1 BauGB ist notwendig, da es an einer Konkretisierung der Planung fehlt, die auch das Ortsbild berücksichtigt und sichern kann. So erfassen das Einfügungserfordernis und die anderen Zulässigkeitsmerkmale nicht alles, was das Ortsbild prägt.62 In beplanten Gebieten übernehmen die Merkmale der allgemeinen Zweckbestimmung die Sicherung der Eigenart des Baugebiets und damit auch die Sicherung des Ortsbildes. Was der Eigenart des Baugebiets entspricht, kann auch nicht gegen das Ortsbild verstoßen. Die Merkmale „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis" erfassen alle bodenrechtlichen Auswirkungen der Nutzungen und garantieren eine Stör- und Konfliktfreiheit im Baugebiet. Bei Übertragung der für § 34 Abs. 1 BauGB maßgeblichen Grundsätze auf § 11 Abs. 3 BauNVO zeigt sich, daß bei Vorliegen eines Verstoßes gegen das Ortsbild die Stör- und die Konfliktfreiheit beeinträchtigt sind. Dabei kann die Ursache der durch das Vorhaben hervorgerufenen Belastung in einer Verletzung der Funktionsbestimmung oder des Störgrads liegen. Das Merkmal "Ortsbild" schützt damit auch die in den Merkmalen „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" verankerten subjektiven Rechtspositionen. Als auch individualschützend erweist sich schließlich das Merkmal „Auswirkungen auf den Verkehr". Das Merkmal erfaßt die Folgen auf den ruhenden und fließenden Verkehr durch die Anlagen nach Absatz 3.63 Der von den Nutzungen zulässigerweise verursachte Verkehr bestimmt sich nach den Merkmalen „Funktionsbestimmung" und „Störgrad". Die Funktionsbestimmung der Nutzungen legt allgemein den Umfang des Verkehrs fest, den die gebietszulässige Nutzung verursachen darf, während der Störgrad die von dem Verkehr zulässigerweise ausgehenden Störungen vorgibt. Nach Funktionsbestimmung und Störgrad bemessen sich folglich der zulässige Verkehr und da60

BVerwG, NVwZ 1991, 64; BVerwG, NVwZ 1986, 750; Fickert/Fieseler, BauNVO, §11 Rn. 25.6; Söjker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, §34 BauGB Rn. 69. 61 Vgl. zur notwendigen und nicht immer trennscharfen Abgrenzung Manssen, NWVB1 1992, 381. 62 So auch Söjker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 34 BauGB Rn. 68, der den Zweck des Merkmals „Ortsbild" daher auch in der Abwehr solcher Vorhaben sieht, die sich in die nähere Umgebung bereits ortsbildbeeinträchtigender Vorhaben einfügen. 63 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 25.3.

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mit auch die Einrichtungen für den Verkehr im Baugebiet. Störgrad und Funktionsbestimmung sind dabei derart auf die verkehrstechnischen Anforderungen und Auswirkungen der gebietszulässigen Nutzungen abgestimmt, daß deren Ausübung nicht durch den zulässigen Verkehr und dessen Folgen beeinträchtigt wird. Dadurch sichern diese Merkmale dem einzelnen Grundstückseigentümer bei der Verwirklichung gebietszulässiger Nutzungen eine Stör- und Konfliktfreiheit in verkehrstechnischer Hinsicht als subjektive Rechtsposition. Dementsprechendrichtensich die Verkehrseinrichtungen in einem Baugebiet nach den Vorgaben von Funktionsbestimmung und Störgrad und ermöglichen so eine störungsfreie Aufnahme des von den gebietszulässigen Nutzungen verursachten fließenden und ruhenden Verkehrs. Unter den Begriff der negativen Auswirkungen auf den Verkehr fallen insbesondere die von einem Vorhaben verursachte Überbelastung des ruhenden oder fließenden Verkehrs, deren Auswirkungen die gebietszulässigen Nutzungen stören. Derart negative Verkehrsfolgen sollen aber gerade auch Funktionsbestimmung und Störgrad verhindern. Das Merkmal „Auswirkungen auf den Verkehr" ergänzt somit den durch die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" vermittelten subjektiven Schutz vor Verkehrsstörungen, die die Ausübung der gebietszulässigen Nutzungen beeinträchtigen können.

2. Die allein öffentliche

Interessen schützenden Auswirkungen

Keinerlei Individualinteressen sind mit den planungsrechtlichen Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden, auf das Landschafisbild und auf den Naturhaushalt verbunden. Was unter das Merkmal der infrastrukturellen Ausstattung fällt, war in dem nicht im BauGB übernommenen § 9a BBauG beispielhaft aufgezählt. Zur infrastrukturellen Ausstattung gehören demnach u.a. bestimmte Erschließungsanlagen, Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs und Personennahverkehrs, des Gemeinbedarfs, sonstige Folgeeinrichtungen wie die schadlose Abwassersammlung und -beseitigung oder die Abfallentsorgung.64 Das Merkmal dient der Sicherung dieser im Baugebiet nach dem Bebauungsplan vorgesehenen infrastrukturellen Einrichtungen vor unplanmäßigen Überlastungen, die eine Erweite-

64

Vgl. Fickert/Fieseler,

BauNVO, § 11 Rn. 25.2.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

rung der entsprechenden Einrichtung notwendig machen würden. Die Planung und Verwirklichung der öffentlichen Verkehrseinrichtungen sowie die Verund Entsorgungseinrichtungen erfolgen aus öffentlichen und nicht aus Individualinteressen. Soweit sich die Auswirkungen darüber hinaus auf den ruhenden und stehenden Verkehr erstrecken, sind auch individuelle Interessen betroffen, die jedoch bereits vom Merkmal „Verkehr" erfaßt sind. Allein öffentliche bzw. Allgemeininteressen schützen die Merkmale „Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich" und „Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche". Das Merkmal „Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich" soll die verbrauchernahe Versorgung der Bewohner im Baugebiet sichern, insbesondere die der nicht motorisierten Bevölkerung, indem entsprechende Bauflächen für Versorgungsbetriebe bereitgestellt werden.65 Die Versorgung der Bevölkerung ist allein ein planungsrechtliches Allgemeininteresse. Gleiches gilt für das Merkmal der zentralen Versorgungsbereiche, das ebenfalls letztlich der Sicherung einer verbrauchernahen Versorgung dient. Beide Merkmale erfassen unmittelbar nicht die tatsächlichen bodenrechtlichen Auswirkungen, sondern die wirtschaftlichen Auswirkungen der Ansiedlung von Vorhaben nach § 11 Abs. 3 BauNVO. So ist maßgebliches Kriterium bei diesen Merkmalen die Frage des Kaufkrafitabflusses durch die Ansiedlung eines Betriebes nach § 11 Abs. 3 BauNVO66, was für das Vorliegen einer negativen Auswirkung aber noch nicht ausreichte Zudem muß durch den Kaufkraftabfluß eine Gefährdung der Existenz vorhandener Einzelhandelsbetriebe entstehen mit der möglichen Folge, daß geplante Geschäftszentren oder im Baugebiet verteilte Einzelläden leerstehen und dadurch die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung in Frage stellen. Aus planungsrechtlicher Sicht ist Kern des Schutzes letztlich die Sicherung der wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten von Geschäften und Läden, die der verbrauchernahen Versorgung des Gebiets dienen. Diese planungsrechtlichen Entwicklungsmöglichkeiten schützen aber keine individuellen Interessen. Schließlich enthalten das Landschaftsbild genauso wie der Naturhaushalt keine subjektiven Rechtspositionen, schützen diese keine Individualinteressen. Das Landschaftsbild kann in Abgrenzung zum Ortsbild nur die Beziehung des Vorhabens zur natürlichen, d.h. unbebauten Umgebung meinen. Die Gesichts65

So schon die amtl. Bgrd. zur Novelle 1986, BR-Drucks. 541/86,1.1. Allg. A. vgl. nur Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 11 Rn. 99, 100; Knaup/Stange, BauNVO, §11 Rn. 68 f.; Fickert/Fieseler, BauNVO, §11 Rn. 25.4; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 11 BauNVO Rn. 75. 66

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punkte der Gestaltung und Erhaltung des natürlichen Landschaftsbildes beinhalten lediglich planungsrechtliche Allgemeininteressen. Mit den Auswirkungen auf den Naturhaushalt sind allgemein die Auswirkungen auf Naturgüter wie Wasser, Boden, Luft und Klima gemeint.67 Diese Naturgüter sind jedoch Allgemeingüter und daher grundsätzlich nicht individualschutzfähig. Für das Vorliegen negativer Auswirkungen sind zudem die §§ 8-8c BNatSchG heranzuziehen68, die keine individuellen Interessen schützen.

3. Zusammenfassung Von den exemplarisch in Absatz 3 Satz 2 aufgeführten Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung kommt eine drittschützende Wirkung damit allein den Merkmalen „schädliche Umwelteinwirkungen" sowie „Auswirkungen auf den Verkehr und das Ortsbild" zu, da diese gemeinsam mit den Merkmalen „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" nach der jeweiligen Gebietsvorschrift die Stör- und Konfliktfireiheit sichern. Dem Wortlaut nach bezieht sich § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO nur auf die Einzelhandelsund Handelsbetriebe und nicht auf Einkaufszentren. Das gilt aber nur für die Frage der objektiven Unzulässigkeit in anderen als Kern- und Sondergebieten, da § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO nachteilige Auswirkungen bei Einkaufszentren grundsätzlich vermutet. Bei der subjektiven Rechtsverletzung ist auch für Einkaufszentren das Vorliegen von negativen Auswirkungen konkret zu prüfen. Daher gelten die drittschützenden Grundsätze aus Absatz 3 Satz 2 auch für den Schutz gegen Einkaufszentren. Das Vorliegen der drittschützenden Merkmale „schädliche Umwelteinwirkungen", „Auswirkungen auf den Verkehr oder das Ortsbild" ist ebenso wie bei allen anderen Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung für das jeweilige Baugebiet, in dem das Vorhaben liegt, gesondert nach der allgemeinen Zweckbestimmung der Gebietsvorschrift nachzuweisen. Ist eines der Merkmale bei einem Einkaufszentrum, Einzelhandels- oder Handelsbetrieb erfüllt, liegt in der Zulassung des Vorhabens im entsprechenden Baugebiet eine Verletzung von Funktionsbestimmung und/oder Störgrad nach

67

Vgl. BR-Drucks. 261/77, S. 37. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 11 Rn. 25.61; Knaup/Stange, Rn. 70. 68

15 Petersen

BauNVO, § 11

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

der Gebietsvorschrift. Gegen diese gebietsfremden Einkaufszentren, Einzelhandels· und Handelsbetriebe vermittelt § 11 Abs. 3 BauNVO dann ein abstrakt-generellesAbwehrrecht.

4. Kapitel

Der Drittschutz durch die §§ 12-14 BauNVO Nach den §§ 12-14 BauNVO bestimmt sich die Zulässigkeit von Stellplätzen und Garagen, von Gebäuden und Räumen für freie Berufe sowie von Nebenanlagen in allen Baugebieten. Die vorgenannten Nutzungen sind nach den Regelungen in sämtlichen Baugebieten allgemein zulässig, wobei in § 14 Abs. 2 BauNVO zudem die ausnahmsweise Zulässigkeit von bestimmten Nebenanlagen festgelegt ist. Die Vorschriften ergänzen dadurch die Bestimmungen der einzelnen Baugebietsvorschriften gleichermaßen, außer § 13 BauNVO, der nur für die allgemeinen Baugebiete der §§ 2-9 BauNVO Geltung entfaltet. Die §§ 12-14 BauNVO runden dementsprechend die Zusammensetzung der zulässigen Nutzungsarten für die Baugebiete ab. Als Regelungen über die Art der baulichen Nutzung können die §§ 12-14 BauNVO Bestandteil des durch die Bestimmung der zulässigen Nutzungen eines Baugebiets erzeugten Austauschverhältnisses sein, soweit sie bei der allgemeinen Zulässigkeit die gebietsspezifischen Besonderheiten berücksichtigen.1 Bei uneingeschränkter, allgemeiner Zulässigkeit sind die von dem Vorhaben ausgehenden Auswirkungen in jedem Gebiet grundsätzlich zu dulden, so daß die Zulässigkeitsregelung keine Rücksichtnahme auf irgendwelche Interessen enthalten kann. Zudem bewirkt eine allgemeine Zulässigkeitsregelung keine Einschränkung der Nutzbarkeit eines Grundstücks, der eine ungestörte Ausübung als Vorteil gegenüberstehen könnte. Die Anlagen gehören dann zu der Kategorie der nicht gebietsprägenden Nutzungen. Eine Berücksichtigung der Gebietstypik, d.h. der Eigenart des Baugebiets, erfolgt bei den nicht gebietsprägenden Nutzungen allein über die in der Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets enthaltene allgemeine Zulässigkeitsschranke, den Merkmalen „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis". Diese objektive wie subjektive Zulässigkeitsschranke gilt für alle Vorhaben eines Baugebiets, wonach

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Diesen Ansatz verfolgen auch Bender/Dohle, Nachbarschutz, Rn. 237, verallgemeinernd zur Frage der drittschützenden Wirkung von § 11 Abs. 2 RGarO.

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die dagegen verstoßenden Vorhaben als gebietsfremd zu bezeichnen sind.2 Den §§ 12-14 BauNVO kann daher entweder aufgrund der Einbeziehung in das Austauschverhältnis oder zumindest in die objektive wie subjektive Zulässigkeitsschranke eine drittschützende Wirkung zukommen.3 Offen und nach den einzelnen Vorschriften zu beurteilen ist die Frage, ob sich der Drittschutz unmittelbar aus der Vorschrift selbst oder erst im Zusammenhang mit der jeweiligen Gebietsvorschrift ergibt.

A. § 12 BauNVO - Stellplätze und Garagen § 12 BauNVO regelt in Absatz 1 als Aufifangtatbestand die allgemeine Zulässigkeit von Stellplätzen und Garagen in allen Baugebieten, soweit sich aus den Vorschriften der Absätze 2 bis 6 nichts anderes ergibt. Die Absätze 2 und 3 enthalten bedarfs- und artbezogene Einschränkungen der Zulässigkeit nur für Wohngebiete und Sondergebiete, die der Erholung dienen. Dagegen ermächtigen die Absätze 4 bis 6 den Ortsgesetzgeber zu gebäude- und umfangbezogenen Beschränkungen von Stellplätzen und Garagen für alle Baugebiete durch Festsetzungen im Bebauungsplan. Das BVerwG hatte früher § 12 BauNVO grundsätzlich eine drittschützende Wirkung abgesprochen, da es an einem abgrenzbaren Kreis begünstigter Dritter fehle.4 Diese Rechtsprechung hat das Gericht jedoch geändert5 und hält nunmehr § 12 BauNVO als Vorschrift über die Art der baulichen Nutzung und Bestandteil der jeweiligen Gebietsvorschrift für grundsätzlich drittschützend.6

2

Zu Inhalt und Umfang dieser subjektiven wie objektiven Zulässigkeitsschranke vgl. 2. Teil, 2. Kap., A und C. 3 So auch allgemein Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 979; Knaup/Stange, BauNVO, § 12 Rn. 58, § 13 Rn. 25, § 14 Rn. 40. 4 BVerwG, DVB1 1974, 358, m. Anm. Schrödter. 5 Im Urteil vom 19.09.1986, DVB1 1987, 476 (477) hat das BVerwG bereits das Kriterium des abgrenzbaren, geschützten Personenkreises aufgegeben. 6 BVerwG, BVerwGE 94, 151 (158)=DVB1 1994, 284 (286).

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

I. Drittschutz im Auffangtatbestand des Absatzes 1 Nach § 12 Abs. 1 BauNVO sind Stellplätze und Garagen in allen Baugebieten allgemein ohne Einschränkungen zulässig, soweit aus den Regelungen der Absätze 2 bis 6 nichts anderes folgt. Da die Absätze 4 bis 6 nur allgemein zu Beschränkungen ermächtigen und sich die in den Absätzen 2 und 3 normierten Zulässigkeitsbeschränkungen allein auf bestimmte Baugebiete beziehen, gilt der Auffangtatbestand des Absatzes 1 für die Baugebiete nach §§ 4a bis 9, 11 BauNVO. Aus sich selbst heraus kann der Absatz 1 von § 12 BauNVO keinen Drittschutz entfalten, da die uneingeschränkte Zulässigkeitsregelung weder ein eigenständiges Austauschverhältnis erzeugt noch eine Rücksichtnahme auf irgendwelche individuellen Interessen enthält.7 In den Baugebieten nach §§ 4a bis 9, 11 BauNVO gehören die Stellplätze und Garagen somit zu den nicht gebietsprägenden Nutzungen. Lediglich im Zusammenhang mit der jeweiligen Gebietsvorschrift erwächst aus den drittschützenden Wesensmerkmalen Funktionsbestimmung, Störgrad und Mischungsverhältnis der Zweckbestimmung im Einzelfall ein abstrakt-genereller Drittschutz, soweit sich die Anlagen aufgrund des Verstoßes gegen eines der Wesensmerkmale als gebietsfremd oder gebietsverändernd erweisen.

IL Gebietsbezogener Drittschutz in Absatz 2 7. Der durch die zugelassene Nutzung verursachte Bedarf § 12 Abs. 2 BauNVO begrenzt die Zulässigkeit von Stellplätzen und Garagen für Kleinsiedlungsgebiete, reine und allgemeine Wohngebiete sowie Sondergebiete, die der Erholung dienen, auf den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf. Beim Benutzen von Stellplätzen und Garagen erzeugen Abstellen und Wegfahren der Fahrzeuge Geräusche und Abgase, die zu empfindlichen Störungen führen können. Über das Merkmal des durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarfs nimmt Absatz 2 konkret auf die in der Vorschrift aufgeführten Gebiete Bezug. Mit der zugelassenen Nutzung sind die nach der Gebietsvorschrift und darüber hinaus durch Befreiungen von den 7 Ebenso Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 BauNVO Rn. 35, der jedoch davon ausgeht, daß Drittschutz allein über § 15 Abs. 1 BauNVO möglich sei.

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Anforderungen der Vorschrift rechtmäßig errichteten Vorhaben gemeint.8 Die zulässigen Nutzungen eines Baugebiets entsprechen ihren Auswirkungen nach den Merkmalen „Funktionsbestimmung" und „Störgrad". Zu den Auswirkungen einer Nutzung gehört auch der durch ihre Ausübung verursachte An- und Abfahrtverkehr, so daß der von den gebietszulässigen Nutzungen verursachte Verkehr mit Funktionsbestimmung und Störgrad der Baugebietsvorschrift übereinstimmt. Über das Merkmal des durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarfs begrenzt § 12 Abs. 2 BauNVO damit Art und Umfang von Stellplätzen und Garagen auf das nach Funktionsbestimmung und Störgrad des Baugebiets verträgliche Maß. Durch diese Beschränkung sichert die Vorschrift bei Stellplätzen und Garagen die Stör- und Konfliktfreiheit für das jeweilige Baugebiet.9 Die Stör- und Konfliktfreiheit umschreibt allgemein das in jeder Baugebietsvorschrift enthaltene subjektive Recht. § 12 Abs. 2 BauNVO vermittelt daher im Verbindung mit den einzelnen Gebietsvorschriften ein subjektives öffentliches Recht, da es bei der Errichtung von Stellplätzen und Garagen die Rücksichtnahme auf die Stör- und Konfliktfreiheit des jeweiligen Baugebiets anordnet. Die Vorschrift ergänzt letztlich das durch die Gebietsvorschrift erzeugte Austauschverhältnis, indem sie den gebietsverträglichen Umfang der Stellplätze und Garagen festlegt.10

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Allg. Α., vgl. nur Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 BauNVO Rn. 19; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 12 Rn. 6; Boeddinghaus/ Dieckmann, BauNVO, § 12 Rn. 7-9; Förster, BauNVO, § 12 Anm. 2c. 9 Der Schutz vor Störungen und Belästigungen oder allgemein der Wohnruhe ist als drittschützender Zweck von Absatz 2 anerkannt, vgl. schon Bender/Dohle, Nachbarschutz, Rn. 152, 236, 237; Fickert/Fieseler, BauNVO bereits in der 6. Aufl., § 12 Rn. 12.8; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 30 BauGB Rn. 86; Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 979; Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 94; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentliches Baurechts, Teil Η Rn. 281; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, §12 BauNVO Rn. 35; Βoeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 12 Rn. 38; OVG Lüneburg, BRS 54 Nr. 98; BVerwG, BVerwGE 94, 151 (158)=DVB1 1994, 284 (286); VGH BW, VB1BW 1994,313. 10 Auf diesen Gesichtspunkt stellten bereits Bender/Dohle, Nachbarschutz, Rn. 237 ab; ebenso die Begründung des BVerwG, BVerwGE 94, 151(158)=DVB1 1994, 284 (286).

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

2. Voraussetzungen der subjektiven Rechtsverletzung Ausgangspunkt einer Verletzung der in § 12 Abs. 2 BauNVO verankerten subjektiven Rechtsposition ist die objektive Rechtsverletzung der Vorschrift. Eine objektive Rechtsverletzung ist in der Zulassung von Stellplätzen oder Garagen zu sehen, die den nach der zugelassenen Nutzung verursachten Bedarf überschreiten. Offen ist, wie sich der durch die zugelassene Nutzung verursachte Bedarf bestimmt, ob dieser grundstücksbezogen oder gebietsbezogen zu verstehen ist. Diese allgemein benutzte Begrifflichkeit 11 ist jedoch mißverständlich, weil Absatz 2 seinem Wortlaut nach keinerlei Anhaltspunkte für eine gebiets- oder grundstücksbezogene Auslegung enthält. Der Bedarf ist nach der Regelung nutzungsbezogen zu verstehen, wobei jedoch der Wortlaut offen läßt, ob für den Bedarf nur die einzelne, auf einem Grundstück zugelassene Nutzung oder aber die zugelassenen Nutzungen innerhalb eines Gebiets maßgeblich sind. Eine allein grundstücksbezogene Betrachtung scheidet aus, da § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB den Ortsgesetzgeber dazu ermächtigt, gerade auch in Wohngebieten Gemeinschaftsanlagen für Stellplätze und Garagen zu planen. § 12 Abs. 2 BauNVO kann dazu nicht in Widerspruch stehen. Zudem stimmt allein die gebietsbezogene Auslegung mit der bauordnungsrechtlichen Stellplatzpflicht überein, die nicht zwingend notwendig auf dem Baugrundstück zu erfüllen ist.12 Der durch die zugelassene Nutzung verursachte Bedarf ist daher gebietsbezogen zu verstehen.13 Das maßgebliche Gebiet erschließt sich allein aus dem Zusammenhang der Stellplätze und Garagen mit den zulässigen Nutzungen. Nur wenn eine Nutzung noch in einem solchen räumlichen Zusammenhang mit den Stellplätzen bzw. Garagen steht, daß diese den von der Nutzung verursachten Verkehr aufnehmen können, ist die Nutzung noch dem von der zugelassenen Nutzung verursachten Bedarf zuzurechnen.14 Das so umschriebene Gebiet ist nicht durch die Baugebietsgrenzen eingeschränkt, da 11 Vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 12 Rn. 6; BVerwG, BVerwGE 94, 151 (159)=DVB1 1994, 284 (287). 12 Hierzu Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 BauNVO Rn. 20. 13 So die überwiegende Meinung, vgl. Bielenberg, in Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 12 BauNVO Rn. 21; Fickert/Fieseler, BauNVO Rn. 6-7.1; Samighausen, NVwZ 1996, 7 (8); Dürr, BauR 1997, 7 (10); Knaup/Stange, BauNVO, § 12 Rn. 13-15; Förster, BauNVO, § 12 Anm. 3; Boeddinghaus/Franßen/Rhode, BauNVO, § 12 Rn. 13; BVerwG, BVerwGE 94, 151 (161)=DVB1 1994, 284 (287). 14 So auch das BVerwG, BVerwGE 94, 151 (161)=DVB1 1994, 284 (287 f.); Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 BauNVO Rn. 21.

. Kapitel: Der Drittschutz durch ie

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§ 12 Abs. 2 BauNVO keinen Anhaltspunkt für eine derartige Eingrenzung enthält. Es erstreckt sich vielmehr auf alle aneinandergrenzenden, gleichartigen Gebiete. Zu den bedarfsverursachenden Nutzungen gehören aber nicht mehr die künftig nach dem Bebauungsplan zulassungsfähigen Nutzungen.15 Zum einen steht dem der Wortlaut der Vorschrift entgegen, wonach nur der von dem „durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf' maßgeblich ist. Unter den „verursachte(n) Bedarf' läßt sich nicht der erst durch künftige Nutzungen erzeugte, sondern nur der von den tatsächlich zugelassenen Nutzungen geforderte Bedarf subsumieren. Gegen eine extensive Auslegung spricht zudem der Zweck der Vorschrift. Bei Einbeziehung des künftigen Bedarfs kann die Stör- und Konfliktfreiheit nur eingehalten werden, wenn für die künftigen Nutzungen dann keine Stell- und Garagenplätze mehr errichtet werden dürften. Eine derartige Einschränkung für die Errichtung von Stellplätzen und Garagen bei den künftigen Nutzungen ist aber nach der Vorschrift nicht zulässig.16 In der Zulassung von Garagen oder Stellplätzen, die über den derart bestimmten Bedarf hinausgehen, liegt gleichzeitig eine Verletzung der subjektiven Rechtsposition. Das von diesen Stellplätzen und Garagen ausgehende Störpotential übersteigt das für die Nutzungen nach der Baugebietsvorschrift zulässige und kann die Stör- und Konfliktfreiheit beeinträchtigen. § 12 Abs. 2 BauNVO geht folglich bei gegen die Vorschrift verstoßenden Vorhaben abstrakt von einer Beeinträchtigung der Stör- und Konfliktfreiheit und damit von einer Verletzung der subjektiven Rechtsposition aus. Auf die tatsächliche Beeinträchtigung des Einzelnen kommt es mithin nicht an.17 Auf die abstrakte Beeinträchtigung der Stör- und Konfliktfreiheit können sich zunächst alle Grundstückseigentümer berufen, in deren räumlichem Einzugsbereich die geplanten Stellplätze und Garagen liegen und die den maßgeblichen Bedarf bestimmen.18 Fraglich erscheint dagegen, ob darüber hinaus auch alle anderen Grundstückseigentümer die Rechtsverletzung geltend machen können, in deren Baugebiet das geplante Vorhaben liegt. Gegen einen solchen abstrakt-generellen Schutz spricht die konkrete Umgebungsbezogen15 Dafür jedoch Dürr, BauR 1997, 7 (10); ebenso halten es Fickert/Fieseler, BauNVO, § 12 Rn. 6 für „wünschenswert", den zukünftigen Bedarf miteinzubeziehen. 16 Das räumt auch Dürr, BauR 1997, 7 (10) ein. 17 Α. A. Dürr, BauR 1997, 7 (11). 18 Das bedeutet, daß auch die in einem anderen Baugebiet liegenden Nutzungen gebietsübergreifend geschützt sind.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

heit der Regelung. Für den Bedarf sind nur die Nutzungen maßgeblich, die im räumlichen Einzugsbereich der Stellplätze und Garagen liegen. Der abstrakte Drittschutz könnte sich dementsprechend allein auf diese Umgebung beziehen.19 Ein abstrakt-genereller Drittschutz auch der anderen Grundstückseigentümer wäre hingegen anzunehmen, wenn die Zulassung des Vorhabens zumindest subjektiv-rechtlich alle Grundstückseigentümer im festgesetzten Baugebiet beeinträchtigen könnte. Eine rechtliche Beeinträchtigung aller Grundstückseigentümer kommt allein unter dem Aspekt der gebietsfremden Vorhaben in Betracht.20 Für einen abstrakt-generellen Drittschutz durch § 12 Abs. 2 BauNVO kommt es folglich darauf an, ob die nach der Vorschrift unzulässigen Stellplätzen und Garagen unter die Kategorie der gebietsfremden Vorhaben fallen. Nach übereinstimmender Auffassung beschränkt § 12 Abs. 2 BauNVO Stellplätze und Garagen dem Umfang nach.21 Die Vorschrift könnte insoweit lediglich die Zahl der zulässigen Vorhaben regeln, ohne eine Aussage über die baurechtliche Art der Vorhaben zu treffen. Zu viele Stellplätze oder Garagen könnten keine andere Art von Stellplätzen oder Garagen sein. Der Umfang eines Vorhabens kann aber auch die Art des Vorhabens festlegen, da die Quantität die Qualität des Vorhabens ändern kann.22 Gerade Stellplätze und Garagen erweisen sich als raumbeanspruchende Nutzungen. Die Anzahl der zulässigen Stellplätze und Garagen wirkt sich unmittelbar auf das äußere Erscheinungsbild und den Störgrad des Vorhabens aus. Einzelne Stellplätze oder Garagen unterscheiden sich der Art nach wesentlich von großflächigen Sammelstellplätzen oder Sammelgaragen. Daher beschreibt § 12 Abs. 2 BauNVO durch die Festlegung des Umfangs zugleich auch eine bestimmte bauliche Art von Stellplätzen und Garagen für die aufgeführten Baugebiete. Für diese Einordnung ist schließlich der systematische Zusammenhang der Vorschrift mit den Gebietsvorschriften anzuführen, wonach § 12 Abs. 2 BauNVO Bestandteil der in ihm aufgezählten Gebietsvorschriften ist.23 Die

19 Dieser Ansicht scheinen Fickert/Fieseler, BauNVO, § 12 Rn. 8 zuzuneigen, wenn sie davon ausgehen, daß Absatz 2 „eine unwiderlegliche Vermutung hinsichtlich des Inhalts des § 15 Abs. 1 Satz 2" enthält. 20 Zum abstrakt-generellen Schutz gegen gebietsfremde Vorhaben vgl. 2. Teil, 2. Kap., C I. 21 Vgl. nur Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 BauNVO Rn. 19; Knaup/Stange, BauNVO, § 12 Rn. 11; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 12 Rn. 6; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 281; jeweils m. w. N.; und BVerwG, BVerwGE 94, 151 (161)=DVB1 1994, 284 (286). 22 So schon Sendler, BauR 1970, 4 (11).

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Vorschrift bestimmt die gebietsverträgliche Art von Stellplätzen und Garagen für die einzelnen Baugebiete und konkretisiert die in der Zweckbestimmung der jeweiligen Gebietsvorschrift enthaltene allgemeine Schranke aus Funktionsbestimmung und Störgrad für die Gebietsverträglichkeit der Nutzungen. § 12 Abs. 2 BauNVO vermittelt somit einen abstrakt-generellen Drittschutz gegen Stellplätze und Garagen, die den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf übersteigen.

IIL Drittschutz durch den Ausschluß bestimmter Arten von Stellplätzen in Absatz 3 § 12 Abs. 3 BauNVO verbietet nach Nr. 1 in reinen Wohngebieten Stellplätze und Garagen für alle Lastkraftwagen und Kraftomnibusse sowie deren Anhänger, nach Nr. 2 in Kleinsiedlungsgebieten und allgemeinen Wohngebieten solche Anlagen für Kraftwagen über 3,5 Tonnen einschließlich ihrer Anhänger. Zweck der Regelung ist der Schutz der Wohngebiete nach §§ 2-4 BauNVO vor den erheblichen Lärm- und Geruchsimmissionen, die von derartigen Fahrzeugen ausgehen. Die Vorschrift schränkt die Zulässigkeit von Stellplätzen und Garagen damit für die vorgenannten Baugebiete ihrer Art und nicht ihrem Umfang nach ein.24 Die Einschränkungen erfolgen dabei unter Berücksichtigung von Funktionsbestimmung und Störgrad des jeweiligen Baugebiets, wie die Unterscheidung der Einschränkung nach der Störempfindlichkeit der Wohngebiete belegt. § 12 Abs. 3 BauNVO legt demnach ausdrücklich die gebietsunverträglichen Stellplätze und Garagen für die einzelnen Wohngebiete fest. Durch den Ausschluß der gebietsunverträglichen Vorhaben sichert die Vorschrift die Stör- und Konfliktfreiheit in den einzelnen Gebieten und ergänzt das durch die entsprechenden Gebietsvorschriften erzeugte Austauschverhältnis. Die in Absatz 3 genannten Stellplätze und Garagen gehören als nach der Regelung allgemein gebietsunverträgliche Vorhaben zu den gebietsfremden Nutzungen. Dies ergibt sich zudem daraus, daß diese Vorhaben per se gegen Funktionsbestimmung und Störgrad der jeweiligen Gebiete verstoßen. § 12 Abs. 3 BauNVO vermittelt damit einen zu Absatz 2 vergleichba-

23

Das ist auch die vom BVerwG, BVerwGE 94, 151 (161)=DVB1 1994, 284 (286) verfolgte Argumentation. 24 Ebenso Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 BauNVO Rn. 22.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

ren abstrakt-generellen Drittschutz für alle Grundstückseigentümer des Baugebiets gegen die Zulassung der in der Vorschrift genannten Vorhaben.25

IV. Festlegung der Lage von Stellplätzen und Garagen in bestimmten Geschossen nach Absatz 4 und 5 Die Absätze 4 und 5 des § 12 BauNVO ermächtigen den Ortsgesetzgeber, die Zulässigkeit von Stellplätze und Garagen auf bestimmte Geschosse oder Teile von Geschossen zu beschränken, soweit besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen. Die in Frage kommenden besonderen städtebaulichen Gründe hat der Verordnungsgeber bereits in der amtlichen Begründung für die Regelung des § 12 Abs. 4 BauNVO 1968 als Vorgänger der heutigen Vorschrift angegeben. Danach ist Zweck der Regelung von § 12 Abs. 4 BauNVO 1968, Flächen für den fließenden Verkehr wegen der steigenden Anzahl der Kraftfahrzeuge von abgestellten Fahrzeugen freizuhalten. 26 Der Schutz des fließenden Verkehrs ist allein ein öffentliches Interesse, mit dem keine individuellen Interessen verknüpft sind. Festsetzungen nach Absatz 4 oder 5 dienen damit grundsätzlich nur öffentlichen Interessen und sind allgemein als nicht drittschützend anzusehen.27 Dennoch kann im Einzelfall eine Festsetzung nach § 12 Abs. 4, 5 BauNVO Nachbarschutz entfalten, wenn nach dem Willen des Ortsgesetzgebers die Regelung auch individuellen Interessen dienen soll.28 Der Ortsgesetzgeber ist durch die Voraussetzung, die Festsetzung mit einem besonderen städtebaulichen Grund zu rechtfertigen, nicht daran gehindert, mit der Regelung auch einen Individualinteressenschutz zu verfolgen. Denkbar ist zum Beispiel, daß neben der Sicherung des fließenden Verkehrs die Anwohner 25

So auch Fickert/Fieseler, BauNVO, § 12 Rn. 8; ohne näher darauf einzugehen, ob ein abstrakt-genereller Drittschutz besteht: Samighausen, NVwZ 1996, 7 (8); Bielenberg, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 BauNVO Rn. 35; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 281; Knaup/Stange, BauNVO, § 12 Rn. 58. 26 Vgl. amtl. Bgrd., BR-Drucks. 402/68, S. 6,7. 27 So auch die überwiegende Auffassung, die sogar einen Drittschutz gänzlich ausschließt, vgl. Knaup/Stange, BauNVO, § 12 Rn. 58; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 281-283; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 30 BauGB Rn. 86; Geiger, in: Birkl, Nachbarrecht, Teil E Rn. 97; Fikkert/Fieseler, BauNVO, § 12 Rn. 8, der nur die Absätze 2 und 3 für drittschützend hält. 28 Zustimmend Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 BauNVO Rn. 35.

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des maßgeblichen Gebiets vor Störungen durch An- und Abfahrverkehr geschützt werden sollen. Eine solche Festsetzung enthielte dann die gesetzliche Anordnung der Rücksichtnahme auch auf individuelle Interessen, so daß ein Drittschutz gegeben wäre. Der Drittschutz ergibt sich dabei allein aus der einzelnen Festsetzung, da § 12 Abs. 4 BauNVO insoweit nur die (potentielle drittschützende) Ermächtigungsnorm darstellt.

V. Drittschutz über die Ermächtigung zum Ausschluß und zur Beschränkung von Stellplätzen und Garagen nach Absatz 6 Nach § 12 Abs. 6 BauNVO kann der Ortsgesetzgeber Stellplätze und Garagen in Baugebieten oder Teilen von Baugebieten für unzulässig oder nur in beschränktem Umfang zulässig erklären, soweit landesrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Da die Vorschrift demnach allein eine Ermächtigungsnorm darstellt, können nur die danach vorgenommenen Festsetzungen, nicht aber § 12 Abs. 6 BauNVO selbst Drittschutz entfalten. In der amtlichen Begründung zur Einführung von Absatz 6 in die BauNVO 1977 hat der Verordnungsgeber ausgeführt, daß Gründe für eine Festsetzung u.a. „die Vermeidung von Störungen, die von Stellplätzen und Garagen auf die umliegende Bebauung ausgehen können, die Vermeidung von Verkehrsstörungen durch Einund Ausfahrten sowie die Vermeidung einer Überbelastung des Straßennetzes" seien.29 Regelungen im Bebauungsplan nach Absatz 6 können daher auch individuelle Interessen schützen, soweit dadurch Störungen der umliegenden Bebauung durch Ein- und Ausfahrten vermieden werden sollen. In diesem Fall dient die Festsetzung insbesondere der Verbesserung der Wohnruhe.30 Die anderen in der amtlichen Begründung aufgeführten Zwecke dienen dagegen lediglich dem öffentlichen Interesse an der Störfreiheit des fließenden Verkehrs ähnlich der Regelung des § 12 Abs. 4, 5 BauNVO. Eine Festsetzung nach Absatz 6, die der Vermeidung von Lärmstörungen dient, enthält damit eine gesetzlich angeordnete Rücksichtnahme auf individuelle Interessen. Zudem erzeugt eine solche Festsetzung ein Austauschverhältnis, da dem Nachteil der Beschränkung auf einen bestimmten Umfang oder der gänzliche Ausschluß von Stellplätzen und Garagen insbesondere der Vorteil einer geringeren

29

Amtl. Bgr., BR-Drucks. 261/77, S. 40. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 12 Rn. 18, die aber nicht von einer drittschützenden Wirkung ausgehen. 30

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Lärmbelästigung und größeren Wohnruhe gegenübersteht. Dementsprechend kommt solchen Festsetzungen ein drittschützender Charakter zu.31 Der Umfang des Drittschutzes, das „Wie" der Rechtsmachterteilung, läßt sich nur allgemein beschreiben, da dem Ortsgesetzgeber die Ausgestaltung der Festsetzung im wesentlichen freisteht. Der Plangeber kann entweder Stellplätze und Garagen gänzlich ausschließen oder nur in beschränktem Umfang zulassen. Bei einem gänzlichen Ausschluß schützt die Festsetzung abstrakt vor jeder von Stellplätzen ausgehenden Störung. Die Zulassung auch nur eines dieser Vorhaben verletzt das subjektive Recht wegen der mit seiner Errichtung wieder auftretenden Störungen, ohne daß es auf eine tatsächliche Beeinträchtigung des Einzelnen ankommt. Auf diese subjektive Rechtsverletzung können sich alle Grundstückseigentümer im festgesetzten Gebiet berufen, da rechtlich alle durch die Zulassung des Vorhabens betroffen sind. Durch Zulassung auch nur eines Stellplatzes oder einer Garage entwickeln sich die tatsächlichen Verhältnisse im festgesetzten Gebiet entgegen der Festsetzung. Dieser sich schleichend ausbreitende Widerspruch zwischen der Festsetzung und ihrer tatsächlichen Umsetzung kann zu einem Funktionsloswerden der Festsetzung führen. Nach der Rechtsprechung ist für die Annahme des Funktionsloswerdens einer Festsetzung eine Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse in ihrem Geltungsbereich erforderlich, die die Verwirklichung der Festsetzung auf lange Zeit ausschließt, sowie die Offenkundigkeit dieses Mangels.32 Es erscheint bereits mehr als fraglich, ob der Ausschluß von Stellplätzen und Garagen als Regelungsgegenstand einer solchen Festsetzung nach § 12 Abs. 6 BauNVO auch bei nur teilweiser Zulassung derselben im Baugebiet noch verwirklicht werden kann. Wegen der leichten Erkennbarkeit der verwirklichten unzulässigen Vorhaben wäre auch das Kriterium der Offenkundigkeit erfüllt. Das Funktionsloswerden beträfe alle Grundstückseigentümer im für die Festsetzung bestimmten Gebiet rechtlich gleichermaßen, da sie dadurch die in der Festsetzung verankerte subjektive Rechtsposition verlören. Dementsprechend 31 Ebenso die überwiegende Auffassung in der Literatur jedoch undifferenziert, vgl. Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 30 BauGB Rn. 86; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 BauNVO Rn. 35; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 283; Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 97; Sarnighausen, NVwZ 1996, 7 (8) ; ablehnend Knaup/Stange, BauNVO, § 12 Rn. 58. 32 BVerwGE 54, 5 (11); 98, 235; BVerwG, BauR 1997, 803; für die Verwaltungsgerichte: BayVGH, BayVBl 1987, 210; VGH BW, VB1BW 1983, 371; NVwZ 1987, 241 ff.; UPR 1994, 110 ff.; OVG Lüneburg, ZfBR 1986, 49; OVG Berlin, ZfBR 1979, 125; vgl. allgemein zum Funktionsloswerden Degenhart, BayVBl 1990, 71 ff. sowie unter 2. Teil, 2. Kap., C I 1 .

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vermittelt der Ausschluß von Stellplätzen und Garagen nach § 12 Abs. 6 BauNVO zur Vermeidung von Störungen ein abstrakt-generelles Abwehrrecht für die Grundstückseigentümer in dem für die Festsetzung maßgeblichen Gebiet. Entscheidet sich der Ortsgesetzgeber nur zu einer Beschränkung der Anlagen dem Umfang nach, kommt ebenfalls ein abstrakt-genereller Drittschutz in Betracht. Zunächst gehen von Vorhaben, die den durch die Festsetzung bestimmten Umfang überschreiten, Störungen aus, vor denen die Festsetzung gerade schützen will. Dementsprechend liegt in der Zulassung solcher Vorhaben eine Verletzung dieser subjektiven Rechtsposition. Eine tatsächliche Betroffenheit des Einzelnen ist darüber hinaus nicht erforderlich. Wie in Absatz 2 beschreibt auch die Festlegung eines bestimmten Umfangs eine eigene Art von Stellplätzen und Garagen.33 Ein den festgesetzten Umfang überschreitendes Vorhaben stellt damit eine andere Art von Stellplätzen und Garagen dar. Durch die Zulassung von Stellplätzen und Garagen in weiterem als durch die Festsetzung bestimmtem Umfang entsteht ein Widerspruch zwischen der Festsetzung und deren Umsetzung, der zum Funktionsloswerden der Festsetzung und damit zum Verlust der darin enthaltenen subjektiven Rechtsposition führen kann. Da bereits die Zulassung nur eines anderen Vorhabens die Entwicklung des Widerspruchs einleitet, sind alle Grundstückseigentümer des für die Festsetzung maßgeblichen Gebiets gleichermaßen von dem sich anbahnenden subjektiven Rechtsverlust betroffen. Eine Festsetzung nach § 12 Abs. 6 BauNVO vermittelt daher abstrakt-generellen Drittschutz gegen objektiv die Festsetzung übersteigende Vorhaben, soweit Zweck der Festsetzung die Vermeidung von Störungen ist. Dieser Drittschutz gilt für einen Ausschluß genauso wie für eine Einschränkung des Umfangs von Stellplätzen und Garagen. Der durch die Vorschrift bei einer derartigen Festsetzung vermittelte Drittschutz ist letztlich dem aus Absatz 2 gleichzusetzen, der ebenfalls den Schutz vor Störungen durch Stellplätze und Garagen zum Zweck hat.34 Darüber hinaus ist bei einer Festsetzung nach Absatz 6 Drittschutz möglich, soweit der Ortsgesetzgeber der Festsetzung erkenntlich auch eine individualschützende Funktion beimißt.35 Der Umfang des Drittschutzesrichtetsich

33

Vgl. 2. Teil, 4. Kap., Α Π 2. Dieser Auffassung ist auch Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 Rn. 35. 35 Vgl. ζ. B. OVG Lüneburg, B. v. 29.10.1993 - 1 L 252/93 (nicht veröffentlicht), wonach der Schutz eines freien Seeblicks durch Verbot von Anlagen nach § 12 Abs. 6 drittschützend ist. 34

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

dann nach Art und Inhalt der in der Festsetzung verankerten subjektiven Rechtsposition.

B. § 13 BauNVO - Gebäude und Räume für freie Berufe L Der Nachbarschutz in den allgemeinen Wohngebieten durch § 13 BauNVO 7. Drittschutzfunktion für die Wohngebiete nach §§ 2 bis 4 BauNVO Erst durch die Erweiterung der Zulässigkeit von Gebäuden für freie Berufe in den Gebieten §§ 4a-9 BauNVO bei der Änderung der BauNVO von 1977 erhielt § 13 BauNVO seine heutige Systematik, wonach in Kleinsiedlungsgebieten, reinen und allgemeinen Wohngebieten für freie Berufe allein Räume und nicht Gebäude zulässig sind. Unter der Beschränkung auf Räume ist allgemein zu verstehen, daß die Nutzung für freie Berufe innerhalb des jeweiligen Gebäudes nur Teile betreffen und nicht das gesamte Gebäude erfassen darf. 36 Die eigentliche Nutzungsart des Gebäudes ist dabei unerheblich. Es muß sich lediglich um eine allgemein zulässige Nutzung handeln. Die freiberuflichen u.ä. Tätigkeiten nach § 13 BauNVO entziehen sich einer konkreten, eindeutigen Begriffsbestimmung. Gekennzeichnet sind diese Tätigkeiten lediglich dadurch, daß „in unabhängiger Stellung Dienstleistungen angeboten werden, die vorwiegend auf individuellen geistigen Leistungen oder sonstigen persönlichen Fertigkeiten beruhen"37. Planungsrechtlich bestimmendes Merkmal der freiberuflichen Nutzungen ist darüber hinaus, daß sie mehr oder weniger in jeder Wohnung stattfinden können, sog. Wohnartigkeit der Nutzungen.38 Aufgrund der Wohnartigkeit erweisen sich die freiberuflichen Nutzun-

36

Vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 13 Rn. 2, 3; Knaup/Stange, BauNVO, § 13 Rn. 17; Förster, BauNVO, § 13 Anm. 3; Βoeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 13 Rn. 9; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 13 BauNVO Rn. 14; Boeddinghaus/Franßen/Rhode, BauNVO, § 13 Rn. 4. 37 BVerwGE 68, 324. 38 Zu diesem Begriff vgl. BVerwG, BauR 1970, 832; BVerwGE 68, 324; aus der Lit. vgl., Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 13 BauNVO Rn. 8, 10; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 13 Rn. 5, 5.1; Knaup/Stange, BauNVO, § 13 Rn. 2-4.

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gen als mit der Wohnnutzung verträglich und gehen von ihnen allgemein keine Störungen auf andere Nutzungen aus. Die Beschränkung der freien Berufe in Wohngebieten erfolgt daher nicht aufgrund ihres Störpotentials. Gebäude für freiberufliche Nutzung stehen in ihrer Eigenschaft als Bürogebäude aber grundsätzlich nicht in Übereinstimmung mit dem Gebietscharakter der Wohngebiete nach §§ 2-4 BauNVO. Diese Wohngebiete sind durch die Wohnnutzung geprägt und lassen darüber hinaus nur in Abstufungen auf die Versorgung des Gebiets bezogene Nutzungen zu. Die neben der Wohnnutzung allgemein - bzw. nur ausnahmsweise - zulässigen Anlagen sind aufgrund ihres Versorgungsbezuges nach Art und Umfang gegenüber der Wohnnutzung wesentlich beschränkt. Es handelt sich dabei vor allem um in Wohngebäude integrierte bzw. mit einer Wohnnutzung verbundene Läden und andere Kleinbetriebe. Gebäude mit ausschließlich freiberuflicher Nutzung, die im äußeren Umfang den prägenden Wohngebäuden gleichzusetzen sind, widersprechen dem planungsrechtlichen Ortsbild eines von Wohnnutzung geprägten Baugebietes. Aufgrund der Wohnartigkeit siedeln sich die freiberuflichen Nutzungen zudem vor allem in Wohngebäuden an. Die uneingeschränkte Zulässigkeit der wohnartigen freiberuflichen Nutzungen birgt dann aber die Gefahr der Verdrängung der bestehenden Wohnnutzung. Schließlich kann sich auch die Verträglichkeit der freiberuflichen Nutzung mit der Wohnnutzung durch die Zulassung von ganzen Gebäuden für freie Berufe ändern, weil von dem Kunden- und Angestelltenverkehr im Einzelfall nicht unerhebliche Störungen ausgehen können. Die Regelung dient damit der Sicherung des Wohngebietscharakters. Dies läßt sich auch der amtlichen Begründung für die Änderung der BauNVO 1977 entnehmen, wonach die weiterhin geltende Beschränkung für freie Berufe auf Räume in den Gebieten §§ 2-4 BauNVO in der Schutzwürdigkeit der Gebiete begründet ist.39 Mit der Schutzwürdigkeit ist der Wohncharakter der Baugebiete gemeint, der den allgemeinen Zweckbestimmungen der Gebietsvorschriften zu entnehmen ist. Wie bereits mehrfach erwähnt, findet der Gebietscharakter seinen Ausdruck in der allgemeinen Zweckbestimmung der Gebietsvorschriften, den Merkmalen „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis". Da § 13 Alt. 1 BauNVO keine Bestimmung über den Anteil der freiberuflich genutzten Räume für das gesamte Plangebiet enthält, bezieht sich der Schutz des Gebietscharakters lediglich xauf die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad". Die Beschränkung auf Räume für die freiberufliche Nutzung kon39

Amtl. Bgr., BR-Drucks 261/77, S. 43.

0

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

kretisiert damit in den Gebieten nach §§ 2 bis 4 BauNVO diese beiden Wesensmerkmale. Der Gebietscharakter als Ausgestaltung von Funktionsbestimmung und Störgrad dient auch dem Schutz von individuellen Interessen und erfüllt das Interessenschutzkriterium. In der Beschränkung auf Räume liegt daher eine Rücksichtnahme auch auf individuelle Interessen, die eine eigenständige drittschützende Funktion der ersten Alternative begründet.40 Mit anderen Worten bestimmt die Regelung die gebietsverträgliche Art freiberuflicher Nutzungen für die Wohngebiete nach §§ 2 bis 4 BauNVO. Die Verletzung der in § 13 Alt. 1 BauNVO verankerten subjektiven Rechtspositionrichtetsich zunächst nach der objektiven Rechtsverletzung der Regelung. Eine objektive Rechtsverletzung liegt unstrittig in der Zulassung eines Gebäudes, in dem alle Räume für freiberufliche Nutzung vorgesehen sind. Eine darüber hinausgehende Einschränkung der objektiven Zulässigkeit freiberuflicher Nutzungen auf einen bestimmten Anteil des Gebäudes lehnt die Literatur überwiegend ab, weil die Zulässigkeitseinschränkung des § 13 BauNVO nicht gebäude-, sondern gebietsbezogen zu verstehen sei.41 Zutreffend ist, daß die Einschränkung der freiberuflichen Nutzung den Schutz der Wohngebiete bezweckt und insofern gebietsbezogen zu verstehen ist. Die Gebietsbezogenheit vermittelt aber aus sich heraus kein Kriterium für die Frage, wann ein Gebäude mit freiberuflicher Nutzung gebietsfremd ist. Zuzustimmen ist der Literatur daher nur insoweit, als aus der Regelung des § 13 BauNVO keine allgemeine Höchstzahl von Quadratmetern oder Räumen für das gesamte Plangebiet zu entnehmen ist.42 Die auf das Plangebiet bezogene Beschränkung der zulässigen Räume für freiberufliche Nutzung bestimmt allein das Mischungsverhältnis nach der allgemeinen Zweckbestimmung der jeweiligen Gebietsvorschrift. Aus der Unterscheidung zwischen Räumen und Gebäuden in § 13 BauNVO folgt aber, daß die Räume für die freiberufliche Nutzung nicht diejenigen für die anderen Nutzungen überwiegen und das Gebäude prä40

Allg. Α., vgl. Knaup/Stange, BauNVO, § 13 Rn. 25; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil Η Rn. 288, 289; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 30 BauGB Rn. 86; Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 101; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 13 Rn. 3.1; BVerwG, UPR 1996, 113; OVG NW, BRS 57 Nr. 80. 41 So Fickert/Fieseler, BauNVO, § 13 Rn. 2, 3, die dementsprechend davon ausgehen, daß zwischen Räumen und Gebäuden für freiberufliche Nutzung nur ein gradueller Unterschied besteht; Knaup/Stange, BauNVO, § 13 Rn. 17; Förster·, BauNVO, § 13 Anm. 3; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 13 Rn. 9; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil Η Rn. 289. 42 Ausdrücklich hierauf hinweisend ζ. B. Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil Η Rn. 289.

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gen dürfen. 43 Ein Gebäude mit mehr als der Hälfte freiberuflicher Nutzung ist nicht mehr der sonst noch vorhandenen Nutzung, sondern nur noch der prägenden freiberuflichen Nutzung zuzuordnen. Es handelt sich dann bereits um ein Gebäude für freiberufliche Nutzung. Gem. § 13 Alt. 1 BauNVO ist als Grenze des für freiberufliche Nutzung verwendbaren Raums daher die Hälfte der nutzbaren Fläche eines Gebäudes anzusehen. Gebäude, die durch die freiberufliche Nutzung geprägt sind, verstoßen objektiv gegen § 13 Alt. 1 BauNVO und gleichzeitig gegen die in der Vorschrift ausgestalteten Wesensmerkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad". Sie erweisen sich aufgrund des Verstoßes gegen Funktionsbestimmung und Störgrad als gebietsfremde Nutzungen, so daß neben der objektiven Rechtsverletzung keine weitere tatsächliche Betroffenheit des Einzelnen für eine subjektive Rechtsverletzung erforderlich ist.44 Die erste Alternative des § 13 BauNVO vermittelt dementsprechend einen abstrakt-generellen Drittschutz gegen Gebäude, die durch eine überwiegend freiberufliche Nutzung der Räume geprägt sind.

2. Kein eigenständiger Drittschutz der zweiten Alternative des §13 BauNVO Keinen Drittschutz aus sich heraus vermag die zweite Alternative des § 13 BauNVO für die Baugebiete nach §§ 4a bis 9 BauNVO zu erzeugen. In der uneingeschränkten Zulässigkeit von Gebäuden für freiberufliche Nutzung in den Baugebieten liegt keine Rücksichtnahme auf bestimmte Interessen. Gebäude für freiberufliche Nutzungen sind in den angeführten Baugebieten allgemein zulässig, weil sie nach der Vorgabe des Verordnungsgebers dort nicht zu Störungen führen können. Die Anlagen nach § 13 Alt. 2 BauNVO gehören daher zur Kategorie der nicht gebietsprägenden Nutzungen. Drittschutz kann die zweite Alternative dementsprechend nur mittelbar über die Merkmale Funktionsbestimmung, Störgrad und Mischungsverhältnis nach der jeweiligen Gebietsvorschrift entfalten, wenn die Gebäude für freiberufliche Nutzungen

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So schon BVerwGE 68, 324 (328); bestätigt durch BVerwG, ZfBR 1985, 143 und UPR 1996, 113; zustimmend OVG NW, BRS 57 Nr. 80 (S. 219); ähnlich Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 13 BauNVO Rn. 14. 44 Vgl. zum abstrakt-generellen Schutz gegen gebietsfremde Nutzungen allgemein oben unter 2. Teil, 2. Kap., C I. 16 Petersen

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

gegen eines der Merkmale verstoßen und sich als gebietsfremde oder gebietsverändernde Vorhaben erweisen.45

IL Drittschutz fur die Sondergebiete nach § 13 BauNVO? Der überwiegende Teil der Literatur zieht § 13 BauNVO auch bei den Sondergebiete nach §§ 10, 11 BauNVO für die Zulässigkeit von freiberuflichen Nutzungen heran, indem er durch Auslegung der allgemeinen Zweckbestimmung des Sondergebiets die Verträglichkeit und damit Zulässigkeit der freiberuflichen Nutzung festlegt.46 Dabei unterscheidet er zwischen der Zulässigkeit von freiberuflichen Nutzungen in Sondergebieten, die der Erholung dienen, und sonstigen Sondergebieten. Allgemein sollen in Sondergebieten gem. § 10 BauNVO freiberufliche Nutzungen unzulässig sein, weil sie mit dem Erholungscharakter dieser Gebiete nicht vereinbar sind. Hingegen verlange der Gebietscharakter der sonstigen Sondergebiete keinen grundsätzlichen Ausschluß der freiberuflichen Nutzungen. Vielmehr könne sich aus der Auslegung der jeweiligen Zweckbestimmung die allgemeine Zulässigkeit der Nutzungen ergeben. Aufgrund der generellen Unvereinbarkeit mit dem Gebietscharakter der Sondergebiete nach § 10 BauNVO entnehmen einige Vertreter dieser Auffassung dem § 13 BauNVO auch für diese Sondergebiete einen Drittschutzanspruch gegen die Zulassung von freiberuflichen Nutzungen.47 Die Auffassung ist in ihrer objektiven wie subjektiven Ausgestaltung abzulehnen. Dagegen spricht zunächst der eindeutige Wortlaut des § 13 BauNVO, der alle Baugebiete außer den Sondergebieten aufzählt. Der Wortlaut ist auch nicht insoweit offen, daß durch Auslegung im Zusammenhang mit den Sondergebietsvorschriften der Regelung eine Zulässigkeitsregelung zu entnehmen wäre. Das Nichtaufzählen der Sondergebiete enthält vielmehr eine bewußte Ausgrenzung dieser Gebiete aus dem objektiven wie subjektiven Anwen-

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Ähnlich Fickert/Fieseler, BauNVO, § 13 Rn. 3.1. Knaup/Stange, BauNVO, 7. Aufl., § 13 Anm. Π, 5; Boeddinghaus/Franßen/Rhode, BauNVO, § 13 Rn. 3; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 291, 292; Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 101; Förster, BauNVO, § 13 Anm. 4; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 13 BauNVO Rn. 3; ablehnend Fickert/Fieseler, BauNVO, § 13 Rn. 1; nunmehr auch Knaup/Stange, BauNVO, 8. Aufl., § 13 Rn. 5. 47 So ausdrücklich Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 291, 292; Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 101. 46

. Kapitel: Der Drittschutz durch ie

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dungsbereich der Vorschrift. Der Verordnungsgeber hat in den Sondergebietsvorschriften den Ortsgesetzgeber ausdrücklich dazu ermächtigt, selbst die zulässigen Nutzungen für das jeweilige Sondergebiet im einzelnen zu bestimmen. Demnach kann allein der Ortsgesetzgeber im Bebauungsplan die allgemeine oder ausnahmsweise Zulässigkeit von freiberuflichen Nutzungen für das Sondergebiet bestimmen, indem er ausdrücklich eine Festsetzung nach § 13 BauNVO vornimmt. Eine durch Auslegung von § 13 BauNVO in Verbindung mit der Sondergebietsvorschrift ermittelte Zulässigkeitsregelung steht daher im offenen Widerspruch zur alleinigen Ermächtigung des Ortsgesetzgebers und damit zur Systematik der Sondergebietsvorschriften. 48 Hat der Ortsgesetzgeber für das Sondergebiet keine Festsetzung nach § 13 BauNVO getroffen, ergibt sich aus der so ausgestalteten Sondergebietsvorschrift, daß freiberufliche Nutzungen objektiv unzulässig sind. Für eine Annahme der objektiven Zulässigkeit durch Auslegung des Gebietscharakters ist dann kein Raum. Nur die Frage, ob auch ein subjektiver Drittschutz gegen die objektiv unzulässigen Nutzungen besteht, ist durch Auslegung der allgemeinen Zweckbestimmung des Sondergebiets zu ermitteln. Die objektive und subjektive Zulässigkeit von freiberuflichen Nutzungen in Sondergebieten bestimmt sich damit allein nach der vom Ortsgesetzgeber ausgestalteten Sondergebietsvorschrift.

C. Nebenanlagen gem. § 14 BauNVO § 14 BauNVO regelt die Zulässigkeit von Nebenanlagen für sämtliche Baugebiete einschließlich der im einzelnen erst durch den Ortsgesetzgeber auszugestaltenden Sondergebiete. Nach Absatz 1 der Vorschrift richtetsich die allgemeine Zulässigkeit jeder Art von Nebenanlagen. Absatz 2 regelt hingegen eine ausnahmsweise Zulässigkeit von Nebenanlagen, die der Versorgung der Baugebiete mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser oder der Ableitung von Wasser dienen, sowie von fernmeldetechnischen Anlagen und Anlagen für erneuerbare Energien, die nicht unter Absatz 1 fallen.

48 Auf diesen Zusammenhang weisen auch Fickert/Fieseler, Rn. 1 hin.

BauNVO, § 13

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

L Der Nachbarschutz über die allgemeine Zulässigkeit von Nebenanlagen nach Absatz 1 Allgemein bestimmen die Sätze 1 und 2 des § 14 Abs. 1 BauNVO die Zulässigkeit von Nebenanlagen. Keine eigenständige Bedeutung hat dabei Satz 2, wonach zu den Nebenanlagen nach Satz 1 auch solche für Kleintierhaltung gehören. Er hat allein eine klarstellende Funktion und begründet keine weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen für Nebenanlagen.49 Nach dem damit ausschlaggebenden Satz 1 ist ein Vorhaben als Nebenanlage zulässig, wenn es erstens nicht unter die Anlagen nach §§ 2 bis 13 BauNVO fallt, zweitens der Hauptanlage des Grundstücks untergeordnet ist, drittens dem Nutzungszweck der im Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dient und viertens seiner Eigenart nicht widerspricht. Nach allgemeiner Auffassung gehören dabei zu den Wesensmerkmalen einer untergeordneten Nebenanlage, „daß die Anlage sowohl in ihrer Funktion als auch räumlich-gegenständlich dem primären Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke (oder des Baugebiets selbst) sowie der diesem Nutzungszweck entsprechenden Bebauung dienend zu- und untergeordnet ist".50 Basis dieser Begriffsbestimmung bilden die vorgenannten Merkmale zwei und drei, die demnach die Nutzungsart Nebenanlagen i. S. von § 14 BauNVO charakterisieren sollen. Das Merkmal „dem Nutzungszweck der Grundstücke oder des Baugebiets dienen" legt die Nebennutzung ihrer Funktion nach fest. Das Merkmal der Unterordnung fordert nicht nur eine quantitative Einschränkung der Nutzungsart, sondern beschreibt diese auch qualitativ.51 Schon dem Wortlaut nach dient eine Nebenanlage der Hauptnutzung und nicht umgekehrt, so daß sie auch vom Umfang her der Hauptnutzung untergeordnet sein muß. Zu einer klaren Abgrenzung der Hauptanlagen von den Nebenanlagen reichen die Merkmale jedoch nicht aus. Eine dem Nutzungszweck des Grundstücks oder des Baugebiets dienende Anlage, die zudem das Merkmal der Unterordnung erfüllt, kann zugleich unter eine der Anlagen nach §§ 2 bis 13 BauNVO fallen. Die

49

Vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 14 Rn. 2; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 14 BauNVO Rn. 20a, 20d. 50 Diese Definition stammt vom BVerwG, BauR 1977, 109; sie ist allgemein in der Literatur übernommen worden, vgl. nur Fickert/Fieseler, BauNVO, § 14 Rn. 3; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 14 BauNVO Rn. 16; Knaup/Stange, BauNVO, § 14 Rn. 9 ff. 51 Ähnlich BVerwG, BauR 1977, 109 (111), wonach § 14 BauNVO mit dem Merkmal Unterordnung „zum Ausdruck bringt, daß er nicht Nebenanlagen schlechthin, sondern nur untergeordnete Nebenanlagen gestattet".

. Kapitel: Der Drittschutz durch ie

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Anlagen nach §§ 2 bis 13 BauNVO gehören aber nach der Vorschrift gerade nicht zu den Nebenanlagen, da nach dem Wortlaut außer den in §§ 2 bis 13 genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig sind.52 Daher ist auch diese erste Voraussetzung des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO Wesensmerkmal der Nebennutzungen.

7. Kein Drittschutz über die Wesensmerkmale der Nebenanlage Den drei Wesensmerkmalen der Nebenanlagen kommt keine eigenständige Drittschutzfunktion zu. Die Merkmale bestimmen die Nutzungsart, ohne den Gebietscharakter des jeweiligen Baugebiets oder irgendwelche anderen Interessen zu berücksichtigen. Die fehlende Berücksichtigung anderer - auch individueller - Interessen ergibt sich insbesondere daraus, daß Nebenanlagen in allen Baugebieten zulässig sind und somit auf keine besonderen Interessen Rücksicht nehmen können. Infolgedessen gehören die Nebenanlagen zur Kategorie der nicht gebietsprägenden Nutzungen. Drittschutz können die Merkmale erst im Zusammenhang mit den Gebietsvorschriften vermitteln, soweit die Nebenanlagen den Kreis der gebietszulässigen Nutzungen ergänzen und das Austauschverhältnis mitgestalten. So kann ein Vorhaben, das einem der Wesensmerkmale der Nebennutzung widerspricht und folglich keine Nebennutzung darstellt, trotzdem nach den §§ 2 bis 13 BauNVO zulässig sein. Erst wenn das Vorhaben auch nach §§ 2 bis 13 BauNVO nicht zulässig ist, erweist es sich als insgesamt im Baugebiet unzulässiges und gebietsfremdes Vorhaben. Der Drittschutzanspruch gegen das gebietsfremde Vorhaben ergibt sich dann jedoch erst aus der jeweiligen Gebietsvorschrift, die die Eigenart des Baugebiets festlegt.

52

Vgl. hierzu allgemein BVerwG, B. v. 05.09.1996 - 4 Β 162/96 - (noch nicht veröffentlicht); zur Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenanlagen Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 14 BauNVO Rn. 16a.

246

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

2. Drittschützende Funktion des Merkmals „ Vereinbarkeit mit der Eigenart des Baugebiets" § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO kann aus sich selbst heraus Drittschutz allein über die Voraussetzung erzeugen, daß die Nebenanlagen nicht der Eigenart des Baugebiets widersprechen dürfen. Die Eigenart des Baugebiets bestimmt sich grundsätzlich nach der allgemeinen Zweckbestimmung, den Wesensmerkmalen „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis". Diese Wesensmerkmale umschreiben das durch die Gebietsfestsetzung vermittelte subjektive Recht, die gebietsspezifische Stör- und Konfliktfreiheit. 53 Im Erfordernis, nicht der Eigenart des Baugebiets zu widersprechen, liegt dementsprechend eine gesetzlich angeordnete Rücksichtnahme auf die in der Eigenart verankerte subjektive Rechtsposition und eine eigenständige drittschützende Wirkung von § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO.54 Ausgangspunkt für die Verletzung der subjektiven Rechtsposition ist die objektive Rechtsverletzung des Merkmals, der Widerspruch der Nebenanlage zur Eigenart des Baugebiets. Nach der überwiegenden Auffassung ergibt sich die Eigenart des Baugebiets nicht nur aus der allgemeinen Zweckbestimmung der jeweiligen Gebietsvorschrift, sondern vor allem aus den tatsächlichen Verhältnissen im Baugebiet.55 Dem ist nur insoweit zuzustimmen, als eine Berücksichtigung der tatsächlichen Bebauung für die Merkmale der Eigenart erforderlich ist und die tatsächliche Bebauung der Eigenart des Baugebiets auch entspricht.56 Das ist allein beim Merkmal „Mischungsverhältnis" der Fall, da ein Widerspruch zum in der Zweckbestimmung vorgegebenen Mischungsverhältnis nur unter Berücksichtigung der tatsächlichen Bebauung feststellbar ist. Die anderen Wesensmerkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" bestimmen sich dagegen allein nach der allgemeinen Zweckbestimmung der Gebietsvorschrift ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Bebauung. 53

Allgemein hierzu 2. Teil, 2. Kap. C. So auch Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 295; Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 101; Berendes, ZfBR 1997, 21 (22); Dürr/Kersting, Baurecht für Nordrhein-Westfalen, Rn. 302; Knaup/Stange, BauNVO, § 14 Rn. 40 die jedoch lediglich von einem Teilhaben an der nachbarschützenden Wirkung der Gebietsvorschriften ausgehen; Bay VGH, UPR 1986, 31. 55 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 14 Rn. 5; Bielenberg, in: Ernst/ Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 14 BauNVO Rn. 16c; Förster, BauNVO, Anm. 2 a cc; Knaup/Stange, BauNVO, § 14 Rn. 16, 17; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 295. 56 So auch Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 14 Rn. 13. M

. Kapitel: Der Drittschutz durch ie

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Das Merkmal „Widerspruch" könnte in § 14 BauNVO abstrakt gebietsbezogen zu verstehen sein im Gegensatz zu § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, wo der Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets konkret umgebungsbezogen ist.57 Zwar spricht für eine Umgebungsbezogenheit der gleichlautende Wortlaut von §§ 14 und 15 BauNVO, die ein „nicht Widersprechen" bzw. „Widersprechen" verlangen. Die Umgebungsbezogenheit gründet sich bei § 15 BauNVO u.a. auf die umgebungsbezogenen Merkmale Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung, aus denen sich der Widerspruch ergeben muß. Einen derartigen Bezugspunkt zu den konkreten Umständen der Umgebung ist in § 14 BauNVO nicht enthalten. Die abstrakte Gebietsbezogenheit entspricht auch allein der Funktion des § 14 BauNVO in Abgrenzung zur Funktion des § 15 BauNVO. Die Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO soll die konkrete Verträglichkeit aller an sich (gebiets)zulässigen Nutzungen auch in ihrer konkreten Umgebung sicherstellen.58 Daher kommt es bei § 15 BauNVO auf die Berücksichtigung der konkreten Umstände der Umgebung an und kann der Widerspruch hier nur umgebungsbezogen zu verstehen sein. Hingegen hat § 14 BauNVO die Funktion, allgemein und abstrakt die Zulässigkeit von Nebennutzungen für alle Baugebiete festzulegen.59 Für die allgemeine Zulässigkeit kommt es aber nur auf eine abstrakte Gebietsverträglichkeit der Nutzung an und nicht auf die konkreten Umstände des Einzelfalls. Das Merkmal „Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets" in §14 BauNVO stellt letztlich klar, daß die allgemeine Zweckbestimmung der jeweiligen Gebietsvorschrift als Zulässigkeitsschranke für alle gebietszulässigen Nutzungen60 auch für die Nebenanlagen gilt. Daher verlangt § 14 BauNVO einen Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets, der abstrakt gebietsbezogen ist. Eine objektive Rechtsverletzung ist folglich gegeben, soweit die Nebenanlage gegen eines der Wesensmerkmale „Funktionsbestimmung", „Störgrad" oder „Mischungsverhältnis" abstrakt verstößt. Einige Autoren vertreten die Auffassung, daß die objektive Rechtsverletzung des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht gleichzeitig zur subjektiven Rechtsverletzung führe. Das Erfordernis der Vereinbarkeit mit der Eigenart 57

3 b).

58

c).

59

Zur Umgebungsbezogenheit von § 15 Abs. 1 Satz 1 s. o. 2. Teil, 2. Kap., C Π Ausführlich zur Funktion von § 15 Abs. 1 Satz 1 s. o. 2. Teil, 2. Kap., C Π 3

Dafür wohl auch Förster, BauNVO, § 14 Anm. 2 a) cc), der meint, daß „mit dieser Voraussetzung (ist) in allgemeiner Form ein Gesichtspunkt des § 15 Abs. 1 angesprochen" ist; ebenso früher Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 14 BauNVO Rn. 16, bis zur 35. Erg.-Lfg. des Kommentars. 60 Vgl. hierzu 2. Teil, 2. Kap., A.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

des Baugebiets sei eine spezialgesetzliche Ausprägung des Rücksichtnahmegebots, das eine tatsächliche Beeinträchtigung für die subjektive Rechtsverletzung erfordere. 61 Wie in den allgemeinen Ausführungen zur Drittschutzdogmatik dargelegt, vermag das Rücksichtnahmegebot von sich aus kein Betroffenheitskriterium zu begründen.62 Vielmehr kann sich das Erfordernis einer tatsächlichen Betroffenheit nur aus der Ausgestaltung der subjektiven Rechtsposition nach der jeweiligen Rechtsnorm ergeben. Die im Merkmal „Eigenart des Baugebiets" und in den einzelnen Wesensmerkmalen der Zweckbestimmung verankerte subjektive Rechtsposition ist die Stör- und Konfliktfreiheit im Baugebiet. Von den gebietsfremden Vorhaben, die gegen eines oder mehre Wesensmerkmale verstoßen, gehen (bodenrechtliche) Auswirkungen aus, die nicht nur die subjektive Rechtsposition von Nachbarn in der direkten Umgebung, sondern im ganzen Baugebiet beeinträchtigen. Die Zulassung bereits eines einzelnen gebietsfremden Vorhabens leitet eine schleichende Gebietsveränderung ein, die zum Funktionsloswerden der Gebietsfestsetzung und zum Verlust der darin verankerten subjektiven Rechtsposition führen kann.63 Infolgedessen sind von der Zulassung eines gebietsfremden Vorhabens alle Grundstückseigentümer gleichermaßen in ihrer subjektiven Rechtsposition betroffen. Für die Zulassung einer Nebenanlage, die gegen eines der Wesensmerkmale verstößt, kann aber nichts anderes gelten. Auch eine Nebenanlage ist bei einem Verstoß gegen die Eigenart des Baugebiets als gebietsfremd einzuordnen. Zwar ist grundsätzlich nicht davon auszugehen, daß gebietsfremde Nebenanlagen eine allmähliche Gebietsveränderung einleiten können. Aufgrund ihrer Unterordnung zur Hauptnutzung entfalten Nebenanlagen eher keine grundstücks- oder gebietsprägende Wirkung. Hingegen kann die Zulassung bereits einer gebietsfremden Nebenanlage jedoch eine schleichende Veränderung der Art der Nebenanlagen in Gang setzen und damit zum Funktionsloswerden der Regelung des § 14 Abs. 1 BauNVO als Festsetzung für das Baugebiet führen. Ein Funktionsloswerden der Regelung hätte den Verlust der darin verankerten subjektiven Rechtsposition zur Folge, der alle Grundstückseigentümer des Baugebiets gleichermaßen verletzen würde. Die Planbetroffenen könnten die gebietsunverträglichen Auswirkungen der Nebenanlagen nicht mehr abwehren. Somit liegt auch in der Zulassung jeder gebietsfremden Nebenanlage eine

61

Berendes, ZfBR 1997, 21 (22) und Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 294, 295; wohl auch Bay VGH, UPR 1986, 31. 62 1. Teil, 2. Kap., Β Π. 63 Ausführlich zur Problematik des Funktionslos werden im Zusammenhang mit den gebietsfremden Vorhaben Teil Β ΙΠ 1 a).

. Kapitel: Der Drittschutz durch ie

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9

abstrakt-generelle Verletzung der subjektiven Rechtsposition aller Grundstückseigentümer des Baugebiets. Eine weitere tatsächliche Betroffenheit des Einzelnen neben der objektiven Rechtsverletzung ist dementsprechend für die subjektive Rechtsverletzung nicht erforderlich.

3. Einschränkungen der Zulässigkeit von Nebenanlagen

Drittschützende Wirkung kann allgemein auch eine Einschränkung der Zulässigkeit von Nebenanlagen gem. § 14 Abs. 1 Satz 3 BauNVO nach den allgemeinen Grundsätzen entfalten.64 Ausschlaggebend ist, ob die Einschränkung nach dem Willen des Ortsgesetzgebers auch der Rücksichtnahme auf individuelle Interessen Dritter dient oder aber ein gegenseitiges Austauschverhältnis zu begründen vermag. Dabei kommt dem Ortsgesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum zu. Aufgrund der Vielfalt der Beschränkungsmöglichkeiten wie der Art der Nebennutzungen lassen sich weitergehende allgemeine Angaben über die drittschützende Wirkung von Einschränkungen nicht machen.

EL Nebenanlagen der öffentlichen Daseinsvorsorge nach Absatz 2 Die Regelung des § 14 Abs. 2 BauNVO über die ausnahmsweise Zulässigkeit von Anlagen der Energie-, Wasserversorgungs- und Abwasserwirtschafit vermag keinen Drittschutz zu vermitteln.65 Die Zulässigkeitsvoraussetzungen enthalten keine Tatbestandsmerkmale, die die Eigenart des Baugebiets oder andere Interessen berücksichtigen. Die für allgemeine Nebenanlagen nach Absatz 1 geltenden Merkmale sind für die Nebenanlagen nach Absatz 2 nicht anwendbar, da Absatz 2 eine eigenständige und abschließende Zulässigkeitsregelung konstituiert. Das drittschützende Merkmal der Vereinbarkeit mit der Eigenart des Baugebiets gilt daher nicht für Absatz 2. Auf eine allgemeine Vereinbarkeit mit der Eigenart des Baugebiets kann es bei der Zulässigkeit

64

So auch Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 297. 65 Allgemein ablehnend auch Geiger, in: Birkl, Nachbar schütz, Teil E Rn. 109.

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

von Nebenanlagen nach Absatz 2 auch grundsätzlich nicht ankommen, da es sich um Nebenanlagen der allgemeinen öffentlichen Daseinsvorsorge handelt, die in jedem Baugebiet gesichert sein muß. Die Berücksichtigung einer unzumutbaren Beeinträchtigung oder einer Unvereinbarkeit mit der Eigenart nach den konkreten Umständen erfolgt über § 15 Abs. 1 BauNVO, der im Einzelfall Drittschutz vermitteln kann.66 Auch der Ausnahmetatbestand dient keinen individuellen Interessen ζ. B. gegen ein Überhandnehmen von Nebenanlagen nach Absatz 2. Einziger Zweck der Zulässigkeitsregelung als Ausnahme ist sicherzustellen, daß grundsätzlich die Planung der Haupt- und Nebenanlagen für die öffentliche Daseinsvorsorge nach § 9 Abs. 1 Nr. 12 bis 14 BauGB erfolgt.

5. Kapitel

Der Drittschutz durch § 15 BauNVO A. Inhalt und Anwendungsbereich der Vorschrift § 15 BauNVO regelt die Zulässigkeit von Vorhaben nach §§ 2 bis 14 BauNVO unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Die Vorschrift kommt dabei unmittelbar im Geltungsbereich der §§ 2 bis 14 BauNVO zur Anwendung, ohne daß es einer Überleitung durch § 1 Abs. 3 BauNVO bedarf. In § 15 Abs. 1 BauNVO sind die eigentlichen Zulässigkeitsregelungen enthalten. Absatz 2 der Vorschrift weist lediglich klarstellend darauf hin, daß bei der Anwendung des Absatzes 1 nur städtebauliche Ziele und die Grundsätze des § 1 Abs. 5 BauGB maßgeblich sind. In gleicher Weise verdeutlicht Absatz 3, daß für die Beurteilung der Zulässigkeit nicht allein das Bundes-Immissionsschutzgesetz und die auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen maßgeblich sind. Eine drittschützende Wirkung kann daher nur Absatz 1 entfalten, nach dessen Regelungen sich die Zulässigkeit des Vorhabens im Einzelfall bestimmt. Anwendungsvoraussetzung für Absatz 1 ist, daß es sich um ein Vorhaben handelt, das an sich nach den §§ 2-14 BauNVO zu-

66

In § 15 Abs. 1 sieht auch Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 298, die einzige Drittschutzmöglichkeit.

5. Kapitel: Der Drittschutz durch § 15 BauNVO

251

lässig ist und den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspricht.1 Inhaltlich bezieht sich § 15 Abs. 1 BauNVO grundsätzlich nur auf die Art der baulichen Nutzung, wie seine Stellung am Ende des ersten Abschnitts der BauNVO und der konkrete Bezug allein auf die §§ 2 bis 14 BauNVO andeuten.2 Soweit aber das Maß der baulichen Nutzung qualitative Bedeutung gewinnt und die Art der Nutzung beeinflußt, kann es auch für die Zulässigkeit nach § 15 Abs. 1 BauNVO von Bedeutung sein, insbesondere für das Merkmal „Umfang".3 Generell erfaßt § 15 Abs. 1 BauNVO damit alle Festsetzungen des Bebauungsplans, da es bei den Unzulässigkeitstatbeständen allein auf die Wirkung des Vorhabens auf die Art der Nutzung ankommt und nicht auf die Ursachen dieser Wirkung.

B. Der Drittschutz in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO L Allgemeiner Drittschutzcharakter über die Wesensmerkmale des Baugebiets Gem. Absatz 1 Satz 1 sind Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Das BVerwG sah früher Absatz 1 als einfachgesetzliche Ausprägung allein des objektiven, nicht drittschützenden Rücksichtnahmegebots an, weil der Vorschrift ein hinreichend abgrenzbarer Kreis von Betroffenen fehle.4 Im Urteil vom 05.08.1983 - 4 C 96.79 - hat das BVerwG seine Auffassung revidiert und Absatz 1 einen partiellen Drittschutz zuerkannt, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist.5 Wie der Urteilsbegründung zu entnehmen ist6, geht das BVerwG ohne Difife1

BVerwG, BRS 49 Nr. 188; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 13. Vgl. BVerwG, ZfBR 1995, 212; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 14; Förster, BauNVO, § 15 Anm. 1; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 6; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 7; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 23. 3 So auch BVerwG, ZfBR 1995, 212 (213). 4 Vgl. ζ. B. BVerwG, BauR 1974, 189 m. w. N. 5 BVerwG, DVB1 1984, 143; BauR 1983, 547. 6 Das BVerwG führt zur Begründung einleitend aus: „Die Lage oder der Umfang eines Gebäudes, besonders aber die von einem Gebäude ausgehenden Belästigungen und Störungen können sich nämlich auf das nachbarliche Verhältnis 2

252

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

renzierungen von einem partiellen Drittschutz über das Rücksichtnahmegebot sowohl in Satz l 7 als auch in Satz 28 aus. Die Literatur ist dem Gericht fast einhellig in der Anerkennung eines eingeschränkten Nachbarschutzes durch § 15 Absatz 1 BauNVO gefolgt, ohne eine Unterscheidung zwischen den einzelnen Sätzen vorzunehmen.9 Die zutreffende Qualifizierung von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO als drittschützend zeigt in ihrer Begründung einige Ungenauigkeiten. Insbesondere ist es notwendig, zwischen dem Drittschutz aus Satz 1 und Satz 2 zu differenzieren. Nach allgemeiner Auffassung vermittelt § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO konkret Drittschutz, soweit in qualifizierter und individualisierter Weise auf Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist.10 Im ersten Teil der Untersuchung ist dargelegt worden, daß die Gründe für das Erfordernis der Qualifizierung und Individualisierung in der geschichtlichen Entwicklung der Drittschutzdogmatik liegen.11 Durch die Einführung eines partiell drittschützenden Rücksichtnahmegebots sollte die Starrheit der Drittschutzdogmatik überwunden werden, die durch die fehlende Berücksichtigimg des begünstigten Dritten und der mangelnden Unterscheidung zwischen abstrakt-generell und partiell-konkret drittschützenden Normen bedingt war. Eine allgemeine Anerkennung des Rücksichtnahmegebots als nachbarschützend hätte zu einer einseitigen Benachteiligung des Bauwilligen geführt,

der Planbetroffenen auswirken; deswegen ist nach dieser Vorschrift insoweit Rücksicht auf nachbarliche Belange zu nehmen." 7 Ausdrücklich auf Satz 1 bezogen ζ. B. BVerwG, ZfBR 1985, 95; BauR 1995, 813 (815). 8 Ausdrücklich auf Satz 2 bezogen ζ. B. BVerwG, BauR 1986, 414; ZfBR 1992, 79 (84). 9 Ohne Unterscheidung zwischen Satz 1 und Satz 2: Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 7-7.1; Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 115; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 33; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 54, 55; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 34; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 299-304; Schlichter/Roeser, in: Schlichter, Berliner Kommentar, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 27-50, die sich ausdrücklich nur auf Satz 2 beziehen; lediglich einen Nachbarschutz in Satz 2 anerkennend Gelzer/Birk, Bauplanungsrecht, Rn. 994; nach Satz 1 und Satz 2 differenzierend: Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 30 BauGB Rn. 87; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 17c. 10 Vgl. nur Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 33; a. A. allein Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 17c, § 15 Rn. 32-36, der aufgrund des Merkmals „Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets" von einem abstrakt-generellen Drittschutz ausgeht, der unabhängig von den konkreten Verhältnissen gelte; ausführlich hierzu oben, 2. Teil, 2.Kap., C Π 2, 3. 11 Ausführliche Darstellung 1. Teil, 2. Kap.

5. Kapitel: Der Drittschutz durch § 15 BauNVO

253

da nach früherer Drittschutzdogmatik jeder objektive Verstoß gegen die Rücksichtnahme den Drittschutz ausgelöst hätte. Wie im einzelnen nachgewiesen ist das Erfordernis einer besonderen Individualisierung und Qualifizierung zur Begründung des drittschützenden Charakters einer Norm abzulehnen, weil allein notwendig und ausreichend die gesetzlich angeordnete Rücksichtnahme auf individuelle Interessen ist.12 § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ordnet konkret eine Rücksichtnahme auf die Eigenart des Baugebiets für alle Nutzungen nach Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung an, da dem Wortlaut nach die Nutzungen insoweit der Eigenart des Baugebiets nicht widersprechen dürfen. Die Eigenart des Baugebiets ergibt sich aus der allgemeinen Zweckbestimmung der jeweiligen Gebietsvorschrift und der tatsächlichen, der Zweckbestimmung entsprechenden Bebauung.13 Ergänzend ist die im Bebauungsplan und dessen Begründung zum Ausdruck kommende planerische Konzeption des Baugebiets heranzuziehen.14 Die allgemeine Zweckbestimmung charakterisiert das Baugebiet nach seinen Wesensmerkmalen „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis". In den einzelnen Wesensmerkmalen ist die den Planbetrofifenen vermittelte subjektive Rechtsposition, die gebietsspezifische Stör- und Konfliktfreiheit bei Ausübung der gebietszulässigen Nutzungen, verankert.15 Die Berücksichtigung der Eigenart des Baugebiets bei Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung der einzelnen Nutzung führt zu einer entsprechenden Rücksichtnahme auf die in den Wesensmerkmalen der allgemeinen Zweckbestimmung enthaltene subjektive Rechtsposition. Somit kommt § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO über das Merkmal „Eigenart des Baugebiets" wegen der darin enthaltenen Bezugnahme auf die allgemeine Zweckbestimmung der jeweiligen Gebietsvorschrift mittelbar eine drittschützende Funktion zu.

12

Zum Rücksichtnahmegebot 1. Teil, 2. Kap., Β II 1 und allgemein 1. Teil, 1. Kap., D Π. 13 Allg. Α., vgl. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, §15 BauNVO Rn. 30; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 13; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 33; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 119. 14 Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 119. 15 2. Teil, 2. Kap., C.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Π. Der Verstoß gegen die Wesensmerkmale des Baugebiets als subjektive Rechtsverletzung Das „Wie" der Rechtsmachterteilungrichtetsich zunächst nach der objektiven Rechtsverletzung der Vorschrift. Erforderlich ist ein Widerspruch des Vorhabens zur Eigenart des Baugebiets nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung. Aus der Umgebungsbezogenheit der Merkmale und der Abgrenzung von objektivem und subjektivem Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO gegenüber den Gebietsvorschriften erschließt sich, daß sich der Widerspruch zur Eigenart auf die konkrete Auswirkungsumgebung der geplanten Nutzung bezieht.16 Ein solcher Widerspruch liegt vor, soweit das Vorhaben in seiner Auswirkungsumgebung tatsächlich gegen eines der in der allgemeinen Zweckbestimmung verankerten Wesensmerkmale des Baugebiets verstößt und dadurch die Stör- und Konfliktfreiheit beeinträchtigt. Dem steht nicht entgegen, daß das Vorhaben an sich nach der Gebietsvorschrift zulässig ist und grundsätzlich in seinen Auswirkungen den Wesensmerkmalen des Baugebiets entspricht. Die allgemeine Zweckbestimmung charakterisiert die Nutzungen allein abstrakt nach deren allgemeinen städtebaulichen Anforderungen und Auswirkungen, ohne die konkreten örtlichen Umstände berücksichtigen zu können. Aus der konkreten örtlichen Umgebung, insbesondere aufgrund der dort verwirklichten Nutzung, können sich jedoch im Einzelfall Verstöße gegen Funktionsbestimmung, Störgrad oder Mischungsverhältnis des Baugebiets ergeben. Das mögen zwei Beispiele verdeutlichen: In einem allgemeinen Wohngebiet gem. § 4 BauNVO stimmt eine ausnahmsweise zulässige Tankstelle mit der allgemeinen Zweckbestimmung überein, wenn sie insbesondere aufgrund ihrer Größe nicht gegen Funktionsbestimmung und Störgrad des allgemeinen Wohngebiets verstößt. Ist der Bauplatz der Tankstelle nach allen Seiten hin von Wohnnutzung umgeben, so daß die Wohnbebauung die Störungen durch den Tankstellenverkehr verstärkt, kann die Tankstelle ihrer Lage nach gegen den Störgrad und damit die Eigenart des Wohngebiets verstoßen. Die Tankstelle steht dann nicht grundsätzlich, sondern nur in ihrer örtlichen Situation im Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets, und wäre gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig.17 In einem Mischgebiet gem. § 6

16

Zur Umgebungsbezogenheit von § 15 Abs. 1 und seiner Abgrenzung zu §§ 2 ff. sowie zu der von Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 17c vertretenen Auffassung, daß § 15 Abs. 1 Satz 1 umgebungsbezogen ist und abstrakt-generellen Drittschutz gewährt, vgl. 2. Teil, 2. Kap., C II 2-3. 17 Dies als Beispiel anführend auch Förster, BauNVO, § 15 Anm. 3 b) bb).

5. Kapitel: Der Drittschutz durch § 15 BauNVO

255

BauNVO kann allein in einem Gebietsteil der Anteil gewerblicher Nutzung derart hoch sein, daß bei Zulassung einer weiteren gewerblichen Nutzung in diesem Gebietsteil die Wohnnutzung in den Hintergrund tritt und nicht mehr gleichgewichtig neben der gewerblichen steht. Die Zulassung eines weiteren gewerblichen Vorhabens führt dann im gesamten Baugebiet noch nicht zu einem Vorwiegen der gewerblichen Nutzung sondern allein in der Auswirkungsumgebung des Vorhabens. Das auf den Gebietsteil beschränkte Vorwiegen der gewerblichen Nutzung führt dort zu einem Verstoß gegen das Merkmal Mischungsverhältnis. Mit der Zusammensetzung der Nutzungen ändert sich auch das Störpotential, so daß zudem ein Verstoß gegen den Störgrad im Mischgebiet vorliegt. Das gewerbliche Vorhaben würde daher in diesem Gebietsteil der Anzahl nach gegen die Eigenart des Mischgebiets verstoßen und wäre gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig.18 Die Beispiele verdeutlichen, daß ein Widerspruch gegen die Eigenart des Baugebiets bei einem grundsätzlich gebietszulässigen Vorhaben lediglich in Ausnahmefällen anzunehmen ist. Da die subjektive Rechtsposition in den Merkmalen „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis" verankert ist, liegt in der objektiven Rechtsverletzung zugleich eine Beeinträchtigung der subjektiven Rechtsposition. Die örtliche Beschränkung des Widerspruchs bei der objektiven Rechtsverletzung in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO auf die Auswirkungsumgebung des Vorhabens wirkt sich auch auf die subjektive Rechtsverletzung aus. Berufen können sich auf diese nur die Grundstückseigentümer, die in der Auswirkungsumgebung der geplanten Nutzung liegen und tatsächlich in der gebietstypischen Stör- und Konfliktfreiheit verletzt sind. Insoweit erfordert die subjektive Rechtsverletzung auch eine tatsächliche Beeinträchtigung des Dritten.

18 Ebenso könnte man einen Widerspruch nach dem Merkmal „Lage" annehmen, so auch Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 24; Boeddinghaus/ Franßen/Rhode, BauNVO, § 15 Rn. 10; Förster, BauNVO, § 15 Anm. 3 b) bb).

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

C. Der Drittschutz in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO L Die Gebiets- und die Umgebungsalternative 1. Drittschutzfunktion des Merkmals „ unzumutbare Belästigungen und Störungen "

Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind in der ersten und zweiten Alternative Anlagen im Einzelfall unzulässig, soweit von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Die Alternativen unterscheiden danach, ob die unzumutbaren Auswirkungen des geplanten Vorhabens Nutzungen im Baugebiet oder in dessen Umgebung betreffen. Drittschützende Wirkung kann der Gebiets- und der Umgebungsalternative über das Tatbestandsmerkmal der unzumutbaren Belästigungen und Störungen zukommen. Bei den Belästigungen und Störungen handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe ohne Beurteilungsspielraum, denen trotz ihres offensichtlichen Bezuges zum Immissionsschutzrecht eine eigenständige städtebauliche Bedeutung zukommt.19 Unter den Belästigungen sind allgemein Beeinträchtigungen des körperlichen (subjektiven) Wohlbefindens zu verstehen, und unter den Störungen negative Auswirkungen einer Anlage auf andere geschützte Rechtsgüter Einzelner oder der Allgemeinheit, insbesondere auf die Nutzungsmöglichkeiten der Grundstücke.20 Die Regelungen von Satz 2 stellen dabei nicht auf städtebaulich-funktionale Bezüge, sondern unmittelbar auf die die konkrete Nutzung betreffenden Beeinträchtigungen ab.21 Die Begriffe erfassen damit nur die Interessen aus dem baurechtlich-nutzungsrechtlichen Bereich, d. h. die mit einer Nutzung und deren Ausübung verbundenen Interessen.22 Auch beim Begriff der Unzumutbarkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der Auslegung bedarf. 23 Die Gebiets- wie auch die Umgebungsalternative legen in Satz 2 lediglich fest, daß sich die Unzumut19 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 11.1; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 29. 20 Allg. Α., vgl. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 30; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 12-12.2; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 30; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 116. 21 BVerwGE 68, 369 (376). 22 Vgl. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 30. 23 Vgl. statt vieler Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 33.

5. Kapitel: Der Drittschutz durch § 15 BauNVO

257

barkeit der Belästigungen und Störungen nach der Eigenart des Baugebiets richtet. Ein abstraktes, für alle Baugebiete gleichermaßen gültiges Maß der Zumutbarkeit besteht somit nicht. Vielmehr handelt es sich bei der Unzumutbarkeit um einen relativen Begriff. Seiner Struktur nach besteht der Begriff aus zwei Komponenten, einer rechtlichen und einer tatsächlichen. Die tatsächliche Komponente der Unzumutbarkeit weist darauf hin, daß entscheidungserheblich allein die von der einzelnen Nutzung tatsächlich verursachten und in der Umgebung konkret spürbaren Auswirkungen sind.24 Hingegen bestimmt die rechtliche Komponente, daß sich der Maßstab der zumutbaren Belästigungen und Störungen aus den rechtlichen Vorgaben ergibt, die für das Vorhaben sowie die betroffenen Interessen gelten. Drittschutzbegründend können aus sich heraus weder das Merkmal der Unzumutbarkeit noch das der Belästigungen oder Störungen sein. Die Belästigungen und Störungen umschreiben nur die Eingriffe in die Rechtsgüter, die vor den Auswirkungen des geplanten Vorhabens geschützt werden sollen. Auch der Begriff der Zumutbarkeit enthält selbst keine Grenzbestimmung, sondern verweist nur auf die rechtlichen Grenzen, die sich aus den die geschützten Rechtspositionen begründenden Normen ergeben. Nachbarschutz können allein die Rechtsnormen vermitteln, die Inhalt und Grenzen derjenigen subjektiven Rechtspositionen festlegen, die von den Belästigungen und Störungen betroffen sind. Mittelbar erzeugen damit die Merkmale „unzumutbare Belästigungen und Störungen" einen partiellen Drittschutz, soweit sie die Rücksichtnahme auf subjektive Rechtspositionen anordnen. Mit dem körperlichen (subjektiven) Wohlbefinden als Schutzgut kommt dem Merkmal der Belästigungen in der Regel eine drittschützende Wirkung zu. Bei den Störungen ist dagegen auf das betroffene Interesse abzustellen, da das Merkmal die Auswirkungen auf die mit der Grundstücksnutzung verbundenen Interessen der Allgemeinheit wie des Einzelnen erfaßt. Drittschutz vermitteln die Störungen der subjektiven, baurechtlich-nutzungsrechtlichen Rechtspositionen, die dem Einzelnen primär durch Normen des Baurechts zugeordnet sind.

24 So auch das BVerwGE 68, 369 (376); Bielenberg, Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 29. 17 Petersen

in:

Ernst/

258

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

a) Der Störgrad als drittschützende Zumutbarkeitsgrenze im Regelfall Mit dem Merkmal „Eigenart des Baugebiets" als allgemeine Zumutbarkeitsgrenze nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO hat der Verordnungsgeber die (Haupt-)Rechtsquelle für Inhalt und Grenzen der subjektiven Rechtspositionen vorgegeben, die bei den Belästigungen und Störungen zu berücksichtigen sind. Für die Eigenart des Baugebiets sind maßgeblich die allgemeine Zweckbestimmung der Gebietsvorschrift, die tatsächliche, der Gebietsvorschrift entsprechende Bebauung sowie die im Bebauungsplan und dessen Begründung zum Ausdruck kommende planerische Konzeption des Baugebiets. Im Merkmal Störgrad nach der allgemeinen Zweckbestimmung ist der von § 1 Abs. 6 BauGB geforderte Ausgleich der durch die Belästigungen und Störungen berührten privaten und öffentlichen Interessen enthalten.25 Die privaten Interessen umfassen zum einen die Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks, die die Gebietsvorschriften im einzelnen festlegen. Zum anderen gehören dazu die Einwirkungen auf die einzelnen Personen, die das Grundstück nutzen, die Beeinträchtigungen des körperlichen (subjektiven) Wohlbefindens26 Das Merkmal Störgrad legt somit für das Baugebiet die zulässigen Störungen und Belästigungen nach dem vom Verordnungsgeber getroffenen Ausgleich fest und sichert dadurch die Stör- und Konfliktfreiheit von Nutzungen und Nutzer als subjektive Rechtsposition. Die nach dem Störgrad zulässigen Auswirkungen sind von den Regelungsbetroffenen zu erdulden, d. h., sie sind ihnen zuzumuten. Besonderheiten können sich aus dem Bebauungsplan, insbesondere bei Gliederung des Baugebiets nach § 1 Abs. 4-10 BauNVO ergeben, die zu einem unterschiedlichen Störgrad innerhalb des jeweiligen Gebiets führen. So bestimmt sich der Störgrad in dem einzelnen gem. § 1 Abs. 4 BauNVO gegliederten Gebietsteil nach den Auswirkungen, die üblicherweise von den zulässigen Nutzungen in ihrer Gewichtung nach dem Mischungsverhältnis ausgehen. Für das Baugebiet konkretisiert das Merkmal „Störgrad" daher die objektive wie subjektive Grenze der Zumutbarkeit von Belästigungen und Störungen. Zugleich umschreibt das Merkmal die bei der Gebietsalternative berücksichtigte subjektive Rechtsposition. 25 Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB, wonach die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung zu berücksichtigen sind. 26 Das körperliche Wohlbefinden als zu berücksichtigendes Interesse hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB als Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung formuliert.

5. Kapitel: Der Drittschutz durch § 15 BauNVO

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Auch für die Umgebungsalternative bestimmt der Störgrad in gleicher Weise die objektive und subjektive Zumutbarkeitsschranke. Der Bebauungsplan des Vorhabensgebiets legt fest, was im Baugebiet und seiner Umgebung an Belästigungen und Störungen als zumutbar hinzunehmen ist.27 Der Plangeber muß gem. § 1 Abs. 6 BauGB bei der Planaufstellung auch die an den Gebietsgrenzen entstehenden und erkennbaren Konflikte ausgleichen.28 Er kann die Lösung dieser Randkonflikte nicht § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO überlassen, weil die darin enthaltene Generalklausel kein Planungsinstrument ist und daher nur atypische Fälle, aber keine generellen Planungsfehler nachträglich regulieren kann.29 Ausgangspunkt für den Ausgleich bilden die nach der geplanten Gebietsfestsetzung und im benachbarten Gebiet zulässigen Störungen. Die danach zulässigen Störpotentiale sind derart in Ausgleich zu bringen, daß an den Gebietsgrenzen keine unzumutbaren Störungen entstehen können.30 Durch die Gebietsfestsetzung legt der Ortsgesetzgeber daher fest, daß die von den Nutzungen ausgehenden Störungen auch in den angrenzenden Baugebieten als zulässig und zumutbar hinzunehmen sind. Entstehen dabei unzumutbare Belästigungen und Störungen, verfehlt der Bebauungsplan den von § 1 Abs. 6 BauGB geforderten Ausgleich, womit er abwägungsfehlerhaft und nichtig ist.31 Allein eine die Grenzkonflikte einschließende Planung entspricht auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 14 Abs. 1, 2 GG, wonach der Gesetzgeber bei Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums die durch die Eigentumsnutzung entstehenden Konflikte zu lösen hat.32 Eine verfassungsgemäße Inhalts- und Schrankenbestimmung muß die Nutzungskonflikte derart regeln, daß abstrakt keine schweren und unerträgli-

27 So auch für Immissionen als Regelfall der Belästigungen und Störungen BVerwG, DVB1 1988, 845 (846); ebenso Kleinlein, DVB1 1989, 184 (189); Himmelmann, DÖV 1993, 497 (500); Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 167, der diese Konfliktregelung als „Eigenart des Baugebiets" i. S. der Vorschrift bezeichnet. 28 Vgl. hierzu BVerwG, DVB1 1991, 442 (443), bzgl. des Ausgleichs der schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche an den Plangebietsgrenzen. 29 Ebenso Himmelmann, DÖV 1993, 497 (500); Dageförde, UPR 1992, 406 (412); dagegen ist Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 169, der Auffassung, daß bei fehlender planerischer Lösung mittels des Rücksichtnahmegebots die Randkonflikte durch § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ausgeglichen werden können. 30 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum gebietsübergreifenden Nachbarschutz, 2. Teil, 2. Kap, F. 31 Dies anerkennend auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 167. 32 Hierzu ausführlich 1. Teil, 3. Kap.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

chen Beeinträchtigungen des Eigentums entstehen können. Unzulässig ist die generelle Lösung von Konflikten durch Generalklauseln, weil darin keine Regelung enthalten ist. Erst beim Entstehen der Konflikte greift die Generalklausel ein, ohne sie vorher zu regeln. Nur für die nicht normierbaren Einzelfälle erlaubt Art. 14 GG eine Konfliktlösung mittels einer allgemeinen Entschädigungsregelung, einer sog. ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung, oder durch ein allgemeines subjektives Abwehrrecht.33 Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten kann § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO nicht generell die Nutzungskonflikte an den Gebietsgrenzen erfassen. Die Gebietsfestsetzung muß damit auch die an den Grenzen des Baugebiets erkennbaren Nutzungskonflikte ausgleichen, wobei der Ortsgesetzgeber sich insbesondere der Feinsteuerungsmöglichkeiten nach den Absätzen 4 bis 10 des § 1 BauNVO bedienen kann. Dementsprechend beinhaltet der gebietsspezifische Störgrad auch den für die Gebietsgrenzen vorgesehenen Ausgleich der Belästigungen und Störungen und umschreibt die in der Umgebungsalternative enthaltene subjektive Rechtsposition der angrenzenden Nutzungen.

b) Die drittschützende Zumutbarkeitsgrenze bei bestandsgeschützten Vorhaben Keine Lösung ermöglicht der gebietsspezifische Störgrad als Zumutbarkeitsgrenze jedoch für die Störkonflikte zwischen den an sich zulässigen und den gebietswidrigen, aber bestandskräftigen Nutzungen34, die ein niedrigeres Störniveau als das Vorhabensgebiet aufweisen. Das gilt unabhängig davon, ob die bestandskräftige Nutzung im Baugebiet selbst oder in einem angrenzenden Gebiet liegt. Die an sich gebietszulässigen Belästigungen und Störungen können daher gegenüber den störempfindlicheren bestandskräftigen Nutzungen die durch § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB gezogene Grenze der gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse35 oder gar die verfassungsrechtlichen Grenzen

33

Vgl. 1. Teil, 3. Kap., Β Π. Allgemein zum Bestandsschutz Finkelnburg/Ortloff\ Öffentliches Baurecht, Bd. Π, § 13, IV. 35 Für § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO hat das BVerwG, DVB1 1996, 40 (43) die gesunden Arbeits- und Wohnverhältnisse als Zumutbarkeitsgrenze angenommen; zu den Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 BauGB Rn. 116-121; Stüer, in: Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil Β Rn. 381. 34

5. Kapitel: Der Drittschutz durch § 15 BauNVO

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des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG oder des Grundrechts auf Eigentum aus Art. 14 GG überschreiten.36 Bei Aufstellen der Bebauungspläne sind solche Ausnahmefälle grundsätzlich weder vorhersehbar noch einplanbar.37 Böte die nach dem Bebauungsplan geltende Gebietsvorschrift in ihrer Systematik nach der BauNVO keine Lösung für derartige Konflikte, so wäre jedenfalls die Festsetzung des Baugebiets in diesem Punkt abwägungsfehlerhaft oder gar verfassungswidrig und könnte die Gebietsfestsetzung insgesamt nichtig sein.38 Die bestandskräftigen Nutzungen besitzen eine subjektive Rechtsposition, die sich aus den die Bestandskraft begründenden Rechtsnormen ergibt.39 Das sind grundsätzlich die ζ. Z. der Errichtung des Vorhabens geltenden Rechtsvorschriften, ggf. im Zusammenhang mit einer rechtmäßigen oder rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Baugenehmigung.40 Angesprochen ist damit nur der passive Bestandsschutz, der die Ausübung der Nutzung im Rahmen der früheren materiellen oder jedenfalls formellen Legalität ermöglicht. Die den Bestandsschutz ausformenden Normen beeinflussen die rechtliche Komponente der Zumutbarkeit, indem sie den für das geplante Gebiet geltenden Störgrad einschränkend ergänzen.41 Äußerste Grenze der 36

Das BVerwG, DVB1 1991, 442 (444) hat Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 GG als Grenze der Unzumutbarkeit beschrieben, jedoch ausgehend von der Frage, welche Belästigungen und Störungen noch als Vorbelastung zu berücksichtigen sind; vgl. auch Steinberg, NJW 1984, 457 (459 f.), der Art. 2 und Art. 14 GG allgemein als Grenze der Beeinträchtigungen durch eine Grundstücksnutzung betrachtet. 37 Soweit jedoch für den Plangeber zuvor der Konflikt erkennbar war, weil ein ersichtlich größerer Teil des Plangebiets mit störempfindlicheren Nutzungen bebaut ist, muß er entsprechende Regelungen zum Schutz dieser Nutzungen im Bebauungsplan treffen. Insbesondere § 1 Abs. 10 BauNVO ermächtigt den Plangeber zur Festsetzung über die Zulässigkeit von Erweiterungen, Änderungen und Nutzungsänderungen solcher nach der Planfestsetzung unzulässigen Nutzungen. 38 Dieser Auffassung allein bzgl. der Umgebungsalternative Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 178. 39 Bisher wird noch angenommen, daß sich die Bestandskraft unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 GG ergibt, so auch in jüngster Zeit Sieckmann, NVwZ 1997, 853 ff. Nach der hier vertretenen Auffassung scheiden aber Ansprüche unmittelbar aus Art. 14 GG aus; vgl. Wahl, in: FS Redeker, S. 245 ff.; Samighausen, DÖV 1993, 758 ff.; Boecker, BauR 1998, 441 ff.; ebenso Ansprüche aus Art. 14 Abs. 1 GG generell ablehnend nunmehr auch das BVerwG, NVwZ 1997, 384 (386); vgl. zur Ablehnung eines Bestandsschutzes aus Art. 14 Abs. 1 GG BVerwG NVwZRR 1998, 357 und NVwZ 1998, 735. 40 Vgl. insoweit Fickert, in: FS Weyreuther, S. 319 (321); allgemein zum Bestandsschutz Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. Π, § 13, IV. 41 Ähnlich das BVerwG, DVB1 1996, 40 (43) zu § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, wonach der Bestandsschutz, den eine Nutzung genießt, Bestandteil der Situation ist, in die das Grundstück und seine Umgebung hineingestellt sind; vgl. auch BVerwG, DVB1 1990, 442 (443).

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

zumutbaren Auswirkungen bilden dabei für die Nutzer die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nach § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB sowie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG und für die baurechtlich-nutzungsrechtliche Rechtsposition das Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG.42 Für die gebietswidrigen, aber bestandskräftigen Nutzungen im Baugebiet als grundsätzlich unplanbare Ausnahmefalle wirken sich daher die Planungsgrundsätze des § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB sowie die Grundrechte auf die rechtliche Komponente der Zumutbarkeit dahingehend aus, daß neben dem Störgrad nach der allgemeinen Zweckbestimmung der Gebietsvorschrifit auch die darin verankerten Grenzen den Maßstab der Zumutbarkeit bilden.43 Zur Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze ist dabei eine umfassende Abwägung der Rechtsposition des an sich gebietszulässigen Vorhabens einerseits und der des bestandsgeschützten Vorhabens andererseits erforderlich. 44 Grundsätzlich kommt es dabei zu einer sog. Mittelwertbildung zwischen dem nach dem Bestandsschutz und dem für das geplante Vorhaben geltenden Störgrad.45 Anhaltspunkte für die Abwägung bietet darüber hinaus die von der Rechtsprechung für das objektive Rücksichtnahmegebot entwickelte Formel46, die allgemein in diesen Fällen Anwendung findet.47 Danach kann, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, dem die Rücksichtnahme zugute kommt, um so mehr an Rücksichtnahme verlangen. Je verständiger und unabweisbarer aber die mit dem Vorhaben

42

Vgl. hierzu Steinberg, NJW 1984, 457 (460), der das, was nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem Einzelnen nach Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 14 GG zugemutet werden kann, zugleich als Grenze des durch die einfachen Gesetze zu gewährenden subjektiven Rechtsschutzes bezeichnet. 43 Ebenso das BVerwG, DVB1 1991, 442 (442), das darin die Grenze für das den Belästigten nach dem Rücksichtnahmegebot Zumutbare sieht; vgl. auch Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 176, 178, der dies als Grenze für die Zumutbarkeit der Auswirkungen von Nutzungen ansieht, die nach der Gebietsvorschrift an sich zulässig sind. 44 Die Frage der Zumutbarkeitsgrenze darf nicht mit der Frage verwechselt werden, ob die Auswirkungen des geplanten Vorhabens auch die Grenze des Zumutbaren überschreiten. Bei letzterer kommt es nicht auf eine Abwägung an, sondern darauf, ob die Auswirkungen die durch Abwägung ermittelte Grenze tatsächlich überschreiten. 45 Diese Problematik wird zumeist unter dem Stichwort der planerischen Vorbelastung diskutiert, vgl. z.B. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 23.2-23.4; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO, Rn. 124, 188 ff. 46 Für das Problem der gegenseitigen Rücksichtnahme an Gebietsgrenzen grundlegend BVerwGE 50, 49. 47 Vgl. nur Nachweise bei Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 31; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 23-23.4.

5. Kapitel: Der Drittschutz durch § 15 BauNVO

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verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht deijenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Die Gebiets- und die Umgebungsalternative vermitteln somit auch Drittschutz für die gebietswidrigen, aber bestandskräftigen Nutzungen, da die im passiven Bestandsschutz verankerten subjektiven Rechtspositionen bei der Zumutbarkeitsgrenze zu berücksichtigen sind. Insoweit erweist sich § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO in der Gebiets· und Umgebungsalternative zugleich als normative Ausgestaltung des Bestandsschutzes.

2. Drittschutzbegründung und Umgebungsalternative

der Gebietsnach der h. M

Auch nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur vermitteln die Gebiets- und die Umgebungsalternative Nachbarschutz. Die Unzumutbarkeit bestimme sich nach den rechtlichen Vorgaben der jeweiligen Baugebietsvorschrift, dem dort zulässigen Störgrad, im Zusammenhang mit dem Rücksichtnahmegebot.48 Das Rücksichtnahmegebot konkretisiere in allen Alternativen die Zumutbarkeit nach den tatsächlichen, örtlichen Umständen und den Vorgaben der allgemeinen Zweckbestimmung, so daß unzumutbar die nach dem Rücksichtnahmegebot rücksichtslosen Auswirkungen seien.49 Als Ausprägung des Rücksichtnahmegebots komme den Alternativen daher ein partieller Drittschutz zu, soweit in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen sei.50

48 Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 31; Leder/Scholtissek, BauNVO, §15 Rn. 2, 4; Fickert/Fieseler, BauNVO, §15 Rn. 13-14, 23.1; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 170, 173; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 302, 303; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 33, nach denen unzumutbare Störungen vorliegen, wenn sie „das Maß des (noch) Erträglichen überschreiten"; st. Rspr. des BVerwG seit BVerwGE 67, 344; BVerwG, BRS 40 Nr. 198. 49 Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 31; a. A. Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 173, der die Anwendbarkeit des objektiven Rücksichtnahmegebots auf die Umgebungsalternative für die Fälle begrenzt, bei denen die angrenzende Umgebung zu einem Gebiet mit einem empfindlicheren Schutzniveau gehört und der Bebauungsplan keine planerische Konzeption für die Umgebung enthält. 50 Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 Rn. 33; Fikkert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 7; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 54, 55;

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Die allgemeine und undifferenzierte Begründung des drittschützenden Charakters vermag nicht zu überzeugen. In der Gebiets- wie der Umgebungsalternative ist für Rücksichtnahmeerwägungen aufgrund der Maßgeblichkeit des gebietsspezifischen Störgrads für die Zumutbarkeitsgrenze kein Raum. Mittels des Rücksichtnahmegebots läßt sich daher der Drittschutzcharakter der Regelungen insoweit nicht begründen. Allein bei den gebietswidrigen, aber bestandskräftigen Nutzungen ist ein Rückgriff auf die Rücksichtnahmeerwägungen zulässig, da hier der Störgrad die Konflikte nicht zu lösen vermag. Aber auch bei den bestandskräftigen Nutzungen basiert der Drittschutz unmittelbar auf der im (passiven) Bestandsschutz enthaltenen subjektiven Rechtsposition, die bei der Zumutbarkeitsgrenze zu berücksichtigen ist.

3. Die Voraussetzungen der subjektiven Rechtsverletzung

Bei der Umgebungs- wie bei der Gebietsalternative liegt eine objektive Rechtsverletzung in der Genehmigung von Nutzungen, die nach der Eigenart des Baugebiets unzumutbare Belästigungen oder Störungen verursachen. Die Zumutbarkeitsgrenze markiert grundsätzlich der gebietsspezifische Störgrad. Damit erfaßt § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zunächst die gleichen Fälle wie § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO durch das Merkmal „Lage", da für beide Regelungen die Anwendungsvoraussetzung gilt, daß das Vorhaben an sich nach den §§2 bis 14 BauNVO zulässig ist und damit von seinen Auswirkungen her abstrakt dem gebietsspezifischen Störgrad entspricht. Die Gebietsvorschriften einschließlich der §§ 11 bis 14 BauNVO legen die Verträglichkeit der Nutzungen abstrakt ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls fest. Die an sich, d. h. abstrakt zulässigen Vorhaben können somit aufgrund der tatsächlichen örtlichen Umstände, insbesondere der dort verwirklichten Bebauung unzumutbare, konkret gegen den Störgrad des Baugebiets verstoßende Auswirkungen haben. Für das Vorliegen der Unzumutbarkeit ist erforderlich, daß die unmittelbaren Auswirkungen des geplanten Vorhabens auch tatsächlich die einzelne Nutzung oder Nutzer beeinträchtigen. Entscheidungserheb-

Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 34; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil H Rn. 299-304; Geiger, in: Birkl, Nachbarschutz, Teil E Rn. 115; Mampel, Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht, Rn. 756; differenzierter und teilweise anders begründend Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO Rn. 17c; BVerwG, DVB1 1984, 143; BauR 1983, 547.

5. Kapitel: Der Drittschutz durch § 15 BauNVO

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lieh ist daher allein die Umgebung, in der die Auswirkungen des Planvorhabens noch spürbar sind.51 Mit dem Überschreiten des gebietsspezifischen Störgrads sind die Auswirkungen des Vorhabens nicht nur unzumutbar i. S. von Satz 2, sondern verstößt das Vorhaben i. S. von Satz 1 auch nach dem Merkmal „Lage" konkret gegen die Eigenart des Baugebiets, zu deren Wesensmerkmalen der Störgrad gehört. In der objektiven Rechtsverletzung liegt zugleich eine Verletzung der subjektiven Rechtsposition, da die Zulassung des Vorhabens die Stör- und Konfliktfreiheit in der Umgebung beeinträchtigt. Das gilt für die Gebietsalternative gleichermaßen wie für die Umgebungsalternative. Berufen können sich auf den Verstoß gegen den Störgrad nur diejenigen, die von den Belästigungen und Störungen auch tatsächlich über den Störgrad hinaus beeinträchtigt werden. Die anderen planbetroffenen Grundstückseigentümer kann das Vorhaben weder tatsächlich noch rechtlich beeinträchtigen, da es an sich zu den gebietszulässigen Vorhaben gehört. Insoweit verlangt der Drittschutz eine tatsächliche Betroffenheit des Nachbarn. Beim Sonderfall der gebietswidrigen, aber bestandsgeschützten Nutzungen ist die Grenze der zumutbaren Störungen und Belästigungen im einzelnen durch Abwägung zu ermitteln. Über die rechtliche Komponente der Zumutbarkeit sind neben dem Störgrad die den Bestandsschutz begründenden Normen ergänzend heranzuziehen. Dabei bilden die äußerste Zumutbarkeitsgrenze zum einen die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gem. § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB sowie zum anderen die für das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG und für das Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG geltenden Grenzen.52 Die Auswirkungen des an sich zulässigen Vorhabens sind nach der Gebiets- bzw. Umgebungsalternative objektiv unzumutbar, wenn sie bei der bestandsgeschützten Nutzung die im Einzelfall festgelegte Zumutbarkeitsgrenze überschreiten. In der objektiven Rechtsverletzung liegt dann auch eine subjektive, weil die tatsächlichen Störungen und Belästigungen entweder die im Bestandsschutz verankerte baurechtlich-nutzungsrechtliche Rechtsposition oder aber das körperliche (subjektive) Wohlbefinden der Nutzer tatsächlich beeinträchtigen. Auf die Rechtsverletzung kann sich allein die bestandsgeschützte Nutzung berufen, da den anderen gebietszulässigen Nutzungen kein Drittschutz über den Störgrad hinaus zukommt und sie die dem Störgrad entspre-

51

Vgl. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 32; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 22. 52 Ausführlich zur Unzumutbarkeitsgrenze oben 2. Teil, 5. Kap., C I 1 b).

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

chenden Auswirkungen dulden müssen. Für die Störkonflikte mit den gebietswidrigen, aber bestandsgeschützten Nutzungen enthalten die Gebiets- und die Umgebungsalternative damit einen über § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO hinausgehenden eigenständigen Unzulässigkeitstatbestand.53

EL Das Sich-Aussetzen von unzumutbaren Störungen und Belästigungen 7. Allgemeiner Drittschutz für die störende Nutzung

Nach der dritten Alternative des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sollen an sich zulässige Vorhaben im Einzelfall unzulässig sein, wenn sie unzumutbaren Belästigungen und Störungen ausgesetzt werden. Dabei können die störenden Auswirkungen sowohl von Nutzungen aus dem Vorhabensgebiet als auch aus deren Umgebung stammen. Drittschutz kann die Regelung wie bei den anderen Alternativen über das Merkmal der unzumutbaren Belästigungen und Störungen entfalten. Im Unterschied zu den ersten beiden Alternativen schützt die Vorschrift nicht die bestehenden Nutzungen vor den unzumutbaren Auswirkungen des geplanten Vorhabens, sondern das geplante Vorhaben selbst vor den unzumutbaren Auswirkungen bereits zugelassener Nutzungen. Der Selbstschutz der geplanten Nutzung ist für den Drittschutzcharakter der Regelung jedoch ohne Bedeutung, da dieser nur das bipolare Verhältnis zwischen der Genehmigungsbehörde und dem Bauwilligen betrifft. Drittschutz vermag die Regelung dennoch zu vermitteln, soweit sie neben dem Selbstschutz des geplanten Vorhabens noch die Rücksichtnahme auf Rechtspositionen der störenden Nutzungen anordnet. Durch das örtliche Ansiedlungsverbot empfindlicherer Nutzungen könnte die Vorschrift zugleich den unzumutbar störenden Nutzungen ihre ungehinderte Ausübung sichern. Eine solche drittschützende Rücksichtnahme ist nur möglich, wenn der störenden Nutzung eine baurechtlich-nutzungsrechtliche Rechtsposition auf Ausübung der Nutzung zukommt, die sich aus den maßgeblichen Rechtsvorschriften ergeben müßte.

53 Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 28a; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 27; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 BauNVO Rn. 11; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 22; Förster, BauNVO, § 15 Anm. 3 c); a. A. allein Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 113.

5. Kapitel: Der Drittschutz durch § 15 BauNVO

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Grundsätzlich können rechtmäßig zugelassene Vorhaben, die folglich weder gegen die Gebietsvorschrift noch gegen § 15 Abs. 1 BauNVO verstoßen, keine unzumutbaren Belästigungen oder Störungen anderer gebietszulässiger Vorhaben zeigen. Das gilt unabhängig davon, ob sich die Nutzungen im Baugebiet selbst oder dessen Umgebung befinden. Der Verordnungsgeber hat durch die Zusammenfassung untereinander verträglicher Nutzungen in der allgemeinen Zweckbestimmung den Störgrad derart festgelegt, daß die danach zulässigen Auswirkungen zu keinen Beeinträchtigungen der gebietszulässigen Nutzungen untereinander fuhren, die die Grenze der gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse nach § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB überschreiten. Bei der Ausweisung eines Baugebiets im Bebauungsplan muß der Plangeber zudem die an den Gebietsgrenzen möglichen Störkonflikte ausgleichen, so daß auch hier der Störgrad - z.T. in seiner nach § 1 Abs. 4-9 BauNVO vorgenommenen Modifizierung - gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sicherstellt. Die Beurteilung der Zumutbarkeit hängt jedoch von der im Zeitpunkt der Genehmigung vorhandenen Bebauung ab, die tatsächlich von den Auswirkungen der Nutzung erfaßt werden kann. Fehlt es an einer Bebauung, auf die sich Belästigungen und Störungen der geplanten Nutzung auswirken können, kommt eine Unzulässigkeit des Vorhabens nach der ersten und zweiten Alternative des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO nicht in Betracht. Die örtliche Umgebung kann sich durch Zunahme der tatsächlichen Bebauung derart ändern, daß die von den bestehenden Nutzungen verursachten Auswirkungen auf ein neu hinzutretendes Vorhaben die Grenze des § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB überschreiten. Solche Konstellationen sind jedoch nur in Ausnahmefällen denkbar. In Betracht kommen zum einen die Gebietsvorschriften, die Nutzungen mit untereinander teilweise unzumutbaren Belästigungen und Störungen aufweisen, die durch Anordnung einer gegen- oder einseitigen· Rücksichtnahme räumlich voneinander getrennt sind. Die vorgeschriebene Rücksichtnahme erfolgt über den Störgrad in der Weise, daß ein Mittelwert aus den Auswirkungen der gebietszulässigen Nutzungen gebildet wird, der den Anforderungen an gesunde Arbeits- und Wohnverhältnisse entspricht. Der so ermittelte Störgrad verhindert, daß sich störempfindliche Nutzungen in der Nähe von störintensiven Nutzungen ansiedeln können. Die räumliche Trennung der insoweit unverträglichen Nutzungen dient nicht nur den Erfordernissen des § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BauGB und damit der möglicherweise gestörten Nutzung. Sie sichert zugleich dem Grundstückseigentümer der störenden Nutzung die Ausübung der Nutzung ohne besondere Einschränkungen und dient damit dem Schutz der baurechtlich-nutzungsrechtlichen Rechtsposition. Eine solche

268

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Gebietsvorschrift stellt § 5 BauNVO für die Dorfgebiete dar, in denen die gebietszulässigen Vorhaben auf die Belange der landwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht nehmen müssen.54 Die Auswirkungen der landwirtschaftlichen Betriebe können für die Wohnnutzung bei einer Ansiedlung in unmittelbarer Nähe unzumutbar sein. Die angeordnete Rücksichtnahme enthält nach der Gebietsvorschrift keinen konkreten örtlichen Bezug, sondern ist lediglich abstrakt auf das gesamte Baugebiet bezogen zu verstehen. Konkrete, örtlich bedingte Konfliktsituationen vermag bei Genehmigung der einzelnen Vorhaben somit erst § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO zu lösen. Im Zeitpunkt der Genehmigung eines landwirtschaftlichen Betriebs können die von ihm ausgehenden Störungen in der Umgebung mangels Vorliegen einer anderen gebietszulässigen Nutzung nicht unzumutbar nach den ersten beiden Alternativen des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sein. Bei Zulassung einer Wohnbebauung in unmittelbarer Nähe des landwirtschaftlichen Betriebs besteht die Möglichkeit, daß sich dessen Immissionen für die Wohnnutzung als unzumutbar erweisen. Maßgeblich für die Zumutbarkeit ist bei dieser Fallgruppe allein der Störgrad nach der allgemeinen Zweckbestimmung des § 5 BauNVO, der die von den landwirtschaftlichen Nutzungen zu duldenden Auswirkungen festlegt.55 Der Störgrad verhindert die Ansiedlung empfindlicher Nutzungen in der Nähe von den landwirtschaftlichen Betrieben, um so die Ausübung und Entwicklungsmöglichkeiten derselben zu sichern. Diese mit dem Störgrad als Unzumutbarkeitsgrenze verbundene Rücksichtnahme auf die Interessen der landwirtschaftlichen Nutzungen, die ihre gesetzliche Anordnung in § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO gefunden hat, erzeugt eine drittschützende Wirkung in der dritten Alternative des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Der zweite Anwendungsfall ergibt sich aus der Gruppe der gebietswidrigen, aber bestandsgeschützten Nutzungen. Ein geplantes, nach der Gebietsvorschrift zulässiges Vorhaben kann sich durch Ansiedlung in der Umgebung einer gebietswidrigen, aber bestandsgeschützten Nutzung unzumutbaren Belästigungen oder Störungen ausgesetzt sehen, wenn die bestandskräftige Nutzung ein höheres Störpotential als der gebietszulässige Störgrad aufweist.56

54

Ebenso Söfker, in: Bielenberg/Krautzberger/Söfker, Baugesetzbuch, Teil F Rn. 67; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 32a; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 215. 55 So auch Bielenberg, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 Rn. 32a. 56 Vgl. hierzu BVerwG, DVB1 1996, 40; abl. Anm. zum Urteil des BVerwG FickerU DVB1 1996, 251.

5. Kapitel: Der Drittschutz durch § 15 BauNVO

269

Eine Konfliktregelung ist über den gebietsspezifischen Störgrad als Zumutbarkeitsschranke in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 BauNVO nicht möglich, da der Störgrad nur den Ausgleich der Auswirkungen der gebietszulässigen Nutzungen normieren soll und die Abwehr störintensiverer Nutzungen sicherstellt.57 Der Störgrad kann daher nicht dazu dienen, die Zulässigkeit eines an sich mit der Gebietsfestsetzung übereinstimmenden Vorhabens aufgrund von Auswirkungen eines gebietsunzulässigen Vorhabens einzuschränken, die den Störgrad überschreiten. Andernfalls wäre jede nach der Gebietsvorschrift zulässige Nutzung in der Auswirkungsumgebung der gebietswidrigen Anlage gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzulässig, so daß die Grundstücke nicht mehr mit einer gebietszulässigen Nutzung bebaut werden könnten. Darin läge jedoch ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG, weil den Grundstückseigentümern damit die ihnen nach der Gebietsvorschrift zustehenden Nutzungsmöglichkeiten als Rechtsposition entzogen würde. Das mit der Gebietsfestsetzung übereinstimmende Vorhaben muß daher grundsätzlich zulässig sein, während die gebietswidrige, aber bestandskräftige Nutzung die sich aus der Zulässigkeit der gebietskonformen Nutzungen ergebenden Einschränkungen hinnehmen muß, die sich insbesondere aus den Anforderungen nach dem BImSchG ergeben können. Andererseits darf es durch die Zulassung des an sich gebietskonformen Vorhabens zu keinen Störkonflikten kommen, die die Grenze aus § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB übersteigen oder aber die durch den Bestandsschutz gesicherte Ausübung der gebietswidrigen Nutzung mittels Auflagen derart einschränken, daß die Grenze aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt wäre. Ließe die Gebietsvorschrift in ihrer Systematik nach der BauNVO keine Lösung dieser Störkonflikte zu, wäre die Gebietsfestsetzung in diesem Punkt abwägungsfehlerhaft und u. U. sogar die Festsetzung insgesamt nichtig. Eine Konfliktlösung ist nur über den Zumutbarkeitsbegriff möglich, auf dessen rechtliche Komponente sich wie bei den bestandsgeschützten Nutzungen in den ersten beiden Alternativen die subjektiven Rechtspositionen des an sich zulässigen Vorhabens und der bestandsgeschützten Nutzung auswirken. Dabei bilden die sich aus Art. 14 Abs. 1 GG und § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB ergebenden Grenzen die äußerste Schranke der Zumutbarkeit. Im konkreten Einzelfall ist die Zumutbarkeitsgrenze daher durch eine umfassende Abwägung der in der Gebietsfestsetzung und im Bestandsschutz verankerten Rechtspositionen so festzulegen, daß weder die baurechtlich-nutzungsrechtliche Rechtsposition einer der beiden Nutzungen über die Grenze des Art. 14 Abs. 1 GG einge57

Gegen die Anwendbarkeit des Störgrads auch das BVerwG, DVB1 1996, 40 (42 f.).

270

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

schränkt wird noch die Auswirkungen der bestandsgeschützten Nutzung den Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse widersprechen. Dabei ist davon auszugehen, daß die störende Nutzung generell die Anforderungen des BImSchG erfüllt. Auch hier liefern die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Abwägung beim Rücksichtnahmegebot weitergehende Anhaltspunkte. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO vermittelt mithin auch Drittschutz für die gebietswidrigen, aber bestandsgeschützten Vorhaben, die unzumutbaren Belästigungen und Störungen ausgesetzt werden, da die im Bestandsschutz enthaltene subjektive Rechtsposition bei der Bestimmung der Zumutbarkeit zu berücksichtigen ist. Insgesamt stimmt § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO auch in der letzten Alternative für die vorgenannte Fallgruppe mit den Anforderungen des Art. 14 Abs.l GG überein. Zwar könnte fraglich sein, ob die Versagung der Genehmigung eines an sich zulässigen Vorhabens wegen Störungen einer an sich unzulässigen, aber bestandskräftigen Nutzung nicht die Grenze einer Inhalts- und Schrankenbestimmung aus Art. 14 Abs. 1 GG überschreitet. Insoweit sieht Fickert in der Unzulässigkeitserklärung einen schweren und unerträglichen Eingriff, weil der Grundstückseigentümer einen „Rechtsanspruch" auf die Genehmigung habe.58 Bei dieser Argumentation wird jedoch außer acht gelassen, daß der Rechtsanspruch auf die Baugenehmigung sich aus § 30 Abs. 1 BauGB i. V. mit der BauNVO als Festsetzungsbestandteil des Bebauungsplans ergibt. Zu den anspruchsbegründenden Voraussetzungen gehört auch § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, der für diesen Einzelfall einen Genehmigungs- und damit Rechtsanspruch ausschließt. Zudem stehen sich beim Sonderfall der an sich unzulässigen, aber bestandskräftigen Nutzungen letztlich der Anspruch aus dem passiven Bestandsschutz59 und der sich aus der Baufreiheit ergebende, durch die jeweilige Gebietsvorschrift konkretisierte Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung gegenüber, die beide unter den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG fallen. Für die insofern gegebene Kollision beiderseits von Art. 14 Abs. 1 GG geschützter Interessen sieht § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO in der letzten Alternative über das Merkmal der Unzumutbarkeit eine Konfliktlösung durch Abwägung aller widerstreitenden Interessen vor, die

58

DVB1 1996, 251 (252). Der Bestandsschutz ergibt sich dabei ausschließlich aus den einfachgesetzlichen baurechtlichen Normen, nach denen das Vorhaben rechtmäßig war und/oder aus der bestandskräftigen Baugenehmigung, vgl. oben 2. Teil, 5. Kap., C I 1 b) sowie allgemein Samighausen, DÖV 1993, 758 ff.; Boeckes BauR 1998, 441 ff. 59

5. Kapitel: Der Drittschutz durch § 15 BauNVO

271

den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der praktischen Konkordanz60 entspricht. Nach diesen Grundsätzen muß eine Grundrechtsbegrenzung geeignet sein, den Schutz des Rechtsgutes zu bewirken, um dessentwillen sie vorgenommen wird. Zudem muß sie erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn ein milderes Mittel ausreichen würde. Schließlich muß sie im engeren Sinne verhältnismäßig sein, d. h. in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts stehen.61 Die Regelung der dritten Alternative des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ist zunächst geeignet, den Schutz der bestandskräftigen Nutzung zu bewirken, weil sie deren weitere Ausübung sichert. Auch die Voraussetzungen der Erforderlichkeit sind erfüllt, da der Unzulässigkeitstatbestand erst dann eingreift, wenn mit anderen Mitteln insbesondere auch Auflagen gegenüber der bestandsgeschützten Nutzung eine konflikterträgliche, also zumutbare Verwirklichung des Vorhabens ausgeschlossen ist. Schließlich ist die Vorschrift auch verhältnismäßig im engeren Sinne soweit sie der gebietswidrigen, aber bestandsgeschützten Nutzung einen gewissen Vorrang zukommen läßt, da sich dieser Vorrang als angemessene Wertung des Verordnungsgebers erweist. Zum einen kann der bereits verwirklichten und ausgeübten Nutzung insofern mehr Gewicht gegenüber dem bisher erst geplanten Vorhaben beigemessen werden, als daß letzteres lediglich eine abstrakte Nutzungsmöglichkeit darstellt. Zum anderen schließt § 15 Abs. 1, Satz 2, 3. Alt. BauNVO nicht alle Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks aus, sondern nur das konkret beabsichtigte Vorhaben. Allein der Ausschluß jeglicher an sich zulässiger Nutzung wäre als ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG zu werten, weil erst dann dem Grundstückseigentümer die mit der Gebietsfestsetzung vermittelte Rechtsposition auf längere Sicht entzogen wäre. Die Ausübung der Baufreiheit nach der jeweiligen Gebietsvorschrift schränkt § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO in der dritten Alternative damit lediglich für eng begrenzte Sonderfalle aufgrund der einfachgesetzlich konkretisierten und verfassungsrechtlich geschützten Interessen der bestandskräftigen Nutzung ein.

60

Vgl. zur praktischen Konkordanz Hesse, Grundzüge, § 10 Rn. 317-320; Lerche, in: Isensee/Kirchof, Handbuch des Staatsrecht, Bd. V, § 122 Rn. 3 ff. 61 So Hesse, Grundzüge, § 10 Rn. 318.

272

2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO 2. Das „ Wie " der Rechtsmachterteilung in der dritten Alternative

Bei den Dorfgebieten nach § 5 BauNVO liegt eine objektive Rechtsverletzung von § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 BauNVO vor, wenn ein an sich nach der Gebietsfestsetzung zulässiges Vorhaben in der Nähe eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs zugelassen wird, so daß die Auswirkungen desselben beim geplanten Vorhaben den gebietsspezifischen Störgrad überschreiten. Maßgeblich sind dabei nicht nur die bereits tatsächlich vom land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb ausgehenden Belästigungen und Störungen, sondern auch die nach den bereits konkretisierten Entwicklungsmöglichkeiten zukünftig entstehenden. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung auch der konkretisierten Entwicklungsmöglichkeiten ergibt sich aus § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. In der objektiven Rechtsverletzung liegt zugleich eine Verletzung des subjektiven Rechts der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe. Durch die Ansiedlung der störempfindlichen Nutzung in der den Störgrad überschreitenden Auswirkungsumgebung besteht die Gefahr, daß auf den land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb nutzungseinschränkende Auflagen aus Gründen des Immissionsschutzes zukommen. Die Möglichkeit einschränkender Auflagen muß bereits für den Rechtsschutz ausreichen, um auch effektiv die Ausübung der Nutzungen sichern zu können. Auf die subjektive Rechtsverletzung können sich lediglich die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe berufen, in deren Nähe sich das geplante Vorhaben ansiedeln will. Insoweit setzt die subjektive Rechtsverletzung eine tatsächliche Betroffenheit voraus. In der Fallgruppe der gebietswidrigen, aber bestandsgeschützten Nutzung erfordert die objektive Rechtsverletzung, daß die von der bestandsgeschützten Nutzung verursachten Belästigungen und Störungen den durch Abwägung im Einzelfall ermittelten Zumutbarkeitsmaßstab überschreiten. Da sich die Zumutbarkeitsgrenze nach den gerade noch zulässigen Einschränkungen der subjektiven Rechtsposition der bestandsgeschützten Nutzungrichtet,führt das Überschreiten derselben zu einer subjektiven Rechtsverletzung. Die bestandsgeschützte Nutzung sieht sich bei Zulassung der störempfindlichen Nutzungen Auflagen ausgesetzt, die eine unzulässige Einschränkung der Nutzungsausübung zur Folge haben. Die Verletzung der subjektiven Rechtsposition können nur die tatsächlich durch die Genehmigung des empfindlichen Vorhabens in ihrem Bestandsschutz beeinträchtigten Nutzungen geltend machen. Den sich aus den Dorfgebieten ergebenden Anwendungsfall der dritten Alternative erfaßt auch § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO mit dem Merkmal „Lage",

5. Kapitel: Der Drittschutz durch § 15 BauNVO

273

weil die Ansiedlung der störempfindlichen Nutzung in unmittelbarer Umgebung der landwirtschaftlichen Nutzungen der Eigenart des Baugebiets widerspricht.62 Hingegen stellen die gebietswidrigen, aber bestandsgeschützten Nutzungen wie in den ersten beiden Alternativen von Satz 2 einen eigenständigen Unzulässigkeitstatbestand dar. Maßgeblich ist nicht der Störgrad als ein Merkmal der Eigenart, sondern die sich aus den Umständen des Einzelfalls ergebende Zumutbarkeitsgrenze.

D. Die analoge Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO § 15 Abs. 1 BauNVO ist dem Wortlaut nach nur anwendbar, soweit das Vorhaben gem. §§ 2-14 BauNVO an sich zulässig ist oder wenigstens im Wege der Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB zugelassen werden könnte.63 Im allgemeinen führt der damit gegebene Ausschluß eines Drittschutzes durch § 15 Abs. 1 BauNVO gegen Vorhaben, die den §§ 2-14 BauNVO widersprechen, zu keinen Lücken im Nachbarschutz. Die §§ 2-14 BauNVO gehören grundsätzlich zu den drittschützenden Vorschriften, so daß sich im Fall des Verstoßes gegen eine der Vorschriften der Drittschutz aus der Vorschrift selbst ergibt. Eine Regelungslücke entsteht jedoch bei der Fallkonstellation, daß ein Vorhaben gegen eine ausnahmsweise nicht drittschützende Vorschrift verstößt. An sich steht dem Nachbar gegen das Vorhaben dann kein Drittschutz zu, auch wenn einer der Unzulässigkeitstatbestände von § 15 Abs. 1 BauNVO erfüllt wäre. Der Gesetzgeber ist ersichtlich davon ausgegangen, daß die Baugenehmigungsbehörde im Geltungsbereich eines Bebauungsplans nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 BauGB eine Baugenehmigung erteilt. Das BVerwG hat zu dieser Problematik im Urteil vom 10.06.198964 festgestellt, daß der Gesetzgeber es demgemäß offengelassen habe, ob und wie sich ein Dritter gegen eine unter Verletzung von nicht drittschützenden Festsetzungen erteilte Baugenehmigung zur Wehr setzen könne. Die Regelungslücke sei entsprechend der Wertung des Gesetz- und Verordnungsgebers, wie sie in § 31 Abs. 2 BauGB und § 15 Abs. 1 BauNVO ihren Ausdruck gefunden habe, zu schließen. Wenn Dritte schon eine mit den Festsetzungen übereinstimmen-

62

Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 215. So auch schon die amtliche Begründung der ursprünglichen Fassung von § 15 BauNVO, BR-Drucks. 53/62, S. 5; vgl. auch BVerwG, BRS 49 Nr. 188. 64 BRS 49 Nr. 188. 63

18 Petersen

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

de Genehmigung nach § 15 Abs. 1 BauNVO bei Verletzung des in der Vorschrift konkretisierten Rücksichtnahmegebots abwehren könnten, müsse dies erst recht bei einer den Festsetzungen widersprechenden Baugenehmigung gelten. Den Ausführungen des BVenvG zur Erweiterung des Drittschutzes durch eine analoge Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO ist gemeinsam mit der Literatur65 zuzustimmen. Lediglich ergibt sich der Nachbarschutz nach der hier vertretenen Auffassung nicht aus dem Rücksichtnahmegebot, sondern der im einzelnen von den Tatbestandsalternativen der Vorschrift berücksichtigten subjektiven Rechtsposition des Nachbarn.

6. Kapitel

Die Bedeutung des Ortsgesetzgebers für den Nachbarschutz durch die §§ 2-15 BauNVO als Festsetzung im Bebauungsplan A. Die bundesrechtliche Verankerung des Drittschutzes in den §§ 2-14,15 BauNVO Die Untersuchung des Drittschutzes in den §§ 2-14, 15 BauNVO ist zunächst überwiegend ohne Berücksichtigung der Bedeutung des Ortsgesetzgebers vorgenommen worden. Die einzelnen Vorschriften der §§ 2-14, 15 BauNVO entfalten im rechtstechnischen Sinne keine direkte Wirkung gegenüber den Bürgern und können daher nicht unmittelbar Rechtsgrundlage für nachbarliche Ansprüche sein. Erst wenn der Ortsgesetzgeber nach der Ermächtigung in § 1 Abs. 3 BauNVO ein Baugebiet bestimmt und damit die §§ 2-14, 15 BauNVO zu Festsetzungen des Bebauungsplan macht, kommt den Regelungen eine insoweit mittelbare Wirkung gegenüber den Planbetroffenen zu. Fraglich ist daher, welchen Einfluß der Plangeber auf die Drittschutzfunk-

65

Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15 BauNVO Rn. 33; Knaup/Stange, BauNVO, § 15 Rn. 54, 55; Βoeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 15 Rn. 34; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 15 Rn. 7, 7.1; Hoppenberg, in: ders., Handbuch des öffentlichen Baurechts, Teil Η Rn. 301; Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§ 29 ff. Rn. 59; Oldiges, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, IV Rn. 241.

6. Kapitel: Die Bedeutung des Ortsgesetzgebers

275

tion der einzelnen Vorschrift als Festsetzung des Bebauungsplans hat. Das BVerwG ging bisher davon aus, daß den §§ 2-14 BauNVO keine eigenständige Bedeutung für den Drittschutz zu entnehmen sei. Vielmehr stünde es dem Ortsgesetzgeber frei, ob und inwieweit er die einzelne Festsetzung als nachbarschützend ausgestalte.1 Ohne eingehende Begründung hat das BVerwG diese Auffassung im Urteil vom 16.09.1993 - 4 C 28.91 - 2 aufgegeben und die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung aufgrund ihres Austauschverhältnisses als aus sich heraus drittschützend anerkannt.3 Die vom BVerwG aufgestellte These von einem bereits bundesrechtlich verankerten Drittschutzfindet in der vorgenommenen Untersuchung ihre Bestätigung.4 Als Inhalts- und Schrankenbestimmungen müssen die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 Abs. 1, 2 GG entsprechen. Das in Art. 14 Abs. 1, 2 GG verankerte Erfordernis der Abwägung von Privatnützigkeit und Sozialbindung des Eigentums hat dabei eine einfachgesetzliche Ausprägung in § 1 Abs. 6 BauGB gefunden. Danach sind nicht nur die öffentlichen und privaten, sondern auch die gegenund gleichläufigen privaten Interessen an der Grundstücksnutzung in einen gerechten Ausgleich zu bringen. In den Gebietsvorschriften gem. §§2-11 BauNVO, als deren Bestandteil auch die §§ 12-14 BauNVO anzusehen sind, hat der Verordnungsgeber die verfassungsrechtlich wie einfachgesetzlich erforderliche Interessenabwägung selbst vorgenommen. Für das jeweilige Baugebiet hat der Verordnungsgeber dabei durch die Zusammenfassung untereinander verträglicher Anlagen auch einen Ausgleich der privaten Nutzungsinteressen normiert, der sich im Austauschverhältnis konkretisiert. Die Beschränkung auf die gebietszulässigen Nutzungsarten sichert den Planbetrofifenen eine gebietsspezifische Stör- und Konfliktfreiheit für die Ausübung der Nutzungen. Aufgrund dieses Ausgleichs bzw. der darin enthaltenen Rücksichtnahme auf konkrete Individualinteressen vermitteln die §§ 2-14 BauNVO aus sich heraus Drittschutz.5 Einer Umsetzung der Normen durch den Ortsge1

Siehe ζ. B. BVerwG, NVwZ 1985, 748; DVB1 1986, 187. BVerwGE 94, 151=DVB1 1994, 284. 3 Ausdrücklich bestätigt in BVerwG, NVwZ 1997, 384 (386 f.). 4 2. Teil, 2. Kap., B. 5 In gleicher Weise hat das BVerwG, BVerwGE 94, 151 (161)=NVwZ 1994, 284 (285) und NVwZ 1997, 384 (386 f.) den bundesrechtlichen Drittschutzcharakter der Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung begründet; dem ist die Literatur bisher einhellig gefolgt: Mampel, DVB1 1994, 1053 (1055f.); SchmidtPreuß, DVB1 1994, 28ff; Söjker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 34 BauGB Rn. 124; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 34 BauGB Rn. 88; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 2 BauNVO, Rn. 17a; Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. 2

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

setzgeber bedarf es für die Begründung ihres Drittschutzcharakters damit gerade nicht.

B. Rechtsfolgen einer nicht drittschützenden Festsetzung nach §§ 2-14 BauNVO L Kein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG Ist in den Regelungen der §§ 2-14 BauNVO bereits nach dem Bundesrecht ein Nachbarschutz enthalten, so weicht der Ortsgesetzgeber von diesen Ermächtigungen ab, wenn er die Festsetzungen ausdrücklich als nicht drittschützend ausgestaltet. Einigkeit besteht darüber, daß eine derartige Festsetzung nichtig ist6, während der Grund der Nichtigkeit zweifelhaft ist. Denkbar wäre, daß eine den Nachbarschutz ausschließende Gebietsfestsetzung bei drittschützender Ermächtigungsnorm gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstößt. Das BVerwG hat im Urteil vom 23.08.1996 - 4 C 13/94 - für den Drittschutz durch eine Gebietsfestsetzung auf die Ermächtigungsnorm abgestellt, die als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 GG entsprechen müsse.7 Aus den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 GG ergebe sich, daß der Gesetzgeber neben der Berücksichtigung von Privatnützigkeit und Sozialpflichtigkeit des Eigentums auch gegenläufige private und öffentliche Interessen abzugleichen habe. Soweit keine Gründe des Allgemeinwohls aus Art. 14 Abs. 2 GG entgegenstünden, müsse der Gesetzgeber daher auch die gegenläufigen Privatinteressen auf horizontaler Ebene ausgleichen. Aus den Grundsätzen folge zwar nicht ein Nachbarschutz in jeglicher Hinsicht, da Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu keinem bestimmten Ergebnis zwinge. Eine jeden Nachbarschutz ausschließende Ermächtigungsnorm für die Festsetzungen von Baugebieten sei aber verfas-

§§2 ff. Rn. 22, 26.2; Knaup/Stange, BauNVO, Anhang nach §27 Rn. 15-17; Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 Rn. 117; Schlichter/Roeser, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar, Vorb. §§29 ff. Rn. 56. 6 BVerwG, BVerwGE 94, 151(155)=DVB1 1994, 284 (285); NVwZ 1997, 384 (387); Schmidt-Preuß, DVB1 1994, 288 (289); Mampel, DVB1 1994, 1053 (1056). 7 Vgl. BVerwG, NVwZ 1997, 384 (385); dabei hat das Gericht klargestellt, daß es nicht in erster Linie auf die planerische Abwägung des § 1 Abs. 6 BauGB ankomme.

6. Kapitel: Die Bedeutung des Ortsgesetzgebers

277

sungswidrig.8 Komme der Ermächtigungsnorm für eine Gebietsfestsetzung demnach Drittschutz zu, dann verstoße eine nicht drittschützende Festsetzung gegen die Ermächtigungsnorm und sei nichtig.9 Aufgrund der vom BVerwG im Urteil vorgetragenen Annahme eines von Art. 14 Abs. 1 GG gebotenen Drittschutzes in einfachgesetzlichen Regelungen wäre es denkbar, daß eine den Nachbarschutz wiederum ausschließende Festsetzung nach §§ 2-14 BauNVO gegen das Grundrecht auf Eigentum verstößt. Das BVerwG geht aber nur davon aus, daß eine jeden Nachbarschutz ausschließende Ermächtigungsnorm gegen Art. 14 GG verstößt, ohne selbst die zulässigen Grenzen zu bestimmen. Eine nichtdrittschützende Gebietsfestsetzung verletzt damit das Eigentumsgrundrecht nur, wenn sie die Grenzen verfassungsrechtlich gebotenen Nachbarschutzes auch überschreitet. Mit dem Verweis auf Steinberg 10 hat das BVerwG in der Urteilsbegründung angedeutet, in welchem Umfang Art. 14 GG einen Nachbarschutz verlangt. Nach Steinberg soll maßgebliches Kriterium für die Grenze des verfassungsrechtlichen Mindestschutzes sein, „was dem Nachbar unter Abwägung widerstreitender Interessen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zugemutet werden kann"11. Demnach widerspricht eine Regelung, die Nachbarschutz auch gegen nicht mehr zumutbare Beeinträchtigungen ausschließt, den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG. Bei den Festsetzungen der §§ 2-14 BauNVO sichert jedoch § 15 Abs. 1 BauNVO den Nachbarschutz vor unzumutbaren Beeinträchtigungen, die von nach den Regelungen zulässigen Nutzungen ausgehen können.12 Die Nichtigkeit einer nichtdrittschützenden Festsetzung, die auf §§ 2-14 BauNVO beruht, kann sich daher nicht aus den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG ergeben.

8

BVerwG, NVwZ 1997, 384 (386). BVerwG, NVwZ 1997, 384 (387). 10 NJW 1984, 457 (458 ff.). 11 Steinberg, NJW 1984, 457 (460), der damit die durch Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG gegebenen Grenzen, innerhalb derer der Gesetzgeber die Rechte des Nachbarn bestimmen kann, beschreibt. Dabei stellt er zusammenfassend fest, daß „eine Regelung, die einem Nachbarn keinen Schutz vor unzumutbaren Beeinträchtigungen böte, schwerlich rechtmäßig sein" kann. 12 Zum Drittschutz über § 15 Abs. 1 BauNVO vgl. 2. Teil, 5. Kap. 9

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

IL Kein Verstoß gegen § 1 Abs. 6 BauGB Die Nichtigkeit einer den Nachbarschutz ausschließenden Gebietsfestsetzung könnte jedoch in einem Verstoß gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB begründet sein.13 Ein Teil der Literatur vertritt die Ansicht, daß das Abwägungsgebot als bundesrechtliche Maßstabsnorm auch subjektivrechtliche Anforderungen an den Ortsgesetzgeber stelle, weil die Abwägung einen drittschützenden Ausgleich der Nutzungen nach dem Austauschverhältnis der jeweiligen Gebietsfestsetzung verlange.14 Der fehlende Drittschutzcharakter wirke sich dann als eine Fehlgewichtung der nachbarlichen Belange aus, die gem. § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß sei. Einschränkend verweist Mampel bereits darauf, daß die von § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB erfaßten Abwägungsfehler Abwägungsmängel des einzelnen Planungsaktes seien.15 Eine Abwägung, wie auch immer sie vonstatten gegangen sein mag, könne aber in keinem Falle die unterbliebene subjektive Anreicherung von Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung rechtfertigen. 16 Damit stelle die nicht drittschützende Abwägung einen generellen Fehler dar, der nicht mehr als einzelfallbezogener Abwägungsfehler i. S. von § 1 Abs. 6 BauGB zu bezeichnen sei. Die Auffassung vermag nicht zu überzeugen, da sie davon ausgeht, daß die fehlende Subjektivierung einer Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung einen Abwägungsfehler darstellt. Das Vorliegen eines Abwägungsfehlers setzt voraus, daß der Nachbarschutz ein Belang ist, der bei der Abwägung zu berücksichtigen ist. Der Drittschutz enthält aber keine eigenständige Rechtsposition, die bei der Abwägung berücksichtigt werden könnte, er setzt vielmehr eine solche voraus. Nur die in einer Regelung, im Ausgleich enthaltene objektive Rechtsposition kann der Nachbarschutz versubjektivieren.17 Unabhängig von ihrer subjektiven Ausgestaltung verstößt daher eine die nachbarlichen Interessen nicht ausreichend beachtende Gebietsfestsetzung gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB. Umgekehrt verletzt aber die fehlende

13

So etwas mißverständlich das BVerwG, BVerwGE 94, 151 (152) =DVB1 1994, 284 (285). 14 Vgl. Schmidt-Preuß, Anm. zu BVerwG U. v. 16.09.1993, DVB1 1994, 288 (289); ebenso fehlenden Nachbarschutz als Abwägungsfehler ansehend Schmaltz , in: FS Schlichter, S. 583 (588); Mampel, DVB1 1994, 1053 (1056). 15 DVB1 1994, 1053 (1056). 16 Mampel, a. a. O. 17 2. Teil, 2. Kap., Β Π 3 b).

6. Kapitel: Die Bedeutung des Ortsgesetzgebers

279

subjektive Schutzrichtung einer Festsetzung, die objektiv ausreichend die Nachbarinteressen berücksichtigt, nicht das Abwägungsgebot. Bei objektiver Berücksichtigung nachbarlicher Interessen spricht lediglich eine verfassungsrechtliche Vermutung für den subjektiven Rechtsschutz.18 Der Ausschluß der Vermutungswirkungen ist bei Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes in Form eines überwiegenden öffentlichen Interesses aber grundsätzlich möglich.

IIL ΝichtdrittschützendeFestsetzungen als Überschreiten der Satzungsbefugnis Es ist davon auszugehen, daß auch das BVerwG die Nichtigkeit einer den Drittschutz ausschließenden Festsetzung nach §§ 2-14 BauNVO nicht in einem Verstoß gegen Art. 14 GG begründet sieht. Das BVerwG hat in seinen Entscheidungen stets darauf abgestellt, daß sich der Plangeber in aller Regel nur im Rahmen der ermächtigenden Rechtsgrundlagen bewegen will.19 Eine den Nachbarschutz ausschließende Festsetzung im Bebauungsplan nach §§ 214 BauNVO könnte demnach nichtig sein, weil dem Plangeber dafür die erforderliche Rechtsetzungsbefugnis in Form der Satzungsbefugnis fehlt. 20 Die Bauleitplanung als Teil der gemeindlichen Planungshoheit gehört zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft i. S. von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Für derartige Selbstverwaltungsangelegenheiten kommt der Gemeinde grundsätzlich eine verfassungsrechtlich gesicherte, eigenständige Satzungsbefugnis zu. Art. 28 Abs. 2 GG garantiert die gemeindliche Planungshoheit als Selbstverwaltungsangelegenheit jedoch nur im Rahmen der Gesetze, die damit zugleich die Rechtsetzungsbefugnisse der Gemeinde einschränken. Unter den Gesetzesbegriff des Art. 28 Abs. 2 GG fallen nicht nur die formellen Gesetze, sondern auch Rechtsverordnungen, die auf einer den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechenden Ermächtigungsgrundlage beruhen.

18 Zur Vermutungsthese 1. Teil, 1. Kap., D Π 3; vgl. zudem BVerwG, NVwZ 1997, 384 (387), das neuerdings für den Drittschutz primär auf den objektiven Regelungsgehalt der Normen abstellt, ohne sich darüber hinaus einer Vermutungsthese zu bedienen: ebenso Steinberg, NJW 1984, 457 (460). 19 BVerwG, DVB1 1992, 32 (35); DVB1 1993, 654 (656); BVerwGE 94, 151 (155)=DVB1 1994, 284 (285); NVwZ 1997, 384 (387). 20 So Mampel, DVB1 1994, 1053 (1057); ähnlich Schmaltz , FS Schlichter, S. 583 (586).

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Der Bundesgesetzgeber hat den gesetzlichen Rahmen der zulässigen Festsetzungen für den Bebauungsplan abschließend in § 9 BauGB normiert, wobei die BauNVO die Regelungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB konkretisiert. Da die BauNVO mit § 2 Abs. 5 BauGB über eine den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügende Ermächtigungsgrundlage verfügt, gehören auch deren Vorschriften über die Art der baulichen Nutzungen zum gesetzlichen Rahmen der zulässigen Festsetzungen. Die Gemeinde kann insoweit keine über die BauNVO hinausgehenden oder davon abweichenden Festsetzungen treffen 21, ihr fehlt hierzu die notwendige Satzungsbefugnis. Die den gesetzlichen Rahmen ausfüllenden Bestimmungen bilden nicht nur Schranken für den objektiven22, sondern auch für den subjektiven23 Umfang der Rechtsetzungsbefugnis. Die Gemeinde muß daher ebenfalls den subjektiven Gehalt einer Ermächtigungsnorm als gesetzlichen Rahmen ihrer Satzungsbefugnis beachten. Ist die Ermächtigungsnorm offen für eine subjektive Ausgestaltung durch den ausführenden Normgeber, kann er auch frei über den Drittschutzcharakter der Regelung entscheiden. Enthält die Ermächtigungsnorm jedoch konkret einen bestimmten subjektiven Gehalt, muß der nachgeordnete Normgeber auch die auf der Ermächtigung beruhende Regelung entsprechend subjektiv ausgestalten. Da die §§2-14 BauNVO einen eigenständigen Drittschutzcharakter enthalten, ermächtigen sie den Ortsgesetzgeber nur zu Festsetzungen, die auch den in der jeweiligen Norm verankerten Drittschutz vermitteln. Eine nicht drittschützende Festsetzung nach §§ 2-14 BauNVO ist damit nichtig, weil dem Ortsgesetzgeber dafür die notwendige Rechtsetzungsbefugnis fehlt.

21

Vgl. BVerwG, DVB1 1993, 654 (656), wonach der Gemeinde kein über § 9 BauGB hinausgehendes „Festsetzungsfindungsrecht" zusteht; grundlegend BVerwG, BauR 1970, 87 ff. 22 Für die ΒindungsWirkungen hinsichtlich des objektiven Gehalts BVerwG, DVB1 1993, 654 (656); DVB1 1992, 32 (35). 23 So sind auch die Ausführungen des BVerwG, BVerwGE 94, 151 (155)=DVB1 1994, 284 (285) und NVwZ 1997, 384 (387) zu verstehen.

6. Kapitel: Die Bedeutung des Ortsgesetzgebers

281

C Der Umfang des bundesrechtlichen Nachbarschutzes bei Gebietsgestaltungen gem. § 1 Abs. 4-9 BauNVO L Die Wesensmerkmale des Baugebiets als subjektive Grenze des bundesrechtlich vorgeschriebenen Drittschutzes Der in den Festsetzungen bundesrechtlich zwingend zu beachtende Nachbarschutz kann nur so weit gehen, wie er auch konkret in den einzelnen Ermächtigungsnormen verankert ist. Auf den Umfang des Drittschutzes in den §§ 2-14 BauNVO ist bereits in der Untersuchung der einzelnen Vorschriften eingegangen worden. Der Ortsgesetzgeber kann jedoch von den Typisierungen der §§ 2-9, 12-14 BauNVO nach Maßgabe des § 1 Abs. 4-9 BauNVO abweichen. Damit stellt sich die Frage, inwieweit bundesrechtlich Nachbarschutz bei Abänderungen der allgemeinen Gebietsvorschriften noch zu gewähren ist. Einen Ansatzpunkt bieten zunächst die objektiven Grenzen, die bei den Gestaltungsmöglichkeiten zwingend vom Ortsgesetzgeber zu beachten sind. Soweit diese zugleich Drittschutz vermitteln, muß im gleichen Umfang auch eine entsprechende Festsetzung nachbarschützend sein. Die Regelungen der Absätze 4 bis 9 ermöglichen dem Ortsgesetzgeber, entweder allgemein ein Baugebiet nach bestimmten Nutzungs- und Anlagearten örtlich zu gliedern oder aber die Zulässigkeit bestimmter Nutzungen und Nutzungsarten auszuschließen bzw. zu begrenzen. Bei sämtlichen Gebietsgestaltungen muß die allgemeine Zweckbestimmung der Baugebiete i. S. einer objektiven Grenze gewahrt bleiben. Zwar ist das Gebot ausdrücklich nur in den Absätzen 5, 6 Nr. 2 und 7 Nr. 3 normiert. Die Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung stellt jedoch einen die BauNVO beherrschenden Grundsatz dar, der für alle Gliederungsmöglichkeiten nach § 1 Abs. 4-9 BauNVO gilt.24 So beziehen sich sämtliche Änderungsmöglichkeiten aus § 1 BauNVO nur auf die Absätze 2 und 3 der Gebietsvorschriften, nicht jedoch auf den die allgemeine Zweckbestimmung enthaltenden Absatz 1. Die Wahrnehmung der Gestaltungsmöglichkeiten darf damit nicht zur Änderung der Baugebietsart oder Bildung einer neuen, von der allgemeinen Zweckbestimmung der Gebietsvorschriften 25 abweichenden 24 Allg. Α., vgl. Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 1 Rn. 68; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 20 f.; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn. 83; Förster, BauNVO, § 1 Anm. 17 a) bb); Knaup/Stange, BauNVO, § 1 Rn. 46-50; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 314319; BVerwG, ZfBR 1990, 98. 25 Zur Maßgeblichkeit von Absatz 1 der Gebietsvorschriften vgl. Fickert/ Fieseier, BauNVO, § 1 Rn. 102; Knaup/Stange, BauNVO, § 1 Rn. 71; Förster,

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Gebietsart führen. Die in der allgemeinen Zweckbestimmung verankerten Wesensmerkmale „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis" legen das Baugebiet seiner Eigenart nach fest und bilden daher den Maßstab der zulässigen Gebietsgestaltungen. Das Baugebiet in seiner Gesamtheit und nicht auch in einzelnen Teilbereichen muß die allgemeine Zweckbestimmung, d. h. die einzelnen Wesensmerkmale des Baugebiets bewahren.26 Die Wesensmerkmale des Baugebiets sind nicht starr auf einen bestimmten Wert bezogen, sondern sie enthalten eine Bandbreite von dem Wesen des Baugebiets entsprechenden Werten. Die Bandbreite ist darin begründet, daß sich die Wesensmerkmale nach der konkreten Zusammensetzung der gebietsprägenden Nutzungen definieren. Die allgemeine Zweckbestimmung unterteilt über das Merkmal Mischungsverhältnis die gebietszulässigen Nutzungen gewichtend in die Kategorien vorrangig gebietsprägend, auch und nicht gebietsprägend. Jede gebietsprägende Nutzung bestimmt entsprechend ihrer Gewichtung nach der Zugehörigkeit zu den vorrangig oder auch gebietsprägenden Nutzung die Wesensmerkmale „Störgrad" und „Funktionsbestimmung" mit. Änderungen in der Gewichtung der einzelnen gebietsprägenden Nutzungen führen dementsprechend zu einer Veränderung der Wesensmerkmale. Zulässig sind solche Änderungen, soweit die Nutzungskategorie dadurch nicht insgesamt ihre gebietsprägende Bedeutung nach dem Mischungsverhältnis verliert und die Eigenart des Baugebiets umkippt. Es gelten damit die gleichen Schranken, die für die Verletzung des Merkmals Mischungsverhältnis aufgestellt wurden.27 Die zulässigen Gebietsgestaltungen müssen sich somit in der Bandbreite der Wesensmerkmale bewegen, d. h. die Zusammensetzung der gebietsprägenden Nutzungskategorien beachten; sie dürfen zu keinem Verstoß gegen das gebietsspezifische Mischungsverhältnis führen. Die Wesensmerkmale des Baugebiets charakterisieren jedoch nicht nur die Eigenart, sondern zugleich auch den drittschutzbegründenden Gesamtgebietsausgleich der Nutzungsinteressen und damit die subjektiven Rechtspositionen der Planbetroffenen. Dieser subjektive Charakter des Gesamtgebietsausgleichs ist die Kehrseite des objektiven

BauNVO, § 1 Anm. 8 b); Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 314, 315; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 2b. 26 Allg. Α., vgl. Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 316, 317; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn. 83, 83.1; Knaup/Stange, BauNVO, § 1 Rn. 48; Förster, BauNVO, § 1 Anm. 7 a) bb); Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 1 Rn. 68; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 20 f; BVerwG, DVB1 1990, 383. 27 2. Teil, 2. Kap., C Π 5.

6. Kapitel: Die Bedeutung des Ortsgesetzgebers

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Regelungsgehalts und bundesrechtlich zwingend in den Gebietsvorschriften vorgeschrieben. Der Ortsgesetzgeber muß folglich bei einer Gebietsgestaltung nach § 1 Abs. 4-9 BauNVO nicht nur den objektiven, sondern auch den subjektiven Gehalt der den Gesamtgebietsausgleich widerspiegelnden Wesensmerkmale beachten. Dementsprechend bleibt bei einer Gebietsgestaltung zunächst der abstrakt-generelle Drittschutzcharakter der Gebietsfestsetzung bestehen, die unverändert Drittschutz gegen gebietsfremde wie gebietsverändernde Vorhaben vermittelt. Für die Frage eines weitergehenden bundesrechtlich verankerten Drittschutzes über die einzelnen Gestaltungsmöglichkeiten nach § 1 Abs. 4-9 BauNVO ist danach zu differenzieren, ob sie zu einer - zulässigen - Veränderung des drittschutzbegründenden Gesamtgebietsausgleich der Nutzungsinteressen ermächtigen.

OL Gebietsausgleichsgestaltende Wirkung als Kriterium des bundesrechtlich vorgegebenen Nachbarschutzes Da der Gesamtgebietsausgleich bundesrechtlich zwingend drittschützend ist, muß jeder ausgleichsgestaltenden Festsetzung ebenfalls Drittschutz zukommen. Derartige bundesrechtlich drittschützende Gebietsgestaltungen liegen im Ausschluß bestimmter Nutzungen oder Nutzungsarten aus dem Baugebiet, da dieser unmittelbar den Ausgleich der Nutzungsinteressen verändert. Durch den Ausschluß fällt die Nutzung aus dem für das Baugebiet getroffenen Nutzungsausgleich heraus, und der planbetroffene Grundstückseigentümer darf die Nutzung nicht mehr auf seinem Grundstück verwirklichen. Die ausgeschlossene Nutzungsart gehört damit zu den gebietsfremden Vorhaben. Der Plangeber nimmt somit eine punktuelle Neugestaltung der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums i. S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vor. Ebenfalls ausgleichsgestaltende Wirkung kommt Gebietsgestaltungen zu, die die Zusammensetzung der gebietsprägenden Nutzungen im Gesamtgebiet und damit die Wesensmerkmale des Baugebiets ändern. In der Gebietsgliederung liegt dann zugleich eine Konkretisierung des drittschutzbegründenden Ausgleichs der Individualinteressen, so daß der Plangeber letztlich auch eine Ausgestaltung der subjektiven Rechtsposition der Planbetroffenen vornimmt. Die Veränderung der Wesensmerkmale macht die aus dem Kreis der gebietsprägenden Nutzungen herausfallende Anlage nicht zu einer generell gebietsfremden, sondern nur, soweit sie konkret gegen die verengten Merkmale verstößt. Mit dem Verlust der gebietsprägenden Wirkung kommt der Nutzung zudem

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

nicht mehr ihr ursprünglicher Vorrang nach der allgemeinen Zweckbestimmung zu. Sie ist nur noch in dem ihrer veränderten Bedeutung entsprechenden Umfang zulässig. Eine Zunahme der Nutzungen über ihre eingeschränkte Bedeutung verstößt dann gegen das Mischungsverhältnis und könnte von den Planbetroffenen abgewehrt werden.

HL Der bundesrechtliche Nachbarschutz nach den Absätzen 4-9 Nach der vorgenommenen Einteilung ermächtigen die Gliederungsmöglichkeiten von § 1 Abs. 4 BauNVO zu keinen ausgleichsändernden Zusammensetzungen der gebietsprägenden Nutzungen. Die Vorschrift erlaubt dem Plangeber lediglich das Baugebiet horizontal nach der Art der zulässigen Nutzungen bzw. der Art der Betriebe und Anlagen zu gliedern und damit die Zulässigkeit der Nutzungen örtlich festzulegen. Die Zuweisung einzelner Anlagen zu einem Teilbereich des Baugebiets hat zur Folge, daß alle anderen nach der Gebietsvorschrift zulässigen Anlagen in diesem Teilbereich unzulässig sind. Eine Gliederung nach Absatz 4 darf aber nicht zu einem Ausschluß einzelner Arten von Nutzungen aus dem gesamten Baugebiet führen, da zu einem solchen Ausschluß nur Absatz 5 ermächtigt.28 Entsprechend der für die Gestaltungsmöglichkeiten von § 1 Abs. 4-9 BauNVO geltenden Gesamtgebietsbetrachtung29 hat eine zulässige, die allgemeine Zweckbestimmung bewahrende Aufgliederung nach Absatz 4 keinen Einfluß auf die Zusammensetzung der Nutzungen. Die Nutzungskategorien bleiben in ihrer Ausgestaltung nach dem Mischungsverhältnis unverändert. Durch die Zulassung eines Vorhabens, das nicht der Gliederungsfestsetzung entspricht, liegt dann kein Verstoß gegen eines der Wesensmerkmale nach der allgemeinen Zweckbestimmung vor. Ein bundesrechtlicher Drittschutz über die Gebietsfestsetzung scheidet insoweit aus. Mangels Auswirkungen auf den in der Gebietsvorschrift vorgenommenen Ausgleich verlangt § 1 Abs. 4 BauNVO bundesrechtlich damit keinen Nach-

28

Vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn. 83. Allg. Α., vgl. Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 316, 317; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn. 83, 83.1; Knaup/Stange, BauNVO, § 1 Rn. 48; Förster, BauNVO, § 1 Anm. 7 a) bb); Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, § 1 Rn. 68; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 20f; BVerwG, DVB1 1990, 383. 29

6. Kapitel: Die Bedeutung des Ortsgesetzgebers

285

barschutz. Der Ortsgesetzgeber kann frei entscheiden, ob einer Gliederung nach Absatz 4 eine drittschützende Wirkung zukommt.30 In den Ermächtigungen des § 1 Abs. 5 BauNVO ist grundsätzlich ein Drittschutz bundesrechtlich vorgeschrieben. Nach der ersten Alternative des Absatzes kann der Verordnungsgeber bestimmte Arten von allgemein zulässigen Nutzungen für das gesamte Baugebiet ausschließen. Aufgrund der damit ausgleichsgestaltenden Wirkung kommt einer derartigen Festsetzung zwingend eine drittschützende Wirkung zu. Bei der zweiten Alternative des Absatzes 5, die zu einer Begrenzung allgemein zulässiger Nutzungen als nur noch ausnahmsweise zulässig ermächtigt, ist für die bundesrechtliche Drittschutzwirkung nach dem Einzelfall zu differenzieren. Der Wandel zur ausnahmsweisen Zulässigkeit wirkt sich konkretisierend auf die Wesensmerkmale und damit insgesamt ausgleichsgestaltend aus, soweit der zuvor allgemein zulässigen Nutzung eine zumindest auch gebietsprägende Wirkung zukam. In diesem Fall verliert die Nutzung aufgrund der Umwandlung zur Ausnahme die gebietsprägende Wirkung, da eine solche Ausnahmen nicht zukommt. Die derart veränderte Nutzung fällt dann aus dem Kreis der die Wesensmerkmale charakterisierenden Nutzungen heraus, womit sich zugleich deren Bandbreite verändert. Als Ausnahme ist die Nutzung nur noch in beschränktem Umfang zulässig. Entsprechend dem allgemeinen Schutz gegen gebietsverändernde Vorhaben kann die Zulassung der ehemals gebietsprägenden Nutzungen, die das Ausnahmeverhältnis übersteigen, von den Planbetroffenen abgewehrt werden. Die Regelung des § 1 Abs. 6 Alt. 1 BauNVO ermächtigt zum Ausschluß einzelner oder aller Ausnahmen einer Gebietsvorschrift. Dementsprechend kommt den auf ihr beruhenden Festsetzungen bundesrechtlich eine drittschützende Wirkung zu, da sie den Gesamtgebietsausgleich der Nutzungsinteressen verändern. Ebenfalls bundesrechtlich verankerten Drittschutz entfalten Gebietsgestaltungen nach der zweiten Alternative von Absatz 6, wonach der Plangeber Ausnahmen zu allgemein zulässigen Nutzungen erklären kann. Eine derartige Änderung ist unter Bewahrung der allgemeinen Zweckbestimmung nur zulässig, soweit der Ausnahme dadurch keine gebietsprägende Bedeutung zukommt.31 Andernfalls würde sich die Gewichtung der auch bzw. der vorrangig gebietsprägenden Nutzungen insgesamt erweitern und damit zu ei30

Ebenso VGH BW, DVB1 1996, 687. So auch Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn. 108; Bielenberg, Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 30. 31

in:

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

nem Verstoß gegen das Merkmal Mischungsverhältnis fuhren. Die zulässige Erweiterung der Ausnahmen hat dahingehend eine drittschützende Wirkung, daß sich die Planbetroffenen weiterhin gegen eine über die allgemeine Zulässigkeit hinausgehende gebietsverändernde Zulassung wehren können. Die Erweiterung der Zulässigkeit stellt insoweit eine punktuelle Veränderung des Gesamtgebietsausgleichs dar. Nach § 1 Abs. 7 Nr. 1-3 BauNVO kann der Plangeber ein Baugebiet vertikal entsprechend den horizontalen Gestaltungsmöglichkeiten der Vorschrift gliedern. Im einzelnen entsprechen die Nummern 1 bis 3 des § 1 Abs. 7 BauNVO den Regelungen der Absätze 4-6 und ermöglichen es, die horizontalen Gestaltungsmöglichkeiten in bestimmte Geschosse, Ebenen oder sonstige Teile baulicher Anlagen umzusetzen. Die vertikalen Gliederungsmöglichkeiten regulieren dabei die örtliche Lage einzelner Nutzungen nur beschränkt auf ein bestimmtes Geschoß, so daß die Nutzungen in den übrigen Geschossen weiterhin nach den Bestimmungen der Gebietsvorschrift zulässig sind. Aufgrund dieser eingeschränkten Gesamtgebietswirkung ist die Frage der zwingend drittschützenden Wirkung grundsätzlich getrennt von den korrespondierenden Regelungen der Absätze 4-6 zu betrachten. Der zu Absatz 4 in Verbindung gesetzten Nummer 1 des Absatzes 7 kommt bundesrechtlich keinerlei drittschützende Wirkung zu, da die Regelung die Zusammensetzung der Nutzungen gesamtgebietsbezogen nicht verändern kann und insbesondere auch keinen Ausschluß einer Nutzung ermöglicht.32 Ebenfalls grundsätzlich nicht zwingend nachbarschützend sind die Festsetzungen nach Nummer 2 des Absatzes 7. Wegen der allein geschoßbezogenen Bedeutung entfaltet weder der Ausschluß einer allgemein zulässigen Nutzung noch deren Umwandlung zur Ausnahme eine ausgleichsgestaltende Wirkung für das Gesamtgebiet. So bleibt die allgemein zulässige Nutzung in den übrigen Geschossen stets uneingeschränkt zulässig. Eine punktuelle gesamtgebietsausgleichende Veränderung bewirkt unmittelbar allein die Erweiterung einer Ausnahme nach Absatz 7 Nummer 3, da die Ausnahme damit für das gesamte Baugebiet im festgelegten Geschoß allgemein zulässig ist. Daher gilt für den bundesrechtlichen Drittschutz insofern das zur horizontalen Regelung nach Absatz 6 Ausgeführte entsprechend. Der Ausschluß einer Ausnahme hat dahingegen keine gesamtgebietsbezogenen Auswirkungen, da er sich allein auf das bestimmte Geschoß beschränkt. Die Frage des bundesrechtlich geforderten Drittschutzes

32

Zur Unzulässigkeit des Ausschlusses einer Nutzung über Nr. 1 vgl. Knaup/Stange, BauNVO, § 1 Rn. 97.

7. Kapitel: Der Drittschutz über § 34 Abs. 2 BauGB

287

nach Absatz 7 Nummer 2 und 3 kann sich jedoch ändern, wenn der Plangeber umfassende Regelungen fur alle zulässigen Geschosse eines Baugebiets trifft. Soweit den Festsetzungen dann eine gebietsausgleichsgestaltende Wirkung zukommt, müssen sie auch eine nachbarschützende Wirkung entfalten. § 1 Abs. 8 BauNVO ermächtigt den Plangeber, die Gestaltungsmöglichkeiten der Absätze 4 bis 7 auch auf Teilbereiche des Baugebiets zu beschränken. Bei einer allein auf einen Teilbereich begrenzten Bedeutung kann den Festsetzungen aber nie eine den Gesamtgebietsausgleich verändernde Wirkung zukommen. Dementsprechend bleibt es dem Plangeber vorbehalten, inwieweit er der einzelnen Festsetzung eine drittschützende Wirkung zukommen läßt. Nach § 1 Abs. 9 BauNVO kann der Plangeber bei Festsetzungen nach den Absätzen 5 bis 8 die Regelung auf bestimmte Arten der in Baugebieten allgemein oder ausnahmsweise zulässigen Nutzungen beschränken. Die Vorschrift ergänzt somit lediglich die Gestaltungsmöglichkeiten der vorgenannten Absätze, so daß für den bundesrechtlich geforderten Drittschutz auf die Ausführungen zu den einzelnen Absätzen verwiesen werden kann.

7. Kapitel

Der Drittschutz von §§ 2-9,12-14, 15 BauNVO über § 34 Abs. 2 BauGB A. Der Drittschutzcharakter des Verweises auf die BauNVO für die Art der baulichen Nutzung in § 34 Abs. 2 BauGB Die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung der BauNVO kommen gegenüber dem Einzelnen nicht nur mittelbar als Festsetzung im Bebauungsplan zur Anwendung, sondern auch direkt gem. § 34 Abs. 2 BauGB bei der Zulässigkeit von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich. § 34 Abs. 2 BauGB regelt dabei im ersten Hauptsatz die allgemeine Zulässigkeit von Nutzungen durch Verweis auf die Gebietsvorschriften der BauNVO und im zweiten Hauptsatz die Zulässigkeit von Ausnahmen und Befreiungen, indem er § 31 Abs. 1 und 2 BauGB für entsprechend anwendbar erklärt. Die Verweisung auf die BauNVO im ersten Hauptsatz erfaßt grundsätzlich nur die allgemeinen Gebietsvorschriften, da bei ihnen der Verordnungsgeber die Baugebiete bereits

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

ihrer Eigenart nach festgelegt hat. Eine derartige Bestimmtheit ist den Sondergebietsvorschriften nicht zu eigen, da diese nur die Zweckbestimmung des Gebiets vorgeben und erst der Plangeber das Sondergebiet konkret ausgestaltet.1 Als generelle Ergänzungen der allgemeinen Gebietsvorschriften sind nach § 34 Abs. 2 BauGB auch die §§ 12-14 BauNVO anwendbar. Schließlich ist über die §§ 2-9, 12-14 BauNVO auch § 15 BauNVO in den Verweis miteinbezogen. § 34 Abs. 2 BauGB eröffnet damit über den ersten Hauptsatz einen Rückgriff auf die Bestimmungen der allgemeinen Zulässigkeit in den Absätzen 1 und 2 der §§ 2-9 BauNVO sowie in den §§ 12 Abs. 1-3, 13, 14 Abs. 1 BauNVO. Der zweite Hauptsatz des § 34 Abs. 2 BauGB verweist darüber hinaus aufgrund des entsprechend anzuwendenden § 31 Abs. 1 BauGB auf die Ausnahmeregelungen der allgemeinen Gebietsvorschriften in den Absätzen 3. Damit gelangen die Vorschriften der §§ 2-9, 12-14, 15 BauNVO insgesamt über § 34 Abs. 2 BauGB zur Anwendung wie bei den Gebietsfestsetzungen im Bebauungsplan. Da bei der Festsetzung eines Baugebiets der Nachbarschutz durch die §§ 2-9, 12-14 BauNVO bereits bundesrechtlich vorgegeben ist, könnten die Vorschriften auch bei § 34 Abs. 2 BauGB in gleicher Weise bundesrechtlich Drittschutz vermitteln.2 Das BVerwG hat ursprünglich dem Verweis auf die §§ 2 ff. BauNVO in § 34 Abs. 3 Satz 1 BBauG als Vorgänger des § 34 Abs. 2 BauGB keine drittschützende Bedeutung beigemessen, da allein der Ortsgesetzgeber berechtigt sei, je nach den tatsächlichen Gegebenheiten eines Planbereichs Festsetzungen drittschützend auszugestalten.3 Nachbarschutz konnte § 34 Abs. 3 BBauG nur durch den zulässigen Rückgriff auf Absatz 1 der Vorschrift vermitteln, in dem das Merkmal „einfügen" als Ausprägung des Rücksichtnahmegebots einen partiellen Drittschutz ermöglichte. Im Urteil vom 16.09.1993 hat das Gericht jedoch die Übernahme dieser Rechtsprechung für § 34 Abs. 2 BauGB abgelehnt und sich mit dem Rückgriff auf die §§2 ff. BauNVO für einen zum Bebauungsplan identischen Nachbarschutz entschieden.4 Zur Begründung hat das Gericht zwei Argumente angeführt. Zum einen sei bei § 34 Abs. 2 BauGB ein ergänzender Rückgriff auf Abs. 1 nicht mehr zulässig, so daß ein partieller Drittschutz über das Merkmal „einfügen" nicht 1 Vgl. zur Ablehnung der Anwendbarkeit von § 11 BauNVO über § 34 Abs. 2 BauGB auch Borges, DVB1 1998, 626 ff. 2 § 15 BauNVO kann dabei außer Betracht bleiben, da der partielle Drittschutz durch die Vorschrift auch bei § 34 Abs. 2 BauGB allgemein anerkannt ist. 3 Vgl. BVerwG, DVB1 1986, 187. 4 BVerwG, BVerwGE 94, 151 (156)=DVB1 1994, 284 (286).

7. Kapitel: Der Drittschutz über § 34 Abs. 2 BauGB

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mehr in Betracht komme. Aus der Gleichstellung geplanter und faktischer Baugebiete hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 BauGB ergebe sich zum anderen, daß in gleichem Umfang auch ein identischer Nachbarschutz schon vom Bundesgesetzgeber festgelegt worden sei. Mit der Anerkennung eines gleichartigen Nachbarschutzes im geplanten wie faktischen Baugebiet hat das BVerwG eine komplette Kehrtwende beim Drittschutz in § 34 Abs. 2 BauGB vollzogen, zu deren Begründung man weitergehende Ausführungen erwartet hätte. Die in der Literatur5 ganz überwiegend auf Zustimmung gestoßenen Ausführungen enthalten aber die wesentlichen Ausgangspunkte, mit denen sich der identische Drittschutz umfassend begründen läßt. Basis der Überlegungen bildet die schon ältere Feststellung6 des BVerwG, daß § 34 Abs. 2 BauGB einen Rückgriff auf Absatz 1 der Vorschrift für die Zulässigkeit des Vorhabens hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht mehr zuläßt. Entspricht die nähere Umgebung einem Baugebiet nach der BauNVO, ergeben sich die planungsrechtlichen Anforderungen an die Art der baulichen Nutzung abschließend aus § 34 Abs. 2 BauGB. Entgegen dem § 34 Abs. 3 BBauG kommt daher in § 34 Abs. 2 BauGB ein partieller Drittschutz über das Merkmal „einfügen" des § 34 Abs. 1 BauGB nicht in Betracht. Dem insoweit auf sich selbst beschränkten Absatz 2 kann ein nachbarschützender Charakter nur aus dem Verweis auf die BauNVO zu entnehmen sein. Drittschutz wäre in der Regelung verankert, wenn sie ihrem materiellen Gehalt nach die Anforderungen an das Interessen- und Rechtsmachtkriterium erfüllen würde. Nach dem Interessenkriterium müßte § 34 Abs. 2 BauGB zumindest auch individuellen Interessen dienen. Eine Berücksichtigung individueller Interessen kann sich sowohl aus der Regelung selbst, d. h. dem Verweis an sich, als auch aus den für anwendbar erklärten Normen ergeben. Die Zulässigkeitsbestimmungen des § 34 Abs. 2 BauGB dienen primär dem öffentlichen Interesse der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung im unbeplanten Innenbereich. Darüber hinaus schützt die Regelung aber auch die individuellen Nut-

5 Schmidt-Preuß, Anm. zu BVerwG, U. v. 16.09.1993, DVB1 1994, 288 (290 f.); Mampel, DVB1 1994, 1053 (1057 f.); Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 34 BauGB Rn. 88; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 34 BauGB Rn. 124; Sarnighausen, NJW 1995, 502; Fickert/Fieseler, BauNVO, Vorb. §§ 2 ff. Rn. 30; Knaup/Stange, BauNVO, Anhang nach § 27 Rn. 14-17; einen identischen Drittschutz in § 34 Abs. 2 ablehnend Wahl/Schütz, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 Rn. 135. 6 Erstmals BVerwG, BauR 1990, 326. 19 Petersen

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

zungsinteressen der bereits vorhandenen Bebauung an der Art der baulichen Nutzung. So ist Anwendungsvoraussetzung für § 34 Abs. 2 BauGB, daß die nähere Umgebung des geplanten Vorhabens einem Baugebiet nach der BauNVO entspricht. Durch den Verweis auf die entsprechende Gebietsvorschrift für die Zulässigkeit weiterer Vorhaben soll daher die Eigenart der Umgebung wie bei einer Gebietsfestsetzung bewahrt werden. Die Berücksichtigung der Individualinteressen gebietet zudem Art. 14 GG, wonach eine Eigentumsregelung auch die betroffenen individuellen Interessen ausgleichen muß. Der Gesetzgeber bestimmt durch die Regelungen des § 34 BauGB Inhalt und Schranken des Eigentums für den unbeplanten Innenbereich. Wie der Plangeber muß der Gesetzgeber daher nicht nur die öffentlichen, sondern gerade auch die von der Regelung berührten Individualinteressen beachten. Der grundsätzliche Schutz von Individualinteressen ist allerdings für das Interessenkriterium im mehrpolaren Verwaltungsrechtsverhältnis nicht ausreichend, wenn die Interessen nicht auch dem Einzelnen zugeordnet sind.7 Nach § 34 Abs. 2 BauGB gilt der Verweis auf die BauNVO nur, soweit die Umgebung einem Baugebiet nach der BauNVO entspricht. Die maßgebliche Umgebung ist durch Orientierung an der gegenseitigen bodenrechtlich-prägenden Wirkung des geplanten Vorhabens auf die umliegenden Grundstücke und umgekehrt zu ermitteln.8 Die mittels ihrer wechselseitigen bodenrechtlichen Beeinflussung bestimmten Grundstücke heben sich von der Allgemeinheit aller anderen Grundstücke im unbeplanten Innenbereich ab, womit eine hinreichende Individualisierung der Interessenträger gegeben ist.9 Da der Verweis in § 34 Abs. 2 BauGB für sich genommen keine eigenständige Regelung enthält, sondern erst die Gebietsvorschriften der BauNVO, ist der Interessenschutz letztlich in der einzelnen Vorschrift der BauNVO verankert. Das Rechtsmachtkriterium erfordert, daß die Vorschrift konkret die Rücksichtnahme auf oder den Ausgleich von Individualinteressen anordnet. Einen derartigen Ausgleich der Individualinteressen enthalten die Gebietsvorschriften der BauNVO, die untereinander verträgliche Nutzungen zusammenfassen und damit die individuellen Nutzungsinteressen ausgleichen. Damit kommt § 34 Abs. 2 BauGB durch seinen Verweis auf die

7 Hierauf berufen sich auch Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 Rn. 135, die einen abstrakt-generellen Drittschutz ablehnen, da es § 34 Abs. 2 BauGB an einer „abstrakt-normativen Umschreibung des Betroffenenkreises" fehle. 8 Vgl. BVerwG, DVB1 1979, 151. 9 Ebenso für eine im Umgebungsbegriff begründete Individualisierung der Interessen und Interessenträger Mampel, BauR 1994, 299 (303).

7. Kapitel: Der Drittschutz über § 34 Abs. 2 BauGB

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BauNVO zunächst allgemein ein drittschützender Charakter zu, der sich letztlich auf die nachbarschützende Wirkung der Gebietsregelungen stützt.10

B. Der Umfang des Nachbarschutzes durch den Verweis auf die §§ 2-9,12-14 BauNVO Offen und unbeantwortet ist allein die Frage, in welchem Umfang § 34 Abs. 2 BauGB Drittschutz vermittelt. In Betracht kommt ein abstrakt-genereller Nachbarschutz wie bei den Gebietsfestsetzungen. Dann müßte die Zulassung eines gebietsfremden wie gebietsverändernden Vorhabens wie im Baugebiet11 eine subjektive Rechtsverletzung aller Regelungsbetrofifenen gleichermaßen zur Folge haben. Der in § 34 Abs. 2 BauGB verankerte Nachbarschutz zielt allgemein darauf ab, dem Einzelnen die Eigenart der Umgebung nach der Art der baulichen Nutzung durch Verweis auf die Gebietsvorschriften zu bewahren. Vergleichbar mit einer Gebietsfestsetzung ist damit Kern des subjektiven Rechts die Sicherung der durch die derzeitige Bebauung erreichten Stör- und Konfliktfreiheit. Die Errichtung eines gebietsfremden Vorhabens führt im unbeplanten Innenbereich zu Nutzungsstörungen innerhalb der dem Baugebiet entsprechenden Umgebung, die zunächst nur die tatsächlich betroffenen Grundstückseigentümer beeinträchtigen. Das insoweit unzulässige Vorhaben leitet darüber hinaus aber eine „Umgebungsveränderung" ein, die zur Anwendung einer anderen Gebietsvorschrift nach der BauNVO oder gar zur Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 BauGB führen kann. Das gleiche gilt auch für die Zulassung eines gebietsverändernden Vorhabens, das gegen das Mischungsverhältnis nach der Zweckbestimmung der jeweiligen Gebietsvorschrift verstößt. Die Errichtung eines derartigen Vorhabens führt dazu, daß die Umgebung nicht mehr im Einklang mit dem Mischungsverhältnis der Gebietsvorschrift steht. Damit verliert die entsprechende Gebietsvorschrift ihre Bedeutung für die Zulässigkeit von Vorhaben in der Umgebung nach § 34 Abs. 2 BauGB. Die tatsächliche Umgebung i. S. von § 34 Abs. 2 BauGB ist für solche Veränderungen durch gebietsfremde und gebietsverändernde Vorhaben wesentlich

10

So bereits schon Breuer, DVB1 1983, 431 (437). Vgl. zum Schutz gegen gebietsfremde und gebietsverändernde Vorhaben 1. Teil, 1. Kap., C. 11

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

anfälliger als eine Gebietsfestsetzung im Bebauungsplan. Zunächst gelten für das Vorliegen einer „Umgebungsveränderungen" nicht die strengen Anforderungen wie beim Funktionsloswerden der Festsetzungen des Bebauungsplans, da es bei der „Umgebungsveränderung" nicht um den Geltungsverlust, sondern um die Anwendbarkeit einer Rechtsnorm geht. Die Anwendbarkeit der Rechtsnorm, der jeweiligen Gebietsvorschrift gem. § 34 Abs. 2 BauGB, richtet sich allein nach den tatsächlichen Voraussetzungen der Umgebung, der dort vorhandenen Bebauung. Dagegen sind bei einer Baugebietsfestsetzung für die Beurteilung der Übereinstimmung mit den Vorgaben der Gebietsvorschrift neben der tatsächlichen Bebauung noch die Entwicklungsmöglichkeiten im Plangebiet zu berücksichtigen. Schließlich ist die maßgebliche Umgebung bei § 34 Abs. 2 BauGB dadurch charakterisiert, daß die darin zusammenfaßten Grundstücke eine tatsächliche, gegenseitige bodenrechtlich-prägende Wirkung aufeinander haben.12 Von diesem Ausgangspunkt wirken sich tatsächliche Veränderungen der Bodennutzung auch unmittelbar auf alle zur Umgebung gehörende Grundstücke aus. Das Umkippen der Eigenart der Umgebung berührt rechtlich alle regelungsbetroffenen Grundstückseigentümer gleichermaßen, da die ursprüngliche Umgebung den rechtlichen Schutz des § 34 Abs. 2 BauGB verliert, d.h. die eigentliche Gebietsvorschrift nach der BauNVO keine Anwendung mehr findet. Infolgedessen geht aber auch die Stör- und Konfliktfreiheit als subjektive Rechtsposition aller Grundstückseigentümer der Umgebung verloren. Damit führt die Zulassung von gebietsfremden wie gebietsverändernden Vorhaben auch im faktischen Baugebiet zu einer subjektiven Rechtsverletzung, die identisch ist zu der im Plangebiet. Die formale Identität der subjektiven Rechtsverletzung in faktischen und geplanten Baugebieten findet ihre dogmatische Begründung in der gleichartigen bodenrechtlichen Verflechtung der Grundstückseigentümer. Die zur näheren Umgebung gehörenden Grundstücke stehen in einer vergleichbaren bodenrechtlichen Wechselwirkung wie die Grundstücke im Plangebiet.13 § 34 Abs. 2 BauGB faßt über den Umgebungsbegriff nur diejenigen Grundstücke zusammen, die eine gegenseitige bodenrechtlich-prägende Wirkung aufeinander haben. In gleicher Weise erzeugt im Bebauungsplan die Gebietsfestsetzung eine 12

BVerwG, BVerwGE 55, 369 (380); vgl. auch Krautzberger, in: Batti s/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 34 Rn. 13. 13 Hierauf abstellend auch Schmidt-Preuß, Anm. zu BVerwG, U. v. 16.09.1993, DVB1 1994, 288 (290).

8. Kapitel: Zusammenfassung

293

bau- und bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft unter den planbetroffenen Nutzungsflächen. Im faktischen wie im geplanten Baugebiet wirken sich damit bauplanungsrechtliche Vorhaben auf alle anderen Grundstücke gleichermaßen aus. Diese tatsächliche Abhängigkeit der Grundstücke wird im Plangebiet durch die Gebietsfestsetzung zu einer rechtlichen. Die Festsetzung eines Baugebiets gestaltet die bodenrechtliche Abhängigkeit nach der in der Gebietsvorschrift vorgezeichneten Eigenart des Baugebiets aus und bestimmt damit ihren rechtlichen Inhalt. Im unbeplanten Innenbereich besteht zunächst nur ein faktisches Abhängigkeitsverhältnis, das inhaltlich dem rechtlich gestalteten Verhältnissen einer Gebietsfestsetzung gleicht, soweit die nähere Umgebung einem Baugebiet nach der BauNVO entspricht. § 34 Abs. 2 BauGB transponiert die faktisch bestehende Eigenart der Umgebung durch die Verweisung auf die BauNVO in eine rechtlich geschützte und wandelt damit auch im unbeplanten Innenbereich das faktische Austauschverhältnis in ein rechtliches um. Der Gesetzgeber fungiert bei § 34 Abs. 2 BauGB letztlich als Plangeber wie bei einer Gebietsfestsetzung im Bebauungsplan, womit die Regelung nicht nur als Planersatz, sondern in ihren rechtlichen Wirkungen als Ersatzplan anzusehen ist.14 Zum gleichen Ergebnis gelangt die Literatur, die davon ausgeht, daß § 34 Abs. 2 BauGB nicht nur den objektiven, sondern auch den subjektiven Regelungsgehalt der §§ 2 ff. BauNVO inkorporiere und dadurch zum dem Einzelnen gegenüber wirksamen Recht transformiere. 15 Insgesamt vermitteln die §§ 2-9, 12-14 BauNVO daher auch im unbeplanten Innenbereich einen abstrakt-generellen Drittschutz gegen „umgebungsfremde" und „umgebungsverändernde" Vorhaben wie bei einer Festsetzung im Bebauungsplan.

8. Kapitel

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Die Untersuchung des Drittschutzes aufgrund der Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung hat im wesentlichen zu folgenden Ergebnissen geführt:

14

Ebenso Mampel, BauR 1994, 299 (304). Vgl. Schmidt-Preuß, Anm. zu BVerwG, U. v. 16.09.1993, DVB1 1994, 288 (290 f.); Mampel, DVB1 1994, 1053 (1057); ders., BauR 1994, 299 (303 f.); Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 34 BauGB Rn. 88. 15

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

1. Die allgemeine Zweckbestimmung der Gebietsvorschriften charakterisiert das Baugebiet nach seinen Wesensmerkmalen „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis". Unmittelbar legt die Zweckbestimmung das Merkmal „Mischungsverhältnis" fest, das die Zusammensetzung der gebietszulässigen Nutzungen regelt. So bestimmt die allgemeine Zweckbestimmung ausdrücklich, welchen Nutzungen das Baugebiet dient. Hierdurch erfolgt eine Gewichtung der zulässigen Nutzungen nach ihrer gebietsprägenden Bedeutung, die zu einer Einteilung derselben in die Kategorien „vorrangig gebietsprägende Nutzungen", „auch gebietsprägende" und „nicht gebietsprägende Nutzungen" führt. Die Gewichtung spiegelt den zulässigen quantitativen wie qualitativen Umfang und damit letztlich die Zusammensetzung der Nutzungen im Baugebiet wider. Mittelbar gestaltet die allgemeine Zweckbestimmung zudem durch das Mischungsverhältnis die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad". So ergibt sich die Funktionsbestimmung aus den Nutzungsfunktionen der gebietsprägenden Nutzungen in ihrer durch das Mischungsverhältnis festgelegten Gewichtung. Der Störgrad richtetsich in gleicher Weise nach den gewöhnlichen Auswirkungen der gebietsprägenden Nutzungen in ihrer Gewichtung nach dem Mischungsverhältnis. Die Wesensmerkmale charakterisieren dementsprechend die gebietszulässigen Nutzungen nach Art, Umfang und Zusammensetzung und führen zur notwendigen Eingrenzung der weiten Nutzungsbegriffe in den Gebietsvorschriften. Art und Umfang der Nutzungen legen die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" fest, wohingegen sich die Zusammensetzung der Nutzungen nach dem Mischungsverhältnis bestimmt. In dieser Funktion normieren die Wesensmerkmale zugleich eine allgemeine objektive Zulässigkeitsschranke für alle Nutzungen des Baugebiets. 2. Die allgemeinen Gebietsvorschriften nach den §§ 2-9 BauNVO vermitteln ein subjektives öffentliches Recht, da sie den abstrakten Ausgleich der individuellen Nutzungsinteressen für die Grundstücke im Bereich des Baugebiets festlegen. In der jeweiligen Gebietsvorschrift sind Nutzungen ihrer Art nach zusammengefaßt, die in der Regel untereinander verträglich sind und grundsätzlich zu keinen Nutzungskonflikten führen. Den dadurch normierten Ausgleich der individuellen Nutzungsinteressen spiegelt das Austauschverhältnis wider, wonach jedem Grundstückseigentümer dem Nachteil der Beschränkung auf ein gebietsspezifisches Nutzungsspektrum der Vorteil der störund konfliktfreien Ausübung der Nutzungen gegenübersteht. Dogmatische Grundlage für den Ausgleich bildet Art. 14 Abs. 1 GG. Danach müssen die Gebietsvorschriften als Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums

8. Kapitel: Zusammenfassung

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auch die mit der Eigentumsnutzung verbundenen individuellen Nutzungsinteressen ausgleichen. Dieses verfassungsrechtliche Ausgleichserfordernis findet auf einfachgesetzlicher Ebene seine Umsetzung in § 1 Abs. 6 BauGB. Inhaltlich konkretisieren die Wesensmerkmale des Baugebiets, „Funktionsbestimmung", „Störgrad" und „Mischungsverhältnis" den drittschützenden Ausgleich im Gesamtgebiet, da sie die Nutzungen nach Art, Umfang und Zusammensetzung festlegen. Die Wesensmerkmale umschreiben damit zugleich die in der Gebietsvorschrift verankerte subjektive Rechtsposition, die allgemein als gebietsspezifische Stör- und Konfliktfreiheit bezeichnet werden kann. 3. Das in den Gebietsvorschriften der §§ 2-9 BauNVO verankerte subjektive Recht ermöglicht einen Schutz vor der Genehmigung von Vorhaben, die gegen eines der Wesensmerkmale des Baugebiets verstoßen. Nach dem Wesensmerkmal, das das Vorhaben nicht erfüllt, ist dabei zwischen gebietsfremden und gebietsverändernden Vorhaben zu differenzieren. Gebietsfremd sind solche Vorhaben, die weder unter die weiten Nutzungsbegrifife nach den Gebietsvorschriften noch unter die durch die Merkmale „Funktionsbestimmung" und „Störgrad" eingeschränkten fallen. Zu den gebietsverändernden Vorhaben gehören hingegen diejenigen Nutzungen, die zwar unter den eingeschränkten Nutzungsbegriff fallen, aber das Mischungsverhältnis verletzen. Ein Verstoß gegen das Mischungsverhältnis liegt vor, wenn die Zulassung des Vorhabens die Zusammensetzung der Nutzungen nach ihrer gebietsprägenden Bedeutung ändert und damit die Möglichkeit des Umkippens des Baugebiets besteht. Ein derartiger Verstoß ist bei der Genehmigung von Vorhaben gegeben, die zu einer Veränderung der im Mischungsverhältnis festgelegten Gewichtung der Hauptnutzungen, auch gebietsprägenden oder nicht gebietsprägenden Nutzungen führt. Der Schutz gegen gebietsfremde und gebietsverändernde Vorhaben besteht in gleicher Weise bei den Regelungen über die allgemeine Zulässigkeit in den Absätzen 1 und 2 der Gebietsvorschriften und den Ausnahmeregelungen in Absatz 3 der Vorschriften. Unterschiedlich ist lediglich der Drittschutz gegen die gebietsverändernden Vorhaben. Die Verletzung des Mischungsverhältnisses in den Absätzen 1 und 2 erfaßt die Veränderungen in der Zusammensetzung der allgemein zulässigen Nutzungen und bei Absatz 3 die Störung des Verhältnisses der allgemein zulässigen Nutzungen zu den ausnahmsweise zulässigen. Der Drittschutz gegen die gebietsfremden und gebietsverändernden Vorhaben nach den allgemeinen Gebietsvorschriften ist abstraktgenereller Art, der jedem Planbetroffenen unabhängig von einer tatsächlichen Beeinträchtigung zukommt. Die Zulassung eines gebietsfremden Vorhabens leitet eine Gebietsveränderung ein, die zum Umkippen der Gebietsart und da-

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

mit zum Geltungsverlust der Gebietsfestsetzung führen kann. Beim Funktionsloswerden der Gebietsfestsetzung geht jedoch auch die in der Gebietsvorschrifi verankerte subjektive Rechtsposition unter, in der alle Grundstückseigentümer im Plangebiet gleichermaßen rechtlich beeinträchtigt sind. Das gleiche gilt für die gebietsverändernden Vorhaben, deren Zulassung das Umkippen des Baugebiets und damit ein Funktionsloswerden der Gebietsfestsetzung zur Folge haben kann. 4. Die Gebietsvorschriften vermitteln auch über die Gebietsgrenzen hinausgehend einen Nachbarschutz gegen gebietsfremde Vorhaben. Durch die Gebietsfestsetzung muß der Ortsgesetzgeber gem. § 1 Abs. 6 BauGB auch die Nutzungsinteressen an den Gebietsgrenzen ausgleichen, so daß es durch die zulässigen Nutzungen der Grenzgrundstücke auf keiner Seite zu unzumutbaren Störungen und Belästigungen kommt. Der gebietsübergreifende Drittschutz ist jedoch gegenüber dem Drittschutz innerhalb des Plangebiets eingeschränkt. Zum einen können sich die Grundstückseigentümer jenseits der Gebietsgrenzen nur gegen gebietsfremde Vorhaben wehren, die auch nach den für sie maßgeblichen Vorschriften unzulässig sind. Zum anderen verlangt die subjektive Rechtsverletzung, daß die Zulassung des gebietsfiremden Vorhabens die Gebietsangrenzer auch in der störungsfreien Ausübung ihrer Nutzung tatsächlich beeinträchtigt. 5. Die Festsetzung von Sondergebieten nach den §§ 10-11 BauNVO vermittelt grundsätzlich wie die allgemeinen Gebietsvorschriften einen Drittschutz gegen gebietsfiremde und gebietsverändernde Vorhaben. Der Nachbarschutz gegen gebietsfremde Vorhaben ist aber insoweit eingeschränkt, als das jeweilige Vorhaben auch konkret gegen den Störgrad oder die Funktionsbestimmung des Sondergebiets verstoßen muß. Nicht ausreichend ist, daß das Vorhaben nicht unter einen der Nutzungsbegriffe der Sondergebietsvorschriften fallt. Die Sondergebiete weisen aufgrund ihrer Ausgestaltungsbedürftigkeit durch den Ortsgesetzgeber nicht den gleichen engmaschigen Ausgleich der Nutzungen wie die allgemeinen Baugebiete auf, bei denen jedes nicht unter die weiten Nutzungsbegriffe fallende Vorhaben gegen den Störgrad und/oder die Funktionsbestimmung verstößt. Vorhaben, die nicht eines der beiden Wesensmerkmale verletzen, erweisen sich als gebietsverträglich und beeinträchtigen daher nicht die in der Sondergebietsvorschrift verankerte subjektive Rechtsposition. Drittschutz gegen solche Vorhaben besteht nach den Sondergebietsvorschriften nur insoweit, als ihre Zulassung auch gegen das Mischungsverhältnis verstößt.

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6. Als Ergänzung der allgemeinen Zulässigkeitsbestimmungen der Gebietsvorschriften ist auch den §§ 12-14 BauNVO eine drittschützende Wirkung zu eigen. Die Bestimmungen der Vorschriften sind grundsätzlich in das durch die Gebietsvorschriften normierte Austauschverhältnis insoweit einbezogen, als sie die allgemein zulässigen Nutzungen erweitern. Dementsprechend gelten auch die Wesensmerkmale des jeweiligen Baugebiets als objektive Zulässigkeitsschranke für die Nutzungen nach §§ 12-14 BauNVO. Der dadurch vermittelte abstrakt-generelle Drittschutz gegen gebietsfremde und gebietsverändernde Nutzungen ist jedoch letztlich in den Gebietsvorschriften verankert. Einen eigenständigen Nachbarschutz vermitteln die §§12-14 BauNVO insoweit, als sie selbst drittschützende Merkmale für die Zulässigkeit der Nutzungen bestimmen, die die Wesensmerkmale der Baugebiete auf die spezielle Nutzung konkretisieren. Bei den Regelungen über Stellplätze und Garagen in § 12 BauNVO kommt den Absätzen 2 und 3 ein derartiger eigenständiger Drittschutz zu. In Absatz 2 erzeugt das Merkmal des durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarfs eine drittschützende Wirkung, weil dadurch die Stör- und Konfliktfreiheit nach dem jeweiligen Baugebiet gesichert wird. Das gebietsbezogen zu verstehende Merkmal vermittelt dementsprechend für die in Absatz 2 aufgezählten Baugebiete ein abstrakt-generelles Abwehrrecht gegen Stellplätze und Garagen, die über den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf hinausgehen. Einen ebenfalls abstrakt-generellen Drittschutz vermitteln die Nummern 1 und 2 des Absatzes 3, da der darin geregelte Ausschluß bestimmter Arten von Stellplätzen und Garagen auf ihrer allgemeinen Unvereinbarkeit mit Funktionsbestimmung und Störgrad der in der Vorschrift aufgeführten Baugebiete beruht. Bei § 13 BauNVO ist allein der Zulässigkeitsregelung von Räumen für freie Berufe in Wohngebieten ein eigenständiger Drittschutzcharakter zu eigen. Die Regelung legt den Umfang der freiberuflichen Nutzungen für Gebäude auf ein mit den Wesensmerkmalen der Wohngebiete übereinstimmendes Maß fest, das bei 50% der nutzbaren Gebäudefläche liegt. Damit erzeugt die Bestimmung ein abstrakt-generelles Abwehrrecht gegen die Zulassung von freiberuflichen Nutzungen, die dieses Maß übersteigen. Schließlich vermittelt bei den Bestimmungen über die Nebenanlagen nach § 14 BauNVO allein das Merkmal „Vereinbarkeit mit der Eigenart des Baugebiets" einen eigenständigen Drittschutz. Das Merkmal verlangt eine Übereinstimmung der Nebenanlagen mit Funktionsbestimmung, Störgrad und Mischungsverhältnis der jeweiligen Gebietsbestimmung und erzeugt dadurch einen abstrakt-generellen Drittschutz.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

7. Die Zulässigkeitsregelungen des § 15 Abs. 1 BauNVO dienen der Umsetzung des abstrakten Nutzungsausgleichs der Gebietsvorschriften in der konkreten örtlichen Umgebung der einzelnen Vorhaben. Während die Gebietsvorschriften gesamtgebietsbezogen die Stör- und Konfliktfreiheit sichern, zielen die Bestimmungen von § 15 Abs. 1 BauNVO auf die konkrete örtliche Verwirklichung der Stör- und Konfliktfreiheit ab. Insgesamt vermitteln die Zulässigkeitsregelungen damit einen partiell-konkreten Nachbarschutz. In Absatz 1 Satz 1 beruht die drittschützende Wirkung auf dem Merkmal „Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets", das sich inhaltlich nach den Wesensmerkmalen des jeweiligen Baugebietsrichtet.Das Merkmal setzt die in den Gebietsvorschriften verankerten Wesensmerkmale konkret für die Vorhaben in ihrer Auswirkungsumgebung um und sichert damit den in der Gebietsvorschrift normierten abstrakten Ausgleich der Nutzungsinteressen in der Umgebung des geplanten Vorhabens. Soweit ein Vorhaben nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht, kommt den dadurch tatsächlich beeinträchtigten Nachbarn ein Abwehrrecht zu. Bei den Alternativen des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO erzeugt das Merkmal der Unzumutbarkeit gemeinsam mit dem Merkmal der Störungen und Belästigungen einen partiell-konkreten Drittschutz. Allgemein dient die Regelung der Bewahrung des verträglichen Störpotentials einer Gebietsvorschrift in der Auswirkungsumgebung eines Vorhabens. Die Umgebungs- und die Gebietsalternative sichern die bestehenden Nutzungen vor unzumutbaren Störungen und Belästigungen. Grundsätzlich ergibt sich dabei die Zumutbarkeitsgrenze aus dem jeweiligen gebietsspezifischen Störgrad. Lediglich soweit sich die Belästigungen und Störungen auf eine gebietswidrige, aber bestandskräftige Nutzung auswirken, die ein niedrigeres Störniveau als die maßgebliche Gebietsvorschrift aufweist, kann sich die Zumutbarkeit nicht nach dem gebietsspezifischen Störgrad richten.In diesen Fallkonstellationen ist die Grenze des Zumutbaren durch Abwägung der Rechtspositionen zu ermitteln, die sich einerseits aus dem Bestandsschutz und andererseits aus der Gebietsvorschrift ergeben. Dabei wirken sich insbesondere die in Art. 14 Abs. 1 GG enthaltene Grenze für die Einschränkung der baurechtlich-nutzungsrechtlichen Rechtsposition sowie die in § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BauGB und Art. 2 Abs. 2 GG normierten Grenzen für die Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzer auf die rechtliche Komponente der Zumutbarkeit aus. Die dritte Alternative des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO dient zunächst dem Schutz des geplanten Vorhabens vor unzumutbaren Störungen und Belästigungen, die von den bereits vorhan-

8. Kapitel: Zusammenfassung

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denen Nutzungen ausgehen. Eine drittschützende Wirkung entfaltet die Alternative dabei insoweit, als sie auch die bestehenden Nutzungen vor Einschränkungen schützt, die bei Zulassung des Vorhabens zu erwarten sind. Solche Fallkonstellationen sind zum einen bei den Dorfgebieten gem. § 5 BauNVO gegeben, bei denen die Auswirkungen der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungen die anderen zulässigen Nutzungen unzumutbar belästigen und stören können. Der Störgrad des Baugebiets, der die gesetzlich angeordnete Rücksichtnahme auf die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe berücksichtigt, bestimmt die zulässigen Störungen und Belästigungen der Land- und Forstwirtschaftsbetriebe und markiert damit auch die Zumutbarkeitsgrenze. Zum anderen erfaßt die dritte Alternative des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO die Störkonflikte zwischen den gebietswidrigen, aber bestandsgeschützten Nutzungen und geplanten Vorhaben. Die Grenze der Zumutbarkeit ist hier in gleicher Weise zu bestimmen wie bei Störkonflikten mit den bestandsgeschützten Nutzungen in den ersten beiden Alternativen des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Die Alternativen des Absatzes 2 Satz 2 entfalten insgesamt einen partiell-konkreten Drittschutz, wenn bei Genehmigung eines Vorhabens die jeweilige Zumutbarkeitsgrenze überschritten wird. Auf die subjektive Rechtsverletzung können sich aber nur diejenigen berufen, die durch die Zulassung des Vorhabens tatsächlich beeinträchtigt sind. 8. Der in den Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung enthaltene Nachbarschutz ist grundsätzlich bundesrechtlich begründet und hängt daher in seiner Entstehung nicht vom Willen des Ortsgesetzgebers ab. Der Verordnungsgeber hat in den Gebietsvorschriften der §§2-11 BauNVO den von Art. 14 Abs. 1 GG und § 1 Abs. 6 BauGB geforderten Ausgleich der individuellen Nutzungsinteressen normiert, der den Drittschutzcharakter der Vorschriften begründet. Das gilt auch für die §§ 12-14 BauNVO, die als allgemeine Ergänzung der Gebietsvorschriften Bestandteil des Gesamtgebietsausgleichs sind. Schließt der Ortsgesetzgeber ausdrücklich den Drittschutz für eine Festsetzung nach §§ 2-14 BauNVO aus, so verstößt er gegen den bundesrechtlich festgelegten Drittschutzcharakter der Ermächtigungen. Die Festsetzung ist damit nichtig, weil der Ortsgesetzgeber seine Satzungsbefugnis aus Art. 28 Abs. 2 GG überschreitet. Die Regelungen der Art der baulichen Nutzungen der BauNVO gehören zum gesetzlichen Rahmen der gemeindlichen Satzungsbefugnis nach Art. 28 Abs. 2 GG und bestimmen damit nicht nur objektive, sondern auch subjektive Schranken der Satzungsautonomie. Der bundesrechtlich geforderte Nachbarschutz geht jedoch nur soweit, als er auch zwingend in den Vorschriften der §§ 2-14, 15 BauNVO vorgeschrieben ist.

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2. Teil: Der Drittschutz in der BauNVO

Zwingend vorgeschrieben ist der drittschützende Charakter des in den Gebietsvorschriften normierten Gesamtgebietsausgleichs, der sich in den Wesensmerkmalen des Baugebiets konkretisiert. Diesen subjektiven Regelungsgehalt muß der Ortsgesetzgeber auch bei den Gestaltungsmöglichkeiten des § 1 Abs. 4-9 BauNVO beachten, so daß der abstrakt-generelle Drittschutzcharakter der Gebietsfestsetzung bestehen bleibt. Der einzelnen Gebietsgestaltung nach § 1 Abs. 4-9 BauNVO kommt darüber hinaus ein bundesrechtlich vorgeschriebener Drittschutz zu, soweit dadurch der Gesamtgebietsausgleich der Nutzungsinteressen konkretisiert wird. 9. Die Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung vermitteln auch über § 34 Abs. 2 BauGB einen abstrakt-generellen Nachbarschutz wie bei einer Gebietsfestsetzung im Bebauungsplan. Der Verweis auf die §§ 2-9, 12-14 BauNVO dient nicht nur dem öffentlichen Interesse der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung für die Zulässigkeit von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich. Der Gesetzgeber hat mit § 34 Abs. 2 BauGB als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im unbeplanten Innenbereich zugleich den von Art. 14 Abs. 1 GG geforderten Ausgleich auch der individuellen Nutzungsinteressen vorgenommen. § 34 Abs. 2 BauGB sichert die tatsächliche Eigenart der Umgebung, die einem Baugebiet der BauNVO entspricht, durch den Verweis auf die entsprechende Gebietsvorschrift wie bei einer Festsetzung im Bebauungsplan. Dadurch bestimmt der Gesetzgeber einen mit den Gebietsfestsetzungen identischen Ausgleich der Nutzungsinteressen. Im Verweis auf die Gebietsvorschriften liegt damit die drittschutzauslösende Bestimmung des Ausgleichs von Individualinteressen. Die Zulassung gebietsfremder und gebietsverändernder Vorhaben verletzt wie bei den §§ 2-9, 12-14 BauNVO als Festsetzung im Bebauungsplan das über § 34 Abs. 2 BauGB vermittelte subjektive Recht aller Regelungsbetroffenen. Auch im unbeplanten Innenbereich besteht bei der Zulassung gebietsfremder und gebietsverändernder Vorhaben die Möglichkeit einer (schleichenden) Umgebungsveränderung, die zum Geltungsverlust der Gebietsvorschrift über § 34 Abs. 2 BauGB führt, wenn die tatsächliche Umgebung nicht mehr der Gebietsvorschrift entspricht. Aufgrund der Unanwendbarkeit der Gebietsvorschrift verlieren alle Regelungsbetroffenen gleichermaßen die über § 34 Abs. 2 BauGB vermittelte subjektive Rechtsposition. Diese Gleichstellung von faktischen und geplanten Baugebieten in ihrer subjektivrechtlichen Wirkung ist zudem in der identischen bodenrechtlichen Verflechtung der Grundstücke begründet.

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