Demosthenes: Der Staatsmann und sein Werden [2. Aufl. Unveränd. Nachdr. der Ausg. 1939. Reprint 2010] 9783110860740, 9783110025279


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German Pages 276 [280] Year 1963

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Table of contents :
VORWORT
KAPITEL I. DER POLITISCHE WIEDERAUFSTIEG ATHENS
KAPITEL II. JUGENDGESCHICHTE UND ANWALTSBERUF
KAPITEL III. DIE WENDUNG ZUR POLITIK
KAPITEL IV. DIE DREI ERSTEN REDEN ZUR AUSSENPOLITIK
KAPITEL V. DIE NORDGRIECHISCHE FRAGE UND DIE ERSTE PHILIPPICA
KAPITEL VI. DER KAMPF UM OLYNTH
KAPITEL VII. KRIEG ODER FRIEDEN?
KAPITEL VIII. DAS ENDE
ANHANG: DIE REDE DES ISOKRATES FÜR DIE PLATÄER UND DER ZWEITE SEEBUND
ANMERKUNGEN
REGISTER
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Demosthenes: Der Staatsmann und sein Werden [2. Aufl. Unveränd. Nachdr. der Ausg. 1939. Reprint 2010]
 9783110860740, 9783110025279

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WERNER JAEGER

DEMOSTHENES

DEMOSTHENES DER STAATSMANN UND SEIN WERDEN VON

WERNER JAEGER

ZWEITE AUFLAGE

1963

WALTER DE GRUYTER & CO · BERLIN VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG . J. GUTTENTAG VERLAGSBUCHHANDLUNG . GEORG REIMER . KARL J. TRÜBNER . VEIT & COMP.

Dieser Band ist ein unveränderter Nachdruck der im Jahre 1939 erschienenen 1. Auflage.

Archiv Nr. 3455631

© 1963 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. Berlin 30 · Printed in Germany Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Druck: Rotaprint AG, Berlin

INHALT VORWORT

SEITE

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VII

KAPITEL I. DER POLITISCHE WIEDERAUFSTIEG ATHENS . .

l

KAPITEL II. JUGENDGESCHICHTE UND ANWALTSBERUF . .

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KAPITEL III. DIE WENDUNG ZUR POLITIK

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KAPITEL IV. DIE DREI ERSTEN REDEN ZUR AUSSENPOLITIK

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KAPITEL V. DIE NORDGRIECHISCHE FRAGE UND DIE ERSTE PHILIPPICA

98

KAPITEL VI. DER KAMPF UM OLYNTH

125

KAPITEL VII. KRIEG ODER FRIEDEN?

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KAPITEL VIII. DAS ENDE

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ANHANG: DIE REDE DES ISOKRATES FÜR DIE PLATÄER UND DER ZWEITE SEEBUND

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ANMERKUNGEN

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REGISTER

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VORWORT Den äußeren Anlaß zur Abfassung des Buches, das hier zum erstenmal in seiner deutschen Originalfassung erscheint, gab mir die 1932 an mich ergangene Einladung der University of California in Berkeley, die Sather Lectures des Jahres 1934 zu halten1. Aber wenn meine Gedanken über Demosthenes auch erst im Jahre 1932—1933 ihre vorliegende Form erhalten haben, sind sie doch weit früher entstanden. Im kommenden Frühjahr ist es fünfundzwanzig Jahre her, daß ich meine erste Vorlesung als Professor an der Baseler Universität hielt. Sie hatte Demosthenes zum Gegenstand, und es gibt kein Thema, das ich seither so häufig und von den verschiedensten Seiten in Vorlesungen behandelt habe wie dieses. Das umfassendere gelehrte Werk, das ich darüber zu schreiben gedachte, wird nun wohl unausgeführt bleiben, aber ich bin dem Zufall dankbar, daß er mir schließlich den Anstoß gegeben hat, die Ergebnisse meiner Forschungen in einer Form mitzuteilen, die auch einem größeren Kreise zugänglich ist. Nach einer Periode hoher Blüte im XIX. Jahrhundert sind die Demosthenesstudien Jahrzehnte lang mehr vernachlässigt worden als irgend ein anderes Gebiet der griechischen Geschichte und Literatur der klassischen Zeit. Die Geringschätzung des Demosthenes als Staatsmann durch die neuere Geschichtschreibung lahmte auch die literarische Beschäftigung mit dem Redner und seinen Werken. Doch schließlich ist es ohne Demosthenes ganz unmöglich, den geistigen und politischen Schicksalskampf der Griechen im IV. Jahrhundert zu verstehen. Dieses Buch gibt keine ins einzelne gehende Biographie und keine bloße Rekonstruktion des geschichtlichen Hergangs. Sein Ziel ist eine Neuinterpretation der Reden des Demosthenes als des authentischen Ausdrucks seines politischen Denkens und Handelns. Seltsamerweise ist das praktisch-poli1

Die englische Ausgabe ist unter dem Titel „Demosthenes The Origin and Growth of his Policy" als Band XIII der Sather Classical Lectures in der University of California Press (Berkeley 1938) erschienen.

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VORWORT

tische Denken der Griechen weit weniger erforscht worden als ihre politische Theorie. Ich will den Versuch wagen, aus den Reden des Demosthenes selbst die Kriterien ihres politischen Verständnisses zu gewinnen. In den am Schluß beigefügten Anmerkungen habe ich nicht nur das notwendige Belegmaterial gegeben, sondern auch eine größere Anzahl von Einzelproblemen ausführlicher erörtert. Dort ist, soweit das nicht im Texte selbst geschieht, zu der modernen Literatur Stellung genommen, wenn auch natürlich Vollständigkeit der Bibliographie nicht erstrebt ist. Ursprünglich beabsichtigte ich noch vier Anhänge beizugeben, von denen aber nur der über Isokrates' Platäerrede und den zweiten attischen Seebund übrig geblieben ist. Die drei anderen, über den „Areopagitikos" des Isokrates, über die erste philippische Rede des Demosthenes und über die Rede für die Reorganisation, mußten wegen ihrer Ausdehnung gesonderter Veröffentlichung vorbehalten werden. Ihr Inhalt ist von mir großenteils bereits in den Sitzungen der Berliner Akademie der Wissenschaften mündlich dargelegt und begründet worden. Der Textteil des Buches wurde der University of California unmittelbar nach Beendigung meiner Vorträge in Berkeley Anfang Dezember 1934 übergeben. Seither sind außer einigen Verbesserungen und Zusätzen nur die im Jahre 1936 abgeschlossenen Anmerkungen hinzugefügt worden. Die Drucklegung der englischen Ausgabe, die das Prioritätsrecht hatte, wurde durch Überlastung der University of California Press verzögert und dadurch auch das Erscheinen des deutschen Originals. Da die neueren Arbeiten von Paul Cloche, Gustave Glotz, Piero Treves erst nach Abschluß des Textteils erschienen oder zu meiner Kenntnis gelangt sind, konnte ich nicht mehr ausführlich auf sie eingehen. Es ist mir jedoch eine Genugtuung, nachträglich festzustellen, daß in allen diesen Beiträgen eine gerechtere Würdigung des Demosthenes sich anbahnt. CHICAGO, WE.HNACHTEN 1938

WERNER JAEGER

ERSTES KAPITEL

DER POLITISCHE WIEDERAUFSTIEG ATHENS EINLEITUNG

DER MANN, dem diese Blätter gewidmet sind,gehört heute nicht mehr zu den Gestalten des Altertums, deren Wertschätzung in der gelehrten Welt unerschütterlich feststeht, ja es könnte nötig scheinen, daß ich mich wegen der Wahl meines Gegenstandes erst entschuldigte. Wer den ungeteilten Beifall seiner Leser finden will, tut niemals gut sich als Helden einen Politiker auszusuchen, noch dazu einen Politiker, der nicht vom Sieg gekrönt wurde. Die Geschichte, die stets bereit ist die rein geistige Größe des Dichters oder des Philosophen anzuerkennen, auch wenn sie noch so unzeitgemäß und unbequem ist, pflegt den handelnden Staatsmann ausschließlich an seinem Erfolg zu messen, nicht an seinem Wollen. Der Beruf der Geschichte ist es, vollzogene Tatsachen, vor die sie sich gestellt sieht, zu begreifen, und dieses Begreifen wird nur zu leicht zu einer Rechtfertigung der Tatsachen, die für die unterlegene Partei nur ein Achselzucken übrig hat. Demosthenes, so wird man überdies einwenden, war nicht bloß ein Stiefkind der Tyche, das durch sein unverdientes Schicksal eine tiefere Sympathie in uns erwecken könnte. Nachdem der Klassizismus früherer Jahrhunderte ihm einen Heroenkultus geweiht hatte als dem unglücklichen letzten Vorkämpfer der griechischen Freiheit, hat das erwachende historische Denken des anbrechenden XIX. Jahrhunderts uns ernüchtert. Es hat gelehrt, daß das Entwicklungsgesetz der Zeit des Demosthenes die Griechen von dem alten, eng begrenzten Stadtstaat zum Weltreich Alexanders und zur Weltkultur des „Hellenismus" hinführte. In dieser großartigen neuen Perspektive betrachtet, schien die Gestalt des Demosthenes zusammenzuschrumpfen zu einem bloßen winzigen Hindernis auf dem Vormarsch eines unaufhaltsamen weltgeschichtlichen Prozesses. Es erschien als ein reiner Zufall der Überlieferung, daß sie uns gerade von seinen Reden so viele er1

J a e g e r , Demosthenes

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ERSTES K A P I T E L

halten hat, während sie die zusammenhängenden Darstellungen der Zeitgeschichte untergehen ließ, wodurch für die Nachwelt das Bild jener Epoche ein für allemal verfälscht und die wahren Größenverhältnisse auf den Kopf gestellt worden seien. Doch aus dieser Not machte man eine Tugend. Was Herodot und Thukydides für das V. Jahrhundert geleistet hatten, mußte der moderne Geschichtschreiber für das IV. Jahrhundert nachholen. Und war es nicht wirklich eine Tat echt historischer Erkenntnis, die seit zweitausend Jahren als klassisch gefeierte Beredsamkeit des Demosthenes als leeren Wortschwall zu enthüllen und sich zum Anwalt der wirklichen geschichtlichen Kräfte zu machen, welche über seinen Widerstand zur Tagesordnung übergegangen waren? Dies ist so ziemlich die communis opinio der Historiker des XIX. Jahrhunderts gewesen. Bei Johann Gustav Droysen, dem Entdecker des „Hellenismus", erklärt sich das mangelnde Interesse für Demosthenes ganz natürlich aus seinem Grundmotiv, dem feurigen Enthusiasmus für Alexander als den eigentlichen Helden und Bahnbrecher des neuen Zeitalters, neben dem alles übrige in nichts versinkt. Anders liegt es bei den großen Geschichtswerken der positivistischen Aera um das Ende des XIX. Jahrhunderts, insbesondere der „Griechischen Geschichte" Karl Julius Belochs.1 Er kann als Repräsentant dieser Gruppe gelten, nicht nur auf Grund der bekannten sachlichen Vorzüge seines Werkes, sondern auch insofern, als sein Bild der griechischen Entwicklung ausgesprochen von einer Idee beherrscht ist, die mehr oder minder bewußt das ganze historische Denken dieser Zeit bestimmt hat. In diesen Anschauungen sind wir alle aufgewachsen. Für den nationalen Einheitsdrang des XIX. Jahrhunderts war die staatliche Existenz der Griechen in Form einer Vielheit autonomer Stadtstaaten ein unbegreifliches Skandalon der historischen Vernunft. Wenigstens am Ende — so glaubte man — mußte dieser „Partikularismus" sich irgendwie in eine größere nationale Einheit auflösen, wie es mit den deutschen und italienischen Kleinstaaten im XIX. Jahrhundert geschehen war. Die Rolle des Einigers, die hier die Militärmächte Preußen und

DER P O L I T I S C H E W I E D E R A U F S T I E G A T H E N S

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Savoyen übernommen hatten, schien in Hellas das Königreich Makedonien zu spielen. Von dieser falschen Analogie aus rekonstruierte man mutig die gesamte griechische Geschichte als den Prozeß der naturnotwendigen Entwicklung zu dem Ziel der Einigung der griechischen Nation unter der Führung der Makedonen. Was für Demosthenes und die meisten seiner Zeitgenossen das Ende der politischen Freiheit Griechenlands bedeutet hatte, verwandelte sich jetzt in die Erfüllung aller Verheißungen, die das Schicksal dem griechischen Volke in seine Wiege gelegt hatte. In Wahrheit maß man damit die griechische Geschichte an einem Maßstabe, der ihr gänzlich fremd war, und Demosthenes fiel als Opfer dieses Mißverständnisses. Eine vollkommene Umwertung aller geschichtlichen Tatsachen und Persönlichkeiten setzte ein. Allgemein ist bei den positivistischen Historikern der Sinn für politische, militärische und ökonomische Tatsachen stärker entwickelt als das Gefühl für die menschliche Persönlichkeit. Wie wäre es sonst möglich, daß mit dem Kurssturz des Demosthenes überraschend eine Aufwertung der Männer vom Range des Isokrates und Aischines Hand in Hand ging, die schon für das einfachste Gefühl aller psychologischen Wahrheit entbehrt. Vielleicht ist es heute nicht mehr allzu schwer, die Ungeschichtlichkeit des Maßstabes zu erkennen, den Beloch und andere Historiker der gleichen Schule an die Ereignisse der Zeit des Demosthenes anlegten.1 Doch wer es sich zum Ziel gesetzt hat, eine bestimmte Gesamtanschauung durchzuführen, der wird auch den Folgerungen schwerlich entfliehen können, die sich aus ihr für alle Einzelheiten ergeben. Die Verzerrung muß sich übertragen auf alle Detailfragen des geschichtlichen Urteils. Wenn der Maßstab künstlich ist, müssen die Ergebnisse genau so künstlich sein, zumal wenn ein gefühlsmäßiger Unterton sie begleitet. Auf diese Weise wird der Geschichtschreiber zum Tendenzschriftsteller, der mit der Hartnäckigkeit und dem Eigensinn des Gelehrten seine Beute bis in den letzten Schlupfwinkel verfolgt. Natürlich hat es auch nach dieser großen Umwälzung des i*

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historischen Urteils noch Verteidiger des Demosthenes gegeben. Das mit höchster philologischer Sorgfalt gearbeitete Werk Arnold Schaefers (I. Band 1856), das für die meisten Einzelfragen auch heute noch unser Fundament oder doch eine unentbehrliche Fundgrube bildet, ist von Droysens neuen Anschauungen noch so gut wie unberührt. Schon der Titel „Demosthenes und seine Zeit" verrät, daß hier die gesamte Geschichte des IV. Jahrhunderts von Demosthenes aus orientiert ist. Es ist der Versuch einer Transfusion des Geistes der alten klassizistischen Heldenverehrung, die dem großen Freiheitsredner galt, in den Körper eines detaillierten Geschichtsbildes, um das Ideal so gegen die neusten Erschütterungen zu sichern. Aber als Sohn eines noch ganz unpolitischen Landes war dieser liebenswerte deutsche Gelehrte leider ohne jeden Blick für die Dynamik des politischen Lebens, daher blieb sein enormer Fleiß in dem entscheidenden Punkte, was das Urteil über Demosthenes' Politik betrifft, ohne die erhoffte Wirkung. Anders liegt es bei der Darstellung George Grotes in seinem klassischen Werke, der „History of Greece". Aber der englische Bankier und Parlamentarier, der im Nebenberuf Geschichtschreiber und Forscher war, sah den Kampf der athenischen Demokratie gegen das makedonische Königtum zu einseitig von seinen streng liberalen Prinzipien aus und wurde daher nicht nur der Gegenpartei, sondern auch dem Demosthenes selbst nicht voll gerecht. Demosthenes' politische Entwicklung war, wie wir zu zeigen versuchen werden, viel zu persönlich, ihr Schwerpunkt zu eigenartig gelagert, um sie mit einer Parteimarke etikettieren zu können. Wenn ich die Zeit für gekommen halte, einen neuen Versuch zur Würdigung dieser Gestalt zu wagen, so kann das also keinesfalls eine Rückkehr zu Schaefer und Grote bedeuten. Die einfache Reaktion hat niemals Recht. Eine solche Rückkehr aber wäre in der Tat Reaktion. Demosthenes kann niemals wieder zum Zentrum der Geschichte eines Jahrhunderts gemacht werden, in dem das Pendel der Weltgeschichte mit so gewaltigem Schwünge von der zähen Selbstbehauptung des Bodenständigen

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zu einem Universalismus ausschlug, der sich über alle nationalen Grenzen hinwegsetzte. Aber daß die Weltgeschichte gegen ihn entschied, raubt dem geistigen Widerstand des Demosthenes gegen die Mächte seiner Zeit noch keineswegs unser Interesse. Und welcher verständige Mensch wollte ihn gering schätzen, weil er kein Alexander war! Darum wird die Geschichte des Demosthenes doch noch lange nicht zur Biographie eines beliebigen Parteimannes. In ihr verkörpert sich stellvertretend ein Schicksal von allgemeiner Bedeutung: der Untergang der historischen Lebensform des griechischen Staates in seiner klassischen Zeit, der Polis. Die Auflösung der alten gewachsenen Einheit des griechischen Lebens, der Polis, in das Weltreich und in seinen Kosmopolitismus war eine unabwendbare Notwendigkeit geworden. Die Frucht war reif, vom Baume zu fallen. Aber dieser für das Denken des Historikers ganz „organische" Vorgang war für die Zeitgenossen, in denen der Geist der griechischen Geschichte noch lebte, ein unerhörter Gewaltakt gegen die innerste Natur und geistige Form des alten Griechentums. Der Kampf des Demosthenes ist ein Aspekt dieser furchtbaren Krisis, Platos Versuch der Erneuerung des Staates ist ein anderer. So unrichtig es wäre, das platonische Ringen um den Staat in seiner Bedeutung als historischer Vorgang zu verkennen, weil Platos Staat nicht verwirklicht werden konnte, ebenso falsch wäre es, dem Endkampf um die wirkliche Polis, den Demosthenes fuhrt, die historische Größe abzusprechen, weil wir seine Aussichtslosigkeit mit nüchternem Verstand begreifen. Er läßt sich freilich aus der Realpolitik allein nicht restlos verstehen. Es bedarf seiner Einordnung in die geistige Geschichte des griechischen Staates seit dem Ausgang des peloponnesischen Krieges. Es ist vielleicht der größte Fortschritt, den das historische Verständnis des IV. Jahrhunderts seitDroysens Entdeckung des Hellenismus gemacht hat, daß wir die innere Entwicklung des griechischen Geistes im Zeitalter Platos und den äußeren Vorgang der sogenannten politischen Geschichte mehr und mehr in ihrer unlösbaren Verflechtung sehen gelernt haben, nachdem

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man sich früher die größte Mühe gegeben hatte, beide nach Möglichkeit unbefleckt voneinander fern zu halten.3 Ich will damit beginnen, die innere Geschichte des griechischen Staatsproblems bis zu den Anfängen des Demosthenes zu skizzieren, und dann seine Entwicklung durch seine Reden hindurch verfolgen. Zwar bleibt das Denken und Wollen des Politikers in jedem Augenblick mit den Gegebenheiten seiner äußeren Situation verkettet, und wer ihn als solchen beurteilen will, muß sein Auge für das Geschehen selbst offen halten, in das er handelnd eingreift. Daher können wir uns nicht nur auf das Bild beschränken, das wir aus den Reden des Demosthenes selbst erhalten. Es bedarf zu ihrer Wertung des Korrektivs der Tatsachen, soweit wir von ihnen noch etwas zu ermitteln imstande sind. Leider sind unserem Wissen enge Grenzen gezogen, denn was unserer Überlieferung den Stempel aufdrückt, ist doch letztlich immer wieder die geistige Persönlichkeit, die sei es als Darsteller wie Thukydides oder als Mithandelnder wie Demosthenes in ihrem Werke dem Geschehenen die Form ihres eigenen Denkens und Erlebens mitteilt. Eine volle Rekonstruktion des tatsächlichen Hergangs als solchen ist uns nicht erreichbar. Wir werden trotz aller Versuche, uns von der Überlieferung zu emanzipieren, doch ewig das V. Jahrhundert mit den Augen des Thukydides und das IV. Jahrhundert mit den Augen des Demosthenes sehen. Wir wollen also einmal ganz bewußt die Reden des Demosthenes als Quellen dessen nachlesen, was sie wirklich enthalten, nämlich als Quellen des inneren Prozesses der Entwicklung seines politischen Denkens. Es genügt nicht, nur ein paar geschichtliche Tatsachen von ihrer Oberfläche abzuschöpfen und den Rest fortzuschütten, wie der Historiker es so häufig tut; aber es ist ebenso unzulänglich, wenn der Philologe nur die Kunst der rhetorischen Form der Beachtung für wert hält, wie es etwa Friedrich Blaß in seiner „Geschichte der attischen Beredsamkeit" getan hat. 4 Dabei zerrinnt uns unter den Händen die eigentliche geistig-politische Substanz dieser Reden, die ihr Leben ausmacht und aus der

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auch ihre Form erst erwächst. Am Ende erfaßt so weder die historische noch die philologische Analyse den wirklichen Demosthenes. Eine solche Art der „Arbeitsteilung" scheint mir für die wahre Erkenntnis nicht förderlich. Wir wollen deshalb versuchen, einmal Demosthenes als Ganzes zu verstehen. DIE SITUATION

Der große Entscheidungskampf zwischen den beiden Staatengruppen Sparta und Athen war beendet. Auf ihn hatte seit dem überraschenden Aufstieg Athens in den Perserkriegen die Entwicklung der politischen, geistigen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse in Hellas nach dem Urteil des Thukydides hingedrängt. Diese beherrschende innere Notwendigkeit macht die griechische Geschichte von der Schlacht bei Salamis (480) und der Gründung des attischen Seebundes bis zur Kapitulation Athens im Jahre 404 für Thukydides zu einer Einheit, die der Blick des Historikers gleichzeitig in sein Gesichtsfeld fassen muß, um sie als solche zu verstehen. 5 Es liegt nahe, dieses Beispiel des Thukydides für die Geschichte des IV. Jahrhunderts mechanisch nachzuahmen, wie sein Nachfolger Xenophon es tut, und auf die Periode der athenischen Hegemonie die Hegemonie der Spartaner folgen zu lassen vom Fall Athens bis zur Schlacht bei Leuktra (371), wo sie durch die neu aufstrebende Macht Thebens gestürzt wird, um sich niemals wieder aufzurichten, und dann eine kurze Blütezeit Thebens unter Epaminondas anzuschließen, die zu Ende geht mit der Schlacht bei Mantinea (362), wo er siegend fällt, und seine Vaterstadt verwaist und führerlos wieder zu ihrem früheren Range herabsinkt. Aber abgesehen davon, daß diese Perioden immer kürzer werden und sich nach Mantinea in Hellas überhaupt kein ausgesprochener Führerstaat mehr findet, ist schon die spartanische Vorherrschaft mit der athenischen, die ihr voranging, nicht wirklich zu vergleichen. Zwar hat Sparta nach der Niederwerfung seiner Nebenbuhlerin rein machtmäßig mehrere Jahrzehnte hin-

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durch eine Alleinherrschaft in Griechenland ausgeübt, wie Athen sie selbst während seiner stärksten Expansion zur See und auf dem Festland in der ersten Zeit des Perikles niemals besessen hatte. Allein diese Stellung war von vornherein nur militärisch, nicht geistig und wirtschaftlich begründet, und man kann nicht behaupten, daß sich hier eine neue Entwicklung und Gruppierung aller lebendigen Kräfte der Nation unter dem umgestaltenden Einflüsse eines Staates von überwältigender Lebenskraft vollzogen habe, wie zur Zeit des Aufstiegs des athenischen Reiches. Sparta fangt nur die den Athenern entgleitende Macht auf und hält sie eine Weile lang fest, indem es von seinen besonderen Mitteln, Autorität und kriegerischer Disziplin, Gebrauch macht; aber durch die neu übernommene Machtfunktion wird es vollkommen aus seiner alten Bahn gerissen und die Zersetzung seiner inneren Kraft rapide beschleunigt. Noch viel weniger war Theben auf die ihm durch seine erfolgreiche Rebellion gegen die spartanische Willkürherrschaft plötzlich zufallende Führerrolle vorbereitet. So versagt für die Geschichte des IV. Jahrhunderts das hegemoniale Einteilungsprinzip. Es eignet sich höchstens für die äußerliche Abgrenzung mehrerer in die Augen fallender Teilabschnitte. Erst wenn wir sie von den umstürzenden Ereignissen der demosthenischen Zeit aus betrachten, schließt sich die ganze Entwicklung seit dem Zusammenbruch des attischen Reiches zu einer wirklichen Einheit, wenn auch nur im negativen Sinne, zusammen: es ist die Periode der Versuche einer Neugliederung des politischen Machtaufbaus in Griechenland bis zum endgültigen Verlust der Grundlage, auf welcher er seit jeher beruht hatte, so sehr, daß diese Grundlage mit dem Wesen des Griechentums geradezu identisch schien, des autonomen Polisstaates. Die Träger dieser Versuche wechseln schnell, weil bei keinem von ihnen die natürlichen Voraussetzungen für die wirkliche Konsolidierung einer fuhrenden Macht gegeben sind. So wenig dabei Sparta oder Theben dauernd ihre Stellung behaupten konnten, ebensowenig ließ sich Athen auf die Dauer in dem

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Zustande der Schwäche und Abhängigkeit erhalten, in den es durch den Frieden von 404 und seine vernichtenden Bedingungen geraten war. Wir sehen es schon nach nicht ganz einem Jahrzehnt wieder eine aktive Politik treiben und seine Isolierung glücklich überwinden, und von da an bleibt es dauernd an der allgemeinen Konkurrenz um den beherrschenden Einfluß auf die griechischen Angelegenheiten beteiligt. Die Kurve seiner Bestrebungen zur Wiederherstellung seiner Macht führt auf* und ab. Die Politik des Demosthenes bildet einen Teil, den endgültig entscheidenden Teil dieser Kurve. Die äußere politische Entwicklung ist begleitet von einem inneren Ringen des athenischen Geistes um das Problem des Staates, der durch den Sturz bis in die Grundfesten erschüttert war, und um das Verhältnis von Mensch und Staat. Das äußere und innere Ringen um die Erneuerung des athenischen Staates, welches das erste Drittel des IV. Jahrhunderts erfüllt, bestimmt die Atmosphäre, m die Demosthenes hineingeboren wurde. Aus ihr müssen wir sein Wollen, seinen Kampf und seine Ideale verstehen. Der athenische Redner, den Thukydides bei den entscheidenden Verhandlungen in Sparta vor Ausbruch des peloponnesischen Krieges auftreten läßt,6 um die Motive der Politik seines Staates während des verflossenen halben Jahrhunderts in großen Zügen darzulegen, weist den Sicherheitsgedanken als das Grundprinzip des gesamten athenischen Handelns auf. 7 Er erklärt es als der menschlichen Natur gemäß, daß Athen in der Verfolgung dieses Gedankens bis an die Grenze seiner Macht gegangen sei, und ist sich illusionslos darüber klar, daß der so Handelnde auf keinerlei Sympathien von Seiten der Betroffenen rechnen darf. Aber er weist nach, daß der allgemeine Haß gegen Athen, den dieser Imperialismus in der Welt hervorgerufen habe, nicht auf den besonders schlechten Charakter seines Volkes zurückzuführen sei, sondern im Falle eines Besitzwechsels der Macht auf die neuen Besitzer, das heißt auf die Spartaner übergehen werde.8 Diese Prophezeiung ist in Wahrheit, wie ich nach gewissen Anzeichen schließen möchte, eine bloße Konstatierung der Er-

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fahrungen, die Thukydides nach Beendigung des peloponnesischen Krieges gemacht hat. Die allgemeine Sympathie für Sparta, dessen Kriegspropaganda mit der Parole der Befreiung Griechenlands von der athenischen Tyrannei gearbeitet hatte, schlug binnen weniger Monate in ihr Gegenteil um, als das despotische Sparta des Lysander an die Stelle Athens getreten war. 9 Die mit Sparta verbündeten Thebaner und Korinther, die vor kurzem von dem spartanischen Feldherrn nur mit Mühe davon zurückzuhalten gewesen waren, ganz Athen und nicht nur seine Mauern dem Erdboden gleich zu machen,I0 intervenierten nun zugunsten Athens, als die spartanische Besatzung fortfuhr, sich in die innere Politik der Besiegten einzumischen und ihr Land wie eine spartanische Kolonie zu behandeln.Ir Das war freilich zunächst nur ein vereinzeltes Symptom, aber es führt von ihm eine gerade Linie zu dem thebanisch-athenischen Bund, der im Jahre 395 zum offenen Angriff auf Sparta überging in dem Augenblick, als das spartanische Heer unter Agesilaos in Asien kämpfte und Griechenland leicht eine Beute des Aufstandes der unlustigen Bundesgenossen werden konnte. Der thebanische Gesandte, den Xenophon in seiner Griechischen Geschichte in Athen über das Bündnis verhandeln läßt, gibt in seiner Rede eine sehr interessante Charakteristik der inneren Lage unter der spartanischen Herrschaft, welche nur als bewußtes Gegenstück zu jener Rede im Werk des Thukydides aufgefaßt werden kann, weil sie genau die Erfüllung der dort gemachten Voraussagen bringt.1- Ein leidenschaftlicher Haß gegen die Spartaner bricht hier hervor, die die Früchte ihres mit fremder Hilfe errungenen Sieges allein einheimsen und die Bundesgenossen unterdrücken, statt die ihnen gemachten Versprechungen zu erfüllen. Statt der Freiheit haben sie doppelte Knechtschaft über Hellas gebracht, indem sie ein militärisches Bewachungssystem in allen Staaten einrichteten, und von wirtschaftlichen Vorteilen, um derentwillen die alten Feinde Athens, vor allem die Korinther, in den Krieg gegangen waren, ist überhaupt nichts zu merken. So entsteht eine neue Solidarität mit

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II

Athen, und es ist für dessen verhältnismäßig rasche Erholung nach der Katastrophe bezeichnend, wie der Thebaner um die athenische Hilfe wirbt,13 wenn wir auch sonst über dieses allmähliche Wiedererstarken nur wenig Genaueres wissen. „Wir alle verstehen, daß ihr Athener den Wunsch habt, eure frühere Herrschaft wiederzugewinnen. Wie kann das besser verwirklicht werden als dadurch, daß ihr die von Sparta ungerecht Behandelten unterstützt ? Ihr braucht auch keineswegs zu fürchten, daß sie über so viele herrschen, sondern müßt eben deswegen zuversichtlich sein, wenn ihr bedenkt, daß auch ihr zur Zeit der größten Ausdehnung eurer Herrschaft die meisten Feinde hattet." Es wird nun ein großer Plan entwickelt, in dem der Abfall der wichtigsten spartanischen Bundesgenossen und die Unterstützung des Königs von Persien als sichere Faktoren aufgezählt werden, und die zahlenmäßige Schwäche der spartanischen Bevölkerung in dem kommenden Kampf ein wichtiger Punkt ist. Von dem schwarzen Hintergrund der spartanischen Pleonexie hebt sich als Zukunftsphantom schon das Bild einer neuen attischen Hegemonie ab, die nicht wie die frühere nur eine Seeherrschaft sein wird, sondern auch die Bundesgenossen Spartas auf dem Festlande umfassen soll. Wir haben die Lage vor dem Ausbruch des korinthischen Krieges — denn auch Korinth, Arges und zahlreiche Städte Mittelgriechenlands traten dem Komplott gegen Sparta bei — so eingehend geschildert, um die Aussichten einer athenischen Außenpolitik nach dem Verlust des großen Krieges zu beleuchten. Zwar wurde das Ziel nicht erreicht, denn es gelang Sparta, militärisch den Angriff der Koalition im Rücken seines in Kleinasien kämpfenden Heeres durch schnelle und entscheidende Erfolge zu Lande zu parieren und diplomatisch den Gegnern bei dem mächtigen persischen Geldgeber den Rang abzulaufen. Aber es ließ sich nicht mehr rückgängig machen, daß inzwischen der Athener Konon als Admiral der persischen Flotte nach seinem Seesieg über die spartanischen Schiffe bei Knidos mit persischem Gelde die langen Mauern Athens wiederaufgebaut hatte. So stand

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Athen nach dem Antalkidasfrieden, der 387 den Krieg abschloß, nicht mehr so schutzlos den Spartanern gegenüber wie vorher. Die eigentliche Revision freilich war vertagt, denn der Friedensvertrag machte jeden Zusammenschluß der Staaten zu einem größeren antispartanischen Bund unmöglich durch das Autonomieprinzip, welches er feierlich verkündete. Diese der politischen Durchschnittsmoral der kleineren Staaten geschickt angepaßte Formel war die endgültige Legalisierung der spartanischen Alleinherrschaft, denn Sparta wurde jetzt der anerkannte Garant dieser Atomisierungspolitik, auf deren Durchführung sein Übergewicht in Hellas beruhte. Man muß sagen, daß Sparta die Aufgabe gut gelöst hatte, die ihm nach der Niederwerfung der früheren Herrschaft Athens über seine Bundesgenossen gestellt war: eine Formel zu finden, die die tatsächliche Despotie Spartas mit dem Schein der formalen Autonomie der übrigen Staaten zu vereinigen erlaubte. Es blieb dadurch seiner Rolle als Schützer der Freiheit, die es seit Ausbruch des peloponnesischen Krieges übernommen hatte, scheinbar treu,14 und machte aus der Schwierigkeit, in die es durch diese Rolle bei Erlangung der Alleinherrschaft geraten mußte, sogar einen Vorteil, indem es die „Freiheit" der übrigen zu unproduktiver Schwäche zu verwandeln verstand. In dieser völkerrechtlich sanktionierten starren Situation lag das schwerste Problem einer jeden künftigen konstruktiven Seebundspolitik Athens. In den siebzehn Jahren vom Kriegsende bis zum Antalkidasfrieden muß Athen auch im Innern Schritt für Schritt wieder erstarkt sein. Wer es rein äußerlich mit Sparta verglich, mußte ja überhaupt zu ganz anderen Eindrücken von der relativen Macht beider Staaten kommen, wie Thukydides an einer Stelle sagt, die meiner Ansicht nach ihre Pointe nur dann erhält, wenn sie nach dem Ende des Krieges geschrieben ist und nicht lange Jahre vorher, wie man meist annimmt. J 5 Von der wirtschaftlichen Not, die zunächst herrschen mußte, zeugen viele Einzelsymptome, ohne daß wir von der Gesamtlage ein Bild erhielten, und das gilt auch von dem Prozeß der langsamen Erholung.l6 Um so tiefer läßt

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unsere Überlieferung uns hineinschauen in die geistige und sittliche Not dieser Jahrzehnte. Gewiß haben auch die Staaten der Sieger an ihr teilgehabt, vor allem hat man in den konservativen Kreisen Spartas die innere Umstellung von der altspartanischen Einfachheit und Disziplin zu dem neuen Reichtum und zu dem brutalen Typus des skrupellosen Erfolgsmenschen, wie er in Lysander sich verkörperte, als schwere Gefahr empfunden. Aber die ganze Tiefe des Leidens hat doch nur der Staat der Besiegten zu durchleben gehabt, in dem jede Art der Problematik sich häufte. In Athen konzentriert sich schlechthin alles auf die innere Auseinandersetzung mit dem erschütternden Erlebnis der Katastrophe des perikleischen Reiches, dem Thukydides in der „Grabrede" ein so unvergängliches Denkmal gesetzt hat. Je fester sein Glaube stand, daß dieser Staat unter der Führung eines Staatsmannes wie Perikles zum Siege prädestiniert gewesen wäre, um so quälender mußte auch für das Denken des Realpolitikers die Frage der inneren Auflösung sein, die nach seiner Überzeugung die wahre Ursache des Zusammenbruchs gewesen war. J7 Die Belastungsprobe des langjährigen Krieges mit seinen Opfern und Entbehrungen schien ihm auch bei einem innerlich gesunden und widerstandsfähigen Volke zu groß für die Tragkraft der menschlichen Natur, selbst bei dem heroischsten Wollen, und die zersetzende Wirkung der Parteikämpfe im Innern der Staaten um die politische Führung mit ihren sich gegenseitig übertrumpfenden Brutalitäten, mit ihrer fortschreitenden Abstumpfung der Gewissen und Entwertung aller geltenden Ideale hat dieser Meister der Schilderung aller äußeren und inneren Realitäten als die rötliche Erkrankung des sozialen Organismus ergreifend beschrieben. l8 War hier der Machtwille des alten Athens als die naturgemäße Äußerung jeder wirklichen Kraft anerkannt und nachträglich aus der geschichtlichen Entwicklung gerechtfertigt worden, die nach der Ansicht des Thukydides dem athenischen Staate diese Rolle unausweichlich zugewiesen hatte, so erwächst daneben nach dem Kriege eine ganze Literatur über das Staatsproblem, die dieses

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von der ethischen Seite aus angreift. Sie kommt aus dem Kreise des Sokrates und strahlt die gleiche hochgespannte politische Leidenschaft aus, die sowohl die Anklage und Hinrichtung des Sokrates verrät wie sein freigewolltes Märtyrertum für eine sittlich bessere Form des Staates, für die er gekämpft hatte. Plato läßt den Sokrates in seiner „Apologie" vor den Geschworenen prophezeien, daß ihm nach seinem Tode aus dem Kreise seiner Schüler Fortsetzer seines Werkes erstehen würden, welche die Athener nicht in Ruhe lassen würden. Sie würden hinfort seine Fragen niemals wieder loswerden. In den Schriften Platos ist er wirklich auferstanden und tritt als geistige Gestalt vor sein bald schon von Reue erfaßtes Volk mit den alten Forderungen und Mahnungen. Der junge Plato stellt diesen echten Bürger, der nach der Erkenntnis einer neuen unumstößlichen sittlichen Norm des menschlichen Lebens sucht und für sie zu sterben bereit ist, mitten hinein in den erschütterten Staat, der schwer um die Wiederaufrichtung seiner geschwundenen inneren Autorität ringt. Im „Protagoras" und „Gorgias" wagt Plato Sokrates als den einzig wahren Lehrer der politischen Tugend der bloß formalen politischen Verstandesbildung und Redekunst der Sophisten gegenüberzustellen. Aber seine Kühnheit geht noch weit darüber hinaus, wenn er mit echt revolutionärer Kraft die Ideale des alten Athen, nicht die Demagogen der Zeit des Niedergangs, sondern die Gestalten vom Range des Themistokles und Perikles vor den Richterstuhl seiner Prüfung zitiert und ihre Politik der äußeren Macht und der wirtschaftlichen Prosperität an dem erzieherischen Ideal mißt, in dem er das Wesen der staatlichen Gemeinschaft sieht. So wird Sokrates, der doch von aller politischen Tätigkeit sich sein Leben lang ferngehalten hatte, für der einzige wahre Politiker seiner Zeit. Wer dem Staate helfen will, der soll nicht damit anfangen, neue Werften und Schiffe und Waffendepots zu bauen und der Zunahme des Wohlstandes alles andere unterzuordnen, sondern er soll im Sinne des Sokrates die Bürger besser machen.^ Hinter diesen seltsam neuen, aber eindrucksvollen platonischen Gesprächen, an denen wir nicht beliebige müßige Schwätzer, son-

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dem die bekanntesten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens beteiligt finden, verbergen sich innere Entwicklungen von unabsehbarer Tragweite für das Verhältnis von Mensch und Staat. Es gibt eine große neue Tatsache, um deren Bewältigung sich für den Staat alles dreht und die für seine Existenz vielleicht noch fundamentaler ist als ein Wiedererlangen äußerer Macht und Geltung, das ist die Entstehung des selbständigen Individuums. Die demokratische Staatsform Athens hatte das Ihrige dazu beigetragen, diese Individualisierung zu beschleunigen, obgleich Egalisierung und Individualisierung an sich nicht dasselbe sind. Aber die zwanglose Form des öffentlichen Lebens hatte dem individuellen Wünschen und Meinen des Einzelnen den bisher größten Spielraum gewährt. Nachdem man zunächst die Vorteile davon genossen hatte, hatte der Krieg hinter der harmlosen Fassade die gefährliche Kehrseite dieser Emanzipation des Einzelnen gezeigt und den Kampf aller gegen alle, der zwischen den Staaten tobte, auch in das Innere des Staates hineingetragen. Die Revolution der aristokratischen Gegenpartei hatte bewiesen, daß diese Frage nicht durch das bloße straffe Anziehen der Zügel äußerer Autorität zu lösen war. Eine interessante politische Reformschrift kurz nach Kriegsende, deren Verfasser wir nicht mit Namen kennen, zeigt, daß man jetzt auch von Seiten der Sophisten, die theoretisch viel zur Auflösung der alten Gesetzesautorität beigetragen hatten, das Problem der Autorität als den Brennpunkt der Situation empfand.20 Aber mit bloßen Nützlichkeitsgründen, wie der Autor sie vorträgt, ließ sich diese nicht wiederherstellen. Ein einziges Ereignis wie der Justizmord an Sokrates, dem gerechtesten Manne, wie Plato ihn nennt, beleuchtet grell die verzweifelte Lage, und die ganze Bedeutung des neuen Willens zum Staate, der in Platos Schriften bis zum „Staat" mit wachsender Kraft sich offenbart, wird uns erst klar, wenn wir uns vor Augen halten, daß Plato hier mit aller Kraft gegen den Strom schwimmt.2I Er ringt hier nicht so sehr um die sittliche Erneuerung des bestehenden Staates, den er für unheilbar hält, wie gegen die unter der intellektuellen Schicht allgemein um sich greifende Flucht aus dem

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Staate in ein kultiviertes Privatleben. Dieses „Metökenideal" war von sympathischer Reinlichkeit, aber es fehlte ihm das Gefühl der sozialen Verpflichtung, wenn man auch darauf Wert legte, seine Steuern und Schulden pünktlich zu zahlen.« Plato kann nicht zugeben, daß Staat und Geist sich fremd gegenüberstehen und der echte Geist kein volles Bürgerrecht habe, sondern nur Metöke sei. Gegenüber der Mißachtung des Geistes durch die Masse wie durch die illusionslose dünne Schicht der Politiker vom Schlag des Kallikles, die nur das Recht des Stärkeren achten und sonst nichts in der Welt, errichtet er das Bild eines Staates, der streng aristokratisch, aber uneigennützig von einer Elite sokratischer Herrscher-Weisen regiert wird. Plato sagt selbst, daß er diese Gedanken schon in dem Jahrzehnt nach Sokrates' Tod gefaßt und vertreten habe.23 Sein „Staat", der sie verewigte, ist erst wesentlich später geschrieben. Es ist bekannt, daß Plato versucht hat, seine Reform durch die Macht des syrakusanischen Tyrannen Dionysios I. und seines Nachfolgers zu verwirklichen. Wir müssen uns dessen immer wieder erinnern, um zu verstehen, in welch hohem Grade die geistige Bewegung, die von Sokrates ausging, ein Faktor im Leben des wirklichen Staats jener Zeit war. Wie man auch über die konkreten Vorschläge des platonischen „Staates" denken mag: ein Werk wie der „Gorgias", in dem sich ein Abgrund öffnet zwischen der rein machtmäßigen Auffassung des Staates und dem Erziehungswillen derVorkämpfer einer neuenGemeinschaftsidee, konnte nicht spurlos am Geiste der Zeitgenossen vorübergehen.2·* Es ist schon ein Mut zur tragischen Konsequenz, wenn der Tyrann Dionysios in seinem Drama die Tyrannis offen die Mutter der Ungerechtigkeit nannte25 und damit die neue philosophische Botschaft streng aus dem Bereiche aller wirklichen PoHtik verwies. Er zog mit seinem reinen Machiavellismus die Folgerungen aus den Lehren des Krieges, die, wie er glauben mochte, Staaten wie Sparta und Athen mit ihren großen geistigen und moralischen Traditionen niemals freiwillig zu ziehen vermochten. Sie mußten stets an einem inneren Widerspruche leiden, wie er im pelopon-

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nesischen Kriege offen zu Tage getreten war.2Ö Der Konflikt von Macht und Recht ist nirgendwo bei den Griechen so zynisch als im Wesen des Staates liegend anerkannt worden. Aber er zieht sich als ungelöstes Problem seit dem Ende des V. Jhrh. durch das gesamte politische Leben Griechenlands und macht es unsicher. Vielleicht hat die strikte sittliche Forderung des Sokrates dazu wirklich mehr beigetragen als der vielberufene Relativismus und Subjektivismus der Sophisten, und aus diesem Gefühl heraus haben so patriotische, aber beschränkte Bürger wie Anytos und seine Gesinnungsgenossen Sokrates als Verderber der Jugend anklagen können und hingerichtet. Platos tiefgreifende Kritik, die bis zu den Fundamenten des Staates vordrang, war gewiß eine geistige Macht in dem Athen der Nachkriegszeit, wenn sie für uns in ihrer unmittelbaren Wirkung auf die Umwelt auch ziemlich unberechenbar bleibt. Viel leichter faßbar ist uns die Wirkung einer ganz anders gearteten Persönlichkeit des geistigen Athens, die in jenen Jahren zuerst von sich reden macht und in langsamem Aufstieg zum Mittelpunkt eines großen und einflußreichen Kreises und zum Haupt einer blühenden Schule wird, des Rhetors Isokrates. Zu seinem vollen Glück fehlte ihm weder die Feier der literarischen Öffentlichkeit noch der goldene Boden des Handwerks noch die Länge des Lebens: es stand ihm nichts im Wege als der etwas unglückliche Ehrgeiz, der ihn sich lebenslänglich als mit Unrecht von Plato in den Schatten gestellt fühlen ließ. Zu einem solchen Vergleich berechtigte ihn allenfalls der unverhältnismäßige Ruhm, den das Publikum gern den Zeitgenossen spendet, die die Gabe haben, ihm seine eigenen Meinungen im Spiegel einer glücklichen und leicht verständlichen Form vorzuhalten. Isokrates wollte Lehrer einer politischen Bildung sein, wie schon die erste Generation der Sophisten sie zum Teil vertreten hatte. Angesichts der platonischen Kritik erscheint sie als die Bildung des politischen common sense: eine Mischung von Journalismus, Publizistik, Festrednertum und Hochschule für Politik, doch ohne die Fähigkeit unmittelbar zündender Wirkung auf eine Masse. Diese aka2

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demische, etwas auf Stelzen gehende Form der schriftlichen Beredsamkeit wollte vornehmer sein als die gewöhnliche Volksrede, aber sie teilte andererseits mit der Menge der Philister die instinktive Ablehnung alles dessen, was ihr an der echten Geistestiefe Platos verstiegen und für das Leben unbrauchbar erschien. Isokrates' politische Erziehung wollte vor allem „brauchbar" sein, aber sie wollte sich doch über das Niveau des bloßen Routiniers in Gericht und Volksversammlung durch eine gewisse Dosis politischer Reflexion erheben; dabei entrichtete sie der neuen Zeit insofern ihren Tribut, als sie auch ethischen Gedanken Einlaß gewährte. Neben allgemeinem Zeitgut findet sich bei Isokrates nicht wenig Sokratisches, das durch diesen Filter in das Denken weiterer Kreise, zumal der Politiker, durchsickert.3? Die Sophisten hatten viel von der politischen Eintracht geredet, bei Gorgias hatte das schon in seinem „Olympikos" zu der Aufforderung eines gemeinsamen Rachekrieges aller Griechen gegen Persien geführt, um die griechischen Staaten von der gegenseitigen Zerfleischung abzuhalten und ihre Kräfte nach außen abzulenken.28 Diese Ideologie nahm Isokrates in dem „Panegyrikos" auf, den er hauptsächlich in den Jahren nach dem Frieden des Antalkidas schrieb. Es ist für Athens wieder erstarkendes Selbstgefühl bezeichnend, daß hier schon von einem spartanisch-athenischen Dualismus in Hellas geredet werden kann, was in dem ersten Jahrzehnt nach dem Fall Athens unmöglich gewesen wäre. Dabei ist offenkundig, in welchem Maße diesmal die ungeheure geistige Macht Athens als Impuls des politischen Wiederaufstiegs wirksam ist und zu seiner Rechtfertigung dient. An ihr richtet sich der politische Wille wieder auf. Die Rede übt Kritik an den Prinzipien der reinen Gewaltpolitik, die dieser lebendigen Kraft Athens nicht die Freiheit der staatlichen Entfaltung gönnt, und führt gegenüber Sparta eine völlig neue Sprache von gleich zu gleich, die uns, wenn auch keine reale Macht dahinter steht, doch aufhorchen läßt und in ganz Griechenland ein Echo finden mußte.29 Das Ereignis, das die stagnierende Politik der griechischen Staaten wieder in Bewegung setzte, war die Besetzung Thebens

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durch ein spartanisches Korps, das den Durchmarsch durch böotisches Gebiet nach dem Norden zu diesem Handstreich benutzte, und die Wiederbefreiung Thebens, die Athen nach anfänglichem Zögern und Schwanken mit fortriß. Es war das Jahr 378, in dem die Hoffnungen der athenischen Patrioten sich erfüllen sollten. Eine Schar von Männern verschiedenster Herkunft und Geistesart schloß sich zusammen zur Leitung des Staates im Augenblick der lange ersehnten Entscheidung. Thrasybulos und Kephalos von Kollytos waren alte Praktiker und traditionelle Thebanerfreunde, vielleicht ohne wesentliche eigene Gedanken. Daneben stehen neuere Namen wie der Feldherr Chabrias, der genial begabte Improvisator und Erfinder des Schützengrabenkampfes, der in dem Insurrektionskriege in Ägypten die neuesten militärischen Erfahrungen gesammelt hatte, und Iphikrates, ein Mann von großer persönlicher Tapferkeit, der glückliche Schöpfer der Peltastentaktik, die seit dem korinthischen Kriege eine bisher unerhörte Bedeutung erlangt hatte. Eine führende Gestalt und überparteiliche Größe war Konons Sohn Timotheos, dem der Ruhm und Reichtum des Vaters den Weg geebnet hatte; doch er war auch selbst eine ungewöhnliche, geistig überlegene Persönlichkeit. Er vereinigte in sich die seltene Doppelbegabung des Strategen und Diplomaten. Ihm hatte Athen vor allem den Aufbau des neuen sogenannten zweiten Seebundes zu danken. Dazu trat als Staatsmann von hervorragendem Rednertalent und virtuoser Unterhändler, vielleicht ohne stärkeres persönliches Gepräge, aber für den Eiertanz der Bundesgenossenpolitik wie geschaffen, Kallistratos, später Timotheos' gefährlicher Rivale. Die bedeutenderen unter diesen Männern waren keineswegs bedingungslose Anhänger der athenischen Demokratie. Sie zogen in gewöhnlichen Zeiten das Leben an anderen Orten dem Aufenthalt unter ihren Mitbürgern vor. 3° Chabrias war im Privatleben ein Lebemann, Iphikrates leidenschaftlicher Berufssoldat, ein großer Handwerker des Krieges, Timotheos ein Fürst, der auf seinen auswärtigen Besitzungen residierte und am liebsten nur mit Königen umging. Wenn so verschiedene Köpfe sich auf ein gemein2*

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sames Programm vereinigten, das zu ihrer sonstigen individualistischen Lebensführung so wenig stimmte, so war der Grund offenbar nicht nur die Langeweile, die sie dazu antrieb, ihre Kräfte einmal auf diese Weise zu betätigen, sondern ein höherer Idealismus muß diese athenischen Führer beseelt haben. Gewiß, sie liebten nicht den Demos, aber sie waren Liebhaber des Genius der alten Stadt Athen und wollten ihr zu neuem Glanz verhelfen. 3! Nicht weniger deutlich offenbart sich der Schwung dieses geschichtlichen Augenblicks in den Verhandlungen Athens mit den übrigen Staaten und in dem Geist der zur Gründung des zweiten Seebundes neu geschlossenen Verträge. Es war gewiß auch Erfahrung und politische Klugheit, die Athen dazu bestimmte, diesmal auf jeden an Herrschaft über die Bundesgenossen erinnernden Zwang zu verzichten, aber zweifellos haben auch die Auseinandersetzungen seit dem Ende des peloponnesischen Krieges über die Pleonexie als die Wurzel alles Übels in der Politik daran ihren vollen Anteil gehabt. Diese Gesinnung sollte durch die finanziellen Schwierigkeiten des Seebundes später leider mehr und mehr zermürbt werden. Jedenfalls fand das Athen dieser ersten Jahre des zweiten Seebundes überall volles Vertrauen, und das kann nicht nur durch den allgemeinen Haß gegen Sparta erklärt werden. Die neuen Männer und der neue Geist haben Athen die Herzen von Hellas gewonnen. Daß sein Wiederaufstieg als geschichtliche Gerechtigkeit empfunden wurde, hatte es ihnen zu verdanken. Den Gang der militärischen Operationen selbst haben wir hier nicht zu schildern. Es wäre sonst interessant, den etwas allzu eigenwilligen Charakter der Führer in diesem Spiegel wiederzufinden. Der Friede zu Sparta 371 brachte Athen die unbestrittene Seeherrschaft. Kallistratos, der nach sieben Kriegsjahren die politische Leitung fast allein noch in der Hand hatte, hielt trotz starken Widerstandes der Partei der absoluten Kriegsfreunde die Zeit für gekommen, stillzustehen und das Errungene zu sichern, ehe Athens Kräfte sich erschöpften. 3* Ich breche ab auf dem Höhepunkt des Wiederaufstiegs der athenischen Macht. Die Vernichtung der spartanischen Vorherr-

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schaft zu Lande durch den Sieg der Thebaner bei Leuktra folgte unmittelbar auf den Friedensschluß, durch den Athen sich von seinem thebanischen Bundesgenossen getrennt hatte, und gab der athenischen Politik eine ganz neue Richtung. Doch die Darstellung der historischen Ereignisse ist für uns kein Selbstzweck. Wir wollten die geistige Umwelt der Jugend des Demosthenes schildern. Ungeheure Eindrücke, die für sein ganzes Leben bestimmend werden mußten, prägten sich seiner Seele unauslöschlich ein, während er zum Jüngling heranwuchs. Die Erhebung seines Vaterlandes aus resignierter Schwäche und hoffnungsloser Isolierung zu neuer staatlicher Geltung und zu selbständiger aktiver Politik mußte die Besten mit freudiger Hoffnung und echter Teilnahme an der Sache des Staates erfüllen, und in der heranreifenden Generation, deren Kopf schwer war von so viel philosophischem Ernst, weckte die mit neuem Glanz erstrahlende Erinnerung an die große Vorzeit Athens, die aus dem Erleben der Gegenwart frische loräfte sog, den Glauben an eine Zukunft, in der zu leben es sich lohnte.

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JUGENDGESCHICHTE UND ANWALTSBERUF ICH MUSS mit einer merkwürdigen Feststellung beginnen. Demosthenes ist der erste Mensch seit Erschaffung der Welt, über dessen Jugendgeschichte wir etwas Genaueres wissen. Ein Grund hierfür ist der, daß sein Leben in eine Zeit fällt, wo der menschliche Geist — oder richtiger der griechische Geist — sich zuerst für die Entwicklung und den Lebenslauf bedeutender Individuen zu interessieren beginnt und bewußt Material dafür sammelt. Wichtiger noch ist der für uns glückliche Umstand, daß Demosthenes bei seiner Mündigwerdung sogleich vor Gericht gehen mußte, um seine Vormünder zu verklagen, die sein väterliches Vermögen veruntreut hatten, und daß uns die Reden, die der Zwanzigjährige damals gehalten hat, unter seinen späteren Gerichts- und Staatsreden überliefert sind. Bei dieser Gelegenheit mußte er die unseligen Familien- und Vermögensverhältnisse seines Hauses eingehend schildern. Und so haben wir hier den unschätzbaren, auch im späteren Altertum seltenen Ausnahmefall, daß wir einmal einen antiken Menschen nicht nur in der heroisierenden Aufmachung einer mehrere Jahrhunderte später geschriebenen tatsachenarmen Schulbiographie als leibhaftig umherwandelnden Tugendkanon kennenlernen, sondern in seine wirkliche Umwelt und in seinen Lebenskampf mit all seinen Menschlichkeiten einen tiefen Einblick tun. Vielleicht ist es ganz gut, daß wir dieser Einsicht in anderen Fällen überhoben sind, denn ohne Zweifel erschwert es meist nur unsep? Stellungnahme zu dem, was ein bedeutender Mensch seinem wahren Wesen und seiner allgemeinen Wirkung nach ist, wenn wir ihn in der Zufälligkeit seines privaten Lebens und seiner täglichen Erscheinung allzu genau kennen. Nur aus der Distanz kann er wahrhaft erkannt werden. Es kann nicht unsere Neugier erregen, wenn wir hören, wie der greise Sophokles einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausstößt, daß er jetzt endlich im Alter

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von dem schweren Joch des Eros befreit sei j1 und was wäre gewonnen, könnten wir Euripides' ganzes Unglück von nahem sehen, das in seinem Gesicht geschrieben steht. Wo wir jedoch wie bei Demosthenes unfreiwillig das Buch seines persönlichen Schicksals aufschlagen, muß dieses Mitwissen unser Verhältnis zu dem ganzen Mann umwandeln. Wir beginnen psychologisch zu verstehen, zum mindesten psychologisch zu deuten, wiederum eine Haltung, die wir gegenüber antiken Menschen nur selten einnehmen können, weil wir zu wenig von ihnen wissen, und selbst hier reicht unser Wissen in Wirklichkeit nicht aus. Dieser Lage kann nur gerecht werden, wer dem ringenden Menschen mit seinen Vorzügen und seinen Schwächen gleichsam als Freund gegenübertritt. Die Gerichtsreden des Demosthenes aus der Zeit vor seiner politischen Tätigkeit, die wir natürlich nicht um ihrer selbst willen betrachten können, geben überdies ein Bild von der athenischen Gesellschaft jener Periode, das als Hintergrund für das Persönliche von großem geschichtlichem Wert und noch gar nicht voll ausgenutzt worden ist. Demosthenes' Vater starb, als der Knabe sieben Jahre und seine kleine Schwester fünf Jahre alt war.2 Er war Besitzer mehrerer Fabriken und eines großen Vermögens gewesen. Als dessen Verwalter hatte er in seinem Testament seine zwei Neffen Aphobos und Demophon und seinen langjährigen Freund Therippides eingesetzt und ihnen zugleich die Vormundschaft über die beiden minderjährigen Kinder anvertraut. Die Mutter Kleobule war ein skythisches Halbblut aus der Krim. Solche Verbindungen waren besonders in den athenischen Kolonien häufig. „Skythe" wird Demosthenes später mehrfach von seinen Gegnern tituliert, Aischines nennt ihn einen griechisch sprechenden Barbaren. 3 Der Vater Demosthenes hatte in seinem letzten Willen auch an die Versorgung von Frau und Tochter gedacht, wie das in Griechenland Sitte war, wo die Verheiratung der Frau durch den Vater beziehungsweise durch den Ehemann geschah, wenn dieser für seine Gattin im Fall seines Todes einen neuen Ehegatten vorsah. Der Fall, daß dies nicht geschah, sondern die Wahl der Frau

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selbst freigestellt wurde, wie im Testament des Aristoteles, war wohl ungewöhnlich, zum mindesten in den besitzenden Kreisen. Dort wurde die Frage der Wiederverheiratung der Witwe in der Regel mit der Nachfolge im Geschäft verknüpft. 4 Übrigens haben die Vormünder weder die Mutter noch später die Schwester des Demosthenes geheiratet. Als der junge Demosthenes mit achtzehn Jahren volljährig wurde, übergaben die Vormünder ihm außer dem Hause und vierzehn Sklaven nur dreißig Minen Silber, im Gesamtwert etwa siebzig Minen. Dagegen macht Demosthenes in der ersten Rede gegen Aphobos eine Bilanz auf, nach der das Gesamterbe des Vaters rund vierzehn Talente betrug, für damals ein ungeheures Kapital. 5 Man würde es danach durchaus verstehen, daß nach Demosthenes' Aussage die Vormünder eine Schätzung des Vermögens in die Steuerlisten hatten eintragen lassen, derzufolge er während seiner Minderjährigkeit mit Timotheos, dem Sohn des Konon, und den Besitzern der größten Vermögen in Athen in derselben Steuerklasse rangierte.6 Das Testament selbst war verschwunden. Die Rekonstruktion des Demosthenes baut sich wohl nach Möglichkeit auf Geschäftsbüchern und Dokumenten auf; so waren zum Beispiel die Außenstände bei mehreren Banken nachträglich leicht festzustellen und werden mit Angabe der Firma aufgeführt. Allein bei der Schätzung der Lagerbestände, des Hauses und überhaupt der sachlichen Werte mußte eine Berechnung an Hand der Bücher nach zwölf Jahren auf große Schwierigkeiten stoßen, wie jeder weiß, der jemals Einblick in eine geschäftliche Bilanz genommen hat. Hier war der Mutmaßung ein weiter Spielraum gegeben, wenn auch Geschäftsverkehr und Vertragsabschluß sich, wie wir wissen, damals in Athen schon großenteils schriftlich vollzog, und die Werte, die Demosthenes anrührt, konnten natürlich zum Teil nur Idealwerte sein. Auch mußte man wahrscheinlich wesentlich mehr fordern als man hoffen durfte gerechterweise zu erlangen, denn alle derartigen Prozesse pflegen bekanntlich vor Gericht nachher zum reinen Handelsobjekt zu werden. Es ist also lächerlich, wenn moderne Philo-

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logen sich nach zweitausend Jahren noch als strenge Prüfer über die Bilanz hermachen und haargenau ausrechnen, wie viele Talente zuviel Demosthenes gefordert habe. 7 Für eine relativ hohe Schätzung der vorhandenen Werte spricht vielleicht die günstige Konjunktur, die eine Waffenfabrik beim Tode des alten Demosthenes, das heißt auf dem Höhepunkt des Krieges des zweiten Seebundes gegen Sparta, haben mußte. Der Prozeß entrollt ein Sittenbild aus den reichen Kreisen Athens in den siebziger und sechziger Jahren des IV. Jhrh. Da-' mals schrieb Plato seinen „Staat" und den „Theaetet", in dem jene unvergeßliche Schilderung des weltfernen Weisen vorkommt, der den Weg auf den Markt und zum Gericht nicht kennt. Im achten Buch des „Staates" wird die Psychologie der Demokratie gezeichnet ganz im Geiste der „nachsichtigen und nicht im mindesten pedantischen" Gesellschaft,8 in die Demosthenes' gerichtliche Reden uns einführen. Da sind zunächst die Vormünder, die nicht nur die ihnen zur Belohnung für ihre Mühe ausgesetzten Summen, sondern das ganze Geld einstecken und die Fabriken herunterwirtschaften, bis annähernd nichts mehr übrig ist. 9 Demosthenes muß gegen jeden von den Dreien einzeln klagen. Aphobos, gegen den der erste Angriff sich richtet, hatte kurz vorher (367), offenbar um sich zu sanieren, die Schwester eines schwerreichen Mannes aus der vornehmen Welt Athens namens Onetor geheiratet, die geschiedene Frau des Timokrates, der drei Jahre später Archon wurde. Demosthenes gibt das Vermögen des Onetor auf 30, das des Timokrates auf über 10 Talente an.10 Zwei Jahre nach der Heirat ließ Aphobos sich wieder scheiden. Inzwischen hatte Demosthenes den Prozeß gegen ihn angestrengt und gewonnen.11 Als er nun aber gestützt auf das rechtskräftige Urteil ein Grundstück des Aphobos pfänden ließ, wurde er von Onetor, dem Bruder der geschiedenen Frau des Aphobos, hinausgeworfen. Onetor beschlagnahmte nun seinerseits das Grundstück mit der Begründung, Aphobos schulde ihm noch die Herausgabe der Mitgift seiner geschiedenen Gattin.

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Die Folge war fur Demosthenes ein neuer Prozeß gegen Onetor." Er wirft ihm betrügerisches Einverständnis mit Aphobos vor und stellt unter Beweis, daß die Scheidung überhaupt nur ein Scheinmanöver gewesen sei, um dem Aphobos das Eigentum seiner Gattin zu erhalten. Denn er verkehre nach wie vor freundschaftlich mit Onetor, dieser sei sogar sein wärmster Fürsprecher im Vormundschaftsprozeß, die Frau aber habe trotz ihrer blühenden Jugend und ihres Reichtums nicht wieder geheiratet. Vielmehr wird das Zeugnis des Hausarztes dafür beigebracht, daß Aphobos während ihrer Krankheit nach der Scheidung an ihrem Bett geweilt habe. Auch die Beschlagnahme des Grundstücks durch Onetor sei eine bloße Schiebung. Er habe keinen Anspruch auf die Herausgabe der Mitgift von Seiten des Aphobos, da dieser eine solche überhaupt nicht erhalten, sondern bei der Heirat dem ehemaligen Gatten die weitere Nutznießung der Mitgift gegen entsprechende Verzinsung zugesichert habe, um nicht durch Gütergemeinschaft mit seiner Frau auch deren Besitz zu verlieren, wenn er, Aphobos, zur Rechenschaft gezogen würde. Denn bei der Heirat hätten bereits dauernd die Auseinandersetzungen wegen des veruntreuten Mündelgutes vor dem Archon gespielt, und Aphobos habe schon gewußt, daß Demosthenes sofort nach Erlangung seiner Volljährigkeit gerichtlich gegen ihn vorgehen werde. Diese unerfreulichen, nervenaufreibenden Streitigkeiten zogen sich Jahre lang hin. Demosthenes lud die Vormünder zwar sofort nach seiner Mündigwerdung vor den Schiedsrichter, aber zugleich mußte er seine militärische Dienstzeit als Ephebe antreten, und während dieser Jahre durfte er nach attischem Gesetz keinen Prozeß führen. Erst zwanzigjährig konnte er die Sache vor Gericht vertreten. Die Angelegenheit hatte wohl auf das Leben der Familie schon seit Jahren ihren Schatten geworfen. J3 Die Mutter hatte mit den beiden heranwachsenden Kindern ein ziemlich freudenarmes Leben geführt. Der Knabe war von zarter Gesundheit, und die Mutter hielt ihn ängstlich vom Besuch der Turnplätze zurück, wo die attische Jugend ihren Tag verbrachte und

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ihre Freundschaften schloß. Dafür vergräbt sich der Junge in frühreifem Ernst zu Hause in übermäßiges Bücherstudium. Doch die Art, wie er in dem Alter, wo die meisten nur harmlos ihre Jugend genießen, sein Leben selbständig in die Hand nimmt und für sein Recht kämpft, läßt schon früh die verbissene Zähigkeit erkennen, mit der der stille junge Mann einen unausweichlichen Entschluß durchzuführen fähig ist. Bei aller jugendlichen Bescheidenheit hat seine Haltung in den Reden, die er in diesem Prozeß gehalten hat, doch eine überraschende Festigkeit, und eine für sein Alter ungewöhnliche Kraft reifer und beherrschter Leidenschaft bricht mehr als einmal durch. Mit diesen Reden in eigener Sache hat Demosthenes zugleich seine eigentliche Laufbahn eröffnet. Sie verraten in ihrer ganzen Anlage trotz der Jugend ihres Verfassers schon den geschulten, bewußt seine Mittel wählenden Juristen und Redner. Er kann sich diese Form nicht nur für diesen einmaligen Zweck angeeignet haben, sondern hinter ihr verbirgt sich ein großes und mühsames Studium, das er nur aus innerster Neigung ergriffen haben kann und das Jahre der Ausbildung erforderte. Man muß es als einen einzigartigen Fall bezeichnen, daß ihm auf seinem beruflichen Wege das persönliche Schicksal so zum Stachel des Fortschritts wurde. Denn das ungeheure Risiko schon dieses ersten Einsatzes hat doch wohl wesentlich dazu beigetragen, daß er sogleich ein so einzigartiges Werk zustande gebracht hat, wie diese frühesten Versuche es sind. Nach unseren heutigen Begriffen ist das, was Demosthenes studiert hatte, freilich überhaupt kein bestimmtes Fach, etwa Jurisprudenz. Sie war in dem Athen des IV. Jhrh. noch nicht zu einer Wissenschaft ausgebildet, in die man in jahrelangem theoretischem Studium eindringt. Die Anfänge einer juristischen Wissenschaft finden wir erst bei dem Schüler des Aristoteles Theophrastos, der in seinem verlorenen Werk über die Gesetze ein systematisches Rechtsstudium begründet hat. M Diese Art des Betriebs der Rechtskunde ist vor allem bei den Römern zur Vollkommenheit entwickelt worden, wenn auch nicht in theoretischer

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Absicht, sondern zur praktischen Beherrschung des geltenden vielverzweigten Rechts. Es erscheint aus der Entfernung fast paradox, daß ein Volk von höchstem theoretischen Genie wie die Griechen an diesen Bereich des Lebens nicht mit wissenschaftlichem Sinne herangegangen sein sollte. Aber das, was der Grieche nennt, ist ursprünglich etwas tiefer Liegendes, Umfassenderes als unsere magere „Theorie". Es ist ein schauendes Betrachten der Welt in ihrem Totalzusammenhang, in den letzten Gründen ihrer Existenz. Erst allmählich löst sich aus diesem großen Zusammenhang die spezielle Kunde einzelner Teilgebiete ab, wie zum Beispiel eine empirisch betriebene Meteorologie oder Geographie. Aus der praktischen Heilkunst entwickelt sich im V. Jahrhundert, als das kausale Denken mehr und mehr an Stelle der mythischen Auffassung tritt, eine Wissenschaft der Medizin, wie schon früher die Anfänge der Mathematik erwachsen waren. Alle diese Wissenszweige entstanden zunächst selbständig. Erst in Platos Schule werden sie in ein allumfassendes System der Wissenschaft eingeordnet und der Herrschaft einer und derselben begrifflichen Methode unterworfen.15 Die Wirkung dieses Einflusses auf die systematische Durchbildung der einzelnen Wissenschaften wie Medizin und Mathematik ist im Laufe des IV. Jahrhunderts deutlich zu beobachten. Auch auf dem Gebiet des Rechts hegt es nicht anders. Schon imVII. und VI. Jhrh. finden wir bei den Griechen ein tiefes Nachdenken über das Wesen des Rechts und die Bedeutung einer rechtlichen Lebensordnung für den Menschen. Schrittweise folgt dann die Entstehung der einzelnen Gesetzgebungen in den Städten. Daraus erwächst bei weiterer Entwicklung der gesetzgeberischen Tätigkeit zwangsläufig mehr und mehr ein spezielles Studium. So hören wir in der älteren Komödie, daß schon die Sophisten in Athen neben ihren allgemeinen Betrachtungen über Staat und Recht mit ihren Schülern auch praktische Übungen in der Interpretation von Gesetzestexten abhielten, und daß die jungen Leute statt der Glossen im Homer jetzt das altertümliche Vokabular der Gesetze Solons, der Axones, kennen lernen mußten. Der Sophist Protagoras

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sieht in der Kenntnis der bestehenden Gesetze des Staates den wichtigsten Teil der Bildung eines Griechen im erwachsenen Alter.16 Um dieselbe Zeit nimmt die formale Kunst der Rede in den Städten einen großen Aufschwung. Sie fordert eine strenge Ausbildung des Redners vor Gericht wie in der Volksversammlung. Beides liegt für den Griechen dieser Zeit nicht so weit auseinander, da das Gericht immer mehr die Stelle wird, wo politische Kämpfe ihren Austrag finden, und auch das politische Leben genaue Kenntnis des Gesetzes voraussetzt. Die neue Kunst ist vielfach schon äußerlich an der überlegten Wahl ihrer sprachlichen Mittel zu erkennen. Wortwahl, symmetrische Satzgliederung und Figurenschmuck suchen die höchsten Ansprüche zu befriedigen. Freilich ist das, was man gewöhnlich als Inbegriff der neuen Kunstprosa ansieht, die im engeren Sinne sprachlichen und klanglichen Mittel, nicht einmal das Entscheidende.1? Die veränderte geistige und seelische Struktur des Menschen dieser Zeit führt zum vollkommenen Bruch mit der schlichten Einfachheit der Redeweise der Vorfahren und erzeugt ein unerhörtes Raffinement der Überredungskunst, das da am größten ist, wo es nicht durch auffällige und gesuchte Klangwirkungen auch den harmlosesten Hörer warnt, sondern scheinbar mit den natürlichsten Mitteln arbeitet. Diese Rhetorik schafft eine Bewußtheit der Psychagogie, wie sie selbst die Dichter der alten Zeit nicht gekannt hatten. Die logische Argumentation wird zum differenziertesten Instrument. Neben eine höchst ausgebildete Erzählungskunst, die jeden Fall so darzustellen vermag, wie sie ihn den Hörer sehen lassen möchte, tritt vor allem der Beweis in allen seinen Nuancen, von der massiven Augenscheinlichkeit gut bezeugter Tatsachen, um die es sich vor Gericht leider aber meist nicht handelt, bis zu den dünnsten Wahrscheinlichkeiten spintisierender Subtilität und zielsicherer Suggestionskraft. Diese Beweislogik steht im Dienst einer neuen bewußten Kunst p sychologischer Einwirkung auf den Hörer. Sie beherrscht virtuos alle Register des menschlichen Affektes.

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Die ältesten Proben dieser neuen Redeform, die wir haben, sind bloße Schuldeklamationen, bestimmt, in spielerischer Weise die Mittel ihrer Kunst an fingierten Beispielen aus der Welt des Mythos vorzuführen. Bald aber entsteht aus ihr eine neue literarische Gattung: die als Buch veröffentlichte Gerichtsrede. So merkwürdig diese Tatsache und der Umfang dieser Produktion uns erscheint, muß sie doch einem wirklichen Bedürfnis entsprochen haben. Antiphon und Lysias, die bedeutendsten älteren Verfasser solcher Plaidoyers, sind nicht selbst damit als Redner aufgetreten. Sie waren Redelehrer und wollten mit der Veröffentlichung Probestücke ihrer Kunst geben. Von den Sophisten unterscheidet sie andererseits die berufsmäßige Ausübung der Logographie. Das heißt sie schrieben für Geld Reden für andere Leute zum Gebrauch vor Gericht, da es in Athen keine Anwälte gab, sondern jeder, auch der ungeübteste, seine Sache selbst fuhren mußte. Hier verschmilzt also die neue Rhetorik mit der Gesetzeskunde, von der wir sprachen, zu einem eigenen neuen Beruf, einer Mischung von Schriftsteller, Redelehrer und Rechtsanwalt. Letzteres allerdings nur im privaten Sinne. Denn im Gegensatz zu den heutigen Gepflogenheiten gab es noch keine staatliche Zulassung der Anwälte, sondern es konnte sich als Redenschreiber anbieten, wer wollte: es kam nur darauf an, sich einen Namen zu machen, um Zulauf zu bekommen. l8 In der Natur dieses Berufes lag es, daß er einen vollblütigen Athener auf die Dauer kaum befriedigen konnte, weil er ihn auf die Tätigkeit in seiner Schreibstube beschränkte. Für Lysias war das etwas anderes, er war kein Vollbürger, sondern Metöke, ebenso stand es mit Isaios aus Chalkis, dem Lehrer des Demosthenes, der in Athen die Praxis eines Logographen ausübte. Für einen Athener von Talent aus guter Familie kam diese Tätigkeit nur als Durchgangsstadium zur Politik in Frage wie bei Demosthenes oder als Stufe zu einer höher angesehenen Lehrtätigkeit wie im Falle des Isokrates, der später als Haupt seiner politischen Rhetorenschule sich nicht mehr gern daran erinnerte,

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daß er als Gerichtsredenschreiber in einem kleinen Winkelbüro angefangen hatte, obgleich, wie Aristoteles sich moquiert, ganze Bündel von Rollen seiner früheren Gerichtsreden als Ladenhüter bei den Buchhändlern herumlagen. J9 Demosthenes spricht von seinem früheren Beruf freilich nicht mit geflissentlicher Geringschätzung, wie Isokrates es tut. Zu der Zeit, als Demosthenes heranwuchs, gehörte eine gute rhetorische Ausbildung schon zu den Selbstverständlichkeiten, und es war durchaus nicht zu empfehlen, ohne eine solche Ausrüstung vor ein Gericht zu treten. So wandte sich Demosthenes an den in Erbschaftssachen besonders erfahrenen Logographen Isaios und wurde sein Schüler.20 Eine schlechte Überlieferung bringt Demosthenes auch mit der Schule des Rhetors Isokrates in Verbindung. So sehr dieser sich seiner bekannteren Schüler sonst rühmt, hat er Demosthenes doch niemals erwähnt. Abgesehen von dem Gegensatz ihrer politischen Anschauungen paßt es auch an sich besser zum Charakter des Demosthenes, daß er sich in unbeirrbarer Konzentration auf ein festes Willensziel bei dem Spezialisten in die Schule begibt und sich dort mit zäher Energie auf den kommenden Kampf vorbereitet, als ihn sich bei Isokrates mit müßigen rhetorischen Schuldeklamationen beschäftigt vorzustellen. Soweit er über die Künste des alten Schlaukopfs Isaios hinaus für seine spätere Laufbahn der rhetorischen bedurfte, hat er sich die Rezeptbücher der bekanntesten Meister zu verschaffen gewußt, wie sie damals unter den Hörern abschriftlich von Hand zu Hand gingen. Darüber wußte die städtische Fama noch allerlei Einzelheiten zu berichten, die natürlich ohne Gewähr sind.31 Gerade dieses Autodidaktentum erscheint für Demosthenes bezeichnend. Er wußte überall mit sicherem Instinkt das ausfindig zu machen, wovon er lernen konnte. Wenn es sich für ihn auch nicht lohnte, für teures Geld langwierige Vorlesungen bei Isokrates zu hören, so konnte er doch schon an dessen publizierten Reden die große neue Kunst bewundern und nachahmen lernen, in der ihm keiner gleich kam,, den Bau der runden Perioden. Für den Ringkampf des gerichtl

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lichen Agon war diese Form im Grunde nicht geeignet, in der Isokrates' repräsentative Beredsamkeit sich ausschließlich bewegt. In ihr wandelt ein Satz nach dem anderen als in sich vollendetes Kunstwerk, das für sich genossen werden will, mit feierlicher Würde vorüber wie in festlicher Prozession. An einem jeden von ihnen hat der große Theoretiker ganze Tage hindurch geformt. Für ihn ist sein Ideal des Satzes absoluter Selbstzweck, und kein Inhalt ist hoch genug, um ihm als Substrat für diese Kunst der harmonischen Fügung des Gedankenumlaufs zu dienen, in der griechische Ohren stets eine der Gipfelleistungen hellenischen Formsinns empfunden haben. Demosthenes' Verhalten zu dieser Schöpfung ist interessant genug. Es zeigt die ganz natürliche Spannung zwischen dem reinen Kunstideal, das keine Rücksicht auf die Wirklichkeit kennt, und der Praxis, die gerne ihre Mittel dadurch bereichert, doch ohne sich dem aus der Höhe der Theorie kommenden neuen Kunstgeschmack bedingungslos zu unterwerfen. Der Stil der demosthenischen Reden, der gerichtlichen wie der politischen, ist allgemein dadurch charakterisiert, daß er in bewußter Reaktion gegen die akademische Programmkunst der isokrateischen Rhetorik und ihre gleichmäßige Monotonie den ganzen Reichtum der Temperamente und Ausdrucksarten des wirklichen Lebens spielen läßt. Indes an besonders akzentuierten Stellen seiner Reden macht er mit beabsichtigter Wirkung auch von dem Mittel der isokrateischen Periode Gebrauch. Seine frühesten Reden zeigen in dieser Hinsicht noch Proben von einer gewissen unfreien Gebundenheit an das Vorbild.« Aber bald wird er ein Meister in der ausgewählten Verwendung dieses Mittels, wie er denn gelegentlich auch ganze Reden in dieser Art stilisieren kann, wo er eine bestimmte Haltung einzunehmen beliebt. Wir werden darauf später noch zurückkommen. Denkwürdig bleibt bei dem größten Redner der Griechen der paradoxe Widerspruch zwischen der angeborenen Rednernatur und den körperlichen Schwächen, die ihrer Betätigung im Wege standen. Zu dem Autodidakten Demosthenes paßt aber gut der

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fanatische Fleiß und die eiserne Konsequenz, womit er sie zu überwinden sucht. Aussprache, Stimmbildung, Vortrag, kurz, alle die technischen Mittel, ohne die es keinen Redner gibt und die dem von der Natur Begünstigten mühelos zufallen, mußte er unter den größten Schwierigkeiten sich aneignen. Es war sein Glück, daß es für diese Künste zu seiner Zeit schon berufsmäßige Lehrmeister gab*3. Die bloße Tatsache ihrer Existenz beweist ja ein fortschreitendes Auseinanderfallen der vertragsmäßigen, eigentlich oratorischen Seite der Beredsamkeit und ihrer sprachlichen Form. Je mehr die Ansprüche der letzteren sich zur literarischen Kunst steigerten, um so häufiger mußten die Redekünstler werden, die wie Isokrates überhaupt nicht mehr als Vortragender öifentlich aufzutreten fähig waren oder dies wie Demosthenes ihrer Natur abringen mußten. Es bleibt für den gepriesensten aller Kunstredner eine seltsame Sache, daß er zeitlebens jeden glücklichen Improvisator zu beneiden Anlaß hatte und durch unvorhergesehene Angriffe leicht in Verlegenheit zu bringen war. Dieser Schranke seiner Natur hat er eine der peinlichsten und demütigendsten Situationen seiner Rednerlaufbahn zu verdanken gehabt, als er später, schon auf der Höhe seines Ruhmes, bei der Gesandtschaft an König Philipp von Makedonien in Gegenwart seines gehässigen Gegners Aischines in der Antwort stecken blieb und seine Rede abbrechen mußte. 2< In diesem Manne, den seine Feinde als mürrischen Wassertrinker verspotteten, rangen explosive Leidenschaft und zäher Wille mit den Hemmungen einer bis zur Unbeholfenheit schwerblütigen Anlage, und man begreift es aus den inneren Nöten seines Kampfes mit der eigenen Natur, daß Demosthenes den Vortrag für das Hauptstück aller Beredsamkeit erklärte, gerade weil diese Gabe ihm nicht von Hause aus eigen war.25 Und doch bewegt kein bloßer Literat mit angelernter Vortragskunst eine furchtsame und unschlüssige Volksmenge im Augenblick der wirklichen Gefahr. So muß denn das, was wir als wahre Rednernatur in Demosthenes anzuerkennen haben, seine Kraft wohl aus einer Tiefe des Innern schöpfen, die jenseits aller Kunst der Rede wie 3

J a e g e r , Demosthenes

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der Gebärde liegt. Doch der Weg von diesem eingeborenen Rednergeist, den er in seiner Seele trug, bis zu dem Auftreten als wirklicher Sprecher vor dem Volk war noch weit, und es war vielleicht kein Zufall, daß er nach dem ersten Erfolg vor Gericht in eigener Sache zuerst lange Jahre in dem Beruf des Redenschreibers untertauchte, ehe er den großen Schritt zur Politik tat, zu dem es ihn trieb und der ihn doch so viel Überwindung kostete. Es ist nötig, noch einen Blick auf die Zivilprozeßreden zu werfen, die Demosthenes als Logograph für andere geschrieben hat, einmal, um das Bild seiner Umwelt und Gesellschaftsschicht zu vervollständigen, das die Reden gegen die Vormünder uns enthüllt haben, aber auch um die eigentümliche Problematik dieser Tätigkeit noch etwas mehr von nahem zu betrachten. An sich galt sie, wie gesagt, nicht als etwas besonders Vornehmes, das beweist nicht nur Isokrates' Verleugnung seiner früheren Tätigkeit als Logograph, sondern auch der Spott des Aischines undDeinarchos über Demosthenes, er habe, obgleich ein reicher Mann, für andere gegen Bezahlung Gerichtsreden verfaßt.26 Wenn Demosthenes es in späteren Jahren nicht nötig hatte, sich so seinen Unterhalt zu verdienen, so hat er diese Beschäftigung offenbar eben aus einer Art Passiongetrieben. Dafür spricht auch, daß er in privatem Kreise nebenher junge Leute in der Kunst der Rede unterwies,2? genau wie es die großen römischen Sachwalter zur Zeit des Tacitus noch taten. Da das attische Gesetz ein persönliches Auftreten als Rechtsbeistand vor Gericht nur Angehörigen oder Freunden gestattete, waren die Fälle, wo Demosthenes selbst zum Plädieren kam, äußerst selten. Wir kennen einen solchen aus seiner späteren Zeit, denn bei der Rede gegen Leptines ist es nicht völlig sicher, ob Demosthenes selbst mit ihr als Fürsprecher aufgetreten ist. Doch unter der Regierung Alexanders hatte ein Verwandter des Redners namens Demon einen Prozeß gegen Zenothemis und bat Demosthenes um Fürsprache vor dem Gericht. Dieser erklärte ihm — so erzählt Demon den Richtern — er wolle diese eine Ausnahme machen,

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aber er habe sich sonst seit seinem Eintritt in die staatliche Laufbahn jedes Auftretens vor Gericht in Privatsachen grundsätzlich enthalten, aus begreiflichen Gründen.i8 Zwar machten sich nicht alle Politiker solche Skrupel, zumal in jener Zeit, wie das Beispiel des Hypereides beweist, aber Demosthenes wußte, was die Integrität für das Ansehen eines Staatsmannes bedeutet. Er hat sich jedoch nicht gescheut, bis tief in die Zeit seiner politischen Wirksamkeit hinein Gerichtsreden für andere zu schreiben, denn dies galt als Privatsache. Der Name des Verfertigers der Rede wurde vor Gericht nicht genannt, sondern blieb völlig aus dem Spiel. Es konnte also mit seiner Autorität kein Einfluß auf die Richter genommen werden. Wenn so die Genugtuung des persönlichen Einsatzes und öffentlichen Auftretens als Anreiz für den Logographen ganz fortfiel, springt der Unterschied von unserem Anwaltsberuf deutlich in die Augen. Es konnte sich in einem solchen anonymen Stande — wenn man von einem Stande hier sprechen kann — kaum ein eigenes Berufsethos entwickeln, da die Persönlichkeit des Schreibers oder Schriftstellers ja gar nicht mitsprach. Er hatte überhaupt nicht als Person für einen Mandanten, der ihm seine Sache anvertraute, Stellung zu nehmen, sondern umgekehrt sich völlig auszulöschen und zum Schreibgriffel dessen zu machen, aus dessen Mund er sprach. Die besondere Fähigkeit, auf die es dabei ankam und die schon Lysias bis zur Meisterschaft ausgebildet hatte, war die Ethopoiie, das heißt die bis zur höchsten Virtuosität ausgebildete Kunst der Charakterzeichnung des fremden Sprechers in den Worten, die man ihm lieh. Denn als echte Griechen verlangten die Richter von einer solchen Rede nicht nur die abstrakte Behandlung eines juristischen Falles, sondern sie wollten hinter dem Rechtsfall und in ihm den ganzen Menschen sehen, wenn nicht so wie er war, so doch wie er sich gab. Man kann sich ausmalen, welchen Anreiz diese Aufgabe für ein hochkünstlerisches Volk wie die Athener in einer Zeit haben mußte, da die dramatische Poesie diese Fähigkeit des sich Hineinlebens in die Seele eines anderen Menschen beim Dichter 3*

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ZWEITES KAPITEL

und Hörer bis zum Gipfel geführt hatte. Um die Wende des V. zum IV. Jahrhundert, wo die lebendige Produktion des Dramas zu versiegen anfing, entstand in der veröffentlichten Gerichtsrede eine ganz neue Form dramatischer Unterhaltungsliteratur, die sich in höchst realistischer Lebensnähe bewegte. Man hat neben dem Zweck der Reklame, den diese Veröffentlichungen für den Logographen hatten, viel zu wenig ihre Bedeutung als begehrter Unterhaltungsartikel gewürdigt. Das ist fast merkwürdig in unserer Zeit, deren Blätter täglich ihre Spalten mit endlosen Prozeßberichten füllen und für die die Tribüne des Gerichtssaals gleich nach dem Theater kommt. Man muß also das Motiv der Nächstenliebe, die anderen Menschen in der Not helfen will, völlig fern halten, um diese Art der Betätigung zu verstehen. Es ist eine soziale Erscheinung, die sich zwangsläufig aus der Tatsache ergab, daß jeder vor Gericht sich selbst vertreten mußte, und daß es andererseits Leute gab, die davon lebten, ihre höhere Bildung anderen zu diesem Zweck zur Verfügung zu stellen. Eine Identifizierung mit dem Besteller einer solchen Gerichtsrede lag hierin nicht, im Gegenteil mußte der Schriftsteller bald einen Sport aus der Kunst entwickeln, sich in die verschiedensten Verkörperungen des genus humanum zu verwandeln und das eine Mal als distinguierte Persönlichkeit der höheren Gesellschaft, bald als treuherziger Biedermann vom Lande, bald als lamentierender Kriegsverletzter, bald als ruheliebender Spießbürger zu reden, der von radaulustigen jungen Zechbrüdern versehentlich halbtot geprügelt worden ist. Die Galerie der Typen ist unerschöpf lich, und wer sie auch nur einigermaßen überblickt, dem wird alle Lust vergehen, mit dem sittlichen Maßstabe heranzugehen und zu fordern, die Künstler hätten grundsätzlich nur für solche Klienten schreiben dürfen, die eine sichere Aussicht hatten, auch vor dem künftigen Gericht im Jenseits rein und makellos befunden zu werden, wenn ihre Seele nackend vor dem Unterweltsrichter Aiakos erscheinen würde. So fremdartig uns die bis zur Entpersönlichung des Schreibers getriebene Objektivität dieser formal so bewundernswerten Kunst not-

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wendig bleiben muß, war es von ihren Voraussetzungen aus doch das einzig Mögliche, aus der Not eine Tugend zu machen und den Auftraggeber so reden zu lassen, daß er das Gefühl haben mußte, noch niemals in seinem ganzen Leben seinem besseren Selbst so nahe gekommen zu sein. Die athenischen Geschworenen waren helle genug, nicht auf jedes Manöver glatt hereinzufallen, und sie wollten nebenbei auch unterhalten sein. Darum brauchte ein braver Logograph, wenn er aus der Rede eines bedrängten Schelms ein Meisterwerk von Unschuld und Tugend gemacht hatte, noch nicht gleich das Gefühl zu haben, als ob er mit der Hölle einen Bund geschlossen habe. Daß wir verhältnismäßig so wenige Gerichtsreden des Demosthenes haben, die meisten also wohl verloren gegangen sind, läßt darauf schließen, daß diese Erzeugnisse als ephemer empfunden und daher der Aufbewahrung meistens nicht für würdig erachtet wurden. Außer den fünf Reden in der eigenen Vormundschaftssache sind gerade aus der Frühzeit des Demosthenes, als er noch bloßer Logograph war, nur sehr wenige Reden erhalten. Die Objekte sind noch nicht sehr bedeutend, der Ruf des Verfassers steht offenbar noch in den Anfängen. Aus der Zeit des Beginns seiner politischen Tätigkeit ist uns jedoch eine Anzahl von Reden überliefert, die beweisen, daß er inzwischen bereits ein sehr begehrter Mann geworden war. Man sucht seine Hilfe jetzt außer für öffentliche Anklagen auch für Privatprozesse, bei denen es sich um große Summen handelt. Einen Fall dieser Art will ich zum Schluß herausgreifen, weil er ein Schlaglicht auf die damaligen Verhältnisse wirft. Es ist die Rede für Phormion und eng zu ihr gehörig die erste Rede gegen Stephanos. Phormion war der Geschäftsnachfolger des großen athenischen Bankiers Pasion, den wir aus mehreren Gerichtssachen kennen. Auch der Vater des Demosthenes hatte, wie wir in dem Vormundschaftsprozeß hören, einen Teil seines Vermögens auf der Bank des Pasion gehabt, der der Vertrauensmann vieler reicher Athener, unter anderen des Strategen Timotheos gewesen war.

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Wahrscheinlich rührt von dieser alten Beziehung Pasions zu dem Vater des Demosthenes auch Phormions Bekanntschaft mit Demosthenes her. Phormion war ein früherer Sklave des Pasion und hatte nach seiner Freilassung in dessen Geschäft Karriere gemacht, war — ein in Athen nicht seltener Fall — zum selbständigen Leiter der Bank aufgerückt und hatte schließlich, als Pasion zu kränkeln begann, die Bank sowie eine Schildfabrik, die er daneben betrieb, von ihm gepachtet. Pasion ging in seinem Vertrauen zu Phormion aber noch weiter. Er setzte ihn in seinem Testament als Vormund seines unmündigen jüngeren Sohnes Pasikles ein und gab ihm außerdem die Hand seiner Frau und früheren Geliebten, die dadurch — ähnlich wie im Testament des alten Demosthenes dessen Gattin — versorgt werden sollte. Der ältere, schon volljährige Sohn Apollodoros, ein ziemlich problematischer Charakter, erbte zunächst nur die Hälfte des baren Vermögens, außerdem bezog er natürlich die Hälfte der Pacht, die Phormion für die Bank und die Fabrik zu bezahlen hatte, solange der Pachtvertrag noch nicht abgelaufen war. Nach dessen Ablauf teilte Apollodor mit seinem Bruder auch Bank und Fabrik, und zwar übernahm er die Schildfabrik, Pasikles wurde Eigentümer der Bank. Nach dem Tode der Mutter teilten sie auch deren Vermögen. Apollodor beschuldigte jetzt den Phormion, daß er als der zweite Gatte seiner Mutter ihm große Summen vorenthalten habe. Es kam jedoch zu einem Vergleich, Phormion zahlte dem Apollodor eine Abfindung von 5000 Drachmen, wogegen dieser sich für endgültig befriedigt erklärte. Doch gewohnt dauernd Prozesse zu fuhren, um die Außenstände seines verstorbenen Vaters einzutreiben, trat Apollodor nach achtzehn Jahren mit neuen Forderungen an Phormion heran mit der Begründung, seine Mutter habe unter dem Einfluß Phormions die Geschäftsbücher des Vaters vernichtet. Die Gegenklage Phormions erhebt formell Einspruch gegen jede neue Forderung, nachdem Apollodor auf solche endgültig verzichtet habe, beweist aber überdies, daß die früheren Tei-

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lungen natürlich an Hand der Geschäftsbücher gemacht worden seien. Die Möglichkeit, daß daneben ein Geheimbuch existiert habe, wird nicht erwähnt. Da aber Apollodor auch die Ehe mit der Mutter, einer freien Athenerin, dem Phormion als früherem Freigelassenen des Vaters zum Vorwurf gemacht hatte, so beweist die Rede für Phormion an zahlreichen namentlich aufgezählten Beispielen, daß gerade die Bankleute in Athen wie auswärts besonders häufig bei ihrem Tode ihre Frau dem Manne ihres geschäftlichen Vertrauens gaben, um das Geschäft beisammen zu halten, auch wenn dieser früher kein freier Bürger gewesen war.29 Es ist wichtig zu sehen, wie im damaligen Athen rassefremde Leute in großer Zahl sich durch ihre geschäftliche Tüchtigkeit empor arbeiteten und nicht nur das Bürgerrecht erwarben, sondern in die führenden Kreise der Gesellschaft Einlaß fanden. Phormion verteidigt sich gegen Apollodors Angriff auf seine barbarische Rasse in geschickter Weise. Er vermeidet es wohlweislich, selbst aufzutreten, da er vielleicht nicht ganz akzentfrei attisch reden kann; er ist leidend und läßt Freunde für sich sprechen. 3° Den Apollodor aber erinnert er daran, daß sein Pfeil auf ihn selbst zurückspringt, da sein eigener Vater, der große Finanzmann Pasion, auf genau dieselbe Weise wie Phormion sich emporgearbeitet und das Bürgerrecht erlangt habe. 3l Die Rede schließt mit einem wenig schmeichelhaften Porträt des Apollodor. Er ist allerdings schon eine ganze Generation länger athenischer Bürger als Phormion, der es erst vor kurzem geworden ist, aber er hat sein Bürgerrecht hauptsächlich dazu benutzt, um sein Geld durchzubringen und gegen alle bekannten Athener zu prozessieren. Letzteres beweist nicht nur die Liste der Prozesse, die Phormions Fürsprecher aufzählt. 32 Unter den Reden des Demosthenes sind sieben allein für Apollodoros verfaßt, alle in verschiedenen Rechtshändeln. Die Kritik hat freilich seit langem festgestellt, daß von diesen sieben Reden nur eine einzige wirklich von Demosthenes stammt. Dieser einzigen verdanken wir offenbar die Erhaltung auch der sechs anderen. 33 Man hat sie

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wohl nach dem Tode des Demosthenes zusammen mit der echten Rede im privaten Nachlaß Apollodors gefunden, wo man nachgeforscht zu haben scheint, weil man noch wußte, daß Demosthenes früher einmal auch für diesen gearbeitet hatte. Wir müssen uns das Corpus der demosthenischen Reden zusammengestellt denken erstens aus den von ihm selbst noch zu Lebzeiten herausgegebenen Stücken, zweitens dem, was man in seinen Papieren unediert vorfand, und drittens den Reden zum Teil zweifelhafter Herkunft, die die Herausgeber in athenischen Privatarchiven ermittelten. So hatte speziell im Fall des Apollodor die städtische Fama eine Kunde davon bewahrt, daß Demosthenes einst für ihn geschrieben hatte, weil die Gegner des Demosthenes es laut getadelt hatten, daß er kurz nach der erfolgreichen Verteidigung Phormions dessen Gegner Apollodor seine Dienste geliehen habe, noch dazu in einer Sache, die mit demselben Prozeß in Zusammenhang stand. Apollodor hatte bald nach der Abweisung seiner Klage gegen Phormion dessen Entlastungszeugen Stephanos verklagt, und diese Rede hatte er bei Demosthenes ausarbeiten lassen. Es wird gewiß öfter vorkommen, daß der, der einen Prozeß verloren hat, den Anwalt der Gegenseite für klüger hält als seinen eigenen und sich bei nächster Gelegenheit an diesen wendet. Nicht einmal, daß er es in derselben Sache tat, scheint in Athen gesetzlich verboten gewesen zu sein. Wir werden das verstehen, nachdem wir uns den wesentlichen Unterschied zwischen einem athenischen Redenschreiber und einem heutigen Rechtsanwalt klar gemacht haben. Wahrscheinlich kam das in der Praxis der Logographen öfter vor. Aber auch unter den antiken Voraussetzungen haben manche offenbar doch daran Anstoß genommen; wenigstens haben die Feinde des Demosthenes Wind davon bekommen, und Aischines hat es bei Gelegenheit gebührend ausgenützt. 3 4 Es ist ziemlich müßig, nach dem Grunde zu suchen. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat die Vermutung für sich, daß Demosthenes irgendwelche Rücksicht auf Apollodor zu nehmen hatte, der um jene Zeit den Antrag stellte, die Theatergelder für das Volk ab-

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zuschaffen, deren Verwendung für die Kriegskasse gerade Demosthenes seit langem wünschte. 35 In jedem Fall sträubt sich unser Gefühl dagegen, daß derselbe Verfasser, der das Bild des Apollodor am Schluß der Rede für Phormion entworfen hatte, jetzt eine nicht minder beißende Karikatur des Phormion am Schlüsse seiner Rede gegen Stephanos zeichnete. 36 Man sieht, der Logograph ist tatsächlich nur das lebendige Instrument in der Hand dessen, für den er schreibt. Gerade der zugespitzte Fall dieser Arbeit für beide Parteien, mag er bei Demosthenes auch durchaus vereinzelt bleiben, führt durch die Gegenüberstellung der Porträts der beiden Gegner das völlig Unverbindliche und Unverantwortliche der Kunst des Redenschreibers vor Augen. Daß Demosthenes auf den bloßen Besuch des Apollodor hin seine Meinung geändert habe, ist unwahrscheinlich. Hat er vielleicht beide Bilder, das des Phormion und das des Apollodor, bewußt nur als Mittel zum Zweck, das heißt als Karikaturen aufgefaßt, die im Fall eines Kampfes vor Gericht erlaubt sein müssen, weil niemand dort anders vorgeht und derjenige den Kürzeren zieht, der sich von der Spielregel ausschließt ? Oder hat er sie am Ende trotz der karikierenden Ubertreibungen beide für ziemlich wahr gehalten und sich wie so mancher große Porträtist mit ernster Miene über seine beiden Opfer innerlich lustig gemacht ? Es pulsiert in der antiken Redenschreiberei genug echtes Künstlerblut, um eine solche Laune für nicht unglaubhaft zu halten, zumal wenn man aus dem Bilde des reichen Geizhalses Phormion, das Demosthenes in der Rede gegen Stephanos mit besonderem Behagen ausmalt, etwa eine kleine Enttäuschung über zu schmal ausgefallenes Honorar für den gewonnenen Riesenprozeß herauslesen dürfte. Wer täglich mit dieser athenischen Gesellschaft umzugehen hatte und so hinter die Kulissen sah wie der intime Rechtsberater all dieser gerissenen Geschäftsmänner und Repräsentanten zur Schau getragener Würde, mußte die Begriffe bürgerlicher Moral und Ehrbarkeit schließlich wie im konvexen Spiegel sehen und gefährlicher Skepsis ausgesetzt sein, doppelt gefährlich für einen Menschen von demostheni-

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scher Kraft der Leidenschaft und des Willens. Er konnte auf die Dauer in dieser Sphäre nicht sein Genügen finden, auf die ihn nur seine große Gabe der Rede hingewiesen hatte. Aber gerade sein wachsender Ruf als Redenschreiber sollte ihm den Weg zur Politik bahnen helfen, wo seine Kraft ein größeres Ziel fand.

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DIE WENDUNG ZUR POLITIK DIE POLITISCHE Laufbahn des Demosthenes begann, wie es auch in Rom später üblich war, nicht mit dem Auftreten vor Rat oder Volk, sondern mit der Beteiligung an großen Staatsprozessen. Fs geschah in einem Augenblick tiefster Depression der athenischen Politik und allgemeiner Verwirrung. Es ist unmöglich uns mit einem Ruck in ihn hineinzuversetzen, nachdem wir den athenischen Staat der Nachkriegszeit bei seinem Wiederaufstieg an der Spitze des zweiten Seebundes begleitet haben bis zu dem Höhepunkt des Friedens zu Sparta im Jahre 371, durch den Kallistratos die Ernte des Krieges rechtzeitig in die Scheuern zu bergen suchte. Um den Anschluß an die politischen Anfänge des Demosthenes zu gewinnen, müssen wir nun die absteigende Kurve der Entwicklung des Seebundes verfolgen. Denn die drei innenpolitischen Prozesse, mit denen Demosthenes debütiert, drehen sich ausschließlich um die Liquidation des verzweifelten Regierungssystems, das die Dinge bis zur vollkommenen Auflösung des Bundes und zur erneuten Isolierung Athens hatte kommen lassen. Schon während der letzten Jahre vor dem Frieden zu Sparta war eine wachsende Abkühlung zwischen den beiden Hauptbundesgenossen Athen und Theben zu spüren gewesen. Ein Symptom dafür war die wohl offiziell inspirierte1 Rede des Isokrates für die von Theben drangsalierten Platäer gewesen, in der dieser hochangesehene Vertreter des überparteilichen geistigen Athen unverhohlen aussprach, daß man sich von den Thebanern ausgenützt fühle und nur so weit mit ihnen gehen dürfe, wie es im Interesse Athens und des Seebundes liege, denn auf ihn sei Theben ja doch angewiesen. Natürlich gab es in Athen auch eine prothebanische Partei, sie scheint zahlenmäßig sogar die stärkere gewesen zu sein, wenn man nach der Zusammensetzung der athenischen Delegation auf dem Friedenskongreß in Sparta urteilen darf, die wie gewöhnlich aus Vertretern der verschiede-

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nen Richtungen der athenischen Politik bestand. In ihr hatten die Thebanerfreunde völlig die Oberhand. Aber Kallistratos mit seiner ganz unsentimentalen Gleichgewichtspoliti.k, wie sie in seiner klugen Hauptrede auf dem Kongreß von Xenophon vorzüglich charakterisiert wird, setzte sich mit großem Geschick durch und manövrierte die thebanischen Bundesgenossen in eine vollständige Isolierung hinein.2 Die Politik kennt keine Dankbarkeit, und man dachte in diesem Augenblick nicht mehr daran, daß Athens Aufschwung ohne Theben unmöglich gewesen wäre. Es erwies sich jetzt als eine durchaus richtige und vorsichtige Selbsteinschätzung der Kraft des neuen Seebundes, daß die Athener bei seiner Gründung die Autonomie der Bundesgenossen grundsätzlich und in aller Form gewährleistet hatten. Man hatte offenbar damit gerechnet, sich eines Tages auch im Falle der glücklichen Behauptung der neuen Machtgruppe doch in das alte System des Antalkidasfriedens einzuordnen, und hatte den Spartanern so eine Möglichkeit bieten wollen, sich mit der vollzogenen Tatsache abzurinden, wie hier das Autonomieprinzip von Seiten Athens interpretiert worden war. Es schloß nach dieser Interpretation (entgegen der ursprünglichen Absicht Spartas) auch die Möglichkeit des freien Zusammengehens einer größeren Anzahl autonomer Städte nicht aus. Wohl aber schloß es aus die zwangsmäßige Vereinigung der Städte einer Landschaft zu einem Einheitsstaat wie der böotischen Städte durch Theben, mochte diese auch aus wirtschaftlichen und stammesmäßigen Gründen durchaus gerechtfertigt scheinen. Kallistratos bot so den Spartanern die Handhabe dar, Theben in diese Sackgasse zu treiben und es zu isolieren, für den Preis der Anerkennung des athenischen Seebundes. Sparta war dieser Preis nicht zu hoch, da es mit seinen beiden Feinden nicht gleichzeitig fertig zu werden vermochte. Theben mußte unter Protest den Kongreß verlassen, da es seinen Anspruch nicht durchsetzen konnte, die Friedensvertragsurkunde als Vertreterin aller böotischen Städte zu unterzeichnen. Kallistratos aber kehrte als Triumphaler nach Athen zurück. Er hatte Thebens Übermut gedämpft, so schien es, ohne

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Athen mit dem Odium des Verrats zu belasten, und man konnte jetzt Sparta und Theben sich gegenseitig schwächen lassen, während Athen die gewonnene Stellung in Ruhe befestigte. Allein in der Politik kann auch die sicherste Rechnung täuschen. Die verzweifelte Lage Thebens vervielfachte seine Kräfte, und unter der genialen Führung eines noch so gut wie unbekannten Mannes, des Epaminondas, der zuerst bei den Friedensverhandlungen in Sparta als Vertreter seiner Stadt durch seine ganz unböotische Beredsamkeit großen Eindruck gemacht hatte, 3 vernichteten die Thebaner bei Leuktra das „unbesiegliche" spartanische Heer. Stufe für Stufe war Sparta von der Höhe der Macht herabgestiegen, die es nach dem ersten Aufstand der Bundesgenossen im korinthischen Krieg durch den Antalkidasfrieden neu begründet zu haben schien. Die Besetzung Thebens war eine Überspannung des Bogens gewesen. Seit seiner Befreiung und der Gründung des zweiten attischen Seebundes war es mit Sparta unaufhaltsam abwärts gegangen. Der militärischen Überlegenheit entsprach eben keine wirkliche physische, geistige und wirtschaftliche Kraft. Die altspartanische Ordnung beruhte auf einer verhältnismäßig kleinen Bevölkerungszahl, das spricht gerade ein Kenner der spartanischen Verhältnisse wie Xenophon aus, 4 und nach der Vernichtung seines Heeres bei Leuktra verfugte Sparta über keine Reserven mehr. Es hat sich niemals wieder von diesem Schlag erholt und wäre verloren gewesen, wenn Athen sich nachträglich doch noch Theben angeschlossen hätte zum vernichtenden letzten Hieb gegen den jetzt schutzlosen alten Todfeind. Aber für Athen war an die Stelle Spartas jetzt Theben getreten. Das immer weitere Abrücken von diesem bisherigen Bundesgenossen mußte nach dem Gleichgewichtsprinzip des Kallistratos jetzt mit logischer Notwendigkeit zu einem offenen Militärbündnis Athens mit Sparta fuhren, und er hat diese Folgerung kaltblütig gezogen, so schwer sie den Gefühlspolitikern in Athen auch wurde. Vergegenwärtigen wir uns die neue Lage der griechischen Politik. Die folgende Entwicklung ist beherrscht von der jetzt ein-

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setzenden Machtpolitik des unter der Führung des Epaminondas rasch emporstrebenden Theben. Sie richtet sich einerseits traditionell gegen Sparta und sucht es weiter zu schwächen. Anderseits strebt sie in dem Räume von Mittel- und Nordgriechenland ihre Einflußsphäre systematisch zu erweitern. Die Verlagerung des Schwerpunktes der gesamten griechischen Politik von ihren beiden historischen Kraftfeldern, dem Peloponnes und derÄgäis, nach dem kulturell und machtpolitisch noch unfertigen Norden, welche wir in demosthenischer Zeit als gegebene Voraussetzung vorfinden, ist während der thebanischen Vorherrschaft zur endgültigen Tatsache geworden. Der Wandel der Macht kommt am deutlichsten zur Erscheinung in dem wiederholten Einmarsch der Thebaner in die südliche Halbinsel Griechenlands, die früher nicht einmal das Heer der Perser betreten hatte. Außer der unmittelbaren militärischen Bedrohung Spartas, die sogar zur bewaffneten Intervention athenischer Truppen an der Seite der Spartaner führte, operiert die thebanische Politik im Peloponnes in den folgenden Jahren mit drei feststehenden Faktoren. Der eine ist die demokratische Bewegung in den früher unter dem Einfluß Spartas aristokratisch regierten peloponnesischen Staaten. Mit ihr Hand in Hand geht die von Theben unterstützte Unabhängigkeits- und Einigungsbewegung in dem bisher in lauter kleine Gemeinden zersplitterten arkadischen Bergland. Der dritte Faktor ist die von Theben kräftig geschürte Irredenta unter den seit Jahrhunderten von Sparta unterdrückten Messeniern. Die Politik des IV. Jahrhunderts hatte gelernt, mit den alten Idealen geschickt als Schlagwort zu arbeiten. Isokrates empfiehlt später König Philipp, 5 vor allem das Wort Freiheit gegenüber den Völkern Asiens öfter anzuwenden, denn dieses Wort habe durch seine verderbliche Wirkung auf die Griechen bewiesen, daß es das beste Mittel sei, um mächtige Reiche zu zerstören. Darin waren schon die Spartaner im peloponnesischen Kriege als Lehrmeister vorangegangen,6 und Epaminondas wandte diese Lehre nun erfolgreich gegen Sparta selbst an, indem er im Falle Messeniens zeigte, daß einer Rückwärtsrevision der Geschichte keine

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Zeitgrenzen gesteckt sind, mögen ihre „vollendeten Tatsachen*c nun Jahrzehnte oder Jahrhunderte alt sein. Wir werden auch die in diesem Jahrzehnt geschaffene neue Lage im Peloponnes: ein schwaches Sparta, ein selbständiges Messenien und ein geeintes Arkadien mit der neu gegründeten künstlichen Hauptstadt Megalopolis in der Politik der demosthenischen Zeit wiederfinden. Diese geschichtlichen Wirkungen haben ihren Urheber Epaminondas überlebt. Durch seinen Tod bei dem letzten Einfall in den Peloponnes, in der für Theben siegreichen Schlacht bei Mantinea (362), kam die Aurwärtsbewegung dieses Staates zum Stillstand. Sie hinterließ den Süden und Norden, wo von jetzt ab der thebanische Einfluß allmählich wieder schwand, im Zustande des Chaos. Es erwies sich, wieviel leichter es ist, die labile Ordnung einer politischen Welt zu stören als eine neue an ihre Stelle zu setzen. Während der neun Jahre thebanischen Glanzes von Leuktra bis Mantinea hat Athen seine im Frieden zu Sparta errungene Gleichgewichtslage in der griechischen Staatenwelt unter der zielsicheren und stetigen Leitung des redegewaltigen Kallistratos noch längere Zeit behauptet. Nach dem Abflauen der ersten Begeisterung der Gründungsjahre hat er die Stellung des Seebundes nach allen Seiten programmäßig zu festigen gesucht und ihn nach Leuktra zunächst sogar noch wesentlich ausgedehnt. Überhaupt ist die Haltung Athens formell von absoluter logischer Folgerichtigkeit. Niemals war die Diplomatie zu einer so bewußten Kunst entfaltet worden wie in dieser Periode. Sie wird jetzt zu einem aufregenden, nach festen Regeln sich vollziehenden virtuosen Spiel. Die Entwicklung der Form und Gedankenwelt der Diplomatie verdiente eine genauere Darstellung, sie ist bisher zu wenig beachtet worden. Die auf den ersten Blick verwirrende Verflechtung der griechischen Geschichte des IV. Jahrhunderts ist nicht zuletzt darum so interessant, weil sie sich bei näherem Zusehen fast in eine Schachpartie verwandelt, in der wir noch heute imstande sind, jeden Zug der Spieler mitdenkend oder vorwegnehmend auf seine Richtigkeit zu prüfen. Aber der geistigen

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Elastizität der politischen Leiter entspricht nicht die vitale Kraft der Staaten, und wenn die Kunst durch diesen Mangel auch gerade hervorgerufen wird, so vermag sie ihn doch nicht völlig auszugleichen. Das gilt auch von dem attischen Seebund nach Leuktra. Das weitere Anwachsen des attischen Seebundes nach der spartanischen Niederlage war eine bloße Scheingesundheit. Mit der Furcht vor Sparta war in Wahrheit das Hauptmotiv hinfallig geworden, das diese locker gefugte Einheit innerlich zusammenhielt. Die Bundesgenossen hatten nicht wie Athen ein Interesse daran, die Spitze des Bundes jetzt gegen Theben statt gegen Sparta zu kehren, denn die Insel- und Küstenstädte, die den Hauptteil der Bündner ausmachten, hatten keinerlei Reibungsflächen mit der agrarischen Landmacht Theben. Je weniger aber ihr Interesse sich mit dem athenischen deckt, desto mehr wird Athens sich anpassendes Lavieren zu einer bloßen Scheinpolitik ohne starken eigenen Kurs. Das erste Symptom, daß die Stellung der athenischen Führer auch innenpolitisch zu schwanken beginnt, ist der sogenannte oropische Prozeß (366), in dem Kallistratos und Chabrias von der böotischen Partei in Athen angeklagt werden, den Verlust des wichtigen Grenzortes Oropos an Theben verschuldet zu haben. Der Platz war nach dem Übergang der benachbarten Insel Euboia vom Seebund zu den Thebanern auf die Dauer kaum zu halten, und die Führer traf wohl keine Schuld. Die glänzende Verteidigung des Kallistratos war die erste große politische Rede, die der siebzehnjährige Demosthenes hörte. Es war ein „großer Tag", und er hatte sich hinter seinen Pädagogen gesteckt, daß er ihn heimlich bei der Verhandlung einschmuggeln solle. 7 Die Rede führte zum vollen Sieg und zur Freisprechung des überlegenen Staatsmannes, den Demosthenes zeitlebens bewunderte, und dessen Vorbild offensichtlich stark auf ihn gewirkt hat.8 Der letzte Erfolg des Kallistratos war es, den neuen Einheitsstaat der Arkader, den Theben im Peloponnes gegen Sparta geschaffen hatte, auf Athens Seite hinüberzuziehen. Er hatte sich bei dieser Gesandtschaft in Arkadien

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mit seinem großen thebanischen Gegenspieler Epaminondas im Redekampf gemessen und ihn besiegt. Aber es ist schwer zu sagen* welches der Ausgang gewesen wäre, wenn Epaminondas länger gelebt und die thebanische Hegemonie auf die See ausgedehnt hätte. Der erste Schritt zur Verwirklichung seines Wortes, man müsse die Propyläen von der Akropolis in Athen auf die thebanische Kadmea versetzen,9 war die Schaffung einer großen Flotte und die Anknüpfung von Verhandlungen mit den athenischen Bundesgenossen Chios, Rhodos und Byzanz, die durch die sensationelle Übungsfahrt der jungen thebanischen Flotte unter Epaminondas bis nach Byzanz einen besonderen Nachdruck erhielten. Der Abfall dieser wichtigen Handelsstaaten von Athen besiegelte bekanntlich einige Jahre später das Schicksal des Seebundes, und Epaminondas scheint schon damals scharfsichtig die Punkte erspäht zu haben, wo er brüchig war. Nach dem Tode des Gegners stürzte mit dem Nachlassen des Gegendruckes, der ihn noch gehalten hatte, auch Kallistratos in Athen, und der bedeutende Mann, dessen politischer Fähigkeiten Athen in diesem Augenblick mehr denn je bedurfte, ging in die Verbannung. Er hat zwar immer fest an seine Rückkehr geglaubt und mehrfach aus der Ferne Athen politisch zu nützen gesucht. Aber über den rechten Zeitpunkt der Heimkehr hat er sich getäuscht und mußte, als er nach Jahren den Versuch machte, den Giftbecher leeren. Es hatte in der letzten Zeit des Kallistratos nicht an Mißerfolgen gefehlt, die der Anlaß zu seinem Sturz werden konnten. Leider bleibt die Machtgruppe, die ihn herbeiführte und die Herrschaft an sich riß, für uns eine unbekannte Größe. Ein Name, der mehrfach hervortritt, ist Aristophon, ein betagter, angesehener Politiker, der schon in dem ersten Jahrzehnt nach dem peloponnesischen Kriege eine Rolle gespielt hatte. In unserer Überlieferung erscheint er als unentwegter Anhänger des Zusammengehens mit Theben. Schon dadurch mußte er in Gegensatz zu Kallistratos geraten. Aber die Gegnerschaft erstreckte sich auf die ganze Art der Staatsführung. Die neuen Leute hielten in jeder Hinsicht eine schärfere Tonart für angezeigt. Sie zogen die Zügel der Ver4

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waltung straffer an, stellten angeblich säumige oder eigenmächtige Feldherren vor Gericht und zogen ihre politischen Vorgänger zur Verantwortung. Es ist nicht leicht ihnen gerecht zu werden; nach ihren Erfolgen muß man urteilen, daß sie Athen in Grund und Boden regiert haben. Irgend eine feste Linie sucht man vergebens in ihren Unternehmungen. Statt dessen rücksichtslose Übergriffe und unverzeihliche Fehlgriffe. Der Überspannung der athenischen Stellung als Vormacht des Seebundes entspricht die drohende Geste der brutalen Schwäche, und das mühsam angesammelte Kapital von internationalem Vertrauen wird rasch wieder verausgabt. Es ist die Zeit der ständigen Interventionen Athens in auswärtigen Streitigkeiten, des Antichambrierens an fremden Fürstenhöfen, der tumultuarischen Söldnerstreifzüge in Kleinasien, wo das Perserreich zeitweise im Begriff stand, sich in eine Anzahl selbständiger Staaten aufzulösen, und die Statthalter des Großkönigs einander bekriegten, bis der neue Herrscher Ochos Artaxerxes Wandel schaffte. An den Dardanellen sucht Athen immer wieder Fuß zu fassen, aber ein Feldherr ersetzt den anderen, alle werden wegen Mißerfolgs abberufen und verurteilt. An der Küste von Makedonien geht Amphipolis an der Strymonmündung, der wichtigste Hafen für den Handel mit dem Binnenlande, den Athenern verloren, als nach dem Tode König Perdikkas III. (360) Philipp II., ein Mann von genialer Tatkraft, das Steuer ergreift. Der Verlust der für Handel und Seestrategie gleich wichtigen Insel Kerkyra wird durch den vereinzelten Lichtblick der Wiedergewinnung Euboias kaum ausgeglichen. Ein Jahr darauf (357) fallen die Bundesgenossen ab, Chabrias fallt in der unglücklichen Seeschlacht von Chios. Eine neue, mit der Kraft der Verzweiflung ausgerüstete Flotte läuft aus unter Iphikrates, Menestheus, Timotheos, den Männern aus der Zeit des Aufstiegs des Seebundes, und Chares, dem Vertrauensmann der jetzigen Machthaber. Aber als letzterer gegen den Widerspruch seiner Mitfeldherren den Feind angreift, wird er geschlagen, und den drei anderen wird der Prozeß gemacht. Nach zwei Jahren

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des Kampfes und der Erschöpfung bietet Athen den abgefallenen Bundesgenossen den Frieden an. Er drückt das Siegel unter die Vernichtung der alten Verträge, die den mit so großen Hoffnungen begrüßten zweiten Seebund gestiftet hatten. Athen steht wieder isoliert da wie vorher, finanziell zerrüttet, mit Theben zerfallen, ohne Rückhalt an Sparta, das nichts mehr bedeutet, auf dem Meer ohne Stützpunkte, mit dem Perserreich in schlechtesten Beziehungen. Die Helden der Periode des Aufschwungs, Kallistratos, Timotheos, Chabrias sind tot, und die Lage im Innern beleuchten die Worte des Isokrates im „Areopagitikos", worin er den Ruf nach einer Verfassungsreform erhebt:10 „Wir sitzen bei den Werkstätten herum und schelten auf die herrschenden Zustände und sagen, daß wir, so lange wir unter der Demokratie leben, noch niemals schlechter regiert worden sind." Die Flugschrift rät zur Rückkehr von der entarteten Massenherrschaft zu einem autoritären Staat mit einem starken Areopag als Zentralgewalt. Freilich verschweigt sie, woher das ihr sympathische11 besitzende Bürgertum die Macht nehmen soll, die der Träger einer solchen Autorität sein müßte. Es sind also nur fromme Wünsche nach einer Reaktion ohne irgend welche Andeutung, wie denn das Problem der Masse gelöst werden soll. Aber der „Areopagitikos" bleibt ein historisches Dokument von äußerster Wichtigkeit für die innenpolitische Entwicklung Athens in der Zeit des Niedergangs des zweiten Seehunds, und ich glaube, diese Wichtigkeit erhöht sich noch bedeutend, wenn diese Denkschrift nicht das Produkt des vollendeten Zusammenbruchs der athenischen Macht im Bundesgenossenkriege ist, wie man allgemein annimmt, sondern noch in der Friedensperiode abgefaßt worden ist, welche dem Ausbruch des Bundesgenossenkrieges unmittelbarvoranging. Dies läßt sich aber, wie mir scheint, mit zwingenden Gründen beweisen.12 Der „Areopagitikos" setzt noch eine erhebliche Macht Athens voraus, die Existenz einer zahlreichen Flotte und einer Bundesgenossenschaft, an deren gutem Willen für den Verfasser noch kein Zweifel erlaubt ist. Doch an dem außenpolitischen Horizont Athens ziehen sich drohende 4*

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Wolken zusammen. Die hellenischen Städte an der nordgriechischen Küste, die zum Seebund gehört hatten, als dieser auf dem Gipfel seiner Macht stand, d. h. nach der erfolgreichen Strategie des Timotheos in diesen Gegenden im Jahre 364, sind jetzt von Athen abgefallen und endgültig verlorengegangen. Das ist die Situation nach der Thronbesteigung König Philipps von Makedonien (359/8). Es handelt sich nicht nur um den Verlust von Amphipolis, sondern um alle Städte des chalkidischen Bundes auf der thrakischen Halbinsel, die im Verlauf des athenisch-makedonischen Streites um Amphipolis zu Philipp übergingen. Die Ausgrabungen in Olynth, die von der Expedition der Universität Baltimore seit Jahren veranstaltet worden sind, haben jetzt sogar den Wortlaut des Bündnisvertrages zwischen Philipp und den chalkidischen Städten, der ihren Abfall von Athen besiegelte, auf einer Inschrift in Olynth wieder zutage gefordert. Nicht lange danach, noch vor dem allgemeinen Abfall der übrigen Bundesgenossen, muß Isokrates den„Areopagitikosie geschrieben und veröffentlicht haben. Die Denkschrift gibt sich als einen Ruf zur Umkehr in letzter Stunde. Wie der „Plataikos" und „Archidamos" steht auch sie offensichtlich im Dienste der realen Politik. Sie ist nicht bloß aus Isokrates' persönlicher Initiative entsprungen. Er fordert eine entscheidende Verstärkung des staatserhaltenden Einflusses der besitzenden Klasse und den unverzüglichen Abbau der gegenwärtigen Demagogenherrschaft, die über kurz oder lang zum Ruin fuhren müsse. Von hier fuhrt eine stetige Linie zu der Friedensrede, die am Ende des Bundesgenossenkrieges steht. Zwar wäre es nicht möglich gewesen, während des Krieges den führenden Staatsmännern mit der Forderung einer Einschränkung der Demokratie in den Rücken zu fallen, aber es ist vollkommen deutlich, daß die Friedensrede nur ein neuer Vorstoß der Politik der reichen Kreise Athens ist, die schon im„Areopagitikos" ihre innenpolitischen Ansprüche angemeldet hatten und nun offen aussprechen, welchen Gebrauch sie in der Außenpolitik von der innenpolitischen Macht gemacht haben würden, wenn ihre Verfassungsreformwünsche seiner Zeit in Erfüllung gegangen

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wären. Aber damals war es noch zu früh für sie gewesen. Erst nach dem verlorenen Kriege ist ihre Stunde gekommen. Interessant ist nur, wie lange vorher sich der Umschwung des Jahres 355 vorbereitet hat, der die Opposition zur Macht führte. Sie mußte jetzt ohne Reform der Verfassung auskommen: es waren dringendere Aufgaben, die ihrer harrten. Ihr Umkreis wird umschrieben durch die Friedensrede des Isokrates und die Schrift Über die Einkünfte. Für die Außenpolitik hatte Isokrates in seiner Rede Über den Frieden bereits vor Friedensschluß einen vollkommenen Systemwechsel empfohlen: die Preisgabe des hegemonialenPrinzips und die Rückkehr zum Autonomiegedanken des Antalkidasfriedens. Er war eingetreten für die Selbstbeschränkung Athens auf den allerengsten Kreis, um die äußere Sicherheit des Staates zu gewährleisten, für Herstellung des inneren Friedens, für Hebung der Wirtschaft und für die Wiedergewinnung eines guten Namens bei den übrigen Staaten. Die durch mehrere Jahrzehnte sich erstreckenden Reden des Isokrates sind das Barometer der athenischen Macht. Wenige Jahre zuvor hatte er im„Areopagitikos"J3 Athen noch als Führerin der Seestädte darstellen können, würdig, nicht nur über seine Bundesgenossen zu gebieten, sondern die ganze Welt zu regieren; und einst im „Panegyrikos" hatte er die Stadt im Geiste mit Sparta zusammen an der Spitze von Hellas gesehen, wie sie den Krieg gegen den persischen Erbfeind eröffnete, der Hellas die Einheit bringen sollte. So wenig wie dieser Traum enthielt der jetzige Vorschlag irgend einen wirklich konstruktiven Gedanken; denn was bedeutete die Rückkehr zum formalen Autonomieprinzip des Antalkidasfriedens, wenn keine starke Macht wie einst Sparta als Garantin hinter dieser Ordnung stand ? Es ist in Wahrheit nur das Eingeständnis der vollständigen System- und Prinziplosigkeit der griechischen Staatenwelt. Zum erstenmal wird hier ihre Auflösung in ihre Atome als Selbstzweck ausgesprochen. Die Forderungen des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und der moralischen Selbstbesinnung sind das einzige Positive in diesem Verzichtprogramm, das heißt die

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nächsten Zukunftsaufgaben liegen jenseits der Grenzen der Staatspolitik. Eine ähnlich nüchterne Sprache führt die unter Xenophons Namen überlieferte Flugschrift Über die Einkünfte, welche nicht viel später geschrieben ist und die Zustände nach dem Bundesgenossenkrieg voraussetzt.1* Auch sie will aus Athen endgültig eine friedliche Handelsrepublik machen, die politisch ohne Ehrgeiz ist und auf jedes Machtstreben grundsätzlich verzichtet. Die Kritik des Imperialismus und seiner Machtgier war zuerst nach dem peloponnesischen Kriege aufgekommen. Jetzt erneuert sie sich automatisch und wird hier dazu verwendet, um dem Programm der Beschränkung auf das rein Wirtschaftliche eine Art moralischen Unterbaus zu geben. Namentlich am Anfang und noch ausführlicher am Schluß erörtert der Verfasser dieses Problem. Seiner irenischen Natur entspricht es nicht, den Vertretern der bisherigen entgegengesetzten Politik leidenschaftliche Vorwürfe zu machen. Athen verträgt jetzt solche Kämpfe nicht. Er geht vielmehr von einer Verteidigung dieser Politik aus, die er gehört haben will: die athenischen Führer wüßten so gut wie andere, was gerecht sei und was nicht, sie seien aber durch die Armut Athens zu ihrer imperialistischen Seebundspolitik gezwungen gewesen . . . Er jedoch will beweisen, daß Athen auch ohne diese Politik existieren kann. *5 Das war nach dem Verlust aller auswärtigen Besitzungen und aller Bundesgenossen, die nach Athen Steuern zahlten, allerdings jetzt eine Notwendigkeit geworden. Den Hauptteil der Schrift füllen die konkreten Vorschläge zur Sanierung der Wirtschaft und der staatlichen Finanzen. Im Gegensatz zu Isokrates hören wir hier die Stimme eines wirklich erfahrenen Wirtschaftspolitikers, der von höherer Warte zu der neuen Lage Stellung nimmt. Ein trübes Bild der inneren Krisis nach dem Kriege enthüllt sich hier. Die Stadt ist entvölkert, Handel und Verkehr stocken, der Hafen ist leer von fremden Schiffen, die Staatskasse bedarf neuer Einnahmequellen. Die Hauptsteuerzahler, die reichen Nichtbürger mit ihren großen Vermö-

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gen, die sonst aus Lydien, Phrygien, Syrien und anderen Ländern zugeströmt waren, wie der Verfasser berichtet, um hier ihrem Vergnügen zu leben oder ihren Geschäften nachzugehen, sind massenhaft ausgewandert, weil sie im Krieg zum Militärdienst herangezogen wurden und auch sonst bei ihrer politisch rechtlosen Stellung zur Zeit mehr Nachteile als Vorteile von ihrem Aufenthalt in Athen hatten.16 Der Verfasser verspricht sich von der besseren Behandlung dieser Leute, ohne daß es den Staat etwas kostet, eine Belebung des Zuzugs und der Bautätigkeit und eine erhebliche Steigerung der Steuereinnahmen. Er empfiehlt sogar die Errichtung eines besonderen Metökenfursorgeamtes nach Art des Waisenfürsorgeamts. Man solle den Fremden nach sorgfältiger Prüfung ihrer Würdigkeit auch das Recht zum Erwerb von Grundeigentum geben, wenn sie bauen wollten, da in der Stadt so zahlreiche Grundstücke unbebaut lägen, und ihnen Athen möglichst zur Heimat machen. Auch für die Fremden, die nur vorübergehend zu Handelszwecken nach Athen kämen, solle man mehr neue Unterkunftsstätten und Geschäftshäuser am Hafen bauen, ebenso für die Kaufleute am Hafen und in der Stadt. Neben den Vorschlägen zur Hebung des Fremdenverkehrs und des Zustroms der Metökengeht die Schrift besonders ausfuhrlich auf die metallischen Bodenschätze Attikas ein und macht sehr genaue Angaben über die Geschichte der Silberbergwerke in Laureion und die Möglichkeiten ihrer rationelleren Ausbeutung durch die private und öffentliche Hand.1? Das Nebeneinander dieser beiden Vorschläge, der besseren Behandlung der Fremden und der Intensivierung der Silbergewinnung, wirkt auf den ersten Blick seltsam und zufällig, aber beide entspringen aus der Umstellung der athenischen Finanzpolitik, die sich aus der Auflösung des Seebundes zwangsläufig ergab. Der Gedanke der Autarkie lag der ökonomischen Theorie jener Zeit an sich nahe, und Athen schien durch seine neue Lage erst recht auf ihn hingewiesen. Aber die Bevölkerung konnte nicht von den landwirtschaftlichen Erzeugnissen ihres eigenen unergiebigen Bodens leben, man mußte im

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großen Maßstabe importieren ohne eine gleichwertige Ausfuhr. Man mußte daher versuchen, wenn man nicht mehr vom Geld der Bundesgenossen oder den Repressalien des Krieges leben konnte, die passive Handelsbilanz durch stärkere Ausnützung der nichtagrarischen Bodenschätze und vor allem durch die Gelder auszugleichen, die die Fremden nach Athen brachten. Das ist durchaus logisch und zeigt, daß der Verfasser die schwierige Situation nach dem Kriege in ihrer prinzipiellen Neuheit völlig klar erfaßt hat. Er zieht aus ihr die Folgerungen für die exklusive athenische Bürgerrechts- und Rassenpolitik, wie sie seit dem Ende des peloponnesischen Krieges manche patriotischen Staatsmänner mit ihren Gesetzen verfolgt hatten.18 Sie mußte in diesem Lande unter den gegenwärtigen Umständen mit grundlegenden Forderungen der Wütschaft in Widerstreit geraten und zu einem circulus vitiosus fuhren. Es blieb Athen gar nichts übrig als eine möglichst volkreiche Fremdenstadt zu werden oder allmählich zu verhungern. Die Schrift richtet sich gegen die bisherige Führerschaft des Staates, die sich auch nach dem Friedensschluß zunächst noch zäh am Ruder behauptete. Auf Seiten der Opposition finden wir auch Demosthenes in seinen drei ersten öffentlichen Prozeßreden, die der gleichen Zeit angehören. Auch sie drehen sich ausschließlich um die Liquidation des verzweifelten Regierungssystems, dessen Vertreter die Dinge so weit hatten kommen lassen und jetzt mit noch verzweifelteren Mitteln einen Ausweg aus der furchtbaren Lage suchten. Auch die drei Reden des Demosthenes wenden sich vor allem gegen die Finanzpolitik der Regierenden. Auf sie konzentriert sich offensichtlich im Augenblick der eigentliche Kampf. Demosthenes tritt auch jetzt zunächst noch nicht selbst hervor, wenigstens die beiden Reden gegen Androtion und Timokrates sind für andere geschrieben. Das Neue ist nur, daß Demosthenes hier zum Redenschreiber in ausgesprochen politischen Prozessen wird. Von hier bis zum eigenen Auftreten ist nur noch ein Schritt. Im Altertum hat man angenommen, daß dieser Schritt in der dritten der Reden, gegen

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Leptines, getan worden sei. Sicher ist das keineswegs, wenn auch nicht zu widerlegen. Jedenfalls wird aber durch die übereinstimmende Richtung aller drei Reden bewiesen, daß Demosthenes seine Kraft hier in den Dienst einer Offensive stellt, an der er innerlich beteiligt ist, und die sich ein weiteres Ziel gesteckt hat. Die Personen, gegen die sie vorstößt, sind alle drei Vertreter des Kreises um Aristophon. In ihnen sucht der unsichtbare Leiter des Angriffs das ganze System zu treffen. Wir haben also hier ein Beispiel dafür, wie in Athen die Opposition in einem derartigen Falle den Kampf führte. Man hat sich früher die Frage nach den parteipolitischen Hintergründen der ersten Staatsprozeßreden des Demosthenes kaum gestellt, aber sie ist von Bedeutung für das Verständnis des Staatsmannes Demosthenes, zunächst einmal für die Beurteilung seiner politischen Stellung in semer gleichzeitigen ersten Staatsrede über die Symmorien. J9 Hier wie dort handelt es sich letzten Endes um die Finanzpolitik oder doch um finanzpolitisch wichtige Maßnahmen des Staates. Es leuchtet ein, daß vor allem die Geldkreise hier interessiert sein mußten. Ihre radikale Kritik an der Ausartung der bisherigen Demokratie und ihrer Politik haben wir kennen gelernt. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die von Demosthenes im gleichen Augenblick und in gleichem Sinne unternommene Offensive von einer anderen Gruppe ausgegangen ist, zumal da er von Geburt zu dieser Schicht gehörte. Da unsere Überlieferung uns in dieser Frage im Stich läßt, sind wir freilich auf bloße Rückschlüsse angewiesen, doch diese gewinnen um so mehr an Wahrscheinlichkeit, je mehr die Tendenz der verschiedenen Reden des Demosthenes in dieser Zeit in eine und dieselbe Richtung weist. Den Führer der Opposition nach dem Kriege kennen wir: es war der hervorragende Finanzpolitiker Eubulos, der nach dem Sturz des Aristophon und seiner Freunde lange Jahre entscheidenden Einfluß auf die Leitung des athenischen Staates ausgeübt hat, Demosthenes' späterer Gegner. Diese klassisch gewordene Gegnerschaft, in der sich zwei unversöhnliche Prinzipien des

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politischen Denkens verkörpern, hat die Nachwelt lange Zeit verhindert, aus den bekannten Tatsachen der ersten Reden des Demosthenes den unausweichlichen Schluß zu ziehen, daß er, wenn nicht als Eubulos' Parteigenosse, so doch im Kampf gegen dieselben Gegner seine Laufbahn begonnen hat. Für einen starren, moralistischen Demosthenesenthusiasten wie Arnold Schaefer war ein solcher Weg seines Helden freilich noch unvorstellbar. Für ihn war Demosthenes von Anfang an der bewußte und fertige Vaterlandsretter der Philippischen Reden, der unerbittliche Prinzipienstreiter und sittliche Erneuerer des Staates. Er steht von seiner ersten Rede an ganz auf eigenen Füßen und lehnt sich an niemand an. Dieser Demosthenes gleicht dem statischen Bilde der heroischen Charaktere der antiken Biographie. Aber auch die moderne Geschichtschreibung Belochs arbeitet noch mit denselben starren Typen, nur daß das klassizistische Ideal hier in sein Gegenteil umgeschlagen ist. Für diesen unerschütterlichen matter of fact-Sinn ist der kluge moderne Geschäftsmann Eubulos das Urbild des wahren Staatslenkers; es ist daher undenkbar, daß die Kurve des Demosthenes irgendwann eine Strecke lang mit der seinigen zusammengegangen wäre. Dieser Demosthenes ist von Anfang an der wirklichkeitsfremde Ideologe und Fanatiker, der zu seinem und des Vaterlandes Unglück in die Politik hineingerät und prädestiniert ist, dort Schiffbruch zu erleiden. Beide Auffassungen tun der Geschichte wie der Psychologie Gewalt an. Schon die antiken Historiker und Biographen haben ihre liebe Not, diesen Mann und sein politisches Wollen als eine wandellose Einheit zu sehen, weil ihnen der Gedanke einer Entwicklung fernliegt und deshalb jeder Wechsel der politischen Haltung für sie Charakterschwäche bedeutet. Ohne voreilig solche Folgerungen zu ziehen, werden wir aufmerksam auf jeden Zeugen achten, der die Tatsache dieses Wechsels bekundet. Da uns nähere Angaben über seine Art und seine Gründe fehlen, ist es an uns, die Reden des Demosthenes daraufhin zu verhören. Erst wenn die Tatsache einer Richtungsänderung seines Kurses als solche feststeht, kann der Versuch gewagt werden, in dem vermeint-

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lichen Widerspruch eine tieferliegende Einheit der staatsmännischen Haltung zu suchen und die Zugehörigkeit zu einer oder der ändern „Partei" von hier aus als etwas für Demosthenes Sekundäres zu begreifen. Androtion war ein Schüler des Isokrates20 und ist der Verfasser der attischen Chronik, die später oft zitiert wird. Seit den ersten Zeiten des Seebundes können wir seine politische Tätigkeit verfolgen. Auf einer Inschrift ist er als Kommandant der attischen Besatzung vonArkesine auf Amorgos bezeugt, wahrscheinlich im Bundesgenossenkrieg.21 In der Rede gegen Timokrates treffen wir ihn als Gesandten wieder. Er muß einer der wichtigsten Genossen des Aristophon gewesen sein und spielte nach dem Krieg auch in dessen Steuerpolitik eine Rolle. Die Unbeliebtheit, die er sich dabei zugezogen hatte, wird in der Rede des Demosthenes gegen ihn als Hebel benutzt, um ihn zu entfernen. Der formelle Anklagegrund ist jedoch ein anderer. Androtion hatte schon vor Rücktritt des Rates bei der Volksversammlung den Antrag gestellt, diesen für seine Geschäftsführung wie üblich zu bekränzen. Das geschah sonst aus naheliegenden Gründen erst nach Abschluß der Amtsperiode des Rates. Ein Antrag in der Volksversammlung erfolgte normalerweise auf Grund eines Vorbeschlusses des Rates. Da aber dieser nicht seine eigene Dekoration beantragen konnte, mußte Androtion den Antrag ohne Vorbeschluß stellen. Das schien eine reine Formfrage zu sein, war es jedoch gerade in diesem Fall nicht, denn die Bekränzung des Rates war durch ein besonderes Gesetz an die Bedingung geknüpft, daß er die vorgeschriebene Zahl neuer Schiffe hatte bauen lassen. Dies war nicht geschehen, freilich ohne Schuld des Rates, da der Schatzmeister der Schiffbaukasse mit dem Geld durchgebrannt war. Aber das Gesetz fragte nicht nach den Gründen, weshalb keine Schiffe gebaut waren, sondern nur nach der Tatsache. Es war ein politisches Gesetz, nicht ein moralisches, und wenn es ein Unglück für den Rat war, daß er die Schiffe nicht hatte bauen können, so war es doch nicht der Sinn des Gesetzes,, ihn für das Unglück auszuzeichnend22

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Dies führt die Rede des Demosthenes denn auch völlig schlagend aus. Aber die ganze Klage wegen Ungesetzlichkeit ist nur das Vorspiel eines großen politischen Angriffs auf die Ehre und die Amtsführung des Androtion. 23 Und hier wird erst klar, weshalb keine Persönlichkeit von Namen den Ankläger spielt, sondern zwei Leute einfacher Herkunft, Euktemon, ein subalterner Beamter, und Diodoros, ein kleiner Bürger. Sie hatten beide von Androtion zu leiden gehabt, ob mit Recht oder Unrecht, können wir nicht entscheiden, und sie wollen sich dafür jetzt rächen. Euktemon hat als erster gesprochen. Die demosthenische Rede ist die zweite bei der Verhandlung, sie ist für Diodor geschrieben. Daß er seine Privatrache sogleich am Anfang offen als Motiv bekennt, ist für antikes Empfinden wenn auch nicht gerade vornehm, so doch verständlich. In Wahrheit lenkt es geschickt die Aufmerksamkeit von den politischen Drahtziehern ab auf die Marionetten, die im Vordergrund agieren. Denn das sind die Ankläger, wie schon daraus folgt, daß sie auch in dem Prozeß gegen Timokrates in der gleichen Funktion auftreten. Auch für ihn hat Demosthenes die Rede geschrieben, und wieder ist der Angriff in der Hauptsache gegen Androtion gerichtet. 2< Man wählte die beiden volkstümlichen Typen als Ankläger kaum aus Mangel an Mut, sondern zur Stimmungmache bei der Masse der Geschworenen, die den einfachen Kreisen der Bevölkerung angehörten. Wenn man den Androtion25 unpopulär machen wollte, mußte der Angriff von unten kommen und an die Instinkte der Menge appellieren. Die älteren Interpreten des Demosthenes haben daran oft nicht genügend gedacht, sie haben stellenweise ganz vergessen, daß nicht Demosthenes diese Reden halten sollte. Als Bekenntnisse seiner persönlichen Überzeugung dürfen wir sie nur sehr indirekt verwerten. Selbst wenn er eine Rede im eigenen Namen hält oder veröffentlicht, ist immer die Frage notwendig: sind die Motive, die er verwendet, seine eigenen Gründe, oder sind sie gewählt mit Rücksicht auf die Masse? Zur Masse muß man anders reden als zu einem höher gebildeten Auditorium, das wußten die politischen Redner in dem demo-

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kratischen Athep aus 150jähriger Erfahrung, zumal da sie selbst durchweg nicht der Masse angehörten, sondern diese Kunst auch erst lernen mußten. Plato schildert das im „Staat" mit bitterem Humor und erklärt es für das Wesen aller politischen Rhetorik, durch lange Beobachtung die Töne zu erlauschen, auf die das „große Tier" freundlich oder erbost reagiert.26 Zwischen einer Rede vor der Volksversammlung und einer Gerichtsrede vor Hunderten von Geschworenen, noch dazu wenn sie ausdrück; lieh zur politischen Agitation dient, ist in dieser Beziehung kein Unterschied.2? Androtion muß sich durch die Steuereinziehung wirklich in weiten Kreisen unbeliebt gemacht haben. Die Regierung hatte nicht gewußt, sollte sie in der Geldnot die goldenen Geräte in den Tempeln der Götter einschmelzen lassen oder die Exekution gegen die Staatsschuldner, die mit der Zahlung ihrer Steuern im Rückstand waren, mit schärferem Zugriff betreiben. Sie hatte sich zu dem letzteren Mittel entschlossen. Androtion hatte sich bereit erklärt, das Odium auf sich zu nehmen. Natürlich wurden in erster Linie die besitzenden Klassen von der Maßregel betroffen, aber diese, zu denen Demosthenes und seinepolitischen Freunde gehörten, hatten kein Mitgefühl bei der Masse zu erwarten. Daher erzählt Diodor im Ton des vierschrötigen treuherzigen Biedermanns mehr volkstümliche Geschichten aus der Praxis der Steuereintreibung, bei denen auch den Geschworenen die Haare zu Berge stehen. Natürlich ist auch er nicht der Ansicht,28 als solle man das Geld von den Staatsschuldnern nicht eintreiben: „O nein, aber wie? Wie das Gesetz es befiehlt. Schon um der anderen willen. Das ist volksfreundliche Gesinnung. Denn ihr habt nicht so viel Gewinn, Athener, wenn solche Geldsummen auf diese Weise eingetrieben werden, wie ihr Schaden davon habt, wenn solche Sitten im Staate einreißen. Denn wenn ihr einmal überlegt, weshalb einer lieber in der Demokratie leben möchte als in der Oligarchie, so liegt es doch auf der Hand: weil in der Demokratie alles gemütlicher ist." Und nun schildert er,

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wie Androtion, dieser geborene Oligarch und Volksverächter, mit seinen Schergen in die Häuser eindrang, wo man doch selbst unter der Schreckensherrschaft der dreißig Tyrannen in Sicherheit war, wenn man sich nur nicht in der Öffentlichkeit betätigte. 29 „Doch was denkt ihr wohl, Athener, wenn so ein armer Mann (oder auch ein Reicher, der große Ausgaben gehabt und vielleicht gerade kein Geld hatte), über das Dach zu den Nachbarn hinübersteigen oder unter das Bett kriechen mußte, um nicht verhaftet und ins Gefängnis geschleppt zu werden, oder sonstwie in unwürdige Lagen kam, die für Sklaven, nicht für Freie passen, und das vor den Augen seiner Frau, mit der er sich als freier Mann und Bürger verlobt hatte. Wer aber an allem schuld ist, das ist dieser Androtion, dem das Gesetz nach seinem ganzen Vorleben nicht einmal seine eigene Sache zu fuhren erlaubt, geschweige denn die des Staates." Wie wenig der Geist der Milde, für den sich der Ankläger begeistert, und seine Philosophie der demokratischen Gemütlichkeit mit der Weltanschauung des Demosthenes zu tun hat, beweist die mit der Rede gegen Androtion eng zusammenhängende Anklage gegen Timokrates, einen politischen Freund und Helfer Androtions. Denn dort wird diese Milde und Nachsicht als Klüngelwirtschaft bekämpft, weil sie an der falschen Stelle, das heißt gegenüber Androtion, geübt worden ist. 30 Nicht anders ist die Kritik zu beurteilen, die die Androtionrede an der Unterlassung des Baus der Schiffe übt, und die an sich recht wirkungsvolle Partie über die Bedeutung der Flotte. Natürlich wird niemand bezweifeln, daß Demosthenes schon damals wirklich von ihr überzeugt und ein warmherziger Patriot war. Das dürften wir voraussetzen, auch wenn wir nicht aus seiner früheren Zeit die Rede Vom trierarchischen Kranze hätten, die eben diese Seite seiner politischen Anschauungen beleuchtet. Aber wir werden nicht annehmen, daß sein Eintreten für die Flotte gerade auf dem Motiv beruht, das er den Geschworenen gegenüber für wirksam hält, wenn er sie drastisch daran erinnert, wie es damals war, als Athen zeitweise keine Schiffe hatte und die Athener während der Blök-

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kade Kuhfutter für teures Geld hätten essen müssen, s1 Wer sich an diese schwer verdaulichen Mahlzeiten erinnerte, der konnte nicht für die Bekränzung eines Rates eintreten, der keine neuen Schiffe gebaut hatte! Übrigens ist es dem Verfasser der Rede doch nicht durchweg möglich gewesen, diesen für seinen Helden charakteristischen Ton festzuhalten. Besonders in den Partien gestraffter Beweisführung blickt der geschulte Jurist deutlich durch die Maske des Spießbürgers, und auch am Schlüsse erhebt sich die Sprache zu einem inneren Pathos des Stolzes auf die Vaterstadt, das weniger zu Diodor paßt als es einen starken Kontrast zu dem Wesen Androtions schaffen soll, der von dem Geiste dieser Stadt nie einen Hauch verspürt hat. Die Rede gegen Timokrates wirft nachträglich ein grelles Schlaglicht auf diesen im Interesse des Vaterlandes rücksichtslosen Steuereintreiber, der die rückständigen Zahler um wenige Drachmen chikanierte, aber selbst Staatsgelder im Betrage von neuneinhalb Talenten zusammen mit zwei politischen Freunden eingesteckt hatte. An Bord eines athenischen Kriegsschiffs waren diese drei als Gesandte zu dem König Mausolos von Karien gefahren — wahrscheinlich um die Zeit des Bundesgenossenkriegs.s* Man kaperte unterwegs ein ägyptisches Handelsschiff, und da Ägypten damals im Aufstand gegen den Perserkönig war und aus diesem Grunde des Schutzes durch das persische Reich entbehrte, so nahmen die Gesandten die Prisengelder an sich. Die Klage der Ausländer vor dem athenischen Gericht wurde abgewiesen. Androtion und Genossen behielten gleichwohl das Geld für sich. Als im Zusammenhang mit den scharfen Finanzmaßnahmen der Regierung Aristophon sein Gesetz durchbrachte zur Einsetzung einer Untersuchungskommission zwecks Eintreibung der Gelder von den Staatsschuldnern, beantragte Euktemon zur weiteren Verfolgung seiner Sache gegen Androtion Herausgabe der Prisengelder nebst Zinsen durch die Trierarchen jenes Kriegsschiffs und machte Androtion und seine Mitgesandten regreßpflichtig für den Fall, daß die Trierarchen nicht zahlen könnten. 33 Androtion und Konsorten bekannten sich jedoch freiwillig zum Besitz

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der Gelder. Ihre Gegenklage wurde abgewiesen und sie wurden zur Zahlung einer Gesamtsumme von 18 Talenten verurteilt. Da sie diese nicht zahlen konnten, verfielen sie, um der Schuldhaft zu entgehen, auf folgenden Ausweg. Das Fest der Kleinen Panathenäen stand bevor. Aber die Festkasse war leer wie alle anderen Kassen. Daher beantragte ein Parteifreund die Einsetzung einer gesetzgebenden Kommission auf den nächsten Tag zur Beschaffung der Gelder für das Fest. In dieser Kommission beantragte am folgenden Tag Timokrates,34 ebenfalls ein Parteifreund, der dem Androtion bereits während seiner Amtsführung als Schatzmeister der Athena als Adjutant zur Seite gestanden hatte, einen Trick zur Geldbeschaffung, der in diese Zeit dauernder Ebbe nicht übel paßt, weil er zwar kein bares Geld beschafft, aber Kredit erschließt: man solle den Staatsschuldnern auf ein Jahr die Haft erlassen, wenn sie Bürgen stellten. Der Staat sollte also, a conto seiner Steuerguthaben, bei diesen Leuten Schulden für die Ausstattung des Festes machen. So suchten sich Androtion und seine Genossen aus dem eigenen Netz, in das sie sich verwickelt hatten, wieder herauszuwinden. 1 Es war ein richtiger , wie Demosthenes ihn nennt, ein Privilegium. Das Gesetz wurde noch am Festtage von der außerordentlichen Kommission angenommen, und Androtion und seine Freunde waren fürs erste frei. Gegen dieses Gesetz klagten nun sofort Diodor und Euktemon, die Werkzeuge der Opposition, 3 s wegen Gesetzwidrigkeit, und die Schuldner mußten sich jetzt endlich auf Zahlung verstehen. Für den Philologen ist an der Rede formal interessant, daß 26 Paragraphen in ihr wörtlich aus der Rede gegen Androtion übernommen sind, nämlich die Invective gegen Androtions Steuereintreibung. Dieser Teil wird also einfach als Klischee benutzt, wie in einer Wahlkampagne. Ein solches Verfahren begegnet auch sonst bei Demosthenes öfter. Am bekanntesten ist die Sammlung fertig ausgearbeiteter Proömien, die unter seinen Reden überliefert sind und für deren überwiegende Echtheit außer ihrem Stil vor allem der Umstand spricht, daß wir sie in den

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Reden ganz oder teilweise fast wörtlich verwertet finden. Dieser Blick in die Werkstatt des Demosthenes ist in unserem besonderen Falle auch sachlich wichtig, weil er bestätigt, daß es sich bei diesen Reden um eine systematisch betriebene Agitation handelt. 3 6 Ein Teil dieses Feldzuges ist auch die etwa gleichzeitige Rede gegen Leptines.37 Er hatte ein Gesetz beantragt, das alte Privileg der Steuerfreiheit aufzuheben, die das Volk besonders verdienten Bürgern zu verleihen pflegte. Auch dies war eins von den zahlreichen kleinen Mitteln, um der Staatskasse neue Quellen zu erschließen. Ein Jahr lang blieb nach Annahme eines Gesetzes der Antragsteller haftbar, wenn eine Klage auf Gesetzwidrigkeit dagegen erhoben wurde. Dies war zwar geschehen, aber die Kläger hatten teils die Klage von selbst zurückgezogen oder hatten sich vonLeptinesgewinnen lassen. Ein Kläger namens Bathippos war gestorben, und als sein Sohn Apsephion die Klage vom Vater übernommen hatte, war das Jahr schon verstrichen gewesen. So wird nun dem Gesetz selbst der Prozeß gemacht, wie es in Athen in solchen Fällen Brauch war, und eine Fünferkommission eingesetzt, um es zu verteidigen. 38 Ihre Zusammensetzung aus den respektabelsten Mitgliedern der regierenden Gruppe, darunter Aristophon selbst, zeigt, daß man den Kampf ernst nahm. Offenbar hatte man aus der Affäre mit Androtion etwas gelernt. Die Verteidigung von Sonderrechten wie den durch das Gesetz des Leptines beschnittenen war zu keiner Zeit populär, um so mehr möchten wir wissen, ob wirklich Demosthenes für sie eingetreten ist und die Rede also für ihn selbst bestimmt war, wie die Überlieferung meldet. Als Grund für sein Auftreten in dieser Sache wird angegeben, er habe die Witwe des Feldherrn Chabrias heiraten wollen, der einer der in jüngster Vergangenheit durch Steuerfreiheit Ausgezeichneten war. Deshalb trete Demosthenes für dessen unmündigen Sohn Ktesippos als Fürsprecher auf. 39 Ist diese mit so großer Bestimmtheit auftretende Nachricht richtig, so ist die Rede hochbedeutsam als Selbstporträt des Verfassers. Der Mann, der hier spricht, gehört zu den vornehmen Kreisen Athens und läßt das, ohne es auszusprechen, in jeder Wendung 5

J a e g e r , Demosthenes

66

DRITTES K A P I T E L

fühlen. Er steht nicht mit dem Ankläger des Gesetzes Apsephion in Verbindung, er wünscht nur sich „des Knaben des Chabrias" anzunehmen. Natürlich hätten auch andere von dem Gesetz Betroffene mit gleichem Recht nach dem Ankläger das Wort nehmen können. Aber vielleicht war der Fall des Chabrias besonders geeignet, auf das Volk Eindruck zu machen. Das Bild des vor wenigen Jahren für Athen in der Seeschlacht gefallenen Flottenfuhrers trug jeder Patriot als verklärte Erinnerung im Herzen. Für ihn und seine Angehörigen war sicherlich mehr lebendige Teilnahme im Volk vorhanden als für irgend welche obskuren Nachkommen des Harmodios und Aristogeiton, die einzigen, bei denen das Gesetz des Leptines eine Ausnahme zuließ. 40 Mit etwas lässiger Anmut stellt der Redner sich als Fürsprecher des Chabriassohnes vor. Dieser Ton wird zwar nicht festgehalten, aber er ist doch für das Gentlemanideal des Sprechers bezeichnend. Nirgendwo fällt er aus dieser Rolle heraus. Seine Ausführungen bewegen sich durch alle Stufen einer protreptischen Rede: er beleuchtet die Frage vom Standpunkt der Gerechtigkeit, des Nutzens, der Ehrenpflicht des Staates und dessen, was dem „Ethos Athens" angemessen ist. Er bespricht dann eingehend eine Reihe von Einzelfällen, unter ihnen bieten Konon und Chabrias die meiste Gelegenheit, die Athener bei ihrer Vaterlandsliebe und ihrer Dankbarkeit gegen ihre großen Wohltäter zu packen. Das alles geschieht nicht mit geräuschvollem Pathos sondern in vornehmer Zurückhaltung, die sich bewußt ist, daß hier nicht die Familien dieser um Athen hochverdienten Männer sondern nur der Staat etwas zu verlieren hat, was nicht zu ersetzen ist, nämlich seinen guten Ruf. Die Form der Polemik gegen Leptines ist nicht weniger charakteristisch. Sie wird nirgendwo gehässig oder ordinär, wie es bei solchen Anlässen üblich war, sondern hält sich streng in den Grenzen bester gesellschaftlicher Form. Leptines möge ja ein hochanständiger Mann sein, aber es sei doch wohl richtiger, daß er den historischen Stil der Denkweise Athens annähme, als daß er von Athen verlange, sich dem Geist des Leptines anzupassen. An einer anderen Stellet1 heißt

DIE W E N D U N G ZUR P O L I T I K

67

es: „Wenn es sich herausstellen sollte, daß Leptines mit aller Gewalt das Gesetz gültig machen will, so vermag ich für mein Teil das nicht zu loben, doch ich will es nicht tadeln". Auch die sprachliche Form der Rede ist sehr gepflegt, sie ist, obgleich vor Gericht gesprochen, fast mehr in eindringlich beratendem Ton gehalten, wie um den Athenern zu zeigen, was allein ihrer würdig wäre. Das Zwingende in ihr liegt weniger in Bitten, Beschwörungen oder dergleichen als in der freien Überlegenheit, mit der der Redner auftritt. Er hat wohl gehofft, damit dem Volk zu imponieren. Bewußt verschmäht er einen klangvollen Abgang. Er stellt sich am Schluß ausdrücklich in Gegensatz zu dem Geschrei, der Gewalttätigkeit und Unverschämtheit der Redner. 6

205 205 203 · · · · 203 204

I 80-85

221

I 89-118 I 140 II 8,4 II 6off II 65, 9 II 65, 12-13 II loo, 2 III 82-84 V 9, 9 V 84-115 V 90

203 233 205 243 244 205 229 205 205 204, 207 204

VI 19, 2

220 2

Socraticorum Epistulae XXX . . 241 SOLON Frg. 3, 17if. (Diehl) 3 und 8 (Diehl)

236 243

SPEUSIPPOS Epistula ad Philippum 241 (S. ob. Socrat. epist.) Sylloge inscriptionum Graecarum (ed. Dittenberger) I3, S. 279 . 228

Tragicorum Graecorum fragm. p. 793 (Nauck) frg. 4 206 X

XENOPHON Hellenika II II II III III VI VI

2, 10

2O4

2, 19

204

4> 30 5, 8-15 5, ίο 3, ι 3, 7

204 204 204 199 213

AUTORENREGISTER XENOPHON—Fortsetzung Hellenika VI 3, 10 . 196, 207, 213 VII 4ff. 22l VII 4, 2

VII 4, 29 VII 4, 33 Resp. Laced. ι, ι

25Q

XENOPHON—Fortsetzung De vectigalibus ι, ι 2

214 214

222

3, 7

222

222 222 213

4ff 5, 5 6, i

214 219 220

II. NAMEN- UND SACHREGISTER Achämeniden, Weltreich der ~ 191 Achaia 167,175 Agathon no Agesilaos 82 Akairia (s. Philipp v. Makedonien) 133 Akarnanien 167 Aischines 33, 147, 155, 160, 163, 165, 182, 184, igoff., 212, 253 Alexander der Große 5, 153» I9i> I94f., 246 Alexander (Schwager Philipps) 167 Alexander von Epirus 167 Amadokos , 106 die Amphiktyonie 155, 157, 182 Amphipolis 50, in Amyntas III, no Androtion 59 ff., 99, 214-17 Anonymus Jamblichi 15, 205 Antalkidasfrieden 12, 44, 53, 187 Antiphon 30 Aphobos, Prozeß gegen ~ 25f. Apollodoros, Sohn des Bankiers Pasion 385 Prozeß des ~gegen Phormion 38ff.; die sechs angeblichen Demosthenischen Reden für ~ 39; Prozeß des Stephanos g. ~ 146 Archelaos 109 Argos 161,175 Aristokrates, Rede gegen ~ 98 ff., 226 Aristophon 49, 57, 59, 65, 70, 73, 104, 214, 244 Aristoteles 24., 27, 208, 210f.; 218, 219; - und Athen (Wilamowitz) 234, 246 f. Arkadien 46, 82ff., 91, 96, 161, 175, 176, 222 Arsitcs (Satrap) 178 Artabazos 73

Artaxerxes III. Ochos 50, 72, 224 Artemisia 95 Athen in der griechischen Geschichte 7ff.; Demosthenes' Stellung in der Geschichte ~s im 4. Jahrh. 8ff.; der Sicherheitsgedanke als Grundprinzip des ~ischen Handelns im 5. Jahrh. 9; Thukydides über ~s Rolle in d. griech. Geschichte 9; ~ und die übrigen griech. Mächte nach dem pelop. Kriege 9ff.; ~s Stellung nach dem Seesiege bei Knidos uff.; Innere Erstarkung ~s 12ff.; Philos. Bewegung in ~ zur Erneuerung des Staates 13ff.; Sokrates' und Platos Bedeutung für ~ I4ff.; Isokrates als Lehrer der politischen Bildung in ~ 17; Isokrates und Plato 17; der zweite Seebund und seine Führer 19 ff; ~ nach dem Frieden von 371, 20f., 47; der Genius des alten ~ und die polit. Realität 20; die neuen Männer und der neue Geist in ~ 20; ~s Trennung von Theben i. J. 371 2l; Gesellsch. Zustände im Spiegel der Demosthenischen Prozesse g. s. Vormünder 25-27; Plato über das ~ seiner Zeit 25; die Kunst der „Logographie" in ~ und die Darstellung der attischen Gesellschaft 30-36; gcschäftl. Leben in ~ sich widerspiegelnd in den Prozeßreden für Phormion und gegen Stephanos 37-41; - unter Kallistratos 20, 44ff.; unter Aristophon 49ff.; soziale Lage ~s 50ff.; (vgl. auch Amphipolis); wirtschaftl. Lage ~s nach dem Bundesgenossenkrieg 54; Lage der reichen Nichtbürger ~s 54f.; Finanzpolitik nach dem Bundesgenossenkrieg 55ff.;

NAMEN- UND SACHREGISTER Athen—Fortsetzung Perserpolitik 8iff.; die peloponnesische Frage 82ff.; Verhältnis ~s zur rhodischen Frage 90ff.; Verhältnis ~s zu den demokr. Staaten 91 if.; Beziehungen zu den Thrakern lOiff.; Mazedonische Politik-s 102; Lage ~s nach dem Frieden des Philokrates 149ff.; Bündnisse ~s mit anderen griech. Staaten gegen Philipp 175ff.; militärische Lage ~s beim Kriege gegen Philipp 183; ~ und Kardia 167; ~ und Chalkis 175; Schonung ~s durch Philipp 185 Autonomie als Grundsatz der spartanischen Politik iif.; Athens Stellung dazu 12; ~gedanke bei Gründung des zweiten Seebundes 20; nach dem Bundesgenossenkrieg 53; (s. Antalkidasfrieden); äußerliche -nach Chaironeia 189 B

Bathippos 65 Berisades Boeckh 218 Bosporos 177, 178 Brougham, Lord 71, 88,218,223 Bundesgenossenkrieg s. Athen 183 Byzanz 49, 168, 169, 175, 178, 179

Chabrias 19, 66 Chaironeia 184, 189 Chalkidike 109 ff. Chalkis 168, 175; Geschichte der Chalkidier 229 Chares 73, 178 Charidemos looff., 114 Chersonnes loiff., 122, 168, 169, 178 Chios 48, 73, 9off., 159, 175, Seeschlacht von *· 50

201

G. Clemenceau 71 Cypern 90 D Dardanellen 50,99 ff., 107,114!"., 119, 152, 167, 177 Delphi 154, 156, 158, 160, 1821". Demokratie 19, 20; Psychologie der ~ 25 (s. Plato), 46 (im Peloponnes), 51, 6if.; 76, 92—94. I04f., I39ff. Demosthenes: Bild des ~ im XIX. Jahrhundert iff.; falsche Bewertung des ~ durch die positivistischen Historiker 3; Überbewertung des Aischines und Isokrates im Verhältnis zu ~ 3; Arnold Schaefers Auffassung 4; George Grotes einseitig liberaler Standpunkt 4; ~ kein Parteimann 5; D. u. die Krisis der Polis 5; Rhetorik u. Politik bei D. untrennbar 6; Einseitige Analyse der rhetorischen Form der Reden d. ~ bei Fr. Blaß 6; Neue Zielsetzung dieses Buches über ~ 6f.; ~' Persönlichkeit als Ganzes zu verstehen 7; ~ u. die Geschichte des IV. Jahrhunderts 8; geistige Umwelt der Jugend des ~ 21; Kap. I passim; Jugendgeschichte des ~ 22ff.; Eltern und Knabenzeit des ~ 23; Vermögensverhältnisse des ~ und sein Prozeß g. d. Vormünder 24-27; 208; Charakter und Entwicklung des ~ 26f.; ~ Schüler des Logographen Isaios; seine rhetorische und juristische Ausbildung 31 f.; 210; ~' Beziehungen zu Isokrates 3iff.; 210; Art der damaligen Beredsamkeit 211; Rednematur und körperliche Schwächen bei ~ 32f.; Rede des ~ vor Philipp v. Makedonien 33; ~ „Wassertrinker" 33; wahre Redncrnatur des ~ 33f.; Übung als Rcdcnschreibcr 34; ~ Lehrer der Rhetorik i. s. späteren

202

NAMEN- UND SACHREGISTER

Demosthenes—Fortsetzung Jahren 34; Rechtsberater in den Prozessen gegen Leptines und Zenothemis 34; Rede des ~ für Phormion 37 i gegen Stephanos 37; 212; Prozeßreden gegen und für Apollodoros 38ff.; Beziehungen des ~ zu Apollodoros 39; nur eine echte ApollodorosRede 39; ~ und die Opposition nach dem Bundesgenossenkrieg 56; 69; 76; parteipolitische Hintergründe der ersten Staatsprozeßreden d. ~ 57ff.; politische Entwicklung des ~ 58; 92; Reden des ~ gegen Timokrates und Androtion 59ff.; gegen Leptines 65; 81; 104; der persönliche Stil des ~ in der Leptinea 66; ~' drei erste Reden zur Außenpolitik 69ff.; ~' Symmorienrede (die asiatisch-europäische Frage) 7iff.; 117; 157; 180; 183; Plutarch u. Theopomp über den Charakter des ~ 76; ~ und Theopomp über Philipps Umgebung 136; taktische und diplomatische Geschicklichkeit des ~ 79; 80; 89; partikularistischer Standpunkt des frühen ~ 85; pro-thebanischer Standpunkt des ~ 89; (vgl. „Theben"); Rede des ~ f. d. Megalopoliten ( Arkader) 83; 103; 106; 117; 132; 157; 159; Rede des ~ f. d. Freiheit der Rhodier 90; 103; 134; Rede des ~ gegen Aristokrates 98ff.; 114ff.; 126; 142; Stellung zu der nordgriechischen Frage 98ff.; Verhältnis des ~ zur Demokratie Kap. III und IV passim; vgl. auch oben „Demokratie". Gleichgewichtspolitik des ~ 84; 88 (balance of power); 106; 132; 170; Wendepunkt der makedonischen Politik des - 108; 115ff.; die erste Philippica 78; 105; 115ff.; 125;

Demosthenes—Fortsetzung 128; 129; olynthische Reden 108; 114; 120; 121; I25ff.; 157; 180; der eigentlich demosthenische Stil 123; Kampf des ~ gegen Eubulos 102ff.; vgl. auch „Eubulos"; Tyche und Kairos bei ~ 130—133; I37f.; 233; Rede des ~ über die Neuordnung I34f.; 233f.; ~ Erzieher des Volkes I34ff.; ~ über Philipp i35ff.; ~ gegen Meidias i44ff.; ~' Hauptgegner Aischines 155; über den Frieden I56f.; 158f.; die zweite Philippica I59ff.; loff.; Kampf gegen Aischines 160; Pcloponnesische Politik des ~ nach 346 i63ff.; die Reden des Aischines und des ~ über die Truggesandtschaft 164; Rede des ~ über die Lage auf d. Chersonnes 168; die dritte Philippica 168; 175; 182; 183; Aufruf des ~ zur Einigung der ganzen Nation 169ff.; 175ff.; 224f.; ~ rät zu Gesandtschaften n. d. Peloponnes, Rhodos, zum Perserkönig, um zum Widerstand g. Philipp aufzurufen 175; die vierte Philippica 178; 181; ~' finanzielle Maßnahmen nicht parteimäßig demokratisch 180; ~ Rüstungsdiktator 180; ~ bei Chaironeia 184; die Polis Grundlage der hell. Existenz nach ~' Ansicht 188; ~' Grabrede auf die Gefallenen 190; Kranzrede des ~ 191; 193f.; ~ verbannt auf Aigina 195; das Ende 195 f.; Denkmal des ~ in Athen 195. Didymos 96, 225, 246, 250. Diodoros 6off.; 99; 196; 199. Dionysios von Halikarnaß 71; 115ff.; 128 Dionysios von Syrakus; Isokrates' Brief an ~ 151 f. Diopeithes 168

20-

NAMEN- UND SACHREGISTER Diplomatie, Regeln und Kunst der - im IV. Jahrh. in Athen 47; ~ gleich Kunst des Verbergens 795 88; taktische Geschicklichkeit der ~ 80; die richtige „Hypothesis" in der ~ nach Isokrates u. Demosthenes 86j ~ und Gleichgewichtspolitik vgl. die Artikel: „Demosthenes" und „Kallistratos" Doloper 192 Droysen, Geschichtschreiber des Hellenismus 4; 186

Elateiai83; s. Philipp H. England (balance-of-power-Politik) 88 Epaminondas 45ff.; Streben des ~ nach Seeoberherrschaft von Theben 49; unter ~ Theben Schutzmacht auf dem Peloponnes 82; Niedergang Thebens n. d. Tode des ~ 113 Epirus 167 Eretria 175 Euagoras 90 ff. Euboia, Insel 50, 167, 168, 175 Eubulos 57, 70, 74, 77, 83, 95 f., I03ff., 140, 145, 160 Euktemon 60 if. Euripides no Euthykles 99f., 226

Freiheit: die politische ~ Griechenlands 3; ihr Ende 188; - als Schlagwort d. spartanischen Politik im pelop. Kriege 12; 46; Isokrates empfiehlt das Schlagwort ~ im Kampf mit Asien 46

Geschichtsschreibung—Fortsetzung Jahrh. u. Demosthenes i; positivistische ~ 3; Droysens - 2; 4f.; Belochs ~ 3ff.; Arnold Schaefers - 4; sein moralistischer Standpunkt 585 liberale ~ von George Grote 4; organische Auffassung 4; einseitig rhetorische Auffassung von Friedrich Blaß 6 Gesellschaft s. Athen Gorgias „Olympikos" 18, 205, 207 Griechische Geschichte: moderne Auffassung der ~ 2ff.; Perioden der ~ im IV. Jahrhundert 7f.; Hegemonieprinzip unangebracht 7f.; ~ u. Athen 7; kein führender Geschichtschreiber f. d. IV. Jahrh. vorhanden 2; Demosthenes und die hellenistische Ära der ~ 186; 187; 188; Kultur und Politik in der - untrennbar 203 H

Haliakmon 109 Harmodios und Aristogeiton 66 Harpalos 194 Hellespont s. Dardanellen Heraion Teichos 107, 115 Hellenismus: die Weltkultur des - i; Demosthenes u. der ~ if.; Droysens Bedeutung für den - 2; 5; 186; Weltwirkung des - 186; hellenistische Tyche - Religion 130f.; (s. Tyche); - in Karien 90ff.; in Makedonien 109; hellenisierte Fürsten 90 Hermias von Atarneus 90, 167, 178 Himeraios 195 Humanität: die attische - 67 Hypereides 70, 165, 175, 195, 250 I

Genie und Tyche 137 Geschichtsschreibung:

des XIX.

Illyrier no, 134 Imperialismus s. Pleonexie

204

NAMEN- UND SACHREGISTER

Iphikrates 19, 50, 72, in Isaios aus Chalkis 30 f. Isokrates: Stellung und Programm des ~ nach Kriegsende 17ff.; ~ und Platos verschiedene politische und geistige Bedeutung 17f.; ~ und Gorgias 18; die „Ideologie" des ~ in seinem Panegyrikos 185253573; ifof., 199; sein Panegyrikos nicht „Programm" des zweiten Seebundes 2075 ~ vertritt die kulturelle Hegemonie Athens iSf.j „praktische" und journalistische Einstellung des ~ 17f.; ~ Rhetor, nicht führender Philosoph 17; ~ beginnt als Redenschreiber, lehnt aber später diesen Beruf ab 31 f.; 34; Rede des ~ für die Platäer 43; 52; 199; Zeitbestimmung und Tendenz dieser Rede igöff.; Tendenz und Zeit des „Areopagitikos" 51 f.; Rede des ~ über den Frieden 53; I49> 155i ~ für das besitzende Bürgertum 51; der „Archidamos" des ~ 525 politische Entwicklung des ~ 53; ~ und Euagoras 90; Denkschrift des ~ an König Philipp i49ff., 240f., 2525 an Dionysios von Syrakus 151 f.; 24of.; ~ über Philipps„Tyche" 153; ~ Werkzeug des makedonischen Imperialismus 189; ~ im Dienste des Timotheos 199; ~ und Theben i96ff. ~ und Thukydides 203f.; Briefe des ~ 240ff.; 246, 247 lason von Pherai no, 113 K Kallias 168 Kallistratos: Führer beim zweiten Seebunde 20; bei der FriedensKonferenz von 371 43; Gleichgewichtspolitik des ~ 44f., 47ff., 88 f., 213; Prozeß wegen Oropos 48;

Kallistratos—Fortsetzung Gewinnung der Arkader durch ~ 48; Sturz und Tod 49, 51 Kardia 167f.; (s. Athen) Karien 63, 90 (s. Mausolos) Karthago 151 Kephalos von Kollytos 19 Kerkyra 50 Kersobleptes , , 106, 114 Klearchos 73 Konon ii, 19, 66 Korinth uff., 167, 175 der Korinthische Bund 153, 185 der Korinthische Krieg loff.; 19; 175 Kos 73, 90 ff., 159 Kotys Ktesiphon 191 Ktesippos 65 Kyros 72

Leosthenes 195 Leuktra Schlacht bei ~ 45, 48 Libanios 232 die Lokrer 155 Lysias 30, 35 Lysistratos 222 M Magnesia 114; 133 Makedonien iO5ff., logff., 177, 190, 229; Fritz Geyers Buch über d. Rasse der Makedonen 242; s. auch Philipp II. Marmarameer 178 Mausolos 63, 73, 9off., 95 Megalopolis, vgl. Demosthenes und Arkader Megara 168, 175 Meidias 145 ff. Menestheus 50

N A M E N - UND SACHREGISTER Messenien 46, 82, 153, 161, I75f., 221

Methone H4ff 0 n8 N Nation: Erwachen u. Untergang der Griechen als ~ 176 Nationalismus: ~ und Partikularismus in der griech. Geschichte 2; falsche hist. Parallelen in der Wissenschaft d. XIX. Jahrh. 2ff.; „nationale Einheit" nicht das Ziel der griech. politischen Entwicklung 2f.; Isokrates und die „nationale Einheit" 150; Griechenland und das Nationalgefühl der modernen Historiker 170; Demosthenes als Führer im Kampf um die nationale Einigung gegen Philipp 171 ff., 248, s. Panhellenismus B. G. Niebuhr 72, 218 Nikias ~ als Kriegsgegner 78

O Olynth 90, noff., i2off. 3 i26ff., 147, 185 Onetor 25 f., 208f. Onomarchos 83, 113 Oreos 175 Oropos s. Theben

Päoner 134 Pagasai 114, 133 Panathenäen: Fest der kleinen ~ 64 Panhellenismus (s. Isokrates) 151, 170, 248 f. Pausanias 224 Peloponnesischer Krieg 12 Perdikkas III. 50, in Perinth am Marmarameer 178 Perikles 83 13, 14, 75, 139, 158, 182,

265

Perikles—Fortsetzung 220, 233, 234, ~ und die Theorika 236 Persien 53, 63, 71, goff., 105, 151, 169, 178 (politische Kurzsichtigkeit ~s); iSoff., 189 Phalaikos 154 Pharnabazos 72 Pherai 113, 114 Philipp II. 33, 50, 9°, 95 fo 105 ff-, in sein Vormarsch bis zum Hellespont H4;~s Übermacht in Griechenland 118 S.; Angriff auf Olynth i2Off., I25ff., Demosthenes' Beurteilung ~s in moralischer und psychologischer Hinsicht 133-1375 ~ und die Denkschrift des Isokrates an ihn 1491!.; ~ und das griechische Schicksal 150; ~ ein zweiter Herakles (nach Isokrates) 152; ~ nach dem Frieden des Philokrates I54ff., ~s Intervention im Peloponnes 161, 162; ~ in Thrakien beschäftigt 177; ~ auf dem Wege nach Byzanz 178f.; Besetzung von Elateia durch ~ 183; Tagung in Korinth 189; Kriegserklärung an Persien 189, ~ und Hermias 247 Philokrates 96; der Frieden des ~ 105, 165, 175 „Philosophie der Geschichte", keine ~ bei den Griechen 133 der phokische Krieg 83, 84, H2ff., 153, 154, 158, 162 Phokion 179 f., 184 Phormion 37 ff. Plataiai 156, Rede für die Platäer s. Isokrates Plato ~ und der Staat I4ff.j 206, Sokrates der „echte Bürger" 14, der „gerechteste Mann" 15; ~ als politischer Reformer I4ff., „Apologie" 14, „Protagoras" 14, „Gorgias" 14,

266

N A M E N - UND SACHREGISTER

Plato—Fortsetzung Verhältnis von „Staat u. Geist" nach P. 16; Versuche ~s, sein Ideal zu realisieren 16; Ablehnung des „Metökenideals" 16; P. und Isokrates 17; „Staat" 25; „Theaetet" 25; ~ schildert die Psychologie der Demokratie 25 - über die Demagogie 61 (im „"Staat"), 144; ~s Briefe (über die „Tyche") 133; Staat und Gesellschaft bei ~ 189 Pleonexie: die spartanische ~ 11; Kritik der ~ und die athenische Politik während des zweiten Seebundes 20; nach dem Bundesgenossenkrieg 54 Plutarch 213; heroisierende Auffassung bei ~ 76 Plutarch von Eretria 157, 158 Polybios 224, 234 Politik: ~ f. d. Griechen mit Ethik u. Religion eng verbunden 132 Poteidaia 114, 118 Prosa s. Rhetorik Ptolemaios in Pydna 114, 118 Python 247 R Rasse: ~ des Demosthenes 235 — fremde Leute gewinnen Einfluß in Athen 39; die Bankiers Phormion und Pasion ~- fremde Leute 39; Metökenfürsorgeamt 55; ~ und Bürgerrecht 214; die ~ der Makedonen 242 Recht: theoretisches ~s-Studium im Athen des ausgehenden V. und des IV. Jahrh. 209, 210; Theophrastos Begründer der system. Jurisprudenz 27; Studium der Gesetze SoIons d. d. Sophisten 28; das wissenschaftliche ~ s-Studium beginnt in

Recht—Fortsetzung Athen 28; Redenschreiber und Rechtspraktiker 30 ff.; Prozesse als Mittel der Politik Kapitel III passim; 99ff.; Strohmänner als Ankläger verwendet 59ff., 99ff. Redekunst s. Rhetorik Redenschreiber (Logographen): Beruf des ~s 30ff.; Ursprung und Wesen der ~ 30; Lysias und Isaios als ~s 30f.; Isokrates und Demosthenes beginnen als ~ 30f.; der Fall des Hypereides 35; der Beruf des ~s nicht sehr geachtet 36, 35; Sprungbrett zur Politik 30; Anonymität des ~s 35; die „Ethopoiie" (Charakterzeichnung) 35; der ~ mehr Künstler als Jurist in Athen 35ff.; unerschöpfliche Galerie der Typen 36; die Reden für Phormion und gegen Stephanos typische Beispiele für das mangelnde Berufs-Ethos der - 37-41; vgl. auch „Recht" und „Rhetorik" Rhetorik: ~ in den Reden des Demosthenes vom polit. Inhalt untrennbar 6; Ursprung der formalen Kunst der ~ 29ff.; Bedeutung der für Gerichtshof und Volksversammlung 29f.; psychol. und logische Momente in der neuen ~ 29; ~ und Schul-Deklamationen 30 ff.; Veröffentlichung der Muster-Plaidoyers 30; Lysias und Antiphon 30; s. Redenschreiber; ~ und Kunst des diplomatischen Verbergens 79, s. Diplomatie; Benutzung von fertigen Klischees in den Reden 64,103, 141 f.; „Geschichte der attischen Beredsamkeit" von Fr. Blaß 6, 203; Nordens „Antike Kunstprosa" 209; rhetorische Schulung 211 Rhodos 49, 73, 9°, 92, 175

NAMEN- UND SACHREGISTER Skopas173 Sokrates: ~ und der Staat 14 (in der „Apologie"); der Justizmord an ~ 15; ~ „Verderber der Jugend" 17; sein „Rigorismus" und die Politik 17 Solon 28, 131, 234 Sparta: Hegemonie ~s nach d. pelop. Kriege 7ff.; ~s und Athens Hegemonie 7f.; Pleonexie ~s n; ~s Kampf gegen die Koalition n; - und die Autonomie der Kleinstaaten ii f.; Atomisierungspolitik ~s 12; - Schützer der „Freiheit" 12; ~ für die „Autonomie" 12; Streben nach Alleinherrschaft 12; Niederlage bei Leuktra 45; Bündnis mit Athen 45ff., 82ff., 163, ~ und Messenien 82; ~ und Arkadien 82; - als Schützer des Amyntas von Makedonien no; Athen trennt sich von ~ 175 Sparta: Frieden zu ~ 43 Speusippos 241 Staat s. Stadtstaat Stadtstaat (Polis) 2, 190; ~ als typische Form d. griech. Staates 5, Endkampf um die Polis 5; Gründe der Auflösung des ~s am Ende des pelop. Krieges 12f.; Sokrates u. die moral. Wiedergeburt des ~ es 14; Machtfrage und das Problem des Individuums 15; Problem der sittl. Erneuerung des ~s d. d. Philosophie I4ff.; Flucht in ein kultiviertes Privatleben 16; Autorität und Gemeinschaftsidee 16; kultureller und pol. Wiederaufstieg des ~es i8f.; Rassefremde erwerben Bürgerrecht im athenischen ~ 39; ~ und Weltwirkung des Griechentums 186; Rasse und Bürgerrecht 214 Stephanos 37ff., 146 Strymon 50, 109

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Tacitus 34 Terenz: ~ Citat 67 Theatergelder („Theorika") I393 144, 236 Theben: Haltung von ~ nach dem pelop. Krieg 8; Gesandtschaft und Bündnis mit Athen ; ~ und die Platäer 43, igoff.; Trennung ~s von Athen 43; Einigung von Böotien durch ~ 44; Sieg bei Leuktra u. seine Folgen 45 (s. Epaminondas); Sieg bei Mantinea 82; Protektorat über Arkadien und Messenien 82; die Frage von Oropos 48; 88 f., 156, 159) 223; prothebanische Politik des Demosthenes 88, 159, I75f 0 184; ~ durch Philipp gezüchtigt 185 Themistokles 14 Theophrastos: Begründung der Jurisprudenz bei ~ 27; ~ und Aristoteles 233 Theopompos 76, 96, 136; über Philipp II. 136, 235 Thermopylen 114,122,154, 162,163, 167 Thespiai 156 Thessalien nofF., 115, 136, 138, 155, 175, 192 Thrasybulos 19 Thrakien 52, looff., I09ff., 175 Thukydides: ~ über Athens Anteil an der griech. Geschichte des V. Jahrhunderts 7; über das Prinzip der attischen Politik 9; vaticinia ex eventu im Werk des ~ 9, 204; ~ über die relative Macht von Athen und Sparta 12; die „Archäologie" 205; ~ über die Katastrophe des perikleischen Reiches 13; die „Grabrede" 13; ~ über die Makedonen 109; die Reden des - 117; ~ und die Tyche 130; die PentekontaCtie 203

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NAMEN- UND SACHREGISTER

Timokrates 59 ff., 64 Timotheos, Sohn des Konon; ~ Führer beim zweiten Seebunde 19; ~ einer der größten Steuerzahler in Athen 24; Phormion Bankier des ~ 37'> 5O> 51 f.; ~ und Makedonien iii; Prozeß und Abberufung d. 199f.; s. Isokrates Tissaphernes 72 Tragödie: griechische ~ 130; die „Theatergelder" 139, 211 Tyche: die ~ die größte Macht im relig. Denken 130; ~glaube nicht = Fatalismus 131 f.; die ~ von Athen und Philipp ~ 138 (nach Demo-

Tyche—Fortsetzung sthenes); 192; Behandlung des ~Problems in „Paideia" I, 196ff.; Sullas und Caesars Glaube an die ~ 236 U Universalismus: ~ ohne Rücksicht auf die nationalen Grenzen 5 X Xenophon 7, 10, 44, 199, 204; ~s Schrift über die Einkünfte 535 74, 214; ~ und Thukydides 10, 204 Xerxes 74

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