Der Badische Verwaltungsgerichtshof im Dritten Reich: Eine Quellenstudie zur Justiz- und Verwaltungsgeschichte des ehemaligen Landes Baden unter dem Nationalsozialismus [1 ed.] 9783428450282, 9783428050284


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German Pages 273 Year 1982

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Der Badische Verwaltungsgerichtshof im Dritten Reich: Eine Quellenstudie zur Justiz- und Verwaltungsgeschichte des ehemaligen Landes Baden unter dem Nationalsozialismus [1 ed.]
 9783428450282, 9783428050284

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CHRISTIAN KIRCHBERG

Der Badische Verwaltungsgerichtshof im Dritten Reich

Schriften zur Rechtsgeschichte

Heft 24

Der Badische Verwaltungsgerichtshof im Dritten Reich Eine Quellenstudie zur Justiz· und Verwaltungsgeschichte des ehemaligen Landes Baden unter dem Nationalsozialismus

Von

Dr. Christian Kirchherg

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Gedruckt mit Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany

© 1982 Dunclrer

ISBN 3 428 05028 2

Für Renate

Vorwort "Fort von den Staatskanzleien, hin zur Bevölkerung", überschrieb Golo Mann in der "Süddeutschen Zeitung" vom 30.6. / 1. 7. 1979 die Besprechung von zwei neuen Publikationen aus dem Bereiche der NSForschung und charakterisierte damit zugleich die seit etwa 10 bis 15 Jahren erkennbare Tendenz, die Untersuchung und Darstellung der Geschehnisse im Dritten Reich unter Zuhilfenahme bisher nicht erschlossenen Archivmaterials "von unten" bzw. "von innen" anzugehen. Diese neue Perspektive dürfte vermutlich eher als die schon seinerzeit der Wirklichkeit und der Vorstellungskraft entrückten Vorgänge innerhalb des nationalsozialistischen Führungszirkels, die Expansions- und Kriegspolitik oder die Exzesse der Judenverfolgung imstande sein, persönliche Betroffenheit auszulösen und so der noch immer nicht recht geglückten Vergangenheitsbewältigung neue Impulse zu verleihen. Ein ähnlicher Wandel der Erkenntnismethoden deutet sich in der einschlägigen Justizforschung an: Noch dominieren hier zwar die Darstellungen, in denen, oft reichlich eklektizistisch, die verschiedensten Entscheidungen der deutschen Justiz in der Zeit des Nationalsozialismus zusammengetragen sind, um entweder als Beleg für die faschistoiden Tendenzen in der Richterschaft oder als Zeugnis ungebrochenen Richtermuts zu dienen. Wenn die Sinne aber durch die Banalität des Bösen (wie des Guten) erst einmal abgestumpft sind, ist Entfremdung, ja Verdrängung unausweichlich. Kein Wunder also, daß schließlich auch vergleichsweise detaillierte und tiefgründige Binnenanalysen der Justiz wie die von W. Johe über die Gleichschaltungstendenzen im OLG-Bezirk Hamburg oder von D. Kolbe über die Person von Reichsgerichtspräsident Dr. Erwin Bumke nur "pflichtgemäße" Verbreitung und nicht jene Resonanz fanden, die ihnen eigentlich zugestanden hätte. Dennoch darf nicht von dem Bemühen abgelassen werden, das Geschehen (wieder) im wahrsten Sinne des Wortes begreiflich zu machen. Hierfür sind kleine Schritte nötig; denn auch das Recht, so BGHPräs~dent Gerd Pfeiffer anläßlich der Hundertjahrfeier des Reichsgerichts am 1. 10. 1979, stirbt, wie die Freiheit, in Zentimetern. Gerade die Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die als solche sehr viel weniger im Rampenlicht stand als beispielsweise die Strafgerichte oder der Volksgerichtshof, bietet hierfür einen anschaulichen Beleg. Wir

8

Vorwort

werden ihr und ihren Repräsentanten nicht gerecht, wenn wir sie nur etwa an einzelnen "Schandurteilen" messen, ohne ihren kontinuierlichen ideologisch-institutionellen Verfall im Dritten Reich nachzuzeichnen. Gegenstand der vorliegenden Darstellung ist der ehemalige Badische Verwaltungsgerichtshof in Karlsruhe, das älteste, vollkommen von der übrigen Verwaltung losgelöste Verwaltungsgericht Deutschlands. Die Ironie des Schicksals wollte es, daß sein Niedergang nach 1933 zum Teil von den gleichen Argumenten begleitet wurde, die man 70 J'ahre vorher bei seiner Gründung glaubte endgültig überwunden zu haben. Im Vordergrund der Arbeit stehen deshalb, nach einer geschichtlichen Einleitung, zunächst die Schilderung von Institution, Personal und Verfahren des Bad. VGH in der Zeit von 1933 - 1945; erst hieran schließt sich ein überblick über die Rechtsprechung in den "politisch trächtigen" Bereichen an, die jeweils zusammenfassend analysiert wird. Quellenmäßig fußt die Darstellung einerseits auf den hinsichtlich des VGH in den verschiedensten Abteilungen des Generallandesarchivs Karlsruhe überlieferten Aktenbeständen und andererseits auf dem vornehmlich in der Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege veröffentlichten Entscheidungsmaterial des VGH. Persönliche Befragungen der ehemaligen Mitglieder des Gerichtshofs waren nicht mehr möglich; der letzte aus ihrem Kreise, der frühere OVG-Rat und nachmalige (süd-)badische Innenminister Dr. Alfred Schühly, verstarb Anfang 1977, ein Jahr, bevor die Quellenforschungen für diese Arbeit aufgenommen wurden. Gespräche und schriftliche Kontakte mit Angehörigen der Richter und einigen noch lebenden Beamten aus dem Bereiche der früheren badischen Innenverwaltung vermochten ein wenig von der seinerzeit herrschenden Stimmung, aber nur selten exakte Informationen zu vermitteln. Die stichprobenartige überprüfung der regionalen Tageszeitungen sowie der SS-Zeitschrift "Schwarzes Korps" und des NS-Kampfblattes "Der Stürmer" ergaben einen weitgehend negativen Befund: Der Bad. Verwaltungsgerichtshof hatte 'anscheinend im großen und ganzen weder eine gute noch eine schlechte - sondern überhaupt keine Presse, wenn man einmal von dem öffentlichen Aufruhr anläßlich des (1.) Uniformverbotsurteils vom 16. 12. 1930 (s. hierzu unten S. 37 ff.) absieht. Die vorliegende Arbeit möchte zugleich auf ihre Weise einen bescheidenen Beitrag zur Innengeschichte des Landes Baden unter dem Nationalsozialismus liefern, deren systematische Erforschung ja bekanntlich durch die kriegsbedingte Vernichtung des Aktenmaterrals aus dem Innenministerium außerordentlich erschwert ist. Die Darstellung muß ZWar auf die "Gerichtsoptik" beschränkt bleiben; dennoch spiegelt sich

Vorwort

9

auch in dieser mitunter recht eindrucksvoll die Lebenswirklichkeit von Staat und Gesellschaft "Großbadens" am Ende seiner fast eineinhalb Jahrhunderte währenden eigenen Staatlichkeit wider. Die Arbeit ist in der vorliegenden Form im Wintersemester 1980/81 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. als Dissertation angenommen worden. Angeregt und betreut hat sie mein hochverehrter Lehrer, Herr Prof. Dr. Alexander HoHerbach, Direktor des Seminars für Rechtsphilosophie und Kirchenrecht an der Universität Freiburg. Von Beginn meines Studiums an durfte ich seiner im heutigen Wissenschaftsbetrieb selten gewordenen anteilnehmenden Fürsorge und Förderung versichert sein. Hierfür schulde ich ihm zutiefst empfundenen Dank. Dank sagen möchte ich aber auch Herrn Prof. Dr. Martin BuHinger, Direktor des Instituts für öffentliches Recht der Universität Freiburg, dafür, daß ich fast 3 Jahre als sein Assistent tätig sein durfte; er hat mich insbesondere gelehrt, den von ihm so bezeichneten "Trampelpfaden" des Denkens zu mißtrauen. Die mir von den verschiedensten Behörden, Institutionen und Privatpersonen zuteil gewordene Unterstützung hat wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen; ihnen, vor allem den Damen und Herren vom Generallandesarchiv, sei an dieser Stelle ebenfalls gedankt! Herrn Ministerialrat a. D. Professor Dr. Johannes Broermann, Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, bin ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die von ihm herausgegebenen "Schriften zur Rechtsgeschichte" sehr verbunden. Das Land Baden-Württemberg hat die Drucklegung dankenswerterweise durch seinen finanziellen Zuschuß unterstützt. Karlsruhe, im Frühjahr 1981

Christian Kirchberg

Inhaltsverzeichnis Einleitung

Die Entwicklung der Verwaltungsrechtspflege in Baden bis zum Jahre 1933

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1. Hauptteil

Institution, Personal und Verfahren des Bad. VGH in den Jahren 1933 - 1945 1. Kapitel

Der politische "Umschwung" und die Verwaltungsrechtspftege in Baden

36

Die "vorrevolutionäre" Rechtsprechung des VGH (37') Personelle und sachliche Einflußnahmen auf die bad. Verwaltungsgerichte nach der Machtergreifung (45) Exkurs: Praxis und Theorie der "Verwaltungsgerichtsbarkeit im neuen Reich" (58) 2. Kapitel

Die Zeit des "Interregnums" beim Bad. VGH 1936 - 1939

66

Das personelle Revirement beim VGH 1935/36 und der Kampf um den Präsidentenposten (66) Fakten und Hintergründe zum Rückgang der Rechtsprechungstätigkeit beim VGH (74) Die Rechtsprechung deS' VGH "in eigener Angelegenheit" (79) insbes.: Zum Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der politischen Polizei (84) Die Errichtung der Dienststrafkammer Karlsruhe beim Bad. VGH im Jahre 1937 (96) 3. Kapitel

Der Krieg und die "Vereinfachung" der Verwaltung Die Vereinfachungsbestimmungen und ihre Folgen für die Rechtsprechungstätigkeit des VGH (101) Die Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts (1131) Die letzten Fälle beim VGH, Verlegung des Gerichtsbetriebes nach Bad Rappenau (120) Exkurs: Die bad. Verwaltungsrechtspflege nach dem Kriege (122)

101

12

Inhaltsverzeichnis 2. Hau p t t eil

Zur Rechtsprechung des Bad. VGH im Dritten Reich Vorbemerkung:

Vberlieferungsstand und Auswahlkriterien ............. . .............. 125 4. KapiteL

Die Rechtsprechung zum Dienststrafrecht

129

'1) Die "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" ................... 130

Zur Anwendung des BBWG im kommunalen Bereich (130) Dienststrafverfahren vor dem Hintergrund einer Zurruhesetzung nach § 6 BBWG (135) Dienststrafverfahren vor dem Hintergrund einer Entlassung nach § 4 BBWG (143)

b) Sonstige politisch relevante Dienststrafverfahren .................... 148 Mangelnde nationale Gesinnung (148) Privater und geschäftlicher Umgang mit Juden (152) Amts-, Machtmißbrauch (155) c) Zusammenfassende Analyse der Dienststrafrechtsprechung .......... 159 Ergebnisse dieser Rechtsprechung (159) Argumentation und Begründung der Entscheidungen (163) 5. KapiteL

Die Rechtsprechung zum Versicherungsrecht der Bürgermeister und Kommunalbeamten ........................................................ 168 Die Voraussetzungen zum Erhalt der Versicherungsanwartschaft nach Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst (168) Staatliche Methoden zur Eindämmung der Flut von "Anerkennungsgebührenzahlern" (175) Zusammenfassende Analyse der Versicherungsrechtsprechung (179) 6. Kapitel

Die Rechtsprechung zum Polizeirecb.t

183

a) Zuständigkeiten und Schwerpunkte der Entscheidungen ..... . ...... 183 b) Der polizeiliche Schutz des Einzelhandels .......................... 185 c) Polizeiliche Eingriffe in die Gewerbefreiheit ........................ 193 Der Kampf gegen das "Quacksalbertum" (194) Die Gleichschaltung der übrigen Heilberufe (198) Rassische und nationale Zuverlässigkeit im Gaststättengewerbe? (202) d) Allgemeines zu den "neuen Aufgaben" der Polizei

207

e) Zusammenfassende Analyse der Polizeirechtsprechung .............. 212

Inhaltsverzeichnis

13

7. Kapitel

Die Rechtsprechung zum Recht der öffentlichen Abgaben

220

Zuständigkeiten und Schwerpunkte der Entscheidungen (220) Der Kampf gegen die vermögensrechtlichen Positionen der Kirchen (223) Zusammenfassende Analyse dieser Rechtsprechung (231)

Zusammenfassung und Ergebnis ...................................... 235 Quellenverzeichnis ................................................ . ... 241 Schrifttumsverzeichnis ..................... . . . ........................ 246 Entscheidungsverzeichnis .............................................. 262 Namenregister

....................... . ............................... 270

Abkürzungsverzeichnis Zeitschriften sind durch das nachstehende (Z) gekennzeichnet aaO ABI. Abs. Abt. a.D. a.F. AGBGB AnI. Anm. AO AöR Art. Aufl. AV(O) Az. B. BA Bad., bad. BadVerwZ BadZentrBI. BAnz. BaVBI. Bay., bay. BBWG Bd. BDC Begr. Beil. Beil.heft ber. betr. BGBI. BGH BNSDJ BRÄndG BVerfG BWVBI. BWVPr. bzw. ca. C.d.Z.

d.

DBG

am angegebenen Ort Amtsblatt Absatz Abteilung außer Dienst alte Fassung Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Anlage Anmerkung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts (Z) Artikel Auflage Ausführungsverordnung Aktenzeichen Beschluß Bundesarchiv Badisch, badisch Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege (Z) Badisches Zentralblatt für Staats- u. Gemeindeinteressen (Z) Bundesanzeiger Badisches Verwaltungsblatt (=Ministerial-Blatt für Badische innere Verwaltung) Bayerisch, bayerisch Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtenturns Band Berlin Document Center Begründung Beilage Beilagenheft berichtigt betreffend Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bund nationalsozialistischer Deutscher Juristen e. V. Beamtenrechtsänderungsgesetz Bundesverfassungsgericht Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt (Z) Baden-Württembergische Verwaltungspraxis (Z) beziehungsweise circa Chef der Zivilverwaltung der, die, das, des Deutsches Beamtengesetz

16 DDP DDV DGO d.h. Diss. div. DJ DJZ DKP DNVP DÖV DR DR(A) DRiZ Drucks. DRW DRZ DSK DV DVBl. DVerwBlr. DVO DVP

E.

ehern. EHSchG Einf. Erl. etc. e. V. f., ff. FischersZ Fn.

G.

GBl. gern. GemO gen. Gestapo GewO GG GGStG GLA Großh. GS GVBl. HartmannZöR HGB Hrsg. i. d. F. i. e. insbes. i. R. i. V.m. Jahrb.

Abkürzungsverzeichnis Deutsche Demokratische Partei Der deutsche Verwaltungsbeamte (Z) Deutsche Gemeindeordnung das heißt Dissertation diverse Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik (= Ministerialblatt des Reichsjustizministeriums) Deutsche Juristenzeitung (Z) Deutsche Kommunistische Partei Deutschnationale Volkspartei Die öffentliche Verwaltung (Z) Deutsches Recht (Z) Deutsches Recht, Ausgabe A (Z) (vereinigt mit Jur. Wochenschrift) Deutsche Richterzeitung (Z) Drucksache Deutsche Rechtswissenschaft (Z) Deutsche Rechts-Zeitschrift (Z) Dienststrafkammer Deutsche Verwaltung (Z) Deutsches Verwaltungsblatt (Z) Deutsche Verwaltungsblätter (Z) Durchführungsverordnung Deutsche Volkspartei Entscheidung, Entscheidungssammlung ehemalig(e, er, es) Gesetz zum Schutze des Einzelhandels Einführung Erlaß, Erläuterungen et cetera (und so weiter) eingetragener Verein folgende Fischers Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Z) Fußnote Gesetz Gesetzblatt gemäß Gemeindeordnung genannt Geheime Staatspolizei Gewerbeordnung Grundgesetz Grund- und Gewerbesteuergesetz Generallandesarchiv Großherzoglich Preußische Gesetzessammlung Gesetz- und Verordnungsblatt Hartmanns Zeitschrift für öffentliches Recht (Z) Handelsgesetzbuch Herausgeber in der Fassung im einzelnen insbesondere im Ruhestand in Verbindung mit Jahrbuch

Abkürzungsverzeichnis JO Jur.,jur. JW JWG K. Kap. KG KGaA KJ KPD Landesh. LG MdI m.E. m.W. m. (zahlr.) w. Nw. m. zust. (krit.) Anm. n.F. Nr. ns. NS NSDAP NSRB NSV o. OG oHG o.J. OKiStG OLG 0.0. OStrG OVG PG PolStGB Preuß., preuß. PreußJahrb. Prot. Prot.heft PrOVGE RAO RBG RDB RdErl. RDH Rdnr. RDStH RDStO RegBl. RegEntw. RegerE RFH RG 2 Kirchberg

17

Journal Officiel (= Amtsblatt des französischen Oberkommandos in Deutschland) Juristisch, juristisch Juristische Wochenschrift (Z) Jugendwohlfahrtsgesetz Kammer (der bad. Ständeversammlung) Kapitel Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kritische Justiz (Z) Kommunistische Partei Deutschlands Landesherrlich Landgericht Minister(ium) des Innern meines Erachtens meines Wissens mit (zahlreichen) weiteren Nachweisen mit zustimmender (kritischer) Anmerkung neue Folge, neue Fassung Nummer nationalsozialistisch Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt oben Official Gazette (Amtsblatt der amerikanischen Militärregierung) offene Handelsgesellschaft ohne Jahr Ortskirchensteuergesetz Oberlandesgericht ohne Ort Ortsstraßengesetz Oberverwaltungsgericht Parteigenosse Polizeistrafgesetzbuch Preußisch, preußisch Preußische Jahrbücher (Z) Protokoll Protokollheft Entscheidungen des Preuß. Oberverwaltungsgerichts Reichsabgabenordnung Reichsbeamtengesetz Reichsbund der Deutschen Beamten Runderlaß Reichsdisziplinarhof Randnummer Reichsdienststrafhof Reichsdienststrafordnung Regierungsblatt Regierungsentwurf Reger, Entscheidungen der Gerichte und Verwaltungsbehörden usw. (Z) Reichsfinanzhof Reichsgericht

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RGBl. RGSt RGZ RMBl. RMBliV RMdI RNG RsprVGH (I - III) RuPrMdI RuStAG RVG RVGE RVerwBl. RZBl.

s.

S.

SA Sächs., sächs. SchulG SlgDH (I, II) s. o. sog. Sp. (li., re.) SPD SS StändeVers. StAnpG StAnz. StGB StW s. u. Thür., thür.

u.

u.a. u.ä. usw.

v.

Verf. Verh. VerhDJT VersG VerwArch VerwG VerwRpfiG Vgb. VGH VGHE vgl. VO VOE

Abkürzungsverzeichnis Reichsgesetzblatt Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Zivilsachen Reichsministerialblatt Ministerialblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern Reichsminister(ium) des Innern Reichsnaturschutzgesetz Die Rechtsprechung des Großherzoglich Badischen Verwaltungsgerichtshofs in 3 Teilen Reichs- und Preußischer(s) Minister(ium) des Innern Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Reichsverwaltungsgericht Entscheidungen des Reichsverwaltungsgerichts Reichsverwaltungsblatt (Z) Reichszentralblatt siehe Seite, Satz Sturmabteilung der NSDAP Sächsisch, sächsisch Schulgesetz Sammlung Disziplinarhof (2 Aktenbündel) siehe oben sogenannte(r, s) Spalte (linke, rechte) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel der NSDAP Ständeversammlung Steueranpassungsgesetz Staatsanzeiger Strafgesetzbuch Steuer und Wirtschaft (Z) siehe unten Thüringisch, thüringisch und und andere(s) und ähnliche(s) und so weiter vom, von Verfasser Verhandlungen Verhandlungen des Deutschen Juristentags Versicherungsgesetz für Gemeinde- und Körperschaftsbeamte Verwaltungsarchiv (Z) Gesetz über die Organisation der inneren Verwaltung Verwal tungsrech tspfiegegesetz Verwaltungsgerichtsbarkeit Verwaltungsgerichtshof Entscheidungen des (Bay.) Verwaltungsgerichtshofs vergleiche Verordnung Verordnungsblatt des Chefs der Zivilverwaltung im Elsaß

Abkürzungsverzeichnis VVDStRL WHW WRV Württ., württ. z. ZAkDR z.B. ZGO ZHeimW Ziff. zit. ZStA ZStaatsW z.T.

Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer Winterhilfswerk Weimarer Reichsverfassung Württembergisch, württembergisch zu(m) Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (Z) zum Beispiel Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins (Z) Zeitschrift für das Heimatwesen (Z) Ziffer zitiert Zentrales Staatsarchiv Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (Z) zum Teil

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Einleitung

Die Entwicklung der Verwaltungsrechtspflege in Baden bis zum Jahre 1933 Vor etwa 100 Jahren begannen verschiedene deutsche Länder mit dem Aufbau einer selbständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Damit wurde zugleich der vorläufige Abschluß einer langen entwicklungsgeschichtlichen Epoche markiertl. Denn, um mit Forsthoff2 zu sprechen, "am System des Rechtsschutzes in Verwaltungssachen haben Jahrhunderte gebaut". Nur ein weiteres halbes J'ahrhundert brauchte es, bis die tatsächliche Einrichtung eigenständiger Verwaltungsgerichtsbehöroen auf Länderebene im wesentlichen vollzogen war: Als letzte deutsche Länder errichteten die drei Hansestädte Lübeck (1918), Hamburg (1921) und Bremen (1924) sowie zwischenzeitlich Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz (beide 1922) besondere Verwaltungsgerichte in ihren Bereichen. 3 Die Grundsatzdiskussion über Funktion und Organisation der Verwaltungsrechtspflege schwelte zwar weiter,4 entzündete sich aber von da an vorzugsweise an den legislativen Bemühungen um die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Reichsebene. 5 1 Vgl. hierzu statt vieler die eingehende Untersuchung von Sellmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungs gerichtsbarkeit, in: Staatsbürger und Staatsgewalt Bd. I (1963), S. 25 ff.; hinsichtlich der Entwicklung in einzelnen deutschen Ländern sei verwiesen auf die beispielhaften Abhandlungen von Linder, Die Entstehung der Verwaltungsrechtspflege des Geheimen Rats in Württemberg (1940) sowie Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 - 1842 (1962). 2 Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 8. Aufl. (1961), § 25, 4 (S.477). 3 Vgl. hierzu im einzelnen: v. EIbe, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit nach den Gesetzen der deutschen Länder (1925), S. 22 ff.; Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. (1928), § 16 I (insbes. S.236 Fn.l, S. 241 ff. m. w. Nw.); der Verfassungs auftrag des Art. 107 WRV, wonach im Reich und in den Ländern nach Maßgabe der Gesetze Verwaltungsgerichte zum Schutze der einzelnen gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden zu schaffen waren, blieb lediglich in Schaumburg-Lippe unerfüllt. 4 Zumal die Regelungen in den einzelnen deutschen Ländern von sehr unterschiedlicher Qualität waren, vgl. hierzu die - ideologisch unbeeinflußte übersicht von Danckwerts, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im nationalsozialistischen Staat, in: Frank (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht (1937), § 6 (S. 99 ff., insbes. S. 121 ff.). 5 Die Diskussion über ein .. Reichsverwaltungsgericht" entbrannte schon bald nach der Reichsgründung von 1871 und fand ihren vorläufig ersten Höhepunkt in den Verhandlungen des 29. und 30. Deutschen Juristentages,

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Einleitung

Unter den Verwaltungsgerichten deutscher Länder ragte sicherlich nicht an aktueller Bedeutung, jedoch an Anciennität der Badische Verwaltungsgerichtshof mit Sitz in Karlsruhe hervor: Er konnte im Jahre 1933, also zu Beginn des Dritten Reiches, bereits auf eine fast 70jährige Tradition zurückblicken. Die Errichtung einer unabhängigen Verwaltungsrechtspflege im Lande Baden aufgrund des badischen Gesetzes über die Organisation der inneren Verwaltung vom 5. 10. 1863 (VerwG)6 war außerdem richtungsweisend für die Entwicklung in den anderen deutschen Ländern geworden; die Diskussion über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen hatte nunmehr eine grundsätzlich neue Dimension gewonnen. 7 Gewiß, die Anfänge in Baden waren bescheiden8 : Als Verwaltungsgericht erster Instanz fungierte der Bezirksrat, ein Gremium mit Bürgerbeteiligung, das den Bezirksämtern als den unteren Verwaltungsbehörden "zur Mitwirkung bei der Entscheidung öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten und zur Unterstützung bei der sonstigen Verwaltung" (§ 2 Abs.1 VerwG) zur Seite gestellt worden war. Die Zuständigkeit des Bezirksrats bei der Rechtspflege über öffentliches Recht war enumerativ geregelt und umfaßte zunächst nur 10 Sachgebiete aus dem engeren gemeindlichen Rechtsbereich (§ 5 VerwG). Da die Bezirksräte aber auch aktiv an der (Selbst-)Verwaltung der Gemeinden mitzuwirfür die Schultzenstein (VerhDJT 29 [1908] 2. Bd., S. 3 ff.), Thoma (VerhDJT 30 [1910] 1. Bd., S. 51 ff.) und Anschütz (VerhDJT 30 [1910] 1. Bd., S. 489 ff.) drei - insgesamt positive - Gutachten zum Bedürfnis eines Reichsverwaltungsgerichts erstatteten; nach dem Krieg legte die Reichsregierung in Erfüllung des Verfassungsauftrages aus Art. 107 WRV mehrere sofort heftig umstrittene Gesetzentwürfe über die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Reichsebene vor, die jedoch allesamt nicht - mehr - Gesetz wurden; das schließlich durch "Führererlaß" vom 3.4. 1941 (RGBl. I, S. 201) ins Leben gerufene Reichsverwaltungsgericht hatte dann mit der von der WRV intendierten Institution nur noch den Namen gemein, vgl. hierzu weiter unten S. 113. Zur Diskussion über die Schaffung eines RVG in Weimarer Zeit vgl. aus der Fülle der einschlägigen Darstellungen insbes. Mahron, Das Reichsverwaltungsgericht, VerwArch 32 (1927), S. 382 ff.; Lassar, Das Reichsverwaltungsgericht (1930) sowie ferner Koehler, Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht (1952), Einf. S. 1 ff. 6 RegBl. S. 399. 7 Einen guten überblick über die die Einführung der besonderen Verwaltungsrechtspftege vorbereitende und begleitende Diskussion bieten v. Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspftege (1880), § 11 (S. 119 ff.); Tezner, Die deutschen Theorien der Verwaltungsrechtspftege, VerwArch VIII (1900), S. 220 ff., S. 475 ff. sowie Meyer-Dochow, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, 4. Auft. (1913), Erster Teil, §§ 14 - 19 (S. 66 ff.) m. zahlr. w. Nw. 8 Zu Organisation und Verfahren der Verwaltungsrechtspftege in Baden aufgrund des Gesetzes von 1863 vgl. insbes. die Darstellung des ersten Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes Weizel, Das badische Gesetz vom 5. October über die Organisation der innern Verwaltung (1864) sowie Kopp, Die Gesetze und Verordnungen über die Organisation der inneren Verwaltung usw. (1896), Abschn. II (S. 94 ff.).

Verwaltungs rechtspflege in Baden bis zum Jahre 1933

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ken hatten,9 war auf ldieser ersten Stufe trotz der Beteiligung des bürgerlichen Elements10 die "Administrativjustiz", d. h. das in den deutschen Ländern - wenn überhaupt - bis dahin bestehende System der verwaltungsinternen Rechtspflege,l1 noch nicht wirklich überwunden. 12 Epochemachend war jedoch die Schaffung des Verwaltungsgerichtshofs: Hierbei wurden, abgesehen von der zunächst noch recht beschränkten Zuständigkeit, bereits alle jene Merkmale verwirklicht, die auch heute noch eine moderne Verwaltungsgerichtsbarkeit auszeichnen. Der Verwaltungsgerichtshof wurde als eine vollkommen von der Verwaltung getrennte Institution errichtet und ausschließlich mit Berufsrichtern besetzt, die in "Versammlungen von fünf Mitgliedern" (§ 16 VerwG) einerseits letztinstanzlieh über die "Rekurse" gegen Entscheidungen der Bezirksräte und andererseits über einige weitere Materien als erste und letzte Instanz zu urteilen hatte (§ 15 VerwG). Vor der Entscheidung war ein Vertreter des Staatsinteresses zu hören, der in der Sitzung des Gerichts seine Anträge zu stellen und zu begründen hatte (§ 17 VerwG). Er nahm also, zumindest nach außen hin, ebenfalls quasi

9 Hierzu eingehend Böhler, Der badische Bezirksrat. Seine Entwicklung und seine Stellung in der staatlichen Verwaltungsorganisation (1933). 10 Grundsätzlich zu der Laienbeteiligung an der Rechtspflege in Baden Hahn, Die Entwicklung der Laiengerichtsbarkeit im Großherzogtum Baden während des 19. Jahrhunderts (1974), S. 98 ff., insbes. S. 103 ff. 11 Das System der Administrativjustiz (vgI. hierzu auch u. Anm.29) war allerdings, worauf Poppitz, Die Anfänge der Verwaltungsgerichtsbarkeit, AöR 72 (1943), S. 158 (S. 218 ff.) und Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz im 19. Jahrhundert usw., DÖV 1963, S. 719 (S. 725) zu Recht hinweisen, in Baden gegenüber anderen deutschen Ländern zumindest verfahrensmäßig relativ schwach ausgebildet; vgl. i. e. Stiefel, Baden 1648 - 1952, Bd. II (1977), S.970. Dieser Umstand hat sich aber möglicherweise auch positiv auf die Einführung einer selbständigen Verwaltungsrechtspflege in Baden ausgewirkt; denn es war nicht notwendig, Widerstände insbes. institutioneller Art zu überwinden, die sich angesichts der durchaus zufriedenstellenden Praxis einer funktionierenden Administrativjustiz, wie sie etwa in Württemberg bestand, hätten ergeben können. 12 Der Unterschied zwischen verwaltender und richterlicher Tätigkeit des Bezirksrats wurde nach einem von W. Jellinek überlieferten pointierten Wort Otto Mayers dadurch offenbar, "daß bei einer Sitzung des Bezirksrats als Verwaltungsgericht nicht geraucht werden durfte" (!), vgl. Jellinek, Die Anfänge der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden und in Württemberg, DÖV 1952, S.580; nach Ansicht des späteren VGH-Präsidenten Wielandt wäre jedoch eine "Änderung dieser theoretisch zweifellos nicht gehörigen Einrichtung '" freilich mit großen Schwierigkeiten verbunden und kaum durchzuführen, ohne daß entweder die eine, untere Instanz aufgegeben oder die Verwaltungs rechtspflege völlig umgestaltet und (an?, d. Verf.) die bürgerliche Rechtspflege angeschlossen wurde (würde?, d. Verf.), Die Verwaltungs-Rechtspflege im Großherzogtum Baden, HartmannZöR I (1875), S. 369 (S. 373). Eine Übersicht über Aufgaben und Verfahrens arten des badischen Bezirksrats geben ferner Kiefer, Der Bezirksrat. Seine Ernennung und Tätigkeit (1902) und Kühn, Der Bezirksrat, seine Rechte und Pflichten (1930).

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Einleitung

die Rolle einer Partei im Verfahren ein, was die Trennung von Verwaltung und Rechtspflege besonders augenfällig machen sollte. 13 In diesem Zusammenhang ist allerdings anzumerken, daß es jedenfalls nach heutigem Verständnis mit dem Prinzip der Gewaltenteilung wenig vereinbar erscheint - so förderlich es für das Ansehen des Gerichts gewesen sein mag - , daß die Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs in der Folgezeit regelmäßig zum Mitglied, mitunter gar zum Vizepräsidenten der 1. Kammer berufen wurden, wobei sie teilweise eine beachtliche politische Aktivität entfalteten. 14 Die Tatsache, daß gerade das Land Baden diesen ersten vorsichtigen, aber entscheidenden Schritt in Richtung auf eine selbständige Verwaltungsgerichtsbarkeit unternahm, muß vor dem Hintergrund der besonderen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation dieses Landes nach Abschluß der staatlichen Neuordnung in Europa zu Beginn des 19. Jahrhunderts gesehen werden. Die zudem erst kurze Zeit vorher wiedervereinigten badischen Markgrafenschaften waren auf der politischen Landkarte kaum wiederzuerkennen; das nunmehrige Großherzogtum hatte von allen süddeutschen Staaten den verhältnismäßig größten Zuwachs an Gebiet und Bevölkerung erhalten und vereinigte in seinen neuen Grenzen zugleich die nach Geschichte, Herkommen und Entwicklungsstand unterschiedlichsten Elemente. 16 An eine Fortführung des Alten war nicht zu denken; das Land mußte sich neuen politischen und rechtlichen Ideen und Ordnungen stellen, wenn es ge13 In diesem Sinne bereits Ministerialrat v. Dusch als Vertreter der Ministerien in der ersten öffentlichen Sitzung des Verwaltungsgerichtshofs, BadZentrBl. 1865, S. 14 (v. Dusch war maßgeblich am Zustandekommen des badischen Gesetzes von 1863 beteiligt, in den badischen Biographien [Bd. V (1906), S. 124 ff.] wird die Verwaltungsreform von seinem Neffen gar als "sein Werk" hingestellt). Dieses Verständnis von "Partei" hat natürlich nichts zu tun mit der sich erst später herauskristallisierenden Unterscheidung von Parteistreitigkeiten einerseits und Anfechtungsverfahren andererseits! Durch die Bestellung eines zur Mitwirkung in den Rechtsstreitigkeiten berufenen Vertreters des Staatsinteresses suchte man aber vermutlich auch der Befürchtung entgegenzuwirken, der nur mit Berufsrichtern besetzte VGH werde das Staatswesen als eine Art "Anti-Regierung" nach dem Wahlspruch "fiat iustitia et pereat res publica" zugrunde-richten, vgl. Verh. d. Ständevers. 1861/63, 1. K., Prot. d. 38. Sitzung v. 4.7.1863, Prot.heft S.I71 (S.179) sowie stiefel, Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege im ehemaligen Land Baden, BaWüVBl. 1963, S.145 (S. 147); vgl. hierzu ferner Gerber, Der Vertreter des öffentlichen Interesses im Verwaltungsprozeß, DÖV 1957, S.680 (S.681). 14 Vgl. Walz, 100 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden, in: Aus 100 Jahren Verwaltungsgerichtsbarkeit (1963), S. 113. 15 Zu den Auswirkungen der staatlichen Neuordnung nach den napoleonischen Kriegen auf Gebiets- und Bevölkerungsbestand des Landes Baden vgl. i. e. Weizel (0. Anm.8), §§ 2 - 7 (S. 3 ff.); Krieger, Badische Geschichte (1921), S. 66 ff. mit einer eingehenden Darstellung von Geschichte und Struktur der Baden zugeschlagenen Territorien; aus neuester Zeit Stiefel, Baden 164.6 - 1952 Bd. I (1977), S. 172 ff.

Verwaltungsrechtspflege in Baden bis zum Jahre 1933

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lingen sollte, die bestehenden zentrifugalen Kräfte abzubauen und die neu geschaffene Staatlichkeit zu einer Einheit zu verschmelzen. Entscheidende Stationen auf dem Wege zur Neustrukturierung der "Musterkarte der verflossenen Reichsherrlichkeit"16 waren die Neuorganisation "Großbadens" aufgrund des Organisationsreskripts von 1809 17 sowie Erlaß und Verkündung der Verfassung von 1818.18 So förderlich gerade diese beiden Maßnahmen für die Staatswerdung Badens gewesen sein mögen, so war in ihnen auch zugleich jener spannungsreiche Dualismus angelegt, der das politische Leben in diesem Land für Jahrzehnte 'beherrschen sollte 19 : erst die großen inneren Reformen der 60er Jahre, zu deren Kernstücken die Verwaltungsreform von 1863 zu rechnen ist, haben den tiefen Widerspruch aufzulösen vermocht, der zwischen dem durch das Organisationsreskript geschaffenen System des aufgeklärten Absolutismus einerseits und dem in der Verfassung angelegten Entwurf eines konstitutionellen Staates andererseits bestand. Es hatte zwar auch in den vorhergehenden Jahrzehnten nicht an Versuchen gefehlt, den beschriebenen Dualismus durch neue Ansätze in Organisation und Regierung des Landes auszugleichen. 20 Aber erst Ende der 40er Jahre wurden vor dem Hintergrund oder gar unter dem Druck der sich verschärfenden politischen Auseinandersetzungen Ansätze einer grundlegenden Reform des Staatswesens "an Haupt und Gliedern" erkennbar,21 allerding:s wurde die dahingehende EntwickAndreas zit. nach Stiefel (0. Anm. 15), S. 208. 17 RegBl. S.395 m. div. An!.; vgl. hierzu ferner Weizel (0. Anm.8), §§ 14 bis 18 (S. 30 ff.); Andreas, Geschichte der badischen Verwaltungsorganisation und Verfassung usw. (1913), S. 258 ff.; Stiefel (0. Anm. 15), S. 215 ff. 18 RegBl. S.101; vgl. hierzu v. Weech, Geschichte der Badischen Verfassung (1868); Andreas (0. Anm. 17), S. 396 ff.; Stiefel (0. Anm. 15), S. 237 ff. 19 Vgl. hierzu eingehend GaU, Der Liberalismus als regierende Partei (1968); GaUs Darstellung der politischen Zustände Badens im 19. Jahrhundert versteht sich im wesentlichen als Geschichte dieses Dualismus! 20 Vgl. Weizel (0. Anm.8), §§ 21- 27 (S. 47 ff.); Kopp (0. Anm.8), Abschn. I, §§ 21 ff. (S. 22 ff.). 21 "spiritus rector" dieser Reform war im wesentlichen der berühmte Forderungskatalog der 2. Kammer vom 2.3.1848 (Verh. d. Ständevers. 1847/49, 2. K., Prot. d. 33. Sitzung v. 2. 3. 1848, 3. Prot.heft, S. 60 (S.63/64), dieser "Weckruf des Volkes an die Regierung", der nicht ungehört verhallte. Die daraufhin eingeleiteten, geradezu fieberhaften gesetzgeberischen Bemühungen der Regierung konnten jedoch im Ergebnis den revolutionären Prozeß nicht mehr aufhalten. Vgl. zum Schicksal und - letztlich - zur weitgehenden Erfolglosigkeit der einzelnen Forderungen die eingehende Darstellung von Bekk, Die Bewegung in Baden von Ende Februar bis Mitte Mai 1849 (1850), S. 67 ff.; zum Vormärz und zur Revolution in Baden s. ferner insbes. Schmitt, Das vormärzliche Staatsdenken und die Revolution von 1848/49 in Baden (1950) m. w. Nw. 16

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lung aufgrund der revolutionären Unruhen von 1848/49 und die nachfolgende Zeit der Reaktion noch einmal um ein gutes Jahrzehnt zurückgeworfen. Es blieb schließlich dem Großherzog Friedrich 1. beschieden, die "Neue Ära" in Baden durch seinen dramatischen Kurswechsel in der bekannten "Osterproklamation" vom 7.4.1860 22 einzuleiten, nachdem er sich in der Öffentlichkeit und insbesondere den Landständen gegenüber durch die selbstherrliche Lösung des von ihm mitinitiierten badischen Kirchenkonflikts 23 selbst in eine Sackgasse manövriert hatte. Der Neubeginn wurde in eindrucksvoller Weise dadurch dokumentiert, daß der Großherzog die bisherigen Führer des oppositionellen liberalen Lagers zu Ministern berief, unter ihnen als Innenminister den Freiburg er Professor August Lamey.24 Das im Zuge der bald darauf einsetzenden Reformgesetzgebung erlassene Gesetz über die Organisation der inneren Verwaltung vom 5.10.1863 25 ist vor allem mit seinem, Lameys, Namen veI'bunden. 26 Er leistete hiermit einen wichtigen, möglicherweise gar entscheidenden Beitrag zur Überwindung des Dualismus zwischen Staat und Verfassung. Die nach iden Prinzipien Dezentralisation und Selbstverwaltung neu geordnete Verwaltung wurde wieder "volkstümlich" und trug einmal mehr zur Apostrophierung Badens als "Musterländle" bei. "Perle der neuen Organisation"27 war jedoch die mit dem Gesetz von 1863 verbundene Einrichtung einer selbständigen Verwaltungsrechtspflege. Gewiß, auch dies war kein gewagter Vorstoß in eine "terra incognita". Gerade die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ver22 RegBl. S. 85; diese "Osterproklamation" stellte zunächst einmal den beiden Kirchen eine selbständige, freie Entwicklung auf der Grundlage neuer, verfassungsmäßig zustandegekommener Gesetze in Aussicht und enthielt sodann jene, den aktuellen Rahmen überschreitende Passage: "Ich wünsche, daß der gleiche Grundsatz auch auf anderen Gebieten des Staatslebens fruchtbar werde, um alle Theile des Ganzen zu dem Einklang zu vereinen, in welchem die gesetzliche Freiheit ihre segensbringende Kraft bewähren kann." 23 Grundlegend hierzu J. Becker, Liberaler Staat und Kirche in der Ära von Reichsgründung und Kirchenkampf. Geschichte und Strukturen ihres Verhältnisses in Baden 1860 - 1876 (1973). 24 Zu Lameys vita s. Lewald, August Lamey, in: Bad. Biographien V 2 (1906), S. 453 ff.; Blum, Staatsminister August Lamey (1934). 25 RegBl. S.399; zu den Regierungsentwürfen, Kommissionsberichten, Beratungen und Beschlüssen s. die erschöpfende Übersicht bei Weizel (0. Anm. 8), S. 78 Fn. 2. 26 Zum ausgetragenen - Streit über Lameys Urheberschaft für das Gesetz vom 5. 10. 1863 s. o. Anm. 13, ferner Gall (0. Anm. 19), S. 184 m. w. Nw. sowie Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert (1950), S.415 (S.417). 27 v. Preen, Die neue Organisation in Baden, PreußJahrb. 1865, S.48 (59); zu den "drei Fundamentalsätzen" der neuen Verwaltungsorganisation s. Weizel, Eröffnungsrede usw., BadZentrBl. 1865, S. 10 ff.

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stärkt zu beobachtende Ablösung des öffentlichen vom Privatrecht hatte nämlich auch die Frage aufgeworfen, ob und in welcher Weise Rechtspflege über öffentliches Recht stattfinden sollte. 28 Die Diskussion hierüber blieb jedoch im großen und ganzen "systemimmanent", orientierte sich also am vorhandenen System der - ordentlichen - Gerichtsbarkeit einerseits und der Administrativjustiz 29 andererseits und gipfelte in jenem bekannten, wenngleich vielfach mißverstandenen Votum des Artikel 182 der Paulskirchenverfassung: "Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte. "30 28 Vgl. hierzu Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht (1968), insbes. S. 37 ff., S. 49 ff. 29 Wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daß der Begriff "Administrativjustiz" zu jener Zeit ein weitgespanntes Spektrum möglicher Verfahrensgestaltungen abdeckte. Er umfaßte deshalb auch das damals in der Diskussion immer präsente Vorbild des französischen "contentieux administratif", dessen 2. Instanz (Conseil d'Etat) jedenfalls de facto die Stellung eines selbständigen Gerichtshofes erlangt hatte (vgl. hierzu Sellmann [0. Anm. 1), S. 51 ff.) und das später sogar einen wesentlichen Einfluß auf die Beratungen über das badische Gesetz von 1863 ausgeübt hat, s. Kommissionsbericht muntschZi, Verh. d. Ständevers. 1861/63, 1. K, Beil. Nr. 581 z. Prot. d. 35. Sitzung v. 9.6.1863, 3. BeiLheft S.337 (S. 345); dieser Bericht ist, soweit er die Verwaltungsrechtpflege betrifft, vollständig abgedruckt bei WeizeZ (0. Anm. 8), § 12 (S. 120 Fn. 1). 30 Die Absage an die Verwaltungsrechtspflege und die Zuweisung aller Rechtsstreitigkeiten an die - vorhandenen - Justizgerichte zielte zwar nur gegen die verwaltungsinterne Rechtspflege, hat sich aber im Ergebnis auch hemmend auf die Entwicklung einer besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland ausgewirkt, vgl. Werner, "Die Verwaltungsrechtspflege hört auf" usw., DV 1949, S. 169 ff.; Menger, Der Schutz der Grundrechte in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte III 2 (1959), S. 717 (S. 720 ff.) sowie idem, Zur Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland, DÖV 1963, S. 726.Das Problem der Abgrenzung von (ordentlicher) Gerichtsbarkeit einerseits und Administrativjustiz andererseits wurde in Baden noch dadurch verschärft, daß den Verwaltungsbehörden durch das Organisationsreskript von 1809 auch eine Vielzahl ausdrücklich als solcher bezeichneter, bürgerlicher Rechtsstreitigkeiten zur Erledigung überwiesen worden waren, RegBl. S. 395, Beil. D I 8 (S. 499) sowie Rüfner (0. Anm. 11). Die hierdurch entstehenden "Competenzconflicte" führten im Landtag von 1831 schließlich zu einer Motion des Abgeordneten Mittermaier, der darauf antrug, "daß die Verwaltungsjustiz, soweit dabei eine wahre Rechtssache den Kreisdirectorien übergeben worden ist, aufgehoben und den Gerichten die Entscheidung überlassen werde ... ", s. Verh. d. Ständevers. 1831, 2. K, Beil. (0. Nr.) z. Prot. d. 9. Sitzung v. 6.4.1831, 1. Beil.heft, S.141 (S. 159). - Diese Motion wird im übrigen in den einschlägigen Darstellungen (vermutlich im Anschluß an den Kommissionsbericht von BZuntschZi [0. Anm. 29]) durchweg fälschlicherweise auf das Jahr 1832 datiert - in diesem Jahr tagte die Ständeversammlung überhaupt nicht - und außerdem als Vorschlag zur Errichtung einer eigenständigen Verwaltungsrechtspflege mißverstanden. - Weitere Nachw. zum bad. Kompetenzkonflikt bei v. Bargen, Körperschaften, Anstalten und Stiftungen im Rechtssystem des Großherzogtums Baden (1971), S. 50 Fn. 154; Geschichte und Verfahrensweisen der zur Schlichtung solcher Konflikte im Lande Baden berufenen Einrichtungen beschreibt HeidZauff, Die Entscheidung von

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Die gesetzgebenden Körperschaften Badens befaßten sich mit der Frage einer selbständigen Gerichtsbarkeit über Fragen des öffentlichen Rechts erstmalig grundsätzlich in den Jahren 1848/49. In Erfüllung des Verlangens nach einer "volksthümlichen Kreisverwa'ltung mit geeigneter Beteiligung der Bürger an derselben"31 wurde den Landständen im Juli 1848 der Regierungsentwurf eines Gesetzes, betreffend die Einrichtung und den Geschäftskreis der Verwa'ltungsbehörden, vorgelegt,32 das wesentliche Elemente des späteren Gesetzes von 1863 und hierbei insbesondere die Verwaltungsrechtspflege mit Bürgerbeteiligung vorwegnahm. 33 Dem folgte im November 1848, quasi "durch die Hintertür", ein weiterer Gesetzesentwurf über die Errichtung eines selbständigen Verwaltungsgerichtshofes, 34 da in den Diskussionen der 2. Kammer über das geplante verwaltungsinterne Rechtsmittelverfahren die Befürchtung laut geworden war, der Regierung werde auf diese Weise in wichtigen Verwaltungs angelegenheiten ein Vetorecht eingeräumP5 Dieser Gesetzesentwurf wurde jedoch in den Landständen nicht einmal beraten. Entscheidend hierfür war, daß man es angesichts Ides zwischenzeitlich ergangenen Beschlusses des Frankfurter Parlaments über die Verwaltungsrechtspflege für unangemessen erachtete, " ... eine Behörde zu schaffen, die ihrem Namen nach mindestens mit den Grundrechten in Widerstreit stand".36 Das Gesetz über die Errichtung und den Geschäftskreis der Verwaltungsbehörden 'hingegen wurde nach eingehenden Beratungen am 10.4.1849 im Regierungsblatt verkündet,37 trat aufgrund der revolutionären Wirren jedoch nicht mehr in Kraft. 38 Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden in Baden usw. (1908). 31 Programmpunkt Nr. 9 des o. Anm. 21 erwähnten Forderungskataloges der 2. Kammer an die Regierung. 32 Verh. d. Ständevers. 1847/49, 2. K., Beil. Nr.3 z. Prot. d. 72. Sitzung v. 20.7.1848, 7. BeiLheft S. 367. 33 Dieser neuen Einrichtung war im übrigen institutionell der Boden durch das Gerichtsverfassungsgesetz vom 6. 3. 1845 (RegBl. S. 135, Beil.) bereitet, aufgrund dessen die bürgerliche Rechtspflege auch in der unteren Instanz von der Verwaltung getrennt wurde. 34 Verh. d. Ständevers. 1847/49, 2. K., Beil. Nr.1 z. Prot. d. 101. Sitzung v. 13.11.1848, 8. Beil.heft S. 209. 35 Vgl. Verh. d. Ständevers. 1847/49, 2. K., Prot. d. 90. Sitzung v. 26.10.1848, 7. Prot.heft S. 141 (S. 155 ff.) sowie Prot. d. 91. Sitzung v. 27.10. 1848, 7. Prot.heft S. 161 ff. (S.179). 36 Kommissionsbericht Lamey, Verh. d. Ständevers. 1847/49, 2. K., Beil. Nr. 2 z. Prot. d. 152. Sitzung v. 24. 2. 1849, 9. BeiLheft S. 125 sowie der entsprechende Beschluß der 2. Kammer, Verh. d. Ständevers. 1847/49, 2. K., Prot. d. 156. Sitzung v. 5.3. 1849, 10. Prot.heft, S. 115 (S. 116). 37 RegBl. S. 205. 38 Gleiches galt für das o. Anm. 33 erwähnte Gerichtsverfassungsgesetz von 1845; zu Inhalt und Bedeutung der 48/4ger Entwürfe für das Gesetz von 1863 s. Hahn (0. Anm. 10), S. 76 ff. (S. 81 ff.); Schühly, Ursprung und Weg der Verwaltungsrechtspflege in Baden, DÖV 1953, S. 613 ff.; Rapp, 100 Jahre badi-

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Angesichts dieser Vorgeschichte nimmt es nicht Wunder, wenn der Heidelberger Staatsrechtslehrer Bluntschli ein gutes Jahrzehnt später in dem von ihm erstatteten Kommissionsbericht zum Entwurf des neuen Gesetzes über die Organisation der inneren Verwaltung in Baden sagen konnte: "Sowohl der Regierungsentwurf als der Bericht und die Beschlüsse der 2. Kammer gehen von der Annahme aus, daß die Existenz einer besonderen Verwaltungsrechtspflege selbstverständlich und nur die bessere Organisation derselben die Frage sei. "39 Innenminister Lamey brauchte also bei seinem diesbezüglichen Gesetzesvorhaben jedenfalls im Lande Baden keine ernsthaften Widerstände mehr zu fürchten, zumal wenn man sich die recht beschränkten Kompetenzen der vorgesehenen Verwaltungsgerichtsbarkeit vor Augen führt. Aber, wie Walz treffend bemerkt: "C'est le premier pas qui coute!"40 Es bleibt Lameys unumstrittenes Verdienst, die Gunst der Stunde entschlossen für diese bahnbrechende Neuerung ausgenutzt zu haben, ohne daß im übrigen, wie es scheint, der gemeinhin sogar als "Vater der Verwaltungsrechtspflege" 'apostrophierte Gneist 41 oder der vielfach als Verfechter einer justizstaatlichen Lösung abqualifizierte Bähr 42 bei diesem Geburtsakt unmittelbar Pate gestanden haben. Das neue Gesetz über die Organisation der inneren Verwaltung trat am 1. Oktober 1864 in Kraft,43 nachdem unter anderem zur näheren scher Verwaltungsgerichtshof, in: Staatsbürger und Staatsgewalt (1963), S.3 (S. 5 f.).

39 Kommissionsbericht Bluntschli (0. Anm. 29), aaO. 40 Walz, Verwaltungsrechtspflege in Karlsruhe, in: Festschrift zur Eröffnung des BGH (1950), S. 71 (S.75). 41 Die Aussagen hierüber sind allerdings unscharf, wenn nicht gar widersprüchlich. Fest steht nur, daß bei den Vorarbeiten zum Gesetz von 1863 der Name Gneists explizit nicht erwähnt wurde, insbesondere auch nicht, was leicht übersehen wird, die seinem Hauptwerk (Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, 1872 u. ö.) vorausgehenden Abhandlungen über englisches Verfassungsrecht, in denen er bereits auch für die deutschen Verhältnisse "die nothwendigen Gerichtshöfe für unser öffentliches Recht" gefordert hatte, vgl. Gneist, Das heutige englische Verfassungs- und Verwaltungsrecht II (1860), § 130 (S. 897). 42 Es wird vielfach übersehen, daß auch Bähr (Der Rechtsstaat [1864], S. 69 ff. [So 71 Fn. 17]) in betonter Anlehnung an Gneist zumindest für den Fall, daß die "gewöhnlichen Gerichte" zur Rechtsprechung über öffentliches Recht nicht geeignet seien, die Forderung erhoben hatte: " ... man schaffe Gerichte des öffentlichen Rechts", vgl. Menger (0. Anm.30), S.720 m. Fn.16; sehr zu Recht hatte also bereits Sarwey (0. Anm. 7, § 11, S. 121) zur Diskussion über die Verwaltungsrechtspfiege gesagt, "daß sich die Vertreter der entgegengesetzten Grundanschauungen zu zahlreichen Ausnahmen gedrängt sehen, durch welche sie sich häufig von zwei Seiten wieder nahekommen". 43 § 61 VerwG i. V. m. § 1 d. Landesh. VO v. 15.7.1864 (GVBl. S. 316); die Präsidenten des alten VGH sahen deshalb, worauf Federer (Hundert Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Bericht über den 3. Fortbildungskurs für Lehrer der Gemeinschaftskunde usw. [1964], S.51) hinweist, in Abweichung von der heutigen Übung nicht schon das Jahr 1863, sondern erst das Jahr

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Regelung des Verfahrens in Verwaltungssachen und VerwaltungsstreitLgkeiten unter dem 12.7.1864 eine landesherrliche Vollzugsordnung 44 ergangen war. Die Anrufung der Bezirksräte bzw. des Verwaltungsgerichtshofes wurtle bald zur Selbstverständlichkeit, die friedensstiftende Funktion der Verwaltungsrechtspflege seitens der Landstände und der Regierung durch die Zuweisung zusätzlicher Kompetenzen anerkannt. 45 Auch die Veröffentlichung der wesentlichen Entscheidungen in der bereits 1869 von Loening ins Leben gerufenen und später in der Hauptsache von den Präsidenten des VGH redigierten "Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege"46 trug sicher wesentlich zur Autorität der Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes bei. Nach "zwei Dezennien allgemein anerkannter segensreicher Tätigkeit"47 schien deshalb die Zeit reif, die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden auch äußerlich endgültig aus dem System der allgemeinen Verwaltung herauszulösen und ihre gesetzlichen Grundlagen selbständig neu zu regeln. Dies geschah durch das Gesetz vom 24.2.1880, den Verwaltungsgerichtshof und das verwaltungsgerichtliche Verfahren betreffend 48 und, nachdem zwischenzeitlich der aus "Budgetrücksichten" geäußerte Vorschlag zur Aufhebung des VGH und seiner Verbindung mit dem OLG abgewehrt worden war,49 durch das weitere Gesetz vom 1864 als das entscheidende Datum für den Beginn der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden bzw. in Deutschland an. 44 GVBl. S.333. Diese Verordnung sollte nur vorläufigen Charakter tragen; man hielt es für zweckmäßiger, " ... erst später, wenn man mehr Erfahrung haben und Fortschritte gemacht haben wird, in der Ausbildung der Verwaltungsrechtspflege, das Verfahren gesetzlich zu ordnen", Kommissionsbericht Bluntschli (0. Anm. 29), S. 348. 45 Zu den ersten Jahren der badischen Verwaltungsgerichtsbarkeit s. Renck, Das erste Jahrzehnt der badischen Verwaltungsorganisation, BadVerwZ 1874 (!), S. 189. 46 Daneben wurde zunächst von Wielandt und dann auf Veranlassung der nachfolgenden Präsidenten des VGH eine dreiteilige Entscheidungssammlung unter dem Titel "Die Rechtsprechung des Groß herzoglich Badischen Verwaltungsgerichtshofs" veröffentlicht, die allerdings nur von 1864 - 1910 reicht. 47 Kommissionsbericht Schulze über den Gesetzesentwurf, das verwaltungsgerichtliche Verfahren betr., Verh. d. Ständevers. 1881182, 1. K., Beil. Nr. 143 z. Prot. d. 6. Sitzung v. 20.2. 1882, Beil.heft S. 46. Es handelte sich hierbei um eine Art "Vorschaltgesetz" zum Verwaltungsrechtspflegesetz von 1884, zu den Gründen dieser Regelung vgl. den o. a. Kommissionsbericht, S. 46/47. - Wielandt (0. Anm. 12, S.378) konstatierte bereits 1875, daß sich die Rechtspflege auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zwischenzeitlich ein Ansehen erworben habe, "kraft dessen sie der Rechtspflege auf dem Gebiete des bürgerlichen und des Strafrechts ebenbürtig zur Seite treten und mit dem gleichen Rechte wie diese den Anspruch erheben darf, als ein Theil der ,ordentlichen Rechtspflege' zu gelten". 48 GVBl. S. 29. 49 s. Verh. d. Ständevers. 1881/82, 1. K., Prot. d. 9. Sitzung v. 16. 3. 1882, Prot.heft S. 37 (S. 38 ff.) sowie Beil. Nr. 200, Beil.heft S. 81 (S. 82 f.). Solche

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14.6.1884, die Verwaltungsrechtspflege betreffend. 50 Diese gründliche "überholung" der normativen Grundlagen für die Verwaltungsrechtspflege in Baden vollzog sich bereits unter dem Eindruck und teilweise gar nach dem Muster der inzwischen auch in anderen deutschen Ländern erfolgten Errichtung besonderer Verwaltungsgerichte. 51

Die wichtigste inhaltliche Neuerung der badischen Gesetze von 1880/84 war neben der beträchtlichen Ausweitung der Zuständigkeiten von Bezirksrat und VGH52 die Einführung einer beschränkten verwaltungsgerichtlichen Generalklausel gegenüber rechtswidrigen Polizeiverfügungen. 53 Sie konnten nunmehr direkt - und nicht mehr lediglich über die Kostentragungsvorschrift der §§ 30 und 31 PoIStGB54 in erster und letzter Instanz vor dem VGH angefochten werden. Diese Kompetenzzuweisung kann zugleich als Beleg für das herangereifte Verständnis von der Verwaltungsgerichtsbarkeit als einer zur Durchsetzung von subjektiven öffentlichen Rechten berufenen Instanz gewertet werden. 55 - Die sonstigen Änderungen und Ergänzungen der Bestrebungen waren nicht neu; bereits Jahre vorher war der Plan erörtert worden, ebenfalls aus "Budgetrücksichten" Verwaltungshof und Verwaltungsgerichtshof miteinander zu verschmelzen, vgl. Renck (0. Anm.45), S. 193; zu den Zuständigkeiten des Verwaltungshofes s. § 21 VerwG i. V. m. der VO v. 20. 11. 1873, GVBl. S. 213. 50 GVBl. S.197; zu den Vorarbeiten und den näheren Einzelheiten dieser beiden Gesetze vgl. insbes. Kopp (0. Anm. 8), Abschn. I. §§ 46 ff. (S. 83 ff.), sowie Abschnitt II! (S. 192 ff.); Röttinger, Die badische Verwaltungs-Rechtspflege usw. (1887); Wielandt, Die Entwicklung der badischen Organisation der inneren Verwaltung und der Verwaltungsrechtspflege, BadVerwZ. 1890, S.53 (S. 55 ff.); Walz, Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden (1909), § 40 (S. 126 ff.). 51 Preußen: 1875; Hessen: 1874/75; Württemberg: 1876; Bayern: 1878; die kritische Prognose, die L. v. Stein bereits 1869 den bad. Verwaltungsgerichten stellte, als er schrieb: " ... aber ebenso gewiß ist es, daß sie weder je in ganz Deutschland eingeführt, noch sich dauernd erhalten werden." (Verwaltungslehre, 2. Aufl. [1869], Teil 1, Abt. 1, S.408), sollte sich also nicht bewahrheiten. 52 Vgl. den Zuständigkeitskatalog der §§ 2 - 4 VwRpflG. 53 Hierbei stand das preußische Modell Pate, vgl. Begr. d. RegEntw. z. VwRpflG, Verh. d. Ständevers. 1883/84, 1. K., Beil. NI'. 5 z. Prot. d. 1. Sitzung v. 21. 11. 1883, Beil.heft S.5 (S.20) sowie der Kommissionsbericht der 2. Kammer, zit. bei Röttinger (0. Anm. 50), S. 45 ff. 54 § 4 Abs.1 Nr.1 VwRpflG; bislang war dem VGH aufgrund des § 15 Abs. 1 NI'. 5 VerwG lediglich die Befugnis eingeräumt, in den Fällen der § 30 und 31 PolStGB v. 31.10.1863 (RegBl. S.435) über den Ersatz der Kosten und somit auch über die Rechtmäßigkeit der der Kostenentscheidung zugrunde liegenden polizeilichen Verfügung zu urteilen. 55 Vgl. auch § 1 VwRpflG: "Der Entscheidung der gesetzlich bestehenden Verwaltungsgerichte, der Bezirksräte und des Verwaltungsgerichtshofs, unterliegen die in den Gesetzen ihnen zugewiesenen Streitigkeiten über Ansprüche und Verbindlichkeiten aus dem öffentlichen Rechte." Das VerwG hingegen bezeichnete als Gegenstand der Verwaltungsrechtspflege noch neutral "Streitigkeiten des öffentlichen Rechts" (§ 5 Abs. 1) bzw. "streitige Fragen des öffentlichen Rechtes" (§ 15 Abs. 1); s. hierzu ferner Bühler, Die subjekti-

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beiden Gesetze von 1880/84 waren demgegenüber eher redaktioneller Art: So wurden ausdrücklich die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit auf die Mitglieder des VGH ausgeweitet,56 der Bezirksrat erstmalig auch im Text des Gesetzes als "Verwaltungsgericht" bezeichnet57 und die Verfahrensvorschriften in die gesetzliche Regelung einbezogen und an die mittlerweile reichseinheitlich ergangene Zivilprozeßordnung bzw. das Gerichtsverfassungsgesetz angegLichen. 58 Die Bestimmungen der beiden Gesetze von 1880 und 1884 blieben bis an die Schwelle des 2. Weltkrieges die Grundlage für die Verwaltungsrechtsprechung im Lande Baden. .A:bänderungen betrafen in erster Linie den Zuständigkeitskatalog, der laufend erweitert wurde,59 ohne daß man sich, dem Beispiel :im benachbarten Lande Württemberg folgend, zur Einführung einer verwaltungsgerichtlichen Generalklausel entschließen konnte. 60 Als besonders bedeutsam für die Rechtsprechung yen öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung (1914), S.461 (S. 468 ff.). 56 Art. 4 des Gesetzes v. 24. 2. 1880, den Verwaltungsgerichtshof usw. betr. (0. Anm. 48) i. V. m. den Vorschriften des Gesetzes v. 14.2.1879, die Rechtsverhältnisse der Richter betr. (GVBl. S. 173); allerdings war man schon bei den Beratungen des VerwG (Verh. d. Ständevers. 1861163, 1. K., Prot. d. 38. Sitzung v. 4.7.1863, Prot.heft S.l71 [So 179/180]) letztlich von der - im übrigen aus § 14 Abs. 1 der bad. Verfassung folgenden - Unabhängigkeit der neu geschaffenen Gerichtsbarkeit ausgegangen. Aufgrund §§ 130, 131 und 147 Ziff. 8 und 9 des Bad. Beamtengesetzes v. 24.7.1888 (GVBl. S.399) wurden die Bestimmungen über die richterliche Unabhängigkeit im Rahmen des Beamtenrechts neu gefaßt. 57 § 1 Abs. 1 VwRpflG; in der landesh. VollzugsVO von 1864 (0. Anm.44) wurden die Bezirksräte aber auch schon ohne weiteres unter "Verwaltungsgerichte" geführt, vgl. etwa die Überschrift des 1. Abschnitts oder § 28 der erwähnten VO. 58 §§ 5 ff., insbes. § 6 Abs.2, § 9 Abs.2, § 11 Abs. 1, §§ 13, 15 und 19 Abs. 5 usw. VwRpflG; die unter dem 5.8.1884 (GVBl. S.369) ergangene landesh. VollzugsVO regelte demgegenüber nur noch die Frage, welche Behörde für die Entscheidung oder Verfügung zuständig ist, gegen die vor dem VGH Klage erhoben werden kann, vgl. § 41 Abs. 1 Ziff. 1 VwRpflG. 59 So konnte etwa K. Glockner, der damalige Präsident des VGH, 1914 anläßlich des 50jährigen Bestehens des Gerichtshofes voller Stolz vermelden, daß seit Erlaß des Verwaltungsrechtspflegegesetzes von 1884 "noch jeder Landtag eine Erweiterung der Zuständigkeiten des Verwaltungsgerichtshofes gebracht habe", BadVerwZ 1914, S.201; dem wurde im übrigen bereits im Jahre 1900 durch eine - die einzige - Neufassung des VwRpflG (GVBl. S. 543, ber. S.1002) Rechnung getragen. Einen überblick über die wesentlichsten Änderungen des Zuständigkeitskataloges und der Verfahrensgestaltung vermitteln die jeweiligen Einleitungen zu der o. Anm.46 erwähnten Entscheidungssammlung Rspr. VGH I - III sowie Kohlmeier, Die Ausgestaltung der Verwaltungsrechtspflege in Baden, DÖV 1953, S. 618 ff. 60 Und dies, obwohl § 15 Abs.1 der neuen bad. Verfassung von 1919 (GVBl. S. 279) ausdrücklich bestimmte, daß der Staat in allen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten (!) Recht vor den zuständigen Gerichten zu nehmen habe. Diese durch die Verfassung eingeräumte Rechtsweggarantie in öffentlichrechtlichen Streitigkeiten war "mit dem dem Verwaltungs-Rechtspflegegesetz

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des VGH in den ersten Jahren nach 1933 sollte sich hierbei die ihm durch die badische Gemeindeordnung von 1921 eingeräumte Zuständigkeit zur Entscheidung über Dienststraferkenntnisse gegen Mitglieder von Gemeinderäten und Gemeindebeamte erweisen. 61 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang schließlich noch die bislang wenig beachtete, den Fortbestand des Verwaltungsgerichtshofs betreffende Debatte im badischen Landtag anläßlich der Beratungen über das Gutachten der Sparkommission vom Juni 1931.62 Das sog. Spargutachten sprach sich unter anderem für d!ie Beibehaltung des Verwaltungsgerichtshofs aus und lehnte insbesondere seine Angliederung an das Oberlandesgericht ab bzw. hielt auch seine Aufhebung im Zusammenhang mit der geplanten Errichtung eines Reichsverwaltungsgerichts nicht für opportun. 63 Der Haushaltsausschuß trat dieser Auffassung grundsätzlich bei,64 doch nutzte der Berichterstatter, der Zentrumsabgeordnete Dr. Hoffmann, die Gelegenheit, den VGH dazu aufzurufen, in Zukunft seine Entscheidungen schneller, kürzer und allgemeinverständlicher abzufassen. Man habe zuweilen den Eindruck, betonte er, "daß sich der Verwaltungsgerichtshof in Baden ... als eine Art vierte Universität für Verwaltungsrecht charakterisiert (sie!) hat"65 - ein Vorwurf gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der auch aus neuerer Zeit stammen könnte! - Das Plenum des Landtages schloß sich dem Votum des Haushaltsausschusses an66 und wies zugleich den . " zugrunde liegenden Enumerationsprinzip nicht wohl vereinbar", Glockner, Badisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (1930), Erl. Nr. 1 zu § 15 der bad. Verfassung von 1919; kritisch hierzu auch aufgrund allgemeiner rechtsstaatlicher Erwägungen Deufel, Die Badische Verwaltungsgerichtsbarkeit (1933), S. 41 ff. 61 §§ 74 Abs.5 und 75 Abs.3 BadGemO v. 5. 10. 1921, GVBl. S.347, ber. S.414; s. hierzu auch die Darstellung von Flamm, Das Dienststrafrecht der Beamten und der Mitglieder der Organe der gemeindlichen Selbstverwaltungskörper in Baden (1932), insbes. S. 85 ff. 62 Die vom Staatsministerium eingesetzte Sparkommission sollte überprüfen, worauf es zurückzuführen sei, daß die Ausgaben der öffentlichen Verwaltung in Baden höher seien als im benachbarten Württemberg, und falls erforderlich, Einsparungsvorschläge unterbreiten, vgl. Vorspruch zum Gutachten der Sparkommission über die Badische Staatsverwaltung vom 6. 6. 1931, Verh. d. Bad. Landtages 1930/31, Drucks. Nr. 174. 63 Vgl. Spargutachten (0. Anm.62), S.22 und 33; den höheren Personalbedarf des Bad. VGH gegenüber dem Württ. VGH rechtfertigte die Spar kommission mit dem Hinweis auf den um ca. 1/4 höheren Geschäftsanteil beim Bad. VGH und den Umstand, daß es in Württemberg ständige Mitglieder des Gerichtes im Nebenamt gäbe. Lediglich eine kräftige Anhebung der Gerichtssporteln wurde von der Kommission empfohlen. 64 Verh. d. Bad. Landtages 1930/31, Drucks. Nr.174 III, Ziff. 2. 65 Verh. d. Bad. Landtages 1930/31, Amtl. Niederschrift über die 63. Sitzung v. 25. 9. 1931, Prot.heft Sp.3361. 66 Verh. d. Bad. Landtages 1930/31, Amtl. Niederschrift über die 64. Sitzung v. 25.9. 1931, Prot.heft Sp. 3398. 3 Kirchberg

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Einleitung

Antrag des kommunistischen Abgeordneten Leichleiter auf Aufhebung des Verwaltungsgerichtshofg61 mit großer Mehrheit zurück. G8 Dem in dieser parlamentarischen Auseinandersetzung zum Ausdruck gekommenen Verlangen nach Straffung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes wurde !in gewissem Umfang durch die 3. badische Haushaltsnotverordnung von 193269 entsprochen. Sie führte zur Beseitigung des noch in mehreren Gesetzen vorgesehenen verwaltungsinternen Beschwerdeverfahrens und erklärte ausschließlich die Klage beim VGH für zulässig (Artikel 4, 6 - 9). Ferner schloß nunmehr die Einlegung des Rekurses grundsätzlich die Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage aus et vice versa (Art. 3 und 5).10 Schließl!i.ch wurde die seit Anbeginn bestehende Regelung aufgehoben, wonach der VGH in "Versammlungen von fünf Mitgliedern" zu entscheiden hatte. Es genügte jetzt für den Normalfall schon eine Besetzung des Gerichtshofes mit 3 Mitgliedern einschließlich des Präsidenten, nur in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung konnten ausnahmsweise zwei weitere Mitglieder herangezogen werden, vgl. Art. 5 Nr. 2. Die badische Verwaltungsrechtspflege und hierbei vor allem die Rechtsprechung des VGH konnten sich im Vergleich mit der anderer deutscher Länder durchaus sehen lassen, wenngleich nicht verkannt werden kann, daß tonangebend für die weitere Entwicklung des Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtspflege in Deutschland das Preußische Oberverwaltungsgericht war. Die eigentliche Bedeutung des allseits geachteten Badischen VGH lag demgegenüber naturgemäß in der Weiterentwicklung und Ausformung des badischen Verwaltungsrechts und hierbei, entsprechend seinen Zuständigkeiten, insbesondere auf den Gebieten des Polizeirechts, des Gemeinderechts, des Steuerund Abgabenrechts, des Schulrechts, des Straßenrechts, des Stiftungsrechts, des Rechts der öffentlichen Fürsorge und des Dienststrafrechts. Eine Gesamtwürdigung der jahrzehntelangen Rechtsprechung ist in diesem Rahmen kaum möglich; es sei deshalb gestattet, auf das nüchterne Resümee von E. Walz zurückzugreifen, der über lange Jahre hinweg eng mit der badischen Verwaltungsrechtspflege verbunden war, zuletzt als Präsident des badischen Senats des VGH Württemberg61 Verh. d. Bad. Landtages 1930/31, Drucks. Nr. 74 UI a, Ziff. 5, näher ausgeführt im Votum des Abg. Klausmann, Amtliche Niederschrift über die 63. Sitzung v. 25. 9. 1931, Prot.heft Sp. 3344. 68 Verh. d. Bad. Landtages 1930/31, Amt!. Niederschrift über die 64. Sitzung v. 25. 9. 1931, Prot.heft Sp. 3403. 69 3. Bad. HaushaltsnotVO v. 25. 8. 1932, GVBl. S. 193. 10 Grundlegend zu den verschiedenen verwaltungsinternen Rechtsbehelfen Schumacher, Die Rechtsmittel in reinen Verwaltungssachen nach badischem Recht (1936), S. 19 ff., S. 32 ff.

Verwaltungsrechtspfiege in Baden bis zum Jahre 1933

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Baden, und der zur Rechtsprechung des Badischen VGH ausführte: " ... Man wird jedoch sicherlich bezeugen, daß sie das Kernproblem einer jeden verwaltungsgerichtlichen Tätigkeit, nämlich den Schutz der Rechte der Bürger mit der Erhaltung der Initiative und Wirkungskraft der Verwaltung zu vereinigen, nie aus dem Auge verloren hat. Sicherlich hat sie ihre liberale Wurzel nie verleugnet, noch weniger je die Bedeutung einer streng rechtsstaatlichen Verwaltung verkannt. Sie war, wie die gesamte Rechtsprechung jener Zeit, im wesentlichen positivistisch, aber doch in keiner Weise buchstabengläubig, und es ist ein Ruhmestitel für sie,daß sie wohl als erste und, mit nachhaltiger Wirkung auch auf die Gesetzgebung, für die rechtliche Bedeutung von Treu und Glauben im Verhältnis der Verwaltung zum Staatsbürger eingetreten ist. "71 Es wird die Hauptaufgabe der nachfolgenden Ausführungen sein, zu untersuchen, ob der Badische Verw·altungsgerichtshof in den Jahren kurz vor und insbesondere nach 1933 diese in gewisser Weise neutralisierende und durchaus wohlwollende Linie seiner Rechtsprechung auch unter dem Eindruck einer zunehmenden Gleichschaltung von Politik, Recht und Gesellschaft beibehalten hat bzw. beibehalten konnte.7~

71 Walz (0. Anm.40), S.76; partielle Würdigungen der Rechtsprechung des VGH aus der Zeit vor 1933 finden sich ferner etwa bei Bühler (0. Anm. 55), S. 474 ff. sowie bei Füsslin, Das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden in der Rechtsprechung des Großherzoglich Badischen Verwaltungsgerichtshofs (1957). 72 Zu Geschichte und System der bad. Verwaltungsrechtspfiege s. schließlich etwa noch Attolter, System des badischen Verwaltungsrechts (1904), § 9 (S. 25 ff.); v. Meyer, Art. "Das Verwaltungsrecht", in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft 2. Bd. (1904), S. 637 (S. 753); Glockner, Art. "Behördenorganisation und allgemeine innere Behördentätigkeit", in: Das Großherzogtum Baden usw., 2. Aufi. (1912), S. 814 (S. 820 ff.); Poensgen, Die verwaltungs gerichtliche Anfechtungsklage usw. (1910), S. 14 ff., S. 33 ff.; Schenkel! Lewald, Art. "Verwaltungsgerichtsbarkeit - Baden", in: Wörterbuch des deutschen Staatsund Verwaltungsrechts (1914), 3. Bd., S. 779 ff.; v. Babo, Zuständigkeiten der badischen Verwaltungsgerichte in Streitigkeiten der Fürsorgeverbände, ZHeimW 1925, S. 371 ff.; Traum, Die Feststellungsklage und ihre Zulässigkeit usw. (1926), S. 44 ff.; Blum! Ermarth, Grundriß des badischen Staatsund Verwaltungsrechts (1932), 4. Kap. (S. 38 ff.), 10. Kap. (S. 99 ff.). 3·

Erster Hauptteil

Institution, Personal und Verfahren des Bad. VGH in den Jahren 1933-1945 1. Kapitel

Der politische "Umschwung" und die Verwaltungsrechtspflege in Baden Die tiefgreifende Umgestaltung der politischen Verhältnisse in Baden infolge der "nationalen Revolution", die ihren offiziellen Höhepunkt mit der am 8. 3. 1933 erfolgten Einsetzung des Landtagsabgeordneten Robert Wagner zum Reichskommissar erlebte,73 ließ in ihrem weiteren Verlauf sowohl die Institution als auch dd.e personelle Ausstattung des Verwaltungsgerichtshofs zunächst unberührt. Dies war nicht ohne weiteres selbstverständlich, da gerade auch den badischen Nationalsozialisten in dem der Machtergreifung vorausgehenden Zeitraum zunehmender Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung74 wiederholt die Bedeutung dieses letztinstanzlich über wichtige Fragen des öffentlichen Rechts entscheidenden Spruchkörpers vor Augen geführt worden war.

73 Zu Vorgeschichte und Durchführung der nationalsozialistischen Machtergreifung in Baden bzw. in Karlsruhe s. Bräunehe, Die Entwicklung der NSDAP in Baden bis 1932/33, ZGO 125 (1977), S. 331 ff.; Rehberger, Die Gleichschaltung des Landes Baden 1932/33 (1966); Kranich, Schicksalstage einer Stadt (1973), S. 123 ff. sowie die jüngst erschienene, umfangreiche, auf von den Alliierten erbeutetem und bislang nicht verwertetem Aktenmaterial gründende Arbeit von Grill, The Nazi Party in Baden, 1920 - 1945 (1979); aus nationalsozialistischer Sicht vgl. ferner die kommentierte Bildsammlung von Ebbecke, Die Deutsche Erhebung in Baden (1933) und Moraller, Wie ich die Revolution in Baden erlebte, in: "Der Führer" (Tageszeitung), v. 23.3., 25.3. und 26. 3. 1933. 74 Zu den speziell bad. Verhältnissen s. Brandet, Staatliche Maßnahmen gegen den politischen Radikalismus in Baden 1930 - 1933 (1976) sowie Grill (0. Anm. 73), S. 194 f.

Die "vorrevolutionäre" Rechtsprechung des VGH

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So hatte etwa der VGH bereits Ende 1930 darÜ'ber zu befinden,15 ob der Innenminister berechtigt war, das Tragen der sog. Parteiuniform der NSDAP mit Hilfe einer auf § 30 PolStGB gestützten Anordnung 76 zu verbieten. Das Gericht setzte diesem Vorhaben, das angesichts der provozierenrden Wirkung uniformierter nationalsoziali:stischer Verbände auf die staatlichen Ordnungskräfte einerseits und die politischen Gegner andererseits ohne weiteres verständlich war, in rechtsstaatlichpositivistischer Manier eindeutige Grenzen: § 30 PolStGB ermächtige die Polizeibehörden lediglich zu Einzelfallregelungen, um rechts- oder ordnungswidrige Zustände zu beseitigen. Bei der vorliegenden Anordnung handele es sich demgegenüber um eine abstrakt-generelle Regelung, um eine Verordnung im eigentlichen Sinne. Da sich diese auch nicht auf andere Rechtsgrundlagen stützen ließ und zudem der dem Verfahren zugrunlde liegende Sachverhalt keinen Anlaß für ein polizeiliches Eingreifen 'bot - ein SA-Mann war nachts um 1 Uhr in voller Montur, begleitet von zwei Zivilpersonen, über die Kaiserstraße in Karlsruhe spaziert - , gab der VGH der gegen die Beschlagnahme der Uniformstücke gerichteten Klage statt. 77 Dieses Urteil rief nach seinem Bekanntwerden bei den staatstragenden Parteien einen Sturm der Entrüstung hervor: Der sozialdemokratische "Volksfreund" etwa schrieb unter der Schlagzeile "Staatsschädliche Justiz" von "weltfremden frondierenden Richtern"78 und der vom 75 U. v. 16. 12. 30 Nr. 3911, BadVerwZ 1931, S. 19 = RVerwBI. 1931, S. 1015 JW 1931, S. 1647 m. zust. Anm. Walz. 76 StAnz. v. 13./16.6.1930; zu den näheren Umständen dieser Regelung s. Brandet (0. Anm. 74), S. 15 f. 77 Ohne daß den Mitgliedern des Landtags und der Regierung das zwei Tage vorher ergangene Urteil bereits bekannt gewesen wäre, fand am 18. 12. 1930 eine heftige Debatte im Landtag über die Uniformverbote statt, ausgelöst durch einen Antrag des Abg. Wagner und Genossen auf Aufhebung des "verfassungswidrigen und ungesetzlichen" Verbots nationalsozialistischer Parteiuniformen einerseits und des Antrags einiger DVP-Abgeordneten auf Erlaß eines allgemeinen Uniformverbots andererseits, vgl. Verh. d. bad. Landtages 1930/31, Amtl. Niederschrift über die 6. Sitzung v. 18. 12. 1930, Prot.heft Sp. 250 ff. m. Drucks. Nr.9 und 91. Die überaus erregte Sitzung endete mit einem Eklat, nämlich mit der Verbannung des Abg. Wagner aus dem Saale, nachdem er dunkel gedroht hatte, es werde der Tag kommen, "wo das Machwerk von Weimar mit ihrem (sie!) sogenannten Staat in sich zusammenbricht", Prot.heft Sp.313/314. 78 "Volksfreund" (sozialdemokratische Tageszeitung) v. 15.1.1931; u. a. hieß es in dem Bericht: "Frondierende Beamte sind schon ein Skandal, frondierende Richter sind ein Staatsverbrechen ... Der heutige Staat wird, wenn er sich mit Erfolg aller seiner Todfeinde erwehren will ... zu tiefgreifenden Maßregeln schreiten müssen. Eine der notwendigsten und erfolgreichsten wäre ... , die Unabsetzbarkeit der Richter aufzuheben und die muffigen Tempel der beinah schon berüchtigt gewordenen Madame Justitia gründlich auszulüften ..." =

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1. Kap.: Der politische "Umschwung" in Baden

Zentrum redigierte "Badische Beobachter" warf dem VGH vor, "jeglicher Einfühlung in die realen Verhältnisse unseres öffenmchen Lebens und der Rücksichtnahme auf die Autorität des Staates" zu entbehren. 79 Der "Führer" hingegen, das nationalsozialistische Parteiorgan Badens, begrüßte das Urteil des VGH emphatisch als "Morgenstern in dunkler Nacht" und schmeichelte der Unabhängigkeit des Gerichtshofs mit der Bemerkung: "Hut ab vor den Richtern, die nicht nach rechts oder links, sondern einzig und allein auf das Recht sehen. "80 Insgesamt jedoch nahmen die gegen den VGH und seine Mitglieder vorgetragenen Angriffe, die in der bisherigen Geschichte des Gerichtes ohne Beispiel waren, ein solches Ausmaß an, daß der Abgeordnete Bauer von der DVP öffentlich im Landtag die Vermutung äußerte, nur der Schutz seiner richterlichen Unabhängigkeit habe den Präsitlenten des VGH vor persönlichen Maßnahmen der aufgebrachten Staatsgewalt bewahren können. 81 Die Regierung des Staatsprämdenten und Innenministers Wittemann sah sich deshalb, und um den Angriffen gegen den VGH die Spitze zu nehmen, zu einer ausdrücklichen Ehrenerklärung für den Gerichtshof und seine Mitglieder veranlaßt.82 In der Sache allerdings bekräftigte sie ihre nach wie vor abweichende Rechtsauffassung 83 und stufte das Urteil des VGH außerdem lediglich als Einzelfallentscheidung ein, die nicht zu einer generellen Aufhebung des Uniformverbots nötigen könne.8 4 Ungeachtet dessen und wahrscheinlich, um weiteren Konflikten vorzubeugen, erließ der Innenminister - dem vom VGH vorgezeichneten Wege folgend 8S - bereits am 14.1.1931 eine auf Art. 48 "Badischer Beobachter" (Tageszeitung) v. 15.1. 1931. "Der Führer" v. 15.1. 1931. 81 Verh. d. bad. Landtages 1930/31, Amt!. Niederschrift über die 12. Sitzung v. 22. 1. 1931, Prot.heft Sp. 611 und über die 23. Sitzung v. 12. 2. 1931, Prot.heft Sp.1142/43; die ungewöhnlichen Reaktionen eines Teils der politischen Tagespresse auf dieses Urteil veranlaßten den VGH zur ungekürzten Veröffentlichung der Entscheidung in der BadVerwZ, wie aus einer redaktionellen Notiz der Herausgeber hervorgeht, BadVerwZ 1931, S. 19 Fn. 82 Verh. d. bad. Landtages 1930/31, Amt!. Niederschrift über die 12. Sitzung v. 22. 1. 1931, Prot.heft Sp. 612 und über die 25. Sitzung v. 26.2. 1931, Prot.heft Sp.1266. 83 Verh. d. bad. Landtages 1930/31, Amt!. Niederschrift über die 25. Sitzung v. 26. 2. 1931, Prot.heft Sp. 1265. 84 Verh. d. bad. Landtages 1930/31, Amt!. Niederschrift über die 25. Sitzung v. 26.2.1931, Prot.heft Sp. 1237. 85 Vgl. das o. Anm.75 erwähnte Urteil des VGH, wo es u. a. hieß: "Die Heranziehung des Art. 48 Abs. 4 der Reichsverfassung aber scheidet schon aus dem Grunde aus, weil eine auf diese Vorschrift sich stützende Anordnung grundsätzlich vom Staatsministerium erlassen werden muß und eine etwa zulässige Delegation an den Minister des Innern, wie anzunehmen ist und 79

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Die "vorrevolutionäre" Rechtsprechung des VGH

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Abs.4 WRV gestützte Verordnung, die das Tragen von Parteiuniformen und Bundestrachten (einheitlicher Kleidung) aller politischer Verbände und Organisationen im Freistaat Baden mit sofortiger Wirkung untersagte. 86 Als nun der gleiche Provokateur wie im vorher geschilderten Verfahren ("der Blechner und Installateur E. M. ") sein Stückchen, nunmehr um 12 Uhr mittags auf der Kaiserpassage in Karlsruhe wiederholte, um, wie es scheint, auch die Tragfähigkeit dieser neuen Verordnung zu testen, beschied ihn der VGH abschlägig: Zwar unterliege auch die Anwendung der Diktaturgewalt des Art. 48 WRV grundsätzlich der richterlichen Nachprüfung, doch ergebe diese für den vorliegenden Fall nicht, daß die rechtlichen Erfordernisse eines solchen Vorgehens offensichtlich verkannt worden seien bzw. daß ein "rein willkürlicher Mißbrauch" der in Art. 48 gegebenen Ermächtigung vorliege. 87 Auch noch in einern weiteren Verfahren,88 das sich mit der Verbreitung eines antisemitischen und antiamerikanischen Pamphlets anläßlich der Einweihung des neuen Universitätsgebäudes in Heidelberg im Sommer 1931 befaßte, mußten nationalsozialistische Parteigänger eine Niederlage vor dem VGH einstecken. Problematisch war im vorliegenden Fall vor allem, ob die von der HeMelberger Stadtratsfraktion der sich insbesondere aus der Erwähnung des § 30 PolStGB als der gesetzlichen Grundlage in der Anordnung vom 13./16. Juli 1930 ergibt, nicht stattgefunden hat", BadVerwZ 1931, S.25. 86 GVBl. S.7; da diese VO jedoch nach dem Wortlaut des Art.48 Abs.4 WRV nur vorübergehender Natur sein konnte, wurde im Innenministerium gleichzeitig eine Änderung des § 29 PolStGB vorbereitet, die den staatlichen Verwaltungsbehörden die Möglichkeit geben sollte, ganz allgemein bei einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die erforderlichen Anordnungen zu erlassen, vgl. Verh. d. bad. Landtages 1930/31, Drucks. 124 und 124 a. Bei der Beratung der Vorlage kam es zwar im Landtag· erneut zu heftigen Kontroversen zwischen den Parteien des bürgerlichen Blocks einerseits und den Nationalsozialisten und Kommunisten andererseits (vgl. Verh. d. bad. Landtages 1930/31, Amtl. Niederschrift über die 25. Sitzung v. 26. 2. 1931, Prot.heft Sp. 1251 ff.), doch gelang es der Regierung, sich bei der engültigen Abstimmung im wesentlichen durchzusetzen und das Gesetz zur Verkündung zu bringen, s. GVBl. S. 45. Hierauf gestützt erließ der Innenminister bereits am 4. 3. 1931 eine neue Anordnung, die das Tragen von Parteiuniformen usw. verbot (GVBl. S.47), verlängert durch Anordnung v. 27. 3. 1931 (GVBl. S. 75), eingeschränkt durch Anordnung v. 10.4. 1931 (GVBl. S. 143/144), aufgehoben durch Anordnung v. 28.4.1931 (GVBl. S.147), neu erlassen gegenüber den Nationalsozialisten aufgrund § 8 der VO des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen v. 28.3. 1931 (RGBl. I S. 79) durch Anordnung v. 11.7.1931 (GVBl. S.253), erweitert durch Anordnung v. 16.6.1932 (GVBl. S. 149), eingeschränkt durch § 1 Abs. 2 der 2. VO des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen v. 28. 6. 1932 (RGBl. I S. 339) - ein getreues Spiegelbild der unterschiedlichen politischen Zweckmäßigkeits erwägungen und Machtkonstellationen im Reich und in den Ländern! 87 u. v. 18.3.1931 Nr.932, BadVerwZ 1931, S.67 = RVerwBl. 1931, S.1016. 88 u. v. 22.9.1931 Nr. 3175, BadVerwZ 1931, S. 161.

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1. Kap.: Der politische "Umschwung" in Baden

NSDAP herausgegebene sog. Festschrift als Flugblatt politischen Inhalts im Sinne von § 10 Abs.2 der Verordnung des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 28.3. 1931 89 anzusprechen war. Nach dem Inhalt dieser Bestimmung konnten solche Flugblätter polizeilich beschlagnahmt werden, wenn sie nicht 24 Stunden vor der Veröffentlichung den zuständigen Polizeibehörden zur Kenntnisnahme vorgelegt worden waren, was die Herausgeber in diesem Fall unterlassen hatten. Da die erwähnte "Festschrift" zeitungsähnlich aufgemacht war, also nicht unbedingt dem Idealtypus eines Flugblattes entsprach, bemühte sich der VGH anhand weiterer objektiver Merkmale nachzuweisen, daß die Druckschrift "darauf berechnet und auch dazu geeignet war, durch die Stadt Heidelberg und ihre Bevölkerung zu jliegen".90 Der politische Inhalt des Flugblattes stand für den VGH vor allem aufgrund des Umstandes fest, daß die Feierlichkeiten,an denen auch Mitglieder des Badischen Staatsministeriums teilnahmen, in dem Flugblatt als "allgemeine Katzbuckelei vor Vertretern des größten Feindes des deutschen Volkes, der internationalen Hochfinanz, anläßlich der Einweihung des Sch. Universitätskastens" tituliert worden waren. 91 Die Klage gegen die Beschlagnahme der Festschrift wurde deshalb abgewiesen. Die in diesem Zusammenhang letzte Entscheidung des VGH, ergangen am 14.2.1933,92 also bereits 2 Wochen nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, hatte sich noch einmal mit einem besonders düsteren Kapitel in der Geschichte der nationalsozialistischen Bewegung zu befassen, jenem blutigen Selbstreinigungsprozeß innerhalb der SA nämlich, der vorzugsweise mit Mitteln der Femejustiz betrieben wurde und dem eine Unzahl sog. Abweichler zum Opfer fielen 98 : 89 RGBl. I S. 79. 90 BadVerwZ 1931, S. 162 re. Sp. 91 S. o. Anm. 90; aktueller Hintergrund dieser Polemik war der Umstand, daß die neuen Universitätsbaulichkeiten in Heidelberg zum Teil mit Hilfe amerikanischer Spenden errichtet worden waren (Shurman-Gebäude). Hinzu kam, daß die Nationalsozialisten unter der Studentenschaft Heidelbergs größere Einbrüche erzielt hatten als anderswo und sich deshalb anscheinend in besonderer Weise legitimiert fühlten, zu Vorgängen an dieser Universität Stellung zu nehmen, vgl. etwa die Debatte im Landtag über die "skandalösen Vorgänge" beim Richtfest für den Neubau der Universität, bei der Festsetzung des Haushaltsplanes des AStA und bei der Berufung eines u. a. wegen seiner pazifistischen Neigungen von der nationalen Rechten des Landesverrats bezichtigten Privatdozenten zum Professor (Fall Gumbel), s. Verh. d. bad. Landtages 1930/31, Amt!. Niederschrift über die 8.19. Sitzung v. 19. 12. 1930, Prot.heft Sp. 359 ff.; s. ferner hierzu Grill (0. Anm. 73), S. 226 ff. 92 Az.27/33, BadVerwZ 1933, S.41. 93 Vgl. hierzu Sauer, Die Mobilmachung der Gewalt, in: Bracher / Sauer / Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung (Neudruck 1974), S. 194 ff. (S. 213 f. m. w. Nw.); zur Rechtsprechung staatlicher (Straf-)Gerichte über Fememord-Fälle s. Hannover I Hannover-Drück, Politische Justiz 1918 - 1933 (1966), S. 152 ff.

Die "vorrevolutionäre" Rechtsprechung des VGH

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Die sozialdemokratische Partei hatte den Polizeibehöl'den in Karlsruhe am 12. 1. 1933 ein Plakat zur Einsichtnahme vorgelegt, das unter der überschrift "Feme-Mord! SA-Mann Herbert Hentsch von seinen Kameraden bestialisch ermordet!" in schwarzer Umrandung die angebliche Todesanzeige der Mutter wiedergab. Darin wurden in durchaus bewegenden Worten die näheren Umstände der gräßlichen Tat geschildert und die früheren Parteigenossen des Sohnes dieses rohen Verbrechens bezichtigt. Die "Todesanzeige" schloß mit dem Aufruf an alle Mütter, ihre Kinder vor derartigen Elementen zu schützen. D4 Die Polizeibehörden untersagten, gestützt auf eine zu § 29 PolStGB ergangene Verordnung des Innenministers,D5 den Anschlag dieses Plakats, konfiszierten die noch vorhandenen Plakate bzw. ließen die schon verbreiteten überkleben. Hiergegen erhob das sozialdemokratische Parteisekretariat Klage vor dem VGH. Der Gerichtshof wies die Klage ab. Ausschlaggebend hierfür war wohl in erster Linie die Befürchtung, die Zulassung der Plakate würde in der überreizten politischen Atmosphäre, die gerade in den noch nicht "gleichgeschalteten" Ländern nach dem 30.1. 1933 herrschte, zu gewaltsamen Entladungen führen. Im Ergebnis entbehrt es allerdings nicht einer gewissen Pikanterie, daß die Vorschrift des § 29 PoIStGB, die in Konsequenz des ersten Uniformverbotsurteils zur effektiveren Bekämpfung vor allem nazistischer Umtriebe neugefaßt worden war, jetzt im Rahmen der Auseinandersetzung der bürgerlichen Parteien mit der NSDAP zur Grundlage einer gegen die Sozialdemokraten gerichteten Maßnahme gemacht wurde und daß der VGH auch die dagegen gel'ichtete Klage abwies, so daß sich die NationalsoZlialisten sogar als "Gewinner" des Verfahrens fühlen durften. D6 D4 Immerhin trug der VGH auf seine Weise zur Veröffentlichung des umstrittenen Plakattextes bei, indem er ihn in vollem Wortlaut in die veröffentlichte Entscheidung aufnahm (BadVerwZ 1933, S. 41). 95 VO des Innenministers v. 21. 6. 1932, Plakate und Aufrufe betr., GVBl. S. 151; hiernach war u. a. ab sofort das öffentliche Anschlagen, Anheften oder Ausstellen (Auslegen) von Plakaten, deren Inhalt den Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllte oder die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdete, verboten. 96 Anläßlich der Gesetzesberatungen hatten die Nationalsozialisten sehr wohl erkannt, wem eigentlich die Neufassung des § 29 PolStGB galt und heftig opponiert (s. Verh. d. bad. Landtages 1930/31, Amtl. Niederschrift über die 25. Sitzung v. 26. 2. 1931, Prot.heft Sp. 1254/55). Nach der Machtübernahme jedoch war ihnen anscheinend sehr bald klar geworden, welches rechtstechnische Mittel ihnen da an die Hand gegeben war; so würdigte etwa der neue Innenminister PflaumeT im Vorwort zu einer 1936 erschienenen Sammlung bad. Polizeiverordnungen "die erhöhte Bedeutung der außerordentlichen Generalklausel des § 29 PoIStGB" bei dem Bemühen, "die Beschränkungen und Hemmnisse zu beseitigen, die ... das staatsfremde Denken einer überwundenen politischen Epoche" dem bad. Polizeiverordnungsrecht auferlegt hätte.

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1. Kap.: Der politische" Umschwung" in Baden

Das Bemühen des Gerichtshofs, die angegriffene polizeiliche Verfügung unter allen Umständen zu "halten", zeigte sich bereits bei der Prüfung der durch die eigene Rechtsprechung veranlaßten Neufassung des § 29 PoIStGB,97 die dem Plakatverbot letztlich zugrunde lag: Während diese Vorschrift die Verwaltungsbehörden früher nur für den Fall außerordentlicher Vorkommnisse, welche die Sicherheit der Personen und des Eigentums schwer bedrohten, zum Erlaß vorübergehender Anordnungen mit Strafandrohung ermächtigte,98 genügten hierfür in der Neufassung vom 26.2.1931 99 bereits "Vorkommnisse, welche die Sicherheit der Personen und des Eigentums oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedrohen". Nichtsdestoweniger qualifizierte der VGH auch diese sehr weitgehende Ermächtigung als ausgesprochenes "Notverordnungsrecht" in der deutlich erkennbaren Absicht, durch diese Auslegung den Anwendungsbereich des § 29 PolStGB wieder auf echte "Notfälle" zurückzuführen. 10o Zugleich schloß er hierdurch einen Widerspruch der neuen Bestimmung zu dem in Art. 48 WRV reich!seinheitlich geregelten Recht des Ausnahmezustandes aus, da, wie der VGH unter Berufung auf Thoma und Anschütz u. a. ausführte, "der Landesgesetzgebung das Recht zustehe, innerhalb ihrer sachlichen Zuständigkeit für gewisse Notfälle besondere, sonst nicht zulässige verwaltungsmäßige Anordnungen zuzulassen, wobei selbstverständlich die Schranken der Reichsgesetze respektiert werden müssen" .101 Diese Ausführungen des VGH leiteten über102 zu der vom badischen Innenminister aufgrund des § 29 PolStGB n. F. erlassenen Verordnung vom 21. 6.1932, Plakate und Aufrufe betr.,103 auf die sich das polizeiliche Plakatverbot konkret stützte. Der Gerichtshof vermochte keinen Widerspruch dieser Verordnung zu reichsgesetzlichen Regelungen zu 97 Vgl. oben Anm.86. 98 § 29 PolStGB in der Neubekanntmachungsfassung v. 25.7.1923 (GVBl. S.216); mit nachfolgenden Änderungen abgedruckt bei Merk, Handbuch der Badischen Verwaltung 1. Bd., 11. Aufl. (1930), S. 318 ff. 99 GVBl. S. 45. 100 Vgl. die Formulierung des VGH (0. Anm.92), S. 44 li. Sp.: ,,§ 29 PolStGB in der jetzt geltenden Fassung nach der Auslegung, die ihm der Verwaltungsgerichtshof gibt ... "; wie noch gezeigt werden wird, interpretierte der VGH den Begriff "Vorkommnis" i. S. d. § 29 PolStGB n. F., ohne dies allerdings deutlich zu machen, im Ergebnis genauso wie "außerordentliche Vorkommnisse" i. S. d. § 29 PolStGB a. F. und sicherte dieses Ergebnis ausdrücklich unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien ab: .,Diese Meinung entspricht also jedenfalls dem Willen des Gesetzgebers z. zt. des Erlasses des neuen Gesetzes." (VGH aaO, S. 46 li. Sp.). 101 VGH aaO, S. 44 li. Sp. 102 Diese Formulierung darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Urteil in einigen Passagen außerordentlich unsystematisch, ja fast widersprüchlich aufgebaut ist. 103 Vgl. o. Anm. 95.

Die "vorrevolutionäre" Rechtsprechung des VGH

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erblicken104 ; die Diskrepanz zu dem in Baden geltenden "Grundsatz der Plakatfreiheit" müsse in Kauf genommen werden, solche Friktionen des Notverordnungsrechts mit anderen (landesrechtlichen) Regelungen lägen quasi in der Natur der Sache. lOS Der nächste Schritt106 war die Prüfung der Frage, ob der Erlaß dieser Verordnung tatsächlich durch eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 29 PolStGB n. F. gerechtfertigt war; der VGH ging hierbei davon aus, daß Anordnungen aufgrund des behördlichen Notverordnungsrechts einer strengeren richterlichen überprüfung unterlägen als etwa die Anwendung der Diktaturgewalt nach Art. 48 WRV, da die nach § 29 PolStGB eingeräumte Ermächtigung nicht nur wesensmäßig immer noch zu den weitgehend richterlicher Kontrolle unterliegenden Spezialdelegationen der §§ 23 - 27 (28) PolStGB gehöre,107 sondern auch sonst überhaupt keiner Kontrolle durch staatliche Organe unterläge. Lediglich Fragen der Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit seien hier wie auch in anderen Fällen nicht justitiabel. Das Vorkommnis - und hierunter wollte der VGH offensichtlich nur "außerordentliche Vorkommnisse" i. S. d. § 29 PolStGB a. F. verstanden wissen108 - , das zum Erlaß der inkriminierten Plakatverordnung geführt habe, sei "offensichtlich die in jener Zeit vorhandene ungewöhnliche politische Gegensätzlichkeit innerhalb des deutschen Volkes"109 gewesen, ein Zustand also, dem, wie auch die Gesetzesmaterialien belegten, typischerweise mit den Mitteln des § 29 PolStGB n. F. begegnet werden sollte. Es sei zwischenzeitlich auch keine Beruhigung des politischen Lebens eingetreten, denn abgesehen davon, daß nach der Reichstagswahl vom 31. 7.1932 schon bald wieder ein Wahlkampf entbrannt sei, der zur erneuten Reichstagswahl vom 6.11. 1932 geführt 104 VGH aaO, S. 44 li. und re. Sp. 105 VGH aaO, S.43 re. Sp.; vgl. zu dieser Problematik auch die allerdings nicht sehr ergiebige, vor allem die Hintergründe kaum berücksichtigende Darstellung von Geiger, Das Verordnungsrecht der badischen Landesregierung usw. (1952), S. 152 ff. 106 Nach einer zumindest heutigem Verständnis wohl zuwiderlaufenden übelleitung: "Wenn somit die VO vom 21. Juni 1932 nicht im Widerspruch mit irgend welchen reichsrechtlichen Vorschriften, insbesondere der Reichsverfassung, steht, so ist nunmehr zu erörtern, ob und in welcher Richtung eine aufgrund des § 29 PolStGB erlassene Anordnung der richterlichen Nachprüfung unterliegt" (VGH aaO, S.44 re. Sp.) - bei dieser zuletzt genannten Anordnung handelte es sich aber um nichts anderes als um jene VO v. 21. Juni 1932, deren Gültigkeit man bereits seitenweise nachgeprüft hatte! 107 Vgl. insbesondere § 24 Abs. 2 PoIStGB. 108 "Gefahr politischer Unruhen", "Gewalttätigkeiten", "Zustand politischer Hochspannung oder politischer Not", vgl. VGH aaO, S.45 re. Sp.; zu der mit dieser (restriktiven) Interpretation verfolgten Absicht s. o. S. 42. 109 VGH aaO, S. 46 li. Sp.

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1. Kap.:

Der politische "Umschwung" in Baden

habe, sei die Reichsregierung gehalten gewesen, sich mit immer neuen (Not-)Verordnungen um die Wiederherstellung des inneren Friedens zu bemühen. Der VGH des noch nicht nationalsozialistisch regierten Landes Baden scheute sich nicht, in diesem Zusammenhang auch auf die von der neuen Reichsregierung initiierte Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes vom 4.2.1933 110 hinzuweisen, die mit ihren Versammlungs- und Presseverboten die Unterdrückung und Entrechtung politisch Andersdenkender im Dritten Reich einleitete. 111 Das mag durchaus als Beleg dafür gewertet werden, daß jedenfalls diese Verordnung sich qualitativ schon gar nicht mehr wesentlich von den vorausgehenden Notverordnungen bürgerlicher Regierungen abhob.112 Im Ergebnis jeden:lialls erachtete der VGH deshalb die Plakatverordnung für gültig und ihre Anwendung auf den Einzelfall im übrigen auch für gerechtfertigt: Die angebliche Todesanzeige bedeute eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, da sie den "FemeMord als einen Ausfluß der in den Kreisen der NSDAP herrschenden Mentalität"113 darstellen wolle (!), also zu einem "allgemeinen Urteil über eine große Bewegung oder Partei"114 benutzt werde, was angesichts der Aktualität des zugrunde liegenden Vorkommnisses nicht nur den politischen Gegner, sondern auch die eigenen Parteianhänger zu heftigen, möglicherweise gewalttätigen Reaktionen verleiten müsse. Die Klage wurde deshalb abgewiesen. Diese Entscheidung stellt sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht ein getreues Abbild der verworrenen politisch-rechtlichen Verhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 1933 dar: In der Skrupulosität und Umständlichkeit der Begründung ragt sie schon fast wie ein Fossil aus Weimarer Zeit in die "Götterdämmerung" des Dritten Reiches herüber, in dem sehr bald ohne Rücksichtnahme auf die gesetzlichen Voraussetzungen selbsterlassener Vorschriften der Ausnahme- zum Normalzustand gemacht wurde; andererseits unterliegt das Urteil deutlich dem Zwang, den Nationalsozialisten nur ja keinen Vorwand für die Entfesselung von Gewalttätigkeiten im Lande Baden zu bieten - der Ministerialbevollmächtigte, auf den sich das Gericht wiederholt beruft, dürfte den Richtern mit Sicherheit dargelegt RGBl. I S. 35. Zu den konkreten politischen Auswirkungen dieser VO in Baden vgl. Rehberger (0. Anm. 73), S. 58 ff. 112 So auch Echterhölter, Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat (1970), S.15/16; grundsätzlich zum Notverordnungsrecht mit deutlichen Reserven gegenüber der diesbezüglich ausufernden Staatspraxis Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Auf!. (1933), S. 275 ff. 113 VGH aaO, S. 47 li. Sp. 114 VGH aaO, S.47 li. Sp. 110 111

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haben, was dies in der Zeit drohender "Reichskommissariate" für die staatliche Integrität Badens bedeutet haben würde. Daß diese Zurückhaltung nichts fruchtete, ist bekannt: Die Einsetzung des Reichskommissars erfolgte dann eben, ohne daß eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i. S. v. § 2 der Reichstagsbrandverordnung115 vorlag! Für die neuen Machthaber in Baden, den Reichsstatthalter Robert Wagner und die von ihm eingesetzte Regierung des Ministerpräsidenten Walter KöhZer,116 bestand jedoch angesichts der geschilderten "vorrevolutionären" Rechtsprechung des VGH, zumindest bei vordergründiger Betrachtungsweise, kein unmittelbarer Anlaß zu Eingriffen in die Institution und das Personal des Gerichtshofes. Sicher, die Nationalsozialisten hatten auch Niederlagen vor dem VGH einstecken müssen. Aber in den beiden politisch besonders wichtigen Verfahren waren sie mit ihrem Klagbegehren durchgedrungen bzw. war eine im Ergebnis zu ihren Gunsten ergangene Polizei verfügung bestätigt worden. Dementsprechend wurde die (1.) Uniformverbots-Entscheidung des VGH politisch für eigene Zwecke verwertet,117 das am 14.2.1933 ergangene Urteil über die angebliche Todesanzeige des SA-Mannes Hentsch war durchaus geeignet, sich als "flankierende Maßnahme" bei der Durchführung der nationalen Revolution in Baden auszuwirken. 11B Außerdem gab es im gleichgeschalteten Lande Baden Wichtigeres zu tun; das Interesse der Nationalsozialisten konzentrierte sich zunächst auf die sachliche und personelle Umgestaltung der "aktiven" Verwaltung. ll9 Die Verwaltungsgerichtsbarkeit sahen die neuen Machthaber 115 VO des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat v. 28. 2. 1933, RGBl. I S.83. 116 s. die Bekanntmachungen des Reichsstatthalters Wagner zur Regierungsbildung im Lande Baden v. 6.5.1933, GVBI S.83/84; bereits am 11. 3. 1933 war die Mehrzahl der späteren Regierungsmitglieder als kommissarische Verweser von Reichskomissar Wagner in ihre Ämter berufen worden, vgl. "Karlsruher Zeitung - Badischer Staats anzeiger" Nr.60 v. 11. 3.1933, S.1. 117 Vgl. hierzu erneut den "Führer" Artikel vom 15.1.1931 zum ersten Uniformverbotsurteil (0. Anm.80) sowie etwa die Ausführungen Wagners als Landtagsabgeordneter bei den Beratungen des Gesetzentwurfes zur Abänderung des § 29 PolStGB (0. Anm. 86). 118 Reaktionen auf dieses Urteil finden sich in der zeitgenössischen, insbesondere nationalsozialistischen Presse so gut wie keine. Möglicherweise ist die Bekanntgabe der Entscheidung, die meistens mit etwa 1 Monat Verspätung erfolgte, im allgemeinen Siegesrausch untergegangen, wahrscheinlicher ist allerdings, daß sich dieses Urteil inhaltlich kaum ausschlachten ließ, zumal der VGH zu den in der sog. Todesanzeige erhobenen Vorwürfen gar nicht im einzelnen Stellung genommen hatte. Der sozialdemokratische "Volksfreund", der an der Berichterstattung über dieses Verfahren ein gesteigertes Interesse hätte haben können, war zu diesem Zeitpunkt längst verboten. 119 Vgl. hierzu Rehberger (0. Anm.73), S. 97 f., S.121 f., S. 139 ff. m. w. Nw.; erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch und gerade die VO des

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1. Kap.: Der politische "Umschwung" in Baden

demgegenüber tendenziell wohl eher als "quantite negligeable" an, ja sie benutzten sie anscheinend sogar als eine Art Abstellgleis für mißliebige Beamte.120 Das Beispiel der beiden noch von der alten Regierung Schmitt zu Ministerialräten ernannten Oberregierungsräte aus dem Innenministerium, Dr. Hugo v. Babo und Dr. Aljred SchühZy, die im Herbst 1933 - nach vorheriger Rücknahme der Beförderung 121 aufgrund ihrer früheren Zugehörigkeit zur DVP bzw. zum Zentrum an den VGH "straf"versetzt wurden,122 bestätigt diese Annahme in eindrucksvoller Weise. Zudem waren die personellen Mittel der neuen Machthaber begrenzt. Da es ihnen unmöglich war, die ihnen "mit einem Streich" zugefallenen Schlüsselstellungen in Staat und Verwaltung sogleich adäquat mit Leuten eigener Couleur zu besetzen, es möglicherweise auch gar nicht immer wollten, um Kontinuität zu demonstrieren, waren sie zunächst auf die loyale Unterstützung der bisherigen Amtsinhaber angewiesen. 123 Daß sie ihnen in so weitgehendem Maße gewährt wurde, lag "Beauftragten des Reiches" v. 28.3. 1933 (GVBl. S. 51), wodurch quasi mit einem Federstrich sämtliche Beförderungen, Ernennungen und Versetzungen aufgehoben wurden, welche noch von der Regierung Schmitt ausgesprochen worden waren, aber erst nach dem 28.3.1933 wirksam werden sollten; vgl. zum letzten "bürgerlichen" Ministerpräsidenten des Landes Baden vor der NS-Machtergreifung Bartilla-HolZerbach, Josef Schmitt (1874 - 1939), in: Freiburger Diözesanarchiv 97 (1977), S. 380 ff. 120 Später erkannten die Nationalsozialisten selbst, welchen Bärendienst sie sich mit dieser Personalpolitik erwiesen hatten; es sei eigentlich unmöglich, meinte Ministerialdirektor Sommer, "Hauptamtsleiter im Stabe des Stellvertreters des Führers" und späterer Präsident des Reichsverwaltungsgerichts (!), "eine mehr nationalsozialistische Verwaltung durch weniger nationalsozialistische Verwaltungsgerichte kontrollieren zu lassen. Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit im Dritten Reich ist nur dann tragbar, wenn bei ihr die besseren Nationalsozialisten sind als in der allgemeinen Verwaltung. Dazu wird es aber nie kommen, denn die besseren Nationalsozialisten müssen in der Öffentlichkeit eingesetzt werden, sie werden dringend als sog. politische Beamte gebraucht ... ", Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVerwBlr. 1937, S.425 (S. 426); weitere Beispiele solcher "Kaltstellungen" bei Külz, Verwaltungskontrolle unter den Nationalsozialisten, KJ 1969, S. 367 (S. 372 f.). 121 Rechtsgrundlage hierfür war die o. Anm. 119 erwähnte VO v. 28.3. 1933, vgl. GLA 239/11191 (Personalakte v. Babo) und GLA 239/11211 (Personalakte Schühly). 122 Die Versetzung an den VGH, und nicht etwa die Rückgängigmachung der Beförderung zum Ministerialrat, wurde rechtstechnisch tatsächlich als "Maßregel" nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums eingestuft, wie sich aus einem im Nachlaß von Dr. Schühly befindlichen, vom 28.7.1937 datierenden Auszug des Verzeichnisses gemaßregelter Beamter der NSDAP-Gauleitung Baden ergibt. 123 Grundsätzlich zu Zielen und Methoden der personalpolitischen Gleichschaltung im Bereiche der Justizbeamtenschaft s. Majer, Justiz- und NSStaat DRiZ 1978 S. 47 ff. mit zahlr. w. Nw. - Bei den im GLA Karlsruhe lage~den Akten: insbesondere des VGH und des Staatsministeriums, finden sich im übrigen soweit ersichtlich, keine Hinweise auf Überlegungen zur Änderung der P~rsonalstruktur des VGH nach der Machtübernahme; auch die

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vermutlich in Struktur und Einstellung einer grundsätzlich obrigkeitsstaatlichen Kategorien verhafteten Beamtenschaft begründet und hat bestimmt nicht unwesentlich dazu beigetragen, den in politischer und staatsrechtlicher Hinsicht trotz allem nicht "ungefährdeten" übergang ins Dritte Reich verwaltUll!gstechnisch abzusichern. Im Falle des Badischen Verwaltungsgerichtshofs mag außerdem eine Rolle gespielt haben, daß der zur Zeit der Machtübernahme amtierende Präsident Dr. Karl Schneider mit Ablauf des Jahres 1935 ohnehin wegen Erreichens der Altersgrenze aus seinem Amt würde scheiden müssen. Um so schwerer hatte es dann auch sein Nachfolger, der Oberverwaltungsgerichtsrat Johann Philipp Kohlmeier, der genausowenig wie Schneider bislang der NSDAP angehört hatte, überhaupt in seiner Funktion durch die formelle Ernennung zum Präsidenten des VGH anerkannt zu werden,124 Daß diese am 14.8.1939 (!) schließlich dann doch noch erfolgte, muß fast wie ein Hohn erscheinen angesichts der Tatsache, daß zwei Wochen später zu Kriegsbeginn mit Ausnahme von Kohlmeier sämtliche Richter des VGH in die aktive Verwaltung zurückbeordert wurden und die verwaltungsrichterliche Tätigkeit aufgrund der sog. Vereinfachungserlasse praktisch zum Erliegen kam. 126 Auch kann die vergleichsweise bescheidene personelle Ausstattung des Bad. VGH die neuen Machthaber zunächst von der tatsächlichen Bedeutung dieses Gerichtshofes für die Verwaltungstätigkeit im Lande Baden abgelenkt haben: Dem VGH gehörten Ende 1933 nach dem altersbedingten Ausscheiden von Oberverwaltungsgerichtsrat Kuno Conradi 126 und dem oben geschilderten Hinzutreten der früheren Oberregierungsräte Dr. Hugo v. Babo 127 und Ur. Alfred Schühly128 insgesamt nur 7 richterliche Mitglieder an,129 An ihrer Spitze stand, wie bevom Verfasser interviewten ehemaligen Angehörigen der früheren bad. Innenverwaltung, Präsident i. R. TeHenbach (Auskunft v. 18.7.1979) und Oberregierungsdirektor a. D. Dr. Emmelmann (Auskunft v. 31. 7.1979) konnten sich an entsprechende personalpolitische Erwägungen nicht erinnern. 124 Vgl. die entsprechenden Vorgänge in GLA 233/24410 und 24412 sowie weiter unten S. 33 ff. 125 s. hierzu weiter unten S. 101 ff. 126 Conradi machte sich nach seinem Weggang noch um die Bearbeitung des 1935 erschienenen Gesamtverzeichnisses der BadVerwZ von 1901 - 1934 verdient. 127 v. Babo, einer angesehenen altbadischen Weinbauforscher- und Chemikerfamilie entstammend, wurde am 4. 5. 1885 in Karlsruhe geboren und zog nach Durchlaufen der üblichen juristischen Ausbildungsstationen und einem kurzen Zwischenspiel als "Hofjunker" am Großherzoglichen Hofe 1914 in den Ersten Weltkrieg, aus dem er als Hauptmann a. D. zurückkehrte. Er fand sodann zunächst als Ministerialsekretär im Arbeitsministerium Verwendung und wurde 1920 Amtmann/Regierungsrat sowie 1925 Oberregierungsrat im Bereich des Innenministeriums. Seine im Dezember 1932 ausgesprochene Ernennung wurde, wie bereits geschildert (s. o. Anm. 1211122), von den Nationalsozialisten aufgehoben und v. B. mit Wirkung v. 16.9. 1933 als Oberverwal-

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tungsgerichtsrat an den VGH versetzt. v. B. hat als einziger der VGH-Richter noch in Friedenszeiten den Anschluß an die NSDAP gefunden: 1937 erfolgte sein Parteieintritt, nachdem er schon vorher als .. Rottenführer" bei der SA ausgewiesen war. v. B. promovierte 1908 bei v. Lilienthai in Heidelberg mit einer Arbeit über den betrügerischen Bankrott. Von 1924 bis 1933 erschienen regelmäßig Beiträge von ihm in der "Zeitschrift für das Heimatwesen", die sich mit fürsorgerechtlichen Fragen, oft unter besonderer Berücksichtigung der bad. Verhältnisse, befaßten. Als ihre Summe läßt sich in gewisser Weise die von Umhau er und v. Babo 1929 herausgegebene Handausgabe zum bad. Wohlfahrtsrecht mit Erläuterungen ansehen. Die Versetzung an den VGH bedeutete dann auch in diesem Bereich einen Einschnitt. Erst Ende der 30er Jahre finden sich noch einmal zwei Abhandlungen aus der Feder v. B.s in der "Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege", die vor allem an die Thematik der früheren Veröffentlichungen anknüpften. Näheres zur vita v. B.s bei GLA 239/11191 (Personalakte). 128 Schühly wurde am 14. 2. 1889 als Sohn des Großherzoglichen Baurats Franz Schühly in Karlsruhe geboren und trat nach Absolvierung der jeweils von glänzenden Examina gekrönten juristischen Ausbildung 1918 als Regierungsassessor in die Dienste des Landes Baden. Nach kurzer Tätigkeit im Innenministerium wurde er 1920 als Amtmann/Regierungsrat nach Waldshut "an die Front" geschickt, wo er insgesamt 6 Jahre blieb. 1926/27 wurde er wieder ins Ministerium zurückgerufen. Zwei Jahre später erfolgte die Beförderung zum Oberregierungsrat und im Januar 1933 die Ernennung zum Ministerialrat. Sie wurde ebenso wie im Falle v. B.s von den Nationalsozialisten rückgängig gemacht (s. o. Anm. 121/122 und 127) und S. wegen seiner mehr als 5jährigen Zugehörigkeit zur Zentrums-Partei mit Wirkung v. 1. 11. 1933 an den VGH versetzt. S. gehörte, das kann man ohne Übertreibung sagen, in fachlich/intellektueller sowie in persönlicher Hinsicht zu den Glanzlichtern nicht nur des VGH, sondern der bad. Innenverwaltung überhaupt. Bereits seine "Kritische Darstellung der Strafen und sichernden Maßnahmen des Vorentwurfes zu einem deutschen Strafgesetzbuch" wurde von der Universität Heidelberg 1910/11 mit einer goldenen Preismedaille bedacht und konnte zur Grundlage der kurze Zeit später erfolgenden Promotion gemacht werden. In der Folgezeit befaßte sich S. als Ergebnis seiner beruflichen Tätigkeit vornehmlich mit Beiträgen zum Fürsorgerecht, als deren Zusammenfassung in gewisser Weise die Kommentierung der bad. AusführungsVO zur ReichsVO über die Fürsorgepflicht in dem von Rutz 1930 herausgegebenen Kommentar angesehen werden kann. Die Tätigkeit beim VGH spiegelte sich in einer Reihe von Abhandlungen aus den 30er Jahren wider, die insbesondere Fragen der Gerichtsbarkeit und des Rechtsschutzes im Bereiche des öffentlichen Rechts aufgriffen. Die Darstellung der Rechtsprechung des Bad. VGH in VerwArch. 45 (1940/ 41), S. 76 - 104, mutet schließlich angesichts der damals obwaltenden Umstände wie ein "Abgesang" auf die bad. Verwaltungsrechtspflege an. S. hat die Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft, abgesehen von den üblichen Konzessionen an den Zeitgeist und seiner Beteiligung an verschiedenen, heutigem Rechtsempfinden zuwiderlaufenden Urteilen des VGH vollkommen integer überstehen können. Auch eine Mitläufer-Mitgliedschaft in der NSDAP kam für ihn nicht in Frage, hiergegen mag ihn zusätzlich seine jahrelange Zugehörigkeit zum Zentrum "geschützt" haben. Persönlichkeit und fachliche Leistung machten S. nach dem Kriege beim Wiederaufbau des Landes (Süd)Baden unentbehrlich, hierzu s. unten S. 122 f.; vgl. zur vita So's Le. GLA 239/11211 (Personalakte) sowie HoUerbach, Zum Gedenken an AIfred Schühly, BWVPr 1977, S. 250 f. mit ausführlichem Schriftenverzeichnis. 129 Zum Vergleich: Dem preußischen Oberverwaltungsgericht gehörten zum gleichen Zeitpunkt schätzungsweise 50 stimmberechtigte richterliche Mitglieder an.

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reits erwähnt, Präsident Dr. KarZ Schneider, vordem Landeskommissär in Freiburg, der 1927 die Nachfolge des weithin geachteten KarZ GZockner angetreten hatte. 130 Als Stellvertreter des Präsidenten fungierte seit Februar 1933 der hierzu noch von der alten Regierung ernannte OVG-Rat Dr Ernst Klotz.1 31 Nach der Dauer ihrer Zugehörigkeit zum 130 Präsident Dr. Schneider, Sohn des geh. Kommerzienrats Schneider aus Karlsruhe, wurde daselbst am 23.9. 1870 geboren und trat nach Studien in Genf, Freiburg, Berlin und Heidelberg sowie der Ableistung des juristischen Vorbereitungsdienstes 1898 den Dienst in der bad. Staatsverwaltung als Sekretär im Innenministerium an. Es folgte ab 1899 die 3jährige Bewährung als Amtmann in Baden-Baden und anschließend die ebensolange Dienstzeit als Oberamtmann und Amtsvorstand in Neustadt/Schw. Von dieser Stelle kehrte er 1905 bereits ordensgeschmückt ins Innenministerium zurück, da es ihm gelungen war, einen jahrzehntelangen Streit zwischen dem Bad. Staat und der Fürstlich Fürstenbergischen Verwaltung über die Holzberechtigung an Waldungen zu schlichten. Bereits 1907 avancierte S. zum Ministerialrat und mit Ausbruch des 1. Weltkrieges zum geh. Oberregierungsrat. Als solchem oblag ihm in den folgenden Jahren u. a. die schwierige und verdienstvolle Leitung des Ernährungswesens des Landes. 1919 trat S. als Landeskomissär an die Spitze des Landesbezirks Freiburg; bei seinem Weggang von Freiburg im Jahre 1927 wurden ihm in diesem Amte "vorbildliche Pflichttreue und zähe Energie gepaart mit Wohlwollen und gütiger Hilfsbereitschaft" ("Badische Presse" v. 18.7.1927) attestiert. Die Übernahme der Leitung des über die Grenzen Badens hinaus renommierten Verwaltungsgerichtshofes verbunden mit der Redaktion der Zeitschrift für bad. Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege sollte dann den krönenden Abschluß seines dienstlichen Wirkens bedeuten. Zusätzlich wurde S. 1928 durch die Kirchenregierung der Vereinigten evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens noch zum Vorsitzenden des neugebildeten kirchlichen Verwaltungsgerichts bestellt (GVBl. der Landeskirche, S. 74). Zu erwähnen wäre aus dieser Zeit schließlich noch seine Präsidentschaft im Kompetenzgerichtshof sowie die Tätigkeit als Dozent und juristischer Beirat der TH Karlsruhe. Literarisch ist S. nicht besonders hervorgetreten. Seiner im Jahre 1894 erfolgten Promotion zum Dr. jur. an der Universität Heidelberg lag entsprechend den damaligen Promotionsbestimmungen der rechtswissenschaftlichen Fakultät lediglich je eine Exegese aus dem corpus iuris civilis und canonici zugrunde (schriftliche Auskunft des Universitätsarchivs Heidelberg v. 13. 3. 1980 und 28. 3. 1980). Es scheint also, daß S. seine fachlichen wie persönlichen Befähigungen vollkommen in den Dienst seiner täglichen Amtsgeschäfte stellte, was auch in den wiederholten Würdigungen seiner Persönlichkeit als eines "hervorragend tüchtigen Beamten" von .. außerordentlich liebenswürdigem Wesen" (so etwa gleichlautend die .. Badische Presse" v. 23. 9. 1930 und "Badischer Beobachter" v. 24.9. 1930 anläßlich S.s 60. Geburtstag) deutlich zum Ausdruck kam. Näheres zur vita S.s bei GLA 239/11210 (Personalakte), Art.: "Präsident Karl Schneider tritt in den Ruhestand" der "Badischen Presse" v. 31. 12.1935 S.l1 und im Nachruf von Kamm, in: Mitteilungsblatt des Vereins alter Freiburger Rhenanen e. V. vom August 1941. S. 2 - 4, ebenfalls in: GLA 239/11210 (Personalakte). 131 Oberverwaltungsgerichtsrat Klotz, am 30.3. 1873 als Sohn des ehemaligen Hauptlehrers Andreas Klotz in Heimlingen bei Kehl geboren, schlug nach entsprechender juristischer Ausbildung zunächst den Weg in die bad. Innenverwaltung ein, wo er seit 1903 für 2 Jahre als Sekretär im Innenministerium und anschließend für fast ein Jahrzehnt als Amtmann/Oberamtmann in Freiburg tätig war. Nebenbei füllte er seit 1909 die Funktion eines Syndikus und Disziplinarbeamten der Universität Freiburg aus. Ob er diese Ämter auch in den Jahren 1914 - 1918 beibehalten oder aber am 1. Weltkrieg teilge-

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VGH folgten sodann OVG-Rat Johann Philipp Kohlmeier,132 der nach dem Ausscheiden Schneiders an die Spitze des Gerichtshofs treten sollte, OVG-Rat Dr. Georg Herrmann,t33 der später der Nürnberger Genommen hat, wird aus seiner Personalakte nicht ersichtlich; nach der bad. Revolution jedenfalls wirkte er noch 2 Jahre als Amtsvorstand in Tauberbischofsheim, um Anfang 1921 im Zusammenhang mit dem übergang der Wasserstraßen von den Ländern auf das Reich und der geplanten NeckarKanalisierung als Stromdirektor (Oberregierungsrat) bei der Neckarbaudirektion Heilbronn in Reichsdienste überzutreten. Daran schloß sich eineinhalb Jahre später die Beschäftigung beim Reichsausgleichsamt Berlin bzw. bei der Karlsruher Zweigstelle an und 1925 schließlich die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand aufgrund Art. 3 der PersonalabbauVO v. 23. 10. 1923 (RGBl. I S.999). Wohl erst 6 Jahre später erfolgte der Wieder eintritt in bad. Staatsdienste, zunächst als Ministerialrat und seit 1. 2. 1933 als OVG-Rat und Stellvertreter des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs. - K. wurde im Jahre 1900 von der Universität Heidelberg zum Dr. jur promoviert; er blieb in der Folgezeit literarisch sehr rege, wobei die vorwiegend in der BadVerwZ veröffentlichten Abhandlungen ein beachtliches fachliches Spektrum aufwiesen: Wirtschaftsrecht und (öffentliches) Versicherungsrecht bildeten die thematischen Schwerpunkte. Bei den Referendaren seiner Zeit war K. im 2. Staatsexamen als "Jagd-Klotz" gefürchtet, er verfaßte Kommentierungen sowohl des badischen als auch des Reichsjagdrechts. Weitere Einzelheiten bei GLA 239/11200 (Personalakte). 132 Kohlmeier stammte aus Mannheim, wo er am 7.9.1878 als Sohn eines ehemaligen Weinhändlers und Wirts geboren wurde. 1907 trat er als Regierungsassessor in die Dienste des Landes Baden, zunächst wohl direkt im Innenministerium, ab 1912 dann als Amtmann in Pforzheim. Es folgten die Jahre aktiver Kriegsteilnahme, in deren Verlauf er mehrfach ausgezeichnet wurde und es schließlich bis zum Hauptmann brachte. Aus dem Kriege zurückgekehrt fand K. zunächst erneut im Innenministerium Verwendung, um dann 1923 als Verwaltungsgerichtsrat an den VGH versetzt zu werden. Zwei Jahre später erfolgte die Beförderung zum Oberverwaltungsgerichtsrat, 1926 wurde er zusätzlich zum Mitglied der Reichsdisziplinarkammer Karlsruhe ernannt. Näheres s. bei GLA 239/11202 (Personalakte). K.s weiterer Werdegang ist eng mit dem Schicksal des Bad. VGH verknüpft, hierüber wird weiter unten eingehend berichtet werden. 133 Über den Werdegang und das Schicksal Dr. Hermanns liegen nur einige dürftige Angaben vor. Aus seiner sehr schmalen, ohnehin nicht einmal bei den Beständen des VGH firmierenden Personalakte (GLA 76/10824) und einer schriftlichen Auskunft des Universitätsarchivs Heidelberg v. 13. 3. 1980 wird lediglich ersichtlich, daß H. am 14.4. 1876 in Karlsruhe als Sohn des Kaufmanns Rudolf H. geboren wurde, ab 1894 in Heidelberg, München und Berlin studierte und im Jahre 1899 von der Universität Heidelberg zum Dr. jur. promoviert wurde. Wohl gegen 1907 erfolgte, wie sich aus den Gehaltszetteln ergibt, der Dienstantritt in der bad. Innenverwaltung, über H.s weitere Verwendung ist jedoch zunächst nichts bekannt, erst wieder für das Jahr 1920 ist seine Tätigkeit als Oberamtmann in Breisach nachgewiesen. 4 Jahre später wurde er zum Landrat in Lahr ernannt. 1926 erfolgte die Versetzung als OVG-Rat an den VGH. H. war Junggeselle und jüdischer Religion, dürfte also im Kollegenkreise etwas zu den Außenseitern gezählt haben, wenngleich er vor allem mit der Familie von Präsident Schneider einen intensiveren gesellschaftlichen Kontakt pflegte (schriftliche Auskunft Dr. Krämer, v. 7.2.1979). Die Witwe des früheren OVG-Rats Kohlhepp schilderte ihn mir als angenehmen und überaus gebildeten Mann (mündliche Auskunft v. 8. 5. 1979). Hinweise auf eine etwaige literarische Tätigkeit H.s konnten nicht ermittelt werden. Nach

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setzgebung zum Opfer fiel und zuletzt OVG-Rat Rudolj Kohlhepp,134 der erst 1932 an den VGH versetzt worden war. Aus der Zahl der Landes- und Oberlandesgerichtsräte in Karlsruhe waren ferner eine Reihe Richter als Ersatzrichter beim VGH bestellt, von diesen ist aber lediglich Landgerichtsrat Dr. v. Schroeter noch in dem hier interessierenden Zeitraum tätig geworden.1 35 Wenn auch der Personalbestand des Verwaltungsgerichtshofs zunächst also unangetastet blieb, so wurde doch immerhin die von den Bezirksräten in Baden ausgeübte Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Stufe vollkommen dem nach der Machtergreifung auf kommunaler und unterer Verwaltungsebene einsetzenden personellen Revirement unterworfen. 136 Bei der Beurteilung der praktischen Konsequenzen dieses Personalaustausches muß man sich jedoch vor Augen führen, daß der VGH in der Mehrzahl der Fälle als erste und letzte Instanz zu entscheiden hatte, vor allem auch über die Anfechtung polizeilicher Maßnahmen, vgl. §§ 3 und 4 VwRpflG. Vollkommen ausgetauscht wurden auch die Mitglieder der aufgrund des. Bad. Beamtengesetzes bestellten Dienststrafgerichte 137 ; die erhöhte Bedeutung dieser Spruchkörper bei der politischen Disziplinierung der Beamtenschaft war den neuen Machthabern anscheinend nicht entgangen. Diese Maßnahme wurde jedoch nicht auf den VGH als Disziplinarhof für Gemeinde- und Körperschaftsbeamte ausgeweitet - angesichts der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Dienststrafverfahren geschriftlicher Auskunft des Notariats Karlsruhe - Nachlaßgericht - v. 12.6. 1979 wurden die Nachlaßakten "auf Ableben des Dr. Georg Herrmann", vernichtet. 134 Kohlhepp gehörte zu den jüngsten Mitgliedern des VGH, er wurde am 12. 1. 1887 in Konstanz als Sohn des Gymnasialprofessors Franz K. geboren. Nach der durch 2jährige Kriegsteilnahme verlängerten Rechtspraktikantenzeit legte er 1919 das 2. juristische Staatsexamen ab und kehrte 1921 als Amtmann in seine Geburtsstadt zurück. 1926 wurde er zum Regierungsrat beim Oberversicherungsamt Konstanz ernannt, 3 Jahre später als Landrat nach Adelsheim versetzt. 1932 erfolgte die Berufung an den VGH als Oberverwaltungsgerichtsrat. Näheres bei GLA 239/11201 (Personalakte). 135 Zu den Ersatzrichtern beim VGH s. GLA 239/11284; v. Schroeter erledigte im Jahre 1933 noch 38 Fälle als Berichterstatter (s. GLA 239/11365), anschließend war - sowohl aufgrund der "überproportionalen" Besetzung des Gerichtshofs durch das Hinzutreten v. Babos und Schühlys als auch infolge der Verringerung der Geschäftstätigkeit - kein Ersatzrichter mehr beim VGH tätig, wenn man einmal von der kriegsbedingten Ernennung des Oberregierungsrats Vierling zum "Hilfsrichter" des VGH im Jahre 1940 absieht, s. dazu unten S. 106. 136 Vgl. Art. IV, § 2 des (1.) G. zur Durchführung der Gleichschaltung von Reich, Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden im Lande Baden v. 5. 4. 1933, GVBl. S. 55. 137 Vgl. die §§ 1 - 4 des lediglich zu diesem Zweck erlassenen Dritten G. zur Durchführung der Gleichschaltung mit dem Reich im Lande Baden v. 13.5. 1933, GVBl. S.87.

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genüber solchen Bürgermeistern und Beamten, die nach 1933 offensichtlich aus parteipolitischen Gründen ihrer Posten enthoben wurden, eine nicht unerhebliche Unterlassung! Möglicherweise überschätzten die Nationalsozialisten auch die Einflußmöglichkeiten der bereits im Sinne der neuen politischen Ordnung disziplinierten und ausgewählten nichtrichterlichen Beisitzer bei jenen Verfahren. 138 Insgesamt jedoch dürften die neuen Machthaber allein deshalb, um den überblick nicht zu verlieren, ein lebhaftes Interesse daran gehabt haben, gerade im Bereich der höheren Verwaltung, - wozu die Verwaltungsgerichtsbarkeit trotz ihrer jahrzehntelangen formellen Unabhängigkeit immer noch gerechnet wurde -, alsbald auch in personeller Hinsicht eine Beruhigung eintreten zu lassen. 139 Ganz ohne direkte Einwirkungsversuche auf die Rechtsprechungstätigkeit der Verwaltungsgerichte ging es allerdings nach der Machtübernahme in Baden auch nicht ab; so wurden etwa die Bezirksräte und der VGH Ende Mai 1933 vom Innenministerium durch internen Erlaß aufgefordert, in Verfahren, "die nach Bedeutung oder Richtung durch diie politischen Ereignisse der letzten Monate überholt sind" (!), auf die Rücknahme von Rechtsmitteln hinzuwirken. 140 Welche und wie viele Verfahren man auf diese Weise nicht zur Entscheidung gelangen lassen wollte, läßt sich im nachhinein nicht mehr feststellen. Die neue nationalsozialistische Regierung hatte aber offensichtlich ein lebhaftes Interesse daran, der gerichtlichen Untersuchung verschiedener staatlicher Maßnahmen im Zusammenhang mit Vorbereitung und Durchführung der "nationalen Revolution" zu entgehen. Darüber, ob dieser Erlaß, den Präs~dent Schneider "bei den Herren Mitgliedern des Verwaltungsgerichtshofs zur Kenntnisnahme" (interessanterweise aber 138 s. Art. II, § 1 des Zweiten G. zur Durchführung der Gleichschaltung von Reich, Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden im Lande Baden v. 4.5. 1933, GVBl. S. 79. 139 Nach Durchführung der "nationalen Revolution" in den Ländern sollte, ja mußte nach dem Willen der neuen Machthaber alsbald eine Befriedungsphase folgen, um die Früchte der Revolution ungestört reifen zu lassen; sie wurde deshalb kurzerhand von Amts wegen Mitte 1933 für beendet erklärt, vgl. Grill (0. Anm. 73, S.320). Nichtsdestoweniger sah sich der bad. Innenminister wie viele seiner Amtskollegen auf Reichs- und Länderebene Anfang 1935 etwa veranlaßt (RdErl. Nr.130236 v. 21. 1. 1935, BaVBl. S.83), den Gemeindebeamten ganz allgemein unsachliche Kritik und Ausfälle persönlicher Art bei Beschwerden gegen Gerichte und sonstige Staatsbehörden zu verbieten - ein durchaus typischer Beleg dafür, daß die Autorität des neuen Staates nach der Ausschaltung der politischen Gegner vor allem durch jene gefährdet blieb, deren revolutionärer Schwung auch nach der Machtergreifung nicht erlahmen wollte. Diese Schwierigkeiten wurden im weiteren Verlauf des Dritten Reiches im Dualismus von Staat und Partei geradezu institutionalisiert. 140 Erl. des MdI Nr. 57250 v. 30. 5. 1933, GLA 239/11362.

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nicht auch etwa "zur weiteren Veranlassung") in Umlauf brachte,141 tatsächlich die gewünschten Auswirkungen zeigte, lassen sich allenfalls Vermutungen anstellen. Die Relation der beim VGH einerseits durch Entscheidung und andererseits durch Verzicht oder Beruhenlassen im Jahr 1933 erledigten Fälle weicht jedenfalls nur geringfügig vom statistischen Mittel der Vorjahre ab.t 42 Auf der anderen Seite sind tatsächlich, trotz der sehr weitgehenden erstinstanzlichen Zuständigkeit des VGH, keine Entscheidungen in Verfahren überliefert, die möglicherweise wegen politisch relevanter Sachverhalte aus den ersten Monaten des Jahres 1933 beim Verwaltungsgerichtshof angestrengt, im Zeitpunkt des innenministeriellen Erlasses aber noch nicht abgeschlossen worden waren. Evtl. bezog sich dieser Erlaß doch primär auf Verfahren vor den Bezirksräten; es kann sich aber auch lediglich um eine Art Vorsichtsmaßnahme gehandelt haben. Ein halbes Jahr später wurde der neue Innenminister PflaumeT grundsätzlicher: In einem Vorspruch zur ersten Nummer der Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege des Jahrgangs 1934 wies er die Verwaltungsgerichtsbarkeit halb imperativ an, in ihrer Rechtsprechung die "Ungleichartigkeit" und "Ungleichwertigkeit" des Einzelnen im Verhältnis zur Gesamtheit und den "darauf gegründeten Vorrang des öffentlichen Interesses mit aller Deutlichkeit wider(zu)spiegeln". - "Laßt uns die Privatrechte hochhalten, höher aber die Majestät des Staates", tönte PflaumeT pathetisch, und dieser Appell ist dann wohl auch, wie noch gezeigt werden wird, nicht ohne Einfluß auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geblieben. Äußerldch also relativ unangefochten konnte der Bad. Verwaltungsgerichtshof zunächst einmal auch unter der neuen nationalsozialistischen Regierung seine Rechtsprechungstätigkeit fortsetzen. Gewiß, es ging auch bei dieser Behörde nicht ohne Konzessionen an den Zeitgeist ab: So tagte der Gerichtshof seit Beginn des Dritten Reiches nicht mehr im Frack, sondern nur noch im "volksverbundneren" Cut.t 43 Zur Dekorierung der Amtsräume wurden die obligaten Führerbilder geordert und für den "Gemeinschaftsempfang der Gefolgschaftsmitglieder" ein Volksempfänger beschafft. 144 Die alten badischen Fahnen mußten ausgesondert und neue schwarz-weiß-rote Hakenkreuzflaggen bestellt 141 s. Vermerk des Präsidenten Schneider auf dem Erlaß o. Anm. 140. 142 Die Zahl der einerseits durch Entscheidung und andererseits durch VerzichtlBeruhenlassen erledigten Fälle betrug 1929: 134/66; 1930: 173/73; 1931: 215/101; 1932: 194/76 und 1933: 2081103, vgI. übersicht über die Ergebnisse der Verwaltungsrechtspflege sowie über die Zuständigkeiten in den erledigten Fällen in den Jahren 1929 -1938 v. 17.6.1941, GLA 239/11350. 143 s. Stiefel, Baden 1648 - 1952 Bd. II (1977), S. 975. 144 VgI. die entsprechenden Vorgänge vom Januar 1935 in GLA 239/11376.

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werden.t 45 Die Richter bemühten sich pflichtgemäß um den Nachweis arischer Abstammung146 und ebenso pflichtgemäß wurde der neue Eid auf den "Führer des deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler" ab geleistet. 147 Im Dienst sollte nur noch durch "Erheben des rechten Armes und durch den gleichzeitigen deutlichen Ausspruch Heil Hitler", d. h. "deutsch" gegrüßt werden. 148 Der Bezug der nationalsozialistischen Presse wurde den Richtern zwar nicht zur Pflicht gemacht, aber dringend anempfohlen. 14D Sie hatten ferner Auskunft über ihre Zugehörigkeit zu Freimaurerlogen, nicht-nationalsozialistischen Beamtenvereinigungen oder anderen berufsständischen Organisationen zu geben und gegebenenfalls auszutreten. 150 Beim Austritt aus der NSDAP hingegen wurde grundsätzlich die Entlassung aus dem Dienst angedroht, zumindest aber eine Beförderungssperre o. ä. 161 Die Beamten und Richter wurden ferner gehalten, ihre Kinder in die Jugendorganisationen der NSDAP zu schicken,152 während der Besuch von Privatschulen durch Kinder von Beamten für unvereinbar mit den Pflichten eines Beamten im nationalsozialistischen Staat erklärt wurde153 - die Aufzählung dieser Maßnahmen und Erlasse ließe sich fast beliebig fortsetzen. All diese "reinen" Äußerlichkeiten können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß schon unmittelbar nach der Machtübernahme 'an den 145 Vgl. die VO über die Reichsdienstflagge v. 31. 10. 1935 (RGBI. I S. 1287)

i. V. m. RdErl. des MdI Nr.129918 v. 24.12.1935 (BaVBl. S. 1355) sowie die

entsprechenden Vorgänge vom Januar 1936 in GLA 239/11377. 146 Vgl. Nr. 2 Abs.2 der 1. VO zur Durchführung des G. zur Wiederherstellung des Berufsbeamtenturns v. 11. 4.1933 (RGBl. I S.195) i. V. m. RdErI. des MdI Nr.l02706 v. 23.10.1935 (BaVBl. S.1119), betr. u. a. die Ergänzung der Personalakten um den "Ariernachweis", sowie die entsprechenden Eintra~ungen in den o. Anm. 127 - 134 genannten Personalakten der Richter des VGH. 147 s. § 2 des G. über die Vereidigung der Beamten und der Soldaten der Wehrmacht v. 20. 8. 1934 (RGBl. I S. 785) i. V. m. den entsprechenden Verteidigungsprotokollen in den o. Anm. 127 - 134 genannten Personalakten der Richter des VGH. 148 RdErl. des MdI Nr. 16927 v. 21. 2. 1935, BaVBI. S. 157. 140 RdErl. des MdI Nr. 123998 v. 17.12.1935, BaVBl. S. 1335. 150 RdErI. des MdI Nr.69911 v. 27.7.1935, BaVBI. S.683 (Freimaurerlogen); RdErl. des MdI Nr.81863 V. 30.8.1935, BaVBI. S.1005 (Beamtenvereinigungen); RdErl. des RMdI Nr. Ir SB 2052/38-6732 v. 4. 10. 1938, BaVBl. S. 1181 (berufsständische, konfessionelle Vereinigungen). Ausweislich der o. Anm. 127 bis 134 genannten Personalakten meldeten die Richter des VGH bezüglich der Zugehörigkeit zu Freimaurerlogen und nicht-nationalsozialistischen Beamtenvereinigungen sämtlich "Fehlanzeige"; auf den RdErI. des RMDI v. 4.10. 1938 gaben die OVG-Räte Kohlhepp und Dr. Schühly ihre Zugehörigkeit zum katholischen Akademikerverband auf, vgl. die entsprechenden dienstlichen Mitteilungen in den o. Anm. 128 u. 134 zitierten Personalakten. 151 RdErl. d. RuPrMdI Nr. Ir SB 6190/1363 v. 27.2.1936, BaVBI. S. 205. 152 RdErl. des MdI Nr.117595 v. 4. 12. 1935, BaVBI. S. 1299. 153 RdEr!. des PuPrMdI Nr. II SB 6850/4182 v. 9.9. 1937, BaVBI. S.1054.

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Grundlagen der Verwaltungs rechtspflege - nicht nur in Baden - ein Erosionsprozeß begonnen hatte, der bereits Jahre vor den kriegsbedingten "Vereinfachungen"154 zu wesentlichen Einschränkungen des Rechtsschutzes in Verwaltungs sachen bzw. zu einem signifikanten Rückgang der vor den Verwaltungsgerichten ausgetragenen Streitigkeiten führen sollte. Die Machtübernahme auf Reichsebene und die Gleichschaltung der Länder wurde nämlich u. a. dadurch abgesichert, daß gegenüber den im Gefolge dieser Aktionen ergehenden behördlichen Entscheidungen der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ausdrücklich oder zumindest stillschweigend ausgeschlossen wurde. 15s Die damit Hand in Hand gehende konsequente Ausrottung des Parlamentarismus (des "Todfeindes der Reichseinheit"156) auf allen Ebenen machte zugleich all jene Zu154 s. hierzu weiter unten S. 101 ff. 155 Die noch halbwegs "rechtsstaatliche" VO des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes v. 4. 2. 1933 (RGBI. I S. 35) sah in einzelnen Bestimmungen (§§ 1 Abs. 4, 4 Abs. 2, 8, 10 Abs. 1 und 11 Abs. 3) die Anfechtbarkeit behördlicher Maßnahmen vor - wenngleich zumeist ohne Suspensiveffekt und deshalb teilweise wirkungslos. In der "Reichstagsbrandverordnung" v. 28. 2. 1933 (RGBI. I S. 83) wurden Rechtsmittel schon überhaupt nicht mehr erwähnt - für manche Interpreten bereits ein eindeutiger Beleg dafür, daß "staatspolitische Maßnahmen" generell nicht anfechtbar seien (vgl. Neubert, Die Schranken richterlichen Prüfungsrechts usw" JW 1933, S. 2426 f.; Hauliek, Die Schutzhaft, BadVerwZ 1934, S. 69 [So 73]). Entsprechend vollzog sich der "Neuaufbau des Reiches" mit Hilfe des G. zur Behebung der Not von Volk und Reich ("Ermächtigungsgesetz") v. 24.3.1933 (RGBI. I S. 141), des sog. vorläufigen Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich v. 31. 3. 1933 (RGBl. I S. 153), des Zweiten Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich ("Reichsstatthaltergesetz") v. 7.4.1933 (RGBI. I, S. 173) und des G. über den Neuaufbau des Reiches v. 30. 1. 1934 (RGBI. I S. 75), ohne daß den von den Gleichschaltungs- und Ausschaltungsmaßnahmen betroffenen Organen und Körperschaften auf Länder- und Reichsebene die Möglichkeit eingeräumt war, dagegen den Schutz staatlicher Gerichte anzurufen, zumal zwischenzeitlich auch der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich durch Verwaltungsmaßnahmen aufgelöst worden war. In Baden konnten gern. Art. VII, § 1 des (1.) bad. Gleichschaltungsgesetzes v. 4.4. 1933 (GVBl. S. 55) Entscheidungen der Verwaltungsbehörden, die in Vollzug dieses Gesetzes ergingen, ausdrücklich nicht mit der verwaltungsgerichtlichen Klage angefochten werden. Gleiches galt gern. Art. V, § 1 des 2. bad. Gleichschaltungsgesetzes vom 4. 5. 1933 (GVBl. S.79) sowie gern. § 2 Abs.1 Satz 4 des 4. bad. Gleichschaltungsgesetzes v. 8.6.1933 (GVBl. S.l11) für Maßnahmen aufgrund jener Gesetze. Dies bedeutete in der Praxis, daß etwa die Neu- bzw. Umbildung des Landtages und der Gemeinde-, Kreisund Bezirksräte in Anlehnung an die Ergebnisse der Reichstagswahlen v. 5. 3. 1933, der Austausch des Führungspersonals auf kommunaler und Kreisebene und bei einigen sonstigen Behörden und Organisationen sowie die Auflösung der Vertretungs- oder Verwaltungsorgane der Gemeinden von den Betroffenen "klaglos" hingenommen werden mußten; der ihnen großzügigerweise gewährte Ersatzrechtsweg (Rekurs an den Minister des Innern) dürfte bei den obwaltenden politischen Verhältnissen kaum tunlich und noch weniger erfolgreich gewesen sein. 156 Kluge / Krüger, Verfassung und Verwaltung im Großdeutschen Reich, 3. Aufl. (1941), S.36.

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ständigkeiten der Verwaltungsgerichte obsolet, die dem Schutz der demokratischen Willensäußerung und -bildung durch die Veranstaltung von Wahlen dienten. 157 Ohne verwaltungsgerichtlichen Schutz blieben ferner zusätzliche flankierende Maßnahmen der neuen Machthaber auf dem Gebiet des Staatsbürger-, Sicherheits- und Polizeirechts158 sowie im beruflich-gewerblichen Bereich. 150 Die von den Nationalsozialisten 157 Die Ausschaltung bzw. Auflösung der Landtage, formell sanktioniert durch Art. 1 des G. über den Neuaufbau des Reiches v. 30.1.1934 (RGBI. I S. 75), machte die Kompetenz des VGH nach § 3 Nr. 18 VwRpflG hinfällig; die Neu- bzw. Umbildung der Bezirksräte entsprechend den Ergebnissen der Reichstagswahlen v. 5.3.1933 aufgrund Art. IV, § 2 des 1. bad. Gleichschaltungsgesetzes v. 4. 4. 1933 (GVBI. S. 55), die Perpetuierung dieser Maßnahme durch G. v. 6.3. 1937 (GVBl. S. 43) und schließlich die unverhohlene Ablösung des Wahlprinzips durch § 16 i. V. m. § 27 Landkreisordnung v. 24. 6. 1939 (GVBl. S. 93) machten die Kompetenzen des VGH nach § 3 Nr. 17, 24 1. Alt. und 25 VwRpflG hinfällig; die Zuständigkeit des VGH zur Überprüfung von Wählbarkeit und Wahlen der Gemeinderäte bzw. des Gemeinderats gern. §§ 17 und 41 Nr. 3 der bad. GemO wurde obsolet durch die Gleichschaltung der Gemeinderäte aufgrund Art. lIdes o. a. 1. bad. Gleichschaltungsgesetzes und endgültig durch die nach § 51 der Deutschen GemO v. 30. 1. 1935 (RGBl. I S.49) vorgesehene "Berufung" von Gemeinderäten; die "vorläufige" Aufhebung der Bürgerausschüsse und Gemeindeversammlungen aufgrund G. v. 9.3. 1934 (GVBl. S. 115) machte die Kompetenzen des VGH gern. § 3 Nr. 21, 24 4. Alt. und 25 VwRpflG i. V. m. §§ 20 f. Stiftungs gesetz v. 19.7. 1918 (GVBl. S.254) hinfällig; die Neubildung der Landwirtschaftskammer aufgrund G. v. 10.4. 1933 (GVBl. S.63) bzw. ihre Ablösung durch den "Reichsnährstand" gern. § 6 der VO v. 8. 12. 1933 (RGBl. I S. 1060) sowie die Neubildung und Umorganisation der Handelskammern aufgrund G. v. 1. 7. 1933 (GVBl. S. 123), ReichsVO v. 20. 8. 1934 (RGBl. I S. 790) und weiteres G. v. 5. 2. 1935 (GVBl. S. 55) machten die Zuständigkeit des VGH nach § 3 Nr. 22, 24 3. Alt. und 25 VwRpflG hinfällig. 158 So war etwa gegenüber dem Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund G. v. 14.7.1933 (RGBl. I S.480) i. V. m. der DVO v. 26.7.1933 (RGBl. I S.538) die Anfechtung durch Rechtsmittel ausdrücklich ausgeschlossen bzw. nicht vorgesehen; das G. zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes v. 15. 5. 1935 (RGBl. I S. 593) machte dadurch, daß es den verschiedentlich im RuStAG enthaltenen Anspruch auf Einbürgerung beseitigte, eine Vielzahl der nach § 40 RuStAG i. V. m. § 3 Nr. 26 VwRpflG vorgesehenen verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeiten hinfällig; auf der gleichen Linie lag § 25 der (bad.) AusländerpolizeiVO v. 27. 5. 1933 (GVBl. S. 95): Ausschluß der verwaltungsgerichtlichen Klage gegenüber jeder ausländerpolizeilichen Verfügung, also nicht mehr nur gegenüber der Ausweisung (so aber § 4 Abs. 5 Nr. 1 VwRpflG; der Widerspruch zwischen der AusländerpolizeiVO und dem VwRpflG wurde erst 1938 durch eine entsprechende Änderung von § 4 Abs. 5 Ziff. 1 VwRpflG [VO v. 10.2.1938, GVBl. S.7] aufgelöst); s. in diesem Zusammenhang ferner § 2 Satz 4 der DVO zum G. über die Einziehung kommunistischen Vermögens v. 28.7.1933 (GVBl. S. 139): Die entsprechenden Anordnungen des MdI sind endgültig; § 3 der DVO zum G. über Beseitigung der Mißstände im Versteigerungsgewerbe v. 26.10.1933 (GVBl. S.227): Gegen das vorläufige Verbot bzw. die endgültige Untersagung des "jüdisch versippten" Versteigerergewerbes gibt es kein Rechtsmittel oder lediglich Beschwerde ohne Suspensiveffekt; § 17 c der AusführungsVO zur ReichsfürsorgepflichtVO i. d. F. der ÄnderungsVO v. 12.5.1936 (GVBl. S.59): Über Einweisungen von arbeitsunwilligen und säumigen Unterhaltsverpflichteten (= Asozialen) in das

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Landesarbeitshaus (und zeitweilige KZ) Kislau entscheidet das Landeskriminalpolizeiamt endgültig (da andererseits gem. § 17 c Abs. 2 n. F. der AusführungsVO die Einlegung eines Rechtsmittels keine aufschiebende Wirkung haben sollte, was etwas in Widerspruch zu dem offensichtlich angestrebten vollständigen Ausschluß des Verwaltungsrechtsschutzes stand, bedurfte es zusätzlicher gesetzlicher Präzisierungen; diese erfolgten durch die bereits o. a. Abänderung von § 4 Abs. 5 Ziff. 1 VwRpflG [Ausschluß der Klage gegen Maßnahmen, welche "gemeinschaftsuntüchtige" Personen betreffen] und durch § 19 Abs. 4 Satz 3 Ausführungsgesetz zur ReichsfürsorgepflichtVO v. 24. 6. 1939, GVBl. S. 99 [ausdrücklicher Ausschluß der verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die Einweisung]); § 6 ader VO über das geheime Staatspolizeiamt (Gestapo) i. d. F. der VO v. 25. 10. 1937 (GVBl. S. 288): Ausschluß der Klage beim VGH gegen polizeiliche Verfügungen der Gestapo (auch diese Bestimmung wurde später in die mehrfach erwähnte Neufassung des § 4 Abs. 5 Ziff. 1 VwRpflG v. 10. 2. 1938, GVBl. S. 7, einbezogen, die darüber hinaus jetzt auch noch die Anfechtung von Maßnahmen vorbeugender Verbrechensbekämpfung für unzulässig erklärte). - Etwaige weitere Einschränkungen des Verwaltungsrechtsschutzes im Polizei/Sicherheitsbereich aufgrund reichsgesetzlicher Regelungen sollen im Rahmen dieser Arbeit dahingestellt bleiben. 159 Vgl. hierzu etwa § 7 Abs. 1 des G. zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums v. 7.4.1933 (RGBl. I S. 175): Über Maßregeln nach dem BBWG (also in erster Linie über Entlassungen) entscheidet die oberste Reichs- oder Landesbehörde "endgültig und unter Ausschluß des Rechtsweges"; in ähnlicher Weise wurde verfahren mit "nicht arischen" Rechts- und Patentanwälten (§ 1 G. v. 7.4. 1933, RGBl. I S. 188, und § 1 G. v. 22.4. 1933, RGBl. I S.217, i. V. m. § 1 Abs.2 VO v. 20.7.1933, RGBl. I S.528), Steuerberatern (Art. I, § 1 und Art. 11 Nr. 1 G. v. 6. 5. 1933. RGBl. I S. 257), Kassenärzten (Art. I, Art. 11 Nr.6 VO v. 22.4.1933, RGBI. I S.222) und Kassenzahnärzten (§§ 1, 2 und 6 VO v. 2. 6. 1933, RGBl. I S. 350). Der endgültige Ausschluß der Juden vom Beruf des Arztes, Zahnarztes, Tierarztes und Apothekers durch VO v. 25.7.1938 (RGBl. I S.969) und VO v. 17.1.1939 (RGBl. I S.47) wurde schließlich sogar strafrechtlich bewehrt. Direkt oder indirekt fand der sog. Arierparagraph - und der damit fast immer automatisch gekoppelte Ausschluß des einschlägigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes - auch Eingang in den alsbald propagandistisch disziplinierten Reichskulturbetrieb, vgl. i. e. erneut Echterhölter, Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat (1970), S. 40 f., S. 48 f.; zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang ferner das G. zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, Besoldungs- und Versorgungs rechts v. 30.6.1933 (RGBI. I S.433), das nicht nur empfindliche Eingriffe in die wohlerworbenen - vor allem vermögenswerten - Rechte der Beamten erlaubte, sondern den Betroffenen hiergegen auch ausdrücklich den Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte verwehrte oder diese zumindest an die Entscheidungen der zuständigen Verwaltungsbehörden banden, vgl. i. e. Echterhölter aaO, S. 34 ff.; einige weitere Beispiele für den Rechtswegausschluß im gewerblich-wirtschaftlichen Bereich bei Hedemann, Deutsches Wirtschaftsrecht (1939), § 10 (S.82: "Bald klar ausgesprochen, bald umschrieben, bald aus den Umständen zu folgern ist dieser Grundsatz zur Alltäglichkeit geworden. Er ist eine der einschneidendsten [und nicht unbedenklichsten] Maßnahmen unserer Zeit") sowie bei GrossmannDoerth, Wirtschaftsrecht einschl. Gewerberecht, in: Die Verwaltungs-Akademie (1934 u. ö.), Bd. 11, Beitrag 36, S. 20 ff. Besonders anschauliches Beispiele für die Methoden des Rechtswegausschlusses in diesem Bereich finden sich in den Bestimmungen des noch heute im wesentlichen geltenden Energiewirtschaftsgesetzes v. 13.12.1935 (RGBl. I S.1451); die insoweit einschlägigen, gem. Art. 123 Abs. 1 GG außer Kraft getretenen Passagen (vgl. etwa § 2 Abs. 2 § 4 Abs. 2, § 6 Abs.4, § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 2 usw.) sind in den üblichen Gesetzessammlungen (vgl. etwa Sartorius I, Verfassungs- und Verwaltungsgesetze, Stand: Januar 1981) kursiv gedruckt.

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propagierte "Einheit von Führer und Gefolgschaft" 160, die NS-Juristen sogar als "überwindung des Gegensatzes von öffentlichem und privatem Recht" feierten,161 führte darüber hinaus im Ergebnis zu einer immer weiter gehenden öffentlich-rechtlichen In-Ptlicht-Nahme privater Bereiche, ohne daß damit eine entsprechende Ausweitung verwaltungsgerichtlicher Zuständigkeiten verbunden gewesen wäre. Ganz im Gegenteil: Die Schere zwischen der Verwaltungstätigkeit einerseits und ihrer Kontrolle durch die staatlichen Verwaltungsgerichte andererseits begann immer mehr auseinander zu klaffen. 162 Ideologisch untermauert wurde diese Entwicklung durch eine entsprechende Diskussion im rechtswissenschaftlichen Schrifttum, in deren Verlauf sogar die Daseinsberechtigung einer eigenständigen Verwaltungsrechtsptlege vor allem unter Hinweis auf ihre "liberalistische" Herkunft,163 ihre individualistisch-staatsfeindliche Begründung164 und 160 Der Ursprung dieser Einheit wird in der üblichen mystifizierenden Art etwa beschrieben von Kier, Volk, Rasse und Staat, in: Frank (Hrsg.), Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, 2. Aufl. (1935), S.33 (S.39): "Der Führer des deutschen Volkes verkörpert in seiner Person, in seinem Wesen und Wirken den Geist unseres Volkes und nur deswegen wird er heute vom gesamten deutschen Volk als sein Führer anerkannt. Die Unterwerfung unter seine Führung war ein seelisch-geistiger Vorgang, der sich rational nicht erklären läßt, sondern nur so verstanden werden kann, daß im Volke die Stimmen des Blutes Antwort gaben dem Anruf des artgemäßen Führers. Das in seiner rassischen Seele erwachende Volk wurde zur Gefolgschaft des Führers ... "; zu den rechtlichen Implikationen s. ferner Huber, Verfassungs recht des Großdeutschen Reiches (1939), S. 194 ff. m. w. Nw. m Vgl. die Niederschrift über die 3. Arbeitstagung der "Reichsfachgruppe Hochschullehrer des BNSDJ" am 21. und 22. Dezember 1935, DJZ 1936, Sp. 51 f. 162 Diesem Mißverhältnis kann hier weder detailliert noch im grundsätzlichen weiter nachgegangen werden. Ziel der vorstehenden Ausführungen war lediglich, auf einige Schwerpunkte der zur Reduzierung bzw. Ausschaltung des Verwaltungsrechtsschutzes führenden gesetzgeberischen Entwicklung hinzuweisen. Erwähnt werden soll aber zumindest die damit im Zusammenhang stehende vermehrte Schaffung von Sonder-, Ehren-, Standes- oder Parteigerichtsbarkeiten (einen ersten Überblick über diese "Attributivgerichtsbarkeit" gibt C. Schmitt, Konfliktserhebung usw., DJZ 1934, Sp. 776 (Sp. 780 Fn. 1). Auf die speziell badischen Maßnahmen zur Beschränkung des Zugangs zu den Verwaltungsgerichten wird jedoch, soweit nicht bereits geschehen, im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder eingegangen werden. 163 Vgl. Sarvey, Zur Herkunft der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DR 1936, S. 333 f.; Muth, Liberalismus und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DV 1936, S. 407 ff. 164 So vor allem Höhn, Das subjektive öffentliche Recht und der neue Staat, DRW 1936, S.49 (S. 60 ff.); Idem, Führung und Verwaltung, in: Frank (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht (1937), S. 67 (S. 79 f.); v. Löwenstern, Volksrechte im Spiegel der Verwaltung, DDV 1935, S.260 (S.261); Schmidt plädierte aus diesem Grunde für die Aufgabe der Bezeichnung "Verwaltungsgerichtsbarkeit", weil diese zu der Vorstellung verleite, "daß der Einzelne den Staat verklagen kann", was bei der Regelung des Verfahrensganges zu Maßnahmen führe, "die nach der heutigen Auffassung völlig unerträglich sind", Das Problem des subjektiven Rechts, FischersZ Bd.73 (1936), S.143 (S.147).

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ihren Widerspruch zum "Führerprinzip" in der Verwaltung bzw. allgemeiner die von ihr ausgehende Gefährdung der Staatsautorität165 grundsätzlich in Frage gestellt wurden. Solche und ähnliche überlegungen stießen zwar auf den entschiedenen Widerspruch all jener, die glaU'bten, auch unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Staates sei eine Gerichtsbarkeit in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vonnöten: Gerade die Liberalen hätten verschiedentlich die Einführung besonderer Verwaltungs gerichte energisch bekämpft, wurde eingewandt,t66 und die lndividualisierung des Verwaltungsrechtsschutzes sei eigentlich eine liberalistische Degeneration,167 denn immerhin habe Gneist, der geistige Vater der Verwaltungsrechtspflege, die Einrichtung besonderer Verwaltungsgerichte zur kbwehr übertriebener justizstaatlicher Forderungen an den Staat verlangt. 168 Wenn die Auffassungen über das Wesen der Verwaltungsgerichtsbarkeit aber erst einmal von ihrer liberalistisch-individualistischen Schlacke befreit wären, ließe sich gegen die Beibehaltung dieser Institution auch im neuen Staat nationalsozialistischer Prägung grundsätzlich nichts einwenden. 169 Sinn einer so verstandenen Verwaltungsrechtspflege sollte nur 165 So etwa Bahmann, Das Verhältnis des Verwaltungsstreitverfahrens zu den tragenden Gedanken des neuen Staates, DV 1934, S. 51 ff.; ähnlich Sommer, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVerwBlr. 1937, S.425 (S.427): "Eine gesunde Verwaltung hat mit Paragraphen überhaupt nichts zu tun ... ". Beide Autoren plädierten nicht unbedingt pro domo: Bahmann war Verwaltungsgerichtsdirektor in Berlin, Sommer wurde später sogar Präsident des Reichsverwaltungsgerichts (1). 166 So KoeHreutter, Deutsches Verwaltungsrecht (1936), S. 125 und 135, 2. Aufl. (1938), S. 157 und 167; Idem, Deutsches Verfassungsrecht, 3. Aufl. (1938), S.35; Idem, Grundsätzliches zur Frage der Verwaltungsgerichtsbarkeit, RVerwBl. 1936, S.885 (S.887); KoeHreutter nährte bei seiner Argumentation geflissentlich die historische Halbwahrheit, das Votum der Frankfurter Nationalversammlung für die justizstaatliche Lösung habe sich gegen jede Form der Verwaltungsrechtspflege, also auch gegen eine selbständige, von der sonstigen Staatsverwaltung getrennte Verwaltungsgerichtsbarkeit gewandt, s. hierzu erneut o. Anm. 30. Richtig an der Auffassung K.s ist wohl nur so viel, daß sich aufgeklärtes Fürstentum und altliberale Reformer zeitweise tatsächlich in "rechtspolitischer Zufallsgemeinschaft mit dem Ziel einer Beschränkung der Gerichtskontrolle zugunsten größerer Bewegungsfreiheit der Gesetzgebung und Verwaltung" befunden hatten, vgl. erneut Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht (1968), S. 52/53. 167 So Maunz, Verwaltung (1937), S. 204/205. 168 Scholz, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Dritten Reich (1936), S. 14, S.39. 169 Besonders deutlich in diesem Sinne v. Köhler, Grundlehren des deutschen Verwaltungsrechts (1935), S. 277 f.; Maunz (0. Anm.167), S.204/205; Schelcher, Um die Verwaltungsrechtspflege des Dritten Reiches, RVerwBl. 1937, S.569 (S. 570); KoeHreutter, Deutsches Verwaltungs recht, 2. Aufl. (1938), S.158; Köttgen, Deutsche Verwaltung, 3. Aufl. (1944), S.241/242; einschränkend, soweit es um den "Ewigkeitswert" der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Dritten Reich ging, Danckwerts, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im nationalsozialistischen Staat, in: Frank (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht (1937), S. 99 (S. 108); grundsätzlich bejahend zur Frage der Verwaltungsgerichtsbar-

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1. Kap.: Der politische "Umschwung" in Baden

mehr "die Sicherung und der Schutz der nationalsozialistischen Volksordnung"170 seIn, die als solche diskriminierten subjektiven öffentlichen Rechte sollten allenfalls noch mitgeschützt werden. l7l Hierbei übersah man allerdings geflissentlich, daß nach den geltenden Verfahrensordnungen nicht etwa das Volksganze, sondern nur der einzelne Volksgenosse ein verwaltungsgerichtliches Verfahren in Gang bringen konnte; da diese Möglichkeit aber ganz im Sinne der geschilderten anti-individualistischen Konzeption zunehmend durch gesetzgeberische Maßnahmen eingeschränkt wurde, mußte auch der Schutz der nationalsozialistischen Volksordnung immer brüchiger werden! Die Befürworter der Verwaltungsgerichtsbarkeit wiesen schließlich zur Bekräftigung ihrer Ansicht - fast beschwörend - darauf hin, daß auch der neue Staat Adolf Hitlers ein Rechtsstaat sei,172 der den Erfordernissen des Rechtsschutzbedürfnisses der Volksgenossen Rechnung trage173 und den Prinzipien des Vertrauensschutzes, d. h. des Vertraukeit ferner Scholz (0. Anm.168), S. 22 ff. sowie Nagler, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im nationalsozialistischen Rechtsaufbau (1937), S. 48 f., S. 65 f. und Fischer, Der Streit um die Verwaltungsgerichtsbarkeit usw. (1940), s. 4 ff., jeweils mit ausführlichen Hinweisen auf die übrigen bejahenden Meinungen. 170 So Stuckart, Nationalsozialistischer Staat und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DV 1935, S.161 (S.162); in diesem Sinne ferner etwa Reuss, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im neuen Reich, JW 1935, S.2025 (S. 2026 f.); Huber, Justiz und Verwaltung, DR 1935, S.401 sowie die weiteren bei Fischer (0. Anm. 169), S. 20 Fn. 76 angeführten Autoren. 171 VgI. etwa Stuckart (0. Anm. 170), aaO; Huber (0. Anm. 170), aaO; Danckwerts (0. Anm.169), S.112; grundsätzlich zu dieser Problematik auch Scheuner, Die Rechtsstellung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft, in: Frank (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht (1937), S. 82 ff. und Brings, Das subjektiv-öffentliche Recht und die Verwaltungsgerichtsbarkeit in ihrer Bedeutung für den nationalsozialistischen Staat (1938); sehr interessant in diesem Zusammenhang auch Krüger, Volksgemeinschaft statt subjektiver Rechte, DV 1937, S. 13 ff., der anhand zweier Entscheidungen des sächs. OVG demonstriert, wie dieser Sinneswandel auch zu einer Ausweitung der Klagebefugnis nach dem sächs. VwRpfiG führen konnte. 172 So Tatarin-Tarnheyden, Werdendes Staatsrecht (1934), S. 81; Idem, Grundlagen des Verwaltungsrechts im neuen Staat, AöR Bd.24 n. F. (1934), S.345 (S. 347 f.): "Deutsch sein heißt gerecht sein ... ". Die durchaus geläufige Einschränkung folgte auf dem Fuße: "Man muß eben zwischen dem hypertrophierten, das Individuum vergottenden liberalistischen Rechtsstaat und dem Rechtsstaat an sich, als einem ewigen Kulturwert, unterscheiden" (S. 348). Ein solchermaßen entrückter Rechtsstaat lief natürlich kaum Gefahr, Wirklichkeit zu werden! Ferner in diesem Sinne Scheuner, Die nationale Revolution, AöR Bd. 24 n. F. (1934), S. 166 (S. 343); Scholz (0. Anm. 168), S. 31 ff. m. w. Nw. - Nagler (0. Anm. 169, S. 32 f.) befürchtete, "daß durch die übernahme dieses alten Begriffes eine Einfallspforte liberalistischen Gedankengutes in das völkische Rechtssystem geöffnet wird", und wollte deshalb lieber vom "völkischen Gerechtigkeitsstaat" sprechen oder zumindest in Anlehnung an andere Autoren, vom "nationalen Rechtsstaat" (Koellreutter) oder vom "deutschen Rechtsstaat Adolf Hitler" (Frank). 173 So fast alle der bisher genannten Apologeten der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Dritten Reich, vgl. die übersicht bei Fischer (0. Anm. 169), S.22

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ens auf eine gerechte und unparteiische Streiterledigung,174 der RechtssicherheiV 75 und Rechtswahrung 176 verpflichtet sei. Die aktive Verwaltung werde im übrigen durch die Spruchtätigkeit der Verwaltungsgerichte nicht beeinträchtigt, sondern im Gegenteil bei schwierigen Rechtsfragen entlastet und für wichtigere Führungsaufgaben freigestellt. 177 In der Konsequenz dieser Auffassung von der Verwaltungsgerichtsbarkeit als einer "Dienerin" oder "Helferin" der Verwaltung lag es dann auch, wenn sie verschiedentlich sogar - neben der Staatsaufsicht - als Teil der allgemeinen Verwaltungskontrolle innerhalb der Verwaltung eingestuft178 - und damit rechtsgeschichtlich die Uhren um einhundert Jahre zurückgestellt wurden! Fn.85. Besonders aufschlußreich in diesem Zusammenhang noch der Hinweis von Fabricius, eines leitenden Beamten der Reichsinnenverwaltung, daß "die im Führergedanken beschlossene Macht- und Autoritätsfülle zum Mißbrauch der Macht und zur Willkür verleiten" könnte, wogegen es Vorsorge u. a. mit Hilfe der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu treffen gelte, Gedanken über nationalsozialistische Verwaltungspolitik, ZAkDR 1935, S.46 (S.48). 174 So etwa Veiel, Führergrundsatz und Einzelrichter beim obersten Verwaltungsgericht, DV 1934, S.293; Schmidt, Reichsverwaltungsgerichtsbarkeit, RVerwBl. 1935, S.405 (S. 406); Reuss, Die Zukunft der Verwaltungsgerichtsbarkeit, VerwArch Bd.41 (1936), S.213 (S. 230 f.); Laforet, Deutsches Verwaltungsrecht (1937), S. 261 und wieder besonders eingehend Scholz (0. Anm. 168), S. 24 ff. 175 s. zunächst wieder grundlegend Scholz (0. Anm. 168), S. 28 ff. m. w. Nw.; ferner etwa KoeHreutter, Grundsätzliches zur Frage der Verwaltungsgerichtsbarkeit, RVerwBl. 1936, S.885 (S. 886); Gerl, Die Notwendigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, RVerwBl. 1937, S.357 (S.360); ebenso, auf die Verhältnisse der Finanzgerichtsbarkeit bezogen, v. d. Goltz, Das Finanzgericht im Dritten Reich, DV 1935, S.43 (S.44); die Vokabel "Rechtssicherheit" gehörte überhaupt zu den gängigen BeSchwörungsformeln, mit denen die neuen Machthaber offensichtlich die allein durch das Faktum ,,(nationale) Revolution" verunsicherten Kreise für sich gewinnen wollte, vgl. etwa "Reichsjuristenführer" Frank vor den "Rechtswahrern" Ostpreußens, JW 1935, S. 1756 (S. 1757); "Reichsfachgruppenleiter Verwaltungsjuristen ", Staatssekretär Stuckart, Rechtswahrer und Staat, DV 1935, S. 353 (S. 354) sowie vor allem die programmatische Schrift von Göring, Die Rechtssicherheit als Grundlage der Volksgemeinschaft (1935). 176 So etwa Krüger (0. Anm. 171), S. 39 f.; Scholz (0. Anm. 168), S. 35 und 43; Giese, Reformfragen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1936, S.508 (S.509). Das Bestehen der Verwaltungsgerichte sei allein "unschätzbar für die Selbstkontrolle einer Verwaltung und zur Verhinderung, daß das Handeln nach Ermessen sich in allzu weiten Grenzen bewegt und über den rechtlichen Rahmen hinaus dringt", Weidemann, Deutsches Verwaltungsrecht in: Die Verwaltungs-Akademie (1934 u. ö.), Bd. H, Beitrag Nr. 24, S. 14. 177 So übereinstimmend etwa Holtz, Das Problem der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DV 1934, S.290 (S. 291 f.); Schmidt (0. Anm.174), S. 405 f.; Stucka.,.t (0. Anm.170), S.2027; Scholz (0. Anm.168), S. 43 f.; Seheuner, Die Gerichte und die Prüfung politischer Staatshandlungen, RVerwBl. 1936, S.437 (S.443); Danekwerts, Der Rechtsschutz in der Verwaltung, in: Die Verwaltungs-Akademie (1934 u. ö.), Bd. H, Beitrag 24 b, S.33; Seheleher (0. Anm. 169), S.571. 178 So etwa Sehmidt (0. Anm.174), S.405; Knauth, Der Verwaltungsrechtsschutz in der Deutschen Gemeindeordnung, DJZ 1935, Sp.1394 (Sp. 1396 f.); Rössiger, Führertum und Verwaltungsgerichtsbarkeit (1936), S. 32 f.; Maunz

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1. Kap.: Der politische "Umschwung" in Baden

Auch Präsident Schneider vom Bad. VGH schaltete sich mit einem auf Anregung der Zeitschrift "Deutsches Recht" erstatteten Gutachten über die "Verwaltungsgerichtsbarkeit im neuen Reich"179 in diese Diskussion ein; sein Votum für die Beibehaltung besonderer Verwaltungsgerichte untermauerte er mit einem geschichtlichen Rückblick, um angesichts der Diskussion über die Gefährdung der Staatszwecke durch eine unabhängige Verwaltungsrechtspfiege daran zu erinnern, daß schon bei ihrer Schaffung im Lande Baden sowohl Autorität als auch Interessen des Staates sehr wohl ins gesetzgeberische Kalkül miteinbezogen worden seien. 180 Im übrigen lagen Schneiders Ausführungen ganz auf der Linie der, wie gezeigt, in der Literatur vorherrschenden, den Verwaltungsgerichten günstigen Meinung; zusätzlich wies er auf ihre besondere Bedeutung bei der Rechtsfindung im lückenhaften System des Verwaltungsrechts hin. l8l Zugleich machte er, auch insoweit in übereinstimmung mit den übrigen Verfechtern selbständiger Verwaltungsgerichte,182 die Grenzen des Verwaltungsrechtsschutzes im neuen Staat bewußt: "Entschetdungen der Staatsführung sowie staatspolitische Akte, bei deren Erlaß und Durchführung wesentliche staatspolitische Gesichtspunkte mitgesprochen haben, müssen der richterlichen Nachprüfung entzogen bleiben."183 Um den Schwierigkeiten bei der Beantwortung der oft strittigen Frage, was "staatspolitisch" sei und was nicht, aus dem Wege zu gehen, schlug Schneider de lege feren(0. Anm.167), S.205/206; sogar mit zeichnerischen Mitteln (l) um eine präzise Darstellung des Sonderstatus der Verwaltungsgerichtsbarkeit zwischen Justiz und Verwaltung bemüht Schelcher (0. Anm. 169), S. 570; v. Löwenstern (0. Anm. 164, S. 262) und Sommer (0. Anm. 165, S.429) wollten darüber hinaus selbst einer so verstandenen "Verwaltungsgerichtsbarkeit" keine eigene Entscheidungsbefugnis zubilligen, sondern ihr lediglich gutachterliche Aufgaben im Rahmen von "Landes- oder Reichsanstalten für Verwaltungsrecht" bzw. von "Verwaltungsrechtsausschüssen beim Regierungspräsidenten" und einem "Reichsverwaltungshof" zuweisen. Wie nachhaltig diese Grundsatzdiskussion das Denken beeinflußt hat, zeigen etwa die Ausführungen von Peters in seinem 1949 erschienenen Lehrbuch der Verwaltung: "Verwaltungsgerichtsbarkeit ... ist eine Verwaltungstätigkeit, die sich in den Formen der Gerichtsbarkeit abspielt. Ähnlich wie letztere wird sie vielfach durch mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattete Behörden ausgeübt; doch gehört dieses Erfordernis ... nicht zu ihrem Wesen." (S. 195) Unabhängig davon ist festzuhalten, daß sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit erst nach 1945 endgültig aus der organisatorischen "Umarmung" der Innenverwaltung zu lösen und bei der Justizverwaltung zu ressortieren begann. 179 DR 1935, S. 458 ff. = BadVerwZ 1935, S. 145 ff. 180 BadVerwZ 1935, S. 146/147. 181 BadVerwZ 1935, S.147 re. Sp.; ähnlich bereits Weidemann (0. Anm. 176), S. 14 sowie im Anschluß daran Reuss (0. Anm.170), S. 2027. 182 Vgl. die übersicht bei Scheuner (0. Anm. 177), S. 441 Fn. 24 sowie KoeHreutter (0. Anm. 169), S. 160 ff. 183 BadVerwZ 1935, S.148.

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da in gut administrativer Art vor, bei Zweifelsfällen eine die Verwaltungsgerichte bindende Entscheidung durch eine Zentralbehörde einholen zu lassen. 184 Gerade diese Ausführungen Schneiders und vieler seiner richterlichen Kollegen185 zum Ausschluß des Verwaltungsrechtsschutzes in staatspolitischen Angelegenheiten erwecken aber trotz mancher gedanklichen Überhöhungen den Eindruck, die tatsächliche gesetzgeberische Entwicklung sei nur ideologisch nachvollzogen worden, "um zu retten, was zu retten ist". Durch die Selbstbeschränkung der Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde ihr nämlich zugleich der Stachel genommen, wider den ihre Gegner anfänglich besonders "gelöckt" hatten. Die Staatsführung sollte versichert sein, daß überall dort, wo sie aus (staat)politischen Gründen bestimmte Entscheidungen zu treffen wünschte, ihre Kreise nicht von den Verwaltungsgerichten gestört würden. Gerichtsurteile wie jene zu den 'bad. Uniformverboten wären danach im neuen Staate undenkbar. Der Rückzug der Richter in den apolitischen Raum sollte aber wohl nicht nur die von ihnen ausgehende 184 Ähnlich Scheuner (0. Anm.177, S.443), der allerdings bereits de lege la ta einige Richtlinien zur Abgrenzung des Kreises unanfechtbarer politischer Führungsentscheidungen aufstellte, aaO, S.442 re. Sp.; zu weiteren administrativen Lösungsmöglichkeiten s. SchoLz (0. Anm. 168), S. 76; entschieden dagegen KoeUreutter (0. Anm. 169, S. 162) mit dem immerhin beachtlichen Argument, daß dadurch bei den Richtern "eine gewisse Verantwortungs scheu großgezogen werden kann". Der Pferdefuß folgte auf demselben: ,.Die politische Führung, der in all diesen Fällen die oberste Entscheidung obliegt, hat es im Wege der Gesetzgebung, nötigenfalls durch Individualgesetz, jederzeit in der Hand, beim Auftreten von Spannungen einzugreifen und weitere politische Bereiche abzugrenzen" (!). Gegen eine solche individualgesetzliche Lösung wiederum mit Nachdruck Ipsen, Politik und Justiz (1937), S. 281 f.: Eine solche Regelung werde dem Wesen des Konflikts zwischen Justiz und Verwaltung nicht gerecht und sei auch der Stellung der Justiz abträglich. Sein Gegenvorschlag, die "konkrete Qualifikation" (aaO, S.276 und 283), d. h. die Anordnung der Justizlosigkeit eines Hoheitsaktes im konkreten Fall durch den "Qualifikationsträger" habe den Vorteil, "jede Sekuritätskalkulation des Aktuars über die vermeintliche Integrität seines Aktes gegenüber der Justiz auszuschalten und die Existenz einer auch in dieser Richtung wirksamen übergeordneten Instanz jederzeit in die Erkenntnis zurückzurufen." - Der Rechtsschutz suchende Bürger spielte bei diesem Konzept kaum noch eine besondere Rolle. Allerdings ist nach Ipsens Auffassung von dem "Qualifikationsverfahren" zu verlangen, "daß es den justizlos gemachten Rechtsstreit mit einem gerechten AusgLeich beendet ... Der Inhalt des Ausgleichs ist mannigfaltig: Er kann Ansprüche gegen Staat, Partei oder Einzelne zuerkennen oder abweisen, Hoheitsakte bestätigen, korrigieren oder aufheben" - dies alles aber eben nicht durch den Spruch einer "führungsfremden, politisch unverantwortlichen und hierarchisch unabhängigen Justiz", sondern aufgrund der "autonomen Approbation der Gemeinschaft" (aaO S. 367) - angesichts der justizlosen Willkürakte der Machthaber des Dritten Reiches ein seltenes Lehrstück politischen Idealismus'! 185 Von den in den vorstehenden Anmerkungen genannten Autoren waren SchoLz (0. Anm. 168) langjähriger Senatspräsident am Preuß. OVG, ScheLcher (0. Anm. 169) Präsident des Sächs. OVG sowie Scheuner (0. Anm. 171 u. ö.), Krüger (0. Anm.I71), Schmidt (0. Anm.174 u. ö.) und Knauth (0. Anm.178) Oberverwaltungsgerichtsräte, ebenfalls am Sächs. OVG.

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1. Kap.: Der politische "Umschwung" in Baden

potentielle Gefährdung der Staatszwecke in den Augen der neuen Machthaber reduzieren, sondern auch und gerade zu ihrer Daseinsberechtigung "im übrigen" beitragen! Unabhängig davon ist jedoch bereits hier festzuhalten, daß der Bad. VGH während der Gesamtdauer des "Tausendjährigen Reiches" jedenfalls nicht a limine vor der Entscheidung über solche staatlichen Maßnahmen zurückgeschreckt ist, die im Gewande durchaus gängiger und deshalb vor dem VGH anfechtbarer behördlicher Einzelakte etwa auf dem Gebiet des Disziplinarrechts und des allgemeinen Polizeirechts eindeutig politisch motiviert waren. Die Diskussion über das Für und Wider der Verwaltungsrechtspflege blieb im übrigen ein "Dauerbrenner" der Verwaltungsrechtswissenschaft jener Zeit1S6 und wurde insbesondere noch einmal durch die Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts im Jahre 1941 187 angeheizt. Hieran änderte auch die gemeinhin als Zäsur in dieser Auseinandersetzung empfundene, 188 bereits 1936 von Reichsinnenminister Frick quasi regierungsamtlich abgegebene Beteuerung nichts, die Verwaltungsgerichtsbarkeit sei "grundsätzlich" mit der nationalsozialistischen Staatsverfassung vereinbar1s9 - mit den üblichen Kautelen also, daß es sich bei den Verwaltungsgerichten, "richtig aufgefaßt", nur um "an186 Die Zahl der einschlägigen Stellungnahmen im verwaltungsrechtswissenschaftlichen Schrifttum ist Legion. Das lag wohl weniger an Bedeutung und "Kampfkraft" der doch recht vereinzelt gebliebenen, erklärten Gegner einer eigenständigen Verwaltungsrechtspflege (vgl. die o. Anm.163 - 165 angeführten Stimmen), als vielmehr daran, daß die Frage einer unabhängigen Gerichtsbarkeit über Akte der öffentlichen Gewalt einfach grundsätzlich an das Selbstverständnis des Nationalsozialismus rührte. Die Fülle der zu dieser Problematik in der rechtswissenschaftlichen Literatur geäußerten Meinungen faßt erstmals erschöpfend Scholz in seiner bereits mehrfach zitierten (0. Anm.168 u. ö.) Abhandlung über die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Dritten Reich (1936) zusammen, die im übrigen geradezu meisterhaft Versatzstücke nationalsozialistischer Ideologie in das Konzept einer Befürwortung selbständiger Verwaltungsgerichte einbaute. Fleißige, wenn auch nicht immer ganz präzise und auf das Wesentliche beschränkte "Inhaltsangaben" dieser ausufernden Diskussion finden sich ferner in den Dissertationen von Fischer (0. Anm. 169), S. 4 ff. und von Nagler (0. Anm. 169), S. 50 ff. Aus neuerer Zeit s. hierzu Külz, Verwaltungskontrolle unter dem Nationalsozialismus, KJ 1969, S. 367 ff.; Echterhölter, Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat (1970), S. 46 ff.; Hempjer, Die nationalsozialistische Staatsauffassung in der Rechtsprechung des Preuß. OVG (1973), S. 152 ff.; Meinck, Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, S. 221 ff., jeweils m. w. Nw. 187 s. hierzu unten S. 63 ff. lSS In diesem Sinne etwa Scheerbarth, Das Schicksal der Verwaltungsgerichtsbarkeit unter dem Nationalsozialismus, DÖV 1963, S.729 (S. 730) sowie Hempjer (0. Anm. 186), S. 158. lS9 In einer Ansprache vor der "Akademie für Deutsches Recht" in München über "Probleme des neuen Verwaltungsrechts", veröffentlicht in DV 1936, S. 329 (S. 334).

Exkurs: Die "Verwaltungsgerichtsbarkeit im neuen Reich"

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ders geordnete Verwaltungsbehörden"180 handele, denen weder einseitig der Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte noch die Kontrolle der öffentlichen Verwaltung zum "Schutze einer staatsfreien Sphäre des Volksgenossen obliege"191 und die sich jeglicher überprüfung ihnen "wesensfremder" politischer Entscheidungen zu enthalten hätten. 182

190 aaO, S.333, re. Sp. 191 aaO., S. 332. 192 aaO, S.333 li. Sp.; eine ähnliche, sogar konkretere amtliche Absichtser-

klärung findet sich in einem erneuten Vorspruch des bad. Innenministers

PflaumeT zum ersten Heft des Jahrgangs 1937 der Zeitschrift für bad. Ver-

waltung und Verwaltungsrechtspflege: "Der Neugestaltung der wichtigsten verfassungsrechtlichen Grundlagen des Reichs folgten in den Jahren seit der Machtergreifung eine Reihe von Gesetzen, die, fußend auf der beim Neuaufbau hergestellten alleinigen und unumschränkten Verwaltungshoheit des Reiches, wichtige Verwaltungsgebiete grundlegend neu ordneten. Ihre Krönung wird diese Entwicklung in einem allgemeinen Reichsverwaltungsgesetz finden müssen. In ihm wird der Verwaltungsaufbau wie auch das Verwaltungsrecht und das Verfahren einschließlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die auch im neuen Reich ihre wichtige, wenn auch unter wesentlich anderen Gesichtspunkten als früher zu betrachtende Aufgabe hat, einheitlich geregelt werden ... " 5 Klrchberg

2. Kapitel

Die Zeit des "Interregnums" heim Bad. VGH 1936-1939 Die Ausführungen Präsident Schneiders zur Verwaltungsgerichtsbarkeit im neuen Reich konnten zugleich als eine Art Vermächtnis für seinen Nachfolger gewertet werden; denn mit Ablauf des Jahres 1935 schied Schneider wegen Erreichens der Altersgrenze aus seinem Amt als Präsident des Bad. VGH aus. Die "Badische Presse" attestierte ihm bei dieser Gelegenheit erneut "hervorragende Befähigung, glänzende Kenntnisse und unermüdliches Pflichtgefühl" sowie "unbegrenzte Güte für alle".193 'Selbst Ministerpräsident Köhler würdigte in einem persönlichen Anschreiben die Verdienste Schneiders,!94 obwohl er durchaus Grund gehabt hätte, dem Verwaltungsgerichtshof und seinem Präsidenten insbesondere wegen der Rechtsprechung in Dienststrafsachen gegenuber solchen Bürgermeistern und Gemeindebeamten, die sich politisch mißliebig gemacht hatten, gram zu sein. Vor seinem Weggang hatte sich Schneider allerdings noch einer besonders heiklen Pflicht zu entledigen: Auf einen entsprechenden Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 30.9. 1935 195, der ausdrücklich nicht in den Amtsblättern oder in der Tagespresse veröffentlicht werden sollte, forderte der bad. Innenminister die ihm nachgeordneten Behörden auf,196 bis zum Erlaß der Durchführungsbestimmungen zum Reichsbürgergesetz alle jüdischen Beamten mit sofortiger Wirkung vom Dienst zu beurlauben. Auf der Rückseite der beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Ausfertigung dieses Erlasses findet sich sodann unter dem Datum des 7.10.1935 ohne weiteren Kommentar die handschriftliche Anmerkung Schneiders" ... daß der Unterzeichnete vorstehenden Erlaß heute Herrn Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. Herrmann eröffnet hat", sowie der Entwurf einer entsprechenden Vollzugsmeldung an den Herrn Minister des Innern. 197 Der "Volljude" Dr. Herrmann 198 wurde am gleichen Tage vorläufig be193 194 195 196 197 198

"Badische Presse" v. 31. 12. 1935, S. 11. GLA 233/24412. Nr. II SB 6100/30.9., GLA 239/11288. Erlaß Nr. 96549 v. 4.10.1935, GLA 239/11288. s, o. Anm. 196. Zur Person Hermanns vgl. ferner erneut o. Anm. 133.

Das pers. Revirement u. d. Kampf um den Präsidentenposten

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urlaubt und später mit Ablauf des Jahres 1935 endgültig in den Ruhestand versetzt. 19D Die erste Welle nationalsozialistischer "Säuberungspolitik" mit Hilfe des sog. Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtenturns (BBWG) vom 7. 4. 1933 200 hatte Herrmann noch als "Altbeamter" bzw. "Frontkämpfer im 1. Weltkrieg" (vgl. § 3 Abs.2 BBWG) Ü!berstanden; ihn ereilte der nationalsozialistische Rassenwahn, als nach dem Ableben des greisen Generalfeldmarschalls und Reichspräsidenten Hindenburg die letzten Hemmungen bei der konsequenten "Arisierung" des Beamtenstandes fielen. 201 Unter den höheren Beamten Badens scheint Dr. Herrmann im übrigen ausweislich der einschlägigen Akten des Staatsministeriums202 der einzige gewesen zu sein, der erst von den Auswirkungen der Nürnberger Rassengesetzgebung betroffen wurde. Wie die Zurruhesetzung des 59jährigen im engeren Kollegenkreise beim VGH aufgenommen wurde, ist nicht überliefert. Die hierzu befragten Angehörigen ehemaliger Richter offenbarten, wenn sie sich überhaupt an Dr. Herrmann zu erinnern vermochten, eine vor allem auch in Anbetracht des geringen Personalbestands des VGH auffällige Gedächtnisschwäche. 203 Sie mag das Resultat einer schon in jenen Jahren geübten Verdrängung beunruhigender Fakten und natürlich auch eines schlichten Schwundes des Erinnerungsvermögens nach mehr als vier Jahrzehnten sein. Da Prästdent Dr. Schneider, in dessen Haus Dr. Herrmann jahrelang verkehrt hatte, nach seiner Pensionierung wieder nach Freiburg übersiedelte,204 blieben ihm zudem die speziellen Konflikte bei der Auf199 Erlaß des bad. Innenministers v. 13.12.1935, GLA 76/10824 (Personalakte Herrmann); Rechtsgrundlage für diesen Erlaß war § 4 Abs.2 der zwischenzeitlich ergangenen (1.) DVO zum Reichsbürgergesetz v. 4. 11. 1935 (RGBl. I S.1333). 200 RGBl. I S. 175. 201 Die Ausnahmen bei der Zurruhesetzung bzw. Entlassung (nicht-arischer) Beamter gern. § 3 Abs. 2 BBWG gingen auf einen entspr. Appell Hindenburgs an die "kameradschaftliche Gesinnung" Hitlers zurück, vgl. Schreiben Hindenburg an Hitler v. 2. 4. 1933 sowie Antwortschreiben Hitler an Hindenburg v. 5.4. 1933, beide abgedruckt bei Hubatsch, Hindenburg und der Staat (1966), S. 375 ff. 202 Vgl. GLA 233/25640 (Durchführung des Reichsbürgergesetzes 1935 - 1939). 203 Von den noch lebenden Witwen der Ende 1935 beim VGH tätig gewesenen Richter konnte sich, wie bereits erwähnt (0. Anm.133), lediglich Frau Kohlhepp durchaus lebhaft an OVG-Rat Dr. Herrmann selbst, nicht jedoch an die Umstände seines Ausscheidens aus dem Amt, erinnern. Bei Freifrau v. Babo (schriftliche Auskunft v. 26. 2. 1979) und Frau Schühly (mündliche Auskunft v. 16.5.1979) war anscheinend sogar die Erinnerung an Dr. Herrmann selbst weitestgehend verblaßt. Auch die Anfragen bei weiteren Angehörigen von Präsident Dr. Schneider, seines Nachfolgers Kohlmeier und von OVG-Rat Dr. Klotz brachten zu diesem Punkt keine wesentlichen Erhellungen. 204 s. die o. Anm. 130 a. E. angegebenen Quellen.

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rechterhaltung gesellschaftlichen Umgangs mit Juden "erspart", die im übrigen bereits ein halbes Jahr später zu einer grundlegenden Entscheidung des VGH als Disziplinarhof im Sinne der nationalsozialistischen Judenpolitik führen sollten. 20S - Dr. Herrmann verstarb bereibs ein knappes Jahr später in Karlsruhe, ohne Angehörige zu hinterlassen. Als dritter verließ, ebenfalls Ende 1935, OVG-Rat Dr. Klotz 208 den Verwaltungsgerichtshof; er trat als neuer Präsident der Badischen Gebäudeversicherungsanstalt an die Spitze einer der bedeutendsten und traditionsreichsten Verwaltungsinstitutionen des Landes Baden. Ausschlaggebend für diese ehrenvolle Berufung waren wohl in erster Linie tatsächlich die anerkannten fachlichen Qualitäten von Klotz,207 ein Beispiel mehr dafür, daß jedenfalls in der Anfangsphase des Dritten Reiches, nicht zuletzt aus Mangel an "geeigneterem" Ersatz, vielfach noch eine von parteipolitischen Zwängen unbeeinftußte Personalpolitik bei der Vergabe hoher Behördenämter betrieben wurde bzw. betrieben werden mußte. 208 An die Stelle von OVG-Rat Dr. Klotz, der zugleich die Funktion eines Stellvertreters des Präsidenten innegehabt hatte, trat das dienstälteste Mitglied des Verwaltungsgerichtshofs, OVG-Rat Johann Philipp Kohlmeier. 20g Die noch verbleibenden personellen Lücken wurden im Laufe des Jahres 1936 zwar durch die Ernennung des Direktors des Oberversicherungsamtes Konstanz, Dr. Karl Häussner,210 sowie des s. u. S. 152 f. Zur Person Klotz' vgl. erneut o. Anm. 131. 207 Jedenfalls gibt es keine Hinweise auf eine besondere politische Affinität von K. zu den damaligen Machthabern; der NSDAP scheint er ebenfalls nicht angehört zu haben (Auskunft BDC, vermittelt durch Schreiben BA v. 6. 8. 1979). Auch seine Ernennung zum "Kreisjägermeister beim Stabe des Gaujägermeisters für den Jagdgau Baden-Nord", als den ihn sein 1936/37 erschienener Kommentar zum Reichsjagdgesetz ausweist, war vermutlich in erster Linie auf seine jahrelange Beschäftigung mit dieser Materie zurückzuführen. 208 Vgl. hierzu grundsätzlich erneut Majer, Justiz und NS-Staat, DRiZ 1978, S.47 Fn. 19, S.49 m. w. Nw. sowie Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich (1966), S. 13 f. Jedenfalls war Klotz als letzter Vorsitzender des Bad. Landesversicherungsamtes (vgl. seinen Beitrag: ,,47 Jahre Badisches Landesversicherungsamt", BadVerwZ 1935, S. 65 ff.) für seinen neuen Posten fachlich durchaus ausgewiesen und stand zudem 2 Jahre vor der Pensionierung, so daß es sich also eigentlich auch nur um eine interimistische Lösung handelte. 209 Zur Person Kohlmeiers vgl. erneut o. Anm. 132. 210 Häussner wurde am 30. 11. 1882 in Bruchsal geboren, sein Vater, Dr. phil. Josef H., war Gymnasialdirektor und Geheimer Rat in Karlsruhe. Nach jeweils guten juristischen Examina und der erfolgreichen Promotion zum Dr. jur. mit einer Arbeit über "Lotterie und Ausspielung im heutigen Strafrecht" (1906) begann er 1909 seine Laufbahn als höherer Beamter der bad. Innenverwaltung, die ihn als Regierungsassessor zunächst ins Innenministe205

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Wolfacher Landrats, Dr. Max Dittler,211 zu Oberverwaltungsgerichtsräten geschlossen. Angesichts des politischen Lebenslaufes der beiden neuen VGH-Richter - Häussner war von 1929 - 1932 Mitglied der DVP, Dittler von 1920 - 1930 Mitglied der DDP gewesen212 - drängt sich aber zugleich wieder die Vermutung auf, bei dieser Gelegenheit seien erneut politisch nicht "lupenreine" Beamte aus der sog. aktiven Verwaltung an den VGH abgeschoben worden. 213 rium und dann an die Bezirksämter Rastatt und Baden-Baden führte. Der 1. Weltkrieg verschlug H. nach Belgien, wo er von 1915 - 1919 als Referent und Staatskommissar beim Kaiserlichen Generalgouvernement tätig war. Zwischenzeitlich zum Amtmann und Regierungsrat ernannt, kehrte H. 1919 nach Baden zurück, wo er zunächst beim Bezirksamt Freiburg und später dann beim Bezirksamt Karlsruhe eingesetzt wurde. 1921 erfolgte der Wechsel als Oberregierungsrat an das Reichsarbeitsministerium, wo er drei Jahre blieb; 1924 trat er wieder in die unmittelbaren Dienste des Landes Baden beim Oberversicherungsamt Konstanz, zu dessen Direktor H. - nach einem 2jährigen Zwischenspiel als Landrat in Lörrach - 1934 ernannt wurde. 1936 erfolgte schließlich die Berufung an den VGH als Nachfolger von OVG-Rat Dr. Herrmann. Literarisch ist H. - abgesehen von seiner o. a. Dissertationentspr. seiner dienstlichen Verwendung mit verschiedenen Beiträgen zu Fragen des Arbeits- und Versicherungsrechts hervorgetreten, die in den einschlägigen Fachorganen publiziert wurden. Aus der Zeit nach der Versetzung an den VGH, d. h. ab 1936/37, sind keine Veröffentlichungen H.s mehr nachzuweisen. - Vgl. im übrigen GLA 239/11198 (personalakte). 211 Dittler wurde am 27.7.1881 als Sohn eines Fabrikanten in Pforzheim geboren. Nach Studien in Tübingen und Heidelberg, die er mit der Promotion zum Dr. iur. abschloß, folgte 1905 die Rechtspraktikantenzeit und 1908 der Eintritt in den höheren Dienst der bad. Innenverwaltung. Nach Durchlaufen der üblichen Verwendungs- und Beförderungsstationen war er zuletzt noch von 1931 - 1935 als Landrat in Stockach und ab 1935 als Landrat in Wolfach tätig, bis er am 1. 8.1936 als Oberverwaltungsgerichtsrat an den VGH versetzt wurde, s. i. e. GLA 239111193. 212 Vgl. die o. Anm. 210 und 211 zitierten Personalakten. 213 Bei Dittler wird diese Annahme noch bestärkt durch die Weigerung des "Reichssicherheitshauptamts" vom Februar 1939, D. wegen des krankheitsbedingten Ausfalls von Oberregierungsrat Vierling als "rechtskundigen Beisitzer der Dienststrafkammer Karlsruhe im Nebenamt" zu benennen. Begründet wurde diese Ablehnung mit D.s politischer Unzuverlässigkeit, die sich aus seiner 10jährigen Zugehörigkeit zur DDP und dem weiteren Umstand ergebe, daß D. nicht Mitglied der NSDAP sei, vgl. unten S. 97 (Anm. 338). - Bei Häussner lag der Fall nicht ganz so klar; immerhin findet sich bei seinen Personalakten anläßlich der Ernennung zum Direktor des OberversicherungSamts Konstanz ein Artikel des nationalsozialistischen Blattes "Der Alemanne" Nr.308 v. 7.11.1934, in dem sein Wirken als Landrat in Lörrach während der schwierigen Zeit von 1932 - 1934 sehr positiv gewürdigt wird. Im gleichen Sinne äußerte sich aber auch die bürgerliche Presse der benachbarten Schweiz, wie aus einer ebenfalls bei den Akten befindlichen Notiz der "Basler Nachrichten" v. 6.10.1934 hervorgeht. H. scheint also einigermaßen geschickt zwischen den Fronten laviert zu haben, parteilich war er in den ersten Jahren des Dritten Reiches nicht mehr bzw. noch nicht gebunden, doch mag gerade das den neuen Herren trotz allem für eine Führungsposition in der aktiven Verwaltung nicht ausgereicht zu haben. Immerhin wurde H. aber bereits 1937 im Gegensatz zu Dittler noch zum stellvertretenden Vorsitzenden der Dienststrafkammer Karlsruhe ernannt, vgl. unten S.97. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang allerdings der Hinweis Grills (0.

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Die Spitze des Bad. VGH hingegen blieb nach dem Ausscheiden von Präsident Dr. Karl Schneider zunächst im eigentlichen Sinne unbesetzt. Das Verfahren zur Neuvergabe dieses Amtes durch die Ernennung von OVG-Rat Kohlmeier zum Präsidenten des VGH zog sich fast 4 Jahre hin und machte hierdurch zugleich einen bemerkenswerten Interessengegensatz zwischen dem Reich und dem Land Baden offenkundig: Nachdem OVG-Rat Kohlmeier Anfang 1936 de facto die Leitung des VGH übernommen hatte, stellte das bad. Innenministerium wenige Monate später beim Staatsministerium den Antrag, durch eine Änderung des bad. Besoldungsgesetzes die Amtsbezeichnung "Oberverwaltungsgerichtsrat als Stellvertreter des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs" in "Senatspräsident beim Verwaltungsgerichtshof" umzuwandeln. Diese Änderung sei, nachdem laut einer Mitteilung des Personalreferenten im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern mit einer Wiederbesetzung der Präsidentenstelle nicht gerechnet werden könnte (!), "zur Wahrung der Autorität des den badischen Verwaltungsgerichtshof tatsächlich leitenden Richters nach innen und nach außen und im Interesse der Erhaltung des Ansehens des höchsten badischen Verwaltungsgerichts ... erforderlich. "214 Sowohl das Wirtschafts- und Finanzministerium als auch das Staatsministerium machten gegenüber der vorgeschlagenen Amtsbezeichnung "Senatspräsident" Bedenken geltend, die sich vor allem darauf gründeten, daß diese Bezeichnung nicht ausreichend die Gesamtleitungsbefugnisse verdeutliche und zudem irreführend sei, da der VGH nun einmal nicht in Senate aufgeteilt sei. 215 Man einigte sich deshalb nach längeren Verhandlungen zwischen den beteiligten Ministerien und nach Rücksprache mit OVG-Rat Kohlmeier und Präsident i. R. Dr. Schneider Mitte 1936 schließlich auf die neue Amtsbezeichnung Anm. 73, S. 324 ff.), daß, - sehr zum Mißvergnügen von Reichsstatthalter noch 1935 unter den 50 bad. Landräten lediglich 4 "alte Kämpfer" und weitere 11 "nicht aktive", d. h. nach 1933 in die NSDAP eingetretene, Parteigenossen zu finden waren, vgl. hierzu auch Diehl-Thiele, Partei und Staat im Dritten Reich (1969), S.176 f. 214 Schreiben des MdI Nr. 38218 v. 2.4. 1936 an das Staatsministerium, GLA 233/24410; nach der Besoldungsordnung A (Anlage 1 zum bad. Besoldungsgesetz v. 24.2.1928, GVBI. S. 79) firmierte der "Oberverwaltungsgerichtsrat als Stellvertreter des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs" innerhalb der Besoldungsgruppe 1 auf einer Stufe mit z. B. den Ministerialräten, den Landeskommissär~n, den Landgerichtspräsidenten und den Senatspräsidenten beim Oberlandesgericht. 215 s. erneutes Schreiben des MdI Nr.43060 v. 29.4. 1936 an das Staatsministerium "mit Bezug auf den Vortrag des Herrn Finanz- und Wirtschaftsministers v. 10.4. 1936 Nr.4169" sowie Aktenvermerk der bad. Staatskanzlei v. 12.6.1936, betr. "Führung von Amtsbezeichnungen", beide Schriftstücke bei GLA 233/24410.

Wagner -

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"Vizepräsident" anstelle "Oberverwaltungsgerichtsrat als Stellvertreter des Präs1denten."216 Ein gutes Jahr später, Ende 1937, unternahm das bad. Innenministerium einen neuen Vorstoß: Es beantragte, den Vizepräsidenten Kohlmeier zum Präsidenten des Bad. Verwaltungsgerichtshofs zu ernennen, da der "derzeitige Zustand dem Ansehen und der Würde dieses wichtigen letztinstanzlichen Gerichtshofs abträglich" sei und Kohlmeier nicht nur fachlich besonders qualifiziert, sondern auch Mitglied des NSRB und "Parteianwärter" sei,217 In der über den "Reichsstatthalter in Baden" vermittelten Antwort des Reichsinnenministers von Mitte 1938 wurde die Zweckmäßigkeit der beantragten Maßnahme grundsätzlich in Zweifel gezogen, da von Seiten dieses Hauses "bisher im allgemeinen in Rücksicht auf das kommende Reichsverwaltungsgericht" (!) Wert darauf gelegt worden sei, "in den einzelnen Ländern die Stellen der Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe nicht mehr zu besetzen". Auf jeden Fall aber erscheine die besoldungsrechtliche Ausstattung der PräsidentensteIle mit 17 000 RM als nicht mehr vertretbar. Der Antrag auf Neubesetzung dieses Amtes werde deshalb so lange zurückgestellt, bis der Präsidentenposten in eine Stelle von höchstens 14000 RM eingruppiert worden sei, wie es etwa in Württemberg der Fall sei. 218 Die bad. Regierung kam diesem Verlangen durch eine entsprechende Änderung des Besoldungsgesetzes v. 4.11. 1938 nach. 21D Es dauerte dann aber noch einmal ein gutes dreiviertel Jahr, bis Kohlmeier am 14.8.1939 schließlich und endlich 'zum Präsidenten des Bad. VGH er216 s. erneut den o. Anm. 215 erwähnten Aktenvermerk der bad. Staatskanzlei sowie den gern. § 37 des bad. Besoldungsgesetzes ergangenen Beschluß Nr. 04870 des Staatsministeriums v. 12. 6. 1936, "daß der ,Oberverwaltungsgerichtsrat als Stellvertreter des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs' der Besoldungsgruppe A 1 künftig die Amtsbezeichnung ,Vizepräsident' zu führen hat", GLA 233/24410. 217 Schreiben des MdI v. 30. 10. 1937, GLA 233/24412. Aus der Parteianwärterschaft Kohlmeiers ist wohl im übrigen nichts geworden; jedenfalls gab es weder in seiner Personalakte (GLA 239/11292) noch beim BDC (schriftliche Auskunft BA v. 6. 8. 1979) Hinweise auf eine Mitgliedschaft K.s in der NSDAP. 218 Schreiben des Reichsministers des Innern an den Reichsstatthalter in Baden Nr. II a 3361/38 v. 24. 6. 1938, GLA 233/24412. 219 Durch das G. zur Änderung des Besoldungsgesetzes v. 4.11.1938 (GVBl. S. 141) wurde in der Anlage 2 des Besoldungsgesetzes (Besoldungsordnung B) extra für den Präsidenten des VGH eine mit 14000 RM ausgewiesene Besoldungsgruppe 3 geschaffen und seine Amtsbezeichnung in der Besoldungsgruppe 2, wo er bislang neben den Ministerialdirektoren, dem Reichsratsbevollmächtigten und den Präsidenten des Rechnungshofes und des Oberlandesgerichtes firmiert hatte, gestrichen.

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nannt wurde.!!O In jenem Zeitpunkt aber hatte diese Maßnahme ihren eigentlichen Sinn bereits so gut wie verloren; denn 14 Tage später, mit Kriegsausbruch, wurden sämtliche Richter des VGH mit Ausnahme von Präsident Kohlmeier in die aktive Verwaltung zurückbeordert und die verwaltungsgerichtliche Tätigkeit durch die sog. Vereinfachungserlasse bis auf einen verschwindend geringen Prozentsatz praktisch zum Erliegen gebracht. Kohlmeier "präsidierte" in personeller Hinsicht - einmal abgesehen vom zeitweiligen Hinzutreten Dr. Schühlys zum Gerichtshof - von da an bis zum Kriegsende nur noch über einen Verwaltungsoberinspektor, eine Schreibkraft und einen Hausmeister. 221 Interessant an diesem ganzen Vorgang ist das deutliche Engagement der bad. Regierung zugunsten einer vor allem nach außen hin angemessenen personellen Vertretung des Verwaltungsgerichtshofs; dies hatte allerdings vermutlich weniger mit einem besonderen Respekt vor Tradition und Aufgabe des VGH zu tun als vielmehr mit dem ganz generell zu beobachtenden Bestreben, trotz oder gerade wegen "Gleichschaltung" und "Verreichlichung" aller einschlägigen Lebensbereiche die Eigenstaatlichkeit der Länder und damit die Machtstellung gegenüber der Zentralgewalt so weit wie möglich zu erhalten und nach außen hin zu dokumentieren!2! - und hierzu gehörte im Zweifelsfall eben auch ein "richtiger" VGH-Präsident! Das Reich bzw. das Reichsinnenministerium behandelten diese Angelegenheit demgegenüber reichlich dilatorisch; offenbar war man sich 220 s. Personalakte Kohlmeier o. Anm. 132. s. hierzu näher unten S. 105 f. !2! Vgl. Broszat, Der Staat Hitlers (1969), S. 142: "Unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Staats diktatur und der auch im Partei programm der NSDAP geforderten Stärkung der Zentralgewalt des Reiches war es zweifellos problematisch, daß als Folge der nationalsozialistischen Machtergreifung in den außerpreußischen Ländern machtbewußte Führer der Partei als Staatspräsidenten, Ministerpräsidenten und Minister ans Ruder gekommen waren, die der Selbständigkeit der Länder und der Institution der Länderregierungen unter der Decke der parteipolitischen Gleichschaltung neues Gewicht verliehen." Diese partikularistischen Tendenzen wurden zusätzlich gefördert von den Reichsstatthaltern, nach einem Zitat von Reichsfinanzminister Schwerin-Krosigk "viel hartnäckigere Föderalisten als vor ihnen die Länderministerpräsidenten" (vgl. Broszat aaO, S. 154), zumeist "alte Kämpfer", die nicht gewillt waren, ihre anfänglichen Machtpositionen als "Vizekönige" ohne weiteres zugunsten einer anonymen und zentralen Reichsverwaltung preiszugeben, vgl. Hüttenberger, Die Gauleiter (1969), S. 107 ff. Das bedeutete nun aber nicht, daß Gauleiter/Reichsstatthalter und ihre Parteigenossen in den Länderregierungen deswegen immer an einem Strick zogen; gerade für die bad. Verhältnisse hat Grill (0. Anm.73, S. 321 ff., insbes. S. 328 ff.) deutlich gemacht, wie Ministerpräsident Köhler und Innenminister Pflaumer "gradually began to identify with the state institution under their jurisdiction, and '" became absorbed with the special functions of their departments" und hierdurch alsbald in Konflikt mit dem "Alleinvertretungsanspruch" von Reichsstatthalter Wagner gerieten, vgl. hierzu erneut Dieh~-Thiele (0. Anm.213) aaO. 221

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nach wie vor unschlüssig über die grundsätzlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit gegenüber einzuschlagende Linie. Um dies zu verschleiern, bediente man sich der formelhaften und zumindest im Nachhinein wenig glaubhaften Wendung vom "kommenden Reichsverwaltungsgericht",223 was zugleich die Gelegenheit bot, den Ländern durch die Nichtbesetzung vakanter Präsidentenposten weitere "Souveränitätsverluste" beizufügen. Wie ernst es dem Reich damit aber letzten Endes tatsächlich war, zeigt der Umstand, daß man sich den Präsidentenposten im Falle des Bad. VGH schließlich doch gegen eine Gehaltskürzung regelrecht "abkaufen" ließ. Mit dieser Personalpolitik kontrastierte zudem das Ende 1937 vom Reichs- und Preußischen Minister des Innern erwogene Vorhaben, die Stellung der Präsidenten der Verwaltungsgerichte - nach entsprechender Gesetzgebung für den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit224 - dadurch im Sinne des Führerprinzips zu stärken, daß ihnen allein, und nicht mehr einem kollegialen Präsidium, die Befugnis zur Geschäftsverteilung übertragen werden sollte. 225 Vizepräsident Kohl223 Das, was dann 1941 tatsächlich kam, war lediglich eine aus Personalund Finanznot geborene und gebotene Zusammenlegung oberster (Reichs-) Spruchbehörden mit dem Preuß. OVG und dem VGH Wien, nicht jedoch der krönende, institutionelle Abschluß eines Reichsverwaltungsgesetzes bzw. einer Reichsverwaltungsgerichtsordnung, vgl. i. e. unten S. 113 ff. - Der Verweis auf die "künftige reichseinheitIiche Regelung" gehörte im übrigen zum Srtandardrepertoire der Reichszentralbehörden, wenn es galt, Initiativen der Länder oder auch nur der Reichsaußenbehörden zu blockieren. Nur war es dann oft so, wie der thüringische Gauleiter und Reichsstatthalter Sauekel erbittert beklagte, " ... daß diese Reichsregelungen sich im Anfangsstadium befinden oder gar wieder eingestellt werden, in dieser Zeit aber in den Ländern aufgrund örtlicher Verhältnisse zwingend notwendige Maßnahmen zum Schaden des Staates und der Bewegung unterbleiben.", vgl. Hüttenberger (0. Anm. 222), S. 113 ff. - Dieser von einem "Insider" geschilderte Befund wird hinsichtlich des "kommenden Reichsverwaltungsgerichts" noch zusätzlich dadurch erhärtet, daß anscheinend weder aus dem Bereiche des Reichsjustizministeriums noch aus dem des Reichsinnenministeriums Vorgänge überliefert sind, die auf entsprechende Überlegungen grundsätzlicherer Art vor 1941 schließen lassen (schriftliche Auskunft BA v. 27.3.1979; schriftliche Auskunft ZStA v. 28.5. 1979). 224 G. über die Geschäftsverteilung bei den Gerichten v. 24. 11. 1937, RGBI. I S.1286. 225 s. Rundschreiben des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern an die außerpreußischen Landesregierungen Nr. I A 6783/5601 v. 27.12.1937, GLA 239/11362; das o. Anm.224 genannte G. und die im vorerwähnten Schreiben angestellten Überlegungen müssen vor dem Hintergrund weitergehender Intentionen der Nationalsozialisten gesehen werden, die Willensbildung vermittels Mehrheitsbeschlusses bei den Gerichten als eine der wenigen erhalten gebliebenen Archetypen geschmähter parlamentarischer Formen zu beseitigen. Es sei ein "Mißbrauch der Gläubigkeit des Volkes an das Recht, wenn man ihm glauben macht, daß das, was schon ein Richter nicht entscheiden kann, von dreien in Mehrheitsabstimmung entschieden werden könnte; Mehrheitsbeschlüsse soll es auf dem Gebiet der Justiz fernerhin nicht mehr geben, nachdem sie in allen Teilen des deutschen Lebens beseitigt sind",

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meier wies in einer gutachterlichen Stellungnahme für das bad. Innenministerium 226 darauf hin, daß die Verteilung der Geschäfte am Bad. VGH bereits jetzt eigenverantwortlich vom Präsidenten wahrgenommen werde: Zwar gebe es beim VGH keine Abteilungen oder Senate, qoch entscheide das Gericht entspr. § 7 VwRpflG227 grundsätzlich in der Besetzung von drei Richtern einschließlich des Präsidenten, wobei die Reihenfolge, in der die Richter des VGH 'an den Sitzungen teilnähmen, im voraus für die Dauer eines Geschäftsjahres vom Präsidenten bestimmt werde (§ 7 Abs.2 VwRpflG). Ein Bedürfnis für eine den Vorstellungen des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern entsprechende Regelung der Geschäftsverteilung bestehe deshalb im Lande Baden nicht. Dieser Plan wurde deshalb nach vermutlich ähnlichen Auskünften der übrigen Landesregierungen mit Ausnahme Preußens 228 und Bayerns!29 auch nicht weiter verfolgt. Die zumindest faktische übernahme der Amtsgeschäfte des Präsidenten durch Oberverwaltungsgerichtsrat Johann Philipp Kohlmeier zu Beginn des Jahres 1936 fiel zusammen mit einem auffälligen Rückgang der Erledigungszahlen beim Bad. VGH. Waren 1933 noch 208 und 1934 gar 210 Fälle allein durch Entscheidung erledigt worden, so ging deren Zahl im Jahre 1935 'bereits auf 174 zurück und ein Jahr später hatte man gegenüber dem Höchststand von 1934 sogar schon ein Defizit von fast 50 Ofo zu verzeichnen: Lediglich 107 Streitigkeiten wurden im Berichtsjahr 1936 durch den Gerichtshof entschieden. 230 Diese Tendenz räsonnierte bereits 1933 der "Reichsführer der deutschen Rechtsfront, Reichsjustizkommissar Dr. Frank" auf dem Leipziger Juristentag (zit. nach Veiel [so u.], S.293 re. Sp.). Dennoch gelangten entspr. überlegungen letztlich nicht ins Stadium der Verwirklichung; aus der jedoch hierzu erwachsenden Literatur vgl. etwa erneut die Abhandlung von Reichsfinanzrat Veiel über "Führergrundsatz und Einzelrichter beim Obersten Verwaltungsgericht" (DV 1934, S. 293 ff.) sowie erneut den Beitrag von Präsident Schneider über "Verwaltungsgerichtsbarkeit im neuen Reich" (BadVerwZ 1935, S. 145 ff.), der gegenüber solchen Bestrebungen kühl feststellte: "Bei der Entscheidung der höchsten Verwaltungsgerichte handelt es sich um Rechtsfragen, nicht um Verwaltungsakte, für welche der Führergedanke ausschlaggebend sein muß." (S.148). 226 Schreiben K.s an den MdI v. 29. 1. 1938, GLA 239/11362. 227 i. d. F. v. Art. 5 Ziff.2 der 3. (bad.) HaushaltsnotVO v. 25.8.1932, GVBI. S.193. 228 G. zur Änderung des G., betr. die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren v. 28.9. 1938, GS S.99. Dieses G. ermöglichte ferner die kurzfristige Abänderung des Geschäftsverteilungsplans u. a. "im Interesse der Verwaltungsrechtspflege", was einer endgültigen Preisgabe des Prinzips des gesetzlichen Richters nahe kam. 229 VO über die Änderung der Vollzugsvorschriften zum G. über die Errichtung eines VGH und das Verfahren in Verwaltungssachen v. 4.3.1939, GVBl. S.41. 230 Vgl. die übersichten über die Ergebnisse der Verwaltungsrechtspflege im Jahre 1933 (BadVerwZ 1934, S. 29 ff.), 1934 (BadVerwZ 1935, S. 47 f.), 1935 (BadVerwZ 1936, S. 46 f.) und 1936 (BadVerwZ 1937, S. 46 ff.).

Zum Rückgang der Rechtsprechungstätigkeit beim VGH

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setzte sich in den folgenden Jahren fort, so daß die grundsätzliche Beschränkung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes durch die zu Beginn des Krieges ergehenden sog. Vereinfachungserlasse quantitativ kaum noch ins Gewicht fiel. 231 Diese Entwicklung kann durch die dargestellten Methoden zum Ausschluß des Verwaltungsrechtsweges für sich allein genommen nicht ausreichend erklärt werden. Denn immerhin wurden bei Abänderungen oder gar Novellierungen grundlegender Verwaltungsgesetze, wie etwa des Versicherungsgesetzes für Gemeinde- und Körperschaftsbeamte (1934 und 1941),232 des Grund- und Hauptschulgesetzes (1934),233 des Gebäudeversicherungsgesetzes (1933/34),234 der Landesbauordnung (1935),235 des Ortsstraßengesetzes (1934/36)236 und des Gebäudesondersteuergesetzes (1937/38)237 die bis dato vorgesehenen Möglichkeiten zur Anrufung der Verwaltungsgerichte, abgesehen von geringfügigen Modifikationen, vom neuen bad. Gesetz- und Verordnungsgeber grundsätzlich nicht angetastet. 238

231 1937 betrug die Zahl der durch Entscheidung erledigten Fälle wie im Jahr zuvor 107, 1938 nur mehr 87 und 1939 lediglich noch 47. Diese Zahl sackte während des Krieges kontinuierlich weiter ab und erreichte 1944/45 schließlich den "absoluten Nullpunkt", vgl. die Übersicht über die Ergebnisse der Verwaltungsrechtspflege im Jahre 1937 (BadVerwZ 1938, S. 42 ff.), 1938 (BadVerwZ 1939, S. 45 f.), 1939 (BadVerwZ 1940, S. 63 f.), 1940 - 1944 (GLA 239/11365) sowie das Rechtsstreitverzeichnis von 1945 (GLA 239/11270). Die "Vereinfachungs-Erlasse", über die weiter unten i. e. berichtet werden wird, gaben dem geschilderten Rückgang der Rechtsprechungstätigkeit durch den grundsätzlichen Ausschluß der Anfechtungsklage und die Aufhebung der erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte natürlich eine neue Qualität! 232 VO v. 27.1. 1934, GVBl. S. 38; G. v. 27.5.1941, GVBl. S. 13. 233 G. v. 29. 1. 1934, GVBl. S. 25. 234 G. v. 11.12.1933, GVBl. S. 301; Bekanntmachung der Neufassung v. 30. I. 1934, GVBl. S. 95. 235 VO v. 13.2.1935, GVBl. S. 61; Bekanntmachung der Neufassung v. 26.7. 1935, GVBl. S. 187. 236 G. v. 13.8. 1934, GVBl. S.240; Bekanntmachung der Neufassung v. 30. 10. 1936, GVBl. S. 179. 237 Bekanntmachung der Fassung des Gebäudesondersteuergesetzes v. 18.6. 1937 unter Berücksichtigung vorgängiger Änderungen und Ergänzungen, GVBl. S.247; gerade diese letztere, rein redaktionell bedingte (Neu-)Fassung nährt den Verdacht, daß der vergleichsweise hektischen Überarbeitung und Neubekanntmachung der vorstehend genannten wichtigen Verwaltungsgesetze weniger Sachzwänge zugrunde lagen als vielmehr das Bestreben, die relative Bedeutungslosigkeit der Länderregierung und-verwaltung im Verhältnis zur Reichszentralgewalt zu verdecken. 238 Vgl. § 46 Versicherungsgesetz, § 54 Schulgesetz, § 69 Gebäudeversicherungsgesetz, §§ 118, 119 Landesbauordnung, § 31 Ortsstraßengesetz und § 10 Gebäudesondersteuergesetz, jeweils im Verhältnis zu den abgelösten Regelungen.

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2. Kap.: Die Zeit des "Interregnums" beim Bad. VGH 1936 - 1939

In manchen Bereichen wurde darüber hinaus der Weg zu den Verwaltungsgerichten neu eröffnet, so etwa aufgrund des Lailideskriminalpolize1gesetzes (1933),239 der VO über das Schornsteinfegerwesen (1935),240 des Steuer- und Lastenverteilungsgesetzes (1938),241 der DurchführungsVO zur Reichsärzteordnung (1938),242 der Musterjagdsteuerordnung (1939)243 und der DurchführungsVO zum Hebammengesetz (1940)244; auf Reichsebene wurde bereits seinerzeit immer wieder auf die Rechtsschutzbestimmungen der Deutschen Gemeindeordnung (1935)245 und des Deutschen Beamtengesetzes (1937)246 verwiesen. In diesem Zusammenhang wäre ferner anzumerken, daß die Institution der Bezirksräte als Verwaltungsgerichte erster Instanz auch im Verlaufe der sog. Bad. Verwaltungsreform 1936 247 nicht angetastet 239 G. v. 22.8.1933, GVBl. S. 167 (§ 10). 240 VO v. 18.6. 1935, GVBl. S. 129 (§ 1 Abs.3). 241 G. v. 29.7.1938, GVBI. S.77 (§ 16 Abs.3 und 4: Zuständigkeit des Bad. VGH statt, wie bisher in vergleichbaren Fällen, Rechtsbeschwerde an den Reichsfinanzhof; vgl. allerdings auch die bis dahin bestehende Regelung in § 11 (bad.) Steuerverteilungsgesetz v. 7.7.1926, GVBl. S. 147). 242 VO v. 13. 9. 1938, GVBI. S.95. 243 Musterjagdsteuerordnung v. 24.6. 1939, GVBl. S. 109 (§ 11). 244 VO v. 28. 11. 1940, GVBl. S. 101. 245 DGO V. 30.1.1935, RGBl. I S.49; zu den Rechtsschutzbestimmungen vgl. i. e. den Beitrag von OVG-Rat Schühly über "Rechtsschutz im Gemeinderecht" in BadVerwZ 1938, S. 17 ff., S. 29 ff. und S. 46 ff. Typisch und, wie bereits gezeigt (0. Anm.223), wenig überzeugend war der allenthalben nachgebetete Hinweis in der amtlichen Begründung zu § 30 DGO, durch die Einräumung partiellen Verwaltungsrechtsschutzes solle der "endgültig in einem Reichsverwaltungsgesetz zu treffenden Entscheidung der Frage, ob und inwieweit im heutigen Staat für ein Verwaltungsstreitverfahren überhaupt Raum bleibt, nicht vorgegriffen, sondern nur bis zum Erlaß eines solchen Gesetzes vorläufig eine Regelung getroffen werden, die sich wesentlich der bisherigen Rechtsentwicklung auf diesem Gebiet anschließt", vgl. Knauth, Die deutsche Gemeindeordnung und die Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVerwBlr. 1935, S. 105. 246 DBG v. 26.1.1937, RGBl. I S.39; die den Rechtsschutz der Beamten in vermögensrechtlicher Hinsicht regelnden Vorschriften der §§ 142 ff. DBG sollten allerdings gern. § 182 DBG erst mit der Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts (!) in Kraft treten. Nicht nur in diesem G., sondern bereits etwa in § 10 der 3. VO über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks v. 18. 1. 1935 (RGBl. I S. 15) oder in § 8 Abs. 1 Erstattungsgesetz v. 18.4. 1937 (RGBl. I S.461) sowie in § 27 Abs.3 Reichsleistungsgesetz i. d. F. v. 1. 9.1939 (RGBl. I S.1645) wurde das Reichsverwaltungsgericht ausdrücklich zum letztinstanzlichen Entscheidungsgremium berufen, ohne daß man sich offiziell überhaupt ernsthafte Gedanken über eine Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Reichsebene gemacht zu haben schien, vgl. o. Anm. 223 und 245. 247 Hierfür standen das G. über die Aufhebung der Kreisräte v. 24.4. 1936 (GVBl. S.79) sowie das G. über die Neueinteilung der inneren Verwaltung v. 30.6.1936 (GVBl. S.80), aufgrund dessen es vor allem zu einer drastischen Reduzierung der Zahl der Amtsbezirke kam. Ziel dieser Maßnahmen sollte neben Gesichtspunkten der Kostenersparnis vor allem die organisatorische Vorbereitung der seit Jahrzehnten geplanten Bildung von Bezirksselbstver-

Zum Rückgang der Rechtsprechungstätigkeit beim VGH

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wurde und bei den zu Stadtbezirksämtern umgewandelten Polizeipräsidien und -direktionen sogar - den ausgegrenzten Zuständigkeiten entsprechend - neue Bezirksräte gebildet wurden,248 wie es hieß, "in Würdigung des Umstandes, daß nach den bisherigen Erfahrungen ernstere Unzuträglichkeiten durch das Fortbestehen der Bezirksräte nicht zu befürchten waren".249 Auch bei der erneuten Umgestaltung der unteren staatlichen Verwaltungsbehörden in Baden aufgrund der Landkreisordnung vom Juni 1939 wurden die Kreisräte geradezu systemwidrig zugleich zu Bezirksräten i. S. d. VerwG von 1863 bestellt250 und die Funktion der Stadtbezirksräte als solche bestätigt.251 Schließlich wäre noch darauf hinzuweisen, daß die gesetzlichen Einschränkungen des Verwaltungsrechtsschutzes größtenteils jene Bereiche betrafen, die von den neuen Machthabern zusätzlicher, und nicht nur abändernder staatlicher Regelung unterworfen worden waren. Dies hätte vermuten lassen, daß bei den Erledigungszahlen zumindest eine Art status quo hätte konstatiert werden können. Wenn die "Volksgenossen" ab Mitte der 30er Jahre dennoch gegenüber hoheitlichen Akten sehr viel seltener ihr Recht vor den Gerichten nahmen, so lag dies vermutlich auch an einem speziellen Einschüchterungseffekt, der gerade in diesem Bereich seine Auswirkungen zeitigen mußte und der dem Gesetzes- und Verordnungsgeber als möglicherweise einkalkulierter Nebeneffekt viel zusätzliche Arbeit abnahm. Denn es mußte doch fast als vermessen erscheinen, aus eigensüchtigen Motiven einen Staat vor die Schranken des Gerichts zu zerren, der seine Macht so selbstbewußt, ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Begründungszwänge sowie unter ständiger Wiederholung der Parole "Gemeinnutz geht vor Eigennutz" und der sozialdarwinistischen These vom "Recht des Stärkeren" etabliert hatte. Selbst wenn der einzelne Volksgenosse, den Theoretikern der "neuen" Verwaltungswaltungskörpern sein; vgl. hierzu insgesamt den Fortsetzungsbericht des an der Reform anscheinend maßgeblich beteiligten Regierungsrats Trautwein, Badische Verwaltungsreform 1936. BadVerwZ 1936, S. 161 ff., 181 ff.; 1937, S. 2 ff., S. 17 ff., S. 33 ff. und S. 53 ff. 248 Vgl. Art.1I Neueinteilungsgesetz i. V. m. der 3. VO zum Neueinteilungsgesetz v. 25.9. 1936 (GVBI. S. 169) sowie der 4. VO zum Neueinteilungsgesetz v. 10. 10. 1936 (GVBl. S. 173). 249 Trautwein (0. Anm. 247), S.37. 250 § 27 des G. über die Landkreisselbstverwaltung in Baden (Landkreisordnung) v. 24.6.1939, GVBl. S.93; systemwidrig deshalb, weil die Bezirksräte an und für sich integraler Bestandteil der alten Amtsbezirksverwaltung waren mit der Folge, daß Trautwein (0. Anm. 249, aaO) noch 1936 wie selbstverständlich davon ausging, daß die "etwaige Errichtung von Landkreisen ohnehin die Beseitigung der Bezirksräte mit sich bringen würde" (!) 251 § 27 Abs.4 Landkreisordnung; vgl. zur bad. Selbstverwaltungsreform 1936 - 1939 insgesamt auch noch Götz, Die Entwicklung der höheren Kommunalverbände in Baden (1957), S. 129 ff.

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gerichtSbarkeit folgend, in erster Linie zur "Sicherung und zum Schutze der nationalsozialistischen Volksordnung"252 und nur sekundär zur Wahrung eigener Rechte vor die Gerichte gezogen war, wer konnte ihn davor bewahren, daß bei politisch mißliebigen Fällen nicht die staatlichen Sicherheitsorgane das Urteil auf ihre Weise korrigierten?253 Die Anfechtung einer behördlichen Maßnahme konnte zudem bei der durchaus geläufigen Personalunion der Amtsinhaber in Staat und Partei als parteipolitischer Affront gewertet werden und dem Kläger u. U. den Vorwurf parteischädigenden Verhaltens einbringen. Insgesamt läßt sich also vermuten, daß der Weg zu den Verwaltungsgerichten zusätzlich durch psychisch-emotionale Barrieren blockiert wurde, da die Kläger bei ihrem Vorgehen eben in aller Regel ein größeres Risiko zu tragen hatten als nur das, diesen einen Prozeß zu gewinnen und zu verlieren, wobei es, zumindest in der Vorstellung der Betroffenen, ausgereicht haben dürfte, die Behörden auf sich und diese "Insubordination" aufmerksam gemacht zu haben. Diese überlegungen lassen sich natürlich nur bedingt auf die Parteistreitigkeiten, insbesondere der Fürsorge- und Armenverbände untereinander,254 übertragen, die immerhin regelmäßig bis zu 50 % der Rechtsprechungstätigkeit des VGH ausmachten und die, wie ein Blick in die Statistiken zeigt, ebenfalls ohne Abstriche am allgemeinen Rückgang der Erledigungszahlen teilnahmen. 25G Hier dürften sich aber tatsächlich direkt die Änderungen der ReichsVO über die Fürsorgepflicht und ihrer bad. Ausführungsbestimmungen ausgewirkt haben, wodurch vor allem die oft strittige Verteilung der Fürsorgekosten unter den verschiedenen Fürsorgeverbänden für die Mehrzahl der Fälle einer abschließenden gesetzlichen Regelung zugeführt wurde. 256 252 Vgl. erneut Stuckart, Nationalsozialistischer Staat und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DV 1935, S. 161 (S. 162) sowie die weiteren, o. Anm. 170 zitierten Stimmen. 253 Vgl. Echterhölter (0. Anm. 186), S. 70 mit Fn. 63, S. 88 mit Fn. 13 und S. 153 Fn.164; für das Land Baden sind m. W. solche Vorgänge nicht überliefert bzw. veröffentlicht, mit Sicherheit jedoch nicht auszuschließen. 254 Nach § 2 Nr. 10 VwRpflG und § 18 a der bad. AusführungsVO zur ReichsVO über die Fürsorgepflicht v. 29. 3. 1924, GVBl. S. 59. 255 Die Relation der in diesem Bereich entschiedenen Streitigkeiten zur Gesamtzahl der Entscheidungen lautete 1933: 105/208, 1934: 128/210, 1935: 76/174, 1936: 38/107, 1937: 41/107, 1938: 29/87 und 1939: 9/47, vgl. die o. Anm. 230/31 zitierten Übersichten über die Ergebnisse der Verwaltungsrechtspflege in der BadVerwZ 1934 - 1940. 256 Vgl. Art. 1 G. über die Entlastung der Fürsorgeverbände an der Grenze v. 14. 3. 1936 (RGBl. I S. 173) i. V. m. § 1 der VO zur Änderung der bad. AusführungsVO über die Fürsorgepflicht v. 7.4.1936, GVBl. S.47; im bad. Ausführungsgesetz zur ReichsVO über die Fürsorgepflicht v. 24. 6. 1939 (GVBl. S.99) wurden die Zuständigkeiten und Lastenverteilungen unter den Fürsorgeverbänden noch konsequenter festgeschrieben bzw. der "ausschließlichen und endgültigen" Entscheidung des MdI oder des Landrats unterworfen

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Die weiter oben skizzierte, intensive Diskussion im rechtswissenschaftlichen Schrifttum jener Zeit entfernte sich jedenfalls immer mehr von der Wirklichkeit des Gerichtsbetriebes nicht nur beim Bad. VGH und wirkt im Nachhinein fast wie ein Ablenkungsmanöver! Angesichts der geschilderten gesetzgeberischen Entwicklung blieb es nicht aus, daß sich der Bad. VGH wiederholt mit der Frage seiner eigenen Zuständigkeit zu befassen hatte. Als erste wäre in diesem Zusammenhang257 eine Entscheidung vom Februar 1936 zu erwähnen,258 in der es um die Bewilligung einer Ausnahmegenehmigung bei der Eintragung in die Handwerksrolle gem. § 3 Abs. 2 der 3. VO über den "vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks"259 ging. Diese Ausnahmegenehmigung war deshalb für den Kläger so wichtig, weil nach § 1 der genannten VO der selbständige Betrieb eines Handwerks ab sofort nur noch den in der Handwerksrolle eingetragenen Personen gestattet war. 260 Der VGH erklärte sich für unzuständig: Weder die ReichsVO und in Konsequenz dieser Regelungen auch in § 30 Nr.5 des Ausführungsgesetzes die verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit nach § 2 Nr. 10 VwRpfiG aufgehoben. Die verbliebenen, ohnehin mehr deklaratorischen Zuständigkeiten nach §§ 18 und 23 des Ausführungsgesetzes wurden schließlich durch G. V. 4. 10. 1940 (GVBl. S.93) außer Kraft gesetzt und anhängige Streitigkeiten teilweise auf die ordentliche Gerichtsbarkeit übergeleitet, nachdem bereits wenige Monate nach Erlaß des bad. Ausführungsgesetzes vom Juni 19,39 die ReichsVO zur Vereinfachung des Fürsorgerechts v. 7.10.1939 (RGBl. I S.2002) die Abschaffung aller verwaltungsgerichtlichen Verfahrensvorschriften angeordnet hatte. 257 Im Vordergrund der nachfolgenden Darstellung der Rechtsprechung des VGH sollen Entscheidungen stehen, die auf direkte oder indirekte Beeinflussungen des Verwaltungsrechtsschutzes durch die Nationalsozialisten Bezug nehmen. Die von Schühly (Die neue Rechtsprechung des badischen Verwaltungsgerichtshofs, VerwArch 45/46 [1940/41), S. 74 [So 78)) in diesem Zusammenhang aufgeführten Urteile v. 28.6.1934 (BadVerwZ 1934, S.133) und v. 17.3.1937 (BadVerwZ 1937, S.107) sind deshalb nicht unmittelbar einschlägig, weil es um den Rechtsschutz aufgrund § 20 der ReichsVO über Handelsbeschränkungen v. 13.7.1923 (RGBl. I S.706) ging. Erwähnenswert ist aber immerhin, daß der VGH in der zweiten der genannten Entscheidungen aus dem Jahre 1937 die zwischenzeitliche Aufhebung des Kollegialprinzips bei den für die Handelsbeschränkungen abschließend zuständigen Beschwerdebehörden nicht zum Anlaß nahm, seine Ansicht über die Unzuverlässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Klage zu revidieren, obwohl seinerzeit in der Entscheidung aus dem Jahre 1934 gerade das Vorhandensein eines kollegialen Beschlußkörpers als hinreichender Ersatz für eine formelle verwaltungsgerichtliche Anfechtbarkeit der Handelsbeschränkungen angesehen wurde. Diese Ausführungen wurden nunmehr kurzerhand zum "obiter dictum" erklärt, vgl. VGH BadVerwZ 1937, S. 108 re. Sp. 258 Urteil v. 12.2.1936, Az 7/36, GLA 239/11362 = BadVerwZ 1936, S.111 = RVerwBl. 1937, S. 105 = DVerwBlr. 1937, S. 16. 259 VO v. 18. 1. 1935, RGBl. I S. 15. 260 Die Institution der Handwerksrolle war erst 1929 aufgrund der sog. Handwerksnovelle v. 11. 2. 1929 (RGBl. I S.21) durch Einfügung eines Titels VI a (§§ 104 0 - u) in die Gewerbeordnung eingeführt worden und hatte seinerzeit lediglich (Zu)Ordnungsfunktion hinsichtlich der Zugehörigkeit zu

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noch die hierzu ergangene bad. VollzugsV0261 enthielten Vorschriften darüber, ob die Versagung der Ausnahmegenehmigung überhaupt anfechtbar, geschweige denn, daß der Verwaltungsrechtsweg gegeben sei; es handle sich auch nicht um eine nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 VwRpflG anfechtbare polizeiliche Verfügung und im übrigen sei der Verordnung "hinsichtlich der zulässigen Rechtsmittel zu entnehmen, daß der Gesetzgeber jedenfalls das landesrechtlich geordnete Verwaltungsstreitverfahren ausschließen wollte, zumal in den Fällen, in denen eine gerichtlich nachzuprüfende Beschwerde möglich ist, über die das Reichsverwaltungsgericht und, solange dieses noch nicht errichtet ist, das Reichswirtschaftsgericht zu entscheiden hätte".262 Lag dieser Entscheidung des VGH noch eine relativ eindeutige Rechts- und Gesetzeslage zugrunde, die die abgewiesene Partei zudem wegen der Möglichkeit des Beschwerdeweges zum Reichswirtschaftsgericht auch nicht vollkommen klaglos stellte, so sollte sich in der Folgezeit erweisen, daß der Gerichtshof seine Kompetenzen in der Mehrzahl der Fälle zäh verteidigte und hierbei verschiedentlich Gesetzeslücken aufzeigte, die die neuen Machthaber in Baden regelrecht zum "Nachbessern" nötigten. Hinzuweisen wäre in diesem Zusammenhang zunächst auf eine Serie von Entscheidungen, die sich mit Klagen von Arbeitsunwilligen und säumigen Unterhaltsverpflichteten263 oder, wie es später hieß, von "gemeinschaftsuntüchtigen Personen"264 gegen die Einweisung in das Landesarbeitshaus (und zeitweilige KZ) Kislau befaßten. Nach § 17 c Abs.3 der bad. AusführungsVO zur ReichsVO über die Fürsorgepflicht (nachfolgend: A V)265 konnte die Anordnung der Unterden handwerklichen Organisationen. Die Regelung der VO v. 18. 1. 1935, wonach der selbständige Betrieb eines Handwerks nur noch den in die Handwerksrolle eingetragenen Personen gestattet war, was wiederum grundsätzlich die Ablegung der Meisterprüfung voraussetzte, gilt inhaltlich auch heute noch, vgl. §§ 1 und 7 Handwerksordnung i. d. F. v. 28. 12. 1965 (BGBl. 1966 I S. 1 mit nachfolgenden Änderungen). 261 VO V. 4.4. 1935, GVBl. S. 101. 262 VGH (0. Anm.258) BadVerwZ 1936, S.I11 re. Sp.; die in der VO v. 18.1.1935 vorgesehene Zuständigkeit des Reichsverwaltungsgerichts kann mit Sicherheit nicht als Hinweis auf ernst zu nehmende überlegungen grundsätzlicher Art über die Errichtung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Reichsebene verstanden werden, sondern stellt eindeutig nur die Übernahme entspr. Rechtsschutzregelungen der durch diese VO aufgehobenen §§ 1040 - u der Gewerbeordnung dar, vgl. im übrigen o. Anm. 246. 263 Vgl. § 20 Abs. 1 der ReichsVO über die Fürsorgepflicht v. 13. 2. 1924, RGBl. I S. 100. 264 Vgl. Art. I Nr. 1 der VO v. 10. 2. 1938 zur Änderung des Gesetzes, die Verwaltungsrechtspflege betr., GVBl. S.7. 265 VO v. 29.3. 1924 (GVBl. S. 59) i. d. F. der 5. ÄnderungsVO v. 9. 10. 1931 (GVBl. S. 394).

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bringung in einer Arbeitseinrichtung wie eine polizeiliche Verfügung gern. § 4 Abs.1 Nr.1 VwRpftG angefochten werden. Diese Bestimmung wurde, wie bereits erwähnt,266 von den Nationalsozialisten unter Berufung auf § 1 der ReichstagsbrandVO vom 28.2.1933 im Jahre 1936 dahingehend geändert, daß gegen die Einweisung (nicht mehr "Unterbringung"!) nur mehr die Beschwerde beim Landeskriminalamt möglich sei, das endgültig entscheide. 267 Zugleich aber hieß es in § 17 c Abs. 2 A V n. F., daß die Einlegung eines Rechtsmittels keine aufschiebende Wirkung haben solle. Der VGH hatte nun in einem kurz nach Änderung der A V ergangenen Urteil 268 eine entsprechende Klage zwar auf der Grundlage alten Rechts abgewiesen - allerdings nur deshalb, weil der Kläger vorher Rekurs beim Landeskommissär eingelegt hatte und sich nach § 4 a VwRpflG Rekurs und Klage grundsätzlich gegenseitig ausschlossen - , zugleich aber bereits darauf hingewiesen, daß durch die Neufassung des § 17 c A V keine Änderung der Rechtslage eingetreten sei. Dies konnte nur bedeuten, daß der VGH nach wie vor die Klage gegen die Unterbringung bzw. Einweisung für zulässig erachtete. Einen Monat später wurde der Gerichtshof deutlicher. Der im Laufe des anhängigen Rechtsstreits geänderte § 17 c A V führe nicht zum Ausschluß der verwaltungsgerichtlichen Klage, da der bisherige Hinweis auf die Anfechtbarkeit der Unterbringung entsprechend § 4 Abs. 1 Nr. 1 VwRpftG nur deklaratorischen Charakter gehabt habe, sein Wegfall deshalb nicht zur Änderung der Rechtslage führe und der Rechtswegausschluß "einer ausdrücklichen, wohl nur im Wege eines Gesetzes oder aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung zu erlassenden Vorschrift bedurft (hätte), wie dies für den Ausschluß der verwaltungsgerichtlichen Klage in anderen Fällen polizeilicher Verfügungen in § 4 Abs.5 VwRpftG geschehen ist".269 Zudem habe nach § 17 c Abs.2 A V n. F. die Einlegung eines Rechtsmittels keine aufschiebende Wirkung; diese Formulierung lege nahe, daß neben der in § 17 c Abs. 1 A V genannten Beschwerde auch noch andere Rechtsmittel in Frage kämen, was "nach Sachlage nur die verwaltungsgerichtliche Klage sein kann",27° Diese Auslegung des § 17 c A V n. F. durch den VGH dürfte mit Sicherheit nicht im Sinne des nationalsozialistischen Verordnungsgebers gewesen sein. Allerdings erschien es wohl nicht opportun, die Einweisung deswegen nunmehr in jedem Falle auf § 1 der Reichstags266 S. o. Anm. 158. 267 VO v. 12. 5. 1936, GVBl. S. 59. 268 Urteil v. 19. 5. 1936, Az. 73/36, GLA 239/11362. 269 Urteil v. 16. 6. 1936, Az. 190/35, BadVerwZ 1936, S. 158 (S. 159). 270 VGH aaO. 6 Kirchberg

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brandVO "zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte" zu stützen, obwohl diese VO nicht nur in der Anfangszeit des Dritten Reiches für vieles herhalten mußte, was mit kommunistischen Umtrieben überhaupt nichts zu tun hatte,271 und obwohl der VGH Ende 1936 in einem derartigen Falle die Klage einer "vielfach vorbestrafte(n) und asoziale(n) Person", deren "Verhalten eine unmittelbare Gefahr für die Umwelt bedeute" (!) deshalb für unzulässig erklärt hatte,272 weil sich der Innenminister durch die Genehmigung der "Schutzhaft"273 271 Auf diese VO wurden anfänglich in Baden sogar etwa die VO über die Betäubung von Tieren vor der Schlachtung v. 22. 3. 1933 (GVBl. S.47), die VO über die Regelung der Dienstreisekosten bei den Krankenkassen v. 30.3. 1933 (GVBl. S. 53) oder die VO über die vorläufige Landwirtschaftskammerumlage für das Rechnungsjahr 1933 v. 10.4.1933 (GVBl. S.63) gestützt; weitere Beispiele bei Echterhölter (0. Anm.186), S.18. Vor allem Bracher (Stufen der Machtergreifung, in: Bracher / Sauer / Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung [1960], S. 82 ff.) hat auf die besondere Bedeutung der Reichstagsbrandverordnungen für das Gefüge des Dritten Reichs insgesamt hingewiesen: "Es waren diese ,Reichstagsbrandverordnungen' und nicht erst das viel beschworene Ermächtigungsgesetz Wochen später, die die Verfassung durch den permanenten Ausnahmezustand ersetzt und den großen Rahmen für Gleichschaltung und Dauerterror geschaffen und ,legalisiert' haben." (Brach er aaO, S.87); vgl. zu dieser Problematik auch weiter unten s. 88 f. 272 Urteil v. 17.11.1936, Az. 164/36, BadVerwZ 1937, S.44 = DVerwBlr. 1937, S.264. 273 Um Gefährdungen im Sinne des großzügig interpretierten Vorspruchs zur VO v. 28.2.1933 zu begegnen, wurden politisch Andersdenkende von der Polizei kurzerhand in "Schutzhaft" genommen, wobei zunächst teilweise der Eindruck suggeriert wurde, dies geschehe etwa entspr. § 15 Abs. 1 Ziff. ades preuß. Polizeiverwaltungsgesetzes v. 1. 6. 1931 (GS S. 77) zum eigenen Schutze der Verhafteten, vgl. die insoweit beispielhaften Ausführungen von Innenminister Pflaum er vor dem bad. Landtag am 9.6.1933: "Die Schutzhaftmaßnahmen, die wir durchgeführt haben, sind lediglich zum Schutze der betreffenden Persönlichkeiten durchgeführt worden... " (Verh. d. bad. Landtags, stenographische Protokolle der 3. öffentlichen Sitzung v. 9. 6. 1933, S. 51, GLA 231/ 778). - Auf diese "Beschönigungen" wurde aber bald verzichtet. Es wurde vielmehr klar zwischen der Schutzhaft zum eigenen Schutze des Verhafteten und der Schutzhaft als "besonders geartetes Gemeinschaftsschutzmittel" (Dannbeck, Freiheit der Persönlichkeit im nationalsozialistischen Gemeinschaftsstaat, in: Frank [Hrsg.], Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, 2. Aufl.. [1935], S.427 [So 440 f.]) unterschieden, das auf der Grundlage "revolutionären Gewohnheitsrechts" (Kerstiens, Stichwort: Polizeirecht, in: Handwörterbuch der Rechtswissenschaft Bd. VIII (1937), S.507 [S.509 re. Sp.]) entstanden sei und sich weitgehend frei von sonst geltenden rechtlichen Bindungen und vor allem von gerichtlicher Kontrolle gegen jeden wende, "der dem Aufbauwillen und den völkischen Erneuerungsbestrebungen der nationalsozialistischen politischen Führung feindlich gegenübersteht." (Dannebeck aaO.). Durch Erlaß des Reichsministers des Innern v. 12.4. 1934 wurden Verhängung und Vollstreckung der Schutzhaft einem gewissen rechtlichen Regime unterworfen, vor allem diesbezüglich die alleinige Zuständigkeit der Gestapo festgelegt, vgl. hierzu Spohr, Recht der Schutzhaft (1937) m. w. Nw. - Bleibt schließlich festzuhalten, daß die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft jener Zeit dieser revolutionären Errungenschaft ihre Anerkennung insgesamt nicht verweigerte, wohl wissend, daß dieses gesetzlich nicht fixierte, sondern lediglich durch einen internen und unveröffentlichten

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di:ese Entscheidung zu eigen gemacht halbem und dagegen die verwaltungsgerichtliche Klage weder aufgrund von § 4 Abs.l Nr.l VwRpflG noch von § 43 Abs.2 GemO stattfinde. 275 Das bad. Staatsministerium entschied sich dann aber letztlich doch für eine Lösung im Sinne der weiter oben erwähnten Entscheidung des VGH vom 16.6.1936 276 : Durch die bereits mehrfach erwähnte VO vom 10.2.1938 zur Änderung des Gesetzes (!), die Verwaltungsrechtspflege betr.,277 wurde u. a. die Klage "gegen Maßnahmen, welche gemeinschaftsuntüchtige Personen betreffen" ausdrücklich im neugefaßten § 4 Abs.5 VwRpflG ausgeschlossen. Die in dieser Formulierung angelegte Ausweitung des Kreises der vom Rechtswegausschluß Betroffenen führte allerdings alsbald zu der Frage, ob hierdurch "gemeinschaftsuntüchtigen Personen" tatsächlich hinsichtlich jeder polizeilichen Verfügung der Weg zum VGH verwehrt sei. Dies, meinte das Gericht in einer Entscheidung vom 18. 10. 1938, "ist nicht anzunehmen und es besteht wohl auch kein Bedürfnis dafür".278 Sachlich gerechtfertigt sei der Ausschluß der verwaltungsErlaß näher umschriebene "Rechtsinstitut" den Geheimen Staatspolizeibehörden zur Verbringung politisch Andersdenkender ins Konzentrationslager diente, vgl. statt vieler Maunz, Verwaltung (1937), S. 260 und S. 312 f. Zu dem, was die "Schutzhäftlinge" in den KZ's erwartete, s. Kogon, Der SSStaat. Das System der deutschen Konzentrationslager, 7. Aufl. (1979). 274 Das Erfordernis der ministeriellen Genehmigung bei der Verhängung von Schutzhaft in Baden ergab sich, wie der Entscheidung des VGH zu entnehmen ist, aus Erlassen des MdI v. 4. 5. 1934 (Nr.44777) und v. 5.8. 1936 (Nr. 46088). 275 Nach seiner Beschreibung durch den VGH ("vielfach vorbestrafte und asoziale Person") scheint der Kläger dieses Verfahrens durchaus zu dem in § 20 ReichsVO über die Fürsorgepflicht genannten Personenkreis gehört zu haben, der an sich für eine Unterbringung in einer Arbeitseinrichtung hätte in Frage kommen können. Wenn er demgegenüber direkt aufgrund der Schutzhaftbestimmungen in das hier als solches bezeichnete "Bewahrungslager" Kislau eingeliefert wurde, drängt sich natürlich die Vermutung auf, es sei versucht worden, auf diese Weise die Rechtsschutzbestimmungen des § 17 c AV n. F. in der ihnen vom VGH jüngst gegebenen Auslegung zu umgehen. Denn Maßnahmen aufgrund der "Reichstagsbrandverordnung" , sog. staatspolitische Akte, sollten, wie bereits ausgeführt (vgl. o. S. 62 f.), jedenfalls nach der in der Literatur vorherrschenden Auffassung von jeder verwaltungsgerichtlichen Kontrolle ausgenommen sein. Hierauf ließ sich der VGH, zumindest im veröffentlichten Text der Entscheidung, zwar mit keinem Wort ein, kam aber durch die "Hochstilisierung" der angegriffenen Verfügung auf die Ministerialebene zum gleichen, wenn auch nunmehr im gesetzlichen Zuständigkeitskatalog des VGH begründeten Ergebnis, nämlich zur Verwerfung der Klage wegen Unzulässigkeit. Gleichzeitig schien d~s Gericht aber durch den Hinweis auf die in jedem Einzelfall einzuholende Genehmigung des Innenministers dartun zu wollen, daß bei der Verhängung der Schutzhaft in Baden an und für sich ein ausreichendes Maß verwaltungsinterner Kontrolle verbürgt sei bzw. sein müßte. 276 s. O. S. 81. 277 GVBl. S. 7. 278 Az. 85/38, BadVerwZ 1939, S. 28. 6'

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gerichtlichen Klage nur, "wenn es sich um Maßnahmen handelt, durch die Personen gerade ihrer gemeinschaftsuntüchtigen Haltung wegen betroffen werden sollen, bei denen also eben diese Haltung an sich und die sich hieraus ergebende Gefährdung des Gemeinschaftswohles ausschließlich oder doch überwiegend den Grund des polizeilichen Einschreitens bilden".279 Dies sei aber etwa bei bau- oder, wie im vorliegenden Fall, 'gesundheitspolizeilichen Verfügungen nicht der Fall. "Der Kreis der gemeinschaftsuntüchtigen Personen beschränkt sich ja nicht mehr auf Bettler und Landstreicher", fügte der VGH fast verschämt zur Erläuterung seiner Entscheidung hinzu. 28o Um wohl nunmehr wirklich alle Unklarheiten hinsichtlich des Rechtsweges zu beseitigen, wurde in § 19 Abs. 4 des neuen bad. Ausführungsgesetzes zur ReichsVO über die Fürsorgepflicht vom Juni 1939 281 die verwaltungsgerichtliche Klage gegen Einweisungen in eine Arbeitsanstalt expressis verbis ausgeschlossen. Vor dieser gesetzlichen Regelung mußte der VGH endgültig kapitulieren: In der letzten zu dieser Frage überlieferten Entscheidung vom 6.7.1939 282 klingen zwar noch einmal die Bedenken gegenüber den vorhergehenden Versuchen an, den Rechtsweg gegen die Einweisung mit Hilfe des § 17 c A V n. F. und § 4 Abs.5 Nr.1 VwRpflG n. F. auszuschließen, doch war im Verlaufe des vorliegenden Rechtsstreits die o. a. Vorschrift des § 19 Abs.4 des Ausführungsgesetzes, wohlgemerkt ohne übergangsvorschrift, in Kraft getreten, so daß der VGH die Klage letztlich abwies. 283 In einer zweiten Gruppe von Entscheidungen, die allesamt von Anfang 1938 stammten, ging es um die gerichtliche Nachprüfbarkeit polizeilicher Verfügungen "staatpolitischen Inhalts", um Fragen also, die 279 VGH aaO., S. 29 li. Sp. 280 VGH aaO; ein ähnliches Problem stellte sich dem VGH kurze Zeit später auch hinsichtlich des ebenfalls nach der o. a. VO v. 10. 2. 1938 vorgesehenen Ausschlusses der verwaltungsgerichtlichen Klage gegen Maßnahmen, welche der "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung dienen". In seinem Urteil v. 13. 12. 1938 (Az. 114/38, GLA 239/11362 = BadVerwZ 1939, S. 62) präzisierte der Gerichtshof den Rechtswegausschluß dahingehend, daß es sich um polizeiliche Verfügungen handeln müsse, "die sich ihrem Anlaß und ihrem Inhalt nach erkennbar gegen einen Menschen wegen seiner festgestellten verbrecherischen Gesinnung und seines Hanges zur Begehung strafbarer Handlungen mit dem Ziel richten, die weitere verbrecherische Betätigung dieses Menschen zu bekämpfen." Diese Voraussetzungen sah das Gericht in dem zu entscheidenden Fall auch als erfüllt an; die Klage gegen die - wieder einmal - auf § 1 der ReichstagsbrandVO v. 28.2.1933 gestützte Einziehung von 53 als Nachschlüssel geeigneten Schlüsseln eines "gewohnheitsmäßigen Diebes" wurde deshalb als unzulässig verworfen. 281 G. v. 24. 6. 1939, GVBl. S.99. 282 Az. 36/39, BadVerwZ 1939, S. 147. 283 Zur Zurückdrängung des verwaltungs gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber Maßnahmen aufgrund der ReichsVO über die Fürsorgepflicht bzw. der hierzu ergangenen bad. Ausführungsbestimmungen s. erneut o. Anm. 256.

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aus dem Kernbereich der Problematik verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes im Dritten Reich stammten. 284 Auffällig ist, daß die überlieferten Fälle sämtlich nur im Verhältnis Staat - Kirche angesiedelt sind. Dies erlaubt durchaus den Rückschluß auf einen Hauptanwendungsbereich solcher Verfügungen; gleichzeitig war es natürlich den Kirchen, die sich bis zuletzt nicht wirklich "gleichschalten" ließen, viel eher als einem Einzelnen möglich, öffentlich in einem Gerichtsverfahren die Bedenken gegenüber bestimmten angeblich staatspolitischen Akten in aller Klarheit darzulegen und auch das Risiko eines gerichtlichen Unterliegens zu tragen. 284a Die Leitentscheidung vom 11. 1. 1938 285 befaßte sich mit dem vom Bezirksamt Emmendingen im Oktober 1937 ausgesprochenen Verbot des evangelisch-kirchlichen Frauenbundes in Bahlingen: Der Verein sei offensichtlich nur deshalb gegründet worden, um die evangelischen Frauen Bahlingens vom örtlichen Frauenverein des Deutschen Roten Kreuzes abzuziehen "und dadurch dessen nationale Arbeit zu untergraben. Es sollten also wichtige Belange des deutschen Reiches und Volkes einseitigen und rein konfessionellen Bestrebungen geopfert werden", hieß es in der Begründung der Verbotsverfügung. 286 Der Bevollmächtigte des Innenministeriums hatte bereits die Zulässigkeit der hiergegen eingelegten Klage mit dem Hinweis darauf angezweifelt, daß es an der nach § 4 Abs. 1 Nr.1 VwRpflG erforderlichen Rechtsverletzung fehle, da die "sogenannten Grundrechte der Weimarer Verfassung",287 insbesondere auch das in Art. 124 enthaltene Grundrecht der allgemeinen Vereinigungsfreiheit, in vollem Umfang außer Kraft gesetzt sei. 288 Der VGH hielt diesem Einwand ganz im Sinne der damals herrschenden Doktrin entgegen, daß es für eine Klage gegen polizeiliche Verfügungen nicht auf die Verletzung eines subjektivöffentlichen Rechtes, sondern, wie der Gerichtshof "in stetiger RechtVgl. o. S. 62 f. 284a s. als "Hintergrundinformation" hierzu Scholde-r, Baden im Kirchenkampf des Dritten Reiches, in: Oberrheinische Studien II (1973), S. 223 ff. 285 Az. 157/37, BadVerwZ 1938, S.87 und S.96 = RVerwBl. 1938, S.1047 = DV 1938, S. 502. 286 VGH BadVerwZ 1938, S. 96. 287 VGH aaO. 288 Zunächst hatte der Ministerialbevollmächtigte dem nicht rechtsfähigen Frauenverein sogar die Parteifähigkeit für den Verwaltungsrechtsstreit abgesprochen: Nach § 50 Abs.1 und 2 ZPO bedürfe es zur Parteifähigkeit der Rechtsfähigkeit und außerdem sei der Verein nach seinem Verbot nicht mehr existent (!), könne also auch gar nicht mehr Partei sein. Der VGH hielt dem entgegen, daß der Verein, wenn er schon Adressat einer Polizeiverfügung geworden sei, sich hiergegen auch gerichtlich wehren können müsse und daß im übrigen die Frage seiner Auflösung bzw. Existenz erst nach formeller Rechtskraft der angefochtenen Verfügung geltend gemacht werden könne, vgl. VGH aaO, S. 87 f. 284

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sprechung im Anschluß an die Gesetzesmaterialien"289 von jeher betont habe, darauf ankomme, "ob der von einer polizeilichen Verfügung Betroffene ganz allgemein in seiner Rechts- und Willenssphäre, in seiner Bewegungsfreiheit, durch ein Gebot oder Verbot der Polizei verletzt wurde und ob die Polizei zu ihrem Vorgehen nach dem Gesetz und den obwaltenden tatsächlichen Verhältnissen berechtigt war".290 Ein Verein, wie ihn der evangelisch-kirchliche Frauenbund darstelle, könne deshalb unabhängig davon, "ob und inwieweit die Weimarer Verfassung durch die Entwicklung seit dem Jahre 1933 überhaupt beseitigt und im Sinne eines Verfassungsgesetzes durch das Parteiprogramm der NSDAP ersetzt wurde" (!),291 nach wie vor "in seinen Rechten" i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 1 VwRpflG verletzt werden, da die Rechtseinrichtung des Vereins nicht erst durch die Grundrechtsartikel der WRV geschaffen worden sei, sondern schon immer eine eigene Rechts- und Willenssphäre besessen habe, in die durch Anordnungen und Verfügungen der Polizeibehörden eingegriffen werden konnte. Diese Ausführungen des VGH machen sogleich deutlich, wie wenig durchdacht die wiederholten offiziellen Appelle waren, die Ver waltungsgerichtsbarkeit sei dem Schutze der nationalen Volks ordnung zu dienen bestimmt, nicht jedoch der Durchsetzung sog. subjektiv-öffentlicher Rechte. 292 Das offensichtliche Ziel dieser Äußerungen, nämlich die Beschränkung des Individualrechtsschutzes gegenüber der als "völkische Gemeinschaft" verharmlosten Staatsgewalt, konnte sich im Rahmen einer konkreten Verfahrensordnung, wo die schlüssige Geltendmachung eigener Rechtsverletzung bislang als Zulässigkeitsvoraussetzung fungiert hatte, genau in ihr Gegenteil verkehren. 293 So weit ging der VGH allerdings in Wirklichkeit gar nicht: Er zog vielmehr, wie ein Blick in die von ihm angeführte "stetige Rechtsprechung"294 zeigt, lediglich das Reizwort "subjektiv-öffentliches Recht" aus dem 289 VGH aaO, S.97. 290 VGH aaO. 291 VGH aaO. 292 Vgl. Stuckart, DV 1935, S.161 (S. 162) sowie die weiteren, o. Anm. 170 angeführten Autoren. 293 Vgl. zu einer insoweit besonders instruktiven Entscheidung des Sächs. OVG erneut Krüger, Volksgemeinschaft statt subjektiver Rechte, DV 1935, S. 37 ff. 294 Vgl. o. Anm.290; der VGH verwies in diesem Zusammenhang auf Entscheidungen des Gerichts aus dem Jahre 1912, 1922 und 1925 sowie auf das dort angegebene Schrifttum. In der Entscheidung v. 27.9.1912 (BadVerwZ 1912, S.267) ging es allerdings gar nicht um die Verletzung eigener Rechte i. S. v. § 4 Abs. 1 Nr. 1 VwRpflG, sondern um die Auslegung und Anwendbarkeit von Abs.2 und 4 der genannten Vorschrift. Die Entscheidungen v. 24.10.1922 (BadVerwZ 1923, S.38) und v. 17.3.1925 (BadVerwZ 1925, S.151) befaßten sich in der Tat mit der Frage eigener Rechtsverletzung, und zwar bei Klagen Dritter gegen polizeiliche Verfügungen.

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Verkehr, um es verunklarend durch die von ihm selbst gegebene, für die Zwecke des Verwaltungsstreitverfahrens erweiterte Definition dieses Begriffs zu ersetzen!295 Es grenzt schließlich an bewußte Irreführung, wenn das Gericht dieses Vorgehen zum Anlaß nahm, den Ministerialbevollmächtigten in durchaus doppelbödiger Weise zu belehren, daß der Erfolg der Klage nicht von einer Verletzung "sogenannter" subjektiv-öffentlicher Rechte abhängig sei, und hierbei suggerierte, nur bei den in der Verfassung festgeschriebenen Grundrechten handele es sich auch in diesem Zusammenhang um solche subjektiv-öffentliche Rechte. 296 Der Zulässigkeit der Klage konnte aber entgegenstehen, daß es sich bei dem Verbot des kirchlichen Frauenvereins um einen "staat.spoliti~chen Verwaltungsakt" bzw. um eine "Verfügung auf dem Gebiet der politischen Polizei"297 handelte. Der VGH hatte zu dieser umstrittenen 295 Dies kommt am klarsten in der vom VGH in der Entscheidung v. 24.10. 1922 (0. Anm. 294) angezogenen Entscheidung des Gerichts v. 18.2. 1914 (BadVerwZ 1914, S.146) zum Ausdruck: "Diese Klage ist nicht schon dann gegeben, wenn durch eine polizeiliche Verfügung irgendwie die Interessen des Klägers berührt werden, sondern hat zur Voraussetzung, daß ein subjektives (öffentliches, wie die nachfolgenden Ausführungen ergeben, d. Verf.) Recht des Klägers durch die angefochtene Verfügung verletzt ist. Eine Rechtsverletzung in diesem Sinne liegt vor, wenn die Verfügung einen unmittelbaren Eingriff in die Rechts- und Willens sphäre des Klägers enthält, ihm Gebote oder Verbote auferlegt, durch die er in der Freiheit seiner Bewegung und der unbeschränkten Verfügung über sein Eigentum ungerechtfertigterweise beeeinträchtigt wird." 296 Zu der, allerdings überkommenen, Begriffsvielfalt hinsichtlich des subjektiv-öffentlichen Rechts im Nationalsozialismus, vgl. erneut Meinck, Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus (1978), S. 221 ff. 297 Die vom rechtswissenschaftlichen Schrifttum jener Zeit fast einmütig proklamierte Forderung nach Ausschluß der verwaltungsgerichtlichen Klage in "staatspolitischen Angelegenheiten" (vgl. o. S.62 sowie erneut Hempter, Die nationalsozialistische Staatsauffassung in der Rechtsprechung des Preuß. OVG [1973], S. 156 f.) reduzierte sich im Laufe der Jahre zur Behauptung der Unzulässigkeit verwaltungsgerichtlicher Überprüfung "staatspolizeiIicher Maßnahmen" bzw. von Verfügungen "auf dem Gebiet der politischen Polizei" (beispielhaft insoweit das vom Chef der Sicherheitspolizei und des sn erstellte Gutachten über die "Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung staatspolizeilicher Maßnahmen in der Ostmark" - I A I Nr. 86 11/ 40-151 - v. 1. 3. 1940, GLA 239/11363). Diese Entwicklung entsprach vermutlich der praktischen Relevanz der Frage, da wohl kaum jemandem eingefallen sein dürfte, entspr. dem Scheunerschen Katalog (Die Gerichte und die Prüfung politischer Staatshandlungen, RVerwBl. 1937, S.437 [S.442]) etwa außenpolitische Staatshandlungen, interne Maßnahmen der NSDAP oder Anordnungen des "Führers" vor den Verwaltungsgerichten angehen zu wollen. Anders verhielt es sich jedoch, wie die überlieferten Gerichtsentscheidungen zeigen, bei Maßnahmen der Geheimen Staatspolizei und insbesondere bei Verfügungen der ordentlichen Polizeibehörden "auf dem Gebiet der politischen Polizei". Im übrigen war der Ausschluß der Anfechtbarkeit politischer Führungsakte mitnichten eine Erfindung der Nationalsozialisten, sondern lag unausgesprochen der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahrensordnungen in den verschiedenen deutschen Ländern zugrunde, zumal, wenn sie

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Frage bislang nicht grundsätzlich Stellung genommen. Er tat es, um das Ergebnis vorwegzunehmen, auch in dieser Entscheidung nicht, SOlidem hielt sich nüchtern-positivistisch an die in Baden zur Zeit bestehende Gesetzeslage. Immerhin bejahte er im konkreten Fall das Vorliegen einer Verfügung der politischen Polizei,298 da sich das Bezirksamt zur Begründung seiner Maßnahme auf § 1 der va zum Schutze von Volk und Staat vom 28.2.1933 ("ReichstagsbrandVa") gestützt habe und es hier auch "um die Abwehr staatsgefährlicher Bestrebungen in dem heute maßgebenden ausdehnend auszulegenden Sinn des Vorspruchs zu der va vom 28. 2.1933" gehe,299 also nicht mehr nur um kommunistische staatsgefährdenlde Gewaltakte, sondern um im Rahmen der Zuständigkeit vom Enumerativprinzip ausgingen! (Vgl. insoweit zutreffend Scheuner aaO, S.440 re. Sp.; anders wohl Hempfer aaO, S. 155 f.). Dies mag auch der Grund sein, warum über diesen Aspekt bei der Behandlung des Problems Verwaltungsgerichtsbarkeit im Dritten Reich so schnell Einigkeit erzielt wurde; s. hierzu noch H. Schneider, Gerichtsfreie Hoheitsakte (1951), S. 107. 298 Der VGH ließ allerdings offen, welchen Umfang die Aufgaben der "politischen Polizei" generell hätten. Hierbei handelte es sich jedoch ebenfalls nicht um einen neu geprägten Terminus; es war vielmehr im deutschen Polizeirecht, und das nicht erst in Weimarer Zeit, durchaus üblich, die Tätigkeit der Vereins- und Versammlungs-, Paß- und Fremden-, Waffen- und schließlich Pressepolizei als "politische Polizei" zu bezeichnen, vgl. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. (1931), S.477. Im Dritten Reich zeigte sich alsbald die Tendenz, nicht nur immer weitere Bereiche dem Sachgebiet der politischen Polizei zuzuordnen, als dessen organisatorische "Avantgarde" die Geheime Staatspolizei (Gestapo) fungieren sollte, sondern den Polizeibegriff insgesamt politisch aufzuladen, indem der fürsorglich-erzieherische Schutz der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft an Stelle nur repressiver Gefahren,abwehr zur neuen polizeilichen Aufgabe erklärt wurde - und damit der "Verpolizeilichung" weiter Lebensbereiche Tor und Tür geöffnet wurde. Vgl. hierzu Schweder, Politische Polizei (1937), insbesondere S. 141 ff., S. 174 ff. Best, Die politische Polizei des Dritten Reiches, in: Frank (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht (1937), S. 417 ff.; Hamet, Wesen und Rechtsgrundlagen der Polizei im nationalsozialistischen Staat, in: Frank (Hrsg.), Deutsches Verwaltungsrecht (1937), insbesondere S. 386 ff.; Höhn, Alte und neue Polizeirechtsauffassung in der Praxis, DV 1938, S. 330 ff.; zur "Zerschlagung der Gesetzesbindung ... mit Hilfe des umfassenden Gemeinwohlauftrags" vor allem nach Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht (1974), S. 246 ff. (S.251). 299 In dieser " erweiterten " Auslegung korrespondierte der Vorspruch bzw. § 1 der "Reichstagsbrandverordnung" fast wörtlich mit der Beschreibung des Tätigkeitsbereiches der (preuß.) Geheimen Staatspolizei in § 1 des preuß. G. v. 10.2.1936 (GS S.21), nach Best (0. Anm.298, S.420) die "vollendetste Formulierung" der "Aufgabe einer Politischen Polizei im Sinne des nationalsozialistischen Begriffs dieser Einrichtung": "Die Geheime Staatspolizei hat die Aufgabe, alle staatsgefährlichen Bestrebungen im gesamten Staatsgebiet zu erforschen und zu bekämpfen ... " Die Bedeutung dieser Aufgabenbeschreibung - und ebenso der erweiterten Auslegung von § 1 der VO v. 28. 2. 1933 - wird allerdings erst dadurch erhellt, daß jegliches irgendwie politisch oder weltanschaulich relevantes Abweichlertum zur "staatsgefährlichen Bestrebung" erklärt wurde, vgl. Best (0. Anm.298, S.421) sowie Schweder (0. Anm. 298, S. 186 f.).

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die Abwehr von Gefahren, "die sich für die Volksgemeinschaft aus grundsätzlichen weltanschaulichen Meinungsverschiedenheiten ergeben". Die Anwendbarkeit dieser va auf konfessionelle Vereine sei zudem allgemeine Rechtsprechung, fügte der VGH kommentarlos hinzu. 30o Das Gericht schloß jedoch aus dieser Qualifizierung der angefochtenen Verbotsverfügung nicht automatisch auf die Unzulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Klage. Zwar habe das Hamburgische Verw'lltungsgericht die Aufassung vertreten, daß die Anfechtbarkeit von Maßnahmen staatspolitischer Natur "nach der heutigen Staatsauffassung als ein Unding erscheinen müsse"301; das Preuß. aVG hingegen sei unter Hinweis auf die bestehende Gesetzeslage so lange von der Anfechtbarkeit von Verfü,gungen der allgemeinen Polizeibehörden auf dem Gebiete der politischen PoliZ'ei ausgegangen, bis durch § 7 des pr!!uß. Gesetzes über die Geheime Staatspolizei802 der Rechtsweg in diesen Angelegenheiten ausgeschlossen worden sei. 808 Die Rechtslage in Baden, so fuhr der VGH fort, sei aber weder der in Hamburg noch der in Preußen vergleichbar; denn bei Abänderung der (badischen) va über das Geheime Staatspolizeiamt durch va vom 25.10.1937 304 sei lediglich die Klage beim Verwaltungsgerichtshof aufgrund § 4 Abs. 1 Nr.1 VwRpflG gegenüber polizeilichen Verfügungen des Landeskriminalpolizeiamtes als Geheime Staatspolizei ausgeschlossen worden: "Hieraus ist die Schlußfolgerung unabweisbar, daß nach dem Willen des Gesetzgebers in Baden ganz allgemein polizeiliche Verfügungen der ordentlichen Polizeibehörden, auch wenn sie auf dem Gebiete der politischen Polizei ergangen sind, mit der verwaItungsgerichtlichen Klage angefochten werden können. "805 Die mutige Bejahung der Zulässigkeit der Klage durch den VGH bedeutete für den klagenden Frauenbund aber letzten Endes doch nur 300 VGH BadVerwZ 1938, S. 98 re. Sp. unter Hinweis auf ein Urteil des Kammergerichts v. 12.7.1935. 301 Entscheidung v. 7.10. 1935 Z. 139/35, DJZ 1936, Sp.645 = RVerwBI. 1935, S. 1045. 302 G. V. 10. 2. 1936, GS S. 21 u. 28. 303 Unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Preuß. OVG v. 16.3. 1936, E 97, S.103; Verfügungen der preuß. Geheimen Staatspolizei hingegen waren bereits nach Erlaß des G. über die Geheime Staatspolizei v. 30. 11. 1933 (GS S. 413) v. Preuß. OVG unter Hinweis auf das Enumerationsprinzip für unanfechtbar erklärt worden, vgl. U. v. 2. 5. 1935, Az. III C. 43/35, E 96, S. 83. 304 GVBl. S.288; zur Entwicklung und zum Aufbau der Geheimen Staatspolizei in Baden s. Schadt, Verfolgung und Widerstand unter dem Nationalsozialismus in Baden (1976), S. 28 ff. 80S VGH BadVerwZ 1938, S.99 li. Sp.; die Rechtslage in Baden entsprach also der in Preußen unter der Geltung des o. Anm. 303 erwähnten G. über die Geheime Staatspolizei v. 30.11. 1933!

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einen Pyrrhussieg; denn: "Bei Verfügungen auf staatspolitischem Gebiet tiegt es in der Natur der Sache, daß in erster Linie die Verwaltungsbehörde oder die ihr vorgesetzte Behörde zu einer Beurteilung darüber in der Lage ist, ob eine Gefährdung im Sinne der dem Vorspruch der va vom 28.2.1933 zu gebenden erweiterten Auslegung mittelbar oder unmittelbar zu erwarten steht oder schon vorliegt und welche Maßnahmen nach dem pflichtgemäßen weitgehenden Ermessen der Verwaltungsbehörde zu ergreifen sind."s06 Der VGH hatte das Problem also nur auf die Ebene der Begründetheit der Klage verschoben und es überrascht angesichts des soeben zitierten Obersatzes nicht, wenn er im konkreten Fall zu dem Ergebnis kam, die Behörde habe weder bei Beurteilung des Sachverhaltes noch hinsichtlich der eingesetzten Mittel die ihr gezogenen Grenzen (?) überschritten, und die Klage deshalb abwies. Auch als die bad. Regierung direkt im Anschluß an die zuletzt geschilderte Entscheidung des VGH aufgrund der bereits mehrfach erwähnten va vom 10. 2. 1938 die verwaltungsgerichtliche Klage gegen Maßnahmen "auf dem Gebiet der politischen Polizei" ganz allgemein ausschloß,307 bejoahte der Gerichtshof in einem vor dieser Gesetzesänderung anhängig gemachten Verfahren wegen Schließung eines konfessionellen Kindergartens seine Zuständigkeit aufgrund der in der Abän'derungsVa enthaltenen übergangsvorschrift. s08 Das änderte aller306 VGH BadVerwZ 1938, S.loo li. Sp.; diese Formulierung hatte ihren dogmatischen Bezugspunkt in der Bestimmung des § 4 Abs. 2 und 4 VwRpflG, wonach die Klage gegen polizeiliche Verfügungen nur darauf gegründet werden konnte, daß die Behörde zu der angefochtenen Verfügung nicht berechtigt war, erstens, weil diese auf einer Verletzung des Gesetzes beruhte und! oder zweitens, weil die obwaltenden tatsächlichen Verhältnisse jede Berechtigung der Behörde zu der angefochtenen Verfügung ausschlossen und wonach die Klage insoweit nicht stattfand, als die Behörden innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit nach Ermessen i. S. d. G. zu verfügen berechtigt waren. 307 Art. 1 Nr. 2 ader VO zur Änderung des G., die Verwaltungsrechtspflege betr., v. 10. 2. 1938, GVBl. S. 7. Auch diese Bestimmung ließ allerdings offen, was unter "politischer Polizei" im einzelnen zu verstehen sei. Auf jeden Fall aber durften hierzu nach der Entscheidung des VGH v. 11. 1. 1938 sicherlich alle Maßnahmen der Polizei aufgrund § 1 der VO zum Schutze von Volk und Staat gezählt werden. Im übrigen war der Bedeutungsinhalt von "politische Polizei" in diesem Zusammenhang nicht so wesentlich, da die verwaltungsgerichtliche Klage ausgrund der gleichen VO auch noch in weiteren, politisch einschlägigen Bereichen ausgeschlossen wurde, nämlich gegenüber Maßnahmen der Ausländer-Fremdenpolizei und im Sachgebiet des Paßwesens sowie gegenüber solchen Maßnahmen, die "gemeinschaftsuntüchtige Personen" betrafen oder der "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" dienten. - Bleibt schließlich zu erwähnen, daß wohl allein in Danzig versucht wurde, den Begriff der politischen Polizei - in Anlehnung an einen entspr. Erlaß des Chefs der deutschen Polizei - umfassend, wenn auch nicht abschließend, gesetzlich zu definieren, vgl. hierzu Koellreutter, Die Danziger RechtsVO über die Polizei v. 11. 1. 1937, RVerwBl. 1937, S. 269 ff. 308 Urteil v. 1. 3.1938, Az. 95/37, GLA 239111362 = DV 1938, S. 572.

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dings im Ergebnis nichts daran, daß auch dieser für die staatliche Wohlfahrtspflege unerwünschte Konkurrenzbetrieb endgültig seine Pforten schließen mußte. Der VGH bejahte zwar erneut das Vorliegen einer Verfügung auf dem Gebiet der politischen Polizei, nachdem das Bezirksamt das gleichzeitige Bestehen der zwei, einerseits von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und andererseits vom (katholischen) Elisabethenverein unterhaltenen Kindergärten, zu einer "Störung der Ruhe, Ordnung und des politischen Friedens in der Gemeinde"309 erklärt hatte. Im Rahmen der Begründetheit der Klage rekurrierte das Gericht jedoch deshalb nicht auf die zuletzt dargestellten Grundsätze "staatspolizeilichen Ermessens", sondern wies die Klage unter Hinweis auf Verfahrensvorschriften des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes ab: Der klagende Elisabethenverein habe es versäumt, nach Umzug des Kindergartens in an'dere Baulichkeiten erneut um die erforderliche behördliche Genehmigung zur Aufnahme von Pflegekindern bzw. um die Befreiung von dieser Verpflichtung gern. §§ 20, 29 RJWG nachzusuchen - eine, wie Volkmann überzeugend dargestellt hat,Sl() nicht minder fadenscheinige Begründung! Der Betrieb des Kindergartens habe deshalb, so fuhr der VGH fort, im Widerspruch zu gesetzlichen Bestimmungen gestanden, was die Polizeibehörden zum Eingreifen berechtigt habe. Es entsprach im übrigen dem auffällig apodiktischen Stil die· ser Entscheidung, daß weder eine entgegenstehende "Zusage" des Landrats noch der vom Gerichtshof vorgenommene Austausch der Begründung für die Schließungsverfügung einer eingehenderen Erörterung für wert erachtet wurden. Auch zu den Grundsätzen polizeilichen HandeIns, insbesondere zum übermaßverbot, dessen Geltung der VGH, obschon beiläufig, in seiner Leitentschefdung vom 11. 1. 1938 auch für den Bereich der politischen Polizei ausdrücklich bestätigt hatte,311 findet sich kein Wort! Auch das letzte aus dieser Serie überlieferte Urteil312 wich nicht von dem durch die beiden anderen Entscheidungen vorgezeichneten Muster ab: Das Bezirksamt hatte beim Amtsgericht Einspruch gegen die Satzungsänderung eines als eingetragener Verein geführten Diakonissenhauses eingelegt. Ziel dieser Intervention war es, die geplante stärkere Anbindung des Diakonissenhauses an die evangelisch-protestantische Kirche in Baden, insbesondere die Verwaltung des Rest309 VGH DV 1938, S. 572. Volkmann, Die Rechtsprechung staatlicher Gerichte in Kirchensachen

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1933 - 1945 (1978), S. 89. 311 VGH BadVerwZ 1938, S. 98 li. Sp. 312 Urteil v. 16.3. 1938, Az. 115/37, BadVerwZ 1938, S. 140 = RVerwBI. 1939, S. 645 = DV 1938, S. 765.

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vermögens durch die evangelisch-protestantische Kirche bei Auflösung des Vereins zu verhindern. Der Landesfiskus, wurde von seiten der Behörden geltend gemacht, dem in einem solchen Falle gern. § 45 Abs. 3 BGB eigentlich das Vermögen zufallen müsse, werde durch die neue Regelung quasi unter die Vormundschaft der Kirche gestellt. Die Zulässigkeit der gegen den Einspruch erhobenen verwaltungsgerichtlichen Klage wurde vom VGH wieder bejaht: Selbst wenn sich der Einspruch, wie der Ministerialbevollmächtigte erklärt habe, auf § 1 der VO zum Schutze von Volk und Staat stütze, so sei hierdurch doch nicht das in den §§ 61, 62 und 71 BGB geregelte Einspruchsverfahren aufgehoben; die VO vom 28.2.1933 habe nämlich nur "materielles öffentliches Vereinsrecht"313 geschaffen. Der Einspruch könne deshalb nach § 62 Abs.2 BGB i. V. m. den hierzu ergangenen landesrechtlichen Vorschriften 314 vor dem VGH angefochten werden. Die Klage wurde jedoch als unbegründet abgewiesen. Ausschlaggebend war hierfür erneut, daß sich die Behörde bei ihrem Vorgehen auf die besagte ReichstagsbrandVO berufen hatte. Hierbei, so der VGH, handele es sich entgegen der klägerischen Auffassung nicht lediglich um eine "Kommunistenverordnung", sondern: "Die VO soll den nationalsozialistischen Staat und die in ihm verkörperte Volksgemeinschaft gegen jede Gefährdung ihres Bestandes sichern, auch die Sicherung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gewährleisten, gleichgültig von welcher Seite die Gefährdung auch kommen mag." (!)315 Die inkriminierte Satzungsänderung sei nach Auskunft des Ministerialbevollmächtigten "aus politischen 'Erwägungen heraus grundsätzlich unerwünscht", da die vorgesehene vermehrte Einflußnahme der ev.-prot. Kirche auf die Verwaltung des Diakonissenvereins weder mit dem Selbstbestimmungsrecht "vereinsmäßig organisierter Volksgenossen", noch mit der "souveränen Stellung des Reiches" bzw. des ihm nachgeordneten Landes Baden vereinbar sei,316 An diese Erklärung "einer für die Einhaltung der politischen Richtlinien in der Staatsverwaltung im Lande Baden maßgeblichen Staatsstelle",317 nämlich des Innenministeriums, sei das Gericht, wie bereits in der Entscheidung vom 11.1. 1938 ausgeführt, gebunden: "Mit der Außerkraftsetzung des Art. 124 RV sind daher Einschränkungen des Vereins rechts jeder Art, darunter auch der Einspruch gegen Satzungsänderungen von Vereinen, dhne Beschränkung möglich, soweit sie den zuständigen Behörden mit 313 VGH BadVerwZ 1938, S. 142 re. Sp. 314 Art.3 bad. AGBGB i. d. F. v. 13. 10. 1925 (GVBl. S. 281) und § 4 Abs. 3 bad. Ausf.VO hierzu v. 26. 11. 1926 (GVBI. S. 289). 315 VGH BadVerwZ 1938, S. 143 re. Sp. 316 VGH aaO, S. 142 re. Sp. 317 VGH aaO, S. 145li. Sp.

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Rücksicht auf die erwähnten Belange des Staates und der Volksgemeinschaft erforderlich erscheinen. "318 Gerade 'die zuletzt dargestellte Rechtsprechung 'des VGH im Bereich der "politischen Polizei" macht deutlich, daß der Gerichtshof zwar einerseits streng positivistisch auf Wahrung seiner formellen Kompetenzen bedacht war, andererseits aber bei der materiellen Prüfung vorgeblich staatspolitischer bzw. staatspolizeilicher Akte vollkommen den Rückzug antrat. Auf die im Schrifttum und sogar bei einigen Gerichten verbreitete Auffassung, Klagen in diesen Anlegenheiten seien nach heute herrschender Rechtsauffassung bereits a limine als unzulässig abzuweisen, ging der VGH so lange nicht ein, als ihm nicht durch eindeutige gesetzliche Bestimmungen die Ausubung seiner Kontrolltätigkeit Igrundsätzlich verwehrt wurde. Er stellte statt dessen die Frage, ob überhaupt Anlaß für ein Tätigwerden aufgrund § 1 der VO vom 28.2.1933 vorliege und welche Maßnahmen im einzelnen getroffen werden sollten, d. h. sowohl die ("reine") Rechtsanwendung als auch die Ermessensausübung vollkommen zur Disposition der Verwaltungsbehörden - und gelangte hierdurch ebenfalls zur Verweigerung effektiven Rechtsschutzes!319 Die traditionell geringe Kontrolldichte bei Ermessensentscheidungen deckte dieses Vorgehen zwar, wurde aber zugleich zum Einfallstor nationalsozialistischer Ideologie: Nach williger übernahme der " erweiterten" , ja eigentlich, um mit Rüthers 320 zu sprechen, "unbegrenzten Auslegung" von § 1 der ReichstagsbrandVO vom 28.2. 1933,321 aus der schließlich nichts anderes als eine von allen Bin318 VGH aaO, S. 143 re. Sp. 319 Die Entscheidung im Fall des vom Elisabethenverein betriebenen Kin-

dergartens (vgI. o. S.90 f.), in der der VGH trotz Annahme einer Verfügung auf dem Gebiet der politischen Polizei mit Hilfe "einfachgesetzlicher" Vorschriften zur Abweisung der Klage kam, dürfte demgegenüber eher eine Ausnahme darstellen; vermutlich war diese Entscheidung in materiell-rechtlicher Hinsicht "präformiert" durch ein entspr. Urteil des VGH in ähnlicher Angelegenheit v. 23./24.11. 1937, Az.101/37, BadVerwZ 1938, S.39 = RVerwBI. 1938, S.648 (Verbot eines evang. Kindergartens), vgI. hierzu erneut Volkmann (0. Anm. 310), S. 89 f. 320 Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus (1968). 321 Zur grundsätzlichen Bedeutung der "Reichstagsbrandverordnung" v. 28.2.1933 für den Aufbau des Dritten Reiches vgl. erneut o. Anm. 271. - Die Nationalsozialisten desavouierten durch die von Schrifttum und Rechtsprechung weithin gebilligte exzessive Anwendung dieser VO zugleich ihr ständiges Bemühen, Justiz und Verwaltung mit Hilfe von Vorsprüchen, Präambeln oder Einleitungsworten verbindlich auf die Zwecke der von ihnen geschaffenen Vorschriften festzulegen, vgI. hierzu etwa Dietze, Vom Wesen der Gesetzesvorsprüche, DR 1939, S. 1550 sowie Rüthers (0. Anm. 320), S. 185 ff. Bezüglich der VO des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat gab es allerdings auch entgegenstehende Beispiele in der Rechtsprechung: So äußerte der 1. Strafsenat des Reichsgerichts in bewußter Abweichung von einer Entscheidung des 6. Senats "offenbare Bedenken ... gegen eine solche,

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dungen befreite polizeiliche Generalklausel wurde,322 zog man sich hinter die von den Behörden angestellten "staatspolitischen" Erwägungen zurück, "da die Grenzen des Ermessens auf politischem Gebiet so weit als irgend möglich gesteckt werden müssen".323 So blieb die verwaltungsgerichtliche Kontrolle in all diesen Fällen eine leere Hülle. Das Gericht hatte zwar Flagge gezeigt - war aber letztlich doch im Sog der Entgrenzung polizeilicher Befugnisse untergegangen. Immerhin war den staatlichen Sicherheitsbehörden selbst diese geringe "Insubordination" Anlaß genug, die "formalgesetzliche Auffassung" des Bad. VGH in der Frage der Anfechtbarkeit staatspolizeilicher Verfügungen als besonders "drastisch" und rückständig zu bran'dmarken. 324 Es müsse davon ausgegangen werden, hieß es in dem bereits erwähnten Gutachten des Chefs der Sicherheitspolizei vom Frühjahr 1940,325 daß "diejenigen gesetzlichen Regelungen, durch die das Verwaltungsstreitverfahren gegen staatspolizeiliche Maßnahmen in einzelnen Reichsteilen für unzulässig erklärt wurde, nicht als Einzelerscheinungen und systemwidrige Ausnahmen angesehen werden (dürfen), die das gegenteilige Prinzip in anderen Reichsteilen unberührt gelassen haben, sondern als Ausdruck eines neuen Prinzips, das auch ohne reichsgesetzliche Einführung reichseinheitliche Geltung beansprucht anscheinend völlig schrankenlose Ausdehnung" der im Vorspruch zur VO enthaltenen Zweckbestimmung, als es um die Gültigkeit des vom bad. Innenministers erlassenen Verbots der "Internationalen Vereinigung ernster Bibelforscher" ging. Die Revision der Angeklagten gegen ihre Verurteilung aufgrund § 4 Abs.1 der VO v. 28.2.1933 wurde dennoch verworfen, da das Schrifttum der Vereinigung nach Auffassung des Senats tatsächlichen Anlaß zu der Beurteilung gab, "daß damit - sei es auch nicht bewußt - staatsgefährdenden kommunistischen Gewaltakten die Wege bereitet würden ... " (!), RG Urteil v. 24. 9. 1935, Az. 1 D 235/35, RGSt 69, S. 341 (S. 342 f.). - Auch das Reichsverwaltungsgericht sprach sich dafür aus, die Anwendung der VO v. 28. 2. 1933 wieder auf die Kommunistenabwehr "im weitesten Sinne" zu beschränken, interessanterweise, wie der Bad. VGH im Diakonissenhaus-Fall (0. S. 91 f.), anläßlich des Einspruchs gegen die Eintragung eines Vereins gern. § 61 BGB; diese Rückbesinnung auf den eigentlichen Zweck der VO blieb im konkreten Fall allerdings reichlich akademisch, da das Gericht die dem Schutz der Vereinigungsfreiheit dienenden Normen, also insbesondere Art. 124 WRV, als mit dem "umfassenden Führungsanspruch" des nationalsozialistischen Staates unvereinbar und deshalb als seit dem "Umbruch" ohne weiteres außer Kraft getreten ansah, RVG E. v. 3. 9. 1942, Az. IH. C. 1.42., DV 1943, S.238. 322 So besonders deutlich im Diakonissenhaus-Fall, s. o. S. 92 mit Anm. 3,15. 323 VGH BadVerwZ 1938, S. 145 li. Sp. 324 Gutachten des Chefs der Sicherheitspolizei usw. (0. Anm. 297), S. 26 f., S.29. 325 Wie dem Vorspruch zu entnehmen ist, war dieses Gutachten dem VGH in Wien auf seine Bitte hin erstattet worden; da, so hieß es weiter wörtlich, "der Inhalt des Gutachtens auch außerhalb der Ostmark grundsätzliche Bedeutung hat, soweit diese Frage nicht landesrechtlich eindeutig entschieden ist", erhielten alle Länderregierungen je eine Kopie hiervon.

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und entgegenstehende vornationalsozialistische Regelungen abgeändert hat".32~

Präsident Kohlmeier, dem ein Abdruck dieses Gutachtens vom bad. Innenministerium zur Kenntnisnahme übersandt wurde, hielt in einer kurzen Stellungnahme dafür, daß "die badische Gesetzgebung nach der Machtergreifung durch die NSDAP ... für das hier in Frage kommende Gebiet in dem Gutachten wohl nicht vollständig gewürdigt"321 worden sei. Immerhin habe § 11 des Landeskriminalpolizeigesetzes vom 22. 8. 1933 - aufgrund dessen auch die VO über das Geheime Staatspolizeiamt vom 26.8.1933 erging - ausdrücklich die Anfechtbarkeit von Verfügungen des Landeskriminalpolizeiamtes in entsprechender Anwendung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 VwRpflG statuiert. "Wie angesichts dieser nach der Machtergreifung getroffenen gesetzlichen Regelung die verwaltungsgerichtliche Klage, mit der eine polizeiliche Verfügung auf politischem Gebiet angefochten war, als unzulässig hätte bezeichnet werden können, ist nicht erfindlich", fuhr Kohlmeier sichtlich aufgebracht fort. 328 Selbst der Ausschluß der verwaltungsgerichtlichen Klage gegen Gestapo-Verfügungen aufgrund der VO vom 25.10. 1937 habe an der weiterhin möglichen Anfechtbarkeit von Verfügungen der ordentlichen Polizeibehörden auf dem Gebiete der politischen Polizei nichts geändert. Davon müsse auch der neue bad. Gesetzgeber ausgegangen sein, denn sonst hätte es in der neuerlichen VO vom 10.2.1938, mit der schließlich ganz allgemein die verwaltungsgerichtliche Klage gegen Maßnahmen der politischen Polizei ausgeschlossen worden sei, keiner übergangsvorschrift für anhängige Verfahren bedurft. 329 Mit dieser Argumentation gab Präsident Kohlmeier den gegen die Rechtsprechung des VGH gerichteten Vorwurf an den (nationalsozialistischen) bad. Gesetz- und Verordnungsgeber weiter, den er "lediglich" beim Wort genommen hatte! Trotz allem handelte es sich bei dieser Kontroverse nur noch um ein theoretisches Nachgeplänkel, weil seit Beginn des Krieges nicht nur die erstinstanzliche Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgehoben, sondern vor allem die verwaltungsgerichtliche Anfechtung behördlicher Maßnahmen generell nur noch in Ausnahmefällen möglich war. 330 326 Gutachten usw. (0. Anm. 297), S.30. 321 Schreiben des Präsidenten des Bad. VGH an den MdI v. 25.4.1940, S. 1, GLA 239/11363. 328 aaO, S.2. 329 Nach Auskunft von Präsident i. R. Schnarrenberger (mündliche Auskunft v. 1. 2. 1980), der nach eigenem Bekunden seinerzeit im Innenministerium maßgeblich an dem Zustandekommen der VO v. 10. 2. 1938 (GVBl. S. 7) beteiligt war, sollten hierdurch vor allem gerade die ideologisch ohnehin nicht lupenreinen Richter des VGH, quasi als Akt der Fürsorge, aus der politischen Schußlinie genommen werden - eine durchaus aufschlußreiche Deutung des Vorgangs!

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2. Kap.: Die Zeit des "Interregnums" beim Bad. VGH 1936 - 1939

Die sonstige Rechtsprechung des VGH aus den Jahren 1936 -1939 "in eigener Angelegenheit" nötigt, soweit überliefert, weder in sachlicher noch in rechtlicher Hinsicht zu eingehender Darstellung. Festzuhalten ist jedoch, daß der VGH in den übrigen Fällen die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges auch bzw. gerade auf einem von den Nationalsozialisten neu geregelten Gebiet durchweg tbejahte. 331 In der geschilderten Zeit allgemeinen Niedergangs der Verwaltungsrechtspflege wuchs dem Bad. VGH im Jahre 1937, jedenfalls mittelbar, eine neue Kompetenz zu, die für die darauf folgenden Jahre bis Ende des Weltkriegs zum Rückgrat des Gerichtsbetriebs werden sollte: Durch Erlaß des Reichs- und Preuß. Ministers des Innern vom 19.4.1937 wurde nämlich, "in büromäßiger Angliederung an den badischen Verwaltungsgerichtshof", die Errichtung einer Reichsdienststrafkammer in Karlsruhe angeordnet. 332 Rechtsgrundlage des Erlasses war § 32 der Reichsdienststrafordnung vom 26. 1. 1937 (RDStO)333, wonach die nach der RDStO erforderlichen Dienststrafkammern, deren Sitz und Bezirk der Reichsinnenminister zu bestimmen hatte, "bei Verwaltungsgerichten" gebildet werden sollten. Zwei Monate später wurde der Erlaß vom 19.4. 1937 durch Nr. 19 der Anlage zur 1. DVO zur RDStO vom 29. 6. 1937 334 gesetzlich festgeschrieben: Für das Land Baden wurde die Dienststrafkammer Karlsruhe bei dem Verwaltungsgerichtshof ein330 s. unten S. 56 ff. 331 Vgl. etwa Urteil v. 9.5. 1934, Az. 222/33, BadVerwZ 1934, S. 114 = Zuständigkeit des VGH zur Entscheidung über Widerruf einer Privatschulgenehmigung aufgrund § 140 Abs. 2 SchulG i. d. F. v. 7. 7. 1910 (GVBl. S. 385) i. V. m. § 56 G. über die Grund- und Hauptschulen v. 29.1.1934 (GVBI. S.25); Urteil v. 7.5. 1935, Az. 199/34 (BadVerwZ 1935, S. 137), Urteil v. 9.11. 1937, Az. 110/37 (BadVerwZ 1938, S.4), Urteil v. 12.4. 1938, Az. 18/38 (BadVerwZ 1938, S. 174) = Zuständigkeit des VGH (in 2. Instanz) zur Entscheidung über die aufgrund des Kleinrentnerhilfegesetzes v. 5.7.1934 (RGBl. I S.580) bzw. aufgrund des G. über die Befreiung von der Pflicht zum Ersatz von Fürsorgekosten - Befreiungsgesetz - v. 22. 12. 1936 (RGBl. I S. 1125) begehrte Freigabe von Sicherheiten für Fürsorgeleistungen; Urteil v. 8.11. 1938, Az. 89/38 (BadVerwZ 1939, S.26) und Urteil v. 20. 6. 1939, Az. 88/38 = Zuständigkeit des VGH über die Zurücknahme der Apothekerbestallung vor und nach Erlaß der Bestallungsordnung für Apotheker v. 8.10.1937 (RGBl. I S.1118); vgl. schließlich die infolge der bad. Verwaltungsreform von 1936 (s. o. S.76) notwendig gewordenen Entscheidungen des VGH zur Abgrenzung der Kompetenzen der einerseits bei den Bezirksämtern und andererseits bei den Polizeipräsidien (-direktionen) gebildeten Bezirksräten: Urteil v. 13.4. 1937, Az. 7/37 (BadVerwZ 1937, S.68), Urteil v. 13.4.1937, Az.11/37 (BadVerwZ 1937, S. 145) und Urteil v. 7.2. 1939, Az. 118/38 (BadVerwZ 1939, S. 91). 332 Erl. v. 19.4.1937, Az. II SB 6640/1768, GLA 233/24115. 333 RGBI. I S. 71; vgl. aus der hierzu erwachsenen Literatur etwa Brand, Die Reichsdienststrafordnung (1937 u. ö.); Reuss, Grundfragen und Grundzüge des neuen Dienststrafrechts, VerwArch 42 (1937), S. 369 ff. sowie Emmelmann, Das neue Dienststrafrecht der Beamten, BadVerwZ 1939, S. 17 ff., S. 33 ff. und S. 49 ff. 334 RGBl. I S. 690 (S.696).

Die Errichtung der Dienststrafkammer beim VGH

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gerichtet. In der Aufbauphase wurde zunächst Amtsgerichtsdirektor O. Deitigsmann /Freiburg zum stellvertretenden Vorsitzenden der Dienststrafkammer ernannt und sogleich mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Vorsitzenden betraut.335 Es ist den überlieferten Akten allerdings nicht zu entnehmen, ob Deitigsmann in diesem Rahmen überhaupt tätig geworden ist. Jedenfalls wurden VGH-Präsident Kohlmeier am 27.9.1937 zum Vorsitzenden,soo OVG-Rat Häussner kurze Zeit später zum stellvertretenden Vorsitzenden337 und der bisherige Landrat in Säckingen, Karl Vierling, zum Oberregierungsrat als hauptamtlicher rechtskundiger Beisitzer bei der DSK Karlsruhe338 ernannt.S39 Am 6. 10. 1937 meldete Kohlmeier dem bad. Finanz- und Wirtschaftsministerium die Arbeitsaufnahme der Dienststrafkammer.34o 335

Er!. des Reichs- und Preuß. Mdl v. 14.7.1937, Az.II SB 6640 Karlsr.l

300

Er!. des Reichs- und Preuß. Mdl v. 27.9.1937, Az.II SB 6640 Karlsr.l

337

Erl. des Reichs- und Preuß. Mdl v. 14.10.1937, Az.1I SB 6640 Karlsr.l

2252, GLA 239/11332.

4773, GLA 233/24115.

378011), GLA 233/24115.

338 Erl. des "Führers und Reichskanzlers" v. 25.10.1937, GLA 233/24115; Vierling stammte aus Friedrichsfeld (Amt Schwetzingen). wo er am 13. 10. 1889 geboren wurde. Nach kriegsbedingter Verlängerung der Rechtspraktikantenzeit absolvierte er 1919 das Zweite Juristische Staatsexamen, um an-

schließend in den höheren Dienst der bad. Innenverwaltung einzutreten. Diese Tätigkeit führte ihn zunächst als Amtmann, später als Landrat in die verschiedensten Amtsbezirke, zuletzt (1936) nach Säckingen. Seiner Ernennung zum hauptamtlichen rechtskundigen Beisitzer bei der DSK Karlsruhe bzw. zum Oberregierungsrat Ende 19·37 ging ein halbes Jahr vorher der Eintritt in die NSDAP voraus, in deren Nebenorganisationen (RDB, NSRB, NSV) V. schon seit 1933 aktiv gewesen war. - V.s Tätigkeit bei der DSK wurde ziemlich bald aus gesundheitlichen Gründen wesentlich eingeschränkt; Präsident KohZmeier versuchte deshalb Ende 1938 über das bad. Innenministerium die Bestellung von OVG-Rat DittZer zum "rechtskundigen Beisitzer der Dienststrafkammer im Nebenamt" zu erreichen. Das Reichsinnenministerium wies diesen Antrag jedoch unter Hinweis auf D.s politische Unzuverlässigkeit - er war von 1920 - 1930 Mitglied der DDP gewesen - ab, vgl. die entspr. Vorgänge in GLA 233/24115. Zur vita Vierlings vgl. i. e. seine Personalakte GLA 239/11214. 339 Aus dem Kreise der Beamten mit dienstlichem Wohnsitz im Bezirk der DSK Karlsruhe, d. h. in Baden, wurde ferner eine Reihe ehrenamtlicher Beisitzer vom Reichsinnenministerium bestellt. Die DSK entschied in der Besetzung mit 3 Mitgliedern, und zwar mit dem Vorsitzenden oder seinem Stellvertreter, dem (hauptamtlichen) rechtskundigen Beisitzer und dem "anderen Beisitzer". Einer der Beisitzer sollte der Laufbahn und möglichst dem Verwaltungszweig des Beschuldigten angehören, vgl. hierzu insgesamt §§ 35 - 37 RDStO. Als Berichterstatter war in erster Linie der hauptamtliche Beisitzer heranzuziehen, DurchführungsVO zur RDStO v. 29. 6. 1937 (RGBl. I S. 690), Nr. 3 zu den §§ 32 - 40. Nach Aussage von Dr. EmmeZmann, der bis Beginn des Krieges als Vertreter der Einleitungsbehörde bei der DSK Karlsruhe auftrat, sind die Urteile der DSK dann auch im wesentlichen von ihm und Oberregierungsrat Vierling "vorentschieden" worden; die ehrenamtlichen Beisitzer hätten wenig Einfluß auf die Urteilsgestaltung gehabt (mündliche Auskunft v. 31. 7. 1979). 340 s. GLA 237/37125. 7 KirchJberg

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2. Kap.: Die Zeit des "Interregnwns" beim Bad. VGH 1936 - 1939

Hierdurch waren nunmehr auch in Baden die institutionellen Voraussetzungen dafür geschaffen, die Einhaltung bzw. Verletzung der allen deutschen Beamten durch das Deutsche Beamtengesetz von 1937 341 auferlegten, gegenüber dem bisherigen Rechtszustand mit Blick auf die nationalsozialistische Staats- und Rechtsauffassung erweiterten Pflichten342 in einem reichseinheitlichen Verfahren343 zu überwachen bzw. zu ahnden. Die neu errichtete Dienststrafkammer Karlsruhe vereinigte somit nach "Verreichlichung" des Beamtenrechts die Kompetenzen der bis dahin bestehenden Dienststrafkammer und des Dienststrafhofs für nichtrichterliche bad. Staatsbeamte,344 des Bad. VerwaltungsgerichtShofs als Disziplinarhof für Gemeinde- und Körperschaftsbeamte345 und der Disziplinarkammer Karlsruhe für Reichsbeamte mit dienstlichem Wohnsitz in Baden. 346 341 DBG v. 26.1.1937 (RGBl. I S.39); seit Inkrafttreten des DBG standen alle deutschen Beamten in einem Dienstverhältnis zum Reich, sei es unmittelbar oder mittelbar, vgl. 2 DBG. 342 Bereits die Präambel des DBG wies die neue Richtung: "Ein im deutschen Volk wurzelndes, von nationalsozialistischer Weltanschauung durchdrungenes Berufsbeamtenturn, das dem Führer des deutschen Reichs und Volkes, Adolf Hitler, in Treue verbunden ist, bildet einen Grundpfeiler des nationalsozialistischen Staates." - In den nachfolgenden Bestimmungen folgte sodann in bewußter Abweichung vom bisherigen Aufbau der Beamtengesetze zunächst eine Aufzählung der dem Beamten obliegenden Pflichten und der Folgen bei Nichterfüllung; erst daran schlossen sich Vorschriften über die Begründung des Beamtenverhältnisses usw. an. § 3 Abs. 2 DBG enthielt hinsichtlich der Staatsverbundenheit des Beamten jene bis in die heutige Zeit rudimentär erhalten gebliebene Formulierung: "Der Beamte hat jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten und sich in seinem gesamten Verhalten von der Tatsache leiten zu lassen, daß die nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei in unlöslicher Verbundenheit mit dem Volk die Trägerin des deutschen Staatsgedankens ist ... ", vgl. hierzu ferner die amtliche Begründung zum DBG v. 26.1.1937, Allgemeiner Teil, abgedruckt bei Brand, Das deutsche Beamtengesetz, 1. Aufl. (1937), S. 687 ff.; Erler, Die Bedeutung der Parteidisziplin für die dienstliche Tätigkeit des Beamten, RVerwBl. 1938, S. 241 ff.; die widerstreitenden Interessen bei der Entstehung des DBG veranschaulicht besonders eindrucksvoll erneut Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich (1966), S. 91 ff. 343 Eine weitere Vereinheitlichung des Dienststrafrechts erfolgte durch die Rechtsprechungstätigkeit des Reichsdienststrafhofs, der in 2. und letzter Instanz über Berufungen gegen die Erkenntnisse der (zunächst) 25 im Reichsgebiet eingerichteten Dienststrafkammern entschied, vgl. §§ 41 und 67 - 75 RDStO. 344 § 85 des bad. Beamtengesetzes in der Bekanntmachungsfassung v. 31. 3. 1931 (GVBl. S. 93) i. V. m. der VollzugsVO v. 28. 3. 1931, Dienststrafgerichte betr., (GVBl. S. 73): Hiernach waren bei den Landgerichten Konstanz, Freiburg, Karlsruhe und Mannheim je eine Dienststrafkammer und beim Oberlandesgericht Karlsruhe der Dienststrafhof für nichtrichterliche Beamte gebildet worden; zu Organisation und Kompetenzen der Dienststrafgerichte für bad. Staatsbeamte bis 1931 s. §§ 88 ff. des Beamtengesetzes v. 24.7.1888 (GVBl. S.399), mit zahlreichen nachfolgenden Änderungen abgedruckt bei Merk, Handbuch der badischen Verwaltung, 2. Aufl., 1. Bd. (1930), Nr.32 (S. 191 ff.). 345 §§ 74 Abs.5, 75 Abs.3 bad. GemO v. 5.10.1921 (GVBl. 1922, S. 183); § 6

Die Errichtung der Dienststrafkammer beim VGH

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über die Tätigkeit der unter dem Vorsitz von VGH-Präsident Kohlmeier tagenden Dienststrafkammer ist relativ wenig überliefert. 347 Immerhin ergibt sich aus den Akten, daß im Jahre 1938, dem ersten

ordentlichen "Geschäftsjahr" nach Bildung der DSK, insgesamt 46 Dienststrafsachen anhängig gemacht und weitere 10 übernommen wUl'den. 348 Anzahl und Aktenzeichen der überlieferten Entscheidungen lassen ferner den Schluß zu, daß der Geschäftsumfang der DSK bald den des Verwaltungsgerichtshofs als allgemeines Verwaltungsgericht erheblich überstieg. 349 Angesichts dieser Entwicklung wurde die Präsidentschaft Kohlmeiers de facto zur Ne'bentätigkeit seiner Funktion als Vorsitzender der DSK Karlsruhe. Dies mag auch der Grund dafür sein, warum Kohlmeier 1943 bei Erreichen der Ruhestandsgrenze nicht pensioniert, sondern aufgrund einer kriegsbedingten BeamtenrechtsVQ350 weiter im Dienst behalten wurde,351 obwohl zu diesem Zeitpunkt die Abs.5 SparkassenG i. d. F. v. 28.6.1923 (GVBl. S. 201); § 48 VersicherungsG für Gemeinde- und Körperschaftsbeamte v. 7.5.1929 (GVBl. S. 73), die beiden zuletzt genannten G. jeweils i. V. m. den o. a. Bestimmungen der bad. GemO, die auch nach Einführung der Deutschen GemO zunächst im wesentlichen aufrecht erhalten blieben, s. Art. IV der bad. ÜberleitungsVO zur DGO v. 3.4. 1935, GVBl. S. 103. Vgl. zum Ganzen ferner erneut Flamm, Das Dienststrafrecht der Beamten und der Mitglieder der Organe der gemeindlichen Selbstverwaltungskörper in Baden (1932). 346 §§ 87 ff. ReichsbeamtenG in der Bekanntmachungsfassung v. 18.5.1907, RGBl. I S.245; Vizepräsident Kohlmeier hatte, seinerzeit noch als OVG-Rat, in diesem Spruchkörper bereits praktische Erfahrungen im Umgang mit Reichsdisziplinarrecht sammeln können, da er 1926 aufgrund § 93 RBG i. d. F. v. 21. 7. 1922 (RGBl. I S. 590) zum Mitglied der Reichsdisziplinarkammer Karlsruhe ernannt worden war, s. die entspr. Vorgänge in GLA 239/11202. 347 Die überlieferten Aktenbestände der DSK Karlsruhe bilden keine eigene Abteilung beim Generallandesarchiv, sondern finden sich verstreut vor allem in Abt. 239 (Verwaltungsgerichtshof), 237 (Finanz- und Wirtschaftsministerium) und 233 (Staatsministerium). Ein Rechtsstreitverzeichnis ist, soweit ersichtlich, nicht erhalten. Beim Disziplinarhof Baden-Württemberg fand sich schließlich ein Aktenbündel mit überzähligen Abdrucken von Urteilen der DSK Karlsruhe aus der Zeit von 1942 - 1944; ohne diese Sammlung wären fast überhaupt keine Aussagen über die Rechtsprechungstätigkeit der DSK (s. u. S. 148 ff.) zu machen gewesen, zumal, da auch die Wiedergabe der (bad.) erstinstanzlichen Urteile in den veröffentlichten Entscheidungen des Reichsdienststrafhofs in aller Regel sehr verkürzt und unvollständig war. 348 s. GLA 239/11332. 349 Aus dem Jahre 1942 sind 12, von 1943 sogar 19 Urteile überliefert; die Aktenzeichen der 43iger Entscheidungen weisen darauf hin, daß 1942 mindestens 25 Verfahren anhängig gemacht wurden, Der Bad. VGH erledigte im gleichen Zeitraum als allgemeines Verwaltungsgericht 5 bzw. 4 Fälle durch Urteil, s. übersicht über die Geschäftstätigkeit des Bad. VGH in den Jahren 1942 und 1943, GLA 239/11365. 350 s. § 3 Abs. 1 Satz 1 der 2. VO über Maßnahmen auf dem Gebiet des Beamtenrechts i. d. F. v. 9. 10. 1942, RGBl. I S. 580. 351 s. den entsprechenden Vorgang in GLA 239/11202; die Amtszeit der Mitglieder der DSK Karlsruhe war im übrigen zunächst bis zum 30. 6. 1940 befristet worden, wurde dann aber durch § 9 der VO über Vereinfachungen 7"

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2. Kap.: Die Zeit des "Interregnums" beim Bad. VGH 1936 - 1939

allgemeine Verwaltungsrechtspflege praktisch zum Erliegen gekommenwar. Ebenfalls im Jahre 1943 wurde die Zuständigkeit der DSK Karlsruhe schließlich noch auf Beamte mit dienstlichem Wohnsitz im Elsaß erstreckt. 352 Die letzte überlieferte Entscheidung der DSK datiert vom 19. 5. 1944.353

auf dem Gebiet des Dienststrafrechts v. 17.5.1940 (RGBl. I S.781) bis zum 30. 6. 1941, durch § 14 Abs. 1 der 1. DVO zum Erlaß über die Errichtung des RVG v. 29.4. 1941 (RGBl. I S.224) bis 31. 3. 1942 und durch § 3 der 2. VereinfachungsVO v. 11. 12. 1942 (RGBl. I S. 683) bis zum 31. 3. 1943 und anschließend widerruflich auf unbestimmte Zeit verlängert. 362 § 3 Abs. 4 der BeamtenrechtsVO v. 15.5. 1943, VOE 1943, S.95. 353 Az. 6/44, SlgDH 11.

3. Kapitel

Der Krieg und die "Vereinfachung" der Verwaltung Die weitere Entwicklung der allgemeinen Verwaltungsrechtspflege, insbesondere unter dem Eindruck des Kriegsausbruchs, begann sich bereits Anfang 1939 abzuzeichnen. In einem vertraulichen Erlaß des Reichsministers des Innern von Ende Januar 1939354 wurden die Landesregierungen aufgefordert, angesichts des "krisenhaften MenschenmangeIs wie auch der Finanzlage des Reiches" umgehend die Möglichkeit zu Einsparungen auf dem Gebiete der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu untersuchen: "Ich denke dabei vor allem an eine Verminderung der Gerichtsbesetzung und stärkere Beschneidung der Rechtsmittel", hieß es in dem Erlaß wörtlich weiter. 355 Vizepräsident Kohlmeier, zur Stellungnahme aufgefordert, hielt zwar unter Hinweis auf die Verkleinerung der Richterbank durch die 3. bad. HaushaltsnotVO,316 die Miterledigung der Aufgaben der Dienststrafkammer Karsruhe367 sowie die Beschränkung der Rechtsmittel aufgrund des neu gefaßten § 4 Abs. 5 VwRpflG358 Einsparungen im Bereich des Bad. VGH weder für sinnvoll noch für erforderlich; hinsichtlich der Bezirksräte jedoch erschien es ihm erwägenswert, ihre Zuständigkeit als Verwaltungsgerichte grundsätzlich zu beseitigen und das Verwaltungsstreitverfahren (vor dem VGH) in diesen Fällen von einer Zulassung durch die Behörden abhängig zu machen. Darüber hinaus plädierte Kohlmeier für 354 Erl. Nr. II SB 228/39 7150 v. 20. 1. 1939, GLA 239/11362. Interessanterweise wurde der Erl. zusätzlich mit Hinweis auf entspr. Direktiven des "Beauftragten für den Vierjahresplan" begründet. Dieser scheint also, wie die weiteren Ereignisse zeigen werden, über den Bereich von Rüstung und Wirtschaft hinaus auch zum Motor der Kriegsvorbereitung im Bereich der allgemeinen Verwaltung geworden zu sein. Zu den ungeklärten Befugnissen dieses zweiten Gesetzgebers, den Hitler neben sich stellte, s. Kirschenmann, "Gesetz" im Staatsrecht und in der Staatsrechtslehre des NS (1970), S. 113. 316 Wie bereits erwähnt (0. S. 34), entschied der VGH seit 1932 grundsätzlich nicht mehr wie bisher in "Versammlungen von 5 Mitgliedern", sondern grundsätzlich nur noch mit 3 Richtern einschl. des Präsidenten, Art. 5 Nr. 2 der 3. bad. HaushaltsVO v. 25.8. 1932, GVBl. S. 193. 357 Vgl. O. S. 96 ff. 358 Durch die mehrfach erwähnte VO zur Änderung des G., die Verwaltungsrechtspflege betr., v. 10.2.1938, GVBl. S. 7; vgl. hierzu o. S.90 m. Anm. 307. 355

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3. Kap.: Der Krieg u. die "Vereinfachung" d. Verwaltung

eine Beschränkung der Instanzenzüge in fürsorgerechtlichen Streitigkeiten. 369 So sehr die Einsparungsvorschläge Kohlmeiers vom bisherigen System des Verwaltungsrechtsschutzes in Baden abgewichen sein mögen, sie blieben noch weiter hinter dem Zustand zurück, der schließlich Wirklichkeit werden sollte: Denn der Ausbruch des Krieges am 1. 9.1939 bedeutete für die allgemeine Verwaltungsrechtspflege de facto den Todesstoß! Bereits am 28.8.1939 erging der von Reuss so apostrophierte "Mobilmachungsbefehl an die Verwaltung",360 d. h. der "Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung",361 dessen Ziff.IV362 das Verwaltungsstreitverfahren insgesamt wesentlichen Restriktionen unterwarf: Nach Abs.2 dieser Bestimmung trat an die Stelle der verwaltungsgerichtlichen Anfechtung einer behördlichen Verfügung ab sofort das verwaltungsinterne (Aufsichts-)Beschwerdeverfahren; nur bei grundsätzlicher Bedeutung oder bei besonderen Umständen des Einzelfalles konnte die Beschwerdebehöl'de die Anfechtung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zulassen. Entsprechendes galt nach Abs. 3 der Bestimmung für die Einlegung von Rechtsmitteln gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen. 363 359 Schreiben des Vizepräsidenten Kohlmeier an den MdI v. 31. 1. 1939, GLA 239/11362. 360 Reuss, Der Krieg und die Verwaltungsgerichtsbarkeit, ZAkDR 1940, S.I1. 361 RGBl. I S.1535; die "Erlaß"-Form der genannten Vorschriften sollte wohl zusätzlich ihren Charakter als Akt der militärischen Organisationsund Kommandogewalt unterstreichen, vgl. Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches (1939), S. 252/53. Das konnte, mußte aber nicht so sein; grundlegend zur "geplanten Strukturlosigkeit" im Bereich der NS-Gesetzgebung s. erneut Kirschenmann, "Gesetz" im Staatsrecht und in der Staatsrechtslehre des NS (1970), insbesondere S. 96 ff., S. 121 ff. 362 Die übrigen Ziffern des Vereinfachungserlasses enthielten neben Appellen zur straffen, unbürokratischen und an den Erfordernissen der Reichsverteidigung ausgerichteten Verwaltungstätigkeit auf Dezentralisierung gerichtete Anweisungen zur Beschleunigung der Zusammenarbeit gleichgeordneter und nachgeordneter Behörden, vgl. die ins einzelne gehende Darstellung von Fauser, Vereinfachung der Verwaltung, RVerwBl. 1939, S. 777 ff. und Ehrensberger, Die Vereinfachung der Verwaltung nach dem Führererlaß v. 28. August 1939, DV 1939, S. 533 ff. 363 Für die sog. Parteistreitigkeiten, bei denen nicht um die Gültigkeit von Verwaltungsakten, sondern um Rechtsstellungen und Leistungen zwischen zumeist Gleichberechtigten gestritten wurde, galt zunächst lediglich die Beschränkung des Instanzenzuges nach Ziff. IV, Abs.3 des Erlasses; solche Parteistreitigkeiten stellten in Baden vor allem die Verfahren über die Verteilung der Fürsorgelasten zwischen den verschiedenen Fürsorgeverbänden dar. Sie waren allerdings bereits erheblich durch das bad. AusführungsG zur ReichsVO über die Fürsorgepflicht v. 24. 6. 1939 (GVBl. S. 99) reduziert worden; die VO des Ministerrats für die Reichsverteidigung zur Vereinfachung des Fürsorgerechts v. 7. 10. 1939 (RGBl. I S.2002) setzte in diesem Bereich schließlich alle verwaltungsgerichtlichen Institutionen und Verfahrensweisen außer Kraft, s. o. Anm. 256 sowie Ruppert, Vereinfachung des Fürsorgerechts,

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Die 2. va über die Vereinfachung der Verwaltung vom 6.11. 1939364 ordnete in Art. I § 1 die Aufhebung der den preuß. Stadt- und Kreisverwaltungsgerichten entsprechenden Verwaltungsgerichte der außerpreußischen Länder an; dies bedeutete für Baden das Ende der verwaltungsgerichtlichen Funktion der Bezirksräte. An ihrer Stelle sollten nunmehr grundsätzlich die Behörden selbst entscheiden. Im übrigen enthielt diese va verschiedene, den Vereinfachungserlaß vom 28.8. 1939 kommentierende, modifizierende und ergänzende Bestimmungen, auf die, soweit notwendig, im weiteren Verlauf der Darstellung noch eingegangen wird. 365 Auch jetzt noch fanden sich gutmeinende Interpreten, die diese Maßnahmen lediglich als "Kriegsverwaltungsrecht"366 oder, in Wiederaufnahme des von Drews 367 für die Verhältnisse des 1. Weltkrieges geprägten Begriffs, als "Verwaltungsstandrecht" einstuften. 368 Bei rückRVerwBl. 1939, S. 874 ff. und Muthesius, Vereinfachung des Fürsorgerechtes, DV 1939, S. 581 f. 364 RGBl. I S.2168; Ziff. VI des Er!. v. 28.8.1939 hatte die "Bevollmächtigten für die Reichsverwaltung und für die Wirtschaft" (d. h. Reichsinnenminister Frick und Reichswirtschaftsminister Funk) ermächtigt, weitere Vereinfachungsbestimmungen zu erlassen. Die erste VereinfachungsVO datierte vom 20. 10. 1939 (RGBl. I S. 2056) und befaßte sich in einem einzigen Satz lediglich mit der Erstreckung der Hebesätze für die gemeindliche Bürgersteuer von 1939 auf das Jahr 1940. 365 Zu den "Vereinfachungen" in den verschiedenen Zweigen der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit s. Poppitz, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kriege, in: Huber (Hrsg.), Idee und Ordnung des Reiches, Bd. I (1941), S. 25 ff. Die kriegsbedingten Vereinfachungen des Gerichtswesens blieben natürlich nicht auf die Verwaltungsrechtspflege beschränkt, zu der Unzahl von "Schubladengesetzen", die unmittelbar zu Kriegsbeginn verkündet wurden, gehörten u. a. auch die VO über Maßnahmen auf dem Gebiete des bürgerlichen Streitverfahrens, der Zwangsvollstreckung, des Konkurses und des Bürgerlichen Rechts (RGBl. I S. 1656) sowie die VO über Maßnahmen auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege (RGBl. I S. 1658), beide v. 1. 9. 1939, die tiefgreifende Veränderungen in Organisation und Verfahren der ordentlichen Rechtspflege mit dem Ziel der Beschneidung des Rechtsschutzes und der Disziplinierung der Richter einleiteten. 366 So Best, Der Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28. August 1939, DR 1939, S. 1835 (S. 1836): "Der Erlaß ist auf die aktuellen Kriegsnotwendigkeiten abgestellt; er ist KriegsVerwaltungsrecht und wird in der vorliegenden Form nicht für immer in Geltung bleiben ... " 367 Drews, Vom Ausbau der preußischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, ZStW 78 (1924), S.586 (S.592). 368 So Reuss (0. Anm.360), aaO sowie Idem, Die Verwaltungsrechtspflege im Krieg, VerwArch 45 (1940), S. 154 (S. 155): "Es ist die Kriegssituation, die den Erlaß veranlaßt und ihm das Gepräge gegeben hat. Das ist insbesondere auch bei der Beurteilung der im Erlaß vorgenommenen kriegsrechtlichen Neuordnung der Verwaltungsrechtspflege zu beachten." Allerdings konzedierte auch Reuss in Anlehnung an Ehrensberger und Fauser (beide o. Anm. 362), daß diese kriegsbedingten Maßnahmen nicht ohne Einfluß auf eine grundlegende Neuordnung von Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege nach dem Kriege bleiben dürften.

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blickender Betrachtungsweise wird man jedoch sagen müssen, daß die sich von Anbeginn abzeichnende Tendenz, den Verwaltungsrechtsschutz im Dritten Reich mit der Folge zunehmender "Entfesselung" staatlicher Gewalt immer mehr zurückzudrängen, in diesen Vereinfachungserlassen und -verordnungen eigentlich nur ihre logische Fortsetzung und ihren bisherigen Höhepunkt erlebte: Die "Verteidigung von Volk und Reich"360 war hierbei willkommenes AHbi. Zwar beeilte sich das Reichsinnenministerium zu erklären, daß nicht beabsichtigt sei, "auf dem Wege über Ziff. IV Abs.2 des Führererlasses die Verwaltungsgerichtsbarkeit praktisch auszuschalten".370 Die weitere Entwicklung zeigt jedoch einmal mehr die Vergeblichkeit der Bemühungen gerade dieses Hauses, wenigstens noch einen Rest von Ordnung in den nationalsozialistischen "Maßnahmestaat" zu bekommen: 371 Zwei Jahre später mußte das Reichsinnenministerium nämlich in einem Runderlaß an die nachgeordneten Behörden und die Verwaltungsgerichte feststellen, daß die Vereinfachungsbestimmungen "in der Praxis eine Handhabung erfahren, die nicht ihrem Sinn und Zweck entspricht. Es sind so auffallend wenige Angelegenheiten zur Entscheidung durch die Verwaltungsgerichte gekommen, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit tatsächlich als fast völlig ausgeschaltet bezeichnet werden muß". Dies sei nicht beabsichtigt gewesen, hieß es in dem Erlaß weiter, und eine erweiternde Auslegung der einschlägigen Vorschriften sei daher "nicht angängig"!372 Aber auch dieser Aufruf, verbunden mit konkreten Handlungsanweisungen bei der Zulassung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens,373 369 VgI. die Präambel zum ErI. v. 28.8.1939: "Die Verteidigung von Volk und Reich erfordert reibungslose Arbeit der öffentlichen Verwaltung. Um diese instand zu setzen, auch unter schwierigsten Verhältnissen ihre Aufgaben gegenüber Volk und Reich zu erfüllen, treffe ich folgende Anordnungen ... " 370 RdErl. d. RMdI v. 11.11. 1939 Nr. I 1262/39-5400, RMBliV 1939, S.2263 = BaVBl. 1940, Sp. 159 sowie ähnlich erneut Reichsinnenminister Frick in einem Vortrag über "Die Verwaltung im Kriege" (teilweise abgedruckt unter dem Titel "Maßnahmen zur Durchführung der Reichsverteidigung im Innern" in RVerwBI. 1940, S. 125 ff.) anläßlich der Verleihung der Würde eines Ehrensenators der Universität Freiburg (I): "Noch weniger zutreffend würde die Auffassung sein, daß die angeordneten einschränkenden Maßnahmen den Beginn der Beseitigung der Verwaltungsgerichtsbarkeit darstellen", RVerwBI. 1940, S. 129 re. Sp. 371 Diese Position und das Vorgehen des Reichsinnenministeriums, die bisher vermutlich aufgrund der schwierigen Quellenlage (der Hauptteil der überlieferten Bestände lagert im Zentralen Staatsarchiv Potsdam) noch nicht zusammenhängend erforscht wurden, demonstriert besonders sinnfällig am Beispiel des Beamtenrechts Mommsen, Beamtenturn im Dritten Reich (1966), S. 62 ff., S. 91 ff. 372 RdErl. d. RMdI v. 11. 8. 1941 - I 880/41-5400, RMBliV 1941, S. 1475 = BaVBI. 1941, Sp.799. 373 So wurde etwa darauf hingewiesen, daß die Nichtzulassung von der Behörde unter neuen sachlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten in eine

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bewirkte in der Praxis so gut wie gar nichts: Der Bad. VGH etwa erledigte im Jahr 1940 noch 15 Fälle durch Urteil, 1941 waren es nur mehr 7 Fälle, 1942 5 Fälle, 1943 4 Fälle, 1944 schließlich 2 Fälle und 1945 überhaupt kein Fall mehr. 374 Dies war in den knapp 4 1/ 2 Jahren, in denen sich die Vereinfachungsbestimmungen auf die Verwaltungsrechtspflege auswirken konnten, rein zahlenmäßig insgesamt nur etwa 15 Ofo der Fälle, die der Bad. VGH allein im Jahre 1934 durch Entscheidung erledigte.375 Muth, ein erklärter Gegner der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Dritten Reich,370 hatte also im Ergebnis so gut wie recht behalten, als er zur Kommentierung der Vereinfachungsbestimmungen triumphierend feststellte: "Der Krieg hat uns als eine der ersten gesetzgeberischen Maßnahmen die Aufhebung der Verwaltungsgerichtsbarkeit gebracht. "377 Gleichzeitig mit der geschilderten sachlich-institutionellen Verdünnung bzw. Ausschaltung der Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde auch das Personal weitgehend aus diesem Gerichtszweig abgezogen und in die aktive Verwaltung zurückbeordert.3 78 Bereits Mitte September 1939 Zulassung umgewandelt, die einmal ausgesprochene Zulassung aber nicht mehr widerrufen werden könne, wenn die Sache bei einem Verwaltungs gericht anhängig sei; daß das Beschwerdeverfahren bei Zulassung ohne weiteres in ein verwaltungsgerichtliches Verfahren übergeleitet werde, ohne daß es einer gesonderten Klageerhebung durch den Beschwerdeführer bedürfe; daß die Versagung der Zulassung selbstverständlich mit der formlosen Dienstaufsichtsbeschwerde angegangen werden könne. 374 s. übersichten über die Geschäftstätigkeit des Bad. VGH in den Jahren 1940 - 1944, GLA 239/11365 sowie Rechtsstreitverzeichnis 1945, GLA 239/11371. 375 1934 erledigte der VGH insgesamt 210 Fälle durch Entscheidung, vgl. Ergebnisse der Verwaltungsrechtspflege im Jahre 1934, BadVerwZ 1935, S.47. 376 Vgl. erneut seine Beiträge über "Liberalismus und Verwaltungsgerichtsbarkeit", DV 1936, S.407 sowie "Zum Streit um die Verwaltungsgerichtsbarkeit", DR 1938, S. 25. 377 Muth, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Krieg, DR 1939, S. 1874 f.; ähnlich, wenn auch im Ergebnis nicht ganz so weitgehend, Poppitz (0. Anm. 365), S. 1 ff. Wenn Poppitz aaO unter betonter Abhebung von den Verhältnissen des 1. Weltkriegs davon sprach, daß die Vereinfachungsvorschriften kein Ausnahmerecht darstellten, weil "die nationalsozialistische Reichsverfassung . .. schon im Frieden die Staatsführung jederzeit in den Stand setzt, jede außerordentliche Lage zu meistern", so belegt dies in nicht zu überbietender Deutlichkeit die These Brachers vom "permanenten Ausnahmezustand", in dem das Dritte Reich gelebt habe, vgl. o. Anm. 271. - Welche Gesetzmäßigkeiten sich aus dem "Verwaltungs standrecht" des 1. Weltkrieges und der nachfolgenden Zeit der Zwangsbewirtschaftung ergaben, beschreiben eingehend Drews (0. Anm. 367), S. 592 ff. sowie Wiedersum, Fehlende Rechtssicherheit auf dem Gebiet des öffentlichen Reichsrechts, JW 1922, S. 666 ff. 378 Rechtsgrundlage hierfür war § 1 der (1.) VO über Maßnahmen auf dem Gebiete des Beamtenrechts v. 1. 9. 1939 (RGBl. I S. 1603), wonach Richter (Abs.2) wie alle anderen Beamten bei Vorliegen einer dienstlichen Notwendigkeit auch außerhalb des Dienstbereichs ihres unmittelbaren Dienstvorgesetzten und in einem Amt mit niedrigerem Endgrundgehalt als dem bisherigen beschäftigt werden konnten - praktisch also die Aufhebung der richterlichen Unversetzbarkeit.

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3. Kap.: Der Krieg u. die "Vereinfachung" d. Verwaltung

bestand der Bad. VGH nur noch aus Präsident Kohlmeier, dem Regierungsoberinspektor Wegmann als Leiter der gemeinsamen Geschäftsstelle von VGH und DSK, einer Schreibkraft und dem Hausmeister; die OVG-Räte waren sämtlich anderen Dienststellen, vor allem im Innenministerium, zugewiesen worden. 379 Zwar erreichte Präsident Kohlmeier unter Hinweis auf die nach den überleitungsvorschriften der 2. VereinfachungsVO abzuwickelnden Verfahren, daß OVG-Rat Dr. Schühly dem Gerichtshof noch einmal für ein halbes Jahr von Dezember 1939 bis Juni 1940 zur ausschließlichen Dienstleistung zur Verfügung gestellt wurde und daß auch die übrigen OVG-Räte in Einzelfällen zur Tätigkeit beim VGH herangezogen werden durften. 3so Alle diese Maßnahmen dienten aber wie gesagt in erster Linie der Abwicklung früherer Verfahren; die wenigen im Kriege neu anhängig gemachten Verfahren wurden in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle vom VGH direkt an die Verwaltungsbehörden abgegeben, "da aufgrund der Vereinfachungsvorschriften eine Zuständigkeit noch nicht gegeben war".381 Die DSK Karlsruhe hingegen blieb - vermutlich ebenfalls mit Blick auf die Kriegsnotwendigkeiten! - "voll" besetzt. Als ihr Vorsitzender fungierte - in Personalunion - Präsident Kohlmeier, der sich in Einzelfällen von OVG-Rat Häussner vertreten lassen konnte 382 ; hauptamtlicher rechtskundiger Beisitzer war und blieb, wenn auch mit verschiedenen krankheitsbedingten Unterbrechungen, Oberregierungsrat Vierling, der Mitte 1940 sogar noch zum Hilfsrichter des VGH ernannt 379 v. Babo, Häussner und Schühly traten zum Innenministerium, Dittler wurde zunächst dem Landratsamt Karlsruhe (ab 1943 dem Innenministerium), Kohlhepp zunächst dem Polizeipräsidium Karlsruhe (ab 1941 ebenfalls dem Innenministerium) zugewiesen, vgI. die entspr. Vorgänge in den Personalakten GLA 239/11191, 11198, 11211, 11193, 11201. Welche Funktionen die Oberverwaltungsgerichtsräte dort im einzelnen ausübten, ließ sich im nachhinein nicht mehr feststellen. Auch bezüglich der Frage, ob es für das gelegentliche Zusammentreten des "Dreierkollegiums" beim VGH einen irgendwie gearteten "Geschäftsverteilungsplan" gab, ist nichts näheres überliefert. Mit der Rückkehr in die sog. aktive Verwaltung scheint auch wieder ein stärkerer parteipolitischer Druck auf die VGH-Richter ausgeübt worden zu sein; jedenfalls traten mit Ausnahme von Schühly alle noch verbliebenen Nicht-PG'ler in die NSDAP ein, und zwar Dittler und Kohlhepp zum 1. 1. 1940, Häussner zum 1. 7. 1941 (Auskunft BDC, vermittelt durch BA am 6. 8. 1979), von denen aber wohl einzig OVG-Rat Dr. v. Babo seine Parteizugehörigkeit auch nach außen hin durch entspr. Auftreten in Partei- bzw. SA-Uniform demonstrierte, mündliche Auskunft Dr. Emmelmann v. 31. 7. 1979. 380 Vgl. Schreiben von Präsident Kohlmeier an den bad. MdI v. 15.9. 1939 und v. 15.11.1939 sowie Erlasse des (bad.) MdI Nr.99069 v. 29.11. 1939, Nr. 110502 v. 3. 1. 1940 und Nr. 45271 v. 11. 5. 1940, alle GLA 239/11288. 381 Vgl. übersicht über die Geschäftstätigkeit des Bad. VGH im Jahre 1940, S. I, GLA 239/11365. 382 Vgl. Er!. des (bad.) MdI Nr. 99069 v. 29. 11. 1939, GLA 239/11288.

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wurde383 und in dieser Eigenschaft an insgesamt etwa 10 Urteilen des Gerichtshofs als Berichterstatter beteiligt war. 384 Die sonstigen Beisitzer der DSK Karlsruhe stammten aus dem Kreis der in Baden ansässigen Reichs-, Landes- oder Kommunalbeamten bzw. Bürgermeister. Die "Vereinfachung" der Verwaltung verlief nicht ohne Komplikationen; dafür hatten die entsprechenden Vorschriften, insbesondere der Erlaß vom 28.8. 1939, in ihrer militärischen Diktion zu viele Fragen offen gelassen. So trat etwa in Baden mit Kriegsbeginn zunächst einmal de facto ein Stillstand der Verwaltungsrechtspflege ein,38s da man sich offensichtlich unschlüssig darüber war, ab wann und in welchem Umfang der Vereinfachungserlaß Geltung beanspruchte.s8ß Erst knapp zweieinhalb Monate später stand aufgrund § 8 der sog. 2. VereinfachungsVO vom 6. 11. 1939 fest, daß der "Führererlaß" vom 28.8. 1939 am 30.8. 1939 in Kraft getreten war387 und grundsätzlich nicht für vorher bei den Verwaltungsgerichten anhängig gewordene Verfahren galt. 388 Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese Bestimmung konnte der Bad. VGH nunmehr eine Reihe von Verfahren ordnungsgemäß zu Ende führen. 389 383 Diese Bestellung gründete sich auf eine entspr. Ermächtigung der VGHVorsitzenden (-Präsidenten) nach Art. I, § 2 Abs.2 der 2. VereinfachungsVO v. 6. 11. 1939, RGBl. I S. 2168. 384 Vgl. Rechtsstreitverzeichnisse des VGH 1940 - 1945, GLA 239/11270 - 71. 385 Zwischen dem 1. 9.1939 und dem 6.11. 1939 ist kein einziger Fall vom VGH durch Urteil erledigt worden, vgl. Rechtsstreitverzeichnis 1939, GLA 239/11269. 386 Das belegt etwa die Erkundigung von Präsident Kohlmeier beim Präsidenten des Preuß. OVG v. 25. 10. 1939 (GLA 239/11363), wann mit einer Regelung der Rückwirkung (I) des Vereinfachungserlasses v. 28.8. 1939 zu rechnen sei bzw. ob das Preuß. OVG zu dieser Frage schon Stellung genommen habel 387 Nach Auffassung von Poppitz (0. Anm. 365, S. 10 Fn.2) war die Bestimmung des § 8 der 2. VereinfachungsVO nicht konstitutiv für das Inkrafttreten des Vereinfachungserlasses; es habe sich nur um eine "beiläufige Erwähnung" gehandelt, da ein Führererlaß nicht wie ein von der Reichsregierung beschlossenes Gesetz an dem der Verkündung folgenden Tag in Kraft trete, sondern der "Wille des Führers" mit Kundmachung wirksam werde; ebenso bereits Fauser (0. Anm. 361), S. 778 Fn. 1. 388 Daß Fauser (Zweite Verordnung über Vereinfachung der Verwaltung RVerwBl. 1939, S.873) in diesem Zusammenhang sogar von einem "Grundsatz der Nichtrückwirkung" spricht, muß angesichts der Geläufigkeit, mit der im Dritten Reich gesetzliche Vorschriften rückwirkend in Kraft gesetzt wurden, mehr als wirklichkeitsfremd anmuten. S89 Vgl. etwa U. v. 5.12.1939, Az.9/39, BadVerwZ 1940, S.16 (Ruhen der Befugnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs gern. § 7 Reichsärzteordnung; die Zulässigkeit des Verwaltungs rechtsweges wurde zusätzlich auf § 4 Abs. 1 der 2. VereinfachungsVO gestützt, wonach es bei der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte verbleiben sollte, wenn, wie im vorliegenden Fall, eine oberste Reichsbehörde zur Entscheidung über die nach Ziff. IV Abs. 2 Satz 1 des Vereinfachungserlasses einzulegende Beschwerde berufen gewesen wäre); vgl. ferner U. v. 11.12.1939, Az.11/39, BadVerwZ 1940, S.39 = DV 1940,

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Die ohne behördliche Zulassung direkt beim VGH anhängig gemachten Verfahren gab das Gericht, wie bereits erwähnt,390 an die Verwaltung ab. Nicht anders erging es im übrigen dem Landrat in Mannheim, als er seine gesamten verwaltungsgerichtlichen Verfahren beim VGH mit der Begründung loszuwerden versuchte, die Bezirksräte seien als Verwaltungsgerichte aufgehoben und für die Verwaltungsrechtspflege in Baden nunmehr der VGH ausschließlich zuständig. 391 Präsident Kohlmeier schickte das ihm übersandte Aktenpaket zurück und belehrte den Landrat, daß er selbst gern. § 1 Satz 2 der 2. VereinfachungsVO über die vor dem Bezirksrat erhobenen Klagen, und zwar jetzt als Verwaltungsbehörde, zu entscheiden habe. 392 Erst wenn auf Beschwerde hiergegen das Ministerium des Innern als vorgesetzte Behörde das verwaltungsgerichtliche Verfahren zulasse, käme eine Zuständigkeit des VGH in Frage.39s Die Frage der Zulassung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gern. Ziff. IV Abs.2 Satz 2 und 3 des Vereinfachungserlasses vom 28. 8. 1939 barg darüber hinaus eine Fülle weiterer Probleme. So versuchte Präsident Kohlmeier in einem Schriftwechsel mit dem Präsidenten des Preuß. OVG abzuklären, ob der Beschwerdeführer nach Zulassung erneut eine förmliche verwaltungsgerichtliche Klage einreichen oder ob S. 221 (Erstattung der Kosten für die vorläufige Fürsorgeerziehung) ; U. v. 12.8.1940, Az.91/37, BadVerwZ 1941, S.21 (S.24) = DV 1941, S.471 (Verbot des Verkaufs von Arzneiwaren); U. v. 24.1.1941, Az.55/39, GLA 237/40143 (Zahlung von Gebäudesondersteuer). Die "Altverfahren" bildeten etwa 50 0/0 der unter der Geltung der Vereinfachungserlasse vom VGH in der Zeit des 2. Weltkrieges durch Entscheidung erledigten Fälle, vgl. Reichsstreitverzeichnisse des VGH 1939 - 1945, GLA 239/11269 - 71. 3110 s. O. S. 106 mit Anm.38l. 391 Schreiben des Landrats an den VGH v. 19. 2. 1940, GLA 239/11363. 392 Durch VO des "Ministerrats für die Reichsverteidigung" v. 26.9.1939 (RGBI. I S. 1981) war der übergang der Beschlußzuständigkeiten von Vertretungskörperschaften und kollegialen Behörden in der Kreisinstanz auf den Landrat angeordnet worden; die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte auf der Kreisebene (in Baden also der gern. § 27 der Landkreisordnung v. 24. 6. 1939 durch die Kreisräte zu bildende Bezirksrat) sollte hiervon unberührt bleiben, vgl. hierzu auch RdErl. d. MdI v. 9.10.1939 Nr.89574, BaVEl. Sp. 1081. Erst § 1 der 2. VereinfachungsVO ordnete dann die Entscheidungskompetenz der unteren VerwaltungSbehörden, also hier des Landrats, an Stelle der aufgehobenen Stadt- und Kreisverwaltungsgerichte an - wie auch immer man das i. e. verstehen mochte, denn der Wortlaut dieser Bestimmung war in mehrfacher Weise unklar. Präsident Kohlmeier schien hieraus jedenfalls wenigstens auch eine "übergangszuständigkeit" des Landrats für bereits beim Bezirksrat anhängig gemachte Verfahren zu folgern. 393 Antwortschreiben von Präsident Kohlmeier an den Landrat in Mannheim v. 23.2.1940, GLA 239/11363; der VGH bestätigte die von Präsident Kohlmeier geäußerte Auffassung ausdrücklich im U. v. 20. 10. 1941, Az. 6/41 (GLA 239/11308 = GLA 237/40143 = GLA 471/53), als es um die Anfechtung der Kostenentscheidung eines vom Landrat (wiederum in Mannheim) "fortgeführten" ehedem verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ging.

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seine Beschwerde automatisch als Klage an das Verwaltungsgericht weitergeleitet werden müsse und ob ferner der Beschwerdeführer bei der ohne Antrag erfolgten Zulassung auf einer Entscheidung der Beschwerdebehörde beharren könne. 3u4 Vizepräsident Bach vom Preuß. OVG teilte mit,395 man erachte insbesondere aus Gründen der Fristklarheit396 die Neueinlegung einer verwaltungsgerichtlichen Klage in jedem Fall für erforderlich, die somit im Belieben des Beschwerdeführers stehe. Auf eine Entscheidung der Beschwerdebehörde trotz Zulassung der verwaltungsgerichtlichen Klage könne dieser allerdings nicht drängen. In Baden war zwischenzeitlich unter Mitwirkung des VGH397 ein zusätzlicher Runderlaß zu den Vereinfachungsvorschriften ergangen,398 der zu den angeschnittenen Fragen einen teilweise abweichenden Standpunkt einnahm. Jedenfalls in den Fällen, in denen das verwaltungsgerichtliche Verfahren statt der Beschwerde zugelassen werde, erfolge in Baden aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung, wie Präsident Kohlmeier in einem erneuten Schreiben an den Präsidenten des Preuß. OVG erläuterte,398 ohne weiteres der übergang des Verfahrens auf den Verwaltungsgerichtshof4°O; Fristprobleme gebe es hierbei nicht, weil bereits die Beschwerde aus den gleichen Gründen der in Baden üblichen Beschwerdefrist von 14 Tagen unterliegen müsse. Wolle der Beschwerdeführer das verwaltungsgerichtliche Verfahren jedoch nicht durchführen, müsse er hiervon wie bei einer Klagrücknahme Abstand nehmen; eine Beschwel'deentscheidung könne er dann in der Tat nicht mehr erheischen, da dies der mit den Vereinfachungs vorschriften angestrebten Aufgabenteilung zwischen Verwaltung und Gerichten zuwiderlaufe. 394 Schreiben von Präsident Kohlmeier an den Präsidenten des Preuß. OVG v. 13. 1. 1940, GLA 239/11363. 395 Schreiben v. 9. 2. 1940, GLA 239/11363. 396 Vizepräsident Bach ging hierbei davon aus, daß die nach Ziff. IV Abs.2 Satz 1 des Vereinfachungs erlasses zu erhebende Beschwerde an keine Frist gebunden sei; nur um diese Beschwerde ansteHe verwaltungsgerichtlicher Klage ging es auch in dem Schriftwechsel zwischen Kohlmeier und Bach. Bei der gern. Ziff. IV Abs. 2 Satz 3 gegen die Beschwerdeentscheidung zuzulassenden Klage war man sich über das Erfordernis zusätzlicher Klageerhebung einig. 397 Vgl. Stellungnahme von Präsident Kohlmeier für den (bad.) MdI v. 17.1. 1940, GLA 239/11363. 398 Zusatz-RdErl. d. MdI v. 29.1. 1940 Nr. 12064 zum RdErl. d. RMdI v. 11. 11. 1939 Nr. I 1262/39 - 5400, beide BaVBl. 1940, Sp. 159 ff. 399 Schreiben v. 17.2.1940, GLA 239/11363. 400 Abschnitt I, Abs.6 des o. Anm.398 erwähnten Zusatz-RdErl.; diese Handhabung der Vereinfachungsvorschriften wurde in einem weiteren, ebenfalls bereits erwähnten RdErl. des Reichsinnenministeriums von 1941 (s. o. Anm.372) ausdrücklich bestätigt, vgl. Abschnitt II, Nr.2, Abs. 1 des genannten RdErl.

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Weiter stellte sich die Frage, in welches Verhältnis die behördliche Zulassung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zum "normalen friedensmäßigen Rechtszustand"401 getreten war, ob also die Zulässigkeit des Verwaltungsstreitverfahrens nunmehr ausschließlich darauf gründete, daß die Behörde im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung oder die besonderen Umstände des Einzelfalles statt der Beschwerde das verwaltungsgerichtliche Verfahren zugelassen hatte. Der Bad. VGH vertrat hierzu wiederholt die Auffassung, daß durch diese Entscheidung der Behörde keine neue allgemeine verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit geschaffen werde, das Gericht also nicht nur eine Sachentscheidung treffen, sondern die Klage auch trotz Zulassung wegen Unzulässigkeit insbesondere mangels Zuständigkeit abweisen könne 402 was es dann auch in mindestens einem (überlieferten) Fall tat. 403 Schließlich wurde in Baden noch die Frage erhoben, ob auch gegen die Entscheidungen des Verwaltungsrats der Bad. Gebäudeversicherungsanstalt bzw. gegen die Entscheidungen des Vorsitzenden des Ver401 So Reuss

(0. Anm. 360), aaO. Vgl. etwa U. v. 1. 12.1942, Az.17/40, GLA 471170 (Wassernutzungsrechte einer Papierfabrik; allgemeine Zuständigkeit des VGH nach § 120 Abs.l Satz 1 des bad. Wassergesetzes bejaht); U. v. 23.6.1944, Az.1/43, SlgDH I (Aufrechterhaltung der Anwartschaft bei der Badischen Versicherungsanstalt für Gemeinde- und Körperschaftsbeamte durch Zahlung einer sog. Anerkennungsgebühr; allgemeine Zuständigkeit des VGH trotz rückwirkender Neufassung des Versicherungsgesetzes bejaht, Klage jedoch im Ergebnis als unbegründet abgewiesen, vgl. zu diesem letzten Urteil d. VGH überhaupt noch unten S. 178 f.); ähnlich hatte sich bereits Reuss (0. Anm. 360, S. 11 f.) ausgelassen: "Zur Zeit haben wir somit in Deutschland hinsichtlich der Zulässigkeit des Verwaltungsstreitverfahrens ein kombiniertes System: Mit der jeweils in Betracht kommenden friedensmäßigen Zulässigkeitsregelung (Generalklausel bzw. Enumerationsprinzip) ist durch Ziff. IV Abs. 2 Satz 2 des Führererlasses das System der diskretionären Zulassung des Verwaltungsstreitverfahrens im Einzelfall zu einer Einheit verbunden." Zugleich warnte Reuss in dem ebenfalls bereits erwähnten Beitrag in VerwArch.45 (0. Anm. 368, S. 164) erneut davor, dieses System, etwa in Anlehnung an Danckwerts (Das Verwaltungsverfahren, DV 1937, S.74 [S.80», zur Grundlage einer Friedensregelung zu machen: Diese Lösung berge die Gefahr der "Selbstimmunisierung" der Behörden; es bestehe allen anderslautenden Meinungen zum Trotze im Volke ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Rechtsschutz durch unabhängige Verwaltungsgerichte; dies werde eindringlich belegt etwa durch die in den Registerbänden des Preuß. OVG ausgewiesene hohe Zahl von Klagabweisungen wegen Unzulässigkeit des Verwaltungsstreitverfahrens, die sich wie ein "Katalog enttäuschter Hoffnungen" läsen. - Im Ergebnis bedeuteten diese fast leidenschaftlich vorgetragenen Thesen von Reuss jedoch nichts anderes als die Bankrotterklärung der Theorien über "Verwaltungsgerichtsbarkeit im neuen Reich" (vgl. o. S. 59 ff.) gegenüber der NS-Gesetzgebungs- und Einschüchterungspraxis ! 403 U. v. 18. 11. 1940, Az. 18/40, BadVerwZ 1941, S. 19 (Ablehnung der Wiederaufnahme eines untersagten Heilmittelhandels; die fehlende allgemeine verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit wurde unter Hinweis auf die Bestimmung des § 35 Abs. 6 der GewO i. V. m. der hierzu ergangenen Rechtsprechung des VGH begründet). 402

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waltungsrats der Bad. Versicherungsanstalt für Gemeinde- und Körperschaftsbeamte nur mehr grundsätzlich die kurzfristige Beschwerde statt wie bisher die verwaltungsgerichtliche Klage binnen Halbjahresbzw. Einmonatsfrist gegeben sei. 404 Die Bedenken hiergegen wurden vor allem darauf gegründet, daß das öffentlich-rechtliche Zwangsversicherungssystem in diesen Bereichen eine badische Sonderheit darstelle, die in Verbindung mit den Vereinfachungsvorschriften zu einer Benachteiligung der davon Betroffenen führen könnte: So seien etwa in Preußen und Württemberg die Ansprüche wegen Brandentschädigung in den ordentlichen Rechtsweg verwiesen, in Bayern würden die Entscheidungen der Versicherungskammer nur formell als Verfügung, sachlich jedoch als Parteierklärung aufgefaßt, die die gesetzlichen Ausschlußfristen in Lauf setzen solle. Bei den Entscheidungen des Vorsitzenden des Verwaltungsrats der Bad. Versicherungsanstalt für Gemeinde- und Körperschaftsbeamte insbesondere über Ruhegehalts- und Versorgungsansprüche, hieß es weiter, trete die Unterschiedlichkeit der Rechtslage noch deutlicher zutage; denn grundsätzlich sei hierfür nach den Bestimmungen des Deutschen Beamtengesetzes, jedenfalls einstweilen, der ordentliche Rechtsweg eröffnet,405 also ein umfassenderer Rechtsschutz als aufgrund der Verwaltungsvereinfachungserlasse gewährleistet. Das Reichsinnenministerium teilte auf Anfrage schließlich mit,406 daß zwar einerseits die Bestimmungen der Vereinfachungsvorschriften auch auf die genannten Entscheidungen der bad. Zwangsversicherungsanstalten Anwendung finden müßten, hierbei andererseits aber "aus Gründen eines umfassenden Rechtsschutzes" regelmäßig statt bzw. neben der Beschwerde das verwaltungsgerichtliche Verfahren zuzulassen sei. Diese Handlungsanweisung ist, wie sich aus den Rechtsstreitverzeichnissen des VGH entnehmen läßt,407 immerhin noch für etwa 5 Neuverfahren praktisch geworden. Der geschilderte Rückgang der verwaltungsgerichtlichen Tätigkeit führte im Mai 1941 zur endgültigen Einstellung der seit 1869 bestehen404 Vgl. etwa Anfrage der Badischen Gebäudeversicherungsanstalt beim (bad.) Md! v. 8.11.1939 Nr.15402; Stellungnahme von Präsident Kohlmeier hierzu v. 23.11. 1939; erneute Stellungnahme der Badischen Gebäudeversicherungsanstalt hierzu v. 10.6.1940 Nr.7484; Stellungnahme Kohlmeiers zur Zulassung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durch den Md! gegen eine Entscheidung des Vorsitzenden des Verwaltungs rats der Badischen Versicherungsanstalt für Gemeinde- und Körperschaftsbeamte v. 23. 7. 1940, Az. 23/40 sowie schließlich die zusammenfassende Anfrage des bad. Md! beim RMdI v. 4.12.1940 Nr.87591; alle diese Vorgänge in GLA 239/11363. 405 Einstweilen, d. h. bis zur Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts, s. §§ 142, 182 DBG. 406 Schreiben v. 28. 11. 1941, Az. I b 1036/41 5315, GLA 239/11363. 407 s. GLA 239/11370 - 71.

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den "Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege", des Hauptpublikationsorgans des VGH und seiner richterlichen Mitglieder. 408 Etwa zeitgleich verfaßte OVG-Rat Dr. Schühly, durchaus in der Tradition entsprechender Abhandlungen etwa von Krüger,409 Scholz,410 Knauth,411 Müller 412 und R Upp 413 seinen überblick über "Die neue Rechtsprechung des badischen Verwaltungsgerichtshofs",414 de facto ein "Abgesang" auf die Verwaltungsrechtspflege in Baden. Und es entbehrt schließlich nicht eines gewissen Symbolgehalts, daß Anfang Mai 1941 in Freiburg der vormalige Präsident des VGH, Dr. Karl Schneider, zu Grabe getragen wurde. 415 408 Die Zeitschrift erschien bereits seit Mai/Juni 1940 nur noch alle 2 Monate, ab Jahresbeginn 1941 nur noch einmal im Vierteljahr. Die endgültige Ein stellung erfolgte nach einer Mitteilung der Herausgeber, "um Menschen und Material für andere kriegswichtige Zwecke freizumachen", s. BadVerwZ 1941, S.24. 409 Die neue Rechtsprechung des sächsischen Oberverwaltungsgerichts, VerwArch.41 (1936), S.177 ff.; s. hierzu ferner Schmidt, Grundlinien der Rechtsfindung des sächsischen Oberverwaltungsgerichts in den Jahren 1933 bis 1938, DV 1938, S. 709 ff. und S. 748 ff. 410 Scholz, Die neue Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts, VerwArch.41 (1936), S. 401 ff.; s. hierzu ferner Bach, Die Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts im Lichte der nationalsozialistischen Weltanschauung und Rechtsauffassung, DV 1938, S. 199 ff. 411 Knauth, Die neue Rechtsprechung des Thüringischen Oberverwaltungsgerichts, VerwArch.42 (1937), S. 314 ff. 412 Müller, Die neue Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, VerwArch.43 (1938), S. 421 ff.; s. hierzu ferner Stritzke, NS-Weltanschauung und die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, DV 1939, S. 430 ff. 413 Rupp, Die Rechtsprechung des Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs seit 1933, VerwArch.44 (1939), S. 204 ff. 414 VerwArch.45/46 (1940/41), S. 74 ff.; "neu" an der Rechtsprechung des Bad. VGH waren nach Schühly ,,3 leitende Gesichtspunkte", und zwar erstens " . " die Anerkennung und Betonung der gesteigerten Aufgaben und Befugnisse der Verwaltung, insbesondere der Polizei im neuen Reich", zweitens " . " die Hervorkehrung des Grundsatzes, daß die Rechtsidee vor dem positiven Rechtssatz den Vorrang hat, wenn die Auslegung des Rechtssatzes ihre Berücksichtigung nicht völlig ausgeschlossen erscheinen läßt" und schließlich " ... die Feststellung, daß bei einem Wechsel in der Rechtsanschauung der Verwaltungspraxis die privaten Interessen zurückzutreten haben", aaO S. 76/77. "Leitend" waren diese Gesichtspunkte in der Rechtsprechung des Bad. VGH jedoch sicher nicht; die zitierten Stichproben sollten wohl eher dazu dienen, die politische Linientreue des Gerichts zu bezeugen. - Im übrigen beteiligte auch Schühly sich in Anlehnung an das Urteil des VGH v. 11.1.1938 (s. o. S.85) an dem Verwirrspiel mit dem Begriff "subjektives öffentliches Recht" bei der Frage nach den Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Dritten Reich - nach dem Kriege las sich das natürlich wieder anders, vgl. Schühly, Ursprung und Wege der Verwaltungsrechtspflege in Baden, DÖV 1953, S.613 (S.617 li. Sp.): "Das Gesetz von 1884 (gemeint ist das auch im Dritten Reich noch gültige VwRpflG, Anm. d. Verf.) hat damit die bei Erlassung des Gesetzes von 1863 noch offene Frage, ob die Verwaltungsrechtspflege der Durchsetzung des öffentlichen Rechts oder von subjektiven öffentlichen Rechten dient, im letzteren Sinne entschieden."

Die Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts

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In dieser Situation erging am 3.4.1941 der "Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts"418 - auf den ersten Blick angesichts der geschilderten, nicht nur kriegsbedingten Zurückdrängung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Dritten Reich eine nahezu paradoxe Entscheidung, die sich jedoch bei näherem Hinsehen lediglich als ein erneuter, tiefgreifender Vereinfachungserlaß entpuppte! Die wesentlichste Bestimmung enthielt bereits § 1 des Erlasses: Hiernach wurden das Preußische Oberverwaltungsgericht, der Verwaltungsgerichtshof Wien, der Reichsdienststrafhof und das Reichswirtschaftsgericht mit der Obersten Spruchstelle für Umlegungen, der Obersten Spruchstelle für Wasser- und Bodenverbände, dem Entschädigungsgericht aufgrund des Landbeschaffungsgesetzes und dem Reichskriegsschädenamt zu einem Reichsverwaltungsgericht vereinigt. 417 Hierin erschöpfte sich, wie die Zukunft erwies, abgesehen von den noch zu erörternden Bestimmungen zur stärkeren Disziplinierung der Richter, die gesamte Wirkung des Erlasses; weder wurde hierdurch etwa entsprechend Art. 107 WRV der institutionelle Grundstein für die Errichtung einer reichseinheitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit gelegt418 noch ging hiervon irgendeine besondere Signalwirkung für die Vereinheitlichung des Verwaltungs(verfahrens-)rechts auf Reichsebene aus.41~

415 Schneider verstarb am 30.4.1941 in Freiburg. "Der Führer", das halbamtliche Parteiorgan der Nationalsozialisten Badens, verfaßte in einem für die nationalsozialistische Presse nicht unbedingt typischen Stil einen Nachruf, in dem es u. a. hieß: "In allen Stellen hat er sich nicht nur durch seine Wirksamkeit die hohe Achtung, sondern auch durch sein vornehmes, liebenswürdiges Wesen außerordentliche Beliebtheit und Verehrung weiter Kreise erworben ... ", "Der Führer" v. 15. 5. 1941. 416 RGBl. I S. 201. 417 Als Sitz des RVG war gern. § 3 Abs.2 des Erl. "bis auf weiteres" Berlin vorgesehen; später sollte es wohl, wie Scheerbarth, ehedem Reichsrichter beim RVG, zu berichten weiß (Das Schicksal der Verwaltungsgerichtsbarkeit unter dem Nationalsozialismus, DÖV 1963, S.729 [732 li. Sp.]), nach Wien verlegt werden, wo bereits die Senate des ehemaligen österreichischen Verwaltungsgerichtshofs zu Außensenaten des RVG umgebildet worden waren, s. RdErl. d. RMdI v. 13.10.1941, RMBliV S. 1817. 418 Zu der in diesem Zeitpunkt (1941) schon mehr als ein halbes Jahrhundert alten Diskussion über die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Reichsebene s. o. Anm. 5; zu den aufgrund Art. 107 WRV vorgelegten einschlägigen Gesetzesentwürfen und der hierzu erwachsenen Literatur s. ferner noch Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Aufl. (1933), S.499. Im Dritten Reich hatten sich insbesondere der preuß. OVG-Rat Scholz (Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Dritten Reich nebst Entwurf einer Reichsverwaltungsgerichtsordnung [1936]) und der sächs. OVG-Rat Schmidt (Reichsverwaltungsgerichtsbarkeit, RVerwB11935, S.405; Die Rechtsmittel in der Verwaltung, DV 1940, S.1 [So 5 f.]) für die Schaffung eines Reichsverwaltungsgerichts stark gemacht. 419 Zwar hieß es in § 3 Abs. 1 Satz 1 des Erl. v. 3.4. 1941: "Das Reichsverwaltungsgericht ist die oberste Spruchbehörde der Verwaltungsgerichtsbarkeit ... In § 13 der 1. Durchführungs- und ErgänzungsVO v. 29.4. 1941 (RGBl.

8 Kirchberg

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In Verlautbarungen führender Repräsentanten der Reichsinnen- und justizverwaltung sowie im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wurde diese Maßnahme jedoch zu einem nachgerade säkularen Ereignis hochstilisiert,420 obschon man sich der Unzulänglichkeit der vorliegenden Regelung durchaus bewußt war. Die Präambel zum Erlaß, die den eindeutigen Hinweis auf die mit der Errichtung des RVG verfolgten Zwecks enthielt, nämlich Vereinfachung der Verwaltung und Ersparnis von Personal- und Verwaltungskosten, störte bei der allgemeinen I S. 224) wurde aber ausdrücklich das Inkrafttreten der gesetzlichen Vorschriften, in denen bereits die Zuständigkeit des RVG vorgesehen war, auf den Zeitpunkt der endgültigen Errichtung des RVG verschoben (dieser Zeitpunkt trat nie ein) bzw., wie im Falle von §§ 142, 145 DBG und § 8 Abs. 1 ErstattungsG v. 18.4. 1937 (RGBI. I S. 161), von einem durch den RMdI noch zu bestimmenden Zeitpunkt abhängig gemacht. Wenn der Reichsinnenminister dann später (RdErl. v. 11. 8.1941, s. o. Anm.372) die Auffassung vertrat, die bisherige Rechtsprechung der Obersten Landesverwaltungsgerichte sei nach Schaffung des RVG nicht mehr verbindlich und die Klage gern. Ziff. IV Abs. 2 des Vereinfachungserlasses v. 28. 8. 1939 immer dann zuzulassen, wenn "Bedenken dagegen bestehen, ob die frühere verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung sich noch im Einklang mit der nationalsozialistischen Grundordnung befindet ... ", so konnte dies höchstens für den Bereich des Landes Preußen und der "Ostmark" praktisch werden, da die übrigen Landesverwaltungsgerichte instanzenmäßig gar nicht an das RVG angebunden waren, s. u. S.116 ff. 420 Vgl. etwa Reichsinnenminister Frick, Rede anläßlich der Diensteinführung des Präsidenten des Reichsverwaltungsgerichts am 14. 5. 1941, abgedruckt in: RVerwBl. 1941, S. 329 ff.; Reichsminister und Generalgouverneur Frank, Das Reichsverwaltungsgericht, DR(A) 1941, S. 1169 ff.; Staatssekretär Stuckart, Das Reichsverwaltungsgericht, DV 1941, S. 189 ff.; Staatssekretär Freisler, Reichsverwaltungsgericht und Reichsuniversität Posen, DJ 1941, S. 576 ff. Diese offiziösen Stellungnahmen hatten sicherlich angesichts der Entwicklung des Kriegsgeschehens ein gut Teil Ablenkungsfunktion zu erfüllen; die Ausführungen von Reuss (Das Reichsverwaltun~sgericht, VerwArch 47 (1942), S. 28 ff.), die hier stellvertretend für die Äußerungen des Schrifttums insgesamt wiedergegeben werden sollen, zeugen demgegenüber von einem geradezu tragischen Bemühen, die nationalsozialistische Führung dadurch in die Pflicht zu nehmen, daß man sie beim Worte nahm: "Mit ,Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts' v. 3. April 1941 (RGBI. I S. 201) fand dann die aufgezeigte Entwicklung im Sinne der Schaffung eines höchsten allgemeinen Verwaltungsgerichtshofs für das Großdeutsche Reich ihren Abschluß. Damit hat uns das Kriegsjahr 1941 auf dem Gebiete der Verwaltungsrechtspflege ein Ereignis gebracht, das in der Geschichte der deutschen Verwaltung und in der deutschen Rechts'geschichte für immer einen geachteten Platz behaupten wird. Künftige Geschlechter werden es dereinst als ein bewundernswertes Zeichen der sittlichen Kraft unserer Zeit empfinden, daß der Führer mit dieser Tat mitten im größten aller Kriege dem Ethos des Rechtes gehuldigt und für das Großdeutsche Reich ein Mahnmal der Gerechtigkeit errichtet hat. Sie werden daran erkennen, daß die kulturschöpferischen Kräfte und das Rechtsbewußtsein unseres im Nationalsozialismus verjüngten deutschen Volkes selbst in dieser Zeit so ungebrochen und lebensstark gewesen sind, daß auch im Lärm der Waffen die eherne Sprache der Gesetze zu hören war. Das Wort ,inter arma silent leges' gilt nicht für ein Reich, das sich auch im Kriege einen großen nationalen Kraftertrag aus der Seele seines Volkes sichern will." aaO S.30, ähnlich Idem, Das Reichsverwaltungsgericht, ZAkDR 1942, S. 17 ff.

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Hochstimmung und wurde als "unglückliche Redaktion" aus dem Bewußtsein verdrängt. 421 Wesentlicher erschien, daß angesichts dieser "hochbedeutsamen Schöpfung"422 nunmehr endgültig das Ja des "Führers" selbst zur Verwaltungsgerichtsbarkeit als solcher gesichert erschien!423 Die hochfliegenden Erwartungen sollten sich nicht erfüllen - abgesehen vom "Firmenwechsel" blieb eigentlich alles beim alten bzw. wurde aus Gründen der Reichsverterdigung zurückgestellt. Die Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts sollte sich also nicht, wie Staatssekretär Stuckart angekündigt hatte, als "Kristallisationspunkt weiterer Reformmaßnahmen "424 erweisen, sondern höchstens als Kristallisationspunkt einer teilweise hinsichtlich der Vereinheitlichung von Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege, jedenfalls nach außen hin, überaus erwartungsfrohen Diskussion im rechtswissenschaftlichen Schrifttum. 425 421 So Reuss, VerwArch 47 (1942), S. 31 Fn. 12. Frick (0. Anm.420), S. 331. 423 Vgl. Keinath, Die geschichtliche Entwicklung der beiden im Reichsverwaltungsgericht vereinigten Landesverwaltungsgerichte (1943), S. 43; W. Sommer, der erste Präsident des Reichsverwaltungsgerichts, formulierte es noch deftiger: "Mit dem Reichsverwaltungsgericht steht die Verwaltungsgerichtsbarkeit im neuen Staat. Akademische Erörterungen über ihren Wegfall sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden." (Justiz und Verwaltung, DV 1942, S. 83). Bleibt anzumerken, daß gerade Sommer zu diesen Erörterungen mit seinen Angriffen gegen die Selbständigkeit der Verwaltungsgerichte und die mangelnde ideologische Linientreue der Verwaltungsrichter wesentlich beigetragen hatte, vgl. erneut insbesondere seinen Beitrag über "Die Verwaltungsgerichtsbarkeit" DVerwBlr. 1937, S. 425 ff. Ob Sommer allerdings nunmehr, wie Scheerbarth (0. Anm.417, S.731) annimmt, "von einem Saulus zu einem Paulus wurde", muß bezweifelt werden; wesentlicher für die Entscheidung, die Positionen zu wechseln, dürfte vermutlich einfach der ausgeprägte Machthunger des ehrgeizigen Nationalsozialisten gewesen sein. Sommer blieb darüber hinaus nur etwa eineinhalb Jahre im Amt, Anfang November 1942 wurde er auf eigenen Antrag in den Ruhestand versetzt (Reichsministerialblatt 1942, Sp. 2112) und zu seinem Nachfolger einen Monat später der Unterstaatssekretär im Reichsjustizministerium Dr. Franz Hueber ernannt, s. Vorblatt zur amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Reichsverwaltungsgerichts Band 2 (1943). 424 s. o. Anm. 420, S. 191 li. Sp. 425 Vgl. etwa insbesondere Pfeifer, Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verwaltung, VerwArch 47 (1942), S.1 ff.; Idem, Zur Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Reich, ZAkDR 1943, S. 185 ff.; Idem, Rechtsvereinheitlichung und Verwaltungsvereinfachung im Großdeutschen Reich, S. 90 ff., in: Huber (Hrsg.), Idee und Ordnung des Reiches, Bd. II (1943); s. ferner Poppitz (0. Anm.365), S. 35 ff.; Knauth, Die Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Reich, DV 1942, S. 361 ff.; Weber, Zuständigkeiten und Zukunft der Verwaltungsgerichte, ZStW 104 (1944), S. 424 ff. Es ließen sich aber auch skeptische Stimmen vernehmen; Maunz sprach von einer gewissen "Ernüchterung" im Zusammenhang mit den an das RVG gestellten Erwartungen und meinte vorsichtig: "Eine stärkere Entfaltung wäre zwar mit dem konstituierenden Führererlaß wohl vereinbar gewesen", das RVG 422



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Für die bad. Verwaltungsrechtspflege und insbesondere für die Institution und den aktuellen Bestand des "Rumpf-VGH" ergaben sich aus diesem erneuten Vereinfachungserlaß keine konkreten Folgerungen; weder der Erlaß selbst noch die hierzu ergangene Durchführungsund ErgänzungsVO des Reichsinnenministeriums vom 29. 4. 1941 426 erwähnten das künftige Schicksal der bestehenden Obersten Landesverwaltungsgerichte mit einem einzigen Wort. Zwar hatte Reichsinnenminister Frick anläßlich der Amtseinführung des ersten Präsidenten des Reichsverwaltungsgerichts, W. Sommer, angedeutet, daß die Obersten Spruchbehörden der Länder entweder zu Außensenaten des RVG oder zu Verwaltungsgerichten der Mittelstufe umgewandelt werden würden. 427 Zunächst sah es jedoch so aus, als ob sie ausnahmslos aufgehoben werden und ihre Kompetenzen vollständig auf das RVG übergehen sollten. Von den hierdurch frei werdenden bisherigen bad. Oberverwaltungsgerichtsräten könne ferner höchstens einer als Oberverwaltungsrichter vom RVG übernommen werden, erklärte der bisherige Vizepräsident des Preuß. OVG und jetzige Vizepräsident des RVG, Bach, anläßlich einer Rundreise zu den Präsidenten der deutschen Landesverwaltungsgerichte am 7. Juli 1941 in Karlsruhe. 428 Es verwundert nicht, daß Präsident Kohlmeier, um die Benennung eines Interessenten aus dem Kreis der bad. OVG-Räte g~beten, diesbezüglich sehr bald "Fehlanzeige" nach Berlin mel{ien konnte 429 ; denn neben dem teilweise schon recht hohen Alter der Angesprochenen,430 sei diesen Weg aber nicht gegangen (Ein Jahr Rechtsprechung des Reichsverwaltungsgerichtes, DR[A) 1943, S. 1127 f.). 426 RGBl. I S. 224. 427 Vgl. o. Anm.420, S.331. 428 s. den von Präsident Kohlmeier hierüber gefertigten Aktenvermerk v. 9.7.1941, GLA 239/11350. - Die Amtsbezeichnung "Oberverwaltungsrichter" war weder in den das RVG konstituierenden noch etwa in besoldungsrechtlichen Bestimmungen enthalten: § 4 des Erlasses v. 3.4.1941 sprach als ordentliche Mitglieder des RVG vielmehr neben Präsident, Vizepräsident und Senatspräsidenten nur "Reichsrichter und Räte" an; während die "Reichsrichter beim Reichsverwaltungsgericht" als solche neben den Reichsgerichtsräten und den Reichsrichtern beim Reichsfinanzhof in Besoldungsgruppe B 7 a (Stufe der Mindsterialdirigenten, s. Reichsbesoldungsordnung B, Anlage 2 zur 35. Ergänzung des Besoldungsgesetzes v. 29. 1. 1940, RGBl. I S. 303) firmierten, fehlte es für die "Räte" vollkommen an einer solchen besoldungsrechtlichen Ausweisung. Nach Reuss (0. Anm.421, S.37 unter Hinweis auf entsprechende Ausführungen von Reichsverwaltungsgerichtspräsident Sommer) wurden die "Räte" schließlich als "Verwaltungsrichter" in Besoldungsgruppe A 2 b (Stufe der Oberregierungsräte) oder "Oberverwaltungsrichter" in Besoldungsgruppe A 1 a (Stufe der Ministerialräte) geführt. 429 Schreiben von Präsident Kohlmeier an den Präsidenten des Reichsverwaltungsgerichts v. 16.7.1941, GLA 239/11350. 430 Von den in Frage kommenden bad. Oberverwaltungsgerichtsräten standen 1941 v. Babo im 57., Dittler im 61., Häussner im 60., Kohlhepp im 55. und Schühly im 53. Lebensjahr.

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der Scheu, mitten im Kriege aus der vergleichsweise ruhigeren Südwestecke des Reiches nach Berlin überzusiedeln und den geringen Aussichten, sich stellungs- und besoldungsmäßig wesentlich zu verbessern, dürften vermutlich die im Führererlaß enthaltenen Bestimmungen über die (Un-)Abhängigkeit der Mitglieder des RVG wesentlich zum Entschluß beigetragen haben, nicht als Oberverwaltungsrichter nach Berlin zu gehen. § 4 Abs. 2 und 3 des Erlasses vom 3.4.1941 formulierten es zwar negativ, es war aber positiv gemeint: Ordentliches Mitglied des RVG könne nur (!) werden, wer das dreißigste Lebensjahr vollendet habe und mindestens (!) fünf Jahre praktische Erfahrung im höheren Verwaltungsdienst oder als Richter nachweisen könne. Weiter hieß es: Ordentliche Mitglieder des RVG könnten nur (!) zum Ende eines Rechnungsjahres versetzt werden. 431 § 7 enthielt sodann die inhaltlichen Direktiven: "Die Mitglieder des Reichsverwaltungsgerichts sind bei der Sachentscheidung keinen Weisungen unterworfen. Sie haben ihre Stimme nach ihrer freien, aus dem gesamten Sachstand geschöpften überzeugung und nach der von nationalsozialistischer Weltanschauung getragenen Rechtsauslegung abzugeben." - Wahrhaft, eine Gesetzgebung auf der Höhe ihrer Zeit! In diesen Bestimmungen fiber die richterlichen Mitglieder des RVG lag dann auch das eigentlich Neue, ja Richtungsweisende des Führererlasses: An Stelle der bejahrten Reichsrichter an den Obersten Reichsgerichten, die trotz allem ihre teilweise noch im Kaiserreich, zumindest aber in Weimarer Zeit eingeübten rechtsstaatlichen Denk- und Argumentationsmuster zum Mißvergnügen von Staat und Partei immer wieder durchschimmern ließen, wollte man hier eine neue Generation junger, ehrgeiziger und mit der Partei und dem Dritten Reich aufgewachsener Richter heranziehen, die man, wie Präsident Sommer sinngemäß formulierte, ohne Schwierigkeiten wieder los würde, wenn sie glauben sollten, an der nationalsozialistischen Weltanschauung vorbei Recht sprechen zu können. 432 Allerdings wird auch diese Absicht 431 Der die Unabhängigkeit der Rechtspflege flankierende Grundsatz der Unversetzbarkeit der Richter war allerdings schon in den kriegsbedingten Beamtenrechtsverordnungen von 1939 und 1940 teilweise durchbrochen worden, s. § 1 Abs. 1 und 2 der (1.) VO über Maßnahmen auf dem Gebiete des Beamtenrechts v. 1. 9. 1939 (RGBl. I S. 1603) i. d. F. der 2. VO über Maßnahmen auf dem Gebiete des Beamtenrechts v. 3. 5. 1940, RGBl. I S. 732. 432 s. o. Anm.423, aaO. An diesem Punkt fing dann selbst Reuss (0. Anm. 421, S. 39 f.) an zu hadern und erhob die Forderung, es müsse sichergestellt werden, daß "von der Möglichkeit der Versetzung der Richter keinesfalls aus sachfremden Gesichtspunkten Gebrauch gemacht wird" und "daß die dem nationalsozialistischen Richter vom Führer nicht nur gewährleistete, sondern zur Pflicht gemachte sachliche Unabhängigkeit bei der Rechtsfindung ihr unausgesprochenes logisches Korrelat in dem strikten Gebot an alle Behörden und Dienstvorgesetzten des Richters findet, sich jeder nicht in verfahrensrechtlich zulässigen Formen erfolgenden Einflußnahme auf die Rechtsfindung des Richters zu enthalten".

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weitgehend Zukunftsmusik geblieben sein: Vorerst rekrutierten sich die richterlichen Mitglieder des RVG in erster Linie aus dem Personal der eingegliederten Gerichte und SpruchsteIlen, der übrigen Obersten Landesverwaltungsgerichte sowie aus den höheren Rängen der Reichsministerialverwaltung,433 stellten also insgesamt kein Potential himmelstürmender "Systemveränderer" dar! Während also das Preußische Oberverwaltungsgericht, der Verwaltungsgerichtshof in Wien, der Reichsdienststrafhof und die übrigen weiter oben genannten Obersten SpruchsteIlen ihre alte Arbeit unter neuer Firma fortführten, wurde im Reichsinnenministerium an einem Entwurf zu einer zweiten DVO zum Führererlaß vom 3.4.1941 gearbeitet, der auf Reichsebene eine zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit, in erster Rechtsstufe "das Verwaltungsgericht", in zweiter Rechtsstufe das Reichsverwaltungsgericht vorsah. 434 In Baden sollte der bisherige Verwaltungsgerichtshof in eine beim MdI zu bildende Verwaltungsgerichtsbehörde umgewandelt wel'den. 435 Dieser Entwurf wurde zwar noch insbesondere wegen der Frage der Rechtsmittel und der überleitungsvorschriften auch zwischen Präsident Kohlmeier und Präsident Sommer diskutiert,436 Ende Oktober 1941 nach Abschluß der redaktionellen Vorarbeiten den beteiligten Reichsministerien zur Äußerung übersandt,437 spätestens im Frühjahr 1942 aber anscheinend endgültig zu den Akten gelegt438 - das Klima für große Neuerungen im Gerichtswesen war alles andere als günstig, zumal Hitler in einem 433 Vgl. die Personalspalten des Ministerialblatts des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern aus den Jahren 1941 und 1942; im übrigen folgte diese Personalpolitik bereits aus den Überleitungsbestimmungen der 1. Durchführungs- und ErgänzungsVO (0. Anm. 426), wo es in § 10 Abs. 2 hieß: "Die Mitglieder der zum Reichsverwaltungsgericht vereinigten Spruchkörper nehmen unter ihrer bisherigen Amtsbezeichnung zunächst die Aufgaben der ordentlichen Mitglieder ... des Reichsverwaltungsgerichts wahr." 434 Entwurf einer zweiten Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über die Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts, Anlage zu I b 868/41 5312, GLA 239/11350. 435 Vgl. §§ 2, 5 und 10 Abs.2 des o. Anm.434 genannten Entwurfs. 436 Vgl. Aktenvermerk von Präsident Kohlmeier über eine Besprechung mit dem Präsidenten des Reichsverwaltungsgerichts vom 21. 8. 1941; Schreiben von Präsident Kohlmeier an Präsident Sommer vom 27.8.1941, betr. den Entwurf einer in die 2. DVO (0. Anm.434) aufzunehmenden (Überleitungs)Vorschrift für die Verwaltungs rechtspflege in Baden, beide Vorgänge in GLA 239/11350. 437 Vermerk von Präsident Kohlmeier über telefonische Auskunft des württembergischen Verwaltungsgerichtspräsidenten Himmel v. 11.11.1941; als Zeitpunkt des Inkrafttretens der 2. DVO war vom RMdI demnach der 1. 1. 1942 in Aussicht genommen, GLA 239/11350. 438 Schreiben von Präsident Kohlmeier an Präsident Himmel v. 27.5.1942, betr. Auskunft im RMdI über den Stand des weiteren Ausbaus des Reichsverwaltungsgerichts, GLA 239/11350. Vgl. auch noch die VO v. 13. 12. 1941, RGBl. I S.767.

Die Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts

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(dritten) internen, bereits im "Führerhauptquartier" abgefaßten Erlaß über die "weitere Vereinfachung der Verwaltung" vom 25.1. 1942 ausdrücklich die Zurückstellung aller Planungen für künftige Friedensaufgaben angeordnet hatte 439 und im übrigen bei seiner berüchtigten Schmährede im Reichstag vom April 1942 deutlich genug gemacht hatte, was er von dem gesamten Juristenpack hielt!440 So blieb der ganze Komplex "Reichsverwaltungsgericht" , jedenfalls für das Land Baden, lediglich eine Episode. 441 Die durch dieses Strohfeuer aufgeschreckte allgemeine Verwaitungsrechtspflege verfiel wieder in ihre seit Kriegsbeginn andauernde Agonie, während die Dienststrafkammer Karlsruhe offensichtlich immer mehr damit zu tun hatte, dem 439 Ziff. I 8 des Erlasses, GLA 239/11353; der Erlaß war im übrigen inhaltlich ganz wesentlich durch Satz 2 der Präambel bestimmt: "Die gegenwärtige Lage des totalen Krieges, in dem das deutsche Volk einen Kampf um Sein oder Nichtsein führt, verlangt nunmehr in erster Reihe gebieterisch den Einsatz aller verfügbaren Kräfte für die Wehrmacht und die Rüstungsindustrie. Dem muß auch die öffentliche Verwaltung mehr als bisher Rechnung tragen ... " 440 6. (und letzte) Sitzung des am 10. April 1938 gewählten "Großdeutschen Reichstags" in der Krolloper/Berlin. Kernpunkt der die Justiz betreffenden Ausführungen waren folgende Passagen: " ... Ebenso erwarte ich, daß die deutsche Justiz versteht, daß die Nation nicht ihretwegen, sondern daß sie der Nation wegen da ist, d. h., daß nicht die Welt zugrunde gehen darf, in der auch Deutschland eingeschlossen ist, damit ein formales Recht lebt, sondern daß Deutschland leben muß, ganz gleich, wie auch immer formale Auffassungen der Justiz dem widersprechen mögen ... Ich werde von jetzt ab in diesen Fällen eingreifen und Richter, die ersichtlich das Gebot der Stunde nicht erkennen, ihres Amtes entheben." Der Redetext ist fast vollständig abgedruckt bei Domarus, Hitler, Reden und Proklamationen 1932 - 1945, Band 2 (1963), S. 1865 (S. 1874 f.), merkwürdigerweise aber nicht jene, allenthalben in der entsprechenden Literatur zu findende vorgebliche Bemerkung Hitlers, er werde nicht eher ruhen, bis jeder Deutsche eingesehen habe, daß es eine Schande sei, Jurist zu sein, vgI. etwa Schorn, Der Richter im Dritten Reich (19,59), S.l1. Zum konkreten Anlaß dieser Brandrede ("Fall Schlitt") und ihren Folgerungen für den Justizapparat s. Johe, Die gleichgeschaltete Justiz (1967), S. 172 ff.; Kolbe, Reichsgerichtspräsident Dr. Erwin Bumke (1975), S. 354 ff. sowie insbesondere den "Beschluß des Großdeutschen Reichstages vom 26. April 1942" (RGBI. I S. 247), der u. a. den "Führer als obersten Gerichtsherrn" ermächtigte, "jeden ... Richter ... mit allen ihm geeignet erscheinenden Mitteln zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und bei Verletzung dieser Pflichten nach gewissenhafter Prüfung ohne Rücksicht auf sogenannte wohlerworbene Rechte mit der ihm gebührenden Sühne zu belegen, ihn im besonderen ohne Einleitung vorgeschriebenen Verfahren aus seinem Amte, aus seinem Rang und seiner Stellung zu entfernen". 441 Eine befriedigende monographische Aufarbeitung dieser "Episode" steht noch aus, zumal die bereits 1948 von Gaiser vorgelegte Tübinger Dissertation über das Reichsverwaltungsgericht lediglich auf nationalsozialistischer Sekundärliteratur fußt. Nach Auskunft des Bundesarchivs (schriftliche Auskunft v. 28.4. 1978) befinden sich die recht umfänglichen Bestände des RVG allerdings in einem außerordentlich schlechten Ordnungszustand und sind inhaltlich erst sehr unzureichend erschlossen, so daß ein entsprechendes Forschungsvorhaben wohl noch einige Zeit auf sich wird warten lassen müssen.

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3. Kap.: Der Krieg u. die "Vereinfachung" d. Verwaltung

sich im öffentlichen Dienst mit Fortgang des Krieges ausbreitenden Defätismus zu wehren. 442 In dieser Situation wurde dem VGH Anfang 1943 auf Betreiben der Verwaltungs- und Polizei abteilung des Chefs der Zivilverwaltung im Elsaß443 schließlich sogar noch eine neue Zuständigkeit angetr,agen: Denn nach § 12 Abs. 2 der elsässischen EnteignungsVO vom 11. 7.1941 444 sollte über den Einspruch gegen die Feststellung der Entschädigung ein noch zu bestimmendes allgemeines Verwaltungsgericht entscheiden. Da ein solches bislang im Elsaß nicht geschaffen worden war, und, wie es hieß, als ob es die Vereinfachungserlasse nie gegeben hätte, die Parteien "billigerweise" erwarten könnten, "daß die Entscheidung über ihren Einspruch nicht von der gleichen Behörde gefällt wird, die die angefochtene Entschädigung festgesetzt hat", wurde angeregt, einstweilen die Kompetenz des Bad. Verwaltungsgerichtshofs in Fällen der genannten Art zu statuieren.445 442 Zum Verhältnis der Erledigungen des VGH als allgemeines Verwaltungsgericht und der Dienststrafkammer Karlsruhe s. erneut o. Anm.349. 443 Nach Abschluß des "Frankreichfeldzugs" im Juni 1940 wurde der Gauleiter und Reichsstatthalter in Baden, Robert Wagner, aufgrund "Erlasses des Führers und Reichskanzlers über die vorläufige Verwaltung im Elsaß und in Lothringen" v. 2. 8. 1940 (GLA 239/11352), der mit Rücksicht auf die ungeklärte völkerrechtliche Situation des Elsaß amtlicherseits nicht veröffentlicht wurde, mit der Verwaltungsführung im Elsaß betraut. Wagner firmierte als "Chef der Zivilverwaltung im Elsaß" (C. d. Z.) mit Sitz in Straßburg; die Verwaltungsaufgaben wurden allerdings noch in großem Umfang von den bad. Zentralbehörden in Karlsruhe "miterledigt", wiewohl Wagner sehr daran gelegen war, Baden und das Elsaß baldmöglichst zu einem von ihm geführten "Oberrheingau" mit Straßburg als Hauptstadt zusammenzufassen, vgl. hierzu zunächst die verdienstvolle und eingehende Untersuchung von Kettenacker, Nationalsozialistische Volkstumspolitik im Elsaß (1973), insbesondere S. 51 ff., S. 140 ff. sowie ferner Stiefel, Baden 1648 - 1952 Bd. I (1977), S. 376 ff. und schließlich Ott, Das Land Baden im Dritten Reich, in: Badische Geschichte (1979), S. 202 f. 444 VOE S. 478. Diese Enteignungsordnung gehörte zu den wenigen verwaltungsrechtIichen Bestimmungen, die zwar noch in Anlehnung an das bad. Enteignungsgesetz v. 26. 6. 1899, aber im übrigen doch wenigstens redaktionell einigermaßen selbständig vom Chef der Zivilverwaltung (C. d. Z.) erlassen wurden. Ansonsten begnügte man sich im wesentlichen mit der übernahme bzw. Inkraftsetzung deutschen bzw. badischen Rechts im Gebiet des de facto rückgegliederten Elsaß, vgl. die übersicht bei Stiefel (0. Anm.443, S. 379 f.), wobei aber die verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeiten, wenn überhaupt noch vorhanden, in aller Regel durch die Entscheidungskompetenz der höheren und höchsten Verwaltungsbehörden im Elsaß ersetzt wurden, vgl. etwa § 9 Abs. 2 der VO über die Irrenfürsorge im Elsaß v. 15. 1. 1941 (VOE S.48), § 6 Nr.3 der VO über die Landkreisselbstverwaltung im Elsaß v. 18.7.1941 (VOE S.481) sowie §§ 1 Abs.l Ziff. a und 8 der VO über das Wasserrecht und das Wasserverbandsrecht im Elsaß v. 2. 4. 1943 (VOE S. 60). 445 Schreiben der Verwaltungs- und Polizei abteilung des Chefs der Zivilverwaltung im Elsaß Nr. Vw/25613 v. 26. 2. 1943 an die persönliche Abteilung des Chefs der Zivil verwaltung, GLA 239/11363.

Die letzten Fälle beim VGH, Verlegung nach Bad Rappenau

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Das Ganze nahm seinen höchst unkriegsmäßigen Verlauf: Das bad. Innenministerium und Präsident Kohlmeier wurden zur Stellungnahme aufgefordert; Kohlmeier äußerte zwar gewisse Zweifel, ob das Vorhaben sich noch innerhalb des dem Chef der Zivilverwaltung übertl'agenen Rechts der Verwaltungsführung im Elsaß halte,448 beließ es aber ansonsten bei einigen Klarstellungen in verfahrensrechtlicher Hinsicht; der bad. MdI erteilte sein Einverständnis zu dem geplanten Vorhaben447 , nachdem die Zuständigkeit des Bad. VGH bereits in der 1. Anordnung zur Durchführung der Verordnung über die Enteignung von Grundstücken vom 3. 3. 1943 448 festgesetzt worden war und bezüglich des Verfahrens am 11.5.1943 zusätzliche "Ausführungsbestimmungen zur 1. Anordnung zur Durchführung der Verordnung über Enteignung von Grundstücken"449 ergangen waren. Und es bleibt schließlich ein Kuriosum der Territorialgeschichte, daß just die letzten beim VGH anhängig gemachten und nicht mehr vor Kriegsende erledigten Verfahren auf sog. Einsprüche südelsässischer Fabrikbesitzer gegen die Festsetzung der Enteignungssentschädigung zurückgingen!460 Im Spätsommer 1943 begannen angesichts der wiederholten Luftangriffe auf Karlsruhe Verhandlungen zwischen Präsident Kohlmeier und dem Innenministerium über die Verlegung des VGH "im Katastrophenfall".451 Vorgesehen und genehmigt wurde zunächst die übernahme der Räumlichkeiten des Gesundheitsamtes Bruchsal im Schloß Bruchsal und im November 1943 wurde sogar bereits ein Teil der für den Gerichtsbetrieb notwendigen Einrichtungsgegenstände dorthin verbracht. Man schien sich dann aber doch eines 'anderen besonnen zu haben, denn aus den einschlägigen A'kten geht hervor, daß am 13.114.12.1944 die endgültige Verlegung des Verwaltungsgerichtshofs, bestehend aus Präsident Kohlmeier, Regierungsoberinspektor Wegmann, der Angestellten Maier und Hausmeister Sterk, in die Gebäude der Saline von Bad Rappenau erfolgte. Die räumlichen Verhältnisse waren dort zwar sehr beengt, zumal auch noch Oberregierungsrat 446 An und für sich, so meinte Kohlmeier, bedürfe es für die Ausweitung der bestehenden Kompetenzen des VGH grundsätzlich einer landesrechtlichen Regelung; die reichsrechtliche Ermächtigung zur Verwaltungsführung im Elsaß könnte aber gegebenenfalls auch eine ausreichende Grundlage für die beabsichtigte Regelung bieten. Zweifel über den Umfang der Ermächtigung ließen sich ja durch eine Entschließung des Reichsinnenministers klären, die ohnehin im Hinblick auf die künftige Regelung der Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeholt werden sollte, s. Schreiben von Präsident Kohlmeier an den (bad.) Minister des Innern v. 18.3. 1943, GLA 239/11363. 447 Erl. d. MdI Nr. 44091 v. 26. 6. 1943, GLA 239/11363. 448 VOE S. 50. 449 VOE S. 94. 450 s. Rechtsstreitverzeichnis des VGH von 1944/45, GLA 239/11271. 451 s. hierzu und zu den nachfolgenden Ausführungen die entsprechenden Vorgänge in GLA 239/11289.

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3. Kap.: Der Krieg u. die "Vereinfachung" d. Verwaltung

Vierling kurze Zeit später nach langer Krankheit zu der verbliebenen Schar der Getr,euen stieß, doch wir,d man diese Unannehmlichkeiten um so leichteren Herzens in Kauf genommen haben, als man hörte, daß am 1. 3. 1945 sämtliche noch in Bruchsal befindlichen Einrichtungsgegenstände des VGH bei einem Luftangriff vernichtet worden waren. Im April 1945 wurde die Saline von amerikanischen Truppen besetzt, das verbliebene Inventar des VGH im August 1945 nach Karlsruhe zurückverfrachtet. Die Tätigkeit des Bad. Verwaltungsgerichtshofs/Karlsruhe in der seit 1863 bestehenden Form wurde offiziell durch das am 26.10. 1945 verkündete Gesetz Nr.2 der amerikanischen Militärregierung über die Schließung der Gerichte 452 beendet. Der traditionsreiche Name des Gerichts und auch ein Teil der verfahrensrechtlichen Normierungen überdauerten das Kriegsende allerdings noch um fast eineinhalb Jahrzehnte: Am 1. 10.1946 nahm für den französisch besetzten südbadischen Landesteil der Bad. Verwaltungsgerichtshof mit Sitz in Freiburg seine Tätigkeit wieder auf453 ; zur Grundlage des Verfahrens wurden durch die Landesverordnung über den Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 30.3.1947 454 im wesentlichen die Bestimmungen des bad. Verwaltungsgesetzes von 1863 und des bad. Verwaltungsrechtspflegegesetzes von 1884 in der jeweils am 30.1.1933 geltenden Fassung gemacht, soweit sich nicht aus der Einrichtung der drei erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte in Konstanz, Freiburg und BadenBaden Änderungen ergaben. Erster Präsident des (süd-)badischen Verwaltungsgerichtshofs war P. Hauser, ihm folgte nach Bildung des "Südweststaates" im Jahre 1952 der frühere Oberverwaltungsgerichtsrat und zwischenzeitliche Innenminister Südbadens, Dr. Alfred Schühly, der dieses Amt bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1955 innehatte. 455 OG v. 26.7.1945. s. Bekanntmachung des bad. Ministeriums des Innern v. 1. 10. 1946, ABI. S. 115; vorausgegangen war dem eine Verfügung des Generalverwalters (Administrateur general) der Militärregierung in der französisch besetzten Zone v. 23.7.1946 (JO S.256, bel'. S.294), in der die Wiedereröffnung der Verwaltungsgerichte der Länder Baden, Württemberg, Hessen-Pfalz und RheinlandHessen-Nassau auf der Grundlage der am 30. 1. 1933 in Kraft gewesenen Verfahrensbestimmungen angeordnet wurde. 454 ABI. S. 89, geändert durch die beiden Gesetze v. 5. 9. 1951, GVBI. S. 151, S.152, Neufassung v. 18.1.1952, GVBI. S.14; die Landesverordnung enthielt neben dem Verweis auf den Zuständigkeitskatalog der §§ 2 - 4 VwRpflG eine beschränkte Generalklausel gegenüber rechtswidrigen VerwaItungsakten sowie gegenüber rechtswidriger Unterlassung einer Amtshandlung. 455 Vgl. Stiefel, Baden 1648 - 1952 Bd. II (1977), S.977; Schühly verstarb 85jährig als letzter der Mitglieder des ehemaligen Bad. Verwaltungsgerichtshofs/Karlsruhe 1977 in Freiburg. Sein nachhaltiges und politisches und akademisches Wirken in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg beschreibt eingehend Hollerbach, Zum Gedenken an Alfred Schühly, BWVPr. 1977, S. 250 f. 452

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Exkurs: Die bad. Verwaltungsrechtspflege nach dem Kriege

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In NOI'dbaden, dem Landesbezirk "Baden" des unter amerikanischer Kuratel stehenden Landes Württemberg-Baden, konnten sich die Beharrungskräfte der alten badischen Verwaltungsrechtspflege aufgrund des württembergischen Einschlags naturgemäß nicht so stark auswirken. Immerhin wurde in Karlsruhe aber eine Außenstelle des am 14. 10. 1946 eröffneten württembergisch-badischen VGH / Stuttgart eingerichtet; zur dienstlichen Leitung dieses "badischen Senats" wurde Vizepräsident Ernst Walz bestellt,456 als "Vertreter des öffentlichen Interesses" fungierte bis 1950, also weit ins Ruhestandsalter hinein, der letzte Präsident des Bad. Verwaltungsgerichtshofs/Karlsruhe, Johann Philipp Kohlmeier. 457 Das Verfahrensrecht war auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung für die gesamte amerikanische Zone einheitlich neu geordnet worden, wobei die Entwurfsarbeiten dem sog. Heidelberger Ausschuß unter Vorsitz von Professor W. Jellinek anvertraut worden waren. m Aus diesen Vorarbeiten ging schließlich das Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit für WürttembergBaden hervor, das zwei Tage nach Eröffnung des VGH, nämlich am 456 s. hierzu eingehend Schmied, Zum 25jährigen Bestehen der Verwaltungsgerichte Stuttgart und Karlsruhe, BWVBl. 1972, S. 97 (S. 100). 457 Vgl. GLA 239/11288; Kohlmeier, 1953 mit dem großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet (BAnz. Nr. 83 v. 24. 10. 1953, S. 1), blieb dem Gerichtsgebäude an der nördlichen Hildapromenade auch noch nach seiner endgültigen Pensionierung treu: In einem für ihn reservierten Raum arbeitete er bis zu seinem Tode im Jahre 1965 anscheinend an einer Sammlung der Rechtsprechung des badischen Senats des VGH Württemberg-Baden, mündliche Auskunft Oberregierungsrat Schneider v. 23. 2. 1979 sowie von Dr. Emmelmann v. 31. 7.1979. - Von den übrigen Mitgliedern des ehern. Bad. VGH/ Karlsruhe war OVG-Rat Dr. v. Babo bereits Ende August 1944 aus gesundheitlichen Gründen auf eigenen Antrag in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden, er verstarb 1948, vgI. GLA 239/11191. OVG-Rat Kohlhepp, der sich zu Kriegsende gerade in Neustadt/Schwarzwald befand, wurde, nachdem der bisherige Landrat vor den anrückenden Franzosen die Flucht ergriffen hatte, für ein gutes Jahr als kommissarischer Landrat von der Besatzungsmacht eingesetzt, dann aber aufgrund eines allgemeinen Revirement als ehemaliger Parteigenosse wieder von diesem Posten abgelöst und tat anschließend wohl noch kurze Zeit Dienst in der südbad. Innenverwaltung; er verstarb 1947, vermutlich an den Spätfolgen einer Hirnverletzung, die er sich 1944 beim Sturz in einen Bombentrichter zugezogen hatte, mündliche Auskunft von Frau Lina Kohlhepp am 9. 5. 1979. OVG-Rat Dr. Häussner war nach 1945 bis zu seiner 2 Jahre später erfolgenden Pensionierung als Oberregierungsrat beim Präsidenten des Landesbezirks (Nord)Baden tätig, er verstarb 1955, mündliche Auskunft Dr. Emmelmann v. 31. 7. 1979. Über den weiteren Lebensweg von Oberregierungsrat Vierling konnte nicht mehr ermittelt werden, als daß er im Oktober 1971 in Karlsruhe verstorben ist (schriftliche Auskunft des Amts für Einwohnerwesen und Statistik der Stadt Karlsruhe v. 2. 5. 1979), da sich insbesondere auch seine Witwe nicht zu einem Gespräch bereit finden konnte. OVG-Rat Dr. Max Dittler tat nach dem Kriege noch kurze Zeit bis zu seiner Pensionierung Dienst beim Landratsamt Wolfach, er verstarb 1964, mündliche Auskunft von Frau Hanna Dittler am 17.6.1980. 458 Vgl. erneut Schmied (0. Anm.456) sowie Jellinek, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der amerikanischen Zone, DRZ 1948, S. 269 ff.

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3. Kap.: Der Krieg u. die "Vereinfachung" d. Verwaltung

16.10.1946, verkündet wurde. 459 Es führte in der Folge noch zur Einrichtung zweier erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte, jeweils in Karlsruhe und Stuttgart, und lag schließlich dem sog. Neuordnungsgesetz vom 12. 5. 1958460 zugrunde, das die längst fällige Zusammenlegung der immer noch existierenden drei Verwaltungsgerichtshöfe des "Südweststaates"461 zum baden-württembergischen VGH mit Sitz in Mannheim vollzog und in Südbaden mit Ablauf des 31. 10. 1958 u. a. das badische Verwaltungsrechtspflegegesetz von 1884 endgültig außer Kraft setzte. 462

459 RegBl. S.221; hierzu ergingen die 1. AusführungsVO v. 16.10.1946 (RegBl. S.237) und die 2. AusführungsVO v. 11. 2.1947 (RegBl. S.2); vgl. hierzu ferner v. Husen, Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Bayern, Württemberg-Baden und Hessen mit Kommentar (1947) sowie Luz, Das rechtliche Wesen der durch das Gesetz Nr. 110 neu gestalteten Verwaltungsgerichtsbarkeit in Nord-Württemberg (1951). 460 GBl. S. 131. 461 Für den Bereich des Landesteils Württemberg-Hohenzollern war bis 1958 der VGH Bebenhausen zuständig. 462 Zur Entwicklung der baden(-württembergischen) Verwaltungsrechtspflege nach dem Kriege insgesamt s. erneut Stiefel (0. Anm.455) S. 976 f.

Zweiter Hauptteil

Zur Rechtsprechung des Bad. VGH im Dritten Reich Vorbemerkung:

Vberlieferungsstand und Auswahlkriterien Nach den in der Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege veröffentlichten und im übrigen bei den Generalakten des VGH befindlichen übersichten über die Geschäftstätigkeit des Bad. Verwaltungsgerichtshofs 463 hat dieses Gericht in den Jahren 1933 -1945 insgesamt ca. 950 Fälle464 durch Entscheidung, und zwar in aller Regel durch Urteil, erledigt; hiervon nur knapp 5 0/0, nämlich ca. 40 Fälle in der Zeit des 2. Weltkrieges,465 die restlichen 95 % in den Jahren von 1933 bis Kriegsausbruch. Von diesen 950 Entscheidungen konnte etwa die Hälfte, nämlich genau 485 Fälle, ausfindig gemacht werden, entweder aufgrund der (teilweisen) Veröffentlichung in der BadVerwZ und in anderen Fachzeitschriften oder aber als unveröffentliche Urteilsabdrucke vor allem bei den Akten des Verwaltungsgerichtshofs in Abt. 239 des Generallandesarchivs466 sowie bei den Akten des Staatsministeriums (Abt. 233), des Finanz- und Wirtschaftsministeriums (Abt.237), des Ministeriums für Unterricht und Kultus (Abt. 235) und des Regierungspräsidiums Südbaden (Abt. 471). Der Ordnungsstand des von den badischen Bezirksämtern überlieferten, sehr 463 BadVerwZ 1934, S. 29 ff.; 1935, S. 47 f.; 1936, S. 46 f.; 1937, S. 46 ff.; 1938, S. 42 ff.; 1939, S. 45 f.; 1940, S. 63 f.; GLA 239/11365. 464 Abgerechnet sind die etwa 20 Entscheidungen vom Januar 1933, die zeitlich vor der Machtergreifung auf Reichsebene liegen. 465 Hiervon allerdings nur etwa 30 durch Sachentscheidungen, die restlichen durch Unzulässigkeitserklärungen nach § 41 Nr. 6 VwRpflG. Ferner handelt es sich bei diesen Verfahren nur zu etwa 50 Ofo um Neuverfahren, die restlichen wurden bereits vor dem Kriege beim VGH anhängig gemacht, vgl. die Rechtsstreitverzeichnisse des VGH 1939 -1945, GLA 239/11269 bis 11271.

466 Eine systematische Sammlung aller Entscheidungen scheint in der Registratur des VGH nicht angelegt worden zu sein bzw. ist als solche, möglicherweise aufgrund von Kriegs1'!inwirkungen, nicht überliefert. Von den genannten 485 Entscheidungen sind 290 (60 Ofo) als Original abdrucke erhalten, die restlichen 195 (40 Ofo) liegen nur in der zumeist wesentlich verkürzten Veröffentlichungsfassung vor.

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Zur Rechtsprechung des Bad. VGH im Dritten Reich

umfangreichen Aktenmaterials ließ es nach anfänglichem Bemühen als wenig effektiv erscheinen, auch hier nach weiteren Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu fahnden. Zwei Bündel Akten, vornehmlich mit dienststrafrechtlichen Erkenntnissen, konnten beim Disziplinarhof Baden-Württemberg / Mannheim aufgetan werden. 467 Für die Beantwortung der Frage, ob die 485 Urteile, die im Rahmen dieser Arbeit allein als überliefert gelten sollen, die "Hochrechnung" auf die gesamte Rechtsprechungstätigkeit des VGH unter den Bedingungen des Dritten Reiches erlauben, ist es notwendig, den Kreis der hier interessierenden Entscheidungen näher einzugrenzen: Es sollen im folgenden, wenn nicht bereits im vorhergehenden Teil der Arbeit geschehen, ausschließlich jene Entscheidungen dargestellt und analysiert werden, a) denen politisch relevante Sachverhalte468 zugrunde lagen, b) die zur Anwendung von Normen mit typisch nationalsozialistischem Gedankengut führten und c) in denen mit Versatzstücken nationalsozialistischer Ideologie und Gedankenwelt argumentiert wurde. Von den 467 nicht überlieferten Entscheidungen des VGH ergingen, wie eine Durchsicht der Rechtsstreitverzeichnisse zeigt,489 etwa 60 Ofo (278 Fälle) auf dem Gebiet des Fürsorgerechts, einem in Ansehung der in dieser Materie überlieferten Entscheidungen für die speziellen Einflüsse des Dritten Reiches relativ unempfindlichen Bereich, wenn man einmal von den oben erörterten Arbeitshaus-Fällen absieht. 470 Dies dürfte wesentlich damit zusammenhängen, daß es sich hierbei vorrangig um echte Parteistreitigkeiten zwischen den verschiedenen Fürsorgeverbänden handelte, die politisch anfälligere Konstellation Bürger - Staat also kaum eine Rolle spielte. Bei den verbleibenden 189 Fällen gründete sich die Zuständigkeit des VGH vornehmlich auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 VwRpflG (Anfechtung polizeilicher Verfügungen, 88 Fälle) sowie auf die steuerrechtlichen Kompetenzvorschriften (45 Fälle). Soweit es bei den polizeirechtlichen Fällen 467 Das eine Aktenbündel (SlgDH I) enthält im wesentlichen eine Samm-

lung von Urteilen des VGH als Disziplinarhof für Gemeinde- und Körperschaftsbeamte in Baden aus den Jahren 1930 -1943; das andere Aktenbündel (SlgDH 11) enthält eine Sammlung von 39 Urteilen der dem VGH angegliederten Dienststrafkammer Karlsruhe aus den Jahren 1942 - 1944, die deshalb von besonderem Wert ist, weil sonst, insbesondere beim GLA, Entscheidungen dieses Spruchkörpers so gut wie nicht überliefert sind. 468 Als "politisch relevant" wurden all jene Sachverhalte angesehen, in denen die ideologisch-politischen Gegebenheiten des Dritten Reiches in besonderer Weise zum Ausdruck kamen. 469 GLA 239/11263 - 11271. 470 s. o. S. 80 ff.

Vorbemerkung: überlieferungsstand und Auswahlkriterien

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um die Unterbringung in eine Irrenanstalt oder um den Entzug der Fahrerlaubnis ging (57 Fälle), dürften nach dem Inhalt der insoweit überlieferten Entscheidungen nazistische Implikationen ebenfalls keine wesentliche Rolle gespielt haben. 471 Steuer- und albgabenrechtliche Entscheidungen des VGH sind in hoher Zahl (unveröffentlicht und vollständig) überliefert und lassen vergleichsweise selten, etwa unter Rückgriff auf den berühmt-berüchtigten § 1 Steueranpassungsgesetz, nationalsozialistische Beeinflussungen erkennen; dieser Befund nötigt aber wohl dennoch dazu, die nicht uberlieferten Entscheidungen auf diesem Rechtsgebiet insgesamt dem "kritischen Bereich" zuzuschlagen. Nach Abzug der genannten 57 polizeirechtlichen Entscheidungen472 bleibt eine Dunkelziffer von etwa 130 Fällen, also knapp 15 Ofo der im gesamten Berichtszeitraum ergangenen Urteile. Dieser wohl nicht zu niedrig angesetzte Prozentsatz erlaubt es m. E., anhand der überlieferten Entscheidungen einigermaßen repräsentative Aussagen über die Rechtsprechungstätigkeit des Bad. VGH im Dritten Reich zu machen, wenngleich nicht übersehen werden darf, daß sich ein nicht unwesentlicher Teil der Aussagen auf nur teilweise veröffentlichte Entscheidungen abstützt. 473 Von den überlieferten Entscheidungen des VGH erfüllen ca. 25 0J0 bis 30 Ofo, das sind 140 - 150 Fälle, die weiter oben dargelegten Kriterien, d. h. in ihnen kommen die sachlichen und rechtlichen Gegebenheiten 471 "Irrenanstalten", wie es im bad. Irrenfürsorgegesetz v. 25.6.19'10 (GVBl. S.299) hieß, wurden anscheinend von den Nationalsozialisten, anders als angeblich heute teilweise in gewissen Diktaturen üblich, noch nicht zur "Umerziehung" politischer Dissidenten mißbraucht; Unterbringungen wurden im Gegenteil z. B. auch damit begründet, daß der Kläger sich "in geradezu widerlicher Weise" seiner Zugehörigkeit zum Nationalsozialismus gebrüstet habe, obwohl er bis 1933 Zentrumsmitglied gewesen sei (U. v. 21. 6. 1938, Az.48/38, GLA 239/1138