128 36 25MB
German Pages 320 Year 1997
THOMAS WELLENHOFER
Der Beitrag der EG-Regionalpolitik zur Verringerung der Einkommensdisparitäten in der Europäischen Union
Abhandlungen zur Nationalökonomie Herausgegeben von Professor Dr. Karl-Dieter Griiske in Zusammenarbeit mit den Professoren Dr. Wolfgang Harbrecht, Dr. Joachim Klaus, Dr. Wemer Lachmann, Dr. Manfred Neumann
Band 6
Der Beitrag der EG-Regionalpolitik zur Verringerung der Einkommensdisparitäten in der Europäischen Union Eine empirische Analyse
Von
Thomas Wellenhofer
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme WeUenhofer, Thomas: Der Beitrag der EG-Regionalpolitik zur Verringerung der Einkommensdisparitäten in der Europäischen Union : eine empirische Analyse / von Thomas Wellenhofer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Abhandlungen zur Nationalökonomie; Bd. 6) Zug1.: Erlangen, Nümberg, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-086826-0
n2 Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0947-4595 ISBN 3-428-08626-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
9
Vorwort Die vorliegende Arbeit meines langjährigen wissenschaftlichen Mitarbeiters
Dr. Thomas Wellenhofer befaßt sich mit dem Beitrag der EG-Regionalpolitik
zur Verringerung der Einkommensdisparitäten in der Europäischen Union. Zwanzig Jahre nach Gründung des Europäischen Regionalfonds EFRE im Jahr 1975 und dem Beginn einer aktiven europäischen Regionalpolitik hat sich die Regionalpolitik der Europäischen Union gemessen am Haushaltsvolumen mit Abstand zur wichtigsten Gemeinschaftspolitik neben der gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union entwickelt. Im Jahr 1996 stellte die Gemeinschaft im Rahmen ihrer verschiedenen Strukturfonds einschließlich dem 1992 gegründeten Kohäsionsfonds über 27 Mrd. ECU oder mehr als 52 Mrd. DM, das sind rund 33 % ihrer gesamten Haushaltsmittel, zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur in der Europäischen Union zur Verfügung mit dem Ziel, "die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenden Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete, einschließlich der ländlichen Gebiete, zu verringern." (Art. 130 a EGV) Schon der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 wurde gemäß seiner Präambel nicht nur in dem festen Willen geschlossen, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen, sondern auch in dem Bestreben, ihre Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische Entwicklung zu fördern, indem sie den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringern. Obwohl also die Europäische Gemeinschaft von Anfang an neben ihren sonstigen Zielen auch eine regionale Angleichung der Lebensverhältnisse anstrebte, glaubte man ursprünglich, auf eine aktive europäische Regionalpdlitik verzichten zu können. Man vertraute damals vielmehr darauf, daß die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes mit freiem Güter- und Dienstleistungsverkehr, Niederlassungsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit und freiem Kapitalverkehr schon allein ausreichen würde, eine regionale Angleichung der Faktorpreise und damit der Einkommen und der Lebensverhältnisse zu bewirken. Erst als man feststellte, daß diese Erwartungen durch den Integrationsprozeß nicht erfüllt wurden, tauchte zunehmend stärker die Forderung nach einer aktiven europäischen Regionalpolitik auf.
6
Vorwort
Die europäische Regionalpolitik wurde schließlich Anfang der siebziger Jahre im Zusammenhang mit der Planung einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion beschlossen. Allerdings führte sie zunächst lange Jahre ein Schattendasein, nachdem der erste Versuch zur Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion Anfang der siebziger Jahre gescheitert war. Erst seit Mitte der achtziger Jahre steigen die Ausgaben der Europäischen Union für regional- und strukturpolitische Maßnahmen stark an. Angesichts dieser Entwicklung liegt es nahe zu untersuchen, ob und in welchem Umfang die Strukturhilfen im Rahmen der Regionalpolitik der Europäischen Union seither zu einer regionalen Angleichung der Lebensverhältnisse in der Europäischen Union beitragen. Diese Fragestellung ist der Kern der vorliegenden Arbeit von Herrn Dr. Wellenhofer. Empirische Untersuchungen zur Wirksamkeit der Regionalpolitik der Europäischen Union wurden zwar auch schon in der Vergangenheit durchgeführt, doch sind die meisten von ihnen älteren Datums und betreffen Zeiträume, in denen die Mittel für die EG-Regionalpolitik noch wesentlich knapper waren als heute und die Politik im wesentlichem vom ,.zahl-ein-hol-zurück-Prinzip" bestimmt war. Außerdem waren alle Studien der Vergangenheit zeitpunktbezogen, d. h. sie verglichen jeweils nur die Entwicklung zwischen zwei Zeitpunkten. Demgegenüber reicht die vorliegende Untersuchung nicht nur bis in die jüngste Vergangenheit, sondern betrachtet auch die Entwicklung der regionalen Einkommensentwicklung über den gesamten Zeitraum seit Einführung der EGRegionalpolitik hinweg. Außerdem wird in der Arbeit ein Analyseinstrumentarium entwicklelt, um herauszufinden, ob Veränderungen der regionalen Einkommensdisparitäten in der Europäischen Union auf Entwicklungen innnerhalb der Mitgliedstaaten oder auf zwischenstaatliche Entwicklungstendenzen zurückzuführen sind.
In seiner Arbeit gelangt Herr Dr. Wellenhofer zu folgenden Kernergebnissen: 1. Im Analysezeitraum 1975 - 1992 läßt sich bei den Nominaleinkommen durchweg eine Verringerung der Disparitäten festellen.
2. Führt man die Disparitätenanalyse jedoch auf der Basis von Kaufkraftstandards (KKS) durch, so läßt sich zwischen den verschiedeJ:len Regionen der Europäischen Union so gut wie keine reale Angleichung der Lebensverhältnisse feststellen. 3. Allerdings haben sich im Betrachtungszeitraum sowohl die Nominaleinkommen als auch die Realeinkommen zwischen den Mitgliedstaaten verringert, während sie sich innerhalb der Mitgliedstaaten tendenziell vergrößert haben.
Vorwort
7
Mit diesen Kemergebnissen wird in der vorliegenden Arbeit erstmals auf Zusammenhänge und Entwicklungstendenzen hingewiesen, die bislang in der Literatur nicht vorzufinden sind. Ich wünsche der Arbeit die ihr gebührende Beachtung.
Nümberg, im November 1996
Wolfgang Harbrecht
Inhaltsübersicht A. Problemstellung und Aufbau der Arbeit ..... ........... ........... .......... ......... ............... 23 B. Darstellung und Beurteilung der Entwicklung und des aktuellen Systems der Europäischen Regionalpolitik.. ........................................... ..................... ............. 30 I. Die regionalpolitische Lage nach dem Gründungsvertrag.............................. 30 II. Die Phase der Entstehung einer Europäischen Regionalpolitik...................... 33 III. Die ursprüngliche Konzeption des Regionalfonds von 1975......................... 44 IV. Die erste Umgestaltung des EFRE von 1979 ................................................. 50 V. Die zweite Umgestaltung des EFRE von 1984 ............................................... 57 VI. Die Reform der Regionalpolitik durch. die Einheitliche Europäische Akte (EEA) von 1987 ..... ............ .............................................. ......... ..................... 64 VII. Die Ergänzung des regionalpolitischen Instrumentariums durch die Maastrichter Verträge......... ....................... ........................ ..................... ................ 96 VIII. Die Überarbeitung der Strukturfondsreform von 1993 ................................... 106 IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft ............................. 116 X. Zusammenfassende Bewertung des regionalpolitischen Instrumentariums der Gemeinschaft ............................................................................................ 160 C. Die Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels ......................................... 175 I. Probleme der Operationalisierung des regionalpolitischen Ausgleichszie1s
175
11. Übersicht über bereits durchgeführte Disparitätenanalysen ........................... 192 III. Empirische Untersuchung der Entwicklung der Disparitäten in der Europäischen Gemeinschaft ................................................................................... 203 IV. Ergebnisse der Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels .................. 245 D. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick ................................................ 248 Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 253 Anhang ......................................................................................................................... 273
Inhaltsverzeichnis A. Problemstellung und Aufbau der Arbeit ............................................................. 23
B. Darstellung und Beurteilung der Entwicklung und des aktueUen Systems der Europäischen Regionalpolitik.... ..... ...... ...... ............. .... .... ... .... ......... .... ........... ...... 30 I. Die regionalpolitische Lage nach dem Gründungsvertrag .... .................... ...... 30 1. Die Bestimmungen des EWGV .................................................................. 30
2. Bewertung der regionalpolitischen Bestimmungen des Gründungsvertrages ............................................................................................................... 31 11. Die Phase der Entstehung einer Europäischen Regionalpolitik...................... 33 1. Die Anstrengungen der Kommission und des Europäischen Parlaments zur Etablierung einer Europäischen Regionalpolitik .................................. 33 2. Bewertung der Ursachen für die Errichtung des Regionalfonds .... ............. 42 III. Die ursprüngliche Konzeption des Regionalfonds von 1975 ......................... 44 1. Die Einrichtung des Fonds und seine Ausstattungsmerkmale .......... .......... 44
2. Bewertung der Regionalfondsverordnung von 1975 .................................. 46 IV. Die erste Umgestaltung des EFRE von 1979................................................. 50 1. Die Verbesserungs vorschläge der Kommission................ .................. ........ .50
2. Die Merkmale der Regionalfonds-Verordnung von 1979 ............ .............. 51 3. Bewertung der Regionalfonds-Reform von 1979 ....................................... 54 V. Die zweite Umgestaltung des EFRE von 1984 ............................................... 57 1. Die Merkmale der Regionalfonds-Verordnung von 1984 .......................... 57
2. Bewertung der Fondsverordnung von 1984................................................ 63 VI. Die Reform der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA) von 1987 ........... ............... ........... ............... ......... ......... ......... .............. 64 1. Die grundlegende Konzeption der Reform ................................................. 64
12
Inhaltsverzeichnis 2. Die Konzentration der Strukturfondsmittel auf fünf vorrangige Ziele........ 68 3. Der Grundsatz der Partnerschaft zwischen Kommission und Mitgliedstaaten ............................................................................................................... 72 4. Das Interventionsverfahren......................................................................... 73 a) Die Regionalen Entwicklungsprogramme............................................... 73 b) Die Gemeinschaftlichen Förderkonzepte .. ................................ ........ ...... 74 c) Die Interventionsformen ......................................................................... 75 d) Die Begleitung und Bewertung der Aktionen ................................ ......... 78 e) Die Mitwirkung von Ausschüssen bei der Umsetzung der neuen Strukturfonds-Verordnungen............... .................... ...... .................................. 80 f) Die Einrichtung von Gemeinschaftsinitiativen ............................ ........... 81
5. Die Bewertung der Strukturfondsreform .................................................... 83 6. Die Einbeziehung Ostdeutschlands ............................................................ 95 VII. Die Ergänzung des regionalpolitischen Instrumentariums durch den Maastrichter Vertrag ....... ........... ............. ........... .......... .......... ............. ...... ........ ...... 96 1. Der Inhalt des Maastrichter Vertrags und seine Konkretisierung .... ........... 96 2. Bewertung des Maastrichter Vertrags ......................................................... 101 VIII. Die Überarbeitung der Strukturfondsreform von 1993 .................................. 106
1. Merkmale der Strukturfondsreform von 1993 ............................................ 106 2. Die Weiterentwicklung des Instruments der Gemeinschaftsinitiativen ....... 112 3. Bewertung der Strukturfondsüberarbeitung von 1993 ................................ 113 IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft ............................. 116 1. Der Europäische Ausgleichs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), Abteilung Ausrichtung .............................................................. 116 2. Der Europäische Sozialfonds (ESF) ... :....................................................... 120 3. Die Europäische Investitionsbank (EIB) .................................................... 122 4. Das Neue Gemeinschaftsinstrument (NGI)., ............................................... 126 5. Das Beihilfenaufsichtsrecht der Gemeinschaft ........................................... 128 a) Begründung und Grundsätze des Beihilfenaufsichtsrechts ..................... 128
Inhaltsverzeichnis
13
b)Das grundsätzliche Verbot wettbewerbsverflilschender Beihilfen und seine Voraussetzungen ............................................................................ 129 aa)Vorliegen einer Beihilfe ..................................................................... 130 bb) Beihilfegewährung durch den Staat oder aus staatlichen Mitteln ..... 131 cc) Selektion der Empfänger bei der Beihilfevergabe ............................ 132 dd) Beihilfevergabe an Unternehmen oder Produktionszweige .............. 132 ee)Vorliegen einer Wettbewerbsverflilschung ........................................ 133 ft) Handelsbeeinträchtigung zwischen Mitgliedstaaten .......................... 134
c) Für die Regionalpolitik relevante Ausnahmen vom grundsätzlichen Beihilfeverbot ......................................................................................... 135 d) Die Anwendung der Beihilfenaufsicht durch die Kommission ............... 138 aa)Die Koordinierungsgrundsätze .......................................................... 138 bb) Das Beihilfeaufsichtsverfahren nach Art. 93 EGV ........................... 141 e) Beurteilung der Entwicklung der Beihilfenaufsichtspolitik der Kommision ......................................................................................................... 146 6. Die Koordinierung nationaler und gemeinschaftlicher Politikbereiche ...... 151 a) Begründung und Systematik der Koordinierung ..................................... 151 b)Vertikale Koordinierung der allgemeinen Wirtschaftspolitik ................. 152 c) Vertikale Koordinierung der Regionalpolitiken...................................... 155 d) Horizontale Koordinierung ..................................................................... 159 X. Zusammenfassende Bewertung des regionalpolitischen Instrumentariums der Gemeinschaft ............................................................................................ 160 1. Bedeutung der gemeinschaftlichen Regionalpolitik ................................... 160 2. Begründung der gemeinschaftlichen Regionalpolitik ................................. 166 3. Kritik der gemeinschaftlichen Regionalpolitik ........................................... 170 a) Ein Finanzausgleichssystem als Alternative zum gegenwärtigen regionalpolitischen System ............................................................................. 170 b) Kritik am bestehenden regionalpolitischen System ................................ 172
c. Die Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels ......................................... 175 I. Probleme der Operationalisierung des regional politischen Ausgleichsziels ... 175
14
Inhaltsverzeichnis
1. Das Problem der Verfügbarkeit von Daten ................................................. 176 2. Das Problem der Indikatorwahl .................................................................. 177 3. Probleme der Wahl einer geeigneten Merkmalsausprägung für den Indikator zur Messung des regionalen Ausgleichsziels ..................................... 182 4. Das Problem der räumlichen Abgrenzung .................................................. 185 5. Das Problem der zeitlichen Abgrenzung .................................................... 189 6. Anforderungen an die Verfahren zur Messung der Regionaldisparitäten
191
11. Übersicht über bereits durchgeführte Disparitätenanalysen ........................... 192 III. Empirische Untersuchung der Entwicklung der Disparitäten in der Europäischen Gemeinschaft ..................................: ..................................................... 203 1. Die p-Quantile als Lagemaßzahlen ............................................................. 204 a) Die Konstruktion von p-Quantilen .......................................................... 204 b)Ergebnisse der Quantilsmethode ............................................................. 206 2. Die Streuungsmaßzahlen ............................................................................ 212 a) Der Begriff der Streuung......................................................................... 212 b)Die Konstruktion von Streuungsmaßzahlen ............................................ 213 c) Maßzahlen der Streuung ......................................................................... 215 aa) Die Varianz ....................................................................................... 215 bb) Der Variationskoeffizient ................................................................. 216 cc) Ergebnisse des gewichteten Variationskoeffizienten ........................ 219 dd) Der Theil-Index ................................................................................ 223 ee) Die Varianzzerlegung ....................................................................... 228 ff) Ergebnisse der Varianzzerlegung ..................................................... 232
gg) Ergebnisse des Theil-Indexes iß) Vergleich ...................................... 243 IV. Ergebnisse der Messung des regional politischen Ausgleichsziels .................... 245
D_ Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick ~ ............................................... 248 Literaturverzeichnis ................................................................................................ 253 Anhang 1 ................................................................................................................. 273 Anhang 2 ................................................................................................................. 279
Inhaltsverzeichnis
15
Anhang 3 ................................................................................................................. 313
Anhang 4 ................................................................................................................. 315
Tabellenverzeichnis Tab. 1: EFRE-Länderquoten (1975 bis 1977, in Prozent) ......................................... 45 Tab. 2: EFRE-Länderquoten der quotierten Abteilung (1979 bis 1984, in Prozent). 53 Tab. 3: Beteiligungsspannen des EFRE (ab 1985, in Prozent) .................................. 62 Tab. 4: Mittelausstattung der drei Strukturfonds in Verpflichtungsermächtigungen (1987 bis 1993, in Mrd. EeU) ...................................................................... 66 Tab. 5: Aufteilung von 85% der Verpflichtungsermächtigungen des EFRE auf die Mitgliedstaaten (in Prozent) .......................................................................... 67 Tab. 6: Bevölkerungsanteile in vom EFRE geförderten Regionen in einzelnen Mitgliedstaaten vor und nach der Strukturfondsreform.......... ..... ...... ... ......... 92 Tab. 7: Mittelausstattung der Strukturfonds in Verpflichtungsermächtigungen (1994 bis 1999, in Mrd. EeU) ...................................................................... 109 Tab. 8: Anteil der in den Fördergebieten der Strukturfonds lebenden Bevölkerung der Mitgliedstaaten (in Prozent) .................................................................... 115 Tab. 9: Umfang und Entwicklung des EG-Haushalts und der Regionalausgaben (1975 bis 1995) ............................................................................................. 165 Tab. 10: Mittelbindungen des EFRE und der übrigen Strukturfonds in den Ziel Nr. I-Regionen (1989,1993, 1999) .................................................................... 166 Tab. 11: Amtliche deutsche Bezeichnung und gemeinschaftsweite Anzahl der Gebiete der verschiedenen NUTS-Ebenen......................................................... 188 Tab. 12: Von der Kommission veröffentlichte Untersuchungen zur Entwicklung der Disparitäten ................................................................................................... 195 Tab. 13: 10%-,25%-,50%- und 75%-Einkommensquantile (1975 bis 1992, gemessen in EeU) ................................................................................................... 207 Tab. 14: 25%-, 50%- und 75%-Einkommensquartile in der EG 9 (1950 bis 1970, gemessen in US-$) ........................................................................................ 209 Tab. 15: 10%-,25%-,50%- und 75%-Einkommensquantile (1975 bis 1992, gemessen in KKP) ................................................................................................... 211
Tabellenverzeichnis
17
Tab. 16: Gewichteter Variationskoeffizient des Einkommens (1975 bis 1992, gemessen in EeU) ............................................................................................ 220 Tab. 17: Gewichteter Variationskoeffizient des Einkommens (1975 bis 1992, gemessen in KKP) ............................................................................................ 222 Tab. 18: Varianzzerlegung für EG 12 (1975 bis 1992, gemessen in EeU) ................. 234 Tab. 19: Varianzzerlegung für EG 10 (1975 bis 1992, gemessen in EeU) ................. 235 Tab. 20: Varianzzerlegung für EG 9 (1975 bis 1992, gemessen in EeU) ................... 236 Tab. 21: Varianzzerlegung für EG 6 (1975 bis 1992, gemessen in ECU) ................... 237 Tab. 22: Varianzzerlegung für EG 12 (1975 bis 1992, gemessen in KKP) ................. 239 Tab. 23: Varianzzerlegung für EG 10 (1975 bis 1992, gemessen in KKP) ................. 240 Tab. 24: Varianzzerlegung für EG 9 (1975 bis 1992, gemessen in KKP) ................... 241 Tab. 25: Varianzzerlegung für EG 6 (1975 bis 1992, gemessen in KKP) ................... 242 Tab. 26: Ergebnisse der Streuungszerlegung beim Theil-Index (in Klammem: gewichteter Variationskoeffizient) .................................................................... 244
2 WeUenhofer
Abkürzungsverzeichnis AbI.
Amtsblatt
BIP
Bruttoinlandsprodukt
EAGFL
Europäischer Ausgleichs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft
Eeu
European Currency Unit, Europäische Währungseinheit
EEA
Einheitliche Europäische Akte
EFRE
Europäischer Fonds für regionale Entwicklung
EFfA
European Free-Trade Association
EG
Europäische Gemeinschaften
EG 12
Europäische Gemeinschaften der Zwölf (seit 1.1.1986)
EG 10
Europäische Gemeinschaften der Zehn (seit 1.1.1981)
EG9
Europäische Gemeinschaften der Neun (seit 1.1.1973)
EG6
Europäische Gemeinschaften der Sechs (seit 1.1.1958)
EGKS
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGKSV
Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGV
Vertrag über die Europäische Gemeinschaft
EIB
Europäische Investitionsbank
ERB
Europäische Rechnungseinheiten
ESF
Europäischer Sozialfonds
Eurostat
Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften
EUV
Vertrag über die Europäische Union
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
F
Formel
KKP
Kaufkraftparitäten
Abkürzungsverzeichnis NGI
Neues Gemeinschaftsinstrument
NUTS
Systematik der Gebietseinheiten in der EU
RE
Rechnungseinheiten
Regio
Regionaldatenbank von Eurostat
Tab.
Tabelle
Var. int.
interne Varianz
Var. ext.
externe Varianz
VKint
interner Variationskoeffizient
VKext
externer Variationskoeffizient
va
Verordnung
WWU
Wirtschafts- und Währungsunion
2*
19
Symbolverzeichnis
D
Dezil
H
Entropie Merkmalsträger Bevölkerung der i-ten Region Bevölkerungszahl im rn-ten Land gesamte Bevölkerung Anzahl der Beobachtungswerte
n
Anzahl der Beobachtungswerte im rn-ten Land Anzahl der gesamten Beobachtungswerte p
Anteil einer Verteilung
PI
Häufigkeiten von Merkmalsausprägungen
Q
Quantil Gruppe der Regionen im rn-ten Land Varianz der Beobachtungswerte im rn-ten Land 2
0' ges
Varianz der gesamten Beobachtungswerte gewichtete Varianz der Beobachtungswerte im rn-ten Land gewichtete Varianz der gesamten Beobachtungswerte
T
Theil-Index
Symbolverzeichnis
v
Varianz
VK
Variationskoeffizient gewichteter Variationskoeffizient gesamte Merkmalssumme Einkommen der Region i bzw. i-ter Beobachtungswert Einkommen im m-ten Land gesamtes Einkommen arithmetisches Mittel der Einkommen der Regionen i gewogenes Durchschnittseinkommen im m-ten Land gewogenes gesamtes Durchschnittseinkommen
xIMT
(absoluter) Beitrag eines Merkmalsträgers zu der Merkmalssumme Mittelwert der gewichteten Beobachtungswerte im m-ten Land Mittelwert der gesamten gewichteten Beobachtungswerte Anteil der Region i am EG-Gesamteinkommen Anteile einzelner Merkmalsträger an der Merkmalssumme
21
A. Problemstellung und Aufbau der Arbeit Mit Unterzeichnung des Vertrages zur Errichtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) durch die sechs Gründungsstaaten Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande 1957 in Rom wurde der mit dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKSV) 1951 in Gang gesetzte Prozeß der ökonomischen Integration Europas weiter gefestigt. Durch den EWGV wurde im Gemeinschaftsgebiet eine Zollunion geschaffen und die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes grundgelegt. Bis Mitte der achtziger Jahre bestimmten die Erweiterungen der Gemeinschaft um Dänemark, Irland, das Vereinigte Königreich (1973), Griechenland (1981) und Portugal und Spanien (1986) das Bild der europäischen Integration, die Integrationsvertiefung dagegen machte keine wesentlichen Fortschritte. In den achtziger Jahren entstand vielmehr eine ausgesprochene Europamüdigkeit, hervorgerufen durch die zunehmende Opferung der Integrationsidee zugunsten von nationalen Egoismen, die schwindende und daher immer weniger integrationsfördemd wirkende Bedrohung aus dem Osten, das nach der Süderweiterung auftretende Entwicklungsgefälle zwischen den reicheren Industriestaaten im Norden und den änneren Mittelmeeranrainerstaaten, 1 die langwierigen und ineffizienten Verfahren zur Beschlußfindung im Rat und die geringen Kompetenzen des Europäischen Parlaments. Erst mit der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) 1986 in Luxemburg wurde dem Entwicklungsprozeß der Gemeinschaft wieder ein neuer und entscheidender Impuls verliehen. Die EEA schuf die Grundlagen zur Vollendung des Binnenmarktes bis Ende 1992 und formulierte die Errichtung einer Europäischen Union als Endziel der Europäischen Integration, umfaßte aber auch BestimriJ.ungen zu Änderungen der Entscheidungsverfahren im Rat.
I Vgl. Weindl, Josef, Europäische Gemeinschaft, Institutionelles System, Binnenmarkt sowie Wirtschafts- und Währungsunion auf der Grundlage des Maastrichter Vertrages, München-WienOldenburg 1993, S. 7 f.
24
A. Problemstellung und Aufbau der Arbeit
Die wichtigste Modifikation erfuhren die Gemeinschaftsverträge durch den Anfang 1992 unterzeichneten Maastrichter Vertrag, mit dem die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion und einer Politischen Union2 beschlossen wurde. Der Phase der Integrationsvertiefung folgte 1995 die Erweiterung der Gemeinschaft um die früheren EFI'A-Staaten Österreich, Schweden und Finnland;3 fünf Jahre zuvor war im Zuge der deutschen Wiedervereinigung bereits das Gebiet der ehemaligen DDR in die Gemeinschaft eingegliedert worden. Der fortschreitende Integrationsprozeß blieb nicht ohne Auswirkung auf die Entwicklung der Regionen in der Gemeinschaft: Durch die Erweiterungen verändert sich die relative geographische Lage von Randregionen und Zentren. Dies kann deren Wettbewerbsfähigkeit beeinflussen. Der Abbau von Schranken zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten im Zuge der Vollendung des Binnenmarktes setzt die Regionen einem stärkeren Konkurrenzkampf aus, in dem Regionen mit Kosten- und Größennachteilen Markteinbußen hinnehmen müssen. Andererseits üben im Rahmen des durch den Binnenmarkteffekt hervorgerufenen Wachstumsschubes ärmere Regionen, die in Nachbarschaft zu den Wirtschaftszentren der Gemeinschaft liegen, eine starke Anziehungskraft auf Unternehmen aus, wenn sie ein ausreichendes Angebot an Fachkräften, Kommunikations- und Informationstechnologie und preiswerten Grundstücken besitzen.4 Die Einführung einer Währungsunion nimmt Ländern mit geringeren Wachturnsraten beim Produktivitätsfortschritt die Möglichkeit, diesen Nachteil durch Wechselkursabwertungen auszugleichen. Hingegen kann eine Währungsunion der regionalen Entwicklung insofern förderlich sein, als das Wechselkursrisiko beseitigt wird und damit Transaktionskosten verringert werden. s Die Integrationsvertiefung kann damit positive und negative Effekte auf unterentwickelte Regionen haben: Insgesamt sind eindeutige Aussagen über die Auswirkungen der einzelnen Stufen des Integrationsprozesses auf die Lage einzelner Regionen aber nur sehr schwer möglich. Hier kann auch die Theorie der Integration mit 2 Zur Klärung der in dieser Arbeit verwendeten Begriffe sei darauf hingewiesen, daß seit dem Inkrafttreten der Maastrichter Verträge am 1. November 1993 neben der Europäischen Union die Europäischen Gemeinschaften nach wie vor weiterbestehen; vgl. dazu auch Abschnitt B.7.1.
3
Die Bevölkerung Norwegens lehnte den Beitritt in einer Volksabstimmung ab.
V gl. Franzmeyer, Fritz, Regionalpolitische Erfordernisse für die weitere Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft, in: Konjunkturpolitik Heft 1 1972, S. 28-52, hier S. 31. 4
5 Vgl. Kommission, Wettbewerbsfähigkeit und Kohäsion, Tendenzen in den Regionen, Fünfter periodischer Bericht über die sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft, Luxemburg 1994, S. 14.
A. Problemstellung und Aufbau der Arbeit
25
ihren Ansätzen der traditionellen Außenhandels theorie, der neuen Außenhandelstheorie, der Theorie vom Wesen und Nutzen wirtschaftlicher Großräume und den Theorien dynamischer Integrationseffekte (noch) nicht weiterhelfen: Auch aus theoretischer Sicht können die von den verschiedenen Integrationsstufen ausgehenden sehr komplexen regionalen Effekte bisher nicht eindeutig bestimmt werden. 6 Trotz fehlender theoretischer Begründung wurde regionalen Fragestellungen auf europäischer Ebene seit Gründung der Wirtschaftsgemeinschaft in wachsender Intensität Aufmerksamkeit geschenkt. Im Gründungsvertrag selbst war zwar keine gemeinschaftliche Regionalpolitik vorgesehen, doch die Gemeinschaft konnte in verschiedenen Politikbereichen, so der Agrar- oder Verkehrspolitik, und im Rahmen der Tätigkeit der Europäischen Investitionsbank regionalpolitische Akzente setzen. Seit 1975 existiert der europäische Regionalfonds EFRE, mit dessen Mitteln anfangs nach festgelegten nationalen Quoten lediglich regionalpolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten unterstützt wurden. Einige Reformen in den siebziger und achtziger Jahren, vor allem infolge der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA), führten dazu, daß die EG-Regionalpolitik zu einem selbständigen und interventionistisch gehandhabten Politikbereich der Gemeinschaft wurde. Dabei nutzt die Gemeinschaft zunehmend ihr Beihilfeaufsichtsrecht nach Art. 92 ff. EGV und seit der EEA auch andere Finanzierungsinstrumente wie die beiden übrigen Strukturfonds Europäischer Sozialfonds (ESF) und Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), Abteilung Ausrichtung, und die Europäische Investitionsbank (EIß), um ihre regionalpolitischen Zielsetzungen zu verfolgen. Im Rahmen der Beschlüsse von Maastricht wurde ihr zudem ein neues regionalpolitisch wirkendes Instrument, der Kohäsionsfonds, zur Verfügung gestellt. Die steigende Bedeutung, die die Gemeinschaft regionalen Problemen beimißt, zeigt sich in der wachsenden finanziellen Ausstattung der regionalpoli-
6 Generell können bei Fragen der Integrationswirkung zwei theoretische Ansätze unterschieden werden: Die auf der klassischen bzw. neoklassischen Argumentation aufbauende Richtung ist der Auffassung, daß Disparitäten zwischen Wirtschaftsräumen mit zunehmender Integration allmählich verschwinden. Dagegen geht die zweite Richtung davon aus, daß sich durch die Existenz von unvollkommenem Wettbewerb, Skalenerträgen und externen Effekten das Regionalgefälle eher verschärft; vgl. hierzu auch Peschel, Karin, Die Wirkungen der europäischen Integration auf die Regionalentwicklung, Lehren aus der Vergangenheit, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 8/9 1989, S. 549-565, hier S. 552 ff; eine kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Integrationstheorien enthält Fisch, Gerhard, Raumwirtschaftliche Aspekte der Kohäsionspolitik vor dem Hintergrund neuer Außenhandelstheorien, in: RuR, Jg. 52 (1994), Heft 415, S. 253-260.
26
A. Problemstellung und Aufbau der Arbeit
tisch tätigen Finanzinstrumente. Die Mittel des EFRE stiegen von 1975 bis 1992 von 150 Mio. EeU auf 7.703 Mio. EeU, die der drei Strukturfonds insgesamt von 663 Mio. EeU auf 15.132 Mio. EeU.' Dies entspricht einer jährlichen Steigerung von 26,1% bzw. 20,2%. Damit wuchs der Anteil des EFRE am Gesamthaushalt der EG in diesem Zeitraum von 2,4% auf 12,3% bzw. der drei Strukturfonds von 10,7% auf 24,2%.8 Nach dem auf dem Gipfel in Edinburgh beschlossenen mittelfristigen Finanzrahmen sind für die Strukturfonds im Jahr 199927.400 Mio. EeU vorgesehen;9 dies sind 32,6% des Gesamthaushaltes. 1O Nach der Agrarpolitik (geplanter prozentualer Anteil am Gesamthaushalt 1999: 45,7%11) avanciert die Strukturpolitik zum zweitgrößten Ausgabenposten des EU-Haushalts. Auch die Erhöhung der Kreditvergabetätigkeit der Europäischen Investitionsbank von 34 Mio. EeU in 1959 über 814 Mio. EeU in 1975 auf 17.725 Mio. EeU in 1993 unterstreicht diese Entwicklung. 12 Der Aufstieg des regional ausgerichteten Politikbereiches legt die Frage nach dem Erfolg dieser Anstrengungen nahe. In vielen Abhandlungen über die EGRegionalpolitik wird ihre Wirkungslosigkeit beklagt,13 ohne daß dies z. T. ge-
, Vgl. Franzmeyer, Fritz, Seidel, Bemhard, Weise, Christian, Die Refonn der EGStrukturfonds von 1988, Konzeption, Umsetzung, Weiterentwicklung aus deutscher Sicht, Berlin 1993, S.27; die Zahlen beziehen sich auf Verpflichtungsermächtigungen des EG-HaushaltS. Zu den tatsächlich erfolgten Zahlungen vgl. Abschnitt B.l 0.1. 8 Der Gesamthaushalt urnfaßt hierbei nicht den Verwaltungshaushalt der EGKS und den Europäischen Entwicklungsfonds. 9
Vgl. VO Nr. 2081193 vom 20.7.1993, Anhang 11, in: AbI. Nr. L 193, S. 19.
10 Schließt man den Kohäsionsfonds in die Betrachtungen mit ein, so ergibt sich sogar ein Anteil von 35,7% der Strukturausgaben an den Verpflichtungsennächtigungen; vgl. Europäische Kommission, Fünfter periodischer Bericht, S. 125 f.
11 Vgl. Europäische Kommission, Fünfter periodischer Bericht, S. 126. 12 Vgl. Europäische Investitionsbank, Jahresberichte, Luxemburg, verschiedene Jahrgänge. 13 Vgl. Albrecht, Wilma, Faber, Paul, Regionalpolitik in der EG, Zur Tätigkeit des Europäi-
schen Regionalfonds und des Ausschusses für Regionalpolitik, Ein Zwischenbericht, in: Politische Vierteljahreszeitschrift, Jg.24 (1983), Heft 2, S.203-217, hier S. 216; Nam, Chang Woon, Die Bedeutung der Maastrichter Beschlüsse für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der EG, in: IFO-Schnelldienst, Heft 17/18 1992, S.32-34, hier S. 32; Kanetakis, Michael, Entwicklungspolitik in den rückständigen Regionen der Europäischen Gemeinschaft unter besonderer Berücksichtigung Griechenlands, DisS. Marburg 1981, S. 9; Not, Claus, Wo sind 19,5 Milliarden DM geblieben?, in RuR, Jg. 41 (1983), Heft 1/2, S. 15-20, hier S. 17.
A. Problemstellung und Aufbau der Arbeit
27
nauer belegt wird. Der Erfolg einer Politik kann aber nur dann sinnvoll überprüft werden, wenn man untersucht, inwieweit diese ihre Ziele erreicht hat. 14 Das regionalpolitische Oberziel der Gemeinschaft unterlag seit 1957 keiner wesentlichen Veränderung: Schon die Signatarstaaten setzten sich das regionalpolitische Ziel, "den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete (zu) verringem"I~. Auch die erste RegionalfondsVerordnung sah das Ziel ihrer Tätigkeit darin, "die wichtigsten regionalen Ungleichgewichte in der Gemeinschaft zu korrigieren"16. Bei der Änderung der Gemeinschaftsverträge durch die EEA 1986 wurde schließlich das bekannte regionale Ausgleichsziel der· Gemeinschaft mit dem Begriff des "wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes" bezeichnet und als eigener Titel in den EWGV aufgenommen. Bezüglich der Erfolgskontrollen im Bereich der Regionalpolitik kann man unterscheiden in Vollzugskontrollen, Wirkungskontrollen und Zielerreichungskontrollen. 17 Bei sämtlichen Erfolgskontrollen der europäischen Regionalpolitik taucht das Problem auf, daß sie auf von den zuständigen EG-Behörden veröffentlichte Daten angewiesen sind. Vollzugskontrollen untersuchen, ob die vorgesehenen Mittel unter administrativen Gesichtspunkten plangerecht eingesetzt wurden. Derartige Überprüfungen von Maßnahmen vor Ort werden von der Kommission stichprobenartig durchgeführt. IB Daneben finden ständige Kontrollen des Rechnungshofes der EG statt. Vollzugskontrollen können einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung von Durchführungsproblemen bei einzelnen Projekten leisten, nicht aber den Erfolg einer Regionalpolitik insgesamt ermitteln. 14 Vgl. Lanuners, Konrad, Ansatzpunkte für eine Neuorientierung der Regionalpolitik, Die Bund-Länder-Regionalförderung, Ziele, Ansatzpunkte, ökonomische Problematik, in: Weltwirtschaft 1987, Heft 1, S. 61-81, hier S. 72. I~ Vgl. EWGV, Präambel.
16 Vgl. VO Nr. 724n5 vom 21.3.1975, Art. I, in: AbI. Nr. L 73, S. 2. 17 Vgl. Spehl, Harald et al., Regionale Wirtschaftspolitik und regionale Entwicklungsplanung,
Bonn 1981, S. 23; vgl. ähnlich Frey, Ren6, Verfahren der regionalpolitischen Erfolgskontrolle, in: Sektoralpolitik versus Regionalpolitik, Grüsch (Schweiz) 1985, S. 25-42; Costa-Schott, Maria do Rosl1rio, Raumwirksamkeit regionalpolitischer Maßnahmen, insbesondere der EG-Regionalpolitik, Das Beispiel der Region Kalabrien (Italien) und die Übertragung von Erfahrungen auf die Region Alentejo (portugal), Frankfurt 1986, S. 111 ff.
IB Vgl. Kommission, Europäischer Fonds für regionale Entwicklung, Vierzehnter Jahresbericht (1988) der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brtlssel-Luxemburg 1990, S. 59.
28
A. Problemstellung und Aufbau der Arbeit
Wirkungskontrollen überprüfen, inwieweit eine Zielerreichung durch die eingesetzten Maßnahmen bewirkt wird bzw. welchen Beitrag eine bestimmte Maßnahme zur Zielerreichung bringt. 19 Dazu ist ein theoretisches Konzept nötig, das auch in der Lage sein muB, die von der Regionalpolitik induzierten Prozesse von autonomen Entwicklungen zu trennen. 20 Zur Durchführung von Wirkungsanalysen können verschiedene Verfahren verwendet werden: Berechnungen mit Hilfe von ökonometrischen Modellen oder Makrosimulationen benötigen hochdifferenziertes Datenmaterial über verschiedene volkswirtschaftliche KenngröBen, um die Simulations zusammenhänge und Auswirkungen der einzelnen Faktoren überprüfen zu können. 21 Weiterhin kann das Kontrollgruppenverfahren angewandt werden. Hierbei soll eine Gegenüberstellung von tatsächlicher - also von der Politik beeinfluBter - Entwicklung und hypothetischer - also von der Politik nicht beeinfluBter - Entwicklung erreicht werden. Der hypothetischen Entwicklung kann entweder ein Entwicklungsmuster zugrundegelegt werden, das den gleichen Wirtschaftsraum vor Anwendung der regionalpolitischen Maßnahme charakterisiert oder aber die Betrachtung eines vergleichbaren Wirtschaftsraumes, der von der Durchführung der Maßnahmen ausgenommen wird. Die Abweichung zwischen tatsächlicher und unterstellter Entwicklung wird dann auf den regionalpolitischen Einfluß zurückgeführt. 22 Obwohl eigentlich erst die Ergebnisse von Wirkungskontrollen die Durchführung einer Regionalpolitik rechtfertigen,23 sind solche Analysen im Fall der EGRegionalpolitik (noch) nicht durchführbar. 24 Grund dafür ist das Fehlen eines Großteils der makroökonomischen Daten, die für eine ökonometrische Analyse nötig sind, bzw. der im Vergleich zu regionalpolitischen Maßnahmen stärkere Einfluß anderer Faktoren, z. B. der allgemeinen Wirtschaftspolitik, auf die Ent19 Vgl. Fischer, Georges, Erfolgskontrolle raumwirksamer Politikbereiche, Sem 1982, S. 16; Zimmermann, Horst, Probleme der Erfolgskontrolle regionalpolitischer Maßnahmen, in: Sclunidt, Rainer (Hrsg.), Aktuelle Fragen der regionalen Strukturpolitik. Heidelberg 1989, S. 11-18, hier S.16. 20 Vgl. Krieger, Christiane, Thoroe, Carsten, Weskamp, Wolfgang, Regionales Wirtschaftswachstum und sektoraler Strukturwandel in der Europäischen Gemeinschaft, Tübingen 1985, S.146. 21 Vgl. Europäisches Parlament, Die regionalen Auswirkungen der Gemeinschaftspolitiken, Luxemburg 1991, S. 9. 22 Vgl. Krieger, Christiane, Thoroe, Carsten, Weskamp, Wolfgang, S. 146. 23 Vgl. Costa-Schott, Maria do Rosario, S. 116. 24 Vgl. ähnlich Koll, Robert, Die Entwicklung der europäischen Regionen und Großstädte, in: lFO-Schnelldienst, Heft 17/18 1992, S. 5-12, hier S. 8.
A. Problemstellung und Aufbau der Arbeit
29
wicklung der Regionen. der die Aussagen eines Kontrollgruppenvergleichs wertlos macht. Hinzu kommt. daß in der EG verschiedene Kategorien von Förderregionen existieren und' die einzelnen Instrumente wie Investitionszuschüsse, Beschäftigungssubventionen oder Zinsverbilligungen schwer miteinander vergleichbar sind. Zielerreichungskontrollen ermitteln schließlich, inwieweit ein angestrebtes Ziel erreicht wurde. Sie untersuchen nicht, inwieweit die durchgeführten Maßnahmen an der Zielerreichung beteiligt waren,2S sondern messen den Erfolg der Regionalpolitik in Form eines Soll-Ist-Vergleiches zwischen tatsächlicher und angestrebter Entwicklung26• also anband eines Vergleiches der Ziele mit den Ergebnissen einer Politik. In Bezug auf eine Zielerreichungskontrolle der europäischen Regionalpolitik muß für das gesamte Gemeinschaftsgebiet ein Indikator - möglich ist auch ein aus verschiedenen Einzelindikatoren zusammengesetzter Indikator - gefunden werden, der in der Lage ist zu untersuchen, wie sich die Disparitäten zwischen den Regionen entwickelt haben. Es ist offensichtlich, daß Zielerreichungskontrollen aufgrund der fehlenden Einsatz-Ergebnis-Kausalität nur einen begrenzten Aussagewert besitzen. Trotz dieser Unzulänglichkeit erweist sich diese Analysetechnik als eine der wenigen Möglichkeiten, eine Erfolgskontrolle der gemeinschaftlichen Regionalpolitik durchzuführen. 27 Ziel dieser Arbeit soll es sein, den Erfolg der Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaften zu überprüfen. Dazu wird in Kapitel B der Arbeit die Entwicklung der EG-Regionalpolitik und ihrer Instrumente nachgezeichnet. Die EG-Regionalpolitik wird dabei vor dem Hintergrund des politischen europäischen Integrationsprozesses analysiert und bewertet, da sie nur im Rahmen der Entwicklung der Integration, in die sie eingebettet ist, zu verstehen ist. Anschließend wird in Kapitel C die regionalpolitische Zielsetzung der Gemeinschaft operationalisiert und eine Anzahl von geeigneten Verfahren der Zielerreichungskontrolle ausgewählt, anband derer dann untersucht wird, ob es im Gemeinschaftsgebiet bisher gelang, den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete zu verringern.
2S
Vgl. Fischer, Georges, S. 16.
26 Vgl. Hembach, Klaus, Der Stellenwert von Wirkungsanalysen für die Regionalpolitik, Eine
Systematisierung der Problematik am Beispiel der regionalen Wirtschaftspolitik, Frankfurt 1980,
S.9.
27 Die Zielerreichungskontrolle wird z.T. auch als Kernpunkt einer regionalen Erfolgskontrolle bezeichnet; vgl. Jürgensen, Harald, Raumwirtschaft n, Politik, in: Albers, Willi et al., HdWW, Bd. 6, Stuttgart et al. 1988, S. 429-441, hier S. 436.
B. Darstellung und Beurteilung der Entwicklung und des aktuellen Systems der Europäischen Regionalpolitik I. Die regionalpolitische Lage nach dem Gründungsvertrag
1. Die Bestimmungen des EWGV
Im Jahre 1957 gründeten die Länder Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG).I Schon zu dieser Zeit bestanden erhebliche wirtschaftliche Disparitäten im Gemeinschaftsgebiet. 2 Als Reaktion auf diese Disparitäten formulierten die Gründungsmitglieder in der Präambel des EWGV ihr Bestreben, "ihre Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische Entwicklung zu fördern, indem sie den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringern".3 Daneben setzte sich die Gemeinschaft in Art. 2 EWGV das Ziel, für "eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens" im Gemeinschaftsgebiet zu sorgen. In Art. 3 des Gründungsvertrages, der die faktischen Tätigkeitsbereiche der Gemeinschaft aufführt, ist die Verfolgung des regionalpolitischen Ausgleichszieles konkret allerdings nicht enthalten. Im weiteren Vertragstext findet sich lediglich verstreut eine Anzahl von Vorschriften mit regionalpoliti-
I Zur Gründung der EWG vgl. ausführlich Harbrecht, Wolfgang, Die Europäische Gemeinschaft, 2. Aufl., Stuttgart 1984, S. 26 ff.
2 Vgl. Wäldchen, Paul, Die Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaften und ihre räumlichen Auswirkungen, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Ansätze zu einer europäischen Raumordnung, Hannover 1985, S.87-119, hier S.88; vgl. ähnlich Marx, Dettef, Probleme der Zielformulierung und des Instrumenteneinsatzes einer gesamtwirtschaftlich orientierten Regionaipolitik, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Jg.23 (1972), S. 145-165, hier S.153.
3
Vgl. EWGV, Präambel
I. Die regionalpolitische Lage nach dem Griindungsvertrag
31
schem Bezug,4 wobei die Vorschriften vor allem als Ausnahmen von den für andere Politiken festgelegten Regeln fonnuliert sinds und der Bezug zum Teil auch nur als indirekter zu interpretieren ist6• So sollen explizit regionalpolitische Aspekte berücksichtigt werden von der Europäischen Investitionsbank, in deren Aufgabenbereich unter anderem die Finanzierung von Vorhaben zur Erschließung der weniger entwickelten Gebiete fällt. 7 Implizit betreffen regionale Gesichtspunkte die Vorschriften zum Europäischen Sozialfonds, die die Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitskräfte im Gemeinsamen Markt zum Ziel haben 8 und die ebenfalls in räumlicher Hinsicht wirkenden Finanzhilfevorschriften des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKSV) bei Rationalisierungsentlassungen9 • Im Rahmen der Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik sind regionale Aspekte nach Art. 39 Abs. 2a EWGV und im Rahmen der Verkehrspolitik bei der Prüfung von Fracht- und Beförderungsbedingungen (Art. 80 Abs. 2 EWGV) zu berücksichtigen. Im Rahmen ihres Beihilfeaufsichtsrechts kann die Kommission nach Art. 92 Abs. 3a staatliche Beihilfen, die prinzipiell mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar sind, doch als vereinbar angesehen werden, wenn mit ihhen die wirtschaftliche Entwicklung von Gebieten gefördert werden soll, in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht. 2. Bewertung der regionalpolitischen Bestimmungen des Gründungsvertrages Trotz der Vielzahl an regionalpolitischen Einzelvorschriften lO kann von einer kohärenten oder gar dezidierten gemeinsamen Regionalpolitik der EG anfangs
4 Vgl. Harbrecht, Wolfgang, Die Europäische Gemeinschaft, S. 209; Mentrup, Horst, Grundlagen für die Koordination von Agrar- und Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaft, Münster 1980, S. 22.
5 Vgl. Wäldchen, Paul, Die Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaften, in: Groeben, Hans von der, Boeckh, Hans von, Thiessing, Jochen, Ehlermann, Claus-Dieter (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl., Baden-Baden 1983, RdNr. 1; Albrecht, Wilma, Faber, Paul, S. 203. 6
Vgl. Oppermann, Thomas, Europarecht, Ein Studienbuch, München 1991, S. 324.
7
Vgl. Art. 130 EWGV. Zur Entwicklung der ElB vergleiche Abschnitt B.9.3.
8
Vgl. Art. 123 ff. EWGV. Zur Entwicklung des ESF vergleiche Abschnitt B.9.2.
9
Vgl. Art. 56 EGKSV.
Zu weiteren Stellen einer Berücksichtigung regionalpolitischer Aspekte vgl. Beutler, Bengt, Bieber, Roland, Pipkom, Jöm, Streil, Jochen, Die Europäische Union, Rechtsordnung und Politik, 4. Aufl., Baden-Baden 1993, S. 503. 10
32
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
nicht gesprochen werden. 11 Darauf deutet auch die zunächst sehr geringe finanzielle Bedeutung der genannten Instrumente hin. 12 Dies bedeutet, daß von dem in der Präambel aufgeführten Ziel der Verringerung der Disparitäten zwischen den Regionen zunächst nicht gleichzeitig auch ein Auftrag für eine gezielte Gemeinsame Regionalpolitik abgeleitet wurde. Für diesen scheinbaren Widerspruch können folgende sich nicht ausschließende Begründungen herangezogen werden: Einmal kann man von der Grundsatznorm des Art. 2 EWGV ausgehen, die vorsieht, daß eine harmonische Entwicklung des Wirts'chaftslebens innerhalb der Gemeinschaft durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten gefördert werden soll. Daraus läßt sich schließen, daß man bei Gründung der EWG davon ausging, daß sich nach der Errichtung des Binnenmarktes aufgrund der sich entwickelnden Dynamik der wirtschaftlichen Aktivitäten das Problem der regionalen Disparitäten per se lösen würde. 13 Weiterhin kann man zu dem Schluß kommen, daß die Regionalpolitik apriori als Sache der Mitgliedstaaten angesehen wurde, da im Gegensatz zu einem Regionalfonds im Vertrag ein Sozialfonds und ein Agrarfonds sehr wohl vorgesehen waren und nationale Regionalbeihilfen nach Art. 92 Abs. 3a EWGV ausdrücklich als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen wurden. 14 Die Beurteilung des Stellenwertes von regionalpolitischen Fragen im Gründungsvertrag in der Literatur schwankt hauptsächlich zwischen "relativer Be-
11 Vgl. Harbrecht, Wolfgang, Die Europäische Gemeinschaft, S. 209 f.; Auvera, Gommaar van der, Die Regionalpolitik der Gemeinschaft, in: Köhler, Klaus, Scharrer, Hans-Eckart (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft in der Krise, Ursachen und Lösungsansätze, Hamburg 1974, S. 115126, hier S. 117. 12 Vgl. Schäfers, Manfred, Die Kohäsionspolitik der Europäischen Gemeinschaft, Integrationspolitische Einordnung, Darstellung und Erfolgskontrolle, Baden-Baden 1993, S. 30 f.
13 Vgl. Gebauer, Christine, Die Regionalpolitik der EG, Eine Untersuchung zur optimalen Kompetenzverteilung anhand der Theorie des Finanzausgleichs, Berlin 1983, S.29; Giolitti, Antonio, Die Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaft, in: RuR, Jg. 41 (1983), Heft 1/2, S. 914, hier S.9; Biehl, Dieter, Europäische Regionalpolitik, Eine ziel- und handlungsorientierte Analyse, in: Pohmer, Dieter (Hrsg.), Probleme des Finanzausgleichs m, Finanzausgleich im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften, Berlin 1981, S. 125-180, hier S. 171; Martins, Mario Rui, Mawson, John, The Programming of Regional Development in the EC, Supranational or International Decision-making, in: JCMS, Bd. 20 (1982), Heft 3, S. 229-244, hier S. 230. 14
Vgl. Franzmeyer, Fritz, Seidel, Bemhard, Weise Christian, S. 15.
11. Die Phase der Entstehung einer Europäischen Regionalpolitik
33
deutungslosigkeit"15 und der zumindest für die Zukunft einer europäischen Regionalpolitik optimistischen Auffassung, nach der die regionalen Auswirkungen der ökonomischen Integration Europas sowohl in der grundsätzlichen Zielbestimmung des HandeIns als auch in der Festlegung von regionalen Ausnahmebereichen von Prinzipien einiger Gemeinschaftspolitiken durchaus schon im Vertragstext von 1957 Beachtung gefunden hätten l6 . Immerhin konnte die EG-Kommission als Motor der Gemeinschaft schon seit Gründung der Wirtschaftsgemeinschaft versuchen, mit Hilfe der vertreuen EWGV-Vorschriften regionalpolitische Akzente in ihrer Politik zu setzen, um dem in der Präambel formulierten Ziel der Verringerung der Disparitäten näherzukommen, obwohl die faktische Kompetenz für die Regionalpolitik noch vollständig bei den Mitgliedstaaten lag.
11. Die Phase der Entstehung einer Europäischen Regionalpolitik 1. Die Anstrengungen der Kommission und des Europäischen Parlaments zur Etablierung einer Europäischen Regionalpolitik
Schon in den ersten Jahren nach Unterzeichnung des Vertragstextes der EWG wurde sichtbar, daß sich die Kommission in regionalpolitischer Hinsicht auf Dauer nicht mit der durch den Gründungsvertrag geschaffenen Lage der Kompetenzlosigkeit begnügen würde: Sie forderte zunehmend - auch mit Unterstützung des Europäischen Parlaments - eigene regionalpolitische Befugnisse. Daneben versuchte die Kommission eine Koordinierung der nationalen Regionalpolitiken. 17 Zunächst aber eignete sich die Kommission durch die Befassung mit regionalen Fragestellungen regionalpolitische Fachkenntnisse an: So veranlaßte sie schon zu Beginn der Wirtschafts gemeinschaft Untersuchungen, um einen Überblick über die regionale Gliederung der Gemeinschaft, ihre Problemregionen 15 Vgl. Beutler, Bengt, Bieber, Roland, Pipkom, Jöm, StreH, Jochen, S. 503. 16 Vgl. WanieIc, Roland, Die RegionaIpolitik der Europäischen Gemeinschaft, Eine kritische Beslandsaufnahrne, hrsg. v. Ruhr-Forschungsinstitut für Innovations- und Strukturpolitik e.V., Bochum 1992, S. 16. Aufgrund der vertraglich angelegten Ausbaufähigkeit regionalpolitischer Bestimmungen spricht Boeck sogar von einer hohen Priorität der Regionalpolitik im Gründungsvertrag; vgl. Boeck, Klaus, Integrationspolitische Konsequenzen für die regionale Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft, in: Köhler, Klaus, Scharrer, Hans-Eckart (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft in der Krise, Ursachen und Lösungsansätze, Harnburg 1974, S. 101-113, hier S. 101.
17 Vgl. Abschnitt B.9.6. 3 Wellenhofer
34
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
und die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zu ihrer Bekämpfung zu erhalten. IR Aber auch das Europäische Parlament befaßte sich schon bald nach seiner Konstituierung mit regionalpolitischen Fragestellungen und erinnerte zunächst daran, daß eine der wesentlichen Aufgaben der Gemeinschaft die Entwicklung der wirtschaftlich und sozial stark zurückgebliebenen Gebiete sei.I9 Bereits 1960 forderte es in einer Entschließung Kompetenzen für die Gemeinschaftsebene. 2o Dabei verwies das Europäische Parlament darauf, daß der EWGV mit den Art. 235 und 236 selbst bereits die Grundlagen auch für eine regionalpolitische Regelungsbefugnis der Gemeinschaft bieten würde. 21 Zuvor wurde im September 1959 auf Veranlassung der Kommission einer Gruppe von hohen Beamten, die in den Mitgliedstaaten als Experten für die Regionalpolitik galten, die Aufgabe übertragen, eine erste regionalpolitische Bestandsaufnahme zu machen und den Raum der EWG im Hinblick auf regionale Probleme und die in den Mitgliedstaaten verfolgten Regionalpolitiken zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden im Dezember 1961 in Brüssel auf einer Konferenz über Fragen der regionalen Wirtschaft beraten. 22 Ziel der Konferenz war es auch, mögliche Grundsätze für die Regionalpolitik in den Mitgliedstaaten herauszuarbeiten, was allerdings nicht gelang. 23 Im Anschluß an die Konferenz von Brüssel wurden von der Kommission drei Arbeitsgruppen eingesetzt, die eine Gegenüberstellung von tatsächlich durchgeführten und empfehlenswerten Maßnahmen und Methoden für weniger ent-
18 Vgl. Kommission, Erster Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft, Brossel 1958, S. 46 und Kommission, Zweiter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft, Brüssel 1959, S.50f. 19
Vgl. Entschließung vom 9.2.1959, Erwägungsgrund 4, in: AbI. Nr. 166/59.
Diese Kompetenzen bezüglich der Koordinierung der Wirtschaftspolitik sollten auch für die Regionalpolitik gelten, um die im EWGV verankerten regionalpolitischen Ziele erreichen zu können; als erster konkreter Schritt in Richtung auf eine bessere Übereinstimmung der auf den verschiedenen Ebenen ergriffenen Initiativen sollte die Entwicklung entsprechender regionaler Vorausschauen dienen; vgl. Entschließung vom 2.6.1960, in: AbI. Nr. 828/60. 20
21 Art. 235 EWGV (jetzt Art. 235 BOV) befähigt den Rat bei Einstimmigkeit entsprechende Vorschriften zu erlassen, falls ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint, um eines ihrer Ziele zu verwirklichen, aber die dafür erforderlichen Befugnisse im EWGV (noch) nicht vorgesehen sind. Dagegen sieht Art. 236 EWGV (vgl. nunmehr Art. N EUV) die Möglichkeit einer Änderung des EWGV vor. 22 Vgl. Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Dokumente der Konferenz über Fragen der regionalen Wirtschaft, Brossel, 6.-8. Dezember 1961, Band I, Brossel1961, S. 9. 23 Vgl. Albert, Wolfgang, Europäische Dimension und nationale Regionalpolitik, in RuR, Jg. 20 (1962), Heft 2, S. 76-81, hier S. 77.
11. Die Phase der Entstehung einer Europäischen Regionalpolitik
35
wickelte Regionen und Industriegebiete mit veralteter Struktur zur Aufgabe hatten. Die Empfehlungen der Expertengruppen wurden 1964 vorgelegt; sie fußten insbesondere auf den Ansätzen der Exportbasis- und Wachstumstheorie24 und sprachen sich vor allem für eine Konzentration der Regionalsubventionen aus. Am 11.4.1967 nahmen der Rat und die Regierungen der Mitgliedstaaten das erste ,,Programm für die mittelfristige Wirtschaftspolitik" für den Zeitraum von 1966 bis 1970 an. lS Es gab der mittelfristigen Wirtschaftspolitik die Aufgabe, für optimale Bedingungen für ein stetiges und ausgewogenes Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Wahrung eines hohen Beschäftigungsstandes und der Geldwert- und aussenwirtschaftlichen Stabilität zu sorgen. Damit sollten auch die Bedingungen für eine Verringerung des Rückstandes der weniger entwickelten Gebiete verbessert werden. 26 Die Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten sollten zu diesem Zweck stärker koordiniert werden. Das Programm widmete der Regionalpolitik relativ breiten Raum27 und stellte diesbezüglich Leitlinien für die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaftsorgane auf. 28 Obwohl die Mitgliedstaaten aber ihrer Absicht Ausdruck gaben, diesen Leitlinien entsprechend zu handeln, bestand für sie dazu keine rechtliche Verpflichtung und so stellte es sich schon bald heraus, daß die von dem Programm für mittelfristige Wirtschaftspolitik geforderte Koordinierung der einzelstaatlichen Regionalpolitiken von der Kommission nicht durchgesetzt werden konnte. 29 24 Vgl. Kommission, Berichte von Sachverständigengruppen über die Regionalpolitik in der EWG. Brüssel 1964.
2S Vgl. Programm für die mittelfristige Wirtschaftspolitik (1966-1970), in: AbI. Nr. 1513/67, S. 1513-1567; zur Beurteilung des Programms vgl. ergänzend Meier, Gert, Das Programm für die mittelfristige Wirtschaftspolitik der EWG (1966-1970), in EuR, Jg. 2 (1967), Heft 4, S. 320-336. 26 Vgl. Programm für die mittelfristige Wirtschaftspolitik (1966-1970), in: AbI. Nr. 1513/67 vom 25.4.1967, S. 1513-1567, hier S. 1521. 27 Vgl. Stabenow, Wolfgang, Titel V, Wirtschaftlicher und sozialer Zusanunenhalt, in: Grabitz, Eberhart, Hilf, Meinhard (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union, München 1994, S. 2. 28 Die die Regionalpolitik betreffende Leitlinie beruht zum großen Teil auf der ,,Ersten Mitteilung der Kommission über die Regionalpolitik in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft", die wiederum hauptsächlich auf die Ergebnisse der Untersuchungen der Expertengruppen zurückgreift; die Regionalpolitik wird in dem Programm als Teil einer angebots orientierten Wirtschaftspolitik betrachtet, die in den benachteiligten Gebieten der Gemeinschaft für die Voraussetzungen zur Steigerung der Produktion sorgen soll.
29 V gl. Zepperitz, Horst, Die Regionalpolitik der Europäischen Wirtschafts gemeinschaft der Sechs und der Neun (1958-1980), DisS. Oldenburg 1982, S. 152 f.
3"
36
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Im Jahr 1967 wurden die Räte und Kommissionen der drei Gemeinschaften EWG, EGKS, und Euratom zu jeweils einem gemeinsamen Rat und einer gemeinsamen Kommission zusammengefaßt. 30 Am 30.5.1969 wurde das Zweite Programm für die mittelfristige Wirtschaftspolitik vom Rat veröffentlicht. 31 Es stellte eine Ergänzung zum ersten Programm dar, das das erste Programm für den bis 1970 verbleibenden Zeitraum korrigierte. Das Programm betonte die Bedeutung einer umfassenden Regionalpolitik für ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum auf mittlere Sicht: ..Die Regionalpolitik muß die optimalen Bedingungen dafür schaffen, daß alle Gebiete der Gemeinschaft am wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt teilhaben und insbesondere der Rückstand der weniger begünstigten Gebiete verringert wird. "32 Nachdem sich die Kommission in ihrem zweiten Tätigkeitsbericht noch über fehlende eigene Befugnisse auf dem Gebiet der Regionalpolitik und die mangelnde Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Verfolgung gemeinschaftlicher Ziele beklagt hatte,33 schlug sie dem Rat am 17.6.1969 erstmals eine Verordnung bezüglich des zukünftigen regionalpolitischen Vorgehens vor. 34 Sie ging dabei bewußt über ihre im EWG-Vertrag festgelegten Befugnisse hinaus und stützte sich zum ersten Mal auf den Art. 235 EWGV. Mit ihrem Vorschlag verfolgte die Kommission folgende Ziele: 35 - Erstens sollten Entwicklungspläne für aufgrund der Auswirkungen der europäischen Integration und der Annäherung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten förderungswürdige Regionen von der Kommission und den Mitgliedstaaten aufgestellt werden. Die Finanzierung der in diesen Entwick30 Vgl. Europäische Gemeinschaften, Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, Verträge zur Änderung dieser Verträge, Dokumente betreffend den Beitritt, Brüssel 1978, S. 785 f. 31 Vgl. Zweites Programm für die mittelfristige Wirtschaftspolitik, in: AbI. Nr. L 129 vom 30.5.1969, S. 1-96. 32 Zweites Programm für die mittelfristige Wirtschaftspolitik, in: AbI. Nr. L 129 vom 30.5.1969, S. 14; diese Ziele sollten erreicht werden durch die Schaffung der Voraussetzungen für die Entfaltung wirtschaftlicher Initiativen und die Nutzung von vorhandenen Produktionsreserven und ein zügiges Vorantreiben der Umstrukturierung von Gebieten mit überalterter lndustriestruktur; vgl. ebenda, S. 36. 33 V gl. Kommission, Zweiter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaften 1968, Brüssel1968, S. 294. 34
Vgl. Vorschlag vom 17.10.1969, in: AbI. Nr. C 152, S. 6-9.
35 Vgl. Vorschlag vom 17.10.1969, in: AbI. Nr. C 152, S. 7 ff.
11. Die Phase der Entstehung einer Europäischen Regionalpolitik
37
lungsplänen vorgesehenen Maßnahmen sollte über der Kommission bereits zur Verfügung stehende Finanzierungsquellen bzw. über einen neu zu schaffenden Zinsvergütungsfonds und ein neu einzurichtendes Bürgschaftssystem für regionale Entwicklung erfolgen bzw. abgesichert werden. Zur Förderung der Entwicklungspläne sollten die die Regionalpolitik betreffenden Instrumente von EIß, ESF, EAGFL und Art. 56 EGKSV besser koordiniert werden. - Zweitens sollte ein Ständiger Ausschuß für Regionale Entwicklung gebildet werden, dessen Aufgabe die Beratung der regionalen Entwicklungspläne sein sollte. - Drittens sollte aus der Erkenntnis heraus, daß neben öffentlichen auch private Investoren zur Realisierung der Entwicklungspläne beitragen können, die Zusammenarbeit der Kommission mit dabei hilfreichen Verbänden und Einrichtungen der Mitgliedstaaten gesucht werden. Obwohl die Stellungnahmen des Europäischen Parlaments36 und des Wirtschafts- und Sozialausschusses37 zum Kommissionsvorschlag vorbehaltlich einiger Änderungswünsche zustimmend waren und der Rat selbst diese dann auch beriet38 , konnte der Rat sich nicht dazu durchringen, ihnen auch zu folgen. Während seiner gesamten Amtszeit hatte sich der französische Staatspräsident de Gaulle als ein Verfechter eines "Europas der Vaterländer" gegen eine Verlagerung von zusätzlichen Politiken auf die europäische Ebene gewandt. Daneben hatte de Gaulle aber auch strikt eine Erweiterung der Gemeinschaft abgelehnt. Damit war während der Präsidentschaft von de Gaulle sowohl eine Errichtung einer europäischen Regionalpolitik als auch die Durchführung von Erweiterungsverhandlungen im Grunde nicht vorstellbar gewesen. 39 Erst nachdem der französische Präsident de Gaulle am 28. 4. 1969 zurückgetreten war, konnten die Staats- und Regierungschefs der Gründungsgemeinschaft beim darauffolgenden Gipfel in Den Haag im Dezember desselben Jahres beschließen, sowohl eine Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) zu bilden als auch die Verhandlungen zur Erweiterung der Gemeinschaft mit Dänemark, Irland, Großbritannien und Norwegen aufzunehmen. 36
Vgl. Entschließung, in: Abl. Nr. C 65 vom 5.6.1970, S. 22-24.
Vgl. Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses, in: Abl. Nr. C 108 vom 26.8.1970, S. 12-19. 37
38 Vgl. Konunission, Vierter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaften 1970, Brüssei 1970, S. 98 ff. 39 Vgl. Teske, Horst, Europa zwischen gestern und morgen, Von den Römischen Verträgen bis zur Europäischen Akte, Köln 1988, S. 67 f.
38
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Zur Ausarbeitung eines Konzeptes zur Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion wurde in Den Haag ein Ausschuß unter Vorsitz des luxemburgischen Ministerpräsidenten Werner eingerichtet. Der Ausschuß legte seinen Endbericht, den sog. "Werner-Bericht", im Herbst 1970 vor. 4O Dieser Endbericht widmete den regionalen Auswirkungen der Wirtschafts- und Währungsunion einen breiten Raum und empfahl, ab dem Zeitpunkt ihrer Errichtung die Regionalpolitik im Gemeinschaftsgebiet nicht mehr nur im nationalen Kompetenzbereich anzusiedeln, sondern finanzielle Ausgleichsmechanismen auf Gemeinschaftsebene für die Gebiete mit relativ geringem Produktivitätsniveau vorzusehen, da diese aufgrund des Wegfalls der Möglichkeit einer Abwertung durch die geplante Union benachteiligt würden. Die Wirtschafts- und Währungsunion sollte somit unter der Nebenbedingung, daß durch den freien Personen-, Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr keine regionalen Ungleichgewichte verursacht werden sollten, erreicht werden. Zu diesem Zweck sollte auch die Neuschaffung von Gemeinschaftsinstrumenten, die einzelstaatliche Instrumente ergänzen bzw. ersetzen sollten oder eine Änderung des EWGVertrages von 1957 möglich sein. Wegen der durch die Realisierung der Wirtschafts- und Währungsunion möglicherweise auftretenden regionalen Spannungen sollten die ordnungspolitischen Voraussetzungen in der Gemeinschaft so gestaltet werden, daß mit Hilfe von regionalpolitischen Maßnahmen eine ausgewogene Entwicklung der Gemeinschaft gewährleistet werden konnte. Über ein Jahr nach dem Den Haager Gipfel konkretisierte der Rat innerhalb von zwei Monaten im Rahmen dreier Veröffentlichungen, nämlich der Entschließung des Rates und der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 22.3.1971 über die stufenweise Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion in der Gemeinschaft4 1, dem Dritten Programm für die mittelfristige Wirtschaftspolitik42 und der Entschließung des Rates vom 25.5.1971 über die
40 Vgl. Kommission, Bericht an Rat und Kommission über die stufenweise Verwirldichung der Wirtschafts- und Währungsunion in der Gemeinschaft, abgedruckt in: Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 11 1970; zur Konzeption der Wirtschafts- und Währungsunion im Werner-Bericht vgl. ergänzend Harbrecht, Wolfgang, Europa auf dem Wege zur Wirtschafts- und Währungsunion, 1beoretische und politische Probleme einer Wirtschafts- und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft, Bem-Stuttgart 1981, S. 99 f.; derselbe, Die Europäische Gemeinschaft, S. 53 ff. 41
Vgl. Entschließung vom 22.3.1971, in: AbI. Nr. C 28, S. 1-4.
Vgl. Drittes Programm für die mittelfristige Wirtschaftspolitik, in: AbI. Nr. L 49 vom 1.3.1971, S. 1-39. 42
11. Die Phase der Entstehung einer Europäischen Regionalpolitik
39
Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik43 seine eigenen Pläne bezüglich des zukünftigen regionalpolitischen Vorgehens der Gemeinschaft: Durch die Entschließung des Rates und der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vorn 22.3.1971 über die stufenweise Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion in der Gemeinschaft verkündeten die Mitgliedstaaten, daß sie die Bildung einer Wirtschafts- und Währungsunion durch einen Stufenplan anstrebten. 44 Im Dritten Programm für die mittelfristige Wirtschaftspolitik, das für den Zeitraum von 1971 bis 1975 gelten sollte, setzte man sich das Ziel einer besseren Koordination der einzelstaatlichen Regionalpolitiken in Hinblick auf die Infrastrukturpolitiken, die Sektorpolitiken und die Beihilfevergaben. 4S Daneben beanspruchte die Gemeinschaft eine eigenständige regionalpolitische Verantwortung für eine Reihe regionaler Probleme von gemeinsamen Interesse, so bei rückständigen Randgebieten, bei aufgrund des Integrationsprozesses auftretenden räumlich wirksamen Schwierigkeiten, bei Strukturanpassungsproblemen von in bestimmten Gebieten dominierenden Wirtschaftszweigen und den regionalen Auswirkungen von gemeinsamen Politiken, insbesondere der gemeinsamen Agrarpolitik.
In der Entschließung des Rates vorn 25. Mai 1971 über die Neuausrichtung der gemeinsamen Agrarpolitik schließlich wurden in regionaler Hinsicht insbesondere Regionalentwicklungsprograrnrne zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Gebieten mit einern starken Überhang an landwirtschaftlichen Arbeitskräften gefordert. Diese sollten von den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft zusammen eingeführt werden. 46 Die regionalpolitischen Inhalte der drei Ratsentschließungen vermittelten der Kommission den (berechtigten) Eindruck, daß nun auch auf Seiten des Rates die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Regionalpolitik nicht mehr in Frage gestellt werden würde. Die Kommission nahm dies zum Anlaß, am 11.9.1971 einen weiteren regionalpolitischen Vorstoß zu unternehmen und dem Rat einen Vorschlag über die Finanzierung von Maßnahmen in besonders förde-
43
Vgl. Entschließung vom 25.5.1971, in: AbI. Nr. C 52, S. 1-7.
Dieser Plan beruht auf dem Wemer-Bericht; vgl. Entschließung vom 22.3.1971, in: AbI. Nr. C 28, S. 1-4 44
4S Vgl. Drittes Programm für die mittelfristige Wirtschaftspolitik, in: AbI. Nr. L 49 vom 1.3.1971, S. 1-39, hier S. 35. 46
Vgl. Entschließung vom 25.5.1971, in: AbI. Nr. C 52, S. 7.
40
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
rungswürdigen Agrargebieten und einen Vorschlag zur Neueinrichtung eines Europäischen Zinsvergütungsfonds für regionale Entwicklung zu unterbreiten. 47 Doch der Rat entschied sich dafür, einen eigenen Regionalfonds auf europäischer Ebene einzurichten: Vom 19. bis 21. Oktober 1972 wurde in Paris eine Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs abgehalten, an der bereits die Vertreter der bald darauf beitretenden Länder Dänemark, Großbritannien und Irland48 teilnahmen. In der Schlußerklärung dieser Konferenz wurden die Gemeinschaftsorgane aufgefordert, bis zum 31.12.1973 einen Fonds für Regionalentwicklung zu schaffen. 49 Der Fonds sollte zum Ziel haben, regionale Disparitäten in der erweiterten Gemeinschaft, die aufgrund von vorherrschenden Agrarstrukturen, industriellem Strukturwandel oder struktureller Unterbeschäftigung resultierten und die gleichzeitig die Realisation der Wirtschafts- und Währungsunion beeinträchtigen könnten, zu bekämpfen. Seine Maßnahmen sollten mit den nationalen Maßnahmen koordiniert werden. Die Finanzierung des Fonds sollte über Eigenmittel der Gemeinschaft erfolgen. Genauere Angaben über die Ausgestaltung und den Tätigkeitsbereich des Fonds enthielt die Erklärung allerdings nicht. Dafür wurde in dem Kommunique die Kommission aufgefordert, einen Bericht über die sich durch die Erweiterung der Gemeinschaft ergebenden regionalen Probleme zu verfassen und Vorschläge zu ihrer Lösung auszuarbeiten. Die Unterzeichner verpflichteten sich außerdem zur Koordinierung ihrer nationalen Regionalpolitiken. Damit war der Grundstein für die Errichtung des Europäischen Regionalfonds gelegt. In mehreren Etappen wurden dem Rat von der Kommission die in der Pariser Konferenz angeforderten Unterlagen vorgelegt: Zunächst erschien im Mai 1973 ein unter dem Namen Thomson-BerichtSO bekannter Bericht über die regionalen Probleme in der erweiterten Gemeinschaft. S1 Dann legte am 31.7.1973 die Kommission ihren Vorschlag über die Errichtung eines regionalen Entwicklungs-Fonds, seine haushaltsmäßige Im47
Vgl. Vorschlag der Kommission vom 28.5.1971, in: AbI. Nr. C 90, S. 14-24.
48 Die Erweiterung erfolgte schließlich am 1.1.l973; vgl. hierzu ausführlich Harbrecht, Wolfgang, Die Europäische Gemeinschaft, S. 45 ff.
49 Vgl. Erklärung der Staats- und Regierungschefs von Paris vom 19. bis 21.10.1972, PE 31.175/Ann., S. 5.
so Der Bericht ist nach George Thomson, dem für die Regionalpolitik zuständigen EGKommissar, benannt. SI Vgl. Kommission, Bericht über die regionalen Probleme in der erweiterten Gemeinschaft, abgedruckt in: Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 8 1973.
II. Die Phase der Entstehung einer Europäischen Regionalpolitik
41
plementierung und die Installation eines Ausschusses für Regionalpolitik vor. 52 Letztendlich folgte am 11.10.1973 ein Vorschlag der Kommission über das Verzeichnis der zu fördernden Gebiete und Gebietsteile. 53 Im Verlauf des Jahres 1973 wurde immer deutlicher, daß die Mitgliedstaaten vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des Bretton-Woods-Systems und der ersten Ölkrise nicht mehr gewillt waren, währungspolitische Kompetenzen auf die Gemeinschaftsebene zu übertragen. Damit war der erste Anlauf zur Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion fehlgeschlagen. 54 Der Wegfall der ursprünglich bedeutendsten Motivation zur Errichtung des Regionalfonds führte aber nicht dazu, daß von dem Plan, diesen einzurichten, abgelassen wurde. Die darauffolgenden Monate waren vielmehr gekennzeichnet durch intensive Diskussionen zwischen Ländern wie Großbritannien, Irland und Italien, die eine hohe finanzielle Ausstattung des Fonds forderten und Ländern wie Deutschland, die für eine geringere Ausstattung und gleichzeitig eine stärkere Mittelkonzentration eintraten. Schließlich mußte der ursprünglich geplante Termin zur Einrichtung des Regionalfonds verschoben werden, da die Verhandlungen nicht rechtzeitig abgeschlossen werden konnten. Für diese Verzögerung mußte auch das Vorgehen des EG-Kommissars George Thomson verantwortlich gemacht werden, der in seinem Bericht über die Probleme in der erweiterten Gemeinschaft nur allgemeine Leitlinien für eine zukünftige Regionalpolitik vorlegte, nicht aber die vom Rat geforderten konkreten Vorschläge. Thomson versuchte statt dessen anschließend, durch Verhandlungen mit den gemeinschaftlichen und nationalen Entscheidungsträgern zu einer Übereinstimmung bezüglich der zukünftigen Ausgestaltung des Fonds zu kommen. Dabei stellte es sich heraus, daß die Mitgliedstaaten vor allem versuchten, ihre nationalen Interessen durchzusetzen,55 was zu den erwähnten Verzögerungen führte. 56
Die Staats- und Regierungschefs konnten aufgrund der intensiven Verhandlungen bezüglich der genauen Fondsausgestaltung eine Einigung erst ein Jahr nach Veröffentlichung der Kommissionsvorschläge auf der Gipfelkonferenz
52
Vgl. Vorschlag vom 31.7.1973, in: AbI. Nr. C 86, S. 7-14.
53 Vgl. Vorschlag der Kommission vom 11.10.1973, in: AbI. Nr. C 106 vom 6.12.1973, S. 26-
30.
54 Vgl. hierzu ergänzend Harbrecht, Wolfgang, Europa auf dem Wege, S. 103 ff. 55 Vgl. Bursig, Beatrix, Die Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaft unter besonderer Berücksichtigung integrationstheoretischer Überlegungen, Frankfurt et al. 1990, S. 160.
56 Mit dem taktischen Vorgehen von Thomson befaßt sich ausführlich Talbott, Ross, The European Community's Regional Fund, in: Progress in Planning, Heft 8 1977, S. 183-281, hier S.201-215.
42
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Mitte Dezember 1974 in Paris erzielen: Sie beschlossen, zum 1.1.1975 den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) per Ratsverordnung einzurichten.51 Damit gibt es ab diesem Zeitpunkt - siebzehn Jahre nach Gründung der Europäischen Gemeinschaften - eine gemeinschaftliche Regionalpolitik. 2. Bewertung der Ursachen für die Errichtung des Regionalfonds
Für die Errichtung des Regionalfonds und damit für die Einführung einer gemeinschaftlichen Regionalpolitik lassen sich folgende Gründe finden: Die Errichtung des EFRE wurde zu einern Zeitpunkt beschlossen, an dem die Staats- und Regierungschefs übereinkamen, über die Entwicklungsstufe des Gemeinsamen Marktes hinauszugehen und das Ziel der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion anzustreben. Den entscheidenden Anstoß gaben dabei sicherlich die schon im Werner-Bericht geäußerten Befürchtungen, die geplante Bildung einer Wirtschafts- und Währungsunion könne die ärmeren Regionen in der Gemeinschaft noch weiter schwächen und somit die regionalen Disparitäten in der Gemeinschaft weiter erhöhen. s8 Diese Auswirkung sollte aber unter allen Umständen vermieden werden. Damit war die Einführung einer gemeinschaftlichen Regionalpolitik eng verbunden mit der Erreichung einer neuen Integrationsstufe in der Gemeinschaft. Weiterhin hatte schon vor der Pariser Konferenz die britische Regierung deutlich gemacht, daß sie nur dann bereit wäre, der Gemeinschaft beizutreten, wenn sie Ausgleichszahlungen für die bei dem bestehenden gemeinschaftlichen Finanzsystem zu erwartenden Nettotransfers Großbritanniens an die Gemeinschaft erhielte. 59 Anfang der siebziger Jahre wurde das Finanzierungssystem der EG umgestellt. Seit dieser Zeit müssen die bei Importen von Agrarprodukten aus dem Ausland anfallenden Agrarabschöpfungen von den jeweils importierenden Mitgliedstaaten an die Brüsseler EG-Kasse abgeführt werden. Da Großbritannien eine große Menge an landwirtschaftlichen Produkten importierte, hätte dieses System Großbritannien in eine Nettozahlerposition gebracht. Um diese Zahlungen zu kompensieren, forderten die Briten einen Regionalfonds als Be51 Vgl. VO Nr. 724n5 vom 21.3.1975, in: AbI. Nr. L 73, S. I ff. 58 Vgl. Rahmsdorf, Detlev, Ordnungspoütischer Dissens und europäische Integration, Kehl am Rhein-Straßburg 1982, S. 129. 59 Vgl. Albrecht, Wilma, Faber, Paul, Ziele, Instrumente und Ergebnisse der EG-Regionalpoütik, in: Die Verwaltung, Heft 3 1983, S. 353-378, hier S. 354; Hrbek, Rudolf, Die Entstehung und Weiterentwicklung der EG, in: Zippei, Wulfdiether, Ökonomische Grundlagen der europäischen Integration, München 1993, S. 1-23, hier S. 10.
11. Die Phase der Entstehung einer Europäischen Regionalpolitik
43
dingung für ihren EG-Beitritt.60 Daneben hatten die Briten aufgrund der ausgesprochen starken Probleme in ihren alten Industrieregionen zu Beginn der siebziger Jahre möglicherweise auch ein größeres Bewußtsein für regionale Probleme entwickelt. 61 Damit konnte die gewünschte Ausgleichsfunktion von einem Regionalfonds gut erfüllt werden, wenn er berücksichtigte, daß das ProKopf-Einkommen der britischen Bevölkerung geringer war als das Durchschnittseinkommen in der Gemeinschaft. Somit gab es eine weitere Motivation zur Errichtung des Regionalfonds: Die Mittel des Fonds konnten als Kompensationsmasse während der Beitrittsverhandlungen verwendet werden, um die Nachteile Großbri.tanniens auf der Zahlungsbilanzebene auszugleichen. 62 Daneben veränderten sich in der ersten Hälfte der 70er Jahre die ökonomischen Rahmendaten: Beginnend mit der ersten Ölkrise brach das Wirtschaftswachsturn ein und die Inflationsraten stiegen.63 Durch die Verschärfung der wirtschaftlichen Lage erhöhten sich auch die regionalen Ungleichgewichte, die dadurch immer stärker in das Bewußtsein der Öffentlichkeit und der Entschei-. dungsträger auch in der Gemeinschaft traten. 64 Zudem wurde immer offensichtlicher, daß die positiven Effekte des Gemeinsamen Marktes und des wirtschaftlichen Integrationsprozesses nicht allen Regionen der Gemeinschaft in der gleichen Weise zugute kamen und die regionalpolitischen Anstrengungen der Mitgliedstaaten nicht ausreichten, dieses Problem zu bekämpfen. 65 Somit stellte die Errichtung des Regionalfonds auch eine Reaktion auf einen sich aus der ökonomischen Sphäre ergebenden politischen Handlungszwang dar.
60 vgl. dazu ergänzend Dicke, Hugo et al., EG-Politik auf dem Prüfstand, Wirkungen auf Wachstum und Strukturwandel in der Bundesrepublik, Tübingen 1987, S. 135. 61
Vgl. Bursig, Beatrix, S. 115.
62 Teilweise wird dieses Verhalten Großbritanniens auch als die Durchsetzung von nationalen Eigeninteressen (negativ) interpretiert; vgl. Hallet, Graham, Second Thoughts about Regional Policy, London 1981, S. 47 ff. 63 Vgl. Kommission, Regionales Ungleichgewicht und gesamtwirtschaftliche Leistung, Luxemburg 1985, Einführung S. m. 64
Vgl. Bursig, Beatrix, S. 114 f.
Vgl. Harbrecht, Wolfgang, Die Europäische Gemeinschaft, S. 210; Kommission, Beihilfen und Darlehen der Europäischen Gemeinschaft, Luxemburg 1985, S. 11; Franke, Jürgen, Die Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaft, Eine theoretische und empirische Analyse ihres Wirkungsgrades und der Entwurf eines Systems konkurrierender Regionen als Ergänzung zur Strategie der Marktintegration in der Gemeinschaft. Bochum 1989, S. 11. Giolitti, Antonio, S. 9. 65
44
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Die letztgenannte Motivation deutet schließlich auch hin auf soziale Überlegungen bei der Regionalfondsgründung: Eine Gemeinschaft ist nur dann langfristig überlebensfähig, wenn die schwächeren Mitglieder bei Bedarf auf die Hilfe der stärkeren vertrauen können. 66 Dies ist Ausdruck dafür, daß sich die EG als Werte-Gemeinschaft sehen, in der neben den Prinzipien der Grund- und Menschenrechte, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch die soziale Gerechtigkeit und die Solidarität geachtet werden. 61
llI. Die ursprüngliche Konzeption des Regionalfonds von 1975 1. Die Einrichtung des Fonds und seine Ausstattungsmerkmale
Juristische Grundlage für die Ausstattung der Gemeinschaft mit einem eigenem Regionalfonds war Art. 235 EWG-Vertrag, der erlaubt, daß der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften erläßt, falls ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines der Ziele der Gemeinschaft zu verwirklichen, die dazu erforderlichen Befugnisse im Vertrag aber nicht vorgesehen sind. 68 Die Aufgabe der Gemeinschaft, für weIche die entsprechende Ausstattung mit Befugnissen noch fehlte, war die harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft. Entsprechend war das Ziel des Fonds die Korrektur der regionalen Ungleichgewichte in der Gemeinschaft, die insbesondere auf landwirtschaftliche Struktur, industriellen Wandel und strukturelle Unterbeschäftigung zurückzuführen sind. Der neue Regionalfonds wollte die regionalpolitischen Aktivitäten der Mitgliedstaaten von der Gemeinschaftsebene aus unterstützen. Für den Zeitraum von 1975 bis 1977 wurde der Fonds mit insgesamt 1,3 Mrd. Rechnungseinheiten (RE) ausgestattet, wovon 150 Mio. RE durch den EAGFL bereitgestellt werden sollten. Die Mittelverteilung ergab 300 Mio. RE für das Jahr 1975 und jeweils 500 Mio. RE für die Jahre 1976 und 1977.69 66
Vgl. Auwera, Gommaar van der, S. 120.
Vgl. Hrbek, Rudolf, 30 Jahre Römische Verträge, Eine Bilanz der EG-Integration, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 18 1987, S. 18-33, hier S. 31; ders., 30 Jahre danach, Eine Bilanz westeuropäischer Integrationspolitik, in: Integration, 10 Jg. (1987), Heft 2, S. 87-91, hier S. 87. 61
68
Vgl. VO Nr. 724f75 vom 21.3.1975, Präambel, Erwägungsgrund 5, in: AbI. Nr. L 73, S. 1.
Vgl. VO Nr. 724n5 vom 21.3.75, Art. 2 Abs. I, in: AbI. Nr. L 73, S. 2. Dies entspricht 258 bzw. 394 bzw. 379 Mio. ECU (Umrechnungskurs vom Januar 1978). 69
III. Die ursprüngliche Konzeption des Regionalfonds von 1975
45
Die Mitgliedstaaten erhielten auf Antrag Finanzzuweisungen des Fonds entsprechend streng festgelegter Quoten, die aus Tabelle 1 zu entnehmen sind. 70 Der Fonds konnte nur in denjenigen Gebieten intervenieren, die bereits von den Mitgliedstaaten als Fördergebiete ausgewiesen waren und intervenierte in erster Linie in solchen Tabelle 1
EFRE-Länderquoten (1975 bis 1977, in Prozent)
Land Belgien Bundesrep. Deutschland Dänemark Frankreich Irland Italien Luxemburg Niederlande Vereini tes Köni reich
Quote in % 1,5 6,4 1,3 15,0 6,0 40,0 0,1 1,7 28,0
Quelle: Rat der Europäischen Gemeinschaften. va. Nr. 724n5 vom 21.3.1975. Art. 2.
Gebieten, denen die einzelnen Mitgliedstaaten Vorrang einräumten. Voraussetzung für eine Beteiligung des Fonds war eine Mindestinvestitionshöhe von 50.000 RE, die Einbindung der Investition in ein vom Mitgliedstaat erstelltes Regionales Entwicklungsprogramm und die AntragsteIlung des Mitgliedstaates auf Beteiligung des Fonds an den Investitionen.71 Der Fonds konnte sich sowohl an Privatinvestitionen, die mindestens zehn Arbeitsplätze schufen oder erhielten als auch an öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Durchführung von Privatinvestitionen standen, beteiligen. Daneben konnte der Fonds auch die Finanzierung von Gutachten, die in engem Zusammenhang mit der Tätigkeit des Fonds standen, zum Teil übernehmen. Die Höhe der Fondsbeteiligung belief sich auf 20% der Investitionskosten bei Privatinvestitionen, auf maximal 30% bei öffentlichen Infrastrukturinvestitio70 Nicht berücksichtigt in der Berechnung ist, daß darüber hinaus Irland 6 Mio. RE erhält, die von den Quoten der anderen Mitgliedstaaten (außer Italien) abgezogen werden. weil in der Verordnung nicht angegeben ist, in welchem Jahr der entsprechende Abzug erfolgen soll. Die Zahlen sind also noch um die Summe von insgesamt 6 Mio. RE zu bereinigen. 71
Vgi.
va Nr. 724n5 vom 21.3.1975. Art. 4 Abs. 1. in: Abi. Nr. L 73, S. 2.
46
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
nen12 und maximal 50% der Kosten von Gutachten73 und durfte 50% der von der öffentlichen Hand insgesamt übernommenen Kosten nicht überschreiten. 74 Die Entscheidung über eine Fondsbeteiligung erfolgte durch die Kommission nach Maßgabe der Stärke des wirtschaftlichen Ungleichgewichtes in dem Gebiet und der Auswirkung der Investition auf die Beschäftigungslage. Bei Infrastrukturvorhaben mit einem Kostenaufwand von 10 Mio. RE und mehr mußte die Kommission vor der Stellungnahme des Fondsausschusses den Ausschuß für Regionalpolitik anhören. 7S Fondsausschuß und Ausschuß für Regionalpolitik wurden zugleich mit der Errichtung des EFRE installiert. Dem Fondsausschuß gehörten ausschließlich Vertreter der Mitgliedstaaten an, während im Ausschuß für Regionalpolitik auch Vertreter der EG-Kommission saßen. Hauptaufgaben des Ausschusses für Regionalpolitik waren die Koordinierung der Regionalpolitiken der Mitgliedstaaten,76 die Ausarbeitung theoretischer Grundlagen für Fördermaßnahmen und die Auswertung von Informationen über regionale Disparitäten. 77 2. Bewertung der Regionalfondsverordnung von 1975
Eine Beurteilung der ersten Regionalfondsverordnung muß zunächst das historische Umfeld ihrer Entstehung berücksichtigen.78 Als die ursprüngliche Motivation zur Errichtung des Fonds, die WWU, wegfiel,79 hielt man an der Einrichtung des Fonds dennoch fest, da die schon so weit gediehenen Vorarbeiten eine gewisse EigendynaInik entfaltet hatten, erkennbar wurde, daß die regionalen Disparitäten in der Gemeinschaft nicht nur durch die Effekte des Gemeinsamen Marktes und des wirtschaftliche Integrationsprozesses beseitigt werden konnten und - last but not least - die britische Regierung bei ihren Beitrittsverhandlungen vehement die Einrichtung des Fonds forderte. Der Einfluß der Briten auf die Ausgestaltung des Fonds läßt sich insbesondere dadurch nachweisen, daß in der Fondsverordnung nunmehr auch Industrieregionen das 12 VgI. VO Nr.
724n5 vom 21.3.1975, Art. 4 Abs. 2b, in: AbI. Nr. L 73, S. 3.
73 Vgl. VO Nr.
724n5 vom 21.3.1975, Art. 10 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 73, S. 6.
74 Vgl. VO Nr.
724n5 vom 21.3.1975, Art. 4 Abs. 2a, in: AbI. Nr. L 73, S. 3.
7S
Vgl. VO Nr. 724n5 vom 21.3.1975, Art. 5 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 73, S. 3.
76 Vgl. dazu auch Abschnitt B.8.6.2. 77 Vgl. Wilma, Faber, S. 209. 78
Vgl. Abschnitt B.2.2.
79 Zu den auch in der Folgezeit immer wieder auftretenden Versuchen zur Gründung einer WWU vgI. Krägenau, Henry, Wetter, Wolfgang, Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, Vom Wemer-Plan zum Vertrag von Maastricht, Baden-Baden 1993.
III. Die ursprüngliche Konzeption des Regionalfonds von 1975
47
Kriterium der Förderungswürdigkeit erfüllen konnten, während in Zusammenhang mit der Diskussion zur Errichtung der WWU lediglich überwiegend landwirtschaftlich strukturierte Regionen gefördert werden sollten. 8O Hinzu kommt, daß Großbritannien mit 28% nach Italien die zweithöchste Länderquote am Regionalfonds erhielt. 81 Allerdings konnte die Kommission mit den urprünglichen Fondsvorschriften grundsätzlich keine eigenständigen regionalpolitischen Zielsetzungen verfolgen, sondern sich lediglich an der Durchführung von nationalen Regionalpolitiken beteiligen. 82 Eine eigene Verwendungsverantwortung über die Mittel wurde der EG-Kommission, entgegen ihren eigenen Vorschlägen,83 vom Rat nicht eingeräumt. Die Mitgliedstaaten konnten bei Erfüllung der Voraussetzungen zur Erlangung der Beihilfen im Rahmen ihrer Quoten die Mittel abrufen, ohne daß die Kommission dabei als mehr als eine weisungsgebundene bzw. weisungsausführende Instanz auftreten konnte. Damit boten die aus der Brüsseler EG-Kasse fließenden Regionalfondsgelder eine feste Planungsgrundlage für die nationalen Regionalbudgets. Da zudem das Prinzip der Zusätzlichkeit in der EFREVerordnung zwar in der Präambel der Verordnung gefordert wurde, aber mangels einer entsprechenden Durchführungskontrolle nicht nachgeprüft werden konnte, konnte nicht ausgeschlossen werden, daß die Mitgliedstaaten geplante eigene Regionalausgaben durch EFRE-Mittel ersetzten. Allerdings muß auch berücksichtigt werden, daß die Regelung nicht nur allein der Unterstützung der mitgliedstaatlichen Regionalpolitiken diente: Mit der Voraussetzung der Einbindung der Investitionen in Regionale Entwicklungsprogramme, die von den Mitgliedstaaten nach einem einheitlichen Schema des Ausschusses für Regionalentwicklung erstellt werden mußten, stellte die Gemeinschaft erste Regeln für eine transparente mitgliedstaatliehe Regionalpolitik auf. 84 Durch die Vorgabe eines Gesamtrahmens konnte die Gemeinschaftsebene Einfluß nehmen auf die nationalen Regionalpolitiken. Dies kann als erster und im Vergleich zu den
80 VgI. Vorschlag der Kommission vom 28.5.1971, in: AbI. Nr. C 90, S. 14 f.; vgl. dazu auch Zepperitz, Horst, S. 163.
81 VgI. Tabelle 1. 82 Vgl. Wäldchen, Paul, Die Regionalpolitik, S. 89. 83 Die Kommission schlug vor, die Verteilung der Mittel nicht nach Quoten, sondern durch einen Entschluß der Kommission unter Einbezug des Ausschusses für Regionalpolitik durchzuführen; Dieser Vorschlag hatte sich im politischen Verhandlungsprozeß allerdings nicht durchsetzen können; vgl. dazu Albrecht, Wilma, Faber, Peter, Regionalpolitik in der EG, S. 205. 84 Vgl. Spiekermann, Bemd, Malchus, Viktor Frhr. von, Ortmeyer, August, Schuster, Franz, Olbrich, losef, Europäische Regionalpolitik, Köln 1988, S. 12.
48
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
ersten erfolglosen Anstrengungen wirksamer Schritt hin zu einer Koordinierung der nationalen Regionalpolitiken interpretiert werden. 8s Bezüglich der Mittelverteilung durch den EFRE wird teilweise bemängelt, daß diese nicht regionalpolitisch motiviert war, sondern lediglich zum Ausgleich von Nettozahlerpositionen von entwickelteren Mitgliedstaaten dienen sollte. 86 Bei einer Analyse der Mittelverteilung gemäß Tabelle 1 ergibt sich jedoch, daß im Rahmen des Quotensystems 74% der Fördermittel für die drei Mitgliedstaaten mit den gravierendsten Regionalproblemen (Italien, Vereinigtes Königreich und Irland)87 und 11 % der Fördermittel für die fünf Mitgliedstaaten mit den geringsten Regionalproblernen (Luxemburg, Dänemark, Belgien, Niederlande und die Bundesrepublik Deutschland) bestimmt waren. Damit kann eher davon ausgegangen werden, daß mit der Errichtung des EFRE erstmalig in der EG-Haushaltspolitik der bisher praktizierten ,juste-retour-Politik"88, die ohne sonstige distributive Ziele die Ausgabenstruktur lediglich an der Einnahmenstruktur orientiert, eine Absage erteilt wurde. 89 Dies ist aus integrationspolitischen Überlegungen positiv zu werten. Problematisch hingegen ist, daß bei der vom Rat beschlossenen Art der Mittel verteilung zwar sicherlich eine Umverteilung zugunsten der bedürftigen Länder erfolgte, damit aber noch nicht sichergestellt war, daß auch die bedürftigsten Regionen in diesen Ländern mit Mitteln bedacht wurden, da die finanzielle Beteiligung des EFRE von einer bereits bestehenden Förderung durch den Mitgliedstaat abhängig war. Dies bedeutet, daß von ihren Staaten geförderte Regionen aufgrund dieser schon bestehenden Förderung noch zusätzlich EFREMittel erhalten konnten, auch wenn sie höhere Pro-Kopf-Einkommen und niedrigere Arbeitslosenzahlen vorzuweisen hatten als nicht geförderte Regionen in ärmeren Mitgliedstaaten, die wegen der mangelnden nationalen Förderung auch
8S Vgl. Kommission, Beihilfen, S. 30 f.. Zur Entwicklung der Koordinierung der nationalen Regionalpolitiken in der Gemeinschaft vgl. Abschnitt B.9.6.
86 Vgl. Mawson, lohn, Martins, Mario Ruis, Gibney, lohn, The Development of the European Community Regional Policy, in: Keating, Michael, Iones, Barry (Hrsg.): Regions in the European Community,Oxford, 1985, S. 20-59, hier S. 24 f.; Waniek, Roland, Die Regionalpolitik, S. 50 ff. 87 Italien hatte Probleme mit dem wirtschaftlich stark unterentwickelten Süden, das Vereinigte Königreich mit seinen alten Industrieregionen und Irland war stark landwirtschaftlich geprägt. 88 Bekannt ist der Ausspruch der englischen Premierministerin Margret Thatcher: ,J want my moneyback". 89 Vgl. Bieh!, Dieter, Europäische Regionalpolitik, S. 171; vgl. ähnlich auch Thomson, George, Die integrationspolitische Bedeutung europäischer Regionalpolitik im Rahmen der Neun, in: BA, Heft 21974, S. 37-44, hier S. 38 f.
III. Die ursprüngliche Konzeption des Regionalfonds von 1975
49
keine EG-Beihilfen beantragen konnten. 90 Dieses Problem sollte im Rahmen des ursprünglichen Kommissionsvorschlags dadurch verringert werden, daß man als Voraussetzung für die FörderungsWÜTdigkeit eines Gebietes festlegen wollte, daß das BIP je Einwohner dort geringer sein müsse als im Gemeinschaftsdurchschnitt.91 Dieses gemeinschaftsweit einheitliche Kriterium konnte sich im Rat allerdings nicht durchsetzen. 92 Weiterhin wird an dem Ratsentscheid die Kritik geübt, der EFRE würde die unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Regionen nicht genügend berücksichtigen (sog. "Unitarisierungsvorwurf').93 Dieser Vorwurf muß insofern abgeschwächt werden, als nach der Fonds-Verordnung von 1975 für die Beteiligung des Regionalfonds an bereits national geförderten Projekten unabhängig von seinen eigenen Beihilfekriterien zugleich aber nationale oder gar regionale Beihilfekriterien des Mitgliedstaates für die Förderung eines Projektes maßgeblich waren, Kriterien also, die von Institutionen erstellt wurden, die näher an der regionalen Problemlage sind als eine zentrale europäische Instanz. Dies bedeutet, daß über die Förderung des EFRE nach bereits bestehenden nationalen Beihilfen eine Beteiligung lokaler Entscheidungsträger in der Höhe gewährleistet war, in der die nationale regionalpolitische Konzeption diesen ein Mitspracherecht zugestand. Ein entscheidender Kritikpunkt ist schließlich das Fehlen wirksamer Kontrollinstrumente bzgl. der Effizienz der eingesetzten Mittel. Auf Veranlassung der Kommission konnten lediglich Nachprüfungen von den zuständigen Stellen der jeweiligen Mitgliedstaaten durchgeführt werden, die dazu dienten zuuntersuchen, ob alle nötigen Belege vorhanden waren und die finanzierten Vorhaben und Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurden. 94 Letztendlich kann auch die anfängliche Mittelausstattung des Fonds von 300 bzw. 500 Mio. RE p.a. als zu gering im Verhältnis zu den zu bewältigenden Problemen angese-
90 Vgl. Krieger-Boden, Christiane, Zur Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaft, in: Die Weltwirtschaft, Heft 1 1987, S. 82-96, hier S. 89.
91
Vgl. Vorschlag der Kommission vom 31.7.1973, Art. 3 Abs. 2, in: AbI. Nr. C 86, S. 8.
92
Vgl. Bursig, Beatrix, S. 163.
93 Vgl. Waniek, Roland, Die Regionalpolitik, S. 51 f. Der Begriff der Unitarisierung geht auf den Verfassungsrichter Konrad Hesse zurück, der damit eine Stärkung des Bundes zu Lasten der Kompetenzen der Länder beschreibt; vgl. Hesse, Konrad, Der unitarische Bundesstaat, Karlsruhe 1962. 94
Vgl. VO Nr. 724n5 vom 18.3.1975, Art. 9 Abs. 4, in AbI. Nr. L 73, S. 5 f.
4 Wellenhofer
50
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
hen werden. 9s Das Europäische Parlament hatte in seiner Entschließung zur Einrichtung des Regionalfonds eine fast doppelt so hohe Mittelausstattung als angemessen angesehen. 96
IV. Die erste Umgestaltung des EFRE von 1979 1. Die Verbesserungsvorschläge der Kommission
Gemäß der Verordnung betreffend den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung von 1975 hatte der Rat die Aufgabe, diese bis zum 1.1.1978 zu überprüfen. 97 Dazu sollte die Kommission Verbesserungsvorschläge zur effizienteren Gestaltung des Fonds unterbreiten,98 was am 3.6.1977 geschah. 99 Die vorgelegten Vorschläge nahmen zum Teil auf die oben erwähnten Kritikpunkte an der ursprünglichen Konzeption des EFRE Bezug: Wichtigster Vorschlag war, daß die Gemeinschaft mit den Fondsmitteln nicht nur nationale regionalpolitische Maßnahmen unterstützen sollte, sondern ihr das Recht eingeräumt werden sollte, daneben in eigener Verantwortung spezifische Gemeinschaftsaktionen durchzuführen. Diese spezifischen Gemeinschaftsaktionen sollten sich auf Regionen mit hohen Intensitätsgraden an regionalen Ungleichgewichten 100 beziehen und auch auf Gebiete erstrecken können, die bisher noch nicht von den Mitgliedstaaten als förderungswürdig ausgewiesen worden waren. Daneben wurden insbesondere Bestimmungen, die den Komplementärcharakter der EFRE-Beihilfen nachweisen und so die Substitution von nationalen durch EG-Mittel verhindern sollten und Veränderungen bei den Entscheidungsabläufen bei der Zuschußgewährung gefordert. Die Ausstattung des Fonds sollte nach Meinung der Kommission jährlich im EG-Haushalt und nicht über die Fondsvorschriften geregelt werden.
9S
Vgl. Bursig, Beatrix, S. 166 ff.
96 Vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments, in: AbI. Nr. C 108 vorn 10.12.1973, S. 51. 97
Vgl. VO Nr. 724n5 vorn 21.3.1975, Art. 18, in: AbI. Nr. L 73, S. 7.
98 Vgl. VO Nr. 724n5 vorn 21.3.1975, Art. 2 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 73, S. 2. 99
Vgl. Vorschlag der Kommission vorn 3.6.1977, in: AbI. Nr. C 161, S. 11-20.
Die Intensitätsgrade sollen aus folgenden Indikatoren berechnet werden: Entwicklung der Arbeitslosenquote in den Gebieten im Laufe der letzten fünf Jahre, Prozentsatz der in der Landwirtschaft und in schrumpfenden Industriezweigen beschäftigten Erwerbsbevölkerung, Wanderungssaldo der Gebiete im Laufe der letzten fünf Jahre, Entwicklung und Höhe des Bruttoinlandsproduktes. 100
IV. Die erste Umgestaltung des EFRE von 1979
51
2. Die Merkmale der Regionalfonds-Verordnung von 1979
Über zwanzig Monate nach Veröffentlichung der Kommissionsvorschläge kam es zur Änderung der ursprünglichen EFRE-Verordnung,101 wobei der Rat darin die groben Linien des Kommissionsvorschlages nachvollzog. Wichtigste Neuerung gegenüber der ursprünglichen Fondskonzeption war die Einführung einer unquotierten Abteilung neben die nach wie vor bestehende quotierten Abteilung. I02 Fünf Prozent der gesamten Fondsmittel sollten jährlich an die neu geschaffene Abteilung fallen, wobei davon nicht-verbrauchte Mittel an die quotierte Abteilung zurückgehen sollten.
Im Rahmen der nicht-quotierten Abteilung konnte sich der EFRE an der Finanzierung von spezifischen Gemeinschaftsmaßnahmen beteiligen. Intervenieren konnte der Fonds in allen Gebieten auch dann, wenn sie auf nationaler Ebene keine Fördergebiete waren und dort der betreffende Mitgliedstaat selbst nicht intervenierte oder interveniert hatte. 103 Kriterium für eine Beteiligung des Fonds an diesen spezifischen Gemeinschaftsmaßnahmen war der schon im Kommissionsvorschlag von 1977 auftauchende Intensitätsgrad der regionalen Ungleichgewichte in den betreffenden Regionen,l04 nicht eine starre Quotenregelung, wie sie bisher ausschließlich bestand. Gefördert werden sollten Maßnahmen, welche negative regionale Auswirkungen von sonstigen Gemeinschaftspolitiken bekämpfen oder - in Ausnahmefällen - starke strukturelle Schwierigkeiten von Regionen abschwächen konnten. Nicht gefördert werden durften Umstrukturierungsvorhaben von wirtschaftlich rückläufigen Sektoren. lOS Die spezifischen Gemeinschaftsmaßnahmen wurden von der Gemeinschaft und dem betreffenden Mitgliedstaat bzw. den betreffenden Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen finanziert. Zur Erlangung der Zuschüsse mußten die Mitgliedstaaten detaillierte Anträge bei der Kommission einreichen, die dann ihrerseits diese Anträge dem Rat vorschlug. I06 Der Rat mußte jede derartige Maßnahme einstimmig nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses als Sonderprogramm beschließen. Dabei legte er 101 Vgl. VO Nr. 214n9 vom 6.2.1979, in: AbI. Nr. L 35, S. 1-7. 102 Vgl. VO Nr. 214n9 vom 6.2.1979, Art. 2, in: AbI. Nr. L 35, S. 2. 103 Vgl. VO Nr. 214n9 vom 6.2.1979, Art. 3, in: AbI. Nr. L 35, S. 2. 104 Vgl. VO Nr.214n9 vom 6.2.1979, Art. 2, in: AbI. Nr. L 35, S.2. hn Unterschied zum
Kommissionsvorschlag weist der Ratsbeschluß allerdings keine Kriterien dafür auf.
4'
lOS
Vgl. VO Nr. 214n9 vom 6.2.1979, Art. 13, in: AbI. Nr. L 35, S. 5 f.
106
Vgl. VO Nr. 214n9 vom 6.2.1979, Art. 13, in: AbI. Nr. L 35, S. 5 f.
52
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
die Art der geförderten Maßnahmen, der geförderten Gebiete, sonstige öffentliche Fördennittel, die bei der Beteiligung des EFRE zu berücksichtigen waren, die Höhe der Fonds-Beteiligung, die Zuschußempfänger und die Finanzierungsmodalitäten fest. 107 Die neue Verordnung wies keine nach Investitionsarten differenzierten Beteiligungshöchstsätze wie die bisherige Fondskonzeption auf. Eine ausreichende laufende Kontrolle der Programme sollte durch jährliche Berichte der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß gewährleistet werden. 108 Bereits am 16.10 1979 wurde dem Rat von der Kommission die Einführung von fünf aus der unquotierten Abteilung zu finanzierenden spezifischen Gemeinschaftsmaßnahmen zur regionalen Entwicklung vorgeschlagen,l09 die dieser inhaltlich nahezu unverändert am 7.10.1980 beschloß.lIO Die Laufzeit der Sonderprogramme betrug in jedem Fall fünf Jahre; dabei wurden jeweils sehr vielfältige Fördennaßnahmen und Fördersätze vorgeschlagen bzw. gewährt. Neben der beschriebenen neu hinzugekommenen unquotierten Abteilung bestand aber nach wie vor die quotengebundene Abteilung des Fonds, die den Löwenanteil von 95 % der gesamten Mittel zugewiesen bekam und die Förderung von in den Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen zur Aufgabe hatte. Die vom Rat für diese Abteilung modifizierten Quoten sind in Tabelle 2 aufgeführt.
107
Vgl. VO Nr. 214n9 vom 6.2.1979, Art. 13, in: AbI. Nr. L 35, S. 5 f.
108
Vgl. VO Nr. 214n9 vom 6.2.1979, Art. 18, in: AbI. Nr. L 35, S. 6.
109 Vgl. Vorschlag der Kommission vom 16.10.1979, in: AbI. Nr. C 285, S. 3-26. 110 Es handelt sich dabei erstens um ein Sonderprogramm zur Stärkung der Wirtschaftsstrukturen und Schaffung von Arbeitsplätzen in bestimmten französichen und italienischen Gebieten wegen des zu erwartenden sich verschärfenden Wettbewerbs in Zusammenhang mit der anstehenden Süd-Erweiterung der Gemeinschaft (VO Nr. 2615/80 vom 7.10.1980, in: AbI. Nr. L 271, S. 18), dann um zwei Sonderprogramme zur Schaffung neuer Arbeitsplätze wegen der Rationalisierungen in der Eisen- und Stahlindustrie einerseits (VO Nr. 2616/80 vom 7.10.1980, in: AbI. Nr. L 271, S.9-15) und der Krise in der Schiffahrtsindustrie andererseits (VO Nr.2617/80 vom 7.10.1980, in: AbI. Nr. L 271, S.16-22); ein weiteres Sonderprogramm forderte die Errichtung von Energiegewinnungsanlagen im Mezzogiomo, der unter einem deutlichen Energiedefizit zu leiden hatte (VO Nr. 2618/80 vom 7.10.1980, in: AbI. Nr. L 271, S.23-27) und ein fünftes Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in den Grenzgebieten von Irland und Nordirland (VO Nr. 2619/80 vom 7.10.1980, in: AbI. Nr. L 271, S.28-33).
IV. Die erste Umgestaltung des EFRE von 1979
53
Tabelle 2
EFRE-Länderquoten der quotierten Abteilung (1979 bis 1984, in Prozent) Land Belgien Bundesrep. Deutschland Dänemark Frankreich Griechenland Irland Italien Luxemburg Niederlande Vereinigtes Königreich
1979 - 1980
1981 - 1984
1,39 6,00 1,20 16,86 0,00 6,46 39,39 0,09 1,58 27,03
1,11 4,65 1,06 13,64 13,00 5,94 35,49 0,07 1,24 23,80
Quelle: Rat der Europäischen Gemeinschaften, VO Nr. 214179 vom 6.2.1979, Art. 2 Abs. 3a.
In der quotierten Abteilung konnten nur Investitionen, die eine Mindestinvestitionshöhe von 50.000 ERB aufwiesen, gefördert werden (vorher 50.000 RB).l11 Unter bestimmten Umständen ll2 konnten die Fondsbeteiligungen an Investitionen im Dienstleistungs- und Handwerksbereich 20% der Kosten übersteigen, im Infrastukturbereich wurden die Beihilfesätze auf bis zu 40% der Kosten im Vergleich zu vorher bis zu 30% erhöht. 113 Zudem beschloß der Rat, daß die Ausstattung des Regionalfonds ab 1978 im Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaft 1l4 festgelegt werden sollte sowie einige Vorschriften, die eine verwaltungsvereinfachende, beschleunigendellS
111
VgI. VO Nr. 214179 vom 6.2.1979, Art. 4 Abs. I, in AbI. Nr. L 35, S. 2.
112 Die Beihilfe darf nicht mehr als 10.000 ERE je geschaffenen oder erhaltenen Arbeitsplatz oder mehr als 50% der staatlichen Beihilfen betragen; vgI. VO Nr. 214179 vom 6.2.1979, Art. 4 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 35, S. 3. 113 VgI. VO Nr. 214179 vom 6.2.1979, Art. 4, in: AbI. Nr. L 35, S. 2 f.; ebenfalls kann sich der Fonds an der Finanzierung von Untersuchungen beteiligen, die in engem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit stehen und auf Antrag eines Mitgliedstaates durchgeführt werden, wobei die Fondsbeteiligung 50 % der Gesamtkosten nicht überschreiten darf (vgI. VO Nr. 214179 vom 6.2.1979, Art. 12, in: AbI. Nr. L 35, S. 5).
114 VgI. VO Nr. 214n9 vom 6.2.1979, Art. 2, in: AbI. Nr. L 35, S. 2; dadurch kann das Europäische Parlament seine ihm im Rahmen der Haushaltsberatungen zustehenden Rechte wahrnehmen. llS Bei Investitionen mit einem Kostenaufwand von weniger als 10 Mio. ERE wird das Beteiligungsverfahren vereinfacht; vgI. VO Nr. 214/79 vom 6.2.1979, Art. 5, in: AbI. Nr. L 35, S. 3.
54
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
bzw. den Komplementärcharakter der Gemeinschaftsmittel garantierende Wirkung 116 haben sollten. Am gleichen Tag verabschiedete der Rat ebenfalls auf eine Initiative der Kommission hin eine Entschließung, in der die Kommission beauftragt wurde, in regelmäßigen Abständen einen Bericht über die sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft zu erstellen und dem Rat vorzulegen. 1I7 Diese periodischen Berichte sollten Grundlage für die Beurteilung der Regionalpolitik der Gemeinschaft und für daraus abgeleitete Vorschläge der Kommission über zukünftige vorrangige Ziele und Leitlinien der EG-Regionalpolitik an den Rat sein. Sie sind somit als Instrument zur Informationsgewinnung und Effizienzkontrolle anzusehen. 118 Der erste periodische Bericht erschien im Januar 1981. 119
Wegen des Beitritts Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft mußten zum 1.1.1981 die Quoten des EFRE geändert werden. l20 Griechenland erhielt 13% der Fondsmittel; entsprechend verringerten sich die Quoten der anderen Mitgliedstaaten, und zwar in der Weise, daß die reicheren Mitgliedstaaten größere Einbußen hinnehmen mußten als ärmere. 121 3. Bewertung der Regionalfonds-Reform von 1979
Die Einrichtung einer nicht-quotierten Abteilung in der Gesamtkonzeption des EFRE bedeutete für die Gemeinschaft eine Abkehr vom bisherigen reinen 116 Vgl. VO Nr. 214f79 vom 6.2.1979, Art. 6, in: AbI. Nr. L 35, S. 3 f. Art. 16 derselben Verordnung in AbI. Nr. L 35, S. 6 verlangt, daß die Mitgliedstaaten der Kommission auf ihren Antrag hin Angaben über die Verwendung der aus dem Fonds erhaltenen Gelder übermitteln müssen. 117
Vgl. Entschließung des Rates vom 6.2.1979. in: AbI. Nr. C 36. S. 10-11.
118
Vgl. Waniek. Roland, Die Regionalpolitik, S. 57.
119 Für die weiteren Berichte ist eine Periodizität von zweieinhalb Jahren geplant, um die regionale Situation während der Laufzeit der mittelfristigen FÜDfjahresprogramme zweimal überprüfen zu können; vgl. McNamara, Brendan. Die Rolle der regionalen Analyse bei der Gestaltung der Regionalpolitik der Gemeinschaft, in: RuR. Jg. 41 (1983). Heft 1/2, S. 21-27. hier S. 21. 120 Vgl. VO Nr. 3325/80 vom 16.12.1980. in: AbI. Nr. L 349. S. 10; das Mittelverteilungsschema ist in Abb. 2 dargestellt. Die neue Quotierung sollte zunächst nur ein Jahr gültig sein und vom Rat vor dem 1.1.1982 auf Vorschlag der Kommission überprüft werden. Die Kommission präsentierte dem Rat infolgedessen im Oktober 1981 eine erste Empfehlung zur Änderung der Fondsvorschriften, auf deren Grundlage der Rat allerdings keinen Entschluß faßt; vgl. AbI. Nr. C336 vom 23.12.1981. S. 60 Cf. Erst der folgende Kommissionsvorschlag ist Grundlage für die zweite Umgestaltung des EFRE durch den Rat; vgl. AbI. Nr. C 360 vom 31.12. 1983. S. 1 ff. 121
Vgl. Giolitti. Antonio. S. 12. Zu den Länderquoten ab 1981 vgl. Tabelle 2.
IV. Die erste Umgestaltung des EFRE von 1979
55
Zuschußcharakter des Fonds und eine Hinwendung zur Flexibilisierung ihrer Einsatzmöglichkeiten. 122 Im Rahmen dieser Abteilung konnte die Gemeinschaft als spezifische Gemeinschaftsmaßnahmen Sonderprogramme finanzieren, die in sich geschlossen sein und das endogene Entwicklungspotential erschließen bzw. ein günstiges Umfeld für private Investitionen schaffen sollten. 123 Damit hielt der Programmansatz - im Gegensatz zur Einzelinvestitionsbeihilfe - Einzug in die Politik des EFRE.I24 Bei der Festlegung der zu fördernden Maßnahmen, der Fördergebiete und der Höhe der finanziellen Förderung wurden der Kommission große Freiräume eingeräumt: Gemäß Art. 13 der Fondsverordnung mußten sich die nicht quotengebundenen Maßnahmen "ganz oder teilweise" von den quotengebundenen Maßnahmen des Regionalfonds unterscheiden. Dies wurde durch zum Teil völlig neuartige Maßnahmen erreicht, wie zum Beispiel durch Maßnahmen zur Unterstützung des unternehmerischen Potentials oder durch Startbeihilfen bei der Betriebsführung und -organisation. Die beschlossenen verwaltungsvereinfachenden und beschleunigenden Regelungen wie die vereinfachte Gewährung von Zuschüssen zur Reduzierung der Verwaltungsarbeit sind als Konsequenz von Lerneffekten der Verwaltung und als Bemühen zur Erreichung einer höheren regionalpolitischen Effizienz zu werten. Die Umgestaltung der Fondsverordnung erlaubte eigene regionalpolitische Initiativen der Gemeinschaft und stellte eine vorsichtige Abkoppelung des EFRE von den nationalen Regionalpolitiken dar. Sie war ein Versuch, das System der starren Quoten und der geringen Mittelkonzentration aufzubrechen l2S und ist somit ein erster Schritt von einer reinen Fondsverwaltung hin zu einer gemeinschaftlichen Regionalpolitik mit einheitlichen, gemeinschaftsweit geltenden Kriterien. Dies bedeutet, daß die Gemeinschaft nunmehr die Möglichkeit hatte, selbständiger als vorher ihre eigenen regionalpolitischen Vorstellungen zu realisieren. Sie hatte damit insbesondere auch die Möglichkeit, Beihilfen in den Regionen zu gewähren, in denen die Gemeinschaftspolitiken negative strukturelle Auswirkungen hatten. Dieser erste Schritt in die Richtung einer eigenständigen Regionalpolitik darf allerdings nicht überbewertet werden. Die nicht-quotengebundene Abteilung umfaßte lediglich ein Zwanzigstel der gesamten Fondsausstattung und stellte somit eine sehr geringe Größenordnung dar. 122 Vgl. Steinle, Wolfgang, Europäische Regionalpolitik zwischen Mittelkonzentration, Koordination und Flexibilität, in: RuR, Jg. 41 (1983), Heft 1/2, S. 3-8, hier S. 3. 123 Vgl. Kommission, 13. Jahresbericht, S. 22. 124 Vgl. Giolitti, Antonio, S. 11. 125 Vgl. Bursig, Beatrix, S. 175.
56
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Die Beschlußfindung im Rat zur Verabschiedung der Sonderprogramme mußte einstimmig erfolgen. Dies begünstigte den Mißbrauch des Regionalfonds im Rahmen des sog. "Bargaining-Prozesses", d. h. es entstand die Gefahr, daß Mitgliedstaaten die Zustimmung auf anderen Gebieten abhängig machten von dem Erhalt von Regionalgeldem oder die Mittel ohne Rücksicht auf regionale Ungleichgewichte verteilten. Dieses Abstimmungsverfahren führte aber auch dazu, daß letztendlich für alle Mitgliedstaaten Sonderprogramme beschlossen wurden. 126 Ein weiteres Problem lag darin, daß eine ausreichende Kohärenz zwischen den Sonderprogrammen und den übrigen Maßnahmen des EFRE nicht gewährleistet war. Vorschriften, die den Komplementärcharakter der EFRE-Mittel sicherstellen sollten, waren in die Verordnung zwar wiederum indirekt in der Präambel der Verordnung, so aber immer noch nicht wirksam genug aufgenommen worden. Nach wie war ein effizientes Beihilfen-Controlling nicht vorgesehen. Die unbefriedigenden Vorschriften bzgl. der Nachprüfungen der vom EFRE finanzierten Vorhaben blieben im Vergleich zur Verordnung von 1975 unverändert. Ebenso beinhalteten die zur Kontrolle der Programme vorgesehenen jährlichen Berichte lediglich Angaben über durchgeführte Maßnahmen, nicht aber zu Fragen der Effizienz des Mitteleinsatzes. Aufgrund der Vielfalt der vorgeschlagenen Maßnahmen war sogar ein Vergleich der verschiedenen Interventionen in Hinblick auf Kontrollzwecke sehr problematisch. Insgesamt kann man feststellen, daß sich durch die erste RegionalfondsReform trotz positiver Ansätze die regionalpolitische Effizienz nur geringfügig erhöht hatte.
126
Vgl. Waniek, Roland, Die Regionalpolitik, S. 57.
v. Die zweite Umgestaltung des EFRE von 1984
57
V. Die zweite Umgestaltung des EFRE von 1984 1. Die Merkmale der RegionaIfonds-Verordnung von 1984
Am 19. Juni 1984 beschloß der Rat eine Neukonzeption der gemeinschaftlichen Regionalpolitik. 127 Diese betraf insbesondere die Art der geförderten Maßnahmen, die Erhöhung der Beteiligungssätze, den Modus der Verteilung der Fondsmittel auf die einzelnen Mitgliedstaaten und die Betonung der Koordinierung der regionalpolitischen Maßnahmen zwischen Gemeinschafts- und nationalerEbene. Nach der neuen Fondsvorschrift konnte der EFRE mit nunmehr vier verschiedenen Maßnahmearten 128 eine breitere Palette an Maßnahmen finanzieren als bisher. Der EFRE unterstützte: - mehrjährige Programme zur Erreichung gemeinschaftlicher Ziele, - Maßnahmen zur Erschließung des endogenen Entwicklungspotentials von Regionen, - einzelne private oder öffentliche Vorhaben, - Untersuchungen von Fragen, die in engem Zusammenhang mit der Tätigkeit des Fonds standen, insbesondere Untersuchungen zur Effizienz der Verwendung der Fondsmittel. Eine Priorität sollte die Finanzierung von Programmen besitzen: Drei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung sollten mindestens 20% der EFRE-Mittel im Rahmen von Programmen verausgabt werden. 129 Alle Investitionen, die gefördert werden sollten, mußten sich, wie seit der Verordnung von 1975 üblich, in ein Regionales Entwicklungsprogramm einfügen. Mehrjährige Programme zur Verringerung der regionalen Disparitäten sollten von der Gemeinschafts- und den nationalen Ebenen gemeinsam aufgestellt und finanziert werden. Der Rat wollte diese Maßnahmenart gezielt fördern und forderte die Mitgliedstaaten in der neugefaßten Verordnung dazu auf, innerhalb von drei Jahren mindestens ein Fünftel ihrer Zuschußanträge in Form von der-
127 Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, in: ABI. Nr. L 169, S. 1-16; Grundlage ist der Vorschlag der Kommission vom 18.11.1983, in: AbI. Nr. C 360, S. 1-15 und ein Bericht der Kommission an den Rat über Vorschläge zur Stärkung der Strukturfondseffizienz (vgl. Kommission, Bericht und Vorschläge über die Mittel zur Stärkung der Effizienz der Strukturfonds der Gemeinschaft, abgedruckt in: Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 3 1983). 128
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 5, in: ABI. Nr. L 169, S. 4.
129
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 6, in: ABI. Nr. L 169, S. 4.
58
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
artigen Programmen einzureichen. l3O Es gab grundsätzlich zwei Arten von Programmen: Gemeinschaftsprogramme und Nationale Programme von Gemeinschaftlichem Interesse, dazu kam als Sonderform die Integrierte Entwicklungsmaßnahme. Die noch heute, wenngleich in geringfügig veränderter Form fortbestehenden Gemeinschaftsprogramme ersetzten die Maßnahmen der früheren quotenfreien Abteilung. Gemeinschaftsprogamme sind Bündel kohärenter mehrjähriger Maßnahmen, die unmittelbar mit der Erreichung gemeinschaftlicher Ziele und mit der Durchführung von Gemeinschaftspolitiken zusammenhängen; sie sollen zur Lösung ernster sozioökonomischer Probleme einer oder mehrerer Regionen beitragen; sie betreffen grundSätzlich die Hoheitsgebiete mehrerer Mitgliedstaaten. 13I Ein Gemeinschaftsprogramm wird auf Antag eines oder mehrerer Mitgliedstaaten von der Kommission dem Rat vorgelegt, der die spezifischen Ziele, die zu fördernden Regionen, die Art der Maßnahmen und die Höhe der gemeinschaftlichen Beteiligung132 festlegt. In dem so abgesteckten Rahmen erarbeiten nun die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zusammen mit der Kommission das spezifizierte Gemeinschaftsprogramm, das neben den schon vom Rat festgelegten Angaben auch einen Finanzierungsplan für die verschiedenen gemeinschaftlichen und nationalen Finanzierungsquellen, die erwarteten Ergebnisse möglichst in quantifizierter Form und Bestimmungen über die Öffentlichkeitsarbeit enthalten muß. \33 Als Gemeinschaftsprogramme wurden zunächst beschlossen: 134 - STAR (Gemeinschaftsbeteiligung zwischen 1987 und 1991 780 Mio. ECU) mit dem Ziel, den benachteiligten Regionen einen verbesserten Zugang zu Telekommunikationsdiensten zu verschaffen, - VALOREN (Gemeinschaftsbeteiligung zwischen 1987 und 1991 400 Mio. ECU) mit dem Ziel, durch die Erschließung des endogenen Energiepotentials einen Beitrag zur Regionalentwicklung zu leisten, - RESIDER (Gemeinschaftsbeteiligung zwischen 1988 und 1992 300 Mio. ECU) mit dem Ziel, einen Beitrag zur Umstellung der von der Umstrukturierung der Eisen- und Stahlindustrie betroffenen Regionen zu leisten, 130
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 6, in: ABI. Nr. L 169, S. 4.
131
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 7, in: ABI. Nr. L 169, S. 4.
diese kann abhängig von der Unterentwicklung der Region und der Art der Maßnahme bis zu 55 % der öffentlichen Gesamtförderung erreichen. 132
133
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 8, in: AbI. Nr. L 169, S. 4 f.
Eine ausführliche Zusammenstellung der bis 1991 beschlossenen Gemeinschaftsinitiativen beinhaltet der vierte periodische Bericht; vgl. Kommission, Vierter periodischer Bericht, S. 57 f. 134
v. Die zweite Umgestaltung des EFRE von 1984
59
- RENAVAL (Gemeinschaftsbeteiligung zwischen 1988 und 1992 200 Mio. ECU) mit dem Ziel, einen Beitrag zur Umstellung der Umstrukturierung der Schiffbauindustrie betroffenen Regionen zu leisten. Nationale Programme von gemeinschaftlichem Interesse waren ebenfalls Bündel mehrjähriger kohärenter Maßnahmen; sie wurden im Gegensatz zu den Gemeinschaftsprogrammen aber auf einzelstaatlicher Ebene festgelegt und verfolgten so zunächst einzelstaatliche Zielsetzungen. Sie mußten allerdings zur Erreichung bzw. Durchführung von gemeinschaftlichen Zielen und Politiken beitragen und konnten sich auch auf die Hoheitsgebiete mehrerer Länder erstrecken. Nach einem nationalen Schlüssel wurde festgelegt, in welcher Höhe den Mitgliedstaaten Mittel des EFRE für nationale Programme von gemeinschaftlichem Interesse mindestens zustanden. 13S Gefördert werden konnten Infrastrukturinvestitionen und Investitionen von Industrie-, Handwerks- und Dienstleistungsuntemehmen. Die von den Mitgliedstaaten gestellten Beihilfeanträge wurden von der Kommission im Hinblick auf ihren Beitrag zur Erreichung der re-. gionalpolitischen Ziele der Gemeinschaft beurteilt. Im Gegensatz zu den Gemeinschaftsprogrammen konnten hier nur Regionen, die von den Mitgliedstaaten als Fördergebiete ausgewiesen waren, gefördert werden. Die Beteiligung des EFRE an der Finanzierung von nationalen Programmen von gemeinsamem Interesse konnte bis zu 55% der Gesamtzuschüsse der öffentlichen Hand betragen. Integrierte Entwicklungsrnaßnahmen stellten eine Sonderfonn der Programme dar. 136 Charakteristisch für sie war der gleichzeitige und konzertierte Einsatz verschiedener regionaler Finanzinstrumente der Gemeinschaft und der an dem Programm beteiligten Mitgliedstaaten. 137 Ein Beispiel für integrierte Entwicklungsmaßnahmen der Gemeinschaft waren die Integrierten Mittelmeerprogramme IMP.138 Die IMP kamen großen Teilen Italiens, dem Süden Frankreichs und ganz Griechenland zugute. Sie dienten den begünstigten Mitgliedstaaten als finanzieller Ausgleich der Folgen des Beitritts von Portugal und Spanien und hatten eine Laufzeit von 1986 bis 1992. 139 Gleichzeitig wurden verschiedene gemeinschaftliche und nationale Finanzmittel verwendet. Aus den Fonds EFRE, ESF und dem EAGFL wurden 2,5 Mrd. ECU, an zusätzlichen spezifischen Mitteln 1,6 Mrd. ECU und an Darlehen aus
l3S
Vgl. VO NI. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 4 Abs. 3, in: ABI. Nr. L 169, S. 3.
136 Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 34, in: ABI. Nr. L 169, S. 13 f. 137
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 34 Abs. 2, in: ABI. Nr. L 169, S. 13 f.
138
Vgl. VO Nr. 2088/85 vom 23.7.1985, in: AbI. Nr. L 197, S. 1-9.
139
Vgl. VO Nr. 2088/85 vom 23.7.1985, Art. 11, Abs. 1, in: AbI. Nr. L 197, S. 4.
60
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Mitteln der EIB und des NGI insgesamt 2,5 Mrd. ECU bereitgestellt. Die Förderintensität betrug maximal 70% der Vorhabensumme. Die Programme wurden von den Mitgliedstaaten ausgearbeitet und zunächst einem Ausschuß vorgelegt, der zu ihnen Stellung nahm. Nach der Genehmigung der Programme durch die Kommission wurden eigene Programmverträge zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten zur Durchführung der Programme abgeschlossen. 14O Bei den Maßnahmen zur Erschließung des endogenen Entwicklungspotentials von Regionen beteiligte sich der EFRE an der Finanzierung kohärenter Maßnahmenbündel, die den Unternehmen der geförderten Gebiete benötigte Dienstleistungen zur Verfügung stellten, mit deren Hilfe sie ihre Aktivitäten erweitern konnten und Zugang zu neuen Technologien und dem Kapitalmarkt finden konnten. 141 Begünstigte Unternehmen sollten in erster Linie Klein- und Mittelbetriebe aus der Industrie, dem Handwerk und dem Fremdenverkehr sein. 142 Konkrete förderwürdige Maßnahmen konnten etwa Betriebskostenstartbeihilfen, Unternehmensberatungen, Marktuntersuchungen, Studien zur Erforschung des endogenen Entwicklungspotentials in Regionen, die in den Genuß der EFRE-Maßnahmen kamen oder Aktivitäten im Bereich des Technologietransfers sein. 143 Der EFRE konnte die genannten Maßnahmen bis zu 55 % des gesamten Ausgabenbetrages der öffentlichen Hand bezuschussen, der Zuschuß war auf 100.000 ECU je Maßnahme beschränkt. l44 Maßnahmen zur Erschließung des endogenen Entwicklungspotentials von Regionen konnten sowohl in Form von Programmen als auch in Form von einzelnen Vorhaben finanziert werden. Nach wie vor konnte sich der EFRE aber auch an einzelnen privaten oder öffentlichen Investitionsvorhaben beteiligen. Voraussetzung für die Förderungswürdigkeit der Investitionen im Industrie-, Handwerks-, Dienstleistungs- und Infrastrukturbereich war ein Mindestinvestitionsbetrag von 50.000 ECU und die Lage des Projektes in einem nationalen Fördergebiet. 145 Private Investitionen konnten mit bis zu 50% der Gesamtbeihilfen der öffentliche Hand, öffentliche Infrastrukturinvestitionen mit bis zu 55% der Gesamtausgaben gefördert werden. Anträge auf Zuschüsse aus dem EFRE zu Vorhaben waren von den Mitgliedstaaten zusammen mit detaillierten Angaben bzgl. der geplanten Investition 140
Vgl. VO Nr. 2088/85 vom 23.7.1985, Art. 7, Abs. 2, in: AbI. Nr. L 197, S. 3.
141
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 15 Abs. 1 S. I, in: ABI. Nr. L 169, S. 7.
142
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 15 Abs. 1 S. I, in: ABI. Nr. L 169, S. 7.
143
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 15 Abs. 1 S. 2, in: ABI. Nr. L 169, S. 7.
144
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 16 Abs. I, in: ABI. Nr. L 169, S. 7.
145
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 17, in: ABI. Nr. L 169, S. 7 f.
V. Die zweite Umgestaltung des EFRE von 1984
61
der Kommission vorzulegen. Diese entschied nach Maßgabe der relativen Intensität des wirtschaftlichen Ungleichgewichts der Region und den Auswirkungen der Investition auf die Beschäftigungslage. 146 Letztendlich konnte der EFRE sich auch an der Finanzierung von Untersuchungen, die in einem engen Zusammenhang mit der Tätigkeit des Fonds standen, beteiligen. Hier übernahm der Fonds in der Regel 50%, bei Untersuchungen von außergewöhnlicher Bedeutung bis zu 70% der Kosten. Untersuchungen bezüglich der Effizienz der Verwendung der EFRE-Mittel konnte der Fonds sogar in voller Höhe übernehmen. 147 Eine weitere Änderung der neuen EFRE-Verordnung betraf die Art der Verteilung der Fondsmittel auf die Mitgliedstaaten. Statt des Systems einer quotierten und unquotierten Abteilung wurden im Rahmen des Spannensystems Beteiligungsspannen berücksichtigt, auf die alle vier Maßnahmearten angerechnet wurden und die für jeweils drei Jahre festgesetzt waren. Jedem Mitgliedstaat wurde eine Beteiligungsspanne zugewiesen, die aus einer Unter- und einer Obergrenze für die prozentuale Beteiligung des Regionalfonds an Beihilfen bestand. Die Untergrenze stellte das garantierte Minimum an Beihilfemitteln des EFRE dar, sofern ein Beihilfevolumen in dieser Höhe während des betreffenden Zeitraumes überhaupt beantragt wurde. Die Obergrenze stellte das Maximum an Mitteln, die einem Mitgliedstaat zugewiesen werden konnten, dar. In Tabelle 3 sind die Beteiligungsspannen für die Mitgliedsländer dargestellt. Die Summen der einzelnen Obergrenzen liegen über, die Summe der einzelnen Untergrenzen unter 100% des EFRE-Gesamtfondsmittel. Dies hat zur Folge, daß im Rahmen der Differenz zwischen der Höhe der Gesamtfondsausstattung und der Summe der Untergrenzen - der sogenannten Marge l48 - in Höhe von 11,4% die Kommission nach eigenem Ermessen Beihilfen auf die Förderanträge der Mitgliedstaaten verteilen konnte.
146
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 20, in: ABI. Nr. L 169, S. 8.
147
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 24 Abs. 1 und 2, in: ABI. Nr. L 169, S. 10.
Vgl. Kommission, Europäischer Fonds für regionale Entwicklung, Dreizehnter Jahresbericht (1987) der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß, Brüssel-Luxemburg 1989, S. 76. 148
62
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Tabelle 3 Beteiligungsspannen des EFRE (ab 1985, in Prozent) Land Minimum Belgien Bundesrep. Deutschland Dänemark Frankreich Griechenland Irland Italien Luxemburg Niederlande Portugal
0,90 3,76 0,51 11,05 12,35
Maximum 1,20 4,81 0,67
5,64 31,94 0,06 1,00 0,00 0,00
14,74 15,74 6,83 42,59 0,08 1,34 0,00
Minimum 0,61 2,55 0,34 7,48 8,36 3,82 21,62 0,04 0,68 10,66 17,97
Maximum 0,82 3,40 0,46 9,96 10,64 4,61 28,79 0,06 0,91 14,20 23,93
Spanien 0,00 21,42 28,56 Vereinigtes Königreich 14,50 19,31 88,63 116,56 Gesamt 88,63 117,09 Quelle: Krieger-Boden, Christiane, Zur Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaften, 1987, S. 90.
Bei der Zuweisung der Marge verwendete die Kommission ein Beurteilungssystem, das die Güte des Gemeinschaftsinteresses der eingereichten Anträge beurteilen sollte. Es beruhte auf den drei Kriterien: - Beitrag eines Projektes zur Erreichung der Ziele der Regionalpolitik, - Beitrag eines Projektes zur Verwirklichung der anderen Gemeinschaftspolitiken, - Beachtung der Interventionsmodalitäten des EFRE. Das erste Kriterium prüfte, in welchem Umfang ein Vorhaben einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Korrektur der regionalen Ungleichgewichte beibringen konnte, das zweite Kriterium beschäftigte sich mit der Frage, inwieweit ein Vorhaben zu den Zielen der Sektorpolitiken der Gemeinschaft, zur Nutzung der örtlichen Ressourcen und zur Verbesserung des endogenen Entwicklungspotentials und der Beschäftigungslage beitragen konnte. Das dritte Kriterium spiegelte die Präferenz der J(ommission bezüglich der Art des geplanten Vorhabens wieder: Sie bevorzugte - in absteigender Reihenfolge 149 - Gemeinschaftsprogramme, Integrierte Mittelmeerprogramme, Integrierte
149
Vgl. Waniek, Roland, Die Regionalpolitik, S. 66.
v. Die zweite Umgestaltung des EFRE von 1984
63
Entwicklungsmaßnahmen und nationale Programme von gemeinschaftlichem Interesse. Wesentlich intensiver als in den bisherigen wurde schließlich in der neuen Regionalfondsverordnung die Notwendigkeit der Koordinierung der EG-Regionalpolitik mit anderen Gemeinschaftspolitiken und den nationalen Regionalpolitiken hervorgehoben: Der Gedanke der Koordinierung wurde in die Fondsverordnung aufgenommen. ISO Das Instrumentarium der Koordinierung umfaßte die regionalen Entwicklungsprogramme, den periodischen Bericht der Kommission und die Analyse regionaler Auswirkungen der gemeinschaftlichen Politiken. 2. Bewertung der Fondsverordnung von 1984
Mit der Fondsverordnung von 1984 reagierte der Rat auf die zunehmende Kritik an der bisherigen EG-Regionalpolitik. Verstärkt sollten zu Lasten der Einzelvorhaben Interventionen in Form der 1979 in die Fondstätigkeit integrierten Programme durchgeführt werden. Damit sollte zumindest ein Teil der EFRE Interventionen nach gemeinschaftsweit einheitlichen Kriterien erfolgen. lSl Ein flexibleres Spannensystem ersetzte das bisherige starre Quotensystem, wodurch die Kommission im Vergleich zu bisher 5% der unquotierten Fondsausstattung bis zu 11,4% der Mittel, also mehr als die doppelte Summe, nach eigenem Ermessen an die Mitgliedstaaten verteilen konnte. Durch das Kommission Einfluß auf Kosten der Mitgliedstaaten, aber auch des Rates. Aus Kontrollgründen mußten die Mitgliedstaaten alle zweieinhalb Jahre einen Bericht über die Durchführung der nationalen Regionalentwicklungsprogramme erstellen. 152 Insgesamt ergeben sich somit Ansätze zur Neuausrichtung der EG-Regionalpolitik. Allerdings darf die Bedeutung der Veränderungen nicht überschätzt werden: Die neuen Beteiligungsspannen konnten am grundsätzlichen Wesen der Quotierung nur eine marginale Änderung bewirken. Nach wie vor war die Kommission faktisch nicht in der Lage zu verhindern, daß die Mitgliedstaaten in dem Maße, in dem sie Gemeinschaftsmittel erhielten, eigene regionalpolitische
ISO Der Koordinierung wurde im Rahmen der Fondsverordnung ein eigener Titel I gewidmet; in den früheren Verordnungen tauchte der Gedanke der Koordinierung meist nur in der Präambel auf; zur Koordinierung vgl. ausführlich Abschnitt B.9.6. 151 Vgl. Gabriel, Hans, Menzel, Waltraut, Neuordnung der EG-Strukturfonds, Anstöße, Probleme und Chancen für die Regionalpolitik, in: WSI Mitteilungen, Jg. 42 (1989), Heft 10, S. 584-595, hierS.586. 152
Vgl. VO Nr. 1787/84 vorn 19.6.1984, Art. 2 Abs. 3b, in: ABI. Nr. L 169, S. 3.
64
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Anstrengungen verringerten. Da man den änneren Ländern in der Gemeinschaft eine zu weitgehende Bindung nationaler Haushaltsmittel nicht zumuten wollte, wurden Bestimmungen zur Zusätzlichkeit der Gemeinschaftsmittel in die neue Fondsverordnung nicht aufgenommen. Auch wurden wiederum keine wirksamen Mechanismen zu einer Kontrolle der Beihilfeneffizienz eingeführt. Durch die starke Ausdifferenzierung der Interventionsformen kam es vielmehr zu einer noch stärkeren Unübersichtlichkeit der Fondsvorschriften als bisher. Daneben stieß die Verteilung der Fondsmittel auf erhebliche Umsetzungsschwierigkeiten: Noch 1987 wurden für die Vorhabenfinanzierung vom Umfang her fünfeinhalbmal so viele Mittel ausgegeben wie für die Programrnfinanzierung. 153 Somit bestand ein Großteil der grundsätzlichen Probleme des Fonds zunächst weiter fort. 154
VI. Die Reform der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA) 1. Die grundlegende Konzeption der Reform
Im Juni 1985 wurde auf die Initiative Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland hin vom Mailänder Gipfel beschlossen, den Römischen Verträgen von 1957 einen Zusatzvertrag hinzuzufügen. Dieser Zusatzvertrag, die Einheitliche Europäische Akte (EEA) ISS, wurde von einer Regierungskonferenz ausgearbeitet, im Februar 1986 in Luxemburg unterzeichnet und am 1.7.1987 in Kraft gesetzt. Die EEA war bis zum Maastrichter Gipfel die bedeutendste Änderung und Ergänzung der EG-Verträge. 156 Sie war die Grundlage für die Schaffung des Einheitlichen Europäischen Binnenmarktes l57 und zur Einführung neuer Politikbereiche auf Gemeinschaftsebene 158 • Desweiteren stärkte sie die 153 Dieses Problem wird vor allem mit Schwierigkeiten bei der Verwirklichung dieser Förderart im Rahmen von nationalen Regionalpolitiken begründet; vgl. Gabriel, Hans, Menzel, Waltraut, S.587. 154
Vgl. Waniek, Roland, Die Regionalpolitik, S. 68.
Vgl. Konunission, Einheitliche Europäische Akte, abgedruckt in: Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 21986. ISS
156
Vgl. Weindl, Josef, S. 10.
Vgl. Art. 8a EWGV; Endzeitpunkt zur Schaffung des Binnenmarktes sollte der 31.12.1992 sein. Zur Entwicklung des Binnenmarktes vgl. Scharrer, Hans-Eckart, Die Einheitliche Europäische Akte, Der Binnenmarkt, in: Integration, Jg. 9 (1986), Heft 3, S. 108-114. 157
158
Die wichtigsten Bereiche sind Forschung, technologische Entwicklung und Umweltpolitik.
VI. Die Refonn der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
65
Kompetenzen der Gemeinschaftsorgane 159 und bekräftigte den Willen zur Schaffung einer Europäischen Union. Daneben erteilte sie den Institutionen der Gemeinschaft ausdrücklich auch die "vorrangige" Aufgabe, regional- und strukturpolitische Ziele zu verfolgen. l60 Zu diesem Zweck wurde der EWGV um einen eigenen Zusatzabschnitt mit dem Titel "Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt" (Art.23 EEA, sog. "Kohäsionsziel"161) ergänzt, der die Art. 130 abis 130 e EWGV enthält. Dieser Zusatzabschnitt enthält bereits die wesentlichen Grundsätze der späteren Strukturfondsreform. 162 Der neue Art. 130 a EWGV legt als regionalpolitische Ziele der Gemeinschaft die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts innerhalb der Gemeinschaft im Hinblick auf eine harmonische Entwicklung der EG als Ganzes und die Verringerung des Abstandes zwischen den verschiedenen Regionen und des Rückstandes der am wenigsten begünstigten Regionen fest. Art. 130 b EWGV gibt an, was die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft zur Zielerreichung beitragen können: Die Mitgliedstaaten koordinieren ihre Wirtschaftspolitik und die Gemeinschaft unterstützt diese Bemühungen durch den Einsatz der Strukturfonds (EFRE, ESF und EAGFL, Abt. Ausrichtung), der EIB und der sonstigen vorhandenen Finanzierungsinstrumente. Art. 130 c fordert den Beitrag des EFRE für die Entwicklung von zwei Gruppen von Problemgebieten, der rückständigen Gebiete und der alten Industriegebiete. Schließlich erteilt Art. 130 d EWGV der Kommission den Auftrag, dem Rat unmittelbar nach Inkrafttreten der EEA einen Vorschlag zur Effizienzsteigerung der Fonds und einer besseren Koordination zwischen ihnen und den sonstigen Finanzierungsinstrumenten zu unterbreiten. 163 Damit wurde die Reform vor dem Hintergrund einer erstmaligen rechtlichen Verankerung der Regional- und Strukturpolitik im EWGV vollzogen.
159 Vgl. ausführlich Ehlennann, Claus-Dieter, Die Einheitliche Europäische Akte: Die Refonn der Organe, in: Integration, Jg. 9 (1986), Heft 3, S. 101-107. 160
Vgl. Art. 130 a, Abs. 1 EWGV.
161 Der Begriff "Kohäsion" ist das deutsche Fremdwort des franzäsichen "cohesion" und des englischen "cohesion", deren offizielle Übersetzung im deutschen Vertragstext mit "WirtschaftIicher und sozialer Zusammenhalt" angegeben ist; vgl. Vögele, Dago, S. 89. 162 Vgl. Franzmeyer, Fritz, Seidel, Bernhard, Weise, Christian, S. 24 f. 163 Der abschließende Artikel 130 e EWGV bestimmt, daß die auf Grundlage dieses Beschlusses
zu erlassenden Durchführungsbestimmungen auf Vorschlag der Kommission und in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden können. 5 Wellenhofer
66
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
In Reaktion auf den Auftrag des Art. 130 d EWGV skizzierte die Kommission zunächst in der Mitteilung ,,Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden: Eine neue Perspektive für Europa"l64 die von ihr verfolgten Leitlinien zur Erreichung der Gemeinschaftsziele und verfaßte daraufhin einen vom Rat im Juli 1988 beschlossenen Gesamtvorschlag, der fünf Einzel-Verordnungen umfaßt: Eine Rahmenverordnung, die die allgemeinen Leitlinien und Grundprinzipien bezüglich der Tätigkeiten der Strukturfonds formuliert, eine die Rahmenverordnung inhaltlich auslegende Durchführungsverordnung zur Koordinierung der regional- und strukturpolitischen Aktivitäten der Gemeinschaft sowie für die drei Fonds EFRE, ESF und EAGFL, Abteilung Ausrichtung jeweils eine spezielle Durchführungsverordnung. Die fünf Verordnungen wurden zum 1.1.1989 in Kraft gesetzt. Die Reform der Strukturfonds wurde unter einem quantitativen und einem qualitativen Aspekt betrieben: Einerseits beschloß der Rat, die Mittel für die Strukturfonds von 1987 bis 1993 real zu verdoppeln. 165 Die für die Strukturfonds in diesen Jahren jeweils vorgesehenen Verpflichtungsermächtigungen (zu Preisen von 1988) zeigt Tabelle 4. Tabelle 4
Mittelausstattung der drei Strukturfonds in VerpOichtungsennäcbtigungen (1987 bis 1993, in Mrd. ECU)
1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993
7,2Mrd.ECU 7,2Mrd.ECU 9,OMrd.ECU 10,3 Mrd. ECU 11,6 Mrd. ECU 12,9 Mrd. ECU 14,5 Mrd. ECU
Quelle: VO Nr. 2052/88 vorn 24.6.1988, Art. 12 Abs. 2, in: ABI. Nr. L 185, S. 17; Kommission, Leitfaden zur Reform der Strukturfonds, Brüssel-Luxemburg 1989, S. 18; eigene Zusammenstellung.
164 Kommission, Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden, Eine neue Perspektive für Europa, abgedruckt in: Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 1 1987.
165 Vgl. VO Nr. 2052/88 vorn 24.6.1988, Art. 12 Abs. 2 S. 1, in: ABI. Nr. L 185, S. 17.
VI. Die Refonn der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
67
Von der Gesamthöhe der Verpflichtungsennächtigungen der drei Strukturfonds wurden 85% indikativ l66 auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt; der Rest von 15% der Mittel konnte für Gemeinschaftsaktionen verwendet werden. Tabelle 5 zeigt die indikative Aufteilung der 85%-Quote für den EFRE.167 Tabelle 5
Aufteilung von 85% der Verpflichtungsermächtigungen des EFRE Mit~liedstaat
Belgien Bundesrep. Deutschland Dänemark Frankreich Griechenland Irland Italien Luxemburg Niederlande Portugal Spanien Vereini&!es Köni~eich Gesamt Quelle: Kommission, Leitfaden, S. 18 f.
Ziel Nr. 1 0,0 0,0 0,0 2,1 16,2 5,4 24,5 0,0 0,0 17,5 32,6 1,7 100,0
Ziel Nr. 2 4,3 8,9 0,4 18,3 0,0 0,0 6,3 0,2 2,6 0,0 20,7 38,3 100,0
ZielNr.5b 1,2 27,5 0,7 37,2 0,0 0,0 16,4 0,1 2,2 0,0 7,2 7,5 100,0
Andererseits wurden der Refonn folgende Grundsätze zugrunde gelegt: Für die Mittelvergabe sollten die Prinzipien der Komplementarität, der Additionalität und der Vereinfachung der Mittelvergabeverfahren gelten. Das Prinzip der Komplementarität will, daß die Gemeinschaftsaktionen die nationalen Aktionen ergänzen,168 das Prinzip der Additionalität fordert. daß die Mitgliedstaaten ihre Interventionen zu strukturpolitischen Zwecken in mindestens dem gleichen Maße wie die gemeinschaftlichen Mittelzuflüsse erhöhen müssen 169 und das Prinzip der Vereinfachung der Verfahren will die Arbeitsweise der Struk166 Der Begriff ,,indikativ" bedeutet, daß Abweichungen von der Quote durch die Benachteiligten rechtlich nicht eingeklagt werden können. 167 Vgl. Kommission, Leitfaden zur Refonn der Strukturfonds, Brüssel-Luxemburg 1989, S.I7ff. 168 Vgl. va Nr.2052/88 vom 24.6.1988, Art. 4 Abs. 1 S. 1, in: ABI. Nr. L 185, S. 12; vgl. Kommission, Leitfaden, S. 21. 169 Vgl. va Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 9, in: ABI. Nr. L 374, S. 5; Kommission, Leitfaden, S. 21. 5'
68
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
turfonds besser koordinieren und vereinheitlichen l70 • Weitere Grundsätze sind: Die Konzentration der Maßnahmen auf fünf vorrangige und konkret genannte Ziele, die Partnerschaft zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten l71 und ein neues Verfahren bei der Planung und Durchführung der Interventionen mit Hilfe der Aufstellung von Gemeinschaftlichen Förderkonzepten und der Begleitung und Bewertung der Maßnahmen. Schließlich führte die Reform zu einer erhöhten Koordination der gemeinschaftlichen mit den mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitiken und der gemeinschaftlichen Strukturinstrumente untereinander und zu einer weiter verstärkten Schwerpunktsetzung in mehrjährigen Programmen anstatt in Einzelvorhaben. 172 2. Die Konzentration der Strukturfondsmittel auf fünf vorrangige Ziele
Die Reform der Strukturfonds bezweckte eine Konzentration der Fondsmaßnahmen auf die begrenzte Anzahl von fünf vorrangigen Zielen. 173 Diese wurden in der Rahmen-Verordnung bestimmt und näher erläutert.l14 Den Zielen wurden von der Rahmen-Verordnung jeweils bestimmte Strukturfonds für die Finanzierung der Fördermaßnahmen zugewiesen; daneben sollten auch die EIß und die sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente zur Zielerreichung beitragen. 175 - Ziel Nr. I: Förderung der Entwicklung und der strukturellen Anpassung von Regionen mit Entwicklungsruckstand. Für das Ziel Nr. I sind sämtliche drei Strukturfonds EFRE, ESF und EAGFL, Abteilung Ausrichtung zuständig. Unter diesem Ziel werden diejenigen Regionen auf NUTS 2-Ebene 176 gefördert, deren Brutto-Inlandsprodukt pro Kopf in den vergangenen drei Jahren unter oder nahe dem Wert von 75% des Gemeinschaftsdurchschnitts lag. 177 Ein Verzeichnis der für eine Förderung nach den Ziel-Nr. I-Kriterien in Frage kommenden Regionen ist im Anhang der Rahmen170
Vgl. Kommission, Leitfaden, S. 22.
171
Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 4 Abs. I, in: AbI. Nr. L 185, S. 12.
172 Vgl. Europäisches Parlament, Eine neue Strategie für den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt nach 1992, Luxemburg 1992, S. 38.
173 Vgl. Kommission, Die Regionen in den 90er Jahren, Vierter Periodischer Bericht über die sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen in der Gemeinschaft, Brüssel-Luxemburg 1991, S. 53. 174
Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 1 und 8 ff., in: AbI. Nr. L 185, S. 11 und 13 ff.
175
Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 2, in: AbI. Nr. L 185, S. 11.
176
Zu den einzelnen NUTS-Ebenen in der Gemeinschaft vgl. ausführlich Abschnitt C.l.4.
177
Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 8, in: AbI. Nr. L 185, S. 13.
VI. Die Refonn der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
69
Verordnung wiedergegeben; es hatte eine Gültigkeit von fünf Jahren. Es sind dies die gesamten Staatsgebiete von Griechenland, Irland und Portugal, große Teile Spaniens, Italien südlich der Region Abruzzi, die französischen Überseegebiete, Korsika sowie Nord-Irland l78 und in Deutschland Berlin-West. In diesen Gebieten lebten ca. 21,7% der Gesamtbevölkerung der Gemeinschaft. 179 Innerhalb der Konzentration auf die fünf Strukturpolitik-Ziele sollte "ein erheblicher Teil der Haushaltsmittel"180 auf die unter das Ziel Nr. 1 fallenden Regionen konzentriert werden. Alleine der EFRE konnte bis zu 80% seiner Mittel für dieses Ziel verausgaben. 181 Im Rahmen der realen Verdoppelung der GesamtMittel der Strukturfonds bis 1993 wurden allein die Beiträge der Fonds für die unter das Ziel Nr. 1 fallenden Regionen schon bis 1992 auf das Doppelte erhöht. 182 - Ziel Nr. 2: Umstellung der Regionen, die von einer rückläufigen industriellen Entwicklung schwer betroffen sind. Zuständig für dieses Ziel sind die Strukturfonds EFRE und ESF. Die Kommission stellte hierzu eine Liste der für eine Förderung in Frage kommenden Regionen auf NUTS 3-Ebene auf. 183 Diese Gebiete mußten alle der folgenden Kriterien erfüllen: - eine Arbeitslosenquote, die während der vergangenen drei Jahre über dem Gemein-schaftsdurchschnitt lag, - eine Industrieerwerbstätigenquote, die in einem beliebigen Bezugsjahr seit 1975 dem Gemeinschaftsdurchschnitt entsprach oder über diesem lag und - ein Rückgang der Industrieerwerbstätigenzahl im Vergleich zu dem oben ausgewählten Bezugsjahr. Ein erstes Verzeichnis der förderungswÜfdigen Regionen wurde am 21.3.1989 genehmigt.184 In den betroffenen Regionen lebten ca. 16,5% der EGBevölkerung. 185
178 Vgl. Kommission, burg 1991, S. 5. 179
Die
Europäische Gemeinschaft und die ländliche Entwicklung, Luxem-
Vgl. Kommission, Strukturfonds der Gemeinschaft 1994 - 1999, Luxemburg 1993, S. 12.
180 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 12 Abs. 3 S. 1, in: AbI. Nr. L 185, S. 17. 181 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 12 Abs. 5, in: AbI. Nr. L 185, S. 17. 182 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Präambel, in: AbI. Nr. L 185, S. 9. 183 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 9 Abs. 3, in: AbI. Nr. L 185, S. 14. 184 Vgl. Entscheidung der Kommission vom 21.3.1989, in: AbI. Nr. L 112, S. 19-36. 185 Vgl. Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 46, Brüssel-Luxemburg 1990, S. 135.
70
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Die Kommission war dazu angehalten, eine Konzentration der Maßnahmen auf die am stärksten betroffenen Gebiete sicherzustellen. 186 Vorbehaltlich dieser Tatsache konnte aber mit geringerer Priorität auch eine Reihe weiterer Gebiete gefördert werden, die folgende Kriterien erfüllen: - Regionen, die an die Ziel-Nr. 2-Regionen angrenzen, - städtische Ballungszentren, in denen die Arbeitslosenquote um mindestens 50% über dem Gemeinschaftsdurchschnitt lag und in denen ein erheblicher Rückgang der Industrieerwerbstätigenzahl verzeichnet werden konnte, - andere Regionen, die in den letzten drei Jahren in für ihre wirtschaftliche Entwicklung entscheidenden Sektoren erhebliche Arbeitsplatzverluste aufzuweisen hatten oder von solchen bedroht waren. 187 Das Verzeichnis der Fördergebiete sollte von der Kommission regelmäßig überprüft werden. Der Planungshorizont für die Mittelvergabe betrug drei Jahre. - Ziele Nr. 3 und 4: Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und die Erleichterung der Eingliederung der Jugendlichen in das Erwerbsleben. 188 Hierfür sind die Mittel des ESF vorgesehen. Der Interventionsbereich zur Verfolgung dieser Ziele war abhängig von den von der Kommission aufgestellten Leitlinien, in denen die entsprechenden Kriterien und Zielvorstellungen der Gemeinschaft festgelegt waren. - Ziel Nr. 5a: Beschleunigte Anpassung der Agrarstrukturen (zuständiger Fonds EAGFL, Abteilung Ausrichtung) und Ziel Nr.5b: Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums (hierfür sind zuständig die Strukturfonds EFRE, ESF und EAGFL, Abteilung Ausrichtung) im Hinblick auf die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Zur Durchführung der Maßnahmen in Zusammenhang mit der Anpassung der Agrarstrukturen sollten vom Rat die notwendigen Bestimmungen erlassen werden. 189 Besondere Voraussetzungen für die Förderwürdigkeit eines Gebietes sind in der Verordnung nicht angegeben. Dagegen wurden Fördergebiete im Rahmen des Ziels der Entwicklung des ländlichen Raumes lediglich bei gleichzeitigem Auftreten der folgenden Kriterien als förderungswürdig angesehen: 190 186
Vgl. VO Nr. 2052/88 vom 24.6.1988, Art. 9 Abs. 4 S. 1, in: AbI. Nr. L 185, S. 14.
187
Vgl. VO Nr. 2052/88 vom 24.6.1988, Art. 9 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 185, S. 14.
188
Vgl. VO Nr. 2052/88 vom 24.6.1988, Art. 10, in: AbI. Nr. L 185, S. 15 f.
189
Vgl. VO Nr. 2052/88 vom 24.6.1988, Art. 11, in: AbI. Nr. L 185, S. 16.
190
Vgl. VO Nr. 2052/88 vom 24.6.1988, Art. 4 Abs. 1, in: AbI. Nr. L 185, S. 3.
VI. Die Reform der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
71
- ein im Vergleich zur Gesamtzahl der Erwerbstätigen hoher Anteil der in der Landwirt-schaft beschäftigten Personen, - ein niedriges Pro-Kopf-Agrareinkommen und - ein niedriger sozioökonomischer Entwicklungsstand, gemessen am ProKopf-Bruttoinlandsprodukt. 191 Die Fördermaßnahmen der Gemeinschaft konnten auf begründeten Antrag der Mitgliedstaaten auch auf andere ländliche Gebiete ausgedehnt werden, die durch ein niedriges Entwicklungsniveau gekennzeichnet waren und folgenden Kriterien genügten: - geringe Bevölkerungsdichte und/oder Abwanderungstendenzen, - Randlage im Verhältnis zu den Zentren der Gemeinschaft, - negative Effekte der Gemeinsamen Agrarpolitik auf die Entwicklung der Agrareinkommen und den Anteil der landwirtschaftlichen Erwerbsbevölkerung, - problematische Betriebs- und Altersstruktur in der Landwirtschaft, - Umweltbelastung, - benachteiligte Lage des Gebietes, z. B. als Berggebiet. Die Pläne zur Entwicklung der ländlichen Gebiete waren der Kommission von den betroffenen Mitgliedstaaten zu übermitteln. Die Kommission bestimmte dann nach den oben erwähnten Kriterien die Fördergebiete. 192 Die ZielNr. 5b-Regionen betrafen ca. 30% der landwirtschaftlichen Fläche der Gemeinschaft mit ca. 5,1 % der Gesamtbevölkerung. 193 Die Ziele Nr. 1, 2 und 5b haben eine regionale Dimension, so daß regionale Kriterien für die Förderungswilidigkeit definiert werden. Diese regionenbezogenen Ziele betreffen somit insgesamt mehr als 40% der EG-Bevölkerung. 191 Dies ist der Versuch einer Operationalisierung des Textes der Rahmen-Verordnung, der die Regionen nach Ziel Nr. Sb unter Berücksichtigung
- ihres ländlichen Charakters, - der Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten, - ihrem wirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Entwicklungsgrad, - ihrer Randlage und - ihrer Anpassungsfähigkeit in Bezug auf die Entwicklung des Agrarsektors ausgewählt; vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 11, in: AbI. Nr. L 185, S. 16. 192 Ein Verzeichnis der im Rahmen von Ziel Nr.5b förderungswürdigen Regionen wird am 10. Mai 1989 genehmigt; vgl. Entscheidung der Kommission vom 10.5.1989, in: AbI. Nr. L 198, S 115. 193
Vgl. Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 46, S. 135.
72
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Dagegen sind die Ziele Nr. 3, 4 und 5a horizontale Ziele und gelten für das gesamte Gemeinschaftsgebiet. 194 3. Der Grundsatz der Partnerschaft zwischen Kommission und Mitgliedstaaten
Die regionalpolitische Tätigkeit der Gemeinschaft sollte in enger Abstimmung zwischen der Kommission, dem jeweiligen Mitgliedstaat und den zuständigen untergeordneten nationalen Behörden vollzogen werden. Diese Konzertierung der verschiedenen Parteien wurde als Partnerschaft bezeichnet und bezog sich auf die Vorbereitung, die Finanzierung, die Durchführung und die Kontrolle der regionalpolitischen Maßnahmen. 195 Mit der Verwirklichung dieses Grundsatzes sollte eine ausgeglichenere Beteiligung der einzelnen politischadministrativen Ebenen an der Planung und Durchführung der gemeinschaftlichen Strukturpolitik erreicht werden. 196 Die Einhaltung des Grundsatzes der Partnerschaft im Sinne einer Abstimmung der Entscheidungen der beteiligten Institutionen in Gemeinschaft und Mitgliedstaaten sollte auch Voraussetzung für die erfolgreiche Anwendung des Prinzips der Subsidiarität der Gemeinschaftsmittel sein. l97 Der Subsidiaritätsgedanke, der aus der katholischen Soziallehre stammt, besagt, daß eine Kompetenzübertragung nur dann von einer tieferen Hierarchieebene auf eine höhere stattfinden soll, wenn die höhere Ebene besser zur Lösung der Aufgabe geeignet ist. Dieses Prinzip sollte folglich sicherstellen, daß die Gemeinschaft nur dann intervenierte, wenn die Mittel auf nationaler oder regionaler Ebene nicht ausreichten. Eng in Zusammenhang mit dem Grundsatz der Partnerschaft zu sehen war die Einrichtung von Ausschüssen (sog. "Strukturausschüsse"), die der Kommission zugeordnet sind. 198 Daneben sollte auch im Rahmen der Erstellung des periodischen Berichtes über die sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft auf die Mitarbeit der Mitgliedstaaten, die die nötigen Informationen zur Verfügung stellen, zurückgegriffen werden. 199
194
Vgl. Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 46, S. 135.
195
Vgl.
196
Vgl. Franzmeyer, Fritz, Seidel, Bernhard, Weise, Christian, S. 9.
197
Vgl. dazu auch Kommission, Europäische Wirtschaft Nr.41, Brussel-Luxemburg 1984,
va Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 4 Abs.
I, in: AbI. Nr. L 185, S. 12.
S.20. 198
Zur Tätigkeit der Ausschüsse vgl. Abschnitt B.6.4.5.
199
Vgl.
va Nr. 4254/88 vom 19.12.1988, Art 8, in: AbI. Nr. L 374, S. 18 f.
VI. Die Refonn der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
73
4. Das Interventionsverfahren
Die Reform der EG-Regionalpolitik in Folge der EEA führte dazu, daß die Beihilfen der Strukturfonds im Rahmen eines standardisierten dreistufigen Notifizierungsverfahrens gewährt wurden. 2°O Ausgangspunkt dieses Verfahrens sind Regionale Entwicklungspläne, die von den Mitgliedstaaten auszuarbeiten und der Kommission zu unterbreiten sind. 201 Die Kommission beurteilt die vorgeschlagenen Pläne in Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit den Zielen der gemeinschaftlichen Regionalpolitik und legt bei einem positiven Ergebnis der Prüfung im Einvernehmen mit dem betreffenden Mitgliedstaat ein Gemeinschaftliches Förderkonzept für die Strukturinterventionen der Gemeinschaft fest. 202 Die dritte Stufe betrifft die Abwicklung der Aktion mit Hilfe der verschiedenen Interventionsformen. Vor, während und nach der Durchführung der Gemeinschaftlichen Förderkonzepte in Form von verschiedenen Interventionsmethoden werden die Aktionen bewertet. Bei der Anwendung der neuen Strukturfonds-Verordnungen wird die Kommission von Ausschüssen unterstützt. 203 a) Die Regionalen Entwicklungsprogramme
Die Regionalen Entwicklungsprogramme werden von den Mitgliedstaten auf nationaler, regionaler oder einer sonstigen, für geeignet erachteten Ebene erstellt. 204 Sie müssen neben einer umfassenden sozioökonomischen Beschreibung der regionalen Lage 205 die für die Regionalentwicklung gewählten Schwerpunkte, die dafür benötigten konkreten Beihilfemaßnahmen sowie die zu deren Finanzierung erforderlichen finanziellen Beiträge der Strukturfonds, der Ern und der sonstigen Finanzinstrumente beinhalten. 206 Daneben muß die Verbindung zwischen den Strukturmaßnahmen und der Wirtschafts- und Sozialpolitik des Mitgliedstaates aus den Regionalentwicklungsplänen ersichtlich sein. 207 Falls der EFRE als Beihilfeinstrument in Anspruch genommen werden soll, 200 Zu einer ausführlichen Darstellung dieses Verfahrens siehe Kommission, Leitfaden, S. 28 201 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 8 Abs. 4, in: AbI. Nr. L 185, S. 14. 202 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 8 Abs. 5, in: AbI. Nr. L 185, S. 14. 203 Vgl. Abschnitt B.6.4.5. 204
Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 5 Abs. 1, in: AbI. Nr. L 374, S. 4.
205 Vgl. Kommission, Leitfaden, S. 28. 206
Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 8 Abs. 4, in: AbI. Nr. L 185, S. 14.
207 Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 7,
in: AbI. Nr. L 374, S. 5.
ff.
74
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
muß ein Regionaler Entwicklungsplan auch Angaben über die voraussichtliche demographische Entwicklung enthalten208 , Pläne in Zusammenhang mit einer Beteiligung des ESF müssen Aufschluß über die Art und Zusammensetzung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt und die bereits laufenden oder noch durchzuführenden Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen geben209 • Die Mitgliedstaaten haben bei der Ausarbeitung der Regionalen Entwicklungspläne dafür Sorge zu tragen, daß eine Kohärenz zwischen den Plänen, die sich innerhalb eines Mitgliedstaats auf das gleiche Ziel beziehen und zwischen den Plänen, die sich im Rahmen verschiedener Ziele auf das gleiche Gebiet beziehen, besteht. 210 Daneben müssen die Mitgliedstaaten in den Plänen für eine ausreichende Berücksichtigung der Gemeinschaftspolitiken sorgen. 211 Die Regionalentwicklungspläne der ersten Generation bezogen sich auf einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren; sie konnten allerdings grundsätzlich jährlich oder ansonsten bei erheblichen Änderungen der sozioökonomischen Lage oder der Arbeitsmarktlage überarbeitet werden. 212 b) Die Gemeinschaftlichen Förderkonzepte
Die von den Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Regionalen Entwicklungsprogramme sind die Grundlage für die Gemeinschaftlichen Förderkonzepte. Diese werden von der Kommission im Rahmen der Partnerschaft zusammen mit den Mitgliedstaaten festgelegt. Die EIß und die Strukturausschüsse213 der Gemeinschaft wirken bei der Aufstellung der Gemeinschaftlichen Förderkonzepte ebenfalls mit. 214 Spätestens sechs Monate nach Eingang von Plänen muß die Kommission über die Genehmigung eines Gemeinschaftlichen Förderkonzeptes beschließen. 215 Inhaltlich umfaßt jedes Gemeinschaftliche Förderkonzept - die vorrangigen Schwerpunkte für die beabsichtigte Fördermaßnahme,
208
VgI. VO Nr. 4254/88 vom 19.12.1988, Art. 2 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 374, S. 16.
209
VgI. VO Nr. 4255/88 vom 19.12.1988, Art. 5, in: AbI. Nr. L 374, S 23.
210
VgI. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 5 Abs. 3, in: AbI. Nr. L 374, S. 4.
211
VgI. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 5 Abs. 4, in: AbI. Nr. L 374, S. 4.
212
VgI. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 6 Abs. 1, in: AbI. Nr. L 374, S. 5.
213
Vgl. Abschnitt B.6.4.5.
214
VgI. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 8 Abs. 3, in: AbI. Nr. L 374, S 5.
215
VgI. VO. Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 10 Abs. 1, in: AbI. Nr. L 374, S. 5 f.
VI. Die Reform der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
75
- einen Überblick über die vorgesehenen Interventionsformen und ihre spezifischen Ziele, - einen (indikativen) Finanzierungsplan mit Angabe der für die verschiedenen Interventi-onsformen vorgesehenen Höchstbeträge und Laufzeiten, - gegebenenfalls Angaben über Bereitstellung VOn Mitteln für V oruntersuchungen oder zur Begleitung der Durchführung der Maßnahmen. 216 Die Gemeinschaftlichen Förderkonzepte erstreckten sich auf einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren. 217 Die im Rahmen eines Gemeinschaftlichen Förderkonzeptes geplanten Interventionen sollten überwiegend in Form von operationellen Programmen durchgeführt werden. 218 Die Kommission kann Gemeinschaftliche Förderkonzepte auch aus eigener Initiative anregen, falls es sich um Operationelle Programme handelt ("Gemeinschaftsinitiativen").219 Derartige Gemeinschaftsinitiativen können allerdings nur mit der Zustimmung des oder der betroffenen Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Ein operationelIes Programm kann auch auf der Grundlage eines inte-· grierten Konzepts durchgeführt werden, falls - das Programm von mehreren gemeinschaftlichen Finanzierungsinstrumenten oder Fonds finanziert wird, - sich durch die gleichzeitige Finanzierung des Programms durch mehrere Instrumente Synergieeffekte ergeben und - die Verwaltungs strukturen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene zur integrierten Durchführung des Programms angemessen sind. 220
c) Die Interventions/ormen Bei den Strukturfonds können je nach Maßnahmenart die folgenden Interventionsformen zum Einsatz kommen: 221 - Mitwirkung an operationellen Programmen, - Unterstützung von nationalen Beihilferegelungen, 216 Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art 8 Abs. 3, in: AbI. Nr. L 374, S. 5. 211 Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 8 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 374, S. 5. 218 Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 12, in: AbI. Nr. L 374, S. 6. 219 Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 11, in: AbI. Nr. L 374, S. 6 LV.m. VO 2052188, Art. 5 Abs. 5, in: AbI. Nr. L 185, S. 13. 220 Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 13 Abs. 1, in: AbI. Nr. L 374, S. 6; mit den Gemeinschaftsinitiativen befaßt sich Abschnitt B.6.4.6. 221 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 5 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 185, S. 12 f.
76
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
- Gewährung von Globalzuschüssen an eine zwischengeschaltete Stelle, von wo aus Einzelzuschüsse an die Endbegünstigten weitergegeben werden, - Kofinanzierung von Einzelprojekten und - Beteiligung an Voruntersuchungen oder technischer Hilfe zur Durchführung der Interventionen222 • Weitere Interventionsfonnen können vom Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission und in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament eingeführt werden. 223 Die EIß und die sonstigen Gemeinschaftsinstrumente können sich an Darlehen oder anderen Fonnen der Kofinanzierung bestimmter Investitionen, an Globaldarlehen, der Kofinanzierung von Voruntersuchungen für eine Durchführung der Interventionen oder auch an Bürgschaften beteiligen. 224 Zuschüsse und Darlehen sollen bei den Gemeinschaftsbeteiligungen angemessen kombiniert werden, um den Effekt der eingesetzten Haushaltsmittel maximieren zu können. 225 Die Höhe der Gemeinschaftsbeteiligung an der Finanzierung der Maßnahmen wird nach den Aspekten - Schweregrad der spezifischen regionalen oder sozialen Probleme, - Finanzkraft des betreffenden Mitgliedstaates, - Bedeutung der Maßnahmen unter gemeinschaftlichen und regionalen Gesichtspunkten - Merkmale der geplanten Maßnahmen differenziert. 226 Die Höchstgrenze für eine Gemeinschaftsbeteiligung liegt bei Ziel-Nr. 1Regionen bei 75%, in allen übrigen Regionen bei 50% der Gesamtkosten, die Mindestgrenze bei 50% bzw. 25% der öffentlichen Gesamtbeihilfen. 227 Vorstudien und Maßnahmen der technischen Hilfe können sogar vollständig durch die Gemeinschaft finanziert werden 228 •
222 Die Unterstützung der Voruntersuchungen und der technischen Hilfe darf insgesamt maximal 0,3 % der Gesamtausstattung der Fonds erreichen; vgl. VO 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 16 Abs. 3, in: AbI. Nr. L 374, S. 7. 223
Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 5 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 185, S. 12 f.
224 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 5 Abs. 3, in: AbI. Nr. L 185, S. 13. 225 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 5 Abs. 4, in: AbI. Nr. L 185, S. 13. 226 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 13 Abs. 1, in: AbI. Nr. L 185, S. 17. 227
Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 13 Abs. 3, in: Abl. Nr. L 185, S. 17.
228 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 13 Abs. 4, in: Abl. Nr. L 185, S. 17.
VI. Die Reform der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
77
Als Operationelle Programme werden solche kohärenten Bündel von Maßnahmen bezeichnet, deren Laufzeit auf mehrere Jahre veranschlagt ist und die auch von mehreren gemeinschaftlichen Finanzinstrumenten zugleich finanziert werden können. 229 Sie werden auf Initiative der Mitgliedstaaten oder der Kommission (aber in diesem Fall nur im Einvernehmen mit dem betreffenden Mitgliedstaat) eingeleitet. 230 Letztendlich entscheidet aber die Kommission über die Durchführung eines operationellen Programms. 231 Die von den Gemeinschaftlichen Förderkonzepten erfaßten Interventionen sollen überwiegend in Form von operationellen Programmen durchgeführt werden,232 die insofern als bedeutendste Interventionsform bezeichnet werden können. Die Kofinanzierung nationaler Beihilferegelungen mit regionaler Zielsetzung als Form der Förderung unternehmerischer Investitionen ist als Maßnahmenart vor allem für den EFRE vorgesehen. 233 Hier wird zur Vorbereitung der Entscheidung über eine finanzielle Beteiligung der Gemeinschaft vor allem be-· rücksichtigt, ob die Höhe der Beihilfesätze und die Diversifizierung der Beihilfeverfahren die relative sozioökonomische Lage der betroffenen Regionen und die sich daraus ergebenden Standortnachteile für die Unternehmen genügend würdigen, kleine und mittlere Unternehmen bevorzugt gefördert werden, und den wirtschaftlichen Auswirkungen der Beihilferegelung auf die Region Beachtung geschenkt wird. 234 Im Gegensatz dazu können Globalzuschüsse von allen drei Strukturfonds gewährt werden. 235 Globalzuschüsse dienen bevorzugt Maßnahmen der lokalen Entwicklung. Hierzu kann die Kommission geeigneten zwischengeschalteten Stellen die Verwaltung der Globalzuschüsse übertragen. Die zwischengeschalteten Stellen werden von dem Mitgliedstaat im Einvernehmen mit der Kommission benannt; sie müssen sich in den betreffenden Regionen befinden236 und über
229 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 5 Abs. 5, in: AbI. Nr. L 185, S. 13. 230 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 5 Abs. 5, in: AbI. Nr. L 185, S. 13. 231 Vgl. Kommission, Leitfaden, S. 34. 232 Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 12, in: AbI. Nr. L 374, S. 6. 233 Vgl. VO Nr. 4254/88 vom 19.12.1988, Art. 4 Abs. 1, in: AbI. Nr. L 374, S. 17. 234 Vgl. VO Nr. 4254/88 vom 19.12.1988, Art. 4 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 374, S. 17 f. 235 Vgl. VO Nr.4254/88 vom 19.12.1988, Art. 6, in: AbI. Nr. L 374, S. 18; VO Nr.4255/88, Art. 6, in: AbI. Nr. L 374, S. 23 C.; VO Nr. 4256/88, Art. 4, in: AbI. Nr. L 374, S. 26. 236 Vgl. VO Nr. 4254/88 vom 19.12.1988, Art. 6 Abs. 1, in: AbI. Nr. L 374, S. 18; dies gilt für Globalzuschüsse des ESF und des EAGFL entsprechend.
78
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
angemessene Solvenzgarantien sowie Verwaltungskapazitäten verfügen. 237 Über die Einzelheiten der Verwendung der Globalzuschüsse werden Übereinkünfte zwischen der Kommission und der zwischengeschalteten Stelle im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat getroffen. Dies gilt insbesondere für die Art der durchzuführenden Maßnahmen, die Kriterien zur Auswahl der Begünstigten und die Bedingungen und Sätze für die Zuschüsse. 238 Die Kofinanzierung von Einzelprojekten erfolgt hauptsächlich durch die Mittel des EFRE. Die Gesamtkosten der Projekte müssen in der Regel mehr als 15 Mio. ECU bei Infrastrukturinvestitionen und 10 Mio. ECU bei produktiven Investitionen betragen. 239 Anträge auf die Beteiligung des EFRE an der Finanzierung von Einzelprojekten müssen bei Infrastrukturinvestitionen eine KostenNutzen-Analyse und Angaben über die Auswirkungen des Projekts auf die Entwicklung der Region sowie bei Produktivinvestitionen Angaben über die Marktaussichten der betreffenden Branche, die Auswirkungen auf die Beschäftigungslage sowie eine Rentabilitätsanalyse des Vorhabens enthalten. 24O d) Die Begleitung und Bewertung der Aktionen Die Bewertung der Effizienz der Interventionen soll vor, während und nach ihrer Durchführung erfolgen. Die ex-ante- und ex-post-Bewertungen dienen dazu, besser abschätzen zu können, welche Auswirkungen die Interventionen auf die Erreichung der Ziele 1 bis 5b und die Verringerung von spezifischen Strukturproblemen haben,241 während die Begleitung der Maßnahmen während ihrer Laufzeit die Erreichung der festgelegten Ziele gewährleisten soll und bei einer Änderung der Datenlage die Möglichkeit zur Neuausrichtung der Interventionen ermöglichen soll.242 Die laufende Begleitung der Maßnahmen erfolgt mit Hilfe von Instrumenten, die von der Kommission und den betroffenen Mitgliedstaaten gemeinsam vereinbart werden und ein Meldeverfahren, Stichprobenkontrollen und die Einset-
237 Vgl. VO Nr. 4253/88, Art. 16, Abs. I, in: AbI. Nr. L 374, S. 7. 238 Vgl. VO Nr. 4254/88 vom 19.12.1988, Art. 6 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 374, S. 18; dies gilt für Globalzuschüsse des ESF und des EAGFL entsprechend.
239 In der Fischerei können allerdings auch Vorhaben mit geringeren Gesamtkosten finanziert werden; vgI. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 16, Abs. 2, in: AbI. Nr. L 374, S. 7. 240 VgI. VO Nr. 4254/88 vom 19.12.1988, Art. 5, in: AbI. Nr. L 374, S. 18. 241 VgI. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 6 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 185, S. 13. 242 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 6 Abs. I, in: AbI. Nr. L 185, S. 13.
VI. Die Reform der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
79
zung von Ausschüssen (sog. ,,Begleitausschüsse umfassen. 243 Konkret erfolgt die Begleitung auf der Grundlage von materiellen und finanziellen Indikatoren, die schon in der Entscheidung der Kommission zur Genehmigung der betreffenden Aktion festzulegen sind. Sie müssen den Charakter der Maßnahme, ihre Ziele und die Interventionsform sowie die sozioökonomischen und strukturellen Bedingungen der beteiligten Mitgliedstaaten berücksichtigen. 244 Die Indikatoren müssen so aufgebaut sein, daß mit ihrer Hilfe der Stand der Durchführung einer Maßnahme, ihr Ablauf und etwaige bei der Durchführung auftretende Probleme ermittelt werden können. 245 Der Kommission wird jährlich für jede Aktion von einer von dem betreffenden Mitgliedstaat zu diesem Zweck bestimmten Behörde ein Bericht zur Beurteilung der Lage der Aktion und nach Abschluß der Aktion ein Schlußbericht vorgelegt.246 Für jedes Gemeinschaftliche Förderkonzept und jedes Operationelle Programm wird ein Begleitausschuß gebildet, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten und gegebenenfalls der Kommission und der Ern zusammensetzt. 247 U
)
Wie bei der laufenden Begleitung werden auch bei der ex-ante- und der expost-Bewertung Indikatoren zur Messung der Wirksamkeit einer strukturpolitischen Aktion verwendet. 248 Grundsätze und Einzelheiten der Bewertung werden bereits in den gemeinschaftlichen Förderkonzepten festgelegt. 249 Hierbei werden drei Ebenen berücksichtigt: Zunächst die Gesamtauswirkungen auf die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und die Verringerung des Abstandes zwischen den verschiedenen Regionen und des Rückstandes der am wenigsten begünstigten Regionen, dann die Auswirkungen der gemeinschaftlichen Förderkonzepte und schließlich die Auswirkungen der einzelnen operationellen Interventionsformen. 250 Die Ergebnisse der Bewertungen werden dem Europäischen Parlament und dem Wirtschafts- und Sozialausschuß im Rahmen eines Jahresberichts vorgelegt. 251
243
Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 25 Abs. I, in: AbI. Nr. L 374, S. 10.
244
Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 25 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 374, S. 10.
245
Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 25 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 374, S. 10.
246 Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 25 Abs. 4, in: AbI. Nr. L 374, S. 11. 247
Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 25 Abs. 1 und 3, in: AbI. Nr. L 374, S. 10.
248
Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 26 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 374, S. 11.
249
Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 26 Abs. 4, in: AbI. Nr. L 374, S. 11.
250
Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 26 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 374, S. 11.
251
Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 26 Abs. 5, in: AbI. Nr. L 374, S. 11.
80
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
e) Die Mitwirkung von Ausschüssen bei der Umsetzung der neuen Strukturfonds-Verordnungen
Das Prinzip der Partnerschaft zwischen Kommission und Mitgliedstaaten findet einen weiteren Ausdruck in der Existenz von Ausschüssen 252 , die der Kommission zugeordnet sind. Diese Ausschüsse befassen sich jeweils mit bestimmten Zielen: 253 Der Ausschuß für die Entwicklung und Umstellung der Regionen ist für die Ziele Nr. 1 und 2 zuständig. Er besteht aus Vertretern der Mitgliedstaaten, seinen Vorsitz hat ein Vertreter der Kommission. Wichtigste Aufgabe des Ausschusses ist es, eine Stellungnahme zu den von der Kommission vorgelegten Entwürfen der im Rahmen der Ziele Nr. 1 und 2 zu treffenden Maßnahmen abzugeben. Dies muß innerhalb einer festgesetzten Frist geschehen. Die Kommission unterliegt der Verpflichtung, dieser Stellungnahme weitestgehend Rechnung zu tragen. 254 Weiterhin muß der Ausschuß in regelmäßigen Zeitabständen in Form von Berichten von der Kommission über die Durchführung der in seinen Zielbereich fallenden Aktionen und von der Erstellung des periodischen Berichtes über die sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft255 unterrichtet werden. 256 Über die Ergebnisse der Arbeit des Ausschusses ist das Europäische Parlament in regelmäßigen Abständen zu informieren. Neben dem Ausschuß für die Entwicklung und Umstellung der Regionen existieren noch ein Ausschuß aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände (Ziele Nr. 3 und 4) sowie ein Ausschuß für Agrarstrukturen und ländliche Entwicklung. (Ziele Nr. Sa und Sb). Die Hauptfunktion auch dieser Ausschüsse ist es, Stellungnahmen zu von der Kommission unterbreiteten Entwürfen zu geplanten Maßnahmen abzugeben. 251
252 Diese Ausschüsse sind nicht zu verwechseln mit den in Abschnitt B.6.4.4 angesprochenen Begleitausschüssen. 253 VgI. VO Nr.
2052188 vorn 24.6.1988, Art. 17 Abs. I, in: AbI. Nr. L 185, S. 18.
254 VgI. VO Nr. 4253/88 vorn 19.12.1988, Art. 27, in: AbI. Nr. L 374, S. 11 f. 255 Vgl. VO Nr. 4254/88 vorn 19.12.1988, Art. 8 Abs. I, in: AbI. Nr. L 374, S.l8 f. 256 VgI. VO Nr.
2052188 vorn 24.6.1988, Art. 6 Abs. I, in: AbI. Nr. L 185, S. 13.
Zur Zusanunensetzung und den weiteren Aufgaben dieser beiden Ausschüsse vgI. VO Nr. 4253/88 vorn 19.12.1988, Art. 28, 29 und 30, in: AbI. Nr. L 374, S. 12 f. 251
VI. Die Refonn der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
81
f) Die Einrichtung von Gemeinschaftsinitiativen
Die Strukturfondsrefonn gestattete der Kommission schließlich die Einleitung von länderübergreifenden Gemeinschaftsinitiativen.2.'i8 Die Gemeinschaftsinitiativen stellen eine Weiterentwicklung der Gemeinschaftsprogramme dar. 259 Im Rahmen dieser Initiativen besitzt die Kommission die Möglichkeit, Mittel für solche Maßnahmen bereitzustellen, die die Gemeinschaftlichen Förderkonzepte ergänzen und die für die Gemeinschaft von besonderem Interesse sind. Das nunmehr etwas veränderte Verfahren zur Einleitung einer Gemeinschaftsinitiative sieht vor, daß die Kommission aus eigener Initiative nach Unterrichtung des Europäischen Parlaments beschließt, den Mitgliedstaaten vorzuschlagen, einen Antrag auf Beteiligung der Gemeinschaft an einer derartigen Aktion zu stellen. 260 Auf der Grundlage der von der Kommission ausgearbeiteten Leitlinien und Grundsätze arbeiten die Mitgliedstaaten bzw. Regionen - wie bisher - Programme für Gemeinschaftsinitiativen aus und führen sie durch. 261 In Gemeinschaftsinitiativen sieht die Kommission insbesondere folgende Vorteile: - Gegenüber den sonstigen von den Strukturfonds finanzierten Aktionen eine stärkere Förderung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit, - angemessene Berücksichtigung der regionalen Interessen durch das von unten nach oben aufgebaute Durchführungskonzept, - Publizität262 der Gemeinschaftsaktion vor Ort, - Gewinnung eines breiteren Spektrums von Gesprächspartnern für die Kommission aufgrund der spezifischen Inhalte der Gemeinschaftsaktionen. 263
258 Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. ll, in: AbI. Nr. L 374, S. 6 und VO. Nr. 4254/88 vom 19.12.1988, Art. 3 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 374, S. 17. 259
Vgl. Abschnitt B.5.1.
Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 5 Abs. 5, in: AbI. Nr. L 185, S. 13 in Verbindung mit VO Nr. 4253/88 vom 19.12.1988, Art. 11, in: AbI. Nr. L 374, S. 6. 260
261 Vgl. Kommission, Strukturfonds der Gemeinschaft 1994-1999, Luxemburg 1993, S.27; Kommission, Leitfaden für Gemeinschaftsinitiativen (im Rahmen der Reform der Strukturfonds), 2. Ausgabe, Luxemburg 1991. 262 Nach Art. 32 der Verordnung Nr. 4253/88 und Art. 12 der Verordnung Nr. 4254/88 müssen regionale und nationale Behörden für eine Publizität der Beteiligung der Strukturfonds an der Durchführung von Entwicklungsvorhaben auf ihrem Hoheitsgebiet sorgen. 263 Vgl. Kommission, Dritter Jahresbericht, S. 6 und S. 9; vgl. dazu auch Kommission, Leitfaden der Gemeinschaftsinitiativen, 1994-1999, I. Ausgabe, Luxemburg 1994, S. 7.
6 Wellenhofer
82
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Mit Hilfe von Gemeinschaftsinitiativen kann die Kommission auf eigene Initiative die im Rahmen der Gemeinschaftlichen Förderkonzepte vorgesehenen Interventionen ergänzen. Dafür wurden mit 3,8 Mrd. ECU (zu Preisen von 1989) über 10% der Verpflichtungsermächtigungen der Strukturfonds im Zeitraum von 1989 bis 1993 für Gemeinschaftsinitiativen verwendet. 264 Gemeinschaftsinitiativen werden in der Regel als Operationelle Programme durchgeführt. Für den Zeitraum von 1989 bis 1993 wurden zwölf Gemeinschaftsinitiativen mit einem Gesamtaufwand von 3,8 Mrd. ECU beschlossen. Daneben bestand für sieben der zwölf Initiativen die zusätzliche Möglichkeit der Finanzierung mit Hilfe von EIß-Darlehen und für eine Gemeinschaftsinitiative die Option der Inanspruchnahme eines EGKS-Darlehens. Die zwölf Gemeinschaftsinitiativen betrafen die drei prioritären Bereiche: - Flankierung des industriellen Wandels (Gemeinschaftsinitiative RECHAR mit einer Gemeinschaftsbeteiligung von 300 Mio. ECU für die Diversifizierung von Kohlegebieten), - Aufbau transnationaler Kooperationsnetze auf Gemeinschaftsebene (EUROFORM (300 Mio. ECU für berufsqualifizierende Maßnahmen), NOW (120 Mio. ECU für die För-derung der Chancengleichheit), HORIZON (180 Mio. ECU für den Zugang von Behin-derten zum Arbeitsmarkt), LEADER (400 Mio. ECU für die ländliche Entwicklung), REGEN (300 Mio. ECU für Energieverbundnetze», in Grenzgebieten (INTERREG (800 Mio. ECU für die Zusammenarbeit von Grenzge-bieten» oder von lokalen Netzen (REGIS (200 Mio. ECU für die Integration von ultraperipheren Regionen), - Verringerung des Know-how-Gefälles (ENVIREG (500 Mio. ECU für ein Aktionsprogramm im Umweltbereich), STRIDE (400 Mio. ECU für die Förderung des regionalen Forschungs- und Technologiepotentials), PRISMA (100 Mio. ECU für die Vorberei-tung der Unternehmen auf den Binnenmarkt), TELEMATIQUE (200 Mio. ECU für Telematikdienste und netze).26S Im Jahr 1992 wurden die Initiativen RETEX zur Unterstützung der vom Textil- und Bekleidungssektor stark abhängigen Regionen und KONVER zur 264 Vgl. Kommission, Strukturfonds der Gemeinschaft, S. 27. Schon vor der Strukturfondsreform waren ca. 1,7 Mrd. ECU für Gemeinschaftsinitiativen (STAR, VALOREN, RESIDER, RENA VAL) zur Verfügung gestellt worden. 26S Vgl. Kommission, Dritter Jahresbericht über die Durchführung der Strukturfonds, 1991, Luxemburg 1993, S. 63; Kommission, Strukturfonds der Gemeinschaft 1994-1999, S. 28.
VI. Die Reform der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
83
Diversifizierung in Gebieten mit großer Abhängigkeit von der Rüstungsindustrie beschlossen. Für diese beiden Initiativen sowie für die Aufstockung der Mittel von NOW und HORIZON wurde ein Betrag von 300 Mio. ECU aufgewandt. 266 5. Die Bewertung der Strukturfondsreform
Der durch Art. 23 EEA in den EWGV eingeführte Titel "Wirtschaftlicher und Sozialer Zusammenhalt" faßt die strukturpolitische Tätigkeit der Gemeinschaft sachlich zu einem Zielbündel zusammen und verleiht ihr Verfassungsrang. 267 Eine zentrale Rolle im Rahmen der gemeinschaftlichen Strukturpolitik kommt dabei dem EFRE zu (Art. 130 c EWGV). Nicht nur rangmäßig, sondern auch inhaltlich geht die neue Regelung über die bisherige, aus der Präambel abgeleitete Regelung hinaus, da aus dem Begriff des "wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes" ein weiter gefaßter Kompetenzbereich für die Gemeinschaft abgeleitet werden kann als aus dem schon bisher in der Präambel geforderten Streben, die Volkswirtschaft zu einigen und deren harmonische Entwicklung zu fördern. 268 Die regional- und strukturpolitischen Aktivitäten der Gemeinschaft werden seither auch Kohäsionspolitik genannt. Die neue Qualität, die die Strukturpolitik erhielt, wird in den Aspekten der realen Mittelverdoppelung innerhalb von sieben Jahren, der Fundierung der Reform mit Hilfe der Grundsätze der Mittelkonzentration, der Partnerschaft und des neuen Programmplanungsverfahrens sichtbar. Damit wird auch deutlich, daß sich die Reform aufgrund der EEA grundlegend von den bisherigen Änderungen der EFRE-Verordnungen, die im Grunde nur durch die praktische Erfahrung geprägte, mehr oder weniger starke Modifizierungen von Bestimmungen der ersten EFRE-Verordnung waren, unterscheidet. 269
266
Vgl. Kommission, Strukturfonds der Gemeinschaft, S. 28.
Vgl. Beschel, Manfred, Titel V, Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt, in: Gröben, Hans von der, Thiesing, Jochen, Ehlermann, Claus-Dieter, Kommentar zum EWGV, 4. Aufl., Baden-Baden 1991, S. 3699-3707, hier S. 3700; Stabenow, Wolfgang, Titel V, S. 1. 267
268 Vgl. dazu kritische Gläsner, Hans-Joachim, Die Einheitliche Europäische Akte, Versuch einer Wertung, in: Schwarze, Jürgen (Hrsg.), Der gemeinsame Markt, Bestand und Zukunft in wirtschaftsrechtlicher Perspektive, Baden-Baden 1987, S. 9-35, hier S. 19. Daneben wertet die Strukturfondsreform auch die Regionen im regionalpolitischen Willensbildungsprozeß auf; vgl. dazu Fuhrmann-Mittlmeier, Doris, Die deutschen Länder im Prozeß der Europäischen Einigung, Eine Analyse der Europapolitik unter integrationspolitischen Gesichtspunkten, Berlin 1991, S. 317. 269
6'
Vgl. Bursig, Beatrix, S.182
84
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Die Art der rechtlichen Darstellung der Refonn in Fonn von fünf Einzelverordnungen wollte zweierlei demonstrieren: Einerseits den Willen, die drei bereits existierenden regional wirkenden Fonds weiterhin beizubehalten und nicht zu einem einzigen Fonds zusammenzufassen, wie es ursprünglich vom Kommissionspräsidenten Jacques Delors gefordert wurde270 ; andererseits den Wunsch, die Tätigkeiten der Fonds mit dem Ziel einer Effizienzsteigerung besser zu koordinieren und so ein besseres Zusammenwirken dieser zu erreichen. Während die qualitative Komponente der Reform der Strukturfonds auf den bisher gemachten Erfahrungen mit gemeinschaftlicher Regionalpolitik und der diesbezüglich vor allem in der Literatur vielfach geäußerten Kritik beruhte, ist der Zeitpunkt der Refonn insbesondere vor dem Hintergrund der Erweiterung der Gemeinschaft und der Verwirklichung des Binnenmarktprogrammes zu sehen: Die Süderweiterung um die Länder Griechenland, Spanien und Portugal im Verlauf der achtziger Jahre hatte die Unterschiede im regionalen Entwicklungsniveau der Gemeinschaft beträchtlich erhöht. 271 Nach Meinung der Kommission war die Gemeinschaft damit "anfälliger" geworden. 272 Dies erzeugte Druck auf die Gemeinschaftsinstitutionen, die Regionalpolitik qualitativ und quantitativ zu verbessern. 273 Die Schaffung des Binnenmarktes bis 1992 sollte der Fortentwicklung der Gemeinschaft einen neuen Impuls verleihen. 274 Die Refonn der Strukturfonds
270
Vgl. Bursig, Beatrix, S. 140.
271
Vgl. Abschnitt C.3.
Vgl. Kommission, Die Einheitliche Akte muß ein Erfolg werden, Eine neue Perspektive für Europa, Luxemburg 1987, S. 16. 272
273 Vgl. Kommission, Leitfaden, S.9; Musto, Stefan, Die Süderweiterung der Europäischen Gemeinschaft, in: Kyklos, Bd. 34 (1981), S. 242-273, hier S. 268; Pomfred, Richard, Mediterranean Policy of the European Community, London 1986, S.284; Padoa-Schioppa, Tommaso et al., Effizienz, Stabilität und Verteilungsgerechtigkeit, Eine Entwicklungsstrategie für das Wirtschaftswachstum der Europäischen Gemeinschaft, Wiesbaden 1988, S. 8. 274 Zur Gesamtbeurteilung der EEA vgl. Meriano, Carlo, The Single European Act, Past, Present and Future, in: The International Spectator, Jg.22 (1987), Heft 2, S. 89-99; zum Arbeitsplan der Kommission mit etwa 300 Einzelmaßnahmen vgl. Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Luxemburg 1985; zur Entwicklung des Gemeinsamen Marktes bis zur EEA vgl. Lopez-Claros, Augusto, The European Community, On the Road to Integration, in: Finance & Development, Heft 9 1987, S. 35-38, hier S. 36 f.; zu den Problemen des einheitlichen Binnenmarktes vgl. grundlegend Balassa, Bela, The Theory of Economic Integration, London 1961, S. 16; zu den Auswirkungen des Binnenmarktes auf die Bundesrepublik Deutschland vgl. Döhm, Roland, Der europäische Binnenmarkt, Eine Bestandsaufnahme
VI. Die Reform der RegionaIpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
85
muß vor allem vor dem Hintergrund dieser neuen Integrationsstufe gesehen werden: Wie schon 1975 bei der Einführung der Regionalpolitik war auch jetzt dieser Politikbereich eng mit der Fortentwicklung der Integration verbunden. 275 Möglicherweise auftretende negative Auswirkungen des Binnenmarktes auf bestimmte Regionen sollten ausgeglichen werden,276 auch sollte den Randregionen der Gemeinschaft mit Hilfe der Umgestaltung der strukturpolitischen Instrumente ein verbesserter Zugang zum gemeinsamen Markt sichergestellt werden. 277 Eine Forschungsstudie über die Auswirkungen des Binenmarktprogrammes auf die europäische Wirtschaft kam mit Hilfe von ökonometrischen Simulationen und mikroökonomischen Studien zu dem Ergebnis, daß durch den Wegfall der Beschränkungen im Personen-, Güter-, Dienstieistungs- und Kapitalverkehr in der Gemeinschaft das Bruttoinlandsprodukt mittelfristig um insgesamt 4% bis 5% steigen könnte. 278 Eine dynamisch wachsende Wirtschaft hatte aber in der Vergangenheit (von Anfang der sechziger Jahre bis zur Mitte der siebziger Jahre) schon einmal eine Erhöhung der regionalen Konvergenz in der Gemeinschaft begleitet.279 Die Erinnerung an diese Erfahrung und die Überlegung, daß schwächere Regionen aufgrund der Ausschöpfung von spezifischen regionalen Vorteilen wie Preis- und Lohnvorteilen an dem durch das Binnenmarktprogramm hervorgerufene Wirtschaftswachstum teilhaben könnten, beflügelte die Hoffnung mancher, daß schwächere Regionen ihre Chancen wahrnehmen würden und sich so die räumlichen Disparitäten in der Gemeinschaft verringern würden. 280 und Überlegungen zu den Chancen und Risiken für Nordrhein-Westfalen, in: RWI-Mitteilungen, Jg. 40 (1989), S. 149-180, hier S. 159 ff.
275 Vgl. Biehl, Dieter, Perspektiven für die Weiterentwicklung der EG-Regionalpolitik, in: Urff, Winfried von, Meyer, Heino von (Hrsg.), Landwirtschaft, Umwelt und Ländlicher Raum, Herausforderungen an Europa, Baden-Baden 1987, S. 353-368, hier S. 354. 276 Vgl. Klemmer, Paul, Zur Aufgabenstellung der regionalen Strukturpolitik, in: Schrnidt, Reiner (Hrsg.), Aktuelle Fragen der regionalen Strukturpolitik, Heidelberg 1989, S 5-10, hier S. 7. 277 Vgl. Kommission, Die Einheitliche Akte, S. 11 f. 278 Daneben würde die Inflationsrate um 6% sinken und bis zu zwei Millionen neue Arbeitsplätze entstehen; mit der regionalen Verteilung dieser Effekte befaßt sich die Studie allerdings nicht; vgl. Kommission, Tbe Economics of 1992, European Economy Nr.35, BfÜSsel 1988. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse ist zu finden in Cecchini, Paolo, Europa 92, Der Vorteil des Binnenmarktes, Baden-Baden 1988.
279 Vgl. Kommission, Vierter periodischer Bericht, S. 19; Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 46, S. l31. 280
Vgl. dazu auch Peschel, Karin, S. 553.
86
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Diese Meinung konnte sich aber in der Diskussion letztlich nicht durchsetzen. Die überwiegende Zahl der Experten rechnete vielmehr damit, daß sich die Disparitäten zwischen armen und reichen Regionen durch die Vollendung des Binnenmarktes verstärken würde: Zunächst lehnten die Verfechter der für die Konvergenzentwicklung pessimistischen Auffassung es ab, die Situation der Gründungsgemeinschaft der Sechs mit der der jetzigen EG der Zwölf unter kohäsionspolitischen Gesichtspunkten zu vergleichen, da die Gemeinschaft mittlerweile wesentlich heterogener geworden war. 281 Daneben argumentierten sie mit folgender Überlegung: Durch die Vollendung des Binnenmarktes werden Schranken zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten abgebaut. Dadurch sind die Regionen einem stärkeren Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Unternehmen mit hohen Skalenerträgen, starker MarktsteIlung oder Kostenvorteilen erhalten im einheitlichen Binnenmarkt durch den Wegfall der bisher bestehenden Hindernisse einen leichteren Zutritt zu neuen Märkten und werden aufgrund ihrer Wettbewerbsvorteile weniger konkurrenzfähige Unternehmen verdrängen. Infolgedessen müssen die Gebiete, in denen die Unternehmen aufgrund von Größen- und Kostennachteilen weniger effizient produzieren, Markteinbußen hinnehmen. 282 Damit können sich die Disparitäten zwischen armen und reichen Regionen verstärken 283 und eine regionalpolitische Flankierung des Binnenmarktprojektes ist nötig. 284 Diese Erwartung wurde durch verschiedene Studien erhärtet: Für die Regionen der Bundesrepublik Deutschland kam die Empirica-Gruppe zu dem Ergebnis, daß durch den Binnenmarkt kein Regionalausgleich zu erwarten sei.28S Buigues und Ilzkovitz identifizierten 40 Industriezweige in der Gemeinschaft,
281
Vgl. Bursig, Beatrix, S. 104.
Vgl. Schrott, Susanne, Regionalpolitik: in der 00, Wien 1993,4. Aufl., S. 1; Sinz, Manfred, Steinle, Wolfgang, Regionale Wettbewerbsfahigkeit und europäischer Binnenmarkt, in: RuR, Jg.47 (1989), Heft 1, S. 10-21, hier S. 10 f.; Binder, Klaus, Walthes, Frank, Der Kohäsionsfonds, Ein strukturpolitisches Finanzinstrument der Europäischen Union, in: RuR, Jg.52 (1994), Heft 415, S. 261-269, hier S. 262. Zum Teil wird dagegen aber zu bedenken gegeben, daß in Zukunft die Bedeutung von Größenvorteilen abnehmen könnte, da die Massenproduktion mehr und mehr durch eine Produktion der flexiblen Spezialisierung ersetzt wird; vgl. PescheI, Karin, S. 552. 282
283
Vgl. Padoa-Schioppa, S. 8.
Vgl. Cecchini, Paolo, S. 138 f.; insgesamt schenkt der Cecchini-Bericht den regionalen Auswirkungen des Binnenmarktes aber nur wenige Bemerkungen. 284
28S Vgl. Empirica (Hrsg.), Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Binnenmarktes 1992 auf Sektoren und Regionen der Bundesrepublik Deutschland, Kurzfassung, Bonn 1989.
VI. Die Refonn der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
87
die von der Binnenmarktvollendung unmittelbar betroffen waren. 286 Diese befanden sich vorwiegend im Bereich des öffentlichen Auftragwesens oder waren bisher durch nichttarifäre Handelshemmnisse geschützt. Dabei stellte sich heraus, daß die Anteile der in diesen sensiblen Industrien Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigung in der Industrie zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zwischen 45% und 68%, also erheblich schwankte, was zum Teil auf Unterschiede in der bisherigen Abschirmung dieser Industrien vom Weltmarkt zurückzuführen war. 287 Nach den Ergebnissen dieser Studie stand zu erwarten, daß gerade bei den bisher durch nichttarifäre Hemmnisse geschützten Regionen die starke Gefahr bestand, daß sie sich im vollendeten Binnenmarkt als nicht genügend wettbewerbsfähig erweisen würden und deshalb Einkommensverluste erleiden müßten. Ähnliche Untersuchungen über die Auswirkungen der Binnenmarktverwirklichung auf die größten Wirtschafts bereiche der vier ärmsten Mitgliedstaaten Griechenland, Portugal, Spanien und Irland von Booz, Allen en Hamilton 288 und der regionalen Effekte der Liberalisierung des Finanzdienstleistungssektors der Cambridge Economic Consultants289 bzw. der Marktöffnung im öffentlichen Beschaffungswesen in den Bereichen Telekommunikation, Energieanlagen- und Eisenbahnbau von Cegos-Idet290 kamen zu dem Ergebnis, daß durch die Liberalisierung der Märkte der Wettbewerbsdruck erhöht und die Modernisierung beschleunigt wird. Dadurch kommt es zwar langfristig zu Produktionswachstum und Produktivitätsanstieg, die Entwicklungen werden aber eingeleitet von Umstrukturierungsmaßnahmen in den Unternehmen, die vor allem in den peripheren und weniger wettbewerbsfähigen Gebieten zu Rationalisierungen und Arbeitsplatzverlusten führen werden. Die schon schwächeren Regionen haben damit eine größere Anpassungslast zu tragen als die übrigen Regionen. Auf diesen Aspekt deutete auch eine für das Europäische Parlament erstellte Studie von Nam und Reuter hin, wonach alle Regionen, die zu den 10% der 286 Vgl. Kommission, Les Etats-membres face aux enjeux scctoriels du Marche int6rieur, BIiisseI-Luxemburg 1989. 287 Die höchsten Anteile besitzen Portugal, Griechenland und die Bundesrepublik mit 68%, 61 % und 57%, der Rest liegt zwischen 45% und 52%. 288 Vgl. Booz, Allen en Harnilton, Effects of the Intemal market on Greece, lreland, Portugal and Spain, Luxemburg 1989. 289 Vgl. PA Cambridge Economic Consultants, The regional consequences of the completion of the intemal market for financial services, Cambridge 1990. 290 Vgl. Cegos-Idet, Les consequences regionales de rouverture des marches publics, le cas des secteurs des t61~communications, du gros mat6riel ~l~ctrique et du mat6riel ferroviaire, Luxemburg 1989.
88
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Regionen mit dem geringsten Pro-Kopf-Einkommen in der EG gehören, noch eher eine Verschlechterung ihrer relativen Wettbewerbssituation zu erwarten haben. 291 Die vom Ifo-lnstitutfür Wirtschaftsforschung im Auftrag des Europäischen Parlaments durchgeführte Untersuchung über die Auswirkung des Binnenmarktes auf die Problemregionen der Gemeinschaft (Ziel Nr. 1-, 2- und 5bRegionen) kam zu dem Schluß, daß die meisten dieser Problemregionen nicht in der Lage sein würden, die ihnen durch die Deregulierungsmaßnahmen zukommenden Wachstums- und Beschäftigungspotentiale tatsächlich umzusetzen, da die Fähigkeit zur Ausnutzung dieser Impulse an die regionale Wettbewerbsfahigkeit wie Wirtschaftsstruktur, Raumlage und Raumqualität gebunden ist. 292 Damit konnte das Binnenmarkprogramm in einer Anzahl von Regionen der Gemeinschaft zu ökonomischen Ergebnissen führen, die aus integrationspolitischer Sicht problematisch waren;293 das EG-92-Projekt führte zu einer schnellen Offenlegung von existierenden strukturellen Problemen in den schwächeren Regionen und somit nicht zu einem Regionalausgleich, sondern zu einer Erhöhung des Regionalgefalles. Bei der Beurteilung des Binnenmarktprogrammes muß berücksichtigt werd~n, daß dieses der Beschleunigung des technischen Fortschritts und der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft im globalen Kontext dienen sollte 294 und nicht in erster Linie regional ausgerichtet war. 295 Man nahm die nach herrschender Meinung entstehenden negativen Folgen bezüglich der Disparitätenentwicklung bewußt in Kauf, da man aufgrund der erhofften allgemeinen Wachstumssteigerung 296 in der Gemeinschaft mehr Möglichkeiten für eine ak-
291 Vgl. Europäisches Parlament, Die Auswirkungen von 00'92 und der damit verbundenen Rechtsvorschriften auf die benachteiligten Regionen der Gemeinschaft, Luxemburg 1991. 292 Vgl. Europäisches Parlament, Die Auswirkungen, S. 7 ff. 293 Vgl. Wemer, Gabriele, Regionalpolitische Konsequenzen der europäischen Integration, in:
Wirtschaftsdienst, Jg. 72 (1992), Heft 11, S. 581-589, hier S. 586.
294 Vgl. Steinle, Wolfgang, Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Binnenmarktes 1992 auf Sektoren und Regionen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch für Regionalwissenschaft 1990, S. 82-104, hier S. 83 ff.; zur Auswirkung des Binnenmarktes im geopolitischen Kontext vgl. Steinbach, Josef, Regionalstruktur in einer neuen Phase der europäischen Integration, in: Jahrbuch für Regionalwissenschaft, 1990, S. 11-42. 295 Vgl. Europäisches Parlament, Die Auswirkungen, S. 7. 296 Der Wachstumsschub sollte nach Meinung der Kommission aus drei Effekten resultieren:
den Vorteilen aufgrund des Abbaus von Grenzbarrieren, den Auswirkungen des verstärkten Wettbewerbs und den Auswirkungen bei der Nutzung von Größenvorteilen; vgl. Cecchini, Paolo, S.122.
VI. Die Reform der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
89
tive regionalpolitische Verteilungspolitik sah. 297 Auf diesen Zusammenhang deutet auch die besondere Erwähnung des Binnenmarktes in Art. 130 b EWGV hin. 298 Eines der bedeutendsten Merkmale der Strukturfondsreform ist die Mittelverdoppelung innerhalb von fünf Jahren. Die starke Erhöhung der Mittel von 7 Mrd. ECU p.a. auf 14 Mrd. ECU bis 1993 spiegelt sich in einem Anstieg des Anteils der Strukturfondsgelder (in Verpflichtungsermächtigungen) am gesamten EG-Haushalt von ca. 16% in 1987 bis auf ca. 24% in 1993 wider. Dies zeigt, daß die regionalen Disparitäten einen höheren Stellenwert in der Gemeinschaft erhalten haben. Allerdings muß bei der Beurteilung dieses Anstiegs berücksichtigt werden, daß eine Erhöhung von alleine 40% schon deswegen nötig war, um die neu eingetretenen Mitgliedstaaten Portugal und Spanien in gleicher Weise wie die bisherigen Mitgliedstaaten zu bedienen. 299 Der Grundsatz der Konzentration entfaltet eine dreifache Wirkung, und zwar als Konzentration der Zielsetzungen, als räumliche Konzentration und als Konzentration der Finanzmitte1. 3OO Diese dreifache Konzentration sollte die Effizienz der vorhandenen Gelder erhöhen und Streuverluste verringern. Sie führte dazu, daß der Antragsspielraum in einigen Mitgliedstaaten im Vergleich zur bisherigen Situation erhöht, in einigen aber verringert wurde. 301 Die Konzentration der Mittel auf fünf vorrangige Ziele kann als Fortschritt gegenüber dem bisherigen Verfahren angesehen werden: Zunächst entspricht die Nennung von konkreten Zielen einer Grundforderung der praktischen Wirtschaftspolitik, die mit Hilfe der Handhabung von Maßnahmen bestimmte Ziele erreichen will: 302 Um überhaupt sinnvoll agieren zu können, müssen sich die politischen Ent297 Vgl. hierzu auch Wäldchen, Paul, Die Rolle der Regionalpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, in: Schrnidt, Reiner, Aktuelle Fragen der regionalen Strukturpolitik, Heidelberg 1989, S. 49-56, hier S. 50; Kuhn, Britta, Eichenberger, Reiner, Die Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft, in: WiSt, Jg. 21 (1992), Heft 11, S. 575-578, hier S. 577.
298
Vgl. Besehe!, Manfred, S. 3702.
299 V gl. Biehl, Dieter, Die Einheitliche Europäische Akte, Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt, in: Integration, Jg. 9 (1986), Heft 3, S. 115-120, hier S. 118. 300 Vgl. die Grundlegung dieses Gedankens in: Kommission, Bericht und Vorschläge über die Mittel zur Stärkung der Effizienz der Strukturfonds der Gemeinschaft, abgedruckt in: Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 3 1983, S. 8. 301
Vgl. Franzmeyer, Fritz, Seidel, Bernhard, Weise, Chrlstian, S. 36.
Vgl. Tinbergen, Jan, On the Theory ofEconomic Policy, 2. Aufl., Arnsterdarn 1963, S. 1 ff.; zur Bedeutung von Zielprojektionen im Wirtschaftsprozeß vgl. auch Schlecht, Otto, Gesamtwirtschaftliche Zielprojektionen als Grundlage der wirtschaftspolitischen Planung in der Marktwirtschaft, in: Kaiser, Joseph H. (Hrsg.), Planung III, Baden-Baden 1968, S. 111-127, hier S. 122 ff. 302
90
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
scheidungsträger Gedanken über die zu erreichende Ziellage machen. Das Endziel einer gemeinschaftlichen Regionalpolitik, die Verringerung der Disparitäten zwischen den Regionen, war zwar schon in der Präambel des EWGVertrages von 1957 formuliert worden. Aber ein differenziertes Zielsystem, das auch unterschiedlichen Bedingungen in den Regionen gerecht wurde, fehlte. 303 Durch die Nennung der fünf prioritären Ziele wurde das Zielsystem jedoch konkretisiert und eine Zielpyramide aufgebaut. In dieser stellen die fünf vorrangigen Ziele die Zwischenziele dar, die aber zugleich Instrumentalcharakter besitzen und zur Erreichung des höherrangigen Endzieles dienen. 304 Damit wurden verschiedene Ursachen, aufgrund derer Regionen in der Gemeinschaft benachteiligt sein können, berücksichtigt und für die am regionalpolitischen Entscheidungsprozeß Beteiligten präzisiert, in welchen Bereichen die Gemeinschaft zur Erreichung des regionalpolitischen Endziels ansetzen wollte. Die einzelnen Zwischenziele sind nochmals in konkrete Unterziele aufgebrochen. Aufgrund der Fülle dieser Unterziele ergeben sich allerdings teilweise Inkonsistenzen. 305 Die Konzentration der Finanzmittel auf die fünf prioritären Ziele und die Konzentration innerhalb dieser Zielgruppe auf das Ziel Nr. 1 wiederum wollte erreichen, daß die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auf zu viele Zwischenziele verteilt werden, sondern möglichst effizient in einer festgelegten Zahl von Handlungsgebieten wirken sollten. 306 Die Konzentration der Fondsmittel erfolgte vor allem in geographischer Hinsicht: Obwohl der Anteil der in den Fördergebieten lebenden Personen mit 43% der Gemeinschaftsbevölkerung (21,5% bei Ziel Nr. 1, 16,5% bei Ziel Nr. 2 und 5% bei Ziel Nr. 5b) nur unwesentlich geringer war als vor der Strukturfondsreform (44%), nahm der Anteil der in den begünstigten Regionen lebenden Bevölkerung in den Mitgliedstaaten mit starkem EntwickIungsrückstand erheblich zu, während dieser Anteil in den reicheren Ländern stark reduziert wurde, wie Tabelle 6 für den EFRE zeigt.
303 Auf die Bedeutung eines derartigen ZieIsystems hat die Kommission wiederholt hingewiesen; vgl. Kommission, Bericht und Vorschläge, S. 7. 304 Vgl. Egon Tuchtfeldt, Wirtschaftspolitik, in: Albers, Willi et al., HdWW, Bd. 9, Stuttgart et al. 1988, S. 178-206, hier S.182. 30S Dies gilt z. B. im Fall der Förderung der Niederlassung von Junglandwirten und der Schaffung von nicht-landwirtschaftlichen Arbeitsplätzen; vgl. dazu Waniek, Roland, EG-Regionalpolitik für die Jahre 1994 bis 1999, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 74 (1994), Heft I, S. 43-49, hier S. 46. 306
Vgl. Franzmeyer, Fritz, Seidel, Bernhard, Weise, Christian, S. 57.
VI. Die Refonn der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
91
So konnten Fritz Franzmeyer u. a. in Hinblick auf die regionale Inzidenz des EFRE eine stark egalisierende Wirkung feststellen: Im Durchschnitt der Jahre 1989 und 1990 wurden knapp 80% der Zuschüsse auf die 20% der Bevölkerung in den ärmsten Regionen verteilt. 307 Neben der geographischen Konzentration kam es auch zu einer starken finanziellen Konzentration der Fondsmittel zugunsten der Regionen mit Entwicklungsrückstand. 63% der gesamten Strukturfondsmittel von 60,3 Mrd. EeU entfielen im Zeitraum zwischen 1989 und 1993 auf das Ziel Nr. 1, während 12% bzw. 5% den Zielen Nr. 2 und 5b zugute kamen und 20% der Mittel für die restlichen Foftdsziele vorgesehen waren. 308 Das Ziel der Partnerschaft betrifft die Gestaltung der Beziehungen zwischen den Verwaltungsebenen der Kommission, der Mitgliedstaaten und den für die Regionalpolitik zuständigen Untergliederungen der Mitgliedstaaten und verlangt eine wesentlich stärkere Abstimmung zwischen nationalen und gemeinschaftlichen Institutionen bei der Ausarbeitung und der Durchführung der Programme und Vorhaben als bisher.309 . Dieser Gedanke wurde in den Programmen und Integrierten Maßnahmen, allerdings nur zwischen den Ebenen der Mitgliedstaaten und der Kommission, erprobt und nun in erweiterter Form in die Arbeit der Strukturfonds übernommen. Durch die Hereinnahme der mitgliedstaatlichen Verwaltungsebenen in die Informations- und Entscheidungsprozesse soll aus Sicht der Kommission deren Wissen und Erfahrung, die aus der größeren Nähe zu den regionalen Problemen resultieren, genutzt und in den regionalpolitischen Entscheidungsprozeß eingebracht werden. 3lO Die mitgliedstaatlichen Ebenen sollen ihrerseits durch die Einbindung eine stärkere Neigung zur konstruktiven Mitarbeit bei der Konzeption und Durchführung der Maßnahmen zeigen. So werden die Aktionen in den begleitenden Ausschüssen, in denen Vertreter der Mitgliedstaaten und der Kommission sitzen, während ihrer Laufzeit anhand jeweils der aktuellen Informationen koordiniert und können dadurch an Umweltänderungen flexibel angepaßt werden. Damit wird die Akzeptanz, aber auch die Effizienz der Interventionen im Vergleich zu den früheren Verfahren erhöht. Daneben stellt die Betonung der Partnerschaft zwischen gemeinschaftlichen und mitgliedstaatlichen Ebenen sicherlich auch einen Ausgleich für die immer stärkere Beschneidung
307
Vgl. im folgenden: Europäisches Parlament, Die regionalen Auswirkungen, S. 32.
308
Vgl. Europäisches Parlament, Eine neue Strategie, S. 39.
309
Vgl. Franzmeyer, Fritz, Seidel, Bemhard, Weise, Christian, S. 36.
310 Vgl. Franzmeyer, Fritz, Aufgaben und Funktionsweise der EG-Strukturpolitik, in: Zippei, Wulfdiether (Hrsg.), Ökonomische Grundlagen der europäischen Integration, München 1993, S. 83-98, hier S. 89.
92
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
der nationalstaatlichen Regionalpolitik dar: Die Mitgliedstaaten dürfen, insbesondere über das Ausschußwesen, an der gemeinschaftlichen Regionalpolitik verstärkt mitwirken, gleichzeitig aber wird die Beihilfenaufsicht der Kommission immer restriktiver gehandhabt. Tabelle 6
Bevölkerungsanteile in vom EFRE geförderten Regionen in einzelnen Mitgliedstaaten vor und nach der Strukturfondsreform
Land Griechenland Irland Portugal Spanien Italien Großbrittannien Luxemburg Frankreich Belgien Deutschland Niederlande Dänemark
Anteil nach der Refonn in % 100,0 100,0 100,0 82,6 47,8 40,4 38,8 30,2 24,8 18,8 12,9 7,0
Anteil vor der Refonn in % 65,7 100,0 100,0 66,4 38,8 37,7 79,5 40,2 33,1 37,5 14,7 20,7
Quelle: Kommission, Vierter Periodischer Bericht über die sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft, S. 55.
Mit der Einhaltung des Grundsatzes der Additionalität versuchte die Kommission die Wirksamkeit der von ihr eingesetzten Mittel mit Hilfe von zusätzlichen nationalen Geldern zu erhöhen. Das Additionalitätsprinzip ist damit eine Steigerung des aus den Fondsverordnungen von 1975 und 1979 bekannten Prinzips der Zusätzlichkeit, das lediglich verhindern sollte, daß Mitgliedstaaten mit Gemeinschaftsgeldern eigene Anstrengungen ersetzten. Da in den Fondsvorschriften aber keine konkreten Verfahren zur Kontrolle dieses Grundsatzes vorgesehen waren, ist es nicht überraschend, daß die Überprüfung des Grundsatzes für die Kommission als ein besonders schwieriges Problem herausstellte. 311 Dies lag zum Teil daran, daß die Mitgliedstaaten die zur Überprüfung benötigten Daten der Kommission nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung stellten. Ein weiteres Problem war, daß die Formulierung des Art. 9 der Koordinierungsverordnung die spezifischen regionalen und lokalen Gegebenheiten 3ll Vgl. Kommission, Vierter Jahresbericht über die Durchführung der Strukturfonds, 1992, Luxemburg 1994, S. 65; Kommission, Dritter Jahresbericht, S. 19.
VI. Die Reform der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
93
nicht berücksichtigt. So sind z. B. bei den Zielen 2 und Sb in der Regel sehr kleine Fördergebietseinheiten betroffen, die nicht den Datenerhebungseinheiten der Mitgliedstaaten entsprachen. Manche Mitgliedstaaten, z. B. Frankreich und Großbritannien, umgingen aber auch ganz offensichtlich das Erfordernis der Zusätzlichkeit der Mittel, indem sie einfach ihre eigenen Regionalausgaben verringerten. Ein weiteres Ziel der Strukturfondsreform war die Vereinfachung der Mittelvergabeverfahren. Die Vereinheitlichung der Vielzahl von unterschiedlichen Verwaltungspraktiken je nach Fonds bei Fragen der Antragstellung, der Vergabeentscheidung; der Auszahlung etc. ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings erhöhte die Strukturfondsreform neben der Anzahl der an den Entscheidungsabläufen Beteiligten auch die Anzahl der Verwaltungsschritte312 • So wurde bei operationellen Programmen das dreistufige Notifizierungsverfahren - Erstellung der Regionalen Entwicklungsprogramme durch die Mitgliedstaaten, Erstellung der Gemeinschaftlichen Förderkonzepte durch die. Kommission in Übereinstimmung mit dem betreffenden Mitgliedstaat, Erstellung von operationellen Programmen - eingeführt. Beide Neuerungen aber steigerten den Vewaltungsaufwand, womit die ursprünglichen Effizienzgewinne zumindest geschmälert wurden. Die Bewertung und Begleitung der Aktionen sollte dem Aufbau eines Kontroll- und Beurteilungssystems dienen, dessen Ziel ein möglichst effizienter Einsatz der verausgabten Mittel sein sollte. Aus diesem Grunde muß die Kommission dafür Sorge tragen, daß die Ziele der Interventionen möglichst präzise formuliert werden, der bestmögliche aus einer Vielzahl von Wegen zur Erreichung dieses Ziels ausgewählt wird313 und unerwünschte Begleiterscheinungen und Probleme bzgl. der Auswirkungen der Maßnahmen auf die Zielerreichung möglichst schon bei der Erstellung der Programme aufgedeckt werden, um sie zu beseitigen bzw. um zu erreichen, daß diese während der Laufzeit der Maßnahmen vermieden werden. Daneben muß das Kontroll- und Beurteilungssystem eine Informationsfunktion besitzen, das über das Ausmaß sowie die Anzahl von auftretenden Problemen informieren soll. Generell muß diese Bewertung und Begleitung der Aktionen anband des Wirtschaftlichkeitskriteriums gemessen werden: Falls die durch die Beurteilungsaktivitäten verursachten Kosten geringer sind als der dadurch erzielte Nutzen, kann die Wirtschaftlichkeit bzw. 312
Vgl. Franzmeyer, Fritz, Seidel, Bernhard, Weise, Christian, S. 36.
Vgl. Europäisches Parlament, Effizienz der Regionalpolitik in der Europäischen Union, Bewertung der direkten und indirekten Auswirkungen der Strukturfonds, Arbeitsdokument, Luxemburg 1993, S. 20. 313
94
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Ergebniszuverlässigkeit der Interventionen verbessert werden. Vor dem beschriebenen Zielhintergrund scheint das neu installierte Bewertungs- und Begleitsystem eine wesentliche Verbesserung gegenüber den bisherigen Regelungen zu sein. Untersuchungen der Kommission zeigten allerdings, daß Effizienzprüfungen auch nach der Umsetzung der Strukturfondsreform für die EGRegionalpolitik ein großes Problem darstellen. Es gibt verschiedene Ursachen, die einer einheitlichen und zufriedenstellenden Bewertung entgegenstehen: Zum einen besteht das grundsätzliche Problem, daß die realen Auswirkungen von Regionalinterventionen sehr schwierig zu quantifizieren sind, zum anderen haben die verschiedenen nationalen Verfahren zur Förderung der regionalen Wirtschaftsentwicklung und zu deren Bewertung zu unterschiedliche Schwerpunkte, als daß sie gut miteinander vergleichbar wären, weiterhin ist die Operationalisierung der Ziele der Strukturfondsverordnung selbst schwierig durchzuführen. 314 So ist das Ziel der Verringerung der Rückständigkeit von benachteiligten Gebieten sehr wenig spezifisch. Daneben laboriert eine Bewertung der EG-Regionalpolitik auch daran, daß regionalpolitische Erfolge auch von nationalen Regionalpolitiken abhängig sind. All diese Schwierigkeiten werden davon überschattet, daß die Kommission große Probleme damit hat, ein geeignetes Bewertungsverfahren einzurichten. 31S Zum Teil sind auch einige Begleitausschüsse nicht einmal in der Lage, die Indikatoren anzugeben, die Grundlage für die Bewertung der einzelnen Aktionen sein sollen. 316 Deshalb werden seit 1989 auch externe Berater zur Überprüfung der Auswirkungen der Interventionen eingesetzt. Schließlich sind offensichtlich sogar die Grundvoraussetzungen für eine ex-post-Bewertung zwischen den Beteiligten noch nicht in ausreichendem Maße eingespielt: Die Bewertung der von 1989 bis 1993 durchgeführten gemeinschaftlichen Förderkonzepte scheiterte in vielen Fällen, weil die dazu nötigen Informationen nicht zur Verfügung standen. 317 Teilweise hielten die Mitgliedstaaten vorgeschriebene Berichte und Informationen über den Ablauf der Maßnahmen zurück, um eigene Unzulänglichkeiten zu verschleiern. 318 Um der unbefriedigenden Bewertungssituation Abhilfe schaffen zu können, rief die Kommission 1992 die Fachgruppe ,,Bewertung" und das Pilotprogramm
314
Vgl. Kommission, Vierter Jahresbericht, S. 71.
Vgl. Ridinger, Rudolf, Aktuelle Diskussionen zur Finanzausstattung und Refonn der EGRegionalforderung, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 72 (1992), Heft 12, S. 649-654, hier S. 654. 315
316 Vgl. Kommission, Dritter Jahresbericht über die Durchführung der Strukturfonds, 1991, Luxemburg 1993, S. 4. 317
Europäisches Parlament, Effizienz der Regionalpolitik, S. 12.
318
Vgl. Schäfers, Manfred, S. 134.
VI. Die Reform der Regionalpolitik durch die Einheitliche Europäische Akte
95
,,MEANS" ins Leben. 319 Die Fachgruppe ,,Bewertung", an deren Sitzungen Vertreter der Kommission und der Mitgliedstaaten teilnehmen, hat das Ziel, die Kohärenz der gemeinschaftlichen, der nationalen und der regionalen Bewertungspolitik zu fördern, während MEANS Methoden zur Bewertung der strukturpolitischen Aktionen ausarbeiten soll. Zunächst blieb der Kommission zum Teil aber nichts anderes übrig, als rein qualitative Einschätzungen bezüglich der Auswirkungen von Vorhaben abzugeben und danach wurde ihnen ein "eindeutiger Erfolg" zugesprochen. 320 Wie alle anderen Interventionen laborieren auch die Gemeinschaftsaktionen an den Schwierigkeiten ihrer Bewertung. Daneben bemängelt selbst die Kommission die zu hohe Anzahl der Initiativen: Dies führt zu einer zu hohen Aufsplitterung der Mittel und der Arbeitsaufwand wird im Vergleich zu den gewährten Mitteln zu groß.321 Nach wie vor existiert schließlich die umstrittene Quotenaufteilung von 85% der EFRE-Mittel auf die Mitgliedstaaten. Sie ist allerdings lediglich indikativ. Insgesamt gesehen weist die Strukturfondsrefonn somit durchaus positive Ansätze zur Erhöhung der Effizienz der eingesetzten Mittel auf, mit fehlender Fähigkeit zur Bewertung wird die Kommission allerdings einer wesentlichen selbstauferlegten Anforderung der Strukturfondsrefonn nicht gerecht. 6. Die Einbeziehung Ostdeutschlands
Mit der deutschen Wiedervereinigung stießen die fünf neuen Bundesländer zum Gemeinschaftsgebiet. Dadurch wurde das mit der strukturpolitischen Refonn gefunden geglaubte Gleichgewicht von Förderregionen und prioritären Zielen322 in der Gemeinschaft in Gefahr gebracht. Obwohl zunächst grundlegendes statistisches Material in den neuen Bundesländern fehlte, war abzuse hen, daß die Einkommen dort wesentlich unter dem Durchschnitt der Gemeinschaft liegen und wegen des Strukturbruchs hohe Arbeitslosenzahlen drohen würden. Aus diesem Grund stellte die Kommission für den Dreijahreszeitraum von 1991 bis 1993 zunächst 3 Mrd. EeU (EFRE: 1,5 Mrd. EeU, ESF: 0,9 Mrd. EeU, EAGFL: 0,6 Mrd. EeU) für einen flexiblen Einsatz im Rahmen vereinfachter
319
Vgl. Kommission, Vierter Jahresbericht, S. 71.
320
Vgl. Franzmeyer, Fritz, Seidel, Bernhard, Weise, Christian, S.78.
321
Vgl. Kommission, Dritter Jahresbericht, S. 6.
Vgl. Kommission, Die Europäische Gemeinschaft und die deutsche Vereinigung, abgedruckt in: Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 41990, S. 108. 322
96
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Verfahren auf der Basis eines von der Bundesregierung vorgelegten GFK323 bereit. 324 Um die übrigen Förderregionen nicht zu belasten, wurden die Mittel zusätzlich aus dem Gemeinschaftshaushalt bereitgestellt. Insgesamt bedeutete die Förderung von drei Mrd. EeU in den neuen Bundesländern einen jahresdurchschnittlichen Betrag von 65 Eeu pro Kopf. 32S Dies ist etwa die Hälfte der in den übrigen Ziel Nr. I-Regionen der Gemeinschaft im Zeitraum von 1989 bis 1992 durchschnittlich erhaltenen Pro-Kopf-Förderung von 127 EeU. Seit Anfang 1994 gelten für die Tätigkeit der Strukturfonds in den fünf neuen Ländern die üblichen Fondsvorschriften. Das Beitrittsgebiet besitzt seit diesem Zeitpunkt den Status als Ziel Nr. I-Region, da das Kriterium für eine Einstufung in diese Kategorie - ein regionales Pro-Kopf-Einkommen von unter 75% des Gemeinschaftsdurchschnitts - erfüllt ist.
vrr. Die Ergänzung des regionalpolitischen Instrumentariums durch den Maastrichter Vertrag
1. Der Inhalt des Maastricbter Vertrags und seine Konkretisierung
Der Maastrichter Vertrag stellt nach der EEA einen weiteren Meilenstein in der Entwicklung der europäischen Integration dar: Am 10. Dezember 1991 wurde auf dem EG-Gipfel in Maastricht mit dem Vertrag über die Europäische Union EUV die Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion und der Europäischen Union beschlossen326 und eine Reihe neuer Aufgaben der Gemein323 Vgl. Kommission, Gemeinschaftliches Förderkonzept 1991-1993 für die Gebiete Ost-Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen, BrüsselLuxemburg 1991. 324 Vgl. AbI. Nr. 353/1990 325 Vgl. Europäisches Parlament,
Die sozio-ökonomische Lage in den 5 neuen Bundesländern und die Maßnahmen der Kommission, Arbeitsdokument, Luxemburg 1993, S. 10.
326 Grundlage für die Europäische Union sind neben den schon bestehenden Europäischen Gemeinschaften und der Wirtschafts- und Währungsunion die Bereiche Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Zusammenarbeit im Bereich der Justiz und des Innern. Die Verträge über die Errichtung der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft wurden am 7. Februar 1992 in Brüssel unterzeichnet. Sie traten allerdings erst am 1. November 1993 in Kraft, nachdem die letzte RatifIkationsurkunde in Rom hinterlegt war. Zum Werden und den Zielen, Aufgaben und Institutionen der Union vgl. ausführlich Hahn, Hugo, Der Vertrag von Maastricht als völkerrechtliche Übereinkunft und Verfassung, Baden-Baden 1992, S. 42 ff.
VII. Die Ergänzung des regionalpolitischen Instrumentariums
97
schaft übertragen. 321 Um die damit erreichte neue Integrationsstufe auch nach außen hin sichtbar zu machen, wurde die "Europäische Wirtschafts gemeinschaft" in "Europäische Gemeinschaft" und der "EWG-Vertrag" in ,,EG-Vertrag" umbenannt. Der Stellenwert der Regionalpolitik wurde im neuen Vertrag dadurch betont, daß das Ziel der Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts durch seine ausdrückliche Aufnahme sowohl in den abstrakten Aufgabenkatalog des Art. 2 EGV als auch in den konkreten Tätigkeitskatalog des Art. 3 EGV und den Zielkatalog der Union des Art. B EUV weiter formal aufgewertet wurde. Daneben wurde dem Rat erlaubt, zur Verfolgung des Ziels des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes auch von den Strukturfonds nicht vorgesehene spezifische Aktionen328 oder gar eine Neuordnung der Strukturfonds329 einstimmig zu beschließen. Daneben wurden die Strukturmaßnahmen im Fischereisektor im Rahmen eines neuen Ziels Nr. 6 in die Strukturfondsarbeit integriert. Um die regionalen und lokalen Ebenen der Gemeinschaft stärker als bisher am Meinungsbildungsprozeß in der Gemeinschaft zu beteiligen, wurde außerdem ein ,,Ausschuß der Regionen" geschaffen. Dieser ist beratend tätig und kann vom Rat oder von der Kommission bei Beschlüssen mit regionalem Bezug gehört werden, wenn dies eines der beiden Organe für zweckmäßig erachtet; er kann aber auch auf eigene Iniative hin Stellungnahmen abgeben. 330 Die in regionalpolitischer Hinsicht wichtigsten von Maastricht ausgehenden Neugestaltungen sind die beiden Beschlüsse, als neue Gemeinschaftsaufgabe den Bau transeuropäischer Netze zu schaffen331 und noch vor dem 31.12.1993 zusätzlich zu den bestehenden Strukturfonds einen Kohäsionsfonds einzurichten.
321 Diese neuen Aufgaben sind z. B.: Industriepolitik, Gesundheitswesen, Entwicldungszusarnmenarbeit, allgemeine und berufliche Bildung, Kultur und transeuropäische Netze. Eine genaue Gegenüberstellung der Gemeinschaftskompetenzen vor und nach Maastricht ist zu finden in Busch, Berthold, Die EG nach 1992, Die Gemeinschaft vor neuen Herausforderungen, Köln 1992, S. 8 f. 328
Vgl. Art. 130 b EGV.
329
Vgl. Art. 130 d EGV.
Vgl. Art. 198 aff EGV. Zum Ausschuß der Regionen siehe ergänzend Tomuschat, Christian, Die Mitsprache der dritten Ebene in der europäischen Integration, Der Ausschuß der Regionen, Bonn 1995; Hoppe, Ursei, Schulz, Günther, Der Ausschuß der Regionen, in: Borkenhagen, Franz, Bruns-Klöss, Christian, Memminger, Gerhard, Stein, Otti (Hrsg.), Die deutschen Länder in Europa, Baden-Baden 1992, S. 26-35. 330
331
Vgl. Art. 129 bffEGV (Titel XII: Transeuropäische Netze).
1 Wenenhofer
98
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Der Auf- und Ausbau transeuropäischer Netze in den Bereichen der Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur soll einen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und des Binnenmarktes leisten.332 Zur Durchführung der neuen Gemeinschaftsaufgabe stellt die Gemeinschaft Leitlinien auf,333 in denen Vorhaben von gemeinsamen Interesse ausgewiesen werden, führt Aktionen durch, um die Interoperabilität der Netze zu gewährleisten und leistet den Mitgliedstaaten gegenüber Unterstützung in Form von Durchführbarkeitsstudien, Anleihebürgschaften oder Zinszuschüssen. Die entsprechenden einzelstaatlichen Politiken sind zu koordinieren. 334 Mit den Mitteln des Kohäsionsfonds sollen Vorhaben auf dem Gebiet der transeuropäischen Netze und der Umwelt gefördert werden. 33S Die Mittel des Kohäsionsfonds sind bestimmt für diejenigen Mitgliedstaaten, deren Pro-KopfEinkommen weniger als 90% des Gemeinschaftsdurchschnitts beträgt, also für die Länder Griechenland, Spanien, Portugal und Irland. Weiterhin müssen diese Länder ein Programm zur Schaffung der Voraussetzung für wirtschaftliche Konvergenz aufgestellt haben. 336 Der Beschluß wurde von den Staats- und Regierungschefs gefaSt, nachdem Spanien im Vorfeld der Vertragsverhandlungen mit Unterstützung der anderen weniger wohlhabenden Länder337 Druck auf die Gemeinschaft ausgeübt hatte, ohne einen finanziellen Ausgleich der Realisation der Wirtschafts- und Währungsunion nicht zustimmen zu wollen. 338 Die Höhe der Fondsausstattung wurde in Maastricht allerdings noch nicht geregelt.
Im Februar 1992 veröffentlichte die Kommission einen unter dem Namen "Delors-ll-Paket" bekanntgewordenen Vorschlag für ein umfangreiches finanzund strukturpolitisches Maßnahmenpaket für die Jahre 1993 bis 1997, in dem 332 Vgl. Art. 129 b EGV. 333 Nach dem im Rahmen des Maastrichter Vertrages neu vereinbarten Entscheidungsverfahren werden Beschlüsse über die Leitlinien vom Rat mit qualifizierter Mehrheit, allerdings nicht gegen den betroffenen Mitgliedstaat und bei einem Vetorecht des Europäischen Parlaments, getroffen. 334 Vgl. Art. 129 c EGV. 335 Vgl. Art. 130 d EGV. 336 Vgl. Protokolle zum EUV, Protokoll über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt. 337 Vgl. Hilligweg, Gerd, Beurteilung der Regionalpolitik der Europäischen Gemeinschaft und möglicher Weiterentwicklungskonzepte unter besonderer Berücksichtigung des Reformmodells einer finanzausgleichsorientierten Neugestaltung des Systems der EG-Regionalfonds, Bochum 1994, S. 74.
338 Vgl. Schäfers, Manfred, Die Kohäsionspolitik, S. 43.
VII. Die Ergänzung des regionalpolitischen Instrumentariums
99
die Folgen der Übereinkunft von Maastricht vom Dezember 1991 konkretisiert wurden. 339 In dem den Bereich des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes betreffenden Teil schlug die Kommission vor, den Schwerpunkt der Interventionen noch stärker als bisher auf die am stärksten benachteiligten Regionen zu verlagern, die für diese Regionen veranschlagten Mittel bei den Strukturfonds real um zwei Drittel, die Mittel für die übrigen Ziele um 50% zu erhöhen und den vom Rat in Maastricht beschlossenen Kohäsionsfonds einzurichten. Auf seiner Tagung in Lissabon am 26. und 27. Juni 1992 beschloß der Europäische Rat, daß der schon im EUV vorgesehene und im Delors-ll-Paket geforderte Kohäsionsfonds bereits Anfang 1993, also noch vor dem im Art. 130 d EUV genannten Endtermin des 31.12.1993 tätig werden sollte. Der Vorschlag über die Art und Funktionsweise des Kohäsionsfonds wurde von der Kommission daraufhin am 31.7.1992 genehmigt. Dennoch wurde der Termin für die endgültige Installation des Kohäsionsfonds aufgrund der Unsicherheiten um die Ratifikation des Maastrichter Vertrags - Dänemark lehnte im Juni 1992 das Vertragswerk mit knapper Mehrheit ab - dann noch zweimal, zuletzt auf den 31.12.1994 verschoben. Auf dem Gipfel in Edinburgh am 11. und 12. Dezember 1992 beschloß daher der Europäische Rat, der Kommission einen auf Art. 235 EGV gestützten Vorschlag für ein Interimsinstrument vorzulegen, das die vorläufige finanzielle Unterstützung von Irland, Griechenland, Portugal und Spanien in den Tätigkeitsfeldern, in denen der Kohäsionsfonds aktiv werden soll, bis zum Inkrafttreten einer Verordnung zur endgültigen Einrichtung des Kohäsionsfonds sicherstellen sollte. 34O Dieses Interimsinstrument trat zum 1. April 1993 in Kraft. 341 Weiterhin beschlossen die Staats- und Regierungschefs in Edinburgh die Finanzplanung der Gemeinschaft von 1993 bis 1999, also zwei Jahre länger als in dem Kommissionsentwurf vorgesehen. Die pro Jahr insgesamt zur Verfügung stehenden strukturpolitischen Mittel sollten nach dem Beschluß von 21 Mrd. 339 Vgl. Kommission, Von der EEA zu der Zeit nach Maastricht, Ausreichende Mittel für unsere ehrgeizigen Ziele, abgedruckt in: Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage I 1992, S. 15-41, hier S. 36 ff.
340 Der Vorschlag des Rates wurde von der Kommission am 23.12.1992 angenommen; vgl. Kommission, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Heft 12 1992, S. 50 f.; daraufhin unterbreitete die Kommission dem Rat einen (geänderten) Vorschlag für eine Verordnung zur Errichtung eines Kohäsionsfonds und zum Zweck der vorübergehenden Einrichtung des lnterirnsinstrumentes einen - nach zwei Monaten wieder geänderten - Vorschlag für eine Verordnung zur Errichtung eines Kohäsions-Finanzinstrumentes; vgl. Vorschlag vom 5.1.1993, in: AbI. Nr. C 38, S. 1824 und geänderter Vorschlag vom 22.3.1993, in: AbI. Nr. C 107, S. 6-9.
341
7·
Vgl. VO Nr. 79'lJ93 des Rates vom 30. März 1993, in AbI. Nr. L 79n4 vom 1.4.1993.
100
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Eeu in 1993 auf 30 Mrd. EeU in 1999 (zu Preisen von 1992) steigen. Dies entspricht einem insgesamt verfügbaren Betrag von 141,471 Mrd. ECU.342 Der Durchschnittsbetrag von 25 Mrd. EeU in diesem Zeitraum liegt damit fast doppelt so hoch wie der Durchschnittswert von 13 Mrd. EeU zwischen 1988 und 1993. Insgesamt 15 Mrd. EeU soll der Kohäsionsfonds bis 1999 erhalten. Für die Jahre 1993 bzw. 1994 sollten dem Interims-Finanzinstrument 1,5 bzw. 1,75 Mrd. EeU (jeweils in Preisen von 1992) zur Verfügung stehen. Die Mittel für die Ziel Nr. I-Regionen werden nach der Vereinbarung um 72% erhöht. Somit verdoppeln sich einschließlich des Kohäsionsfonds die strukturpolitischen Mittel für die wirtschaftlich schwächsten Staaten der Gemeinschaft Griechenland, Spanien, Portugal und Irland bis 1999. Die Mittel des Interims-Finanzinstruments werden anband von sozioökonomischen Kriterien wie Bevölkerungshöhe, Pro-Kopf-Einkommen, Fläche des Mitgliedstaats usw. in Form von Quoten auf die vier begünstigten Mitgliedstaaten aufgeteilt: Spanien erhält 52% bis 58%, Griechenland und Portugal jeweils 16% bis 20% und Irland 7% bis 10% der Gesamtsumme. Gefördert werden entsprechend der Zielsetzung nach Art. 130 d EGV Vorhaben in den Bereichen Umwelt und transeuropäische Netze auf dem Gebiet der Verkehrsinfrastruktur.343 Förderungswürdige Maßnahmen zum Schutz der Umwelt müssen sich an dem Zielkatalog des Art. 130 r EGV orientieren, nach dem die Erhaltung, der Schutz und die Qualitätsverbesserung des Gutes Umwelt, der Schutz der menschlichen Gesundheit, die umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen und die Bewältigung regionaler und globaler Umweltprobleme anzustreben sind. Maßnahmen zum Ausbau der transeuropäische Netze betreffen die Bereiche Verkehr, Telekommunikation und Energieversorgung. Sie dienen der Vollendung eines Raumes ohne Binnengrenzen und sollen dazu helfen, daß die einzelstaatlichen Netze verknüpfbar werden und der Zugang zu ihnen erleichtert wird. 344 Ansätze zur Koordinierung der Infrastrukturpolitik auf europäischer Ebene bestanden bereits seit Ende der siebziger Jahre, als ein Verkehrsinfrastrukturausschuß geschaffen wurde, der zur Aufgabe hatte, die nationalen Verkehrspläne von überregionalem Interesse aufeinander abzustimmen. 34s Im Dezember 342 Zur Aufteilung der Gesamtsumme auf die einzelnen Jahre vgl. Abschnitt B.8.1. 343 Vgl. Art. 130 d EOV 344
Vgl. Art. 129 b EOV.
34S
Vgl. Busch, Berthold, S. 21.
VII. Die Ergänzung des regionalpolitischen Instrumentariums
101
1990 war von der EG-Kommission bereits ein Aktionsprogramm zur europäischen Infrastruktur veröffentlicht worden, das sich mit den Bereichen Verkehr, Telekommunikation, Energie und Berufsbildung beschäftigt.346 Darin wurde der Aus- und Aufbau der Infrastrukturnetze als vorrangiges Ziel der Gemeinschaft charakterisiert, durch dessen Verfolgung insbesondere eine Verbesserung der Anbindung der peripheren Regionen an die Zentren gewährleistet werden sollte. Daneben können auch Vorstudien und Maßnahmen der technischen Hilfe, die sich auf förderungsfähige Vorhaben beziehen, bezuschußt werden. Die betreffenden Mitgliedstaaten und die Kommission sorgen für ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Umweltschutzprojekten und Maßnahmen im Bereich der transeuropäischen Netze. Die Beteiligung der Gemeinschaft an den Gesamtzuschüssen zu einem Projekt liegt mit 80% bis 85% deutlich höher als bei den drei schon bestehenden Strukturfonds. 347 Grund dafür ist, daß die nationalen Haushalte der vier begünstigten Staaten nicht zu sehr belastet werden sollen, damit die Konvergenzkriterien schneller erfüllt werden können. 348 Einzelne Projekte dürfen nicht gleichzeitig durch die Strukturfonds und das InterimsFinanzinstrument gefördert werden. Eine ständige Bewertung und Begleitung der Projekte soll eine Beurteilung der Effizienz der eingesetzten Mittel ermöglichen. Die Kommission muß für die Koordinierung und die Kohärenz des Kohäsionsfonds mit den übrigen Politikbereichen der Gemeinschaft sorgen. 2. Bewertung des Maastrichter Vertrages
Obwohl die Beschlüsse von Maastricht 1991 im gesamten bedeutender für die Fortentwicklung der europäischen Integration sind als die Einheitliche Europäische Akte von 1986,349 gingen für den Teilbereich der Regionalpolitik größere und wichtigere Umwälzungen von der Realisation des Binnenmarktes als von der geplanten Wirtschafts- und Währungsunion aus. Wie bisher in der Geschichte der Europäischen Integration ist der Ausbau des regionalpolitischen Instrumentariums eng mit dem Fortschritt in der europäischen Integration verbunden: Die Mittelausstattung des Kohäsionsfonds stellte die Gegenleistung für die Zustimmung der weniger wohlhabenden Mitglied-
346 Vgl. Kommission, Auf dem Weg zu einer europäischen Infrastruktur, Ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm, Mitteilung an den Rat und das Parlament, Brüsse11990. 347
Vorstudien und Maßnahmen der technischen Hilfe können zu 100% finanziert werden.
348 Vgl. Hilligweg, Gerd, Beurteilung der Regionalpolitik, S. 74 f. 349 Vgl. Hrbek, Rudolf, Die Entstehung, S. 17.
102
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
staaten zur neuen Integrationsstufe dar: 3so Die geplante Währungsunion weist für einzelne Länder den Nachteil auf, daß eine im Vergleich zu anderen Ländern geringere Wachstumsrate des Produktivitätsfortschrittes nicht mehr durch Wechselkursänderungen aufgefangen werden kann. Daneben ist die Erfüllung strenger Konvergenzkriterien in den Bereichen Preisniveauentwicklung, öffentliche Verschuldung, Zinsen im langfristigen Bereich und Teilnahme am Wechsellcursmechanismus des Europäischen Währungssystems 351 Voraussetzung für einen Eintritt in eine gemeinsame Währungsunion. Anstrengungen zur Erfüllung dieser Kriterien sind mit einer entschiedenen Haushaltsdisziplin verbunden, die ihrerseits die Fähigkeit eines Mitgliedstaates einschränkt, bestehende strukturelle oder regionale nationale Probleme ausreichend zu bekämpfen. 352 Diese aus der zunehmenden Integration erwachsenden Probleme sollten nach Meinung der änneren Mitgliedstaaten kompensiert werden, um eine Erhöhung der regionalen Disparitäten zu vermeiden. 3S3 So waren im Vorfeld der Beratungen zur Wirtschafts- und Währungsunion Vorschläge für einen neuen Strukturfonds in der Diskussion, wobei der Phantasie bei der Ausgestaltung und Bezeichnung eines derartigen Fonds keine Grenzen gesetzt zu sein schienen. Erörtert wurde: 354 - Die Schaffung eines Konvergenzfonds, der die änneren Mitgliedstaaten dabei unter-stützen sollte, die Voraussetzungen zur Erfüllung der Konvergenzkriterien zu erreichen. - Die Errichtung eines Umweltfonds, dessen Mittel zur Erfüllung der gemeinschaftlichen Umweltschutzauflagen bei den weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten beitragen sollten. - Die Einrichtung eines zwischenstaatlichen Kompensationsfonds, mit dessen Hilfe die Investitionen in Sach- und Humankapital in den Mitgliedstaaten, deren Pro-Kopf-Inlandsprodukt unter 90% des EG-Durchschnitts liegt, unterstützt werden könnten. 350 Vgl. Hrbek, Rudolf, Das Vertragswerk von Maastricht, Die EG auf dem Weg zur Europäischen Union, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 72 (1992), Heft 3, S. 131-137, hier S. 134. 351
Vgl. Art. 109 j EGV.
352
Vgl. Europäisches Parlament, Eine neue Strategie, S. 14 und S. 50 f.
Berthold, Norbert, Europa nach Maastricht, Sind die währungspolitischen Fragen gelöst?, in: Wirtschaftsdienst, Jg.72 (1992), Heft I, S. 23-28, hier S. 26; Ridinger, Rudolf, Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt in der EG, Die zukünftige Gestaltung der EG-Regionalpolitik, in: BA, Jg. 47 (1992), Heft 5, S. 133-140, hier S. 133. 353
354 Vgl. im folgenden Vögele, Dago, Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt, Kohäsion, in: Borkenhagen, Franz, Bruns-Klöss, Christian, Memminger, Gerhard, Stein, Otti, Die deutschen Länder in Europa, Politische Union und Wirtschafts- und Währungsunion, Baden-Baden 1992, S. 89-99, hier S. 93 f.; Schäfers, Manfred, S. 43.
VII. Die Ergänzung des regionalpolitischen Instrumentariums
103
Schließlich einigte man sich auf die Einrichtung des Kohäsionsfonds. Seine Aufgabe ist es, das Wirtschaftswachstum in den ärmeren Ländern der Gemeinschaft zu forcieren, damit diese auf ein mittleres Gemeinschaftsniveau angehoben werden und dadurch in der Lage sind, die zum Eintritt in die Wirtschaftsund Währungsunion vorgegebenen Kriterien zu erfüllen. Der neue Fonds verfolgt strukturpolitische Ziele und kann von daher als vierter europäischer Strukturfonds bezeichnet werden. 3ss Dennoch weist der neue Fonds nicht unerhebliche Unterschiede zu den drei traditionellen Strukturfonds auf: Der neue Fonds beschränkt sich zum einen auf Umwelt- und Infrastrukturprojekte, während den übrigen Strukturfonds ein wesentlich breiter gefaßtes Interventionsspektrum offensteht. Weiterhin wurde für den Kohäsionsfonds die Projektförderung anstatt der Programmförderung festgeschrieben. Die erhebliche Erhöhung des Beteiligungssatzes des Kohäsionsfonds auf 80%-85% im Vergleich zu bisher in der Regel 25%-50% und maximal 75% Zuschußquote bei Ziel Nr. 1 Interventionen sowie der Verzicht auf die Erfüllung des Zusätzlichkeitsprinzips durch die Mitgliedstaaten haben zum Ziel, die nationalen Haushaltsmittel der vier begünstigten Länder zu schonen. Beide Aspekte sind aber in hohem Maße auch dazu geeignet, die Effizienz der eingesetzten Mittel zu gefährden: Je geringer die Selbstbeteiligungsquote, desto geringer sind auch die Anreize für eine effiziente Auswahl der Projekte.3S6 Mit dem Verzicht auf die Beibehaltung des Grundsatzes der Zusätzlichkeit - die Verordnung sieht lediglich vor, daß die nationalen Ausgaben nicht verringert werden sollen ermöglicht der Rat zwar nicht offiziell den Ersatz nationaler durch gemeinschaftliche Mittel, er scheint aber doch vor dem Problem, die Einhaltung dieses Grundsatzes nur sehr schwer überwachen zu können, kapituliert zu haben. 3S7 Nach dem Beschluß des Europäischen Rates in Edinburgh können die Zahlungen aus dem Kohäsionsfonds an einen Mitgliedstaat dann unterbrochen werden, wenn für ihn ein übermäßiges Haushaltsdefizit im Sinne des Art. 104 c
3SS vgl. Hilligweg, Gerd, Beurteilung der Regionalpolitik, S. 74; Laaser, Claus-Friedrich, Soltwedel, Rüdiger et al., Europäische Integration und nationale Wirtschaftspolitik, Tübingen 1993,
S.66. 3S6
Vgl. DieIanann, Berend, Breier, Siegfried, S. 264.
Andererseits ist aber auch zu bedenken, daß bei den hohen Volumina, die mittlerweile in bestimmte Regionen fließen, das Erfordernis der Zusätzlichkeit die Haushalte gerade der ärmeren Mitgliedstaaten spiiIbar belasten bzw. überfordern könnten. 357
104
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Abs. 2 EGV358 festgestellt wird und diese Entscheidung nicht innerhalb eines Jahres oder einer anderen in einer Empfehlung nach Art. 104 c Abs. 7 EGV genannten Frist wieder aufgehoben wird .359 Mit dieser Regelung soll die Haushaltsdisziplin der vier begünstigten Mitgliedstaaten sichergestellt werden. Allerdings kann der Rat für eine Entscheidung über das Bestehen eines übermäßigen Defizits in einem Mitgliedstaat nur mit qualifizierter Mehrheit entscheiden. Zusätzlich betrifft Art. 104 c EGV alle Mitgliedstaaten mit einer stabilitätswidrigen Finanzpolitik, so daß es aufgrund des oft beobachteten strategischen Abstimmungsverhaltens der Mitgliedstaaten im Rat fraglich erscheint, ob es jemals zu einer derart weitreichenden Entscheidung kommen wird. Ein weiterer Unterschied zwischen dem neu geschaffenen und den traditionellen Strukturfonds ist die Tatsache, daß die Förderung durch den Kohäsionsfonds aufgrund von Kriterien, die auf nationaler Ebene, nicht jedoch wie bei den übrigen Strukturfonds üblich auf regionaler Ebene zu erfüllen sind, zugeteilt wird. Damit mißachtet der gemäß Art. 130 d EGV gegründete Fonds die regionale Zielorientierung des Art. 130 a EGV. Obwohl diese Bestimmung letztendlich nur von geringer praktischer Relevanz ist - ordnet man die Regionen nach ihrem Einkommen gemessen in Kaufkraftparitäten, so befinden sich die ärmsten Regionen der Gemeinschaft zum allergrößten Teil gerade in diesen Mitgliedstaaten360 -, legte die Gemeinschaft damit doch den Grundstein für eine neue Art von gemeinschaftlicher Regionalpolitik, die nicht mehr den regionalen, sondern einen nationalen Ansatzpunkt für die Förderung wählt. Diese Politik will nicht in erster Linie benachteiligte Regionen unabhängig von dem Mitgliedstaat, in dem sie sich befinden, unterstützen, sondern die Konvergenz der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft fördern. Sie kann daher als Konvergenzpolitik bezeichnet werden. Eine Konvergenzpolitik in diesem Sinne hat das Ziel, ganze Volkswirtschaften in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht an ein mittleres Gemeinschaftsniveau heranzuführen, während sich die herkömmliche Regionalpolitik als Ansatzpunkt abgegrenzte Gebiete wählt, die sich innerhalb von Volkswirtschaften befinden und von der übergeordneten politischen Ebene wirtschaftspolitisch mehr oder weniger abhängig sind. 361 358 Art. 104 c Abs. 2 EOV bestimmt, daß das laufende Haushaltsdefizit nicht größer als 3% des BIP sein und der öffentliche Schuldenstand 60% des BIP nicht übersteigen darf. 359 Vgl. Presse- und Infonnationsarnt der Bundesregierung, Bulletin Nr. 140 vom 28.12.1992; vgl. auch Geänderter Vorschlag der Kommission vom 5.1.1993, Art. 6, in: AbI. Nr. C 38, S. 21. 360 Vgl. Kommission, Fünfter periodischer Bericht, S. 192. 361 Vgl. Schäfers, Manfred, S. 23; den Begriff der Konvergenz verwenden ähnlich Diekmann, Berend, Breier, Siegfried, Der Kohäsionsfonds, Ein notwendiges Gemeinschaftsinstrument?, in: Wirtschaftsdienst, 19.73 (1993), Heft 5, S. 258-265, hier S. 258 C.; vgl. dazu aber kritisch Hane-
VII. Die Ergänzung des regionalpolitischen Instrumentariums
105
Die Konvergenzpolitik ist als eine Unterart bzw. ein Teil bzw. eine Besonderheit der Regionalpolitik zu sehen: Aus der Sicht der Kommission sind die Mitgliedstaaten "politische Regionen".362 Beide Politiken dienen der Kohäsion der Gemeinschaft, also dem wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der Gemeinschaft. Eine neben die Regionalpolitik tretende Konvergenzpolitik ist für die Kommission aus verschiedenen Gründen plausibel: Zum einen ist auf dem nationalen Niveau die politische Macht und die internationale Verhandlungsfähigkeit gebündelt, weiterhin beziehen sich die verschiedenen Stufen des Integrationsprozesses auf die nationale und nicht auf die regionale Ebene und schließlich werden die regionalen Disparitäten in der Gemeinschaft - nach Meinung der Kommission - vor allem durch Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten beeinflußt. 363 Dennoch ist nicht zu erwarten, daß die Konvergenzpolitik auf Dauer die konventionelle Regionalpolitik ersetzen wird: Dagegen spricht der eindeutig regionale Bezug des Art. 130 a EGV, der die Ziele der Gemeinschaft in Hinblick auf der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt konkretisiert und die Einschätzung auf Gemeinschaftsebene, daß das regionale Element zukünftig eher noch an Bedeutung gewinnen wird, da die Regionen zunehmend ihre eigene Identität entdecken und zahlreiche Effekte des Integrationsprozesses eher auf regionaler denn auf nationaler Ebene wahrgenommen werden. 364 Auf der anderen Seite sind seit dem Maastrichter Vertrag Ansätze für eine verstärkte Einbeziehung der Regionen in Entscheidungsverfahren auf gemeinschaftlicher Ebene festzustellen: 365 Neben dem bereits erwähnten ,,Ausschuß der Regionen" und der durch Art. 146 EGV geschaffenen Möglichkeit, daß Vertreter regionaler Körperschaften ein Mitgliedsland im Ministerrat vertreten, ist in diesem Zusammenhang insbesondere der in Art. 3 b EGV neu aufgenommene Gedanke der Subsidiarität zu erwähnen. 366 Allerdings nimmt Art. 3b EGV eine erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereiches der Subsidiarität vor,
klaus, Winfried, Regionalpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, Ziele, Kompetenzen und Instrumente von Gemeinschaft Bund und Ländern nach Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte, Münster 1991, S. 41 ff.
362 Vgl. Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 44, Brüssel-Luxemburg 1990, S. 236. 363 Vgl. Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 44, S. 236. 364 Vgl. Europäisches Parlament, Eine neue Strategie, S. 26. 365 Vgl. Busch, Berthold, S. 47. 366 Vgl. hierzu ergänzend Nam, Chang Woon, S. 33 f.
106
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
wenn er erklärt, daß die Gemeinschaft nur in den Bereichen nach dem Subsidiaritätsprinzip tätig wird, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen. 367 Für eine Erfolgskontrolle dieser neuen Art von Regionalpolitik stellt sich damit für die Kommission - abgesehen von den üblichen Problemen der Verfahrenswahl, der Indikatorwahl usw. - die Frage, wie die Gesamtdisparitäten in der Gemeinschaft in Disparitäten zwischen den Mitgliedstaaten und Disparitäten innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten unterteilt werden können. Insgesamt ist der Kohäsionsfonds vor allem als weitere Quelle regionalpolitischer Mittel zu sehen, bei dem allerdings nicht zuletzt aus Gründen der Schonung der nationalen Haushalte auf die Einhaltung einiger Effizienzkriterien verzichtet wird.
VIII. Die Überarbeitung der Slrukturfondsrefonn von 1993 1. Merkmale der Strukturfondsreform von 1993
Gegen Ende des Jahres 1993 liefen die Verordnungen zur Strukturpolitik der Gemeinschaft von 1988 aus. Zuvor hatte die Kommission im Februar 1992 eine Halbzeitbilanz der Strukturfondsreform gezogen, 368 wo sie die Reform trotz der an anderer Stelle eingeräumten Probleme insgesamt postitiv beurteilte und feststellte, daß die mit der Reform von 1988 aufgestellten Grundsätze. geeignet sind, die Effizienz der gemeinschaftlichen Regionalpolitik zu erhöhen und daß diese deswegen beizubehalten bzw. sogar noch intensiver als bisher anzuwenden sind. Daneben hatte die Kommission einige Änderungsvorschläge zur Steigerung der Effizienz der Strukturpolitik gemacht, die als Leitfaden zur Anpassung der Verordnungen von 1988 dienen sollten. So sollten die Verfahren insgesamt vereinfacht werden, die einzelnen strukturpolitischen Instrumente noch stärker als bisher wechselseitig integriert werden, die Planung verstärkt werden und der Grundsatz der Partnerschaft und die Finanzwege zwischen Gemeinschaft und den Begünstigten verbessert werden.
367 Vgl. hierzu ausführlich Vaubel, Roland, Perspektiven der europäischen Integration, Die Politische Ökonomie der Vertiefung und Erweiterung, in: Siebert, Horst (Hrsg.), Die zweifache Integration, Deutschland und Europa, Tübingen 1993, S. 3-31, hier S. 3 ff. 368 Vgl. Kommission, Die gemeinschaftlichen Strukturpolitiken, Bilanz und Perspektiven, abgedruckt in: Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Heft 31992, S. 13-15.
VIII. Die Überarbeitung der Strukturfondsreform von 1993
107
Am 20. Juli 1993 beschloß dann der Rat neue Bestimmungen für die Strukturfonds für den Zeitraum von 1994 bis 1999.369 Der Auffassung der Kommission entsprechend, wurden dabei die wesentlichen Grundsätze von 1988 wie Mittelkonzentration, Partnerschaft, Programmplanung und Zusätzlichkeit der Mittel als weiter zu verfolgende Ziele bestätigt.
Die bedeutendsten Änderungen betreffen die teilweise Neudefinition der Zielinhalte, die Ausdehnung der Fördergebiete, die starke Erhöhung der Strukturfondsmittel sowie Vorkehrungen zur Steigerung der Effizienz bei der Umsetzung der Grundsätze. Daneben wurde ein neuer Fischerei-Fonds (Finanzinstrument für die- Ausrichtung der Fischerei FIAF) eingerichtet, der den Strukturwandel in Regionen mit einem hohen Anteil an Fischerei lindern sollte.310 Diese Änderungen bzgl. der Tätigkeiten der Strukturfonds werden im folgenden näher erläutert:
Im Rahmen der fünf vorrangig zu verfolgenden Ziele wurden die Ziele mit spezifisch regionalem Charakter insoweit einer Änderung unterzogen, als ent-· sprechend den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Edinburgh von 1992 bei den Zielen 2 und Sb nunmehr auch die Gebiete eingeschlossen wurden, die vom Rückgang der fischereilichen Tätigkeit in den Regionen der Gemeinschaft betroffen sind. Daneben faßt das neue Ziel 3 die bisherigen Ziele 3 und 4 zusammen, während das neue Ziel 4 die Anpassung der Arbeitskräfte an die industriellen Wandlungsprozesse und an Veränderungen der Produktionssysteme erleichtern soll. Ziel Sa wurde um Hilfen zur Modernisierung und Umstrukturlerung der Fischerei erweitert. 371 In Zusammenhang mit dem Grundsatz der räumlichen Konzentration wurden die Regionen Hainaut (Belgien), Merseyside, Highlands, Islands Enterprise Area (Vereinigtes Königreich), Cantabria (Spanien), Flevoland (Niederlande), Valenciennes, Douai, Avesnes (Frankreich) und die fünf neuen Bundesländer mit Ost-Berlin neu in die Liste der förderwürdigen Ziel Nr. I-Gebiete aufge-
369 Vgl. VO Nr. 2081/93 des Rates zur Änderung von VO Nr. 2052188 vom 20.7.1993, in: AbI. Nr. L 193, S.5-19; vgI. VO Nr.2082193 des Rates zur Änderung von VO Nr.4253/88 vom 20.7.1993, in: AbI. Nr. L 193, S. 20-33; vgI. VO Nr.2083/93 des Rates zur Änderung von VO Nr.4254/88 vom 20.7.1993, in: AbI. Nr. L 193, S.34-38; vgl. VO Nr.2084193 des Rates zur Änderung von VO Nr. 4255/88 vom 20.7.1993, in: AbI. Nr. L 193, S. 39-43; vgl. VO Nr. 2085/93 des Rates zur Änderung von VO Nr. 4256/88 vom 20.7.1993, in: AbI. Nr. L 193, S. 44-47. 310 Vgl. VO Nr. 2080193 vom 20.7.1993, in AbI. Nr. L 193, S. 1-4. Die Tätigkeit des FIAFwirlct sich zwar in regionaler Hinsicht aus, er fordert aber nicht differenziert nach regionalen Unterschieden und stellt damit kein regionalpolitisches Instrument der Gemeinschaft dar.
311 VgI. VO Nr. 2081/93 vom 20.7.1993, Art. I, in: AbI. Nr. L 193, S. 7.
108
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
nommen. 372 Lediglich die FörderwÜfdigkeit der italienischen Region Abruzzen, die bisher auf der Ziel Nr. I-Liste verzeichnet war, wurde bis Ende 1996 begrenzt. Während die Kriterien für eine Förderfähigkeit nach Ziel Nr. 2 - abgesehen von der Einbeziehung der von der Umstrukturierung der Fischerei betroffenen Gebiete - unverändert blieben,373 wurde für das Ziel Nr. 5b das Kriterium des niedrigen wirtschaftlichen Entwicklungsstandes zum Hauptkriterium erhoben, zu dem drei weitere Kriterien hinzukommen, von denen zwei erfüllt sein müssen, damit eine Region als fördefWÜrdig angesehen werden kann. Diese Kriterien sind: - ein hoher Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten, - ein niedriges Agrareinkommen, - eine geringe Bevölkerungsdichte und/oder eine starke Tendenz zur Entvölkerung. 374
Im Rahmen der Änderung der Strukturfonds-Verordnungen wurde die jährliche Aufteilung der in Edinburgh beschlossenen Mittel festgelegt. Gleichzeitig wurden im Rahmen der Konzentration der Mittel des EFRE, des ESF, des EAGFL, Abt. Ausrichtung und des Fischereifonds etwa 70% der für den Zeitraum von 1994 bis 1999 vorgesehenen 141,471 Mrd. EeU (zu Preisen von 1992), dies entspricht einer Summe von 96,346 Mrd. EeU, auf das Ziel 1 konzentriert. 375 Daneben wurden die Mittel für das Ziel 1 und das Kohäsions-Finanzinstrument in den vier Mitgliedstaaten, die aus dem Kohäsions-Finanzinstrument gefördert werden (Griechenland, Portugal, Spanien und Irland), zwischen 1992 und 1999 real verdoppelt. 376 Einschließlich der 13,65 Mrd. EeU aus dem Kohäsionsfonds betragen die gesamten Strukturfondsmittel für die Periode zwischen 1994 und 1999 über 155 Mrd. EeU. Tabelle 7 zeigt die Aufteilung der für die Strukturfonds vorgesehenen Mittel auf die einzelnen Jahre und den jeweils für Ziel 1 vorgesehenen Betrag. Die schon nach der bisherigen Regelung geltenden Höchstsätze von 75% der Gesamtkosten bei Interventionen der Strukturfonds in Ziel Nr. I-Regionen dürfen nach der Überarbeitung in zwei Fällen überschritten werden: Bei Zu372 Vgl. VO Nr. 2081193 vom 20.7.1993, Anhang Ii. V. m. Art. 8 Abs. 1 und 2, in: AbI. Nr. L 193, S. 19 und 10.
373
Vgl. VO Nr. 2081193 vom 20.7.1993, Art. 9, in: AbI. Nr. L 193, S. 11 ff.
374
Vgl. VO Nr. 2081193 vom 20.7.1993, Art. Ha Abs. 1, in: AbI. Nr. L 193, S. 14.
375
Vgl. VO Nr. 2081193 vom 20.7.1993, Art. 12 Abs. 1 und 2, in: AbI. Nr. L 193, S. 16.
376
Vgl. VO Nr. 2081193 vom 20.7.1993, Art. 12 Abs. 3, in: AbI. Nr. L 193, S. 16.
VIII. Die Überarbeitung der Strukturfondsreform von 1993
109
.
schüssen in den vier vom Kohäsionsfonds begünstigten Mitgliedstaaten können bis zu 80% und in Gebieten in äußerster Randlage sowie den besonders entfernt liegenden griechischen Inseln bis zu 85% der Gesamtkosten gezahlt werden. 371 Die drei Bestandteile des bisherigen Programmplanungsverfahrens, der Regionale Entwicklungsplan, das Gemeinschaftliche Förderkonzept und die Programmabwicklung in Form von Operationellen Programmen oder anderen Interventionsformen, wurden grundsätzlich beibehalten. Neu ist, daß die Regionalen Entwicklungspläne zusätzlich zu den bisher schon nötigen Informationen auch Angaben über spezifische, möglichst iu quantifizierende Ziele, die Umweltauswirkungen der geplanten Strategie und (nur bei Ziel Nr. 1) die vorgesehenen nationalen und gemeinschaftlichen Finanzmittel in Form einer globalen Finanztabelle fordern. 378 Weiterhin erhielten die Mitgliedstaaten - neben dem herkömmlichen dreistufigen Programmplanungsverfahren - zum Zweck einer Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung die Möglichkeit, ein einziges Programmplanungsdokument vorzulegen, das den Regionalen Entwicklungsplan und einen Beihilfeantrag enthält.379 In diesem Fall beschließt die Kommission in einem einzigen Beschluß über die Förderschwerpunkte, die finanziellen Mittel, die Interventionsformen und die Einzelheiten der Begleitung und Bewertung. 38o Tabelle 7 Mittelausstattung der Strukturfonds in Verpflichtungsermächtigungen (1994 bis 1999, in Mrd. ECU)
Jahr 1994 1995 1996 1997 1998 1999
Gesamt
Mittelausstattuns EFRE, ESF, EAGFL, FIAF davon: Ziel Nr. 1 20,135 21,480 22,740 24,026 25,690 27,400 141,471
13,220 14,300 15,330 16,396 17,820 19,280 96,346
Kohäsionsfonds 1,750 2,000 2,250 2,500 2,550 2,600 13,650
Quelle: VO Nr. 2081/93 vorn 20.7.1993, Anhang 11, in: AbI. Nr. L 193, S. 19.
371
Vgl. VO Nr. 2081/93 vorn 20.7.1993, Art. 13 Abs. 3, in: AbI. Nr. L 193, S. 16.
378
Vgl. VO Nr. 2081/93 vorn 20.7.1993, Art. 8, 9,10, 11a, in: AbI. Nr. L 193, S. 22ff.
379
VgI. VO Nr. 2082193 vorn 20.7.1993, Art. 5 Abs. 2 Uabs. 5, in: AbI. Nr. L 193, S. 22.
380
Vgl. VO Nr. 2082193 vorn 20.7.1993, Art. 10 Abs. I, in: AbI. Nr. L 193, S. 23.
110
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Der Grundsatz der Partnerschaft, der eine enge Abstimmung zwischen der Kommission und den vom jeweiligen Mitgliedstaat benannten nationalen, regionalen und lokalen Behörden fordert, soll auf die Wirtschafts- und Sozialpartner ausgedehnt werden, falls diese in der Praxis bzw. nach den institutionellen Regeln in einem Mitgliedstaat eine entsprechende Rolle spielen. 381 Diese Ausweitung der vom Grundsatz der Partnerschaft betroffenen Institutionen auf die Sozialpartner, also die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände hat zum Ziel, die Sozialpartner an den einzelnen Durchführungsphasen der Strukturmaßnahmen zu beteiligen und dabei ihre fachlichen Kompetenzen zu nutzen. Bezüglich der Einhaltung des Grundsatzes der Zusätzlichkeit der Mittel beinhaltet die überarbeitete Regelung ein neues Kontrollkriterium. Dieses sieht vor, daß jeder Mitgliedstaat in den betroffenen Gebieten seine öffentlichen Strukturausgaben grundsätzlich zumindest auf dem Niveau des vorangegangenen Programmplanungszeitraums halten muß. Eine Änderung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen in einem Mitgliedstaat oder außergewöhnlich hohe Strukturausgaben der öffentlichen Hand in der vergangenen Planungsperiode, aus welchen Gründen auch immer, können allerdings zu einer Aufweichung dieses Grundsatzes führen. 382 Der Grundsatz der Programmplanung, der sich nach der alten Regelung auf einen Fünfjahreszeitraum (1989-1993) bezog,383 erstreckt sich nach der neuen Regelung auf einen Zeitraum von sechs Jahren (1994-1999). Das Ende der zweiten Programmplanungsperiode fällt damit mit dem Ende der in Edinburgh beschlossenen finanziellen Vorausschau zusammen. Dabei gilt für die Ziele Nr. 1, 3 und Sb bezüglich der Förderwürdigkeit der Gebiete und der Gemeinschaftlichen Förderkonzepte ein Sechsjahreszeitraum, für die Ziele Nr. 2 und 4 dagegen gelten zwei Dreijahresphasen, wobei am Ende der ersten Phase eine Anpassung sowohl der förderwürdigen Gebiete als auch der GFK geplant ist. 384 Besonders vehemente Kritik mußten sich die Regelungen der Verordnung von 1988 zur Begleitung und Bewertung der Strukturmaßnahmen gefallen lassen. Die neue Koordinierungsverordnung weist in diesem Bereich zwei wesentliche Änderungen auf: Zum einen wurde im Rahmen der Begleitung der Interventionen die Rolle der für die Gemeinschaftlichen Förderkonzepte und die Operatio381 Vgl. VO Nr. 2081/93 vom 20.7.1993, Art. 4 Abs. I, in: AbI. Nr. L 193, S. 8 f. 382 Vgl. VO Nr. 2082193 vom 20.7.1993, Art. 9 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 193, S. 23. 383 Vgl. VO. Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 12 Abs. 1 S. I, in: ABI. Nr. L 185. S. 17. 384 Vgl. VO Nr.2082193 vom 20.7.1993. Art. 6, in: AbI. Nr. L 193, S.22 und Kommission,
Strukturfonds der Gemeinschaft, S. 21.
VIII. Die Überarbeitung der Strukturfondsreform von 1993
111
nellen Programme und sonstigen Interventionsformen vorgesehenen Begleitausschüsse gestärkt: Diese erhalten nun die Kompetenz, die Modalitäten der bereits genehmigten finanziellen Beteiligung der Gemeinschaft neuen Erkenntnissen anzupassen, wobei aber der Gesamtbetrag der Beteiligung nicht geändert werden darf. 38s Die Änderungen müssen lediglich der Kommission und dem Mitgliedstaat unverzüglich mitgeteilt werden und treten sodann nach der Bestätigung durch diese innerhalb von 20 Arbeitstagen in Kraft. 386 Um der Forderung des Rates von Edinburgh gerecht zu werden, daß vor der Vergabe von Subventionen ein Kosten-lNutzenkalkül aufgestellt werden muß, wurde in die überarbeitete Fassung zum anderen die Regelung aufgenommen, daß Hilfen nur dann gewährt werden dürfen, wenn aus der ex-ante-Bewertung hervorgeht, daß der mittelfristige wirtschaftliche und soziale Nutzen der Interventionen in einem angemessenem Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln steht. 387 Daneben muß von den Mitgliedstaaten eine ausführliche Beschreibung der ökonomischen Situation der zu fördernden Regionen, der regionalen Strategien und ihrer Ziele angegeben und soweit wie möglich quantifiziert werden. Weitere Überarbeitungen betreffen schließlich den Bereich der Gemeinschaftsinitiativen: Für den Zeitraum zwischen 1994 und 1999 sind 9% der gesamten Strukturfondsmittel für die Gemeinschaftsinitiativen vorgesehen. 388 Ein Teil dieser Mittel kann aber auch in den Gebieten, die nicht unter die Ziele I, 2 und Sb fallen, ausgegeben werden. 389 Außerdem wurde ein Verwaltungsausschuß für Gemeinschaftsinitiativen eingesetzt. 390 Dieser besteht aus Vertretern der Mitgliedstaaten und wird von einem Vertreter der Kommission geleitet. Die Ern bestimmt einen Vertreter, der nicht stimmberechtigt ist. Der Ausschuß erhält die Entwürfe der zu treffenden Maßnahmen und gibt dazu eine Stellungnahme ab. Trifft die Kommission Maßnahmen, die nicht der Stellungnahme des Ausschusses entsprechen, so wird unverzüglich der Rat unterrichtet, der mit qualifizierter Mehrheit anders entscheiden kann. 391
385 Vgl. VO Nr.
2082193 vom 20.7.1993, Art. 25 Abs. 5, in: AbI. Nr. L 193, S. 28.
386
Vgl. VO Nr. 2082193 vom 20.7.1993, Art. 25 Abs. 5, in: AbI. Nr. L 193, S. 28 f.
387
Vgl. VO Nr. 2082193 vom 20.7.1993, Art. 26 Abs. 1 Uabs. 2, in: AbI. Nr. L 193, S. 29.
388
Vgl. VO Nr. 2081193 vom 20.7.1993, Art. 12 Abs. 5, in: AbI. Nr. L 193, S. 16.
389
Vgl. VO Nr. 2082193 vom 20.7.1993, Art. 11 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 193, S. 24.
390
Vgl. VO Nr. 2082193 vom 20.7.1993, Art. 29a, in: AbI. Nr. L 193, S. 31.
391
Vgl. VO Nr. 2082193 vom 20.7.1993, Art. 29a, in: AbI. Nr. L 193, S. 31.
112
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik 2. Die Weiterentwicklung des Instruments der Gemeinschaftsinitiativen
Am 16. Juni 1993, also einen Monat vor der Revision der Strukturfonds durch den Rat, veröffentlichte die Kommission ein Grünbuch über Gemeinschaftsinitiativen. Dieses Papier sollte als Diskussionsgrundlage für die zukünftige Gestaltung der Gemeinschaftsinitiativen dienen. 392 In dem Grünbuch schlägt die Kommission fünf Bereiche für die Durchführung von künftigen Gemeinschaftsinitiativen vor: - Grenzübergreifende Zusammenarbeit und transnationale bzw. interregionale Netze (im Rahmen von INTERREG und REGEN), - Entwicklung des ländlichen Raumes (LEADER), - Förderung der ultraperipheren Regionen (REGIS), - Förderung der Beschäftigung und Entwicklung von Humanressourcen (NOW, HORIZON, EUROFORM), - Bewältigung des industriellen Strukturwandels (RECHAR, RESIDER, RElEX, KONVER). Das Grünbuch wurde dem Europäischen Parlament, dem Wirtschafts- und Sozialausschuß, dem Beirat der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften, den Wirtschafts- und Sozialpartnern, dem neuen Verwaltungsausschuß für Gemeinschaftsinitiativen und nationalen, regionalen und lokalen Behörden zur Stellungnahme vorgelegt393 und anläßlich der informellen Ratstagung der für Raumordnung und Regionalpolitik zuständigen Minister im November 1993 in Lüttich erörtert.
Im Anschluß an diese Konsultationen beschloß die Kommission, den oben erwähnten Förderbereichen zwei hinzuzufügen: - Entwicklung der städtischen Krisenviertel, - Umstrukturierung der Fischerei.
Am 1. Juli 1994 wurden die Leitlitiien der Kommission für insgesamt 13 Gemeinschaftsinitiativen in den sieben beschlossenen Themenbereichen mit einem Gesamtvolumen von 13,45 Mrd. ECU394 - dies entspricht, wie vorgesehen, 9% der Verpflichtungsermächtigungen der Strukturfonds - für den Zeitraum von 1994 bis 1999 veröffentlicht. 395 Daraufhin unterbreiteten die Mitgliedstaaten 392 Vg1. Kommission, Strukturfonds der Gemeinschaft, S. 28. 393 Vg1. Kommission, Leitfaden der Gemeinschaftsinitiativen, S. 7. 394 Darin enthalten ist eine Reserve von 1,6 Mrd. ECU. 395 Vg1. Mitteilungen an die Mitgliedstaaten, in: AbI. Nr. C 180 vom 1.7.1994, S. 1-68.
VIII. Die Überarbeitung der Strukturfondsreform von 1993
113
innerhalb von vier Monaten, d. h. bis zum 1. November 1994, der Kommission ihre Programmvorschläge. Bei den einzelnen Initiativen werden zum Teil früher bereits beschlossene Initiativen weitergeführt, zum Teil handelt es sich aber auch um völlig neue Initiativen. Neue Gemeinschaftsinitiativen sind: - YOUTIISTART mit einer Gemeinschaftsbeteiligung von 300 Mio. ECU zur Eingliederung von unqualifizierten Jugendlichen in den Arbeitsmarkt, - ADAPT mit einer Gemeinschaftsbeteiligung von 1,4 Mrd. ECU zur Weiterqualifizierung von Arbeitnehmern, - TEXTIL- UND BEKLEIDUNGSINDUS1RIE PORTUGAL mit einer Gemeinschaftsbeteiligung von 400 Mio. ECU zur Modernisierung der Textilund Bekleidungsindustrie Portugals, - URBAN mit einer Gemeinschaftsbeteiligung von 600 Mio. ECU zur Sanierung von urbanen Zentren, - PES CA mit einer Gemeinschaftsbeteiligung von 250 Mio. ECU zur Überwindung der Strukturkrise im Fischereisektor. Die Gemeinschaftsinitiativen INTERREG 11 (Gemeinschaftshilfe 2,9 Mrd. ECU), LEADER 11 (1,4 Mrd. ECU), REGIS 11 (600 Mio. ECU), RECHAR 11 (400 Mio. ECU), RESIDER 11 (500 Mio. ECU), KONVER (500 Mio. ECU), RETEX (500 Mio. ECU) und die Weiterführung von NOW (370 Mio. ECU) und HORIZON (730 Mio. ECU) im Rahmen der Initiative "Beschäftigung und Erschließung der Humanressourcen" und STRIDE, PRISMA und TELEMATIK (1 Mrd. ECU) im Rahmen der Initiative für KMU sind Fortführungen bereits beschlossener Gemeinschaftsinitiativen. 396 3. Bewertung der Strukturfondsüberarbeitung von 1993
Die Korrektur der großen Strukturfondsreform von 1993 wollte die Lehren aus den bisher gemachten Erfahrungen ziehen und die Effizienz der Strukturpolitik durch stärkere Vereinfachung und höhere Transparenz weiter steigern. 397 Dabei wurde die durch die Grundsätze vorgegebene "große Linie" der Reform bestätigt und eine Anzahl von Detailänderungen von der Kommission beschlossen.
396
Vgl. Konunission, Leitfaden der Gemeinschaftsinitiativen, S. 16 ff.
Vgl. VO Nr. 2081193 vom 20.7.1993, Präambel, Erwägungsgrund 2, in: AbI. Nr. L 193 v. 31.7. 1993, S. 5. 397
8 Wellenhofer
114
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Verschiedene Änderungen im Rahmen des Programmplanungsverfahrens sind tatsächlich dazu geeignet, die Effizienz der Mittelvergabe zu erhöhen: Dazu gehört die nunmehr erforderliche Aufstellung eines Kosten-lNutzenkalküls vor Durchführung einer Intervention. Auch wenn die unterschiedlichen Kosten- und Ertragskomponenten eines regionalpolitischen Eingriffs vor allem auf der Ertragsseite oft in starkem MaB subjektiven Einflüssen unterworfen sind, dürften durch eine derartige Gegenüberstellung doch zumindest sehr ineffiziente Programme ausgesondert werden können. Ebenso ermöglicht die Kompetenzerweiterung der Begleitausschüsse eine sinnvolle Anpassung der Ausgaben an Veränderungen der Umweltbedingungen und ist dazu geeignet, den Gesamtnutzen der Intervention zu erhöhen. Diese Kompetenzabtretung entspricht auch dem Subsidiaritätsgedanken. Die den Mitgliedstaaten eingeräumte Option, die Zahl der Verwaltungs schritte im Rahmen des Notifizierungsverfahrens von drei auf zwei zu verringern, dient sowohl einer Vereinfachung als auch einer Beschleunigung des Planungsablaufs und dürfte damit die Interventionskosten verringern. Der unter Effizienzgesichtspunkten durchaus positiv zu wertende Grundsatz der Konzentration soll weiterhin in die drei Richtungen Konzentration der Zielsetzungen, finanzielle und räumliche Konzentration wirken. So wurde die Konzentration auf eine bestimmte Anzahl von vorrangigen Zielsetzungen - bei geringfügigen Veränderungen bei den einzelnen Zielen - beibehalten und die finanzielle Konzentration der Gemeinschaftsmittel auf die Ziel Nr. I-Regionen weiter verstärkt: Der Anteil der in diese Regionen fließenden Mittel soll von 1989 mit 62% über 1993 mit 65% bis 1999 auf 73% (incl. Kohäsionsfonds) steigen398 und der Anteil der vier ärmsten Mitgliedstaaten an den Regional- und Strukturmitteln betrug 198842%, 199250% und soll 199954% (incl. Kohäsionsfonds ) betragen. Dagegen nimmt die Konzentration der Fondsmittel in geographischer Hinsicht aber ab, d. h. der Anteil der von den Zielen regionaler Art betroffenen Gemeinschaftsbevölkerung steigt von 43% für den Zeitraum zwischen 1989 und 1993 auf 52% für den Zeitraum zwischen 1994 und 1999 (vgl. Tabelle 8).399 Auch die nur von Ziel 1 erfaBte Bevölkerung steigt von 21,7% auf 26,6% der Gemeinschaftsbevölkerung.400
398
Vgl. Kommission, Fünfter Periodischer Bericht, S. 128.
399
Vgl. Kommission, Fünfter Periodischer Bericht, S. 128.
400
Vgl. Europäische Gemeinschaften, Kommission, Strukturfonds der Gemeinschaft, S. 12.
VIII. Die Überarbeitung der Strukturfondsreform von 1993
115
Dieser Anstieg ist auf drei verschiedene Ursachen zurückzuführen: Zum einen fallen infolge der verschlechterten wirtschaftlichen Lage mehr Regionen unter das Kriterium eines Pro-Kopf-Einkommens (in Kaufkraftparitäten) von weniger als 75% des Gemeinschaftsdurchschnitts. Weiterhin werden in der neuen Programmplanungsphase auch die neuen deutschen Länder mitberücksichtigt. Deren Hinzukommen erklärt etwa die Hälfte des Anstiegs des Anteils der von den Hilfen betroffenen Gemeinschaftsbevölkerung. 401 Schließlich wendet die Kommission aber auch das Einkommens-Kriterium aus politischen Gründen insofern flexibler an, als sie auch Regionen, die ein Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 75% des Gemeinschaftsdurchschnitts erwirtschaften, als förderwürdig einstuft. 402 Obwohl Grenzen von Förderkriterien immer mehr oder weniger willkürlich gewählt sind, ist gerade dieser letzte Anteil in Hinblick auf eine effizienzsteigernde Konzentration der Mittel überflüssig. Tabelle 8
Anteil der in den Fördergebieten der Strukturfonds lebenden Bevölkerung der Mitgliedstaaten (in Prozent) Mitgliedstaat Belgien Bundesrep. Deutschland Dänemark Frankreich Griechenland Irland Italien Luxemburg Niederlande Portugal Spanien Vereinigtes Königreich EG 12
1989 24,8 18,8 7,0 30,2 100,0 100,0 47,8 38,8 12,9 100,0 82,6 40,4 43,0
1994 31,5 39,2 15,3 46,2 100,0 100,0 56,0 42,4 24,2 100,0 84,5 41,7 51,6
Quelle: Kommission, Fünfter periodischer Bericht, S. 129
Eine weitere Änderung bei den überarbeiteten Strukturfonds-Verordnungen betrifft den Grundsatz der Zusätzlichkeit. Die Kommission selbst behauptet, die
s·
401
Vgl. Kommission, Fünfter Periodischer Bericht, S. 128 f.
402
Vgl. Waniek, Roland, EG-Regionalpolitik, S. 44 f.
116
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Modifikation diene dem Ziel, den Grundsatz in Zukunft wirksamer als bisher überprüfen zu können. Tatsächlich ist die Änderung aber nichts anderes als eine zweifache Aufweichung des ursprünglichen Grundsatzes. Statt der in der Reform von 1988 vorgesehenen gleichmäßigen Erhöhung der nationalen und der gemeinschaftlichen Mittel werden die Mitgliedstaaten lediglich dazu veranlaßt, ihre Strukturausgaben in den Zielregionen nicht zu verringern, eine Regelung, die schon in den Fondsverordnungen von 1975 und 1979 gegolten hatte. Zusätzlich sind durch die Einschränkungen der neuen Regelung aufgrund des völlig dehnbaren Sachverhalts von "gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen" Ausnahmen bei der Anwendung des Kriteriums Tür und Tor geöffnet. Weiterhin ist zu kritisieren, daß die neue Fassung in keinster Weise auf das nach Auffassung der Kommission größte Problem bei der Überprüfung, diefehlende oder unzureichende Informationsübermittlung von Seiten der Mitgliedstaaten,403 eingeht. Ebenso ist eine Regelung bzgl. der von der Kommission bisher teilweise vermißten Transparenz der Finanzströme bei den Buchungsvorgängen in den Mitgliedstaaten nicht in die neue Vorschrift eingegangen. Schließlich steigt mit der Möglichkeit einer nochmals erhöhten Zuschußquote erneut die Gefahr einer ineffizienten Projektauswahl. Insgesamt sind teilweise positiv wirkende Korrekturen in einzelnen Problembereichen, teilweise aber auch Rückschritte festzustellen; damit kann im Vergleich zur großen Strukturfondsreform von 1988 lediglich eine geringfügige Verbesserung der Effizienz des Mitteleinsatzes aufgrund der modifizierten Fondsvorschriften für die Zukunft vermutet werden.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft 1. Der Europäische Ausgleichs- und Garantiefonds rür die Landwirtschaft (EAGFL), Abteilung Ausrichtung
Der im Jahre 1962 auf der Grundlage von Art. 40 Abs. 4 EWGV geschaffene EAGFL dient der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik. 404 Der EAGFL hat zwei Abteilungen, die finanziell besser ausgestattete und deswegen bedeu-
403
fonds, 404
Dies kann aus der Fonnulierung im Vierten Jahresbericht zur Durchführung der Strukturs. 65 geschlossen werden. Vgl. VO Nr. 25 vom 4.4.1962, in: AbI. Nr. 30 vom 20.4.1962, S. 991-993.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
117
tendere Abteilung Garantie und die strukturpolitisch relevante Abteilung Ausrichtung. 4OS Die Abteilung Garantie versucht, das Funktionieren der Agrannärkte zu gewährleisten und mit Hilfe der Preisstützung von landwirtschaftlichen Gütern den Landwirten ein bestimmtes Einkommensnivau zu sichern. Dabei kommt es wegen der räumlich ungleich verteilten Produktion von Agrargütern zwar zu erheblichen regionalen Auswirkungen;406 da die Preisgarantien aber grundsätzlich nicht regional differenziert sind407 und die regionalen Effekte somit zwar hingenommen, aber nicht beabsichtigt sind408 , kann diese Abteilung nicht als regionalpolitisches Instrument der Gemeinschaft bezeichnet werden. 409 Die Abteilung Ausrichtung des EAGFL dagegen ist einer der drei regional wirkenden Strukturfonds der Gemeinschaft. Sie finanziert unter Beachtung der Ziele der Agrarpolitik gemäß Art. 39 Abs. 1 EGV Interventionen zur Stärkung
40S Der EAGFL wurde erst 1964 in die beiden Abteilungen aufgeteilt; vgl. 5.2.1964, in: AbI. Nr. 34 vom 27.2.1964, S. 586-594.
va
Nr. 17 vom
406 Vgl. Henry, Patrice, Regionale Effekte der gemeinsamen Agrarpolitik, Bericht über eine Studie der EG, in: RuR, Jg.41 (1983), Heft 112, S.39-49, hier S. 39; vgl. dazu ergänzend Zimmermann, Horst, Die Verteilung der wirtschaftlichen Kräfte im Raum, in: Groeben, Hans von der (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen einer Europäischen Union, Baden-Baden 1976, S. 17-31, hier S. 26 ff.; Urff, Winfried von, Regionale Auswirkungen der gemeinsamen Agrarpolitik, in: Groeben, Hans von der (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen einer Europäischen Union, Baden-Baden 1976, S. 101-135; zu den regionalen Effekten der Abteilung Garantie des EAGFL vgl. ergänzend Thiede, GÜRter, Die Raumwirksamkeit der EG-Agrarpolitik, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Ansätze zu einer europäischen Raumordnung, Hannover 1985, S. 121-153; Meyer, Heino von, Räumliche Auswirkungen der europäischen Agrarpreispolitik, in: RuR, Jg. 39 (1981), Heft 5/6, S. 273-284, hier S. 273. 407 Vgl. Kommission, Eine Gemeinsame Agrarpolitik für die neunziger Jahre, in: Europäische Dokumentation, Heft 51989, Luxemburg 1989, S. 27 und S. 35 bis 37. 408 Vgl. Püttner, GÜRter, Spannowsky, Willy, Das Verhältnis der europäischen Regionalpolitik zur deutschen Regionalpolitik, Bonn 1986, S. 49 f.
409 Dasselbe gilt für die Tätigkeit der EGKS, die zwar ebenfalls regionalpolitische Auswirkungen zeigt, aber nicht nach regionalen Unterschieden differenziert fördert und somit nicht als regionalpolitisches Instrument der Gemeinschaft bewertet werden kann. Daneben wurde bislang die Darlehensvergabe der EGKS auch nicht mit der Tätigkeit der Strukturfonds koordiniert. Erst in jüngster Zeit versucht die Kommission, einen Teil der von der EGKS ausgereichten Darlehen, die Umstellungsdarlehen, die zur Finanzierung von arbeitsplatzschaffenden Investitionen beitragen sollen, mit dem Strukturfondsprogramm zu koordinieren; vgl. Mitteilung der Kommission, in: AbI. Nr. C 59 vom 6.3.1992, S.4-8. Dies soll zu einer Konzentration der EGKS-Mittel auf die am stärksten betroffenen Regionen führen; vgl. Kommission, Vierter Jahresbericht, S. 59.
118
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
und Umgestaltung der Agrarstrukturen und zur Entwicklung des ländlichen Raumes. 410 Diese Abteilung des EAGFL benötigt, im Gegensatz zu allen anderen Strukturfonds der Gemeinschaft, für eine Maßnahme jeweils eine eigene Rechtsgrundlage (Verordnung, Richtlinie und Entscheidung des Rates) und kann daher mittlerweile auf eine umfangreiche Bandbreite von vom Rat beschlossenen Fördermaßnahmen zurückgreifen. 411 Im Rahmen der Fondsausstattung werden vor allem Investitionszuschüsse zur Verbesserung der Agrarstrukturen gewährt. 412 In den ersten Jahren beschränkte sich die Tätigkeit des Fonds auf die Koordinierung und die finanzielle Beteiligung an von den Mitgliedstaaten durchgeführten Agrarstrukturmaßnahmen in Form von verlorenen Zuschüssen. 413 Eine für die Agrarpolitik allgemein geltende Finanzierungsregelung wurde im Jahre 1970 veröffentlicht. 414 Verstärkt wurden regionalpolitische Zielsetzungen seit 1972 berücksichtigt, als vom Rat drei sozio-strukturelle Richtlinien zur Agrarstrukturpolitik verabschiedet wurden. 415 Strukturpolitische Beihilfemaßnahmen in für die Landwirtschaft benachteiligten Gebieten, z. B. Berggebieten, ergänzen seit Mitte der siebziger Jahre die regionalpolitisch wirksamen Aktionen der Abteilung Ausrichtung. 416 Seit 1979 sollen integrierte Programme die Entwicklung der benachteiligten Regionen erleichtem. 417 Eine Revision der Agrarstrukturpolitik im Jahre 1985 ersetzte die bis dahin geltenden Richtlinien von 1972 410
Vgl. VO Nr. 2052/88 vom 24.6.1988, Präambel, in AbI. Nr. L 185, S. 10
Vgl. Kommission, Der europäische Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Das Instrument zur Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik, in: Sonderheft von "Grünes Europa", Luxemburg 1986, S. 60. 411
412
Vgl. Europäisches Parlament, Die regionalen Auswirkungen, S. 37.
Vgl. Kommission, Eine Gemeinsame Agrarpolitik für die neunziger Jahre, in: Europäische Dokumentation Heft 51989, Luxemburg 1989, S. 16. 413
414 Vgl. VO Nr. 729nO, in: AbI. Nr. L 94 vom 28.4.1970, S. 13-18; sie galt bis zur Reform der Strukturfonds im Jahre 1989.
415 Vgl. Richtlinie des Rates vom 17.4.1972 über die Modernisierung der landwirtschaftlichen Betriebe, in: AbI. Nr. L 96 vom 23.4.1972, S. 1-8; Richtlinie des Rates vom 17.4.1972 zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und der Verwendung der landwirtschaftlich genutzten Fläche für Zwecke der Strukturverbesserung, in: AbI. Nr. L 96 vom 23.4.1972, S. 9-14 und Richtlinie des Rates vom 17.4.1972 über die sozioökonomische Information und die berufliche Qualifikation der in der Landwirtschaft tätigen Personen, in: AbI. Nr. L 96 vom 23.4.1972, S. 15-20. 416 Vgl. Richtlinie des Rates vom 28.4.1975 über die Landwirtschaft in Berggebieten und in bestimmten benaChteiligten Gebieten, in: AbI. Nr. L 128 vom 19.5.1975, S. 1-7.
417
Vgl. Kommission, Der europäische Ausrichtungs- und Garantiefonds, a. a. 0., S. 65.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
119
und 1975, ließ die regionale Komponente zur Verbesserung von Strukturmängeln aber unangetastet. 418 Mit der Reform der Strukturfonds im Jahre 1988 wurde das regionalpolitische Ziel noch mehr als bisher mit dem agrarstrukturpolitischen Ziel der Gemeinschaft in Verbindung gebracht: Der Fonds konzentrierte im Rahmen der für ihn geltenden spezifischen Bestimmungen seine Mittel noch stärker auf die änneren Regionen; insbesondere Interventionen zur Überwindung des Problems rückständiger Agrarstrukturen419 sollten zu einem intensiveren regionalem Ausgleich420 führen, um den Abstand zwischen den verschiedenen Regionen zu verringern. Die Tätigkeit des Fonds hat nunmehr konkret zum Ziel, die Agrarstrukturen der Gemeinschaft insbesondere im Hinblick auf die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik zu stärken und umzugestalten, die Agrarproduktion auf andere Produkte umzustellen und die Entwicklung komplementärer Tätigkeiten für die Landwirte zu fördern, den Landwirten einen angemessenen Lebensstandard zu sichern und einen Beitrag zur Erhaltung des ländlichen Raumes und zum Ausgleich der Auswirkungen naturgegebener Nachteile für die Landwirtschaft zu leisten. 421 Die Maßnahmen der Abteilung Ausrichtung weisen nach wie vor insgesamt aber nur zum großen Teil eine bewußte regionale Differenzierung auf. Dies entspricht den Vorschriften des Art. 39 Abs. 2 a) EGV, der auch, aber nicht ausschließlich fordert, die regionalen Unterschiede bei der gemeinsamen Agrarpolitik zu beachten ebenso wie dem seit der Strukturfondsreform vom Agrarstrukturfonds zu verfolgendem Zielkatalog.422 Dennoch zeigt eine Betrachtung der regionalen Verteilung der Zuschüsse, daß im Durchschnitt der Jahre 1986 und 1987 die ännsten Regionen, in denen zwanzig Prozent der Gemeinschaftsbevölkerung leben, von der Hälfte der Zuschüsse des EAGFL profitierten und den reichsten vierzig Prozent der Regionen nur ein Fünftel der Investitionszuschüsse zugute kamen. 423
418 Vgl. VO Nr.797/85 vom 12.3.1985 des Rates zur Verbesserung der Effizienz der Agrarstruktur. 419
Vgl. VO Nr. 4256/88 vom 19.12.1988, Art. 3 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 374, S. 26.
420
Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Präambel, in: AbI. Nr. L 185, S. 10.
421
Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 3 Abs. 3, in: AbI. Nr. L 185, S. 12.
422
Vgl. Püttner, Günter, Spannowsky, Willy, S. 51.
423
Vgl. Europäisches Parlament, Die regionalen Auswirkungen, S. 41.
120
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Für die Abteilung Ausrichtung des EAGFL ist 1995 ein Budget von 3.264,8 Mio. ECU vorgesehen. Dies sind nur 8% am gesamten EAGFL bzw. 4,4% am Gesamthaushalt der EG. Damit ist die Abteilung Ausrichtung des EAGFL der Strukturfonds mit der geringsten finanziellen Bedeutung. Im Vergleich dazu erhält die Abteilung Garantie im gleichen Jahr über 50% am Gesamthaushalt der EG, die damit trotz eines Rückgangs des Anteils von über 70% ab Mitte der achtziger Jahre nach wie vor der bedeutendste Einzelposten des EG-Haushalts ist. 424 2. Der Europäische Sozialfonds (ESF)
Der ESF war - im Gegensatz zum EFRE - bereits in den GTÜndungsverträgen der Europäischen Wirtschafts gemeinschaft vorgesehen. Er wurde durch Art. 123 EWGV errichtet. Diese durch den Maastrichter Vertrag mittlerweile geringfügig modifizierte Vorschrift bildet auch den Rahmen für das Tätigwerden des Fonds: Der Fonds dient als Instrument einer aktiven gemeinschaftlichen Arbeitsmarktpolitik42s dem Ziel, die berufliche Qualifikation und Mobilität der Arbeitskräfte zu fördern sowie ihre Anpassungsfähigkeit an den industrielien Wandel durch berufliche Bildung und Umschulungsmaßnahmen zu erleichtern. 426 Dies soll die Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitskräfte im Binnenmarkt verbessern und so zur Hebung des Lebensstandards beitragen. 427 Hintergrund für die Einrichtung des Fonds war der Wunsch der GTÜndungsgemeinschaft, die Schaffung des Gemeinsamen Marktes sozialpolitisch zu begleiten; der Fonds sollte es ermöglichen, die strukturellen Anpassungen beim Entstehen dieses Marktes mit arbeitsmarktpolitischen Aktionen und der Förderung der Mobilität der Arbeitnehmer zu flankieren. 428
424
Vgl. Kommission, Haushaltsvademecum, Ausgabe 1994, Brüssel-Luxemburg 1995, S. 32.
Insofern ist die Bezeichnung "Sozialfonds" mißverständlich gewählt, sinnvoller wäre ,.Arbeitsmarktfonds" gewesen; vgl. Schulz, Otto, Art. 123 (Aufgaben des Europäischen Sozialfonds), in: Groeben, Hans von der, Thiesing, Jochen, Ehlermann, Claus-Dieter, HER, Bd. 11, Baden-Baden 0.1., Rdnr. 1. 425
426
Vgl. Art. 123 EOV.
427
Vgl. Art. 123 EOV.
428 Vgl. Schulz, Otto, Vorbemerkung zu den Artikeln 123 bis 127, in: Groeben, Hans von der, Thiesing, Jochen, Ehlermann, Chaus-Dieter, HER, Bd. 11, Baden-Baden 0.1., Rdnr. 2; vgl. ergänzend Treuner, Peter, Räumliche Bedeutung des Europäischen Sozialfonds, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Ansätze zu einer europäischen Raumordnung, Hannover 1985, S. 155-164, hier S. 155 f.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
121
In der ursprünglichen Fondsverordnung war vorgesehen, daß sich der ESF nachträglich an solchen Kosten beteiligen konnte, die den Mitgliedstaaten für die berufliche Bildung oder die Umsiedlung von Arbeitnehmern in Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsprozeß entstanden. 429 In den Jahren 1971, 1977 und 1983 wurde der ESF jeweils reformiert und seine Tätigkeit aktuellen ökonomischen und sozialen Problemen angepaßt. 430 Dabei wurde nach und nach die ursprüngliche sozialpolitische auch mit regionalpolitischen Zielsetzungen verbunden. So beschloß der Rat im Jahre 1977, eine Differenzierung der Beihilfesätze nach der wirtschaftlichen Leistungsfahigkeit in den Regionen431 und im Jahre 1983 eine Erhöhung der Beihilfesätze in den Regionen mit besonders schwerwiegenden Beschäftigungsungleichgewichten. 432 Den Höhepunkt dieser Entwicklung stellte die Reform der Strukturfonds des Jahres 1988 dar, in der die Ausrichtung des ESF auf die Verfolgung des Ziels des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts beschlossen wurde. 433 Vorrangige Aufgaben für den ESF sind nunmehr die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und die berufliche Eingliederung von Jugendlichen; daneben gewährt der ESF Zuschüsse zur Finanzierung von berufsbildenden Maßnahmen und Existenzgründungs- und Einstellungsbeihilfen insbesondere bei Arbeitslosen oder von der Arbeitslosigkeit bedrohten Personen. 434
Im Jahre 1995 kann der ESF mit 5.483,5 Mio. EeU über 7,4% der gesamten EG-Haushaltsmittel und 24% der gesamten Strukturfondsmittel verfügen. 435 Damit ist der Fonds vom Volumen her kleiner als der EFRE. Bei der Beurteilung der regional politischen Bedeutung des Fonds muß beachtet werden, daß im Vordergrund der Fondsarbeit nach wie vor die arbeitsmarktpolitische Aufgabe steht und erst in zweiter Linie regionale Kriterien für die
429 Vgl. VO Nr. 9 des Rates vom 25.8.1960 über den Europäischen Sozialfonds, in: AbI. Nr. L 56, S. 1189-1198. 430 Vgl. Beschluß des Rates Nr.71/66/EWG, in: AbI. Nr. L 28, S. 15-17, Beschluß des Rates Nr.77/801/EWG, in: AbI. Nr. L 337, S. 8-9 und Beschluß des Rates Nr. 83/516/EWG, in: AbI. Nr. L 298, S. 38-41, geändert durch den Beschluß des Rates Nr. 85/568/EWG, in: AbI. Nr. L 370, S.40. 431
VgI. Beschluß des Rates Nr. 77/80l/EWG, Art. 4, in: AbI. Nr. L 337, S. 9.
432
Vgl. Beschluß des Rates Nr. 83/516/EWG, Art. 5 Abs. I, in: AbI. Nr. L 298, S. 38-41, hier
S.39. 433
Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Präambel, in: AbI. Nr. L 185, S. 10.
VgI. VO Nr.2052188 vom 24.6.1988, Art. 3 Abs.2, in: AbI. Nr. L 185, S. 11 f., geändert durch VO Nr. 2084/93 vom 20.7.1993, Art. 1, in: AbI. Nr. L 193, S. 40 f.. 434
435
Vgl. Kommission, Haushaltsvademecum, S. 32.
122
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Vergabe der Mittel von Bedeutung sind. 436 Dennoch handelt es sich bei dem ESF um ein von der Gemeinschaft bewußt regionalpolitisch eingesetztes Instrument, dessen Wirkung über das "zufällige" Zusammentreffen von Arbeitsmarktproblemen und regionalen Ungleichgewichtssituationen in bestimmten benachteiligten Regionen hinausgeht, da seine Mittel gezielt auch nach regionalen Ungleichgewichten differenziert werden. Die regionale Konzentration der Sozialfondshilfen ist etwas geringer ausgeprägt als beim EFRE: Etwa 50% der unmittelbar regional verbuchten Mittel wurden 1989 für Maßnahmen in den ärmsten Regionen verwendet, in denen ein Fünftel der Bevölkerung der Gemeinschaft lebt. 437 Berücksichtigt man zusätzlich die Zahlungen für Maßnahmen, die auf übergeordneten regionalen Ebenen verbucht werden, so erhalten die ärmsten Regionen, in denen zwanzig Prozent der Bevölkerung leben, knapp 40% der Mittel. Die geringere regionale Konzentration ist auch ein Zeichen dafür, daß die vom ESF auch verfolgten Ziele der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und der Jugendarbeitslosigkeit sich nicht nur auf die unterentwickelten Regionen erstrecken. 3. Die Europäische Investitionsbank (EIß)
Neben den Strukturfonds ist die Ern ein weiteres Instrument der Gemeinschaft, das regionalpolitischen Zielsetzungen unterliegt. Die Ern wurde bereits 1958 mit Inkrafttreten des EWGV gegründet. Rechtliche Grundlagen waren die Art. 3 Buchst. j) und 129 f. EWGV und ein dem Vertrag beigefügtes Protokoll, das die Satzung der Ern enthält; seit Unterzeichnung der Maastrichter Verträge sind die Art. 4 b, 198 d und 198 e EGV relevant. Die Ern ist eine autonome öffentlich-rechtliche Institution der EWG und hat eine eigene Rechtspersönlichkeit. Eigentümer der Bank sind die 12 Mitgliedstaaten. Aufgabe der EIB ist es, einen Beitrag zu einer ausgewogenen Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu leisten, ohne damit einen Erwerbszweck zu verfolgen. 438 Zur Durchführung dieser Aufgabe nimmt sie Anleihen an den internationalen Kapitalmärkten auf439 und gewährt Darlehen und Bürgschaften für Investitionsvorhaben44O • Unter diesen beiden Finanzierungsformen haben die 436
Vgl. dazu auch Schulz, Otto, Art. 123, Rdnr. 3.
437
Vgl. Europäisches Parlament, Die regionalen Auswirkungen, S. 38.
438
Vgl. Art. 198 e EGV.
439
Vgl. EWGV, Protokoll über die Satzung der Europäischen Investitionsbank, Art. 22, Abs. 1.
440
Vgl. Art. 198 e EGV.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
123
Darlehen allerdings seit jeher ein wesentlich größeres Gewicht als die Bürgschaften. 441 Die Darlehen können an die Mitgliedstaaten oder an private oder öffentliche Unternehmen vergeben werden. 442 Die EIB kann sich in allen Wirtschaftszweigen443 an der Finanzierung von rentablen privaten Vorhaben und volkswirtschaftlich produktiven Infrastukturinvestitionen beteiligen. 444 Die EIB-Darlehen werden entweder als Einzel- oder - seit 1968 - als Globaldarlehen verge-ben. 445 Seit 1992 darf sich die Ern auch an Gemeinschaftsprogrammen beteiligen. Die Einzeldarlehen gelangen entweder in direkter Form unmittelbar an den Projektträger oder indirekt über eine weitere Bank oder öffentlich-rechtliche Körperschaft. 446 Die Globaldarlehen werden an zwischengeschaltete Finanzinstitute, die daraus Teildarlehen für kleinere und mittlere Investitionen vergeben, gewährt. 447 Diese Art der Kreditvergabe wurde gewählt, weil man auf der einen Seite aus betriebswirtschaftlichen Effizienzgrunden nur Projekte mit einer gewissen Mindestdarlehenssumme (zur Zeit mindestens fünf Mio. ECU) bezuschussen will, man aber auf der anderen Seite auch kleine und mittlere Vorhaben unterstützen will. 448 Die Ern unterliegt bei ihrer Darlehensvergabe den Grundsätzen der Subsidiarität und der Teilfinanzierung. Das Subsidiaritätsprinzip bedeutet in diesem Zusammenhang, daß die Ern nur dann aktiv werden kann, wenn Mittel aus 441 Dies ist von den Geschäftsgrundsätzen auch so gewollt; vgl. Europäische Investitonsbank, Rat der Gouverneure, Allgemeine Richtlinien für die Kreditpolitik der Bank vom 4.12.1958, Abs. 3a, in: Europäische Investitionsbank, Jahresbericht 1958, S. 38-43, hier S. 38. Im Jahr 1993 entfallen 0,3% des gesamten Finanzierungsvolumens auf Garantien, 99,7% auf Darlehen; vgl. Europäische Investitionsbank, Jahresbericht 1993, Saarbrücken 1994, 1. Umschlagseite. 442
Vgl. EWGV, Protokoll über die Satzung der Europäischen Investitionsbank, Art. 18, Abs. 1.
Vgl. Brückner, Christof, Fmanzielle Instrumente der Europäischen Gemeinschaften (EG), in: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 107 (1982), S. 561-584, hier S. 567. 443
444 Vgl. Kommission, Beihilfen und Darlehen der Europäischen Gemeinschaften, in: Europäische Dokumentation, Luxemburg 1986, S. 52. 445
Vgl. Die Europäische Investitionsbank, Jahresbericht 1989, Saarbrücken 1990, S. 22.
Die Bank unterstützt nur einzelne Vorhaben, die an bestimmte Projekte gebunden sind; vgl. Käser, Jörg, Darlehen der Europäischen Investitionsbank, Darlehen der Weltbank, in: Börner, Bodo et al. (Hrsg.), Europarecht, München, Jg. 2 (1967), Heft 4, S. 289-320, hier S. 293. 446
447 Vgl. Dieckmann, Berend, Die Anleihe- und Darlehenstransaktionen der Europäischen Gemeinschaft, Frankfurt 1990, S. 76. 448
Vgl. Europäische lnvestitionsbank, Jahresbericht 1993, S. 26.
124
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
anderen Quellen zu angemessenen Bedingungen nicht zur Verfügung stehen. 449 Dem Grundsatz der Teilfinanzierung entspricht sie durch eine Kostenbeteiligung von höchstens fünfzig Prozent. 450 Die EIß dient bereits seit ihrer Gründung auch einer regionalen Aufgabenstellung: 451 Mit ihren Mitteln finanziert die EIß neben Vorhaben zur Modernisierung von Unternehmen oder zur Schaffung von neuen Arbeitsmöglichkeiten und Vorhaben, die für mehrere Mitgliedstaaten von gemeinsamen Interesse sind, auch Vorhaben zur Erschließung der weniger entwickelten Regionen der Gemeinschaft. 452 Der Begriff der ,,Erschließung" wird im Sinne des Art. 130 a EWGV allerdings weit ausgelegt, so daß er nicht nur die Förderung von Infrastrukturinvestitionen, sondern auch Vorhaben im industriellen Produktionsbereich umfaßt. 453 Die "weniger entwickelten Gebiete" werden von der EIB nach den gleichen Kriterien abgegrenzt wie von den Fondsvorschriften des EFRE.454 Die Priorität bei den verschiedenen Möglichkeiten zur Finanzierung von Vorhaben liegt bei der Regionalentwicklung, also der Erschließung der weniger entwickelten Gebiete der Gemeinschaft. Dies wurde in den Allgemeinen Kreditrichtlinien der Bank grundgelegt und in verschiedenen Publikationen der EIB wiederholt bestätigt. Auch die Beitrittsakten von Irland, Griechenland, Portugal und Spanien betonen die Bedeutung der EIB bei der Verringerung der regionalen Disparitäten. Noch offensichtlicher ist die regionalpolitische Ausrichtung der EIß seit der Verabschiedung der EEA und der Änderung der Verträge durch Maastricht: Die Gemeinschaft erklärt im neu eingefügten Art. 130 b EGV, daß sie mit Hilfe der EIB die Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und insbesondere das Ziel, den Abstand zwischen den Regionen zu verringern, zu unterstützen beabsichtigt. Hinzu kommt, daß die Unterstützung der Aufgaben der 449 Vgl. EWOV, Protokoll über die Satzung der Europäischen Investitionsbank, Art. 18, Abs. 1. Vgl. dazu kritisch Heinemann, Friedrich, Europäische Investitionsbank, Subsidiärer Finanzintermediär oder Umverteilungsinstrument, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 73 (1993), Heft 2, S. 98-103.
450 Vgl. Dieckrnann, Berend, S. 76. 451 Hinzu kommt die Entwicklungspolitik, aber auch andere, z. B. umwelt- oder energiepolitische Ziele; in Ausnahmefällen kann die Ern auch Darlehen zu lnvestitionszwecken gewähren, die ganz oder teilweise außerhalb des Gemeinschaftsgebietes liegen; vgl. hierzu ergänzend Schrnidt, Karl Georg, Die Europäische lnvestitionsbank im Gefüge der Gemeinschaft, in: Die Bank, Heft 7 1981, S. 330-338, hier S. 332 Cf.
452 Vgl. Art. 198 e Buchst. a) EOV. 453 Vgl. Püttner, Oünter, Spannowsky, Willy, S. 47. 454 Vgl. Dieckrnann, Berend, S. 95.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
125
Strukturfonds durch die EIB in deren Aufgabenkatalog aufgenommen wird. 455 Damit ist die EIB offiziell in das strukturpolitische Konzept der Gemeinschaft einbezogen456 und dazu verpflichtet, an der Erreichung der strukturpolitischen Ziele der Gemeinschaft mitzuwirken. 457 Zu diesem Zweck darf sich die EIB seit
dem Maastrichter Vertrag gemäß Art. 198 e EGV neben der Finanzierung von Einzelvorhaben auch an Investitionsprogrammen beteiligen. Das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügte Protokoll über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt legt die regionale Ausrichtung der EIß auch quantitativ fest: Sie soll "den Großteil ihrer Mittel für die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes einsetzen".458
Eine Analyse der Bilanzzahlen bestätigt, daß die EIß einen Großteil ihrer Engagements in wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen durchführt: Im Jahr 1993 wurden von der EIB Finanzierungsverträge459 in einer Höhe von 17,7 Mrd. ECU für das Gemeinschaftsgebiet abgeschlossen. 460 Diese Verträge betreffen eine Gesamtinvestitionssumme von 50 Mrd. ECU und somit 5% des gesam-. ten Investitionsvolumens der Gemeinschaft. 12,5 Mrd. ECU oder 70% der Finanzierungsverträge kommen Regionalfördergebieten zugute. 461 In Portugal war die EIß im selben Jahr an 22%, in Griechenland an 15%, in Spanien und Irland an je 14~ der Bruttoanlageinvestitionen beteiligt. Zwischen 1989 und 1993, also seit der Strukturfondsreform, wurde in der Gemeinschaft ein Finanzierungsvolumen von 47,1 Mrd. ECU, das sind zwei Drittel der Gesamtsumme, für Investitionen in Regionalfördergebieten verwendet. 462 Obwohl sich die EIB auch nach ihrem eigenem Selbstverständnis als ein Finanzierungsinstrument zur Unterstützung der gemeinschaftlichen Strukturpolitiken zeigt,463 muß berücksichtigt werden, daß die EIB bei der Auswahl der Vor455 Vgl. Art. 198 e EGV. 456 Vgl. Waniek, Roland, Die Regionalpolitik, s. 87 und Costa-Schott, Maria do Rosario, S. 95. 457 Gleichzeitig gewährleisten der EGV und die Rahmenverordnung über die Tätigkeit der
Strukturfonds aber auch die Erfüllung der sonstigen bisher wahrgenommenen Aufgaben durch die Ern; vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Präambel, in: AbI. Nr. L 185, S. 10; vgl. Art. 198 e EGV.
458 Dies wurde von der überarbeiteten Rahmenverordnung von Juli 1993 bestätigt; vgl. VO Nr. 2081/93 vom 20.7.1993, Präambel, Erwägungsgrund 15, in: AbI. Nr. L 193, S. 6. 459 Diese bestehen aus Darlehen und Garantien. 460
Vgl. Europäische Investitionsbank, Jahresbericht 1993, S. 11.
461 Vgl. Europäische Investitionsbank, Jahresbericht 1993, S. 31. 462 Vgl. Europäische Investitionsbank, Jahresbericht 1993, S. 30. 463 Vgl. Europäische Investitionsbank, Die Europäische Investitionsbank, S. 1.
126
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
haben, die sie zu finanzieren beabsichtigt, in viel stärkerem Maße als die Strukturfonds Wirtschaftlichkeitskriterien beachten muß.464 Da die EIß ihren Kreditnehmern Darlehenszinssätze lediglich in einer Höhe berechnet, die ihre eigenen Einstandskosten am Kapitalmarkt und die laufenden Verwaltungskosten der Bank decken46s und sie sich als "erstklassige Adresse" und einer der mittlerweile größten Emittenten auf dem Kapitalmarkt466 auch zu entsprechenden Konditionen am Kapitalmarkt refinanzieren kann, weisen ihre Darlehen insofern in aller Regel eine Förderungswirkung für Unternehmen und die öffentliche Hand auf, als Kredite zu Bedingungen gewährt werden können, die günstiger sind als die auf dem jeweiligen heimischen Kapitalmarkt. Auf dem Edinburgher Gipfel im Dezember 1992 beschloß der Europäische Rat als weitere Aufgabe für die EIß eine befristete Darlehensfazilität von 5 Mrd. ECU, die auf den Ratstagungen in Kopenhagen im Juni 1993 sowie in Brüssel im Oktober 1993 auf 8 Mrd. ECU aufgestockt wurde. Die Fazilität dient der Beschleunigung der Finanzierung von Infrastrukturvorhaben im Bereich der transeuropäischen Netze und des Umweltschutzes. Ende 1993 erreichten die in diesem Rahmen genehmigten Darlehen 4,6 Mrd. ECU,467 wovon für 2,4 Mrd. ECU Finanzierungsverträge unterzeichnet sind. Dies entspricht einer Gesamtinvestitionssumme von 35 Mrd. ECU.468 4. Das Neue Gemeinschaftsinstrument (NGI)
Im Jahre 1978 wurde eine weitere Darlehensform der Gemeinschaft, das Neue Gemeinschaftsinstrument (NGI), durch einen Ratsbeschluß ins Leben gerufen. 469 Mit dem NGI sollten solche Investitionen gefördert werden, die den Gemeinschaftszielen in den Bereichen Energie, Industrie und Infrastruktur entsprechen, dabei eine entsprechende regional- und beschäftigungspolitische Auswirkung
464 Vgl. Costa-Schott, Maria do Rosario, S. 95. 46S Daneben muß auch noch die Bildung eines Reservefonds gewährleistet sein; vgl. EWGV, Protokoll über die Satzung der Europäischen Investitionsbank, Art. 19, Abs. 1. 466 Vgl. Müller-Borle, Joachim, Titel IV, Die Europäische Investitionsbank, Vorbemerkungen zu den Artikeln 129 und 130, in: Groeben, Hans von der, Thiesing, Jochen, Ehlermann, Claus-Dieter, HER, Bd. 11, Baden-Baden 0.1., Rdnr. 40. 467
Vgl. Europäische Investitionsbank, Jahresbericht 1993, S. 11.
468 Vgl. Europäische Investitionsbank, Jahresbericht 1993, S. 13. 469 Vgl. Beschluß des Rates Nr. 78/870lEWG vom 16.10.1978, in: AbI. Nr. L 298, S. 9-10.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
127
zeigen und zudem noch zu einer zunehmenden Konvergenz und Integration der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten beitragen. 41o Die Darlehen im Rahmen des NGI wurden mit Hilfe der Aufnahme von Anleihen finanziert. Hierbei war die Zustimmung des Landes, auf dessen Kapitalmarkt die Anleihe plaziert wird, nötig. Zusätzlich mußten die Kredite, im Gegensatz zur Vorgehensweise bei der EIB, immer mit Anleihen in gleicher Währung finanziert werden. Mit dieser Regelung war beabsichtigt, nur den Kapitalmarkt des Landes, in dem die Kreditvergabe geleistet wurde, nicht aber die Kapitalmärkte anderer Länder in Anspruch zu nehmen. 411 Für den Einsatz des NGI war folgende Arbeitsteilung zwischen Kommission und EIß vereinbart: Die Kommission nahm die Mittel auf den Kapitalmärkten auf und beschloß über die grundsätzliche FörderungsWÜTdigkeit von Vorhaben, während die EIß aufgrund einer Vollmacht im Namen, für Rechnung und auf Gefahr der Gemeinschaft die Finanzierung durchführte und somit die bankmäßige Prüfung der Projekte leistete und daraufhin über die konkrete Darlehensvergabe entschied. 472 Die Darlehen des NGI wurden in der Regel über zwischengeschaltete Finanzinstitute ausgereicht. Der Vorteil der Kredite, die im Rahmen des NGI vergeben wurden, lag für die Kreditnehmer ähnlich wie bei den Darlehen der EIß in im Vergleich zum Gesamtmarkt günstigeren Kreditzinssätzen. Die Mittelvergabe erfolgte in aufeinander folgenden Tranchen. 413 Die erste Tranche wurde zusammen mit der Festlegung der Leitlinien für die FörderungsWÜTdigkeit der Vorhaben bereits 1979 beschlossen. 414 Bis 1989 wurden vier reguläre NGI mit einer Gesamtsumme von 5,75 Mrd. ECU genehmigt.415 Daneben wurden zwei außerplanmäßige Bewilligungen für Wiederaufbaumaßnahmen in Erdbebengebieten in Italien und Griechenland mit einer Gesamthöhe von 1,08 Mrd. ECU gewährt. 416 Aufgrund von Unstimmigkeiten im Rat über die weitere Fortführung des Instrumentes wurde es schließlich aufgegeben. Seine Aufgaben übernahm die EIß.411 410 Vgl. Beschluß des Rates Nr. 78/8701EWG vorn 16.10.1978, Art. I, in: AbI. Nr. L 298, S. 9. 411
Vgl. Waniek, Roland, Die Regionalpolitik, S. 93 f.
472 Vgl. Beschluß des Rates Nr.78/870IEWG vorn 16.10.1978, Art. 5, in: AbI. Nr. L 298, S. 10. 413 Vgl. Beschluß des Rates Nr. 78/8701EWG vorn 16.10.1978, Art. 2, in: AbI. Nr. L 298, S. 10. 414 Vgl. Beschluß des Rates Nr. 79/4861EWG vorn 14. Mai 1979, in: AbI. Nr. L 125, S. 16-17. 415 Vgl. Strasser, Daniel, Die Finanzen Europas, Luxemburg 1991, S. 112. 416 Vgl. Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 41, S. 43. 411
Vgl. Strasser, Daniel, S. 112.
128
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik 5. Das Beihilfenaufsichtsrecht der Gemeinschaft
a) Begründung und Grundsätze des Beihilfenaufsichtsrechts Das Aufsichtsrecht über die regionalen Beihilfen478 der Mitgliedsstaaten wird von der Gemeinschaft als weiteres Instrument mit (mittlerweile) bewußter regionalpolitischer Wirkung verwendet. Rechtliche Grundlage für das Eingriffsrecht sind die Bestimmungen zum Wettbewerbsrecht des EGV (bisher EWGV). Die rechtlichen Normen zur Durchsetzung des Wettbewerbsschutzes finden sich im EGV in einem eigenem Kapitel "Wettbewerbsregeln" (Art. 85 ff. EGV). Diese erlauben es der Kommission479 seit Gründung der EG, die Einführung von neuen oder die Umgestaltung von bestehenden mitgliedsstaatlichen Regionalbeihilfen zu verbieten oder mit Auflagen zu versehen. Der Vertrag sieht keine Genehmigung von mit dem Gemeinsamen Markt vereinbaren, sondern nur ein Vorgehen gegen unvereinbare Beihilfen vor. 480 Zur Erfüllung der Aufgabe der EG, einen Gemeinsamen Markt zu errichten (Art. 2 EGV, übernommen aus Art. 2 EWGV), der durch den Abbau von Handeishemmnissen den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten von Einschränkungen frei macht, sieht Art. 3g EGV vor, "ein System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt", einzurichten. Das zu schaffende Wettbewerbssystem soll in zwei Richtungen hin wirksam sein: Einerseits soll eine existierende Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen in den Mitgliedsstaaten geschützt werden, andererseits der Wettbewerb durch die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten fair gestaltet werden. 481 Das Ziel des unverfälschten Wettbewerbs im Gemeinschaftsgebiet ist jedoch nicht Selbstzweck,482 da es, wie auch die übrigen in Art. 3 EGV aufgeführten Ziele, im Vergleich zu den Zielen des vorhergehenden Art. 2 EGV nur instru-
478 Mit dem Begriff ,,Beihilfe" werden Subventionen bezeichnet. 479 Gemäß Art. 93 EGV ist die Kommission Beihilfenaufsichtsbehörde. 480 Vgl. Thiesing, Jochen, Vorbemerlrung zu den Artikeln 92 bis 94, in: Groeben, Hans von der,
Thiesing, Jochen, Ehlermann, Claus-Dieter, HER, Bd. 8, Baden-Baden 0.1., Rdnr. 9.
481 Vgl. ähnlich Koch, Norbert, Wettbewerbsregeln, Wettbewerbspolitische Ziele des Vertrags, in: Grabitz, Eberhard, Hilf, Meinhard (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union, München 1994, Rdnr. 1 f. 482 Vgl. Rengeling, Hans-Werner, Grundlagen des Subventionsrechts und Kompetenzen aus der Sicht von Bund und Ländern, in: ZHR 1988, S. 455 ff., hier S. 465 f.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
129
mentalen Charakter hat und der Realisierung der in Art. 2 EGV genannten Oberziele der Gemeinschaft dienen soll.483 Mithilfe des Wettbewerbs als Ordnungsprinzip allein kann eine Verringerung der regionalen Disparitäten in der Gemeinschaft nicht erreicht werden. 484 Das Teilziel des Wettbewerbsschutzes muß also unter Beachtung des Oberziels des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes verfolgt werden. Aus diesem Grunde verbietet der EGV nicht apriori alle Wettbewerbsbeschränkungen, sondern ermöglicht Ausnahmen vom grundSätzlichen Beihilfeverbot und überläßt es somit der Aufsicht der Kommission485 , diejenigen Wettbewerbsverzerrungen zuzulassen, die die Erreichung der (gewichtigeren) Oberziele gemäß Art. 2 EGV fördern. 486 Da das Ordnungsprinzip des Wettbewerbs Subventionen und Beihilfen als wettbewerbs verzerrend betrachtet, die Regionalpolitik aber Beihilfen zur Erreichung ihrer Ziele benötigt, sind Konflikte zwischen der Regionalpolitik auf der einen und der Wettbewerbspolitik auf der anderen Seite möglich. 487
b) Das grundsätzliche Verbot wettbewerbsveifälschender Beihilfen und seine Voraussetzungen Art. 92 Abs. 1 EGV bestimmt, daß staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, soweit im EGV nichts anderes bestimmt ist, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind; diese Vorschrift betrifft alle Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verHUschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen
483
Vgl. Gläsner, Adrian, S. 111
484 Vgl. Püttner, Günter, Spannowsky, Willy, S. 133 f. 485 Die Aufsicht erfolgt dabei auch im Rahmen des politischen Verhandlungsprozesses zwischen Kommission und Mitgliedstaaten; vgl. Abschnitt B.9.5.4. 486 Der EGKSV hat eine eigene Beihilfenregelung: Nach Art. 4c EGKSV sind sämtliche Subventionen untersagt; vgl. ausführend Zippei, Wulfdiether, Die Implikationen der bisherigen und gegenwärtigen Beihilfepraxis der EG-Kommission für die Zukunft des gemeinsamen Marktes, in: Bömer, Bodo, Neundörfer, Konrad (Hrsg.), Recht und Praxis der Beihilfen im Gemeinsamen Markt, Köln et al. 1984, S. 1-22, hier S. 4 f. Dagegen weist der EAGV keine vergleichbaren Beihilferegelungen auf. 487 Vgl. Ipsen, Hans-Peter, Subventionen im Gemeinsamen Markt, in: DÖV 1977, S. 613-618, hier S. 615.
9 Welleohofer
130
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Art. 92 EGV beinhaltet ein grundsätzliches "präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalten" .488 Für ein Greifen des Art. 92 EGV sind folgende sechs Voraussetzungen erforderlich: aa) Vorliegen einer Beihilfe Der Begriff der Beihilfe wird weder im EGV noch war er im EWGV definiert. Der EuGH legte in seiner Rechtsprechung den Begriff allerdings weit aus: Als Beihilfen gelten für den EuGH alle Geld- und Sachleistungen sowie all die Maßnahmen, die zur Verminderung der Belastungen führen können, die ein Unternehmen normalerweise nach den bestehenden Rechtsvorschriften zu tragen hat. 489 Wesenseigen ist der Beihilfe die fehlende oder nicht gleichwertige Gegenleistung. 490 Im Mittelpunkt der Überlegung des EuGH steht die Wirkung491, nicht die Art der Maßnahme. Eine abschließende Definition der Begriffs der Beihilfe oder eine Aufzählung dessen, was darunter zu verstehen ist, wurde wohl deswegen in den Verträgen und der Rechtsprechung bewußt nicht angestrebt, weil der Begriff sonst zu stark eingeengt worden wäre. Findige Wirtschaftspolitiker hätten Lücken im Gesetz für ihre Zwecke mißbrauchen können und das Ziel der Verträge, den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt vor Verfalschungen zu schützen, könnte nicht ungehindert verfolgt werden. Art. 92 EGV verlangt also eine weite Auslegung des Beihilfenbegriffs.492 Nicht jede staatliche Leistung oder Maßnahme stellt allerdings eine Beihilfe im 488 Vgl. Seidel, Martin, Das Verwaltungsverfahren in Beihilfesachen, in: EuR 1985, S. 22-42, hier S. 41. 489 EuGH, Urteil vom 23. Februar 1961, Rechtsache 30/59, in: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Bd. 12 (1961), S. 1-62, hier S. 42 f.; vgl. EuGH, Urteil vom 2. Juli 1974, Rechtssache 173n3, in: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Bd.l (1974), S.709729, hier S. 719; zur Präzisierung des Beihilfebegriffs durch den EuGH vgl. auch Zuleeg, Manfred, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, in: Börner, Bodo, Bullinger, Martin (Hrsg.), Subventionen im Gemeinsamen Markt, Köln et al. 1978, S. 10. 490 Vgl. Wallenberg, Gabriela von, Art. 92, in: Grabitz, Eberhard, Hilf, Meinhard, Kommentar zur Europäischen Union, München 1994, Rdnr. 7.
491 Vgl. Nicolaysen, Gert, Subventionen für öffentliche Unternehmen und Wettbewerb im Gemeinsamen Markt, in: Börner, Bodo, Neundörfer, Konrad (Hrsg.), Recht und Praxis der Beihilfen im Gemeinsamen Markt, Köln et al. 1984, S. 111-135, hier S. 129. 492 Vgl. hierzu ergänzend Maag, Andreas, Das Verbot wettbewerbsverfälschender. Beihilfen im EWG-Vertrag und im Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Bern 1979, S. 82 f.; Ipsen, Hans Peter, Europäisches Gemeinschaftsrecht,
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
131
Sinne des Art. 92 EGV dar. So sind staatliche Förderungsmaßnahmen, die der gesamten Wirtschaft und nicht nur bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen zugute kommen493 , oder Leistungen des Staates, bei denen ein Rechtsanspruch für den Empfanger besteht494 , keine derartigen Beihilfen. bb) Beihilfegewährung durch den Staat oder aus staatlichen Mitteln Die Vorschriften des Art. 92 EGV betreffen nur diejenigen Beihilfen, die unmittelbar vom Staat oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden. 495 Dabei urnfaßt der Begriff Staat die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und diejenigen ihrer räumlichen Untergliederungen, die selbst Staatscharakter haben, wie in der Bundesrepublik Deutschland die Bundesländer. Falls die Beihilfen aus Mitteln stammen, die durch Zuschüsse aus dem staatlichen Gesamthaushalt, durch Erhebung eigener Steuern und Abgaben auf Grund staatlicher Regelungen, oder sonstiger Mittel, die durch staatliche Vorschriften oder nach staatlich festgesetzten Regeln geschaffen werden, gedeckt werden, gelten sie als "aus staatlichen Mitteln" gewährt. Dies ist der Fall bei den räumlichen Untergliederungen der Mitgliedstaaten, die selbst keinen staatlichen Charakter haben, wie bei den Departements, Provinzen oder Gemeinden etc., außerdem den sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Verbänden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die öffentliche Aufgaben erfüllen. Ob auch die von den Kommunen aus eigenen Mitteln erbrachten Beihilfen von Art. 92 Abs. 1 EGV erfaßt werden sollen, wird in der Regel in der Literatur vemeint. 496 Vor allem spräche gegen ein solches Vorgehen auch die in der Regel nur unerhebliche Auswirkung derartiger Subventionen auf den Binnenhandel und der die Kommission über Gebühr belastende Arbeitsaufwand bei einer Unterrichtung und/oder Überprüfung von kommunalen Beihilfen.
Tübingen 1972, S. 673; Rengeling, Hans-Werner, Das Beihilfenrecht der Europäischen Gemeinschaften, in: Börner, Bodo, Neundörfer, Konrad (Hrsg.), Recht und Praxis der Beihilfen im Gemeinsamen Markt, Köln u. a. 1984, S. 23-54, hier S. 26 f. 493 Vgl. Thiessing, Jochen, Art. 92, Unvereinbare und vereinbare Beihilfen, in: Groeben, Hans von der, Thiesing, Jochen, Ehlermann, Claus-Dieter, HER, Bd. 8, Baden-Baden 0.1., Rdnr. 3. 494 Vgl. EuGH, Urteil vom 27. März 1980, Rechtsache 61n9, in: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Bd. 1980, Teil 1, S. 12051236, hier S. 1228.
9'
495
Vgl. im folgenden Thiessing, Jochen, Art. 92, Rdnr. 23.
496
Vgl. die ausführliche Diskussion in Püttner, Günter, Spannowsky, Willy, S. 152 ff.
132
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Nicht anwendbar ist Art. 92 Abs. 1 EGV auf Beihilfen der Gemeinschaft selbst oder der Privatwirtschaft, auch wenn diese die sonstigen Kriterien von Art. 92 Abs. 1 EGV erfüllen würden. cc) Selektion der Empfänger bei der Beihilfevergabe Zur Anwendbarkeit von Art. 92 Abs. 1 EGV gehört, daß nur diejenigen staatlichen Fördermaßnahmen als verbotene Beihilfen betrachtet werden können, die bestimmten, aber nicht allen Unternehmen oder Produktionszweigen zugute kommen. Es kann sich hierbei um Umternehmen oder Produktionszweige einer bestimmten Region oder eines bestimmten Sektors oder um einzelne Unternehmen handeln. Immer muß jedoch durch die unterschiedliche Behandlung des Staates eine Benachteiligung anderer Unternehmen oder Produktionszweige vorliegen. Maßnahmen, die allen Unternehmen eines Mitgliedsstaates zugute kommen, fallen nicht unter Art.93 EGV, auch wenn sie wettbewerbsbeschränkend sind. 497 dd) Beihilfevergabe an Unternehmen oder Produktionszweige Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen für das Zugrundeliegen des Tatbestandes eines Unternehmens folgende Merkmale erfüllt sein: 498 1. ein selbständiges Rechtssubjekt, 2. die einheitliche Zusammenfassung personeller, materieller und immaterieller Faktoren und 3. die dauerhafte Verfolgung eines bestimmten wirtschaftlichen Zweckes. Der in diesen Merkmalen zum Ausdruck kommende Unternehmensbegriff kann auch für Art. 92 Abs. 1 EGV angewandt werden. 499 Erfaßt werden neben den privaten auch die öffentlichen Unternehmen. soo Zur Herstellung der Trans-
497 Diese Fälle regeln die Art. 101
f. EGV.
498 Vgl. EuGH, Urteil vorn 13. Juli 1962, Rechtsache 19/61, in: Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Bd. 8 (1962), S. 717-760, hier S.750. 499 Vgl. Thiessing, Jochen, Art. 92, Rdnr 26.
soo Vgl. ausführlich Nicolaysen, GeIt, Plan-Einsatz öffentlicher Unternehmen und EWG-Vertrag (Art. 90), in: Kaiser, Joseph (Hrsg.), Planung 111, Baden-Baden 1968, S. 311-352, hier S. 347 f.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
133
parenz der Beziehungen zwischen öffentlichen Unternehmen und ihren Trägem wurde eine Transparenzrichtlinie erlassen. 501 Dagegen sind Beihilfen und Subventionen, die an Unternehmen vorbei dem Infrastrukturausbau dienen, eine allgemeine Konjunkturförderung oder Finanztransfers an private Haushalte von Art. 92 EGV nicht betroffen. s02 Schließlich sollen im Rahmen des Begriffs der "Produktionszweige" sowohl regionale als auch sektorale Beihilfen erfaßt werden. 503 ee) Vorliegen einer Wettbewerbsverfälschung Eine Verfälschung oder drohende Verfälschung des Wettbewerbs zwischen konkurrierenden Unternehmen durch die Gewährung einer Beihilfe ist eine weitere Voraussetzung für deren Unzulässigkeit. Erhalten alle zueinander in Konkurrenz stehenden Unternehmen oder Produktionszweige die Beihilfe, so daß keine Veränderung der Wettbewerbssituation stattfindet,S04 liegt keine wettbewerbsrechtlich relevante Beihilfe vor. 505 Wird dagegen durch die Subventionsvergabe die wirtschaftliche Situation des begünstigten Unternehmens verbessert und die der Marktkonkurrenten verschlechtert, so kann von einer Wettbewerbsverfälschung ausgegangen werden. 506 Mit dieser Auffassung ist allerdings die Frage der Beihilfenintensität noch nicht geklärt. Bis Ende der achtziger Jahre wurde grundsätzlich bei jeder Beihilfe der Tatbestand der Wettbewerbsverfälschung vermutet, da man annahm, 501 VgI. Richtlinie der Kommission über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen vom 25.6.1980, in: AbI. Nr. L 195, S.35.
502 VgI. Seidel, Martin, Grundfragen des Beihilfenaufsichtsrechts der Europäischen Gemeinschaften, in: Börner, Bodo, Neundörfer, Konrad (Hrsg.), Recht und Praxis der Beihilfen im Gemeinsamen Markt, Köln et al. 1984, S. 55-82, hier S. 60 f. 503 VgI. Caspari, Manfred, Die Beihilferegeln des EWG-Vertrages und ihre Anwendung, in: Mestmäcker, Ernst-Joachim, Möller, Hans, Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.), Eine Ordnungspolitik für Europa, Festschrift für Hans von der Groeben, Baden-Baden 1987, S. 69-91, hier S. 79.
504 VgI. Beutler, Bengt, Bieber, Roland, Pipkorn, Jörn, Streil, Jochen, S. 359. 505 VgI. Rengeling, Hans-Werner, Das Beihilferecht der Europäischen Gemeinschaften, in: Börner, Bodo, Neundörfer, Konrad (Hrsg.), Recht und Praxis der Beihilfen im gemeinsamen Markt, Köln et al. 1984, S. 23-54, hier S. 30. 506 VgI. Lefevre, Dieter, Staatliche Ausfuhrförderung und das Verbot wettbewerbsverfälschender Beihilfen im EWGV, Baden-Baden, 1977, S. 124 f.
134
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
daß durch die Zuwendung eines unentgeltlichen Vorteils an ein Unternehmen dessen Wettbewerbsfähigkeit sich verbessere und dadurch automatisch der Wettbewerb verfälscht werde. 507 Nur das Vorliegen besonderer Umstände rechtfertigte den Ausschluß einer derartigen Wettbewerbsverfälschung im Rahmen einer Überprüfung durch die Kommission. Im Jahre 1987 stellte der EuGH in einem Verfahren bezüglich der Zulässigkeit eines Regionalförderprogrammes des Landes Nordrhein-Westfalen aber fest, daß es sich bei staatlichen Beihilfen nicht in jedem Fall um eine Wettbewerbsverfälschung handelt, sondern jeweils von der Kommission überprüft werden muß, ob der Begünstigte durch die Leistung einen spürbaren Vorteil gegenüber den Nicht-Begünstigten erhält. 50s Falls der Vorteil nicht spürbar ist, handelt es sich dabei nicht um eine Wettbewerbsverfälschung nach Art. 92 Abs. 1 EGV. Neben der tatsächlich vorhandenen schützt Art. 92 Abs. 1 EGV auch die potentielle Wettbewerbssituation. 509 Diese ist dann gefährdet, wenn durch Beihilfen an bereits auf einem Markt auftretenden Unternehmen der Marktzutritt für potentielle Konkurrenten behindert oder ausgeschlossen wird. 510 ff) Handelsbeeinträchtigung zwischen Mitgliedstaaten
Letztendlich sind Beihilfen dann mit dem Gemeinsamen Markt nicht vereinbar, wenn durch sie der Handel zwischen den Mitgliedsstaaten beeinträchtigt wird. Dies ist der Fall, wenn der Import durch die Maßnahme behindert bzw. der Export erleichtert wird. m Der Handel umfaßt hierbei den Austausch von Waren und Dienstleistungen. 512 Ausschlaggebend für eine Handelsbeeinträchtigung ist die Auswirkung, nicht das mit der Subventionierung verfolgte Ziel der Beihilfe.513 So ist hierbei nicht 507 Vgl. Thissing, Jochen, Art. 92, Rdnr 31; vgl. dazu auch Scheuing, Dieter Helmut, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 25.6.1970 in der Rechtssache 47/69, in: EuR, Jg.6 (1971), S. 139-145, hier S. 140 f. 508 VgI. EuGH, Urteil vom 14. Oktober 1987, Rechtsache 248/84, in: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Bd. 4 (1987), S.40364043, hier S. 4041. 509 Vgl. Hochbaum, Monika, Diskriminierungs- und Subventionsverbot, Baden-Baden-Bonn 1962, S. 184; Klodt, Henning et al., Forschungspolitik unter EG-Kontrolle, Tübingen 1988, S. 35.
510
Vgl. Maag, Andreas, S. 147.
m Vgl. Thissing, Jochen, Art. 92, Rdnr. 34. 512
Vgl. Thissing, Jochen, Art. 92, Rdnr. 34.
513
Vgl. Gläsner, Adrian, S. 116.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
135
die Frage maßgeblich, ob das begünstigte Unternehmen selbst in andere Mitgliedstaaten exportiert; schon falls dieses am heimischen Markt mit seinen Produkten in Konkurrenz zu Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten steht oder Dritte die subventionierten Produkte in andere Mitgliedstaaten exportieren, ist durch die Beihilfe eine Wettbewerbsverfälschung mit der Folge einer Handelsbeeinträchtigung zwischen den Mitgliedstaaten entstanden. 514 Eine Handelsbeeinträchtigung im Sinne des Art. 92 Abs. 1 EGV durch Beihilfen findet dann nicht statt, wenn es sich bei den Erzeugnissen des begünstigten Unternehmens oder Produktionszweiges um sogenannte "lokale" Güter handelt, also um Produkte, die nur auf räumlich begrenzten Märkten angeboten werden und in denen kein Handel zwischen den Mitgliedstaaten stattfindet. Insgesamt gesehen läßt Art. 92 Abs. 1 EGV nur einen geringen Beurteilungsspielraum für die Beihilfenaufsicht. Wesentlich gewichtiger ist die Bedeutung der Ausnahmen vom grundsätzlichen Beihilfenverbot in den Absätzen 2 und 3, deren regionalpolitisch relevante Ausnahmen im folgenden Abschnitt besprochen werden. c) Für die Regionalpolitik relevante Ausnahmen vom grundsätzlichen Beihilfeverbot
Trotz des grundsätzlichen Beihilfenverbots sieht der Rat in Regionalbeihilfen bei richtiger und sinnvoller Anwendung ein unerläßliches regionalpolitisches Instrument. SlS Neben den schon angesprochenen auslegungsbedingten Ausnahmen vom grundsätzlichen Beihilfenverbot wie der fehlenden SpÜfbarkeit und den Beihilfen für die Produktion lokaler Güter führt Art. 92 EGV explizit weitere Beihilfen auf, die grundsätzlich mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind, die sogenannten "obligatorischen" Ausnahmen 516 (Art. 92 Abs. 2 EGV) bzw. als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden können, die sogenannten "fakultativen" Ausnahmen (Art. 92 Abs.3 EGV) , auch wenn sie die Tatbestände der Wettbewerbsverfälschung und der Handelsbeeinträchtigung aufweisen. Von regionalpolitischer Relevanz sind dabei die Art. 92 Abs. 2 c) und Art. 92 Abs. 3 a) und b) EGV: 514 Vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli 1988, Rechtsache 102187, in: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Bd.4 (1988), S.4067-4091, hier S. 4087 f. 515
Vgl. Erste Entschließung vom 20.10.1971, in: AbI. Nr. C 111, S. 1.
516
Vgl. Püttner, Günter, Spannowsky, WiIly, S. 175.
136
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Art. 92 Abs. 2 führt unter den obligatorischen Ausnahmen unter anderen die "Beihilfen für die Wirtschaft bestimmter durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie zum Ausgleich der durch die Teilung verursachten wirtschaftlichen Nachteile erforderlich sind". Dieser Regelung lag die Auffassung zugrunde, daß denjenigen Regionen, die durch die Teilung Deutschlands in zwei Staaten wirtschaftlich benachteiligt waren, Regionalbeihilfen mit dem Zweck der Wiederherstellung bzw. Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit gewährt werden könnten. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands hat diese Regelung ihre ursprüngliche Bedeutung verloren; dennoch wurde sie unverändert in den EGV übernommen und dient nunmehr als Rechtfertigung für die von der Treuhandanstalt an die ostdeutschen Betriebe gewährten Beihilfen. m Daneben nennt Art. 92 Abs. 3 EGV zwei für die Regionalpolitik bedeutsame fakultative Ausnahmen vom grundsätzlichen Beihilfeverbot. Deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt muß von der Kommission nach den Vorschriften des Art. 93 EGV überprüft werden. Es obliegt der Entscheidung der Kommission, ob sie die Beihilfen nach Art. 92 Abs. 3 EGV genehmigt. Sie hat dabei folgenden Interessengegensatz abzuwägen: Einerseits soll die Gemeinschaft den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfalschungen schützen (Art. 3 f) EGV), andererseits eine Politik der Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes betreiben (Art. 3 j) EGV), um die Oberziele einer harmonischen und ausgewogenen Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft und eines hohen Grades an Konvergenz der Wirtschaftsleistungen zu erreichen (Art. 2 EGV).
Im Spannungsfeld dieses Interessengegensatzes können regionalpolitisch motivierte Beihilfen von der Kommission als Ausnahmen vom Unvereinbarkeitsgrundsatz des Art. 92 Abs. 1 EGV zugelassen werden. Die Kommission kann bei ihren Entscheidungen auf eine weitreichende Ermessensfreiheit zurückgreifen, die allerdings der Kontrolle des EuGH unterliegt518 und die beachten muß, daß die unter Art. 92 Abs. 3 EGV fallenden Beihilfen nur in dem Umfang mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind, in dem sie für die Erreichung der berechtigten Ziele erforderlich sind. 519 Art. 92 Abs. 3 a) EGV betrifft das Ausgleichsziel der Gemeinschaft. Danach können Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung in Gebieten,
517
Vgl. Europäisches Parlament, Die sozio-ökonomische Lage, S. 22.
518
Vgl. Thissing, Jochen, Art. 92, Rdnr. 50.
519
Vgl. Entscheidung, in: AbI. 1969, Nr. L 220, S. I.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
137
in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht, als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden. Die Vorschrift ermöglicht regionalpolitische Interventionen auf nationaler Ebene. Einen Maßstab dafür, was als "außergewöhnliche niedrige" Lebenshaltung oder "erhebliche" Unterbeschäftigung anzusehen ist, gibt der EGV nicht vor. Hier kommt man zu der Frage, welche Vergleichsgröße für das Ausgleichsziel der Gemeinschaft von Relevanz sein soll, der gemeinschaftliche oder der nationale Durchschnitt. In der Literatur wird ein breites Meinungsspektrum vertreten: Dies geht von der Ansicht, daß der einzelstaatliche Durchschnitt520 zu verwenden sei über die Auffassung, daß sowohl der nationale als auch der Gemeinschaftsdurchschnitt zu berücksichtigen seiS2J bis hin zu der Meinung, daß lediglich der gemeinschaftliche Durchschnitt maßgeblich sein könne522 • Die Kommission verwendet als Maßstab für die Anwendung der Ausnahmebestimmung bei der Beurteilung der mitgliedstaatlichen Regionalbeihilfen den gemeinschaftlichen Durchschnitt des Bruttoinlandsproduktes und den gemeinschaftlichen Durchschnitt der Arbeitslosenrate. S23 Diese Regelung hat eine starke Beschränkung der nationalen Regionalpolitiken zur Folge. Sie bedeutet, daß reiche Mitgliedstaaten ihre eigenen rückständigen Gebiete nicht fördern dürfen, wenn diese im Vergleich zum Gemeinschaftsdurchschnitt nicht förderungswürdig sind. Regionen in der (alten) Bundesrepublik Deutschland konnten und können nach Auffassung der Kommission nach Art. 93 Abs. 3 a) ausnahmslos nicht gefördert werden. 524 Danach bleibt den reicheren Mitgliedstaaten noch der Rückgriff auf die für die Regionalpolitik ebenfalls relevante Vorschrift des Art. 92 Abs. 3 b) EGV. Danach können Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete denn von der Kommission erlaubt werden, wenn sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem
520
Vgl. Rengeling, Hans-Wemer, Das Beihilferecht, S. 36; Hochbaum, Monika, S. 196.
521 Vgl. Duesberg, Peter, Walther, Reinbard, Das Verhältnis der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik zur Regionalpolitik, in: RuR, Jg. 41 (1983), Heft 1/2, S. 28-32, hier S. 31. 522 Vgl. etwa Thiesing, Jochen, Art. 92, Rdnr. 55; Campbell, Alan, Common Market Law Supplement, London 1975, S. 251. 523 Vgl. Wild, K1aus-Peter, Regionalpolitische Aktivitäten im Europäischen Rahmen, in: UPR (1983), S. 115-121, hier S. 115. 524 Vgl. Entscheidung der Kommission vom 19.2.1986 (87/15/EWG), Erwägungsgrund I, Absatz 3, in: AbI. Nr. L 12, S. 22.
138
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
gemeinsamen Interesse zuwiderläuft.S2S In diesem Fall wendet die Kommission die durchschnittliche ökonomische Situation des Mitgliedsstaates als Vergleichsmaßstab an. 526 Damit unterliegt die Subventionierung der Gebiete, die nicht schon nach Art. 92 Abs. 3 a) EGV förderfähig sind, also etwa wirtschaftlich schon entwickelter Regionen, die sich in einem Strukturwandel befinden, weniger strengen Aufsichtsregeln der Kommission. Den reicheren Mitgliedstaaten bleibt lediglich Art. 92 Abs. 3 b) EGV zur Bekämpfung der nationalen Disparitäten.
d) Die Anwendung der Beihilfenaufsicht durch die Kommission aa) Die Koordinierungsgrundsätze Die Möglichkeit zum Eingriff in die nationalstaatliche Regionalförderung im Rahmen der Beihilfenaufsicht gemäß Art. 92 Abs. 3 EGV hängt von der konkreten Auslegung der beschriebenen nicht sehr spezifizierten Vorschriften durch die Kommission ab. Um den Mitgliedstaaten eine Möglichkeit zu geben abzuschätzen, in welcher Höhe und welcher Form von ihnen geplante Beihilfen nach Art. 92 Abs. 3 EGV in den einzelnen Regionen von der Kommission als genehmigungsfähig angesehen werden,S27 beschloß der Rat im Jahre 1971 Regeln über die allgemeinen Beihilferegelungen mit regionaler Zielsetzung, die sogenannten Koordinierungsgrundsätze. S28 Sie wurden 1973, 1975 und 1979 überarbeitet und gelten zur Zeit in der Fassung vom 3.12.1979. 529 Rechtlich bindend sind die Koordinierungsgrundsätze für die Mitgliedstaaten nicht. Die Koordinierungsgrundsätze dienen vielmehr der Orientierung der Mitgliedstaaten und sind gleichzeitig die Basis für die Überprüfung der geplanten Beihilferegelungen530 durch die Kommission. Damit können sie eine Effizienz5lS
Vgl. Art. 92 Abs. 3 c) EOV.
526
Vgl. EuOH, Urteil vom 14. Oktober 1987, S. 4042.
Vgl. MacLennan, M.C., Regional Policy in a European Framework, in: MacLennan, Duncan, Parr, John, Regional Policy, Past Experience and New Directions, Oxford 1979, S. 245-271, hier 521
S.246. 528
Vgl. Erste Entschließung vom 20.10.1971, in: AbI. C 111, S. 1-13.
Vgl. Mitteilung der Kommission, in: AbI. Nr. C 31 vom 3.2.1979, S. 9-15; eine Übersicht über die im Rahmen der Koordinierungsgrundsätze von der Kommission aufgestellten Einzelbestimmungen ist zu finden in: Krieger-Boden, Christiane, S. 85. 529
530
Vgl. Püttner, Oünter, Spannowsky, Willy, S. 197.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
139
und Transparenzerhöhung der Beihilfenaufsicht bewirken. Zeigt ein Mitgliedstaat bei der Kommission eine beabsichtigte Beihilfengewährung an, so kommt es auf der Grundlage der Koordinierungsgrundsätze zu Verhandlungen, die oft auch zu einem Komprorniß zwischen Kommission und Mitgliedstaat führen. 53J Wird eine derartige Vereinbarung nicht gefunden, so wird die Frage, ob eine Regionalbeihilfe konkret zulässig ist oder nicht, von der Kommission erst im Prüfverfahren gemäß Art. 93 EGV beurteilt. Mit der Aufstellung der Koordinierungsgrundsätze will der Rat insbesondere die Ziele verfolgen, eine der wirtschaftlichen Lage der Regionen angepaßte Unterstützung sicherzustellen532 und das gegenseitige Sich-Überbieten der Mitgliedstaaten bei Regionalbeihilfen zur Gewinnung von Investitionen in ihrem Hoheitsgebiet zu bekämpfen. 533 Dazu bedient er sich folgender vier Grundsätze: 534 - Festlegung von Höchstgrenzen für Beihilfesätze, - Schaffung von Transparenz für Beihilferegelungen, - Aufstellung von Regeln für die regionale Differenzierung der Beihilfen (,,regionale Spezifität"), - Berücksichtigung der sektoralen Auswirkungen der Regionalbeihilfen ("sektörale Spezifität"). Zur Umsetzung des ersten Grundsatzes wird das gesamte Gemeinschaftsgebiet in vier regionale Gruppen entsprechend der wirtschaftlichen Lage eingeteilt. Die erste Gruppe besitzt den geringsten, die vierte Gruppe den höchsten wirtschaftlichen Entwicklungsstand. Für jede dieser Gruppen gelten unterschiedliche Beihilfenhöchstgrenzen. Um alle für eine Investition erhältlichen Beihilfen kumuliert berücksichtigen zu können, wird eine "gemeinsame Methode zur Bewertung der Beihilfen"535 angewandt. Eine Kennziffer, das ,,Netto-Subventionsäquivalent" wird anhand der relativen Bedeutung der Beihilfen im Verhältnis zum Investitionsbetrag als Bezugsbasis ermittelt. Das Netto-Subventionsäquivalent wird entweder als Prozentsatz der Erstinvestition oder - seit 1979 - in ECU pro durch die Erstinvestition geschaffenen Arbeitsplatz ausgedrückt. 536 Eines dieser beiden Bemes531 Vgl. Gläsner, Adrian, S. 122. 532 Vgl. Püttner, Günter, Spannowsky, WilIy, S. 75. 533 Vgl. Erste Entschließung vom 20.10.1971, in: AbI. C 111, S. 1-13. hier S. 3. 534 Vgl. Erste Entschließung vom 20.10.1971, in: AbI. C 111, S. 1-13. hier S. 1 f. 535 Vgl. Erste Entschließung vom 20.10.1971, in: AbI. C 111, S. 1-13. hier S. 3. 536 Der zweite Fall gilt seit der Verordnung Nr. C 31 vom 3.2.1979. S. 9.
140
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
sungskriterien muß beachtet werden. Für jede Regionengruppe wird je nach Schwere der Probleme eine unterschiedliche Höhe für das Netto-Subventionsäquivalent festgelegt. Da mit Hilfe der von der Kommission ermittelten Bewertungskriterien zur Feststellung des Netto-Subventionsäquivalents alle in den Mitgliedstaaten erlaubten Arten von Regionalbeihilfen berücksichtigt werden können, kann damit verhindert werden, daß durch die Gewährung von verschiedenartigen Beihilfeformen die Intention der Koordinierungsgrundsätze umgangen wird. Nur bei besonders entwicklungsbedürftigen Regionen kann die Kommission höhere als die angegebenen Beihilfehöchstgrenzen erlauben. 537 Transparent sind nach Auffassung der Kommission die Beihilfen dann, wenn die Methode zur Bewertung der Beihilfen durch das Netto-Subventionsäquivalent anwendbar ist, das heißt, das Verhältnis der Beihilfen zur Investitionssumme in Prozentzahlen ausgedrückt werden kann. Die Erreichung dieses Ziels ist damit wesentliche Voraussetzung für den Vergleich und die Beurteilung der nationalen Beihilferegelungen durch die Kommission. S38 Im Hinblick darauf müssen sogenannte "undurchsichtige", also nicht mit anderen Förderregelungen vergleichbare Beihilfen, innerhalb einer Übergangsfrist abgeschafft werden. s39 Zur Realisierung des Ziels der regionalen Spezifität schreibt der Rat vor, daß sich die Regionalbeihilfe nicht auf das ganze Staatsgebiet eines Mitgliedstaates erstrecken darf. s40 Daneben müssen die Fördergebiete in einem Mitgliedstaat klar abgegrenzt sein, die Regionalbeihilfe darf außer bei der Förderung sogenannter ,,Entwicklungsschwerpunkte" nicht punktuell gewährt werden und die Beihilfesätze müssen sich in ihrer Höhe an der Intensität der Probleme in den Förderregionen orientieren. 541 Hinzu kommt, daß sich seit 1979 die nationalen Regional-Beihilfen in die Regionalen Entwicklungspläne der Gemeinschaftlichen Förderkonzepte der EFRE-Fördergebiete einfügen müssen. 542
537 Vgl. Erste Entschließung vom 20.10.1971, in: AbI. C 111, S. 1-13, hier S. 1 f.; vgl. Mitteilung der Kommission, in: AbI. Nr. C 31 vom 3.2.1979, S. 9-15, hier S. 11; S38 Vgl. Erste Entschließung vom 20.10.1971, in: AbI. C 111, S. 1-13, hier S. 11 539
f.
Vgl. Erste Entschließung vom 20.10.1971, in: AbI. C 111, S. 1-13, hier S. 2.
Dies gilt mit den Ausnahmen von Irland und Luxemburg, vgl. Mitteilung der Kommission, in: AbI. Nr. C 31 vom 3.2.1979, S. 9-15, hier S. 11. 540
541 Vgl. Erste Entschließung vom 20.10.1971, in: AbI. C 111, S. 1-13, hier S. 3. 542 Vgl. Mitteilung der Kommission, in: AbI. Nr. C 31 vom 3.2.1979, S. 9-15, hier S. 11 und
VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Art. 7 Abs. 1, in: AbI. Nr. L 185/S. 13.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
141
bb) Das Beihilfeaufsichtsverfahren nach Art. 93 EGV Die Verfahrensvorschriften für die konkrete Anwendung der Beihilferegelungen sind in Art. 93 EGV enthalten. Erst die im Rahmen dieses Verfahrens erlassenen Rechtsakte sind für die Mitgliedstaaten rechtlich verpflichtend. Im Rahmen der Beihilfenkontrolle überprüft die Kommission sowohl schon bestehende (,,repressives Verfahren") als auch neu einzurichtende Beihilfen ("präventives Verfahren").543 Die in den Mitgliedsstaaten bereits bestehenden Beihilferegelungen - das sind die vor dem Beitrittstermin eines Mitgliedstaates zur EG existierenden und nach dem Beitrittstag rechtmäßig eingeführten Beihilfen544 - werden von der Kommission fortlaufend im Hinblick auf die Verfalschung des Wettbewerbs und die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels überprüft. 545 Die Mitgliedstaaten sind zur Unterrichtung der Kommission über die praktische Anwendung der Beihilferegelungen verpflichtet. 546 Ist die Kommission der Auffassung, daß eine bestehende Beihilfe nicht mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, so kann sie vorschlagen, diese Regelung abzuschaffen oder so zu ändern, daß sie unbedenklich wird. Diese Vorschläge nach Art. 93 Abs. 1 Satz 2 EGV sind für die Mitgyedstaaten nicht verbindliche Empfehlungen. Falls ein Mitgliedstaat die Vorschläge der Kommission nach Art. 93 Abs. 1 Satz 2 EGV nicht befolgt, so muß die Kommission das Beihilfeaufsichtsverfahren nach Art. 93 Abs. 2 EGV eröffnen. Damit kann eine für den Mitgliedstaat nach Art. 189 EGV verbindliche Entscheidung herbeigeführt werden. Den an der Beihilfegewährung Beteiligten ist dabei eine Frist zur Äußerung zu setzen. 547 Falls die Kommission die Meinung der Beteiligten gehört hat und daraufhin immer noch die Auffassung vertritt, daß die fragliche Beihilfe nach Art. 92 EGV entweder nicht mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist und nicht die Voraussetzungen für einen der Ausnahmetatbestände nach Art. 92 Abs. 2 und 3 EGV erfüllt oder von dem Mitgliedstaat mißbräuchlich angewandt wird, so entscheidet sie, daß der Mitgliedstaat die Beihilferegelung innerhalb einer be-
543 Vgl. Nicolaysen, Gert, Europäisches Gemeinschaftsrecht. S. 161. 544 Vgl. Thiesing, Jochen, Art. 93 (Verfahren, Befugnisse von Kommission und Rat), in: Groeben, Hans von der, Thiesing, Jochen, Ehlermann, Claus-Dieter, HER, Bd. 8, Baden-Baden o.J.,
Rdnr2. 545 Art. 93 Abs. 1 EGV. 546 Vgl. Thiesing, Jochen, Art. 93, Rdnr. 6. 547 Vgl. Art. 93 Abs. 2 Satz 1 EOV.
142
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
stimmten Frist aufzuheben oder zu verändern hat. 548 Die von dem Mitgliedstaat zu ergreifenden Maßnahmen sind von der Kommission klar und deutlich anzugeben. 549 Gegen die Entscheidung der Kommission kann der betroffene Mitgliedstaat5SO Klage beim EuGH erheben. SSl Der EuGH kann von der Kommission auch angerufen werden, wenn der betreffende Mitgliedstaat der Entscheidung der Kommission nicht nachkommt. SS2 Bei vertragswidrig gewährten Beihilfen kann die Kommission seit Mitte der achtziger Jahre auch die Rückzahlung (einschließlich einer Verzinsung) fordern. 553 Neue Beihilfen unterliegen der unbedingten Notifikationspflicht: 554 Nach Art. 93 Abs. 3 EGV sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Kommission von der beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig zu unterrichten, daß diese sich eine Meinung über die Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Vertrag bilden kann. Beihilfen, deren Einführung oder Umgestaltung der Kommission nicht mitgeteilt werden, sind grundsätzlich unrechtmäßig. 555 Die Kommission muß sich innerhalb von zwei Monaten zu der angezeigten Beihilfe äußern. 556 Wird die Beihilfenregelung von der Kommission nicht beanstandet, so wird sie nach ihrer Einführung der laufenden Beihilfenkontrolle unterzogen. Ist die Kommission dagegen der Meinung, daß die angezeigte Beihilfe nicht mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, so muß sie das in Art. 93 Abs. 2 EGV vorgesehene Beihilfeaufsichtsverfahren einleiten. 557
548
Vgl. Thiesing, Jochen, Art. 93, Rdnr. 16.
549 Vgl. Thiesing, Jochen, Art. 93, Rdnr. 18. 5SO
Klage kann aber auch der Rat oder ein unmittelbar betroffenes Unternehmen erheben.
551 Vgl. Thiesing, Jochen, Art. 93, Rdnr. 20. 552
Vgl. Thiesing, Jochen, Art. 93, Rdnr. 29.
553 Vgl. Hummel, Marlies, EG-Aufsicht über die Wirtschaftsförderung in den neuen Bundeslän-
dern, Konzepte und Konflikte, in: Siebert, Horst (Hrsg.), Die zweifache Integration, Deutschland und Europa, Tübingen 1993, S.67-84, hier S.73. Eine Rückgängigmachung der Auswirkungen etwaiger Vertrags verletzungen sah der EWGV ursprünglich allerdings nicht vor; vgl. dazu übernolte, Wolfgang, Subventionen im Gemeinsamen Markt, Sind vertragswidrige Beihilfen zurückzugewähren?, in: Europäische Wirtschaft, Jg. 4 (1961), Heft 4, S. 64-69, hier S. 68. 5S4
Vgl. Gläsner, Adrian, S. 123; Hilligweg, Gerd, Beurteilung der Regionalpolitik, S. 26.
555 Vgl. Art. 93 Abs. 3 EGV. 556 Vgl. Klodt, Henning, Stehn, Jürgen et al., Die Strukturpolitik der EG, Tübingen 1992, S. 79. 557 Vgl. Gläsner, Adrian, S. 125; das Beihilfeaufsichtsverfahren beschreibt ausführlich Rengeling, Hans-Werner, Das Beihilferecht, S. 46 ff.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
143
Der Rat kann allerdings nach Art. 93 Abs. 2 Satz 3 EGV durch eine einstimmige Entscheidung eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe zulassen, falls sie durch außergewöhnliche Umstände gerechtfertigt ist.
Im Jahre 1988 beschloß die Kommission, die Methoden zur Anwendung der Ausnahmetatbestände der Absätze 3 a) und b )558 von Art. 92 EGV auf Regionalbeihilfen zu veröffentlichen. 5s9 Es handelt sich hierbei um zwei Prüfverfahren, die die Kommission seit 1983 für Abs. 3 b) und seit 1987 für Abs. 3 a) verwendet. Die Entscheidung zur Veröffentlichung der Methoden soll der Transparenz des Beihilfeaufsichtsverfahrens dienen. Damit sollen, ähnlich wie bei den Koordinierungsgrundsätzen, die Mitgliedstaaten in die Lage versetzt werden, die Beihilfenaufsicht durch die Kommission besser abschätzen zu können. Für die beiden für die Regionalpolitik relevanten Ausnahmen von Art. 92 EGV gelten zwei unterschiedliche Prüfverfahren: Für die Prüfung der Zulässigkeit von Regionalbeihilfen nach Art. 92 Abs. 3 a) EGV wird das in Kaufkraftparitäten gemessene Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt der Regionen auf NUTS 3-Ebene mit dem Gemeinschaftsdurchschnitt verglichen. Damit kommt das gemeinschaftliche Ausgleichsziel zum Tragen. Überschreitet das Pro-Kopf-Einkommen in einer Region nicht 75% des Gemeinschaftsdurchschnitts, so kann die Region nach Art. 92 Abs. 3 a) EGV gefördert werden. Die Kommission verwendet somit das in Kaufkraftstandards ausgedrückte BSP pro Kopf der Bevölkerung als Indikator für eine ungewöhnlich niedrige Lebenshaltung und eine erhebliche Unterbeschäftigung. Gefördert werden können Regionen auf der NUTS 2-Ebene, falls die Mehrzahl der untergeordneten NUTS 3-Regionen den Schwellenwert nicht überschreitet. Im entgegengesetzten Fall, falls sich also eine benachteiligte NUTS 3Region in einem NUTS 2-Gebiet befindet, dessen untergeordnete NUTS 3Regionen ansonsten oberhalb des Schwellenwertes liegen, gilt die Voraussetzung für die Förderwürdigkeit aber als nicht erfüllt. S60 Die wirtschaftlich am stärksten unterentwickelten Regionen können Beihilfen in Höhe von 75% Netto-Subventionsäquivalent der Erstinvestition erhalten. Für alle weiteren förderwürdigen Regionen erlaubt die Kommission je nach Intensität und Dringlichkeit der wirtschaftlichen Probleme geringere Beihilfeintensitä-
SS8
Damals noch Art. 92 Abs. 2 c) EWGV.
Vgl. Mitteilung der Kommission über die Methode zur Anwendung von Art. 92 Absätze 3a) und c) auf Regionalbeihilfen, in: AbI. Nr. C 212 vom 12.8.1988, S. 2-10. SS9
S60 Vgl. Mitteilung der Kommission über die Methode zur Anwendung von Art. 92 Absätze 3a) und c) auf Regionalbeihilfen, in: AbI. Nr. C 212 vom 12.8.1988, S. 2-10, hier S. 3.
144
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
ten. Bei der Festlegung dieser unterschiedlichen Beihilfeintensitätsgrenzen geht die Kommission im Rahmen ihrer Ermessensbefugnisse vor. Nach diesem Verfahren wählte die Kommission eine Anzahl von Regionen aus, die nach Art. 92 Abs.3 a) EGV durch die Vergabe von Regionalbeihilfen gefördert werden dürfen. Das sind bei Griechenland, Irland und Portugal das gesamte Staatsgebiet, Teile von Italien und Spanien und die französischen Übersee-Departments. Zusätzlich wurden wegen schwerwiegender wirtschaftlicher Probleme auch die Regionen Nord-Irland und Teruel in Spanien in die Liste aufgenommen. Bei der Anwendung des Art. 92 Abs. 3 b) EGV legt die Kommission im Gegensatz zu oben ein Verfahren zugrunde, das die Prüfung der sozialen und wirtschaftlichen Lage einer Region nicht nur im Hinblick auf den gemeinschaftlichen, sondern sowohl im Hinblick auf den nationalen als auch auf den gemeinschaftlichen Durchschnitt ermöglicht. 561 Damit soll auch eine regionalpolitische Förderung von ärmeren Regionen in den entwickelteren Mitgliedstaaten ermöglicht werden. Ziel dieses Prüfverfahrens ist es zu untersuchen, inwieweit die Vergabe von regionalpolitischen Mitteln mit dem Gemeinsamen Markt und dem gemeinsamen Interesse, so wie dieses von der Kommission interpretiert wird562 , vereinbar ist. 563 Das Verfahren wird auf der Grundlage der Gliederung der NUTS 3-Ebene durchgeführt und ist in zwei Prüfschritte untergliedert: Im ersten Prüfschritt wird die wirtschaftliche und soziale Lage einer Region in Relation zur nationalen und gemeinschaftlichen Situation gebracht. Die für eine Beihilfengewährung generell erforderliche regionale Mindestabweichung im nationalen Rahmen liegt vor, falls das Pro-Kopf-Einkommen, gemessen in Bruttoinlandsprodukt oder Bruttowertschöpfung zu Faktorkosten, mindestens 15 % unter dem Landesdurchschnitt liegt beziehungsweise die strukturelle Arbeitslosigkeit wenigstens 10% über dem Landesdurchschnitt liegt. Zur Ermittlung der relativen ökonomischen Lage des jeweiligen Mitgliedstaates innerhalb der Gemeinschaft werden das Pro-Kopf-Einkommen und die strukturelle Arbeitslosigkeit des Mitgliedstaates in Prozent des Gemeinschaftsdurchschnittes ausgedrückt. Hierzu verwendet man Durchschnittswerte innerhalb eines
561 Vgl. Mitteilung der Kommission über die Methode zur Anwendung von Art. 92 Absätze 3a) und c) auf Regionalbeihilfen, in: AbI. Nr. C 212 vom 12.8.1988, S. 2-10, hier S. 4. 562
Vgl. Waniek, Roland, Die Regionalpolitik, S. 118.
VgI. Mitteilung der Kommission über die Methode zur Anwendung von Art. 92 Absätze 3a) und c) auf Regionalbeihilfen, in: AbI. Nr. C 212 vom 12.8.1988, S. 2-10, hier S. 4. 563
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
145
Fünfjahreszeitraumes. Bei der Beurteilung dieser in der ersten Prüfstufe errechneten Indikatoren geht die Kommission so vor, daß die Abweichung einer Region im nationalen Rahmen um so größer sein muß, je besser die Lage eines Mitgliedstaates in Relation zum Gemeinschaftsdurchschnitt ist. Eine Liste mit den Schwellenwerten, die die betreffenden Regionen in einem Mitgliedstaat bezüglich der beiden Indikatoren nicht überschreiten dürfen, wird von der Kommission veröffentlicht In einem zweiten Prüfschritt werden von der Kommission weitere Indikatoren wie die Struktur und Entwicklung der Arbeitslosigkeit, die Bevölkerungsdichte, die demographische Dichte, die Produktivität, die Infrastruktur sowie weitere Faktoren bewertet. Dies soll die Kommission in die Lage versetzen, sich ein genaueres Bild von der Lage der betreffenden Region zu verschaffen. Es liegt im Ermessen der Kommission, die Ergebnisse der beiden Prüfschritte zu bewerten und zu einer Entscheidung bezüglich der Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem EG-Wettbewerbsrecht zu kommen. Ein Rechtsanspruch auf die Zulässigkeit von Beihilfemaßnahmen in bestimmten Regionen aufgrund der Veröffentlichung des Prüfverfahrens besteht nicht; im entgegengesetzten Fall ist es sogar möglich, daß in Regionen, die die Schwellenwerte des ersten Prüfschrittes nicht erfüllen, aufgrund der Ergebnisse der zweiten Stufe Regionalbeihilfen gewährt werden dürfen. 564 Das von der Kommission veröffentlichte Prüfverfahren ist somit nicht als objektiviertes Verwaltungsverfahren anzusehen, sondern soll Hinweise auf die wirtschaftliche Lage einer Region liefern565 , die Grundlage für die Beurteilung durch die Kommission und für der politischen Verhandlungsprozeß sein sollen. Für den Fall, daß die Kommission Regionalbeihilfen als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ansieht, werden den Mitgliedstaaten zusätzlich Beihilfenintensitätshöchstgrenzen, die auch unterhalb der in den Koordinierungsgrundsätzen genannten Sätzen liegen können, vorgegeben. 566 Regionalbeihilfen, die aufgrund einer niedrigen Beihilfenintensität gemeinschaftsweit nur von geringem Belang sind, werden von der Kommission nach Anmeldung allerdings grundsätzlich genehmigt. 567 564 Vgl. Mitteilung der Konunission über die Methode zur Anwendung von Art. 92 Absätze 3a) und c) auf Regionalbeihilfen, in: AbI. Nr. C 212 vom 12.8.1988, S. 2-10, hier S. 5. 565
Vgl. Waniek, Roland, Die Regionalpolitik, S. 119.
Vgl. Mitteilung der Kommission über die Methode zur Anwendung von Art. 92 Absätze 3a) und c) auf Regionalbeihilfen, in: AbI. Nr. C 212 vom 12.8.1988, S. 2-10, hier S. 5. 566
567 Sog. ,,De-minimis-Regelung"; vgl. Beschluß der Kommission. in: AbI. Nr. C 40 vom 20.2.1990, S. 2.
10 Wellenhofer
146
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
e) Beurteilung der Entwicklung der Beihilfenaufsichtspolitik der Kommission Wie in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt worden ist, besitzt die Kommission umfangreiche Möglichkeiten zur Ausübung der Beihilfenaufsicht: Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der angemeldeten nationalen Beihilfen steht ihr ein erheblicher Ermessensspielraum568 zu, den sie aufgrund eigener ordnungspolitischer Vorstellungen ausfüllen kann. Primäres Ziel der Beihilfenaufsicht war es zunächst, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer im Gemeinsamen Markt herzustellen und wettbewerbsverzerrende Beihilfen und nationale Subventionswettläufe in den Mitgliedstaaten zu verhindern. 569 Um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, sollte es die regionale Beihilfenaufsicht der Gemeinschaft verhindern, daß die Mitgliedsstaaten bestimmten Regionen Subventionen zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen gewährten. Daneben hegte man die Befürchtung, daß auch die bisher nicht unterstützten Regionen Beihilfen einforderten, was einen Subventionswettlaufes heraufbeschwören hätte können. 51o Dennoch hatten bis Anfang der siebziger Jahre die nationalen Regierungen eine weitgehende Gestaltungsfreiheit bezüglich ihrer regionalen BeihilfevergabeS1l und die Kommission war bei der Aufsicht von Regionalbeihilfen sehr großzügig. Der Grund dafür mag gewesen sein, daß die regionalen Hilfen gegenüber den ebenfalls in Art. 92 Abs. 3 b) EGV angesprochenen sektoralen Hilfen, für die die Kommission detaillierte Grundsätze entwickelte, zunächst weniger kritisch beurteilt wurden, da die Kommission die Auffassung vertrat, daß Regionalbeihilfen keine sehr allokationsverzerrende Wirkung hätten. Erst als im Verlauf der Rezession in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre immer mehr Mitgliedstaaten begannen, auch in relativ gut entwickelten Regionen Regionalpolitik zu betreiben, wurde von der Kommission der Forderung nach einer gezielten Überprüfung
568 Vgl. Laaser, Claus-Friedrich, Soltwedel, Rüdiger, S. 56; Zippei Wulfdiether, Die ordnungspolitischen Probleme von Subventionen und die Beihilferegeln von EGKSV und EWGV, in: Zippei, Wulfdiether (Hrsg.), Ökonomische Grundlagen der europäischen Integration, München 1993, S. 61-81, hier S. 71 f. 569
Vgl. Kloot, Henning, Stehn, Jürgen et al., S. 75.
510 Zippei, Wulfdiether, Die Implikationen der bisherigen und gegenwärtigen Beihilfepraxis der EG-Kommission für die Zukunft des gemeinsamen Marktes, in: Börner, Bodo, Neundörfer, Konrad (Hrsg.), Recht und Praxis der Beihilfen im Gemeinsamen Markt, Köln et al. 1984, S. 1-22, hier S.4. 511
Vgl. Krieger-Boden, Christiane, S. 82.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
147
der Beihilfepraxis der Mitgliedstaaten erhoben572 und die Wettbewerbskontrolle von Beihilfen im Rahmen einer Berücksichtigung des regionalen Wohlstandes verstärkt. Seit Anfang der siebziger Jahre wird die nationale Regionalpolitik immer stärker in gemeinschaftliche Zielsetzungen eingebunden: Die Kommission versucht nunmehr in zunehmendem Maße, sich bei der Anwendung des Instruments der Beihilfenaufsicht vom Kriterium des sog. "Gemeinschaftsinteresses" leiten zu lassen573 und mit Hilfe einer Beeinflussung der Regionalpolitik der Mitgliedsstaaten aktiv Kohäsionspolitik zu betreiben: Durch eine intensive Vergabe von regionalpolitischen Mitteln in den reicheren Mitgliedstaaten kann das gemeinschaftliche Ziel der Verringerung regionaler Disparitäten empfindlich gestört werden. 574 Diese Gefahr wird um so deutlicher, wenn man bedenkt, daß die mitgliedstaatliche Regionalpolitik insgesamt etwa zwanzigmal so viele Mittel wie die EG-Regionalfonds autbringen. 575 Nach Meinung der Kommission sollen sich jedoch die Wirkungen der Strukturfondsinterventionen und der staatlichen Beihilfen ergänzen und nicht in Widerspruch zueinander stehen.576 Von daher hat die Kommission - vor allem seitdem das Ziel des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in der Gemeinschaft immer stärker in den Vordergrund rückt - ein Interesse, ihre Kompetenzen im Rahmen des Beihilfeaufsichtsrechts zu nutzen. Damit wurde der Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Vergabe von Beihilfen im Zeitablauf eingeengt: Zur Orientierung der Mitgliedstaaten, welche Kriterien von Beihilfen erfüllt werden müssen, um von der Kommission zugelassen zu werden, veröffentlicht die Kommission die sog. Koordi572 Vgl. Kommission, Erster Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaften 1967, BfÜSsei 1968, S. 74. 573 Vgl. Soltwedel, Rüdiger et al., Subventionssysteme und Wettbewerbsbedingungen in der EG, Theoretische Analysen und Fallbeispiele, Kiel 1988, S. 41. 574 Vgl. Ridinger, Rudolf, EG-Regionalpolitik, Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt in der Europäischen Gemeinschaft, Hamburg 1992, S. 53. 575 Vgl. Gerstenlauer, Hans-Georg, Regional- und Strukturpolitik der EG im Europäischen Binnenmarkt, in: Der Europäische Binnenmarlct, Die Dienstleistungs- und Freizeitgesellschaft BadenWürttembergs, Hannover 1990, S. 7-32, hier S. 16. Dieses Verhältnis gilt auch für den Bereich der Investitionsheihilfen; vgl. Marques, Alfredo, Regionalbeihilfen und Kohäsion, in: RuR, Ig. 52 (1994), Heft 2, S. 127-137, hier S. 130. Zur Darstellung einzelstaatlicher Regionalbeihilfen vgl. Yuill Douglas, Allen, Kevin (Hrsg.), European Regional Incentives, Directory and Review of Regional Grants and Other Aid Available for Industrial and Business Expansion and Relocation in the Member State ofthe European Community and Sweden, 11. Aufl., London 1991. 576 Vgl. Kommission, Zweiter Bericht über staatliche Beihilfen in der Europäischen Gemeinschaft zugunsten der verarbeitenden Industrie und bestimmter Wirtschaftszweige, Luxemburg 1990, S. 5.
10"
148
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
nierungsgrundsätze. Beschränkten die beiden ersten Fassungen der Koordinierungsgrundsätze von 1971 und 1973 die Beihilfenintensitätshöchstgrenzen nur für die stark industrialisierten Gebiete der Gemeinschaft, so wurden diese im Rahmen der Koordinierungsgrundsätze von 1975 auf alle Regionen der Gemeinschaft ausgedehnt und mit Hilfe der Bildung von vier Gebietsklassen je nach Entwicklungsstand konkretisiert. Im Jahr 1979 wurden die Fördersätze für die ärmeren Regionen der Gemeinschaft stark erhöht. Seit 1985 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, nationale Regionalbeihilfen nur im Rahmen von Regionalentwicklungsprograrnmen zu vergeben. 577 Seit diesem Jahr versucht die Kommission zudem, in Verhandlungen mit den reicheren Mitgliedstaaten die tatsächlichen Fördersätze unter die in den Koordinierungsgrundsätzen festgelegten Höchstsätze zu drücken und die Anteile der Ausdehnung der Fördergebiete zu verringern. S78 Im Rahmen der Beihilfenaufsicht besitzt die Kommission das Recht, Verbote in einem Bereich zu fallen, in dem sie keine originäre positive Handlungskompetenz im Sinne einer Zuständigkeit für die Gewährung von Regionalbeihilfen besitzt: 579 Die Kommission hat keine Möglichkeit, die nationalen Regionalpolitiken direkt mitzugestalten, sondern nur, die Mitgliedstaaten zur Gewährung von auch gemeinschafts politisch erwünschten Beihilfen zu ermächtigen. 58o Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten besitzt die Kommission eine Beihilfenkontrollbefugnis, die das Recht zum Verbot von einzelstaatlichen Regionalbeihilfen miteinschließt. 581 Damit geht das Beihilfeaufsichtsrecht der Gemeinschaft über das ihr in Fragen der allgemeinen Wirtschaftspolitik üblicherweise zugestandene Koordinierungsrecht bezüglich der nationalen Politiken hinaus. 582 Dennoch besitzt die Kommission keine Befugnis zu einer eigenen allgemeinen Wirtschaftspolitik. 583 Daraus folgt, daß die nationalen Regionalpolitiken in ihrem Kern nicht angetastet werden dürfen und die gemeinschaftliche Regionalpolitik nur zusätzlichen Charakter aufweisen kann. Auch Art. 130 b EGV betont 577
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, in: AbI. Nr. L 169 vom 28.6.1984.
578
Vgl. Laaser, Claus-Friedrich, Soltwedel, Rüdiger, S. 68.
579
Vgl. Gläsner, Adrian, S. 110.
Dabei sieht sich die Kommission in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgeprägten Tendenzen zur regionalen oder sektoralen Subventionierung gegenüber; vgl. hierzu ausführlicher Neundörfer, Konrad, Politik und Judikatur der EG im Bereich der sektoriellen Beihilfen, in; Börner, Bodo, Neundörfer, Konrad (Hrsg.), Recht und Praxis der Beihilfen im gemeinsamen Markt, Köln et al. 1984, S. 83-110, hier S. 84 f. 580
581
Vgl. Gläsner, Adrian, S. 110.
582
Vgl. nächster Abschnitt.
583
Vgl. Püttner, Günter, Spannowsky, Willy, S. 97 ff.; Franke, Jürgen, S. 67.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
149
ausdrücklich die unterstützende Rolle der gemeinschaftlichen Instrumente bei der Erreichung des Ziels des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts. Dennoch besitzt die Kommission aufgrund der Vorgabe des Rahmens der Koordinierungsgrundsätze, die die Grundlage für die Verhandlungen zwischen ihr und den Mitgliedstaaten darstellen, mittlerweile bereits die Möglichkeit, die nationalen Regionalpolitiken so zu beeinflussen, daß diese nicht dem Ziel des Abbaus der regionalen Disparitäten widersprechen. Dafür hat die Kommission für die einzelnen Regionen das abgestufte System der Beihilfefähigkeit entwikkelt: Damit kann eine Anzahl von Gebieten in der Gemeinschaft nicht gefördert werden und die förderfähigen Regionen erhalten abgestufte Beihilfen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Lage: 584 Je schwächer eine Region ist, desto eher erlaubt die Kommission eine nationale Beihilfevergabe und desto höhere Beihilfesätze sind möglich. Da sich die Kommission bei der Ausübung ihres Beihilfeaufsichtsrechts vor allem an an der Gemeinschaft gemessenen Durchschnittswerten orientiert, wird insbesondere der regionalpolitische Handlungsspielraum der wirtschaftsstärkeren Mitgliedstaaten beschnitten, da die Kommission um so eher eine nationale Förderung verbieten bzw. einschränken wird, je größer der Abstand des nationalen Durchschnittswertes vom Gemeinschaftsdurchschnitt ist. 585 Die ursprüngliche wettbewerbspolitische Ausrichtung der Beihilfenaufsicht ging so im Lauf der Zeit mehr und mehr verloren und die Beihilfenaufsicht steht immer stärker im Dienst der gemeinschaftlichen Regionalpolitik,586 die sich ihrerseits wieder in den Dienst der Verringerung der Disparitäten stellt. S87 Dies bedeutet eine Verstärkung der Regionalpolitik. Art. 92 EGV verpflichtet zunächst nur die Mitgliedstaaten zum Schutz der Wettbewerbsbedingungen. Seit Beginn des Jahres 1985 verpflichtet sich die Kommission aber in der Verordnung über den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung selbst, bei der Vergabe von Fördermittein die Koordinierungs-
584 Vgl. Mitteilung der Kommission über die Methode zur Anwendung von Art. 92 Absätze 3a) und c) auf Regionalbeihilfen, in: AbI. Nr. C 212 vom 12.8.1988, S. 2-10; Lammers, Konrad, Mehr regionalpolitische Kompetenzen für die EG im Europäischen Binnenmarkt?, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Regionale Wirtschaftspolitik auf dem Wege zur europäischen Integration, Hannover 1992, S. 70-82, hier S. 74. 585 Vgl. Beckmann, Karin, Probleme der Regionalpolitik im Zuge der Vollendung des europäischen Binnenmarktes, Eine ökonomische Analyse, Frankfurt et al. 1995, S. 128 f. 586 Vgl. Krieger-Boden, Christiane, S. 86. 587 Vgl. Laaser, Claus-Friedrich, Soltwedel, Rüdiger, S. 68.
150
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
grundsätze zu beachten.588 Dies hat zur Folge, daß die Fondspolitik abhängig wird von den Zielen der Beihilfenkontrollpolitik und sich ihr damit unterzuordnen hat. Insbesondere sieht die Verordnung auch vor, daß die Festlegung und Änderung der Fördergebiete, die für eine Mittelvergabe des EFRE in Frage kommen, unter dem Vorbehalt der Anwendung von Art. 92 ff. EGV steht. Auch dies wird zum Teil als "Verstärkung" der Europäischen Regionalpolitik gesehen. 589 Nahe liegt auch die Vermutung, daß durch diesen Schritt die Entwicklung hin zu einer starken Beschränkung der Fördergebiete begünstigt wurde. Die immer stärker werdende Beschneidung der Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bezüglich ihrer nationalen Regionalpolitik kann v. a. zu einer Verringerung der Flexibilität, auf unvorhergesehene Entwicklungen schnell reagieren zu können, führen und ist deshalb nicht unumstritten: Differenzen zwischen der Kommission und den Mitgliedsstaaten, die in der Gewährung von Regionalbeihilfen ein wichtiges Element ihrer Wirtschaftspolitik sehen, sind vorprogrammiert. 590 So mußte die EG-Kommission nicht unerhebliche Überredungskunst anwenden, um in der BRD eine starke Verringerung der von der Bundesoder Landesförderung begünstigten Fördergebiete zu erreichen: Mitte der achtziger Jahre betrafen die Förderregionen 45% der Bundesbevölkerung, Anfang der neunziger nur noch 27% (alte Bundesländer).S9\ Umstritten ist aber auch die grundsätzliche Frage, ob es richtig ist, mit Hilfe der Beihilfenaufsicht das gemeinschaftliche Ausgleichsziel zu verfolgen. Problematisch erscheint dies deshalb, weil damit die ursprüngliche Aufgabe der Wettbewerbskontrolle, für gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen im Einheitlichen Markt zu sorgen, verletzt wird. 592 Der Erreichung des regionalpolitischen Ausgleichsziels ist die derzeitige Beihilfenaufsicht, so unbequem sie für reichere Mitgliedstaaten auch sein mag, offensichtlich durchaus förderlich.
588
VgI. VO Nr. 1787/84 vorn 19.6.1984, Art. 44, in: AbI. Nr. L 169, S. 15.
589
VgI. Krieger-Boden, Christiane, S. 84.
590
VgI. Thiesing, Jochen, Vorbemerkung, Rdnr. 9.
Vgl. Die Bundesregierung, Zwanzigster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für den Zeitraum 1991 bis 1994 (1995), BT-Drucksache 121895 vorn 3.7.1991, S. 20 f. 591
592
Vgl. Larnrners, Konrad, Mehr regionalpolitische Kompetenzen, S. 74.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
151
6. Die Koordinierung nationaler und gemeinschaftlicher Politikbereiche
a) Begründung und Systematik der Koordinierung
Da der Prozeß der Integration noch nicht abgeschlossen ist, werden regionale Entwicklungsunterschiede im Gemeinschaftsgebiet von wirtschaftspolitischer Seite her nicht nur durch den Einsatz des regionalpolitischen Instrumentariums auf Gemeinschaftsebene, sondern auch durch entsprechende nationale Politiken beeinflußt. 593 Hinzu kommt, daß neben den jeweils spezifisch regionalpolitischen Instrumenten auch andere Bereiche der Wirtschaftspolitik - zum Teil gewollte - regionale Effekte aufweisen. Soll verhindert werden, daß die Erreichung des Ziels des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts durch die Regionalpolitiken der Mitgliedstaaten und die übrigen regionalpolitisch relevanten nationalen und gemeinschaftlichen Wirtschaftspolitiken neutralisiert oder konterkariert wird, müssen diese mit der gemeinschaftlichen Regionalpolitik abgestimmt werden. Ziel dieser Abstimmung ist eine gemeinschaftliche regionale Konzeption, die Widersprüche zwischen den mitgliedstaatlichen und gemeinschaftlichen Politiken in Bezug auf das regionale Ausgleichsziel aufzulösen in der Lage ist.594 Diese Abstimmung wird im EG-Sprachgebrauch auch als "Koordinierung" oder "Koordination" bezeichnet. Unter Koordinierung ist im vorliegenden Zusammenhang die Harmonisierung bzw. Ausrichtung von wirtschaftspolitischen Maßnahmen in Bezug auf ein bestimmtes Ziel zu sehen. 595 Die Koordinierung der verschiedenen regionalpolitisch relevanten Instrumente auf Gemeinschaftsebene (sog. "horizontale" Koordinierung) betrifft deren gemeinsame Ausrichtung auf das Ziel des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts. Dies hat zur Folge, daß bei jeder politischen Maßnahme der Gemeinschaft deren räumliche Effekte insofern berücksichtigt werden, als sie zu einer Verringerung der regionalen Ungleichgewichte beitragen muß und nicht 593
Vgl. No6, Claus, 19,5 Milliarden, S. 16.
Vgl. ähnlich Stabenow, Wolfgang, Titel V, S.4; zum Umfang der Koordinierung vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 1 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 169, S. 2. 594
595 Der hier verwendete Koordinierungsbegriff geht damit inhaltlich über den in der Literatur teilweise verwendeten hinaus, der nur Maßnahmen t>e'trifft, die dazu beitragen, nationale Politik international aufeinander abzustimmen; vgl. Fabeck, Rudolf, Fiskalpolitische Koordination in der EG, Möglichkeiten und Grenzen der internationalen Koordination der Fiskalpolitik, Frankfurt et al. 1995, S. 16; Kloten, Norbert, Die Koordinierung westlicher Wirtschaftspolitik, in: Kaiser, Karl, Schwarz. Hans·Peter (Hrsg.), Weltpolitik, Struktur - Akteure - Perspektiven, Bonn 1987, S. 378397, hierS. 379.
152
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
zu einer Erhöhung der Disparitäten führen darf. 596 Die Entscheidungen werden bei der horizontalen Koordinierung auf einer Ebene, der gemeinschaftlichen, getroffen. Da diese Ebene allein die Art, den Umfang und den Einsatzzeitpunkt der wirtschaftspolitischen Instrumente zur Zielerreichung bestimmt, kann es zu keinen Konflikten mit anderen Entscheidungsträgerebenen kommen. Bei der Koordination wirtschaftspolitischer Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf der Gemeinschaftsebene (sog. "vertikale" Koordination) ist mehr als eine Entscheidungsträgerebene betroffen. Hier besteht, insbesondere auch im Bereich regionalpolitischer Zuständigkeiten, eine Kompetenzkonkurrenz von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten. Deshalb kann es zu Konflikten kommen, wenn die Interessen der einzelnen Entscheidungsträger nicht deckungsgleich sind bzw. das Ausmaß der sich aus der Koordinierung ergebenden Kompetenzbeschneidung umstritten ist. Insofern verdient der Inhalt des Begriffes Koordination in Hinblick auf das Wechselspiel dieser beiden politischen Ebenen besondere Beachtung. b) Vertikale Koordinierung der allgemeinen Wirtschaftspolitik
Aufgrund der erwarteten Unwirksamkeit isolierter nationaler Wirtschaftspolitiken im Gemeinsamen Markt und der nicht unerheblichen Auswirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen einzelner Mitgliedstaaten auf andere Mitgliedstaaten in einem Gemeinsamen Markt597 sah bereits der EWG-Vertrag von 1957 eine Koordination der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Ziele der Gemeinschaft vor. 598 Da zu diesen Zielen neben den in Art. 2 und 3 EWGV genannten Aufgaben auch die in der Präambel genannten Erwägungsgrunde gehören,599 ist davon auszugehen, daß die Mitgliedstaaten schon seit Gründung der Gemeinschaft ihre Wirtschaftspolitik in Hinblick auf die Verringerung des Abstandes zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete koordinierten. Der Begriff der Wirtschaftspolitik erstreckt sich hierbei auf die Wirtschaftspolitik im weitesten Sinne als Wirtschaftspolitik, Währungspolitik, Sozialpolitik usw., es sei denn, daß andere Vertragsbestimmungen für einen 596 Vgl.
Kommission, Die Europäische Gemeinschaft und ihre Regionen, Luxemburg 1985,
S.7.
597 Vgl. Harbrecht, Wolfgang, Die Europäische Gemeinschaft, S. 202. 598 Vgl. Art. 6 Abs. 1 EWGV in Verbindung mit Art. 3 g), Art. 105 Abs. 1 und Art. 145 EWGV. 599 Vgl. Wohlfahrt, Ernst, Everiing, Ulrich, Gläsner, Joachim, Sprung, Rudolf, Die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft, Kommentar zum Vertrag, BerIin-Frankfurt 1960, S. 14.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
153
bestimmten Politikbereich bereits eine einheitliche Politik (z. B. Handelspolitik, Agrarpolitik, Wettbewerbspolitik) vorsehen. Die zu koordinierenden Politikbereiche sind aber als grundsätzliche Angelegenheiten der Mitgliedstaaten anzusehen. Dies bedeutet, daß die Ausrichtung auf gemeinsame Ziele nicht dazu führt, daß auch die einzelnen nationalen Politiken gleich sind. 600 Die Koordination zwischen den Mitgliedstaaten in Hinblick auf gemeinschaftliche Zielsetzungen (vertikale Koordination) ist vielmehr als ein Verfahren zur Abstimmung von Maßnahmen zu verstehen, das von der Zuständigkeit jeweils selbständiger Maßnahmen ausgeht601 und die Pflicht zur gegenseitigen Unterrichtung über wirtschaftspolitische Absichten und Notwendigkeiten beinhaltet. Darüber hinaus setzt die Koordinierung die Vereinbarung gemeinsamer Ziele und die Abstimmung der Auswahl, des Umfanges und des Einsatzzeitpunktes des wirtschaftspolitischen Instrumentariums voraus. 602 Die Koordinierung führt so zur Einschränkung der freien Ausübung der Kompetenzen in den Mitgliedstaaten, zu einem völligen Kompetenzverlust kann es, wie schon erwähnt, allerdings nicht kommen. Die in Art. 6 des ursprünglichen EWGV aufgeführten Bestimmungen zur Koordination stellen eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit sowohl mit anderen Mitgliedstaaten als auch mit den Organen der Gemeinschaft dar. 603 Nach Art. 145 EWGV ist das spezifische Gremium, in dem die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik koordinieren, der Rat. Die Kommission hat lediglich die Aufgabe, dem Rat Empfehlungen zu unterbreiten (Art. 105 Abs. 1 EWGV). Im Rahmen der EEA 1986 wurde der Koordinierungsgedanke von den Mitgliedstaaten dann speziell für das Ziel des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in den Art. 130 b EWGV aufgenommen. Danach ist es an erster Stelle Sache der Mitgliedstaaten, ihre Wirtschaftspolitik so zu gestalten und zu koordinieren, daß die Ziele von Art. 130 a EWGV erreicht werden.
Der Vertrag von Maastricht bestätigt dies in Art. 103 Abs. 1 EGV in Verbindung mit Art. 102 a EGV grundsätzlich. Daneben wird der Katalog der Ziele, 600 Vgl. Krämer, Hans-R., TitellI, Die Wirtschaftspolitik, in: Grabitz, Eberhard, Hilf, Meinhard, Kommentar zur Europäischen Union, München 1994, S. 2.
60l Vgl. Krämer, Hans-R., Formen und MeIhoden der internationalen wirtschaftlichen Integration, Versuch einer Systematik, Kieler Studien Nr. 95, Tübingen 1969, S.59 f.; Krämer, Hans-R., Art. 105, in: Grabitz, Eberhard, Kommentar zu EWG-Vertrag, München 1990, Rdnr 9. 602 Vgl. Steinherr, Alfred, Konvergenz und Koordinierung makroökonornischer Politiken, Einige grundlegende Fragen, in: Europäische Wirtschaft Nr. 20, Brussel-Luxemburg 1984, S. 71-116, hier S.75. 603
Vgl. Wohlfarth, Ernst, EverIing, Ulrich, Glaesner, Hans Joachim, Sprung, Rudolf, S. 13.
154
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
nach denen sich die Koordinierung auszurichten hat, erweitert: Die Mitgliedstaaten sind danach verpflichtet, ihre Wirtschaftspolitik an den in Art. 103 Abs. 2 EGV genannten Grundzügen, den Zielen der Gemeinschaft im Sinne des Art. 2 EGV, den in Art. 3 a EGV genannten Grundsätzen und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb auszurichten. Eines der Ziele der Gemeinschaft nach Art. 2 EGV ist die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes. Damit wird erneut anerkannt, daß die Mitgliedstaaten beauftragt sind, ihre Wirtschaftspolitiken in Hinblick auf die Erreichung des regionalpolitischen Ausgleichsziels abzustimmen. Die Koordination der Wirtschaftspolitik durch die Mitgliedstaaten unterliegt einem multilateralen Überwachungsmechanismus: Dieser wurde bereits in den beiden Konvergenzentscheidungen des Rates von 1974 und 1990 sekundärrechtlich angelegt604 und im Zuge der Maastrichter Beschlüsse in Art. 103 Abs. 2 bis 4 EGV als Koordinierungsvorschrift primärrechtlich übernommen. Die multilaterale Überwachung nach Art. 103 EGV geht von einer vom Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit verabschiedeten Empfehlung über die Grundzüge der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft aus. 60S Die Erstellung einer derartigen Empfehlung folgt folgendem Verfahren: Zunächst wird vom Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit auf Empfehlung der Kommission ein ,.Entwurf für die Grundzüge der Wirtschaftspolitik" ausgearbeitet und an den Europäischen Rat geleitet. 606 Dieser berät den Entwurf und gibt eine diesbezügliche Schlußfolgerung an den Ministerrat zurück. 607 Der Ministerrat verabschiedet auf Grundlage der Schlußfolgerung die Empfehlung über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik. Auf Grundlage der vom Rat erstellten Empfehlung über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik werden in halbjährigen Abständen608 die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten und in der Gemeinschaft sowie die Vereinbarkeit der Wirtschaftspolitik mit den empfohlenen Grundzügen durch den Rat anband von Berichten der Kommission überwacht und bewertet. 609 Falls der Rat bei der Prüfung der Angaben zu dem Ergebnis gelangt, daß ein Mitgliedstaat 604 Vgl. Entscheidung des Rates vom 18.2.1974, in: AbI. Nr. L 63, S. 16; Entscheidung des Rates vom 12.3.1990, in: AbI. Nr. L 78, S. 23. 605
Vgl. Art. 103 Abs. 2 UAbs. 3 S. 1 EGV.
606
Vgl. Art. 103 Abs. 2 UAbs. 1 EGV.
607
Vgl. Art. 103 Abs. 2 Uabs. 2 EGV.
608 Vgl. Entscheidung des Rates Nr. 90/1411EWG vom 12.3.1990, Art. 1, in: AbI. Nr. L 78 vom 24.3.1990, S. 23.
609
Vgl. Art. 103 Abs. 3 EGV.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
155
gegen die empfohlenen Grundzüge verstößt oder das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion zu gefahrden droht, kann er mit qualifizierter Mehrheit auf Empfehlung der Kommission Empfehlungen an den betreffenden Staat richteten und gegebenenfalls veröffentlichen. 610 Das Erstellen der Empfehlung erfordert zwar lediglich eine qualifizierte Mehrheit; einer Empfehlung fehlt jedoch jegliche Rechtsverbindlichkeit611 , was dem oben genannten Inhalt des Begriffs der Koordinierung entspricht. c) Vertikale Koordinierung der Regionalpolitiken
Neben den Bereichen der allgemeinen Wirtschaftspolitik können auch die spezifischen Regionalpolitiken der Mitgliedstaaten die Erreichung des gemeinschaftlichen Ausgleichsziels gefahrden. In der Fondsverordnung von 1984 ging die Kommission ausführlich auf die Ziele ein, die sie mit der Koordinierung der nationalen Regionalpolitiken ver-· folgt: Die Koordinierung der Leitlinien und Prioritäten der Regionalpolitik der Gemeinschaft mit den einzelstaatlichen Regionalpolitiken soll dazu beitragen, ein höheres Maß an Konvergenz der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten zu verwirkliehen und eine ausgewogenere Verteilung der Wirtschaftstätigkeit im Gemeinschaftsgebiet besser durchsetzen zu können. 612 Damit sollen widersprüchliche oder sich in der Wirkung gegenseitig aufhebende Ergebnisse der Politiken vermieden werden.
Ihren Ursprung hat die Koordinierung nationaler Regionalpolitiken in Hinblick auf gemeinschaftliche Ziele in den im Rahmen der Wettbewerbspolitik aufgestellten Koordinierungsgrundsätzen von 1971.613 Die vertikale Koordinierung der nationalen Regionalpolitiken betrifft auch, aber nicht nur den Bereich der Beihilfenaufsicht: Zweck der Beihilfeaufsicht durch die Kommission ist es, ein gegenseitiges Sich-Überbieten der Mitgliedstaaten zu verhindem. 614 Mit dem Intensitätsgrad der Koordination der nationalen Beihilfepolitiken steigt auch die Fähigkeit der Kommission, das Ziel des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts auf Gemeinschaftsebene zu verfolgen. Die Aufsicht über die
610
VgI. Art. 103 Abs. 4 EGV.
611
Vgl. Art. 189 EGV.
612
VgI. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Präambel, Erwägungsgrund 4, in: AbI. Nr. L 169, S. 1.
613
VgI. Abschnitt 8.9.5.4.1.
614
VgI. Püttner, Günter, Spannowsky, Willy, S. 75.
156
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Beihilfesysteme mit regionaler Zweckbestimmung sieht die Kommission selbst als wesentliches Element der Koordinierung an. 61S Die Koordinierungsgrundsätze werden seit 1975 von Bestimmungen zur Koordination in den Fondsverordnungen ergänzt. Institutionell wird die Koordinierung zwischen Kommission und Mitgliedstaaten dabei getragen durch den Ausschuß für Regionalpolitik, der 1975 zusammen mit dem EFRE ins Leben gerufen wurde. 616 Er wird aufgrund der Befugnisse des Rates geschaffen, für die Abstimmung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaten zu sorgen. 617 Dieser Ausschuß besteht aus je zwei Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission. 618 Grundsätzlich obliegt dem Ausschuß die Aufgabe, Rat und Kommission in allen Fragen im Bereich der regionalen Entwicklung zu beraten. 619 Seine erste Aufgabe bestand indes darin, ein einheitliches Schema für die von den Mitgliedstaaten erstellten regionalen Entwicklungsprogramme auszuarbeiten. 620 Der Ausschuß ist zu den von den Mitgliedstaaten bei der Kommission eingereichten regionalen Entwicklungsprogrammen anzuhören621 bzw. ist seit 1979 berechtigt, diese im Hinblick auf ihre Kohärenz mit den Programmen und Zielen der Gemeinschaft zu prüfen und der Kommission eine Stellungnahme diesbezüglich abzugeben. 622 Weitere konkrete Aufgaben des Ausschusses sind in AbI. Nr. L 73 vom 21.3.75, S. 47 f., geregelt. Insbesondere aufgrund seiner Zusammensetzung aus Vertretern der gemeinschaftlichen und der mitgliedstaatlichen Ebenen wird der Ausschuß als sehr wichtiges Instrument zur Koordinierung der nationalen Regionalpolitiken mit gemeinschaftlichen Zielsetzungen gesehen. 623 Eine weitere zentrale Rolle im Rahmen der Koordinierung spielen die Regionalen Entwicklungsprogramme. Die nach dem Schema des Ausschusses für Regionalpolitik und der Empfehlung der Kommission von den Mitgliedstaaten 61S Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 2 Abs. I, in: AbI. Nr. L 169, S. 2. 616
Vgl. Beschluß des Rates vom 18.3.1975, in: AbI. Nr. L 73, S. 47-48.
617
Vgl. Art. 145 EGV.
618
Vgl. Beschluß des Rates vom 18.3.1975, Art. 3, in: AbI. Nr. L 73, S. 48.
619
Vgl. Stabenow, Wolfgang, Titel V, S. 4.
620
Vgl. Schema der Regionalentwicldungsprogramme, in: AbI. Nr. C 69 vom 24.3.1976, S. 2-6.
621
Vgl. Beschluß des Rates vom 18.3.1975, Art. 2, in: AbI. Nr. L 73, S. 47.
622
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 3 a) Abs. 4, in: AbI. Nr. L 169, S. 2 f.
623 Vgl. Mawson, lohn, Martins, Mario, Gibney, lohn, S. 26; Albrecht, Wilma et al., Raumordnungs- und Regionalpolitik im Rahmen des westeuropäischen Integrationsprozesses, Karlsruhe 1983, S. 107.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
157
auszuarbeitenden Regionalen Entwicklungsprogramme geben die Ziele und Mittel für die Entwicklung der betroffenen Regionen in Form von indikativen Richtwerten an. Die Programme werden von der Kommission und dem Ausschuß für Regionalpolitik bezüglich ihrer Übereinstimmung mit den Zielen der Gemeinschaft überprüft. Anschließend kann die Kommission gegebenenfalls Empfehlungen an die Mitgliedstaaten richten. Die mit den Regionalen Entwicklungsprogrammen zusammenhängenden Informationspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission nehmen ständig ZU: 624 Die Verordnung von 1975 forderte für eine finanzielle Beteiligung des EFRE, daß die geförderten Investitionen sich in ein Regionales Entwicklungsprogramm einfügen, das geeignet ist, die wichtigsten regionalen Ungleichgewichte in der Gemeinschaft zu verringem. 625 Auch die Tatsache, daß das Schema, nach dem die Regionalen Entwicklungsprogramme erstellt werden, vom Ausschuß für Regionalpolitik genormt ist, deutet auf einen Einfluß der gemeinschaftlichen Ebene bei der Planung, Finanzierung und Durchführung der. Programme hin. Daneben wurden die Mitgliedstaaten verpflichtet, der Kommission jährlich Informationen über die Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Lage ihrer benachteiligten Regionen, ihre regionalpolitischen Maßnahmen l!nd die im Vorjahr erzielten Ergebnisse zu übermitteln. 626 Die Fondsverordnung von 1979 geht bezüglich der Berücksichtigung der Ziele der Gemeinschaft einen kleinen Schritt weiter und sprach bereits von der ausdrücklichen Prüfung der Regionalen Entwicklungsprogramme durch die Kommission in Hinblick auf die Kohärenz mit den Programmen und Zielen der Gemeinschaft. 627 Seit 1985 müssen die Mitgliedstaaten zudem im Rahmen der Erstellung der Regionalen Entwicklungsprogramme auch Informationen über ihre nationale Regionalpolitik in Gebieten, die für eine Beteiligung des EFRE nicht in Frage kommen, übermitteln. 628 Damit ist die Kommission in die Lage versetzt, ständig über neue Informationen bei der Ausübung ihres Prüfungsrechts verfügen zu können. 629 Im Rahmen der Strukturfondsreform dehnte die Gemeinschaft ihren bisherigen Einflußbereich von den Tätigkeiten der Planung, Durchführung und Finanzierung der Programme noch auf deren Bewertung aus. Wäh624
Vgl. dazu auch Püttner, Günter, Spannowsky, WiIly, S. 69 ff.
623
Vgl. VO Nr. 724/75 vom 18.3.1975, Art. 6 Abs. 1, in: AbI. Nr. L 73, S. 3.
626 Vgl. VO Nr. 724175 vom 18.3.1975, Art. 6 Abs. 6, in: AbI. Nr. L 73, S. 4. 627 Vgl. VO Nr.724/75 vom 18.3.1975, Art. 6 Abs.4 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 b), in: AbI. Nr. L 73, S. 3 f. 628
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 2 Abs. 3a), in: AbI. Nr. L 169, S. 2.
629
Vgl. Püttner, Günter, Spannowsky, WiIly, S. 71.
158
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
rend die Mitgliedstaaten bisher der Kommission lediglich periodisch Berichte über die eingesetzten Finanzmittel und die Ergebnisse der Regionalmaßnahmen, gemessen in Investitionen und Arbeitsplätzen unterbreiten mußten,630 erfolgt nun eine laufende Effizienzkontrolle der Aktionen mit Hilfe von gemeinsam vereinbarten Meldeverfahren, Stichprobenkontrollen und Ausschüssen. 631 Der Überprüfung dienen jetzt von der Kommission schon bei der Genehmigung der Aktionen festgelegte materielle und finanzielle Indikatoren. 632 Mit Hilfe der laufenden Verfolgung der Gemeinschaftsaktionen soll insbesondere die Erreichung der Ziele der Artikel 130 a und 130 c EGV gewährleistet sein;633 besonderer Wert wird darauf gelegt, daß die Zusammenarbeit zwischen den Dienststellen der Kommission und den nationalen Behörden im Zeichen der "Partnerschaft" stehen soll.634 Zwei weitere Instrumente der vertikalen Koordinierung sind der periodische Bericht über die Lage und sozioökonomische Entwicklung der Gebiete der Gemeinschaft und die Leitlinien und Prioritäten der Regionalpolitik der Gemeinschaft. Der in Abständen von zweieinhalb Jahren von der Kommission vorzulegende Bericht über die Lage und sozioökonomische Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft wird in enger Zusammenarbeit mit dem Ausschuß für Regionalpolitik ausgearbeitet und regelmäßig zusammen mit dem Programm für mittelfristige Wirtschaftspolitik geprüft. Mithilfe dieses Instruments soll die Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft beobachtet werden und die Voraussetzung für die Ermittlung der Prioritäten und Kriterien für die regionale Förderung geschaffen werden635 . Im Jahr 1985 wurde in diesem Zusammenhang die Informationspflicht der Mitgliedstaaten erheblich erweitert: Im Rahmen der Erstellung des periodischen Berichts müssen die Mitgliedstaaten der Kommission nunmehr genaue Informationen übermitteln, mit Hilfe derer die Gemeinschaft die für sie förderungswürdigen Gebiete ermitteln kann. 636
630 Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 2 Abs. 3b) und Art. 14, in: AbI. Nr. L 169, S. 3 und 6.
631 Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 24.6.1988, Art. 25, in: AbI. Nr. L 374, S. 10. 632 Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 24.6.1988, Art. 25 Abs. 2, i~: AbI. Nr. L 374, S. 10. 633 Vgl. VO Nr. 2052/88 vom 24.6.1988, Art. 6 Abs. I, in: AbI. Nr. L 185, S. 13. 634 Vgl. VO Nr. 2052/88 vom 24.6.1988, Art. 4 Abs. I, in: AbI. Nr. L 185, S. 12. 635 Vgl. Püttner, Günter, Spannowsky, Willy, S. 71. 636 Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 2 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 169, S. 2.
IX. Weitere regionalpolitische Instrumente der Gemeinschaft
159
Die Leitlinien und Prioritäten der Regionalpolitik der Gemeinschaft637 schließlich werden auf der Grundlage des periodischen Berichtes von der Kommission erstellt. Sie stellen eine Absichtserklärung der Kommission bezüglich ihrer regionalpolitischen Ziele dar, sind aber kein für die Mitgliedstaaten verbindlicher Rechtsakt. Die Leitlinien und Prioritäten werden regelmäßig· im Rat auf der Grundlage des periodischen Berichts erörtert. In der Verordnung Nr. 2052/88 schließlich wurden die verschiedenen Koordinierungsarten begrifflich neu geordnet: Die Kommission bezeichnet die "vertikale Koordinierung", also die Abstimmung zwischen Kommission und Mitgliedstaaten bzw. den entsprechenden nationalen, regionalen und lokalen Behörden nunmehr als "Konzertierung", während sich der Begriff der "Koordinierung" nur noch auf die Abstimmung zwischen den einzelnen Fonds einerseits und zwischen diesen und der EIß und den sonstigen vorhandenen Finanzinstrumenten, also die "horizontale" Koordinierung bezieht. 638
d) Horizontale Koordinierung Die Koordinierung der räumlich wirkenden Instrumente auf Gemeinschaftsebene (horizontale Koordinierung) betrifft einerseits die engere Verzahnung der drei Strukturfonds EFRE, ESF und EAGFL, Abteilung Ausrichtung, andererseits auch die EGKS, die EIß, das NGI und sonstige Mittel des Gemeinschaftshaushalts, die für regionale oder strukturpolitische Maßnahmen bestimmt sind. 639 Die Idee der horizontalen Koordinierung erschien ursprünglich bereits in der Regionalfondsverordnung von 1984; im Zuge der Strukturfondsreform wurde sie in den Art. 130 d EWGV aufgenommen und in den daraus hervorgegangenen fünf Strukturfondsverordnungen von 1988 präzisiert. Die Koordinierung will mit Hilfe einer Mittelkonzentration eine ausgewogenere Verteilung der Wirtschaftstätigkeit im Gemeinschaftsgebiet erreichen640 und dabei vermeiden, daß regionale Inzidenzen der verschiedenen Politiken auftreten, die einander entgegengesetzte Wirkungen aufweisen können. 641 Ein wesentliches Instrument der horizontalen Koordinierung stellen die integrierten Programme dar.
637
Vgl. VO Nr. 1787/84, Art. 2 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 169 vom 28.6.1984, S. 2.
638
Vgl.
va Nr. 2052/88 vom 24.6.1988,
Art. 3 Abs.5 und Art. 4 Abs. I, in: AbI. Nr. L 185,
S.12. 639
Vgl. VO Nr. 4253/88 vom 24.6.1988, Präambel und Art. 3, in: AbI. Nr. L 374, S. 1 und 3.
640
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Präambel, in: AbI. Nr. L 169, S. 1.
641
Vgl. VO Nr. 1787/84 vom 19.6.1984, Art. 1 Abs. 2, in: AbI. Nr. L 169, S. 2.
160
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
An ihrer Finanzierung wirken mehrere Gemeinschaftsinstrumente, die inhaltlich aufeinander abgestimmt sind, mit. Mit der horizontalen Koordinierung wird de facto das regionale Ausgleichsziel hierarchisch über die Ziele der sonstigen angesprochenen Politiken gestellt. Möglicherweise auftretende Abstimmungsprobleme könnten den Erfolg der Koordinierungsbemühungen aber in Frage stellen. 642 Insbesondere die Tatsache, daß die verschiedenen Fonds von unterschiedlichen Generaldirektionen in BrüsseI verwaltet werden, wirkt sich negativ auf Koordinierungserfolge aus. Nach einem Bericht des EG-Rechnungshofes ist die Koordinierung zwischen den Fonds noch nicht ausreichend vorhanden und besteht z. T. lediglich in einer Sammlung jeweils selbständig aufgestellter Teilprogramme. 643 Insgesamt bleibt für den gesamten Bereich der Koordinierung aber festzuhalten, daß die Koordinierung für eine abgestimmte Ausrichtung des regional wirkenden Instrumentariums im Gemeinschaftsraum erforderlich ist und aus diesem Grund auch das hierbei mittlerweile erreichte Koordinierungsausmaß unvermeidlich ist, auch wenn dabei teilweise der Handlungsspielraum von einzelnen Mitgliedstaaten eingeschränkt wird.
X. Zusammenfassende Bewertung des regionalpolitischen Instrumentariums der Gemeinschaft 1. Bedeutung der gemeinschaftlichen Regionalpolitik
Die Europäische Gemeinschaft weist - wie jede Raumaggregation - regionale Ungleichgewichte auf. Obwohl das grundsätzliche Ziel, den Abstand zwischen den Regionen der Gemeinschaft zu verringern, schon in der Präambel des Gründungsvertrages enthalten ist, waren in den Gründungsverträgen neben der EIB kaum regional wirkende Instrumente vorgesehen. Nicht zuletzt der Beitritt relativ wenig entwickelter Mitgliedstaaten trug aber dazu bei, daß der regionalen Dimension zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt wurde. 644 Wie die vorangehenden Abschnitte aber zeigten, entwickelte sich mit der Einrichtung des Regionalfonds 1975 die Regionalpolitik dann zu einem der dynamischsten und wichtigsten Politikbereiche der Gemeinschaft. 642
Vgl. Waniek, Roland, Die Regionalpolitik, S. 137 f.
Vgl. Rechnungshof der Europäischen Gemeinschaften, Stellungnahme Nr.2 1992, Luxemburg 1992, S. 18 f. 643
644
Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 53, Brüssel-Luxemburg 1993, S. 51.
X. Zusammenfassende Bewertung des regionalpolitischen Instrumentariums
161
Herausragendstes Merkmal der gemeinschaftlichen Regionalpolitik ist ihre steigende Bedeutung im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses, die sich in folgenden Entwicklungen widerspiegelt: Ein erstes Indiz für den Stellenwert eines Politikbereiches ist seine verfassungsmäßige Verankerung. Grundlage für ein konkretes regionalpolitisches Tätigwerden auf Gemeinschaftsebene waren zunächst die von Art. 235 EWGV und der Präambel abgeleiteten Verordnungen. Seit 1987 besteht mit dem in den EWGV eingefügten Titel "Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt" für die Regionalpolitik eine eigene verfassungsmäßige Kompetenz. Diese Stärkung des verfassungsmäßigen Rangs bedeutet eine Verstärkung der strukturpolitischen Komponente der Integrationsverträge645 und ist gleichzeitig die Grundlage auch für einen weiter gefaßten Kompetenzbereich der Gemeinschaft im Bereich der Regionalpolitik. Im Rahmen der Maastrichter Beschlüsse wurde das gemeinschaftliche Ziel des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts durch die Aufnahme in Art. 2 und 3 EGV weiter formal aufgewertet. Ein zweiter Aspekt ist die zunehmende Verlagerung nationaler regionalpolitischer Kompetenzen auf die Gemeinschaftsebene. Dies führt dazu, daß die diesbezügliche Kompetenz der Gemeinschaft ständig anwächst, während die Kompetenzen der Mitgliedstaaten abnehmen. 646 Die einzelnen Etappen dieses "dynamischen Entwicklungsprozesses"647 müssen vor dem Hintergrund des fast vierzigjährigen Integrationsprozesses der Gemeinschaft gesehen werden. 648 In dessen Verlauf kam es zu einer beabsichtigten Bündelung von bislang nationalstaatlichen Steuerungsaufgaben bei der Gemeinschaft. 649 Die Übertragung nationaler Politikbereiche auf die Gemeinschaftsebene entspricht dem schon in der Präambel zum EWG-Vertrag geäußerten Willen der Signatarstaaten, einen immer enger werdenden Zusammenschluß der europäischen Völker herbeiführen zu wollen. 650 Dabei würde ein zu starkes regionales Entwicklungsgefälle den 645 Vgl. Stabenow, Wolfgang, S. 1. 646
Vgl. Laaser, Claus-Friedrich, Soltwedel, Rüdiger et al., S. 64.
647 Vgl. Hilligweg, Gerd, EG-Regionalpolitik, Auswirkungen auf Nordrhein-Westfalen, in:
Fortbildung, Zeitschrift für Führungskräfte in Verwaltung und Wirtschaft, Jg.37 (1992), Heft 2, S. 38-40, hier S. 40.
648 Vgl. Biehl, Dieter, Ein begrenztes, aber substantielles Reformpaket, Zum Brüsseler Reformgipfel, in: Integration, Jg. 11 (1988), Heft 2, S. 64-74, hier S. 64. 649 Vgl. Renzsch, Wolfgang, Europa der Regionen, Institutionelle Grenzen, aber politische Spielräume, in: Reihe Eurokolleg Heft 11 1991, S. 1-12, hier S. 2. 650 Vgl. Zuleeg, Manfred, Präambel, in: von der Gröben, Hans, Thiesing, Jochen, Ehlermann, Claus-Dieter, Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl., Baden-Baden 1991, S. 51-63, hier S. 55. 11 Wellenhofer
162
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen RegionalpoIitik
Prozeß der europäischen Integration hemmen.651 Die immer stärkere Beeinträchtigung der nationalen Regionalpolitiken und die gleichzeitige Ausweitung der gemeinschaftlichen Regionalpolitik führen zu einer tendenziellen Verlagerung der Regionalpolitik im Gemeinschaftsgebiet von der nationalen auf die EG-Ebene. Bei den aktuell bestehenden Rechtsvorschriften findet das regionalpolitische Handeln der Gemeinschaft seine Grenze in der Frage der Wirksamkeit der regionalen Probleme: Wird durch sie das reibungslose Funktionieren des gemeinsamen Wirtschaftsraums bzw. des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts gestört, ist die Gemeinschaft gefordert; sind die Auswirkungen dagegen räumlich begrenzt, sind die Mitgliedstaaten zuständig. 652 Man muß aber davon ausgehen, daß die Kommission auf dem Gebiet der Regionalpolitik seit der Unterbreitung ihrer Vorschläge zur Schaffung einer gemeinsamen Regionalpolitik an den Rat 1973 das Ziel hat, langfristig eine integrierte Politik der Regionalentwicklung zu erreichen und damit die nationalen Politiken zu ersetzen. 6S3 Insofern darf auch die Beihilfenpolitik der Gemeinschaft als Politikbereich nicht isoliert gesehen werden, sondern ist als Teil der regional ausgerichteten Gesamtpolitik der Gemeinschaft zu betrachten. 654 Deswegen weist die Kommission in ihren Berichten zur Wettbewerbspolitik zunehmend auf den immer enger werdenden Zusammenhang zwischen Beihilfenaufsicht und Strukturpolitik hin. 6SS Eine umfassende Raumordnungspolitik übt die Gemeinschaft allerdings noch nicht aus. 656 Die vom Rat und dem Europäischen Parlament initiierte Mitteilung der Kommission mit dem Titel "Europa 2000: Perspektiven der künftigen Raumordnung der Gemeinschaft",6S7 die als unverbindlicher Bezugsrahmen für die Information der nationalen, regionalen und lokalen Pla651 Vgl. McNamara, Brendan, S. 21. 652 Vgl. Stabenow, Wolfgang, S. 2. 653 Vgl. Thomson, George, S. 40. 654 Vgl. Koenigs, Folkrnar, Die neuere Entwicklung des EG-Kartel1rechts, in: Schwarze, 1ücgen
(Hrsg.), Der Gemeinsame Markt, Bestand und Zukunft in wirtschaftsrechtlicher Perspektive, Baden-Baden 1987, S. 137-157, hier S. 137.
655 Vgl. Kommission, 21. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1991, Brüssel-Luxemburg 1992, S. 12; Kommission, 15. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1985, Brüssel-Luxemburg 1986, S. ll; ähnlich Kommission, 23. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1993, Brüssel-Luxemburg 1994, S. 16 f. 656 Dazu fehlt der Bezug auf das gesamte Gemeinschaftsgebiet und die Ausrichtung auf über sozioökonornische Ziele hinausgehenden Zielsetzungen. 657 Vgl. Kommission, Europa 2000, Perspektiven der künftigen Raumordnung der Gemeinschaft, Luxemburg 1991. Zur Kritik an dieser Kommissionsrnitteilung vgl. ausführlich Knapp, Wolfgang, ,,Europa 2000", Raumordnung als Appendix der Binnenmarktstrategie, in: RuR, 19. 51 (1993), Heft I, S. 18-27.
x. Zusammenfassende Bewertung des regionalpolitischen Instrumentariums
163
nungsbehörden bei Fragen der Raumplanung dienen soll, könnte allerdings ein erster Schritt in diese Richtung sein. 658 Eng mit dem zweiten ist ein dritter Gesichtspunkt verbunden, die wachsende Implementierung gemeinschaftlicher anstelle von nationalen Zielsetzungen im Rahmen der gemeinschaftlichen Regionalanstrengungen. Dieser Aspekt läßt sich an der Entwicklung der Fördermodalitäten und der Anwendungsbestimmungen der einzelnen Instrumente ablesen: Der EFRE, der seine Mittel nach der ursprünglichen Fondskonzeption nach rein nationalen Kriterien vergab, finanziert seit 1979 in zunehmendem Maß spezifische Gemeinschaftsmaßnahmen nach eigenen, gemeinschaftlichen Kriterien. Die Strukturfondsreform führte 1987 zu einer Konzentration auf gemeinschaftsweit geltende Ziele. Die Regionalen Entwicklungspläne, die ursprünglich von den einzelnen Mitgliedstaaten autonom aufgestellt werden konnten, werden seit der Strukturfondsreform in jeder Phase auch von der Gemeinschaftsebene mitbestimmt. Der Kohäsionsfonds fördert den Auf- und Ausbau transeuropäischer Netze nach Leitlinien der Gemeinschaft. Ebenso schöpft die Kommission im Rahmen der Beihilfenaufsicht ihren Ermessensspielraum immer stärker aus und orientiert sich an eigenen regionalpolitischen Vorstellungen: Bei dem seit 1987 angewandten Prüfverfahren für Art. 92 Abs. 3a EGV gilt als Referenzmaßstab ausschließlich der Gemeinschaftsdurchschnitt, bei Art. 92 Abs. 3c gelten seit 1983 sowohl der gemeinschaftliche als auch der nationale Durchschnitt. Ein vierter Aspekt der steigenden Bedeutung der gemeinschaftlichen Regionalpolitik ist die Erweiterung des Instrumentariums, mit dem die Gemeinschaft explizit regionalpolitische Ziele verfolgt: Obwohl der EAGFL, der ESF und die EIB schon seit ihrer Einrichtung z. T. regionalpolitische Ziele verfolgen, werden sie erst 1987 im Rahmen der Strukturfondsreform verstärkt in die gemeinschaftliche Regionalpolitik eingebunden. Bereits seit den 70er Jahren wird auch der Gestaltungsspielraum des EWGV in Zusammenhang mit dem Beihilfenaufsichtsrecht von der Kommission zunehmend ausgefüllt659 und das zunächst rein wettbewerblich ausgerichtete Beihilfenaufsichtsrecht zunehmend auf nationale regionalpolitische Entscheidungen angewandt. Insgesamt existiert mittlerweile eine Anzahl von Instrumenten, mit denen die Gemeinschaft explizit regionalpolitische Ziele verfolgen will: Die drei traditionellen Strukturfonds EFRE, EAGFL, Abteilung Ausrichtung, und ESF, der neue Kohäsionsfonds, die 658 Vgl. Siebeck, Jürgen, Europa 2000, Vorstellungen der EG zur räumlichen Entwicklung in Europa unter besonderer Berücksichtigung der Veränderungen im Osten, in: RuR, Jg. 50 (1992), Heft 3/4, S. 99-106, hier S. 105. 659
11'
Vgl. Zippei, Wulfdiether, Die Implikationen, S. 4.
164
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
EIB mit dem NGI und schließlich die Wettbewerbspolitik und das Instrument der Koordinierung. Dabei wird die regionale Entwicklung von der Gemeinschaft inhaltlich auf zweifache Weise beeinflußt: Zum einen quantitativ durch die Vergabe von Finanzmitteln aus den Strukturfonds und den weiteren Finanzinstrumenten, zum anderen qualitativ, indem die Gemeinschaft sowohl im Rahmen ihres Beihilfeaufsichtsrechts nach Art. 92 ff. EGV eine immer intensiver werdende Kontrolltätigkeit den nationalen Regionalpolitiken gegenüber ausübt660 als auch andere nationale und gemeinschaftliche Politikbereiche mit der EG-Regionalpolitik koordiniert. Ein fünfter Gesichtspunkt ist die steigende quantitative Ausstattung der Regionalinstrumente. So stiegen die nominellen Ausgaben der drei Strukturfonds EFRE, ESF und EAGFL, Abt. Ausrichtung (gemessen in tatsächlichen Zahlungen; seit 1993 einschl. Kohäsionsfonds) von etwa 375 Mio. ECU im Jahr 1975 mit einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 26,3% auf nahezu 23 Mrd. ECU im Jahr 1995 (vgl. Tabelle 9). Damit liegt die durchschnittliche Steigerungsrate der regionalen Anstrengungen der Gemeinschaft fast doppelt so hoch wie der Anstieg des gesamten Haushalt von 13,7%. Bezieht man die Preisentwicklung in der Gemeinschaft in die Überlegungen mit ein, so beträgt die durchschnittliche jährliche Steigerung immerhin noch 17,7%. Der Anteil der Regionalausgaben am Gesamthaushalt liegt 1995 bei 30,5% im Vergleich zu 6,2% im Jahr 1975 (nominale Größen). Nach den Plänen der Kommission soll der Anteil der Mittelbindungen sämtlicher Strukturfonds (also einschließlich des neuen Kohäsionsfonds) bis 1999 auf etwa 36% des EU-Gesamthaushaltes steigen. Die Erhöhungen der Regionalmittel wirken sich in immer stärkerem Maße auf die Mitfinanzierung der Investitionen und damit das Volkseinkommen gerade in den ärmeren Mitgliedstaaten aus. Tabelle 10 zeigt, daß der EFRE 1989 gemeinschaftsweit 0,4%, in den Ziel Nr. I-Regionen 3,0% und in den Kohäsionsländern 3,9% der BruttoanlageInvestitionen finanzierte. Bis zum Ende der ersten Planungsperiode stiegen diese Sätze bereits auf 0,6% bzw. 5,0% bzw. 6,0%. Nimmt man nun ein jahresdurchschnittliches Wachstum der Bruttoanlageinvestitionen von 2,5% bis 1999 an, so würde der EFRE in der gesamten Union 0,9%, in den Ziel Nr. 1Regionen 4,7% und in den vier Kohäsionsländern 7,8% der insgesamten Bruttoanlageinvestitionen finanzieren. Die. Erhöhungen der regionalpolitischen Aufwendungen der Gemeinschaft umfassen auch einen immer größeren Anteil an den Bruttoinlandsproduktwerten der Regionen. So wird sich das Finanzvolumen des EFRE - unterstellt man ein 660
Vgl. Wäldchen, Paul, Die Rolle der Regionalpolitik, S. 49.
X. Zusammenfassende Bewertung des regionalpolitischen Instrumentariums
165
durchschnittliches Wirtschaftswachstum bis 1999 von 2,5% p.a. - im Jahr 1999 gemeinschaftsweit auf 0,2%, in den Ziel Nr. I-Regionen aber auf 1,2% und in den Kohäsionsländern allein auf 1,7% des Bruttoinlandsproduktes belaufen. Die Mittel aller Strukturfonds zusammen würden nach dieser Schätzung 1999 gemeinschaftsweit 0,3%, in den Ziel Nr. I-Regionen 2,1% und in den Kohäsionsländern 2,9% des Inlandsprodukts entsprechen. Tabelle 9 Umfang und Entwicklung des EG-Haushalts und der Regionalausgaben 1975-1995
Jahr
gesamter EG-Haushalt
6101,4 1975 7895,6 1976 9076,1 1977 12510,1 1978 14773,5 1979 16454,8 1980 18529,4 1981 21300,8 1982 25432,5 1983 1984 28039,6 28833,2 1985 35820,2 1986 36234,8 1987 42495,2 1988 42284,1 1989 45608,0 1990 55155,8 1991 60300,5 1992 66443,4 1993 72 376,5 1994 74449,4 1995 durchschnittlicher Anstieg in % p.a. 13,7%
375,3 623,8 685,5 1388,7 1 515,5 1808,5 3566,8 4570,1 4081,3 3220,0 3702,9 5664,7 5859,6 6419,3 7945,1 9591,4 13 971,0 18298,3 20663,0 21528,8 22726,1
Regionalausgaben Anteil in % zu Preisen Veränderung von 1975 real in % des EG-Haushalts 6,2% 375,3 7,9% 559,7 49,1% 7,6% 554,6 -0,9% 11,1% 1024,9 84,8% 10,3% 1014,8 -1,0% 11,0% 1073,8 5,8% 1 912,2 78,1% 19,2% 21,5% 2221,9 16,2% 16,0% 1834,7 -17,4% 11,5% 1360,9 -25,8% 1479,2 8,7% 12,8% 2143,0 44,9% 15,8% 2129,4 -0,6% 16,2% 15,1% 2230,2 4,7% 18,8% 2626,3 17,8% 2999,6 14,2% 21,0% 4141,4 38,1% 25,3% 25,2% 30,3% 5185,6 9,2% 31,1% 5663,2 1,2% 29,7% 5728,7 5871,1 2,5% 30,5%
26,3%
17,7%
zu jeweiligen Preisen
Quelle: Kommission, Haushaltsvademecum, Ausgabe 1994, Brüssel-Luxemburg 1995, S. 27 Cf.; Kommission, Europäische Wirtschaft Nr.55, Brüssel-Luxemburg 1993, S. 139; eigene Berechnungen.
166
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik Tabelle 10 Mittelbindungen des EFRE und der übrigen Strukturfonds in den Ziel Nr.l-Regionen (1989, 1993, 1999'61)
EFREMittelbindungen in% Ziell-Regionen der Investitionen (BAI) Griechenland Irland Portugal Spanien
1989 7,3 5,2 5,3 2,6
Kohäsionsländer Deutschland Italien ÜbrigeMS. Alle Ziel I-Region EG 12
3,9 k.A. 1,7 2,0 3,0 0,4
1993 11,0 9,3 7,0 4,0 6,0 0,9 3,6 3,3 5,0 0,6
1999 12,6 7,8 8,0 6,6 7,8 1,8 4,0 2,5 4,7 0,9
Strukturfonds in %
1989 1,4 0,9 1,4 0,7 0,9
des BIP 1993 1,9 1,5 1,8 0,9 1,3
k.A. 0,4 0,4 0,7 0,1
0,4 0,7 0,6 1,1 0,1
des BIP 1999 1989 1993 2,2 2,5 3,3 1,2 2,1 3,1 2,1 2,7 3,3 1,5 1,0 1,5 1,7 1,6 2,3 0,8 k.A. 0,8 0,8 0,6 1,1 0,5 1,0 1,4 1,2 1,2 1,8 0,2 0,1 0,2
1999 4,0 2,7 3,8 2,3 2,9 1,7 1,2 1,1 2,1 0,3
Quelle: Kommission, Fünfter periodischer Bericht, S. 131.
2. Begründung der gemeinschaftlichen Regionalpolitik
Die Begründung für eine EG-Regionalpolitik weist einen vielschichtigen Charakter auf. Dies kommt nicht zuletzt daher, daß die gemeinschaftliche Regionalpolitik zu den üblichen, auch für ,,herkömmliche" nationale Regionalpolitiken zutreffende Argumente662 noch einige Besonderheiten, die im Wesen und den Entscheidungsabläufen der Gemeinschaft begründet sind, aufweist.
661 Die Schätzungen für 1999 gehen von einer jährlichen Zunahme der Bruttoanlageinvestiti0nen und des Bruttoinlandsprodukts von jeweils 2,5% aus. 662 Vgl. dazu etwa Suntum, Ulrich van, Regionalpolitik in der Marktwirtschaft, Kritische Bestandsaufnahme und Entwurf eines alternativen Ansatzes am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1981, S. 30 Cf.; StilweIl, Frank, Regional Economic Policy, London 1972, ·S. 7 Cf.; Eckey, Hans-Friedrich, Grundlagen der regionalen Strukturpolitik, Köln 1978, S. 54 Cf.; Fürst, Dietrich, Klemmer, Paul, Zimmermann, Klaus, Regionale Wirtschaftspolitik, Tübingen-Düsseldorf 1976, S. 91 ff.; Hansmeyer, Karl-Heinrich, Ziele und Träger regionaler Wirtschaftspolitik, in: Schneider, Hans Karl (Hrsg.), Beiträge zur Regionalpolitik, Berlin 1968, S.36-60.
x. Zusammenfassende Bewertung des regionalpolitischen Instrumentariums 167 Fragt man nach den Gründen für eine gemeinschaftliche Regionalpolitik, so stellt sich aus integrationspolitischer Sicht die Regionalpolitik der Gemeinschaft geradezu als politische Notwendigkeit heraus: 663 Zunächst hemmt die Erwartung steigender Disparitäten die Bereitschaft von benachteiligten Regionen zu einer weiteren Integration. Die bei der zunehmenden ökonomischen Integration per saldo auftretenden Integrationserträge sind aber regional ungleich verteilt,664 da die Wettbewerbsfähigkeit der Regionen unausgewogen ist und die Ressourcen in die Gebiete mit GröBen- und Kostenvorteilen wandern. So kommen die Chancen, die sich durch den Binnenmarkt und die Wirtschafts- und Währungsuiüon bieten, den wettbewerbsfähigeren Regionen vergleichsweise stark zugute. In einigen benachteiligten Regionen können auf der anderen Seite aber sogar auch Integrationskosten entstehen. Der Gemeinschaft fehlen wirtschaftspolitische Instrumente wie Steuern oder Transfers, mit denen sie aufgrund von Ausgleichsüberlegungen distributiv tätig sein könnte. In diesem Zusammenhang werden politische Opportunitätskalküle aufgestellt: Wenn weniger wettbewerbsfähige Regionen zu der Meinung gelangen, daß sie ihren Wohlstand außerhalb der Gemeinschaft erhöhen können, besteht die Gefahr, daß der IntegrationsprozeB aufgehalten oder sogar rückgängig gemacht wird. 66s Potentiell benachteiligte Regionen stimmen einer Fortsetzung der ökonomischen Integration nur dann zu, wenn ihnen ein adäquater Teil der wirtschaftlichen Zusatzvorteile der Wachstumsregionen zukommt und sie am Integrationsertrag angemessen beteiligt werden bzw. ihre durch die Integration entstehenden Nachteile ausgeglichen werden. 666 Auf der anderen Seite können die von den Auswirkungen des Integrationsprozesses begünstigten Regionen einen Teil des Zusatznutzens weitergeben, da ihre Zusatzgewinne teilweise durch die Verluste der übrigen Regio-
663 Vgl. dazu auch Pfeifer, Manfred, EG-Regionalpolitik und RegionaIpolitik in Bayern, in: Jahrbuch der Regionalwissenschaft 1990, S. 131-146, hier S. 133; Zingel, Wolfgang-Peter, Grundsätzliche Fragen einer europäischen Regionalpolitik, in: Groeben, Hans von der (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen einer Europäischen Union, Baden-Baden 1976, S. 33-69, hier S. 37; die Integration wiederum ist Ziel aufgrund der mit ihr verbundenen positiven politischen und ökonomischen Wirkungen; vgl. Ahbe, Martin, Europäische Währungsintegration, Konventionelle Wohlfahrtsanalyse versus polit-ökonomische Kooperationsproblematik, Frankfurt et a1. 1992, S. 19.
664 Vgl. Schäfers, Manfred, Brüsseler Hilfen, Ein Hemmnis für die EG-Erweiterung?, in: EGMagazin, Heft 101993, S. 14-17, hier S. 14; Beckmann, Karin, S. 27; Thomas, Ingo, Finanzausgleich und Kohäsion in der Europäischen Union, in: Die Weltwirtschaft, Heft 4 1994, S. 472-491, hierS.480. 66S
Vgl. Europäisches Parlament, Eine neue Strategie, S. 13.
Derartigen Kalkülen im Rahmen der Integrationsentwicklung schenkt Padoa-Schioppa besondere Beachtung; vgl. Padoa-Schioppa. Tommaso, S. XV. 666
168
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
nen hervorgerufen sind667 und ihre verbleibenden Gewinne höher sind als in einer Situation ohne die neue Integrationsstufe. Die Rolle eines solchermaßen benötigten Verteilungsmechanismus kann eine gemeinschaftliche Regionalpolitik übernehmen. In diesem Sinne ist die gemeinschaftliche Regionalpolitik Anerkenntnis der Überzeugung, daß das Integrationspotential der Gemeinschaft abhängig ist von der Unterstützung der verschiedenen Gruppen und Regionen668 . Von daher hat das Niveau der jeweils angestrebten Integrationsstufe einen starken Einfluß auf die regionalpolitischen Anstrengungen der Gemeinschaft. Die EG-Regionalpolitik ist aber auch Ausdruck der Solidarität innerhalb der Gemeinschaft. 669 Dahinter steht eine Gerechtigkeitsforderung, die in allen Regionen möglichst gleiche Lebensbedingungen schaffen will. Der Gedanke wird dadurch in die Tat umgesetzt, daß in einer Gemeinschaft die einzelnen Mitglieder füreinander einstehen und sich die schwächeren Mitglieder auf die Unterstützung durch die stärkeren verlassen können. Schon die Gründungsväter gaben der Gemeinschaft deshalb das Ziel einer ausgewogenen Wirtschaftsausweitung,670 durch die EEA wurde der Gedanke der Solidarität explizit in den EGV aufgenommen: Das Wesen der Gemeinschaft ist durch das Zusammenspiel ökonomischer und sozialer Komponenten gekennzeichnet und geht somit über die rein wirtschaftlich orientierte Abwicklung von Geschäftsvorfallen hinaus, sondern sieht sich auch der Solidarität verpflichtet. 671 Zu starke Disparitäten würden als ungerecht empfunden werden und von daher desintegrierend wirken. 672 Damit führen räumliche Ungleichgewichte der Lebensbe-
667 Vgl. Europäisches Parlament, Eine neue Strategie, S. 31. 668
Vgl. Europäisches Parlament, Eine neue Strategie, S. 25; Schäfers, Manfred, S. 16.
669 Vgl. Schmidhuber, Peter, Die Finanzierung der Europäischen Gemeinschaft in den nächsten fünf Jahren, in: Wirtschaftsdienst, Jg.72 (1992), S.568-573, hier S. 571; Oppermann, Thomas, S. 328; Thiel, Elke, Die Europäische Gemeinschaft, München 1993, S. 82 ff.; Ott, Günther, Zur Diskussion um ,,zahlmeister" und ,,Nutznießer" der Europäischen Gemeinschaft, in: Koch, Walter (Hrsg.), Staat, Steuern und Finanzausgleich, Probleme nationaler und internationaler Finanzwirtschaften im zeitlichen Wandel, Festschrift für Heinz Kolms, Berlin 1984, S. 333-352, hier S. 334.
670 Vgl. EWGV, Art. 2. 671 Vgl. Beschel, Manfred, Titel V, S. 3700. 672 Vgl. Streit, M.E., Regionale Entwicklung und Regionalpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, in: RuR, Jg. 39 (1981), Heft 2/3, S. 49-55, hier S. 54; Kommission, Die Europäische Gemeinschaft und ihre Regionen, S. 13. Das Ziel der Verringerung der Disparitäten bedeutet allerdings nicht, daß das zukünftige Wachstum starker Regionen behindert wird, nur um eine Nivellierung zu erreichen; vgl. Schmidhuber, Peter, Wettbewerbsschutz und Regionalförderung: Regionalpolitik und Beihilfenkontrolle in der Europäischen Gemeinschaft, in: Andrae, Clemens-August
X. Zusammenfassende Bewertung des regionalpolitischen Instrumentariums
169
dingungen letztendlich auch zu einer Gefährdung der politischen Stabilität673 und widersprechen dem Ziel der harmonischen Entwicklung der Gemeinschaft als Ganzes. Während des Integrationsprozesses führte man sich daher immer wieder vor Augen, daß eine Gemeinschaft nicht aufrechterhalten werden kann, wenn die Lebensstandards zu sehr differieren und die schwächeren Mitglieder Bedenken dabei haben müssen, ob ihnen die Gemeinschaft dabei helfen wird, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Vor allem die Süderweiterungen um die ärmeren Staaten Griechenland, Spanien und Portugal in den achtziger Jahren wurde die Solidaritätsbereitschaft der Gemeinschaft auf die Probe gestellt. Die Disparitäten in der Gemeinschaft insgesamt sind höher als in den einzelnen Mitgliedstaaten. 674 Sollte die Solidaritätsbereitschaft in der Gemeinschaft mit der in den einzelnen Mitgliedstaaten vergleichbar sein, besteht von daher ein um so stärkeres Argument für eine gemeinschaftliche Regionalpolitik. Neben dem Solidaritäts- und dem Integrationsgedanken spielt in der Gemeinschaft eine weitere Motivation für die Entstehung und Weiterentwicklung der gemeinschaftlichen Regionalpolitik eine Rolle: Die regionalpolitischen Mittel werden als Verhandlungsmasse eingesetzt. 675 Dies bietet sich deshalb an, da in Verhandlungsprozessen bei politischen Entscheidungen in der Gemeinschaft die Interessen vieler Mitgliedstaaten berücksichtigt werden müssen. Insbesondere bei Beitrittsverhandlungen werden regionalpolitische Zuwendungen als Kompensationsleistungen für Nachteile, die bestimmten Ländern aus einer Entscheidung erwachsen könnten, gemacht. So forderte bei den ersten Erweiterungsverhandlungen der Gemeinschaft im Jahre 1973 vor allem Großbritannien die Errichtung eines Regionalfonds als Vorbedingung für den Beitritt zur Gemeinschaft. Die britische Regierung hatte nämlich erkannt, daß sie bei dem damals herrschenden EG-Finanzierungssystem zum Nettozahler in der Gemeinschaft avanciert wäre und versuchte, mit Hilfe eines derartigen Fonds zumindest einen Teil der Mittel wieder zurückerhalten. Das länderbezogene Quotensystem, nachdem die Fondsmittel ursprünglich verteilt wurden, unterstreicht, daß nicht (Hrsg.), Wettbewerb als Herausforderung und Chance, Festschrift für Wemer Benisch, Köln et al. 1989, S. 153-171, hier S. 154. 673 Vgl. Buck, Trevor, Regional Policy and European Integration, in: JCMS, Bd. 13 (1975), Heft 4, S. 368-378, hier S. 368 f.; Pinder, David, Small Fions, Regional Development and The European Investment Bank, in: JCMS, Bd. 24 (1986), Heft 3, S. 171-186, hier S. 172. Zu weiteren ,,non-economic benefits" der EG-Regionalpolitik siehe auch Annstrong, Harvey, The Refonn of the European Community Regional Policy, in: JCMS, Bd.23 (1985), Heft 4, S.319-345, hier S.321. 674
Vgl. Wäldchen, Paul, Die Regionalpolitik, S. 93.
675
Vgl. Binder, Klaus, Walthes, Frank, S. 262 f.
170
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
die Problemlage der Regionen eines einzelnen Mitgliedstaates, sondern seine Verhandlungsmacht maßgeblich für die Mittelvergabe war. Bei der Erweiterung der Gemeinschaft um Spanien und Portugal 1986 ließ sich auch Griechenland seine Zustimmung mit der Schaffung Integrierter Mittelmeerprogramme "abkaufen". Auch im Rahmen des Beschlusses des Binnenmarktprojektes 1992 mußte den Regierungen der südeuropäischen Länder, aber auch Großbritannien und Irland die Zustimmung mit einer Erhöhung der Strukturfondsgelder abgekauft werden. 676 Daneben weist die Kommission immer wieder aber auch auf allokative Begründungsansätze für eine gemeinschaftliche Regionalpolitik hin. Die Transferzahlungen der Strukturfonds weisen insofern eine allokative Wirkung auf, als sie darauf abzielen, Marktbedingungen dort zu schaffen, wo sie nicht von selbst entstehen können. 677 Dadurch könnten die Ursachen regionaler Unterentwicklung beseitigt werden und die schwächeren Regionen erhalten die Möglichkeit zum Aufholen. 678 Durch die Entwicklung von ärmeren Regionen erhalten aber auch die wirtschaftsstärkeren Regionen zusätzliche Wachstumschancen. 679 3. Kritik der gemeinschaftlichen Regionalpolitik
Die Kritik der aktuellen EG-Regionalpolitik betrifft zwei Ebenen: Zum einen wird danach gefragt, ob es zur zentralen Organisation des gegenwärtigen Systems eine grundsätzliche Alternative gibt, zum anderen wird die bestehende Lösung als solche auf ihre Effizienz hin untersucht. a) Ein Finanzausgleichssystem als Alternative zum gegenwärtigen regionalpolitischen System
Ein prinzipielles Gestaltungskriterium für die effiziente Bereitstellung von öffentlichen Gütern, wie sie z. B. mit regionalpolitischen Mitteln finanziert werden, stellt der aus der ökonomischen Theorie des Föderalismus abgeleitete Grundsatz der fiskalischen Äquivalenz dar. Dieser Grundsatz beruht auf dem 676
Vgl. Kuhn, Britta, Eichenberger, Reiner, S. 576.
677
Vgl. Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 46, S. 137.
VgI. Heinemann, Friedrich, Kohäsion, Vertikal oder horizontal?, in: EG-Magazin, Heft 10 1993, S. 11-14, hier S. 12. 678
679 Vgl. Kommission, Leitfaden, S. 11; zum wachstumspolitischen Ziel von regionalpolitischen Maßnahmen vgl. insbesondere Bothe, Adrian, Regionalpolitik und Marktwirtschaft, in: Die Weltwirtschaft, Heft 1 1987, S. 116-128 und Giersch, Herbert, Das ökonomische Grundproblem der Regionalpolitik, in: Jahrbuch für Sozialpolitik, Bd. 14, Göttingen 1964, Heft 3, S. 386-400.
X. Zusammenfassende Bewertung des regionalpolitischen Instrumentariums
171
marktwirtschaftlichen Äquivalenzprinzip (Leistung = Gegenleistung). Er fordert, daß der Kreis der Nutznießer dem Kreis der Kostenträger der Produktion von öffentlichen Gütern entspricht und beide Entscheidungsträger-Kreise dekkungsgleich sind, da nur so gewährleistet ist, daß die öffentlichen Güter in optimaler Höhe bereitgestellt werden. 680 Mit der Frage, welche Ebene für die Lösung des Problems der Bereitstellung öffentlicher Güter zuständig ist, beschäftigt sich der auch in Art. 3 b Abs. 2 EGV verankerte Grundsatz der Subsidiarität. Dieser Grundsatz vermutet, wie bereits erwähnt, eine prinzipielle Aufgabenkompetenz auf der jeweils nachgeordneten Ebene; nur falls diese zur Aufgabenlösung nicht in der Lage ist oder die nächsthöhere Ebene die Aufgabe besser erfüllen kann, soll die Aufgabe auf die höhere Ebene übertragen werden. 681 Die nach dem Grundsatz der Subsidiarität anzustrebende Dezentralität politischer Entscheidungen hat den Vorteil, daß einerseits die Entscheidungskosten geringer sind und andererseits das Angebot der öffentlichen Leistungen den Präferenzen der Bürger stärker entspricht als bei stark zentralisierten Entscheidungen. Wendet man die gewonnenen Erkenntnisse auf die regionalpoliti-· schen Aktivitäten im Gemeinschaftsgebiet an, so müßten diese auf untergeordnete Ebenen übertragen werden, da der Nutzen der Regionalprojekte in der Regel regional begrenzt ist und die Zentralinstanz Kommission über die Probleme vor Ort nur ungenügend informiert ist. 682 Als Alternative zur gegenwärtigen Lösung wird ein System des Finanzausgleichs diskutiert. Der Begriff des Finanzausgleiches umfaßt hierbei in der Regel die Verteilung der Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen zwischen öffentlichen Gebietskörperschaften,683 teilweise wird er aber auch auf die reine Umverteilung öffentlicher Einnahmen von reichen auf arme Gebietskörperschaften verkürzt. 684 Ziel eines Finanzausgleichs der Europäischen Union könnte es beispielsweise sein, ein gleichwertiges Versorgungsniveau mit öffentlichen Gütern in allen EU-Regionen herzustellen oder den Wohlstand durch eine Angleichung der Pro-Kopf-Einkommen zu nivellieren; es sind aber auch andere Zielformulie-
680 Vgl. Thomas, Ingo, S. 481. 681 Vgl. Peffekoven, Rolf, Finanzausgleich I, Wirschaftstheoretische Grundlagen, in: HdWW, Bd. 2, Stuttgart et al., S. 608-636, hier S. 610. 682 Vgl. Hilligweg, Gerd, Beurteilung der Regionalpolitik, S. 40. 683 Vgl. Wittmann, Walter, Einführung in die Finanzwissenschaft, Teil m, 2. Aufl., Stuttgart et al. 1976, S. 111. Zur Konzeption eines Europäischen Finanzausgleichs siehe ausführlich Walthes, Frank, Europäischer Finanzausgleich, Manuskript, Nümberg 1995, S. 100 ff. 684 Vgl. Grüske, Karl-Dieter, Walthes, Frank, Europäischer Finanzausgleich zwischen EUMitgliedstaaten, in: RuR, Jg. 52 (1994), Heft 6, S. 373-382, hier S. 374.
172
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
rungen denkbar. 685 Stets wäre allerdings das Ergebnis, daß die in einer Region aus dem Äquivalenzprinzip resultierende ursprüngliche Bereitstellung öffentlicher Güter nach der Fähigkeit bzw. Bereitschaft der Kostenträger korrigiert wird. Zu beachten sind allerdings eine Anzahl schwerwiegender Probleme, die mit der Einführung eines Finanzausgleichssystems verbunden sind: Zunächst stößt ein gemeinschafts weiter Finanzausgleich vor dem Hintergrund der starken Entwicklungsunterschiede in den EU-Regionen schnell an seine Kapazitätsgrenzen. Weiterhin sind nicht in allen EU-Mitgliedstaaten die nötigen Gebietskörperschaften, die die Verwaltung der erhaltenen Mittel übernehmen könnten, vorhanden. Schließlich ist für einen Finanzausgleich, im Rahmen dessen die starken Regionen einen Teil ihres Wohlstandes an schwächere Regionen abgeben, ohne die Mittelverwendung beeinflussen zu können, wohl ein noch stärkeres Solidaritätsgefühl nötig als für die gegenwärtig bestehende Regionalpolitk-Lösung. Ob diese allerdings schon in ausreichendem Maße besteht, muß bezweifelt werden. Aufgrund dieser Probleme scheint zur Zeit noch die zweite, schon bestehende Möglichkeit, regionalpolitische Kompetenzen auf die übergeordnete Gemeinschafts-Ebene zu übertragen, der Finanzausgleichs-Lösung überlegen zu sein. b) Kritik am bestehenden regionalpolitischen System
Die Gemeinschaft setzte sich die Bekämpfung der sozioökonomischen Disparitäten zum Ziel. Ausgehend von einzelnen und unzusammenhängenden regional wirkenden Bestimmungen in den Römischen Verträgen entstand im Laufe des europäischen Integrationsprozesses auf Gemeinschaftsebene ein umfassendes Instrumentarium zur Beeinflussung regionaler Entwicklungen mit dem Ziel, eine stimmige Regionalpolitik "aus einem Guß" zu formen. Zu diesem Zweck wurde der ursprüngliche Regionalfonds mehrmals umgestaltet und reformiert, wurden weitere Strukturfonds und die Beihilfenaufsichtspolitik auf die Erreichung des regionalpolitischen Ausgleichsziels ausgerichtet und die sonstigen gemeinschaftlichen und nationalen Politiken koordiniert. Damit ist man dem Ziel einer abgestimmten und effizienten Regionalpolitik in Hinblick auf die grundsätzliche Ausrichtung der Instrumente sicherlich näher gekommen als in Detailfragen. Zwar kann auf der einen Seite ein steigendes Bemühen um Effizienzerhöhung im Rahmen der mehrmaligen Regionalpolitik-Reformen nicht übersehen werden. Dabei konnte durch die schrittweise Änderung des Instrumentariums weg 685 Vgl. Grüske, Karl-Dieter, Walthes, Frank, S. 374.
X. Zusammenfassende Bewertung des regionalpolitischen Instrumentariums
173
von den traditionellen Instrumenten wie Investitionszuschüssen zur Arbeitsplatzbeschaffung und Infrastrukturausbau hin zur Programmplanung686 in Mehrjahreszeiträumen, durch eine Änderung der Verwaltungs- und Fördermodalitäten, durch eine stärkere Berücksichtigung gemeinschaftlicher Aspekte, eine bessere Abstimmung der Instrumente untereinander und durch eine erhebliche Mittelkonzentration Effizienzgewinne verbucht werden: Gerade durch die Mittelkonzentration kann die Wirkung der Strukturfondsmittel, deren Höhe bei lediglich 0,3% des Gemeinschafts-Bruttoinlandsproduktes liegt, in den begünstigten Regionen auf ein signifikantes Niveau gebracht werden. Auf der anderen Seite aber wurden schon lange Zeit angemahnte Probleme immer noch nicht (ausreichend) gelöst und in einigen Punkten sind sogar Rückschritte zu verzeichnen. So müßte die Kommission auf die sehr wichtigen Fragen der Bewertung und der Kontrolle der verschiedenen Interventionen mehr Aufmerksamkeit verwenden. Lange Zeit fehlte ein derartiges Instrumentarium bzgl. der Beihilfeneffizienz völlig. Bisweilen durchgeführte Nachprüfungen der Kommission bezogen sich lediglich auf die Kontrolle von Belegen, die Überprüfung von Verwaltungsverfahren und die Frage, ob die beantragten und finanzierten Vorhaben auch tatsächlich durchgeführt worden waren. Mechanismen zur Überprüfung der Auswirkungen der eingesetzten Mittel auf die Zielerreichung wurden erst mit der großen Strukturfondsreform von 1988 in das Verfahren implementiert, ihre Durchführung weist aber auch nach Angaben der Kommission offensichtlich nach wie vor größere Probleme auf. Mittlerweile führen einige Mitgliedstaaten auf eigene Initiative nicht-abgestimmte Bewertungen durch, die allerdings auf Gemeinschaftsebene nicht miteinander vergleichbar sind. 681 Die Forderung nach der Zusätzlichkeit der Gemeinschaftsmittel ist ein Beispiel für besondere Inkonsequenz der Fördervorschriften. Der Grundsatz der Zusätzlichkeit forderte in der ursprünglichen Fondsverordnung, daß nationale regionalpolitische Mittel im Zuge der Einrichtung des EFRE nicht verringert werden dürften, verschwand in der Verordnung von 1988 und tauchte im Rahmen der Strukturfondsreform von 1988 mit dem Inhalt, daß die nationalen Mittel in gleichem Maße wie die gemeinschaftlichen erhöht werden müßten, wieder auf. Seit der jüngsten Überarbeitung der Fondsbestimmungen dürfen die Mitgliedstaaten aufgrund von gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen eigene Anstrengungen auch vermindern. Hinter dem Grundsatz steht die Befürchtung, die Gemeinschaftsmittel könnten als Ersatz für nationale Anstrengungen dienen: 686
Vgl. Steinle, Wolfgang, Europäische Regionalpolitik, S. 3.
681
Vgl. Kommission, Vierter Jahresbericht, S. 71.
174
B. Darstellung und Beurteilung der Europäischen Regionalpolitik
Finanztransfers aus der Gemeinschaftskasse bieten den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, nationale Gelder in andere Ausgabenbereiche zu lenken. 688 Solange die Mitgliedstaaten aber die Souveränität für die Finanzpolitik besitzen, ist es für die Kommission sehr schwierig, die Einhaltung dieses Grundsatzes durchzusetzen. Die Kommission ist kaum in der Lage zu überprüfen, ob eine Investition auch ohne Gemeinschaftshilfen durchgeführt worden wäre. Damit kann die Kommission letztlich nur an ein freiwilliges Wohlverhalten der Mitgliedstaaten appellieren. Doch die offensichtliche Gefahr einer derart häufigen Änderung von Verordnungsbestimmungen ist, daß sie als Zeichen von Konzeptionslosigkeit interpretiert wird und die Mitgliedstaaten erst recht zur Mißachtung des Grundsatzes verleitet. Mit jeder Fonds-Neugestaltung wurden bisher die Beihilfe-Höchstsätze erhöht: Lagen die Obergrenzen für Zuschüsse zu privaten bzw. öffentlichen Infrastruktur-Investitionen 1975 noch bei 20% bis 30%, können seit der Reform von 1993 in ungünstigen geographischen Lagen teilweise bis zu 85% der Gesamtkosten von der Gemeinschaft bezahlt werden. Auf die beiden Seiten dieser Entwicklung wurde bereits hingewiesen: Zwar können durch hohe Beteiligungsquoten nationale Mittel eingespart werden; andererseits entsteht eine starke Gefahr, daß die begünstigten Mitgliedstaaten die bereitgestellten Gelder einfach "mitnehmen" (sog. ,,Mitnahmeeffekt"), ohne daß sie dabei stark auf die jeweilige Projekteffizienz achten würden. Die Koordinierung der einzelnen Fonds wird durch die nach wie vor bestehenden getrennten Verwaltungen der Fonds in verschiedenen Generaldirektionen in Brüssel erschwert. Der in Maastricht zusätzlich eingeführte Kohäsionsfonds dürfte dieses Problem eher noch verschärfen. Die Separation der Fondsverwaltung führt schließlich zusammen mit der Zentralisierung der gemeinschaftlichen Regionalpolitik zu einem (zu) hohen Verwaltungsaufwand. Die Entfernung der Brüsseler Bürokratie von den Problemen vor Ort zwingt zu einem mehrstufigen Notifizierungsverfahren, einem erheblichen Koordinierungsaufwand und teuren Kontrollmechanismen. Die Möglichkeit der Zusammenfassung der Entwicklungspläne und Förderanträge hat hierbei zu einer ersten Vereinfachung des Verfahrens geführt, deren Erfolg allerdings noch abgewartet werden muß.
688
Vgl. Diekrnann. Berend. Breier. Siegfried. S. 265.
C. Die Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels I. Probleme der OperationaIisierung des regionalpolitischen AusgleichszieIs
Um analysieren zu können, inwieweit die Gemeinschaft ihr regionalpolitisches Ausgleichsziel erreicht hat, muß dieses operationalisiert und anschließend überprüft werden. 1 Dazu müssen folgende Fragen beantwortet werden: - Welches ist der geeignete Indikator bzw. welches sind die geeigneten Indikatoren, an-hand dessen bzw. derer das regionale Ausgleichsziel der Gemeinschaft gemessen werden können? - Welches ist die geeignete Merkmalsausprägung des Indikators zur Messung des regio-nalen Ausgleichsziels? - Welches ist die angemessene räumliche und zeitliche Abgrenzung für die Disparitäten-analyse? - Sind Daten diese Indikatoren betreffend vorhanden und wo sind sie vorhanden? Anschließend ist die Frage geeigneter Meßverfahren zu klären. Dabei muß beachtet werden, daß all diese Teilfragen nicht losgelöst voneinander beantwortet werden können, sondern vielmehr starke Interdependenzen zwischen ihnen bestehen. Ziel dieses Kapitels ist somit zunächst die Suche nach einem Indikator, anhand dessen die Erreichung der regionalpolitischen Zielsetzung der Gemeinschaft gemessen werden kann und der auf der gewünschten oder aufgrund der Datenlage möglichen regionalen Ebene für den gewünschten oder aufgrund der Datenlage möglichen Zeitraum vorhanden ist.
1 Zur Operationalisierung regionalpolitischer Ziele vgl. ausführlich Storbeck, Dietrich, Zur Operationalisierung der Raumordnungsziele, in: Kyklos, Bd. 23 (1970), S. 98-116; Zimmermann, Horst, Zielvorstellungen in der Raumordnungspolitik des Bundes, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 17 (1966), S. 225-245, hier S. 240 Cf.
176
C. Die Messung des regionaIpolitischen Ausgleichsziels
Da die Verfügbarkeit von Daten bzw. Datenquellen eine entscheidende Restriktion für die Durchführung der Arbeit darstellt, muß allerdings zunächst dieses Problem geklärt werden. 1. Das Problem der Verfügbarkeit von Daten
Nachdem eine eigene Erhebung von Datenmaterial auf EG-Ebene den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, betrifft das Problem der Verfügbarkeit von Daten die Frage, welche Merkmale in amtlichen Statistiken belegt sind. Es handelt sich im vorliegenden Fall um ein mehrdimensionales Problem bzgl. des wünschenswerten räumlichen Disaggregationsniveaus, des wünschenswerten Zeitumfangs und des Umfangs der vorhandenen Daten. Hier tritt das Optimierungsproblem auf, daß grundsätzlich die Genauigkeit einer Untersuchung mit der Tiefe der regionalen Gliederung und der Länge des Beobachtungszeitraums zunimmt, das vorhandene Datenmaterial damit in der Regel aber immer lückenhafter wird. Andererseits steigt die Genauigkeit einer Untersuchung mit der Anzahl der zur Verfügung stehenden Daten. Sucht man vergleichbare, d. h. harmonisierte Daten über Teilräume auf EGEbene, ist man auf Veröffentlichungen des Statistischen Amtes der Europäischen Gemeinschaften Eurostat angewiesen. Nach eigenen Angaben umfaßt die Regionalstatistik von Eurostat "Daten über die wichtigsten wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Gemeinschaft".2 Eurostat publiziert eine Reihe von Veröffentlichungen zu den Bereichen Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Bevölkerung und Arbeitslosigkeit, die sich allerdings im Detail z. T. durch große Datenlücken auszeichnen. 3 Die daraus entstehenden Restriktionen auf der Datenverfügbarkeitsebene üben einen entscheidenden Einfluß auf den Umfang der regionalen Erfolgskontrolle und ihre Genauigkeit aus. 2 Vgl. Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaft, Eurostat, Regio, Regionale Datenbank, Beschreibung der Bereiche, Luxemburg 1992, S. 5; zur Regionalstatistik auf Gemeinschaftsebene vgl. auch Knoche, Peter, Köhler, Sabine, Neuere Entwicklungen der Regionalstatistik, Ein Überblick, in: Wirtschaft und Statistik, Heft 4 1992, S. 207-216. 3 Veröffentlichungen von Eurostat zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sind (jeweils Luxemburg, neueste Auflage): Eurostat, Regionen, Statistisches Jahrbuch; Eurostat, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen ESVG, Tabellen nach Produktionsbereichen; Eurostat, Konten und Statistiken der Staaten; Eurostat, Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG); zusätzliche Daten bzgl. der Bevölkerungs- und Arbeitslosenstatistik finden sich in: Eurostat, Bevölkerungsstatistik; Eurostat, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit; Eurostat, Arbeitslosigkeit, Monatsbulletin.
I. Probleme der Operationalisierung
177
2. Das Problem der Indikatorwahl
Die Suche nach einem geeigneten Indikator muß von der zu messenden Zielsetzung ausgehen: Die EG verfolgen seit Unterzeichnung des EWGV 1957 das Ziel, "... den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand der weniger begünstigten Gebiete zu verringern." Seit Unterzeichnung der EEA 1986 hat sich die Gemeinschaft das Ziel der Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts gegeben, wobei insbesondere die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und der Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete verringert werden so1l4. Will man untersuchen, inwieweit das ursprüngliche regionalpolitische Ausgleichsziel erreicht wurde, muß man sich zunächst mit dem Begriff des "Rückstandes" näher befassen, da dieser Begriff als Schlüssel zur Identifizierung des Untersuchungsgegenstandes dienen kann. Der Begriff des Rückstandes benötigt einen bestimmten Zustand, einen Maßstab oder ein Niveau, auf das er sich beziehen kann. 5 Der Begriff des Rückstandes bezieht sich vor allem auf einen bestimmten Zustand im Rahmen einer statischen Zeitpunktbetrachtung, er kann sich aber auch auf einen zeitlichen Ablauf beziehen, falls eine dynamische Zeitablaufbetrachtung durchgeführt wird. Er zielt ab auf den Begriff des Entwicklungsstandes. Der Entwicklungsstand einer Gebietseinheit wird im internationalen bzw. interregionalen Vergleich üblicherweise mit Hilfe der Begriffe Wohlstand, Wohlfahrt oder Lebensstandard gekennzeichnet. Benötigt man zur inhaltlichen Klärung des anfanglichen regionalen Ziels der Gemeinschaft den Umweg über den Begriff des "Entwicklungsstandes", so ergibt sich aus dem neuen Ziel des Zusammenhaltes der Wohlstand unmittelbar als Untersuchungsgegenstand der gemeinschaftlichen Regionalpolitik: Der Begriff "Zusammmenhalt" wird von der Generaldirektion Wissenschaft des Europäischen Parlaments definiert als "das Ausmaß, in dem Unterschiede im sozialen und wirtschaftlichen Wohlstand zwischen einzelnen Regionen ... innerhalb der Gemeinschaft politisch und sozial vertretbar sind."6 4
Vgl. Art. 130 a EOV.
S Vgl. zum folgenden auch Hemmer, Hans-Rimbert, Wirtschaftsprobleme der Entwicklungsländer, Eine Einführung, 2. Aufl., München 1988, S. 3 ff. 6 Vgl. Europäisches Parlament, Eine neue Strategie für den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt nach 1992, Luxemburg 1992, S. 13.
12 Wellenhofer
178
C. Die Messung des regional politischen Ausgleichsziels
Inhaltlich zerfallen die Begriffe des Wohlstandes, der Wohlfahrt und des Lebensstandards in einen materiellen und einen nicht-materiellen Teil.· Die Ausstattung einer Region bezüglich der Arbeits-, Wohn-, Bildungs-, Umwelt-, und Gesundheitssituation und der Versorgung mit öffentlichen Gütern können ihrer Versorgung mit den materiellen, aber auch den immateriellen Komponenten des Wohlstandes entsprechen.7 Mit Hilfe eines bestimmten Niveaus des Entwicklungsstandes soll festgestellt werden können, inwieweit in einem Gebiet die Bewohner mit den materiellen und immateriellen Wohlstandskomponenten versorgt werden können. Der Begriff des Rückstandes eines Gebietes zielt somit auf die Frage ab, wie weit entfernt der Wohlstand oder Lebensstandard einer Region von einem bestimmten, exogen vorzugebenden Maßstabsniveau zu einem bestimmten Zeitpunkt ist. Bei der dynamischen Betrachtung ist zu untersuchen, inwieweit sich dieser Rückstand im zeitlichen Prozeß verändert. Die Frage nach dem zugrundezulegenden Maßstab wird wohl am ehesten mit Hilfe einer Durchschnittsbildung gelöst werden können: Die Lage aller Regionen muß Grundlage für die Bestimmung der Zielerreichung sein. Sich dagegen lediglich an den besten 5 oder 10 Regionen zu orientieren, wäre insofern problematisch, als sich die schwächsten Regionen zunächst eher die Erreichung des Durchschnitts aller Regionen als Ziel vornehmen sollten. Von daher sollte die Regionalpolitik auch diejenigen Regionen fördern, die am stärksten (negativ) vom Durchschnitt abweichen. Um das Ausmaß der Rückständigkeit von Gebieten in der EG im Vergleich zu einem Normmaßstab bestimmen zu können, ist ein Indikator erforderlich, der den regionalen Wohlstand in quantitativer und qualitativer Hinsicht möglichst adäquat abbilden kann. Aus diesem Grunde könnte man zunächst das Ziel verfolgen, möglichst viele reale Phänomene mit Hilfe einer Maßzahl messen zu lassen. Theoretisch wünschenswert wäre die Erstellung einer regionalen Nutzenfunktion, in der die Wertschätzung der Einwohner eines Gebietes für ihr W ohlstandsniveau zum Ausdruck kommt. Allerdings ist das Problem der interpersonellen Nutzenmessung bisher nicht gelöst. Weiterhin kann man versuchen, den verschiedenen qualitativen und quantitativen Aspekten des Wohlstandsbegriffs dadurch gerecht zu werden, daß man 7 So gilt das mit einem bestimmten Arbeitsplatz verbundene Einkommen als materieller, die Krisensicherheit dieses Arbeitsplatzes als immaterieller Teil des Wohlstandes.
I. Probleme der Operationalisierung
179
zusammengesetzte Indikatoren, sog. Indikatorensysteme, oder "synthetische Indizes" konstruiert. Derartige Indikatorensysteme können aus gewichteten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Einzelindikatoren bestehen. Diese betrachten die Wirkung mehrerer Einflußfaktoren nicht nacheinander, sondern gleichzeitig. Dieses Verfahren wird zwar teilweise in der Praxis verwandt, bringt aber einige entscheidende Probleme mit sich: - Die Auswahl der in den Gesamtindikator einfließenden Einzelkomponenten unterliegt subjektiven Einschätzungen. - Zur Erstellung des zusammengesetzten Indikators ist eine Standardisierung der Einzelkomponenten nötig; dadurch kann das Ergebnis nicht unerheblich beeinflußt werden. - Die in den Gesamtindikator eingehenden Einzelkomponenten müssen gewichtet werden. Auch diese Entscheidung unterliegt subjektiven Einflüssen. - Der Beitrag der Einzelbestandteile ist im Gesamtindikator nicht sichtbar. - Der Zusammenhang zwischen dem Niveau der Einzelkomponente und dem Wohlfahrtsniveau muß bestimmt werden. - SchließI~ch müssen die gewünschten Einzelkomponenten auf der entsprechenden Disaggregationsebene vorhanden sein. Nicht zuletzt aufgrund der genannten Grunde sieht man bei der Messung des Wohlstandes von synthetischen Indizes ab und beschränkt sich in den meisten Fällen auf einen, in aller Regel auf den rein materiellen wirtschaftlichen Aspekt des Wohlstandsbegriffes. Auch bei der Bewertung des begrifflich neuen Ziels des Zusammenhaltes müssen die wirtschaftlichen Tatbestände an "vorderster Stelle stehen", da der Zusammenhalt weitgehend vom relativen wirtschaftlichen Wohlstand abhängt. 8 Will man die Disparitäten von Regionen in Hinblick auf ihre ökonomische Lage untersuchen, so sind danach Indikatoren zu verwenden, die diese Größe oder zumindest wesentliche Ausschnitte davon erfassen.
8 Europäisches Parlament, Eine neue Strategie, S. 26. Zwar umfaßt der Begriff des "Zusammenhaltes" auch soziale Aspekte, diese stehen allerdings nicht an erster Stelle der Bemühungen und sind wesentlich schwieriger zu definieren als die wirtschaftlichen Aspekte des Zusammenhalts; vgl. Europäisches Parlament, Eine neue Strategie, S. 27. Hinzu kommt, daß soziale Faktoren wie Bildung, Wohnungswesen oder Gesundheitsversorgung i. d. R. stark positiv mit dem wirtschaftlichen Wohlstand korreliert sind; vgl. dazu Reichei, Richard, Der 'Human Deve10pment Index', Ein sinnvoller Entwicklungsindikator?, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Jg.40 (1991), Heft 1, S. 57-67, hier S. 62 ff.
12'
180
C. Die Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels
Der Indikator sollte die Lage der Regionen so bewerten können, daß ein interregionaler Vergleich möglich ist und insbesondere Veränderungen der Disparitäten durch diesen Indikator nachgezeichnet werden. Es soll auch möglich sein, die interregionalen Disparitäten im Zeitablauf zu untersuchen. Eine zusätzliche Unterscheidung der Disparitäten in innerstaatliche und zwischenstaatliche Disparitäten könnte weitere Informationen über die Lage der Regionen in der EG und ihre Entwicklung liefern. Als Maßzahlen, die diese Bedingungen erfüllen, werden die Sozialproduktsund Inlandsproduktszahlen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung angesehen. 9 Der wohl gebräuchlichste Indikator zur Messung der nominellen Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft oder Region ist das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen. 1O Das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen ist das Ergebnis der Produktionstätigkeit der gebietsansässigen produzierenden Einheiten. 11 Es ist die Summe aller von inländischen oder (bezogen auf die Regionen) intraregionalen produzierenden Einheiten während eines bestimmten Zeitraumes erzeugten Sachgüter und Dienstleistungen abzüglich der Vorleistungen und entspricht der Summe der im Inland entstandenen Erwerbs- und Vermögenseinkommen einschließlich des Saldos aus indirekten Steuern abzüglich Subventionen und einschließlich der Abschreibungen. Zugrunde liegt hier das für eine regionale Betrachtungsweise wichtige Inlandskonzept, da die Erwerbs- und Vermögenseinkommen, die Inländer im Ausland erwirtschaften, ausgeschlossen werden, aber im Inland entstandene und Ausländern zufließende Erwerbs- und Vermögenseinkommen enthalten sind. Als Indikatoren für das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen veröffentlicht Eurostat im Rahmen der Datenbank REGIO die Tabelle ECON2PIB, in der die
9 Vgl. zum folgenden Stobbe, Alfred, Volkswirtschaftliches Rechnungswesen, 8. Aufl., Berlin et al. 1994; BrüJrunerhoff, Dieter, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, 4. Aufl., München et al. 1992. 10 Schon in ihrem ersten periodischen Regionenbericht sieht die Kommission das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen als einen zweckmäßigen Indikator zur Beurteilung der Wirtschaftskraft und des regionalen Lebensstandards der Regionen an; vgl. Kommission, Die Regionen Europas, Erster periodischer Bericht über die soziale und wirtschaftliche Lage in den Regionen der Gemeinschaft, Luxemburg 1980, S. 4.
11 Vgl. Eurostat, Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG), 2. Aufl., Luxemburg 1985, S. 15.
I. Probleme der Operationalisierung
181
nationalen Bruttoinlandsprodukte zu Marktpreisen regional aufgegliedert werden. 12 Das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen enthält allerdings noch die indirekten Steuern, die an den Fiskus abgeführt werden müssen und bei hohem Aufkommen an indirekten Steuern einer Region deren wirtschaftliche Leistungskraft ungerechtfertigt hoch erscheinen läßt. Außerdem sind die Subventionen, die in Regionen, wo stark subventionierte Wirtschaftssektoren dominieren, bedeutend sein können, im Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen noch nicht berücksichtigt. Schließlich sind im Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen die dem Ausgleich des durch die Produktion entstandenen Werteverzehrs dienenden Abschreibungen noch enthalten. Das diese Aspekte berücksichtigende Nettoinlandsprodukt zu Faktorkosten wird von Eurostat jedoch nicht veröffentlicht. Als Indikator für die Einkommensentstehung kann allerdings auch schon das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen herangezogen werden. 13 Wird das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen eines Gebietes durch die Zahl der doi1lebenden Bevölkerung dividiert, so erhält man das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bzw. das "Pro-Kopf-Einkommen". Dieses Pro-Kopf-Einkommen kann zwar nicht gleichgesetzt werden mit dem Inhalt des Wohlstandsbegriffs, zumindest aber als Indikator für das Niveau des materiellen Wohlstands in einer Region gelten. Dennoch sollte man sich bewußt sein, daß sich gegen die Verwendung der in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ermittelten Sozialprodukts- und Inlandsproduktsziffern als Maßstab für die ökonomische Leistungsfähigkeit bzw. für den Wohlstand einer Region einige Kritikpunkte richten: So erfolgt die Bewertung privater und öffentlicher Güter mit verschiedenen Maßstäben: Private Güter werden zu Marktpreisen, die Knappheitsverhältnisse widerspiegeln, öffentliche Güter dagegen mit ihren Kosten bewertet. Eine Lohnsteigerung bei Beamten wirkt sich also in voller Höhe auf die Steigerung des Sozialproduktes aus. Weiterhin werden die von Marktteilnehmern bewirkten Eingriffe in die Sphäre von Nicht-Marktteilnehmern, die sog. externen Effekte von wirtschaftlichen Aktivitäten, wie zum Beispiel Umweltzerstörung als
12
Vgl. Eurostat, Regio, Regionale Datenbank, S. 9,17,21.
13 Vgl. Südfeld, Erwin, Der zweite periodische Bericht über die sozio-ökonomische Lage und
Entwicklung in den Regionen der EG, in: RuR, Jg. 42 (1984), Heft 3, S. 144-151, hier S. 147.
182
c. Die Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels
Nebeneffekt des Produktionsprozesses, nicht berücksichtigt. Ebenso wird auch die Freizeit, die mit Opportunitätskosten anzusetzen wäre, nicht bewertet. Dem Inlandsprodukt werden nur die ökonomischen Aktivitäten, die über Märkte oder den Staat abgewickelt werden, zugerechnet. Deswegen finden auch sämtliche illegalen ökonomischen Beziehungen, wie zum Beispiel in Form von Schwarzarbeit oder im Rahmen von Tätigkeiten der Mafia, keine Berücksichtigung. Hinzu kommt, daß die Produktionstätigkeit des Subsistenzbereiches als nicht-registrierte Wirtschaftstätigkeit bei der Berechnung des Inlandsproduktes unbeachtet bleibt. Das Inlandsprodukt ist eher produktions- als einkommensorientiert: So verdanken die Städte Hamburg und Brüssel einen Teil ihres hohen Pro-KopfEinkommens den im Umkreis wohnenden Pendlern. 14 Auch kann es im Zeitablauf zu Verzerrungen bei Inlandsproduktsvergleichen kommen, da im Rahmen des Prozesses der Industrialisierung immer mehr ökonomische Aktivitäten von der häuslichen Produktion zu Unternehmen verlagert werden. Dadurch steigt das Inlandsprodukt trotz gleichbleibender Produktion. 15 Je höher folglich das Entwicklungsniveau einer Region ist, desto stärker überschätzt das Inlandsprodukt-pro-Kopf-Ergebnis die tatsächliche regionale Güterversorgung. Obwohl auch andere Kennzahlen einzelne Aspekte der Lage von Regionen abbilden können, bleibt insgesamt aber festzustellen, daß das Pro-Kopf-Inlandsprodukt aus ökonomischer Sicht das umfassendste und geeignetste Kriterium, das regionale Wohlstandsunterschiede messen kann, iSt. 16 3. Probleme der Wahl einer geeigneten Merkmalsausprägung für den Indikator zur Messung des regionalen Ausgleichsziels
Die in verschiedenen Ländern oder Regionen erzielten Inlandsproduktswerte bzw. Durchschnittseinkommen sind in der Regel in der jeweiligen Landeswährung ausgedrückt und müssen, um miteinander vergleichbar zu sein, eine einheitliche Merkmalsausprägung erhalten. Üblich ist die Bewertung des regionalen Inlandsproduktes entweder zu jeweiligen Marktpreisen bzw. Faktorkosten und einem geeigneten Wechselkurs oder 14
Vgl. Europäisches Parlament, Eine neue Strategie, S. 34.
Vgl. Stobbe, A1fred, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, in: A1bers, Willy et a1 .• HdWW, Bd. 8, Stuttgart et a1. 1988, S. 368-405, hier S. 395. 15
16
Vgl. Beckmann, Karin, S. 59.
I. Probleme der Operationalisierung
183
in Kaufkraftparitäten. Beide Methoden leisten unterschiedliche Aussagen; sie sind allerdings beide auch mit Mängeln behaftet.
Im ersten Fall mißt das Inlandsprodukt pro Kopf die Wirtschaftskraft einer Region. Im internationalen bzw. interregionalen Vergleich besteht das Inlandsprodukt aus den drei Komponenten Produktionsvolumen, den entsprechenden Preisen in nationaler Währung und dem zur Umrechnung benötigten WechselkursP Die Verwendung von Wechselkursen berücksichtigt, daß sich Unternehmen in den Gemeinschaftsregionen (auch) an internationalen Preisen orientieren müssen. 18 Die relative ökonomische Lage einer Region hängt somit nicht nur vom Produktionsvolumen, sondern auch von der durch die Preise am Markt repräsentierte Wettbewerbsfähigkeit ab. 19 Es handelt sich dabei somit um eine eher angebotsorientierte Betrachtung. Diese Form der Berechnung ist allerdings häufig deswegen mit Problemen behaftet, weil sich die Wechselkursbildung am freien Markt in der Regel nicht nur an Preisniveauunterschieden zwischen den Ländern orientiert,' sondern auch von Zinsdifferenzen, Spekulationsbewegungen, der wirtschaftlichen oder politischen Lage eines Landes und den Erwartungen bezüglich dieser Größen etc. beeinflußt wird. Diese Verzerrungen treten in starkem Maße bei frei floatenden Währungen, z. B. dem US-Dollar auf. Bei Vergleichen zwischen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ist es allerdings üblich, die nationalen Währungen in ECU umzurechnen. Die ECU ist seit 197920 und damit mit Inkrafttreten des Europäischen Währungssystems EWS Recheneinheit und Zahlungsmittel zwischen den Zentralbanken des EWS21. Das EWS beinhaltet feste Wechselkurse zwischen den EG-Mitgliedstaaten, Bandbreiten22 , innerhalb derer die Wechselkurse schwanken dürfen und die
17
Vgl. Kommission, Erster Periodischer Bericht, S. 198.
18 19 20 21
Vgl. Kommission, Erster Periodischer Bericht, S. 48. Vgl. Kommission, Erster Periodischer Bericht,·S. 198 f. Vor 1979: Europäische Recheneinheit ERE.
Vgl. im folgenden: Harbrecht, Wolfgang, Europäische Währungseinheit, in: Dichtl, Erwin, Issing, Otmar (Hrsg.), Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, München 1987, S. 548 und Harbrecht, Wolfgang, Europäisches Währungssystem, in: Dichtl, Erwin, Issing, Otmar (Hrsg.), Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, München 1987, S. 556.
22 Die Bandbreiten von plus/minus 2,25% (bzw. für Italien 6%) wurden im Herbst 1993 auf plus/minus 15% erweitert.
184
C. Die Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels
Bestimmung, daß die Leitkurse im EWS nur bei Einstimmigkeit zwischen den Teilnehmerstaaten geändert werden dürfen. Die ECU ist eine Kunstwährung, bei der die Währungen der einzelnen EGMitgliedstaaten entsprechend ihrer wirtschaftlichen Bedeutung mit einem bestimmten festgelegten Währungsbetrag in einem Währungskorb enthalten sind. Die wirtschaftliche Bedeutung eines Landes bemißt sich an seinem Anteil am EG-Sozialprodukt, seinem Anteil am innergemeinschaftlichen Handel und seiner Quote am finanziellen Beistandssystem zur Sicherung der festen Wechselkurse. Die ECU kann ihren Wert im Vergleich zu einer nationalen Währung insofern verändern, als sich der prozentuale Anteil der einzelnen Währungen bei Wechselkursänderungen innerhalb der Bandbreiten verändert. Daneben sind aber auch Neufestsetzungen der Beträge, mit denen ein Land im Währungkorb vertreten ist, vorgesehen. Derartige Anpassungen der Leitkurse wurden in der Vergangenheit dann notwendig, wenn aufgrund einer ungenügenden Abstimmung der Geldpolitik die Preisniveaus der einzelnen Mitgliedstaaten sich zu sehr auseinanderentwickelt hatten. Ein Vorteil der ECU gegenüber einer frei floatenden Währung ist demnach, daß die Leitkurse von Zeit zu Zeit und ohne den bisweilen beobachtbaren hektischen Aktionismus und die Übertreibungen der Devisenmärkte an die Entwicklung der Preisniveaus angepaßt werden können. Daneben vermag die ECU aufgrund ihrer Konstruktion den Einfluß der Spekulation bis zu einem gewissen Grad zu dämpfen. Spekulanten müssen damit rechnen, daß die Notenbanken bei Erreichen der Interventionspunkte die Bandbreite des Wechselkurses verteidigen werden. Allerdings sind auch Notenbankinterventionen auf lange Sicht nicht in der Lage, die Bandbreiten der Wechselkurse gegen dagegen ankämpfende Devisenmärkte zu verteidigen. Insgesamt gesehen dürfte, auch wenn bei den Leitkursfestsetzungen in der Vergangenheit andere als Preisniveauüberlegungen eine Rolle spielten, die ECU besser als eine frei floatende Währung dazu in der Lage sein, die realen Pro-Kopf-Einkommen vergleichbar zu machen. Die zweite Form der Bewertung verwendet Kaufkraftparitäten. Bei der Berechnung von Kaufkraftparitäten wird berücksichtigt, daß der reale Gegenwert oder Tauschwert einer einzelnen Geldeinheit von der Kaufkraft des Geldes bestimmt wird. 23 Die Kaufkraft steht in einem reziproken Verhältnis zum jeweiligen Preisniveau, da der Realwert des Geldes um so höher ist, je niedriger das 23 Vgl. Caspers. Rolf. Kaufkraft. in: DichtI. Erwin. Issing. Otrnar (Hrsg.). Vahlens Großes Wirtschaftslexikon. München 1987. S. 997.
I. Probleme der Operationalisierung
185
Preisniveau ist und umgekehrt. Bei der Errechnung einer Kaufkraftparität zwischen Land 1 und 2 wird das Preisnivau in Land 1 durch das Preisniveau in Land 2 dividiert. Da die Kaufkraftparitäten die Preisniveauunterschiede zwischen verschiedenen Ländern berücksichtigen, sind sie zur Aufstellung aussagefähiger Realeinkommens- oder Lebensstandardvergleiche geeignet. Sie sind allerdings nicht in der Lage, die ökonomische Leistung einer Region zu messen. Es handelt sich damit um eine eher nachfrageorientierte Betrachtung. In der EG werden Erhebungen zur Ermittlung der Kaufkraftparitäten im fünfjährigen Turnus angestellt. 24 Dabei wird die Preisentwicldung möglichst all der Güter und Dienstleistungen überprüft, die im Mengengerüst der einzelnen Bruttosozialprodukte und ihrer Teilaggregate beinhaltet sind. Die resultierenden Kaufkraftparitäten werden anschließend in eine künstliche Währungseinheit, den Kaufkraftstandard 25 umgerechnet, um nicht durch die Verwendung einer der nationalen Währungen die anderen Mitgliedstaaten zu benachteiligen. Die Ermittlung der Kaufkraftparitäten innerhalb des fünfjährigen Preisermittlungsturnus' wird mit Hilfe einer Extrapolation der jährlichen Preisindexveränderungsraten vorgenonunen. Da sich beide Bewertungsformen mit ihren unterschiedlichen Aussagegehalt ergänzen, werden sie im Rahmen der statisti"schen Verfahren parallel verwendet. 4. Das Problem der räumlichen Abgrenzung
Zur Feststellung der Disparitäten in der EG muß ihr Gesamtgebiet in geeigneter Form in Teilräume aufgegliedert werden. Dies bedeutet, daß Kriterien für die räumliche Abgrenzung der Regionen festgelegt werden müssen. Die regionale Einteilung ist als Funktion des Ziels dieser Arbeit zu sehen. Dabei gilt es zwei Punkte zu beachten: Zum einen sind die Regionen an sich nur die "Instrumente" für die Analyse und die Durchführung der politischen Maßnahmen, die ja wiederum eigentlich die regionale Einkonunensverteilung zwischen den Personen bzw. Personengruppen korrigieren wollen. 26 Zum anderen 24 Vgl. Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften Eurostat, Kaufkraftparitäten und Bruttoinlandsprodukt in realen Werten, Ergebnisse 1985, Luxemburg 1988, S. 1.
25 Dabei wurde folgende Niveaufestlegung getroffen: Das Bruttoinlandsprodukt der Gemeinschaft ausgedrückt in der Bewertungseinheit Kaufkraftstandard entspricht im Jahre 1975 dem BIP ausgedrückt in ECU; vgl. Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften, Eurostat, Kaufkraftparitäten und Bruttoinlandsprodukt, S. 32. 26 Vgl. Biehl, Dieter, Ursachen interregionaler Einkornrnensunterschiede und Ansatzpunkte für eine potentialorientierte Regionalpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, in: Groeben, Hans von
186
C. Die Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels
ist das Ergebnis einer regionalen Analyse unmittelbar abhängig von der Wahl der regionalen Abgrenzungskriterien und der Tiefe der räumlichen Aufgliederung. 27 Großen Einfluß auf die endgültige Höhe der Disparitäten hat die Stärke der Aufgliederung eines Gebietes in Teilregionen: Je weniger aufgegliedert der Gesamtraum ist, desto geringer fallen die Disparitäten aus; bei zunehmender Disaggregation steigt in der Regel auch die statistische Streuung der Merkmale der Teilräume. 28 Bezüglich der Gliederungskriterien von Räumen bieten sich grundsätzlich zwei Prinzipien an, das Funktionalprinzip und das Planungsprinzip.29 Unterteilt man die Teilregionen nach funktionalen Kriterien, so will man wirtschaftliche Verflechtungen und sozioökonomische Gesetzmäßigkeiten im Raum zum Ausdruck bringen. Dagegen greift die nach dem Planungs prinzip vorgehende Abgrenzung auf bereits bestehende Verwaltungseinheiten zurück. Unter theoretischen Aspekten ist der funktionalen Abgrenzungstechnik der Vorrang einzuräumen, da sie die ökonomischen Verbindungen der Wirtschaftssubjekte beachtet. Die Abgrenzung unter planerischen Gesichtspunkten, die diese Verknüpfungen nicht beachtet, kann zu schwerwiegenden diagnostischen Verzerrungen führen. Dies wäre etwa der Fall, wenn unter Verwaltungs-Gesichtspunkten eine stark industrialisierte Zone von ihrem Umland, wo die Arbeitnehmer dieses Industriegebiets leben, abgetrennt wäre, denn die Produktion von Gütern und Dienstleistungen führt dort zu einem Beitrag zum Inlandsprodukt, wo es erwirtschaftet wurde und nicht, wo die Erwirtschafter leben. Desweiteren könnte mit Hilfe der funktionalen Abgrenzungsmethode eine Nivellierung von Merkmalen in sehr heterogen strukturierten Gebieten, die großflächig sind, aber eine Verwaltungseinheit repräsentieren, vermieden werden. Da jede Merkmalsausprägung einer einzelnen Region als Durchschnittswert für diese Region anzusehen ist und die Disparitäten innerhalb dieser Region der (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen einer Europäischen Union, Baden-Baden 1976, S. 71-99, hier S. 71.
27 Vgl. Klemmer, Paul, Regionalpolitik auf dem Prüfstand, Köln 1986, S. 40 f; Klemmer, Paul, Raumgliederung für die Zwecke der Gemeinschaftspolitik, in: Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften Eurostat (Hrsg.), Eurostat-Mitteilungen, Sondernummer, Luxemburg 1989, S. 87100, hier S. 87 f. 28 Vgl. Vanhove, Norbert, Klaassen, Leo, Regional Policy: A European Approach, 2. Aufl., Avebury 1987, S. 81. 29 Vgl. ähnlich Lauschmann, Elisabeth, Grundlagen einer Theorie der Regionalpolitik, 3. Aufl., Hannover 1976, S. IS f.
I. Probleme der Operationalisierung
187
vernachlässigt werden, werden gebietsinterne divergierende Prozesse um so stärker verdurchschnittlicht, je heterogener, aber auch je größer ein Gebiet C.p. ist. 30 Insofern könnte die Forderung nach Gebietsgrößen, bei denen möglichst wenig Verzerrungen bei der Verdeutlichung der Entstehung des Inlandsproduktes auftauchen, von der analytischen Methode am besten erfüllt werden. Bei der Suche nach der geeigneten regionalen Disaggregationsebene für die Durchführung einer Untersuchung zur Feststellung der Entwicklung der Disparitäten in der EG ist allerdings noch eine weitere Überlegung angebracht: Es ist dies die Frage, ob auf der gewünschten regionalen Abgrenzungsebene überhaupt Daten zur Verfügung stehen bzw. Zeitreihen zu finden sind. Da eigene Daten im Rahmen dieser Arbeit nicht erhoben werden, können mir diejenigen regionalen Einheiten, die zugleich Eurostat als Erhebungseinheiten für Daten dienen, Grundlage für die Unters\!chung sein. Im Jahr 1972 veröffentlichte das Statistische Amt der EG Eurostat die "Nomenclature des Unites territoriales statistiques (zu deutsch "Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik"), die sog. NUTS für die EG 6, 1975 dann für die EG 9 und nach dem Beitritt von Griechenland, Spanien und Portugal auch für die erweiterten EG 10 und EG 12. 31
NUTS ist eine hierarchische Aufteilung der EG in die Nationalstaaten, die die Nullebene bilden und in drei weitere Ebenen von Regionen mit jeweils abnehmender Größe (NUTS 1, NUTS 2 und NUTS 3). Tabelle 11 bietet einen Überblick über die verschiedenen NUTS-Ebenen, ihre amtliche Bezeichnung in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Gesamtzahl in der Gemeinschaft der Zwölf. Die Gebietseinheiten der Ebene 1 umfassen eine Anzahl ungeteilter Einheiten der Ebene 2, und die Gebietseinheiten der Ebene 2 umfassen eine Anzahl ungeteilter Einheiten der Ebene 3. 32 So sind Irland, Luxemburg und Dänemark in der Regel jeweils als Ganzes Gebietseinheiten auf Ebene 1 und 2, z. T. wird Dänemark auf der Ebene 2 aber auch in drei Gebietseinheiten untergliedert.
30
Vgl. Klemmer, Paul, Regionalpolitik auf dem Prüfstand, S. 41.
Europäische Gemeinschaften, Statistisches Amt, Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik, Luxemburg, verschiedene Ausgaben. 31
32 Vgl. Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaft Eurostat, Regio, Regionale Datenbank, S. 5.
188
C. Die Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels Tabelle 11 Amtliche deutsche Bezeichnung und gemeinschaftsweite Anzahl der Gebiete der verschiedenen NUTS·Ebenen.
Gliederungsebene
NUTS 1
NUTS2
NUTS3
Amtl. Bezeichnung in D
Länder
Regierungsbezirke
Kreise
71
183
1044
Anzahl in EG 12
Quelle: Kommission, Fünfter periodischer Bericht, S. 174; eigene Darstellung. 33
Die fehlende räumliche Untergliederung ist im wesentlichen zurückzuführen auf - eine geringe räumliche Ausdehnung der übergeordneten Region, - fehlende historische regionale Untergliederungen (vgl. v. a. Großbritannien und Dänemark), - eine sich erst in Arbeit befindliche Einteilung übergeordneter Regionen (vgl. neue Bundesländer aufNUTS-2-Ebene). Das statistische Amt der EG versucht bei der Regional-Einteilung des Gemeinschaftsgebietes, so weit wie möglich auf gewachsene Verwaltungseinheiten zurückzugreifen. Dies bedeutet, daß man sich für das problematischere der beiden Raumgliederungskriterien, das normative Abgrenzungskriterium, entschied. 34 Diese Wahl ist aus Datenerhebungsgründen verständlich, bringt aber zusätzlich zu den oben erwähnten noch einige weitere Probleme mit sich: Regionen auf gleicher Ebene weisen große Unterschiede bezüglich ihrer Ausdehnung auf. So hat die kleinste Region auf NUTS 2-Ebene, Ceuta y Melilla, 30 km2 an Fläche und die größte Region, Castilla y Leon, 94.200 km2 an Fläche. Derartige Diskrepanzen können starke Auswirkungen auf die Nivellierung der Ergebnisse haben. Daneben mußten in einigen EG-Mitgliedsstaaten, z. B. in Großbritannien, aufgrund der nicht gewachsenen Regionalstrukturen regionale Untergliederungen nachträglich erst noch implementiert werden. Dies ist nicht zuletzt auch der Grund dafür, daß in den EG-Statistiken z. T. starke Datenlücken bestehen. Kommt man nun zu der Frage, welche der NUTS-Ebenen von Eurostat nun für die Berechnung der Disparitäten am besten geeignet ist, spielt die Frage des Vorhandenseins von Datenmaterial eine entscheidende Rolle. Hier müssen auf 33 Diese Darstellung bezieht die Regionen der früheren Deutschen Demokratischen Republik (5 Länder, 15 Bezirke, 218 Kreise) mit ein. 34
Vgl. hierzu ausführlich Südfeld, Erwin, S. 145 f.
I. Probleme der Operationalisierung
189
der Ebene von NUTS 3 für die Inlandsproduktzahlen bereits recht beträchtliche Datenlücken ausgemacht werden. Andererseits muß die Forderung beachtet werden, daß die regionale Einteilung des Gemeinschaftsgebietes möglichst tief ist, da sonst die Gefahr der Nivellierung der Ergebnisse zu groß wird. Letztendlich muß auch berücksichtigt werden, auf welcher Ebene die EG selbst ihre Regionalpolitk zu betreiben und kontrollieren versucht: Um Informationen über das regionale Entwicklungsgefälle in Europa zu erhalten, werden in den periodischen Berichten die Regionen der Gemeinschaft in zweijährigem Abstand miteinander verglichen. Man will damit auch einen "Beitrag zur Festlegung der geographischen Prioritäten für den Einsatz der gemeinschaftlichen Regionalpolitik" ermitteln. 35 Die bisherigen Berichte verwenden für ihre Berichterstattung die NUTS 1-, insbesondere aber die NUTS 2-Ebene als Diagnoseebene. Auch bei der Klassifizierung der regionalen Probleme geht die Gemeinschaft vorzugsweise auf NUTS 2-Ebene vor. 36 Die Gemeinschaft arbeitet also vorzugsweise selbst mit NUTS 2, schließlich hat diese Ebene eine "einigermaßen überschaubare" Anzahl von Raumeinheiten und es liegen zumindest einige ökonomische Basisdaten für sie vor. 37 Obwohl diese Ebene durchaus zu Recht bisweilen als zu inhomogen und im Vergleich zur tiefer gegliederten NUTS 3-Ebene nicht ausreichend angesehen wird,38 ist für die vorliegende Arbeit NUTS 2 die geeignetste und operationalisierbarste Ebene zur Feststellung der räumlichen Disparitäten in der Gemeinschaft. 5. Das Problem der zeitlichen Abgrenzung
Die EG erfuhr im Verlauf ihrer Geschichte verschiedene Erweiterungen. Die Hälfte der jetzigen zwölf EG-Mitgliedstaaten wurde erst in den 70er und 80er Jahren Mitglied der Gemeinschaft. 35 Vgl. Kommission, Die Regionen Europas, Zweiter periodischer Bericht über die sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen der Europäischen Gemeinschaft, Luxemburg 1984,S.m. 36 Vgl. VO Nr. 2052188 vom 24.6.1988, Präambel, in: AbI. Nr. L 185 vom 15.7.88, S. 10. 37 Vgl. Koll, Robert, Die Entwicklung der europäischen Regionen und Großstädte, in: IFO-
Schnelldienst Heft 17/18 1992, S. 5-12, hier S. 6.
38 Vgl. Südfeld, Erwin, S. 145.
190
c. Die Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels
Im Jahre 1975 wurde der Europäische Fonds für regionale Entwicklung EFRE, ins Leben gerufen. Seit dieser Zeit kann von einer eigenständigen EGRegionalpolitik gesprochen werden. Erst ab diesem Zeitpunkt kann sich auch die Wirkung der Regionalpolitik für die sechs Gründungsstaaten zeigen; für die Beitrittsländer ist dafür der jeweilige Beitrittszeitpunkt entscheidend. Mit dem Beitritt eines neuen Landes vergrößern sich in der Regel automatisch die Disparitäten der neuen Grundgesamtheit, da sich die Anzahl der Merkmalsträger vergrößert. Um das Auftreten von derartigen Strukturbrüchen in den Ergebnisreihen zu vermeiden, werden alle Grundgesamtheiten oder "Beobachtungsgruppen", nämlich EG 9, EG 10 und EG 12 durchgängig von 1975 bis zu dem Zeitpunkt mit dem aktuellsten verfügbaren Datenmaterial, 1992, analysiert. Aus VergleichsgTÜnden soll auch die Entwicklung der Regionen der Gründungs gemeinschaft EG 6 mit in die Untersuchung aufgenommen werden. Der gewählte Zeitraum schließt sich auch nahtlos an den von 1960 bis zur wirtschaftlichen Rezession 1974 dauernden Zeitabschnitt an, in dem für die Gemeinschaft eine deutliche Konvergenz der Einkommen, gemessen am Einkommen auf Mitgliedstaatenebene in der EG 6, verzeichnet werden kann. 39 Ab dem Anfangsjahr der Zeitreihenanalyse 1975 sind auch die meisten Nettoinlandsproduktwerte auf NUTS 2-Ebene vorhanden. 40 Fehlende Daten werden nach den üblichen Verfahren der Extra-, Inter- bzw. Retropolation berechnet. 41 Insgesamt bleibt festzuhalten, daß als Indikator zur Messung des regionalen Ausgleichsziels das Bruttoinlandsprodukt in ECU bzw. KKP je Einwohner auf NUTS 2-Ebene im Zeitraum von 1975 bis 1992 verwendet wird. Wegen fehlender Daten können die französischen Überseedepartements Guadeloupe, Martinique, Guyane und Reunion sowie die portugiesischen Acoren und die Insel Madeira nicht berücksichtigt werden. Auch das Gebiet der ehemaligen DDR wird wegen des zu kurzen Zeitraums, für den Datenmaterial zur Verfügung steht, nicht in die Berechnungen aufgenommen. Insgesamt stellen für die Grundgesamtheit der EG 12 170, der EG 10 147, der EG 9 134 und der EG 6 95 Regionen die Grundlage für die Berechnungen dar. 39 Vgl. Kommission, Die Regionen der erweiterten Gemeinschaft, Dritter periodischer Bericht über die sozio-ökonomische Lage und Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft, Luxemburg 1987, S. 55 ff. 40 Schon aus Gründen der Datenverfügbarkeit wäre eine Berücksichtigung von früheren lahren nicht möglich gewesen. 41 Vgl. Molle, Willem, Holst, Bas van, Smit, Hans, Regional Disparity and Economic Development in the European Community, 2. Aufl., Avebury 1987, S. 249 f.
I. Probleme der Operationalisierung
191
Die von der EU verwendete Regionaleinteilung der Ebene NUTS 2 enthält Anhang 1; Anhang 2 beinhaltet die Sozialprodukts- und Einwohnerzahlen, die den Berechnungen zugrunde liegen. 6. Anforderungen an die Verfahren zur Messung der Regionaldisparitäten
Die regionalpolitischen Zielformulierungen der Verrringerung des Abstandes zwischen einzelnen Gebieten (vgl. Präambel des EWGV von 1957), der Verringerung der Unterschiede im Entwicklungsstand (vgl. EEA von 1986) der verschiedenen Regionen, die Verringerung des Ausmaßes der Unterschiede im sozialen und wirtschaftlichen Wohlstand zwischen einzelnen Regionen (vgl. Europäisches Parlament von 1992) fordern eine Abnahme der Streuung des Wohlstandes zwischen den Regionen. Die Verfolgung des Ziels der Verringerung des Rückstandes der weniger begünstigten Gebiete will die Lage dieser Gebiete im Vergleich zu den übrigen Gebieten verbessern und ihren Anteil am Gesamteinkommen der Gemeinschaft erhöhen. Eigenschaften von Verteilungen mit quantitativem Merkmal wie Lage, Streuung oder Konzentration werden mit Hilfe der sog. Verteilungsmaßzahlen, die die deskriptive Statistik als Instrumente zur Beschreibung von Datenverteilungen verwendet, erfaßt. 42 Fragen zur Art oder Höhe der Lage oder der Streuung der Merkmale des Einkommens in den Regionen können deshalb mit Hilfe des Instrumentariums der deskriptiven Statistik beantwortet werden. Dabei können die BIP-Zahlen der Regionen auf NUTS 2-Ebene in statistischer Hinsicht als Beobachtungswerte oder Merkmalsausprägungen einer empirischen Verteilung interpretiert werden. Da die einzelnen Disparitätsmaße unterschiedliche Aussagen über das verwendete Datenmaterial treffen, ist es für eine umfassende Analyse nötig, unterschiedliche Maße zu verwenden. Dabei ist davon auszugehen, daß einerseits nicht alle Maßzahlen gleichermaßen gut geeignet sind zur Analyse der regionalen Disparitäten, es aber andererseits unter den geeigneten Maßen nicht nur eine einzige "richtige" Maßzahl 42 Diese will, im Gegensatz zur induktiven Statistik, die aus erhobenem Datenmaterial Schlüsse auf Ursachenkomplexe ziehen will, allerdings keine Kausalitätsbeziehungen aufstellen. V gl. Ferschl, Franz, Deskriptive Statistik, Würzburg-Wien 1978, S. 15.
192
C. Die Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels
gibt. Es ist vielmehr so, daß - abhängig vom jeweils speziellen Blickwinkel der Betrachtung - durchaus unterschiedliche methodische Ansatzpunkte gewählt werden können. 43 Bei der Überprüfung einzelner Disparitätsmaße im Hinblick auf ihre Tauglichkeit für die vorliegende Analyse müssen folgende Anforderungskriterien beachtet werden: - Die Maßzahl sollte ein adäquates Instrument zur sachgerechten Lösung eines bestimmten, Problems oder einer bestimmten Fragestellung sein. So sollte in einem Zeitvergleich die Niveauneutralität der verwendeten Maßzahl sichergestellt sein. - Die Maßzahl sollte dazu in der Lage sein, die Informationen, die ihr die Grundgesamtheit der Daten zur Verfügung stellt, ausreichend zu verarbeiten und zu übermitteln. Eine Maßzahl, die beispielsweise lediglich die beiden Extremwerte einer Verteilung verarbeitet, berücksichtigt alle sonstigen Daten nicht und ist so für sich allein genommen unbefriedigend. Deshalb sind zusammenfassende Maßzahlen wünschenswert. - Die Maßzahl sollte nicht zu empfindlich gegenüber Ausreißern oder Verunreinigungen 44 des Datenmaterials sein, sondern robust auf diese reagieren können.
11. Übersicht über bereits durchgeführte Disparitätenanalysen
In diesem Abschnitts soll ein Überblick über bereits durchgeführte und veröffentlichte Untersuchungen zur Entwicklung der regionalen Disparitäten in der Gemeinschaft gegeben und die dabei verwendeten Analysemethoden beurteilt werden. Aufgrund der regionalpolitischen Zielsetzung der Gemeinschaftsverträge hat zuallererst die Kommission der Europäischen Gemeinschaften ein starkes Interesse an der Entwicklung der Disparitäten im Gemeinschaftsraum. Sie veröffentlicht insbesondere im Rahmen der periodischen Berichte seit 1981 eigene Analysen zu diesem Untersuchungsgegenstand, die in Tabelle 12 zusarnmengefaßt sind. Dort sind alle Analysen berücksichtigt, die
43
Vgl. Ferschl, Franz, S. 47.
44 Es ist allerdings anzunehmen, daß dieser Problemfall im vorliegenden Zusammenhang nicht relevant ist.
11. Übersicht über bereits durchgeführte Disparitätenanalysen
193
- sich auf mindestens zwei Zeitpunkte beziehen, damit eine Entwicklung der Disparitäten festgestellt werden kann, - das ökonomische Merkmal des Inlandsprodukts betreffen, - sich auf das gesamte Gemeinschaftsgebiet und nicht nur auf einzelne Mitgliedstaaten erstrecken, - sich auf regionale Untergliederungen der Mitgliedstaaten erstrecken und schließlich - als Ergebnis zusammenfassende Maßzahlen aufweisen. Tabelle 12 zeigt jeweils das untersuchte Merkmal, den räumlichen und zeitlichen Umfang der Analyse, die verwendeten Maße, das Ergebnis der Analyse bezüglich der Entwicklung der Disparitäten und den Ort der Veröffentlichung der Untersuchung. Als regionale Ebene wählte die Kommission jeweils die Ebene NUTS 2. Die mit dieser Gliederungsebene verbundenen Probleme wurden bereits in Abschnitt C.1.4 angesprochen. Doch offensichtlich werden auf der tieferen Ebene NUTS 3 der Kommission sogar noch in jüngster Zeit von den nationalen statistischen Ämtern vergleichbare Daten nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt. Der zeitliche Umfang der Untersuchungen umfaßt in der Regel eine Reihe von aufeinanderfolgenden Jahren; zum Teil werden aber auch lediglich willkürlich ausgewählte einzelne Jahre analysiert, was den Aussagegehalt der Ergebnisse schmälert. In den bisher veröffentlichten Untersuchungen verwendet die Kommission verschiedene Verteilungsmaßzahlen: Absolute Maßzahlen wie die Spannweite zwischen den Extremwerten der Regionen, den Abstand zwischen den extremen Quantilen, die durchschnittliche Abweichung und die Standardabweichung und relative Maßzahlen wie das Verhältnis der schwächsten zur stärksten Region, der 10 stärksten zu den 10 schwächsten oder der 10 oder 25 schwächsten bzw. 10 oder 25 stärksten Regionen zum Gemeinschaftsdurchschnitt, das Verhältnis der extremen Quantile, die relative durchschnittliche Abweichung, den Variationskoeffizienten und den Theil-Index. Diese Maßzahlen haben teilweise allerdings nur einen sehr begrenzten Aussagewert. Sehr wenig aufschlußreich im Rahmen der Messung regionaler Disparitäten ist zunächst die Verwendung absoluter Maße, von denen die Kommission für ihre Berechnungen häufig die Standardabweichung als Maß für die absolute regionale Streuung von Beobachtungswerten verwendet. 45 Diese Maße sind für 4S
Zur Konstruktion der Standardabweichung vgl. Abschnitt C.4.
13 Wellenhofer
194
C. Die Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels
Vergleiche zwischen verschiedenen Jahren insofern kaum geeignet, als das Ergebnis abhängig ist von den gewählten Maßeinheiten und in diesem Fall Maßstabsänderungen, z. B. infolge einer Erhöhung des durchschnittlich erzeugten Produktionsvolumens, nicht herausgerechnet werden. Dieses Problem kann durch die Verwendung von relativen Streuungsmaßen ohne weiteres beseitigt werden. Es ist daher unverständlich, wenn die Kommission abwechselnd absolute und relative Streuungsmaße verwendet und sich nicht auf die relativen Streuungsmaßzahlen beschränkt.46 Die Berechnung des Verhältnisses der Merkmalsausprägungen jeweils einer oder einer bestimmten Anzahl von Regionen in den Extrembereichen von Verteilungen berücksichtigt nicht die Lage und damit auch die Streuung der restlichen Regionen. Damit bleibt ein Teil der Informationen der Grundgesamtheit unausgeschöpft. Diese Maßzahlen sind somit nicht geeignet, das bereits in der Präambel des EWGV von 1957 verankerte Ziel der Verringerung des Abstandes zwischen einzelnen Gebieten zu messen. Auch die zweite Zielformulierung, die sich auf die Verringerung des Rückstandes weniger begünstigter Gebiete bezieht, wird nicht ausreichend überprüft, da zum einen die Anzahl von einer, von 10 oder 25 Regionen völlig willkürlich gewählt ist und zum anderen unverständlich ist, warum sich die benachteiligten Regionen gerade an den reichsten Regionen messen müssen und nicht etwa am Durchschnitt der Gemeinschaft. Ein generelles Problem bei der Durchführung der Disparitätenberechnungen durch die Kommission ist die Frage der Gewichtung der Beobachtungswerte. Da die Regionen unterschiedlich groß sind und das Gemeinschaftsziel nicht die Gleichstellung der Regionen, sondern die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in den Regionen betrifft,47 müssen diese Größenunterschiede bei der Berechnung der regionalen Disparitäten Berücksichtigung finden.
46 Vgl. dazu auch Südfeld, Erwin, S. 149. In einem Fall belegt die Kommission auch die Verwendung der Standardabweichung bei der Berechnung der Einkommensdisparitäten mit der dafür üblichen Formel, verwendet aber dann bei der entsprechenden graphischen Darstellung die ..Standardabweichung in Prozent des Durchschnitts", was dem relativen Maß des Variationskoeffizienten entspricht; vgl. Kommission, Vierter Periodischer Bericht, S. 21; ob diese mißverständliche Darstellungsweise auch für andere Fälle zutrifft, kann zwar nicht überprüft werden, da die Kommission die Ursprungsdaten der Berechnungen nicht angibt, ist aber eher unwahrscheinlich, da die Kommission selbst an anderer Stelle eine strikte Unterscheidung in die Standardabweichung als absolute Meßgröße und den Variationskoeffizienten als relative Meßgröße trifft; vgl. Kommission, Zweiter Periodischer Bericht, S. 5.
47 Vgl. Südfeld, Erwin, S. 149.
11. Übersicht über bereits durchgeführte Disparitätenanalysen
195
Tabelle 12 Von der Kommission veröffentlichte Untersuchungen zur Entwicklung der Disparitäten.
Merkmal
Meßraum
Zeitraum
Maße
Ergebnis
Quelle
BIP p.K.(WK.) BIP p.K.(ERE) BIP p.K.(KKP) BIP p.K.(ERE)
EG9 EG6/9 EG9 EG9
1970;1977 1960-1977 1970;1977 1960-1977
'ZZ
Zunahme Zunahme Zunahme Zunahme
I,S.51 I,S.54 I,S.l00 I,S.165
BIP p.K.(ERE)
EG9
1960-1977
Zunahme
I,S.165
BIP p.K.(KKP)
EG9
1960-1977
Zunahme
I,S.178
BIPp.K.(~)
EG9
1960-1977
Zunahme
I,S.178
BIP p.K.(KKP) BIP p.K.(ECU) BIP p.K.(ECU,kP) BIP p.K.(KKP) BIP p.E.(ECU) BIP p.E.(ECU,kP) BIP p.E.(KKP) BIP p.K.(KKP) BIP p.K.(KKP) BIP p.E.(KKP) BIP p.E.(KKP) BIP p.K.(ECU) BIP p.K.(KKP)
EG9 EG9 EG9 EG9 EG9 EG9 EG9 EG 10 EG 12 EGlO EG 12 EG 12 EG 12
1960-1977 1970-1981 1970-1981 1970-1981 1970-1981 1970-1981 1970-1981 1970-1983 1977-1983 1970-1983 1977-1983 1980-1990 1980-1988
Abnahme Zunahme Konstanz Konstanz Konstanz Zunahme Konstanz Konstanz Zunahme Zunahme Konstanz Zunahme Zunahme
I,S.178 II,S.79 ff. II,S.79 ff. II,S.79 ff. II,S.105 ff. II,S.105 ff. II,S.105 ff. III,S.59,130 III,S.59,130 III,S.59,130 III,S.59,130 IV, S.21 IV, S.87
pp
Zunahme Konstanz Zunahme Konstanz
'ZZ
Zunahme
V, S.52 V, S.52 VI,S.37, 175 VI,S.38 f., 175 VI,S.38 f., 175
13·
BIP p.K.(KKP) BIP p.K.(KKP) BIP p.K.(KKP) BIP p.K.(KKP)
EG EG EG EG
12 12 12 12
1980;85;90 1980;85;90 1980-1991 1980;1991
BIP p.K.(KKP)
EG 12
1980;1991
TI
'ZZ SW,AQ, DA,SA, MM VQ, RA,VK, VKg,TI SW,AQ, DA,SA MM,RA, VK,VKg VQ,TI TI TI TI TI TI TI VK VK VK VK SAg Zu,Zo, FU,Fo Fu,Fo SAg SAg
196
C. Die Messung des regional politischen Ausgleichsziels
Quelle: Kommission, periodische Berichte, verschiedene Jahrgänge, a.a.O.; Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 53, Luxemburg-BrusseI1993; eigene Zusammenstellung. Abkürzungen und Symbole: p.K.: pro Kopf, p.E.: pro Erwerbstätiger, kP: konstante Preise; ZZJFF: Verhältnis der 10 bzw. 25 reichsten zu den 10 bzw. 25 ärmsten Regionen, TI: Theil-Koeffizient, SW: Spannweite zwischen den Extremwerten, AQ: Abstand der extremen Quantile, DA: durchschnittliche Abweichung der einzelnen Beobachtungswerte, SA: Standardabweichung, MM: Verhältnis der Extremwerte; VQ: Verhältnis der extremen Quantile, RA: relative durchschnittliche Abweichung der Beobachtungswerte, VK: Variationskoeffizient, VKg: gewichteter Variationskoeffizient, SAg: gewichtete Standardabweichung, ZufZo: Durchschnitt der 10 ärmsten bzw. reichsten Regionen im Vergleich zum Gemeinschaftsdurchschnitt, FulFo: Durchschnitt der 25 ärmsten bzw. reichsten Regionen im Vergleich zum Gemeinschaftsdurchschnitt; I: Kommission, Erster periodischer Bericht, 11: Kommission, Zweiter periodischer Bericht, 111: Kommission, Dritter Periodischer Bericht, IV: Kommission, Vierter periodischer Bericht, V: Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 53, Luxemburg-Brussel1993, VI: Kommission, Fünfter periodischer Bericht.
Mit Ausnahme des Theil-Koeffizienten und des gewichteten Variationskoeffizienten führt die Kommission eine derartige Gewichtung, z. B. mit der in einer Region jeweils lebenden Bevölkerung, nicht durch. Allerdings ist die Art der Gewichtung beim Variationskoeffizienten durch die Kommission zu kritisieren. Bisher üblich 48 ist die Verwendung des folgenden "gewichteten Variationskoeffizienten":
48 Dies gilt auch für alle weiteren veröffentlichten Berechnungen, die den gewichteten Variationskoeffizienten verwenden; vgl. Molle, Willem, Holst, Bas van, Smit, Hans, S. 253 und ähnlich Vanhove, Norbert, Klassen, Leo, S. 86; bezüglich der Gewichtung vgl. auch Kommission, Vierter periodischer Bericht, S. 21;
11. Übersicht über bereits durchgeführte Disparitätenanalysen
197
(F.I)
Einkommen der Region i, arithmetisches Mittel der Einkommen der Regionen i,
i = 1, ... n,49
Ni
Bevölkerung der Region i,
N ges
gesamte Bevölkerung der Gemeinschaft.
Die Gewichtung in Formel (F.I) wird durch die Faktoren NlNgcs (Bevölkerungsanteile in den Regionen i an der Gesamtbevölkerung der Gemeinschaft) berücksichtigt. Damit ist allerdings die Frage der Gewichtung der Beobachtungswerte noch nicht ausreichend gelöst. Grund dafür ist, daß die unterschiedlichen Bevölkerungszahlen auch Einfluß auf die Mittelwertbildung haben; dies wird durch Formel (F.I) offensichtlich allerdings nicht berücksichtigt, da das Durchschnittseinkommen X als Bezugsgröße mit Hilfe einer arithmetischen Mittelbildung aus den einzelnen regionalen Einkommenswerten berechnet wird. so Eine von der Kommission häufig angewandte relative Meßgröße ist der TheilIndex. s1 Der Theil-Index ist der Logarithmus eines gewogenen Mittels der regionalen Pro-Kopf-Produktwerte, bezogen auf das Pro-Kopf-Produkt aller Regionen: s2 (F.2)
49 Andere als die arithmetischen Mittel werden in aller Regel durch Subskripte gekennzeichnet; vgl. Schaich, Eberhard, Köhle, Dieter, Schweitzer, Walter, Wegner, Fritz, Statistik II, 3. Aufl., München 1990, S. 40.
so Statt der arithmetischen Mittelbildung ist somit eine gewichtete bzw. gewogene MitteIbildung erforderlich; vgl. dazu Abschnitt C.4. SI Zur Herleitung dieser Maßzahl vgl. Theil, Henri, Economies and Infonnation Theory, Arnsterdam 1967, S. 91 ff.
52 Vgl. Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. I, Luxemburg-BrusseI1978, S. 51.
c. Die Messung des regional politischen Ausgleichsziels
198
mit
x ges gesamtes Einkommen der Gemeinschaft.
Der Theil-Koeffizient ist ein Entropie-Maß, das die "Unordnung"53 bzw. die "Unbestimmtheit"54 von Merkmalsausprägungen von Reihen mißt. Er ist ein relatives Maß, da die Pro-Kopf-Werte jeder Region auf den Gemeinschaftsdurchschnitt bezogen werden. Bei einer völligen Gleichverteilung der Beobachtungswerte einer Reihe ist das Ergebnis zwar der für Konzentrationsmaße gewünschte Wert ,,0", bei einer maximalen Ungleichverteilung allerdings wird nicht" 1", sondern das Ergebnis log Nges/Ni erreicht, da
xiI Xges gegen ,,1" tendiert. Aufgrund seiner Konstruktion ist der Theil-Index sehr schwierig zu interpretieren: Für ein einzelnes Jahr ist er nur sehr begrenzt aussagefähig und erst aus dem Vergleich verschiedener Theil-Indizes in einer aufeinanderfolgenden Reihe können gewisse Entwicklungen abgeleitet werden. 55 Zwar ist es bei der Existenz verschiedener Gruppen von Beobachtungswerten möglich, den Theil-Index in einen Anteil der "Unordnung" zwischen den Gruppen und einen Anteil innerhalb der Gruppen aufzuspalten 56, doch kann er aufgrund seiner schwierigen Interpretierbarkeit nicht zufrieden stellen. Von daher ist zu überlegen, ob er nicht durch ein anderes Maß ersetzt werden kann. Auch wenn unbestritten ist, daß für eine erfolgreiche Regionalpolitik eine genaue Kenntnis der individuellen Probleme der Regionen, um die sich die Kommission, wie insbesondere in ihren letzten periodischen Berichten ersichtlich ist, bemüht, nötig ist, ist insgesamt gesehen das Problem der Analyse der regionalen Disparitäten in der Gemeinschaft im Hinblick auf die gemeinschaftliche Zielsetzung vor dem Hintergrund der statistischen Maßzahlen noch nicht genügend gelöst. Insbesondere sollten die statistischen Methoden zwischen den
53 Vgl. Kommission. Europäische Wirtschaft Nr. 1. S. 51. 54 Vgl. Piesch. Walter. Statistische Konzentrationsma8e. Fonnale Eigenschaften und verteilungstheoretische Zusammenhänge. Tübingen 1975. S. 163.
55 Vgl. Clausse. Guy. Girard, Jacques. Rion. Jean-Marie. Evolution des disparites regionales dans la Comrnunaute 1970-1982. Analyse statistique et comparative. in Cahiers BEI. Sept. 1986. S. 17-33. hier S. 19. 56 Vgl. Theil. Henry. S. 94 C.; Abschnitt C.3.3.l dieser Arbeit.
11. Übersicht über bereits durchgeführte Disparitätenanalysen
199
periodischen Berichten auch besser aufeinander abgestimmt sein, damit ein Vergleich zwischen den periodischen Berichten möglich ist. Die erste nicht von der Kommission initiierte Untersuchung regionalpolitischer Disparitäten stammt von Dieter Biehl, Eibe Hußmann und Sebastian Schnyder aus dem Jahr 1972.57 Die Autoren untersuchten auf der Grundlage der ersten von der EWG. vorgelegten Regionalstatistik58 Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt-Werte für die Jahre 1960 und 1969 in der EG 6, die jeweils zum Zweck der Vergleichbarkeit in US-$ umgerechnet wurden. Als Untersuchungseinheiten dienten 98 EWG-Regionen, die etwa den jetzigen NUTS 2-Regionen entsprechen. Im Ergebnis führen sowohl das Verhältnis der reichsten zur ärmsten Region in der Gemeinschaft als auch der ungewichtete und der mit den Bevölkerungsanteilen gewichtete Variationskoeffizient und der Theil-Index im Vergleich der untersuchten Jahre im allgemeinem zu einem Rückgang der Disparitäten. Insbesondere zeigt die Untersuchung, daß die Ergebnisse dabei in einem nicht unerheblichen Maße von der Verwendung verschiedener Wechselkursvarianten abhängen. 59 Darüber hinaus ergibt sich aus dem Theil-Index, daß die Streuung zwischen den sechs EWG-Mitgliedstaaten von 1960 bis 1969 um etwa 30% zurückging, während die Streuung innerhalb der Mitgliedsstaaten in diesem Zeitraum nur um 2% fiel. Eine sehr umfangreiche Analyse veröffentlichten Willem Molle, Bas van Holst und Hans Smit im Jahre 1980. Molle et al. bezogen sich in ihrer Untersuchung auf das Gebiet der EG 9, lehnten sich dabei aber nicht an die Gebietseinteilung der NUTS von Eurostat an, obwohl diese zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon existierte, sondern entwickelten eine eigene Einteilung von 75 Regionen, die sich an Arbeitsmarktregionen orientiert und am ehesten mit der Ebene NUTS I vergleichbar ist. Der Grund für dieses Vorgehen ist wohl im Fehlen von frühem Zahlenmaterial für die NUTS-Regionen zu sehen, denn Molle et al. bezogen sich in ihrer Untersuchung auf die Jahre 1950, 1960 und 1970. 60 Zur Berechnung der Einkommensdisparitäten verwendeten Molle et al. das Bruttoinlandsprodukt zu Faktorkosten pro Kopf der Bevölkerung und pro 57 Vgl. Biehl, Dieter, Hußmann, Eibe, Schnyder, Sebastian, Zur regionalen Einkommensverteilung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in: Die Weltwirtschaft, Heft I 1972, S. 64-78. 58 Vgl. Kommission, Die regionale Entwicklung in der Gemeinschaft, Analytische Bilanz, Luxemburg 1971, S. 312 f. 59
Vgl. Biehl, Dieter, Hußmann, Eibe, Schnyder, Sebastian, S. 67 f.
Da der Kommission für diesen Zeitraum eigene Daten nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen, greift sie in eigenen Veröffentlichungen auf die Arbeit von Molle et al. zurück; vgl. etwa Kommission, Dritter periodischer Bericht, S. 58. (,0
200
C. Die Messung des regional politischen Ausgleichsziels
Einwohner6 1, das aus Vergleichsgründen in US-$ umgerechnet wurde. Als statistische Maßzahlen wurden der Variationskoeffizient, der mittlere absolute Abstand, der mittlere quadratische Abstand, der Koeffizient von Florenz, der Korrelationskoeffizient, der Gini-Koeffizient, der Theil-Koeffizient, der mit der Bevölkerung gewichtete Variationskoeffizient und der logarithmierte Variationskoeffizient berechnet.
Im Ergebnis zeigen alle verwendeten Maßzahlen eine Bewegung hin zu einer mehr oder weniger starken Abnahme der Einkommensdisparitäten in der EG. Obwohl alle verwendeten Maßzahlen zwischen 1950 und 1970 einheitlich eine Bewegung in die gleiche Richtung andeuten, zeigt diese Untersuchung aufgrund der unterschiedlichen Intensität der Reaktion der Maße - diese reicht von -3% beim Korrelationskoeffizient und dem Koeffizient von Florenz bis zu -83% beim logarithmierten Variationskoeffizient - doch implizit, daß das Ergebnis einer Disparitätenberechnung vom jeweils angewandten Maß abhängt. Bis zum Jahr 1974 spricht auch die Kommission, ausgehend von der Einkommensstreuung zwischen den Mitgliedstaaten, von einer starken Abnahme der Disparitäten in der Gemeinschaft. 62 Bei einer nicht so eindeutigen Entwicklung könnte es folglich vom jeweiligen Maß abhängen, ob eine Verringerung oder eine Erhöhung der Einkommensstreuung festgestellt werden kann. Daraus kann eine nicht unerhebliche Manipulationsgefahr erwachsen. Infolgedessen wäre eine Auseinandersetzung mit dem Aussagegehalt, den Vor- und Nachteilen und dem Verhalten der einzelnen Maße durch Molle et al. wünschenswert gewesen. Diese findet man jedoch nur ansatzweise. Auch ist es bedauerlich, daß Molle et al. Ergebnisse nur für drei bzw. zwei Zeitpunkte (1950 und 1970 und zusätzlich z. T. 1960) veröffentlichen, ohne die dazwischenliegenden Zeiträume zu berücksichtigen. Eine Untersuchung zur Disparitätenentwicklung in der Europäischen Gemeinschaft von Guy Clausse, Jacques Girard und Jean-Marie Rion erschien 1986.63 Clausse et al. analysierten anband der Indikatoren BIP pro Einwohner und BIP pro Beschäftigtem auf der Ebene NUTS 2 anhand des Theil-Indexes die Grundgesamtheiten EG 10, EG 9 und EG 6 für die Jahre 1970, 1974, 1978 und 1982. Das BIP wird dabei sowohl real (in Kaufkraftparitäten) als auch nominal (in ECU) bewertet. Für die EG 10 kamen Clausse et al. zu dem Ergebnis, daß die
61
Vgl. Molle. Willem. Holst. Bas van. Smit. Hans. S. 78 ff.
62
Vgl. Kommission. Europäische Wirtschaft Nr. 46. S. 131.
63
Vgl. Clausse. Guy. Girard. Jacques. RioD. Jean-Marie. S. 17-33.
11. Übersicht über bereits durchgeführte Disparitätenanalysen
201
realen Disparitäten im Beobachtungszeitraum nahezu konstant blieben, während die nominellen Disparitäten zwischen 1970 bis 1978 stark anstiegen und anschließend wieder auf ihr Ausgangsniveau zurückfielen. Die Zerlegung des Theil-Indexes in eine Streuung der Beobachtungswerte zwischen den Staaten und innerhalb der Staaten ergibt, daß der Anteil der Streuung der BIP-proBeschäftigten-Werte an der Gesamtstreuung real und nominell von 48% bzw. 70% auf 58% bzw. 78% ansteigt, während die Streuung der BIP-pro-Einwohner-Werte mit real etwa 36% und nominell etwa 58% stabil bleibt. Eine weitere Untersuchung von Robert Barro und Xavier Sala-I-Martin64 beschäftigt sich mit der Frage, ob eine Konvergenz von Regionen in verschiedenen Teilen der Welt empirisch beobachtet werden kann. In diesem Zusammenhang untersuchten sie auch 73 mit NUTS 1 vergleichbare Regionen in 7 europäischen Ländern (EG 6 mit Großbritannien und Dänemark, aber ohne Luxemburg) im Zeitraum zwischen 1950 und 1985. Ihre Analyse beruht auf einer Wachstumsgleichung, die als log-lineare Annäherung vom neoklassischen Wachstumsmodell abgeleitet ist. Barro und Sala-I-Martin erhiC?lten als Ergebnis eine negative Beziehung zwischen der relativen Wachstumsrate des BIP-pro-Kopf und der Höhe der relativen BIP-pro-Kopf. Dies bedeutet, daß arme Regionen schneller wachsen als reiche Regionen. Die Wachstumsrate ist um so höher, je weiter entfernt das BIP einer Region vom steady-state-Gleichgewicht ist. Insgesamt erhalten Barro und Sala-I-Martin eine "Konvergenzrate" der Zunahme der Konvergenz zwischen Regionen von 2% pro Jahr. Dieser Wert gilt sowohl für die Disparitäten zwischen Staaten als auch fi,ir Regionen innerhalb von Staaten. Im Rahmen einer Messung der ungewichteten Standardabweichung des Logarithmus der regionalen, zum jeweiligen nationalen Durchschnitt standardisierten BIP-pro-KopfWerte zeigt sich zudem eine Verringerung der Disparitäten innerhalb der untersuchten Staaten von 1950 bis 1985 um über 35%. In jüngster Zeit wurde auch versucht, mit Hilfe der Methode der multidimensionalen Skalierung Nivauvergleiche von Gebieten der Gemeinschaft im Zeitablauf durchzuführen. 65 Es handelt sich bei der multidimensionalen Skalierung um ein Verfahren, das die Informationen mehrerer Merkmale eines Untersuchungsobjektes zusammenfaßt. Dabei sind die Lage einzelner Untersuchungsmerkmale
64 Vgl. Barro, Robert, Sala-I-Martin, Xavier, Convergence across States and Regions, in: Brookings Papers on Economic Activity, Heft I 1991, S. 107-179.
6S Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Pfeil, Susanne, Die Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft, DisS. Nümberg 1993.
202
C. Die Messung des regionalpolitischen Ausgleichsziels
und ihre Bewegung im Zeitablauf feststellbar. Susanne Pfeil untersuchte in ihrer Studie die Entwicklung der Konvergenz in der EG von 1960 bis 1990 auf Ebene der Mitgliedsstaaten anband des Einflusses von gleichzeitig elf Indikatoren in drei Datenkonstellationen, wobei Daten aus den Bereichen Lebensbedingungen, Arbeitsmarktlage, Güter- und Faktorpreise und öffentliche Finanzen Verwendung fanden. Generell geht die Methode der multidimensionalen Skalierung davon aus, daß Untersuchungsobjekte wie z. B. Länder oder Regionen, die durch m Merkmale beschrieben werden, durch einen Punkt im m-dimensionalen Raum abgebildet werden können. Aufgrund der Lage der Punkte zueinander kann man auf die Ähnlichkeit oder Verschiedenheit der Untersuchungsobjekte Rückschluß ziehen. Ausgehend von der diesen Raum widerspiegelnden Datenmatrix kann stets eine Distanzmatrix angegeben werden, in der für alle möglichen Paare der n Objekte ein Wert für das Distanzmaß d berechnet wird. Das Distanzmaß mißt Informationen über die Ähnlichkeit bzw. Verschiedenheit der Merkmale. Je ähnlicher die Merkmalsausprägungen zweier Untersuchungsobjekte sind, desto geringer ist das Distanzmaß et vice versa. Als geeignet für die Messung von Ähnlichkeitsinformationen hat sich die Euklidische Distanz herausgestellt, die auch die gewünschten Eigenschaften der Translatationsinvarianz und der orthogonalen Transformationsinvarianz mit sich bringt. Kennt man also die paarweisen Distanzen, kann mit Hilfe eines MDS-Algorithmus die Position, d. h. die Koordinaten der gesuchten Punkte, die stellvertretend für die Untersuchungsobjekte stehen, in einem Koordinatensystem ermittelt werden. Ergebnis der Datenerhebung ist somit eine Wolke von Punkten (für 12 EGStaaten als Objekte) im 2- oder 3-dimensionalen Raum, eine sog. "Punktekonfiguration". Führt man eine multidimensionale Skalierung zu zwei verschiedenen Zeitpunkten durch, so erhält man zwei Punkte je Untersuchungsobjekt und kann aufgrund der Bewegungen der Punkte aufeinander zu oder voneinander weg auf eine Zu- oder Abnahme der Ähnlichkeiten schließen. Letztendlich ergeben die Analysen von Susanne Pfeil tendenziell eine Zunahme der Divergenz der ökonomischen Entwicklung. 66 Trotz unbestreitbarer Vorteile bei der graphischen Darstellung der Lage eines Untersuchungsobjektes aufgrund mehrerer Einflußfaktoren weist die multidimensionale Skalierung allerdings auch erhebliche Probleme auf: Die multidimensionale Skalierung arbeitet mit der Methode der Datenreduktion. So werden in der Untersuchung von Susanne Pfeil elf Merkmale in zwei oder drei Dimensionen verdichtet.
66
Pfeil, Susanne, S. 188.
III. Empirische Untersuchung der Entwicklung der Disparitäten in der EO
203
Es ist offensichtlich, daß damit nur ein "erster Eindruck" von den Zusammenhängen vennittelt werden kann. Daher sind weitere Methoden nötig, um die interessierenden Sachzusammenhänge ausreichend interpretieren zu können, so z. B. um der Frage nachgehen zu können, welcher Einflußfaktor bestimmend ist für eine bestimmte Bewegung eines Untersuchungsobjektes im Koordinatensystem. Weiterhin ist auch die Deutung der Achsen im Ergebnis-Diagramm bzw. Raum inhaltlich nur sehr vage möglich. Hinzu kommen die Probleme aller Methoden, die versuchen, Einzelmerkmale zu Gesamtindikatoren zusammenzufassen, wie subjektive Auswahl und Gewichtung der Indikatoren, geeignete Normierung der unterschiedlichen Niveaus der Indikatoren etc .. Der Vorteil der komprimierten graphischen Darstellung wird also nur unter Inkaufnahme starker Nachteile erreicht. Die mit Hilfe der multidimensionalen Skalierung gewonnenen Ergebnisse können nicht als "endgültiges Maß" für die Veränderung der Disparitäten von Untersuchungsobjekten gewertet werden.
m. Empirische Untersuchung der Entwicklung der Disparitäten in der Europäischen Gemeinschaft
Ziel dieses Abschnitts ist es, ein Bild von der Entwicklung der regionalen ökonomischen Disparitäten in der EG auf der Disaggregationsebene NUTS 2 für die vier Grundgesamtheiten EG 12, EG 10, EG 9 und EG 6 im Zeitraum zwischen 1975 und 1992 zu erhalten. Damit soll überprüft werden, ob die Gemeinschaft bei der Verfolgung ihrer regionalpolitischen Ziele in diesem Zeitraum reüssierte. Besonderes Interesse erhalten dabei entsprechend der Erweiterungen zusätzlich die Grundgesamtheiten EG 10 ab 1981 und die EG 12 ab 1986.
Im Vordergrund soll ein Gesamtbild der ökonomischen Konvergenzsituation stehen, nicht aber die Lage und Entwicklung einzelner Regionen und die Ursachen dafür beschrieben werden. 67 Weiterhin soll vor allem die Entwicklungstendenz über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg betrachtet werden, weniger aber die Veränderung der ökonomischen Daten in bestimmten Jahren analysiert werden. Daneben soll durch einen Vergleich mit den Ergebnissen früherer Untersuchungen der Beobachtungszeitraum so weit wie möglich erweitert werden. 67 Mit dieser Fragestellung beschäftigen sich die periodischen Berichte der Kommission über die sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen in der Gemeinschaft.
204
C. Die Messung des regional politischen Ausgleichsziels
Zur Messung von Unterschieden des regionalen Einkommens existieren verschiedene statistische Verfahren. In diesem Kapitel geht es darum. die für die vorliegende Fragestellung aussagefähigsten Methoden darzustellen. ihre spezifischen Vor- und Nachteile unter Beachtung der in Abschnitt C.1.6 aufgestellten Anforderungskriterien zu erläutern sowie die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen zur Entwicklung der ökonomischen Disparitäten darzustellen und zu interpretieren. Die Berechnungen werden mithilfe von Lage- und Streuungsmaßen durchgeführt. 1. Die p-Quantile als Lagemaßzahlen
a) Die Konstruktion von p-Quantilen P-Quantile gehören zu den Lagemaßzahlen68 und sind jene Zahlen. die den Anteil p (O