127 61 66MB
German Pages 450 Year 1995
WINFRIED BOECKEN
Deliktsrechtlicher Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 181
Deliktsrechtlicher Eigentunisschutz gegen reine Nutzimgsbeeinträchtigungen
Von
Winfried Boecken
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Boecken, Winfried:
Deliktsrechtlicher Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen / von Winfried Boecken. Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 181) Zugl.: Bonn, Univ., Habil.-Schr., 1994 ISBN 3-428-08424-1 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-08424-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©
Für Ulrike, CornelìuSy Henriette und Josefine
Vorwort Auch in der 1993 erschienenen sechsten Auflage seines Lehrbuches zum Besonderen Teil des Schuldrechts schließt Medicus die Darstellung zum Tatbestand der Eigentumsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB mit der Feststellung: „So halte ich die Frage, ob und nach welchen Kriterien die Intensität einer Nutzungsstörung über deren Charakter als Eigentumsverletzung zu entscheiden vermag, für noch nicht befriedigend gelöst." (a.a.O, 367). Die damit angesprochene Problematik eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes ist vor allem seit der berühmten Fleetfall-Entscheidung des BGH vom 21. Dezember 1970 (BGHZ 55, 153 ff.) eine in der Literatur vielfach diskutierte Frage und sie hat auch die Rechtsprechung immer wieder beschäftigt. Gleichwohl ist es - wie Medicus zutreffend feststellt bis heute nicht gelungen, auf der Grundlage der für die rechtliche Beurteilung maßgebenden gesetzlichen Regelungen der §§ 823 Abs. 1 und 903 Satz 1 BGB ein in sich geschlossenes und widerspruchsfreies Konzept eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes zu entwickeln oder die prinzipielle Ablehnung eines solchen Eigentumsschutzes überzeugend zu begründen. Die vorliegende Arbeit unternimmt es, bezogen auf die beiden wesentlichen Fragenkreise, mit denen sich eine Untersuchung des deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes auseinanderzusetzen hat: das „Ob" eines solchen Schutzes sowie seine Begrenzung im Interesse der Erhaltung ausreichend haftungsfreier Handlungs- und Entfaltungsspielräume Dritter, ein dogmatisches Konzept des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen vorzustellen. Mit dem Begriff der reinen Nutzungsbeeinträchtigung werden hier solche Beeinträchtigungen des Eigentümers in der Sachnutzung bezeichnet, die auf einer Veränderung zwischen Sache und Außenwelt beruhen und ohne Verletzung der Sach-, Rechtsoder Personenintegrität einhergehen sowie ohne Sachentzug geschehen. In der Praxis vor allem bedeutsame Ursachenbereiche entsprechender Beeinträchtigungen sachnutzender Eigentümer sind - was sich im übrigen auch in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung widerspiegelt - Störungen der Nutzbarkeit von Verkehrswegen (siehe etwa den schon erwähnten Fleetfall), Störungen der Nutzbarkeit von künstlichen Zuleitungen und Versorgungen (beispielhaft sind insoweit die bekannten „Stromkabelfälle") sowie Störungen der Nutzbarkeit von (insbesondere) natürlichen Grundstückszuführungen infolge der Nutzung von Nachbargrundstücken (diskutiert unter dem Stichwort eines Schutzes des Grundstückseigentums gegen Beeinträchtigungen durch „negative Einwirkungen"). Das im Rahmen dieser Untersuchung entwickelte dogmatische Konzept ist ein übergreifendes in dem Sinne, daß die Frage des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen auf
8
Vorwort
eine der vorgenannten Störungsursachen beruhende reine Nutzungsbeeinträchtigungen sowohl hinsichtlich des „Ob" eines Nutzungsschutzes wie auch seiner Begrenzung - Relativierung - nur einheitlich unter Berücksichtigung der Verknüpfung zwischen dem sachenrechtlichen Eigentumsbegriff und dem deliktsrechtlichen Schutz des Eigentums beantwortet werden kann. Die Untersuchung wurde im Sommersemester 1994 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn als Habilitationsschrift angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum sind bis März 1995 berücksichtigt. Mein herzlicher Dank gilt zunächst meinem akademischen Lehrer Herrn Prof. Dr. Bernd Baron v. Maydell, der mein Interesse und meine Freude an wissenschaftlicher Arbeit geweckt und unter anderem die Entstehung dieser Schrift maßgeblich gefördert hat. Auch nach seiner Berufung zum Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Sozialrecht in München habe ich seine Unterstützung erfahren, nicht zuletzt durch die rasche Anfertigung eines Gutachtens im Habilitationsverfahren. Den Herren Prof. Dr. Meinhard Heinze und Prof. Dr. Ulrich Huber, Bonn, danke ich sehr für die zügige Erstellung der weiteren Gutachten im Habilitationsverfahren. Besonders danken möchte ich meinem Freund Prof. Dr. Martin Karollus, Linz. Während seiner Zeit in Bonn konnte ich viele intensive Gespräche mit ihm führen, aus denen ich mannigfache Anregungen für die vorliegende Untersuchung gewonnen habe. Aus demselben Grunde danke ich auch Herrn Dr. Laurenz Mühlheims, Bonn. Frau cand. iur. Antje Bach danke ich für wertvolle Hilfe bei der Erstellung des Sachregisters, Frau Renate Lauffer für die zuverlässige Anfertigung des Manuskripts. Schließlich danke ich Herrn Rechtsanwalt und Notar Dr. iur. Hans-Peter Wüst, Berlin, der die Veröffentlichung dieser wie auch schon weiterer Arbeiten von mir durch großzügige Unterstützung gefördert hat. Die Arbeit widme ich meiner Frau und meinen Kindern. Berlin/Halle, im April 1995 Winfried
Boecken
Inhaltsübersicht
Erster
Teil
Untersuchungsgegenstand
23
1. Kapitel: Tatsächlicher Untersuchungsgegenstand und rechtlicher Anknüpfungspunkt
23
2. Kapitel: Abgrenzungen
37
Zweiter
Teil
Meinungsstand und Kritik
52
1. Kapitel: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
52
2. Kapitel: Kritische Stellungnahme
122
Dritter
Teil
Konzept eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen
162
1. Kapitel: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
163
2. Kapitel: Nutzungsschutz als Teil des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes
208
3. Kapitel: Relativierung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen
263
Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse
381
Literaturverzeichnis /Materialien
396
Sachregister
423
Inhaltsverzeichnis
Erster
Teil
Untersuchungsgegenstand
23
1. Kapitel Tatsächlicher Untersuchungsgegenstand und rechtlicher Anknüpfungspunkt I. Zum Begriff der reinen Nutzungsbeeinträchtigung II. Praktische Beispiele reiner Nutzungsbeeinträchtigungen
23 23 25
1. Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit von Verkehrswegen
25
2. Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Nutzbarkeit von künstlichen Zuleitungen oder Versorgungen
28
3. Nutzungsbeeinträchtigungen des Grundstückseigentümers, die auf Störungen der Nutzbarkeit insbesondere natürlicher Grundstückszuführungen infolge der Nutzung von Nachbargrundstücken beruhen
29
ΠΙ. Zunehmende Bedeutung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen
31
IV. Rechtlicher Anknüpfungspunkt der Untersuchung
35
2. Kapitel Abgrenzungen I. Deliktsrechtlicher Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen als Teilausschnitt einer allgemeinen, eigentumsunabhängigen Problematik
37
37
II. Verhältnis zur Diskussion über einen privatrechtlich fundierten Umweltschutz
40
III. Deliktsrechtlicher Schutz in Verbindung mit öffentlich-rechtlichen Regelungen —
43
1. Eigenständigkeit der deliktsrechtlichen Haftung aus § 823 Abs. 1* * §§ ohne Gesetzesangabe sind solche des BGB.
44
12
nsverzeichnis 2. „Schutzgutakzessorietät" bestimmter öffentlich-rechtlicher Regelungen
46
3. Fehlen einer Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht
48
Ζ weiter
Teil
Meinungsstand und Kritik
52
1. Kapitel Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur I. Rechtsprechung des Reichsgerichts
52 52
1. Gegenstand der Schutzposition „Eigentum" i.S.v. § 823 Abs. 1
52
2. Begriff der Eigentumsverletzung
54
a) Eigentumsverletzung durch rechtliche Einwirkung
54
b) Eigentumsverletzung durch Einwirkung auf die Sache
57
(1) Erfordernis einer unmittelbaren Einwirkung auf die Sache (materieller Verletzungsbegriff)
57
(2) Ablehnung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen
63
II. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
67
1. Gegenstand der Schutzposition „Eigentum" i.S.v. § 823 Abs. 1
67
2. Begriff der Eigentumsverletzung
69
a) Eigentumsverletzung durch rechtliche Einwirkung
69
b) Eigentumsverletzung durch Einwirkung auf die Sache
74
(1) Der sacheinwirkungsbezogene Verletzungsbegriff des BGH
74
(2) Vom BGH anerkannte Eigentumsverletzungen durch Einwirkung auf die Sache
75
3. Deliktsrechtlicher Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen ...
81
a) Voraussetzungen für die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung
81
b) Stellungnahmen zu Einzelbereichen reiner Nutzungsbeeinträchtigungen
83
(1) Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit von Verkehrswegen
84
(2) Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Nutzbarkeit von künstlichen Zuleitungen oder Versorgungen (insbesondere: die sog. Stromkabelfälle)
87
(3) Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung durch negative Einwirkungen
89
nsverzeichnis III. Die in der Literatur vertretenen Auffassungen zur Frage eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen 1. Die herrschende Lehre
13
94 94
a) Grundsätzliche Befürwortung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen
94
b) Begrenzung des im Ausgangspunkt befürworteten Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen
99
(1) Begründung für die Notwendigkeit einer Begrenzung (2) Kriterien zur Begrenzung des Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen
99 100
(a) Intensität der Beeinträchtigung
101
(b) Art des verwirklichten Risikos
104
(c) Willensrichtung des in die Sachnutzung eingreifenden Dritten
105
c) Stellungnahmen zu Einzelbereichen
106
(1) Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit von Verkehrswegen 106 (2) Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Nutzbarkeit künstlicher Zuleitungen oder Versorgungen
110
(3) Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung durch negative Einwirkungen
114
2. Die einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtungen prinzipiell ablehnende Minderansicht
118
2. Kapitel Kritische Stellungnahme I. Einleitung II. Das „Ob" eines Nutzungsschutzes
122 122 123
1. Unzulänglichkeiten und Widersprüche der herrschenden Meinung bei der Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzungen 123 a) Ausblendung bestimmter Nutzungsbeeinträchtigungen aus dem deliktsrechtlichen Eigentumsschutz (1) Die deliktsrechtliche Irrelevanz negativer Einwirkungen
123 124
(2) Die Ausklammerung von auf Unterbrechungen der Stromzufuhr beruhenden Nutzungsbeeinträchtigungen 127 (3) Die Ablehnung eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes unter Verweis auf bloße Hinderungen des Gemeingebrauchs 131
14
nsverzeichnis b) Verständnis des Nutzungsschutzes im Sinne des Schutzes einer „objektiv" bestimmten Sachfunktion (Funktionsschutz) 135 2. Begründungsdefizite und Widersprüche der einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen prinzipiell ablehnenden Minderansicht 137
III. Die Relativierung des grundsätzlich anerkannten Nutzungsschutzes
141
1. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Frage nach der Zulässigkeit einer Relativierung 143 2. Die nicht begründete Anbindung der Relativierung an das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung 147 3. Die unzureichend bewältigte Ausgestaltung der Relativierung
149
a) Zu dem vom BGH verwendeten Kriterium der „Entziehung" des bestimmungsgemäßen (natürlichen) Gebrauchs 149 b) Zu den in der Literatur vorgeschlagenen Relativierungskriterien (1) Zu den verschiedenen Intensitätsmaßstäben
152 152
(2) Zu der grundsätzlichen Zuweisung spezifischer Sachverwendungsrisiken an den sachnutzenden Eigentümer 157 (3) Zur Anknüpfung an die Willensrichtung des in die Sachnutzung eingreifenden Dritten
Dritter
158
Teil
Konzept eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen
162
1. Kapitel Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
163
I. § 903 Satz 1 als Ausgangspunkt für das sachenrechtliche Eigentumsverständnis ... 163 II. Zum Verhältnis zwischen dem Eigentum und seinen Schranken
165
1. Gegenüberstellung von Außentheorie und Immanenzlehre
165
2. Ablehnung der Immanenzlehre
169
ΠΙ. Zur positiven Seite des Eigentumsinhalts: Insbesondere die Sachnutzungsbefugnis und deren Realisierung durch konkrete Sachnutzung
178
1. Befugnis zur Sachnutzung als bedeutender Eigentumsinhalt
178
2. Begriff der Sachnutzung und ihre Abhängigkeit von Umweltbedingungen
184
nsverzeichnis
15
3. Konkrete Sachnutzung als Ausübung des Eigentumsrechts
187
4. Keine eigentumsfundierte Berechtigung an der Ausgestaltung der Umwelt
191
IV. Verfahren nach Belieben statt Funktionseigentum
195
1. Eigentümerfreiheit als Entscheidungsfreiheit: Die alleinige Kompetenz des Eigentümers zur Festlegung der Sachnutzung nach seinen Interessen 195 2. Abgrenzung zum Funktionseigentum
198
a) Zum Begriff des Funktionseigentums am Beispiel verschiedener weltanschaulicher Lehren bzw. Rechtslehren 198 b) Unvereinbarkeit des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses mit der Vorstellung eines Funktionseigentums 203 V. Zum Verhältnis zwischen positiver und negativer Seite des Eigentums
205
2. Kapitel Nutzungsschutz als Teil des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes
208
I. Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 208 1. Kongruenz zwischen sachenrechtlichem und deliktsrechtlichem Eigentumsbegriff 209 2. Reine Nutzungsbeeinträchtigungen als Verletzung des Eigentums
216
3. Abgrenzung zu Nutzungsbeeinträchtigungen, die auf personenbezogenen Eingriffen beruhen 221 4. Abgrenzung zu einem bloßen Funktionsschutz
224
Π. Zur Qualifizierung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1, die bislang von Rechtsprechung und Lehre aus dem deliktsrechtlichen Eigentumsschutz ausgeblendet werden 230 1. Anerkennung eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes auch im Bereich des nachbarrechtlichen Eigentumsschutzes 230 a) Eigentumsverletzung durch Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung infolge negativer Einwirkungen 230 b) Unvereinbarkeit des von Rechtsprechung und herrschender Lehre vertretenen materiellen Einwirkungsbegriffs mit dem aus § 903 Satz 1 zu entnehmenden Begriff der Einwirkung 233 (1) § 903 Satz 1 statt § 906 als Grundlage für die Bestimmung eines am positiven Eigentumsinhalt orientierten Einwirkungsbegriffs 233
nsverzeichnis (2) Zu dem Verweis auf die Entstehungsgeschichte
237
(3) Zu dem Argument der Rechtssicherheit
242
(4) Zu der „eigentumsinhaltlichen" Begründung des materiellen Einwirkungsbegriffs 245 2. Eigentumsverletzung durch Beeinträchtung der Sachnutzung infolge Unterbrechung der Stromzufuhr 247 3. Eigentumsverletzung durch Beeinträchtigung der Sachnutzung aufgrund einer Störung der Benutzbarkeit von öffentlichen Verkehrswegen 254
3. Kapitel Relativierung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen I. Einleitung
263 263
II. Dogmatische Begründung für die Zulässigkeit einer Relativierung des Nutzungsschutzes 265 1. Eigentumsschutz im Nachbarrecht: relativierter Nutzungsschutz (§ 906) und absoluter Substanzschutz 266 a) § 906: nutzungsschutzbezogene Relativierungsregelung
266
b) Grund für die Relativierung des Nutzungsschutzes durch § 906
270
c) Absoluter Substanzschutz im Nachbarrecht
272
2. Orientierung des deliktsrechtlichen Eigentums(Nutzungs)Schutzes an der im Nachbarrecht vorfindlichen Wertung des Gesetzgebers 275 III. Dogmatischer Anknüpfungspunkt für die Relativierung des Nutzungsschutzes 1. Einleitung
281 281
2. Zur Anbindung der Relativierung des Nutzungsschutzes an das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung 284 3. Zur Anbindung der Relativierung des Nutzungsschutzes auf der Rechtswidrigkeitsebene 286 a) Einleitung
286
b) Beurteilung auf der Grundlage der Erfolgsunrechtslehre
287
(1) Skizzierung der Erfolgsunrechtslehre
287
(2) Berücksichtigung der Relativierung des Nutzungsschutzes auf der Rechtswidrigkeitsebene 289
nsverzeichnis
17
(3) Bestätigung durch die Einordnung des § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 als Rechtswidrigkeitsmaßstab 294 (4) Zur Frage der Beweislastverteilung hinsichtlich der (Nicht-)Einhaltung von Duldungsgrenzen 301 c) Beurteilung auf der Grundlage der reinen Verhaltensunrechtslehre (1) Skizzierung der Verhaltensunrechtslehre
312 312
(2) Berücksichtigung der Relativierung des Nutzungsschutzes auf der Rechtswidrigkeitsebene 318 (3) Zur Frage der Beweislastverteilung hinsichtlich eines Verstoßes gegen bzw. der Einhaltung von duldungsgrenzenbestimmten Verhaltenspflichten 329 d) Beurteilung auf der Grundlage der eingeschränkten Erfolgsunrechtslehre .... 330 (1) Skizzierung der eingeschränkten Erfolgsunrechtslehre
330
(2) Berücksichtigung der Relativierung des Nutzungsschutzes auf der Rechtswidrigkeitsebene 336 IV. Anforderungen an die Ausgestaltung der Relativierung 1. Einleitung
337 337
2. Methodischer Ansatz für die Relativierung: Einzelfallorientierte Interessenabwägung statt Verwendung eines begrifflich-abstrakten Relativierungskriteriums 339 3. Wesentliche Grundsätze für die interessenabwägende Relativierung des Nutzungsschutzes 344 a) Interessenausgleich statt Interessenüberspielung
345
b) Anwendung sachbezogener Bewertungsfaktoren
348
c) Objektivierte Duldungsgrenzenbestimmung
357
d) Berücksichtigung außerdeliktsrechtlich positivierter Regelungen der Gesamtrechtsordnung 359 4. Zur Relativierung des deliktsrechtlichen Nachbarschutzes gegen negative Einwirkungen: Heranziehung des § 906 als legislative Vorgabe für die Duldungsgrenzenbestimmung 366
Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse
381
Literaturverzeichnis/Materialien
396
Sachregister
423
2 Boecken
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Ansicht
a.a.O.
am angegebenen Ort
ABGB
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich)
Abs.
Absatz
Abt.
Abteilung
AcP
Archiv für die civilistische Praxis
a.E.
am Ende
a.F.
alte Fassung
AG
Amtsgericht
AK
Reihe Alternativkommentare
ALR
Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten
Anm.
Anmerkung
AP
Arbeitsrechtliche Praxis - Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts
Art.
Artikel
AT
Allgemeiner Teil
Aufl.
Auflage
AuR
Arbeit und Recht, Zeitschrift für Arbeitsrechtspraxis
BAG
Bundesarbeitsgericht
BauONW
Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen
BauR
Baurecht
BayBauO
Bayerische Bauordnung
BayRS
Bayerische Rechtssammlung
BB
Der Betriebs-Berater
Bd.
Band
BesVerwR
Besonderes Verwaltungsrecht
ber.
bereinigt
betr.
betreffend
BFStraG
Bundesfernstaßengesetz
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
BImSchG
Bundesimmissionsschutzgesetz
BMJ
Bundesminister der Justiz
Abkürzungsverzeichnis
19
BT
= Besonderer Teil
BT-Drucks.
= Bundestags-Drucksache
BVerfG
= Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
= Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG
= Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE
= Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
BWaStrG
= Bundeswasserstraßengesetz
bzw.
= beziehungsweise
DAR
= Deutsches Autorecht
DB
= Der Betrieb
ders.
= derselbe
d. h.
= das heißt
DJT
= Deutscher Juristentag
DNotZ
= Deutsche Notar-Zeitschrift
DÖV
= Die öffentliche Verwaltung
DR
= Deutsches Recht
DRiZ
= Deutsche Richterzeitung
DVBl
= Deutsches Verwaltungsblatt
EI
= Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erste Lesung. 1888 (1. Entwurf).
Ε II
= Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Nach den Beschlüssen der Redaktionskommission, Zweite Lesung, 1894, 1895 (sog. 2. Entwurf).
E II rev.
= Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich Zweite Lesung (1895, sog. BundesratsVO
EIII
= Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs (1896, Reichstagsvorlage oder 3. Entwurf)
EGBGB
= Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
Einf.
= Einführung
Entsch.
= Entscheidung(en)
Erl.
= Erläuterungen
EStG
= Einkommensteuergesetz
f., ff.
= folgende
FG
= Festgabe
Fn.
= Fußnote
FS
= Festschrift
GedS
= Gedächtnisschrift
GG
= Grundgesetz
GmbH
= Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Gruchot
= Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts
GRUR
= Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
2*
20 GS
Abkürzungverzeichnus = Großer Senat
GutA
= Gutachten
GVBl
= Gesetz- und Verordnungsblatt
Hdb.
= Handbuch
HaftpflG
= Haftpflichtgesetz
Halbb.
= Halbband
HessBauO
= Hessische Bauordnung
h.L.
= herrschende Lehre
h.M.
= herrschende Meinung
Hrsg.
= Herausgeber
hrsg.
= herausgegeben
HRR
= Höchstrichterliche Rechtsprechung
i.d.F.d.Bek.
= in der Fassung der Bekanntmachung
insb.
= insbesondere
Inst.
= Institutionen
i. S. d.
= im Sinne des/der
i.S.v.
= im Sinne von
i.V.m.
= in Verbindung mit
JA
= Juristische Arbeitsblätter
JherJb
= Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts
Jura
= Juristische Ausbildung
JurA
= Juristische Analysen
JuS
= Juristische Schulung
JW
= Juristische Wochenschrift
JZ
= Juristenzeitung
Kap.
= Kapitel
Karlsr. F.
= Karlsruher Forum (Beihefte zum Versicherungsrecht)
KG
= Kammergericht Berlin
KJ
= Kritische Justiz
Komm.
= Kommentar
LBauO (LBO)
= Landesbauordnung
LG
= Landgericht
Lit. LM
= Literatur = Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes, herausgegeben von Lindenmaier und Möhring
LZ
= Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
LWG NW
= Wassergesetz für das Land Nordrhein-Westfalen
MDR
= Monatsschrift für Deutsches Recht
MünchKomm
= Münchener Kommentar
m.w.Nachw.
= mit weiteren Nachweisen
NachbG NW
= Nachbarschaftsgesetz Nordrhein-Westfalen
Abkürzungsverzeichnis Nachw.
= Nachweise
Nds. BauO
= Niedersächsische Bauordnung
Nds. NRG
= Niedersächsisches Nachbarrechtsgesetz
Nds. StrG
= Niedersächsisches Straßengesetz
Nds. WG
= Niedersächsisches Wassergesetz
NJW
= Neue Juristische Wochenschrift
NJW-RR-NJW
= Rechtsprechungs-Report Zivilrecht
Nr.
= Nummer
NVwZ
= Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NZA
= Neue Zeitschrift für Arbeits-und Sozialrecht
OLG
= Oberlandesgericht
OR
= Schweizerisches Obligationenrecht
PR
= Privatrecht
21
ProdHG
= Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte
Proti
= Protokolle der (1.) Kommission zur Ausarbeitung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs (1881-1889)
Prot (2. Komm.)
= Protokolle der (2.) Kommission für die Zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich (1890-1896)
Prot.-RJA
= Protokolle der Vorkommission des Reichs-Justizamts ( 1891 -1893)
PrOVGE
= Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts
Rech
= Das Recht
RG
= Reichsgericht
RGSt.
= Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
RGZ
= Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
Rspr.
= Rechtsprechung
Rz.
= Randziffer
S.
= Seite
s.
= siehe
SAE
= Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen
SchR
= Schuldrecht
Sitz
= Sitzung
sog.
= sogenannte(n)
StGB
= Strafgesetzbuch
Sten. Berichte
= Stenografische Berichte
St. Rspr.
= Ständige Rechtsprechung
StrWG NW
= Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen
StVG
= Straßenverkehrsgesetz
StVO
= Straßenverkehrs-Ordnung
TE-OR
= Teilentwurf zum Obligationenrecht (von v. Kübel, 1882)
TE-SachR
= Teilentwurf zum Sachenrecht (von Johow, 1880)
u.a.
= unter anderem, und andere
UmweltHG
= Umwelthaftungsgesetz
22
Abkiirzungverzeichnus
UPR
= Umwelt-und Planungsrecht
UTR
= Umwelt- und Technikrecht (Schriftenreihe des Instituts für Umweltund Technikrecht der Universität Trier)
Verf.
= Verfasser
vgl.
= vergleiche
veröff.
= veröffentlicht
VersR
= Versicherungsrecht
VerwA
= Verwaltungsarchiv
VerwR
= Verwaltungsrecht
Vorbem.
= Vorbemerkungen
VRS
= Verkehrsrechts-Sammlung
VVDStRL
= Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
VwGO
= Verwaltungsgerichtsordnung
Warn.Rspr.
= Warneyers Rechtsprechung des Reichsgerichts
WHG
= Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz)
WiVerw
= Wirtschaft und Verwaltung (Beilage zum Gewerbearchiv)
WM
= Wertpapier-Mitteilungen
WRV
= Weimarer Reichsverfassung
z. B.
= zum Beispiel
ZB1
= Zentralblatt für die juristische Praxis (Österreich)
ZfBR
= Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht
ZfS
= Zeitschrift für Schadensrecht
ZfW
= Zeitschrift für Wasserrecht
ZHR
= Zeitschrift für das Gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht
ZMR
= Zeitschrift für Miet- und Raumrecht
ZPO
= Zivilprozeßordnung
z.T.
= zum Teil
ZVersWiss
= Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft
ZVR
= Zwangsvollstreckungsrecht
Erster
Teil
Untersuchungsgegenstand 7. Kapitel
Tatsächlicher Untersuchungsgegenstand und rechtlicher Anknüpfungspunkt I. Zum Begriff der reinen Nutzungsbeeinträchtigung Gemäß der Vorschrift des § 903 Satz l 1 kann der Eigentümer einer Sache mit dieser nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen. Hiermit ist dem Eigentümer unter anderem die Befugnis zur Sachnutzung i m Rahmen des Schrankenvorbehalts eingeräumt 2 . Nach der in § 100 niedergelegten Definition des Begriffs der Nutzungen sind Nutzungen einer Sache nicht nur die aus ihr gezogenen Früchte 3 , sondern auch die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache gewährt 4 . 1
Nach § 90 a Satz 3 ist diese Regelung entsprechend auf den Eigentümer eines Tieres anzuwenden. In § 903 Satz 2 ist bezogen auf den Tiereigentümer besonders bestimmt, daß dieser bei der Ausübung seiner Befugnisse die besonderen Vorschriften zum Schutze der Tiere zu beachten hat. 2 Zu dem durch § 903 Satz 1 verbürgten Eigentumsinhalt siehe näher im Dritten Teil, 1. Kap. 3 Um Sachfrüchte handelt es sich vor dem Hintergrund der in § 99 Abs. 1 und Abs. 2 enthaltenen Differenzierung zwischen Sach- und Rechtsfrüchten auch dann, wenn die Fruchtziehung vermittels des Eigentums erfolgt, siehe Erman/Michalski, 9. Aufl., § 99, Rz. 8; zum Begriff der Rechtsfrucht ausführlich Staudinger/Coing, 11. Aufl., § 99, Rz. 11. Siehe auch noch im Dritten Teil, 1. Kap. unter ΠΙ. 2. 4 Unter Gebrauchsvorteilen sind die aus dem Sachbesitz oder der tatsächlichen Nutzungsmöglichkeit gezogenen Vorteile zu verstehen, so Staudinger-Dilcher, 12. Aufl., § 100, Rz. 2. An dem Charakter als Gebrauchsvorteil einer Sache i.S.v. § 100 in Abgrenzung zu dem Gebrauchsvorteil eines Rechts ändert sich nichts dadurch, daß der Sachgebrauch aufgrund des Eigentums ausgeübt und damit auch ein Recht gebraucht wird, siehe Staudinger-Coing, 11. Aufl., § 100, Rz. 3. Von dem Gebrauchsvorteil eines Rechts i.S.v. § 100 kann nur gesprochen werden, wenn ein Recht gebraucht wird, das nicht an einer Sache besteht oder auf den Gebrauch einer Sache gerichtet ist, so Staudinger-Dilcher, 12. Aufl., § 100, Rz. 6. Siehe zu dem Begriff des Gebrauchsvorteils auch noch im Dritten Teil, 1. Kap. unter ΠΙ. 2.
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Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
Beeinträchtigungen des Sacheigentümers in Hinblick auf die Wahrnehmung von Nutzungsmöglichkeiten an einer beweglichen oder unbeweglichen Sache, also von Möglichkeiten der Fruchtziehung oder der Realisierung von Gebrauchsvorteilen, können verschiedene Ursachen haben. Sie können beruhen auf - Eingriffen in die Sachintegrität (Beschädigung oder sonstige physische Einwirkung auf die Sache als Gegenstand des Eigentums), - Eingriffen in die Rechtsintegrität (Verletzung des Eigentumsrechts durch Entziehung oder Belastung mit einem fremden Recht), - Eingriffen in die Personenintegrität (körperliche Verletzung oder sonstige Hinderung des Eigentümers), - Eingriffen in die tatsächliche Sachherrschaft (endgültiger oder vorübergehender Entzug der Sache als Gegenstand des Eigentums) sowie - Eingriffen durch Veränderungen des Verhältnisses zwischen Sache und Außenwelt ohne Verletzung der Sach-, Rechts- und Personenintegrität sowie ohne Sachentzug. Allein die aus der zuletzt genannten Eingriffsart resultierenden Beeinträchtigungen der Sachnutzung sollen unter dem Begriff der „reinen Nutzungsbeeinträchtigungen" Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein. Diese lassen sich nach der vorstehenden Beschreibung in zweifacher Hinsicht wie folgt charakterisieren: Abgestellt auf die Beeinträchtigungsursache geht es um Störungen der Sachnutzung, die auf tatsächlichen Ursachen beruhen, nämlich auf Veränderungen des Verhältnisses zwischen Sache und Außenwelt. Ausgegrenzt sind damit Sachnutzungsbeeinträchtigungen, die durch rechtliche Maßnahmen hervorgerufen werden. Bezogen auf die Beeinträchtigungswirkung stehen nur solche Beeinträchtigungen der Sachnutzung in Frage, die ohne Verletzung der Sach-, Rechts- oder Personenintegrität einhergehen sowie ohne Sachentzug geschehen. Der Begriff der reinen Nutzungsbeeinträchtigung5 darf nicht mit dem im delikts- und schadensersatzrechtlichen Sprachgebrauch üblichen Terminus des „reinen Vermögensschadens" verwechselt werden. Während dieser von Vermögensschäden handelt, die ohne Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 geschützten Rechtsgüter oder Rechte eintreten und eben deshalb als „reine" bezeichnet werden6, soll mit dem hier verwendeten adjektivischen Zusatz allein klargestellt wer5
Zu in der Lit. vorzufindenden Beschreibungen dieser Fallgruppe von Nutzungsbeeinträchtigungen siehe noch im Zweiten Teil, 1. Kap. unter III. 1. a), Fn. 212. Der Begriff der reinen Nutzungsbeeinträchtigung wird auch von v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 28 ff. verwendet, allerdings in einem weiteren als dem hier zugrunde gelegten Sinne: So bezeichnet v. Bar beispielsweise auch die Beeinträchtigung der Veräußerungsmöglichkeit einer Sache als reine Nutzungsbeeinträchtigung (a. a. O., 29 und 31). 6 Z.B. MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 91; Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 75; Larenz/Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 357; Medicus, SchR II, 6. Aufl., 348: bloße Vermögensschädigung.
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den, daß die in Frage stehenden Nutzungsbeeinträchtigungen auf eine bestimmte tatsächliche Art und Weise erfolgen. Eine rechtliche Wertung in Hinblick auf das (Nicht-)Vorliegen einer Rechtsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 ist dadurch - anders als bei Verwendung der Begrifflichkeit des „reinen Vermögensschadens" - nicht vorgenommen.
II. Praktische Beispiele reiner Nutzungsbeeinträchtigungen Die hier als reine Nutzungsbeeinträchtigungen bezeichneten Beeinträchtigungen des Sacheigentümers können angesichts einer Vielzahl von unterschiedlichen Nutzungsobjekten und Nutzungszwecken auf einer unübersehbaren Zahl von Ursachen für Störungen des Verhältnisses zwischen Sache und Außenwelt beruhen. In Anlehnung an von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung behandelte Fälle lassen sich jedoch folgende, in der Praxis vornehmlich bedeutsame Ursachenbereiche hervorheben: - Störungen der Nutzbarkeit von Verkehrswegen 7, - Störungen der Nutzbarkeit von künstlichen Zuleitungen oder Versorgungen 8 sowie - Störungen der Nutzbarkeit von (insbesondere) natürlichen Grundstückszuführungen infolge der Nutzung von Nachbargrundstücken 9.
1. Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit von Verkehrswegen Für die auf einer Störung der Nutzbarkeit von Verkehrswegen beruhende Beeinträchtigung der Sachnutzung als solchen ist zunächst auf den vom BGH entschiedenen sogenannten Fleetfall 10 hinzuweisen: Das Teilstück einer Ufermauer sowie ein Teil der darauf ruhenden Außenwand eines Wohnhauses waren in ein der Bundesrepublik Deutschland als Eigentümer gehörendes Fleet gestürzt, das von einem Hafen zu der Verladestelle einer Mühle führte. Um den weiteren Einsturz des, Wohnhauses zu verhindern, waren eigentümerseitig Abstützungsmaßnahmen ergriffen worden, durch welche das Fleet für Schiffe gänzlich unpassierbar wurde. Infolgedessen war ein zum Zeitpunkt des Einsturzes an der Verladestelle der Mühle liegendes Transportschiff der Klägerin in das Fleet eingesperrt worden und 7
Siehe unter 1. s Siehe unter 2. 9 Siehe unter 3. 10 Urteil vom 21. 12. 1970,BGHZ55, 153 ff.
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Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
lag für mehr als ein halbes Jahr fest. Mit drei weiteren Schiffen konnte die Klägerin, die der Mühle gegenüber vertraglich gehalten war, Schiffsraum für Transporte bereitzustellen, nicht mehr die Verladestelle der Mühle erreichen 11. Mit einer - was jedenfalls das im Fleetfall eingeschlossene Schiff betrifft - vergleichbaren Fallkonstellation hatte sich bereits das Reichsgericht in einer Entscheidung vom 19. 06. 1924 zu befassen 12. Mehrere Eigentümer von Transportkähnen hatten gegen das Deutsche Reich (Wasserfiskus) auf Schadensersatz geklagt. Ihre Kähne waren infolge eines Dammbruchs des Schiffahrts-Kanals Minden-Hannover für etwa vier Monate in einem dadurch entstandenen Kanalsack eingeschlossen worden 13 . Der Dammbruch einer Wasserstraße und damit die Störung der Nutzbarkeit eines Verkehrsweges lag auch der Elbe-Seitenkanal-Entscheidung des BGH zugrunde 14 . Betroffen war hier ein in einem wasserseitig allein über den Elbe-Seitenkanal zu erreichenden Hafen angesiedeltes Umschlags- und Lagereiunternehmen, das für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr nicht mehr von Schiffen angelaufen werden konnte und während dieser Zeit allein über den Landweg erreichbar war 15 . Störungen der Nutzbarkeit von Verkehrswegen als Ursache reiner Nutzungsbeeinträchtigungen des Sacheigentümers liegen auch in den zahllosen Fällen vor, in denen ein Kraftfahrzeug oder sonstiges Verkehrsmittel (beispielsweise Schienenfahrzeug) nicht zur Fortbewegung genutzt werden kann, weil ζ. B. Verkehrsstauungen bzw. Straßensperrungen infolge von Unfällen eine räumliche Veränderung der Sache (des Verkehrsmittels) ganz oder teilweise (d. h. in bestimmter Richtung) unmöglich machen. Beispielhaft hingewiesen sei auf zwei instanzgerichtliche Entscheidungen betreffend die Blockierung von Straßenbahnen16. In beiden Fällen war der Straßenbahnverkehr infolge eines Verkehrsunfalls für die Dauer von 45 Minuten 17 bzw. einer Stunde18 zum Erliegen gekommen, weil am Unfall beteiligte Fahrzeuge auf dem Gleiskörper der Straßenbahn liegengeblieben waren und dadurch den Verkehrsweg der Straßenbahnen blockierten. Auch Nutzungsbeeinträchtigungen der Eigentümer von Kraftfahrzeugen infolge Zuparkens oder (vor allem) unfallbedingter Verkehrsstauungen oder Blockierungen gehören zu dem hier in Frage stehenden Ursachenbereich. Die dadurch hervorgerufene „Immobilisierung von Kraftfahrzeugen" 19 ist als solche - soweit ersichtlich - bis heute nicht Gegen11 Zum Sachverhalt im einzelnen siehe BGHZ 55, 153 ff. (153 f.). 12 Siehe RG Gruchot 68, 75 ff. 13 Zum Sachverhalt siehe näher RG Gruchot 68, 75 ff. (76). 14 Urteil vom 15. 11. 1982, BGHZ 86, 152 ff. 15 Siehe BGHZ 86, 152 ff. (152). 16 Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 2. 12. 1953 in NJW 1954, 1201 f. und Urteil des AG Freiburg vom 5. 4. 1989 in ZfS 1989,189. 17 LG Nürnberg-Fürth NJW 1954, 1201 f. ι» AG Freiburg ZfS 1989, 189. 19 Vgl. Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 59.
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stand einer höchstrichterlichen Entscheidung unter dem Gesichtspunkt des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gewesen20. Schließlich sind in Zusammenhang mit der Störungsursache der Benutzbarkeit von Verkehrswegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen von besonderer Relevanz, die aus Behinderungen oder gar Unterbrechungen der straßenseitigen Zugänglichkeit von Grundstücken bzw. des Zugangs von diesen zur Straße resultieren. Hingewiesen sei insoweit auf eine Entscheidung des BGH vom 31. 10. 1974 21 , in welcher er (unter anderem) Ausführungen zu der Frage einer Eigentumsbeeinträchtigung durch Einwirkung auf ein Kraftfahrzeug machte, wenn die Benutzbarkeit eines in der Garage abgestellten Kraftwagens etwa durch widerrechtlich ausgeführte Bauarbeiten vor der Garagenausfahrt für eine gewisse Zeit objektiv unmöglich gemacht wird 2 2 . Zum anderen sei hier der vom BGH entschiedene sogenannte Grundstücksräumungsfall 23 genannt. Nach dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt war der Zugang zum klägerischen Betriebsgrundstück, das wegen eines Brandes auf dem Nachbargrundstück für zwei Stunden aufgrund polizeilicher Anordnung geräumt worden war und während dieser Zeit nicht genutzt werden konnte, für etwa weitere drei Stunden dadurch beeinträchtigt, daß die Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr die öffentliche Zufahrtsstraße zum Grundstück blockierten. Nach dem Vorbringen der Klägerin hatte die Blockierung unter
20 Der BGH hat allerdings verschiedentlich bezogen auf die §§ 823 Abs. 2 und 839 die Fallkonstellation, daß jemand infolge der Verletzung einer Straßenverkehrsvorschrift bzw. Verkehrssicherungspflicht in einen Verkehrsstau gerät und deshalb einen Vermögensnachteil erleidet (etwa Entgang eines gewinnbringenden Geschäfts durch Versäumung eines Termins), als argumentum ad absurdum für die Notwendigkeit einer Begrenzung deliktsrechtlicher Haftung herangezogen und hieraus resultierende Schäden als reine Vermögensschäden bezeichnet (siehe BGH NJW 1973, 463 ff. (465) und NJW 1977, 2264 ff. (2265)). In der sich mit dem Problem eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen befassenden Literatur wird das Beispiel des in einem Verkehrsstau festliegenden Kraftfahrzeuges häufig zu dem Zweck herangezogen, einen umfassenden Eigentumsnutzungsschutz ad absurdum zu führen und hierüber die Notwendigkeit von Einschränkungen des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes zu begründen, siehe nur Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (777); Frank, JA 1979, 583 ff. (587); Hager, JZ 1979, 53 ff. (55, Fn. 33); Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 126; Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 60. Verwiesen sei auch auf v. Caemmerer, DAR 1970, 283 ff. (288), der sich in Zusammenhang mit Ersatzansprüchen aus § 823 Abs. 2 i.V.m. der StVO mit verkehrsunfallbedingten Blockierungen von Straßenbahnen und Kraftfahrzeugen befaßt. 21 BGHZ 63, 203 ff. Gegenstand dieser Entscheidung war die schadensersatzrechtliche Frage, ob ein Kraftfahrzeughalter oder sonstiger Nutzungsberechtigter, dem zu Unrecht vorübergehend der Führerschein entzogen worden ist, für die Zeit des Führerscheinentzuges Entschädigung wegen entgangener Gebrauchsvorteile seines Kraftfahrzeuges beanspruchen kann. Es handelte sich also um das Problem der sog. „abstrakten Nutzungsentschädigung". Zur Abgrenzung dieses Problemkreises von dem hier in Frage stehenden Untersuchungsgegenstand siehe noch folgend unter IV. 22
BGHZ 63, 203 ff. (206). 3 BGH NJW 1977, 2264 ff.
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anderem dazu geführt, daß sie während dieser drei Stunden daran gehindert war, ihre mit Material beladenen Fahrzeuge auszusenden24.
2. Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Nutzbarkeit von künstlichen Zuleitungen oder Versorgungen Für Beeinträchtigungen der eigentümerseitigen Sachnutzung durch eine Störung der Benutzbarkeit von künstlichen Zuleitungen oder Versorgungen sei vornehmlich auf die sogenannten Stromkabelfälle verwiesen, die in ihrer hier primär interessierenden Gestaltung - Verursachung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen, d. h. ohne Verletzung der Sachintegrität - bereits mehrfach Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung gewesen sind. In ihrer Grundform sind die vom BGH entschiedenen Fallkonstellationen dadurch gekennzeichnet, daß die Beschädigung eines (in der Regel) im Eigentum eines Energieversorgungsunternehmens stehenden Stromkabels durch einen Dritten zum Ausfall der Stromversorgung bei den (vertraglich) angeschlossenen Kunden führt und infolgedessen energieabhängige Einrichtungen, insbesondere elektrische Geräte sowie Maschinen für den Zeitraum der Unterbrechung nicht mehr genutzt werden können25. Für Unternehmen können hierdurch herbeigeführte, möglicherweise auch nur kurze Produktionsunterbrechungen große wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen 26 . Weitere Beispiele für die Unterbrechung bzw. Störung von künstlichen Zuleitungen oder Versorgungen mit daraus folgender Beeinträchtigung von Nutzungsmöglichkeiten sind Beschädigungen von Fernsprech- oder Telexverbindungen 27, Straßenbahnkabeln, Trinkwasser-, Gas- und Ölleitungen28. 24 Siehe BGH NJW 1977, 2264 ff. (2264). 25 BGHZ 29, 65ff.; BGH NJW 1959, 1423f.; NJW 1968, 1279ff.; BGHZ 66, 388ff.; BGH NJW 1977, 2208 ff. In Verbindung mit den vorgenannten Entscheidungen wird des öfteren auf den sog. Bruteierfall des BGH (BGHZ 41, 123 ff.) hingewiesen (beispielweise Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 61 f.), der sich von den Fällen einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung jedenfalls dem Sachverhalt nach dadurch unterscheidet, daß der von einer Stromunterbrechung betroffene Stromabnehmer über die Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit hinaus auch eine Sachintegritätsverletzung durch das Verderben von Kükeneiern in elektrisch beheizten Brutapparaten erlitten hatte (ähnlich die Fallkonstellation in BGHZ 64, 355 ff.). 26 Siehe etwa Plum, AcP 181 (1981), 68 ff. (118), der in Fn. 226 zu BGH NJW 1977, 2208 ff. darauf hinweist, daß es infolge einer 32-minütigen Unterbrechung zu einem Stillstandsschaden von 25.000 DM gekommen sei (mitgeteilt in dem in BauR 1977, 435 ff. veröff. Sachverhalt des BGH-Urteils vom 12. 7. 1977). 27 BGH VersR 1977, 616 f. Eine Beeinträchtigung der Eigentumsnutzungsmöglichkeit kann in diesen Fällen jedoch nur relevant werden, wenn die Kommunikationsanlagen im Eigentum des betroffenen Nutzers stehen, ansonsten stellt sich die hier thematisierte Problematik entsprechend als eine Frage des deliktsrechlichen Besitzschutzes dar. Auch in BGH VersR 1960, 109 f. hatte sich der BGH mit der Beschädigung eines Fernsprechkabels zu be-
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3. Nutzungsbeeinträchtigungen des Grundstückseigentümers, die auf Störungen der Nutzbarkeit insbesondere natürlicher Grundstückszuführungen infolge der Nutzung von Nachbargrundstücken beruhen Hiermit sind vor allem die Fälle angesprochen, in denen einem Grundstück beispielsweise Licht, Luft, Wind oder Wasser teilweise bzw. ganz entzogen wird. Solche Veränderungen zwischen Sache (Grundstück) und Außenwelt - die in Rechtsprechung und Literatur als negative Einwirkungen bezeichnet werden 29 - sind bis heute vielfach Gegenstand der Rechtsprechung von Reichsgericht und BGH gewesen 30 . Hingewiesen sei auf einen vom Reichsgericht entschiedenen Fall, in welchem einem Windmüller der für den Betrieb seiner Windmühle benötigte Luftzug durch die Errichtung eines Bauwerkes auf dem Nachbargrundstück verbaut worden und damit die Mühle unbenutzbar geworden war 31 . In einer Entscheidung vom 22. 1. 1940 32 hatte sich das Reichsgericht mit der Beeinträchtigung eines Wassermühlenbetriebes durch Schwächung der Wasserkraft zu befassen. Diese war als Folge eines fahrlässig herbeigeführten Dammbruchs an einem Teich eingetreten, an welchem dem Müller zum Zeitpunkt des Dammbruchs nur eine schuldrechtliche Befugnis zum Wasseranstau zugestanden hatte 33 .
fassen, allerdings war Gegenstand dieser Entscheidung eine Klage des Schädigers gegen seine Haftpflichtversicherung auf Versicherungsschutz für den bereits geleisteten Schadensersatz. 28 BGH VersR 1962, 312f. (Straßenbahnkabel); BGH VersR 1969, 542f. (Trinkwasserleitung); BGH NJW 1971, 1313 (Gasleitung); BGH VersR 1972, 260f. (Ölleitung). Die vorgenannten Entscheidungen, die ein Bild von der Vielfalt möglicher Störungen der Benutzbarkeit von künstlichen Zuleitungen oder Versorgungen geben (zu höchst- und instanzgerichtlichen Entscheidungen aus Anlaß von Energieleitungsstörungen siehe den Überblick bei Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 265 ff.), hatten allerdings nicht den hier im Mittelpunkt stehenden deliktsrechtlichen Schutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen zum Gegenstand, sondern Haftpflichtversicherungsansprüche des wegen einer Sachsubstanzverletzung in Anspruch genommenen Schädigers (so BGH VersR 1962, 312 f.) oder Ersatzansprüche der Eigentümer von beschädigten Versorgungsleitungen oder von sonstigen beschädigten Sachen (BGH VersR 1969, 542f.; BGH NJW 1971, 1313ff.; BGH VersR 1972, 260f.). Siehe auch die Entscheidung OLG Köln VersR 1987, 513 f., in welcher sich das Gericht mit der Klage eines Kabeleigentümers wegen der Beschädigung einer unterirdischen Versorgungsleitung zu befassen hatte. 29 Siehe die Nachw. im Zweiten Teil, 1. Kap. unter I. 2. b) (2), Fn. 67, II. 3. b) (3), Fn. 182 und 183 sowie ΠΙ. 1. c) (3), Fn. 316. Dazu, daß der BGH bis zu dem Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG (BVerfGE 58, 300 ff.) davon ausging, daß das Grundwasser zum Grundstückseigentum rechnet, siehe im Zweiten Teil, 1. Kap. unter II. 3. b) (3), Fn. 185. 30
Allerdings primär im Rahmen der Erörterung negatorischer Ansprüche, kaum unter dem Gesichtspunkt des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes. Siehe noch im Zweiten Teil, 1. Kap. unter I. 2. b) (2), Fn. 68 und Π. 3. b) (3), Fn. 185. 31 Siehe RG JW 1909, 161. 32 RG DR 1940, 723 Nr. 3.
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Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
Des weiteren haben sich Reichsgericht und BGH mit Sachverhalten befaßt, in denen einem Grundstück der Zufluß von Grundwasser durch Tätigkeiten auf dem Nachbargrundstück entzogen worden war, was im äußersten Fall eine Austrocknung sowie Schließung von Brunnen zur Folge hatte. So hatte nach dem einer Entscheidung des Reichsgerichts vom 7. 12. 1912 34 zugrundeliegenden Sachverhalt eine Stadtgemeinde zur Versorgung ihrer Einwohner mit Wasser eine „Grundwasserversorgungsanstalt" in Betrieb gesetzt. Nach dem Vorbringen des Klägers war infolge der mit diesem Betrieb verbundenen vielen Sammelbrunnen seine Domäne u.a. durch die gänzliche oder teilweise Versiegung von Brunnen geschädigt worden. Einem Urteil des BGH vom 22. 12. 197635 lag die Beeinträchtigung der Nutzbarkeit eines Brunnens zur Förderung mineralhaltigen Grundwassers infolge Veränderungen des Grundwasserdrucks und der Grundwasserqualität zugrunde, die durch das mit Baumaßnahmen auf dem Nachbargrundstück verbundene Abpumpen von Grundwasser hervorgerufen worden waren. Erwähnt seien auch Fälle einer Entziehung der Lichtzufuhr dadurch, daß Fenster eines Gebäudes durch Bebauung des Nachbargrundstücks verbaut werden. So hatte der BGH in einer Entscheidung vom 15. 6. 1951 36 über einen Sachverhalt zu befinden, in welchem Fenster des klägerischen Hauses durch einen auf dem Nachbargrundstück begonnenen Ausbau verbaut zu werden drohten. Eine weitere Entscheidung des BGH befaßte sich ebenfalls mit der Zulässigkeit eines drohenden Lichtentzuges. Durch die Realisierung einer beabsichtigten Grundstücksbebauung zwecks Ausfüllung einer Baulücke wäre Fenstern eines auf dem Nachbargrundstück stehenden Gebäudes, die sich auf der dem projektierten Neubau zugewandten Seite befanden, völlig das Licht entzogen worden 37. Hingewiesen sei schließlich auf den einer Entscheidung des BGH vom 21. 10. 1983 zugrundeliegenden Sachverhalt. Durch die Errichtung eines neungeschossigen Hochhauses in der Nachbarschaft eines kleinen Einfamilienhauses waren die Funkwellen des Zweiten und Dritten Fernsehprogramms so abgeschattet worden, daß ein Fernsehempfang auf dem Grundstück der Kläger kaum noch möglich
33 Und noch keine sog. Staugerechtigkeit, bei der es sich nach der Rspr. des Reichsgerichts um ein sonstiges Recht i.S.v. § 823 Abs. 1 handelte. Das Reichsgericht prüfte hier nur einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Die Beeinträchtigung der Eigentumsnutzungsmöglichkeit hinsichtlich der Wassermühle bzw. des Mühlengrundstücks wurde nicht erörtert, siehe RG DR 1940, 723 Nr. 3. 3 < RG JW 1913, 267 f. 35 BGHZ 69, 1 ff. 3
6 BGH L M § 903, Nr. 1. BGH L M § 903, Nr. 2 vom 10. 4. 1953. 3 8 Siehe BGHZ 88, 344 ff. 37
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I I I . Zunehmende Bedeutung
reiner Nutzungsbeeinträchtigungen Die vorstehend aufgezeigten Sachverhalte, in denen Beeinträchtigungen des Sacheigentümers in Hinblick auf die Wahrnehmung von Nutzungsmöglichkeiten an einer Sache ohne Verletzung der Sach-, Rechts- und Personenintegrität sowie ohne Sachentzug allein durch Veränderungen zwischen Sache und Außenwelt erfolgen, bringen zum Ausdruck, daß es sich um zwangsläufig mit dem menschlichen Zusammenleben einhergehende Beeinträchtigungen handelt. Insofern stellen sie auch nicht erst in der Gegenwart aktuell gewordene Beeinträchtigungen der (Möglichkeit zur) Sachnutzung dar. Hingewiesen sei nur auf den Sachverhalt, der dem berühmt gewordenen Prozeß des Müllers Arnold 39 zugrunde lag 40 . Der Müller Christian Arnold betrieb bei Pommerzig in Preußen an dem in die Oder fließenden Krebsbache eine Wassermühle. Diese hatte er von seinem Vater Hans Arnold 1762 unter Übernahme aller auf dem Grundstück lastenden Pflichten, insbesondere auch der gegenüber der Gutsherrschaft, dem Grafen von Schmettau, bestehenden Verpflichtung zur Leistung jährlicher Abgaben in vertraglich festgelegter Höhe, gekauft. Im Jahre 1770 ließ der Nachbar des Müllers, der Landrat und Ritterschaftsdirektor von Gersdorff auf Kay, oberhalb der Wassermühle nahe dem Hieße, welches die Mühle trieb, drei Karpfenteiche einrichten und aus dem Mühlenfließe bewässern. Der Bach wurde zu diesem Zwecke mit den Teichen durch eine Schleuse verbunden. Nach der Behauptung des Arnold hatte die Einrichtung der Schleuse zur Folge, daß der Wasserzufluß sehr erheblich vermindert wurde und er nur noch im Frühjahr und Herbst bei starkem Wasserzufluß kurze Zeit regelmäßig mahlen konnte 41 . Angesichts der hier in Frage stehenden Art von Nutzungsbeeinträchtigungen kann davon ausgegangen werden, daß ihre Relevanz mit größer werdender Verkehrsdichte, steigender Abhängigkeit von sonstigen Infrastruktur- und Versorgungsleistungen sowie zunehmend dichter werdender Bebauung gegenüber weniger komplexen Organisationsstrukturen des sozialen Lebens in der Gegenwart deutlich an Gewicht gewonnen hat und wohl in Zukunft auch weiter gewinnen wird 4 2 . Zwar läßt sich diese Aussage nicht durch absolute Zahlen über die Ent39
Siehe dazu die ausführliche Darstellung bei Stammler, Deutsches Rechtsleben in alter und neuer Zeit, I. Bd.: Im alten Reich, 1928, 411 ff.: Der Prozeß des Müllers Arnold, 17791787; weitere Literaturnachw. bei Stammler, a. a. O., 496, zu XXX. Siehe auch Heubel, Entziehende Einwirkungen im Nachbatrecht, 1969, 23 f. 40 Zum Sachverhalt siehe Stammler, Fn. 39, 414 f. 41 Dieser Fall einer Nutzungsbeeinträchtigung des Sacheigentümers durch Störung der Nutzbarkeit natürlicher Umweltgüter hat nicht als solcher, sondern aus dem Grunde besondere Beachtung gefunden, weil König Friedrich II. von Preußen in Zusammenhang mit den sich daran anschließenden rechtlichen Auseinandersetzungen selbst in den „Gang der Justiz" (Stammler, Fn. 39,414) eingriff. Siehe dazu im einzelnen Stammler, Fn. 39,411 ff. 4 2 Vgl. auch BGHZ 41, 123 ff. (128) zur Abhängigkeit der Allgemeinheit von der Energieversorgung. Die zunehmende Abhängigkeit von Infrastruktur- und Versorgungsleistungen
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Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
wicklung des Ausmaßes reiner Nutzungsbeeinträchtigungen belegen. Insoweit fehlt es - anders als beispielsweise für Straßenverkehrsunfälle mit Personen- und Sachschadensfolge 43 - an entsprechenden statistischen Unterlagen im Zeitablauf. Nicht aussagekräftig ist auch die Entscheidungshäufigkeit der einschlägigen Rechtsprechung, wie am Beispiel der sogenannten Stromkabelfälle deutlich gemacht werden kann. So hat sich der BGH zwar in den Jahren 1958 bis 1977 mehrfach mit Schadensersatzklagen aufgrund reiner Nutzungsbeeinträchtigungen durch Stromkabelunterbrechungen zu befassen gehabt44. Seit diesem Zeitpunkt ist jedoch - soweit ersichtlich - zu diesem Fragenkreis keine Entscheidung mehr ergangen. Dieser Umstand dürfte eher auf die bis 1977 erfolgte Festigung der Rechtsprechung 45 und die daraus folgende Aussichtslosigkeit von Revisionsverfahren für einen Schadensersatz begehrenden Sacheigentümer zurückzuführen sein, als auf eine Abnahme der praktischen Relevanz von Nutzungsbeeinträchtigungen. Der Anstieg von auf einer der oben genannten Störungsursachen beruhenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen kann allerdings indirekt aus der bereits erwähnten und nachweisbaren Zunahme der Verkehrsdichte, der Infrastruktur in Form künstlicher Zuleitungen und Versorgungen sowie der Baudichte geschlossen werden. Diese Indikatoren lassen Rückschlüsse auf das gegenüber weniger komplexen und technisierten Gesellschaftsstrukturen gewachsene Risiko zu, reine Nutzungsbeeinträchtigungen zu erleiden. So kann in Hinblick auf den Verkehrsbereich speziell für den Straßenverkehr 46 die zunehmende Verkehrsdichte daraus abgelesen werden, daß zwar in dem Zeitraum von 1968 bis 1989 die Länge der öffentlichen Straßen (Straßen des über örtlichen Verkehrs) nur relativ geringfügig von 159.700 km auf 173.700 km zugenommen hat 47 , demgegenüber jedoch im gleichen Zeitraum der Bestand an PKW von ca. 11 Millionen (1968) auf ca. 27 Millionen (1989), an LKW von etwa 900.000 (1968) auf 1.300.000 (1989) sowie an Sattelzugmaschinen von 28.000 (1968) auf 74.000 (1989) angestiegen ist. Diese unterschiedlichen Entwicklungsgrößen von Straßenlänge und Fahrzeugbestand lassen bereits vermuten, daß von einer steigenden Verdichtung des Straßenverkehrs ausgegangen werden kann. Bestätigt wird
wird heute vor allem unter dem Stichwort „Vernetzung der Gesellschaft im Kommunikations- und Informationsbereich" diskutiert und konstatiert. Zur Entwicklung einer künftigen, auf Informations- und Kommunikationstechnik aufgebauten Informationsgesellschaft und ihrer Verletzlichkeit siehe Roßnagel/Wedde/Hammer/Pordesch, Die Verletzlichkeit der Informationsgesellschaft, 1989, insb. 18 ff. und 69 ff. Siehe auch noch folgend im Text. 43 Siehe die Entwicklung von 1968-1989 in absoluten Zahlen, in: Verkehr in Zahlen, 1990, 142. 44 Siehe die Nachw. zu den hier interessierenden Fallkonstellationen in Fn. 25. « Siehe näher im Zweiten Teil, 1. Kap. unter II. 3. b) (2). Bezogen auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vor der Vereinigung am 3. 10. 1990. 47 Siehe Verkehr in Zahlen, 1990, 98. 46
1. Kap.: Tatsächlicher und rechtlicher Untersuchungsgegenstand
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dies durch einen Blick auf die Entwicklung von zwei weiteren Verkehrsparametern in dem genannten Zeitraum, und zwar die durchschnittlichen Fahrleistungen im Kraftfahrzeugverkehr sowie der in Tonnen gemessene Straßengüterfern- und -nahverkehr. Die durchschnittlichen Fahrleistungen im Kraftfahrzeugverkehr sind in dem Zeitraum von 1968 bis 1989 trotz der erheblichen Bestandssteigerung an Kraftfahrzeugen bei PKW und LKW nur geringfügig gesunken (PKW: 1968 14.700 km, 1989 13.000 km; LKW: 1968 24.600 km, 1989 23.700 km), bei Sattelzugmaschinen haben sie sogar zugenommen (1968 63.500 km, 1989 82.000 km). Angestiegen und insoweit ebenfalls als Verdichtungshinweis von Bedeutung ist auch der in Tonnen gemessene Güterverkehr im Straßengüterfern- und -nahverkehr: Hier ist von 1968 bis 1989 eine Zunahme von 152,4 Mio. Tonnen bzw. 1.710,0 Mio. Tonnen auf 413,6 Mio. Tonnen bzw. 2.300 Mio. Tonnen zu verzeichnen 48 . Außerhalb des Verkehrs kann bezogen auf den Infrastrukturbereich künstlicher Zuleitungen und Versorgungen ebenfalls von einem steigenden Risiko reiner Nutzungsbeeinträchtigungen ausgegangen werden. Indikator ist hier die zunehmende „Vernetzung der Gesellschaft" durch die Entwicklung der sogenannten Informations- und Kommunikationstechnologien49. Diese zeichnen sich durch die Einführung neuer Dienste, welche im wesentlichen den Transport und das Vermitteln von Informationen beinhalten50, verbunden mit einem Ausbau der dafür notwendigen technischen Infrastruktur 51 sowie der Entwicklung neuer und zusätzlicher Endeinrichtungen für die wirtschaftliche und private Nutzbarmachung der Informationsund Kommunikationssysteme aus 52 . Mit der dadurch eingeleiteten Entwicklung zu einer sogenannten „informationstechnisch vernetzten Gesellschaft" 53, von der aus heutiger Sicht kaum ein Bereich des gesellschaftlichen Lebens unberührt bleiben wird 5 4 , steigt die Abhängigkeit des Einzelnen und der Gesellschaft von der Funk-
48 Siehe Verkehr in Zahlen, 1990, 140 f. und 196 f. 49 Zu Stand und Entwicklung dieser Technologie aus der Sicht zu Beginn der 80er Jahre siehe den Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken" in BT-Drucks. 9/2442, 14 ff. 50 Zu den verschiedenen Diensten wie beispielsweise Teletex, Telefax und Btx siehe BTDrucks. 9/2442, 14 f. si Dazu BT-Drucks. 9/2442, 18 ff. 52
Siehe BT-Drucks. 9/2442, 29 ff. Zu Bedeutung und Auswirkungen der Informationsund Kommunikationstechniken in Wirtschaft und Gesellschaft siehe BT-Drucks. 9/2442, 72 ff. 53 Roßnagel/Wedde/Hammer/Pordesch, Die Verletzlichkeit der Informationsgesellschaft, 1989, 5 verstehen darunter eine „durch technisch vermittelte Informationsverarbeitung und Kommunikation bestimmte Gesellschaft". 54 Zu bereichsspezifischen Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechniken in einem nach Auffassung ihrer Autoren als Fortschreibung heute absehbarer Trends gezeichneten Zukunftsbild, das sie allerdings selbst einschränkend nur als bedingte Prognose begreifen, siehe Roßnagel/Wedde/Hammer/Pordesch, Fn. 42, 37 ff. und 11 f.
3 Boecken
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Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
tionsfähigkeit komplexer Netzsysteme55. Dies wiederum kann im Falle von Störungen wie beispielsweise Stromunterbrechungen oder die Zerstörung von für außenstehende Nutzer zugänglichen Datenbanken im Vergleich mit einer „nicht vernetzten" Gesellschaft wegen der ungleich größeren Zahl von Nutzern im Wirtschafts- und Privatbereich zu einem sehr viel weiter verbreiteten Risiko des Eintritts von Produktionsausfall- oder sonstigen Schäden führen 56. Die Wirkungen von Netzstörungen verstärken sich in dem Maße, wie die Zahl der Nutzer von Informations- und Kommunikationstechniken zunimmt, die im Ernstfall ihre Computer- bzw. sonstigen Endeinrichtungen bis zur Behebung der Störung nicht nutzen können. Aber auch unabhängig von der Entwicklung zu einer sogenannten Informationsgesellschaft auf der Basis (jedenfalls zum Teil) neuer und damit wiederum störanfälliger Netzsysteme mit Rückkoppelungseffekt auf die Nutzbarkeit von Endeinrichtungen der systemangeschlossenen Nutzer läßt sich bereits allein aus der stetigen Zunahme der in der Bundesrepublik Deutschland verlegten Stromkabel sowie ständig steigender Verbreitung und Vielfalt daran angeschlossener elektrisch betriebener Geräte eine Zunahme infrastruktureller Abhängigkeit konstatieren, die für diesen spezifischen Bereich als Indikator die Schlußfolgerung eines jedenfalls in Hinblick auf die zahlenmäßig Betroffenen gestiegenen Risikos reiner Nutzungsbeeinträchtigungen zuläßt 57 . Schließlich kann für das zunehmende Risiko von Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung durch negative Einwirkungen als Indikator auf die immer dichter werdende Bebauung verwiesen werden. Diese stellt - wie die gerichtliche Praxis deutlich macht 58 - einen wesentlichen Grund für diese Art reiner Nutzungsbeeinträchtigungen dar. Bezogen auf den Nachkriegszeitraum von 1949-1980 ist der Bestand an neugebauten Wohnungen von 222.000 Einheiten im Jahre 1949 auf etwa
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Das heißt technisch verschiedenartiger Systeme, siehe zur technischen Infrastruktur BTDrucks. 9 / 2442, 18 ff. 56 Siehe insoweit das von Roßnagel/Wedde/Hammer/Pordesch, Fn. 42, 1 ff. ihrer Untersuchung über die Verletzlichkeit der Informationsgesellschaft vorangestellte Zukunftsszenario einer Störung des Informations- und Kommunikationssystems und der daraus folgenden Schäden in dem Ort „Düsselberg" im Jahre 2019. Zu spezifischen Schadenstypen der Informations- und Kommunikationstechnik siehe Roßnagel/Wedde/Hammer/ Pordesch, Fn. 42, 69 ff., die für sog. Komplexschäden (Schäden, die im Falle der Vernetzung von Systemen der Informations- und Kommunikationstechnik untereinander im gesamten Vernetzungskomplex auftreten) die These aufstellen, daß ein Schaden um so größer sein kann, je stärker die Vernetzung, je enger die Kopplung und je höher die gesellschaftliche Abhängigkeit sind. 57 Wie auch anderer Beeinträchtigungen, worauf Deutsch, AcP 170 (1970), 82 ff. (84) prägnant in einem Beispiel in Anlehnung an den Bruteierfall des BGH (BGHZ 41, 123 ff.) hinweist: „Der Kraftfahrer, der vor 30 Jahren einen Strommast umfuhr, sah sich nur einer Forderung des Elektrizitätswerkes gegenüber. Widerfährt ihm heute dasselbe Mißgeschick, so kann er einer Vielzahl von Inhabern von Hühnerfarmen, Gärtnereien und schlichten Gefriertruhen zusätzlich haften.". 58 Siehe oben unter II. 3.
1. Kap.: Tatsächlicher und rechtlicher Untersuchungsgegenstand
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19 Mio. Einheiten im Jahre 1989 angestiegen. Der Umfang an neugebauten Wohnungen hat sich mithin in diesem Zeitraum um deutlich mehr als 18,5 Mio. Einheiten (bezogen auf das alte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland) erhöht 59 . Für den Bereich der reinen Nutzungsbeeinträchtigungen gilt mithin dasselbe, was in Zusammenhang mit der Entwicklung des Unfall- und Haftpflicht- bzw. Schadensersatzrechts häufig und insoweit schon als „Allgemeinplatz" konstatiert wird: die gegenüber früheren Zeiten im modernen Industriezeitalter gewachsene Gefährlichkeit des Lebens, hervorgerufen durch die Schaffung ständig neuer Gefahrenherde infolge der technischen Entwicklung, der wachsenden Industrialisierung und des engen Zusammenlebens der Menschen60.
IV. Rechtlicher Anknüpfungspunkt der Untersuchung Rechtlicher Anknüpfungspunkt der Untersuchung ist - wie bereits aus dem Titel hervorgeht - die Regelung des § 823 Abs. 1, wonach die rechtswidrige und schuldhafte Verletzung des Eigentums zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Haftungsbestimmung sollen im Rahmen der hier beabsichtigten Untersuchung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen zwei Fragenkreise behandelt werden, in denen sich letztlich der durch das Deliktsrecht allgemein wie auch durch § 823 Abs. 1 im besonderen zu lösende Konflikt zwischen Güter-(Eigentums-)Schutz auf der einen Seite und Erhaltung ausreichend haftungsfreier Handlungs- und Entfaltungsspielräume Dritter auf der anderen Seite61 widerspiegelt. Zum einen geht es um das „Ob" eines Nutzungsschutzes, d. h., können reine Nutzungsbeeinträchtigungen in dem hier zugrunde gelegten Sinne 62 überhaupt als deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung eingeordnet werden und somit im
59 Quelle: Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Haus und Wohnung im Spiegel der Statistik, Ausgabe 1990, 33. 60 So Fritz Hauss in einem Vortrag über Entwicklungslinien des deutschen Schadensersatzrechts aus dem Jahre 1967 auf der Jahrestagung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft e.V., veröff. in ZVersWiss 1967, 151 ff., insb. 152. Ähnlich äußert sich eine Vielzahl anderer Autoren, siehe etwa Weyers, Unfallschäden, 1971, 44f.; Kötz, Sozialer Wandel im Unfallrecht, 1976, 6; Mädrich, Das allgemeine Lebensrisiko, 1980, 9ff.; v. Bar, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. II, 1981, 1681 ff. (1687 ff., insb. 1698, Fn. 24 und 29); Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 124 ff. 61 Siehe nur die allg. Beschreibung des Zwecks der Vorschriften über die unerlaubten Handlungen in den Prot, der Zweiten Kommission, wonach diesen Regelungen die Aufgabe zukommt, „die Rechtskreise der Einzelnen, innerhalb deren sie ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen, voneinander abzugrenzen" (Mugdan II, 1073). Canaris, FS Larenz, 1983, 27 ff. (39) bezeichnet das Deliktsrecht als ein „Lösungsmodell, das den Antagonismus von Bestandsschutz und Handlungsfreiheit zu einem ausgewogenen Ausgleich bringt". Siehe auch Larenz/Canaris, SchR Π 2, 13. Aufl., 350 f. 62 Zum Begriff siehe unter I. 3*
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Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
Falle des Vorliegens auch der weiteren haftungsbegründenden Voraussetzungen zu einer Schadensersatzverpflichtung führen. Zum anderen wird, sofern der eigentumsverletzende Charakter reiner Nutzungsbeeinträchtigungen im Ausgangspunkt zu bejahen ist, in Hinblick auf die damit einhergehenden Haftungsrisiken für Dritte das Problem der Begrenzung eines solchen deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes im Rahmen der haftungsbegründenden Vorausetzungen des § 823 Abs. 1 aufgeworfen. Gegenstand der Untersuchung ist nicht das vieldiskutierte Problem der sogenannten „abstrakten Nutzungsentschädigung"63. Hier geht es nicht um die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als haftungsbegründende Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1, sondern um die davon zu unterscheidende schadensersatzrechtliche Frage, ob der vorübergehende Entzug der Gebrauchsmöglichkeit einer Sache - mag dieser auf einer Sachsubstanzbeeinträchtigung beruhen 64 oder etwa auf einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung65 - einen selbständigen, nach den §§ 249 ff. ersatzfähigen Schaden darstellt 66. Mithin steht insoweit nicht das Problem eines Eingriffs in das Eigentum in Gestalt einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als grundlegende haftungsbegründende Voraussetzung für die Anerkennung eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes im Raum. Angesprochen ist vielmehr die erst für den Fall der Bejahung einer rechtswidrigen und schuldhaften Rechts(Eigentums)Verletzung relevant werdende Frage nach der - wie der Große Senat 63 Zum Meinungsstand siehe nur die ausführliche Darstellung bei H. Lange, Schadensersatz, 2. Aufl., 280 ff. und jüngst Escher-Weingart, Nutzungsausfall als Schaden und sein Ersatz, 1993, 3 ff. sowie Graf, Die Entschädigung des Ausfalls allgemeiner und alltäglicher Nutzungen, 1994, 37 ff. und 112 ff. Zur Entwicklung der Rechtsprechung sei auf die Skizzierung des Großen Senats des BGH in BGHZ 98, 212 ff. (213 ff.) und auf BGHZ 101, 325 ff. (330 f.) verwiesen. 64 In diesem Zusammenhang wird das Problem der „abstrakten Nutzungsentschädigung" regelmäßig erörtert. 65 Zutreffend v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 8, Fn. 12, daß sich auch für den Fall der Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung sowie des Vorliegens der weiteren haftungsbegründenden Voraussetzungen das Problem der „abstrakten Nutzungsentschädigung" stellt. 66 Bejahend BGHZ (GS) 98, 212 ff. (219 ff.) unter der Voraussetzung, daß es sich um Sachen handelt, auf deren ständige Verfügbarkeit die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise angewiesen ist sowie ein „fühlbarer" Schaden vorliegt (a. a. O., 220 und 222; zur Selbsteinschätzung des BGH, ob man wirklich von einer „abstrakten Nutzungsentschädigung" sprechen kann, siehe a. a. O., 219 f.). Zustimmend ζ. B. Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., vor §§ 249-253, Anm. III. 5 und Magnus, Schaden und Ersatz, 1987, 339 f. Kritisch zu dem von ihm sogenannten „Luxusargument" des Großen Senats Medicus, NJW 1989, 1889ff.; Honsell/Harrer, JuS 1991, 441 ff. (448); Palandt-Heinrichs, 54. Aufl., Vorbem. v. § 249, Rz. 31. Einen Schadensausgleich für den zeitweiligen Verlust der Gebrauchsmöglichkeit lehnen u.a. ab: Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, 208 ff., insb. 214 ff.; Diederichsen, FS Klingmüller, 1974, 83ff.; Littbarski, Rechtstheorie 1984, 171 ff. (196ff.); H. Lange, Schadensersatz, 2. Aufl., 281 ff.; Hans Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, 1993, 309f. Siehe im übrigen zu den im Schrifttum vertretenen Auffassungen die Nachw. in BGHZ (GS) 98, 212 ff. (215 f.).
2. Kap.: Abgrenzungen
37
des B G H formuliert 6 7 - „Qualifizierung des zeitweisen Verlusts der Eigennutzung einer Sache als Vermögensschaden" 68 .
2. Kapitel
Abgrenzungen I. Deliktsrechtlicher Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen als Teilausschnitt einer allgemeinen, eigentumsunabhängigen Problematik Störungen der Nutzbarkeit von Verkehrswegen und künstlichen Zuleitungen oder Versorgungen wie auch die Entziehung natürlicher Umweltgüter betreffen nicht allein Eigentümer von Sachen. Sie können aus diesem Grunde nicht als eigentumsspezifische Beeinträchtigungsursachen bezeichnet werden. Jedes Individuum - ob nun als Eigentümer, Besitzer, Gewerbetreibender oder auch ohne Innehabung einer entsprechenden rechtlichen oder tatsächlichen Position - ist auf die Funktionstüchtigkeit von Verkehrswegen und Energieversorgungssystemen sowie die Gewährleistung natürlicher Umweltgüter mehr oder weniger angewiesen 69 . In 67 BGHZ (GS) 98, 212 ff. (215). 68
Zutreffend in der Abgrenzung Olzen, in: J.F. Baur (Hrsg.), Das Eigentum, 1989, 103 ff. (110); Schlechtriem, Schuldrecht BT, 3. Aufl., 327, Fn. 38; v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 8, Fn. 12. Anderer Ansicht Jahr, AcP 183 (1983), 725 ff., der im Rahmen von § 823 Abs. 1 nicht zwischen Eigentumsverletzung und Schaden unterscheidet, sondern für den das Vorliegen einer Eigentumsverletzung selbst schon die Feststellung eines Schadens bedeutet (a. a. O., 750 i.V.m. Fn. 130). In Hinblick darauf, daß Jahr den Entzug der Gebrauchsmöglichkeit einer Sache als (neben einer Substanzbeeinträchtigung selbständige) Eigentumsverletzung einordnet, steht für ihn nach dem vorgenannten Ausgangspunkt auch fest, daß die Nutzungsentziehung als solche einen Schaden darstellt (den Jahr als „Primärschaden" bezeichnet, a. a. O., 750). Zu Recht ablehnend zu der Gleichsetzung von Eigentumsverletzung und Schaden im Rahmen des § 823 Abs. 1 v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 8, Fn. 12. Siehe dazu auch noch im Zweiten Teil, 2. Kap. unter III. 3. b) (1), insb. Fn. 500. 69 So zu Recht Esser/Weyers, SchR II, 7. Aufl., 548 f. unter Hinweis darauf, daß die unbedingte Abhängigkeit fast des ganzen Wirtschafts-, aber auch des Privatlebens von der Kommunikations- und Verkehrsfreiheit und der Energiezufuhr nichts damit zu tun hat, „wem die dafür benötigten Maschinen, Geräte usw. gehören, wer sie besitzt, ja nicht einmal damit, ob überhaupt Objekte im Sinne körperlicher Gegenstände zur Umsetzung erforderlich sind" (a. a. O., 548); zustimmend Brüggemeier, VersR 1984, 902 ff. (903 f.). Vgl. auch Frank, JA 1979, 583 ff. (587), der dem durch einen unfallbedingten Stau blockierten PKW einen dadurch ebenfalls „blockierten" Fußgänger gegenüberstellt, der im Gegensatz zu dem in der Sachnutzung gehinderten (PKW-)Eigentümer „seinen Schaden nicht zum Sachschaden hochstilisieren kann".
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Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
Hinblick auf die danach losgelöst von der Position der Sacheigentümerschaft bestehende Möglichkeit, durch Störungen der Nutzbarkeit öffentlicher Infrastruktureinrichtungen und natürlicher Umweltgüter Beeinträchtigungen zu erleiden, ist vor allem von Weyers mit der Frage nach der Anerkennung eines „Rechts auf Freiheit der Teilhabe an der vorhandenen öffentlichen Infrastruktur" als selbständiges Schutzgut i.S.v. § 823 Abs. 1 eine eigentumsunabhängige (Rechtsschutz-)Betrachtung entwickelt worden 7 0 . Die Tatsache, daß von Störungen der Nutzbarkeit öffentlicher Infrastrukturleistungen sowie von natürlichen Umweltgütern nicht nur Sacheigentümer in der Nutzung ihrer Sache beeinträchtigt werden können und es sich demzufolge bei der Frage nach dem deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen nur um den Ausschnitt einer weit darüber hinausgehenden Problematik handelt 7 1 , enthebt dennoch nicht der Auseinandersetzung, ob und in welchem Umfang der deliktsrechtliche Eigentumsschutz gegen die hier in Frage stehenden Beeinträchtigungen zum Tragen kommen kann. Hierfür sind verschiedene Gründe maßgebend. Zunächst erscheint es angesichts dessen, daß der deliktsrechtliche Eigentumsschutz jedenfalls dem gesetzlichen Ausgangspunkt in § 823 Abs. 1 nach als ein 70
Esser /Weyers, SchR II, 7. Aufl., 548 f., bezogen auf den „freien Zugang zu den Lebensadern der öffentlichen Infrastruktur"; ihm folgend Brüggemeier, VersR 1984, 902 ff. (903 f.). Unter anderem unter Bezugnahme auf Weyers hat Köndgen in Überlegungen zur Fortbildung des Umwelthaftpflichtrechts rechtsvergleichend zur US-amerikanischen Rechtsfigur der „public nuisance" den Gedanken entwickelt, losgelöst von den in § 823 Abs. 1 ausdrücklich genannten Rechtsgütern und dem Eigentumsrecht über die Teilhabe an öffentlichen Infrastruktureinrichtungen hinaus konkret benannte klassische Umweltgüter (ζ. B. saubere Luft, sauberes Wasser) als sonstige Rechte i.S.v. § 823 Abs. 1 anzusehen, siehe UPR 1983, 345 ff. (348 ff.). Der Vorschlag Köndgens wird vor allem in Zusammenhang mit der Diskussion über die Bedeutung des Privatrechts für den Umweltschutz (siehe dazu noch folgend unter II.) erörtert und erfährt u.a. mit dem Hinweis auf eine unzulässige „Privatisierung" von Umweltgütern einhellige Ablehnung, siehe etwa Medicus, JZ 1986, 778 ff. (779); ders., UTR 11 (1990), 5ff. (10); Marburger, GutA. C DJT 1986, Bd. I, C 3ff. (120f.); MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 107; Pfeiffer, Die Bedeutung des privatrechtlichen Immissionsschutzes, 1987, 187ff.; Kloepfer, Umweltrecht, 1989, 196f.; ders., UTR 11 (1990), 35 ff. (59); H. P. Westermann, UTR 11 (1990), 103 ff. (130); M. Wolf, UTR 12 (1990), 243 ff. (246); Wilhelm, Sachenrecht, 1993, 135 f., Rz. 232; Schimikowski, Umwelthaftungsrecht und Umwelthaftpflichtversicherung, 3. Aufl. 27, Rz. 40. Ablehnend zu einem Anspruch auf eine ungestörte Umwelt als über § 823 Abs. 1 selbständig geschütztes sonstiges Recht bereits Diederichsen, BB 1973,485 ff. (487). Kritisch zu dem Argument einer unzulässigen „Privatisierung" von Umweltgütern unter dem Aspekt einer „alltäglich durch schädliche Umwelteinwirkungen im Privatinteresse der Verursacher" sich ereignenden privaten Aneignung von Gemeingütern Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, 1989, 286, der sich im übrigen gegen einen selbständigen Schutz von „Interessen am Gemeingebrauch als individuell zugeordnete Umweltgüter" über § 823 Abs. 1 wendet (a. a. Ο., 286 f.). 71 Nämlich die - unter den Lebensbedingungen einer hoch technisierten Verkehrs- und Versorgungsgesellschaft erst eigentlich relevant gewordene - Frage nach dem Bestehen einer allgemeinen subjektiven Berechtigung in Hinblick auf Teilhabemöglichkeiten an Infrastrukturleistungen und Umweltgütern.
2. Kap.: Abgrenzungen
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umfassender geregelt ist 7 2 , nicht einsichtig, bestimmte Beeinträchtigungen der Sachnutzung, deren Ursachen auch losgelöst von der (Rechts-)Stellung als Sacheigentümer zu Beeinträchtigungen führen können, allein deshalb von vorneherein nicht als unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsverletzung deliktsrechtlich relevant anzusehen73. Des weiteren: Solange das von Weyers diskutierte Recht auf Freiheit der Teilhabe an der vorhandenen öffentlichen Infrastruktur 74 noch nicht einmal im Ansatz als selbständiges Recht mit einem entsprechend ausgestalteten Schutz über § 823 Abs. 1 (sonstiges Recht) zu erkennen ist 7 5 , bleibt nichts anderes übrig, als im Zivilrecht vorhandene Rechtskategorien und diesbezügliche Schutzinstrumente auf ihren Gehalt in Hinblick auf die hier in Frage stehenden Beeinträchtigungen zu untersuchen, mag damit dem Ansatz nach auch nur ein Teilausschnitt einer über den Eigentumsschutz hinausgreifenden Gesamtproblematik abgedeckt werden. Ihrem Inhalt nach kann die (hier eigentums-)rechtliche Durchdringung eines solchen Teilbereichs jedoch auch Grundlagen für die rechtliche Behandlung der Gesamtproblematik schaffen, beispielsweise für die sich unabhängig von der Position der Sacheigentümerschaft generell stellende Frage, ob es für Beeinträchtigungen durch die hier angesprochenen Störungen Duldungsgrenzen gibt und wie diese zu bestimmen sind. Schließlich - und hierbei handelt es sich um einen aus der Diskussion über die Bedeutung des Privatrechts für den Umweltschutz76 übernommenen Gedanken - erscheint es nicht ausgeschlossen, daß ein möglicherweise über den klassischen Deliktsrechtstatbestand der Eigentumsverletzung begründeter Schutz des Sacheigentümers gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen eine darüber hinausgehende Schutzwirkung auch für Nichteigentümer dadurch entfaltet, daß die Präventivwirkung eigentumsschutzrechtlicher Bewehrung 77 durch drohende und eingetretene Schadensersatzverpflichtungen auch ande-
72 Vgl. Deutsch, MDR 1988, 441 ff. (444), danach hat der dem Wortlaut nach unbeschränkte Eigentumsschutz erst im Laufe der Rechtsanwendung Konturen erhalten. 73 So will denn auch Weyers trotz seiner Auffassung, daß es sich eigentlich nicht um eine eigentumsschutzrechtliche Problematik handelt (siehe Esser/Weyers, SchR Π, 7. Aufl., 548 f.), nicht ausschließen, daß in Einzelfällen, in denen das von ihm sogenannte Recht auf Freiheit der Teilhabe an der vorhandenen öffentlichen Infrastruktur als Anspruchsgrundlage diskutabel erscheint, auch zugleich eine Eigentumsverletzung vorliegt (a. a. O., 549). 74 Esser/Weyers, SchR II, 7. Aufl., 548. 75 Beziehungsweise, wie die Diskussion des Vorschlags von Koendgen zeigt, als deliktsrechtlich selbständig geschütztes „Umweltteilhaberecht" weitgehend abgelehnt wird, siehe oben Fn. 70. Siehe auch Staudinger/Schäfer, 12. Aufl., § 823, Rz. 96, der wegen der Vielzahl notwendiger Detailregelungen zum Ausgleich divergierender Belange Zweifel daran äußert, ob ein Recht auf Infrastrukturteilhabe im Sinne von Weyers als nach § 823 Abs. 1 geschütztes sonstiges Recht entwickelt werden kann. 76
Siehe noch im folgenden unter II. 77 Zu dem Präventionsgedanken als (einem) Ziel des Haftungsrechts siehe nur Deutsch, JZ 1971, 244ff. (246); Bunte, FS Giger, 1989, 55 ff. (64 ff.); Kötz, FS Steindorff, 1990, 643 ff. (646 ff.); Brüggemeier, FS Jahr, 1993, 223 ff. (224); Larenz/Canaris, SchR II 2, 13. Aufl., 354 und Quentin, Kausalität und deliktische Haftungsbegründung, 1994, 110 m.w.N. in Fn. 28.
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Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
ren Personen unabhängig von der Stellung als Sacheigentümer in Form eines verminderten Ausmaßes einschlägiger Störungen zugute k o m m t 7 8 .
II. Verhältnis zur Diskussion über einen privatrechtlich fundierten Umweltschutz Eine weitere Abgrenzung ist insofern erforderlich, als die hier thematisierte Frage eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen von der gegenwärtig verstärkt geführten Diskussion über die Möglichkeiten und die Berechtigung eines privatrechtlich fundierten Umweltschutzes zu unterscheiden i s t 7 9 . Gegenstand dieser Diskussion ist die Tragfähigkeit zivil-(bürger-
78 Siehe insoweit zu einem sog. mittelbaren oder reflexiven Umweltschutz über die klassischen Rechtsgüter bzw. Rechte des § 823 Abs. 1, insb. Gesundheit und Eigentum, nur Medicus, JZ 1986, 778 ff. (778 und 785); ders., UTR 11 (1990), 5 ff. (11); Kloepfer, Umweltrecht, 1989, 226f.; ders., UTR 11 (1990), 35ff. (44), der hier von einem mittelbaren Schutz der Umweltgüter über subjektive private Rechte spricht, „soweit ausnahmsweise eine Koinzidenz zwischen Umweltgütern und privaten Rechtspositionen besteht"; H. P. Westermann, UTR 11 (1990), 103 ff. (106 f. und 130). Ähnlich schon der Präventionsgedanke bei Diederichsen, BB 1973, 485 ff. (488, Fn. 52) in Zusammenhang mit der Überlegung, Straßenanliegern zur Lärmbekämpfung ein nach § 823 Abs. 1 geschütztes Recht auf ungestörte Umwelt zuzubilligen, der insoweit auf den „generalpräventiven Effekt einer ... individuellen Privatrechtsmaßnahme" hinweist. Für eine Verstärkung des deliktischen Umweltschutzes durch Verstärkung der in § 823 Abs. 1 genannten Güter MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 107. In diesem Sinne plädiert Forkel für einen Immissionsschutz über die Einordnung von Immissionen als Persönlichkeitsverletzungen, siehe Immissionsschutz und Persönlichkeitsrecht, 1968, 24ff. und 47ff., insb. 51 f.; zustimmend G.H. Roth, NJW 1972, 921 ff. (922f.). Demgegenüber sieht Koendgen in einer extensiven Interpretation klassischer Rechtsgüter wie Eigentum oder Gesundheit zu Zwecken des Umweltschutzes „bestenfalls Randkorrekturen", siehe UPR 1983, 345 ff. (348). Einen Umweltschutz über das allgemeine Persönlichkeitsrecht - siehe Forkel, a. a. Ο. - hält Koendgen für „Etikettenschwindel", UPR 1983, 345 ff. (349); ablehnend auch Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, 1989, 285. 79 Die Diskussion ist unter dem Thema: »Ausbau des Individualschutzes gegen Umweltbelastungen als Aufgabe des bürgerlichen und des öffentlichen Rechts" Gegenstand der Verhandlungen des 56. DJT in Berlin 1986 gewesen, siehe dazu das Gutachten von Marburger, Bd. I, C 3 ff., insb. C 101 ff. zum Individualschutz im bürgerlichen Recht sowie das Referat von Diederichsen, Bd. II, L 48 ff. Aus der Lit. siehe im übrigen - zum Teil auch schon in Hinblick auf das zum 1. 1. 1991 in Kraft getretene Umwelthaftungsgesetz (BGBl. 1990 I, 2634, zur Lit. siehe noch Fn. 85) - die Beiträge von Medicus, Kloepfer, Steffen, Η. P. Westermann und Hager auf dem 5. Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht vom 24.26. 9. 1989, UTR 11 (1990) und Medicus, JZ 1986, 778ff.; v. Bar, Karlsr. Forum 1987, 4 ff.; Schulte, JZ 1988, 278ff.; Baumann, JuS 1989, 433ff.; Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, 1989; M. Wolf, UTR 12 (1990), 243ff.; Olzen, Jura 1991, 281 ff.; Wilhelm, Sachenrecht, 1993, 109ff.; Schimikowski, Umwelthaftungsrecht und Umwelthaftpflichtversicherung, 3. Aufl. Die wissenschaftliche Diskussion über ein privatrechtlich angebundenes Umweltschutzrecht ist keine neue Erscheinung der 80er und 90er Jahre. Bereits Ende der 50er Jahre fand im Vorfeld der Novellierung des § 906 durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuches vom 22. 12. 1959
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lich-)rechtlicher Schutzinstrumente - vor allem des Nachbarrechts (§§ 903, 906, 1004) und des Deliktsrechts (§§ 823 ff.) 8 0 - gegenüber Beeinträchtigungen, die sich nicht als reine Nutzungsbeeinträchtigungen im hiesigen Sinne darstellen, sondern gekennzeichnet sind durch Beeinträchtigungen der Personen- und /oder Sachintegrität. Angesprochen ist damit nicht der privatrechtliche Schutz gegen einen teilweisen oder gänzlichen Entzug von Beziehungen zwischen Sach- und Außenwelt in Hinblick auf die Nutzbarkeit von Verkehrswegen, künstlichen Zuleitungen und Versorgungen sowie natürlichen Umweltgütern. Vielmehr ist die (in einem weiteren Sinne auch den nachbarrechtlichen Schutz einbeziehende)81 Frage nach einer zivilrechtlichen Umwelthaftung für Schäden an persönlichen Rechtsgütern und/oder Sachen aufgeworfen, die durch eine auf Emissionen verschiedenster Art beruhende qualitative Verschlechterung der natürlichen Umweltgüter Wasser, Luft und Boden verursacht werden 82. Dieses Verständnis von Umweltschutz bzw. Umwelthaftung im Privatrecht liegt auch dem zum 1. 1. 1991 in Kraft getretenen Umwelthaftungsgesetz 83 zugrunde, wie aus der in § 1 dieses Gesetzes normierten Schadensersatzregelung hervorgeht. Danach ist für den Betreiber einer der im Anhang 1 des Umwelthaftungsgesetzes genannten Anlagen eine verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung für den Fall eingeführt worden, daß durch eine von einer der im Anhang 1 genannten Anlagen ausgehenden - Umwelteinwir-
(BGB1. 1959 I, 781; zu Anlaß und Inhalt dieser Gesetzesänderung, u.a. Einfügung des § 906 Abs. 2 Satz 2, siehe Mühl, NJW 1960, 1133 ff. (1136 f.) und H. Hagen, FS H. Lange, 1992, 483 ff. (493 f.)) eine Auseinandersetzung über die Bedeutung des privaten Nachbarrechts für den Umwelt-(Immissions-)Schutz statt. Siehe dazu einerseits H. Westermann, Luftreinhaltung, 1958, insb. 14 ff. und 47 ff. sowie andererseits Herschel, JZ 1959, 76 ff. Eine erneute Intensivierung der Diskussion über einen privatrechtlichen Umweltschutz ist Anfang bis Mitte der 70er Jahre zu verzeichnen, und zwar im zeitlichen Zusammenhang mit der Vorbereitung und Verabschiedung des zum 1. 4. 1974 in Kraft getretenen BImSchG vom 15. 3. 1974 (BGBl. 1974 I, 721). Siehe insoweit Bullinger, VersR 1972, 599ff.; Simitis, Versicherungsrecht 1972, 1087ff.; G.H. Roth, NJW 1972, 921 ff.; Diederichsen, BB 1973, 485ff.; F. Baur, JZ 1974, 657ff.; H. Westermann, FS Larenz, 1973, 1003ff.; Mühl, FS Raiser, 1974, 159ff.; Diederichsen, FS R. Schmidt, 1976,1 ff. 80 Nach Kloepfer der „Kern des bisherigen zivilrechtlichen Umweltschutzes", siehe UTR 11 (1990), 35 ff. (45), eine Bewertung, die vor dem Inkrafttreten des Umwelthaftungsgesetzes zum 1. 1. 1991 vorgenommen worden ist. si Siehe beispielsweise Diederichsen, FS Lukes, 1989,41 ff. (42 ff.). 82 Zum Begriff der Umwelthaftung siehe Hager, UTR 11 (1990), 133 ff. (134): Danach betrifft die Umwelthaftung die Ersatzpflicht für solche Individualschäden, „die durch negative Einwirkungen auf die Umweltmedien Wasser, Luft und Erde verursacht werden". Die Verwendung des Begriffs der „negativen Einwirkungen" in diesem Zusammenhang (wie Hager beispielsweise auch Medicus, UTR 11 (1990), 5 ff. (11)) ist deshalb nicht ganz glücklich, weil dieser Begriff im Bereich des Nachbarrechts einen feststehenden Bedeutungsinhalt hat (siehe die oben in Fn. 29 in Bezug genommenen Nachw.), der hier gerade nicht gemeint ist. Ähnlich wie Hager beschreiben den Begriff der Umwelthaftung v. Bar, Karls. Forum 1987, 4 und 6; Diederichsen, FS Lukes, 1989,41 ff. (41); Ganten/Lemke, UPR 1989, 1 ff. (1 f.). 83 Siehe oben Fn. 79.
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Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
kung 84 ein Mensch getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird 8 5 . Ein weit gefaßter Begriff des Umweltschutzes bzw. der Umwelthaftung mag auch den hier thematisierten deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen solche reinen Nutzungsbeeinträchtigungen erfassen, die auf einer Störung der Nutzbarkeit natürlicher Umweltgüter beruhen, mithin also den Schutz gegen Beeinträchtigungen durch den Entzug von vor allem Luft, Licht und Wasser 86. Gleichwohl läßt sich diese Form der reinen Nutzungsbeeinträchtigung als unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes rechtlich selbständige Fragestellung klar umreißen und damit auch von der eigentlichen Umweltschutzproblematik der Personen- und Sachintegritätsverletzungen durch die qualitative Verschlechterung von Umweltbedingungen abgrenzen. In Übereinstimmung mit H. P. Westermann ist davon auszugehen, daß das Problem des Entzuges von Umweltgütern nicht „in den Kern des Umweltschutzgedankens" zielt 87 . Im übrigen stellen sich bei der hier beabsichtigten Untersuchung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen ganz andere Rechtsfragen als in Zusammenhang mit der Problematik des privatrechtlichen Umweltschutzes. Während bei dieser das Vorliegen von Rechts-(Eigentums-) und Rechtsgutsverletzungen keine dogmatischen Schwierigkeiten bereitet 88, sondern die eigentlichen Probleme im Beweisrecht wegen der Notwendigkeit des Nachweises der Kausalität zwischen Emission und eingetretenem Schaden durch Verletzung der Personen- und Sachintegrität liegen 89 , geht es bei jener - der hier 84 Zum Begriff siehe § 3 Abs. 1 UmweltHG: Wenn ein Schaden durch Stoffe, Erschütterungen, Geräusche, Druck ... oder sonstige Erscheinungen verursacht wird, die sich in Boden, Luft oder Wasser ausgebreitet haben. Siehe dazu Salje, Umwelthaftungsgesetz, Komm., 1993, §§ 1, 3, Rz. 55 ff.; Schmidt-Salzer, Umwelthaftungsrecht, § 1, Rz. 328 u. § 3, Rz. 2ff.; Schimikowski, Umwelthaftungsrecht und Umwelthaftpflichtversicherung, 3. Aufl., 86 ff., Rz. 141 ff.; Paschke, Umwelthaftungsgesetz, 1993, § 1, Rz. 16ff. Kritisch zu dem Tatbestandsmerkmal „durch eine Umwelteinwirkung" unter den Gesichtspunkt unzureichender Abgrenzungsfähigkeit und für ein an § 22 WHG orientiertes Verständnis im Sinne einer Begrenzung auf die Umweltmedien Boden, Luft und Wasser verändernde Einwirkungen Medicus, FS Gernhuber, 1993, 299 ff. 85 Zum UmweltHG siehe näher Landsberg/Lülling, DB 1990, 2205 ff.; diess., Umwelthaftungsrecht, Komm., 1991; Hager, NJW 1991, 134ff.; Schmidt-Salzer, VersR 1991, 9ff.; Schimikowski, Umwelthaftungsrecht und Umwelthaftpflichtversicherung, 3. Aufl., 85 ff. 86 So beispielsweise Diederichsen in seinem Referat zum 56. DJT 1986, siehe oben Fn. 79, in Zusammenhang mit seinen Ausführungen zu einem „sachenrechtlichen Umweltschutz", wo er in kritischer Distanz zur h.M. für eine grundsätzliche Abwehrfähigkeit dieser Einwirkungen zumindest de lege ferenda plädiert (a. a. O., L 48 ff. (L 52)). 87 Siehe H. P. Westermann, UTR 11 (1990), 103 ff. (109). 88 Diederichsen, BB 1973,485 ff. (487). 89 Ganten/Lemke, UPR 1989, Iff. (5f.); Diederichsen, FS Lukes, 1989, 41 ff. (53); Hager, NJW 1991, 134 ff. (137); Wagner, VersR 1991, 249 ff. (251). Insoweit ist durch das UmweltHG mit der in § 6 geregelten und durch Auskunftsansprüche des Geschädigten (§§8 und 9) flankierten Ursachenvermutung - die allerdings für den rechtmäßigen Normalbetrieb nicht
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beabsichtigten Untersuchung - um das Problem, ob überhaupt und in welchem Umfang ein deliktsrechtlicher Schutz unter Anknüpfung an das Eigentum zum Tragen kommen kann 90 .
I I I . Deliktsrechtlicher Schutz in Verbindung mit öffentlich-rechtlichen Regelungen Die Untersuchung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen im Rahmen von § 823 Abs. 1 könnte möglicherweise unter dem Gesichtspunkt an Bedeutung verlieren, daß ein Schutz des Eigentümers gegen entsprechende Beeinträchtigungen bereits auf der Grundlage der §§ 823 Abs. 2, 839 i.V.m. öffentlich-rechtlichen Regelungen gewährleistet ist. Die Frage nach dem Bestehen eines insoweit „öffentlich-rechtlichen Deliktsschutzes" ist aus dem Grunde nicht ganz fernliegend, als bezogen auf die hier hervorgehobenen Ursachenbereiche reiner Nutzungsbeeinträchtigungen91 verschiedene öffentlichrechtliche Regelungen vorhanden sind, mit denen einer Störung der Benutzbarkeit von Verkehrswegen und künstlichen Zuleitungen bzw. Versorgungen wie auch im Grundstücksbereich der Entziehung natürlicher Umweltgüter gegengesteuert werden soll. Für den Bereich des Straßenverkehrs sei beispielsweise auf die Regelungen der StVO verwiesen, bei denen es sich um Verhaltensvorschriften für die Straßenverkehrsteilnehmer handelt92. In den Straßen- und Wege-Gesetzen der Länder finden sich vielfach Bestimmungen des Inhalts, daß die Erhaltung der Verkehrssicherheit den Bediensteten der damit befaßten Körperschaften als Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten obliegt 93 . Die Unterhaltung von Bundeswasserstraßen und der Betrieb bundeseigener Schiffahrtsanlagen sind in § 7 Abs. 1 BWaStrG 94 als Hoheitsaufgaben des Bundes normiert, wobei gemäß § 8 Abs. 1 gilt (§ 6 Abs. 2) sowie unter den Voraussetzungen des § 7 widerlegt werden kann (dazu näher Hager, NJW 1991, 134 ff. (137 ff.)) - gegenüber den bürgerlich-rechtlichen Beweisanforderungen zumindest eine Beweiserleichterung eingeführt worden. Das Problem der sog. „Summations- und Distanzschäden", das gerade dadurch gekennzeichnet ist, daß die eingetretenen Schäden einem individuellen Verursacher nicht zugerechnet werden können (zum Begriff Ganten/Lemke, UPR 1989, 1 ff. (5 f.) und Steffen, UTR 11 (1990) 71 ff. (86)) ist durch das UmweltHG wegen des Festhaltens an dem Zurechnungserfordernis nicht gelöst worden (Hager, NJW 1991, 134 ff. (137 und 143)). 90 Siehe schon im 1. Kap. unter IV. 91
Siehe im 1. Kap. unter II. Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 13. Aufl., Einf., Rz. 3. 93 So beispielsweise § 9 a Abs. 1 StWG NW (i.d.F.d.Bek. vom 1. 8. 1983, GV NW 1983, 306). Zu vergleichbaren Bestimmungen in anderen Landesstraßengesetzen siehe die Nachw. bei Steiner, in Steiner (Hrsg.), Bes. VerwR, 4. Aufl., 663, Fn. 139; Salzwedel, in v. Münch/ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes.VerwR, 9. Aufl., 716. 94 Vom 2. 4. 1968, BGBl. 1968 II, 173. 92
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Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
und Abs. 5 BWaStrG die Unterhaltung der Binnenwasserstraßen (i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 BWaStrG) und der Seewasserstraßen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BWaStrG) auch die Erhaltung der Schiffbarkeit umfaßt. Die Bauordnungen der Länder enthalten häufig in Zusammenhang mit Regelungen betreffend die Einrichtung von Baustellen die Verpflichtung (vor allem) des Bauunternehmers, u.a. auch Versorgungsanlagen für die Dauer der Bauausführung zu schützen und, soweit erforderlich, unter den notwendigen SicherheitsVorkehrungen zugänglich zu halten 95 . Hingewiesen sei insoweit auch auf die strafrechtliche Regelung des § 317 StGB. Danach wird die in bestimmter Weise herbeigeführte Verhinderung oder Gefährdung des Betriebes einer öffentlichen Zwecken dienenden Fernmeldeanlage unter Strafe gestellt. Schließlich finden sich in den Landesbauordnungen durchgängig u.a. dem Schutze der Erhaltung natürlicher Umweltgüter dienende Bestimmungen des Inhalts, wonach bei der Bebauung eines Grundstücks ein bestimmter Grenzabstand einzuhalten ist 9 6 . Trotz des Bestehens der vorgenannten öffentlich-rechtlichen Regelungen zwecks Gewährleistung einer möglichst störungsfreien Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur wie auch der Erhaltung natürlicher Umweltgüter in Zusammenhang mit der Bebauung von Grundstücken wird die beabsichtigte Untersuchung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen unter Anknüpfung an § 823 Abs. 1 dadurch in ihrer Bedeutung nicht in Frage gestellt. Hierfür sind verschiedene Gründe maßgebend, die zum Teil kumulativ für die genannten öffentlich-rechtlichen Regelungen gelten.
1. Eigenständigkeit der deliktsrechtlichen Haftung aus § 823 Abs. 1 Die Bedeutung einer besonderen Untersuchung der Schutzgewährleistung durch § 823 Abs. 1 bezogen auf die hier in Frage stehenden Beeinträchtigungen trotz eines insoweit möglicherweise existierenden „abgeleiteten" deliktsrechtlichen Schutzes auf der Grundlage von § 823 Abs. 2 folgt daraus, daß zwischen diesen Tatbeständen deliktsrechtlicher Haftung grundsätzlich von einem Verhältnis freier 95 Z.B. § 14 Abs. 2 LBauO Baden-Württ. i.d.F. v. 28. 11. 1983 (GBl. 1983, 770): „Öffentliche Verkehrsflächen, Versorgungs-, Abwasser- und Meldeanlagen sowie Grundwassermeßstellen, Vermessungszeichen und Grenzzeichen sind für die Dauer der Bauausführung zu schützen und, soweit erforderlich, unter den notwendigen Sicherheitsvorkehrungen zugänglich zu halten.". Siehe dazu Sauter, LBO für Baden-Württ., Komm., 2. Aufl. Siehe auch die vergleichbaren Regelungen in § 17 Abs. 2 Nds. BauO i.d.F. v. 6. 6. 1986 (NdsGVBl. 1986, 157); Art. 14 Abs. 2 BayBauO i.d.F. d. Bek. vom 2. 7. 1982 (BayRS 2132-1-1); § 13 Abs. 3 Hess. BauO i.d.F. v. 20. 7. 1990 (GVBl. 19901,476, ber. 566). 96 Z.B. § 6 BauO NRW v. 26. 6. 1984 (GV NW 1984, 419). Siehe auch noch Fn. 99. Grenzabstandsregelungen für Gebäude sowie Bestimmungen betr. ein Lichtrecht enthalten auch einige privatrechtliche Landesnachbarrechtsgesetze, siehe noch mit Nachw. im Dritten Teil, 2. Kap. unter II. 1. b) (2), insb. Fn. 348 und 3. Kap. unter IV. 4.
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Anspruchskonkurrenz auszugehen ist 9 7 und im übrigen im Rahmen von § 823 Abs. 2 als Schutzgesetze wirksam werdende außerdeliktsrechtliche Regelungen im Verhältnis zu einem Schutz aus § 823 Abs. 1 grundsätzlich nur einen „Mindestschutzstandard" setzen können98. Unabhängig davon, ob den oben genannten öffentlichrechtlichen Regelungen ein Schutzgesetzcharakter zugunsten (u.a.) von sachnutzenden Eigentümern in Hinblick auf die hier in Frage stehenden Beeinträchtigungen beigemessen werden kann - ausdrücklich anerkannt ist dies für die Grenzabstandsregelungen der Landesbauordnungen99, während die (auch) dem Schutz von Versorgungsanlagen dienenden bauordnungsrechtlichen Bestimmungen sowie die Vorschrift des § 317 StGB nach heute gefestigter Rechtsprechung des BGH nicht als Schutzgesetze zugunsten solcher Bezieher von Versorgungsleistungen angesehen werden, die infolge der Beschädigung einer Versorgungsleitung reine Nutzungsbeeinträchtigungen und daraus folgende Vermögensschäden erleiden 100 rechtfertigt und erfordert die Eigenständigkeit der deliktsrechtlichen Haftung aus § 823 Abs. 1 im Verhältnis zu § 823 Abs. 2 eine Untersuchung des nach jener Haftungsnorm gewährleisteten Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen, will man nicht Anwendung und Wirksamkeit des in § 823 Abs. 1 niedergelegten Schutzes absoluter Rechtsgüter und Rechte zur Disposition des bestimmte Lebensbereiche außerdeliktsrechtlich durch öffentlich-rechtliche Regelungen normierenden Gesetzgebers stellen.
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Siehe nur Esser/Weyers, SchR II, 7. Aufl., 539; Karollus, Schutzgesetzverletzung, 1992, 124; RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 535. 98 Siehe Canaris, FS Larenz, 1983, 27ff. (54ff.); Larenz/Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 416; v. Bar, Karlsr. F. 1987, 4ff. (14); ders., JuS 1988, 169 ff. (172); Karollus, Schutzgesetzverletzung, 1992, 136 ff. Siehe dazu noch näher im Dritten Teil, 3. Kap. unter IV. 3. d). 99 Siehe BGHZ 66, 354 ff. (357): „Die Vorschriften über den Grenzabstand dienen nicht nur den Belangen der Allgemeinheit, sondern sind auch dazu bestimmt, Interessen des Nachbarn an ausreichender Belichtung und Belüftung des Grundstücks, am freien Ausblick und am Schutz vor Brandübertragung zu wahren."; ebenso BGH Warn.Rspr. 1977, 864ff. (866). Aus der Lit. siehe nur Picker, AcP 176 (1976), 28ff. (32f., Fn. 17); Deh ner, Nachbarrecht im Bundesgebiet, 6. Aufl., 426 ff.; Schenke, in Achterberg/Püttner, Bes.VerwR, I, 1990,493, Rz. 570; Krebs, in v. Münch/Schmidt-Aßmann, Bes.VerwR, 9. Aufl., 384, Rz. 236; Larenz/ Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 440. Zu den unterschiedlichen Auffassungen über die Wirkung dieser nachbarschützenden Vorschriften auf den Inhalt des Grundstückseigentums siehe im Zweiten Teil, 1. Kap. unter III. 1. c) (3), Fn. 331 und im Dritten Teil, 3. Kap. unter IV. 3. d), Fn. 845. 100 So die „abschließende" Entscheidung des BGH vom 8. 6. 1976 zu den sog. Stromkabelfällen in BGHZ 66, 388 ff. betr. § 18 Abs. 3 (heute § 14 Abs. 2) LBauO für Baden-Württ. (für § 317 StGB bestätigt in einem Urteil vom 25. 1. 1977, BGH NJW 1977, 1147 f. unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Erwägungen in BGHZ 66, 388ff.); anders noch BGH NJW 1968, 1279 ff., bestätigt in BGH VersR 1969, 542 betr. § 13 Abs. 2 LBauO NW a.F. Einen ausführlichen Überblick über die gegensätzlichen Auffassungen in Rspr. und Schrifttum in den 60er und 70er Jahren hinsichtlich des Schutzgesetzcharakters der landesbauordnungsrechtlichen Regelungen zugunsten der Bezieher von Versorgungsleistungen gibt Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 108 ff.
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Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
2. „Schutzgutakzessorietät" bestimmter öffentlich-rechtlicher Regelungen Den in der StVO enthaltenen Verkehrsregeln wird neben der im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe, einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf zu ermöglichen, ein Schutzgesetzcharakter bezogen auf ihren sachlichen Schutzbereich 101 regelmäßig nur in Hinblick auf die in § 823 Abs. 1 enthaltenen Schutzobjekte zugesprochen. Schutzzweck ist danach nicht die Wahrung reiner Vermögensinteressen, sprich solcher Interessen, die nicht durch Schutzgüter des § 823 Abs. 1 verkörpert sind 102 . Die darin zum Ausdruck kommende und als „Schutzgutakzessorietät" zu bezeichnende Abhängigkeit des über § 823 Abs. 2 i.V.m. den Regeln der StVO gewährleisteten Deliktsschutzes von den in § 823 Abs. 1 einbezogenen Rechtsgütern und Rechten jedenfalls insoweit, als andere als nach § 823 Abs. 1 schutzfähige Positionen nicht schutzgesetzlich bewehrt sind, bedeutet, daß ein wegen Verstoßes gegen Vorschriften der StVO begründeter Deliktsschutz nur in Betracht kommen kann, wenn die Schutzgesetzverletzung zugleich zu einer Beeinträchtigung eines Schutzgutes i. S. d. § 823 Abs. 1 führt. Daraus folgt, daß der grundsätzlich anerkannte Schutzgesetzcharakter der StVO-Regelungen die Klärung der Frage eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen auf der Grundlage von § 823 Abs. 1 im Bereich des Straßenverkehrs nicht entbehrlich macht. Angesichts der beschriebenen „Schutzgutakzessorietät" im Verhältnis zwischen § 823 Abs. 1 und § 823 Abs. 2 i.V.m. den Vorschriften der StVO ist in Fällen reiner Nutzungsbeeinträchtigungen von der Bejahung oder Verneinung einer Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 abhängig, ob insoweit überhaupt ein deliktsrechtlicher Schutz nach § 823 Abs. 2 gegeben sein kann 103 . 101 Zu den im Rahmen der Schutzzweckprüfung nach § 823 Abs. 2 zu berücksichtigenden unterschiedlichen Schutzbereichen siehe nur Karollus, Schutzgesetzver letzung, 1992, 339 f. Siehe auch noch im Dritten Teil, 3. Kap. unter ΙΠ. 3. c) (2). 102 Siehe BGH NJW 1977, 2264ff. (2265); v. Caemmerer, DAR 1970, 283 ff. (288); RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 548; Larenz/Canaris, SchR II 2, 13. Aufl., 430. Anderes dürfte aber etwa für die Vorschrift des § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO gelten, wonach das Parken vor Grundstücksein- und -ausfahrten sowie auf schmalen Fahrbahnen auch ihnen gegenüber unzulässig ist. Hier wird wohl auch derjenige nach § 823 Abs. 2 Schadensersatz verlangen können, der wegen Zuparkens einer Grundstücksausfahrt einen Vermögensnachteil erleidet, ohne zugleich in einer durch § 823 Abs. 1 geschützten Position betroffen zu sein: beispielsweise ein Besucher, der als Mitfahrer in einem Kraftfahrzeug ein Grundstück verlassen will und wegen der Blockierung ein Taxi oder öffentliches Verkehrsmittel nehmen muß (zu § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO siehe auch noch im Dritten Teil, 3. Kap. unter IV. 3. d). Allgemein gegen eine „grundsätzliche Verkümmerung" des § 823 Abs. 2 durch Heranziehung des § 823 Abs. 1 „auch als strukturelle Grundlage des Schutzgesetztatbestandes" wendet sich Karollus, Schutzgesetzverletzung, 1992, 124 f. 103 Nicht muß, da aus einer möglichen Qualifizierung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung nicht notwendig folgt, daß auch die StVO-Vorschriften ihrem sachlichen Schutzzweck nach einen Schutz des Eigentümers gegen diese Beeinträchtigungen beinhalten.
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Entsprechendes gilt für den Bereich öffentlich-rechtlich normierter Straßenverkehrssicherungspflicht 104 . Diese ist den Bediensteten der verantwortlichen Körperschaft als eine jedem Straßenverkehrsteilnehmer gegenüber bestehende Amtspflicht in Ausübung öffentlicher Gewalt übertragen und begründet i m Falle ihrer Verletzung Schadensersatzansprüche allein aus § 839 Abs. I 1 0 5 . Auch wenn die Straßenverkehrssicherungspflicht hoheitlich ausgestaltet ist, wird nach der Rechtsprechung des B G H der Haftungsumfang trotz der ausschließlichen Anwendbarkeit von § 839 gegenüber einer Schadensersatzverpflichtung aus § 823 Abs. 1 nicht verändert 1 0 6 . Zwar besteht die Amtspflicht zur Straßenverkehrssicherung allen Verkehrsteilnehmern gegenüber 1 0 7 . Von einer einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht kann jedoch nach Auffassung des B G H nur insoweit gesprochen werden, als es dem Zweck der Verkehrssicherungspflicht entsprechend um den Schutz vor Schäden geht, die aus der Verletzung absoluter Rechtsgüter und Rechte i. S. d. § 823 Abs. 1 drohen. Ausgeschlossen ist damit in dem Bereich öffentlich-rechtlich geregelter Verkehrssicherungspflicht auf der Grundlage von § 839 Abs. 1 die Ersatzfähigkeit von Schäden aus der Verletzung anderer Schutzgüter bzw. Interessen, mithin vor allem die Restitution reiner Vermögensschäd e n 1 0 8 . Die Beschränkung des Haftungsumfangs i m Rahmen von § 839 auf den 104
Siehe hierzu die Nachw. in Fn. 93. los BGHZ 60, 54 ff. (52 f.). Nach der st. Rspr. des BGH, die zwischen einer allein der Allgemeinheit gegenüber bestehenden Straßenbaulast des Straßenbaulastträgers und einer davon zu trennenden Verkehrssicherungspflicht unterscheidet (siehe dazu nur Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl., 27 ff. und Steiner, in Steiner (Hrsg.), Bes.VerwR, 4. Aufl., 662 ff.), richten sich Schadensersatzansprüche wegen einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht an öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen grundsätzlich nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 823 ff., grundlegend BGHZ 9, 373 ff. (386 f.) betr. die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich einer öffentlichen Wasserstraße; siehe auch BGHZ 60, 54 ff. (55). Allerdings besteht nach Auffassung des BGH die Möglichkeit, die Verkehrssicherungspflicht hoheitlich auszugestalten, sei es durch gesetzliche Regelung (so der Fall in BGHZ 60, 54 ff. (56) betr. § 10 Abs. 1 NdsStrG, zu vergleichbaren landesgesetzlichen Regelungen siehe die Nachw. oben Fn. 93) oder durch einen ausdrücklich kundgemachten Organisationsakt der für die Verkehrssicherung verantwortlichen öffentlich-rechtlichen Körperschaft, siehe BGHZ 9, 373 ff. (387 f.) und 60, 54 ff. (56). Zur Kritik an der Trennung zwischen öffentlich-rechtlicher Straßenbaulast und grundsätzlich privatrechtlicher Verkehrssicherungspflicht, die bei öffentlichen Wasserstraßen der Unterscheidung des BGH zwischen öffentlich-rechtlicher Unterhaltungspflicht und grundsätzlich privatrechtlicher Verkehrssicherungspflicht entspricht, siehe die Nachw. im folgenden in Fn. 118. 106 BGH NJW 1973,463 ff. (464f.); BGHZ 60, 54 ff. (64). 107 BGH NJW 1973,463 ff. (464). io« BGH NJW 1973, 463 ff. (464). Der BGH zieht hier zur Verdeutlichung der seiner Auffassung nach bestehenden Notwendigkeit eines Ausschlusses reiner Vermögensschäden von der Haftung das Fallbeispiel heran, daß jemand infolge einer Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht in einen dadurch verursachten Verkehrsstau gerät und deshalb eine geschäftliche Verabredung versäumt, so daß ihm ein gewinnbringendes Geschäft entgeht (siehe BGH NJW 1973, 463 ff. (465), ebenso in der Beispielsbildung Steiner, in Steiner (Hrsg.), BesVerwR, 4. Aufl., 660 (Fall 1, Rz. 79). Auf die häufige Verwendung dieser und ähnlicher Konstellationen als »Absurditätsargumente" in der Diskussion über einen deliktsrechtlichen
Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
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durch § 823 Abs. 1 vorgegebenen Haftungsbereich wird vom B G H damit begründet, daß die öffentlich-rechtliche
Ausgestaltung der Verkehrssicherungspflicht
nicht den Zweck hat, den Haftungsumfang als solchen zu verändern. Vielmehr soll sie allein anstelle der allgemeinen privatrechtlichen Deliktsvorschriften nunmehr die Amtshaftungsbestimmungen eintreten zu lassen 1 0 9 . Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung wird deutlich, daß § 839 bezogen auf den Bereich einer hoheitlich geregelten Straßenverkehrssicherungspflicht zu § 823 Abs. 1 in einem Verhältnis der „Schutzgutakzessorietät" steht. Die Normierung einer öffentlich-rechtlichen Verkehrssicherungspflicht und die daraus folgende Anwendbarkeit des § 839 erübrigen deshalb ebensowenig wie die schutzgesetzlichen Regelungen der StVO die Frage nach einem deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen auf der Grundlage von § 823 Abs. 1.
3. Fehlen einer Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht Die in den § § 7 und 8 BWaStrG getroffenen Regelungen über die dem Bund obliegende Unterhaltungspflicht von Bundeswasserstraßen, wozu auch die Erhaltung der Schiffbarkeit 1 1 0 rechnet (siehe § 8 Abs. 1 und Abs. 5 BWaStrG) 1 1 1 , enthalEigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen durch Störungen der Verkehrsinfrastruktur ist bereits oben in Fn. 20 hingewiesen worden. Die Begrenzung des Haftungsumfangs im Falle der Verletzung einer öffentlich-rechtlich normierten Verkehrssicherungspflicht weicht von der ansonsten gerade über § 839 gegebenen Haftungserweiterung auf reine Vermögensschäden ab, siehe nur Palandt-Thomas, 54. Aufl., § 839, Rz. 1. Kritisch zu dieser Rspr. beispielsweise Mayer, NJW 1973, 1918f.; Nedden, DVBl. 1974, 253 ff. (259f.); Bartlsperger, DVBl. 1973, 465 ff. (466 ff.). Canaris, FS Larenz, 1983, 27 ff. (43) bezeichnet allgemein die Rspr. des BGH zu § 839 als „Spiegelbild des privaten Haftpflichtrechts". 109
Dementsprechend hat der BGH späterhin auch die Berufung auf das Verweisungsprivileg eingeschränkt, siehe BGH NJW 1979, 2043 ff. (2044 f.) unter ausdrücklicher Abkehr von BGHZ 60, 54 ff. (61 f.). Während der BGH in dieser Entscheidung noch nicht festzustellen vermochte, daß im Bereich öffentlich-rechtlich ausgestalteter Verkehrssicherungspflicht die Anwendung des Verweisungsprivilegs zu „sachfremden und unerträglichen Ergebnissen" führt (BGHZ 60, 54 ff. (61 f.)), hat er in BGH NJW 1979, 2043 f. (2044) mit der Begründung, daß dem haftungsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung Vorrang vor dem Verweisungsprivileg nicht nur bei der dienstlichen Teilnahme von Amtsträgern am allgemeinen Straßenverkehr (BGHZ 68, 217 ff.), sondern auch im Bereich der Wahrnehmung öffentlichrechtlich ausgestalteter Verkehrssicherungspflichten einzuräumen ist, eine Anwendung des § 839 Abs. 1 Satz 2 insoweit ausgeschlossen. Das gilt nach BGH VersR 1994, 346 ff. (347) auch bezogen auf den Amtshaftungsanspruch eines infolge der Verletzung einer öffentlichrechtlich ausgestalteten Verkehrssicherungspflicht an seinem Grundstückseigentum geschädigten Straßenanliegers. 110 Zu den hierzu zu rechnenden Aufgaben siehe Roth, in Wüsthoff/Kumpf, HDW Bd. 1, WHG C 10 E, § 28, Rz. 7. 111 Die rahmenrechtliche Vorschrift des § 28 Abs. 1 WHG zählt zu der Unterhaltung von schiffbaren Gewässern ebenfalls die Erhaltung der Schiffbarkeit. Im Verhältnis zu dieser, durch weitere landeswasserrechtliche Vorschriften (dazu Roth, in Wüsthoff/Kumpf, HDW
2. Kap.: Abgrenzungen
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ten nach der Rechtsprechung des BGH keine einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht. Damit kann bereits aus diesem Grunde im Falle einer durch Verstoß gegen die Unterhaltungspflicht verursachten reinen Nutzungsbeeinträchtigung ein Anspruch aus § 839 nicht in Betracht kommen. Gemäß der Auffassung des BGH handelt es sich bei der Unterhaltungspflicht von Wasserstraßen unabhängig von dem Träger dieser Verpflichtung zwar um eine öffentlich-rechtliche Verbindlichkeit 1 1 2 . In § 7 Abs. 1 BWaStrG wird die Unterhaltung der Bundeswasserstraßen sogar ausdrücklich als Hoheitsaufgabe des Bundes bezeichnet. Aus dem öffentlich-rechtlichen Charakter dieser Verbindlichkeit folgt jedoch nach Ansicht des BGH nur, daß die Unterhaltungspflicht gegenüber der Allgemeinheit zu erfüllen ist und ihre Erfüllung allein von der Aufsichtsbehörde im Verwaltungswege erzwungen werden kann 113 . Die öffentlich-rechtlich geregelte Unterhaltungspflicht ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht gleichzusetzen mit der allgemein anerkannten Verkehrssicherungspflicht, die einem für die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs auf einer Wasserstraße verantwortlichen hoheitlichen Träger nicht anders als dem für die Sicherheit des Straßenverkehrs Verantwortlichen grundsätzlich als privatrechtlich begründete Verpflichtung obliegt 114 . Der Grund hierfür ist die Herleitung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nicht aus öffentlich-rechtlich normierten Unterhaltungspflichten, sondern aus einer davon unabhängigen privatrechtlichen Rechtsgrundlage. Diese sieht der BGH unter Ableitung eines allgemein anerkannten Rechtsgrundsatzes aus § 836 darin, daß jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern läßt, diejenigen ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen muß, die zur Abwendung der durch die Gefahrenquelle Dritten drohenden Gefahren notwendig sind 115 . An der danach grundsätzlich 116 privatrechtlichen Natur der Verkehrssicherungspflicht für eine WasserBd. 1, WHG C 10 E, § 28, Rz. 10 ff.) ausgefüllten Regelung über die Gewässerunterhaltung stellen die für Bundeswasserstraßen als Verkehrswege geltenden Bestimmungen der §§ 7, 8 BWaStrG leges speciales dar, siehe Sieder-Zeitler, WHG, § 28, Rz. 18 a. 112 BGHZ 55, 153 ff. (154); Roth, in Wüsthoff/Kumpf, HDW Bd. 1, WHG C 10 E, § 28, Rz. 3; Wirth, in Wüsthoff/ Kumpf, HDW Bd. 1, BWaStrG C 212 E, § 7, Anm. zu Abs. 1. 113 BGHZ 55, 153 ff. (154f.); Wirth, Fn. 112, § 7, Anm. zu Abs. 1; Roth, Fn. 112, § 28, Rz. 3. 114 BGHZ 55, 153 ff. (154 f.); 86, 152ff. (153); vgl. auch BGHZ 65, 384ff. (387). Zur Straßenverkehrssicherungspflicht siehe schon oben Fn. 105. us Grundlegend BGHZ 9, 373 ff. (386 f.). Siehe auch BGH NJW 1973,460 ff. (461). 116 Grundsätzlich deshalb, weil nach der Rspr. des BGH sowohl der Gesetzgeber in seinem Kompetenzbereich die Verkehrssicherungspflicht als eine öffentlich-rechtliche Pflicht ausgestalten (wie in den Landesstraßengesetzen vielfach geschehen, siehe BGHZ 60, 54 ff. und schon oben Fn. 105) und damit eine Haftung nach Amtshaftungsgrundsätzen begründen kann, als auch die zur Verkehrssicherung verpflichtete öffentlich-rechtliche Körperschaft grundsätzlich die Wahl hat, ob sie dieser Pflicht privatrechtlich oder als Träger öffentlicher Gewalt genügen will, wobei letzteres nur in Betracht kommen kann, wenn der Wille zur Amtshaftung durch einen ausdrücklichen Organisationsakt nach außen deutlich gemacht worden ist, siehe BGHZ 9, 373 ff. (387 f.) und schon oben Fn. 105.
4 Boecken
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Erster Teil: Untersuchungsgegenstand
Straße 117 hat sich für den Bereich der Bundeswasserstraßen nach Auffassung des B G H auch durch § 7 Abs. 1 BWaStrG nichts geändert, obwohl hier die Unterhaltung der Bundeswasserstraßen ausdrücklich zur Hoheitsaufgabe des Bundes erklärt wird. Nach Ansicht des Gerichts hätte eine Überführung der für alle Wasserstraßen privatrechtlichen Verkehrssicherungspflicht in den Rahmen hoheitlicher Tätigkeit einer eindeutigen Regelung bedurft 1 1 8 . Kann unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ein deliktsrechtlicher Schutz über § 839 unter Anknüpfung an die §§ 7, 8 BWaStrG nicht in Betracht kommen, so scheidet ein solcher über § 823 Abs. 2 deshalb aus, weil es sich bei den Regelungen über die Unterhaltungspflicht von Wasserstraßen 119 nicht um Schutzgesetze zugunsten des einzelnen Nutzers (Schiffahrttreibender, Anlieger) handelt 1 2 0 . M i t h i n stellen die öffentlich-rechtlich normierten Unterhaltungspflichten von Wasserstraßen keine Grundlage für einen „öffentlich-rechtlichen Delikts-
117 BGHZ 55, 153 ff. (155); 86, 152ff. (153). n 8 So die knappe Begründung des BGH in der Elbe-Seitenkanal-Entscheidung BGHZ 86, 152 ff. (153), insoweit unverständlicherweise ohne Auseinandersetzung mit seinen Ausführungen in der Fleetfall-Entscheidung in BGHZ 55, 153 ff. (155), wo er zumindest den Eindruck erweckt, als habe sich mit dem Inkrafttreten des § 7 Abs. 1 BWaStrG etwas an der privatrechtlichen Natur der den Bund für Bundeswasserstraßen treffenden Verkehrssicherungspflicht geändert (für die Entscheidung im Fleetfall bedurfte es keiner abschließenden Stellungnahme, da § 7 BWaStrG zum Zeitpunkt der Verkehrspflichtverletzung und des Schadenseintritts noch nicht in Kraft getreten war). Kritisch zu der Trennung des BGH zwischen gesetzlich normierter, öffentlich-rechtlicher Unterhaltungspflicht einerseits und privatrechtlicher Verkehrssicherungspflicht andererseits bezogen auf die §§ 7, 8 BWaStrG (bzw. den Bereich des Straßenverkehrs) Bartlsperger, Verkehrssicherungspflicht und öffentliche Sache, 1970, insb. 72 ff. zu den maßgebenden Gründen für eine öffentlich-rechtliche Rechtsnatur der Verkehrssicherungspflicht in Auseinandersetzung mit der Rspr.; Forsthoff, Verwaltungsrecht, 10. Aufl., 401 ff. i.V.m. Fn. 6; v. Mutius, VerwA 64 (1973), 433ff. (440f.); Wolff-Bachof, VerwR I, 9. Aufl., 505; Friesecke, Bundeswasserstraßengesetz, 2. Aufl., § 8, Rz. 15 (anders ders., Bundeswasserstraßengesetz, 3. Aufl., § 8, Rz. 15); Müller-Graff, JZ 1983, 860ff. (860); Riedmaier, VersR 1990, 1315 ff. (1316). Dem BGH stimmen zu: Bauer, Anm. zur Elbe-Seitenkanal-Entscheidung in BGH L M § 823 (Ac) Nr. 34; RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, 212; MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 200 f. und 232, der vor allem deshalb für die Anwendung des § 823 Abs. 1 plädiert, um das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 auszuschalten und dadurch eine Gleichbehandlung der von Verkehrspflichtverletzungen der öffentlichen Hand Betroffenen mit solchen, denen ein privatrechtlich haftender Schädiger gegenüber steht, zu erreichen. Diese Gleichbehandlung ist allerdings in der Rspr. des BGH bereits dadurch gewährleistet, daß nach Auffassung des BGH das Verweisungsprivileg im Bereich öffentlich-rechtlich ausgestalteter Verkehrssicherungspflicht nicht anwendbar ist, siehe oben Fn. 109. Unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Haftungsdefiziten der Amtshaftung äußert auch Ossenbühl Sympathien für die Rspr. des BGH, siehe Staatshaftungsrecht, 4. Aufl., 30. h 9 Die nach Auffassung des BGH lediglich eine der Allgemeinheit gegenüber obliegende Pflicht begründen, siehe oben im Text. 120 BGH VersR 1967, 405 ff. (406); BGHZ 55, 153 ff. (158); ebenso RG HRR 1935, Nr. 1068. Siehe aus der Lit. Wirth, in Wüsthoff/ Kumpf, HDW Bd. 1, BWaStrG C 212 E, § 7, Anm. zu Abs. 1 ; Roth, in Wüsthoff / Kumpf, HDW Bd. 1, WHG C 10 E, § 28, Rz. 4.
2. Kap.: Abgrenzungen
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schütz" dar, der für den Bereich der Benutzbarkeit von Wasserstraßen die Bedeutung einer Untersuchung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen in Frage stellen könnte.
4*
Zweiter
Teil
Meinungsstand und Kritik 1. Kapitel
Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur I. Rechtsprechung des Reichsgerichts 1. Gegenstand der Schutzposition „Eigentum" i.S.v. § 823 Abs. 1 Das Reichsgericht ist in seiner Rechtsprechung zu § 823 Abs. 1 davon ausgegangen, daß diese Vorschrift innerhalb ihres Anwendungsbereichs1 eine Haftung für solche Vermögensschäden anordnet, die sich als eine Folge der Verletzung der 1 Für unanwendbar erachtete das Reichsgericht § 823 Abs. 1 im Rahmen eines Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses. Insoweit ging das Gericht unter Bezug auf § 992 davon aus, daß es sich bei den Bestimmungen der §§ 987 ff. um besondere, die Haftung nach § 823 Abs. 1 ausschließende Regelungen handelt (siehe RGZ 56, 313ff. (316); 61, 430ff. (431 f.); RG JW 1910, 110 f. ( I l l ) ; JW 1910, 754f. (755); RGZ 101, 307 ff. (309); 157, 132ff. (135); 163, 348 ff. (352)). Allerdings haftete nach Auffassung des Reichsgerichts ein redlicher unrechtmäßiger Fremdbesitzer im Falle der Überschreitung seines vermeintlichen Besitzrechts für Beeinträchtigungen des Herausgabeanspruchs nach § 823 Abs. 1, so RGZ 101, 307 ff. (310 f.). Das Gericht begründete dies damit, daß ein rechtmäßiger Fremdbesitzer im Falle einer Eigentumsverletzung aus § 823 Abs. 1 hafte, was für den redlichen unrechtmäßigen Besitzer nicht anders sein könne (RGZ 101, 307 ff. (311)). Denn dieser sei weder nach den §§ 992, 823 Abs. 1 noch gemäß § 990 verantwortlich, letztere Norm setze den Eintritt der Unredlichkeit bereits vor dem Zeitpunkt der Eigentumsverletzung voraus (a. a. Ο., 310). Das Reichsgericht hat diese Auffassung in RGZ 106, 149ff. (152f.) und RGZ 157, 132ff. (135) (Jeweils unter Bezugnahme auf RGZ 101, 307 ff. (310 f.)) bestätigt, ohne allerdings darauf einzugehen, daß nach den insoweit zugrundeliegenden Sachverhalten der vom Eigentümer in Anspruch genommene Besitzer jeweils ein Recht zum Besitz hatte (siehe auch Heck, Sachenrecht, 1930, 289 bezogen auf RGZ 101, 307 ff. einerseits und RGZ 106, 149 ff. andererseits). In diesen Fällen des berechtigten Besitzes kann sich die Frage des Verhältnisses zwischen den §§ 987 ff. und 823 Abs. 1 angesichts fehlender Vindikationslage nur auf der Grundlage der Lehre vom sog. „Nicht-so-Berechtigten" stellen: Danach sollen die Vorschriften über das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis auch auf einen rechtmäßigen Fremdbesitzer anwendbar sein, der die ihm kraft dinglichen Rechts oder Schuldvertrages zustehende Befugnis überschreitet, siehe dazu die Nachw. bei Köbl, Das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis im An-
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
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vom Gesetz genannten Rechtsgüter (Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit) 2 und Rechte (Eigentum und sonstige Rechte) 3 darstellen 4 . Als verbindendes Merkmal der in § 823 Abs. 1 einbezogenen Schutzpositionen bezeichnete das Reichsgericht deren Ausschließlichkeit bzw. Absolutheit in dem Sinne, daß diese Rechtsgüter und Rechte alle Personen binden und von jedermann beachtet werden müssen 5 . Bezogen auf die Schutzposition „Eigentum" i m Rahmen des § 823 Abs. 1 war mithin nach dem Verständnis des Reichsgerichts nicht die Sache als solche, also das „klassische" Objekt des privatrechtlichen Eigentums 6 , Gegenstand des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes, sondern das Eigentum als absolutes Recht mit dem nach § 903 Satz 1 maßgebenden Inhalt 7 . Die Anknüpfung der deliktsrechtlichen Schutzposition „Eigentum" an den sachenrechtlichen Eigentumsbegriff hat das Reichsgericht bisweilen ausdrücklich deutlich gemacht, indem es das Vorliegen einer Eigentumsverletzung unter Bezugnahme auf § 903 (heute § 903 Satz 1) prüfte 8 . spruchssystem des BGB, 1971, 100 ff. Das Reichsgericht hat in den genannten Entscheidungen allerdings nicht auf eine Haftung des „Nicht-so-Berechtigten" nach den Vorschriften über das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis abgestellt (vgl. auch Pinger / Scharrelmann / Thissen, Zwanzig Probleme aus dem BGB, 4. Aufl., 41 f.) und hätte deshalb, zumal es hinsichtlich der §§ 987 ff. davon ausging, daß diese nur das Verhältnis des Eigentümers zum unrechtmäßigen Besitzer regeln (RG JW 1933, 2644 f. (2645)), in Hinblick auf die Unanwendbarkeit der §§ 987 ff. ohne den Umweg über die Figur des Fremdbesitzerexzesses zu einer Haftung aus § 823 Abs. 1 kommen können. Auch in der Literatur werden die Entscheidungen RGZ 106, 149 ff. und 157, 132 ff. oftmals als Beleg für die Durchbrechung des § 993 Abs. 1 (a.E.) in Zusammenhang mit der Haftung des exzedierenden Fremdbesitzers nach § 823 Abs. 1 zitiert, ohne auf die dort nicht vorhanden gewesene Vindikationslage einzugehen (siehe ζ. B. Eichler, Institutionen I I 1, 1957, 203 ff. (205, Fn. 92); Pinger, Funktion und dogmatische Einordnung des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses, 1973, 68, Fn. 348; H. Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., 144). Zur Unanwendbarkeit des § 823 Abs. 1 im Verhältnis zu einem gutgläubig erwerbenden Dritten siehe noch folgend unter 2. a), Fn. 11. 2 Die vom Reichsgericht auch als „Lebensgüter" bezeichnet wurden, siehe RGZ 51, 369 ff. (373). 3 „Wirkliche subjektive Rechte", siehe RGZ 51, 369 ff. (373). 4 Siehe nur RGZ 58, 24 ff. (28) und RG JW 1905, 367 f. (367). 5 RGZ 57, 353 ff. (356); 95, 283 ff. (284). Von dem Schutz lediglich absoluter Rechte ausgehend hat das Reichsgericht die Anwendbarkeit des § 823 Abs. 1 auf obligatorische Rechte verneint, siehe RGZ 57, 353 ff. (355 ff.); RG JW 1905, 367 f. (368); RGZ 95, 283 ff. (284f.). 6 Neben dem Eigentum an Sachen (§ 90) gibt es seit der Einführung des § 903 Satz 2 durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht vom 20. 8. 1990 (BGBl. 1990 I, 1762) auch ein davon zu unterscheidendes Eigentum an Tieren. Gemäß § 90 a Satz 1 handelt es sich bei Tieren nicht um Sachen, jedoch finden die für Sachen geltenden Vorschriften bei Fehlen besonderer Regelungen entsprechende Anwendung (§ 90 a Satz 3). 7 Die Sache als solche ist beispielsweise Schutzgegenstand in den §§ 833 und 836. Außerhalb des BGB siehe etwa § 7 Abs. 1 StVG, §§ 1, Abs. 1 und 2 Abs. 1 Satz 1 HaftpflG, § 1 ProdHG und § 1 UmweltHG. Zur Unterscheidung von Sachbeschädigung und Eigentumsverletzung in Zusammenhang mit § 7 Abs. 1 StVG siehe BGH NJW 1981, 750ff. (751 f.). Zum Begriff der Sachbeschädigung i.S.v. § 1 UmweltHG siehe noch im Dritten Teil, 2. Kap. unter I. 1., Fn. 227.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik 2. Begriff der Eigentumsverletzung
In Hinblick auf die Einbeziehung nicht (bloß) der Sache als Gegenstand des Eigentums in den Schutz nach § 823 Abs. 1, sondern des sachenrechtlichen Eigentums als Recht, konnte nach der Auffassung des Reichsgerichts eine deliktsrechtlich relevante Verletzung des Eigentums auf zweifache Weise erfolgen. Z u m einen konnte der Eingriff in das Eigentum auf einer das Recht als solches beeinträchtigenden rechtlichen Maßnahme bzw. Einwirkung beruhen 9 . Z u m anderen war eine Eigentumsverletzung auch durch Einwirkung auf eine bewegliche oder unbewegliche Sache als Eigentums objekt möglich 1 0 .
a) Eigentumsverletzung
durch rechtliche Einwirkung
Als Eigentumsverletzungen aufgrund rechtlicher Einwirkung sind insbesondere unberechtigte Verfügungen Dritter, die zu einer Entziehung oder Belastung des Eigentumsrechts führten 1 1 , Gegenstand der reichsgerichtlichen Rechtsprechung gewesen. s Siehe z. B. RGZ 64, 249ff. (251) und RG LZ 1918, 258ff. (259). Siehe folgend unter a). 10 Siehe folgend unter b). Soweit ersichtlich, ist diese allgemeine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Verletzungsmöglichkeiten vom Reichsgericht selbst nie so deutlich ausgesprochen worden. Anders aber beispielsweise das OLG München in JW 1932, 957 f. (958) mit zustimmender Anm. von L. Rosenberg: „Unter dem Begriff des Eigentums i.S. des § 823 BGB ist aber nicht nur die Eigentumssubstanz, d. h. die den Gegenstand des Eigentumsrechts bildende körperliche Sache, sondern, wie sich aus dem Zusammenhang „das Eigentum oder ein sonstiges Recht" ergibt, auch das Eigentumsrecht selbst zu verstehen. Infolgedessen kann ein Angriff auf das Recht selbst, insbesondere eine Verfügung darüber eine Eigentumsverletzung darstellen (...)". 9
11 Eine Haftung des gutgläubigen Erwerbers aus § 823 Abs. 1 hat das Reichsgericht jedoch ausgeschlossen und insoweit dem gesetzlich ermöglichten Rechtsscheinerwerb Vorrang vor deliktsrechtlichen Ansprüchen eingeräumt. So verneinte das Gericht einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 in einem Fall, in welchem ein Grundstückseigentümer Schadensersatz von einem Hypothekengläubiger verlangte, der ohne Kenntnis von der Nichtberechtigung des eingetragenen Scheineigentümers eine Hypothek erworben hatte (siehe RGZ 85, 61 ff. (63 f.)). Zur Begründung verwies das Reichsgericht auf die Bedeutung des § 892. Diese Regelung beschränke sich nicht auf die Frage des dinglichen Rechtserwerbs. Vielmehr erlaube sie dem gutgläubigen Erwerber, sich auf den Inhalt des Grundbuches auch gegenüber persönlichen Ansprüchen des nicht eingetragenen Berechtigten berufen zu können, wenn diese mit einer dem Inhalt des Grundbuches widersprechenden Rechtslage begründet werden (RGZ 85, 61 ff. (63 f.); siehe auch RGZ 90, 395 ff.). Zum Verhältnis der §§ 932ff. und § 823 Abs. 1 hat das Reichsgericht - soweit ersichtlich - nicht ausdrücklich Stellung bezogen. Jedoch ging das Gericht auch insoweit für den Fall des gutgläubigen Erwerbs einer Sache von der Nichtanwendbarkeit des § 823 Abs. 1 aus. Dies folgt aus Entscheidungen, in denen das Reichsgericht vor der Feststellung einer Eigentumsverletzung zunächst die Voraussetzungen eines gutgläubigen Eigentumserwerbs durch den „Verletzer" prüfte und erst im Falle des NichtVorliegens dieser Voraussetzungen einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 bejahte (so besonders deutlich in RG HRR 1935, Nr. 1587 zur Schadensersatzverpflichtung eines Käufers aus
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
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So wurden beispielsweise die unbefugte Verfügung über fremde Waren 12 wie auch die ohne Zustimmung des Sicherungsnehmers erfolgte Veräußerung und Besitzübertragung von Sicherungsgut durch den Sicherungsgeber an einen Dritten 13 als widerrechtliche Eingriffe in das Eigentumsrecht angesehen. Eine Eigentumsverletzung bejahte das Reichsgericht auch in den Fällen einer unberechtigten Veräußerung aufgrund fehlenden Pfandrechts 14 sowie der seitens eines Mieters bewußt herbeigeführten Veräußerung von dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen im Wege des Pfandverkaufs durch den Vermieter, obwohl der Mieter die Gegenstände zuvor an einen Dritten veräußert hatte und es sich damit um schuldner(mieter)-fremde Sachen handelte15. Abgesehen von der Eigentumsverletzung durch vollständige Entziehung des Eigentumsrechts infolge Veräußerung einer fremden Sache konnte nach Auffassung des Reichsgerichts ein Eingriff in das Eigentum auch durch eine von einem Nichtberechtigten wirksam vorgenommene Belastung mit einem beschränkten dinglichen Recht herbeigeführt werden, beispielsweise die Belastung eines Grundstücks durch den eingetragenen Scheineigentümer mit einer wirksamen Hypothek 16 . Neben das Eigentum entziehenden oder belastenden Verfügungen seitens nichtberechtigter Dritter haben in der Rechtsprechung des Reichsgerichts auch schuldnerfremde Sachen betreffende Maßnahmen der Zwangsvollstreckung unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsverletzung durch rechtliche Einwirkung Bedeutung erlangt 17. Insoweit hat das Reichsgericht nicht nur im Falle der Versteigerung einer schuldnerfremden Sache wegen der damit verbundenen Entziehung des Eigentums Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 gegen den die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger für möglich erachtet 18. Das Gericht hat vielmehr unabhän§ 823 Abs. 1, der von einem Vorbehaltskäufer außerhalb des ordnungsmäßigen Geschäftsbetriebes Waren kaufte, obwohl er die Überschreitung der Veräußerungsermächtigung kannte oder kennen mußte). 12 RG Gruchot 68, 521 ff. (522 f.). 13 RG Gruchot 65, 605 ff. (606). 14 RGZ 77, 201 ff. (205). 15 RG Recht 1909, Nr. 3065. 16 RGZ 85, 61 ff. (63). Im konkreten Fall wurde allerdings eine Haftung der Hypothekengläubiger aus § 823 Abs. 1 in Hinblick auf den gutgläubigen Erwerb gemäß § 892 abgelehnt, siehe dazu schon oben Fn. 11. Zur Eigentumsverletzung durch Belastung mit dem Recht eines Dritten siehe auch OLG München in JW 1932, 957 f. (957): „Eigentumsverletzung ist auch die Verfügung über das Eigentumsrecht, insb. die wirksame Belastung eines Grundstücks durch die Verfügung eines Nichtberechtigten oder nur Scheinberechtigten unter der Einwirkung des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs." π Siehe ζ. B. RGZ 61, 430ff.; RG JW 1911, 368; JW 1911, 978f.; RGZ 79, 241 ff. (243 f.); RG Warn.Rspr. 1915, Nr. 6; RG LZ 1926, 1013; RGZ 156, 395 ff.
is RGZ 156, 395 ff. (400). Mit Versteigerung und Ablieferung der schuldnerfremden Sache - an welcher durch die Pfändung ein Pfändungspfandrecht nicht entstehen konnte (siehe RGZ 60, 70ff. (72); 79, 241 ff. (243); 104, 300ff. (301); 126, 21 ff. (26); 156, 395 ff. (397)) erwarb nach Auffassung des Reichsgerichts der Ersteher Eigentum an der Sache, und zwar unabhängig von dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 1244, d. h., ob der Ersteher in
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
gig davon, ob es letztlich zu einer Entziehung des Eigentumsrechts durch Versteigerung und Ablieferung der schuldnerfremden Sache gekommen ist, eine Eigentumsverletzung bereits in der Pfändung als solchen gesehen. Der Eingriff in das Eigentumsrecht wurde in den einschlägigen Entscheidungen nicht weiter begründet, sondern - sofern feststand, daß es sich um schuldnerfremde Sachen handelte selbstverständlich bejaht 19 . Hiervon konnte das Reichsgericht 20 deshalb ausgehen, Ansehung des (nicht bestehenden) Pfändungspfandrechts gutgläubig war (so RGZ 156, 395 ff. (397), in ausdrücklicher Abkehr von seiner vorherigen Rechtsprechung, wonach § 1244 auch im Rahmen der Zwangsversteigerung Anwendung finden sollte, siehe nur RGZ 104, 300 ff. (301 f.) und 126, 21 ff. (26)). Das Reichsgericht begründete seine Ansicht - übrigens nicht anders als die heute herrschende, sogenannte gemischt privatrechtlich-öffentlichrecht- liehe Pfändungspfandrechtstheorie (siehe dazu Brox/Walker, ZVR, 4. Aufl., 234 ff., Rz. 382 ff. und insb. Rz. 387) - damit, daß im Rahmen der Zwangsvollstreckung nicht das Pfandrecht, sondern die Pfändung respektive die Verstrickung Grundlage der Verwertung sei und der Gerichtsvollzieher mit der Versteigerung und der Ablieferung der versteigerten Sache an den Ersteher einen staatlichen Hoheitsakt vornehme (der öffentlich-rechtliche Charakter der Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher ist vom Reichsgericht seit dem Beschluß der Vereinigten Zivilsenate vom 2. 6. 1913, RGZ 82, 85 ff. (86) anerkannt gewesen), der zwar in privatrechtliche Verhältnisse eingreife, jedoch selbst nicht auf dem Gebiete des Privatrechts liege (RGZ 156, 395 ff. (398 f.)). Für den Eigentumserwerb des Erstehers auch an schuldnerfremden Sachen kam es nach Auffassung des Reichsgerichts mithin allein auf die Einhaltung der in der ZPO getroffenen Bestimmungen über die Verwertung gepfändeter Sachen an. Zur Zulässigkeit und Wirksamkeit des Zwangsvollstreckungsverfahrens auch bei der Pfändung von in Dritteigentum stehenden Sachen, welcher der Dritte während des Verfahrens nur mit der Klage aus § 771 ZPO begegnen kann, siehe schon RGZ 79, 241 ff. (243 f.) mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß gerade darauf spätere Bereicherungs- oder Schadensersatzklagen des Dritteigentümers beruhen (a. a. O., 244). 19 Siehe beispielsweise RGZ 61, 430ff. (432ff.); RG JW 1911, 368; JW 1911, 978 f.; RG LZ 1926, 1013. Die genannten Entscheidungen befaßten sich denn auch nicht weiter mit der Frage des Vorliegens einer Eigentumsverletzung. Im Mittelpunkt stand vielmehr jeweils die Frage, unter welchen Voraussetzungen den die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger ein Verschulden trifft. Insoweit ging das Reichsgericht davon aus, daß ein Verschulden nur angenommen werden könne, wenn der Gläubiger das Eigentum des Dritten gekannt haben sollte oder doch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen müssen (RG JW 1911, 368). Ein Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt lag nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht schon dann vor, wenn der Gläubiger eine gewisse Zeit in Anspruch nahm, die Behauptungen des Dritten hinsichtlich seines Eigentums an den gepfändeten Sachen zu überprüfen (RGZ 61, 430 ff. (432) für den Fall der Behauptung einer fiduziarischen Eigentumsübertragung zwischen dem Schuldner und einem Dritten; siehe auch RG LZ 1926, 1013). Die Aufstellung einer allgemeinen Regel des Inhalts, wie der intervenierende Dritte dem Gläubiger die Überzeugung von dem Bestehen seines Eigentums zu verschaffen hatte und wann die Weigerung des Gläubigers, den Widerspruch des Dritten gegen die Zwangsvollstreckung als berechtigt anzuerkennen, in ein Verschulden überging, hat das Reichsgericht nicht für möglich erachtet (siehe RG JW 1911, 978 f. (978)). In der Pfändung sowie ihrer Aufrechterhaltung als solche sah das Gericht kein Verschulden (RG JW 1911, 368), jedoch hat es bei Vorliegen von Anhaltspunkten für Dritteigentum im Rahmen des Verschuldens dem Umstand Bedeutung beigemessen, ob der Pfändungsgläubiger Nachforschungen zur Klärung der Eigentumslage angestellt hat (siehe ζ. B. RG JW 1911, 368). 20 Nach dessen Auffassung im Falle der Pfändung schuldnerfremder Sachen kein Pfändungspfandrecht entstand, siehe die Nachw. oben Fn. 18.
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
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weil es die nach den Vorschriften der ZPO ordnungsgemäß durchgeführte Pfändung auch in Hinblick auf schuldnerfremde Sachen für zulässig und wirksam erachtete21. Die Pfändung führte auch insoweit zur Verstrickung, d. h. - wie das Gericht formulierte - zur Unterwerfung der Sache unter die Verfügung des Staates, indem „ . . . der Besitzwille der öffentlichen Gewalt ... an die Stelle privaten Besitzstandes und privater Verfügungsgewalt..tritt 2 2 . Das Reichsgericht ging demnach von einem Eingriff in das Eigentumsrecht des Dritteigentümers und damit einer Eigentumsverletzung in Hinblick auf die aus der Verstrickung resultierende Verfügungsbeschränkung aus.
b) Eigentumsverletzung
durch Einwirkung
auf die Sache
(1) Erfordernis einer unmittelbaren Einwirkung auf die Sache (materieller Verletzungsbegriff) Das Reichsgericht hat - soweit ersichtlich - den Begriff der Eigentumsverletzung durch Einwirkung auf die Sache als Gegenstand des Eigentums allein in einer Entscheidung vom 30. 1. 1934, die ohne SachVerhaltsmitteilung nur in wenigen, aus sich heraus nicht voll verständlichen 23 Kernsätzen veröffentlicht worden ist 2 4 , allgemein beschrieben. Danach setzt die gemäß § 823 Abs. 1 zum Schadensersatz verpflichtende schuldhafte Verletzung des Eigentums eine „unmittelbare Einwir21 Siehe RGZ 79, 241 ff. (243 f.); ebenso RGZ 156, 395 ff. (399). 22 So in RGSt 65, 248 ff. (248 f.) zu § 137 StGB a.F. (heute § 136 StGB, Verstrickungsbruch). 23 Siehe noch im folgenden Fn. 31. 24 RG HRR 1934, Nr. 803. Das Urteil - III. 198/33 - ist dem Verf. 1989 von dem Zentralen Staatsarchiv Potsdam (heute Bundesarchiv Koblenz, Abteilungen Potsdam) unter der Bestandssignatur 30.02. Reichsgericht Nr. 8783 in einer Ablichtung zugesandt worden. Trotz der Beschränkung der Veröffentlichung in HRR 1934, Nr. 803 auf nur wenige, ohne Sachverhaltskenntnis in ihrer Aussage nicht ohne weiteres verständliche Kernsätze (siehe noch Fn. 31) hat die der Entscheidung nachfolgende einschlägige (Kommentar-)Literatur ohne jede nähere Erläuterung regelmäßig auf RG HRR 1934, Nr. 803 als zentrale Entscheidung des Reichsgerichts zum Begriff der Eigentumsverletzung verwiesen, siehe beispielsweise Soergel, 8. Aufl., § 823, Anm. A I . 5.; Palandt-Gramm, 14. Aufl., § 823, Anm. 5; Achilles-Greiff, 21. Aufl., § 823, Anm. 1 b); Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldv., 15. Aufl., 938f.; RGRK-Haager, 11. Aufl., § 823, Anm. 15; Erman-Drees, 3. Aufl., § 823, Anm. 6 a). Zum Teil wird die genannte Entscheidung des Reichsgerichts auch heute noch zur Erläuterung des Begriffs der Eigentumsverletzung angeführt, so beispielsweise von Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A 4. a), der dieses Urteil zusammen mit der Fleetfall-Entscheidung des BGH (BGHZ 55, 153 ff., siehe schon oben im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 1., siehe auch noch im folgenden unter II. 2. b) (1) und 3. a)) nennt. Der damit hervorgerufene Eindruck einer inhaltlichen Übereinstimmung beider Entscheidungen in Hinblick auf den Begriff der Eigentumsverletzung ist deshalb irreführend, weil diese beiden Urteile ein unterschiedliches Verständnis des Reichsgerichts und des BGH hinsichtlich des Begriffs der Eigentumsverletzung beinhalten (zum Verständnis des Reichsgerichts siehe im folgenden, zur Rspr. des BGH unter II.).
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
kung auf die Sache" voraus, die Gegenstand des Eigentums ist 2 5 . Das Erfordernis der „unmittelbaren Einwirkung auf die Sache"26 wurde vom Reichsgericht in dieser Entscheidung dadurch näher erläutert, daß es nach Ablehnung einer Eigentumsverletzung und damit eines Schadensersatzanspruchs aus § 823 Abs. 1 in Hinblick auf einen von der Revision darüberhinaus geltend gemachten Schadensersatzanspruch aus §§ 823 Abs. 2 i.V.m. 1004 als Schutzgesetz27 ausführte, „auch damit" 28 würden nur solche Beeinträchtigungen des Eigentums getroffen, „welche die im Eigentum stehende Sache selbst antasten und in Handlungen oder Vorkehrungen bestehen, die nicht bloß gegen das Eigentumsrecht an der Sache, sondern unmittelbar gegen die Sache selbst gerichtet sind" 29 . Aus dem positiv formulierten Teil dieser Beschreibung wird deutlich, daß das Reichsgericht die Voraussetzung einer unmittelbaren Einwirkung auf die Sache und damit eine Eigentumsverletzung nur als gegeben ansah, wenn auf irgendeine Art und Weise körperlich auf die Sache als Gegenstand des Eigentumsrechts eingewirkt worden war 30 . Folgerichtig hat das Gericht in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall - der Kläger machte gegen den beklagten Konkursverwalter einen Anspruch auf Schadensersatz geltend, weil dieser in einem Vorprozeß zu Unrecht das Eigentum des Klägers an von dem Gemeinschuldner erworbenen Gegenständen bestritten hatte, was nach Angaben des Klägers dazu geführt hatte, daß er die Gegenstände nur zu einem niedrigeren Preis hatte weiterverkaufen können, als
25 RG HRR 1934, Nr. 803. 26 Der Begriff der Unmittelbarkeit hat in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum Deliktsrecht unter verschiedenen Gesichtspunkten eine Rolle gespielt. Während er im vorliegenden Zusammenhang dazu verwendet wurde, die Voraussetzungen einer tatbestandlich relevanten Rechtsverletzung näher zu charakterisieren (zum Kriterium der Unmittelbarkeit bezogen auf eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb siehe noch im folgenden Fn. 57), hat das Reichsgericht den Begriff der Unmittelbarkeit auch zum Zwecke der Abgrenzung von nach § 823 Abs. 1 ersatzberechtigten Geschädigten von nur mittelbar Geschädigten herangezogen. Nur der unmittelbar Geschädigte, d. h. derjenige, der selbst in einem Rechtsgut oder Recht i.S. des § 823 Abs. 1 verletzt worden ist, konnte nach Auffassung des Reichsgerichts einen Schadensersatzanspruch geltend machen, nicht aber der nur mittelbar Geschädigte, der durch eine unerlaubte Handlung einen Vermögensschaden erlitten hat, ohne Träger des verletzten Rechtsguts oder Rechts zu sein (Ausnahme: §§ 844, 845), siehe RG JW 1912, 637f.; JW 1913, 862f.; JW 1931, 1468f.; JW 1932, 3708f.; RGZ 55, 24 ff. (29 f.); 64, 344 ff. (345); 80, 48 ff. (50); 92, 401 ff. (404); 97, 87 ff. (89). Zur Rechtsprechung des Reichsgerichts insoweit siehe Nebel, JW 1935, 2036 f. Darüber hinaus hat das Reichsgericht bei der Feststellung des Ursachenzusammenhangs zwischen unmittelbarer und mittelbarer Verursachung unterschieden und auch letztere im Falle der Bejahung adäquater Kausalität für ausreichend erachtet (siehe RGZ 57, 353 ff. (355); RG JW 1932, 3708 f.). 27 Das Reichsgericht hat § 1004 als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 angesehen, siehe RGZ 121, 185 ff. (189) und RG HRR 1934, Nr. 803. Zur Auffassung des BGH in soweit siehe unter II. 1., Fn. 84. 28 D.h. im Kontext: nicht anders als bei § 823 Abs. 1. 29 RG HRR 1934, Nr. 803. 30 .. Sache selbst antasten ...", siehe RG HRR 1934, Nr. 803.
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
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es ohne das Verhalten des Beklagten möglich gewesen wäre - mangels Vorliegens einer körperlichen Einwirkung auf die Sache eine Eigentumsverletzung abgelehnt. Die „bloß gegen das Eigentumsrecht an der Sache" gerichtete Handlung des Beklagten - das Bestreiten des klägerischen Eigentums - stellte eine unmittelbare Einwirkung auf die Sache nicht dar 31 . Die Auffassung des Reichsgerichts, wonach unbeschadet von Einwirkungen auf das Eigentumsrecht als solches nur unmittelbare im Sinne von körperlichen Einwirkungen auf die Sache als deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzungen angesehen wurden - insoweit läßt sich von einem materiellen Verletzungsbegriff des Reichsgerichts sprechen - ist des weiteren in einer dem Urteil RG HRR 1934, Nr. 803 nachfolgenden Entscheidung vom 5. 4. 1935 deutlich zum Ausdruck gelangt 32 . Diese hatte die Klage eines Deichverbandes gegen das Deutsche Reich auf Ersatz von Kosten zum Gegenstand. Die geltend gemachten Kosten waren dem Deichverband dadurch entstanden, daß er zur Sicherung der Standfestigkeit eines in seinem Eigentum stehenden Deiches im Vorgelände desselben gelegene Ufergrundstücke der Beklagten gegen Abspülungen durch den Stromlauf gesichert hatte, obwohl diese Stromunterhaltungsarbeiten zum Schutze der Ufergrundstücke gesetzlich der Beklagten oblegen hätten. Das Reichsgericht hat die Berechtigung des Verlangens nach Kostenersatz u.a. unter dem Gesichtspunkt eines Schadensersatzanspruchs aus § 823 Abs. 1 geprüft, einen solchen jedoch in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht mangels Vorliegens einer Eigentumsverletzung abgelehnt. Zur Begründung führte das Reichsgericht aus, die Arbeiten seien auf dem Vorgelände des Deichgrundstücks durchgefühlt worden, ein Eingriff in dieses habe jedoch nicht stattgefunden. Vielmehr sei „dies Grundstück in seiner eigenen körperlichen Beschaffenheit völlig unberührt geblieben"33. Eine möglicherweise bereits eingetretene Gefährdung des Deiches und dadurch hervorgerufene Beein31
Erst mit Kenntnis des in RG HHR 1934, Nr. 803 nicht wiedergegebenen Sachverhalts wird die negative Erläuterung der Voraussetzung einer unmittelbaren Einwirkung auf die Sache, wonach Handlungen bzw. Vorkehrungen nicht bloß gegen das Eigentumsrecht an der Sache gerichtet sein dürfen, verständlich: Das Gericht wollte damit nicht die Möglichkeit von Eigentumsverletzungen durch Einwirkung auf das Eigentumsrecht ausschließen. Insoweit hätte es auch in Widerspruch zu seiner sonstigen Rechtsprechung gestanden, und zwar sowohl unter dem Aspekt, daß es nach § 823 Abs. 1 das Eigentum als Recht als geschützt ansah (siehe oben unter 1.), mithin jede als Eigentumsverletzung einzuordnende Handlung gegen das Eigentumsrecht gerichtet ist, als auch in Hinblick auf die Bejahung von Eigentumsverletzungen durch rechtliche Einwirkung auf das Recht als solches (siehe oben unter a)). Vielmehr stellte das Reichsgericht in Hinblick auf den seiner Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt mit dieser Formulierung lediglich klar, daß seiner Auffassung nach Handlungen wie die des beklagten Konkursverwalters - Bestreiten der Eigentumsposition eines anderen - , die weder auf die Sache körperlich einwirken noch das Eigentumsrecht als solches entziehen oder auf sonstige Weise beeinträchtigen, sondern „bloß" gegen das Eigentumsrecht gerichtet sind, keinen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 wegen einer Verletzung des Eigentums begründen können. 32 RG HRR 1935, Nr. 1068. 33 RG HRR 1935, Nr. 1068.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
trächtigung seines Wertes hat das Reichsgericht ausdrücklich nicht als ausreichend für die Bejahung einer Eigentumsverletzung angesehen34. Mit dem Abstellen auf die Unversehrtheit des Deiches hinsichtlich seiner körperlichen Beschaffenheit sowie dem Hinweis auf einen deliktsrechtlich unter Anbindung an das Eigentum nicht gewährleisteten Schutz gegen Beeinträchtigungen durch Gefährdung einer Sache oder deren Wertminderung machte das Gericht sehr deutlich, daß seiner Auffassung nach auf der Grundlage des materiellen Verletzungsbegriffs eine Eigentumsverletzung nur im Falle körperlicher Einwirkung auf die Sache in Betracht kommen konnte. Das Reichsgericht hat sein Verständnis des Begriffs der Eigentumsverletzung durch Einwirkung auf eine Sache im Sinne des vorstehend dargelegten materiellen Verletzungsbegriffs - das gerade auch in der noch aufzuzeigenden Ablehnung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen zum Ausdruck gelangt35 - nicht weiter begründet. Der „Schlüssel" für diese selbstverständliche „Substanzorientierung" des nach § 823 Abs. 1 maßgebenden Begriffs der Eigentumsverletzung liegt in der Anknüpfung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung an die gemeinrechtliche Deliktshaftung. Hiernach kam eine allgemeine außervertragliche Verschuldenshaftung auf Schadensersatz im Vermögensbereich neben unerlaubten Handlungen wie beispielsweise die arglistige Vermögensschädigung nur nach den Grundsätzen der im römischen Recht die Haftung für Sachbeschädigungen regelnden lex Aquilia 36 und ihren Ausdehnungen in Betracht, womit allerdings abgesehen von der unerlaubten Handlung durch Entwendung einer Sache37 das Vorliegen einer Vermögensschädigung durch Beeinträchtigung der Sachsubstanz - damnum corpori datum - vorausgesetzt wurde 38 . Dementsprechend hat das Reichsgericht vor dem Inkrafttreten des BGB in seiner ge34 RG HRR 1935, Nr. 1068. 35 Siehe nachfolgend unter (2). 36 Die lex Aquilia war in drei Kapitel unterteilt, von denen das erste und dritte Kapitel Sachbeschädigungen betrafen, und zwar das erste die widerrechtliche Tötung von Sklaven und „vierfüßigen Herdentieren", das dritte jede andere widerrechtliche Sachbeschädigung durch „Brennen, Brechen, Verderben" (urere, frangere, rumpere), siehe näher v. Lübtow, Untersuchungen zur lex Aquilia de damno injuria dato, 1971, 19ff.; Käser, Das Römische Privatrecht, Erster Abschnitt, 2. Aufl., 161 f. und 619ff.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 4. Aufl., 364 ff.; Fraenkel, Tatbestand, 1979, 72 ff.; Honsell, Römisches Recht, 3. Aufl., 146 ff. 37 Auch im Rahmen des § 823 Abs. 1 hat das Reichsgericht die ohne Eingriff in die Sachsubstanz erfolgende Entziehung der tatsächlichen Sachherrschaft als Eigentumsverletzung eingeordnet, siehe etwa RGZ 57, 138ff.; RG LZ 1918, 258ff.; RG HRR 1935, Nr. 1587. Zum Gemeinen Recht siehe RGZ 22, 208 ff. 38 Zur Haftung nach Gemeinem Recht auf der Grundlage der lex Aquilia siehe Arndts, Pandekten, 10. Aufl., 564; Windscheid, Pandektenrecht II, 7. Aufl., 640ff.; Dernburg, Pandekten II, 4. Aufl., 353ff.; v. Buchka, Bürgerliches Gesetzbuch und Gemeines Recht, 2. Aufl., 166 f. Die Anwendung der lex Aquilia als Haftungsgrundlage in der obergerichtlichen Praxis des 19. Jahrhunderts beschreibt Seiler, FS H. Lange, 1992, 245 ff. Ursprünglich setzte die Haftung nach aquilischem Recht ein damnum corpore corpori datum voraus, d. h., die
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meinrechtlichen Rechtsprechung eine außervertragliche Haftung für nicht durch Arglist oder durch Sachentwendung herbeigeführte Vermögensschäden abgelehnt, wenn es an einer Beschädigung der Sachsubstanz fehlte 3 9 . A u f der Grundlage des danach letztlich „aquilischem Schadensersatzdenken" entsprechenden materiellen Verletzungsbegriffs 40 ordnete das Reichsgericht i m Rahmen von § 823 Abs. 1 Eingriffe in die Sachsubstanz, also Beschädigungen einer Sache bis hin zu deren Vernichtung als Eigentumsverletzungen durch Einwirkung auf die Sache e i n 4 1 . Die Herstellung einer bereits i m Zeitpunkt des Eigentumsübergangs mangelhaften Sache stellte nach Auffassung des Reichsgerichts keine Eigentumsverletzung dar, da nie Eigentum an einer mangelfreien Sache bestanden habe 4 2 . Zu den deliktsrechtlich relevanten Eigentumsverletzungen durch Einwirkung auf die Sache rechnete das Reichsgericht auch Beeinträchtigungen des Grundstückseigentums durch die sogenannten imponderablen Immissionen 4 3 . Darunter verstand das Reichsgericht unter Bezug auf die in § 906 Abs. 1 genannten S c h -
eine Haftung auslösende Vermögensschädigung mußte durch eine unmittelbare körperliche Einwirkung auf einen körperlichen Gegenstand herbeigeführt worden sein, siehe Käser, Das Römische Privatrecht, 1. Abschn., 2. Aufl., 620 i.V.m. Fn. 15; Fraenkel, Tatbestand, 1979, 72ff.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 4. Aufl., 366; Hausmaninger, Das Schadensersatzrecht der lex Aquilia, 3. Aufl., 12 ff. Zur Entwicklung und Ausdehnung der aquilischen Haftung durch sog. actiones utiles und actiones in factum für mittelbar und durch Unterlassen herbeigeführte Substanzeingriffe sowie für Fälle bloßer Sachentziehung siehe näher Schulz-Schaeffer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung, Erster Band, 1915, 7ff.; v. Lübtow, Untersuchungen zur lex Aquilia de damno iniuria dato, 1971, 135ff. und 180ff.; Fraenkel, Tatbestand, 1979, 73ff.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 4. Aufl., 366 ff. 39 Siehe RGZ 9, 158 ff. (163); 22, 133 ff. (138 f.). In Hinblick auf das in dieser Reichsgerichts-Rechtsprechung zum Ausdruck gelangende Festhalten an den Grundsätzen der aquilischen Haftung bezeichnet Seiler, FS H. Lange, 1992, 245 ff. (258) das Reichsgericht als „Hüter der reinen Lehre". 40
Siehe dazu, inwieweit die Haftungsregelung des § 823 Abs. 1 durch die Grundsätze der lex Aquilia beeinflußt worden ist, Löwisch, Der Deliktsschutz relativer Rechte, 1970, 95 ff. 41 Siehe nur RG JW 1908, 543 f.; JW 1909, 275; RGZ 159, 68 ff. (71). 42 So RG JW 1905, 367 f. (Errichtung eines nicht benutzbaren Gebäudes infolge Verwendung mangelhaften Kalks). 43 Der Begriff der „Immission von Imponderabilien" findet sich in den Motiven als vorgeschlagene Kurzbezeichnung für Wirkungen, die mittels des „Luftmeeres" oder durch sonstige physikalische Vorgänge übertragen werden, siehe Motive III, 264. Zur Einordnung als Eigentumsverletzung siehe nur RG JW 1915, 600ff. (601); RGZ 97, 25ff. (26f.); RG JW 1931, 1189 ff. (1190f.); RG HRR, Nr. 528; RGZ 141,406ff. (407). Für die Frage der Rechtswidrigkeit im Rahmen von § 823 Abs. 1 stellte das Reichsgericht darauf ab, ob die hervorgerufenen Beeinträchtigungen nach den in § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 enthaltenen Duldungsgrenzen hinzunehmen waren, siehe RGZ 60, 138ff. (140); RG JW 1915, 600ff.; RG JW 1931, 1189 (1190f.); RG HRR 1933, Nr. 528; RGZ 141, 406ff. (407f.); RGZ 159, 68ff. (74ff.). In der zuletzt genannten Entscheidung wendete das Reichsgericht den Duldungsmaßstab des § 906 trotz dessen Immobiliarbezogenheit im Verhältnis zu einem Schadensersatz wegen Eigen-
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
tunggebenden Beispiele" 4 4 solche Einwirkungen, die sinnlich wahrnehmbar in ein fremdes Grundstück hinüberwirken i m Sinne eines positiven Hinübergreifens 45 , d. h., i m Wege eines körperlichen Hinüberwirkens in den körperlichen Bestand des Grundstücks eingreifen 4 6 bzw. - wie das Gericht auch formulierte - „die entweder auf das Grundstück und die dort befindlichen Sachen schädigend einwirken oder die auf dem Grundstück sich aufhaltenden Personen derart belästigen können, daß ihr gesundheitliches Wohlbefinden gestört oder ein körperliches Unbehagen bei ihnen hervorgerufen w i r d " 4 7 . Das Reichsgericht ging also für den Bereich des (Grundstücks-)Eigentumsschutzes gegen Beeinträchtigungen durch imponderable Immissionen angesichts des Erfordernisses eines körperlich wirkenden Eingriffs von einem dem zu § 823 Abs. 1 vertretenen materiellen Verletzungsbegriff entsprechenden materiellen Einwirkungsbegriff aus 4 8 .
tumsverletzung begehrenden Eigentümer beweglicher Sachen (arsenvergiftete Bienen) an. Zur Rechtsprechung des BGH insoweit siehe unter II. 2. b) (2) und die Nachw. in Fn. 126. 44 So in RGZ 141,406 ff. (409). Siehe auch RGZ 160, 381 ff. (383). Das Reichsgericht hat also die Regelung des § 906 im Verhältnis zu § 903 Satz 1 systematisch nicht nur als Einschränkung begriffen (RGZ 50, 225 ff. (228); RG JW 1910, 941 f. (941); RGZ 76, 130 ff. (132); 98, 15 ff. (16); 141, 406 ff. (408); 160, 381 ff. (382)), sondern - obwohl es § 903 in Zusammenhang mit der Bestimmung des Begriffs der zur Ausschließung berechtigenden Einwirkung als Ausgangspunkt ansah (RG JW 1910, 941 f. (941); RGZ 98, 15 ff. (16f.); 132, 51 ff. (56); 141, 406 ff. (408)) - darüber hinaus als „Maßstabsnorm" herangezogen, so besonders deutlich in RGZ 76, 130 ff. (132). Im übrigen kommt dies in vielen Entscheidungen des Reichsgerichts darin zum Ausdruck, daß das Gericht unter Bezug auf § 906 Abs. 1 den Begriff der grundsätzlich abwehrfähigen imponderablen Einwirkung beschreibt (siehe ζ. B. RGZ 50, 225 ff. (228); 57, 239 ff. (240); RG JW 1908, 142; JW 1909, 161 f. (161); JW 1913, 267 f. (267); RGZ 98, 15 ff. (16 f.)). 45
Siehe mit im einzelnen unterschiedlichen Formulierungen RGZ 50, 225 ff. (228); RGZ 51, 251 ff. (253 f.), hier zu dem nach Auffassung des Reichsgerichts (JW 1913, 267 f. (267) und RGZ 155, 154ff. (158)) mit § 906 identischen Einwirkungsbegriff des § 907; RG JW 1908, 142; RG Recht 1908, Nr. 531; RG JW 1909, 161 f. (161); RG Recht 1915, Nr. 1084; RGZ 98, 15 ff. (17); RG HRR 1931, Nr. 939; RG Warn.Rspr 1935, 273 ff. (276). 46 So das Reichsgericht ausdrücklich in RGZ 51, 251 ff. (255) zu § 907. 47 Siehe RGZ 76, 130 ff. (131 f.), hier in Zusammenhang mit der (vom Reichsgericht verneinten) Frage einer Abwehrfähigkeit sog. immaterieller Immissionen. Hierunter verstand das Reichsgericht Einwirkungen, die das seelische, sittliche oder auch ästhetische Empfinden des Grundstückseigentümers oder anderer sich auf dem Grundstück aufhaltender Personen betreffen, siehe nur RGZ 50, 225 ff.; 57, 239 ff.; 76, 130ff. und RG HRR 1931, Nr. 939. 48 In der Lit. werden unter Bezug auf die Rspr. des Reichsgerichts (und des BGH, siehe noch unter II. 2. b) (2)) teilweise ähnliche Begriffsbildungen verwendet: So spricht AKBGB-Kohl, § 1004, Rz. 48 von „materiellen Immissionen"; ebenso Loewenheim, NJW 1975, 826f.; siehe auch MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 906, Rz. 70, Fn. 114: „Die Immission muß als solche materiellen ... Charakter haben ..."; Kleinlein, Das System des Nachbarrechts, 1987, 26: „materielle, grenzüberschreitende Einwirkungen". Zu der mit dem materiellen Einwirkungsbegriff verbundenen Ablehnung eines Schutzes des Grundstückseigentums bzw. der Nutzung gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen in Gestalt von Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen siehe noch folgend unter (2).
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
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(2) Ablehnung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen Auf der Grundlage des materiellen Verletzungsbegriffs 49 hat das Reichsgericht reine Nutzungsbeeinträchtigungen50 nicht als Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 eingeordnet und mithin jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes keine deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüche gewährt 51. Besondere Bedeutung kommt insoweit einer Entscheidung des Reichsgerichts vom 19. 6. 1924 zu 5 2 . Das Reichsgericht hatte sich hier - darauf wurde schon hingewiesen53 mit einer Schadensersatzklage mehrerer Eigentümer von Kähnen zu befassen. Die Kähne waren durch einen Dammbruch des Kanals Minden-Hannover am 10. 11. 1918 von diesem Zeitpunkt an bis zum 11.3. 1919 in dem dadurch zwischen der Bruchstelle und der Stadt H. entstandenen Kanalsack eingeschlossen worden. Mit ihrer Klage machten die Eigentümer den durch die mehrmonatige Einsperrung der Schiffe entgangenen Gewinn geltend54. Das Reichsgericht hat ohne weitere Begründung das Vorliegen einer Eigentumsverletzung abgelehnt und insoweit nur ausgeführt: „Durch das Stillegen der Kähne wird anders als in dem JW 1909, 493 entschiedenen Fall ein subjektives Recht an diesen, etwa das Eigentum, nicht verletzt." 55 Mit der Bezugnahme auf die Entscheidung RG JW 1909, 493 f. durch die „anders als"-Formulierung machte das Reichsgericht - wenn auch auf etwas kompliziertem Wege 56 - deutlich, aus welchem Grunde es eine Eigentumsverletzung in Hinblick auf die eingeschlossenen Kähne verneinte. In dieser Entscheidung ging es um Schadensersatzansprüche wegen der Brunnenverunreinigung eines Wasserwerks durch Ammoniakverseuchung des Grundwassers, die von einer in der Nähe gelegenen Fabrik zur Gewinnung von Ammoniak verursacht worden war. Nachdem das Reichsgericht zunächst eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb mft der Begründung abgelehnt hatte, eine solche läge nur bei Störungen und Eingriffen vor, „die sich unmittelbar gegen den Gewerbebetrieb, also gegen die Betätigung des Erwerbswillens im Rahmen des eingerichteten Gewerbebetriebes, rich49
Siehe oben unter (1). Zum Begriff siehe im Ersten Teil, 1. Kap. unter I. 51 Solche Ansprüche konnten jedoch nach Auffassung des Reichsgerichts unter Umständen wegen einer Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht kommen, siehe noch folgend in Fn. 62. 52 RG Gruchot 68, 75 ff. Dieses Urteil ist vom BGH in der Fleetfall-Entscheidung (BGHZ 55, 153 ff.) als Beleg für ein seiner Auffassung nach zu enges Verständnis des Reichsgerichts hinsichtlich des Begriffs der Eigentumsverletzung in Bezug genommen worden, siehe BGHZ 55, 153 ff. (159), dazu noch näher unter Π. 2. b) (1). 53 Siehe im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 1. 50
54 Siehe RG Gruchot 68, 75 ff. (77). 55 RG Gruchot 68, 75 ff. (79). 56 Siehe noch folgend Fn. 62.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
t e n " 5 7 , führte es sodann aus, daß Eingriffe in die materiellen, insbesondere körperlichen Grundlagen eines Gewerbebetriebs nur dann als unerlaubte Handlungen in Betracht kommen könnten, „wenn durch sie ein an diesen materiellen Grundlagen selbst bestehendes subjektives Recht widerrechtlich verletzt i s t " 5 8 . Obwohl das Gericht nun feststellte, daß mit der Verunreinigung des Brunnens in eine materielle Grundlage des Gewerbebetriebs eingegriffen worden war, ließ es in dieser Entscheidung offen, ob dadurch ein der Klägerin zustehendes subjektives Recht widerrechtlich verletzt wurde 5 9 . Erst mit der „anders-als"-Formulierung in R G Gruchot 68, 75 ff. (79) hat das Reichsgericht die Verunreinigung des Brunnens in dem der Entscheidung RG JW 1909, 463 f. zugrundeliegenden Fall ausdrücklich als Eigentumsverletzung eingeordnet 60 . Gleichzeitig machte es durch die Gegenüberstellung der jeweiligen Eingriffe - dort die substantielle Beeinträchtigung des Brunnens durch die Verunreinigung mit Ammoniak, hier, wie sich das Gericht ausdrückte, „das Stillegen der K ä h n e " 6 1 - deutlich, daß die Bejahung einer Eigentumsverletzung seiner Auffassung nach auf der Grundlage des materiellen Verletzungsbegriffs eine unmittelbare, sprich körperliche Einwirkung auf die Sache als Gegenstand des Eigentumsrechts erforderte 62 .
57 RG JW 1909, 493 f. (494). Auch hier verwendete das Reichsgericht den Begriff der Unmittelbarkeit als Voraussetzung für eine tatbestandliche Rechtsverletzung, ohne damit allerdings, wie bei der Eigentumsverletzung (siehe oben Fn. 26), eine Eingrenzung auf körperliche Einwirkungen vornehmen zu wollen (siehe die Erläuterung in JW 1909,493 f. (494): „ . . . Eingriffe ..., die sich ... gegen die Betätigung des Erwerbswillens im Rahmen des eingerichteten Gewerbebetriebes richten ..."). Hinsichtlich dieses Unmittelbarkeitserfordernisses spricht Buchner, Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, 1971, 75 ff. (82) davon, daß es sich um einen in der Reichsgerichts-(und im übrigen auch der BGH-)Rechtsprechung ohne feste Kriterien verwendeten Begriff handelt, der den Gerichten allein dazu diente, in Fällen, in denen sie nicht zu einer Schadensersatzpflicht kommen wollten, Ansprüche zu verweigern. Anderer Ansicht Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 50 f., nach dessen Auffassung das Unmittelbarkeitskriterium die Funktion hatte, die deliktische Haftung für den Fall der Verletzung von Erwerbsaussichten eines Gewerbebetriebs auszuschließen. 58 RG JW 1909,493 f. (494). 59 RG JW 1909, 493 f. (494). Das Gericht bejahte statt dessen einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2. 60 Ansonsten ließe sich der Verweis auf RG JW 1909, 493 f. als Beispielsfall einer Eigentumsverletzung nicht erklären. Im übrigen hat das Reichsgericht in weiteren Entscheidungen Brunnen Verunreinigungen unproblematisch als Eigentumsverletzung angesehen, z. B. RG HRR 1933, Nr. 528. 61 RG Gruchot 68, 75 ff. (79). 62 Das Reichsgericht hat damit auf etwas kompliziertem Wege die Verneinung einer Eigentumsverletzung hinsichtlich der eingeschlossenen Kähne begründet. Der Grund für die zunächst verwirrende Bezugnahme in RG Gruchot 68, 75 ff. (79) auf RG JW 1909, 493 f., obwohl in dieser Entscheidung das Vorliegen einer Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 nicht abschließend festgestellt wurde, lag darin, daß beide Entscheidungen von dem Begriff der Eigentumsverletzung nur nebenher handelten. Verbindende Hauptproblematik dieser Entscheidungen war - und daraus erklärt sich dann auch die Bezugnahme in RG Gruchot 68, 75 ff. (79) gerade auf RG JW 1909, 493 f. - die Frage, unter welchen Voraussetzungen von
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Die Auffassung des Reichsgerichts, wonach reine Nutzungsbeeinträchtigungen wegen der fehlenden körperlichen Einwirkung auf die Sache nicht als Eigentumsverletzung anzusehen sind, hat in einer weiteren Entscheidung vom 24. 6. 1927 6 3 Bestätigung gefunden. In diesem Urteil befaßte sich das Reichsgericht u.a. mit dem Schadensersatzanspruch eines Unternehmens gegen ein Gasversorgungsunternehmen, der aus abgetretenem Recht i m Wege einer Widerklage mit der Behauptung geltend gemacht wurde, die Gaslieferungen hätten infolge von Ungleichmäßigkeiten des Gasdrucks zu Störungen i m Betrieb durch Behinderung der Arbeiten geführt 6 4 . Das Reichsgericht hat die Anwendbarkeit von § 823 Abs. 1 mit der für die hier in Frage stehende Problematik interessanten Begründung abgelehnt, die Beklagte (und Widerklägerin) stütze ihren Anspruch „nicht auf Beschädigungen einer widerrechtlichen Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Falle von Einwirkungen auf die materiellen Grundlagen bzw. Betriebsmittel gesprochen werden kann (die genannten Entscheidungen sind denn auch regelmäßig Gegenstand von Untersuchungen über die (reichsgerichtliche) Rechtsprechung zum deliktsrechtlichen Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs, siehe ζ. B. Buchner, Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, 1971, 145ff.; Preusche, Unternehmensschutz, 1974, 72ff.; Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 46 ff.). Das Reichsgericht ist in JW 1909, 493 f. davon ausgegangen, daß nur solche Störungen und Eingriffe als widerrechtliche Verletzungen des Gewerbebetriebs anzusehen sind, die sich unmittelbar gegen den Gewerbebetrieb, d. h. „gegen die Betätigung des Erwerbswillens im Rahmen des eingerichteten Gewerbebetriebs" richten (a. a. O., 494). Hierunter fielen nach Auffassung des Reichsgerichts nicht Eingriffe in die materiellen (sachlichen) Grundlagen des Gewerbebetriebs, mochte dieser dadurch auch mittelbar beeinträchtigt sein (RG JW 1909, 493 f. (494); ebenso RG DR 1940, 723 Nr. 3). Demgegenüber hat das Reichsgericht in RG Gruchot 68, 75 ff. ausgesprochen, daß Beeinträchtigungen eines Betriebsmittels - hier das Stillegen der Kähne - durchaus einen unmittelbaren Eingriff in den Gewerbebetrieb darstellen können, sofern dadurch der Bestand des ganzen Unternehmens in Frage gestellt wird (RG Gruchot 68, 75 ff. (79); nach Schwitanski, a. a. O., 47 f. ist diese Entscheidung als eine Ausnahmeentscheidung zur im übrigen seiner Auffassung nach kontinuierlichen „Bestandsschutzrechtsprechung" des Reichsgerichts einzuordnen; anderer Ansicht Preusche, a. a. O., 72 ff.). Zur Problematik des Eingriffs in den Gewerbebetrieb durch die Beeinträchtigung von Sachmitteln des Unternehmens siehe auch Buchner, a. a. O., 145 ff., der allerdings hinsichtlich der Entscheidung RG Gruchot 68, 75 ff. unzutreffend ausführt, das Reichsgericht habe hier einen Anspruch wegen Verletzung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs mangels Eingriffs in den Bestand des Unternehmens verneint (a. a. O., 146). Tatsächlich hat das Reichsgericht im Gegensatz zum Berufungsgericht gerade die Möglichkeit eines solchen Anspruchs für gegeben erachtet und aus diesem Grunde zwecks näherer Feststellung, ob die maßgebenden Voraussetzungen für einen solchen Eingriff vorlagen, zurückverwiesen (RG Gruchot 68, 75 ff. (79); aus der von Buchner herangezogenen verkürzten Veröffentlichung dieses Urteils in Recht 1924, Nr. 1678 ergibt sich nichts anderes). Im übrigen geht Buchner in diesem Zusammenhang nicht darauf ein, daß die Entscheidungen RG JW 1909, 493 f. und RG Gruchot 68, 75 ff. auf unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich des Vorliegens einer Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb beruhen, sofern eine Beeinträchtigung der materiellen Grundlagen bzw. Betriebsmittel in Frage steht (dies, obwohl beide Entscheidungen von Buchner zitiert werden, a. a. O., 145, Fn. 55 und 146, Fn. 57). 63 RGZ 117, 315 ff. 64 RGZ 117, 315 ff. (315 und 317). 5 Boecken
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
ihres Eigentums, etwa ihrer Rohstoffe, Fertigwaren oder Geräte, sondern auf die Störungen, die in ihrem Betriebe durch Behinderung der Arbeiten entstanden seien. Solche Beeinträchtigungen begründen aber keinen Ersatzanspruch aus § 823 BGB,.. ." 6 5 . Gerade mit der Gegenüberstellung von „Beschädigungen ihres Eigentums" einerseits und „Störungen ... durch Behinderung der Arbeiten" machte das Reichsgericht in dieser Entscheidung deutlich, daß letztere als reine Nutzungsstörungen mangels körperlicher Einwirkung auf eine Sache keine Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 darstellen. Schließlich gelangt die Ablehnung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen durch das Reichsgericht auch darin zum Ausdruck, daß dieses im Bereich imponderabler Immissionen auf der Grundlage des aus § 906 Abs. 1 entnommenen materiellen Einwirkungsbegriffs 66 Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung durch negative Einwirkungen - unter dem Begriff der negativen Einwirkung verstand das Gericht die völlige oder teilweise Entziehung insbesondere von natürlichen Grundstücksvorteilen wie Licht, Luft, Aussicht, Wasser und Wind 6 7 - nicht als Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 einordnete 68. Nach der Auffassung des Reichsgerichts fehlte es bei den negativen Einwirkungen an dem die Immissionen im Sinne des § 906 kennzeichnenden Merkmal der Zuführung, d. h. an einem positiven Eingriff in ein Grundstück bzw. auf diesem befindliche Sachen oder Personen durch körperliche, sinnlich wahrnehmbare Einwirkung 69 . Das restriktive reichsgerichtliche Verständnis des für den Bereich imponderabler Immissionen maßgebenden Einwirkungsbegriffs mit der Folge, daß gegen Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung durch negative Einwirkungen wie im übrigen auch durch immaterielle Immissionen70 weder ein negatorischer noch deliktsrechtlicher Eigentumsschutz in Betracht kam, war - abgesehen von der an den ,»richtunggebenden Beispielen"71 des § 906 Abs. 1 orientierten Begründung 72 - durch das Ziel bestimmt, die nach Auffassung des Reichsgerichts 65 RGZ 117, 315 ff. (317). 66 Siehe oben unter (1). 67 RGZ 51, 251 ff. (254); RG Recht 1908, Nr. 531; RG JW 1908, 142; JW 1909, 161 f. (161); JW 1913, 267 f. (267); RGZ 98, 15 ff. 68 In den einschlägigen Entscheidungen, in denen - soweit dies aus den jeweils mitgeteilten Sachverhalten entnommen werden kann - neben negatorischen Ansprüchen auch Schadensersatzansprüche von den betroffenen Grundstückseigentümern geltend gemacht wurden, wird allerdings eine Schadensersatzverpflichtung aus § 823 Abs. 1 nicht ausdrücklich geprüft und wegen fehlender Eigentumsverletzung abgelehnt. Vielmehr steht regelmäßig die Bestimmung des Begriffs der imponderablen Einwirkung i. S. d. §§ 903, 906 und 907 im Vordergrund, von dessen Inhalt maßgebend das Bestehen negatorischer und deliktsrechtlicher Ansprüche abhängig ist, siehe RG Recht 1908, Nr. 531; JW 1909, 161 f. (161); JW 1913, 267 f. (267); RGZ 98, 15 ff. (16f.); RG Gruchot 65, 612ff. 69 Siehe RGZ 51, 251 ff. (253 f.); RG JW 1908, 142; JW 1909, 161 f. (161); RGZ 98, 15 ff. (16 f.); RG JW 1913, 267 f. (267). 70 Siehe schon oben unter (1), Fn. 47. 71 Siehe RGZ 141,406 ff. (409).
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
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i m Nachbarschaftsverhältnis zwischen Eigentümerbelieben (positivem Eigentumsinhalt) einerseits und Ausschließungsrecht (negativem Eigentumsinhalt) andererseits angelegte Interessenkollision 73 nicht durch einen zu umfassenden Begriff der abwehrfähigen Einwirkung zu Lasten des positiven Eigentumsinhalts des beeinträchtigenden Grundstückseigentümers zu lösen. Besonders deutlich kommt dies in Ausführungen des Reichsgerichts zum Ausdruck, wonach ein Schutz der Grundstücksnutzung gegen Beeinträchtigungen durch solche Einwirkungen nicht besteht, die auf einem erlaubten Tun des sein Eigentum nutzenden Grundstücksnachbarn beruhen, ohne daß von seinem Grundstück aus irgend etwas 7 4 i n das Gebiet des anderen Grundstücks hinübergreift 7 5 .
II. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 1. Gegenstand der Schutzposition „Eigentum" i.S.v. § 823 Abs. 1 In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts 76 geht der B G H davon aus, daß in den Schutz des § 823 Abs. I 7 7 nicht bloß die Sache als Objekt des sachenrechtlichen Eigentums einbezogen ist, sondern das Eigentum als 72 Zur Heranziehung des § 906 Abs. 1 als Maßstab für die zwischen Grundstücksnachbarn abwehrfähigen imponderablen Immissionen siehe schon oben Fn. 44. 73 Vgl. RGZ 76, 130ff. (132); RG JW 1913, 267 f. (267); RGZ 132, 51 ff. (56). 74
Im Sinne des materiellen Einwirkungsbegriffs des Reichsgerichts, siehe oben unter (1). Siehe RGZ 50, 225 ff. (227): „Die Schranken, welche dem Eigentümer im Interesse eines geordneten nachbarlichen Zusammenlebens in den bürgerlichen Gesetzen gezogen sind, gehen nicht so weit, daß er eine erlaubte Art der Benutzung seines Grundstücks unterlassen müßte, welche, ohne über die Grenzen seines Grundstückes hinauszuwirken, den Wert der Nachbargrundstücke zu beeinträchtigen geeignet ist, ...". Siehe im übrigen RGZ 98, 15ff. (16f.); 155, 154ff. (158). Verwiesen sei auch auf RGZ 76, 130ff. (132) betr. den Schutz gegen immaterielle Immissionen, der gerade unter Betonung des durch § 903 gewährleisteten Eigentümerbeliebens abgelehnt wird. 75
76
Siehe unter I. 1. Hinsichtlich des Anwendungsbereichs von § 823 Abs. 1 hat sich der BGH der Auffassung des Reichsgerichts (siehe unter I. 1., Fn. 1) angeschlossen, wonach die Bestimmungen der §§ 987 ff. für das Verhältnis zwischen dem Eigentümer und dem unrechtmäßigen Besitzer eine erschöpfende Sonderregelung darstellen und eine über § 992 hinausgehende deliktsrechtliche Haftung grundsätzlich ausgeschlossen ist, siehe BGH NJW 1952, 257; BGHZ 56, 73ff. (77); BGH NJW 1980, 2353 f. (2354). Kritisch zu diesem sog. Ausschließlichkeitsgrundsatz der Rspr., der auch von der h.L. vertreten wird (siehe die Nachw. bei SoergelMühl, 12. Aufl., Vor §§ 987 ff., Rz. 16, Fn. 32) mit eingehender Begründung Pinger, Funktion und dogmatische Einordnung des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses, 1973, 70ff.; ders., in Westermann, Sachenrecht I, 6. Aufl., 196ff.; Müller, K., Sachenrecht, 3. Aufl., 219 ff,.; Schwab/Prütting, Sachenrecht, 25. Aufl., 235 m.w.Nachw. in Fn. 19. Eine Anwendung der §§ 987 ff. auf den rechtmäßigen Fremdbesitzer, der den Rahmen seines Besitzrechts durch Beschädigung, Veräußerung oder sonstige Entziehung der Sache überschreitet (sog. Exzeß 77
5*
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
Recht nach Maßgabe des in § 903 Satz 1 zum Ausdruck gelangenden Eigentumsinhalts 7 8 . In Hinblick auf die Anbindung der deliktsrechtlichen Schutzposition Eigentum an den sachenrechtlichen Eigentumsbegriff kann nach der insoweit ebenfalls der Rechtsprechung des Reichsgerichts 79 entsprechenden Auffassung des B G H eine deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung sowohl durch rechtliche Einwirkung auf das Recht 8 0 als auch durch tatsächliche Einwirkung auf eine bewegliche oder unbewegliche Sache 81 erfolgen 8 2 . Diese grundlegende „Zweigleisigkeit" der Möglichkeiten, auf das Eigentum verletzend einzuwirken, hat der B G H in jüngerer Zeit besonders in einer Entscheidung vom 9. 3. 1989 8 3 in Zusam-
des Fremdbesitzers, siehe BGHZ 31, 129 ff. (132) und BGH W M 1976, 350 ff. (351)) lehnt der BGH ab. Insoweit bestimmt sich die Schadensersatzhaftung des Besitzers nach den Vorschriften über unerlaubte Handlungen (BGH NJW 1951, 643; 1952, 257; BGHZ 24, 188ff. (196); BGHZ 31, 129 ff. (132); BGHZ 46, 140ff. (146); BGH W M 1976, 350ff. (351) (Haftung aus § 823 Abs. 1 auch dann, wenn der Eigentumsverlust erst durch spätere Genehmigung eintritt)). Zur Ablehnung der Theorie vom sog. „Nicht-so-Berechtigten" und der Unanwendbarkeit der §§ 987 ff. auf den exzedierenden rechtmäßigen Fremdbesitzer siehe auch Wieling, Sachenrecht I, 1990, 545 und 550. Darüber hinaus geht der BGH wie das Reichsgericht (siehe oben unter I. 1., Fn. 1) davon aus, daß der unrechtmäßige Fremdbesitzer, der sein vermeintliches Besitzrecht überschreitet, entgegen § 993 Abs. 1 a.E. im Falle der Verletzung des Eigentums aus § 823 Abs. 1 haftet. Das hat der BGH zwar nicht in JZ 1951, 716 ff. = NJW 1951, 643 ausgesprochen (in der Lit. wird allerdings häufig auf diese Entscheidung verwiesen, siehe ζ. B. Köbl, Das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, 1971, 176, Fn. 91; Pinger, Funktion und dogmatische Einordnung des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses, 1973, 68, Fn. 348; ders., in Westermann, Sachenrecht I, 6. Aufl., 202; Müller, JuS 1983, 516ff. (518, Fn. 35); Staudinger-Gursky, 13. Aufl., Vorbem. §§ 987ff., Rz. 24; Baur/Stürner, 16. Aufl., 95; Palandt-Bassenge, 54. Aufl., Vorbem. v. § 987, Rz. 5; Schwab/Prütting, Sachenrecht, 25. Aufl., 234, Fn. 10; richtig dagegen AK-BGB-Joerges, vor §§ 987 ff., Rz. 47, wonach die Behandlung des unrechtmäßigen Fremdbesitzes in dieser Entscheidung ungeklärt blieb). Die Anwendbarkeit des § 823 Abs. 1 auch auf den exzedierenden unrechtmäßigen Fremdbesitzer hat der BGH jedoch indirekt (richtig insoweit Staudinger-Gursky, 13. Aufl., Vorbem. §§ 987 ff., Rz. 24: „implizite") in einer Entsch. vom 19. 6. 1973 (NJW 1973, 1790 ff.) zum Ausdruck gebracht (ebenso AK-BGB-Joerges, vor §§ 987 ff., Rz. 47). Hier hat er als Grundlage eines Schadensersatzanspruchs gegen einen Minderjährigen wegen der Beschädigung eines Kraftfahrzeugs trotz festgestellter Unwirksamkeit des Mietvertrages allein § 823 Abs. 1 geprüft, ohne die Anwendbarkeit der §§ 987 ff. überhaupt anzusprechen (zu den damit aufgeworfenen Konkurrenzfragen siehe Medicus, JuS 1974, 221 ff. (223)). 78 Siehe BGHZ 55, 153 ff. (159): Die Vorschrift des § 823 Abs. 1 „will die dort aufgeführten Rechte gegen jede schuldhaft widerrechtliche Verletzung schützen"; deutlich auch in BGH NJW 1977, 384 f. (385): „ . . . eine Eigentumsverletzung liegt nicht nur beim Eingriff in die Substanz einer Sache, sondern auch bei sonstiger, das Eigentumsrecht beeinträchtigender Einwirkung auf eine Sache vor ..."; in BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265) verweist der BGH zur Beschreibung des nach § 823 Abs. 1 geschützten Eigentums ausdrücklich auf § 903. 79 Siehe oben unter I. 2. so Siehe folgend unter 2. a). 81 Siehe folgend unter 2. b). 82 Die unter Umständen auch zum völligen Rechtsverlust führt, so bei der Vernichtung einer Sache. 83 BGH JZ 1989, 649 ff.
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
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menhang mit der Frage hervorgehoben, ob das ungenehmigte Fotografieren einer Sache negatorische Ansprüche gemäß den §§ 903 Satz 1, 1004 auslösen kann. Der B G H unterscheidet hier hinsichtlich des Vorliegens einer Beeinträchtigung i.S.v. § 1004 Abs. 1 zwischen den Alternativen eines Eingriffs in die rechtliche Verfügungsmacht und eines Eingriffs in die tatsächliche Sachherrschaft durch tatsächliche Einwirkung auf die Sache 84 .
2. Begriff der Eigentumsverletzung a) Eigentumsverletzung
durch rechtliche Einwirkung
Eigentumsverletzungen durch rechtliche Einwirkung haben in der Rechtsprechung des B G H zum einen in Zusammenhang mit der Veräußerung einer in fremdem Eigentum stehenden Sache durch einen Nichtberechtigten, in deren Folge es aufgrund gutgläubigen Erwerbs eines Dritten zu einer Entziehung des Eigentums kommt, Bedeutung erlangt. Eine deliktsrechtliche Schadensersatzverpflichtung kann insoweit sowohl für den schuldhaft handelnden Veräußerer selbst als auch für an einer solchen Veräußerung in vorwerfbarer Weise mitwirkende weitere Personen in Betracht kommen 8 5 . Hingegen stellt der fahrlässig (unterhalb der Grenzzie84 BGH JZ 1989, 649 ff. (649). Auf diese den negatorischen Eigentumsschutz betreffende Entscheidung kann hier aus dem Grunde verwiesen werden, weil der BGH hinsichtlich der Frage, wann negatorisch von einer Beeinträchtigung und deliktsrechtlich von einer Verletzung des Eigentums auszugehen ist, eine übereinstimmende Grenzziehung vornimmt, siehe BGH NJW-RR 1990, 1172 ff. (1173): „Wenn der Zuweisungsgehalt des Eigentums i.S. von § 823 Abs. 1 BGB nicht tangiert ist, kann auch nicht der Rückgriff auf §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB zu einem Schadensersatzanspruch wegen Eigentumsbeeinträchtigung führen." (Siehe dazu auch noch im Dritten Teil, 2. Kap. unter I. 2.). Den Charakter des § 1004 als eines Schutzgesetzes i.S.v. § 823 Abs. 2 hat der BGH in NJW-RR 1990, 1172 ff. (1173) nur unterstellt (ebenso BGH NJW 1991, 1671 ff. (1672). Nachdem er zunächst im Anschluß an das Reichsgericht (siehe unter I. 2. b) (1), Fn. 27) § 1004 als Schutzgesetz eingeordnet hat (siehe BGH VersR 1964, 293 ff. (294) und 975 ff. (976)), hat er daran später mit der Begründung Zweifel geäußert, es sei nicht selbstverständlich, daß eine anspruchsbegründende Vorschrift auch ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 gegen die Verletzung dieses Anspruchs darstelle (BGH JZ 1977, 178 f. (178)). In seiner weiteren Rechtsprechung hat der BGH die Frage der Einordnung von § 1004 als Schutzgesetz bis heute nicht abschließend entschieden, siehe neben den bereits genannten Entsch. BGH NJW-RR 1990, 1172 ff. (1173) und NJW 1991, 1671 ff. (1672) noch NJW 1990, 2058 ff. (2059). In BGH NJW 1988, 1778 ff. (1780) spricht der BGH allerdings unter Verweis auf BGH VersR 1964, 975 ff. (976) davon, es sei anerkannt, daß § 1004 Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 ist; ebenso BGHZ 120, 239 ff. (253). Aus der Lit. siehe nur Staudinger-Gursky, 13. Aufl., § 1004, Rz. 157 (ablehnend) und ErmanHefermehl, 9. Aufl., § 1004, Rz. 21 (bejahend). 85 Siehe BGH WM 1967, 562ff. (563); BGHZ 56, 73 ff. (77); BGH DB 1976, 814f. (815) (der Anspruch aus § 823 Abs. 1 besteht auch dann, wenn das Eigentum erst dadurch verloren geht, daß der Eigentümer die Verfügung des Nichtberechtigten genehmigt; ebenso schon zu einem Schadensersatzanspruch gemäß den §§ 990, 989 BGH NJW 1960, 860ff. (860)); BGH JZ 1984, 230 f. (231). Wie das Eigentum entziehende Veräußerungen, so stellen auch unbe-
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
hung des § 932 Abs. 2 bei beweglichen Sachen, i m Rahmen von § 892 ist sogar grobe Fahrlässigkeit unschädlich) gutgläubige Erwerb einer Sache vom Nichtberechtigten von Seiten des Erwerbers keinen rechtswidrigen Eingriff in das Eigentum des Berechtigten dar. Deliktsrechtlich begründete Schadensersatzansprüche gegen jenen sind mithin ausgeschlossen 86 . Der B G H begründet diese - von der Literatur weitgehend geteilte 8 7 und mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts übereinstimmende 88 - Auffassung damit, daß es ein innerer Widerspruch des Gesetzes wäre, einerseits die Rechtswirkungen des gutgläubigen Erwerbs trotz fahrlässiger bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis von der Nichtberechtigung des Veräußerers anzuerkennen, diese Rechtswirkungen jedoch andererseits über eine deliktsrechtliche Schadensersatzverpflichtung (Naturalrestitution, §§ 823, 249) wieder auszuhebeln 89 . Neben der Eigentumsverletzung durch rechtsgeschäftliche Verfürechtigte Verfügungen, die zu einer Belastung des Eigentums mit dem Recht eines Dritten führen, eine Eigentumsverletzung dar, siehe oben unter I. 2. a). Der BGH hat diesbezüglich soweit ersichtlich - keine ausdrückliche Stellungnahme abgegeben. 86 BGH JZ 1956,490 f. (490); BGH NJW 1967, 1660 ff. (1661 f.). 87 Siehe nur Soergel-Zeuner, 11. Aufl., § 823, Rz. 33; MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 75; Staudinger-Schäfer, 12. Aufl., § 823, Rz. 54; RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 16; Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4 b dd; Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 25; Larenz/Canaris, SchR II 2, 13. Aufl., 386. Anderer Ansicht Peters, Der Entzug des Eigentums an beweglichen Sachen durch gutgläubigen Erwerb, 1991, 102 f., der u.a. in § 932 Abs. 2 eine der Enteignung nahekommende und deshalb am Maßstab des Art. 14 Abs. 3 GG zu messende Regelung sieht (a. a. O., 39), die er verfassungsrechtlich für unzulässig hält (a. a. O., 84 und 103). 88 Siehe dazu oben unter I. 2. a), Fn. 11. 89 Siehe BGH JZ 1956, 490 f. (490). Peters, Der Entzug des Eigentums an beweglichen Sachen durch gutgläubigen Erwerb, 1991, 103 f. sieht in dieser Begründung eine „petitio principii", deren Unrichtigkeit er mit einem Verweis auf die §§ 950, 951 Abs. 2 Satz 1 belegen will, wonach für den Fall des Eigentumserwerbs durch Verarbeitung deliktsrechtliche Ansprüche wegen Eigentumsverletzung unberührt bleiben. Das überzeugt nicht: Aus der Existenz des § 951 Abs. 2 Satz 1 und dem Fehlen einer entsprechenden Regelung zu § 932 kann auch der Schluß gezogen werden, daß der Eigentumsverlust durch fahrlässig gutgläubigen Erwerb nach dem Willen des Gesetzes endgültig sein soll mit der Folge eines Ausschlusses deliktsrechtlicher und bereicherungsrechtlicher Ansprüche gegen den Erwerber (Ausnahme § 816 Abs. 1 Satz 2). Eine genaue dogmatische Begründung, warum der gutgläubige Erwerber deliktsrechtlich nicht haftet, wird weder vom BGH (der allerdings mit der Formulierung des Leitsatzes in JZ 1956, 490 f. (490): „Der fahrlässige gutgläubige Erwerb einer Sache vom Nichtberechtigten enthält keinen rechtswidrigen Eingriff des Erwerbers in das Eigentum des Berechtigten" dahin zu tendieren scheint, daß die Widerrechtlichkeit der Verletzungshandlung entfällt) noch im Regelfall von der Literatur gegeben, siehe nur Soergel-Zeuner, 11. Aufl., § 823, Rz. 33; MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 75; Staudinger- Schäfer, 12. Aufl., § 823, Rz. 54; RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 16; Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 25. Anders Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b dd, der mit der Begründung, der bloße Erwerb sei weder Verfügung noch Verletzungshandlung, wohl bereits das Vorliegen einer Eigentumsverletzung ausschließen will (womit jedoch übersehen wird, daß der Erwerber am Verlust des Eigentums durch entsprechende rechtsgeschäftliche Erklärung mitwirkt, eine Verletzungshandlung mithin kaum verneint werden kann; zutreffend insoweit Peters, a. a. O., 102; siehe auch schon Schaufuß, Verletzung des Eigentums, 1899, 66 f.), und Deutsch, MDR 1988, 441 ff. (444), der den gutgläubigen Erwerb als Rechtferti-
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gung eines nichtberechtigten Dritten bejaht der B G H einen deliktsrechtlich relevanten Eingriff in das Eigentum i m Wege rechtlicher Einwirkung auch in solchen Fällen, in denen es kraft der Vorschriften über den originären Eigentumserwerb gemäß den §§ 946 ff. zu einem Eigentumsverlust k o m m t 9 0 . Nach Auffassung des B G H kann eine Eigentumsverletzung durch rechtliche Einwirkung auch ein die Zwangsvollstreckung betreibender Gläubiger begehen, soweit schuldnerfremde Sachen gepfändet bzw. versteigert werden 9 1 . Zur Rechtsbeeinträchtigung kommt es hier deshalb, weil die Pfändung und Verwertung schuldnerfremder Sachen als staatliche Maßnahmen rechtmäßig sind 9 2 . Während die Versteigerung zur Entziehung des Eigentumsrechts führt 9 3 , wird aufgrund der
gungsgrund einordnet; ebenso Larenz/Canaris, SchR II 2, 13. Aufl., 386 (hiergegen Peters, a. a. O., 102 unter Verweis auf seine Ausführungen zur Frage eines Anspruchs des bisherigen Eigentümers gegen den Erwerber aus § 812 Abs. 1 2. Alt., wonach der gutgläubige Erwerb jedenfalls im Verhältnis zwischen diesen beiden Personen keinen Rechtsgrund schafft (a. a. O., 106f.); damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß § 932 als gesetzliche Regelung im Rahmen von § 823 Abs. 1 rechtfertigende Wirkung haben kann (hierfür spricht sich auch Erman-Michalski, 9. Aufl., § 932, Rz. 14 aus)). 90 Siehe BGHZ 56, 73 ff. (78) zu dem Fall einer Vermischung gemäß den §§ 947, 948. Nach Auffassung des BGH begeht der Bauherr, der mit dem Bauunternehmer ein Abtretungsverbot hinsichtlich der Werklohnforderung vereinbart hat, nicht ohne weiteres eine Eigentumsverletzung dadurch, daß er den zum Eigentumsverlust nach § 946 führenden Einbau fremder, von dem Unternehmer unter verlängertem Eigentums vorbehält bezogener Baustoffe duldet (BGHZ 56, 228 ff. (237 ff.); BGHZ 102, 293 ff. (309); BGH NJW-RR 1991, 343 ff. (344)). Anderer Ansicht U. Huber, NJW 1968, 1905 ff. (1907), der eine Haftung des Bauherrn mit der Begründung annimmt, dieser müsse wissen, daß der Unternehmer Sachen einbaut, die er bei gleichzeitigem Abschluß eines pactum de non cedendo nicht einbauen dürfte. Zur Eigentumsverletzung aufgrund eines Eigentumsverlusts nach § 946 in Zusammenhang mit der Verbindung von Baumaterialien mit einem Baugrundstück, die dem Bauunternehmer unter verlängertem Eigentums vorbehält geliefert worden sind, der gleichzeitig mit dem Bauherrn ein Abtretungsverbot vereinbart hat, siehe auch BGHZ 109, 297 ff. (300). Der BGH hat hier die Eigentumsverletzung auch dem Geschäftsführer des Vorbehaltskäufers (eine GmbH) mit der Begründung zugerechnet, diesen treffe ebenso wie die GmbH die Verpflichtung, eine Verletzung des Vorbehaltseigentums durch Dispositionen über die Lieferungen im Rahmen des Möglichen zu verhindern (a. a. O., 304); zustimmend v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 26 und Larenz/Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 422 f. (der die vorgenannte Entscheidung des BGH jedoch im Ergebnis mangels Verschuldens des Geschäftsführers nicht für richtig erachtet); ablehnend etwa Medicus, FS W. Lorenz, 1991, 155ff. (169) und Lutter, ZHR 157 (1993), 464 ff. (471 f. m.w.Nachw.). 91 BGHZ 118, 201 ff. (205) und schon vorher BGH W M 1965, 863 ff. (864 f.); BGH NJW 1972, 1048 ff. (1048). Siehe auch BGH NJW 1971, 799 ff. (800), hier erfolgte die Zwangsvollstreckung allerdings zu Lasten des Anwartschaftsrechts eines Dritten, so daß hier nicht das Eigentum, sondern ein sonstiges Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 verletzt war (a. a. O., 800). Zur Rechtsprechung des Reichsgerichts siehe unter I. 2. a). 92 BGH NJW 1971, 799 ff. (800); NJW 1972, 1048 ff. (1048). 93 Und zwar auch dann, wenn der Erwerber bösgläubig ist. Denn erworben wird nicht durch Rechtsgeschäft vom Schuldner, sondern durch Hoheitsakt vom Staat, siehe BGH NJW 1971, 799 ff. (800) unter Bezug auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts, dazu oben unter I. 2. a).
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
formell rechtmäßigen Pfändung 9 4 die Sache verstrickt, d. h. ein öffentlich-rechtliches Gewaltverhältnis mit der Folge eines relativen Verfügungsverbots des Berechtigten begründet 95 . Als Eigentumsverletzung durch rechtliche Einwirkung hat der B G H auch ein wegen eines Brandes auf dem Nachbargrundstück veranlaßtes polizeiliches Grundstücksräumungsgebot eingeordnet, durch welches dem Eigentümer eines Betriebsgrundstücks die Grundstücksnutzung für etwa zwei Stunden verboten wurde 9 6 . Hingegen hat der B G H i n Zusammenhang mit einem lebensmittelrechtlich begründeten ordnungsbehördlichen Verkaufsverbot, das gegen einen Fischzüchter in Hinblick darauf verhängt worden war, daß seine Fische zumindest teilweise mit einem durch ein Antibiotikum verseuchten Fischfutter gefüttert worden waren, eine Eigentumsverletzung durch rechtliche Einwirkung seitens des Futtermittelherstellers nicht geprüft 9 7 . 94 BGHZ 56, 339 ff. (351); BGH NJW 1972, 1048 ff. (1048). Für den die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger entsteht kein Pfändungspfandrecht an der schuldnerfremden Sache, vgl. BGHZ 56, 339 ff. (351) und die Rechtsprechung des Reichsgerichts, dazu oben unter I. 2. a), Fn. 18. 95 Zöller-Stöber, ZPO, 19. Aufl., § 804, Rz. 1 ; Thomas-Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 803, Rz. 7; Brox/Walker, ZVR, 4. Aufl., 223, Rz. 361. Auch wenn man entgegen der h.L. (siehe die Nachw. bei Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 10. Aufl., 579, Fn. 24) davon ausgeht, daß zwischen Verstrickung und Verfügungsverbot als jeweils eigenständige Folgen der Pfändung zu unterscheiden ist (Fahland, Das Verfügungsverbot nach §§ 135, 136 BGB in der Zwangsvollstreckung und seine Beziehung zu den anderen Pfändungsfolgen, 1976, 93 f.; Rosenberg/Gaul/Schilken, a. a. O., 580 f.) und insb. bei der Pfändung einer schuldnerfremden Sache trotz wirksamer Verstrickung ein Verfügungsverbot nicht eintritt (Fahland, a. a. O., 100 f.; Rosenberg/Gaul/Schilken, a. a. O., 580), bedeutet die Verstrikkung eine Verkürzung des Eigentumsrechts und damit eine Einwirkung insoweit, als hieraus die Berechtigung des Staates zur Übertragung des Eigentums an der Pfandsache und am Erlös durch staatlichen Hoheitsakt resultiert, und zwar unabhängig von den Eigentumsverhältnissen und dem Bestand der materiell-rechtlichen Forderung des Gläubigers (siehe Rosenberg/Gaul/Schilken, a. a. Ο., 581). 96 BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265). Der BGH hat in dieser Entscheidung gleichzeitig eine Eigentumsverletzung durch Einwirkung auf die Sache in Hinblick auf die mit der Räumung verbundene zweistündige völlige Nutzungshinderung bejaht, siehe noch folgend unter 3. a). 97 Siehe BGHZ 105, 346ff. (350); zu dieser Entscheidung Baumgärtel, JZ 1989, 641 f.; Hauck, JA 1989, 310ff.; Emmerich, JuS 1989, 494; Deutsch, JZ 1989, 465 ff. Im Blickpunkt der vorgenannten Stellungnahmen steht allerdings nicht die Frage der Eigentumsverletzung, vielmehr werden beweisrechtliche Probleme sowie der Schutzbereich der Produzentenhaftung und eine Haftung aus § 823 Abs. 2 behandelt. Der BGH hat in dieser Entscheidung eine Eigentumsverletzung sowohl hinsichtlich der Fische, die das Antibiotikum aufgenommen hatten als auch bezogen auf die Fische, bei denen dies nicht der Fall war, jeweils mit einer tatsächlichen Einwirkung auf die Tiere begründet (siehe noch folgend unter b) (2)): im ersten Fall mit der in der Kontaminierung liegenden Befindlichkeitsveränderung der Fische, im zweiten Fall (hierin sieht v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 28 den „wirklich bemerkenswerten Schritt" dieser Entscheidung) mit der aus der Verfütterung des mangelhaften Fischfutters zumindest resultierenden"Makelbelastung" der nicht verseuchten Tiere mit der Folge, daß sie nicht veräußert und somit nicht bestimmungsgemäß verwertet werden durften (BGHZ 105, 346 ff. (350)). Das Ausblenden der Frage, ob nicht das durch die
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
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Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß es der BGH ausdrücklich abgelehnt hat, in dem ungenehmigten Fotografieren einer fremden Sache eine Eigentumsverletzung durch Einwirkung auf die rechtliche Sachherrschaft zu sehen. Zur Begründung hat der BGH darauf verwiesen, daß der Fotografiervorgang als Realakt die Verfügungsbefugnis des Eigentümers unberührt lasse98. Lieferung und Verfütterung verseuchten Futtermittels veranlaßte behördliche Verkaufsverbot als solches eine Eigentumsverletzung durch rechtliche Einwirkung darstellte, leuchtet in Hinblick darauf nicht ein, daß es sich bei dieser lebensmittelrechtlich begründeten Maßnahme (siehe § 8 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes vom 15. 8. 1974, BGBl. 1974 I, 1946) um ein absolutes Veräußerungsverbot handelte (das Verbot bezweckte nicht nur den Schutz bestimmter Personen, siehe MünchKomm-Mayer-Maly, 3. Aufl., § 136, Rz. 1), das unmittelbar auf die Verfügungsbefugnis einwirkte (Mehrtens, Das gesetzliche Veräußerungsverbot, 1974, 61 f. und 68; MünchKomm-Mayer-Maly, 3. Aufl., § 135, Rz. 4 und 9). Wäre auch eine dennoch vorgenommene Veräußerung nicht gemäß § 134 (der entgegen dem Wortlaut von § 136 auf absolute behördliche Veräußerungsverbote Anwendung findet, siehe Mehrtens, a. a. O., 31 ff.) mangels Verbotenseins des Rechtsgeschäfts als solchen (so RGZ 170, 155 ff. (156) zu § 4 des Lebensmittelgesetzes vom 17. 1. 1936 unter Bezug auf RGZ 100, 39 ff. (40)) nicht nichtig gewesen, so stellte doch das Verkaufsverbot als öffentlich-rechtliche Veräußerungsbeschränkung einen Eingriff in die rechtliche Sachherrschaft des Eigentümers dar, deren Ausdruck gerade die Verfügungsbefugnis ist (siehe BGH JZ 1989, 649 f. (649)). 98 Siehe BGH JZ 1989, 649 f. (649), hier betreffend negatorische Ansprüche gem. §§ 903, 1004 (zur identischen Grenzziehung des BGH zwischen Beeinträchtigungen des Eigentums nach § 1004 Abs. 1 und Eigentumsverletzungen i.S.v. § 823 Abs. 1 siehe schon oben unter 1., Fn. 84). Bis zu dieser Entscheidung hatte der BGH die Frage, ob das Fotografieren einer fremden Sache als solches eine Beeinträchtigung bzw. Verletzung des Eigentums darstellen kann, offen gelassen, siehe BGHZ 44, 288 ff. (293), BGH JZ 1975, 491 ff. (492) und BGHZ 81, 75 ff. (77). Der BGH hat es in BGH JZ 1989, 649 f. (649 f.) auch abgelehnt, die gewerbliche Verwertung von Abbildungen der eigenen Sache als selbständiges Ausschließlichkeitsrecht dem Eigentümer zuzuordnen und unter diesem Gesichtspunkt eine unzulässige Einwirkung auf das Eigentum zu bejahen. Des weiteren hat er in dieser Entscheidung eine ausdrückliche Abgrenzung zu der sog. Schloß-Tegel-Entscheidung (BGH JZ 1975, 491 ff.) vorgenommen, in welcher er unter Abstellen darauf, daß das Gebäude nur durch Betreten des Grundstücks fotografiert werden konnte, in der gewerblichen Verwertung einer ungenehmigten Fotografie eine Einwirkung i. S. d. §§ 903 Satz 1, 1004 gesehen hat, weil der Eigentümer rechtlich und tatsächlich die Macht gehabt habe, sich das Recht zu Aufnahmen allein vorzubehalten (BGH JZ 1975, 491 ff. (492 f.). Kritisch zu dieser Entscheidung u.a. Schmieder, NJW 1975, 1164f. (Anm.); F. Baur, JZ 1975, 493 (Anm.); Kübler, FS F. Baur, 1981, 51 ff.; MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 98; v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 32; Wilhelm, Sachenrecht, 1993, 447 ff., Rz. 682 ff. Nach der Auffassung von v. Bar, a. a. O., wurden durch die gewerbliche Verwertung der Fotografie als Ansichtskarten weder der eigentümerseitige Sachgebrauch noch die Verfügungsbefugnis berührt, sondern allein eine allerdings nicht monopolisierte Marktzutrittschance. Die Anknüpfung des BGH an das Betreten des klägerischen Grundstücks als Grundlage für einen aus dem Eigentum begründeten Anspruch hält v. Bar, a. a. O., im Hinblick darauf für verfehlt, daß der Schutz gegen Besitzstörung nicht den geltend gemachten Anspruch wegen Absatzrückgangs umfaßt. Wilhelm, Sachenrecht, 1993,448, Rz. 682 geht insoweit davon aus, daß die Beeinträchtigung des Eigentums mit Betreten und Fotografieren beendet ist und aus dem Verständnis des Eigentums als Recht an einem körperlichen Gegenstand eine Unterlassung der gewerblichen Verwertung nicht gefolgert werden kann. Für den Fall der Abbildung eines Bauwerks von einer öffentlichen Straße aus wendet sich Wilhelm gegen eine Zuordnung des Bildes an den Eigentümer, a. a. O., 449, Rz. 683.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
b) Eigentumsverletzung
durch Einwirkung
auf die Sache
(1) Der sacheinwirkungsbezogene Verletzungsbegriff des BGH Nach der inzwischen ständigen Rechtsprechung des BGH kann eine Eigentumsverletzung durch Einwirkung auf die Sache „nicht nur durch eine Beeinträchtigung der Sachsubstanz, sondern auch durch eine sonstige die Eigentümerbefugnisse treffende tatsächliche Einwirkung auf die Sache erfolgen (...).". Mit dieser, erstmals in der Fleetfall-Entscheidung vom 21. 12. 1970" verwendeten 100 und seitdem regelmäßig unter Bezugnahme auf dieses Urteil herangezogenen Formulierung 101 hat sich der BGH von dem materiellen Verletzungsbegriff des Reichsgerichts 102, von dem er selbst bis zur Fleetfall-Entscheidung ausging 103 , gelöst. Der BGH hat dies nicht nur durch die neue, von der reichsgerichtlichen Beschreibung des Begriffs der Eigentumsverletzung abweichende Formulierung zum Ausdruck gebracht 104 , sondern auch durch ausdrückliche Abgrenzung zur reichsgerichtlichen Rechtsprechung unter Bezugnahme auf den mit dem Fleetfall hinsichtlich des eingesperrten Schiffes vergleichbaren Fall in RG Gruchot 68, 75 ff., in welchem das Reichsgericht eine Eigentumsverletzung ablehnte 105 . Die Ausdehnung des Begriffs der Eigentumsverletzung über die Sache körperlich berührende Einwirkungen hinaus auch auf sonstige die Eigentümerbefugnisse treffende tatsächliche Sacheinwirkungen hat der BGH in der Fleetfall-Entscheidung allein teleologisch damit begründet, eine auf den materiellen Verletzungsbegriff begrenzte Auslegung des 99 BGHZ 55, 153 ff., siehe dazu schon im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 1. 100 BGHZ 55, 153 ff. (159). 101
Siehe, wenn auch zum Teil mit inhaltlich unerheblichen Formulierungsabweichungen: BGHZ 63, 203 ff. (206); BGH VersR 1975, 658 ff. (659); BGHZ 67, 378 ff. (382); BGH NJW 1977, 2264ff. (2265); BGH VersR 1979, 905f. (906); BGH JZ 1989, 649f. (649); JZ 1990, 199f. (199); BGH NJW-RR 1990, 1172ff. (1173); BGH VersR 1994, 319ff. (320). 102 Dazu unter I. 2. b) (1). i° 3 Zwar hat der BGH - soweit ersichtlich - bis zu diesem Zeitpunkt keine abstrakte Beschreibung des Begriffs der Eigentumsverletzung durch Einwirkung auf die Sache vorgenommen. Jedoch spricht der BGH beispielsweise in der sog. Apfel-Madonna-Entscheidung (BGHZ 44, 288 ff.) davon, daß es an einer Einwirkung auf das Eigentum deshalb fehle, weil dem Beklagten „gerade nicht eine unzulässige unmittelbare konkrete Fühlungnahme" mit der Sache zum Vorwurf gemacht werde (siehe BGHZ 44, 288 ff. (293 f.), hier bezogen auf §§ 903, 1004; zur übereinstimmenden Grenzziehung des BGH zwischen Beeinträchtigung (§ 1004 Abs. 1) und Verletzung (§ 823 Abs. 1) des Eigentums siehe oben unter 1., Fn. 84). Diese Formulierung ähnelt der vom Reichsgericht für das Erfordernis einer „unmittelbaren Einwirkung auf die Sache" als Voraussetzung für eine Eigentumsverletzung gegebenen Erläuterung, wonach es sich um Beeinträchtigungen handeln müsse, „welche die im Eigentum stehende Sache selbst antasten", siehe unter I. 2. b) (1). 104 Die oben wiedergegebene Beschreibung des Begriffs der Eigentumsverletzung hat der BGH von Soergel-Zeuner, 10. Aufl., § 823, Rz. 24 übernommen und zusätzlich vergleichsweise auf RGRK-Haager, 11. Aufl., § 823, Anm. 15 und Larenz, SchR II, 9. Aufl., 407 verwiesen (siehe BGHZ 55, 153 ff. (159)). 105 Siehe unter I. 2. b) (2).
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
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§ 823 Abs. 1 werde dem Zweck dieser Vorschrift nicht gerecht. Diese wolle die dort aufgeführten Rechte gegen jede schuldhaft widerrechtliche Verletzung schützen106. Der B G H hat die erstmals in der Fleetfall-Entscheidung verwendete weite Beschreibung des Verletzungsbegriffs in nachfolgenden Entscheidungen abstrakt nur insoweit näher erläutert 1 0 7 , als lediglich objektbezogene Eingriffe Eigentumsverletzungen durch Einwirkung auf die Sache sein können. Diese müssen die Sache als solche treffen und dürfen nicht nur gegen die Person des Eigentümers gerichtet sein. Es muß eine „objektive Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit" einer Sache vorliegen, an der es nach Auffassung des B G H fehlt, wenn allein aus i m persönlichen Bereich des Eigentümers liegenden Gründen die i m übrigen objektiv vorhandene Benutzbarkeit der Sache unmöglich i s t 1 0 8 . Hinsichtlich der Voraussetzung eines sachbezogenen Eingriffs spricht der B G H auch von dem Erfordernis einer physischen Beeinträchtigung 1 0 9 .
(2) Vom B G H anerkannte Eigentumsverletzungen durch Einwirkung auf die Sache Hierzu rechnet der B G H zunächst Beeinträchtigungen der Sachsubstanz durch Beschädigung der Sache bis hin zu deren Vernichtung 1 1 0 . Soweit eine aufgrund 106 BGHZ 55, 153 ff. (159). 107
Zur Konkretisierung anhand der Einordnung bestimmter Beeinträchtigungen als Eigentumsverletzungen siehe noch folgend unter (2). los Siehe BGHZ 63, 203 ff. (206 f.) in Zusammenhang mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen Schadensersatz für den Ausfall der Nutzung eines Kraftfahrzeugs beansprucht werden kann. Der BGH verwendet das Kriterium der Objektbezogenheit gleichermaßen sowohl für die Feststellung, ob deliktsrechtlich von einer haftungsbegründenden Eigentumsverletzung gesprochen werden kann wie auch für die Frage, ob schadensersatzrechtlich die Voraussetzungen für die Geltendmachung von Nutzungsausfall vorliegen. Zur Abgrenzung zwischen der Frage eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen und dem Problem der „abstrakten Nutzungsentschädigung" siehe im Ersten Teil, 1. Kap. unter IV. 109 Siehe BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265), womit das Gericht - wie aus dem Zusammenhang in NJW 1977, 2264 ff. sowie dem Bezug auf BGHZ 55, 153 ff. folgt - allgemein sachbezogene, d. h. objektbezogene Eingriffe meint, nicht nur solche, welche die Sache körperlich antasten. Diese Begriffswahl der „physischen Beeinträchtigung" - die auch in der Lit. aufgegriffen worden ist (siehe beispielsweise Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b bb) - erscheint deshalb nicht ganz glücklich, weil hierdurch gerade entgegen dem weiten Verletzungsbegriff des BGH der Eindruck erweckt wird, als sei für die Bejahung einer Eigentumsverletzung in jedem Falle ein die Sache körperlich berührender Eingriff erforderlich (zutreffend unterscheidet v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 28 zwischen physischen i.S.v. körperlichen und sonstigen Einwirkungen auf die Sache). no Siehe etwa BGHZ 16, 366ff. (371); BGH MDR 1958, 502f., BGHZ 41, 123 ff. (126); BGH JZ 1968, 430f.; BGHZ 57, 245ff. (252); BGH NJW 1977, 1819. Nach BGH VersR 1993,1367 f. (1368) kann „auch die Störung des organischen Wachstums einer Sache ... eine Eigentumsverletzung darstellen".
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
eines Kauf- bzw. Werkvertrages gelieferte bzw. hergestellte Sache i m Zeitpunkt der Übereignung bereits mit einem Mangel behaftet und deshalb unbrauchbar ist, lehnt der B G H in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts 111 eine Eigentumsverletzung a b 1 1 2 . Anderes gilt nach der Rechtsprechung des B G H zu den sogenannten „Weiterfresserschäden" 113 dann, wenn der anfänglich bestehende Sachmangel nach der Übereignung zu einer weiteren Beeinträchtigung 1 1 4 an derselben (Gesamt-)Sache 115 führt, die mit dem der Sache ursprünglich anhaftenden Mangelunwert nicht stoffgleich i s t 1 1 6 . In diesem Fall sieht der B G H nicht nur das sogenannte Äquivalenz-, sprich Vertragsinteresse des Erwerbers der mangelhaften Sache als verletzt an, sondern auch das deliktsrechtlich geschützte Integritätsinteresse an der Hintanhaltung von Beeinträchtigungen seines Eigentums 1 1 7 .
m Siehe unter I. 2. b ) ( l ) . 112 Grundlegend BGHZ 39, 366 ff. (367) unter Verweis auf RG JW 1905, 367 f. Siehe im übrigen BGH NJW 1978, 1051; NJW 1981, 2248ff.; 1985, 194f. (194); BGH JZ 1986, 398 ff. (399); BGHZ 105, 346ff. (355); BGH NJW 1990, 908 f. (908); zustimmend SoergelU. Huber, 12. Aufl., vor § 459, Rz. 265; v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992,21. 113 So die Bezeichnung des BGH, siehe nur BGH NJW 1992, 1678 f. (1678). 114 Der BGH spricht von einem „Endschaden", siehe NJW 1992, 1678 f. (1678), meint damit aber auch die Beschädigung der Sache (a. a. O.). h 5 Der BGH unterscheidet im Rahmen dieser Rechtsprechung nicht danach, ob es sich bei der übereigneten Sache um einen aus wesentlichen Bestandteilen zusammengesetzten Gegenstand handelt oder auch unwesentliche Bestandteile dazugehören, die nach § 93 Gegenstand besonderer Rechte sein können. Nach v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 20 ist diese Unterscheidung in den hier in Frage stehenden Fällen deliktsrechtlich irrelevant, solange dem Eigentümer die Gesamtsache gehört. In diesem Sinne auch schon Steinmeyer, DB 1989, 2157 ff. (2160). 1 16 Zum Begriff der Stoffgleichheit und dazu, wann von deren Vorliegen (nicht) auszugehen ist, siehe die seine bisherige Rechtsprechung zusammenfassenden Ausführungen des BGH in NJW 1992, 1678 f. (1678). Kritisch zu diesem Kriterium als Maßstab für die Abgrenzung zwischen deliktsrechtlich relevanten Eigentumsverletzungen und allein vertragsrechtlich bedeutsamen Verletzungen u.a. Soergel-U. Huber, 12. Aufl., v. § 459, Rz. 267 f., Katzenmeier, Vertragliche und deliktische Haftung in ihrem Zusammenspiel, 1994, 228 ff. und Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 124 m.w.Nachw.; zur Verteidigung dieses Kriteriums Steffen, VersR 1988, 977 ff. 117 Grundlegend BGHZ 67, 359 ff. (364 f.), hier stellte der BGH für die Bejahung einer Eigentumsverletzung noch maßgebend darauf ab, daß nur ein funktionell begrenztes Sachteil mit einem relativ geringen Wert im Verhältnis zur Gesamtsache mangelhaft gewesen sei. Siehe im übrigen BGH NJW 1978, 2241 ff. (2242f.); BGHZ 86, 256ff. (257ff.); BGH NJW 1983, 812f. (813); NJW 1985, 2420f.; NJW 1992, 1678f. Zu den mit dieser Rechtsprechung des BGH aufgeworfenen Fragen insbesondere nach dem Vorliegen einer Eigentumsverletzung sowie dem Verhältnis zwischen Vertrags- und Deliktsrecht siehe aus jüngerer Zeit neben Katzenmeier, Vertragliche und deliktische Haftung in ihrem Zusammenspiel, 1994, insb. 66 ff., und Brinkmann, Zur Problematik der sogenannten weiterfressenden Mängel nach dem allgemeinen Deliktsrecht und dem Produkthaftungsgesetz, 1994, insb. 11 ff. nur (jeweils m.w. Nachw. zur Diskussion) einerseits v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 17 ff., der „rein innerdeliktsrechtlich gesehen" eine Eigentumsverletzung bejaht, jedoch man-
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Wird infolge fehlerhafter Ausführung eines Werkes oder der Lieferung einer mangelhaften Sache in die Substanz einer anderen als der übereigneten (Gesamt-)Sache eingegriffen, so bejaht der B G H ohne weiteres das Vorliegen einer Eigentumsverletzung 1 1 8 . Als Eigentumsverletzung durch Sacheinwirkung ordnet der B G H auch Beeinträchtigungen des Grundstückseigentums durch Immissionen i.S. des § 906 e i n 1 1 9 . Darunter versteht der B G H - der in Übereinstimmung mit der Auffassung des Reichsgerichts 1 2 0 die nachbarrechtliche Regelung des § 906 nicht nur als eine die gegenläufigen Interessen benachbarter Grundstückseigentümer ausgleichende Bestimmung betrachtet 1 2 1 , sondern darüber hinaus zum Maßstab 1 2 2 dafür heranzieht, was in dem Bereich imponderabler Einwirkungen unter dem Begriff einer zur Abwehr berechtigenden Einwirkung zu verstehen i s t 1 2 3 - i m Anschluß an den bereits vom Reichsgericht vertretenen materiellen Einwirkungsbegriff 1 2 4 nur solche Einwirkungen, die entweder auf das Grundstück und die dort befindlichen Sachen schädigend einwirken oder auf dem Grundstück sich aufhaltende Personen derart belästigen, daß ihr gesundheitliches Wohlbefinden gestört oder ein körperliches
gels deliktsrechtlich zu leistender Haftungsbegrenzung einen Vorrang des Vertragsrechts befürwortet (a. a. O., 23 f.), andererseits Soergel-U. Huber, 12. Aufl., vor § 459, Rz. 264 ff., der es für zweifelhaft hält, eine Eigentumsverletzung zu bejahen, wenn die Sache „von Anfang an den Keim der Selbstzerstörung in sich trägt", unter der Voraussetzung der Bejahung einer Eigentumsverletzung jedoch der Rechtsprechung zustimmt und einen Vorrang vertraglicher Haftung ablehnt (a. a. O., Rz. 268). Zur Abgrenzung zwischen Eigentums- und bloßer Vertragsverletzung bei der Herstellung von Gebäuden durch die Verwendung mangelhaften Baumaterials, die der BGH vergleichbar seiner Rechtsprechung zu den „Weiterfresserschäden" bei beweglichen Sachen danach vornimmt, ob der Mangel der Sache von vorneherein insgesamt anhaftet und sich mit dem geltend gemachten Schaden deckt oder ob sich der Mangelunwert auf das verwendete mangelhafte Material beschränkt (siehe BGH NJW 1981, 2248 ff. (2250) und NJW 1985, 194f.) siehe aus der Literatur Möschel, JuS 1977, 1 ff. (4); Freund/ Barthelmess, NJW 1975, 281 ff.; Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 117ff.; MünchKommMertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 79ff.; Locher, Das private Baurecht, 5. Aufl., 387ff., Rz. 460ff.; Katzenmeier, Vertragliche und deliktische Haftung in ihrem Zusammenspiel, 1994, 252 ff. us Siehe nur BGHZ 55, 392ff. (394f.); BGH VersR 1972, 274f. (274); BGH NJW 1990, 908 f. (909). In BGH NJW 1992, 1225 ff. (1227) hat der BGH eine Eigentumsverletzung auch für den Fall angenommen, daß eine vom Käufer erworbene mangelhafte Sache mit einer mangelfreien Sache verbunden und diese erst im Zeitpunkt des Ausbaus jener zum Zwecke der Reparatur beschädigt wurde (ablehnend Brüggemeier/Herbst, JZ 1992, 802 ff. und Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 124). 119 Siehe nur BGH DB 1964, 65f.; BGH W M 1971, 624f.; BGHZ 62, 186ff. (187); 90, 255ff. (257); 101, 106ff. (109); BGHZ 120, 239ff. (249). 120 Siehe oben unter I. 2. b) (1), Fn. 44. 121 BGHZ 44, 130 ff. (134) und 88, 344 ff. (346). 122 BGHZ 90, 255 ff. (259): Beispielskatalog. 123 BGHZ 54, 56ff. (59f.); BGH NJW 1975, 170; BGHZ 88, 344ff. (346); 95, 307 ff. (309). 124 Siehe oben unter I. 2. b) (1).
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Unbehagen bei ihnen hervorgerufen w i r d 1 2 5 . Soweit das Grundstückseigentum durch eine imponderable Einwirkung i m Sinne des aus § 906 entwickelten Immissionsbegriffs beeinträchtigt wird, entscheidet nach Auffassung des B G H die nachbarrechtliche Regelung des § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 auch i m Rahmen des deliktsrechtlichen Schutzes nach § 823 Abs. 1 darüber, ob eine widerrechtliche Handlung vorliegt oder n i c h t 1 2 6 . Zu den Eigentumsverletzungen durch eine Einwirkung auf die Sache rechnet der B G H auch die mit keiner Beschädigung oder Zerstörung verbundene Entziehung einer Sache 1 2 7 , wobei der B G H einen deliktsrechtlich relevanten Eingriff i n das 125 Siehe etwa BGHZ 51, 396 ff. (397) und 95, 307 ff. (309); F. Baur, JZ 1969, 432 f. (432) spricht insoweit von einer „Ansammlung von Tautologien". U.a. beschreibt der BGH den Begriff der Einwirkung i. S. d. § 906 auch als „ . . . Zuführung sinnlich wahrnehmbarer Stoffe, durch physikalisch feststellbare oder ähnliche von einem Grundstück ausgehende Einwirkungen auf das Nachbargrundstück ..." (BGHZ 62, 361 ff. (366) unter Bezugnahme auf BGHZ 51, 396 ff. (397)) oder „ . . . positiv die Grenze überschreitende, im allgemeinen sinnlich wahrnehmbare Wirkungen ..." (BGHZ 88, 344 ff. (346) unter Verweis auf BGHZ 62, 361 ff. (366) und 70, 212ff. (220); vgl. auch BGHZ 90, 255 ff. (258) und BGH NJW 1991, 1671 ff. (1671 f.), hier zu § 907). Auf der Grundlage dieses materiellen Einwirkungsbegriffs versagt der BGH einen Schutz des Grundstückseigentums nicht nur gegen Beeinträchtigungen durch die sog. immateriellen Immissionen (siehe BGHZ 51, 396ff. (398); 54, 56ff. (59ff.); BGH NJW 1975, 170; BGHZ 95, 307 ff. (308 ff.). Hierunter versteht der BGH wie das Reichsgericht (siehe unter I. 2. b) (1), Fn. 47) Einwirkungen, die das seelische, sittliche oder ästhetische Empfinden des Grundstückseigentümers oder anderer sich auf dem Grundstück aufhaltender Personen betreffen (siehe nur BGHZ 95, 307 ff. (309); zur verbreiteten Kritik an der Rechtsprechung des BGH insoweit in der Lit. siehe die Nachw. unter ΙΠ. 1. c) (3), Fn. 321). Darüber hinaus lehnt er auch einen Schutz gegen die im Rahmen dieser Untersuchung besonders interessierenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen durch negative Einwirkungen ab (siehe hierzu näher unter 3. b) (3)). 126 Siehe beispielsweise, z.T. allgemein bezogen auf die nachbarrechtlichen Regelungen, BGH DB 1964, 65 f. (65); BGHZ 44, 130ff. (134); BGH WM 1971, 624f.; BGHZ 62, 186ff. (187); BGH NJW 1980, 2580f. (2580); BGHZ 90, 255ff. (257f.); 92, 143ff. (148); 101, 106ff. (109); BGH NJW 1991, 1671 ff. (1672); BGHZ 117, llOff. (111); 120, 239ff. (249). Diese Rechtsprechung steht in Einklang mit der Auffassung des Reichsgerichts, siehe unter I. 2. b) (1), Fn. 43. Wie dieses wendet der BGH § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 als Duldungs- und Rechtswidrigkeitsmaßstab im Rahmen von § 823 Abs. 1 auch im Verhältnis zu Eigentümern beweglicher Sachen an, die durch Grundstücksimmissionen beeinträchtigt werden (siehe die sog. Kupolofen-Entscheidung in BGHZ 92, 143 ff. (148)), ohne allerdings gleichzeitig den Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 zu „generalisieren" (a. a. O., 149); zustimmend etwa Marburger/Herrmann, JuS 1986, 354 ff. (354 f.), kritisch hingegen hinsichtlich der Beschränkung des § 906 Abs. 2 Satz 2 auf Grundstückseigentümer trotz Ausdehnung der Duldungspflichten des § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 auf Fahrniseigentümer Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, 1989, 19. Zur Heranziehung des § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 als Rechtswidrigkeitsmaßstab im Rahmen von § 823 Abs. 1 sowie zu damit aufgeworfenen Fragen der Beweislastverteilung siehe noch ausführlich im Dritten Teil, 3. Kap. unter III. 3. b) (3) und (4). 127 Der BGH stellt auf die mit dem Besitzverlust einhergehende Beeinträchtigung der tatsächlichen Sachherrschaft ab, siehe BGH VersR 1975, 658 ff. (659) unter Bezugnahme auf den im Fleetfall entwickelten Begriff der Eigentumsverletzung. Verwiesen sei auch auf BGHZ 67, 378 ff. (382), wo der BGH eine Eigentumsverletzung in einem Fall annahm, in
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Eigentum auch insoweit bejaht, als eine organisatorische Sachgesamtheit wie beispielsweise ein Archiv durch die Verlegung von zugehörigen Einzelsachen beeinträchtigt w i r d 1 2 8 . A u f der Grundlage des in der Fleetfall-Entscheidung entwickelten weiten Verletzungsbegriffs 129 kann eine Eigentumsverletzung durch Einwirkung auf die Sache nach der Auffassung des B G H des weiteren dadurch erfolgen, daß die Verkaufsfähigkeit einer Sache beeinträchtigt w i r d 1 3 0 . So hat der B G H in dem bereits erwähnten 1 3 1 Fall, in welchem Fische eines Fischzüchters mit einem durch ein Antibiotikum verseuchten Fischfutter gefüttert worden waren, was u.a. ein ordnungsbehördliches Verkaufsverbot zur Folge hatte, eine Eigentumsverletzung nicht nur hinsichtlich der Fische bejaht, die mit dem Fischfutter auch das Antibiotikum aufgenommen hatten. Der B G H nahm darüber hinaus eine Eigentumsverletzung durch tatsächliche Sacheinwirkung auch bezüglich der Fische an, die (möglicherweise) nicht von dem Futter gefressen hatten. Er begründete dies damit, daß diese Fische jedenfalls mit dem Makel belastet gewesen seien, zusammen mit dem Fischfutter auch das Antibiotikum aufgenommen zu haben. Infolgedessen hätten sie nicht veräußert und somit nicht bestimmungsgemäß verwertet werden könn e n 1 3 2 . Einen Schadensersatzanspruch wegen Eigentumsverletzung durch Ein wirweichem der Besitzer einer Sache aufgrund der Pfändung des angeblichen Herausgabeanspruchs eines Dritten nicht mehr bereit war, die Sache an den Eigentümer zurückzugeben. 128 Siehe BGHZ 76, 216 ff. (220). Der BGH hat sich in dieser Entscheidung allerdings schwer getan, eine Eigentumsverletzung in Hinblick auf das Archiv als Sachgesamtheit (Sachinbegriff i.S.v. § 92 Abs. 2) zu begründen, das keine Sache i. S. d. §§ 90 ff. darstellt, mithin als solches auch nicht eigentumsfähig sein kann. Der BGH verweist zur Rechtfertigung der darin liegenden Abweichung von der seiner Auffassung nach bestehenden sachenrechtlichen Anbindung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes (siehe oben unter 1.) allein auf die strafrechtliche Anerkennung eines Schutzes von Sachgesamtheiten unter dem Gesichtspunkt der Sachbeschädigung sowie darauf, daß dann erst recht im Schadensersatzrecht Berücksichtigung finden müsse, daß der Wert der Gesamtsache häufig den der Einzelsache übersteige. Hieraus folgt für den BGH, daß „der deliktsrechtliche Eigentumsschutz des § 823 Abs. 1 BGB eingreifen muß (...)" (BGHZ 76, 216 ff. (220)). Dieser dogmatisch unbefriedigenden Begründung zur Hochzonung des Eigentumsschutzes auf Sachgesamtheiten als solche hätte es nicht bedurft (vgl. auch v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, lOf. und diesem zustimmend Larenz/Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 388, Fn. 44): Hinsichtlich verstellter Einzelsachen, die nicht ohne weiteres wieder auffindbar sind, wird eine Eigentumsverletzung durch Entziehung begangen. Steht die verlegte Sache in einem über die räumliche Zusammenfassung hinausgehenden inneren Zusammenhang mit den anderen Einzelsachen der Sachgesamtheit (so in der Entscheidung des BGH), dann wird gleichzeitig die vom Eigentümer festgelegte Nutzungsbestimmung (auch) der nicht verlegten Einzelsachen beeinträchtigt. Insoweit hätte der BGH auf der Grundlage seiner Rechtsprechung zum deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen (siehe noch folgend unter 3.) ebenfalls eine Eigentumsverletzung bejahen können. 129 Siehe oben unter (1). 130 Siehe BGHZ 105, 346 ff. (350), bestätigt in BGH NJW 1990, 908 f. (909). 131 Siehe oben unter a). 132 BGHZ 105, 346 ff. (350). Mit dem Abstellen auf die „Makelbelastung" einer Sache wegen einer möglichen Vergiftung und die daraus in Hinblick auf das erlassene Veräuße-
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kung auf die Verkaufsfähigkeit einer Sache hat der BGH allerdings für den Fall verneint, daß die Lieferung einer mangelhaften Sache zur Unverkäuflichkeit einer anderen Sache allein aus wirtschaftlichen Gründen führt und sich diese Beeinträchtigung als Ausdruck des Mangelunwerts der gelieferten Sache darstellt 133 . Schließlich ordnet der BGH im Grundsatz auch reine Nutzungsbeeinträchtigungen in dem hier verstandenen Sinne - d. h. Beeinträchtigungen der Sachnutzung ohne einhergehende Verletzung der Sach-, Personen- unci Rechtsintegrität sowie rungsverbot folgende Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Verwertung als Anknüpfungspunkt für das Vorliegen einer Eigentumsverletzung parallelisiert der BGH insoweit den Begriff der Eigentumsverletzung mit dem der gewährleistungsrechtlichen Mangelhaftigkeit einer Sache (vgl. auch Emmerich, JuS 1989, 494, Fn. 3): Die auf dem Verdacht einer gesundheitsgefährdenden Verseuchung beruhende Unverkäuflichkeit einer Ware stellt einen Sachmangel i. S. d. § 459 Abs. 1 dar, siehe BGH NJW 1969, 1171 f.; NJW 1972, 1462f.; anders allerdings, wenn sich der Verdacht nachträglich als unbegründet herausstellt, so BGH NJW 1989, 218 ff. (219 f.). 133 BGH NJW 1990, 908 f. (909). Im Streitfall waren dem klagenden Inhaber eines Weingutes mangelhafte Korken (Schimmelbildung) geliefert worden, dje er zur Verkorkung von Weinflaschen verwendet hatte. Zur Begründung seiner Schadensersatzklage hatte der Kläger neben dem Hinweis auf eine Beschaffenheitsveränderung des Weines vorgebracht, daß der abgefüllte Wein unverkäuflich geworden sei, weil eine Neuabfüllung in Form eines Korkenwechsels zwecks Herstellung der Verkaufsfähigkeit unwirtschaftlich gewesen wäre. Die Entscheidung ist unter folgendem Gesichtspunkt bemerkenswert: In Hinblick auf das Vorbringen einer durch die Korken herbeigeführten Beschaffenheitsveränderung des Weins bejaht der BGH ohne weiteres die Möglichkeit einer Eigentumsverletzung (a. a. O., 909) und befindet sich insoweit in Einklang mit seiner Rechtsprechung, wonach von einer Eigentumsverletzung auszugehen ist, wenn durch die Lieferung einer mangelhaften Sache in die Substanz einer anderen Sache eingegriffen wird (siehe oben mit Nachw. in Fn. 118). Wird durch die mangelhafte Sache lediglich auf die Verkaufsfähigkeit einer anderen Sache dergestalt eingewirkt, daß diese aus wirtschaftlichen Gründen unverkäuflich ist, soll ein deliktsrechtlicher Schutz wegen Eigentumsverletzung nur im Falle der Inkongruenz zwischen Mangelunwert der gelieferten Sache und erlittener Beeinträchtigung des Eigentums an der anderen Sache in Betracht kommen. Der BGH überträgt damit die Rechtsprechung zu den „Weiterfresserschäden" (siehe oben im Text) ohne weiteres auf eine Konstellation, welche nicht die Frage nach der Möglichkeit einer Eigentumsverletzung an der mangelhaften Sache selbst betrifft, sondern an einer von der mangelhaften Sache verschiedenen Sache. Daraus folgt zweierlei: Zum einen differenziert der BGH im Falle einer durch Lieferung einer mangelhaften Sache verursachten Eigentumsverletzung an einer anderen Sache für die Anwendbarkeit des Deliktsrechts im Verhältnis zum Gewährleistungsrecht danach, ob das Eigentum an der anderen Sache in Form einer Einwirkung auf die Sachsubstanz bzw. eines Verdachts derselben, der zu Unverkäuflichkeit führt (siehe BGHZ 105, 346 ff. (350)), oder durch eine sonstige Einwirkung auf die Verkaufsfähigkeit beeinträchtigt wird. Zum anderen bedeutet die Entscheidung BGH NJW 1990, 908 f. im Vergleich mit der Rechtsprechung zu den „Weiterfresserschäden", die zur Ausdehnung des deliktsrechtlichen Schutzes neben der Vertragshaftung geführt hat, eine Restriktion des Anwendungsbereichs der deliktsrechtlichen Haftung dadurch, daß die zu den „Weiterfresserschäden" entwickelten Grundsätze nunmehr auch angewendet werden, um den Vorrang der vertraglichen Haftung bei vom BGH als Eigentumsverletzungen anerkannten Beeinträchtigungen ohne Substanzeingriff im Falle eines „übergreifenden Mangels" zu rechtfertigen. Der BGH zieht also aus dem von ihm vertretenen weiten Verletzungsbegriff nicht die Konsequenz, daß jede Form der Eigentumsverletzung, so sie denn vorliegt, gleichermaßen zur Anwendung des Deliktsrechts neben dem Vertragsrecht führt.
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ohne Sachentzug134 - als deliktsrechtlich relevante Verletzung des Eigentums ein. In Hinblick darauf, daß der deliktsrechtliche Schutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht, soll die insoweit bedeutsame Rechtsprechung des BGH im folgenden gesondert dargestellt werden. 3. Deliktsrechtlicher Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen a) Voraussetzungen für die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung Unter Zugrundelegung des in der Fleetfall-Entscheidung vom 21. 12. 1970 135 in ausdrücklicher Abkehr von der reichsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten sacheinwirkungsbezogenen Verletzungsbegriffs 136 hat der BGH in dieser Entscheidung 137 erstmals eine reine Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung eingeordnet 138. Bezogen auf das in dem Fleet an der Verladestelle der Mühle für mehr als acht Monate eingesperrte Transportschiff hat der BGH einen Eingriff in das Eigentum mit der Begründung bejaht, das Schiff habe durch die Sperrung des Fleets jede Bewegungsmöglichkeit über das zwischen der Verladestelle und den als Sperre wirkenden Baumstämmen befindliche Fleetstück hinaus verloren und sei infolgedessen als Transportmittel praktisch ausgeschaltet, „seinem bestimmungsgemäßen Gebrauch entzogen" gewesen. Die „Einsperrung" des Schiffes habe sich danach als eine die Eigentümerbefugnisse der Klägerin treffende tatsächliche Einwirkung auf dieses Schiff dargestellt und sei mithin eine Eigentumsverletzung gewesen139. Der BGH hat die für die Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung zentrale Voraussetzung der „Entziehung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs" weder in der Fleetfall-Entscheidung noch in hierauf Bezugnehmenden späteren Urteilen, in denen er sich unter Verwendung dieser 140 oder ähnlicher Formulierungen 141 mit der Frage des Vorlie134
Siehe im Ersten Teil, 1. Kap. unter I. 135 BGHZ 55, 153 ff. 136
Siehe oben unter 2. b) (1); zur Rechtsprechung des Reichsgerichts unter I. 2. b). Zum Sachverhalt siehe schon im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 1. 138 Anderer Ansicht Fraenkel, Tatbestand, 1979, 128 ff. Siehe dazu unter III. 2., Fn. 342 und im 2. Kap. unter II. 1. a), Fn. 359. 139 BGHZ 55, 153 ff. (159). 137
140 Siehe ζ. B. BGH VersR 1979,905 f. (906). 141
Wie beispielsweise „Verhinderung der Benutzung der Sache" bzw. „Verhinderung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs" (BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265) und BGH NJW-RR 1990, 1172 ff. (1173)), „Eingriff in die Verwendungsbefugnis" (BGH VersR 1979, 6 Boecken
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gens eines Eigentumseingriffs in Form einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung befaßte, abstrakt näher beschrieben. Er hat jedoch in der Fleetfall-Entscheidung veranlaßt durch den konkreten Sachverhalt - Grundlinien gezeichnet, die deutlich machen, was unter der Voraussetzung der „Entziehung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs" seiner Auffassung nach zu verstehen ist. Wenn der BGH in dieser Entscheidung hinsichtlich der ausgesperrten Schiffe eine Eigentumsverletzung ablehnt, weil diese durch die Sperrung des Fleets „in ihrer Eigenschaft als Transportmittel nicht betroffen und damit ihrem natürlichen Gebrauch nicht entzogen wurden" 142 , so führt die Auswechselung bzw. synonyme Verwendung der Begriffe „bestimmungsgemäßer Gebrauch" und „natürlicher Gebrauch" - letzterer vorgegeben durch die „Eigenschaft" der Sache 143 - zu einer Begrenzung des Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen dahingehend, daß nur solche Nutzungsarten in den Schutz einbezogen werden sollen, die dem aus der (wie auch immer zu bestimmenden144) „Eigenschaft" einer Sache zu folgernden „natürlichen Gebrauch" entsprechen. Zusätzlich wird der im Grundsatz anerkannte Schutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen mit dem Erfordernis einer „Entziehung" des bestimmungsgemäßen (natürlichen) Gebrauchs insoweit begrenzt, als für die Bejahung einer Eigentumsverletzung nach Auffassung des BGH der vollständige Verlust dieses Gebrauchs erforderlich ist 1 4 5 . Die Entziehung der vom Eigentümer realisierten konkreten Sachverwendung unterhalb dieser Grenze (im Fleetfall : Benutzung der drei ausgesperrten Schiffe zu dem Zweck, Transporte zu der Mühle durchzuführen), also die Beeinträchtigung der konkret bestimmten Sachnutzung unter gleichzeitiger Erhaltung des vom BGH sog. „natürlichen Gebrauchs", wird hingegen nicht als eine deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung angesehen. Der BGH ordnet solche Beeinträchtigungen, soweit sie in Zusammenhang mit der Inanspruchnahme einer öffentlichen (Wasser-)Straße erfolgen, allein als eine Behinderung in der Ausübung des Gemeingebrauchs ein, der allerdings nach Auffassung des BGH kein sonstiges Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 darstellt 146 . Inwieweit dem Gesichtspunkt der Dauer einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung neben dem Kriterium der Entziehung des bestimmungsgemäßen (natürlichen) Gebrauchs Bedeutung zukommen soll, läßt sich aus der Rechtsprechung des BGH nicht eindeutig entnehmen. In der grundlegenden Fleetfall-Entscheidung hat der 905 f. (906)) oder auch Beeinträchtigung der tatsächlichen Nutzung einer Sache, „indem deren Benutzung be- oder verhindert wird" (BGH JZ 1989, 649 f. (649)). 142 BGHZ 55, 153 ff. (160). 143 BGHZ 55, 153 ff. (160). 144 Der BGH nennt jedenfalls keine einschlägigen Kriterien. 145 Der BGH betont diese Voraussetzung in der Fleetfall-Entscheidung sehr stark, indem er von „Einsperrung" spricht und ausführt, daß das vor der Mühle in dem Fleet festliegende Schiff, jede Bewegungsmöglichkeit" verloren habe und „als Transportmittel praktisch ausgeschaltet" gewesen sei (BGHZ 55, 153 ff. (159)). 146 BGHZ 55, 153 ff. (160). Siehe auch noch folgend unter b) (1).
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BGH zur Begründung der Eigentumsverletzung hinsichtlich des eingesperrten Schiffs nicht zusätzlich auf die Dauer der Beeinträchtigung abgestellt. Andererseits hat er in nachfolgenden Entscheidungen verschiedentlich unter abgrenzender bzw. erläuternder Bezugnahme auf den Fleetfall zum Ausdruck gebracht, daß er auch der Beeinträchtigungsdauer für die Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung Bedeutung beimessen w i l l 1 4 7 . Diese Unentschiedenheit hinsichtlich der Relevanz des Zeitmoments ist besonders in der Entscheidung zum Grundstücksräumungsfall 148 deutlich geworden. Der BGH hat hier zwar die polizeilich veranlaßte etwa zweistündige Räumung des Betriebsgrundstücks unter dem Gesichtspunkt der damit verbundenen Beseitigung jedweder Nutzungsmöglichkeit als Eigentumsverletzung angesehen149. Jedoch verneinte er hinsichtlich der dreistündigen Blockierung der öffentlichen Zufahrtsstraße zu dem Betriebsgrundstück durch Polizei und Feuerwehrfahrzeuge nach Beendigung der Räumung eine Verletzung des Eigentums am Betriebsgrundstück 150 allein mit dem Hinweis auf die Kurzfristigkeit der Störung, deren Einordnung als selbständige Eigentumsverletzung am Betriebsgrundstück abwegig wäre und hob insoweit den „offensichtlichen Unterschied" zum Fleetfall unter Bezugnahme auf das „monatelange Einsperren eines Binnenschiffs im Endteil eines Fleets" hervor 151 .
b) Stellungnahmen zu Einzelbereichen reiner Nutzungsbeeinträchtigungen Auf der Grundlage der vorstehend allgemein dargestellten Voraussetzungen für die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung nach der Rechtsprechung des BGH soll im folgenden auf verschiedene Einzelbereiche 147 Siehe BGH NJW 1977, 2264ff. (2265); BGH VersR 1979, 905 f. (906); BGHZ 86, 152 ff. (155). Hingewiesen sei auch auf BGHZ 63, 203 ff. (206), wonach eine Eigentumgsbeeinträchtigung auch dann vorliegen könne, „wenn die Benutzbarkeit eines in der Garage abgestellten Kraftwagens etwa durch widerrechtlich ausgeführte Bauarbeiten vor der Garagenausfahrt für eine gewisse Zeit objektiv unmöglich gemacht wird". 148 BGH NJW 1977, 2264 ff., zum Sachverhalt siehe schon im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 1. 149 BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265). Darüber hinaus sah der BGH in dem polizeilichen Räumungsgebot als solchem einen Eingriff in das Eigentum durch rechtliche Einwirkung, siehe a. a. Ο. und schon oben unter 2. a). 1 50 Auf den Vortrag der Klägerin, wonach diese infolge der Blockierung gehindert gewesen sei, ihre mit Material beladenen Fahrzeuge ausfahren zu lassen (BGH NJW 1977, 2264 ff. (2264)) ist der BGH in Zusammenhang mit seinen Ausführungen zu der Frage einer Eigentumsverletzung durch Nutzungsbeeinträchtigung überhaupt nicht eingegangen (a. a. O., 2265). Insoweit bejaht beispielsweise Schnug, JA 1985, 614 ff. (618) eine Eigentumsverletzung. Vgl. auch Brüggemeier, VersR 1984, 902 ff. (903). 151 BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265). Unzutreffend deshalb Grüneberg, NJW 1992, 945 ff. (948), der unter Bezugnahme u.a. auf diese Entscheidung des BGH ausführt, nach Auffassung des BGH komme es für die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung nicht auf die Dauer der Beeinträchtigung an. *
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näher eingegangen werden, in denen reine Nutzungsbeeinträchtigungen eine große Rolle spielen und Gegenstand (delikts-)rechtlicher Beurteilung durch den BGH gewesen sind. Im einzelnen handelt es sich um Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit von Verkehrswegen 152, Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Nutzbarkeit von künstlichen Zuleitungen oder Versorgungen (insbesondere die sog. Stromkabelfälle) 153 sowie Beeinträchtigungen der Grundstücksbenutzung durch negative Einwirkungen 154 .
(1) Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit von Verkehrswegen Neben der insoweit vor allem bedeutsamen, bereits in Zusammenhang mit den vom BGH aufgestellten Voraussetzungen für die deliktsrechtliche Relevanz reiner Nutzungsbeeinträchtigungen unter dem Aspekt der Eigentumsverletzung erläuterten Fleetfall-Entscheidung 155 ist zunächst auf die Elbe-Seitenkanal-Entscheidung vom 15. 11. 1982 156 hinzuweisen. Diese hatte ebenso wie der Fleetfall eine reine Nutzungsbeeinträchtigung aufgrund der Störung der Benutzbarkeit einer Schifffahrtsstraße zum Gegenstand, welche hier allerdings durch einen fahrlässig verursachten Dammbruch herbeigeführt worden war 1 5 7 . Der Dammbruch hatte zur Folge, daß ein in einem wasserseitig allein über den Elbe-Seitenkanal zu erreichenden Hafen angesiedeltes Umschlags- und Lagereiunternehmen der Klägerin für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr nicht mehr von Schiffen angefahren werden konnte, was zu einem zeitweiligen Wegfall des „Wasserumschlags" und damit verbundenen erheblichen Umsatzeinbußen führte. Der BGH hat einen deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsverletzung abgelehnt158. Weder habe der Dammbruch in die Sachsubstanz der Lagerei- und Umschlagsanlagen eingegriffen, noch sei deren technische Brauchbarkeit beschränkt oder beseitigt worden. Der Dammbruch habe allein bewirkt, daß die auch landseitig erreichbaren Anlagen während der Sperrung des Elbe-Seitenkanals von Schiifen und damit Kunden der Klägerin nicht mehr angefahren werden konnten. In ausdrücklicher Abgrenzung zum Fleetfall wies der BGH daraufhin, daß dort das Schiffseigentum beeinträchtigt gewesen sei, weil der Eigentümer es nicht bestimmungsgemäß habe nutzen können. Hier hingegen seien die „Anlagen benutzbar geblieben, nur die Kunden blieben aus" 159 . Offen gelassen 152 153 154 155 156 157 158 159
Siehe unter (1). Siehe unter (2). Siehe unter (3). Siehe oben unter a). BGHZ 86, 152 ff. Siehe auch schon im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 1. BGHZ 86, 152 ff. (154 f.). BGHZ 86, 152 ff. (155).
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hat der BGH in dieser Entscheidung mangels ausreichender Anhaltspunkte, ob von einer Eigentumsverletzung möglicherweise dann ausgegegangen werden könnte, wenn die zeitweilige Sperrung des Elbe-Seitenkanals auch den Wert der Einrichtungen selbst gemindert hätte 160 . In verschiedenen Entscheidungen hat der BGH auch zum deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit von Verkehrswegen Stellung genommen, die in Zusammenhang mit der (beabsichtigten) Teilnahme am Straßenverkehr erfolgen. So hat der BGH in der bereits erwähnten 161 Entscheidung BGHZ 63, 203 ff. ausgesprochen, eine das Eigentum an einem Fahrzeug beeinträchtigende Einwirkung könne dann vorliegen, wenn die Benutzbarkeit eines in der Garage abgestellten Kraftwagens etwa durch widerrechtlich ausgeführte Bauarbeiten vor der Garagenausfahrt für eine gewisse Zeit objektiv unmöglich gemacht werde oder - insoweit äußert sich der BGH allgemeiner und ohne Erwähnung des Zeitkriteriums - wenn einem Fahrzeug durch ein Fremdverschulden jede Bewegungsmöglichkeit genommen werde 162 . Andererseits hat der BGH - auch darauf ist schon hingewiesen worden 163 - in der etwa dreistündigen Blockierung einer öffentlichen Zufahrtsstraße zu einem Betriebsgrundstück durch Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr keine Verletzung des Eigentums am Betriebsgrundstück durch Einwirkung auf die Benutzbarkeit desselben gesehen und hinsichtlich der nach dem Vorbringen der Klägerin eingetretenen Hinderung an der Aussendung von mit Material beladenen Fahrzeugen die Möglichkeit einer Eigentumsverletzung überhaupt nicht angesprochen 164. Entschieden, aber ohne jede dogmatische Begründung führte der BGH bezogen auf die Frage einer Verletzung des Grundstückseigentums unter vergleichender Heranziehung der Fleetfall-Entscheidung aus: „Es wäre auch abwegig, in der kurzfristigen Störung des öffentlichen Verkehrs auf den Zufahrtswegen zum Grundstück der Kl. eine selbständige Beeeinträchtigung des Eigentums am Betriebsgrundstück zu erblicken. Der Unterschied zu dem in BGHZ 55, 153 (159) entschiedenen Fall (monatelanges Einsperren eines Binnenschiffs im Endteil eines Fleets) ist offensichtlich." 165 . Nach der Auffassung des BGH handelte es sich - wie er anschließend in Zusammenhang mit der Ablehnung auch einer Verletzung des Rechts am 160 BGHZ 86, 152 ff. (155). Der BGH verneinte auch einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb mangels Betriebsbezogenheit des Eingriffs (a. a. O., 156). Unter vergleichender Heranziehung seiner Rechtsprechung zu den sog. Stromkabel fällen (siehe folgend unter (2)) führte der BGH aus, daß der Dammbruch in keiner unmittelbaren Beziehung zu dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin gestanden habe. Vielmehr sei die dadurch bewirkte Sperrung des wasserseitigen Zugangs eine „mehr zufällige und allgemeine Folge des Schadensereignisses" gewesen (a. a. O., 159). 161 Siehe unter a), Fn. 147. 162 BGHZ 63, 203 ff. (206), hierfür verweist der BGH beispielhaft auf die Fleetfall-Entscheidung. 163 Siehe unter a). 164 BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265). 165 BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265).
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eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 1 6 6 betonte - lediglich um Beeinträchtigungen des deliktsrechtlich nicht geschützten Gemeingebrauchs an einer öffentlichen Straße, die „von jedem Benutzer öffentlicher Straßen als schicksalhaft ersatzlos hingenommen werden müssen" 1 6 7 . Die Frage des Vorliegens einer Eigentumsverletzung durch die „Immobilisierung von Kraftfahrzeugen" 1 6 8 in (beispielsweise unfallbedingten) Verkehrsstaus ist als solche - soweit ersichtlich - zwar bislang nicht Gegenstand einer Entscheidung des B G H gewesen. Der B G H hat allerdings durch die verschiedentliche Heranziehung dieser Fallkonstellation als argumentum ad absurdum 1 6 9 deutlich gemacht, daß er die aus einer solchen „Festsetzung" resultierenden Schäden als reine Vermögensschäden 170 ansieht, mithin Schäden, die nicht auf der Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 genannten Rechtsgüter bzw. Rechte und also auch nicht des Eigentums beruhen 1 7 1 .
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Der BGH verneinte eine Verletzung insoweit mangels Betriebsbezogenheit des Eingriffs. Hieran fehle es im Zweifel dann, wenn auch jeder andere Rechtsträger einer entsprechenden Behinderung ausgesetzt sein könne und diese dann nach den das Haftpflichtrecht bestimmenden Zurechnungsgrundsätzen entschädigungslos hinnehmen müsse (BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265)). 167 BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265 f). Zur Verwendung des „Gemeingebrauchsarguments" in der Fleetfall-Entscheidung bezogen auf die ausgesperrten Schiffe siehe schon oben unter a). Siehe insoweit auch LG Nürnberg- Fürth, NJW 1954, 1201 f. (1201). 168 Vgl. im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 1., Fn. 19. 169 Siehe bereits im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 1., Fn. 20. 170 Zum Begriff siehe im Ersten Teil, 1. Kap. unter I. 171 Siehe BGH NJW 1973, 463 ff. (465) und BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265). Mit dieser Auffassung des BGH stehen die instanzgerichtlichen Entscheidungen des LG Nürnberg-Fürth in NJW 1954, 1201 f. und des AG Freiburg in ZfS 1989, 189 in Einklang, die jeweils im Falle der unfallbedingten Blockierung einer Straßenbahn eine Eigentumsverletzung abgelehnt haben. In Zusammenhang mit der vorstehend im Text dargestellten Rechtsprechung des BGH zur deliktsrechtlichen Beurteilung von reinen Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund einer Störung der Benutzbarkeit von Verkehrswegen sei noch auf zwei Entscheidungen des BGH verwiesen, die sich unter dem Gesichtspunkt eines Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen mit Beeinträchtigungen des sachnutzenden Eigentümers im Bereich von Verkehrswegen befaßten, die nicht auf einer Störung der Benutzbarkeit des Verkehrsweges als solchen beruhten. In BGH VersR 1979, 905 f. (906) hat der BGH ausgesprochen, daß die mit zusätzlichen Kosten verbundene Umladung von Ladungsgut, die wegen der Beschädigung eines Transportschiffes infolge einer Kollision zwecks Durchführung des Weitertransports zum Zielort notwendig wird, ohne gleichzeitige Beschädigung des Ladungsgutes selbst keine Eigentumsverletzung darstellt. In ausdrücklicher Gegenüberstellung zur Fleetfall-Entscheidung führte der BGH aus, die notwendige Umladung hindere den Eigentümer nicht, „die Sache gemäß seinen Absichten von dem Absendeort zu dem Bestimmungsort verbringen zu lassen", sondern zwinge ihn nur zu einem höheren Kostenaufwand (a. a. O., 906; bestätigt in BGH NJW- RR 1990, 1172 ff. (1173); siehe zu dieser Fallkonstellation jüngst v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen 1992, 31 f., der eine Eigentumsverletzung dann bejahen will, wenn im Falle eines Sinkens die Bergung der Ladung unter finanziellen Gesichtspunkten abwegig erscheinen müßte). Des weiteren hat der BGH die Erschwerung des Zugangs zu einer in einem Straßenbanquett verlegten Hauptwasserleitung dadurch, daß
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(2) Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Nutzbarkeit von künstlichen Zuleitungen oder Versorgungen (insbesondere: die sog. Stromkabelfälle) Beeinträchtigungen des Eigentümers in der Sachnutzung aufgrund von Störungen der Nutzbarkeit von künstlichen Zuleitungen oder Versorgungen haben in der Rechtsprechung des BGH insbesondere in Gestalt der sog. Stromkabelfälle Bedeutung erlangt. In ihrer hier unter dem Gesichtspunkt des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen interessierenden Grundkonstellation waren die vom BGH zu beurteilenden Sachverhalte jeweils dadurch gekennzeichnet, daß die Beschädigung eines im Eigentum eines Energieversorgungsunternehmens stehenden Stromkabels durch einen Dritten bei den angeschlossenen Energieabnehmern - in den einschlägigen Entscheidungen handelte es sich jeweils um Gewerbebetriebe - zu einem Ausfall der Stromversorgung führte mit der Folge, daß energieabhängige Maschinen und Geräte für eine bestimmte Zeit nicht genutzt werden konnten 172 . Der BGH hat in diesen Fällen einer Produktionsunterbrechung das Vorliegen einer deliktsrechtlich relevanten Eigentumsverletzung verneint. Zwar hat er einen Eingriff in das Eigentum der Stromabnehmer nicht unter dem Gesichtspunkt geprüft, daß diese wegen der aus der Stromunterbrechung resultierenden vorübergehenden Unbenutzbarkeit ihrer energieabhängigen Maschinen und Geräte reine Nutzungsbeeinträchtigungen erlitten hatten, und zwar weder in den zeitlich vor noch in den zeitlich nach der Fleetfall-Entscheidung ergangenen Urteilen 173 . Jedoch führte der BGH mehrfach in den diesbezüglich maßgebenden Entscheidungen aus, daß durch die Unterbrechung der Stromzufuhr für den Stromabnehmer kein Schaden an einem der in § 823 Abs. 1 geschützten Rechtsgüter und absoluten Rechte entstanden sei, dieser habe vielmehr einen reinen Vermögensschaden erlitwegen der nachfolgenden Verlegung eines Stromkabels der Eigentümer die Wasserleitung zum Zwecke von Wartungsarbeiten nicht mehr durch Maschineneinsatz, sondern nur noch mittels kostenaufwendigerer Handausschachtung erreichen konnte, nicht als Eigentumsverletzung angesehen (BGH NJW-RR 1990, 1172 ff. (1173)). Der BGH verneinte in ausdrücklicher Abgrenzung zur Fleetfall-Entscheidung eine Verhinderung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs mit der Begründung, die Benutzbarkeit der Wasserleitung für das Durchleiten von Wasser sei nicht in Frage gestellt worden. In der bloßen Erschwerung des Zugangs drücke sich nur die Abhängigkeit des Eigentums von den räumlichen Verhältnissen des Umfeldes und ihren Veränderungen aus, für deren Ausgestaltung das Eigentum jedenfalls in solchen Fällen keine Berechtigungen vermittele (a. a. O., 1173). 172 BGHZ 29, 65 ff.; BGH NJW 1959, 1423f.; NJW 1968, 1279ff.; BGHZ 66, 388ff.; BGH NJW 1977, 2208ff.; anders der Sachverhalt in BGHZ 41, 123ff. (Bruteierfall), hier hatte der stromabnehmende Unternehmer neben der Produktionsunterbrechung auch eine Substanzbeschädigung erlitten (siehe schon im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 2.); ebenso in BGHZ 64, 355 ff. 173 Insoweit richtig Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 118, wonach der BGH die Frage, ob in dem energieausfallbedingten Stillstand einer Maschine eine Eigentumsverletzung an dieser Maschine zu sehen ist, in den einschlägigen Entscheidungen nicht aufwirft.
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ten 1 7 4 . In den Entscheidungen BGHZ 41, 123 ff. und BGH NJW 1968, 1279 ff. hob der BGH sogar in ausdrücklicher Gegenüberstellung zu dem Fall, daß die Entziehung der Stromzufuhr neben der Sachnutzungsbeeinträchtigung auch eine Substanzverletzung zur Folge hat 1 7 5 und deshalb eine Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 zu bejahen sei, hervor, anderes gelte dann, wenn mangels Untergangs oder Beschädigung von Sachen allein die Produktion vorübergehend unterbrochen werde 176 . Von seinem Ausgangspunkt her - der Ablehnung einer Eigentumsverletzung konsequent prüfte der BGH in den Stromkabelfällen eine Verletzung des seiner Auffassung nach nur subsidiär als Auffangtatbestand eingreifenden Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 177 und verneinte insoweit einen deliktsrechtlich relevanten Eingriff mangels Betriebsbezogenheit der Kabelbeschädigung 178 . Die Unterbrechung des zu einem Unternehmen führenden Stromkabels stehe nicht in Beziehung gerade zu dem betroffenen Gewerbebetrieb, weil die Lieferung elektrischen Stroms über ein Kabel keine dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wesenseigentümliche Eigenheit darstelle, zumal gleiche rechtliche Beziehungen auch zwischen anderen, an demselben Stromkabel angeschlossenen Abnehmern und dem Stromversorgungsunternehmen bestünden179. Die mit seiner Rechtsprechung zu den Stromkabelfällen verbundene Konsequenz, daß aus Unterbrechungen der Stromzufuhr resultierende Produktionsaus174 Siehe BGHZ 29, 65 ff. (75); BGH NJW 1959, 1423 f. (1424), hier in Zusammenhang mit § 831; BGH NJW 1968, 1279ff. (1280); BGHZ 64, 355 ff. (360); 66, 388ff. (391): Der BGH spricht hier von einem mittelbaren Schaden des Stromabnehmers und beschreibt diesen als Vermögensschaden, den ein Dritter bei Verletzung eines fremden Rechtsgutes durch bloße Reflexwirkung erleidet; ebenso in BGHZ 41, 123 ff. (127). 175 So der Bruteierfall BGHZ 41, 123 ff. 176 BGHZ 41, 123 ff. (126f.); BGH NJW 1968, 1279ff. (1280). Insoweit kann Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 118 nicht gefolgt werden, der die Rspr. dahingehend wiedergibt, der BGH habe in den einschlägigen Fällen lediglich untersucht, ob ein Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorliegt, und deshalb nur von einer „(unterstellten) Auffassung" des BGH hinsichtlich der Ablehnung einer Eigentumsverletzung ausgehen will (ebenso ungenau Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 330, der sich in Fn. 76 auf Taupitz beruft). Zutreffend demgegenüber Mertens/Reeb, JuS 1971, 469 ff. (471), die unter Bezug auf BGH NJW 1968, 1279 ff. (1280) darauf hinweisen, daß der BGH in den hier zur Diskussion stehenden Fällen eine Eigentumsbeeinträchtigung verneint. 177 Zur Subsidiarität siehe nur BGHZ 55, 153 ff. (158); BGH NJW 1977, 2264ff. (2265); BGHZ 105, 346 ff. (350). 178 Siehe BGHZ 29, 65ff. (67ff.); BGH NJW 1959, 1423f. (1424); NJW 1968, 1279ff. (1280); BGHZ 66, 388 ff. (393); BGH NJW 1977, 2208 ff. (2209). 179 Siehe nur BGHZ 29, 65 ff. (74f.); BGH NJW 1977, 2208ff. (2209). Zur Rspr. des BGH in Hinblick auf Schadensersatzansprüche des Stromabnehmers aus § 823 Abs. 2 i.V.m. landesbauordnungsrechtlichen Regelungen, die in Zusammenhang mit der Einrichtung von Baustellen u.a. den Schutz von Versorgungsanlagen anordnen, siehe schon im Ersten Teil, 2. Kap. unter III. 1., insb. auch Fn. 100.
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fallschäden dann nicht nach § 823 Abs. 1 ersatzfähig sind, wenn die Unterbrechung lediglich zu einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung in Bezug auf die energieabhängigen Maschinen und Geräte geführt hat, während im Falle einer neben der Nutzungsbeeinträchtigung eingetretenen Sachbeschädigung180 der nach Auffassung des BGH begründete Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 wegen Eigentumsverletzung auch die mit dem Produktionsausfall verbundenen Schäden umfaßt, hat der BGH damit gerechtfertigt, daß diese „etwas zufällige Abgrenzung ... auf einer verbindlichen allgemeinen Entscheidung des geltenden Deliktsrechts (beruht)" 181 .
(3) Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung durch negative Einwirkungen Gegen Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung durch negative Einwirkungen - der BGH versteht unter negativen Einwirkungen die durch Nutzung eines Nachbargrundstücks hervorgerufene Abhaltung von natürlichen Grundstückszuführungen wie etwa Licht, Luft oder Wasser 182, darüber hinaus jedoch auch die Entziehung anderer Vorteile wie beispielsweise die Abschattung von Funkwellen 1 8 3 - , die in der Rechtsprechung des BGH in erster Linie in Zusammenhang mit negatorischen Ansprüchen Bedeutung erlangt haben, erkennt der BGH im Grundsatz 184 weder einen negatorischen noch einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz an 1 8 5 . Unter Zugrundelegung des bereits vom Reichsgericht in Hinblick auf die imponderablen Immissionen unter Orientierung an § 906 Abs. 1 vertretenen materiellen Einwirkungsbegriffs 186 verneint der BGH einen Schütz des Grundstückseigentums mangels Vorliegens einer Einwirkung auf das Eigentum 187 .
180 So in BGHZ 41, 123 ff. und 64, 355 ff. 181 BGHZ 66, 388 ff. (394). 182 Siehe nur BGH L M § 903, Nr. 1 und 2; BGHZ 69, 1 ff. (4); 88, 344 ff. (345). 183 BGHZ 88, 344 ff. (347). 184 Siehe aber noch unten im Text. iss BGH L M § 903, Nr. 1 und 2; BGHZ 69, 1 ff. (4); 88, 344ff. (345 ff.); BGH NJW 1991, 1671 ff. (1671). In BGHZ 69, 1 ff. (4) prüft und verneint der BGH ausdrücklich eine deliktsrechtliche Eigentumsverletzung durch negative Einwirkung in Zusammenhang mit der Entziehung von Grundwasser. Bis zu dem Naßauskiesungsbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 15.7. 1981 (BVerfGE 58, 300 ff.) ging der BGH davon aus, daß das Grundwasser zum Grundstückseigentum rechnet, wenn auch seiner Auffassung nach wegen der fehlenden Sacheigenschaft i.S.v. § 90 nicht eigentlich von einem „Eigentum am Grundwasser" gesprochen werden konnte, sondern von einer „Befugnis des Grundstückseigentümers, über das auf seinem Grundstück vorgefundene Grundwasser zu verfügen" (BGHZ 69, 1 ff. (4)). Zur neueren Rspr. des BGH, wonach das Grundwasser nicht im Eigentum des Grundstückseigentümers steht, siehe BGH NJW 1991, 299 f. (299). 186 Siehe unter I. 2. b) (1) und oben unter 2. b) (2). 187 Siehe die Nachw. in Fn. 185.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
Der BGH begründet das Festhalten an dem materiellen Einwirkungsbegriff und die damit verbundene Versagung eines Schutzes gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen maßgebend mit Wortlaut und Systematik der §§ 903 ff. 1 8 8 . Die Vorschrift des § 903 Satz 1 sage nichts darüber aus, was als Einwirkung verboten werden könne. Der zwischen den verschiedenen Grundstückseigentümern notwendige Interessenausgleich werde erst durch die nachbarrechtlichen Bestimmungen, hier insbesondere durch § 906 geschaffen. Die danach verbietbaren Einwirkungen seien aber nur den gesetzlich genannten Beispielen gleichartige, mithin „allein positiv die Grenze überschreitende, im allgemeinen sinnlich wahrnehmbare Wirkungen .. . " 1 8 9 . Hieraus entnimmt der BGH das Fehlen einer Vorschrift für negative Einwirkungen im BGB und folgert des weiteren, „daß es das Gesetz bei der Eigentumsfreiheit (§ 903 BGB 1. Alternative) belassen w i l l " 1 9 0 , mithin also das Verbietungs- bzw. Ausschließungsrecht des betroffenen Eigentümers hinter das Nutzungsinteresse des durch negative Einwirkung beeinträchtigenden Grundstückseigentümers zurücktreten muß. „Innerhalb der Grenzen seines Grundstücks darf eben jedermann grundsätzlich mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren und bedarf keiner Rechtfertigung nach § 906 Abs. 1 BGB .. . " 1 9 1 . Der BGH sieht seine Auffassung durch die Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestätigt, wonach die Eigentumsfreiheit nicht eingeschränkt werden sollte, solange die Grenze zum Nachbargrundstück nicht durch Zuführung von Imponderabilien überschritten wird 1 9 2 . Zur Begründung nimmt der BGH auf die Motive zum Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs Bezug 193 und führt aus, daß sich die 1. Kommission den Vorschlägen ihres Redaktors Johow angeschlossen habe. Von diesem sei in den Randüberschriften zu den §§ 105 ff. seines Teilentwurfs zum Sachenrecht 194 noch ausdrücklich zwischen positiven Eigentumsbeschränkungen zugunsten des Nachbarn (Immissionen, Projektionen sowie Notwegrecht) und negativen Beschränkungen (Graben in die Tiefe, Bauen in die Höhe, iss BGHZ 88, 344 ff. (346). 189 BGHZ 88, 344 ff. (346). Zu dem materiellen Einwirkungsbegriff sowie dazu, daß der BGH § 906 in Übereinstimmung mit dem Reichsgericht (siehe unter I. 2. b) (1), Fn. 44) nicht nur als Einschränkung der in § 903 Satz 1 niedergelegten Eigentümerfreiheit, sondern darüber hinaus als auskunftgebenden Maßstab dafür begreift, was unter einer zur Ausschließung berechtigenden imponderablen Immission zu verstehen ist, siehe schon oben unter 2. b) (2). Verwiesen sei auch auf BGH NJW 1991, 1671 ff. (1671) zu § 907: Danach folgt der Begriff der unzulässigen Einwirkung im Sinne dieser Regelung insb. aus den §§ 903,905, 906. 190 BGHZ 88, 344 ff. (346). 191 So in BGHZ 88, 344 ff. (346 f.) unter vergleichendem Verweis auf MünchKomm-Medicus, 2. Aufl., § 1004, Rz. 29. Diese „eigentumsinhaltliche" Begründung wird in der Lit. vielfach als wesentliches Argument für die Ablehnung eines Schutzes des Grundstückseigentums gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen herangezogen, siehe folgend unter ΙΠ. 1. c) (3) und die Nachw. in Fn. 328 und im Dritten Teil, 2. Kap. unter II. 1. b) (4). 192 BGHZ 88, 344 ff. (347). 193 Motive ΠΙ, 259 und 264, siehe BGHZ 88, 344 ff. (347). 194 TE-SachR, siehe Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 5 ff.
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
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gefährdende Anlagen) unterschieden worden 195 . Demzufolge sollte eine sich in den räumlichen Grenzen des Grundstücks haltende Benutzung nicht verboten sein Schließlich verweist der BGH für sein Festhalten an dem materiellen Einwirkungsbegriff und die damit einhergehende Verneinung eines Schutzes gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen auf die Rechtswerte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes 197. Diese verlangten, soweit ältere Gesetzesbestimmungen im Laufe der Zeit durch eine gefestigte Rechtsprechung ausgeformt worden seien, im allgemeinen ein Festhalten an der einmal eingeschlagenen Rechtsentwicklung. Ein Abweichen hiervon könne nur dann in Betracht kommen, wenn deutlich überwiegende oder sogar schlechthin zwingende Gründe dafür sprächen 198 . In bestimmten Fällen durchbricht der BGH anders als das Reichsgericht, das einen Schutz des Grundstückseigentums gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen rigoros verneinte 199 seine die uneingeschränkte Zulässigkeit negativer Einwirkungen grundsätzlich bejahende Rechtsprechung. In den insoweit grundlegenden Entscheidungen wird zwar nicht zu der Frage einer deliktsrechtlich relevanten Eigentumsverletzung Stellung genommen. Jedoch sind die Durchbrechungen in Zusammenhang mit der hier zur Diskussion stehenden Problematik eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen aus dem Grunde von Interesse, weil der BGH in den einschlägigen Entscheidungen von dem Ausgangspunkt eines an den materiellen Einwirkungsbegriff angebundenen Schutzes der Grundstücksnutzung abrückt und einen eigentumsschutzrechtlich relevanten Eingriff in das Grundstückseigentum auch im Falle von Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung durch negative Einwirkungen bejaht. Aus der die uneingeschränkte Zulässigkeit negativer Einwirkungen durchbrechenden Rechtsprechung des BGH ist zunächst auf die grundlegende Entscheidung BGH L M § 903 Nr. 2 vom 10. 4. 1953 zu verweisen 200 . Dieser Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, nach welchem die Realisierung einer beabsichtigten Grundstücksbebauung zwecks Ausfüllung einer Baulücke den Fenstern eines auf 195 BGHZ 88, 344 ff. (347) unter Hinweis auf Schubert, Sachenrecht, Teil I, 17. 196 BGHZ 88, 344 ff. (347). 197 BGHZ 88, 344 ff. (347) unter Berufung auf den Großen Senat in BGHZ 85, 64 ff. (66). Siehe auch BGH NJW 1991, 1671 ff. (1672). 198 BGHZ 88, 344 ff. (347). 199 Zur Rechtsprechung des Reichsgerichts siehe oben unter I. 2. b) (1) und (2). Das Reichsgericht erkannte allerdings an, daß im Falle von negativen Einwirkungen „ein Widerstreit zwischen den Vorteilen und Berechtigungen der beiden Nachbarn vorliegt, der gesetzgeberische Ausgleichung als wünschenswert erscheinen läßt", siehe RG JW 1913, 267 f. (267); ähn lieh der BGH in BGHZ 88, 344 ff. (346). 200 Zuvor hatte der BGH schon in BGH L M § 903 Nr. 1 vom 15. 6. 1951 angedeutet, daß von der uneingeschränkten Zulässigkeit negativer Einwirkungen Ausnahmen möglich sein könnten.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
dem Nachbargrundstück stehenden Gebäudes, die sich auf der dem projektierten Neubau zugewandten Seite befanden, das Licht entzogen hätte. Die im Rahmen einer Feststellungsklage über das Nichtbestehen eines Verbietungsrechts in Anspruch genommene Beklagte hatte ihrerseits ein Lichtrecht geltend gemacht sowie darauf hingewiesen, daß der Kläger ohne Verlust auch einen anderen Teil seines Grundstücks bebauen könne. Der BGH hat zwar einen Abwehranspruch gemäß den §§ 903, 906, 907, 1004 verneint, weil hiervon nicht die Abwehr sogenannter negativer Einwirkungen erfaßt würde. Er hat jedoch aus dem Rechtsinstitut des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses die Verpflichtung des bauwilligen Eigentümers abgeleitet, jedenfalls die beabsichtigte Nutzung mit der Folge des Lichtentzugs zu unterlassen 201 . Zur Begründung führte der BGH aus, daß der Ausgleich widerstreitender Interessen von Grundstücksnachbarn in erster Linie zwar durch die nachbarrechtlichen Gesetzesvorschriften zu geschehen habe 202 . Anerkannt sei jedoch, daß das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis eine Rechtspflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme erzeuge, die unter Umständen die Ausübung eines bestehenden Rechts als unzulässig erscheinen lasse. Allerdings müsse eine solche Einschränkung durch zwingende Gründe erfordert sein 203 . Als Voraussetzung für eine solche auf zwingenden Gründen beruhende Einschränkung des positiven Eigentumsinhalts durch eine aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis abgeleitete Unterlassungspflicht verlangte der BGH zum einen, daß die (hier erst beabsichtigte) Grundstücksnutzung mit ungewöhnlich schweren Nachteilen für den Nachbarn verbunden ist. Zum anderen war von Bedeutung, daß die Nutzungsabsicht des (hier bauwilligen) Grundstückseigentümers (möglicherweise) 204 aueh ohne Nachteile für den betroffenen Nachbarn verwirklicht werden konnte. Der BGH wies jedoch ausdrücklich darauf hin, daß damit kein allgemeiner Satz des Inhalts aufgestellt werden sollte, wonach ein Grundstückseigentümer im Falle des Bestehens verschiedener gleichwertiger Nutzungsmöglichkeiten stets diejenige zu wählen habe, welche seinen Nachbarn nicht schädigt 2 0 5 .
201 BGH L M § 903, Nr. 2. 202 BGH L M § 903, Nr. 2; zuvor schon BGH L M § 903, Nr. 1. 203 BGH L M § 903, Nr. 2. 204 Mangels ausreichender Sachverhaltsaufklärung konnte der BGH insoweit nicht abschließend entscheiden. 205 BGH L M § 903, Nr. 2. In BGH NJW 1991, 1671 ff. hat der BGH die in BGH L M § 903, Nr. 2 entwickelte Rechtsprechung unter Hinweis auf diese Entscheidung ausdrücklich bestätigt. Obwohl in BGH NJW 1991, 1671 ff. nach Ansicht des BGH keine abwehrfähige Einwirkung i. S. d. §§ 903, 905, 906 vorlag (ob es sich um eine negative Einwirkung handelte, ließ er offen, a. a. O., 1672), bejahte der BGH auf der Grundlage des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses einen Anspruch auf Rücksichtnahme sowie in Hinblick darauf, daß der Kläger Substanzschäden erlitten hatte, die Möglichkeit eines deliktsrechtlichen Anspruchs aus § 823 Abs. 1 sowie eines verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruchs ge-
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Von der grundsätzlichen Ablehnung eines Schutzes des Grundstückseigentums gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen weicht der B G H des weiteren i m Falle einer Beeinträchtigung des sogenannten „Kontakts nach außen" ab. In zwei insoweit grundlegenden Entscheidungen hat sich der B G H (unter anderem) mit der Frage befaßt, ob die aus der Inanspruchnahme einer Straße zum Zwecke von Bauarbeiten auf einem Grundstück resultierende Beeinträchtigung des Zugangs zu einem auf einem Nachbargrundstück gelegenen Gewerbebetrieb bzw. der Möglichkeit, mit einem Gewerbebetrieb werbend auf den Verkehr zwecks Kundengewinnung einzuwirken, für die betroffenen Gewerbetreibenden einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch auf der Grundlage von § 906 Abs. 2 Satz 2 begründen k a n n 2 0 6 . Der B G H hat in beiden Entscheidungen eine unmittelbare Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 auf der Grundlage des materiellen Einwirkungsbegriffs mit der Begründung abgelehnt, der Ausgleichsanspruch setze eine nach § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 zu duldende Einwirkung voraus, die entsprechend den in § 906 Abs. 1 genannten Beispielen durch Zuführungen sinnlich wahrnehmbarer Art e r f o l g t 2 0 7 . maß § 906 Abs. 2 Satz 2 analog (siehe hier zu noch im Dritten Teil, 2. Kap. unter II. 1. b) (3), Fn. 370). Diese Entscheidung, die angesichts erlittener Substanzschäden keinen Fall reiner Nutzungsbeeinträchtigung in dem hier verstandenen Sinne betrifft, ist dennoch im vorliegenden Zusammenhang unter dem Aspekt des Abrückens von dem materiellen Einwirkungsbegriff außerhalb des gesetzlich vorgesehenen Eigentumsschutzes mit Hilfe des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses von Bedeutung. Zur Kritik daran, daß der BGH gleichwohl innerhalb des Systems des gesetzlichen Eigentumsschutzes einen deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 in Betracht zieht, siehe noch im Dritten Teil, 2. Kap. unter II. 1. b) (1), Fn. 332. 206 BGHZ 62, 361 ff. (365 ff.); 70, 212ff. (219ff.). In beiden Entscheidungen waren die jeweils klagenden Gewerbetreibenden nicht zugleich Grundstückseigentümer, was allerdings einem Anspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 nicht von vorneherein entgegensteht, da diese Regelung über ihren Wortlaut hinaus nach der Rspr. des BGH auch auf den Besitzer eines Grundstücks Anwendung findet, siehe nur BGHZ 30, 273 ff. (276); BGH L M § 906, Nr. 49; BGHZ 70, 212 ff. (220). Deliktsrechtliche Ansprüche, die der BGH in BGHZ 62, 361 ff. (363 ff.) mangels klägerischen Eigentums am Betriebsgrundstück unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb bzw. des Besitzes prüfte, kamen in BGHZ 62, 361 ff. nicht in Betracht, da die Sondernutzung der Straße ordnungsbehördlich erlaubt worden und damit nach Auffassung des BGH rechtmäßig war sowie ein Überschreiten der Erlaubnis nicht festgestellt werden konnte (BGHZ 62, 361 ff. (363 ff.)). In BGHZ 70, 212 ff. hat der BGH deliktsrechtliche Ansprüche nicht ausdrücklich angesprochen. 207 BGHZ 62, 361 ff. (366) (der BGH erachtete hier die direkte Anwendung des § 906 darüber hinaus deshalb für ausgeschlossen, weil die Einwirkung nicht von dem Nachbargrundstück unmittelbar ausgegangen sei); BGHZ 70, 212ff. (220). Der BGH bezeichnete in diesen Entscheidungen die Störung der Verhältnisse im Bereich des straßenseitigen Grundstückszugangs nicht direkt als negative Einwirkung (anders ζ. B. das Reichsgericht in RGZ 51, 25Iff. (254f.)), sondern sprach allein von der Behinderung und Unterbrechung des „Kontakts nach außen" (BGHZ 62, 361 ff. (366)) und beschrieb diese Fallgruppe lediglich allgemein als „die hier vorliegende Art von Einwirkungen" (BGHZ 62, 361 ff. (367); in BGHZ 70, 212 ff. (220 f.) wurde gleichfalls keine nähere Einordnung vorgenommen). Allerdings hat der BGH später in seiner Entscheidung zur Abschattung von Funkwellen in BGHZ
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
Trotz des NichtVorliegens einer Einwirkung im Sinne des materiellen Einwirkungsbegriffs sprach sich der BGH für eine Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 aus und begründete dies damit, daß eine Regelung der Beeinträchtigung des „Kontakts nach außen" nach den für das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis entwickelten Grundsätzen, welche die Grundlage für den Ausgleichsanspruch des § 906 Abs. 2 Satz 2 darstellten, aus dem Grunde erforderlich sei, weil der nachbarliche Interessenkonflikt im Bereich der dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßenverkehrsfläche entstehe, die ihrerseits zwangsläufig in Verbindung mit den beiden Nachbargrundstücken genutzt werde 208 . Als Voraussetzung für die Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 verlangte der BGH das Vorliegen einer Duldungspflicht nach Maßgabe der in § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 enthaltenen Kriterien sowie eine über das zumutbare Maß hinausgehende Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung des betroffenen Grundstücks oder dessen Ertrags durch eine nachhaltige Behinderung des „Kontakts nach außen" 209 .
I I I . Die in der Literatur vertretenen Auffassungen zur Frage eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen 1. Die herrschende Lehre a) Grundsätzliche Befiirwortung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen In der Literatur wird heute ganz überwiegend 210 in Übereinstimmung mit der durch die Fleetfall-Entscheidung eingeleiteten Rechtsprechung des BGH 2 1 1 grundsätzlich ein deliktsrechtlicher Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchti88, 344 ff. (345) dadurch, daß er zur Untermauerung seiner Auffassung von der Nichtabwehrfähigkeit negativer Einwirkungen u.a. auf BGHZ 62, 361 ff. (366) vergleichsweise Bezug genommen hat, auch die Beeinträchtigung des „Kontakts nach außen" in die Kategorie der negativen Einwirkung eingeordnet (siehe zu der Bezugnahme in BGHZ 88, 344 ff. auf BGHZ 62, 361 ff. auch noch im Dritten Teil, 2. Kap. unter II. 1. b) (3), Fn. 370). 208 BGHZ 62, 361 ff. (366 f.). Zur ausdehnenden Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 in der Rspr. des BGH im übrigen siehe noch im Dritten Teil, 2. Kap. unter II. 1. b) (3), Fn. 370. 209 BGHZ 62, 361 ff. (367); 70, 212 ff. (221). Zu der mit der Anerkennung eines Schutzes des „Kontakts nach außen" vergleichbaren enteignungsrechtlichen Rechtsprechung des BGH für den Fall einer Beeinträchtigung der straßenseitigen Zugänglichkeit eines Grundstücks siehe noch in Zusammenhang mit den Ausführungen zur Frage einer eigentumsfundierten Berechtigung an der Ausgestaltung der Umwelt im Dritten Teil, 1. Kap. unter ΠΙ. 4., Fn. 147. 210 211
Zur Minderansicht siehe noch folgend unter 2. Siehe dazu oben unter II. 3.
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gungen 212 befürwortet 213 . Dieser Schutz wird häufig im Wege einer „objektivierenden Betrachtungsweise" 214 als ein Schutz der „sozialtypischen Verwendungsfunktion" einer Sache verstanden 215. Der Begriff der „sozialtypischen Verwen212 Zur Beschreibung der hier in Frage stehenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen (zum Begriff siehe im Ersten Teil, 1. Kap. unter I.) werden in der Lit. eine Vielzahl unterschiedlicher Formulierungen verwendet. Neben v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 28 ff., der auch von reinen Nutzungsbeeinträchtigungen spricht (diesen Begriff allerdings weitergehend nicht nur auf Beeinträchtigungen der Sachnutzung bezieht, siehe schon im Ersten Teil, 1. Kap. unter I., Fn. 5), sei verwiesen auf Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (775: Beeinträchtigungen der Sachnutzung durch Ereignisse, die das Verhältnis zur Umwelt stören, ohne die Sache in ihrer körperlichen Substanz zu verletzen), MünchKommMertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 91 und 98 (Funktionsstörungen, die auf eine Einwirkung auf die physikalisch erfaßbare Umweltrelation einer Sache zurückgehen), RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 21 (Beeinträchtigungen der Nutzungsfähigkeit durch die mit keiner Beschädigung oder Zerstörung verbundene Einwirkung auf die Sache), Medicus, SchR II, 6. Aufl., 365 (Störungen der Sachnutzung, die weniger intensiv sind als die Entziehung oder Vorenthaltung der Sache), Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 25 und 31 (bloße Beeinträchtigungen der Nutzungsmöglichkeit bzw. primäre Nutzungsschäden, verstanden als Beeinträchtigung der funktionsgemäßen Nutzung einer Sache ohne Minderung der Sachsubstanz) sowie Larenz/ Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 388 (reine Nutzungs- und Verwendungszweckstörungen ohne Einwirkung auf die Sache als solche). 213 Unter den zahlreichen Stellungnahmen der Lit. seien hervorgehoben Mertens/Reeb, JuS 1971, 469ff. (471); Neumann-Duesberg, NJW 1972, 133 ff. (133); Möschel, JuS 1977, Iff. (3f.); Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775ff. (779f. und 782f.); ders. in Soergel, 11. Aufl., § 823, Rz. 29; Frank, JA 1979, 583 ff. (587 f.); AK-BGB-Joerges, § 823, Rz. 12; Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 115 ff. (insb. 121 ff.); Kübler, FS F. Baur, 1981, 51 ff. (54f.); Plum, AcP 181 (1981), 68ff. (124ff.); Larenz, SchR Π, 12. Aufl., 600f.; Larenz/ Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 388ff.; Müller-Graff, JZ 1983, 860ff. (862); Jahr, AcP 183 (1983), 725 ff. (751); Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 33 f. und 37; Schnug, JA 1985, 614ff. (616f.); Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986, 202f. und 209ff.; ders., VersR 1984, 902ff. (902); MünchKomm- Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 52 und 91 ff.; Staudinger-Schäfer, 12. Aufl., § 823, Rz. 55; Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampf recht, 1986, 344ff.; RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 21; Deutsch, MDR 1988, 441 ff. (444); Müller, Schuldrecht BT, 1990, 414f.; Schlechtriem, Schuldrecht BT, 3. Aufl., 326 i.V.m. Fn. 38; Esser/Weyers, SchR II, 7. Aufl., 549 f. (trotz seiner grundsätzlichen Ablehnung einer Bewältigung der hier in Frage stehenden Problematik unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes, siehe schon im Ersten Teil, 2. Kap. unter I.); Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 59 ff.; Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. Π Α. 4. b bb; Medicus, SchR II, 6. Aufl., 365ff.; v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 28ff.; Emmerich, Schuldrecht BT, 7. Aufl., 283; Fikentscher, Schuldrecht, 8. Aufl., 733; Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 25 und 31 f. 214 So die Beschreibung von Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 336. 2 15 Siehe ζ. B. Möschel, JuS 1977, Iff. (4); Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 122; Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 37f.; Schnug, JA 1985, 614ff. (616f.); MünchKommMertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 52 und 91. Statt auf die „sozialtypische Verwendungsfunktion" einer Sache wird vergleichbar objektivierend etwa auf eine Beeinträchtigung der „funktionsgemäßen" bzw. „funktionsgerechten" Sachnutzung (siehe Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 31) oder die Hinderung des Eigentümers daran, „die Sache zu irgendeinem vernünftigen, ihrer Funktion entsprechenden Zweck einzusetzen" (Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601 unter Verweis auf Möschel, JuS 1977, 1 ff. (4)), abgestellt oder auch dahingehend formuliert, daß
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dungsfunktion" - für dessen Bestimmung die allgemeine Lebensanschauung herangezogen werden soll 2 1 6 - wird als solcher nur vereinzelt über eine bloß schlagwortartige Abgrenzung gegenüber nicht erfaßten Sachfunktionen bzw. -nutzungen 2 1 7 hinausgehend erläutert, sei es in dem Sinne, daß dazu alles das gehören soll, was das Wesen der jeweiligen Sache ausmacht bzw. ihr überhaupt erst irgendeine Funktion zuweist 218 , oder auch dahingehend, daß unter „sozialtypischer Verwendungsfunktion" die „Grundfunktion" einer Sache zu verstehen sein soll 2 1 9 . Im wesentlichen wird die grundsätzliche Anerkennung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen mit der Anbindung der Schutzposition „Eigentum" i. S. d. § 823 Abs. 1 an den nach § 903 Satz 1 maßgebenden Eigentumsinhalt sowie dem Zweck des deliktsrechtlichen Güterschutzes im allgemeinen bzw. des Eigentumsschutzes im besonderen begründet. Als Objekt des deliktsrechtlichen Schutzes wird das Eigentum im sachenrechtlichen Sinne angesehen220. Zu dem nach § 903 Satz 1 zu bestimmenden Eigentumsinhalt - der im Rahmen des geltenden Rechts im Kern einheitlich sowohl für bewegliche als auch unbewegliche Sachen zu verstehen sei 2 2 1 - gehöre nicht nur ein „gewissermaßen statisches Haben der Sache", sondern darüber hinaus auch die Befugnis, die Sache „in bestimmten Grenzen nach eigener Entscheidung ... gebrauchen zu können" 2 2 2 . Werde dem Eigentümer allerdings kraft seines Eigentums insbesondere auch eine Nutzungs- bzw. Gebrauchsbefugnis eingeräumt, so sei der Eigentums-
ein Nutzungsschutz nur anzuerkennen ist, wenn „die Sache nicht der Verkehrserwartung entsprechend ... genutzt werden kann" (Deutsch, MDR 1988, 441 ff. (444)). Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (783) will den Eigentumsschutz grundsätzlich „auf die Möglichkeit eines angemessenen Umgangs mit der Sache, insbesondere auf die ihrer bestimmungsmäßigen Nutzung erstrecken". 216 So Schnug, JA 1985, 614 ff. (617). Ähnlich Deutsch, MDR 1988, 441 ff. (444), danach soll für die der „Verkehrserwartung" entsprechenden Nutzung die „anerkannte Erwartung" maßgebend sein. 217 Siehe ζ. B. Möschel, JuS 1977, 1 ff. (4), der von der sozialtypischen Verwendungsfunktion „nicht geschützte", vom Eigentümer gesetzte „beliebige Akzidentia" unterscheidet. Deutsch stellt einem Schutz gegen Beeinträchtigungen von der „Verkehrserwartung" entsprechenden Nutzungen „rein subjektiv-individuelle Wertschätzungen" gegenüber, die keinen deliktsrechtlichen Schutz genießen sollen, siehe MDR 1988, 441 ff. (444). 218 Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 122. 219 So Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 38, der diese „Grundfunktion" von einer „subjektiv bestimmten Verwendungsfunktion" unterscheidet. 220 Siehe Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (782); Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 115 und 121; Müller-Graff, JZ 1983, 860 ff. (862); Brüggemeier, Deliktsrecht 1986, 202; ders., VersR 1984, 902 ff. (902); Staudinger-Schäfer, 12. Aufl., § 823, Rz. 49; Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 344; Deutsch, MDR 1988, 441 ff. (444); Emmerich, Schuldrecht BT, 7. Aufl., 282f.; Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. Π. A. 4. a ; v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 6; Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 31. 221 Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (782). 222 Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (782).
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schütz grundsätzlich auch „auf die Möglichkeit eines angemessenen Umgangs mit der Sache, insbesondere auf die ihrer bestimmungsmäßigen Nutzung (zu) erstrekken" 2 2 3 . Gegenstand des nach § 823 Abs. 1 gewährleisteten Rechtsgüterschutzes sei letztlich der Schutz der Persönlichkeit des Einzelnen mit dem Ziel der Bewahrung seiner sozialen Integrität sowie der Sicherung eines freien Entfaltungsspielraums. Daraus folge, daß mit dem Schutz der Rechtsgüter in § 823 Abs. 1 zugleich die Dispositionsfreiheit der Rechtsgutsträger geschützt sei. Bezogen auf den deliktsrechtlichen Schutz des Eigentums seien deshalb unter Eigentumsverletzungen auch Dispositionsbeeinträchtigungen des Eigentümers zu verstehen, die ohne Eingriff in die Sachsubstanz erfolgen. Allein ein solcher rechtsgutsbezogener Persönlichkeitsschutz könne vermeiden, die Substanz einer Sache im Verhältnis zu ihrer Funktion überzubewerten und dadurch die mit dem Deliktsrecht u.a. beabsichtigte Gewährleistung individueller Freiheit aus dem Schutzbereich des § 823 Abs. 1 auszuklammern 224 . Neben dieser auf die Übereinstimmung von sachenrechtlichem und deliktsrechtlichem Eigentumsbegriff sowie das Ziel des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes abstellenden Begründung wird für die Anerkennung eines Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen beispielsweise noch auf die Regelung des § 906 verwiesen. Deren Wortlaut lege die Einsicht nahe, daß die dort genannten Immissionen auch dann als eine unzulässige Beeinträchtigung des Eigentums anzusehen seien, wenn zwar kein Eingriff in die Sachsubstanz vorliege, der Eigentümer jedoch in der Ausübung seiner Befugnisse erheblich gestört werde 225 . Vergleichend herangezogen wird des weiteren der in § 862 geregelte Besitzstörungsanspruch, aufgrund dessen der Besitzer Unterlassung auch dann verlangen könne, wenn er in der Nutzung der Sache gestört werde. Insofern sei es schwerlich einzusehen, daß der Eigentümer geringeren Schutz genießen solle 226 . Schließlich sei noch erwähnt, daß auch auf die Rechtsprechung des BGH zur sogenannten „abstrakten Nutzungsentschädigung" Bezug genommen wird 2 2 7 .
223 So Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (783); ebenso in der Ableitung eines Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen unter Bezugnahme auf die dem Eigentümer nach § 903 Satz 1 eingeräumten Befugnisse ζ. B. Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 121; Staudinger-Schäfer, 12. Aufl., § 823, Rz. 50 und 55; Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986, 202; Deutsch, MDR 1988, 441 ff. (444); Emmerich, Schuldrecht BT, 7. Aufl., 282f.; Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 31. 224 so MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 52; Schnug, JA 1985, 614 ff. (616). Ähnlich Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601, insb. Fn. 4 in Zusammenhang mit seiner Kritik an der einen Nutzungsschutz prinzipiell ablehnenden Auffassung von Fraenkel (siehe dazu noch unter 2.): Danach ist „der Schutz der Eigentümerbefugnisse ... aber Freiheitsschutz, und von Freiheit kann keine Rede sein, wenn einer Befugnis keine tatsächliche Ausübungsmöglichkeit entspricht". 225 So Kübler, FS F. Baur, 1981, 51 ff. (55). Siehe auch Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (779 und 782). 226 Kübler, FS F. Baur, 1981, 51 ff. (55). 7 Boecken
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Einhergehend mit der grundsätzlichen Anerkennung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen wird auf die Notwendigkeit einer Abgrenzung zwischen dem über den Eigentumsschutz gewährleisteten Gegenstandsbereich einer Person und dem Schutz der Person als solchen hingewiesen228. Eine solche Abgrenzung wird in Hinblick darauf für erforderlich erachtet, daß ansonsten eine klare Grenzziehung sowohl im Verhältnis zur deliktsrechtlich nicht geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit als auch im Verhältnis zu den über das Deliktsrecht gleichermaßen wie das Eigentum gegen Beeinträchtigungen bewehrten Rechtsgütern Körper, Gesundheit und Freiheit ausgeschlossen sein würde. Denn Beeinträchtigungen der allgemeinen Handlungsfreiheit wie auch der in § 823 Abs. 1 genannten personalen Schutzpositionen hätten oftmals gleichzeitig eine Beeinträchtigung der Sachnutzung für die betroffenen Personen zur Folge. Angesichts der grundsätzlichen Bejahung eines Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen müßte deshalb ohne besonderes Abgrenzungskriterium auch in solchen Fällen eine Eigentumsverletzung angenommen werden 229 . In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des B G H 2 3 0 wird das maßgebende Abgrenzungskriterium in dem Erfordernis einer „spezifischen Sachbezogenheit" 2 3 1 der Beeinträchtigung in dem Sinne gesehen, daß eine deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung nur vorliegen soll, sofern eine „tatsächliche Einwirkung auf die Sache selbst" gegeben ist 2 3 2 . Unter welcher Voraussetzung von einer tatsächlichen Einwirkung auf eine Sache ausgegangen werden kann, wird in der Literatur mit unterschiedlichen Formulierungen beschrieben. In ihrem zumindest im Kern übereinstimmenden Inhalt wird danach regelmäßig ein Objektbezug in dem Sinne gefordert, daß die Sachnutzung nicht nur für den Eigentümer, sondern auch für jeden Dritten und insoweit objektiv beeinträchtigt sein muß 2 3 3 . 227 So Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986, 209. Zur Abgrenzung dieser schadensersatzrechtlichen Problematik von dem hier in Frage stehenden deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen siehe im Ersten Teil, 1. Kap. unter IV. 22 « So die Gegenüberstellung bei Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (778 f.). Siehe auch Soergel-Zeuner, 11. Aufl., § 823, Rz. 30. 22 9 Siehe Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (778 f.); ihm folgend MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 92. Zur Abgrenzungsnotwendigkeit siehe im übrigen aus der Lit. Möschel, JuS 1977, Iff. (4); Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601; Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 122ff.; RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 18; Medicus, SchR II, 6. Aufl., 366; Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 31. 2 30 Siehe oben unter II. 2. b) (1). 2 31 So der Ausdruck von Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (779); MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 92. 232
So oder mit vergleichbaren, inhaltlich übereinstimmenden Formulierungen etwa Möschel, JuS 1977, Iff. (4); Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 122ff.; Canaris, FS Larenz, 1983, 27ff. (32, Fn. 13); Staudinger-Schäfer, 12. Aufl., § 823, Rz. 50; RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 18; zum Teil wird das Erfordernis einer Sachbezogenheit der Einwirkung abgelehnt, siehe die Nachw. im Dritten Teil, 2. Kap. unter I. 3., Fn. 273. 233 Siehe Medicus, SchR II, 6. Aufl., 366. Nach Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (778) ist von einer Eigentumsverletzung dann auszugehen, „wenn die Einwirkung in der
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b) Begrenzung des im Ausgangspunkt befiirworteten Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen (1) Begründung für die Notwendigkeit einer Begrenzung Eine Begrenzung des grundsätzlich anerkannten Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen wird unter dem Gesichtspunkt des Widerstreits zwischen deliktsrechtlich geschützten Eigentümernutzungsinteressen einerseits und den Interessen Dritter an der Erhaltung ausreichend haftungsfreier Handlungs- und Entfaltungsspielräume andererseits für notwendig erachtet 234. Mit der Erstreckung des Eigentumsschutzes auf einen Schutz auch der Sachnutzung unter Verzicht auf das Erfordernis von Substanzeingriffen werde die Gefahr von Kollisionen zwischen dem eigentümerseitigen Interesse an ungestörter Sachnutzung und den Entfaltungsspielräumen Dritter größer, weshalb zum Zwecke der Herbeiführung eines Ausgleichs der konfligierenden Interessen zusätzliche Abwägungen erforderlich seien 235 . Allein durch eine Begrenzung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen könnte unter den Bedingungsfaktoren einer hochentwickelten Industriegesellschaft - Zunahme der Bevölkerungszahl, enorm gesteigerte Kommunikationsmöglichkeiten und -zwänge und eine damit implizierte erhöhte Verletzungsgefahr für die einzelnen Rechtssphären, extrem vorangetriebene Arbeitsteilung mit allen Anfälligkeiten der Kettenreaktion bei punktuellen Eingriffen 236 - die Gefahr unkalkulierbarer Haftungsrisiken bzw. einer uferlosen Ausweitung des Eigentumsschutzes vermieden werden 237 . Im übrigen wird noch darauf verwiesen, daß eine mit der Anerkennung eines deliktsrechtlichen Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen verbundene übermäßige Beschneidung haftungsfreier Handlungsspielräume Dritter die über das Eigentum und Weise sachgerichtet ist, daß gewissermaßen ohne Ansehung der Person jede Nutzung der jeweiligen Art in gleicher Weise behindert oder ausgeschlossen wird" (zustimmend MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 92). Siehe auch Brüggemeier, VersR 1984, 902 ff. (902); RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 18: Danach haben Behinderungen der Bewegungs- oder Handlungsfreiheit des Eigentümers keinen Objektbezug, „wenn die Sache objektiv benutzbar bleibt"; Fikentscher, Schuldrecht, 8. Aufl., 733. 234 Siehe nur Möschel, JuS 1977, 1 ff. (3 f.); Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (786); Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 124ff.; Kübler, FS F. Baur, 1981, 51 ff. (55f.); MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 52; Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 340. 235 Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (786), der zur Rechtfertigung auch auf die Regelungen der §§ 906, 917 und 1005 verweist, die sämtlich den Eigentumsbelangen nur im Rahmen einer angemessenen Berücksichtigung von Gegeninteressen Raum geben würden. Siehe im übrigen Kübler, FS F. Baur, 1981, 51 ff. (55 f.) und Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 124 ff. 236 So Möschel, JuS 1977, 1 ff. (3). 237 siehe etwa Möschel, JuS 1977, Iff. (3f.); Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 124f.; Müller-Graff, JZ 1983, 860ff. (863); Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 34; Schnug, JA 1985, 614ff. (616); Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986, 210. i*
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den Eigentumsschutz vermittelte Gewährleistung individueller Freiheit selbst untergraben würde 238 .
(2) Kriterien zur Begrenzung des Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen Vor dem Hintergrund des vorstehend beschriebenen Konflikts zwischen der Gewährleistung eines deliktsrechtlichen Sachnutzungsschutzes auf der einen Seite und der Wahrung ausreichend haftungsfreier Handlungs- und Entfaltungsspielräume Dritter auf der anderen Seite und der daraus abgeleiteten Notwendigkeit einer Begrenzung des grundsätzlich anerkannten Schutzes sind in der Literatur unterschiedliche Kriterien entwickelt worden, auf deren Grundlage über das Eingreifen des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes im Falle reiner Nutzungsbeeinträchtigungen entschieden wird 2 3 9 . Sofern das jeweils für maßgebend erachtete Kriterium nicht erfüllt ist, wird regelmäßig und selbstverständlich - ohne weitere Begründung 2 4 0 - das Vorliegen einer deliktsrechtlich relevanten Eigentumsverletzung verneint. Der dogmatische Ansatzpunkt für die Begrenzung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen im Rahmen der haftungsbegründeten Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 ist mithin nach Auffassung der Literatur das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung 241. Bei den in der Literatur vorgeschlagenen Kriterien zur Begrenzung des Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen 242 handelt es sich regelmä238 So der „Rückkoppelungsgedanke" von Kübler, FS F. Baur, 1981, 51 ff. (56). 239 Zu den verschiedenen Begrenzungskriterien siehe folgend unter (a) bis (c). 240 Bisweilen wird lediglich vergleichend auf die Bereiche der Gesundheits- und Freiheitsverletzung hingewiesen, siehe Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b bb und Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 124, Fn. 51. 241 Siehe insoweit nur Mertens/Reeb, JuS 1971, 469ff. (471); Möschel, JuS 1977, Iff. (3 f.); Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (786f.); Hager, JZ 1979, 53 ff. (55); Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601; Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 123 f.; Plum, AcP 181 (1981), 68ff. (124f.); Müller-Graff, JZ 1983, 860ff. (863); Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 37 ff.; MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 91 ff. (insb. 93 a.E.); Deutsch, MDR 1988, 441 ff. (444); Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 60; Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823 Anm. II. A. 4. b bb; v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 31 f. Medicus, SchR II, 6. Aufl., 367 äußert Zweifel daran, „ob und nach welchen Kriterien die Intensität einer Nutzungsstörung über deren Charakter als Eigentumsverletzung zu entscheiden vermag" und hält diese Fragen „für noch nicht befriedigend gelöst". Frank, JA 1979, 583 ff. (588) wendet sich gegen eine Anbindung an das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung mit der Begründung, daß hierdurch nicht deutlich werde, daß es in Wirklichkeit um eine Wertung gehe, wo die deliktsrechtliche Verantwortlichkeit eines Schädigers ende und das allgemeine Lebensrisiko des Betroffenen beginne. Statt dessen will er mit Hilfe der Lehre vom Schutzzweck der Norm entscheiden, ob eine Eigentumsverletzung in Gestalt einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung zu einer Schadensersatzpflicht führen soll, weist allerdings zugleich darauf hin, daß seiner Auffassung nach auch die Normzwecklehre konkrete Lösungen nicht anzubieten vermag.
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ßig um Maßstäbe, mit denen die Einordnung einer Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung von einer nach unterschiedlichen Gesichtspunkten bemessenen Beeinträchtigungsintensität abhängig gemacht w i r d 2 4 3 . Darüber hinaus wird für die deliktsrechtliche Relevanz reiner Nutzungsbeeinträchtigungen unabhängig von der Intensität des Eingriffs auch an die Art des verwirklichten Risikos sowie die Willensrichtung des in die Sachnutzung eingreifenden Dritten angeknüpft 2 4 4 .
(a) Intensität der Beeinträchtigung Die Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung wird regelmäßig von einer - nach unterschiedlichen Gesichtspunkten bemessenen - bestimmten Intensität der Beeinträchtigung abhängig gemacht 2 4 5 . Insoweit werden in der Literatur verschiedene, begrifflich-abstrakt gebildete Maßstäbe vorgeschlagen. A u f deren Grundlage soll die zum Zwecke der Erhaltung ausreichend haftungsfreier Handlungs- und Entfaltungsspielräume Dritter für notwendig erachtete Begrenzung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes
242
Die zum Teil auch kumulativ herangezogen werden. Siehe folgend unter (a). 244 Siehe folgend unter (b) und (c). Um eine Begrenzung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen handelt es sich auch, soweit dieser Schutz (aus denselben wie den zu (1) genannten Gründen) lediglich im Sinne eines Schutzes der „sozialtypischen Verwendungsfunktion" einer Sache verstanden wird (siehe oben unter 1. a) und die Nachw. in Fn. 215). Diese Begrenzung ist allerdings insoweit qualitativ von anderer Art als die hier vorstehend im Text beschriebenen Einschränkungen, als damit von vorneherein bestimmte - nicht „sozialtypische Verwendungsfunktionen" (Keibel, Eigentumsverlet zung, 1984, 38 spricht etwa von „subjektiv bestimmten Verwendungsfunktionen") - aus der verletzungsfähigen Schutzposition Eigentum i. S. d. § 823 Abs. 1 ausgeklammert werden. Bei dieser „a-limine-Begrenzung" des Sachnutzungsschutzes (deren Befürworter im übrigen - auch das macht den erwähnten qualitativen Unterschied deutlich - für die Einordnung der Beeinträchtigung einer „sozialtypischen Verwendungsfunktion" als Eigentumsverletzung ebenfalls eine bestimmte Beeinträchtigungsintensität voraussetzen, siehe nur MünchKommMertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 91) geht es also nicht um die Begrenzung des deliktsrechtlichen Schutzes von an sich als schutzfähig anerkannten Sachnutzungen, sondern um die davon zu unterscheidende und im Rahmen dieser Untersuchung deshalb getrennt behandelte Frage, wie der deliktsrechtliche Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen im Ausgangspunkt zu verstehen ist: im Sinne eines Schutzes jedweder vom Eigentümer bestimmten Sachnutzung, oder im Sinne eines Schutzes „objektiv" bestimmter Sachnutzungen als eines bloßen „Funktionsschutzes" (siehe zu dieser Differenzierung sowie Begriffsbildung noch im Rahmen der kritischen Stellungnahme im 2. Kap. unter II. 1. b) und im Dritten Teil, 2. Kap. unter I. 4.) 24 5 Siehe nur Mertens/Reeb, JuS 1971, 469 ff. (471); Möschel, JuS 1977, 1 ff. (4); Hager, JZ 1979, 53 ff. (55); Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601; Kübler, FS F. Baur, 1981, 51 ff. (56); Plum, AcP 181 (1981), 68ff. (124f.); Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 124ff.; Schnug, JA 1985, 614ff. (617); MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 91; RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 21; Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b bb; Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 60; v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 31 f. 243
102
Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen für alle möglichen Sachverhaltskonstellationen einheitlich verwirklicht werden. Unter den im wesentlichen vorzufindenden intensitätsbezogenen Begrenzungsmaßstäben sei zunächst auf das sogenannte Marktwertkriterium verwiesen. Danach wird die Qualifizierung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung davon abhängig gemacht, ob die Sachnutzung für einen so erheblichen Zeitraum oder so nachhaltig beeinträchtigt ist, daß dies zu einer Herabsetzung des Marktwertes der Sache führt 246 . Unter dem Marktwert einer Sache wird deren objektive Wertschätzung verstanden, die ihr unabhängig davon, wer gerade ihr Eigentümer ist und wie gerade er sie zu verwenden gedenkt, im Verkehr entgegen gebracht wird 2 4 7 . In der Literatur wird des weiteren vorgeschlagen, die deliktsrechtliche Relevanz reiner Nutzungsbeeinträchtigungen danach zu bestimmen, ob die Möglichkeit zur Sachnutzung durch eine „unkomplizierte Hilfe" wiederhergestellt werden kann. Soweit dies im Rahmen eines wirtschaftlich vernünftigen Aufwands möglich erscheint, wird das Vorliegen einer Eigentumsverletzung abgelehnt248. Nach einer weiteren Auffassung wird für die Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung maßgebend auf die zeitliche Intensität der Beeinträchtigung in dem Sinne abgestellt, daß es darauf ankommen soll, ob der Gebrauch einer Sache „während eines für die Abschreibung relevanten Zeitraumes beeinträchtigt wurde" 249 . Die Frage, wann insoweit von einem „relevanten Zeitraum" auszugehen ist, wird zwar nicht näher konkretisiert. Allerdings wird versucht, unter Heranziehung verschiedener einschlägiger Entscheidungen des BGH Anhaltspunkte zur Bestimmung dieses Zeitraums zu geben. So wird etwa bezogen auf die Fleetfall-Entscheidung des B G H 2 5 0 hinsichtlich des mehrere Monate eingesperrten Schiffes eine Eigentumsverletzung bejaht, während eine solche unter Bezug auf die der Elbe-Seitenkanal-Entscheidung251 zugrunde liegende Fallkonstella-
246 So MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 91 f.; zustimmend Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 60 und Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986, 210, dieser allerdings einschränkend nur insoweit, als es um Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung geht. Im übrigen will Brüggemeier zur Gewährleistung eines der „Substanzbeeinträchtigung äquivalenten Tatbestandsmerkmals der Haftungsbegründung und -begrenzung" für die Fälle einer vorübergehenden Behinderung des Gebrauchs beweglicher Sachen „analog zur Marktwertherabsetzung" auch insoweit vom Schadensrecht ausgehen und darauf abstellen, ob konkrete Aufwendungen für die notwendig gewordene Beschaffung von Ersatzgebrauch angefallen sind (a. a. O.,
210).
247 Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 60. 248 Siehe Hager, JZ 1979, 53ff. (55); Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 123; v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 31 f. 249 So Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b bb; Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 126. 250 BGHZ 55, 153 ff. 251 BGHZ 86, 152 ff.
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
103
tion, in welcher die Nutzung von Anlagen eines Umschlags- und Lagereiunternehmens wegen der Sperrung einer Wasserstraße mehrere Monate beeinträchtigt war, wie auch in Hinblick auf die vom BGH entschiedenen sogenannten Stromkabelfälle 2 5 2 abgelehnt wird 2 5 3 . Um eine intensitätsabhängige Begrenzung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen handelt es sich auch insoweit, als nicht auf die Schwere der einen einzelnen Eigentümer treffenden Nutzungsbeeinträchtigung abgestellt wird, sondern darauf, ob dieser „in ganz singulärer Weise betroffen" ist. Sofern ein und dasselbe Ereignis bei einer nicht überschaubaren Zahl von Eigentümern zu Nutzungsbeeinträchtigungen führt, soll dieser Auffassung zufolge jeweils das Vorliegen einer Eigentumsverletzung zu verneinen sein 2 5 4 Schließlich wird die Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung in Übereinstimmung mit der vom BGH in der Fleetfall-Entscheidung entwickelten Rechtsprechung 255 auch davon abhängig gemacht, ob der bestimmungsgemäße Gebrauch einer Sache bzw. deren „sozialtypische Verwendungsfunktion" für eine gewisse Dauer völlig entzogen worden ist 2 5 6 . So spricht beispielsweise Larenz davon, daß die Sache wenigstens „zeitweise objektiv gebrauchsuntauglich" geworden sein muß in dem Sinne, daß sie von ihrem Eigentümer „nicht mehr zu irgendeinem vernünftigen, ihrer Funktion entsprechenden Zweck" eingesetzt werden kann 257 . Unterhalb einer völligen Entziehung verbleibende Hinderungen des Eigentümers in der Sachnutzung werden nicht als deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung eingeordnet. Darin wird vielmehr lediglich eine Beeinträchtigung der deliktsrechtlich nicht geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit des Eigentümers gesehen258.
252 Siehe die Nachw. unter II. 3. b) (2), Fn. 172. 253 Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b bb. 254 Hager, JZ 1979, 53 ff. (55). 255 Siehe oben unter II. 3. a). 256 Siehe etwa Möschel, JuS 1977, 1 ff. (4); Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (786); Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601; Plum, AcP 181 (1981), 68 ff. (124); Schnug, JA 1985, 614 ff. (617), der es allerdings ablehnt, für die Einordnung als Eigentumsverletzung zusätzlich auf die Dauer der Beeinträchtigung abzu stellen. 257 Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601. Die Formulierung von Larenz macht im übrigen deutlich, daß dieser neben dem völligen Entzug der Sachnutzungsmöglichkeit auch eine gewisse Dauer der Beeinträchtigung voraussetzt. 258 Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
(b) Art des verwirklichten
Risikos
Müller-Graff hat in einer Anmerkung 259 zu der Elbe-Seitenkanal-Entscheidung des B G H 2 6 0 unter Ablehnung insbesondere des Marktweitkriteriums 261 den Vorschlag gemacht, die Abgrenzung zwischen deliktsrechtlich unerheblichen Nutzungsbeeinträchtigungen einerseits und den Tatbestand der Eigentumsverletzung erfüllenden Beeinträchtigungen andererseits nach von ihm sogenannten Risikozuordnungsregeln vorzunehmen. In Hinblick darauf, daß die Verwendungsfunktion einer Sache vom Eigentümer festgelegt werde, sei daran zu denken, einen deliktsrechtlichen Schutz der vom Eigentümer bestimmten Sachnutzung gegen Beeinträchtigungen dann zu versagen, wenn ein mit der Nutzungsbestimmung verbundenes Verwendungsrisiko gleichfalls dem seine Bestimmungsbefugnis ausübenden Eigentümer zuzuordnen sei 2 6 2 . Auf der Grundlage dieses Gedankens stellt Müller-Graff für die im Falle reiner Nutzungsbeeinträchtigungen jeweils vorzunehmende Risikozuordnung bzw. -Verteilung die „Grundregel" auf, daß derjenige, der in „privatautonomer Entscheidung zu seinem Vorteil Chancen wahrnehmen kann", nicht unzumutbar beschwert werde, „wenn ihm auch die mit der Chance aus eben deren Eigenheit untrennbar verbundenen Risiken" zugewiesen würden, und zwar auch dann, wenn deren Verwirklichung durch Dritte vermeidbar gewesen wäre 263 . Von dieser „Grundregel" der Zuweisung von infolge reiner Nutzungsbeeinträchtigungen verwirklichten Schadensrisiken zu Lasten des in der Sachnutzung beeinträchtigten Eigentümers will Müller-Graff Ausnahmen zu dessen Gunsten nur dann zulassen, sofern dem Eigentümer „entweder ein Gesetz ausdrücklich oder eine sinnfällige judikative Regel" das Beeinträchtigungs- bzw. Schadensrisiko abnimmt 264 . Als Beispiel für eine risikoabnehmende „judikative Regel" verweist Müller-Graff auf die zugunsten der Verkehrsteilnehmer einer Wasserstraße bestehende Verkehrssicherungspflicht 265 . 259 j z 1983, 860 ff. 260 BGHZ 86, 152 ff. 261 Siehe dazu oben unter (a). 262 JZ 1983, 860 ff. (863). 263 JZ 1983, 860 ff. (863). Ansätze zu einer an der Art des verwirklichten Risikos orientierten Abgrenzung zwischen als Eigentumsverletzung einzuordnenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen und deliktsrechtlich irrelevanten Beeinträchtigungen finden sich auch bei anderen Autoren. So leitet Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (787) aus der Begrenzung der Haftungsvorschriften des StVG auf Personen- und Sachschäden das Prinzip ab, daß der bloß in der Sachnutzung beeinträchtigte Verkehrsteilnehmer die Verwirklichung „bestimmter typischer Verkehrsrisiken" selbst zu tragen habe. Verwiesen sei auch auf Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 125 f. und Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 37. 264 JZ 1983, 860 ff. (863). 265 JZ 1983, 860 ff. (863). Diese Verkehrssicherungspflicht beinhaltet nach der Auffassung von Müller-Graff allerdings nicht die ,jederzeitig garantierte Befahrbarkeit" einer Wasserstraße, weshalb er bezogen auf die Elbe-Seitenkanal-Entscheidung eine Risikoabnahme zu-
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
(c) Willensrichtung
des in die Sachnutzung eingreifenden
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Dritten
Von Schwitanski ist schließlich der Vorschlag gemacht worden, zur Begrenzung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen für die Einordnung derselben als Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 maßgebend auf die Willensrichtung des in die Sachnutzung eingreifenden Dritten abzustellen 266 . Schwitanski geht davon aus, daß dem Eigentümer die Befugnis, mit der Sache nach seinem Willen zu verfahren, ausschließlich zugewiesen ist 2 6 7 . Die danach dem Eigentümer u.a. zustehende Möglichkeit zur Bestimmung der Sachverwendung setze sich aus zwei Elementen zusammen, und zwar der konkreten faktischen Möglichkeit zur Sachverwendung einerseits und der Freiheit der Willensbildung entsprechend den tatsächlichen Gegebenheiten andererseits 268. In Hinblick darauf könne eine Verletzung des Eigentums in Gestalt einer Gebrauchsbeeinträchtigung nur in Betracht kommen, wenn beide Elemente von einem Eingriff betroffen seien, also sowohl die Sachverwendungsmöglichkeit wie auch die Freiheit der Willensbildung 269 . In Ansehung des unstreitigen Falles einer Eigentumsverletzung durch tatsächliche Benutzung einer Sache seitens eines Nichtberechtigten, wo die Eigentumsverletzung darin zu sehen sei, daß der Nichtberechtigte eine allein dem Willen des Berechtigten unterliegende Handlung vornehme, liege „der Schluß nicht fern, daß immer dann, aber auch nur dann, ein Eingriff in die ausschließliche Möglichkeit des Eigentümers, nach seinem Willen mit der Sache zu verfahren, vorliegt, wenn der Handelnde seine Willensbildung im Hinblick auf die Sache an die Stelle der Willensbildung des Berechtigten setzt" 270 . Danach sei im Falle einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung von einem Eingriff in den Zuweisungsgehalt des Eigentums auszugehen, wenn dem Berechtigten die tatsächliche Sachverwendungsmöglichkeit genommen werde und dies dadurch geschehe, „daß der Verletzer seine Entscheidung im Hinblick auf die Verwendung der Sache - verdrängend - an die Stelle der Entscheidung des Eigentümers setzt" 271 . Für die Bejahung einer Eigentumsverletzung sei deshalb maßgebend, daß der in der Handlung zum Ausdruck kommende Wille auf die Beeinträchtigung der Verwendungsfunktion der Sache gerichtet ist 2 7 2 . gunsten der beeinträchtigten Eigentümerin ablehnt und im Ergebnis der eine Eigentumsverletzung verneinenden Auffassung des BGH (siehe unter II. 3. b) (1)) zustimmt. 266 Siehe Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 329 ff., insb. 344 ff. 267 A.a. O. (Fn. 266), 344 und 346. 268 A.a. O. (Fn. 266), 346. Schwitanski beruft sich hierfür in Fn. 141 unzutreffenderweise auf Fraenkel, Tatbestand, 1979, siehe noch im 2. Kap. unter III. 3. b) (3), insb. Fn. 524. Zu der Auffassung Fraenkels siehe folgend unter 2. 269 A.a. O. (Fn. 266), 346. 270 A.a. O. (Fn. 266), 346 f. 271 A.a. O. (Fn. 266), 347.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
Nicht ausreichend sei es hingegen für die Einordnung einer Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung, wenn dem Eigentümer die konkrete Möglichkeit zur Sachverwendung ohne diese Willensrichtung des Eingreifenden genommen werde. „Der Sache nach" besage das Abstellen auf die Verhinderung dieser Möglichkeit nicht mehr, als daß eine bestimmte Sachverwendungsart beschnitten werde. Wollte man hierin bereits eine Eigentumsverletzung sehen, so bedeutete dies eine „Verwendungserfolgszuweisung" im Sinne einer „Garantie der Erfolgserreichung durch Zuweisung einer bestimmten ausschließlichen Rechtsausübungsmöglichkeit" 273 . Von einer solchen Verwendungserfolgszuweisung durch das Eigentum könne aber deshalb nicht ausgegangen werden, weil dies nicht in Einklang stünde mit der Freiheit Dritter, für sich einen ebensolchen Erfolg bzw. andere Erfolge zu erstreben. Da jede Rechtsausübungshandlung zur Erreichung eines angestrebten Erfolges die Möglichkeiten anderer zur Erreichung eines solchen Erfolges durch Rechtsausübungshandlungen verändern würde, hätte ein deliktsrechtlich fundierter Erfolgsschutz eine Negierung der Existenz anderer Freiheitsrechte zur Folge 274 .
c) Stellungnahmen zu Einzelbereichen (1) Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit von Verkehrswegen Die Frage, unter welchen Voraussetzungen reine Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit von Verkehrswegen deliktsrechtlich als Eigentumsverletzung einzuordnen sind, wird in der Literatur regelmäßig unter Bezugnahme auf einschlägige Entscheidungen des BGH erörtert. Hierbei stehen die Fleetfall-Entscheidung 275 und die dort aufgetretene Fallkonstellation im Vordergrund der Stellungnahmen. Insoweit findet die hinsichtlich des Vorliegens einer Eigentumsverletzung getroffene Unterscheidung des BGH zwischen dem eingesperrten Schiff einerseits und den ausgesperrten Schiffen andererseits 276 weitgehend Zustimmung 277 . Das Vorliegen einer Eigentumsverletzung hinsichtlich des 272 A.a. O. (Fn. 266), 347. 273 A.a. O. (Fn. 266), 346. 274 A.a. O. (Fn. 266), 344 f. Zur Kritik an der Auffassung Schwitanskis siehe im 2. Kap. unter ΙΠ. 3. b) (3). 275 BGHZ 55, 153 ff. Siehe unter Π. 3. a). 276 Siehe BGHZ 55, 153 ff. (159 f.) und unter II. 3. a). 277 Siehe nur Neumann-Duesberg, NJW 1972, 133ff. (133); Möschel, JuS 1977, Iff. (4); Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (785 f.); Larenz, SchR Π, 12. Aufl., 601; Larenz/Canaris, SchR Π 2, 13. Aufl., 388; Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 126; Schnug, JA 1985, 614ff. (617f.); MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 93; Deutsch, MDR 1988, 441 ff. (444); RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 18 und 21; Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b bb; Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 60; v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 31. Kritisch ζ. B. AK-BGB-Joerges, § 823, Rz. 12; Medicus,
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
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eingesperrten Schiffes wird unterschiedlich in Abhängigkeit von dem jeweils zur Begrenzung des deliktsrechtlichen Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen herangezogenen Kriterium 278 begründet, sei es etwa mit dem Hinweis auf die völlige Entziehung der sozialtypischen Verwendungsfunktion 279 oder die aus der mehr monatigen Einsperrung resultierende Marktwertminderung 280 oder auch damit, daß der Sachgebrauch während eines für die Abschreibung relevanten Zeitraums beeinträchtigt gewesen sei 2 8 1 bzw. die Einsperrung des Schiffes kein von dem Verkehrsteilnehmer zu tragendes typisches Verkehrsrisiko darstelle 282 . Die Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung in Gestalt der Unmöglichkeit, ein Verkehrsmittel von einem bestimmten Ort fortzubewegen, wird über den der Fleetfall-Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hinaus in Bezug auf weitere Fallkonstellationen erörtert. So wird häufig unter Aufgreifen des vom BGH in BGHZ 63, 203 ff. (206) gebildeten Beispiels eine Eigentumsverletzung für den Fall bejaht, daß ein Kraftfahrzeug infolge widerrechtlich ausgeführter Bauarbeiten vor der Garagenausfahrt für eine bestimmte Zeit nicht genutzt werden kann 283 . Des weiteren wird auch im Falle des Einsperrens eines Kraftfahrzeugs durch falsches Parken eine Eigentumsverletzung für möglich erachtet 284. Schließlich wird die Frage einer Eigentumsverletzung in ZuSchR II, 6. Aufl., 366 f., der darauf hinweist, daß die Differenzierung zwischen eingesperrtem Schiff und ausgesperrten Schiffen in Hinblick auf die §§ 903, 1004 schwer zu begründen sei, da der Eigentümer eben auch Störungen abwehren dürfe, die seine Nutzungsmöglichkeiten nur beschränken. Siehe auch Medicus, Bürg.Recht, 16. Aufl., 366. In diesem Sinne auch Rödig, Erfüllung, 1973, 65; Fraenkel, Tatbestand, 1979, 129. 278 Siehe oben unter b) (2). 279 Siehe Möschel, JuS 1977, Iff. (4); Schnug, JA 1985, 614ff. (617); ähnlich Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601. Larenz / Canaris, SchR Π 2, 13. Aufl., 388 f. begründet das Vorliegen einer Eigentumsverletzung hinsichtlich des eingesperrten Schiffes damit, daß das Eigentum auch die Befugnis umfasse, „den Ort einer beweglichen Sache im Raum zu bestimmen, und diese war hier dem Eigentümer zur Gänze genommen, da er auch eine frei zugängliche, ja sogar eine etwa ihm selbst gehörende Wasserstraße mit diesem Schiff zu befahren gehindert war;...". 280 MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 92f.; Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 60. 281 Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b bb. 282 Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (787). 283 Siehe ζ. B. Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (787), nach dessen Auffassung diese Behinderung „eindeutig nicht in den typischen Gefahren des Verkehrs" wurzelt; Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 126; MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 93, Fn. 138 begründet die Eigentumsverletzung damit, daß „der Marktwert während einer Zeitspanne, in der ein Verkauf durchaus in Betracht kommen könnte", gemindert sei; Staudinger-Schäfer, 12. Aufl., § 823, Rz. 55; Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986, 209 f. 284 Siehe Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (787) (keine Verwirklichung eines typischen Verkehrsrisikos); Medicus, Bürg.Recht, 16. Aufl., 366, der dies als eine Konsequenz aus der Fleetfall-Entscheidung ansieht; Larenz /Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 390; Grüneberg NJW 1992, 945 ff. (945). Nach Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 125 ist ein „ k u r z f r i s t i g e s Zuparken" als ein „sozialtypisches Risiko" anzusehen, das dem Eigentümer zuzurechnen sei; ebenso Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 37 und 126, Fn. 3.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
sammenhang mit der Festsetzung eines Verkehrsmittels oftmals bezogen auf die Fallkonstellation angesprochen, daß ein Kraftfahrzeug aufgrund eines durch Dritte verschuldeten Unfalls in einen Verkehrsstau gerät und für eine bestimmte Zeit festliegt. Hinsichtlich dieses häufig zu dem Zweck herangezogenen Fallbeispiels, die Anerkennung eines umfassenden deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen ad absurdum zu führen und die für notwendig erachtete Begrenzung desselben 2 8 5 zu rechtfertigen 2 8 6 wird nahezu einhellig, wenn auch mit in Abhängigkeit von dem jeweils herangezogenen Begrenzungskriterium unterschiedlicher Begründung, trotz des Vorliegens einer Beeinträchtigung der Sachnutzung eine deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung verneint 2 8 7 . Ebenso wird in der Literatur übereinstimmend und i m Einklang mit der Rechtsprechung des B G H die Beeinträchtigung des sachnutzenden Eigentümers eines Verkehrsmittels, die nicht in einer Festsetzung bzw. Blockierung seines Fahrzeugs besteht, sondern darin, daß - wie in der Fleetfall- Entscheidung des B G H 2 8 8 bezogen auf die ausgesperrten Schiffe - mit dem Fahrzeug infolge einer Sperrung ein bestimmtes Ziel nicht mehr erreicht werden kann, nicht als deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung eingeordnet 2 8 9 . Zur Begründung wird neben dem Ver285 Siehe oben unter b) (1). 286 Siehe bereits die Nachw. im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 1., Fn. 20. 287 Siehe nur Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (787), der von einem typischen Verkehrsrisiko ausgeht mit der Einschränkung, daß etwas anderes gilt, wenn der Stau absichtlich herbeigeführt worden ist. Hager, JZ 1979, 53 ff. (55 i.V.m. Fn. 33) verweist auf die fehlende „Singularität" der Beeinträchtigung und hält es im übrigen für unerträglich, wenn jeder durch die Blockierung einer Straße beeinträchtigte Eigentümer nach Deliktsrecht Ersatz verlangen könnte. Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 125 begründet die Ablehnung einer Eigentumsverletzung damit, daß es sich bei aus der Teilhabe an der öffentlichen Infrastruktur folgenden Beeinträchtigungen durch unfallbedingte Blockierung um ein dem Eigentümer zuzuweisendes sozialtypisches Risiko handeln würde; ebenso Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 37; MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 92 f. i.V.m. Fn. 138 (fehlende Marktwertminderung des in einem Verkehrsstau festliegenden Kraftfahrzeugs sowie Verhinderung einer Umgehung des deliktsrechtlich nicht gegen Störungen geschützten Gemeingebrauchs); Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 60; Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 32. Siehe auch v. Caemmerer, DAR 1970, 283 ff. (288), der sich mit Ersatzansprüchen aus § 823 Abs. 2 i.V.m. Vorschriften des StVG befaßt und in diesem Zusammenhang Schäden, die aus der Blockierung von Straßen resultieren, als reine Vermögensschäden einordnet. Anderer Ansicht Frank, JA 1979, 583 ff. (588), der unter Abwandlung des Fleetfalles dahingehend, daß die Blockierung eines Schiffes nur für einige Stunden durch ein querliegendes Schiff erfolgt, ausführt, richtigerweise dürfe nicht gefragt werden, ob überhaupt eine Eigentumsverletzung vorliegt, sondern ob die Eigentumsverletzung in concreto zu einer Schadensersatzpflicht führen soll. Zur Beantwortung will Frank die Lehre vom Schutzzweck der Norm heranziehen, siehe schon oben, Fn. 241. Ebenso jetzt Larenz / Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 389, wonach zwar tatbestandlich von einer Eigentumsverletzung auszugehen sei, der entstandene Schaden jedoch nicht in den Schutzbereich der von demjenigen des Eigentums zu unterscheidenden Verkehrspflichten falle. Diese sollten nicht vor einer (vorübergehenden) Verwendungszweckstörung schützen, denn diese stehe - anders als der Substanzschaden - einem reinen Vermögensschaden sehr nahe. 288 BGHZ 55, 153 ff.
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weis auf die Nichterfüllung der jeweils für einschlägig erachteten Begrenzungskriterien vor allem darauf hingewiesen, daß der grundsätzlich anzuerkennende deliktsrechtliche Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen dort seine Grenze finden müsse, wo es wie hier um das allgemeine Interesse an der freien Benutzbarkeit der im Gemeingebrauch stehenden Verkehrswege gehe. Angesichts dessen, daß der für jedermann mögliche Gemeingebrauch kein sonstiges Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 sei und demzufolge im Falle seiner Beeinträchtigung ein deliktsrechtlicher Schutz nicht bestehe, dürfe diese Entscheidung nicht dadurch umgangen werden, daß das Interesse an der ungestörten Ausübung des Gemeingebrauchs durch Anbindung an das Eigentum deliktsrechtlich geschützt werde 290 . Im Unterschied dazu könne allerdings die Einordnung der aus der Einsperrung eines Verkehrsmittels folgenden Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung nicht als Umgehung der Entscheidung angesehen werden, den Gemeingebrauch deliktsrechtlich ungeschützt zu lassen. Hier sei das betroffene Interesse „ein weitergehendes, fundamentaleres als das, mit der Sache auf einem öffentlichen Verkehrsweg ein bestimmtes Ziel erreichen zu können" 291 . Im Gegensatz zu der weitgehend mit Zustimmung aufgenommenen Rechtsprechung des BGH bezogen auf die durch die Fleetfall-Entscheidung aufgeworfenen sowie vergleichbaren Fallkonstellationen reiner Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit öffentlicher Verkehrswege sind die ElbeSeitenkanal-Entscheidung292 sowie die Entscheidung des BGH im sog. Grund289 Siehe nur Neumann-Duesberg, NJW 1972, 133ff. (133); Möschel, JuS 1977, Iff. (3f.); Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (785); Larenz, SchR II, 12. Auf 1., 601 i.V.m. Fn. 5; Larenz/Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 388; Schnug, JA 1985, 614ff. (617f.); Münch Komm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 92. 290 So insb. Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (785); Schnug, JA 1985, 614ff. (616); MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 92. Siehe auch Neumann-Duesberg, NJW 1972, 133 ff. (133); Mädrich, Das allgemeine Lebensrisiko, 1980, 59. Kritisch insoweit Brüggemeier, VersR 1984, 902ff. (903), siehe noch im 2. Kap. unter II. 1. a) (3), insb. Fn. 55. Larenz/ Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 388 rechtfertigt die Ablehnung einer Eigentumsverletzung hinsichtlich der drei ausgesperrten Schiffe im Fleetfall damit, daß das Eigentum nach § 903 zwar die Befugnis gewähre, mit der Sache nach Belieben zu verfahren. Das schließe jedoch „selbstverständlich grundsätzlich nicht das Recht ein, zu diesem Zweck gerade die Sachen Dritter zu benutzen; die Möglichkeit, gerade dieses Fleet zu befahren, wird daher vom Zuweisungsgehalt des Eigentums nicht umfaßt (sondern nur durch den ,Gemeingebrauch' an Wasserwegen eröffnet, der nach der zutreffenden Ansicht des BGH kein 'sonstiges Recht' i.S. von § 823 Abs. 1 BGB ist)." 291 So Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (786), der zur Begründung dieser Differenzierung zusätzlich ausführt, die Eigentumsproblematik könne auch bei Benutzung nicht-öffentlicher Grundstücke und Räume auftreten und stelle insoweit keine Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs dar. Im übrigen zeige die Vielzahl der für den Bereich der Verkehrswege bestehenden Verkehrssicherungspflichten unmißverständlich, daß demjenigen, der den Gemeingebrauch ausübe, nicht jeder deliktsrechtliche Schutz vor den damit verbundenen Gefahren versagt sei. Siehe dazu, daß Zeuner im Falle unfallbedingter Blockierungen von Fahrzeugen eine Eigentumsverletzung verneint, oben Fn. 287. 292 BGHZ 86, 152 ff. Siehe dazu unter II. 3. b) (1).
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
stücksräumungsfall 293 in der einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen grundsätzlich anerkennenden Literatur zum Teil auf Kritik gestoßen. Insoweit wird vor allem geltend gemacht, daß der B G H durch die in diesen Entscheidungen jeweils ausgesprochene Verneinung einer Eigentumsverletzung (in dem Grundstücksräumungsfall bezogen auf die etwa dreistündige Sperrung der öffentlichen Zufahrtsstraße zu dem klägerischen Betriebsgrundstück) mit seiner ansonsten einschlägigen Rechtsprechung, die für das Vorliegen einer Eigentumsverletzung auf die Entziehung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs abstell e 2 9 4 , in Widerspruch geraten s e i 2 9 5 .
(2) Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Nutzbarkeit künstlicher Zuleitungen oder Versorgungen Trotz der grundsätzlichen Befürwortung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen wird in der Literatur überwiegend das Vorliegen einer Eigentumsverletzung verneint, soweit die Beeinträchtigung der Sachnutzung auf einer Störung der Nutzbarkeit von künstlichen Zuleitungen oder Versorgungen beruht. Deutlich wird diese Auffassung an der rechtlichen Beurteilung der für den hier in Frage stehenden Bereich reiner Nutzungsbeein-
293 Siehe BGH NJW 1977, 2264 ff. und oben unter II. 3. b) (1). 294 Verwiesen wird zumeist auf BGHZ 55, 153 ff. (159), 63, 203 ff. (206) sowie den Grundstücksräumungsfall, BGH NJW 1977, 2264 ff., soweit der BGH hinsichtlich der zweistündigen Räumung des Betriebsgrundstücks eine Eigentumsverletzung bejahte (a. a. O., 2265). 295 Siehe zum Grundstücksräumungsfall nur Brüggemeier, VersR 1984, 902 ff. (903); Schnug, JA 1985, 614ff. (618); Medicus, Bürg.Recht, 16. Aufl., 366f. Zur Elbe-Seitenkanal-Entscheidung siehe Müller-Graff, JZ 1983, 860ff. (862); Brüggemeier, VersR 1984, 902 ff. (903); Schnug, JA 1985, 614ff. (618); MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 93, Fn. 137; Medicus, Bürg. Recht, 16. Aufl., 366. Zustimmend zur Entscheidung des BGH im Grundstücksräumungsfall u.a. Hager, JZ 1979, 53 ff. (55 i.V.m. Fn. 33); Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 126; MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 93; RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 21 ; Larenz / Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 390 (der bezogen auf die etwa dreistündige Blockierung der öffentlichen Zufahrtsstraße zu dem Betriebsgrundstück eine Eigentumsverletzung mit der Begründung ablehnt, „daß das Eigentum an einem Grundstück grundsätzlich nicht die Befugnis zur Benutzung der umliegenden Straßen umfaßt"; die vorangegangene zweistündige Räumung des Grundstücks wird von Larenz/Canaris hingegen unter dem Gesichtspunkt einer in den „Kernbereich des Eigentumsschutzes" fallenden „Besitzentziehung oder doch zumindest -Störung" als Eigentumsverletzung eingeordnet, a. a. O., 390); Grüneberg NJW 1992, 945 ff. (948); Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b bb, der allerdings im Gegensatz zum BGH auch hinsichtlich der zweistündigen Räumung des Betriebsgrundstücks eine Eigentumsverletzung unter Hinweis darauf ablehnt, daß die Nutzung nicht während eines für die Abschreibung relevanten Zeitraums beeinträchtigt war. Auch Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 60 lehnt insoweit mangels Marktwertminderung eine Eigentumsverletzung ab. Der Elbe-Seitenknal-Entscheidung stimmt ζ. B. Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b bb zu.
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trächtigungen exemplarisch herangezogenen296 sogenannten Stromkabelfälle: Die aus der Stillegung von Maschinen bzw. sonstigen stromabhängigen Einrichtungen und Geräten infolge einer Unterbrechung der Stromzufuhr resultierenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen werden in Übereinstimmung mit der Rspr. des B G H 2 9 7 nicht als deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung eingeordnet 298. Zur Begründung wird in Abhängigkeit von dem jeweils zugrunde gelegten Kriterium zur Begrenzung des deliktsrechtlichen Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen 299 etwa darauf verwiesen, daß die vorübergehende Unterbrechung der Stromzufuhr, soweit sie sich nicht auf die Substanz der Sache selbst auswirke, nicht zu einer Beeinträchtigung des Marktwertes der Sache führe 300 , im Falle einer nur kurzfristigen Stromunterbrechung der Gebrauch nicht während eines für die Abschreibung relevanten Zeitraums beeinträchtigt sei 3 0 1 oder auch darauf, daß regelmäßig keine „singuläre Betroffenheit" gegeben, die Zahl der durch einen Stromausfall herbeigeführten Sachnutzungsbeeinträchtigungen vielmehr nicht überschaubar sei 3 0 2 . Vereinzelt wird, soweit Gewerbebetriebe von Nutzungsbeeinträchtigungen durch eine Unterbrechung der Energiezufuhr betroffen sind, ein deliktsrechtlicher Eigentumsschutz unter Verweis auf einen Schutz über das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb mit der Begründung verneint, es gehe allein um den Schutz vor Verhaltensweisen, welche die Funktion eines Betriebes insgesamt beträfen, ohne primär einzelne zum Gewerbebetrieb gehörende Gegenstände zu beeinträchtigen 303.
296 Siehe im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 2. 297 Siehe oben unter II. 3. b) (2). 298 Siehe nur Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (784); Frank, JA 1979, 583 ff. (584); Hager, JZ 1979, 53 ff. (55); Larenz, SchR II, 12. Aufl., 602; Larenz/Canaris, SchR II 2, 13. Aufl., 390; Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 126 (anders für „extreme Ausnahmefälle"); Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 37; MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 94; Staudinger-Schäfer, 12. Aufl., § 823, Rz. 50; Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b bb; Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 61; Emmerich, Schuldrecht BT, 7. Aufl., 384. Unabhängig von der Diskussion eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen ordnet v. Caemmerer die aus einer Beeinträchtigung der Sachnutzung infolge Unterbrechung der Stromzufuhr resultierenden Schäden als reine Vermögensschäden ein, siehe FS DJT 1960, Bd. II, 49 ff. (68) und ZHR 127 (1965), 241 ff. (245 f.). 299 Siehe oben unter b) (2). 300 MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 94; Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 60f. Im übrigen spricht MünchKomm-Mertens unter Verweis auf Zeuner davon, daß es sich bei einer Unterbrechung der Energiezufuhr „um die Störung einer Leistungsbeziehung (handelt), die prinzipiell nicht als deliktischer Eingriff zu werten ist" (siehe § 823, Rz. 94 i.V.m. Fn. 139; zu diesem Verweis auf die alleinige Zuständigkeit des Vertragsrechts siehe noch folgend im Text). 301 Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b bb. 302 Hager, JZ 1979, 53 ff. (55). Nach Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 125 f. ist eine Eigentumsverletzung im Falle kurzer Unterbrechung der Energieversorgung in Hinblick darauf abzulehnen, daß es sich um ein vom Eigentümer hinzunehmendes sozialtypisches bzw. technisches Risiko handelt; ebenso Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 37.
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Neben den vorstehend genannter» Gründen für die Verneinung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes sei hervorgehoben, daß die Einordnung von auf einer Unterbrechung der Stromzufuhr beruhenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 insbesondere von Zeuner und Larenz mit dem Hinweis auf eine ausschließliche Zuständigkeit des Vertragsrechts abgelehnt wird. Nach Zeuner besteht in Hinblick auf die hier in Frage stehenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen die Notwendigkeit einer Abgrenzung zwischen der „Schutzsphäre des Eigentums" und dem „speziellen Feld der Vertragsfreiheit" 304. Die Rechtsordnung halte für Vertragsbeziehungen ein eigenständiges Schutzsystem bereit, dessen maßgebende Wertungen und Entscheidungen auch bei der Bemessung der Eigentumssphäre zu respektieren seien. Diese würden allerdings weitgehend unterlaufen, „wenn eine Eigentumsverletzung schon darin gefunden werden könnte, daß die Begründung oder die Erfüllung eines Vertragsverhältnisses gestört wird, das der Nutzung oder der Verwertung einer Sache dienen soll" 3 0 5 . Bei der Stillegung von Maschinen und Geräten handele es sich allein um die „Störung einer Leistungsbeziehung"306. Etwas anderes gelte allerdings „selbstverständlich" dann, wenn die Unterbrechung der Stromzufuhr eine Beeinträchtigung der Sachsubstanz zur Folge habe 307 . Ebenso wie Zeuner geht Larenz davon aus, daß reine Nutzungsbeeinträchtigungen, die auf einer Unterbrechung der Energiezufuhr beruhen, allein vertragsrechtlich relevant sind. Nach der Auffassung von Larenz steht dem Eigentümer die Gebrauchsmöglichkeit einer energieabhängigen Sache anders als deren Unversehrtheit nicht schon kraft seines Eigentums zu. Vielmehr würde ihm diese erst durch die Leistungen eines Dritten verschafft und es handele sich von daher um einen Vorteil, den der Eigentümer nur aufgrund seines Anspruchs gegen den Dritten habe. Das Ausbleiben dieses Vorteils stelle mithin nur eine nicht unter § 823 Abs. 1 fallende Forderungsverletzung dar 3 0 8 .
303 So Brüggemeier, VersR 1984, 902 ff. (904). Zu anderen Autoren, die einen deliktsrechtlichen Schutz gegen Produktionsausfallschäden über das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb befürworten, siehe noch folgend die Nachw. in Fn. 312. 304 FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (784). 305 FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (784). 306 FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (784); zustimmend MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 94. Hiervon ausgehend sieht Zeuner das eigentliche Problem in der Frage, ob angesichts der existenziellen Bedeutung mancher Versorgungsleistungen im heutigen Leben in vollem Umfang an dem Grundsatz festgehalten werden kann, daß Vertragsbeziehungen keinen generellen deliktsrechtlichen Schutz vor Störungen durch Dritte genießen (a. a. O., 785). 307 Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (784 i.V.m. Fn. 20). 308 Larenz, SchR II, 12. Aufl., 602. Jedenfalls inhaltlich übereinstimmend lehnt Larenz/ Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 390 in den Fällen, in denen Unterbrechungen der Energiezufuhr allein reine Nutzungsbeeinträchtigungen herbeiführen, eine Eigentumsverletzung mit
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Nur wenige Vertreter der einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen grundsätzlich bejahenden Literatur ordnen aus einer Unterbrechung der Stromzufuhr folgende Beeinträchtigungen der Nutzung von energieabhängigen Maschinen und Geräten als deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung ein. Zur Begründung wird vor allem - zum Teil unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH im Fleetfall 309 - darauf verwiesen, daß die Unterbrechung der Energiezufuhr zu einer Entziehung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs bzw. der sozialtypischen Verwendungsfunktion führe 310 . Im übrigen wird in Hinblick auf von einer Unterbrechung der Stromzufuhr betroffene Gewerbebetriebe häufig hervorgehoben, die Verneinung einer Eigentumsverletzung hätte die merkwürdige Konsequenz, daß - wie der vom BGH entschiedene sogenannte Bruteierfall 311 zeige - eine noch so geringe Substanzbeschädigung aufgrund einer Unterbrechung der Stromzufuhr zwar ausreiche, eine deliktsrechtliche Haftung auch für die aus dem damit verbundenen Produktionsausfall resultierenden Schäden zu begründen. Fehle es hingegen an einem Substanzeingriff, so seien Produktionsausfallschäden, mögen diese auch noch so groß sein, jedenfalls über den deliktsrechtlichen Eigentumsschutz312 nicht ersatzfähig 313. Die damit angesprochene Zufälligkeit einer deliktsrechtlichen Haftungsbegründung für aus einer Unterbrechung der Stromzufuhr resultierende Produktionsausfallschäden in Abhängigkeit davon, ob über die Beeinträchtigung der Nutzung von der Begründung ab, „daß der Zuweisungsgehalt des Eigentums nicht die Befugnis zur Inanspruchnahme der Leistungskapazität von fremdem Eigentum umfaßt.". 309 BGHZ 55, 153 ff. 310 Prägnant Möschel, JuS 1977, 1 ff. (2 und 4): „Was Wasser für ein Schiff ist, ist Strom für Maschinen: Ohne diese Versorgung stehen sie still, ist ihre (einzige) Verwendungsfunktion beseitigt.". Siehe auch Mertens/Reeb, JuS 1971, 469ff. (471); Schnug, JA 1985, 614ff. (617); Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 31; Medicus, SchR II, 6. Aufl., 366f. hält die Bejahung einer Eigentumsverletzung in der Fleetfall-Entscheidung hinsichtlich des eingesperrten Schiffes (BGHZ 55, 153 ff. (159)) einerseits und die Ablehnung einer solchen in den Stromkabelfällen durch den BGH (siehe die Nachw. unter II. 3. b (2), Fn. 172) für inkonsequent. 311 BGHZ 41, 123 ff. Siehe schon oben unter II. 3. b) (2). 312 Für eine Gleichbehandlung von aus Substanzeingriffen resultierenden Schäden und bloßen Produktionsausfallschäden in den Stromkabelfällen sprechen sich unter Anknüpfung an den deliktsrechtlichen Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ζ. B. Glückert, AcP 166 (1966), 311 ff. (326), Neumann-Duesberg, NJW 1968, 1990ff., Preusche, Unternehmensschutz, 1974, 187f. und Brüggemeier, VersR 1984, 902ff. (904f.) aus; ablehnend zu einer solchen Haftung, und zwar auch dann, wenn die Unterbrechung der Energiezufuhr eine Substanzbeschädigung zur Folge hat, ζ. B. Wiethölter, KJ 1970, 121 ff. (130 f.) und Hager, JZ 1979, 53 ff. (57). 313 Siehe Mertens/Reeb, JuS 1971, 469 ff. (471); Möschel, JuS 1977, 1 ff. (2); Schnug, JA 1985, 614 ff. (615 f.). In diesem Zusammenhang wird häufig auf Glückert, AcP 166 (1966), 311 ff. (318) verwiesen, der angesichts dieser Differenzierung davon spricht, daß die Haftung aus der Sicht des Schädigers etwas Zufälliges an sich habe, je nachdem, ob dieser das Pech habe, Substanz zu beschädigen oder das Glück, lediglich die Nutzung zu verhindern. Vgl. auch Löwisch/Meier-Rudolph JuS 1982, 237 ff. (243). 8 Boecken
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Maschinen und Geräten hinaus auch eine Substanzbeschädigung eintritt, wird auch von den Vertretern in der Literatur gesehen, die in den Stromkabelfällen das Vorliegen einer Eigentumsverletzung ablehnen, soweit die Unterbrechung der Energieversorgung lediglich zu Nutzungsbeeinträchtigungen f ü h r t 3 1 4 . Zur Rechtfertigung dieser Differenzierung wird darauf verwiesen, daß sie dogmatisch begründet sei durch die gesetzliche Konzeption der deliktsrechtlichen Haftung, welche für die Ersatzfähigkeit von Schäden eine Rechtsverletzung voraussetze und damit reine Vermögensschäden aus dem deliktsrechtlichen Schutz ausblende 3 1 5 .
(3) Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung durch negative Einwirkungen Die Frage, ob Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung, die durch negative Einwirkungen 3 1 6 hervorgerufen werden, als Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 einzuordnen sind, wird als solche von der einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen grundsätzlich anerkennenden
314 Siehe ζ. B. MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 95f.; Staudinger-Schäfer, 12. Aufl., § 823, Rz. 187; K. Schmidt JuS 1993, 985 ff. (991); Larenz/Canaris, SchR Π 2, 13. Aufl., 391. Siehe auch v. Caemmerer, ZHR 127 (1965), 241 ff. (247), der unabhängig von der Diskussion eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen bezogen auf die hier in Frage stehenden Stromkabelfälle ausführt: „Die Begrenzung der Haftung auf den Schaden, der im Vermögen des in seinen Gütern Verletzten entsteht, ist gewiß etwas pauschal und roh und kann bisweilen etwas Zufälliges haben ...". 315 Siehe Staudinger-Schäfer, 12. Aufl., § 823, Rz. 187 unter Berufung auf BGHZ 66, 388 ff. (393), wonach die Abgrenzung zwischen Sachschäden und reinen Vermögensschäden auf einer verbindlichen allgemeinen Entscheidung des geltenden Deliktsrechts beruhe (siehe schon unter II. 3. b) (2)). Siehe auch MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 95 f. und K. Schmidt JuS 1993, 985 ff. (991). Larenz/Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 391 rechtfertigt die Unterscheidung unter Hinweis darauf, daß „der Substanzschaden im Kernbereich des Eigentumsschutzes, der Gebrauchsschaden dagegen sehr nahe bei einem reinen Vermögensschaden liegt". 316 In der Lit. wird der Begriff der negativen Einwirkung unterschiedlich weit beschrieben: Zum Teil wird auf den Entzug natürlicher Verbindungen eines Grundstücks zur Umwelt abgestellt (so etwa Deneke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, 1987, 59; M. Wolf, Sachenrecht, 12. Aufl., 120, Rz. 236; Palandt-Bassenge, 54. Aufl., § 903, Rz. 9), zum Teil wird weitergehend von der Entziehung positiver Umweltgegebenheiten bzw. -einflüsse (MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 906, Rz. 20; Marburger, GutA C DJT 1986, Bd. I, C 101), positiver Einflüsse der Natur oder der sozialen Infrastrukturleistungen (AK-BGB-Kohl, § 1004, Rz. 47) oder auch von Vorteilen, insb. erwünschter natürlicher Einflüsse (MünchKomm-Medicus, 2. Aufl., § 1004, Rz. 28; Staudinger-Gursky, 12. Aufl., § 1004, Rz. 46; Soergel-Mühl, 13. Aufl., § 1004, Rz. 64) gesprochen. Trotz dieser differierenden Beschreibungen besteht jedoch inhaltlich weitgehend Ubereinstimmung, da auch die auf eine Entziehung natürlicher Verbindungen des Grundstücks zur Umwelt abstellenden Autoren den Entzug anderer als natürlicher Vorteile regelmäßig einbeziehen, beispielsweise Störungen des Rundfunk- und Fernsehempfangs (siehe etwa Deneke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, 1987, 59 und M. Wolf, Sachenrecht, 12. Aufl., 120 f., Rz. 236).
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L i t e r a t u r 3 1 7 so gut wie gar nicht diskutiert 3 1 8 . Soweit ausnahmsweise überhaupt ein Zusammenhang zwischen der allgemeinen Frage eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen einerseits und der Frage eines Schutzes der Grundstücksnutzung gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen hergestellt wird, wird ein deliktsrechtlicher Schutz verneint 3 1 9 . Die Ursache für die fehlende Diskussion eines deliktsrechtlichen Schutzes der Grundstücksnutzung gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen liegt darin, daß insoweit ohne weiteres die herrschende Auffassung zur Frage eines negatorischen Schutzes gegen Beeinträchtigungen aufgrund negativer Einwirkungen zugrunde gelegt wird, die in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des B G H 3 2 0 bezogen auf den durch die §§ 903, 906, 1004 gewährleisteten Schutz der Grundstücksnutzung von einem materiellen Einwirkungsbegriff ausgeht und damit negative Einwirkungen grundsätzlich nicht für abwehrfähig hält321. 317
Siehe die Nachw. oben unter a), Fn. 213. Anderes gilt hingegen für Einwirkungen im Sinne des von der Rspr. zu § 906 entwikkelten materiellen Einwirkungsbegriffs (siehe unter I. 2. b) (1) und II. 2. b) (2)): Diese werden in Übereinstimmung mit der Rspr. deliktsrechtlich als Eigentumsverletzung eingeordnet, wobei die Frage der Rechtswidrigkeit im Rahmen von § 823 Abs. 1 - insoweit ebenfalls im Einklang mit der Rechtsprechung (siehe unter I. 2. b) (1) und II. 2. b) (2)) nach Maßgabe des § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 beurteilt wird, siehe nur MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 99; RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 22; Palandt-Thomas, 54. Aufl., § 823, Rz. 9 und 34; Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 33. Zur Heranziehung des § 906 als Rechtswidrigkeitsmaßstab im Rahmen von § 823 Abs. 1 siehe noch ausführlich im Dritten Teil, 3. Kap. unter III. 3. b) (3). 319 So RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 22, der in Verbindung mit seinen Ausführungen zu einem deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen Beeinträchtigungen der Sachnutzung auch die Frage eines Schutzes der Grundstücksnutzung gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen anspricht und unter Bezugnahme auf die Rspr. des BGH zur Zulässigkeit negativer Einwirkungen davon ausgeht, daß diese „grundsätzlich auch deliktisch nicht abgewehrt werden" können. In der einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen grundsätzlich anerkennenden Literatur finden sich des öfteren ablehnende Stellungnahmen zu Einzelfällen negativer Einwirkungen, so vor allem unter Bezugnahme auf BGHZ 69, 1 ff. hinsichtlich der Entziehung von Grundwasser, siehe SoergelZeuner, 11. Aufl., § 823, Rz. 32; MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 99; PalandtThomas, 54. Aufl., § 823, Rz. 10 (siehe zu BGHZ 69, 1 ff. schon unter II. 3. b) (3), Fn. 185). Anders als von der sich mit einem deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen befassenden Literatur wird von Autoren, die einen negatorischen Schutz der Grundstücksnutzung gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen entgegen der insoweit herrschenden Lehre (siehe noch folgend) befürworten, bisweilen vergleichend auf die Entwicklung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes i.S. eines Schutzes auch gegen Beeinträchtigungen der Sachnutzung verwiesen, so ζ. B. Deneke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, 1987, 66 f. und M. Wolf, Sachenrecht, 12. Aufl., 1991, 121 f., Rz. 236. 318
320 Siehe unter I. 2. b) (2) und II. 3. b) (3). 32 1 Deutlich wird diese Anbindung der deliktsrechtlichen Beurteilung an den von der herrschenden Lehre im Nachbarrecht (nicht) anerkannten negatorischen Schutz der Grundstücksnutzung (gegen negative Einwirkungen) gerade in der bereits in Fn. 319 erwähnten vereinzelten Stellungnahme von RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 22: „Die als Immissionen nicht
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
Die Ablehnung eines negatorischen Schutzes der Grundstücksnutzung gegen (drohende) Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen mit der Konsequenz der Versagung auch eines deliktsrechtlichen Schutzes insoweit wird mit unterschiedlichen Gründen gerechtfertigt, die i m wesentlichen mit den von der Rechtsprechung genannten Gründen 3 2 2 übereinstimmen 3 2 3 . So wird u.a. auf den Wortlaut des § 906, wonach die negativen Einwirkungen nicht als Zuführungen i m Sinne dieser Vorschrift angesehen werden k ö n n t e n 3 2 4 , die Entstehungsgeschichte der nachbarrechtlichen Vorschriften 3 2 5 sowie die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und der Gefahr einer Ausuferung des negatorischen Eigentumsschutzes verwiesen 3 2 6 . Vor allem aber wird in der Literatur die Zulässigkeit negativer Einwiranerkannten sog. negativen Einwirkungen des Nachbargrundstücks ohne stoffliches Hinüberwirken (...) können grundsätzlich auch deliktisch nicht abgewehrt werden (...)". Einen negatorischen Schutz gegen Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung durch negative Einwirkungen lehnen grundsätzlich u.a. ab: Eichler, Institutionen I I 1, 1957, 273f.; RGRK-Augustin, 12. Aufl., § 906, Rz. 7f.; Dehner, Nachbarrecht im Bundesgebiet, 6. Aufl., 735 f.; Marburger, GutA. C DJT 1986, Bd. I, C 101 f.; MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 906, Rz. 20; MünchKomm-Medicus, 2. Aufl., § 1004, Rz. 28f.; Jauernig, JZ 1986, 605ff. (609f.); Ronellenfitsch/Wolf, NJW 1986, 1955 ff. (1960); Kleinlein, Das System des Nachbarrechts, 1987, 220 ff.; Pinger, in Westermann, Sachenrecht Π, 6. Aufl., 16; Staudinger-Gursky, 13. Aufl., § 1004, Rz. 65; Soergel- Mühl, 12. Aufl., § 1004, Rz. 36; Palandt-Bassenge, 54. Aufl., § 903, Rz. 8f.; Wilhelm, Sachenrecht, 1993, 228, Rz. 377 f.; Erman-H. Hagen, 9. Aufl., § 906, Rz. 9; Müller, K., Sachenrecht, 3. Aufl., 274, Rz. 725. Zu den einen negatorischen Schutz der Grundstücksnutzung gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen bejahenden Autoren siehe im Dritten Teil, 2. Kap. unter II. 1. in Zusammenhang mit der Erörterung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen negative Einwirkungen, insb. die Nachw. in Fn. 336. Zum Teil läßt sich allerdings in der h.L. zum negatorischen Schutz der Grundstücksnutzung ein Abrücken von dem durch die Rspr. geprägten materiellen Einwirkungsbegriff insoweit feststellen, als es um die Abwehrfähigkeit sog. immaterieller Immissionen (darunter werden von einem Grundstück ausgehende Einwirkungen verstanden, die das sittliche oder ästhetische Empfinden des ein Nachbargrundstück nutzenden Eigentümers beeinträchtigen, siehe zum Begriff nur MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 906, Rz. 21; Deneke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, 1987, 61 f. und Staudinger-Gursky, 13. Aufl., § 1004, Rz. 74) geht. Für die Abwehrfähigkeit derartiger Einwirkungen sprechen sich u.a. F. Baur, FS MeierHayoz, 1982, 27 ff. (31 f.), AK-BGB-Kohl, § 1004, Rz. 47 f., Jauernig, JZ 1986, 605 ff. (606 ff.), Staudinger-Roth, 12. Aufl., § 906, Rz. 126 und Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl., 253 aus. Die danach für den Bereich des negatorischen Grundstücksschutzes zu konstatierende Differenzierung zwischen negativen Einwirkungen einerseits und immateriellen Immissionen andererseits macht sich auch in einer bezogen auf die zuletzt genannten Einwirkungen vorzufindenden Diskussion eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes bemerkbar, siehe nur Soergel-Zeuner, 11. Aufl., § 823, Rz. 32; Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b cc; Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 33, die einen Schutz gegen Beeinträchtigungen durch immaterielle Immissionen befürworten; ablehnend hingegen etwa Staudinger-Schäfer, 12. Aufl., § 823, Rz. 50 und RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 22. 322 Siehe unter I. 2. b) (2) und II. 3. b) (3). 323 Zur Tragfähigkeit dieser Gründe siehe näher im Dritten Teil, 2. Kap. unter II. 1. b). 324 Siehe nur Vieweg, BB 1961, 160f. (161); Weimar, MDR 1961, 1015; Landmann, BB 1971, 1080f. (1080); RGRK- Augustin, 12. Aufl., § 906, Rz. 8; MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 906, Rz. 20. 325 Jauernig, JZ 1986, 605 ff. (609); Ronellenfitsch / Wolf, NJW 1986, 1955 (1960).
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
117
kungen mit einer aus den Vorschriften der §§ 903, 905 gewonnenen Wertung bejaht 3 2 7 . Danach sei für eine Begrenzung des Schutzes der Grundstücksnutzung gegen auf materielle Einwirkungen beruhende Beeinträchtigungen entscheidend, daß eine sich in den räumlichen Grenzen des Grundstücks haltende Benutzung desselben i m Zweifel vom Eigentumsinhalt gedeckt sein müsse 3 2 8 . Innerhalb der Grenzen seines Grundstücks könne der Eigentümer nach Belieben verfahren und bedürfe insoweit keiner besonderen Rechtfertigung 3 2 9 . Die danach anzuerkennende Zulässigkeit negativer Einwirkungen habe zur Folge, daß das Eigentum des von solchen Immissionen betroffenen Grundstücks durch Einschränkung des Ausschließungsrechts inhaltlich begrenzt s e i 3 3 0 . Ein Schutz gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen könne nur dann in Betracht kommen, wenn die beeinträchtigende Nutzung des Nachbargrundstücks gegen eine Rechtsnorm verstoße, die den Inhalt des Grundstückseigentums i m Interesse des betroffenen Nachbarn beschränkt „und damit zugleich die Eigentumssphäre des letzteren entsprechend erweitert" 3 3 1 .
326 Siehe ζ. B. Landmann, BB 1971, 1080f. (1080); AK-BGB- Kohl, § 1004, Rz. 47; Ronellenfitsch/ Wolf, NJW 1986, 1955 ff. (1960); Wilhelm, Sachenrecht, 1993, 228, Rz. 378. 327 Siehe Staudinger-Gursky, 13. Aufl., § 1004, Rz. 65. 328 So Staudinger-Gursky, 13. Aufl., § 1004, Rz. 65. Siehe im übrigen Tschierschke, ZMR 1969, 8f. (9); Landmann, BB 1971, 1080f. (1080f.); RGRK-Augustin, 12. Aufl., § 903, Rz. 22; Marburger, GutA C DJT 1986, Bd. I, C 102; Ronellenfitsch/Wolf, NJW 1986, 1955 ff. (1960); MünchKomm-Medicus, 2. Aufl., § 1004, Rz. 29; Jauernig, JZ 1986, 605 ff. (610); Kleinlein, Das System des Nachbarrechts, 1987, 221; Pinger, in Westermann, Sachenrecht II, 6. Aufl., 16; Olzen, Jura 1991, 281 ff. (285); Palandt-Bassenge, 54. Aufl., § 903, Rz. 8. 329 MünchKomm-Medicus, 2. Aufl., § 1004, Rz. 29; Palandt-B assenge, 54. Aufl., § 903, Rz. 8 unter Bezug auf BGHZ 88, 344 ff. (346 f.). 330 So ausdrücklich Palandt-Bassenge, 54. Aufl., § 903, Rz. 8. 331 Staudinger-Gursky, 13. Aufl., § 1004, Rz. 65. Siehe auch Marburger, GutA C DJT 1986, Bd. I, C 102; MünchKomm-Medicus, 2. Aufl., § 1004, Rz. 29; Palandt-Bassenge, 54. Aufl., § 903, Rz. 8; Wilhelm, Sachenrecht, 1993, 228, Rz. 377. Unterschiedliche Auffassungen bestehen darüber, ob durch entsprechende nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Rechts (siehe schon im Ersten Teil, 2. Kap. unter III. 1., insb. Fn. 99) der Inhalt des privatrechtlichen Eigentums erweitert wird mit der Folge, daß ein Abwehranspruch gegen negative Einwirkungen unmittelbar aus den §§ 903, 1004 folgt (so Picker, AcP 176 (1976), 28 ff. (42 ff.); ders., FS H. Lange, 1992, 625 ff., 670 ff. (insb. 681 f.); Wilhelm, Sachenrecht, 1993, 228, Rz. 377; ablehnend Staudinger-Gursky, 13. Aufl., § 1004, Rz. 73), oder ob diese Normen lediglich als Schutzgesetze über § 823 Abs. 2 privatrechtliche Bedeutung erlangen und insoweit quasinegatorisch gemäß den §§ 1004, 823 Abs. 2 ein Abwehrrecht begründen (so Staudinger-Gursky, 13. Aufl., § 1004, Rz. 73; Palandt-Bassenge, 54. Aufl., § 903, Rz. 24). Über den durch besondere nachbarschützende Vorschriften begründeten Schutz hinaus werden von der einen negatorischen Schutz gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen grundsätzlich ablehnenden Literatur in Übereinstimmung mit der Rspr. des BGH (siehe unter II. 3. b) (3)) negative Einwirkungen dann als abwehrfähig angesehen, wenn sie besonders schwere Nachteile (unzumutbare Beeinträchtigungen i. S. d. § 906 Abs. 2 Satz 2) für die Grundstücksnutzung zur Folge haben, siehe nur Wilhelm, Sachenrecht, 1993, 228, Rz. 377 f.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik 2. Die einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen prinzipiell ablehnende Minderansicht
In der Literatur finden sich nur wenige Autoren, die einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen aus i m einzelnen unterschiedlichen Gründen prinzipiell ablehnen 3 3 2 . I m wesentlichen lassen sich drei verschiedene Begründungsansätze unterscheiden. Nach einer von Fraenkel vertretenen und näher begründeten Auffassung bedeutet die in § 903 Satz 1 niedergelegte Zuweisung einer ausschließlichen Handlungsbefugnis zunächst nur, daß allein der Rechtsinhaber die bestimmten Handlungen vornehmen „darf 4 . Hingegen erstreckt sich der Inhalt des subjektiven Rechts nicht auf die Möglichkeit, „daß der Rechtsinhaber die allein ihm vorbehaltenen Handlungen vornehmen 'kann' und vornehmen ,wollen k a n n ' 3 3 3 . Ansonsten würde die Grenze zwischen den einzelnen subjektiven Rechten einerseits und der allgemeinen Handlungsfreiheit andererseits beseitigt 3 3 4 . Aus dem Verständnis des Eigen-
332 Siehe Reinhardt, JZ 1961, 713 if. (718f.); H. Stoll, AcP 162 (1963), 203 ff. (219); ders., JZ 1976, 281 ff. (283, Fn. 14); M. Schmid, NJW 1975, 2056f., dessen Stellungnahme zum Umfang des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes zwar nicht unmittelbar auf den hier interessierenden Schutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen bezogen ist (Schmid befaßt sich im Ausgangspunkt mit einem Schutz gegen Beeinträchtigungen der Verkaufsmöglichkeit einer Sache), die jedoch in Hinblick auf ihre allgemeinen, u.a. auch die Anerkennung eines Schutzes der Sachnutzung ausschließenden Aussagen zu dem Verhältnis zwischen Eigentum und deliktsrechtlichem Eigentumsschutz gleichwohl von Bedeutung ist; Fraenkel, Tatbestand, 1979, 127ff.; MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 903, Rz. 3, der ohne weitere Begründung ausführt, daß mangelnde Nutzungs- oder Gebrauchsmöglichkeiten wegen vorübergehender Störung des Verhältnisses zwischen Sache und Umwelt nicht mit der zivilrechtlichen Eigentumskategorie, sondern allenfalls mit dem Recht am Gewerbebetrieb gemäß § 823 Abs. 1 erfaßbar seien. Bis zu der Fleetfall-Entscheidung des BGH vom 21.12. 1970 (BGHZ 55, 153 ff.) wurde die Frage eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen als solche in der Literatur regelmäßig (siehe aber die Nachw. oben) nicht diskutiert und insofern auch nicht explizit verneint. Jedoch läßt sich - wie vor allem die ältere Kommentarliteratur deutlich macht - aus der zum Zwecke der Beschreibung des Begriffs der Eigentumsverletzung erfolgten Bezugnahme auf die Entscheidung des Reichsgerichts in HRR 1934, Nr. 803 (siehe dazu unter I. 2. b) (1)) entnehmen, daß trotz bisweilen recht „offener" Formulierungen (siehe z. B. Erman-Drees, 3. Aufl., § 823, Anm. 6 a: Zur Verletzung des Eigentums „zählen Vernichtung und Schmälerung des Eigentumsrechts durch wirksame Verfügungen zugunsten gutgläubiger Dritter,..., tatsächliche Vernichtung und Beschädigung der Sache, dauernde oder zeitweilige Entziehung der Sache oder sonstige Beeinträchtigung ihrer Benutzung") hinsichtlich der Verletzung des Eigentums durch tatsächliche Einwirkungen in Übereinstimmung mit dem Reichsgericht von einem materiellen Verletzungsbegriff ausgegangen wurde (siehe nur Erman-Drees, 3. Aufl., § 823, Anm. 6 a: „Stets muß es sich aber um eine unmittelbare Einwirkung auf die Sache selbst handeln, RG HRR 34, 89." (der Verweis auf „89" ist ein Druckfehler, richtig muß es „Nr. 803" heißen (Verf.)), PalandtGramm, 14. Aufl., § 823, Anm. 5 und Soergel-Schräder, 9. Aufl., § 823, Rz. 27). 333 Fraenkel, Tatbestand, 1979, 131 f. 334 A.a. O. (Fn. 333), 132.
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
119
turns im Sinne der Zuweisung eines rechtlichen Dürfens folge, daß das Eigentum durch eine tatsächliche Hinderung des Rechtsinhabers an der Vornahme von Handlungen nicht verletzbar sei 3 3 5 . Die Einordnung der Rechtsausübung durch den Eigentümer als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit mit der Konsequenz der Ablehnung eines deliktsrechtlichen Schutzes der tatsächlichen Wahrnehmung von Eigentümerbefugnissen gegen Beeinträchtigungen - insbesondere auch Beeinträchtigungen der Sachnutzung - ist von Fraenkel näher begründet worden 336 . Seiner Auffassung nach beinhaltet die allgemeine Handlungsfreiheit nicht nur die Befugnis, handeln zu dürfen, sondern darüber hinaus auch die tatsächliche Möglichkeit, daß der Einzelne nach seinem eigenen, frei gefaßten Entschluß handeln kann. Nur dann lasse sich Freiheit von dem Zustand der Unfreiheit unterscheiden 337. Hiervon ausgehend - dem Verständnis der allgemeinen Handlungsfreiheit im Sinne eines beliebigen „Handeln-Könnens" - stelle jede Ausübung einer durch ein subjektives Recht zugewiesenen ausschließlichen Handlungsbefugnis „immer zugleich auch" Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit dar. In Hinblick darauf wäre die Ausdehnung des Inhalts subjektiver Rechte auf ihre tatsächliche Ausübbarkeit gleichbedeutend mit der Einbeziehung eines Teils der allgemeinen Handlungsfreiheit in das subjektive Recht 338 . Eine solche Einbeziehung sei jedoch aus dem Grunde ausgeschlossen, weil dadurch das subjektive Recht „partiell seine wichtigste Funktion" verlieren würde, und zwar die Grenze des Rechtskreises des Einzelnen und damit zugleich die Grenze der allgemeinen Handlungsfreiheit Dritter zu bezeichnen. Die allgemeine Handlungsfreiheit könne anders als subjektive Rechte niemals Schranke für die Ausübung subjektiver Rechte oder für die Betätigung der allgemeinen Handlungsfreiheit eines anderen sein. Angesichts dessen, daß jede Ausübung allgemeiner Handlungsfreiheit Auswirkungen auf die Verhaltensmöglichkeiten Dritter habe, würde die wechselseitige Begrenzung der allgemeinen Handlungsfreiheit notwendig zur Aufhebung der allgemeinen Handlungsfreiheit selbst, zur Beseitigung der Möglichkeit rechtmäßigen Verhaltens überhaupt führen 339 . Diese Beurteilung ist nach der Auffassung Fraenkels auch dann zugrunde zu legen, wenn sich eine Handlung als Rechtsausübung darstellt 340 . Befugte Rechtsausübung und Betätigung der allgemeinen Handlungsfreiheit seien ununterscheidbar, da es kein Verhalten gebe, das sich nicht zugleich als Ausübung irgend eines subjektiven Rechts oder eines Rechtsgutes, und sei es auch nur der körperlichen Bewegungsfreiheit, begreifen ließe. Daraus folge, daß auch jede Rechtsausübungs-
335
336 337 338 339 340
A.a. O. (Fn. 333), A.a. O. (Fn. 333), A.a. O. (Fn. 333), A.a. O. (Fn. 333), A.a. O. (Fn. 333), A.a.O. (Fn. 333),
132. 132 ff. 132. 132. 132 f. 133.
120
Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
handlung die Möglichkeiten zu anderen Rechtsausübungshandlungen verändere. Das Verbot einer solchen Veränderung wäre mithin gleichbedeutend mit dem Verbot von Rechtsausübungshandlungen überhaupt 3 4 1 . Wollte man anders entscheiden, so gebe es nur einen theoretisch möglichen Ausweg. Bei mehreren sich gegenseitig beeinträchtigenden erlaubten Rechtsausübungshandlungen müßte weiter nach dem Grad der jeweiligen Schutzwürdigkeit differenziert werden. Dieser Weg sei jedoch nicht gangbar, da das BGB nur die beiden Kategorien der erlaubten und verbotenen Handlungen kenne, und es Rechtsschutz nur vor den letzteren gewäh342 re . I m Gegensatz zu Fraenkel geht Reinhardt 3 4 3 für die prinzipielle Ablehnung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen nicht von einer Beschränkung der dem Eigentümer durch § 903 Satz 1 zugewiesenen Handlungsbefugnisse lediglich auf ein rechtliches Dürfen mit der Konsequenz
341 A.a. O. (Fn. 333), 133. 342 A.a. O. (Fn. 333), 134. Nach Fraenkel steht seine Auffassung nicht in Widerspruch zu der Fleetfall-Entscheidung des BGH (BGHZ 55, 153 ff.), da dieser nicht entnommen werden könne, daß der BGH „den Eigentumsschutz auf Funktionsstörungen" ausdehnen wollte, mithin entschieden habe, daß die bloße Hinderung der Rechtsausübung den Tatbestand der Eigentumsverletzung erfüllt (a. a. O., (Fn. 333), 130 f.). Eine solche Aussage enthalte das Urteil deshalb nicht, weil die Frage nach den Grenzen des Eigentumsschutzes nicht entscheidungserheblich gewesen sei (a. a. O. (Fn. 333), 130). Das schadensrelevante Verhalten der Beklagten habe sich in der Nichtvornahme von Erhaltungsarbeiten an dem Fleet erschöpft, so daß sie nur wegen einer schuldhaften widerrechtlichen Unterlassung habe haften können. Der BGH habe die Haftung auf einen schuldhaften Verstoß gegen die in § 81 Abs. 1 NdsWG niedergelegte Pflicht zur Erhaltung der Schiffbarkeit gestützt, ohne darauf einzugehen, welche Schädigungen Dritter die Beklagte danach zu verhindern verpflichtet war, d. h. also die Tragweite bzw. den Normzweck dieser Pflicht zu klären. Vielmehr habe er diese ohne weitere Begründung nur als eine auf den Tatbestand des § 823 Abs. 1 bezogene Verkehrssicherungspflicht eingeordnet und es dann nachfolgend auch ausdrücklich abgelehnt, sie als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 anzusehen. Der Grund für die Anbindung an § 823 Abs. 1 liege wie aus der Ablehnung eines Schadensersatzanspruchs hinsichtlich der ausgesperrten Schiffe erhelle - darin, daß der BGH „mit der evident unrichtigen Behauptung, es habe eine „tatsächliche Einwirkung' auf eine Sache stattgefunden, in deren Nähe nichts und niemand gekommen sind", lediglich bezweckt habe, einen Schadensersatzanspruch allein in Hinblick auf das eingesperrte Schiff zu gewähren, ohne auch nur den geringsten Anhaltspunkt für eine „Ausdehnung des deliktischen Schutzes" auf den Gemeingebrauch zu geben (a. a. Ο. (Fn. 333), 130 f.). Hieraus erkläre sich auch die „gleichermaßen unverständliche Auffassung", daß eine sich aus dem Gesetz ergebende Unterhaltungspflicht zwar zum Schutze der in § 823 Abs. 1 genannten Rechtsgüter und Rechte bestehe, gleichwohl jedoch kein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 sei. Auch hier sei es nur um die Unterscheidung zwischen dem eingesperrten Schiff und den ausgesperrten Schiffen gegangen sowie darum, jeder Erweiterung des Schutzbereichs von Wegeunterhaltungspflichten auf den Gemeingebrauch vorzubeugen (a. a. O. (Fn. 333), 131). Siehe dazu, daß die Interpretation der Fleetfall-Entscheidung durch Fraenkel nicht haltbar ist, im 2. Kap. unter II. 1. a), Fn. 359. Zur Kritik an dem Begründungsansatz Fraenkels siehe im 2. Kap. unter II. 2. 343 Dessen Auffassung sich H. Stoll ohne weiteres angeschlossen hat, siehe AcP 162 (1963), 203 ff. (219) und JZ 1976, 281 ff. (283, Fn. 14).
1. Kap.: Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur
121
eines entsprechend begrenzten Eigentumsschutzes aus, sondern stellt unmittelbar auf den deliktsrechtlichen Schutzbereich „Eigentum" ab 3 4 4 . Zwar beinhaltet das Eigentumsrecht nach der Auffassung Reinhardts gemäß § 903 Satz 1 die ausschließliche Befugnis, mit der Sache nach Belieben zu verfahren. Der davon zu unterscheidende Schutzbereich „Eigentum" sichere den einzelnen jedoch nur dagegen, daß andere derartige Dispositionen über die Sache vornehmen. Nicht geschützt würden hingegen die eigenen Handlungen des Eigentümers in Bezug auf die Sache gegen Störungen durch Dritte. Diese Handlungen seien nicht Schutzobjekt des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes, sondern unterlägen den Grundsätzen der deliktsrechtlich nicht geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit 345. Zur Begründung seiner Auffassung führt Reinhardt aus, daß im Falle einer Einbeziehung dieser Handlungen in den Eigentumsschutz angesichts der Unzahl denkbarer Verhaltensweisen in Bezug auf die im Eigentum stehende Sache sowie der Schwierigkeit, diese Vielzahl der Handlungen als Eigentümerdispositionen und damit als geschützte Verhaltensweisen jeweils zu erkennen, ein solcher Schutz die Handlungsfreiheit Dritter in einem Maße mit „Rechtsverletzungsrisiken" belasten würde, daß sie praktisch ausgeschaltet wäre 346 . In der Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung sieht Reinhardt auch den „letzten Grund" dafür, daß die Rechtsprechung für die Bejahung einer Eigentumsverletzung stets „eine unmittelbare Einwirkung auf die Sache selbst" vorausgesetzt habe 347 . Ein dritter Begründungsansatz verbindet sich schließlich mit der Auffassung von M. Schmid, wonach der Schutz des § 823 Abs. 1 allein auf den sogenannten negativen Eigentumsinhalt bezogen sei, auf dessen Grundlage dem Eigentümer ein Abwehrrecht lediglich gegen Einwirkungen auf die Sachsubstanz zustehe348. Zur Begründung seiner Auffassung führt M. Schmid aus, die in § 903 Satz 1 enthaltene Unterscheidung zwischen einer positiven und einer negativen Komponente sei für die Anwendung des § 823 Abs. 1 von Bedeutung. Die Erwähnung des Verfahrens nach Belieben sei in einem Staat, in welchem wegen Art. 2 Abs. 1 GG die Freiheit die Regel sei, an sich überflüssig. Die positive Komponente wende sich allein an den Eigentümer und binde seine Freiheit an Gesetz und Rechte Dritter, womit diesem gegenüber Dritten eine Pflicht auferlegt werde. Demgegenüber räume die negative Komponente dem Eigentümer ein Abwehrrecht im Verhältnis zu Dritten ein. Dieses sei allein auf eine „Einwirkung unmittelbar auf die Sache selbst" bezo-
344 JZ 1961, 713 ff. (719). 345 JZ 1961, 713 ff. (719). 346 JZ 1961, 713 ff. (719). 347 JZ 1961, 713 ff. (719, Fn. 44). Zur Kritik an der Auffassung Reinhardts siehe im 2. Kap. unter II. 2. 348 Siehe NJW 1975, 2056 f. Der Gedanke, daß es im Deliktsrecht allein auf den negativen Inhalt eines Rechts, d. h., die Befugnis zur Abwehr von Eingriffen ankomme, wird auch von Preusche, Unternehmensschutz, 1974, 103 f. vertreten, hier mit dem Ziel, das von ihm sogenannte „Recht am Unternehmen" als absolutes Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 einzuordnen.
122
Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
gen, d. h., eine Einwirkung, durch welche „die Sache selbst irgendwie in Mitleidenschaft gezogen" wird 3 4 9 . Der deliktsrechtliche Schutz des § 823 Abs. 1 sei lediglich auf die Verletzung dieses Abwehrrechts bezogen. Das folge daraus, daß allein die negative Komponente des § 903 Satz 1 dem Eigentümer ein Recht gegenüber Dritten einräume. Die gleichwertige Erwähnung von positivem und negativem Eigentumsinhalt in § 903 Satz 1 stünde dem nicht entgegen. Der Schutz des Eigentums erfolge nicht durch die Vorschrift des § 903 Satz 1, sondern durch besondere Regelungen wie die des § 823 Abs. 1. Wenn aber bereits § 903 Satz 1 nur in seiner negativen Komponente an Dritte gerichtet sei, dann erscheine es konsequent, den durch § 823 Abs. 1 gewählten Schutz nur auf die Verletzung dieses negativen Rechts zu beziehen 3 5 0 .
2. Kapitel
Kritische Stellungnahme
I . Einleitung Die Darstellung der in Rechtsprechung und Literatur zur Frage eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen vertretenen Auffassungen 351 macht deutlich, daß es sich hierbei um eine als solche erkannte und - wenn auch unter Verwendung unterschiedlicher Bezeichnungen352 vielfach diskutierte Problematik handelt. Gleichwohl ist es bis heute nicht gelungen, auf der Grundlage der für die rechtliche Beurteilung als maßgebend angesehenen gesetzlichen Regelungen der §§ 823 Abs. 1 und 903 Satz l 3 5 3 ein in sich geschlossenes und widerspruchsfreies dogmatisches Konzept 354 eines deliktsrecht349 NJW 1975, 2056 f. (2056). 350 NJW 1975, 2056 f. (2056). Zur Kritik an der Auffassung M. Schmids siehe im 2. Kap. unter Π. 2. 351 Sieheim 1. Kap. 352 Siehe im 1. Kap. unter III. 1. a), Fn. 212. 353 Nach Medicus, UTR 11 (1990), 5 ff. (9 f.) stehen sich in der Verbindung von Eigentum und deliktsrechtlichem Schutz desselben die beiden „Grundprinzipien des Zivilrechts" gegenüber: Das Prinzip der Freiheit und das Prinzip des Schutzes dieser Freiheit. 354 Der Begriff der Dogmatik wird hier im Anschluß an J. Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung, 1969, 12, Fn. 8 verstanden als „Entfaltung der in einer Grundaussage, dem Dogma, mitbeschlossenen Aussagen zu einer Fragestellung, als System der Aussagen zu einer Aussage". Ähnlich die Funktionsbeschreibung juristischer Dogmatik von
2. Kap.: Kritische Stellungnahme
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liehen Nutzungsschutzes zu entwickeln oder die prinzipielle Ablehnung eines solchen Eigentumsschutzes überzeugend zu begründen. Die Auffassungen von Rechtsprechung und Literatur sind vielmehr - wie im folgenden bezogen auf die beiden wesentlichen Fragenkreise, mit denen sich eine Untersuchung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen auseinanderzusetzen hat, und zwar das „Ob" eines Nutzungsschutzes355 sowie seine Begrenzung im Interesse der Erhaltung ausreichend haftungsfreier Handlungs- und Entfaltungsspielräume Dritter 356 , zu zeigen sein wird - durch eine Vielzahl von Ungereimtheiten und Widersprüchen, fehlende rechtliche Begründungen wie auch mangelndes Problembewußtsein gekennzeichnet.
II. Das „Ob" eines Nutzungsschutzes 1. Unzulänglichkeiten und Widersprüche der herrschenden Meinung bei der Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzungen a) Ausblendung bestimmter Nutzungsbeeinträchtigungen aus dem deliktsrechtlichen Eigentumsschutz Der BGH wie auch die einen Nutzungsschutz bejahende Literatur knüpfen für die Bestimmung und Abgrenzung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes an das Eigentum i.S.v. § 903 Satz 1 an 3 5 7 und ordnen hiervon ausgehend in Hinblick auf die dem Eigentümer durch § 903 Satz 1 unter anderem zugewiesene Möglichkeit zur Sachnutzung358 reine Nutzungsbeeinträchtigungen grundsätzlich als Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 ein 3 5 9 . Angesichts dieses Ausgangspunktes Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., 230, wonach „ . . . durch sie der - in Gesetzen und richterlichen Entscheidungen - gegebene Rechtsstoff seiner Unmittelbarkeit und bloßen »Gegebenheit4 enthoben, in einen durchgehenden Zusammenhang gestellt und von daher neu gesehen, in einem weit höheren Maße interpretierbar gemacht wird". 355 Siehe unter II. 356 Siehe unter III. 357 Siehe im 1. Kap. unter II. 1. und ΙΠ. 1. a). 358 So ausdrücklich die h.L., siehe im 1. Kap. unter III. 1. a). 359 Siehe im 1. Kap. unter II. 3. a) und III. 1. a). Die Ansicht von Fraenkel, Tatbestand, 1979, 130 f., der BGH habe in der Fleetfall-Entscheidung (BGHZ 55, 153 ff.) den Eigentumsschutz nicht auf „Funktionsstörungen" ausdehnen wollen und nicht entschieden, „daß die bloße Hinderung der Rechtsausübung den Tatbestand der Eigentumsverletzung erfüllt" (siehe dazu schon oben im 1. Kap. unter ΙΠ. 2., Fn. 342) ist nicht haltbar. Fraenkel übersieht bei seiner Interpretation dieser Entscheidung, daß entgegen der von ihm vertretenen Auffassung die Frage nach den Grenzen des Eigentumsschutzes sehr wohl entscheidungserheblich war. Nach der - auch der Fleetfall-Entscheidung zugrunde gelegten - Rspr. des BGH ist zwischen einer öffentlich-rechtlich geregelten, nur der Allgemeinheit gegenüber zu erfüllenden Unter-
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
einer eigentumsinhaltlichen Orientierung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes durch die herrschende Meinung ist es allerdings überraschend und nicht ohne weiteres nachvollziehbar, daß bestimmte Fälle reiner Nutzungsbeeinträchtigungen nicht als deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzungen angesehen werden, wobei insoweit zum Teil sogar noch nicht einmal die Frage eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gestellt wird.
(1) Die deliktsrechtliche Irrelevanz negativer Einwirkungen Die Feststellung einer nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Ausblendung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen aus dem grundsätzlich anerkannten deliktsrechtlichen Nutzungsschutz gilt zunächst für die i m Nachbarschaftsverhältnis zwischen Grundstückseigentümern bedeutsamen negativen Einwirkungen 3 6 0 . Hieraus resultierende Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung werden trotz der für den Bereich des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes durch den B G H und die herrschende Lehre vollzogenen Loslösung von dem reichsgerichtlich geprägten materiellen Verletzungsbegriff 361 nicht als eigentumsschutzrechtlich relevante Verletzungen angesehen 362 . Die damit verbundene Ausklammerung der durch negative Einwirkungen beeinträchtigten Grundstücksnutzung aus dem i m übrigen grundsätzlich
haltungspflicht von Wasserstraßen einerseits und der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht andererseits zu unterscheiden, die dem für die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs auf einer Wasserstraße verantwortlichen Träger grundsätzlich als privatrechtlich begründete Verpflichtung obliegt. Diese allgemeine Verkehrssicherungspflicht leitet der BGH nicht aus öffentlichrechtlich normierten Unterhaltungspflichten, sondern aus einer davon unabhängigen privatrechtlichen Rechtsgrundlage (allgemeiner Rechtsgedanke aus § 836) ab (siehe dazu mit Nachw. im Ersten Teil, 2. Kap. unter III. 3.). Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung des BGH wird zum einen deutlich, daß wegen des privatrechtlichen Charakters der Verkehrssicherungspflicht entgegen Fraenkel die Frage des Vorliegens einer Eigentumsverletzung entscheidungserheblich war. Die Verletzung der öffentlich-rechtlich geregelten Unterhaltungsbzw. Erhaltungspflicht konnte als eine nach Auffassung des BGH allein der Allgemeinheit gegenüber obliegenden Verpflichtung keinen Schadensersatzanspruch aus § 839 begründen. Mangels Schutzgesetzcharakters konnte auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 in Betracht kommen (siehe auch im Ersten Teil, 2. Kap. unter ΙΠ. 3.). Zum anderen erklärt sich aus dieser Unterscheidung des BGH die von Fraenkel zu Unrecht als „unverständlich" kritisierte Vorgehensweise, daß der BGH in der Fleetfall-Entscheidung zwar einerseits eine auf den Tatbestand des § 823 Abs. 1 bezogene Verkehrssicherungspflicht zum Schutze der dort genannten Rechtsgüter und Rechte bejahte (deren Inhalt er unter Heranziehung der öffentlich-rechtlich geregelten Pflicht zur Erhaltung der Schiffbarkeit des Fleets bestimmte, siehe BGHZ 55, 153 ff. (156)), gleichwohl jedoch die öffentlich-rechtlich normierte Unterhaltungs- bzw. Erhaltungspflicht nicht als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 einordnete (zur Bedeutung von der Verkehrssicherheit dienenden öffentlich-rechtlichen Regelungen ohne Schutzgesetzcharakter für die Bestimmung des Inhalts privatrechtlicher Verkehrssicherungspflichten siehe MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 190 b). 360 Zum Begriff siehe im 1. Kap. unter II. 3. b) (3) und III. 1. c) (3), Fn. 316. 361 Zur Rspr. des Reichsgerichts siehe im 1. Kap. unter I. 2. b) (1). 362 Siehe im 1. Kap. unter II. 3. b) (3) und III. 1. c) (3).
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anerkannten deliktsrechtlichen Nutzungsschutz ist aus verschiedenen Gründen zu hinterfragen. Zum einen lassen sich aus der Regelung des § 823 Abs. 1 mit ihrer sowohl von der Art des Eigentumsgegenstandes unabhängigen Einbeziehung des Eigentums als Schutzposition wie auch fehlenden Differenzierung in Hinblick auf die eine Verletzung des Eigentums herbeiführenden Ursachen nicht ohne weiteres Anhaltspunkte entnehmen, welche die prinzipielle Ablehnung eines Schutzes der Grundstücksnutzung gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund negativer Einwirkungen rechtfertigen könnten. Des weiteren erscheint die deliktsrechtliche „Sonderbehandlung" der durch negative Einwirkungen beeinträchtigten Grundstücksnutzung aus dem Grunde wenig überzeugend, weil die grundsätzliche Anerkennung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen von der herrschenden Meinung durchaus nicht auf das Eigentum an beweglichen Sachen beschränkt wird. In der Rechtsprechung des BGH kommt dies besonders deutlich in dessen Entscheidung zu dem sogenannten Grundstücksräumungsfall 363 zum Ausdruck. Das Gericht hat hier die zweistündige Hinderung der Nutzung eines Betriebsgrundstücks infolge einer Räumung desselben, welche wegen der Gefährdung durch einen auf einem Nachbargrundstück brennenden Tanklastwagen notwendig geworden war, als Eigentumsverletzung eingeordnet 364. Darüber hinaus drängt sich angesichts der Versagung eines Eigentumsschutzes gegen negative Einwirkungen insofern der Eindruck eines Weitungswiderspruchs auf, als das Grundstückseigentum trotz seiner Immobilität von dem deliktsrechtlichen Eigentumsschutz ausgenommen wird, soweit im Bereich des Nachbarrechts die Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung durch negative Einwirkungen in Frage steht. Demgegenüber wird außerhalb dieses Bereichs insbesondere auch bewegliches Eigentum, dessen Schutzbedürftigkeit im Vergleich mit dem Immobiliareigentum jedenfalls in Hinblick auf die oftmals nicht ausgeschlossene Möglichkeit zur Lage Veränderung geringer einzustufen sein dürfte 365 , in den grundsätzlich anerkannten deliktsrechtlichen Schutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen einbezogen366.
363 Siehe BGH NJW 1977, 2264 ff., dazu schon im 1. Kap. unter II. 3. a). 364 Siehe im 1. Kap. unter II. 3. a). 365 in der Lit. wird die Ortsgebundenheit einer Sache bisweilen als ein maßgebendes Kriterium für die Frage des Vorliegens einer Eigentumsverletzung angesehen, so etwa Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 123 f.; Hager, JZ 1979, 53 ff. (55). 366 Der für den hier angesprochenen Wertungswiderspruch maßgebende Gedanke einer im Vergleich mit dem beweglichen Eigentum besonderen Schutzbedürftigkeit des Immobiliareigentums findet sich verschiedentlich in Rspr. und Lit.: So lehnt der BGH in BGHZ 92, 143 ff. (Kupolofen-Entscheidung) unter Hinweis darauf, daß bewegliche Sachen häufig nicht im Einzugsbereich von Immissionen genutzt werden müßten und ihre Anfälligkeit gegenüber Immissionen durchweg geringer sei, die Anwendung der zu § 906 Abs. 1 anerkannten Beweislastverteilung im Rahmen des § 823 Abs. 1 bezogen auf das Verhältnis zwischen einem Emittenten und einem außerhalb des Nachbarschaftsverhältnisses von Immissionen betroffe-
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Schließlich ist es bemerkenswert, daß die mit der grundsätzlichen Anerkennung eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes verbundene Abkoppelung des allgemeinen deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes von dem im Nachbarrecht gewährten Schutz des Grundstückseigentums - hier die Beibehaltung eines materiellen Einwirkungsbegriffs, auf dessen Grundlage ein Schutz der Grundstücksnutzung gegen negative Einwirkungen verneint wird, dort die Loslösung von dem ursprünglich aus der reichsgerichtlichen Rechtsprechung übernommenen materiellen Verletzungsbegriff 367 - vom BGH in seiner einen Schutz gegen negative Einwirkungen ablehnenden Rechtsprechung nicht problematisiert wird 3 6 8 . Dieser Befund ist um so erstaunlicher, als der Rechtfertigungszwang für die Verneinung eines Schutzes der Grundstücksnutzung gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen für den BGH im Vergleich mit dem Reichsgericht sehr viel stärker geworden ist. Dies zum einen deshalb, weil das Reichsgericht im Gegensatz zur heutigen Rechtsprechung des BGH bezogen auf den Schutz des Grundstückseigentums im Nachbarrecht wie den nach § 823 Abs. 1 gewährleisteten deliktsrechtlichen Eigentumsschutz übereinstimmend von einem materiellen Einwirkungs- bzw. Verletzungsbegriff ausging mit der Folge einer Verneinung jeglichen Schutzes - innerhalb und außerhalb des Nachbarrechts - gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen 369. Zum anderen hält der BGH anders als das Reichsgericht trotz der ausdrücklichen Beibehaltung des reichsgerichtlich geprägten materiellen Einwirkungsbegriffs im Nachbarrecht nicht uneingeschränkt an der Zulässigkeit negativer Einwirkungen bzw. der Ablehnung eines Schutzes des Grundstückseigentums gegen Beeinträchtigungen durch dieselben fest. Vielmehr bejaht er in bestimmten Fällen unter Abstellen auf die Schwere der die Grundstücksnutzung treffenden Beeinträchtigung einen Schutz auch gegen negative Einwirkungen 370 .
nen Eigentümer einer beweglichen Sache ab (a. a. O., 149), während er auf den deliktsrechtlichen Anspruch eines durch Immissionen i. S. d. § 906 Abs. 1 geschädigten Grundstückseigentümers die für § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 anerkannte Beweislastverteilung in vollem Umfang überträgt (siehe nur BGHZ 90, 255 ff. (260f.) und 92, 143 ff. (149); vgl. auch Larenz / Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 663. Siehe hierzu noch im Dritten Teil, 3. Kap. unter ΙΠ. 3. b) (4)). Zeuner, FS Flume I, 1978, 775 ff. (782) gibt in Zusammenhang mit der Erörterung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen „Störungen des Verhältnisses zwischen Sache und Umwelt" zu bedenken, „daß die Sicherung des Verhältnisses zur Umwelt für das in seiner Umgebung festliegende Grundstück im allgemeinen eine elementarere Bedeutung hat als für eine bewegliche Sache"; vgl. auch Deneke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, 1987, 67 und M. Wolf, UTR 12 (1990), 243 ff. (254). 367
Zur Rspr. des Reichsgerichts siehe im 1. Kap. unter I. 2. b) (1). Siehe zur Rspr. des BGH insoweit im 1. Kap. unter II. 3. b) (3). Entsprechendes gilt für die h.L. in der Lit., die eine unbeschränkte Zulässigkeit negativer Einwirkungen bejaht, siehe im 1. Kap. unter III. 1. c) (3). 569 Siehe im 1. Kap. unter I. 2. b) (2). 368
370 Zu den Durchbrechungen in der Rspr. des BGH siehe im 1. Kap. unter Π. 3. b) (3). Der Vorwurf der Inkonsequenz ist denn insoweit auch nicht ausgeblieben, siehe ζ. B. AK-BGBKohl, § 1004, Rz. 47; MünchKomm-Medicus, 2. Aufl., § 1004, Rz. 28; Staudinger-Roth, 12. Aufl., § 906, Rz. 123.
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Die völlige Ignorierung der Entwicklung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes insoweit, als der von der herrschenden Meinung heute grundsätzlich anerkannte Schutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen nicht zum Anlaß genommen wird, unter diesem Gesichtspunkt auch die Zulässigkeit einer Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung durch negative Einwirkungen zu überdenken, läßt sich allein als ein „schablonenhaftes Denken" 371 bezeichnen, auf dessen Grundlage der nachbarrechtliche Eigentumsschutz jedenfalls bezogen auf die hier interessierenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen einem „Sonderdeliktsrecht" unterworfen wird 3 7 2 .
(2) Die Ausklammerung von auf Unterbrechungen der Stromzufuhr beruhenden Nutzungsbeeinträchtigungen Die Rechtsprechung des BGH sowie die Auffassung eines Teils der herrschenden Lehre sind des weiteren insoweit wenig überzeugend, als aus einer Unterbrechung der Stromzufuhr resultierende Sachnutzungshinderungen nicht als deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung eingeordnet werden und demzufolge eine Schadensersatzverpflichtung hinsichtlich etwaiger Vermögensschäden in Gestalt von Nutzungsausfallschäden 373 nicht entstehen kann 374 . Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Anerkennung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen ist es erstaunlich, daß die damit an sich verbundene Überwindung der auf der Grundlage des ursprünglich materiellen Verletzungsbegriffs bestehenden Unterscheidung zwischen deliktsrechtlich bedeutsamen Substanzbeschädigungen einerseits und irrelevanten reinen Nutzungsbeeinträchti371 Hohloch, Die negatorischen Ansprüche und ihre Beziehungen zum Schadensersatzrecht, 1976, 205 verwendet diesen Ausdruck zur Beschreibung der in Rspr. und Lit. seiner Auffassung nach vorzufindenden Behandlung des Verhältnisses zwischen negatoria und Deliktsrecht. 372 In der Lit. wird dieses Denken in „Rechtsschablonen" nur vereinzelt von Autoren durchbrochen, die - allerdings bezogen auf die Frage eines negatorischen Rechtsschutzes gegen negative Einwirkungen - für die Anerkennung eines solchen (u.a.) vergleichend auf die Entwicklung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes zu einem Nutzungsschutz hinweisen, so etwa M. Wolf, Sachenrecht, 12. Aufl., 121 f., Rz. 236 und Deneke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, 1987, 66 f. Der von Deneke, a. a. O., 67 behauptete Widerspruch, wonach bei beweglichen Sachen der Eigentumsschutz auch auf die Beziehung der Sache zur Umwelt ausgedehnt, bei Grundstücken aber die Ausschließungsbefugnis des Eigentümers restriktiv ausgelegt werde, besteht so nicht: Die Trennungslinie verläuft nicht zwischen Mobiliar- und Immobiliareigentum, wie insb. der bereits erwähnte Grundstücksräumungsfall des BGH (NJW 1977, 2264 ff.) deutlich macht, sondern zwischen deliktsrechtlich (und negatorisch) nicht geschütztem Grundstückseigentum im Nachbarrecht gegenüber Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen und einem grundsätzlich anerkannten Schutz des beweglichen und unbeweglichen Eigentums gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen im übrigen. 373 Wie etwa bei Betriebsstillständen fortbestehende Lohnzahlungspflichten trotz nicht zu erbringender Arbeitsleistung. 37 * Siehe im 1. Kap. unter II. 3. b) (2) und ΙΠ. 1. c) (2).
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gungen andererseits in dem Bereich der hier in Frage stehenden Stromkabelfälle aufrechterhalten wird 3 7 5 . Soweit nämlich die Unterbrechung der Stromzufuhr über reine Nutzungsbeeinträchtigungen hinaus auch zu einer Substanzbeschädigung führt, wird - wie insbesondere in dem vom BGH entschiedenen Bruteierfall zum Ausdruck gelangt 376 - das Vorliegen einer haftungsbegründenden Eigentumsverletzung mit der Folge einer Ersatzfähigkeit aller daraus resultierenden Vermögensschäden, d. h. auch von Nutzungsausfallschäden bejaht. Wenn die danach notwendig unterschiedliche dogmatische Behandlung von Nutzungsausfallschäden in Abhängigkeit davon, ob es infolge einer Unterbrechung der Energiezufuhr lediglich zu reinen Nutzungsbeeinträchtigungen oder weitergehend auch zu Beeinträchtigungen der Sachsubstanz gekommen ist, in Rechtsprechung und Literatur mit der resignativen Feststellung kommentiert wird, diese „etwas zufällige Abgrenzung" beruhe „auf einer verbindlichen allgemeinen Entscheidung des geltenden Deliktsrechts" 377 , so ist dem entgegenzuhalten, daß damit zu Unrecht der Gesetzgeber für dogmatische Ungereimtheiten in Anspruch genommen wird. Dieser hat in die Vorschrift des § 823 Abs. 1 unter anderem das Eigentum als Schutzposition einbezogen. Damit wird nach der für die Bestimmung des Schutzumfangs an § 903 Satz 1 anknüpfenden Auffassung des BGH und der herrschenden Lehre ein deliktsrechtlicher Schutz im Grundsatz auch gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen gewährleistet 378. Die hinsichtlich der Ersatzfähigkeit von Nutzungsausfallschäden in den Fällen einer Unterbrechung der Stromzufuhr festgestellte „Zufälligkeit" ist in Hinblick darauf weniger als eine „Entscheidung" des geltenden Deliktsrechts anzusehen als vielmehr das Ergebnis einer Anwendung des § 823 Abs. 1 durch Rechtsprechung und Literatur, die mit dem ansonsten grundsätzlich anerkannten Schutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen wegen der Ablehnung eines solchen in Fallkonstellationen, in denen die Stromunterbrechung allein reine Nutzungsbeeinträchtigungen zur Folge hat, nicht ohne weiteres in Einklang steht. Soweit ein deliktsrechtlicher Eigentumsschutz im Falle von aus einer Unterbrechung der Energiezufuhr resultierenden Nutzungsbeeinträchtigungen des Stromabnehmers unter Hinweis auf eine ausschließliche Zuständigkeit der Vertragsordnung abgelehnt wird 3 7 9 , sind die hierfür gegebenen Begründungen durch Erklärungsdefizite und Ungereimtheiten gekennzeichnet. So wird von Zeuner allgemein die Notwendigkeit einer Abgrenzung zwischen deliktsrechtlichem Eigentumsschutz und vertraglicher Ordnung in den Raum gestellt 380 . Damit kann jedoch nicht ausreichend dargelegt werden, aus welchem 375 376 377 378 379 380
siehe auch Schnug, JA 1985, 614 ff. (617). BGHZ 41, 123 ff. So BGHZ 66, 388 ff. (394). Siehe schon im 1. Kap. unter II. 3. b) (2) und III. 1. c) (2). Siehe im 1. Kap. unter II. 1. und 3. sowie III. 1. a). Siehe im 1. Kap. unter III. 1. c) (2). Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (784). Siehe im 1. Kap. unter III. 1. c) (2).
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Grunde trotz der grundsätzlichen Anerkennung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen das Vorliegen einer Eigentumsverletzung aufgrund eines Vorrangs des Vertragsrechts ausgeschlossen sein soll, insbesondere auch in einer solchen Sachverhaltskonstellation, in welcher der Vertragspartner des von einer Stromunterbrechung betroffenen Energieabnehmers einerseits und der die Nutzungsbeeinträchtigungen durch die Beschädigung eines Stromkabels herbeiführende Dritte unterschiedliche Personen sind 381 . Des weiteren kann das Argument von Zeuner, wonach die Wertungen und Entscheidungen der Vertragsordnung weitgehend unterlaufen würden, sollte „eine Eigentumsverletzung schon darin gefunden werden (können), daß die Begründung oder die Erfüllung eines Vertragsverhältnisses gestört wird, das der Nutzung oder der Verwertung einer Sache dienen soll" 3 8 2 , die These einer allein vertragsrechtlichen Bewältigung in dieser Allgemeinheit nicht nur nicht begründen, sondern erweist sich als eine Verschiebung des für die rechtliche Beurteilung maßgebenden Ansatzpunktes, wodurch die eigentliche Problematik verdeckt wird: Es geht nicht um die Frage, ob die Störung eines Vertragsverhältnisses als Eigentumsverletzung einzuordnen ist - damit wäre in der Tat das Problem eines hier nicht zu behandelnden deliktsrechtlichen Forderungsschutzes aufgeworfen 383 - , sondern darum, ob die von dem Stromabnehmer erlittenen Nutzungsbeeinträchtigungen für sich betrachtet unter dem Gesichtspunkt einer Eigentumsverletzung deliktsrechtlich relevant sind. Im übrigen nimmt Zeuner für den Fall, in welchem durch eine Unterbrechung der Energiezufuhr neben Nutzungsbeeinträchtigungen auch Sachbeschädigungen herbeigeführt werden, selbst eine Trennung zwischen der Störung des Vertragsverhältnisses einerseits und einer deliktsrechtlich bedeutsamen Verletzung des Eigentums andererseits vor, was er allein mit einer dann „selbstverständlich" anderen Lage rechtfertigt 384 . Der bloße Verweis auf eine insoweit „selbstverständlich" andere Lage kann jedoch nicht die fehlende dogmatische Begründung dafür ersetzen, wieso trotz des gerade auch von Zeuner anerkannten Ausgangspunktes, daß der deliktsrechtliche Eigentumsschutz neben dem Substanzschutz grundsätzlich einen Nutzungsschutz beinhaltet, letzterer generell durch das Vertragsrecht soll verdrängt werden können. Darüber hinaus bleibt unklar, aus welchem Grunde die oben aufgezeigte Verschiebung der Fragestellung im Falle reiner Nutzungsbeeinträchtigungen dahin, ob die Störung eines Vertragsverhältnisses eine Verletzung des Eigentums darstellen kann, konsequenterweise nicht auch bei Eintritt einer Substanzbeschädigung vorgenommen wird. Soweit eine Sache für ihren substan381 Siehe auch Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 336. 3 «2 Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. 1,775 ff. (784). Siehe auch im 1. Kap. unter III. 1. c) (2). 383 Der von der h.M. abgelehnt wird, siehe nur RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823, Rz. 16 und Soergel-Zeuner, 11. Aufl., § 823, Rz. 43 m.w.Nachw. 38
4 Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (784). Siehe schon im 1. Kap. unter III. 1. c) (2).
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tiellen Erhalt auf die Zuführung von Energie angewiesen ist, hängt die Unversehrtheit einer solchen Sache nicht anders als die energieabhängige Nutzung einer Sache von der ungestörten Durchführung eines zur Energieverschaffung begründeten Vertragsverhältnisses ab. Wenn Larenz bezogen auf die Stromkabelfälle zur Rechtfertigung der Unterscheidung zwischen deliktsrechtlich bedeutsamen Substanzbeeinträchtigungen und irrelevanten Nutzungsbeeinträchtigungen darauf hinweist, daß dem Eigentümer die Unversehrtheit seiner Sache bereits kraft seines Eigentums zustehe, während er die Gebrauchsmöglichkeit nicht schon aufgrund seines Eigentums besitze, sondern es sich um einen lediglich infolge eines Anspruchs gegen einen Dritten zustehenden Vorteil handele 385 , so kann diese Begründung für die Ablehnung eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes nicht ohne weiteres überzeugen. Larenz selbst geht davon aus, daß die tatsächliche Möglichkeit zur Rechtsausübung für den Eigentümer zum Eigentumsinhalt gehört und damit auch deliktsrechtlich unter Anknüpfung an das Eigentum geschützt ist 3 8 6 . In Hinblick darauf bedürfte es allerdings einer näheren Auseinandersetzung mit der Frage, aus welchem Grunde die hiernach zum Eigentumsinhalt zu rechnende tatsächliche Möglichkeit zur Sachnutzung von diesem dann nicht umfaßt sein soll, wenn die zur Nutzung erforderlichen Außenbedingungen - hier die Energiezufuhr zum Betrieb von Maschinen und Geräten - vertraglich gesichert werden 387 . Die eigentliche, von Larenz hier nicht angesprochene Problematik liegt in der Klärung sowohl des Verhältnisses zwischen der tatsächlichen Möglichkeit zur Sachnutzung und ihrer Abhängigkeit von Außenfaktoren wie auch der Bedeutung einer solchen Abhängigkeit für die Zuordnung der tatsächlichen Möglichkeit zur Sachnutzung zum Eigentumsinhalt388. Der Auffassung schließlich, wonach die deliktsrechtliche Beurteilung von durch Unterbrechungen der Stromzufuhr hervorgerufenen „Betriebsstörungen" allein unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu erfolgen hat 3 8 9 , ist zum einen entgegenzuhalten, daß sie
385 Larenz, SchR II, 12. Aufl., 602. Siehe schon im 1. Kap. unter III. 1. c) (2). 386 Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601 i.V.m. Fn. 4 in seiner Kritik an der einen Eigentumsnutzungsschutz prinzipiell ablehnenden Auffassung von Fraenkel. Siehe zu Fraenkel noch im folgenden unter 2. 387 Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 127, Fn. 64 stellt und verneint unter Bezug auf den Fleetfall die rhetorische Frage, ob die Entscheidung hinsichtlich des eingesperrten Schiffes hätte anders ausfallen müssen, wenn der Eigentümer einen vertraglichen Anspruch auf die Benutzung des Fleets gehabt hätte. 388 Siehe dazu im Dritten Teil, 1. Kap. unter III. 2. und 3. Auch Larenz / Canaris, SchR II 2, 13. Aufl., 390 nimmt zu dieser Problematik nicht näher Stellung, wenn er für die Ausklammerung von aus einer Unterbrechung der Energiezufuhr resultierenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen aus dem Begriff der Eigentumsverletzung allein darauf verweist, „daß der Zuweisungsgehalt des Eigentums nicht die Befugnis zur Inanspruchnahme der Leistungskapazität von fremdem Eigentum umfaßt.". 389 Brüggemeier, VersR 1984, 902 ff. (904). Siehe auch im 1. Kap. unter III. 1. c) (2).
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ohne weitere Auseinandersetzung über die allgemein anerkannte Subsidiarität einer Beeinträchtigung dieses Schutzgutes gegenüber einer möglicherweise vorliegenden Verletzung des Eigentums hinweggeht 390 . Des weiteren kann die Begründung, es gehe „um den Schutz vor bestimmten Verhaltensweisen, die die Funktion eines Betriebes insgesamt betreffen, ohne primär einzelne zum Gewerbebetrieb gehörende Gegenstände zu beeinträchtigen" 391, als solche nicht überzeugen: Begreift man den Eigentumsschutz im Ausgangspunkt auch als Nutzungsschutz, dann kann es für dessen Anwendung allein darauf ankommen, ob die Hinderung der vom Eigentümer beabsichtigten Sachnutzung bestimmter Gegenstände als Eigentumsverletzung einzuordnen ist, und zwar unabhängig davon, ob damit Auswirkungen auf „die Funktion eines Betriebes insgesamt" verbunden sind. Im übrigen können sich auch in Substanzverletzungen Verhaltensweisen manifestieren, welche für „die Funktion eines Betriebes insgesamt" Bedeutung haben, ohne daß man deshalb von der eigentumsschutzrechtlich relevanten Beschädigung des Einzelgegenstandes abstrahieren würde. Mit der grundsätzlichen Anerkennung eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes stellt sich deshalb die Frage, warum das im Falle von zu Betriebsstörungen führenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen anders sein soll.
(3) Die Ablehnung eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes unter Verweis auf bloße Hinderungen des Gemeingebrauchs Erklärungsdefizite und Widersprüche hinsichtlich des „Ob" eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen sind auch insoweit festzustellen, als Beeinträchtigungen des sachnutzenden Eigentümers aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit öffentlicher Verkehrswege unter Hinweis auf einen deliktsrechtlich nicht geschützten Gemeingebrauch nicht als Verletzungen des Eigentums eingeordnet werden. Wenn - wie in der Fleetfall-Entscheidung 392 vom BGH besonders deutlich zum Ausdruck gebracht und von der herrschenden Lehre regelmäßig mit Zustimmung aufgenommen - der Entzug jeder Bewegungsmöglichkeit einer unter Inanspruchnahme des Gemeingebrauchs genutzten Sache unter dem Gesichtspunkt der Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung eingeordnet wird, während die 390 Siehe auch Schnug, JA 1985, 614 ff. (618). Zur Subsidiarität eines deliktsrechtlichen Schutzes über das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Verhältnis zum Eigentumsschutz siehe nur BGHZ 55, 153 ff. (158); BGH NJW 1977, 2264ff. (2265); BGHZ 105, 346 ff. (350). Kritisch zu dem von ihm sogenannten „Subsidiaritätsdogma" des BGH Larenz / Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 543 f. mit der Begründung, daß das Privatrecht grundsätzlich nur die Alternative zwischen kumulativer Anspruchskonkurrenz und verdrängender Spezialität kenne. 391 Brüggemeier, VersR 1984, 902 ff. (904). 392 BGHZ 55, 153 ff. 9*
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weniger gravierende Hinderung eines gemeingebrauchsabhängig sachnutzenden Eigentümers an dem Erreichen eines bestimmten Ziels allein als eine Beeinträchtigung des deliktsrechtlich nicht geschützten Gemeingebrauchs anzusehen sein soll 3 9 3 , so wird vor dem Hintergrund dieser Differenzierung die von Rechtsprechung und herrschender Lehre allerdings nicht erörterte Frage aufgeworfen, wie das nach dieser Auffassung ab einem bestimmten Grad der Nutzungsbeeinträchtigung für möglich erachtete „Umschlagen" einer bloßen Hinderung des Gemeingebrauchs in eine deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung dogmatisch begründet werden kann. In dem vom BGH entschiedenen Fleetfall erfolgten die den sein Schiffseigentum nutzenden Eigentümer treffenden Beeinträchtigungen sowohl hinsichtlich des eingesperrten Schiffes wie auch bezogen auf die ausgesperrten Schiffe jeweils in Zusammenhang mit der Teilnahme am allgemeinen Verkehr, sprich der Inanspruchnahme des Gemeingebrauchs durch die Benutzung des Fleets als Transportweg 394. Sie unterschieden sich lediglich insofern, als die dem Eigentümer ursprünglich mögliche Sachnutzung bezogen auf die verschiedenen Schiffe in einem unterschiedlichen Umfang beeinträchtigt wurde. In Hinblick darauf hätte es - hält man das „Gemeingebrauchsargument" für zutreffend - nahe gelegen, beide Fallvarianten gleich zu behandeln und eine Eigentumsverletzung überhaupt abzulehnen. Die Feststellung des Vorliegens einer im Falle des eingesperrten Schiffes im Vergleich mit den lediglich ausgesperrten Schiffen ungleich intensiveren Auswirkung der Gemeingebrauchsstörung 395 vermag als solche nicht den „Qualitätssprung" von einer bloßen Gemeingebrauchsbeeinträchtigung hin zu einer Eigentumsverletzung zu begründen. Über das vorstehend dargelegte Erklärungsdefizit hinaus ist als widersprüchlich zu vermerken, daß insbesondere der BGH die in der Fleetfall-Konstellation getroffene Unterscheidung zwischen als Eigentumsverletzung einzuordnenden Nutzungsbeeinträchtigungen, sofern eine Entziehung jeder Bewegungsmöglichkeit gegeben ist, und im übrigen deliktsrechtlich irrelevanten bloßen Gemeingebrauchsbeeinträchtigungen insoweit nicht durchhält, als er in anderen Fällen eines völligen Nutzungsentzuges aufgrund von Störungen im Bereich öffentlicher Verkehrswege gleichwohl nicht von dem Vorliegen einer Eigentumsverletzung ausgeht. So hat der BGH in dem Grundstücksräumungsfall die von der Klägerin vorgetragene Hinderung an der Aussendung ihrer Fahrzeuge infolge einer etwa dreistündigen Blokkierung der öffentlichen Zufahrtsstraße zu dem Betriebsgrundstück durch Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr nicht unter dem Gesichtspunkt einer Eigen393 Siehe BGHZ 55, 153 ff. (159 f.) und im 1. Kap. unter II. 3. a) und b) (1). Zur Lit. siehe im 1. Kap. unter III. l . c ) ( l ) . 394 Zu dem Rechtsinstitut des Gemeingebrauchs siehe noch näher im Dritten Teil, 2. Kap. unter II. 3. 395 So Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (786), wonach bei der Einschließung „das betroffene Interesse ... ein weitergehendes, fundamentaleres (ist) als das, mit der Sache auf einem öffentlichen Verkehrsweg ein bestimmtes Ziel erreichen zu können". Siehe schon im 1. Kap. unter III. l . c ) ( l ) .
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tumsverletzung in Hinblick auf einen insoweit möglicherweise vorliegenden völligen Nutzungsentzug geprüft 396 . Stattdessen hielt der BGH lediglich eine ersatzlos hinzunehmende Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs für gegeben397. Des weiteren bewertet der BGH - nicht anders als die einen Nutzungsschutz grundsätzlich bejahende Literatur 398 - Schäden, die jemand als Folge einer Blockierung in einem unfallbedingt oder aufgrund einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht herbeigeführten Verkehrsstau erleidet 399 , als reine Vermögensschäden400. Im Unterschied zum Fleetfall wird mithin die zeitweilige „Immobilisierung" 401 von Kraftfahrzeugen trotz - wenn auch kurzzeitiger - völliger Blockierung nicht als deliktsrechtlich relevante Nutzungsbeeinträchtigung eingeordnet, sondern als eine „vielmehr von jedem Benutzer öffentlicher Straßen als schicksalhaft ersatzlos" hinzunehmende Beeinträchtigung angesehen402. Die vorstehend aufgezeigten Erklärungsdefizite und Ungereimtheiten machen deutlich, daß die Frage des Verhältnisses zwischen Eigentumsverletzungen in Form reiner Nutzungsbeeinträchtigungen aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit öffentlicher Verkehrswege und deliktsrechtlich irrelevanten Hinderungen der Inanspruchnahme des Gemeingebrauchs und seiner Abgrenzung bislang dogmatisch nicht zureichend geklärt ist. Die Abgrenzungsschwierigkeiten kommen in literarischen Stellungnahmen verschiedentlich auch darin zum Ausdruck, daß im Falle von den Eigentümer in der Sachnutzung beeinträchtigenden Störungen des Gemeingebrauchs darauf abgestellt wird, ob gegen die Hinderung der Nutzung von Verkehrswegen ein deliktsrechtlicher Schutz besteht. So befaßt sich etwa Mädrich in Hinblick auf die hier interessierende Problematik mit der Frage eines Schutzes gegen die „ . . . Gefahr..., wegen Blockierung einer öffentlichen Straße infolge Unfalls oder sonstiger Ereignisse an der zweckentsprechenden Benutzung dieses Verkehrsweges gehindert zu sein .. . " 4 0 3 . Zeuner formuliert dahin, daß es um das „allgemeine Interesse an der freien Benutzbarkeit der im Gemeingebrauch stehenden Verkehrswege geht" und „die bloße Sperrung eines bestimmten Weges eine Verletzung des Eigentums an den betroffenen Transportmitteln" nicht darstellt 404 . 396 Siehe BGH NJW 1977, 2264 ff. und schon im 1. Kap. unter II. 3. a) (1). 397 BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265 f.) und im 1. Kap. unter II. 3. b) (1). 398 Siehe im 1. Kap. unter III. 1. c) (1). 399 Gedacht wird etwa an den infolge der Versäumung einer geschäftlichen Verabredung erlittenen Vermögensschaden, siehe ζ. B. BGH NJW 1973, 463 ff. (465). 400 BGH NJW 1973,463 ff. (464f.); NJW 1977, 2264ff. (2265). 401 Vgl. Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 59; Larenz/Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 390. 402 Siehe BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265). Vgl. zu dem hier aufgezeigten Widerspruch auch Esser /Weyers, SchR II, 7. Aufl., 549 f., der bislang überzeugende Entscheidungsrichtlinien vermißt (a. a. O., 549). 403 Die er verneint, siehe Mädrich, Das allgemeine Lebensrisiko, 1980, 59. 404 Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (785). Vgl. auch Fraenkel, Tatbestand, 1979, 130 f., der im Rahmen seiner (verfehlten, siehe oben vor (1), Fn. 359) Interpretation der Fleetfall-Entscheidung mit wechselnden Formulierungen die Frage einer Ausdehnung des
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
Dieser Ansatz ist aus dem Grunde verfehlt, weil es bei der Problematik eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen, die auf Störungen der Benutzbarkeit von Verkehrswegen beruhen, nicht um den Schutz der ungestörten Benutzbarkeit von Verkehrswegen geht, sondern um den eigentumsrechtlich fundierten Schutz der Möglichkeit zur Sachnutzung, die aufgrund einer Störung im Bereich eines dem Gemeingebrauch gewidmeten Verkehrsweges beeinträchtigt wird 4 0 5 . Anders ausgedrückt: Mit dem hier kritisierten Ansatz werden Ursache (Störung der Benutzbarkeit von Verkehrswegen) und Wirkung (reine Nutzungsbeeinträchtigung des den Gemeingebrauch in Anspruch nehmenden sachnutzenden Eigentümers) gleichgesetzt und es wird übersehen, daß nicht der Schutz der Außenwelt über das Eigentum zur Diskussion steht, sondern allein ein deliktsrechtlicher Eigentumsschutz der Möglichkeit zur Sachnutzung, die durch Störungen aus der Außenwelt beeinträchtigt wird. Der Umstand, daß ein möglicherweise grundsätzlich zu bejahender Sachnutzungsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen, die auf einer Hinderung der Benutzbarkeit von Verkehrswegen beruhen, mittelbar zu einem Schutz der Inanspruchnahme des Gemeingebrauchs führen kann, rechtfertigt für sich betrachtet nicht eine prinzipielle Ausblendung der hier in Frage stehenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen aus dem von der herrschenden Meinung grundsätzlich anerkannten Nutzungsschutz unter Hinweis auf einen deliktsrechtlich nicht geschützten Gemeingebrauch. Dann nämlich müßte konsequenterweise jeder eigentumsrechtlich fundierte Nutzungsschutz versagt werden, weil hiermit mittelbar immer Auswirkungen auf einen bestimmten status quo der Außenwelt bzw. der ungestörten Ausübung des Gemeingebrauchs verbunden sind. So hat auch der vom BGH im Fleetfall hinsichtlich des eingesperrten Schiffes bejahte Eigentumsschutz406 zur „Eigentumsschutz(es) auf Funktionsstörungen" (bzw. Beeinträchtigungen nur der allgemeinen Handlungsfreiheit" oder die „bloße Hinderung der Rechtsausübung") mit einer »Ausdehnung des deliktischen Schutzes auf den Gemeingebrauch" gleichstellt. Hingewiesen sei schließlich auf Larenz / Canaris, SchR II 2, 13. Aufl., 388 ff., dessen Begründung zur Ablehnung einer Eigentumsverletzung hinsichtlich der drei ausgesperrten Schiffe im Fleetfall („Zwar gewährt das Eigentum nach § 903 BGB die Befugnis, ,mit der Sache nach Belieben zu verfahren', doch schließt das selbstverständlich grundsätzlich nicht das Recht ein, zu diesem Zweck gerade die Sachen Dritter zu benutzen; die Möglichkeit, gerade dieses Fleet zu befahren, wird daher vom Zuweisungsgehalt des Eigentums nicht umfaßt", a. a. O., 388) sowie bezogen auf die etwa dreistündige Blockierung der öffentlichen Zufahrtsstraße zu einem Betriebsgrundstück im Grundstücksräumungsfall („Hinsichtlich der Blockade folgt das (die Verneinung einer Eigentumsverletzung, Verf.) wiederum daraus, daß das Eigentum an einem Grundstück grundsätzlich nicht die Befugnis zur Benutzung der umliegenden Straßen umfaßt", a. a. O., 390) die im vorliegenden Zusammenhang allerdings unzutreffende (siehe noch folgend im Text) Fragestellung nach einer deliktsrechtlichen Bewehrung von Beeinträchtigungen der Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Verkehrswegen impliziert. 405 Ausnahmsweise gesehen wird dieser Unterschied von Brüggemeier, VersR 1984, 902 ff. (903). 406 BGHZ 55, 153 ff. (159). Die h.L. folgt der Ansicht des BGH, siehe im 1. Kap. unter III. 1. c) (1).
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Folge, daß mittelbar die Störung der Benutzbarkeit der Wasserstraße „sanktioniert" bzw. - aus der Sicht des Eigentümers - durch den an die Hinderung der Sachnutzung anknüpfenden deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch indirekt eine „Berechtigung" hinsichtlich der ungestörten Befahrbarkeit der Wasserstraße vermittelt wird. Im übrigen wäre unter Zugrundelegung dieser Sichtweise auch ein deliktsrechtlich über das Eigentum begründeter Substanzschutz in Frage zu stellen, weil damit hinsichtlich aus der Teilnahme am allgemeinen Verkehr folgender Substanzbeschädigungen verbunden ist, daß mittelbar ein Schutz gegen solche Hinderungen des Gemeingebrauchs, sprich Störungen der Benutzbarkeit von Verkehrswegen besteht, die Substanzbeeinträchtigungen hervorrufen.
b) Verständnis des Nutzungsschutzes im Sinne des Schutzes einer „ objektiv " bestimmten Sachfunktion ( Funktionsschutz ) Ein Teil der einen Schutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen grundsätzlich anerkennenden Vertreter der herrschenden Lehre ordnet diese nur dann als deliktsrechtlich relevante Eigentumsverletzung ein, soweit die Beeinträchtigung zu einer Beseitigung der „sozialtypischen Verwendungsfunktion" einer Sache bzw. wie etwa auch formuliert wird - der „funktionsgemäßen" oder „funktionsgerechten" Sachnutzung führt oder, noch anders gewendet, soweit der Eigentümer seine Sache infolge einer Beeinträchtigung nicht mehr zu „irgendeinem vernünftigen, ihrer Funktion entsprechenden Zweck" einsetzen kann 407 . Der BGH hat in der Fleetfall-Entscheidung in Zusammenhang mit der Differenzierung zwischen dem eingesperrten Schiff und den ausgesperrten Schiffen die für das Vorliegen einer Eigentumsverletzung aufgestellte Voraussetzung einer Entziehung des „bestimmungsgemäßen Gebrauchs" mit der Entziehung eines durch die „Eigenschaft" der Sache vorgegebenen „natürlichen Gebrauchs" gleichgestellt408. Damit erweist sich der grundsätzlich anerkannte Schutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen lediglich als ein Funktionsschutz: Losgelöst von der Nutzungsbestimmung des Eigentümers und seiner konkreten Sachverwendung wird die Bejahung einer Eigentumsverletzung von der Beeinträchtigung einer „objektiv" bestimmten Sachfunktion abhängig gemacht 409 mit der zwangsläufigen Folge, daß ein Schutz gegen Beeinträchtigungen solcher Sachnutzungen nicht besteht, die nicht als „sozialtypisch" bzw. „natürlich" anzusehen sind 410 . 407 Siehe im 1. Kap. unter III. 1. a) i.V.m. Fn. 215. 408 BGHZ 55, 153 ff. (159f.). Siehe auch im 1. Kap. unter II. 3. a). 409 Vgl. auch Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 336, der bezogen auf das in der Lit. verwendete Kriterium der „Sozialtypizität" der Sachnutzung von einer „objektivierenden Betrachtungsweise" spricht. 410 Deutlich ζ. B. Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 38, der ausgehend von einem Schutz der „sozialtypischen Verwendungsfunktion" für die Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung verlangt, daß „unabhängig von einer subjek-
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
Die mit einem solchen Verständnis des Nutzungsschutzes verbundene Begrenzung des deliktsrechtlich maßgebenden Schutzgegenstandes Eigentum und damit des Objekts möglicher Eigentumsverletzungen erscheint nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Angesichts dessen, daß die grundsätzliche Anerkennung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen mit der Anbindung des § 823 Abs. 1 an den durch § 903 Satz 1 verbürgten Eigentumsinhalt begründet wird 4 1 1 , aufgrund dessen dem Eigentümer im Rahmen des Schrankenvorbehalts die Befugnis eingeräumt ist, mit der Sache nach Belieben zu verfahren, bedürfte es einer über den Verweis auf eine für notwendig befundene Haftungsbegrenzung 412 hinausgehenden dogmatischen Begründung, wieso trotz dieses Ausgangspunktes bei der Bestimmung von als grundsätzlich schutzfähig erachteten Sachnutzungen auf „halbem Wege" stehengeblieben werden kann und statt eines am Eigentümerbelieben orientierten Nutzungsschutzes - sprich Einbeziehung jeder vom Eigentümer bestimmten Sachnutzung - lediglich ein Funktionsschutz in dem hier verstandenen Sinne gewährt wird. Gibt § 903 Satz 1 dem Eigentümer eine Befugnis zu beliebigem Verfahren und damit u.a. zur beliebigen Nutzung im Rahmen des Schrankenvorbehalts 413, so steht sogleich die Frage der Vereinbarkeit eines deliktsrechtlich lediglich gewährten Funktionsschutzes einerseits und einer durch § 903 Satz 1 eingeräumten beliebigen Sachnutzung andererseits im Raum. Die insoweit völlig fehlende Auseinandersetzung über eine eventuell bestehende Inkongruenz zwischen einer durch § 903 Satz 1 eigentumsinhaltlich verbürgten subjektiven Nutzungsbestimmung und einem deliktsrechtlich allein anerkannten Funktionsschutz bringt ein diesbezüglich nicht vorhandenes Problembewußtsein zum Ausdruck 414 . Bezeichnend ist etwa die Stellungnahme von Möschel, der zwar einerseits feststellt, daß jeder Eigentümer für sich selbst definieren kann, zu welchen Zwecken er seine Sache einsetzen will, es andererseits jedoch in Hinblick auf die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung ohne weiteres für sinnvoll erachtet, auf die „Sozialtypizität" einer Sachnutzung abzusteltiv bestimmten Verwendungsfunktion in die Grundfunktion der Sache" eingegriffen werden muß. 411 Zur h.L. siehe im 1. Kap. unter III. 1. a). Auch der BGH knüpft für die Bestimmung der Schutzposition Eigentum in § 823 Abs. 1 an den in § 903 Satz 1 vorausgesetzten Eigentumsbegriff an, siehe im 1. Kap. unter II. 1. 412 Siehe im 1. Kap. unter III. 1. b) (1) i.V.m. (2), Fn. 244. 413
Siehe dazu näher im Dritten Teil, 1. Kap. unter III. 1. und IV. 1. Ein solches zeigt allerdings Fraenkel, Tatbestand, 1979, 129, der einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen prinzipiell ablehnt (zur Kritik insoweit siehe nochfolgend unter 2.): Seiner Auffassung nach müßte eine „Ausdehnung des Tatbestandes der Eigentumsverletzung auf bloße Funktionsstörungen ... notwendig von einer subjektiven Funktionsbestimmung ausgehen". Ablehnend zu der von ihm sog. „objektivierenden Betrachtungsweise" auch Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 336 f., der darin eine Konterkarierung des seiner Auffassung nach für den Nutzungsschutz maßgebenden Gedankens sieht, auch die Dispositionsfreiheit des Eigentümers zu schützen. 414
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len 4 1 5 . Schnug begründet gar die Anerkennung lediglich eines Schutzes der „sozialtypischen Verwendungsfunktion" damit, ansonsten „könnte jeder Eigentümer selbst bestimmen, zu welchen Zwecken er seine Sache benutzen will" und „eine Rut von Schadensersatzklagen wäre wohl die Folge" 416 . Eben diese eigentümerseitige Befugnis liegt nach dem in § 903 Satz 1 verbürgten „Verfahren nach Belieben" nahe 417 und es ist - abgesehen von der fehlenden dogmatischen Begründung für den Schutz allein „sozialtypischer Verwendungsfunktionen" - nicht ersichtlich, wie eine solche eigentumsinhaltlich eingeräumte Befugnis durch ein Verständnis des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen nur als Funktionsschutz sollte verändert werden können.
2. Begründungsdefizite und Widersprüche der einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen prinzipiell ablehnenden Minderansicht Die einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen prinzipiell ablehnenden Auffassungen sind durch eine Reihe von Begründungsdefiziten und Widersprüchen gekennzeichnet. So wird mit der von Fraenkel vertretenen These, wonach ein deliktsrechtlicher Nutzungsschutz in Hinblick darauf zu verneinen sein soll, daß die durch § 903 Satz 1 dem Eigentümer ausschließlich zugewiesene Handlungsbefugnis nur das durch tatsächliche Hinderungen des Eigentümers nicht verletzbare rechtliche Dürfen, hingegen nicht die Möglichkeit zur tatsächlichen Rechtsausübung umfasse 418, die Frage aufgeworfen, welchen Sinn es haben soll, subjektive Rechte wie das Eigentum zwar als Freiheitsverbürgungen zu begreifen 419 , die tatsächliche Wahrnehmung der durch das Recht eingeräumten Möglichkeiten - also dessen Ausübung bzw., wie Fraenkel auch formuliert, die Möglichkeit, „daß der Rechtsinhaber die allein ihm vorbehaltenen Handlungen vornehmen kann und vornehmen wollen kann" 4 2 0 -jedoch aus dieser Freiheitsverbürgung und damit auch dem deliktsrechtlichen Eigentumsschutz auszuklammern und stattdessen lediglich als Ausschnitt der jedenfalls im Rahmen von § 823 Abs. 1 nicht über das Eigentum geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit einzuordnen 421. Angesichts der zu § 903 Satz 1 415 Möschel, JuS 1977, 1 ff. (3 f.). Siehe auch schon im 1. Kap. unter III. 1. a). 416 Schnug, JA 1985, 614 ff. (616 f.). 417 Siehe näher im Dritten Teil, 1. Kap. unter IV. 1. 418 Fraenkel, Tatbestand, 1979, 131 f. Siehe im 1. Kap. unter III. 2. 419 So Fraenkel, Tatbestand, 1979, 22 selbst, wenn er die in § 823 Abs. 1 genannten Rechtsgüter und Rechte als Gewährleistungen von Freiräumen für ihre Inhaber ansieht, „innerhalb deren diese ihre individuelle Freiheit enfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen". 420 Fraenkel, Tatbestand, 1979, 132. 421 Ähnlich die Kritik von Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601, Fn. 4 an der Trennung Fraenkels zwischen der durch das Eigentum eingeräumten Befugnis einerseits und davon nicht
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vertretenen These überraschend stellt Fraenkel denn auch in Bezug auf das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit - das von ihm mit der allgemeinen Handlungsfreiheit gleichgesetzt wird 4 2 2 - fest, dieses Recht umfasse nicht nur die Befugnis, handeln zu dürfen, sondern auch die tatsächliche Möglichkeit, daß der Einzelne handeln kann. Denn eine Freiheit, die nicht ausgeübt werden könne, lasse sich vom Zustand der Unfreiheit nicht mehr unterscheiden 423. Damit bedürfte es allerdings einer näheren Begründung, warum die hinsichtlich des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zur Freiheitsverwirklichung für notwendig erachtete rechtsinhaltliche Verbindung von Rechtseinräumung und tatsächlicher Ausübungsmöglichkeit bezogen auf das subjektive Recht Eigentum trotz dessen anerkannter Funktion als Freiheitsgewährleistung keine Geltung haben soll. Des weiteren ist der Auffassung Fraenkels entgegenzuhalten, daß seine Prämisse, wonach die Ausübung der durch ein subjektives Recht zugewiesenen ausschließlichen Handlungsbefugnis „immer zugleich auch Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit" sei 4 2 4 , inhaltlich unklar ist, weil der Sinn der Formulierung „immer zugleich auch" nicht erhellt, wann Rechtsausübung allein als Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit zu begreifen sein soll. Darüber hinaus wird die Gleichsetzung von Rechtsausübung und allgemeiner Handlungsfreiheit - obwohl von Fraenkel als maßgebende Grundlage für die Verneinung eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes herangezogen - inhaltlich nicht weiter begründet 425. Eine solche Begründung ist allerdings in Hinblick darauf erforderlich, daß die tatsächliche Wahrnehmung von durch ein besonderes Recht wie das Eigentum verbürgten Befugnissen nicht kraft der jedermann im Rahmen der Rechtsordnung eingeräumten allgemeinen Handlungsfreiheit, sondern eben auf der Grundlage einer besonders zugewiesenen Rechtsinhaberschaft erfolgt. Schon aus diesem Grunde bestehen Zweifel an der Charakterisierung der Ausübung von Eigentümerbefugnissen als Ausdruck lediglich der allgemeinen Handlungsfreiheit. Die Tatsache allein, daß jedes Recht ausgeübt werden muß, um die damit verbundene Freiheitsverbürgung zu realisieren, ist für sich betrachtet keine zureichende Erklärung dafür, wieso die tatsächliche Wahrnehmung rechtlich zugewiesener Befugnisse als solche nicht Bestandteil des Rechtsinhalts, sondern lediglich Ausschnitt allgemeiner Handlungsfreiheit sein soll und deshalb auch nicht von dem entsprechenden Schutzinstrumentarium - im Falle der hier interessierenden eigentümerseitigen umfaßter tatsächlicher Ausübungsmöglichkeit andererseits: „ . . . von Freiheit kann keine Rede sein, wenn einer Befugnis keine tatsächliche Ausübungsmöglichkeit entspricht". 422 Fraenkel, Tatbestand, 1979, 132. 423 Fraenkel, Tatbestand, 1979, 132. Siehe auch im 1. Kap. unter III. 2. 424 Fraenkel, Tatbestand, 1979, 132. Siehe auch im 1. Kap. unter III. 2. 425 Fraenkel nimmt in seinen Ausführungen lediglich dazu näher Stellung, weshalb die allgemeine Handlungsfreiheit keine Schranke für die Rechtsausübung oder die allgemeine Handlungsfreiheit Dritter sein und folglich auch kein deliktsrechtlicher Schutz im Falle ihrer Beeinträchtigung gewährt werden kann, siehe Tatbestand, 1979, 132 ff. und im 1. Kap. unter III. 2.
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Sachnutzung von dem deliktsrechtlichen Schutz des Eigentums über § 823 Abs. 1 - erfaßt werden kann 426 . Soweit Reinhardt die Ablehnung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen mit dem Hinweis auf die seiner Auffassung nach wegen der Unzahl denkbarer und nicht immer als solche erkennbarer Verhaltensweisen in Bezug auf die im Eigentum stehende Sache und der daraus folgenden „Rechtsverletzungsrisiken" gegebene Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung zwecks Wahrung ausreichender Entfaltungsspielräume Dritter rechtfertigt 427 , handelt es sich nicht um eine dogmatisch zureichende Begründung 428. Zum einen setzt sich Reinhardt - der im Gegensatz zu Fraenkel 429 davon ausgeht, daß der nach § 903 Satz 1 maßgebende Eigentumsinhalt neben der ausschließlich zugewiesenen Befugnis, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und damit u.a. über ihre Nutzung entscheiden zu können, auch die tatsächliche Ausübung dieser Befugnis umfaßt, denn ansonsten bedürfte es nicht des Verweises auf die Notwendigkeit einer Begrenzung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes - nicht damit auseinander, daß mit seiner Auffassung ein unterschiedliches Verständnis des in § 903 Satz 1 niedergelegten Eigentumsinhalts einerseits und der in § 823 Abs. 1 einbezogenen Schutzposition „Eigentum" andererseits verbunden ist. Denn nach Reinhardt werden mit dem deliktsrechtlichen Schutzbereich „Eigentum" nicht „die eigenen Handlungen des Eigentümers in Bezug auf die Sache gegen Störungen durch Dritte geschützt" 430 . Einer näheren dogmatischen Begründung für eine solche Differenzierung bedürfte es jedoch deshalb, weil die gesetzliche Anerkennung einer Schutzposition „Eigentum" im Rahmen des § 823 Abs. 1 zunächst einmal dafür spricht, daß damit das Eigentum i. S. d. § 903 Satz 1 gemeint ist. Der bloße Hinweis auf eine zur Vermeidung unübersehbarer „Rechtsverletzungsrisiken" 431 für erforderlich erachtete Haftungsbegrenzung vermag die mit der Auffassung Reinhardts verbundene Inkongruenz zwischen sachenrechtlichem und deliktsrechtlichem Eigentumsbe426 Kritisch zu Fraenkel auch Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 341 ff., der anders als jener in der Anerkennung eines deliktsrechtlichen Schutzes von Rechtsausübungshandlungen nicht die Gefahr einer Aufhebung der Grenzziehung zwischen subjektiven Rechten und allgemeiner Handlungsfreiheit sieht, sondern lediglich von einer Verschiebung zu Lasten der letzteren ausgeht und eine Abgrenzung aus dem Inhalt des jeweiligen subjektiven Rechts für möglich erachtet. Siehe dazu, daß Schwitanski die Abgrenzung zwischen deliktsrechtlich unter dem Aspekt der Eigentumsverletzung relevanten reinen Nutzungsbeeinträchtigungen und Beeinträchtigungen allein der allgemeinen Handlungsfreiheit maßgebend unter Abstellen auf die Willensrichtung des in die eigentümerseitige Sachnutzung eingreifenden Dritten vornehmen will, a. a. O., 344 ff. und oben im 1. Kap. unter ΙΠ. 2. Zur Kritik an dieser Auffassung noch folgend unter ΙΠ. 3. b) (3). 427 Reinhardt, JZ 1961, 713 ff. (719). Siehe auch im 1. Kap. unter ΙΠ. 2. 428 Kritisch auch Münzberg, Verhalten und Erfolg, 1966, 38, Fn. 73. 429 Siehe vorstehend. 430 Reinhardt, JZ 1961, 713 ff. (719).
431 Reinhardt, JZ 1961, 713 ff. (719).
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
griff nicht zu erklären. Im übrigen erscheint die Ansicht von Reinhardt unter dem Gesichtspunkt problematisch, als mit einer solchen, allein auf die Auswirkungen einer Schutzgewährleistung abstellenden Folgenbetrachtung 432 der deliktsrechtliche Eigentumsschutz auch in anderen Bereichen begrenzt werden könnte, soweit diese durch eine unübersehbare Vielzahl von Verletzungsrisiken gekennzeichnet sind. Zu denken wäre etwa an eine Begrenzung des Schutzes gegen Sachsubstanzbeeinträchtigungen, die aus Straßenverkehrsunfällen resultieren. Schließlich ist die Auffassung M. Schmids, § 823 Abs. 1 knüpfe lediglich an die „negative Komponente" des § 903 Satz 1 an, auf deren Grundlage dem Eigentümer ein Abwehrrecht allein gegen Einwirkungen „unmittelbar auf die Sache selbst" im Sinne von substantiellen Eingriffen zustehe433, durch verschiedene Begründungsdefizite gekennzeichnet434. Schmid begründet seine Ansicht im wesentlichen damit, die Erwähnung der „positiven Komponente" in § 903 Satz 1 - das Verfahren nach Belieben - sei wegen der in Art. 2 Abs. 1 GG niedergelegten allgemeinen Handlungsfreiheit an sich überflüssig. In Hinblick auf den für die Befugnis zu beliebigem Verfahren - die sich nur an den Eigentümer, nicht auch an Dritte wende - geltenden Schrankenvorbehalt werde dem Eigentümer insoweit im Verhältnis zu Dritten nur eine Pflicht auferlegt, nicht aber ein Recht eingeräumt, auf das ein Schutz aus § 823 Abs. 1 allerdings allein bezogen sein könnte 435 . Zunächst überrascht die selbstverständliche Bezugnahme auf Art. 2 Abs. 1 GG, sind doch die Eigentumsfreiheit und Eigentumsgewährleistung grundrechtlich besonders über Art. 14 GG abgesichert. Sollte dieser Bezugnahme - wozu M. Schmid allerdings keine weiteren Ausführungen macht - die Ansicht zugrundeliegen, daß Rechtsausübungshandlungen des Eigentümers allein als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit zu begreifen sind, so bedürfte es einer näheren Begründung, weshalb der Inhalt eines subjektiven Rechts nicht auch die tatsächliche Wahrnehmung der eingeräumten Befugnisse umfaßt 436 . Soweit M. Schmid die Befugnis zum Verfahren nach Belieben allein als an den Eigentümer gerichtet ansieht und ihr deshalb wegen des damit seiner Auffassung nach fehlenden Bezuges zu Dritten die Qualität eines nach § 823 Abs. 1 schutzfähigen Rechts abspricht, handelt es sich um eine unbegründete Behauptung, die im übrigen nicht ohne weiteres überzeugt. Geht man nämlich davon aus, daß mit der rechtlichen Zuweisung einer Befugnis an eine bestimmte Person die Wirkung verbunden ist, daß Dritten eben diese Befugnis nicht zusteht, so läge unter diesem Gesichtspunkt der von M. 432 Siehe dazu, daß eine Folgenbetrachtung als solche nicht eine bestimmte Rechtsanwendung begründen kann, noch näher nachstehend unter ΠΙ. 1. 433 M. Schmid, NJW 1975, 2056 f. Siehe auch im 1. Kap. unter III. 2. 434 Vgl. auch Möschel, JuS 1977, 1 ff. (3), der von einer im „begrifflichen Vorfeld" bleibenden Argumentation spricht. 43 5 M. Schmid, NJW 1975, 2056 f. Siehe auch im 1. Kap. unter ΙΠ. 2. 436
Siehe schon vorstehend in Zusammenhang mit der Kritik an Fraenkel.
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Schmid vermißte Bezug zu Dritten auch in Hinblick auf den positiven Eigentumsinhalt vor. Des weiteren ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, daß nach der Auffassung von M. Schmid der deliktsrechtliche Eigentumsschutz allein auf die Verletzung des negativen Eigentumsinhalts, also des Ausschließungsrechts bezogen sein soll. Hiervon könnte nur ausgegangen werden, wenn der negative Eigentumsinhalt ein selbständig „verletzungsfähiges Substrat" beinhalten würde, nicht aber dann, wenn ihm lediglich die über besondere Anspruchsnormen wie § 823 Abs. 1 zu realisierende Funktion beizumessen wäre, den positiven Eigentumsinhalt gegen beeinträchtigende bzw. verletzende Einwirkungen zu schützen. Insoweit lassen die Ausführungen M. Schmids allerdings jegliches Eingehen auf das für diese Frage zu klärende Verhältnis zwischen dem positiven und dem negativen Eigentumsinhalt 437
vermissen . Schließlich legt M. Schmid nicht näher dar, aus welchem Grunde die Ausschließungsbefugnis des Eigentümers allein den Inhalt haben soll, eine „Einwirkung unmittelbar auf die Sache selbst" in dem Sinne, daß „die Sache selbst irgendwie in Mitleidenschaft gezogen" werden muß 4 3 8 , zu verhindern. Die darin zum Ausdruck gelangende Befürwortung eines materiellen Verletzungsbegriffs 439 bedürfte in Hinblick darauf einer Erklärung, daß eine solche Beschränkung des Einwirkungsbegriffs weder aus dem im Gesetz (§ 903 Satz 1) verwendeten Begriff der Einwirkung ohne weiteres entnommen werden kann noch mit dem von M. Schmid angenommenen Verständnis des Eigentumsrechts als Ausschließungsrecht 440 zwangsläufig verbunden ist.
I I I . Die Relativierung des grundsätzlich anerkannten Nutzungsschutzes Sowohl in der Rechtsprechung des BGH als auch von der herrschenden Lehre wird der grundsätzlich anerkannte deliktsrechtliche Nutzungsschutz dadurch eingeschränkt, daß für die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung nicht jede Hinderung des Eigentümers in der Sachnutzung als ausreichend angesehen wird. Vielmehr werden insofern zusätzliche Voraussetzungen aufgestellt, als für die deliktsrechtliche Relevanz einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung regelmäßig das Vorliegen einer (nach unterschiedlichen Kriterien bemessenen) bestimmten Beeinträchtigungsintensität gefordert wird. So verlangt der BGH 437
Siehe dazu noch näher im Dritten Teil, 1. Kap. unter V. 38 M. Schmid, NJW 1975, 2256 f. 43 9 Zu diesem Begriff siehe im 1. Kap. unter I. 2. b) (1). 4
440 Zu der Lehre von dem Eigentum als eines reinen Ausschließungsrechts siehe noch im Dritten Teil, 1. Kap. unter II. 2., Fn. 39.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
die „Entziehung" des bestimmungsgemäßen bzw. natürlichen Gebrauchs 441 und versteht darunter dessen vollständigen Verlust 442 . Darüber hinaus scheint er auch der Dauer einer Nutzungsbeeinträchtigung für deren Einordnung als Eigentumsverletzung Bedeutung beizumessen443. Die herrschende Lehre begrenzt den deliktsrechtlichen Schutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen in vergleichbarer Weise durch Berücksichtigung der Beeinträchtigungsintensität. So wird das Vorliegen einer Eigentumsverletzung etwa von der „Beseitigung" der sozialtypischen Verwendungsfunktion 444 einer Sache oder davon abhängig gemacht, ob die Sachnutzung für einen so erheblichen Zeitraum bzw. so nachhaltig beeinträchtigt wird, daß dies zu einer Herabsetzung des Marktwertes der Sache führt. Hervorgehoben sei auch das für eine Einordnung als Eigentumsverletzung herangezogene Intensitätskriterium, ob der Gebrauch einer Sache „während eines für die Abschreibung relevanten Zeitraums" beeinträchtigt wurde 445 . Darüber hinaus wird in der Literatur anstelle des Erfordernisses einer bestimmten Beeinträchtigungsintensität für die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung bisweilen auch an die Art des verwirklichten Risikos oder die Willensrichtung des auf die Sachnutzung Einwirkenden angeknüpft 446. Mit dieser als Relativierung zu bezeichnenden Einschränkung des Nutzungsschutzes - d. h., der deliktsrechtliche Eigentumsschutz von an sich als schutzfähig anerkannten Sachnutzungen wird nicht allein an das Vorliegen einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung angebunden, sondern es werden, und zwar zum Zwecke ihrer Qualifizierung als Eigentumsverletzung, zusätzliche Anforderungen aufgestellt mit der Folge, daß der sachnutzende Eigentümer im Falle ihrer Nichterfüllung eine reine Nutzungsbeeinträchtigung ohne die Möglichkeit eines über § 823 Abs. 1 begründeten Schadensausgleichs zu dulden hat - werden verschiedene dogmatische Fragen aufgeworfen, die - wie im folgenden zu zeigen sein wird - bis heute in Rechtsprechung und Literatur nicht oder nicht zureichend behandelt werden. Im einzelnen handelt es sich um die Frage nach der Zulässigkeit einer Relativierung
441 Zur Kritik an der Gleichsetzung des bestimmungsgemäßen mit einem „natürlichen" Gebrauch unter dem Gesichtspunkt der Anerkennung lediglich eines Funktionsschutzes siehe oben unter II. 1. b). 442 Siehe im 1. Kap. unter II. 3. a). 443
Siehe dazu, daß die Rspr. des BGH insoweit nicht eindeutig ist, im 1. Kap. unter II. 3.
a). 444 Zur Kritik an dem Abstellen auf die „sozialtypische Verwendungsfunktion" einer Sache wegen der damit verbundenen Anerkennung eines bloßen Funktionsschutzes siehe oben unter Π. 1. b). Zu dem qualitativen Unterschied zwischen der mit einem Funktionsschutz verbundenen Begrenzung des Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen und der hier in Frage stehenden Begrenzung von an sich für schutzfähig erachteten Sachnutzungen siehe bereits im 1. Kap. unter III. 1. b) (2), Fn. 244. 445 Zu den in der Lit. vorfindlichen Intensitätsmaßstäben siehe im 1. Kap. unter III. 1. b) (2) (a). 446 Siehe im 1. Kap. unter III. 1. b) (2) (b) und (c).
2. Kap.: Kritische Stellungnahme
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des deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes447, die Frage ihrer Anbindung im Rahmen der haftungsbegründenden Voraussetzungen des § 823 Abs. I 4 4 8 sowie schließlich die Frage, welche Anforderungen an die Ausgestaltung der Relativierung zu stellen sind 449 .
1. Die fehlende Auseinandersetzung mit der Frage nach der Zulässigkeit einer Relativierung Die Relativierung des deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes wird allein mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung begründet. Die Verhinderung unkalkulierbarer Haftungsrisiken bzw. einer uferlosen Ausweitung von Schadensersatzansprüchen sei erforderlich, um angesichts vielfältig möglicher Interessenkollisionen zwischen sachnutzenden Eigentümern einerseits und Handlungsinteressen Dritter andererseits in hochkomplexen Industriegesellschaften trotz eines grundsätzlich nutzungsorientierten Eigentumsschutzes ausreichende Freiheits- und Entfaltungsspielräume für Dritte zu bewahren 450. Die Relativierung des Nutzungsschutzes ist nicht schon deshalb problematisch, weil damit der Zweck einer Haftungsbegrenzung zugunsten der Aufrechterhaltung ausreichend haftungsfreier Handlungs- und Entfaltungsspielräume Dritter verfolgt wird. In dieser Einbeziehung von Drittinteressen zu dem Zweck einer rechtlichen Bewältigung des Konflikts bzw. Spannungsverhältnisses zwischen Eigentümerinteressen einerseits und Entfaltungsinteressen Dritter andererseits spiegelt sich das allgemeine Problem der „Pflichtenbindung des Einzelrechts innerhalb der Gemeinschaftsordnung" wider, dessen Lösung als „typische Aufgabe des Rechts, wenn nicht ,die' Frage des Rechts überhaupt" anzusehen ist 4 5 1 . Unzureichend ist es allerdings, daß die Relativierung des grundsätzlich anerkannten Nutzungsschutzes selbstverständlich allein unter Verweis auf die für erforderlich gehaltene Haftungsbegrenzung für zulässig erachtet wird. Insoweit wird 447
Siehe folgend unter 1. Siehe unter 2. w Siehe unter 3. 4 50 So und ähnlich die Vertreter der h.L., siehe im 1. Kap. unter ΠΙ. 1. b) (1). Der BGH begründet das Abstellen auf eine „Entziehung" des bestimmungsgemäßen (natürlichen) Gebrauchs wie auch die Berücksichtigung der Dauer einer Nutzungsbeeinträchtigung (siehe im 1. Kap. unter Π. 3. a)) nicht weiter. 451 So H. Westermann, Luftreinhaltung, 1958, 12 in Hinblick auf den rechtlich zu lösenden Konflikt zwischen den Interessen des Inhabers eines gewerbepolizeilich genehmigten Anlagebetriebes einerseits und den von Immissionen eines solchen Betriebes betroffenen Grundstücksnachbarn wie auch der Allgemeinheit andererseits. Nach Larenz/Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 357 stellen die „Offenhaltung von Freiheitsräumen und die Bewahrung der Handlungsfreiheit vor übermäßigen Beeinträchtigungen durch Schadensersatzrisiken ... eine elementare Aufgabe der Rechtsordnung dar,...".
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
die Beschränkung des deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes lediglich mit einer Folgenbetrachtung - die Erwartung unkalkulierbarer Haftungsrisiken bzw. einer uferlosen Ausweitung von Schadensersatzansprüchen für den Fall eines nicht relativierten Nutzungsschutzes - gerechtfertigt. Zwar kommt der Folgenbetrachtung bzw. -berücksichtigung als einem ergebnisorientierten Entscheidungsgesichtspunkt bei der Auslegung und Anwendung gesetzlicher Vorschriften eine wesentliche Bedeutung zu 4 5 2 . Allerdings kann sie als solche nicht eine bestimmte Rechtsanwendung begründen. Vielmehr müssen die hieraus abgeleiteten Ergebnisse für die Auslegung und Anwendung einer Norm mit dem gesetzlich vorgegebenen System in Einklang stehen, d. h., sich in den durch das Gesetz bestimmten dogmatischen Rahmen einfügen und auf der Grundlage dessen rechtfertigen lassen 453 . Die danach erforderliche dogmatische Begründung für die Zulässigkeit der allein mit Blick auf die Haftungskonsequenzen geforderten Relativierung des Nutzungsschutzes wird nicht geleistet. Weder von der Rechtsprechung noch in der Literatur wird die Frage gestellt, ob der grundsätzlich unter Anbindung an § 903 Satz 1 anerkannte deliktsrechtliche Schutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen überhaupt im Rahmen der durch § 823 Abs. 1 normierten Eigentumsschutzordnung relativiert werden darf. Der bloße Hinweis auf die mit einem nicht relativierten Nutzungsschutz verbundenen Folgen mag in der Sinnhaftigkeit des Gedankens einer Haftungsbegrenzung zwecks Wahrung ausreichender Entfaltungsspielräume Dritter begründet sein. Die Notwendigkeit einer dogmatischen Verankerung der Relativierung wird dadurch jedoch nicht entbehrlich. Einer solchen Verankerung bedarf es neben der methodisch begründeten Unzulässigkeit einer reinen Folgenbetrachtung in Hinblick darauf, daß die Eigentumsschutzregelung des § 823 Abs. 1 bereits eine gesetzgeberische Abwägungsent452
Zur Folgenberücksichtigung in der richterlichen Spruchpraxis siehe ζ. B. Sendler, FS Simon, 1987, 113 ff. (117 ff.). Siehe aus dem Schrifttum zur Folgenbetrachtung als juristischer Methode neben Sendler nur Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, 1974, 31 ff.; Sambuc, Folgenerwägungen im Richterrecht, 1977; Wälde, Juristische Folgenorientierung, 1979; Hassemer, FS Coing, 1982, Bd. I, 493ff.; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, 227ff.; Hassold, FS Larenz, 1983, 211 ff. (233f.); Deckert, JuS 1995, 480ff. Zum Teil wird der Folgenbetrachtung ein eigenständiger Stellenwert als Auslegungsmethode abgesprochen und darin allein „ein notwendiges Element jeder konsequent teleologischen Auslegung" gesehen, so Hassold, FS Larenz, 1983, 211 ff. (234). Siehe dazu auch Koch/ Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, 232 m.w. Nachw. 453
So beschreibt Wälde, Juristische Folgenorientierung, 1979, 27 die „Funktion der Folgenorientierung" dahin, „innerhalb des Bereichs der dogmatisch ,vertretbaren' Auslegungsund Entscheidungsalternativen eine optimale auszuwählen (geometrisch ausgedrückt: den Punkt der Entscheidung im Auslegungsraum zu finden)"; ebenso unter Verweis u.a. auf Wälde Sendler, FS Simon, 1987, 113 ff. (146): „..., denn auch eine Entscheidung, die sich an den Folgen orientiert, muß sich dogmatisch absichern lassen, muß ins System passen,...". Siehe auch Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, 1974, 36: „Wenn überhaupt, muß also die Dogmatik die Verwendung von Folgenerwartungen als Entscheidungskriterien begründen und begrenzen - nicht umgekehrt"; in diesem Sinne auch Sambuc, Folgenerwägungen im Richterrecht, 1977, l l l f .
2. Kap.: Kritische Stellungnahme
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Scheidung zwischen konfligierenden Eigentumsschutzinteressen einerseits und den Interessen Dritter an ausreichend haftungsfreien Handlungs- und Entfaltungsspielräumen andererseits darstellt. So wird in den Protokollen der 2. Kommission die Zweckbestimmung der Vorschriften über unerlaubte Handlungen allgemein dahin beschrieben, „die Rechtskreise der einzelnen, innerhalb deren sie ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen, voneinander abzugrenzen" 4 5 4 . Das Deliktsrecht allgemein wie auch § 823 Abs. 1 im besonderen enthält ein gesetzliches „Lösungsmodell, das den Antagonismus von Bestandsschutz und Handlungsfreiheit zu einem ausgewogenen Ausgleich bringt." 455 . Danach wird schon durch § 823 Abs. 1 jedes Handeln Dritter insoweit begrenzt, als nicht in die hiernach geschützten Rechtspositionen eingegriffen werden darf. Für eine zusätzliche Interessenabwägung in Gestalt der Relativierung des Nutzungsschutzes zum Zwecke einer als sinnvoll erachteten Haftungsbegrenzung verbleibt deshalb nicht mit der Selbstverständlichkeit Raum, von der Rechtsprechung und herrschende Lehre ausgehen. Schließlich erweist sich die dogmatisch nicht abgesicherte Folgenbetrachtung als alleinige Begründung für die Relativierung des Nutzungsschutzes unter einem weiteren Gesichtspunkt als unzureichend. Mit dieser Begründung kann nicht erklärt werden, wieso der grundsätzlich anerkannte deliktsrechtliche Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen selbstverständlich nur als ein relativierter Schutz begriffen wird, während der deliktsrechtliche Schutz gegen Substanzeingriffe immer absolut ist in dem Sinne, daß bei Vorliegen sowohl eines Eingriffs in die Sachsubstanz und damit einer Eigentumsverletzung wie auch der weiteren Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 eine Schadensersatzhaftung begründet wird, ohne daß die Bejahung einer Eigentumsverletzung etwa von der Intensität der Beeinträchtigung abhängig gemacht würde 456 . Die Frage einer Relativierung 454 Mugdan II, 1073. 455 So Canaris, FS Larenz, 1983, 27 ff. (39) (dazu, daß die Gegenüberstellung von Bestandsschutz und Handlungsfreiheit den Konflikt zwischen Nutzungsschutzinteressen und den Interessen Dritter nicht genau beschreibt, siehe noch im Dritten Teil, 3. Kap. unter II. 2., Fn. 492). Erman-Schiemann, 9. Aufl., vor § 823, Rz. 2 bezeichnet das System des Deliktsrechts als einen „Kompromiß zwischen dem Interesse des Geschädigten am Ausgleich für möglichst alle ihn betreffenden Nachteile und dem Interesse des Schädigers an der Möglichkeit, sich frei zu bewegen, ohne durch die ständige Gefahr von Schadensersatzpflichten gehemmt zu werden". 456 Schadensersatzrechtlich setzt sich die Absolutheit des Substanzschutzes fort, indem nach einmal erfolgter Haftungsbegründung gemäß den §§ 249 ff. jeder, auch der geringste Schaden, zu ersetzen ist. Allerdings gibt es eine intensive schadensersatzrechtliche Diskussion über eine Abschwächung des Prinzips der Totalreparation durch die Einführung einer sog. Reduktionsklausel im Rahmen der schadensersatzrechtlichen Vorschriften, siehe dazu mit weiteren Nachw. nur H. Lange, Schadensersatz, 2. Aufl., 19 ff. sowie schon Hohloch, Empfiehlt sich eine Neufassung der gesetzlichen Regelung des Schadensrechts (§§ 249-255 BGB), in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, (hrsg. vom BMJ), 1981, Bd. I, 375 ff. (insb. 385 f., 392 und 453 ff.). Zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer schadensersatzrechtlichen Reduktionsklausel und deren Verwirklichung de lege lata mit 10 Boecken
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
des deliktsrechtlichen Substanzschutzes wird überhaupt nicht in Erwägung gezogen, obwohl dies auf der Grundlage der für eine Begrenzung des Nutzungsschutzes herangezogenen Folgenbetrachtung als solchen zumindest in bestimmten Bereichen nicht fernliegen würde 457 . Hingewiesen sei nur auf das mit der stetigen Zunahme und Verdichtung des Straßenverkehrs gestiegene Risiko der Verursachung von Sachbeschädigungen an Kraftfahrzeugen. Das hat allerdings bis heute nicht zu einer Diskussion darüber geführt, die Haftungsrisiken der Verkehrsteilnehmer dadurch zu verringern, daß bestimmte Beeinträchtigungen nicht als Eigentumsverletzung eingeordnet werden und deshalb von den Betroffenen ersatzlos hinzunehmen wären, beispielsweise immer dann, wenn der Gebrauch des Fahrzeuges als Fortbewegungsmittel mit allen insoweit erforderlichen Funktionen nicht beeinträchtigt ist 4 5 8 . Kann mithin die zur Begrenzung des Nutzungsschutzes herangezogene Folgenbetrachtung als solche sowohl für eine Relativierung des Nutzungs- wie auch des Substanzschutzes im Rahmen des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes geltend gemacht werden, dann reicht diese Begründung für eine relativierende Beschränkung allein des Nutzungsschutzes gegenüber einem als solchen nicht in Frage gestellten absoluten Substanzschutz nicht aus. Gerade wenn davon ausgegangen wird, daß der in § 903 Satz 1 niedergelegte Eigentumsinhalt das „unversehrte Haben" einer Sache wie auch das „ungestörte Nutzen" derselben gleichermaßen verbürgt und die grundsätzliche Anerkennung des Nutzungsschutzes aus der Anknüpfung des § 823 Abs. 1 an das Eigentum i. S. d. § 903 Satz 1 abgeleitet wird 4 5 9 , Hilfe des Rechtsmißbrauchseinwandes gemäß § 242 siehe Canaris, JZ 1987, 993 ff. (1001 f.). Einer Abschwächung des Prinzips der Totalreparation gilt auch der Vorschlag von Marschall von Bieberstein, FS von Caemmerer, 1978, 411 ff. (422 ff.) zur Begrenzung des Ersatzes von produktionsausfallbedingten Erwerbseinbußen, die als Folge einer Sachbeschädigung eintreten; ablehnend hierzu Soergel-Zeuner, 11. Aufl., § 823, Rz. 36; MünchKomm- Mertens, 2. Aufl., § 823 Rz. 70 f. und Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 30. 457 Zu Recht weist beispielsweise Schilcher, Theorie der sozialen Schadensverteilung, 1977, 23 in Hinblick auf die sog. Stromkabelfälle darauf hin, daß mit der Beschränkung auf den „Verletzungsschaden" an Elektrogeräten gerade das nicht erreicht werde, was man anstrebe, nämlich eine Begrenzung der Uferlosigkeit des Ersatzes. Denn auch Schäden an Geräten könnten uferlos werden. 458 Dieser denkbaren Möglichkeit einer Relativierung des Substanzschutzes liegt ein Ansatz von Zachert, AuR 1979, 358 ff. (360) zugrunde. Dieser stellte in Zusammenhang mit der sog. „Schutzhelm-Entscheidung" des BAG vom 23.2. 1979, in welcher es um die Frage ging, ob dem Arbeitgeber als Eigentümer von Schutzhelmen ein Recht zusteht, die Entfernung von auf den Helmen arbeitnehmerseits angebrachten Gewerkschaftsemblemen zu verlangen (BAG SAE 1979, 187 ff.), unter Anknüpfung an das vom BGH in der Fleetfall-Entscheidung (BGHZ 55, 153 ff. (159)) entwickelte Kriterium der „Entziehung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs" darauf ab, ob trotz der Substanzbeeinträchtigung die der Sache zugedachte Funktion erhalten geblieben ist. Ablehnend zu diesem Ansatz Buchner, SAE 1979, 192 ff. (193), der zu Recht bemerkt, daß mit dem vom BGH entwickelten Kriterium der Eigentumsschutz über den Fall der körperlichen Einwirkung auf die Sachsubstanz hinaus erweitert und nicht auf den Fall des Gebrauchsentzugs beschränkt werden sollte. 4 59 Siehe im 1. Kap. unter III. 1. a).
2. Kap.: Kritische Stellungnahme
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dann bedarf es einer über die bloße Folgenbetrachtung hinausgehenden, aus der gesetzlichen Eigentums- bzw. Eigentumsschutzordnung selbst zu entnehmenden dogmatischen Begründung, welche die von Rechtsprechung und Lehre selbstverständlich bejahte Relativierung allein des Nutzungsschutzes tragen kann.
2. Die nicht begründete Anbindung der Relativierung an das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung In Zusammenhang mit der für notwendig erachteten Begrenzung des Nutzungsschutzes fehlt es in Rechtsprechung und Literatur nicht nur an einer dogmatischen Begründung für die Zulässigkeit der Relativierung 460 . Darüber hinaus findet auch keine Auseinandersetzung mit der Frage statt, an welcher Stelle im Rahmen des haftungsbegründenden Tatbestandes von § 823 Abs. 1 der dogmatische Ansatzpunkt für eine Relativierung des Nutzungsschutzes zu suchen ist. Rechtsprechung und Literatur gehen insoweit vielmehr selbstverständlich von einer Anbindung an das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung aus. Das gelangt darin zum Ausdruck, daß die Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung neben dem Eingriff in die Sachnutzung als solchem von zusätzlichen, den Nutzungsschutz begrenzenden Kriterien abhängig gemacht wird 4 6 1 . Gegen die von Rechtsprechung und Literatur ohne jede Begründung vorgenommene Anbindung der Relativierung des Nutzungsschutzes an das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung bestehen vor allem in Hinblick darauf Bedenken, daß die grundsätzliche Anerkennung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen unter Bezugnahme auf den in § 903 Satz 1 niedergelegten Eigentumsinhalt erfolgt 462 . Hiervon ausgehend erscheint es nicht ohne weiteres einleuchtend, aus welchem Grunde trotz des zugrundegelegten Verständnisses der deliktsrechtlichen Schutzposition Eigentum im Sinne des sachenrechtlichen Eigentumsbegriffs gerade das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung unter Loslösung von einer mit der Bezugnahme auf § 903 Satz 1 naheliegenden allein eigentumsinhaltlich orientierten Bestimmung dieser Haftungsvoraussetzung Einschränkungen offenstehen können soll, die ihre Grundlage in einer zwecks Herbeiführung eines Interessenausgleichs zwischen sachnutzendem Eigentümer einerseits und eingreifendem Dritten andererseits für erforderlich erachteten Relativierung des Nutzungsschutzes haben 463 . Damit stellen Rechtspre460
Siehe oben unter 1. 461 Siehe im 1. Kap. unter II. 3. a) und III. 1. b) (2). 462 siehe im 1. Kap. unter II. 1. i.V.m. 2. b) (1) und 3. a) sowie III. 1. a). 463 Wenigstens Medicus zeigt diesbezüglich ein - ansonsten allgemein fehlendes - Problembewußtsein, wenn er feststellt, daß „die Frage, ob und nach welchen Kriterien die Intensität einer Nutzungsstörung über deren Charakter als Eigentumsverletzung zu entscheiden vermag, ... noch nicht befriedigend gelöst (ist)", siehe SchR II, 6. Aufl., 367; ders., Bürg. Recht, 16. Aufl., 367. Vgl. auch Fikentscher, Schuldrecht, 8. Aufl., 733, Rz. 1212. Bezogen 10*
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
chung und Literatur im Bereich des deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes das Vorliegen einer Eigentumsverletzung über die Beeinträchtigung der eigentümerseitigen Sachnutzung hinaus unter einen Vorbehalt, der nicht dogmatisch aus dem Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung entwickelt wird, sondern mit dem bloßen Verweis auf die Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung allein Ausdruck der Sorge ist, das Entstehen unkalkulierbarer Haftungsrisiken bzw. uferloser Schadensersatzansprüche zu vermeiden 464 . Dieser, durch ein Defizit an dogmatischer Begründung gekennzeichneten Auffassung scheint die Vorstellung zugrundezuliegen, daß mit der Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung ohne eine Relativierung des Nutzungsschutzes auf der Rechtsverletzungsebene zwangsläufig die Begründung einer deliktsrechtlichen Haftung feststünde. Zum Ausdruck gelangt dies etwa in den auf die Entscheidung des BGH zum Grundstücksräumungsfall 465 bezogenen Ausführungen Hagers, wenn dieser dem BGH darin zustimmt, „daß es ... keinen Eingriff in das Eigentum am Nachbargrundstück darstellt, wenn die Zufahrtsstraße durch Feuerwehrfahrzeuge blockiert ist" und dann fortfährt: „Es wäre in der Tat kaum mehr erträglich, wenn jeder, der durch die Blockierung einer Straße beeinträchtigt wird, nach Deliktsrecht Ersatz verlangen könnte" 466 . Mit einer solchen Vorstellung wird allerdings gänzlich außer Acht gelassen, daß eine möglicherweise dogmatisch nicht zu begründende Anbindung der Relativierung an das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung nicht gleichbedeutend sein muß mit einem dann nicht mehr relativierbaren Nutzungsschutz. Dies würde nur dann gelten, wenn eine Begrenzung des Nutzungsschutzes im Sinne der Relativierung auch auf der Rechtswidrigkeits- oder Verschuldensebene ausgeschlossen wäre. Insoweit fehlt es jedoch in Rechtsprechung und Literatur an jeglicher Stellungnahme.
auf den Fall der Einsperrung einer Sache - das blockierte Schiff im Fleetfall oder der in einem unfallbedingten Verkehrsstau festliegende Kraftwagen - , hebt nunmehr Larenz/Canaris, SchR II 2, 13. Aufl., 389 zutreffend (siehe noch im Dritten Teil, 3. Kap. unter III. 2.) hervor, daß es für die Qualifizierung der Einsperrung als Eigentumsverletzung nicht auf die Dauer der Einsperrung oder gar eine Minderung des Marktwertes der betroffenen Sache ankommt, und bestätigt damit jedenfalls insoweit die hier an der Auffassung von Rechtsprechung und Lehre geäußerte Kritik. 464 Vgl. auch Esser/Weyers, SchR II, 7. Aufl., 549, der allgemein bezogen auf die bisherige eigentumsschutzrechtliche Bewältigung von reinen Nutzungsbeeinträchtigungen „überzeugende Entscheidungsrichtlinien" vermißt und „als erkennbare Schranke für die Geltendmachung durchaus berechtigt erscheinender Interessen ... die Furcht vor Anspruchsflut im allgemeinen und Anspruchskumulation im besonderen" ausmacht. BGH NJW 1977, 2264 ff. Siehe dazu im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 1. und oben im 1. Kap. unter II. 3. a) und b) (1). 4 66 Hager, JZ 1979, 53 ff. (55, Fn. 33).
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3. Die unzureichend bewältigte Ausgestaltung der Relativierung Neben der fehlenden Auseinandersetzung mit der Frage nach der Zulässigkeit einer Relativierung des Nutzungsschutzes sowie ihrer nicht begründeten Anbindung an das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung erweist sich schließlich die Ausgestaltung der Relativierung durch Rechtsprechung und Literatur als unzureichend. Der entscheidende Grund hierfür liegt in dem Versuch, die zum Zwecke der Erhaltung ausreichend haftungsfreier Handlungs- und Entfaltungsspielräume Dritter für notwendig befundene Begrenzung des Nutzungsschutzes über begrifflich-abstrakt gebildete - d. h., die Relativierung für alle möglichen Konstellationen reiner Nutzungsbeeinträchtigungen einheitlich umsetzende - Kriterien bzw. Regeln wie etwa die Entziehung des bestimmungsgemäßen (natürlichen) Gebrauchs 467 , die aus einer Nutzungsbeeinträchtigung resultierende Marktwertminderung einer Sache 468 , die Beeinträchtigung des Gebrauchs während eines für die Abschreibung relevanten Zeitraums 469 oder auch die grundsätzliche Zuweisung aller spezifischen Sachverwendungsrisiken an den Eigentümer 470 bewältigen zu wollen. Insoweit ist es - wie im folgenden zu zeigen sein wird - trotz der Vielzahl unterschiedlicher Kriterienvorschläge aus verschiedenen Gründen nicht gelungen, einen „abstrakten Einheitsmaßstab" zu entwickeln, auf dessen Grundlage eine überzeugende Abgrenzung zwischen deliktsrechtlich relevanten Beeinträchtigungen der Sachnutzung und sonstigen Beeinträchtigungen vorgenommen werden könnte. Daraus wird deutlich, daß bereits der methodische Ausgangspunkt - die Bildung eines begrifflich-abstrakten Relativierungsmaßstabes - in Frage zu stellen ist. Das überrascht allerdings schon deswegen nicht, weil es die Vielgestaltigkeit reiner Nutzungsbeeinträchtigungen und ihrer Ursachen sowie die damit verbundene Differenziertheit der beteiligten Interessen kaum erlaubt, die Relativierung des Nutzungsschutzes über die Heranziehung eines bestimmten, generell auf jeden Einzelfall anzuwendenden einheitlichen Kriteriums umzusetzen471.
a) Zu dem vom BGH verwendeten Kriterium der „Entziehung" des bestimmungsgemäßen (natürlichen) Gebrauchs Die vom BGH für die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung aufgestellte Voraussetzung einer „Entziehung" des bestimmungsgemäßen (natürlichen) Gebrauchs 472 ist zunächst inhaltlich unter dem Gesichts467 468 469 470
So der BGH, siehe im 1. Kap. unter II. 3. a). Siehe im 1. Kap. unter III. 1. b) (2) (a). Siehe im 1. Kap. unter III. 1. b) (2) (a). Siehe im 1. Kap. unter ΙΠ. 1. b) (2) (b).
471 Siehe näher im Dritten Teil, 3. Kap. unter IV. 472 Siehe im 1. Kap. unter II. 3. a). Zur Kritik an der Gleichsetzung des „bestimmungsgemäßen Gebrauchs" mit einem von der Eigenschaft der Sache her definierten „natürlichen
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
punkt wenig überzeugend, daß danach eine deliktsrechtlich bedeutsame Sachnutzungsbeeinträchtigung nur im Falle einer völligen Beseitigung der Nutzungsmöglichkeit vorliegen soll, hingegen nicht auch schon dann, wenn der sachnutzende Eigentümer in einer von ihm bestimmten Sachnutzung lediglich behindert wird 4 7 3 . Die damit verbundene Beschränkung des Nutzungsschutzes auf einen gemessen an dem Umfang der Nutzungshinderung einzigen Schweregrad unter Ausblendung aller unterhalb dieser Schwelle eintretenden Behinderungen - wie beispielsweise im Fleetfall die Verneinung einer Eigentumsverletzung hinsichtlich der Schiffe, die nicht mehr in den Kanal einfahren konnten 474 oder in der Elbe-Seitenkanal-Entscheidung475, wo der BGH in Hinblick auf die wegen der Sperrung der Wasserstraße zwar wasserseitig nicht mehr, jedoch über Land erreichbar gebliebenen Anlagen eine Eigentumsverletzung ablehnte und nur von einer Einengung der „wirtschaftlichen Nutzung" sprach 476 - bedürfte allerdings in Hinblick darauf einer näheren Begründung, daß es mit der Ableitung des grundsätzlich bejahten deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes aus dem nach § 903 Satz 1 verbürgten Eigentumsinhalt 4 7 7 naheliegt, zunächst einmal jeden Eingriff unabhängig von dem daraus resultierenden Umfang der Hinderung als Beeinträchtigung bzw. Verletzung des Eigentums anzusehen478. Eine solche Begründung wird vom BGH jedoch nicht gegeben. Des weiteren ist die konkrete Anwendung der Formel von der „Entziehung" des bestimmungsgemäßen (natürlichen) Gebrauchs durch eine Reihe von Inkonsequenzen gekennzeichnet, wie verschiedene, nicht ohne weiteres miteinander in Einklang zu bringende Entscheidungen des BGH deutlich machen 479 . So ist es nicht nachvollziehbar, daß der BGH zwar beispielsweise in der Fleetfall-Entscheidung Gebrauch" (siehe BGHZ 55, 153 ff. (159 f.)) unter dem Gesichtspunkt der Anerkennung lediglich eines Funktionsschutzes siehe oben unter II. 1. b). 473 Kritisch auch Medicus, SchR II, 6. Aufl., 366 f. Wenn der BGH in einer Entscheidung zu der Frage, ob das ungenehmigte Fotografieren einer Sache eine Einwirkung auf fremdes Eigentum darstellen kann, unter Bezugnahme u.a. auf den Fleetfall (BGHZ 55, 153 ff.) und den Grundstücksräumungsfall (BGH NJW 1977, 2264 ff.) ausführt, eine Beeinträchtigung des Eigentümers in der tatsächlichen Sachnutzung könne erfolgen, „in dem deren Benutzung be- oder verhindert wird" (BGH JZ 1989, 649 f. (649)), so steht diese Beschreibung jedenfalls nicht in Einklang mit der für die Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung geforderten völligen Nutzungshinderung, siehe im 1. Kap. unter II. 3.
a).
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BGHZ 55, 153 ff. (160). Siehe im 1. Kap. unter II. 3. a). 5 BGHZ 86, 152 ff. 47 6 Siehe BGHZ 86, 152 ff. (155) und im 1. Kap. unter II. 3. b) (1).
47
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Siehe im 1. Kap. unter II. 1. i.V.m. 2. b) (1) und 3. a). Siehe auch Fraenkel, Tatbestand, 1979, 129 und Medicus, SchR Π, 6. Aufl., 366 f. 479 Möschel, JuS 1977, 1 ff. (2) weist auf eine „mangelnde Konsistenz" der Rechtsprechung hin; im Anschluß hieran auch Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 31. Kübler, FS F. Baur, 1981, 5Iff. (56, Fn. 32) spricht von „subtilen Distinktionen", die sich aus verschiedenen Entscheidungen des BGH ergeben. Siehe auch Brinker, Die Dogmatik zum Vermögensschadensersatz, 1981, 235 sowie die vergleichende Gegenüberstellung verschiedener Entscheidungen des BGH bei Medicus, Bürg.Recht, 16. Aufl., 365 ff. 478
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bezüglich des eingesperrten Schiffes eine Eigentumsverletzung mit der Begründung einer Entziehung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs bejaht 480 , in den sogenannten Stromkabelfällen 481 hingegen eine solche mit dem allgemeinen Hinweis auf das Fehlen eines Eingriffs in eines der in § 823 Abs. 1 geschützten Rechtsgüter und Rechte verneint, ohne überhaupt einen Eingriff in das Eigentum der Stromabnehmer an Geräten und Maschinen - deren bestimmungsgemäßer Gebrauch während der Dauer der Stromunterbrechung ohne Zweifel völlig entzogen ist - unter dem Gesichtspunkt einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung in Erwägung zu ziehen 482 . Entsprechendes gilt in Hinblick auf die überhaupt nicht erörterte Möglichkeit des Vorliegens einer Eigentumsverletzung in solchen Fällen, in denen Kraftfahrzeuge durch unfallbedingte Verkehrsstaus blockiert werden 483 . Eine Inkonsequenz bei der Anwendung des Kriteriums der Entziehung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs zeigt sich auch darin, daß der BGH für die Beurteilung des Vorliegens dieser Voraussetzung nicht immer denselben Bezugspunkt zugrundelegt. Deutlich wird dies bei einer Gegenüberstellung der Fleetfall-Entscheidung484 einerseits und der Elbe-Seitenkanal-Entscheidung485 andererseits. Während der BGH in der Fleetfall-Entscheidung die Entziehung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs mit der Einsperrung des Schiffs in dem Fleet begründete 486 und insoweit als Ansatzpunkt für die Beurteilung eine konkrete Betrachtung wählte - Bezug genommen wurde auf die Möglichkeit des bestimmungsgemäßen Gebrauchs in der durch die Außenwelt geprägten Situation - , stellte er in der ElbeSeitenkanal-Entscheidung darauf ab, daß die technische Brauchbarkeit der Lagerei- und Umschlagsanlagen erhalten geblieben sei. Der Dammbruch habe nur bewirkt, daß die Anlagen wasserseitig nicht mehr angefahren werden konnten 487 . Damit verschob der BGH allerdings den Ansatzpunkt für die Beurteilung des Vorliegens einer Eigentumsverletzung zu einer abstrakten Betrachtungsweise in dem Sinne, daß er die Frage der Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs losgelöst von der durch die Außenwelt geprägten Situation allein unter Abstellen auf die bestehen gebliebene technische Brauchbarkeit der Sache beantwortete. Mit diesem 480 BGHZ 55, 153 ff. (159). 481 Zur Rspr. des BGH insoweit siehe im 1. Kap. unter II. 3. b) (2). 482 Siehe auch Möschel, JuS 1977, 1 ff. (2 und 4); Müller-Graff, JZ 1983, 860ff. (862); Medicus, SchR II, 6. Aufl., 367; Erman-Schiemann, 9. Aufl., § 823, Rz. 31. Zur Kritik an der Ausblendung von auf Unterbrechungen der Stromzufuhr beruhenden Nutzungsbeeinträchtigungen aus dem deliktsrechtlichen Eigentumsschutz siehe schon oben unter II. 1. a) (2). 483 Siehe auch schon oben unter Π. l . a ) (3) in Zusammenhang mit der Kritik an der Ablehnung eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes unter Verweis auf bloße Hinderungen des Gemeingebrauchs. Zur Heranziehung dieser Fallkonstellation in der Rspr. des BGH als argumentum ad absurdum zwecks Rechtfertigung der Begrenzung des Anwendungsbereichs von deliktsrechtlichen Anspruchsgrundlagen siehe im Ersten Teil, 1. Kap. unter II. 1., Fn. 20. 484 BGHZ 55, 153 ff. 485 BGHZ 86, 152 ff. 486 BGHZ 55, 153 ff. (159) und oben im 1. Kap. unter II. 3. a). 487 BGHZ 86, 152 ff. (154 f.). Siehe schon im 1. Kap. unter II. 3. b) (1).
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
Ansatz hätte auch im Fleetfall eine Eigentumsverletzung verneint werden müssen: Die technische Brauchbarkeit des eingesperrten Schiffes war als solche nicht beeinträchtigt worden. Der Eigentümer war nur während eines bestimmten Zeitraums daran gehindert, das Schiff aus dem Kanal fortzubewegen 488. Schließlich ist die Rechtsprechung des BGH zur Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung insoweit inkonsequent, als nicht deutlich wird, inwieweit dem Gesichtspunkt der Dauer einer Nutzungsbeeinträchtigung neben dem Kriterium der Entziehung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs Bedeutung zukommt 489 . Die diesbezüglich bestehende Widersprüchlichkeit ist insbesondere in dem vom BGH entschiedenen Grundstücksräumungsfall 490 zum Ausdruck gelangt. Einerseits ordnete der BGH die wegen eines Brandes auf dem Nachbargrundstück erfolgte zweistündige Räumung eines Betriebsgrundstücks unter dem Gesichtspunkt der damit verbundenen Beseitigung jeglicher Nutzungsmöglichkeit als Eigentumsverletzung ein 4 9 1 . Andererseits lehnte er in Hinblick auf die etwa dreistündige Blockierung der öffentlichen Zufahrtsstraße zum Betriebsgrundstück durch Polizei- und Feuerwehrfahrzeuge nach Beendigung der Räumung entschieden, aber ohne jede inhaltliche Begründung eine Verletzung des Eigentums am Betriebsgrundstück allein unter Hinweis auf die Kurzfristigkeit der Störung, deren Einordnung als selbständige Eigentumsverletzung am Betriebsgrundstück abwegig wäre, ab und hob insoweit den „offensichtlichen Unterschied" zum Fleetfall „(monatelanges Einsperren eines Binnenschiffs im Endteil eines Fleets)" her-
b) Zu den in der Literatur vorgeschlagenen Relativie rung skrite rien (1) Zu den verschiedenen Intensitätsmaßstäben Gegen die Heranziehung des sogenannten Marktwertkriteriums, wonach die Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung davon abhängig sein soll, ob die Sachnutzung für einen so erheblichen Zeitraum oder 488 Ebenso die Kritik von Müller-Graff in seiner Anmerkung zur Elbe-Seitenkanal-Entscheidung in JZ 1983, 860 ff. (862), wonach die Anlagen - nicht anders als das eingesperrte Schiff im Fleetfall, das noch schwamm und abladen konnte - idealiter zwar benutzbar geblieben seien, jedoch realiter nicht mehr bestimmungsgemäß, da das Unternehmen wasserseitig nicht mehr erreicht werden konnte; zustimmend Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 331, Fn. 80. 489 Siehe im 1. Kap. unter II. 3. a). 49 0 BGH NJW 1977, 2264 ff. 49
1 BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265). BGH NJW 1977, 2264 ff. (2265). Unzutreffend Grüneberg NJW 1992, 945 ff. (948), der unter Bezugnahme u.a. auf diese Entscheidung ausführt, der BGH messe dem Zeitmoment für die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung keine Bedeutung bei. 492
2. Kap.: Kritische Stellungnahme
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so nachhaltig beeinträchtigt wird, daß dies zu einer Herabsetzung des Marktwertes der Sache führt 493 , bestehen unter verschiedenen Gesichtspunkten Bedenken. Zunächst wird mit der Anwendung dieses Maßstabes solches Eigentum von vorneherein aus dem grundsätzlich anerkannten deliktsrechtlichen Nutzungsschutz ausgeklammert, das keinen - wie auch immer zu bestimmenden494 - Marktwert hat 4 9 5 . Der Regelung des § 823 Abs. 1 ist allerdings kein Anhaltspunkt für einen deliktsrechtlichen Schutz allein von auf dem Markt bewerteter Sachen zu entnehmen. Mögen auch die meisten Sachen einen Marktwert haben, so kann anderes beispielsweise für gebrauchte Gegenstände ohne antiquarischen Wert gelten, die zwar auf dem Markt nicht mehr gehandelt werden, für ihren Eigentümer jedoch durchaus noch von Nutzen sind 496 . Des weiteren hat der Marktwert einer Sache als solcher keine innere Verbindung zu ihrer Nutzung in dem Sinne, daß eine Beeinträchtigung der Sachnutzung zwingend spiegelbildlich in einer entsprechenden Herabsetzung ihres Marktwertes wiederzuerkennen sein müßte. Dies deshalb, weil auf den Marktwert einer Sache auch andere Faktoren als allein ihre (beeinträchtigte) Nutzungsmöglichkeit Einfluß haben wie etwa die Knappheit des Gutes, seine Nachfrage oder allgemeine wirtschaftliche und politische Ereignisse. In Hinblick darauf kann dem Marktwert einer Sache nicht die Funktion eines verläßlichen Indikators für das Vorliegen einer deliktsrechtlich relevanten Nutzungsbeeinträchtigung beigemessen werden 497 . Schließlich steht der Heranziehung des Marktwertkriteriums als Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Eigentumsverletzung entgegen, daß es sich hierbei um ein schadensersatzrechtliches Element handelt 498 . Denn das Abstellen auf den Eintritt einer Marktweitminderung beinhaltet nichts anderes als die Frage nach der Entstehung eines Vermögensnachteils in Gestalt eines Sachwertverlusts, ist also ein Gesichtspunkt, dem für die Feststellung der Schadenshöhe Bedeutung zu4
93 So insbesondere MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 91. Siehe schon im 1. Kap. unter III. 1. b) (2) (a). 494 Kötz, Deliktsrecht, 6. Aufl., Rz. 60 versteht unter Marktwert die objektive Wertschätzung einer Sache, die dieser unabhängig davon, wer gerade ihr Eigentümer ist und wie gerade er sie zu verwenden gedachte, im Verkehr entgegengebracht wird. 495 Ebenso Brinker, Die Dogmatik zum Vermögensschadensersatz, 1982, 235; SoergelZeuner, 11. Aufl., § 823, Rz. 30. 496 Siehe auch M. Wolf, UTR 12 (1990), 243 ff. (253): „Der Sinn und Zweck des Eigentumsschutzes erschöpft sich nicht im reinen Vermögensschutz. Auch materiell als wertlos eingeschätzte Sachen genießen den Eigentumsschutz.". 497 Vgl. Müller-Graff, JZ 1983, 860 ff. (862), wonach die Marktwertminderung einer Sache nicht als alleiniger Maßstab für das Vorliegen einer Eigentumsverletzung ausreichen kann, da sie auch Faktoren aufzunehmen vermag, die nicht notwendig mit dem Normzweck des § 823 Abs. 1 verbunden sind. Siehe auch Larenz/Canaris, SchR II 2, 13. Aufl., 389. 498 Siehe auch Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 124, Fn. 50; Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986, 210; Schwitanski, Deliktsrecht, Untemehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 339.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
k o m m t 4 9 9 . M i t der Konzeption der in § 823 Abs. 1 niedergelegten deliktsrechtlichen Haftung ist die Bestimmung einer tatbestandlichen Eigentumsverletzung anhand dieses Beurteilungsmaßstabes nicht vereinbar. Nach der hier vorfindlichen gesetzgeberischen Entscheidung ist die Möglichkeit zur Abwälzung eines Vermögensschadens neben den Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens an die Verletzung bestimmter Rechte bzw. Rechtsgüter gebunden, die den Eintritt eines davon zu unterscheidenden Vermögensnachteils 500 zur Folge haben mögen. Nicht aber kann die Rechts-(Eigentums-)verletzung - w i l l man nicht die Grenze von einem deliktsrechtlichen Rechts- bzw. Rechtsgüterschutz zu einem reinen Vermögensschutz überschreiten - allein über das Vorliegen eines Vermögensschadens als solchen definiert werden. Soweit für das (Nicht-)Vorliegen einer Eigentumsverletzung darauf abgestellt werden soll, ob die Möglichkeit zur Sachnutzung durch eine „unkomplizierte H i l fe" wiederhergestellt werden k a n n 5 0 1 , wird die deliktsrechtliche Relevanz reiner Nutzungsbeeinträchtigungen ebenfalls nach einem Maßstab beurteilt, bei dem es sich seinem Inhalt nach um ein schadensersatzrechtliches Kriterium handelt. Für
499 Dementsprechend wird im Falle von Substanzbeeinträchtigungen eine hieraus resultierende Herabsetzung des Marktwertes schadensersatzrechtlich als merkantiler Minderwert berücksichtigt. 500 Siehe nur v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 8, wonach es bei Schaden und Verletzung um zwei gänzlich verschiedene Dinge geht, und im übrigen Schaufuß, Verletzung des Eigentums, 1899, 3 f., H. Stoll, Kausalzusammenhang, 1968, 14, Fn. 39, Mertens/Reeb, JuS 1971, 469 ff. (471), Larenz/Canaris, SchR I I 2, 13. Aufl., 360f., 363 und Schiemann, JuS 1988, 20ff. (22). Anderer Ansicht Jahr, AcP 183 (1983), 725ff. (750 i.V.m. Fn. 130), wonach zum Tatbestand des § 823 Abs. 1 neben der Eigentumsverletzung nicht noch zusätzlich ein durch diese Verletzung verursachter Schaden gehört - diese Auffassung hält Jahr für gesetzwidrig - , sondern das Vorliegen einer Eigentumsverletzung selbst schon die Feststellung eines tatbestandlichen Schadens bedeutet (hiervon ausgehend bezeichnet Jahr die Entziehung der Sachnutzung als „Primärschaden", a. a. Ο., 750). Der Auffassung Jahrs steht sowohl der zwischen Rechtsgut- bzw. Rechtsverletzung und Schaden differenzierende Wortlaut des § 823 Abs. 1 entgegen (so auch Schiemann, JuS 1988, 20 ff. (22 i.V.m. Fn. 40)) wie auch die Formulierung der Rechtsfolge als Verpflichtung „zum Ersätze des daraus entstehenden Schadens". Würde die Auffassung von Jahr zutreffen, hätte die Anordnung einer Verpflichtung zum Ersatz des „daraus entstandenen Schadens" näher gelegen. Des weiteren sind Fälle von Rechtsgut- bzw. Rechtsverletzungen denkbar, ohne daß daraus dem verletzten Rechts-(gut-)träger ein Vermögensschaden erwachsen müßte (siehe Schiemann, JuS 1988, 22 ff. (22 f.) und v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 8). Überzeugen kann schließlich nicht die Begründung Jahrs, daß eine Verknüpfung des Tatbestands von § 823 Abs. 1 und der Rechtsfolge des § 249 Satz 1 (a. a. O., 750, Fn. 130: „Wer ... das Eigentum eines anderen ... verletzt, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn die Verletzung nicht eingetreten wäre") die Irrelevanz des Wortes Schaden in § 823 Abs. 1 deutlich machen würde: Diese Rechtsfolgensubstituierung macht nur deutlicher, welche Verpflichtung sich aus einer Eigentumsverletzung im Falle des Vorliegens aller haftungsbegründenden Voraussetzungen ergeben kann. Die entscheidende (und zu bejahende) Frage, ob § 823 Abs. 1 neben der Verletzung des Eigentums u.a. auch die Entstehung eines Vermögensschadens voraussetzt, wird dadurch nicht beantwortet. soi Siehe im 1. Kap. unter ΙΠ. 1. b) (2) (a).
2. Kap.: Kritische Stellungnahme
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die Abgrenzung zwischen tatbestandlichen und sonstigen Nutzungsbeeinträchtigungen wird damit nämlich der im Einzelfall erforderliche Restitutionsaufwand zum entscheidenden Gesichtspunkt erhoben. Die Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als haftungsbegründende Eigentumsverletzung ist allerdings vorrangig und unabhängig von dem Umfang einer nach § 249 grundsätzlich zu leistenden Naturalrestitution vorzunehmen 502. Gegen die Beurteilung des Vorliegens einer eigentumsverletzenden reinen Nutzungsbeeinträchtigung anhand des Zeitmaßstabes, ob der Gebrauch einer Sache „während eines für die Abschreibung relevanten Zeitraums beeinträchtigt wurde" 5 0 3 , bestehen in Hinblick darauf Bedenken, daß damit der im Steuerrecht in Zusammenhang mit der Absetzung für die Abnutzung von Wirtschaftsgütern (§ 7 EStG) bedeutsame Maßstab des Absetzungszeitraums, d. h., die zu steuerrechtlichen Zwecken bestimmte Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung eines Wirtschaftsgutes 504, herangezogen wird. Unabhängig davon, ob die Dauer einer Nutzungsbeeinträchtigung ein im Rahmen der Relativierung des deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes zu berücksichtigender Gesichtspunkt sein kann 5 0 5 , ist es jedenfalls nicht selbstverständlich und bedürfte deshalb näherer Begründung, wieso die zu steuerrechtlichen Zwecken festgesetzte Nutzungsdauer einer Sache gleichermaßen ein verbindlicher Beurteilungsmaßstab dafür sein kann, wann eine reine Nutzungsbeeinträchtigung deliktsrechtliche Relevanz erlangt. Dagegen spricht vor allem unter dem Aspekt der Schadensverteilungsfunktion des Deliktsrechts 506, daß die Haftungsbegründung und damit Ersatzfähigkeit von aus reinen Nutzungsbeeinträchtigungen resultierenden Schäden kaum von einem Zeitmaßstab abhängig gemacht werden kann, bei dessen Festlegung deliktsrechtliche Schadensverteilungsgesichtspunkte keine Berücksichtigung finden. Hinzu kommt, daß dieser Maßstab im übrigen nicht in einem proportionalen Verhältnis zu den aus Nutzungsbeeinträchtigungen resultierenden Folgen dergestalt steht, daß aus dem Vorliegen eines für die Abschreibung relevanten Beeinträchtigungszeitraums (wie dieser auch immer zu bestimmen sein mag) auch auf einen deliktsrechtlich notwendigen Schadensausgleich geschlossen werden könnte (und umgekehrt). Gleichfalls nicht überzeugen kann das für die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung herangezogene Kriterium, ob der in der Sachnutzung beeinträchtigte Eigentümer „in ganz singulärer Weise betroffen" ist oder ein und dasselbe Ereignis bei einer Vielzahl von Eigentümern zu Nutzungsbe502
Ebenso Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 338, Fn. 115. 503 Siehe Jauernig-Teichmann, 7. Aufl., § 823, Anm. II. A. 4. b bb; Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 126 f. Siehe schon im 1. Kap. unter ΠΙ. 1. b) (2) (a). 504 Siehe Littmann, Das Einkommensteuer-Recht, 14. Aufl., § 7 EStG, Rz. 108 ff. 505 Siehe im Dritten Teil, 3. Kap. unter IV. 3. b). 506 Siehe Deutsch, JZ 1971, 244ff. (245); ders., Haftungsrecht I, 1976, 68 f.; Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986, 38f.; RGRK-Steffen, 12. Aufl., vor § 823, Rz. 6.
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
einträchtigungen führt 507 . Deliktsrechtliche Haftung ist auf den Schutz individuell zugewiesener Rechtsgüter und Rechte bezogen, deren Verletzungsfähigkeit nicht davon abhängig ist, wieviele Rechtsguts- bzw. Rechtsträger von einem beeinträchtigenden Eingriff betroffen werden. Es leuchtet deshalb nicht ein, eine reine Nutzungsbeeinträchtigung allein aus dem Grunde nicht als deliktsrechtlich bedeutsame Eigentumsverletzung anzusehen, weil ein und dasselbe Ereignis bei einer Vielzahl von Eigentümern Nutzungsbeeinträchtigungen hervorgerufen hat 5 0 8 . Gegen eine Bestimmung des eigentumsverletzenden Charakters reiner Nutzungsbeeinträchtigungen anhand des Maßstabes, daß die Sache „wenigstens zeitweise objektiv gebrauchsuntauglich" geworden ist in dem Sinne, daß sie von ihrem Eigentümer nicht mehr zu „irgendeinem vernünftigen, ihrer Funktion entsprechenden Zweck" eingesetzt werden kann 509 , ist - nicht anders als in Hinblick auf das vom BGH aufgestellte Kriterium einer Entziehung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs 510 - einzuwenden, daß vor dem Hintergrund eines aus § 903 Satz 1 abgeleiteten Nutzungsbeliebens des Eigentümers und der damit begründeten grundsätzlichen Anerkennung eines deliktsrechtlichen Schutzes auch der Sachnutzung 511 nicht ohne weiteres einsichtig ist, wieso die durch das Eigentum gewährleistete (Nutzungs-)Freiheit 512 nicht schon dann als berührt angesehen wird, wenn die Möglichkeit zur Sachnutzung nicht gänzlich verhindert, sondern - wie bei den ausgesperrten Schiffen im Fleetfall etwa - nur behindert wird 5 1 3 . Die Einordnung solcher unterhalb einer völligen Entziehung verbleibenden Behinderungen lediglich als Beeinträchtigungen der allgemeinen Handlungsfreiheit des Eigentümers 514 erscheint dann nicht überzeugend, wenn die Ausübung der durch das Eigentum
507 So Hager, JZ 1979, 53 ff. (55). Siehe schon im 1. Kap. unter III. 1. b) (2) (a). 508 Ablehnend auch Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 127, Fn. 64, der die rhetorische Frage stellt, was zu gelten hätte, wenn im Falle einer Staudammsprengung eine Vielzahl von Menschen ertrinken und Sachen beschädigt würden. Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmens^chutz und Arbeitskampfrecht, 1986, 334 spricht sich gegen das Kriterium der „Singularität" unter Hinweis darauf aus, daß mit der darin enthaltenen Differenzierung nach der Schadenshöhe eine Abkehr von deliktsrechtlichen Grundsätzen erfolge. Dieser Begründung ist jedenfalls insoweit zuzustimmen, als es um die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung geht. Deliktsrechtlich nicht ausgeschlossen ist die Berücksichtigung der Schadenshöhe als ein für die Haftungsbegründung bedeutsamer Bewertungsfaktor jedoch im Rahmen einer Relativierung, die nicht an das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung angebunden ist, siehe dazu näher im Dritten Teil, 3. Kap. unter IV. 3. b). 509 So ζ. B. Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601 und Schnug, JA 1985, 614 ff. (617). Siehe im übrigen schon im 1. Kap. unter III. 1. b) (2) (a). Zur Kritik an diesem Maßstab unter dem Gesichtspunkt, daß damit der Nutzungsschutz von vorneherein nur im Sinne eines Funktionsschutzes verstanden wird, siehe oben unter II. 1. b). 510 Siehe oben unter a). su 512 513 514
Siehe im 1. Kap. unter III. 1. a). Siehe Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601. Siehe auch Fraenkel, Tatbestand, 1979, 129 und Medicus, SchR II, 6. Aufl., 366 f. So Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601.
2. Kap.: Kritische Stellungnahme
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zugewiesenen Befugnisse als spezifische Rechtsausübung und Realisierung der Eigentumsfreiheit angesehen w i r d 5 1 5 .
(2) Zu der grundsätzlichen Zuweisung spezifischer Sachverwendungsrisiken an den sachnutzenden Eigentümer Gegen die von Müller-Graff für die Abgrenzung zwischen eigentumsverletzenden Nutzungsbeeinträchtigungen und deliktsrechtlich irrelevanten Störungen der Sachnutzung vorgeschlagene Risikoverteilungsregel des Inhalts, wonach der sachnutzende Eigentümer gewissermaßen als „Äquivalent" zu der i h m gemäß § 903 Satz 1 eingeräumten Befugnis zur Sachnutzungsbestimmung grundsätzlich - eine Ausnahme soll nur für solche Risiken gelten, die dem Eigentümer kraft Gesetzes oder kraft „sinnfälliger judikativer Regel" abgenommen sind - die spezifischen Verwendungsrisiken der von ihm festgelegten Nutzungschance tragen s o l l 5 1 6 , bestehen vor allem unter folgendem Gesichtspunkt Bedenken 5 1 7 . Zwar geht es bei der Begrenzung des Nutzungsschutzes zum Zwecke der Erhaltung ausreichend haftungsfreier Handlungs- und Entfaltungsspielräume D r i t t e r 5 1 8 letztlich um die Verteilung von aus Nutzungsbeeinträchtigungen resultierenden Schadensrisiken zwischen dem in der Sachnutzung beeinträchtigten Eigentümer und dem ein515
So Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601, Fn. 4 in seiner Kritik an Fraenkel, der die Ausübung der dem Eigentümer gemäß § 903 Satz 1 eingeräumten Befugnisse lediglich als einen Ausschnitt der allgemeinen Handlungsfreiheit begreift. Siehe im 1. Kap. unter III. 2. und oben unter II. 2. Larenz / Canaris begründet nunmehr das Vorliegen einer Eigentumsverletzung hinsichtlich des im Fleetfall eingesperrten Schiffes damit, daß das Eigentum „unzweifelhaft grundsätzlich die Befugnis ein(schließt), den Ort einer beweglichen Sache im Raum zu bestimmen, und diese war hier dem Eigentümer zur Gänze genommen, . . ( S c h R I I 2, 13. Aufl., 388 f.). Bezogen auf die ausgesperrten Schiffe lehnt er eine Eigentumsverletzung unter Hinweis darauf ab, daß die mit § 903 eingeräumte Befugnis zu beliebigem Verfahren selbstverständlich grundsätzlich nicht das Recht einschließe, zu diesem Zweck gerade die Sachen Dritter zu benutzen (SchR II 2, 13. Aufl., 388). Zwar vermittelt das Eigentum keine Berechtigung an einer bestimmten Gestaltung der Außenwelt (siehe dazu noch ausführlich im Dritten Teil, 1. Kap. unter III. 4.), insoweit ist Larenz / Canaris sicherlich zuzustimmen. Die Ablehnung einer Eigentumsverletzung im Falle der ausgesperrten Schiffe überzeugt jedoch - abgesehen von der damit verbundenen Verschiebung des Beurteilungsansatzes (siehe schon oben unter II. 1. a) (3) i.V.m. Fn. 404) - nicht ohne weiteres unter Berücksichtigung der Begründung für das Vorliegen einer Eigentumsverletzung bezogen auf das eingesperrte Schiff: Wenn insoweit nach Larenz / Canaris maßgebend sein soll, daß das Eigentum die Befugnis einschließt, „den Ort einer beweglichen Sache im Raum zu bestimmen", dann ist diese Befugnis nicht nur beeinträchtigt, wenn sie „dem Eigentümer zur Gänze genommen" ist, sondern auch dann, wenn er in seiner Bestimmungsmöglichkeit nur beschränkt wird. 516 Siehe JZ 1983, 860 ff. (863) und im 1. Kap. unter III. 1. b) (2) (b). 517 im übrigen ist angesichts dessen, daß Müller-Graff unter Anwendung dieser Regel über das Vorliegen einer Eigentumsverletzung entscheiden will, auf die kritischen Ausführungen zur Anbindung der Relativierung an das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung zu verweisen, siehe oben unter 2. 518 Siehe im 1. Kap. unter III. 1. b) (1).
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Zweiter Teil: Meinungsstand und Kritik
greifenden Dritten, so daß es von daher nicht fernliegt, im Rahmen der für notwendig befundenen Relativierung des Nutzungsschutzes auch die in der Nutzungsbestimmung und -realisierung liegende eigentümerseitige Beteiligung an der Risikoerzeugung und -Verwirklichung zu berücksichtigen. Gleichwohl läßt sich aus der Anerkennung einer allein dem Eigentümer auf der Grundlage von § 903 Satz 1 zustehenden Befugnis zur Sachnutzungsbestimmung519 eigentumsschutzrechtlich nicht ohne weiteres die Konsequenz ableiten, daß der Eigentümer ohne jede nähere Differenzierung alle spezifischen Risiken der von ihm bestimmten Sachnutzung zu tragen hat. Einer solchen Risikozuweisung grundsätzlich allein zu Lasten des sachnutzenden Eigentümers steht - wenn man denn im Ausgangspunkt einen eigentumsrechtlich fundierten Deliktsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen bejaht - bereits die Haftungsregelung des § 823 Abs. 1 als solche entgegen, mit welcher der Gesetzgeber durch die Einbeziehung des Eigentums in den deliktsrechtlichen Schutz geradezu eine entgegengesetzte „Risikoverteilungsregel" getroffen hat. Insoweit ist im übrigen zu fragen, warum angesichts der von MüllerGraff bezeichneten Ausnahmen zu seiner Regel - Risikoabnahme zugunsten des Eigentümers entweder aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder „sinnfälliger judikativer Regel" - nicht eben die Vorschrift des § 823 Abs. 1 und die hier vorfindliche Entscheidung des Gesetzgebers für einen deliktsrechtlichen Eigentumsschutz als eine solche gesetzliche Regelung zur Risikoabnahme angesehen wird, die unter der Voraussetzung rechtswidriger und schuldhafter Eigentumsverletzung auch im Falle der Verwirklichung eines spezifischen Verwendungsrisikos eine Risikozuweisung an den eingreifenden Dritten begründet. Abgesehen davon bedeutet jedenfalls das Abstellen auf eine ausdrückliche gesetzliche Risikoabnahmeregel außerhalb des § 823 Abs. 1 als Grund für die ausnahmsweise Anerkennung eines Nutzungsschutzes letztlich nichts anderes, als daß der deliktsrechtliche Eigentumsschutz nach § 823 Abs. 1 von einem „schutzgesetzlichen Eigentumsschutz" i. S. d. § 823 Abs. 2 abhängig gemacht wird. Angesichts der zwischen beiden Haftungstatbeständen bestehenden freien Anspruchskonkurrenz 520 leuchtet diese Verknüpfung nicht ohne weiteres ein. (3) Zur Anknüpfung an die Willensrichtung des in die Sachnutzung eingreifenden Dritten Schließlich kann die Auffassung von Schwitanski nicht überzeugen, wonach für die Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als haftungsbegründende Eigentumsverletzung maßgebend auf die Willensrichtung des in die eigentümerseitige Sachnutzung eingreifenden Dritten abgestellt werden soll 5 2 1 . 519 Siehe Müller-Graff, JZ 1983, 860 ff. (863). 520 Siehe nur Esser/Weyers, SchR II, 7. Aufl., 539. 521 Siehe Schwitanski, Deliktsrecht, Unternehmensschutz und Arbeitskampf, 1986, 344 ff. und im 1. Kap. unter III. 1. b) (2) (c); kritisch zu dem Vorschlag Schwitanskis auch Zeuner,
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Wenn Schwitanski davon ausgeht, daß die dem Eigentümer zugewiesene Bestimmungsmöglichkeit zur Sachverwendung aus zwei Elementen zusammengesetzt ist - der konkreten faktischen Möglichkeit zur Sachverwendung und der Freiheit der Willensbildung entsprechend den tatsächlichen Gegebenheiten522 - , dann leuchtet es nicht ein, daß allein im Falle einer final auf die Nutzungshinderung ausgerichteten Handlung des eingreifenden Dritten eine Eigentumsverletzung vorliegen soll. Umfaßt nämlich - und das ist ja der Standpunkt Schwitanskis - die eigentumsinhaltlich verbürgte Position neben der Befugnis zur Sachnutzungsbestimmung auch die tatsächliche Möglichkeit zur Sachnutzung, dann liegt ein Eingriff in diese Rechtsposition unabhängig von der Willensrichtung des eingreifenden Dritten immer dann vor, wenn die Möglichkeit zur Realisierung der konkret beabsichtigten Sachnutzung beeinträchtigt wird. Anderes könnte nur dann gelten, wenn das Eigentum dem Berechtigten allein ein „Dürfen" zuweisen würde, sprich sich in der Einräumung einer Befugnis zur Sachnutzungsbestimmung ohne Einbeziehung der tatsächlichen Möglichkeit zur Realisierung der Sachnutzung erschöpfte. In diesem Falle wäre allerdings eine Eigentumsverletzung in Gestalt der hier in Frage stehenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen überhaupt nicht - weder vorsätzlich noch fahrlässig - möglich, da die eigentumsrechtlich gegründete Befugnis als solche durch tatsächliche Eingriffe nicht verletzbar ist 5 2 3 . Von einem lediglich auf die Befugnis zur Sachnutzungsbestimmung reduzierten Verständnis des Eigentumsinhalts geht nun aber Schwitanski gerade nicht aus, wenn er neben dem Element der Freiheit der Willensbildung die eigentümerseitige Position zusätzlich durch das Element der „konkreten faktischen Möglichkeit zur Sachverwendung" gekennzeichnet sieht 524 . Der Verweis Schwitanskis auf den Fall einer Eigentumsverletzung durch tatsächliche Benutzung einer fremden Sache seitens eines Nichtberechtigten 525 kann AcP 188 (1988), 69 ff. (75). Schwitanski sieht in seinem Vorschlag den Versuch einer Haftungsbegrenzung im Rahmen der Haftungsbegründung und ordnet im Vergleich hiermit die in Rspr. und Lit. entwickelten Begrenzungsvorschläge als solche ein, die eine Haftungsbegrenzung allein durch Reduzierung des Ausmaßes der jeweiligen Haftpflicht herbeiführen wollten (a. a. O., 340). Damit verkennt er allerdings, daß Rspr. wie Lit. unabhängig von dem jeweils herangezogenen Kriterium zur Begrenzung des deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes ebenfalls an das Tatbestandsmerkmal der Eigentumsverletzung anknüpfen, siehe im 1. Kap. unter II. 3. a) und III. 1. b) (2). Zur Kritik insoweit siehe oben unter 2. 522 Schwitanski, Fn. 521, 346. 523 Eben das ist die Auffassung von Fraenkel, Tatbestand, 1979, 131 f., der deshalb konsequent die Möglichkeit einer Eigentumsverletzung durch reine Nutzungsbeeinträchtigung generell ablehnt. Siehe im 1. Kap. unter III. 2. und zur Kritik oben unter II. 2. 524 Unzutreffend ist es deshalb, wenn Schwitanski als Beleg für seine Auffassung von der durch § 903 Satz 1 eingeräumten „Eigentumsnutzungsposition" Fraenkel in Anspruch nimmt (a. a. O. (Fn. 521), 346, Fn. 141): Dieser unterscheidet gerade zwischen einem durch § 903 Satz 1 dem Eigentümer zugewiesenen rechtlichen „Dürfen" und der vom Eigentumsinhalt nicht umfaßten tatsächlichen Möglichkeit zur Sachnutzung, siehe Tatbestand, 1979, 131 f. Zur Kritik an dieser Auffassung oben unter II. 2. 525 A.a. O. (Fn. 521), 346 f. und im 1. Kap. unter ΙΠ. 1. b) (2) (c).
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seine Auffassung von der Begrenzung des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen auf final ausgerichtete Hinderungen der Sachverwendung nicht tragen. Der Umstand, daß diese Form der Eigentumsverletzung ihrer Natur nach eine willentliche Entscheidung des Nichtberechtigten voraussetzt, eine fremde Sache zu gebrauchen 526, läßt entgegen Schwitanski keine Schlußfolgerung dahin zu, daß bezogen auf die hier in Frage stehenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen eigentumsrelevante Eingriffe nur bei vorsätzlichem Handeln möglich sind. Für die Beurteilung des Vorliegens einer Eigentumsverletzung ist allgemein wie auch im Falle einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung auf den Umfang der deliktsrechtlich erfaßten Schutzposition Eigentum abzustellen527. Hingegen kann daraus, daß bestimmte Formen von Eigentumsverletzungen nur durch willentliches Handeln möglich sind wie etwa die unbefugte Nutzung einer fremden Sache oder auch die Verfügung eines Nichtberechtigten nichts dafür abgeleitet werden, daß die Qualifizierung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung eine vorsätzliche Sachnutzungshinderung voraussetzt. Schließlich kann die Ausklammerung nicht final verursachter Sachnutzungsbeeinträchtigungen aus dem Begriff der Eigentumsverletzung auch nicht überzeugend mit der These begründet werden, alles andere würde eine deliktsrechtliche „Garantie der Erfolgserreichung" bedeuten, die allerdings in Hinblick auf die Erhaltung ausreichender Freiheitsspielräume Dritter abzulehnen sei 5 2 8 . Unabhängig davon, ob den Ausführungen Schwitanskis insoweit zu folgen ist, als seiner Auffassung nach mit dem Eigentumsrecht in Hinblick auf die ansonsten eintretende Freiheitsbeschränkung Dritter „denknotwendig" keine „Verwendungserfolgszuweisung" verbunden sein kann 529 , ist zu fragen, aus welchem Grunde von diesem Ausgangspunkt her trotz der mit diesem Recht nicht eingeräumten Verwendungserfolgszuweisung gleichwohl eine solche dort gegeben sein soll, wo die Sachnutzung vorsätzlich beeinträchtigt wird. Im übrigen übersieht Schwitanski, daß die Einordnung einer reinen Nutzungsbeeinträchtigung als Eigentumsverletzung unabhängig von der Willensrichtung des eingreifenden Dritten nicht gleichbedeutend sein muß mit einer „Garantie der Erfolgserreichung". Dies deshalb, weil der deliktsrechtliche Schutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen nicht allein von deren Einordnung als Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 abhängig ist, sondern darüber hinaus ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des eingreifenden Dritten voraussetzt. Von einer zwecks Erhaltung der Freiheitsspielräume Dritter abzulehnenden „Garantie der Erfolgserreichung" könnte in Hinblick darauf nur 526 Womit nicht gesagt ist, daß es sich um eine vorsätzlich herbeigeführte Eigentumsverletzung handeln muß, das sieht auch Schwitanski, a. a. O. (Fn. 521), 160. 527 Die Schwitanski mit den von ihm genannten Elementen der dem Eigentümer zugewiesenen Bestimmungsmöglichkeit zur Sachnutzung allerdings so definiert, daß auch nichtvorsätzliche Eingriffe in die Sachnutzung als Eigentumsverletzung einzuordnen wären, siehe oben im Text. 52» A.a. O. (Fn. 521), 346 i.V.m. 344 f. Siehe auch im 1. Kap. unter III. 1. b) (2) (c). 529 A.a. O. (Fn. 521), 344 f. Siehe im 1. Kap. unter III. 1. b) (2) (c).
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dann berechtigterweise gesprochen werden, wenn feststünde, daß mit der Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung unabhängig von der Willensrichtung des eingreifenden Dritten eine deliktsrechtliche Haftung begründet würde, ohne daß § 823 Abs. 1 bezogen auf die weiteren haftungsbegründenden Voraussetzungen noch einen Anknüpfungspunkt böte, im Interesse der Handlungs- und Entfaltungsfreiheit Dritter den deliktsrechtlichen Nutzungsschutz zu begrenzen. Eine solche Absicherung seiner These läßt Schwitanski jedoch vermissen, so daß der Schluß von der Einordnung reiner Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung hin zu einer „Garantie der Erfolgserreichung" zu Lasten der Entfaltungsspielräume Dritter nicht zwingend ist.
11 Boecken
Dritter
Teil
Konzept eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen Bereits im Rahmen der kritischen Stellungnahme zu den in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen 1 ist deutlich geworden, daß in Zusammenhang mit der Untersuchung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen zwei wesentliche Fragenkreise zu behandeln sind. Zum einen geht es im Ausgangspunkt um das „Ob" eines solchen Schutzes, d. h., beinhaltet der deliktsrechtliche Eigentumsschutz überhaupt einen Nutzungsschutz2. Bejahendenfalls ist auf den weiteren Fragenkreis einer Begrenzung des Nutzungsschutzes zwecks Erhaltung ausreichend haftungsfreier Handlungs- und Entfaltungsspielräume Dritter einzugehen, der hier unter dem Begriff der Relativierung des Nutzungsschutzes behandelt wird 3 . Bevor diese „eigentlich" deliktsrechtlichen Fragenkreise und die damit verbundenen Probleme im einzelnen zum Zwecke der Entwicklung eines Konzepts des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen untersucht werden können, bedarf es einer eigentumsrechtlichen Grundlegung. Diese ist erforderlich, weil eine dogmatisch überzeugende Bewältigung der mit dem „Ob" eines Nutzungsschutzes und seiner Relativierung zu behandelnden Fragenkreise maßgebend davon abhängig ist, was unter der Schutzposition „Eigentum" i. S. d. § 823 Abs. 1 zu verstehen ist. In Hinblick darauf - soviel sei im Vorgriff auf die im 2. Kapitel vorzunehmende Untersuchung vorweggenommen - , daß das Gesetz einen besonderen „deliktsrechtlichen Eigentumsbegriff 4 nicht kennt, sondern die deliktsrechtliche Schutzposition „Eigentum" an den sachenrechtlichen Begriff des Eigentums anknüpft 4, ist für die eigentumsrechtliche Grundlegung von dem in § 903 Satz 1 zum Ausdruck gelangenden sachenrechtlichen Eigentumsbegriff auszugehen. Dessen bezogen auf den hier in Frage stehenden Untersuchungsgegenstand eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes bedeutsame Grundlinien sollen im folgenden dargestellt werden5. 1
Siehe im Zweiten Teil, 2. Kap. Siehe dazu im 2. Kap. 3 Siehe dazu im 3. Kap. Zu dem Begriff der Relativierung siehe schon im Zweiten Teil, 2. Kap. unter III. vor 1. 4 Siehe näher im 2. Kap. unter I. 1. 5 Siehe im 1. Kap. 2
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
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1. Kapitel
Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses I. § 903 Satz 1 als Ausgangspunkt für das sachenrechtliche Eigentumsverständnis In der Vorschrift des § 903 Satz 1 werden die Befugnisse des Eigentümers dahingehend beschrieben, daß dieser, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen kann. Mit dieser Bestimmung war, wie aus den Gesetzesmaterialien deutlich wird, nicht beabsichtigt, eine Definition des sachenrechtlichen Eigentumsbegriffs als solchen zu geben. So hat bereits der Verfasser des Teilentwurfs zum Sachenrecht6 - Johow7 - in seinen Erläuterungen zu § 85 TE-SachR8 als der dem später Gesetz gewordenen § 903 (heute § 903 Satz 1) entsprechenden Regelung darauf hingewiesen, daß auf eine „schulgerechte Definition des Eigenthums" aus drei Gründen verzichtet werden könne: zum einen deshalb, weil der Gesetzgeber Definitionen nur in den dringendsten Fällen aufstellen sollte, des weiteren aus dem Grunde, weil der Begriff des Eigentums im Allgemeinen nicht zweifelhaft sei und schließlich in Hinblick darauf, daß noch kein Gesetzgeber in der Lage gewesen sei, den Eigentumsbegriff „in Gestalt eines praktisch verwerthbaren Rechtssatzes" zu formulieren 9. Bezogen auf die in § 85 TE-SachR enthaltene Beschreibung der Eigentümerposition bzw. der Befugnisse des Eigentümers spricht Johow von dem „Inhalt des Eigenthums"10, trennt mithin deutlich zwischen einem Begriff des Eigentums im Sinne einer abstrakten Definition desselben und dem Inhalt des Eigentums als Beschreibung der Befugnisse des Eigentümers 11. 6
TE-SachR, als Nachdruck veröffentlicht bei Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 1 ff. Der preußische Kammergerichtsrat Johow war von dem Vorsitzenden der 1. Kommission zur Ausarbeitung eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Heinrich Pape, der Kommission als Redaktor für das Sachenrecht vorgeschlagen worden, siehe Jakobs / Schubert, Materialien, 40 f. sowie Schubert, Sachenrecht, Teil 1, XI. Die Aufgabe der Redaktoren bestand darin, zu verschiedenen Rechtsgebieten Teilentwürfe anzufertigen, siehe näher Jakobs/Schubert, Materialien, 40 ff. 7
8 Dieser hatte folgenden Wortlaut: „Der Eigenthümer hat das Recht, die Sache zu besitzen und über dieselbe mit Ausschließung Anderer zu verfügen, soweit nicht Beschränkungen dieses Rechts durch Gesetz oder durch Rechte Dritter begründet sind." (Siehe Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 28). 9 Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 639. Zur Kritik Johows an Versuchen, „den Begriff des Eigenthums schulgerecht zu bestimmen", siehe a. a. Ο., 621 ff. 10 Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 639. 11 Dem steht nicht entgegen, daß Johow den § 85 TE-SachR in einer neben diese Vorschrift an den Rand gesetzten „Marginalie" (so die Bezeichnung der Randüberschriften von Johow im Vorwort seines Entwurfs, siehe Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 4) als „I. Begriff des
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes
In ihren Erwägungen zu den § 85 TE-SachR betreffenden Änderungsanträgen ging die 1. Kommission unter Übernahme der von Johow getroffenen Unterscheidung zwischen Eigentumsbegriff und Eigentumsinhalt davon aus, daß es sich bei dem von ihr beschlossenen § 848 E I 1 2 nicht um eine Definition des Eigentumsbegriffs handelte. Vielmehr sollte allein der wesentliche Inhalt der dem Eigentümer zustehenden Rechte festgestellt werden 1 3 . Die 2. Kommission hat in Zusammenhang mit ihren Erwägungen zu den § 848 E I betreffenden Änderungsanträgen 14 die Unterscheidung Johows sowie der 1. Kommission zwischen Eigentumsbegriff und Eigentumsinhalt nicht ausdrücklich fortgeführt 1 5 . Allerdings hat auch sie sich in ihren Erwägungen nur mit der Beschreibung der Eigentümerbefugnisse befaßt 1 6 , also mit dem, was von Johow und der 1. Kommission als Inhalt des Eigentums bezeichnet wurde 1 7 . Auch wenn danach mit der Bestimmung des § 903 Satz 1 der Begriff des Eigentums als solcher nicht direkt beschrieben bzw. definiert werden sollte 1 8 , so lassen Eigenthums." einordnet (siehe Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 28). Hiermit sollte allein - wie auch durch die einer Vielzahl anderer Vorschriften beigefügten Erläuterungen - der Kommission eine leichtere Übersicht ermöglicht werden. Hingegen war damit nicht beabsichtigt, ihre Aufnahme in das Bürgerliche Gesetzbuch vorzuschlagen (siehe Johow im Vorwort seines Entwurfs, Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 4). Die Erläuterungen Johows zu § 85 TE-SachR sind denn auch entsprechend der von ihm vorgenommenen Trennung zwischen Begriff und Inhalt mit „I. Die Befugnisse des Eigenthümers." überschrieben, siehe Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 639. 12
§ 848 E I lautete wie folgt: „Der Eigenthümer einer Sache hat das Recht, mit Ausschließung Anderer nach Willkür mit der Sache zu verfahren und über dieselbe zu verfügen, soweit nicht Beschränkungen dieses Rechtes durch Gesetz oder durch Rechte Dritter begründet sind." (Siehe Mugdan ΙΠ, XIV). 13 Siehe Jakobs / Schubert, Sachenrecht, I, 442. In den Motiven heißt es zu § 848 E I, daß der Entwurf „weniger eine Definition geben, als den wesentlichen Inhalt der dem Eigenthümer zustehenden Rechte feststellen ... (will)", siehe Motive III, 262 = Mugdan III, 145. 14 Mugdan III, 577 f. ι 5 Die Worte „Begriff und „Inhalt" des Eigentums wurden von ihr ohne differenzierende Erläuterung nebeneinander verwendet, als sie bezogen auf § 848 E I sowie die Frage der Aufnahme einer entsprechenden Regelung in das Gesetzbuch ausführte, daß eine „gesetzliche Feststellung des Begriffes und Inhaltes des Eigenthumes" zwar nicht unentbehrlich, jedoch angemessen sei (Mugdan III, 577). 16 Siehe Mugdan III, 577 f. 17 Siehe Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 639 und Jakobs / Schubert, Sachenrecht, I, 442. 18
Die h.L. hat sich dieser aus den Gesetzesmaterialien zu entnehmenden Auffassung angeschlossen, siehe Planck, BGB, III. Bd., 3. Aufl., vor § 903, Anm. 1 ; Eichler, Institutionen I, 1954, 138; Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 174; Meier-Hayoz, FG Oftinger, 1969, 171 ff. (175); RGRK-Augustin, 12. Aufl., § 903, Rz. 2; MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 903, Rz. 3; Staudinger-Seiler, 12. Aufl., § 903, Rz. 2; Schön, Der Nießbrauch an Sachen, 1992, 8; Gerhardt, Mobiliarsachenrecht, 3. Aufl., 42; Eichler, Die Rechtsidee des Eigentums, 1994, 16. Anderer Ansicht Wieling, Sachenrecht I, 1990, 260, Fn. 24 unter Bezugnahme auf Sontis, FS Larenz, 1973, 981 ff. (994ff.) und Schloßmann, JherJb 45 (1903), 289ff. (313f.). Wenn Wieling a. a. O. ausführt, Johow habe „seine Bestimmung des Eigentums unbefangen »Definition' genannt" und als Beleg ,vgl' auf S. 498 der Begründung Johows zum TE-SachR ver-
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
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sich dennoch auf der Grundlage dieser Vorschrift und der hier niedergelegten Beschreibung der Eigentümerbefugnisse Rückschlüsse 19 auf das vom Gesetz vorausgesetzte Verständnis des Eigentums i m sachenrechtlichen Sinne ziehen 2 0 .
II. Zum Verhältnis zwischen dem Eigentum und seinen Schranken 1. Gegenüberstellung von Außentheorie und Immanenzlehre Das sachenrechtliche Eigentum, das i m Wege einer relativen Bestimmung i m Vergleich mit den beschränkten dinglichen Rechten als „das umfassendste Herrschaftsrecht, das die Rechtsordnung an einer Sache zuläßt", beschrieben w i r d 2 1 , kann nur i m Rahmen der Rechtsordnung verliehen sein und bestehen. I m Gesetz selbst wird dies bei der Beschreibung der Eigentümerbefugnisse in § 903 Satz 1 durch die gleichzeitige Einbeziehung des Schrankenvorbehalts 22 zum Ausdruck gebracht. Unterschiedliche Auffassungen bestehen darüber, wie das sachenrechtliche Eigentum losgelöst von der relativen Betrachtungsweise unter Berücksichtigung seiner gesetzlichen Beschränkungen zu bestimmen ist. Gemäß der sogenannten Außentheorie ist das Eigentum unabhängig von den durch die Rechtsordnung gesetzten Schranken als umfassendes, dem Begriff nach unbeschränktes Sachherrschaftsweist (Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 622), so ist dem entgegenzuhalten, daß die in Bezug genommene Stelle der Begründung insoweit nichts aussagt und im übrigen Johow gerade zwischen einer abstrakten Definition des Eigentumsbegriffs und der in § 85 TE- SachR vorgenommenen Umschreibung des Eigentumsinhalt i.S. einer Beschreibung der Eigentümerbefugnisse getrennt hat, siehe oben im Text. 19 Mittelbar oder unmittelbar, je nachdem, ob man in § 903 Satz 1 eine Definition des Eigentums sieht oder nicht, siehe vorherige Fn. 18. 20 Siehe nur BGH JZ 1989, 649 f. (649); Meier-Hayoz, FG Oftinger, 1969, 171 ff. (175); Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl., 233. 21 So die in Rspr. und Lit. häufig vorzufindende relative - bezogen auf die beschränkten dinglichen Rechte - Beschreibung des Eigentums, siehe nur BGH JZ 1989, 649 f. (649); Gierke, Deutsches Privatrecht II, 1905, 364; Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 173; Raiser, FG Sontis, 1977, 167ff. (169); Staudinger-Seiler, 12. Aufl., Vor § 903 Rz. 2; Baur/Stürner, Sachenrecht, 16. Aufl., 233; Schwab /Prütting, Sachenrecht, 25. Aufl., 125. Wenn diese ,/elative Definition" des Eigentums immer wieder auf Martin Wolff zurückgeführt wird (siehe aus jüngerer Zeit z. B. Deutsch, MDR 1988, 441 ff. (441) und Soergel-J.F. Baur, 12. Aufl., § 903, Rz. 5), so sei hier darauf hingewiesen, daß bereits Johow in seiner Einleitung zur Begründung des TE-SachR das Eigentum relativ beschrieben hat: „Die unfreie Natur kann von uns nicht als Ganzes beherrscht werden, sondern nur in bestimmter räumlicher Begrenzung, ein so begrenztes Stück derselben ist eine Sache und auf diese bezieht sich die erste Art möglicher Rechte: Das Recht an einer Sache, welches in seiner reinsten und vollständigsten Gestalt Eigenthum heißt." (Siehe Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 125). 22 Nach v. Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, 1984, 21 f. die „offene Flanke" des bürgerlichen Eigentums.
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes
recht zu begreifen, das allerdings beschränkbar ist durch von außen herantretende gesetzliche Schranken, die insoweit jedoch nichts an dem Begriff des Eigentums ändern 2 3 . Dem gegenüber steht die Auffassung der sogenannten Immanenzlehre, wonach der Begriff des Eigentums allein durch die Verbindung von Sachherrschaft einerseits und ihren Beschränkungen andererseits erfaßt werden können soll. Nach dieser Ansicht sind also die Beschränkungen des Eigentums dem Eigentumsbegriff als solchem immanent und stellen sich als Bestandteile oder Wesensmerkmale desselben dar 2 4 . Dem zwischen der Außentheorie und der Immanenzlehre bestehenden Streit über das Wesen des sachenrechtlichen Eigentums, der in der Literatur des öfteren als ein rein theoretischer bewertet w i r d 2 5 , läßt sich nicht dadurch ausweichen, daß man den Begriff des Eigentums unter Loslösung von dem Gedanken der Sachherr23
Zu den Vertretern der Außentheorie rechnen u.a. Sohm/ Mitteis /Wenger, Institutionen, 17. Aufl., 1926, 282; Peter, Wandlungen, 1949, 103 ff.; E. Wolf, Sachenrecht, 2. Aufl., 1979, 108 ff. und 110ff.; Wieling, Sachenrecht I, 1990, 262; M. Wolf UTR 12 (1990), 243 ff. (253); ders., Sachenrecht, 12. Aufl., 26ff., Rz. 49ff.; Jauernig-Jauernig, 7. Aufl., Vor § 903, Anm. 2. Aus der gemeinrechtlichen Literatur siehe nur Bremer, Das Pfandrecht und die Pfandobjekte, 1867, 144; Sintenis, Das Praktische Gemeine Zivilrecht, 1. Band, 3. Aufl., 1868, 482 und 484f.; Windscheid, Pandektenrecht, Bd. I, 7. Aufl., 492. 24
Die Immanenzlehre ist in der Literatur vorherrschend, siehe nur Jhering, Der Zweck im Recht, 3. Aufl., 1893, 1. Band, 518 ff.; O. von Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, 16; ders., Deutsches Privatrecht II, 1905, 364; Wolff, Sachenrecht, 3. Aufl., 1919, 143; Kohler, Bürgerl. Recht II 2, 1919, 120f.; Eichler, Institutionen I, 1954, 142; Staudinger-Seufert, 11. Aufl., § 906, Rz. 1 c und Vorb. § 903, Rz. 3; Pleyer, AcP 168 (1968), 407ff. (409f.); Meier-Hayoz, FG Oftinger, 1969, 171 ff. (185/ 186); RGRK-Augustin, 12. Aufl., Vor § 903, Rz. 4 und § 903, Rz. 18; H.P. Westermann, in: Westermann, Sachenrecht I, 6. Aufl., 169; Soergel-J.F. Baur, 12. Aufl., § 903, Rz. 15 ff.; Palandt-Bassenge, 54. Aufl., Überbl. v. § 903, Rz. 1; Erman-H. Hagen, 9. Aufl., § 903, Rz. 2; Schwab/Prütting, Sachenrecht, 25. Aufl., 132f.; wohl auch Müller, K., Sachenrecht, 3. Aufl., 102, Rz. 280 a. Die Immanenzlehre hat nicht nur Bedeutung in Zusammenhang mit dem Eigentum, sondern als theoretische Erklärung der Verbindung von Inhalt und Schranken eines Rechts für alle subjektiven Rechte, siehe Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, 1934, insb. 83 ff. Besondere Bedeutung hat die Immanenzlehre in Zusammenhang mit der Entwicklung einer „nationalsozialistischen Rechtsordnung" vor dem Hintergrund der Idee eines nationalsozialistischen Gemeinschaftsgedankens erlangt, siehe z. B. Siebert, a. a. O., Vorwort V und 87 f.; hierzu mit weiteren Nachweisen Kroeschell, FS H. Thieme, 1977, 34 ff. (62 f.) sowie ausführlich zum Verständnis des subjektiven Rechts im allgemeinen und des Eigentums im besonderen in der nationalsozialistischen Rechtslehre Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 1968, 336 ff. und 351 ff. 2 5 Siehe etwa Peter, Wandlungen, 1949, 103; Eichler, Institutionen I, 1954, 142, Fn. 16; Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht, 1975, 86; Georgiades, FG Sontis, 1977, 149 ff. (153); Olzen, JuS 1984, 328 ff. (329); ders., in J.F. Baur (Hrsg.), Das Eigentum, 1989, 103 ff. (104), hier allerdings in der Bewertung anders; MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 903, Rz. 16, Fn. 22. Gegen eine Bagatellisierung dieser Auseinandersetzung als „bloß theoretische" wendet sich Soergel-J.F. Baur, 12. Aufl., § 903, Rz. 19 unter Hinweis auf Begründungsschwierigkeiten der Außentheorie hinsichtlich gesetzlich nicht ausdrücklich festgelegter, aber trotzdem bestehender Verpflichtungen des Eigentümers. Zur dogmatischen Bedeutung der Frage, ob man für das Verständnis des sachenrechtlichen Eigentums von der Immanenzlehre oder der Außentheorie ausgeht, siehe nachfolgend im Text.
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
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schaft und der hieraus resultierenden Notwendigkeit einer Stellungnahme zu dem Verhältnis zwischen dem Eigentum und seinen Beschränkungen als ein Zuordnungs- oder Zugehörigkeitsverhältnis zwischen Person und Sache beschreibt 26 . In Übereinstimmung mit Wolff-Raiser ist der Lehre vom Eigentum als einer bloßen Zuordnungskategorie entgegenzuhalten, daß das gesamte Vermögensrecht durch den Gedanken der Zuordnung geprägt ist und es sich deshalb nicht um ein spezifisch eigentums- bzw. sachenrechtliches Merkmal handelt. Neben Sachen oder Rechten an Sachen werden auch andere (absolute oder relative) Rechte oder sonstige vermögensweite Güter einem Rechtsträger als Bestandteile seines Vermögens endgültig oder - wie bei allen Gebrauchsüberlassungsverträgen - auf Zeit zugeordnet 2 7 . Darüber hinaus ist die Beschreibung des Eigentumsbegriffs allein als ein
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So vor allem H. Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., 114, der das Wesen des Eigentums als „die umfassende Zuordnung der Sache, die in erster Linie volle Sachherrschaft gewährt, aber den Eigentümer auch verantwortlich macht bezüglich der Sache gegenüber der Rechtsgemeinschaft" begreift. Mit dem Aspekt der Zuordnung will H. Westermann die Zugehörigkeit einer Sache zum Vermögen des Berechtigten zum Ausdruck bringen, a. a. Ο., 9. Eichler, Institutionen I, 1954, 140 definiert das Eigentumsrecht als diejenige Rechtsmacht, „die die rechtliche Zugehörigkeit einer Sache zu einer Person gewährleistet" (ders., Die Rechtsidee des Eigentums, 1994, 17). In ausdrücklicher Abgrenzung zu H. Westermann, der sich übrigens u.a. auf Eichler beruft (Sachenrecht, 5. Aufl., 114), will Eichler mit der Formel der ,»rechtlichen Zugehörigkeit" nicht den Vorgang der Zuordnung von Rechten im Rahmen der Rechtsordnung erfassen (darin sieht er kein Spezifikum des Sachen- oder Eigentumsrechts, Institutionen I, 1954, 144 f.), sondern die Beziehung zwischen Person und Sache (a. a. O., 144 ff. und 146, Fn. 23). Die Berechtigung dieser Abgrenzung ist jedoch in Hinblick darauf in Frage zu stellen, daß auch H. Westermann den Begriff der Zuordnung i.S. der Zugehörigkeit des betreffenden Gegenstandes zum Vermögen des Berechtigten versteht (siehe oben). H. Westermann verweist zur Stützung seines Zuordnungsgedankens auch auf Wieacker, Wandlungen der Eigentumsverfassung, 1935, 25, der davon spricht: „ . . . Eigentum ist also die Zugehörigkeit der Sache zur Person,...". Auch von anderen Autoren werden H. Westermann und Wieacker aufgrund der Verwendung der Zuordnungskategorie zur Beschreibung des Eigentumsbegriffs als Vertreter einer übereinstimmenden Zuordnungslehre gesehen, so ζ. B. von Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 174, Fn. 11. Zutreffend ist das nur insofern, als auch Wieacker für die Beschreibung des Eigentums nicht auf ein Element der Herrschaft oder negativ der Ausschließung Dritter abstellt, sondern wie H. Westermann das wesentliche Charakteristikum in der Zuordnung von Sachen zu bestimmten Personen sieht. Im übrigen sind die Zuordnungslehren der beiden Autoren inhaltlich ohne jede Gemeinsamkeit: Während H. Westermann die Wesensbestimmung des Eigentums mit Hilfe des Zuordnungsgedankens frei von jeder damit verbundenen Zweck- oder Funktionsbestimmung vornimmt, ja im Gegensatz dazu die Verfügungsfreiheit über die Nutzungsart einer Sache im Rahmen des generell Zugelassenen als zum Kern des Eigentums gehörend ansieht (siehe H. Westermann, Zulässigkeit und Folgen einer Aufspaltung des Bodeneigentums in Verfügungs- und Nutzungseigentum, 1974, 36), beschreibt Wieacker in seiner oben genannten Schrift das Eigentum als „die Zugehörigkeit der Sache zur Person, deren die Person zu sachgerechtem Handeln in der Volksordnung und deren die Sache zur Erfüllung ihrer Funktionen in der Volksordnung bedarf 4 (Wieacker, a. a. O., 25). Siehe dazu auch noch unter IV. 2. a). 27 Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 4. Siehe auch Schultze-v. Lasaulx, AcP 151 (1950/51), 449 ff. (454 f.) in seiner Rezension der 1. Aufl. des Sachenrechts-Lehrbuches von H. Westermann, Eichler, Institutionen I, 1954, 145 und Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht, 1975, 73 f.
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes
Verhältnis der Zuordnung oder Zugehörigkeit einer Sache zu einer Person aus dem Grunde unzureichend, weil hiermit die mit dem Eigentum verbundene Sachherrschaft nicht genügend zum Ausdruck gebracht w i r d 2 8 . Des weiteren kann die Frage, welche Bedeutung den Schranken des Eigentums in Zusammenhang mit der Bestimmung des Eigentumsbegriffs zukommt, nicht dadurch beantwortet werden, daß man i m Wege einer Scheidung zwischen Eigentumsbegriff und Eigentumsinhalt ersteren als von der konkreten Sachherrschaft zu unterscheidende unbeschränkte und vollkommene Herrschaft über eine Sache beschreibt, während als Inhalt des Eigentums unter Einbeziehung der durch die Rechtsordnung gesetzten Beschränkungen die je nach dem Eigentumsgegenstand unterschiedlich weit ausgestaltete konkrete Sachherrschaft des Eigentümers bezeichnet w i r d 2 9 . Zwar erledigt sich mit der Trennung zwischen Begriff und Inhalt des Eigentums die Auseinandersetzung darüber, ob die Beschränkungen dem Eigentum immanent sind oder von außen an dieses herantreten 30 . Zu Recht wird jedoch eingewandt, daß eine Unterscheidung zwischen einem Begriff des Eigentums und einem Inhalt des Eigentums i m Sinne der Trennungstheorie nicht möglich i s t 3 1 . Das wird bereits dadurch bestätigt, daß die Vertreter dieser Lehre abstrakt nicht dazu Stellung nehmen, worin der Unterschied zwischen dem Begriff eines Rechts und dem Inhalt eines Rechts besteht, eine Unterscheidung, die i m übrigen 28 Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 174. 29 So die Vertreter der sogenannten Trennungstheorie (wie diese Lehre von Soergel-J.F. Baur, 12. Aufl., § 903, Rz. 18 genannt wird), siehe ζ. B. Liver, GedS Gschnitzer, 1969, 247 ff. (261 und 263): „Ist das Eigentum dem Begriffe nach die totale unmittelbare Sachherrschaft, so ist es dem Inhalt nach nur so weit beschränkt, als dem Eigentümer durch das Gesetz privat- oder öffentlich-rechtliche Verpflichtungen auferlegt sind, und wer diese geltend macht, hat zu beweisen, daß sie bestehen."; Offermann-Clas, Eigentum in den Europäischen Gemeinschaften, 1974, 10f.; Georgiades, FG Sontis, 1977, 149ff. (150f.), der allerdings unklar den Eigentumsbegriff einerseits i.S. H. Westermanns (siehe oben Fn. 26, ohne diesen in Bezug zu nehmen) als Zuordnungskategorie beschreibt und insoweit von einem formalen Rechtsbegriff spricht, andererseits jedoch über den Zuordnungsgedanken hinausgehend den Eigentumsbegriff als inhaltlichen Begriff versteht (a. a. O., 151 f.). Eichler, Institutionen I, 1954, 141 ff. wie auch H. Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., 113 ff. gehen gleichfalls von einer Trennung zwischen Begriff und Inhalt des Eigentums aus, unterscheiden sich jedoch von Liver und Georgiades dadurch, daß sie den Begriff des Eigentums nicht substantiell i.S. der Einräumung unbeschränkter Rechtsmacht beschreiben, sondern als Zuordnungskategorie (siehe oben Fn. 26). Die hier in Frage stehende Unterscheidung der Trennungstheorie zwischen Eigentumsbegriff und Eigentumsinhalt hat nichts mit der oben unter I. dargestellten Differenzierung Johows gemeinsam, der mit dem „Begriff 4 des Eigentums eine abstrakte Definition desselben meinte, während er unter dem „Inhalt" des Eigentums die Beschreibung der aus dem Eigentum fließenden Befugnisse des Eigentümers verstand (siehe unter I. und die Nachw. dort). 30 Olzen, JuS 1984, 328 ff. (329). Siehe auch Georgiades, FG Sontis, 1977, 149 ff. (153): Danach läßt die Trennung zwischen Begriff und Inhalt das „Problem der Immanenz der Eigentumsbeschränkungen in ein neues Licht treten".
31 Baur, AcP 176 (1976), 97ff. (117); Olzen, JuS 1984, 328ff. (329); ablehnend auch Soergel-J.F. Baur, 12. Aufl., § 903, Rz. 20. Der BGH verwendet die Worte Begriff und Inhalt des Eigentums synonym, siehe z. B. JZ 1989, 649 f. (649).
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bei anderen Rechten zum Zwecke ihrer Beschreibung nicht gemacht wird 3 2 . Abgesehen davon ist es mit der Regelung des § 903 Satz 1 - mag man darin nun eine mittelbare oder unmittelbare Beschreibung des Eigentums sehen33 - nicht vereinbar, losgelöst von der hier enthaltenen Verknüpfung von Sachherrschaft und Bindungen einen außerhalb der Rechtsordnung stehenden, nach Olzen „überzeitlichen naturrechtlichen" 34 Begriff des Eigentums zu konstruieren, der mit den durch die Rechtsordnung gesetzten Schranken nicht in Berührung kommen kann 35 .
2. Ablehnung der Immanenzlehre Entgegen der überwiegend vertretenen Immanenzlehre 36, die im wesentlichen damit begründet wird, daß das Eigentum als im Rahmen der Gesamtrechtsordnung verliehenes Recht nur in Verbindung mit den durch die Rechtsordnung gleichzeitig gesetzten Beschränkungen zu begreifen sei, die in Hinblick darauf, daß es im Rahmen einer Rechtsordnung „unbeschränkte und darum unintegrierbare Freiheit nicht geben kann" 37 als Bestandteile des Eigentums, als diesem immanent angesehen werden müßten mit der Folge, daß es sich bei dem Eigentumsbegriff um einen in Abhängigkeit von der Ausgestaltung der Rechtsordnung wandelbaren Begriff handelt 38 , ist der aus § 903 Satz 1 zu entnehmende sachenrechtliche Eigentumsbegriff im Sinne des außentheoretischen Erklärungskonzepts zu verstehen. Danach ist das Eigentum dem Begriff nach als ein umfassendes Recht an einer Sache39 anzuse32 Siehe Olzen, JuS 1984, 328 ff. (329). 33
Siehe oben unter I. 4 Olzen, in: J.F. Baur (Hrsg.), Das Eigentum, 1989, 103 ff. (104). 3 5 Siehe auch Baur, AcP 176 (1976), 97 ff. (117), wonach § 903 deutlich macht, daß der BGB-Gesetzgeber das Eigentum nicht als bindungslos angesehen hat. 3
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Siehe die Nachw. oben unter 1., Fn. 24. AK-BGB-Ott, § 903, Rz. 3. 38 Siehe nur Raape, JherJb 71 (1922), 97 ff. (124f.); Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 174; RGRK-Augustin, 12. Aufl., Vor § 903, Rz. 4. Siehe im übrigen die Nachw. zu den Vertretern der Immanenzlehre oben unter 1., Fn. 24. Zum Teil wird das Verständnis des Eigentums als ein „Inbegriff von Rechten und Pflichten" (Schwab/Prütting, Sachenrecht, 24. Aufl., 129) bzw. der Beschränkungen als „integrierender Teil des Eigentumsrechts" (Pleyer, AcP 168 (1968), 407 ff. (410)) in erster Linie mit der Wandlung der Rechtsordnung in diesem Jahrhundert begründet, die gekennzeichnet sei durch die Zunahme gesetzlicher Beschränkungen des Eigentums, was es ausschließe, diese noch als „zufällige oder nebensächliche Rechtserscheinung neben dem Eigentum" (Eichler, Institutionen I, 1954, 142) zu verstehen, siehe etwa Eichler, Institutionen I, 1954, 142; Pleyer, AcP 168 (1968), 407 ff. (410) weist auf die für den Eigentumsbegriff bedeutsame „normative Kraft" des Wandels der Wirtschaftsund Sozialordnung durch Zunahme der gesetzlichen Beschränkungen hin; Schwab/Prütting, Sachenrecht, 25. Aufl., 132 f. Siehe auch die einleitende Problembeschreibung bei Sontis, FS Larenz, 1973, 981 ff. (981 ff.). 37
39 Mit dem Verständnis als umfassendes Sachherrschaftsrecht verbindet sich die Ablehnung der Lehre vom Eigentum als eines reinen Ausschließungsrechts in dem Sinne, daß es keinen anderen Inhalt hat als den, Dritte von jeder Einwirkung auf die Sache auszuschließen,
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes
hen, das allerdings beschränkbar ist durch von außen herantretende gesetzliche Beschränkungen, die der Regel des umfassenden Rechts als begrenzende Ausnahmen 40
entgegentreten . woraus dann ohne weiteres die Befugnis des Ausschließungsberechtigten zu beliebigem Verfahren zu folgern sei (siehe ζ. B. Windscheid-Kipp, Pandektenrecht, Bd. I, 9. Aufl., 857, Fn. la; Schloßmann, JherJb 45 (1903), 289 ff. (insb. 327 ff. und 338); Staudinger-Seufert, 11. Aufl., § 903, Rz. 1; siehe auch Pleyer, AcP 168 (1968), 407ff. (408ff.); Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht, 1975, insb. S. 64ff.; den Beratungen der 2. Kommission zum ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches lag zu § 848 E I u.a. ein Änderungsantrag vor, nach welchem allein die Ausschließungsbefugnis des Eigentümers in eine gesetzliche Regelung aufgenommen werden sollte, siehe Prot. (2. Komm.) III, 118 f. zu 3. a). Dieser Lehre liegt im wesentlichen der Gedanke zugrunde, daß Sachen nicht Gegenstände von Rechten sein können. Letztere seien vielmehr allein als ein Verhältnis zwischen Personen zu begreifen. Die Möglichkeit zur Sachherrschaft im Rahmen des Schrankenvorbehalts folge allein daraus, daß der Eigentümer alle anderen ausschließen könnte (siehe Windscheid-Kipp, Pandektenrecht, Bd. I, 9. Aufl., 166ff.; Staudinger-Seufert, 11. Aufl., § 903, Rz. 1; Pleyer, AcP 168 (1968), 407 ff. (408 f.)). Der Ausschließungslehre ist entgegenzuhalten, daß das Eigentum nur über den positiven Eigentumsinhalt in Abgrenzung zu anderen absoluten Rechten spezifisch beschrieben und erfaßt werden kann. Aus der Befugnis zur Ausschließung allein kann nicht gefolgert werden, welche Berechtigung das Eigentum vermittelt (so schon die 2. Kommission in ihren Erwägungen zur Ablehnung des oben genannten Antrages, Prot. (2. Komm.) ΙΠ, 119; ebenso Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 174; MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 903, Rz. 6; Staudinger-Seiler, 12. Aufl., § 903, Rz. 2 i.V.m. 11; siehe auch Sontis, FS Larenz, 1973, 981 ff. (987): „Rechtsinhalt ohne ein positives Merkmal, d. h. ohne Gewährung einer Macht, ist nicht denkbar."und U. Huber, Rechtstheorie 1971, 246 ff. (249 f.), der sich gegen ein Verständnis des subjektiven Rechts allein als Ausschließungsrecht wendet und der positiven Formulierung des Eigentumsinhalts in § 903 Satz 1 „zumindest die Funktion einer sinnvollen Klarstellung" beimißt). Bemerkenswert ist denn auch, daß z. B. Schloßmann trotz seiner Auffassung, das Eigentumsrecht sei „ein Ausschliessungsrecht und nichts weiter als ein Ausschließungsrecht" (JherJb 45 (1903), 289 ff. (338)) nicht umhin kommt, zur Feststellung der „differentia specifica" (a. a. Ο., 342) im Verhältnis zu anderen dinglichen Rechten auf den Zweck abzustellen, also letztlich doch den positiven Inhalt zu berücksichtigen (a. a. O., 342 ff.). Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht, 1975, kommt zu der Einordnung des Eigentums als Ausschließungsrecht aufgrund einer von ihm sogenannten „rechtsformalen Betrachtung", mit der er allein die rechtstechnische Seite des subjektiven Rechts erfassen will. Diese formale Theorie frage nur nach dem „Wie" des Schutzes, nicht hingegen im Rahmen einer „teleologischen Betrachtung" nach dem Geschützten - dem Normzweck - , das vielmehr als vom Gesetzgeber als schützenswert anerkannte Rechtsposition vorausgesetzt werde (a. a. O., 21). Bei dieser beschränkten Betrachtung ist es allerdings nicht überraschend, wenn das Eigentum allein als Ausschließungsrecht, als „Verhaltenspflicht aller übrigen Rechtsgenossen, Beeinträchtigungen der dem Eigentümer zugeordneten sachlichen Bereiche zu unterlassen" (a. a. O., 63) verstanden wird (a. a. O., insb. 64 ff.). Die entscheidende Frage, wie die von der rechtsformalen Betrachtungsweise vorausgesetzte Rechtsposition vom Gesetzgeber als schützenswert anerkannt wird, bleibt damit unbeantwortet, weil sie nicht gestellt wird (a. a. Ο., 21) (siehe auch die Kritik von Schapp, AcP 176 (1976), 90 ff. (92)). Insoweit räumt Aicher ein, daß mit der a priori vorgenommenen Beschränkung der Fragestellung auch die Grenze der rechtsformalen Betrachtungsweise sichtbar wird: „Gewisse Ausformungen eines sozialen Sachverhaltes vermag die normative Methode nicht mehr zu erfassen, weil sie außerhalb ihres Erkenntnisgegenstandes liegen." (a. a. O., 73). 40 Sohm/Mitteis/Wenger, Institutionen, 17. Aufl., 282; Peter, Wandlungen, 1949, 103ff.; E. Wolf, Sachenrecht, 2. Aufl., 90, 108ff.; Wieling, Sachenrecht I, 1990, 262; M. Wolf, UTR
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
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Für ein Verständnis des sachenrechtlichen Eigentumsbegriffs im Sinne der Außentheorie spricht zunächst die Bestimmung des § 903 Satz 1, deren Formulierung zum Ausdruck bringt, daß die grundsätzlich unbeschränkte Herrschaft des Eigentümers als Regel angesehen wird, während die im Schrankenvorbehalt des § 903 Satz 1 genannten gesetzlichen Beschränkungen wie auch Rechte Dritter dieser im Ausgangspunkt unbegrenzten Rechtsmacht als Ausnahmen („..., soweit nicht...") gegenüberstehen41. Das hier niedergelegte Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen 12 (1990), 243 ff. (253); Jauernig-Jauernig, 7. Aufl., Vor § 903, Anm. 2. Von einer RegelAusnahme-Beziehung zwischen Eigentum und Schranken geht auch H. Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, 1970, aus, der diese Technik als ein notwendig formales Denkschema ansieht, ohne das materielle Rechtsnormen nicht formuliert werden könnten (a. a. O., 54 f.). Danach ist die Regel das totale Eigentümerbelieben, dem die Normen über das Eigentum als Ausnahmen bzw. Eingriffe entgegentreten. Schulte weist darauf hin, daß diese formale Struktur nichts darüber aussagt, ob auch „rechtsinhaltlich" von einer Ausnahme gesprochen werden kann (a. a. O., 54 f.). Zu den Vertretern der Außentheorie siehe im übrigen die Nachweise oben unter 1., Fn. 23. Wenn verschiedentlich Liver als ein Vertreter der Außentheorie bezeichnet wird (so z. B. Soergel-J.F. Baur, 12. Aufl., § 903, Rz. 16), so ist diese Einordnung in Hinblick darauf verfehlt, daß Liver i.S. der Trennungstheorie (siehe oben unter 1.) zwischen Eigentumsbegriff und Eigentumsinhalt unterscheidet (siehe Liver, GedS Gschnitzer, 1969, 247 ff. (263) und oben Fn. 29; zutreffend in der Einordnung Olzen, in J.F. Baur (Hrsg.), Das Eigentum, 1989, 103 ff. (104, Fn. 2)). 41 Peter, Wandlungen, 1949, 103, der sich allgemein auf die im BGB verwendete Ausdrucksweise beruft; Jauernig, FS Univ. Heidelberg, 1986, 87 ff. (88 i.V.m. Fn. 2); Wieling, Sachenrecht I, 1990, 262; Jauernig-Jauernig, 7. Aufl., Vor § 903, Anm. 2. Siehe auch die Erläuterungen Johows zu § 85 TE-SachR (Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 640): „Die Vollständigkeit und Ausschließlichkeit der rechtlichen Macht des Eigenthums bildet die Regel, die Beschränkung derselben die Ausnahme.". Die Ausführungen Johows zum Begriff des Eigentums sowie zu den gesetzlichen Beschränkungen des Eigentums in der Begründung seines Teilentwurfs zum Sachenrecht lassen allerdings keinen eindeutigen Schluß i.S. der Immanenzlehre oder der Außentheorie zu. Während Johow in der Einleitung seiner Begründung zum Dritten Abschnitt über das Eigentum zum Begriff des Eigentums i.S. der Außentheorie ausführt, die durch das Eigentum vermittelte Sachherrschaft sei „an sich vollkommen unbegrenzt", aber „sie gestattet Einschränkungen, ohne ihr Wesen zu ändern" (Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 619), beschreibt er die Wirkung der gesetzlichen Eigentumsbeschränkungen dahin, „daß in unmittelbarer Folge einer Vorschrift des Gesetzes in einer durch dieselbe bestimmten Beziehung die Befugniß, willkürlich über die Sache zu verfügen, oder die Befugniß, Andere von der Verfügung über dieselbe auszuschließen, nicht mit dem Eigenthum verbunden ist." (Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 624), wobei er eine Interpretation der gesetzlichen Eigentumsbeschränkungen lediglich als Ausübungsschranken ausdrücklich ablehnt (a. a. O., 624 f.). Diese Vorstellung der nicht mehr mit dem Eigentum verbundenen Befugnis spricht für die Immanenzlehre - Eigentum existiert im Umfang der Beschränkungen überhaupt nicht. Diesen Eindruck bestätigt Johow dadurch, daß er in der allgemeinen Einleitung zur Begründung des TE-SachR ein Verständnis des Eigentums i.S. der Gewährung einer unbegrenzten Macht über die Sache unter Inanspruchnahme eines (in der Formulierung etwas veränderten) Zitats von Gustav Hartmann (Rechte an eigener Sache, 1877, 75) ablehnt, wonach das Eigentum „kraft zwingender Gemeinschaftsinteressen seine festen, scharf gezogenen Grenzen nicht bloß nach der Seite seines substanziellen Gehalts, sondern auch nach der Seite seiner Sanktion und seiner zwingenden Kraft verträgt, ja fordert." (Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 130). Gustav Hartmann geht i.S. der Immanenzlehre davon aus, daß das Eigentum als „Rechtsanstalt" überhaupt nur denkbar ist in einer dasselbe anerkennenden Rechtsge-
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes
der kraft Eigentum bestehenden Rechtsmacht einerseits und den diese begrenzenden Beschränkungen andererseits impliziert die Vorstellung der Außentheorie: Würden die Beschränkungen des Eigentums dem Begriff des Eigentums als solchem immanent sein, hätte der Gesetzgeber in § 903 Satz 1 nicht von einer Regel ausgehen können, die in bestimmten Fällen durchbrochen werden kann. Eine Regel könnte es dann ebensowenig geben wie Ausnahmen zu dieser Regel. Wenn demgegenüber in Hinblick auf § 903 Satz 1 zugunsten der Immanenzlehre geltend gemacht wird, durch die Zunahme der gesetzlichen Beschränkungen des Eigentums seien jene „auf großen Gebieten fast wichtiger geworden" als dieses mit der Folge, daß § 903 Satz 1 angesichts des „wirklichen" Regel-Ausnahme-Verhältnisses irreführend sei und der Vorschrift deshalb Bedeutung allein noch als Beweislastregel zukomme 42 , so ist dem entgegenzuhalten, daß § 903 Satz 1 zwar durchaus auch als Beweislastregel angesehen werden kann 43 . Jedoch vermag die Quantität der gesetzlichen Eigentumsbeschränkungen und deren Veränderung an dem gesetzlich vorausgesetzten Begriff des Eigentums und dem danach zu bestimmenden Verhältnis zwischen dem Eigentum und seinen Beschränkungen nichts zu ändern 44. Das Verhältnis zwischen Eigentumsrecht und Eigentumsbeschränkungen ist nicht rechnerisch bzw. zahlenmäßig zu erfassen, sondern allein begrifflich 45 . Gegen das Eigentumsverständnis der Immanenzlehre und für die Außentheorie spricht des weiteren die Einheitlichkeit des sachenrechtlichen Eigentumsbegriffs. Die in § 903 Satz 1 niedergelegte Beschreibung der Eigentümerbefugnisse und der hieraus abzuleitende Eigentumsbegriff gelten für alle Sachen, also gleichermaßen für Fahrnis wie für Grundstücke und auch innerhalb dieser großen Gruppen ohne Unterschied 46. Zwar hat der Gesetzgeber im BGB besondere, Fahrnis- und Grundmeinschaft, woraus von vorneherein als ein „Moment seines Begriffs" folge, daß an den zwingenden Interessen der anerkennenden Gemeinschaft die Individualmacht ihre Grenze finden müsse (Rechte an eigener Sache, 1877, 68 f.). 42 So Schwab/Prütting, Sachenrecht, 25. Aufl., 126 und 132f.; ähnlich Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 174 f. 43 So die überwiegende Auffassung in der Literatur, siehe nur Wieling, Sachenrecht I, 1990, 262; Schwab/Prütting, Sachenrecht, 25. Aufl., 126. Aus der Entstehungsgeschichte des BGB siehe Johow zu § 85 TE- SachR, (Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 641) und Motive ΙΠ, 262. Anderer Ansicht Soergel-J.F. Baur, 12. Aufl., § 903, Rz. 14 mit der Begründung, der Eigentumsschutz realisiere sich allein nach Maßgabe besonderer Vorschriften, deren Ausgestaltung dann auch allein über die Beweislastverteilung entscheiden würde. 44 Peter, Wandlungen, 1949, 102 und 116: „Aber die Verkürzung der Eigentümerbefugnisse, oder allgemein gesagt die Verengerung des Geltungsbereichs der Privatautonomie, hat nicht unbedingt einen Umsturz der formalen Prinzipien, nach denen die Rechtswissenschaft ihren Stoff bearbeitet, zur Folge."; E. Wolf, Sachenrecht, 2. Aufl., 111; Jauernig-Jauernig, 7. Aufl., Vor § 903, Anm. 2. 45 Peter, Wandlungen, 1949, 102: „..., daß die rein zahlenmäßige Vermehrung der Eigentumsschranken seit dem 19. Jahrhundert ihre Rechtsnatur und diejenige des Eigentums nicht verändert haben kann."; E. Wolf, Sachenrecht, 2. Aufl., 111. 46 Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 157f.; Rudolph, Die Bindungen des Eigentums, 1960, 7; Stein, FS Geb. Müller, 1970, 503 ff. (508); Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I,
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
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eigentum spezifisch berücksichtigende Regeln getroffen, so hinsichtlich der Übertragung, Aufgabe und Belastung des jeweiligen Eigentums wie auch durch die nachbarrechtlichen Vorschriften der §§ 906 ff. Diese besondere rechtliche Behandlung vermag jedoch nichts an der Einheitlichkeit des vorausgesetzten Eigentumsbegriffs zu ändern, die sich beispielsweise spiegelbildlich in der allgemeinen, sachunspezifischen Geltung der Eigentumsschutzansprüche (§§ 823, 985, 1004) und dem danach ohne Rücksicht auf die Art der Sache gewährleisteten Eigentumsschutz zeigt 4 7 . Würde man für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Eigentum und seinen Beschränkungen die Vorstellung der Immanenzlehre zugrundelegen, so könnte es einen einheitlichen, für alle Sachen gleichermaßen geltenden 775 ff. (782); E. Wolf, Sachenrecht, 2. Aufl., 96ff. und llOf.; MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 903, Rz. 1 und 15: „Für das BGB ist das Eigentum an der unmittelbar persönlichen Habe, an Nahrungsmitteln und Kleidung von der gleichen Qualität wie das Eigentum an Grundstücken, Wäldern, Seen und Produktionsmitteln."; Wieling, Sachenrecht I, 1990, 262; H. P. Westermann, in Westermann, Sachenrecht I, 6. Aufl., 169. Auch bei der Entstehung des BGB ging man ohne weiteres von der Einheitlichkeit des Eigentumsbegriffs aus, siehe die Begründung Johows zu § 86 TE-SachR (Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 642) und Motive III, 258. Das BGB-Konzept eines gegenstandsindifferenten Eigentumsbegriffs ist nicht ohne Kritik geblieben: So hat bereits O. v. Gierke in seiner Stellungnahme zu dem 1. Entwurf des BGB in Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, 16 die mangelnde Differenzierung zwischen Grund und Fahrnis als „kulturfeindlichen Widersinn" bezeichnet. Späterhin hat sich Wieakker in seiner Schrift Wandlungen der Eigentums Verfassung, 1935, in welcher er nach der „Umwälzung des Jahres 1933" im Rahmen einer „Rechtserneuerungsarbeit im Gebiete des gegenwärtigen Sachenrechts" auf der Grundlage eines im „nationalsozialistischen Staat" „materiell neuartigen Wertgehalts" des Eigentums den „Versuch zu einer klaren und festen Bestimmung der Denkformen" unternahm (a. a. O., 9), für eine „entschiedene Trennung von Grundeigentum und Fahrnis" ausgesprochen (a. a. O., 10) und darüberhinaus allgemein eine Differenzierung der Eigentumsordnung nach unterschiedlichem Eigentum entsprechend den „gegenständlichen Sachgütertypen des Lebens" befürwortet (a. a. O., 22 ff. (27)). Siehe hierzu auch noch unter IV. 2. a). Verwiesen sei auch auf Schultze-von Lasaulx, AcP 151 (1950/ 51), 449 ff. (454), der eine Loslösung von dem „stark entleerten allgemeinen Eigentumsbegriff' zwecks stärkerer Berücksichtigung der unterschiedlichen Einordnung eines Gegenstandes in einen bestimmten Nutz- und Verwendungsbereich fordert, um so zu einer dogmatisch sachgemäßeren Erfassung verschiedener Eigentumsarten zu gelangen. Siehe demgegenüber zur Verteidigung des einheitlichen Eigentumsbegriffs Liver, GedS Gschnitzer, 1969, 247 ff. (258 ff.). Zur Einheit des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs siehe Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl., 127 f., der die These eines differenzierten verfassungsrechtlichen Eigentums (siehe Nachw. a. a. O., 127, Fn. 37) mit der Begründung ablehnt, verschiedene „Eigentumskategorien" könnten „auf die Dauer schutzmindernd und eigentumsfeindlich" wirken, (a. a. O., 128). 47 Siehe Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 175 f. unter Nennung weiterer Regelungsbereiche, die mit der Zugrundelegung eines einheitlichen Eigentumsbegriffs verbunden sind; Soergel-J.F. Baur, 12. Aufl., § 903, Rz. 23. Peter, Wandlungen, 1949, 90 f. sieht indes unter Hinweis auf die im BGB getroffenen Differenzierungen zwischen Fahrnis und Grundeigentum unter Vernachlässigung der in § 903 Satz 1 zugrunde gelegten Einheitlichkeit des Eigentumsbegriffs eine „scharfe Trennung von Liegenschafts- und Fahrnisrecht" verwirklicht. Im Gegensatz dazu steht die Bewertung von Heck, Sachenrecht, 1930, 9, wonach der in modernen Rechten angelegte Gegensatz zwischen Fahrnis und Grundeigentum auf einem mehr äußerlichen Unterschied beruht, „auf dem Unterschied der Rechtszeichen, Buchung und Besitzänderung". Demgegenüber seien die „tiefer liegenden Probleme" gemeinsam.
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes
Eigentumsbegriff nicht geben48. Vielmehr wäre mit dieser Vorstellung eine „Atomisierung" des Sach-"Eigentums"49,in dem Sinne verbunden, daß in Abhängigkeit von der Art der Sache und den insoweit geltenden gesetzlichen Regelungen (Beschränkungen) ihrer rechtlichen Natur nach unzählig viele unterschiedliche „Herrschaftsrechte" bestünden50. Denn die Berücksichtigung der Beschränkungen als Eigentumsbestandteil schließt es wegen der sachbezogen unterschiedlich bestehenden gesetzlichen Regelungen aus, hier noch von einem für alle Sachen einheitlichen Eigentumsbegriff zu sprechen. Allein die Außentheorie steht deshalb mit dem im BGB vorausgesetzten, für alle Sachen gemeinsamen Eigentumsbegriff in Einklang. Einem Verständnis des Eigentums im Sinne der Immanenzlehre steht auch die in § 1004 zum Ausdruck gelangende gesetzgeberische Konzeption eines zweistufigen Tatbestandsaufbaus entgegen. Danach ist ein an sich gemäß § 1004 Abs. 1 wegen einer (drohenden) Beeinträchtigung des Eigentums bestehender Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch auf der Grundlage von § 1004 Abs. 2 ausgeschlossen, sofern der Eigentümer zur Duldung der Beeinträchtigung verpflichtet ist. Duldungspflichten folgen für den Eigentümer unter anderem aus gesetzlichen Beschränkungen des Eigentums, mögen diese allgemeiner Natur sein wie etwa die gesetzlich geregelten Rechtfertigungsgründe oder aber spezifisch ausgerichtet sein auf bestimmte Sacharten wie beispielsweise die auf Grundstücke bezogenen nachbarrechtlichen Vorschriften der §§ 906 ff. 51 . Unter Zugrundelegung der Immanenzlehre könnte das Gesetz nicht zunächst von einer Beeinträchtigung des Eigentums i. S. d. § 1004 Abs. 1 ausgehen, die für den Fall des Bestehens einer Duldungspflicht nach § 1004 Abs. 2 gleichwohl keinen Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1 begründet. Wegen der dem Eigentum begrifflich immanenten Beschränkungen würde bis zur Grenze der Schranken Eigentum überhaupt nicht existieren. Aus diesem Grunde wäre es ausgeschlossen, von einer Beeinträchtigung des Eigentums zu sprechen: Beeinträchtigungsfähiges Eigentum läge unter konsequenter Anwen-
48 Zutreffend Liver, GedS Gschnitzer, 1969, 247 ff. (262); Wieling, Sachenrecht I, 1990, 262. 49 O. v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, 22 hat den Eigentumsbegriff des BGB als „atomistisch" bezeichnet und meinte damit etwas anderes: die Anerkennung des Eigentums als Herrschaftsrecht allein an Einzelsachen, nicht an Sachgesamtheiten. Der BGH hat diesen „atomistischen" Eigentumsbegriff allerdings zum Teil eingeschränkt, siehe im Zweiten Teil, 1. Kap. unter II. 2. b) (2), Fn. 128. 50 So auch Liver, GedS Gschnitzer, 1969, 247 ff. (262), wonach die Immanenzlehre zur völligen Auflösung des Eigentumsbegriffs führt. Rüthers spricht in Zusammenhang mit der von der nationalsozialistischen Rechtslehre entwickelten Vorstellung eines Funktionseigentums (siehe dazu noch folgend unter IV. 2. a), die zwangsläufig auch zur Abkehr von dem einheitlichen Eigentumsbegriff des BGB führte, von der „Auflösung des einheitlichen Eigentumsbegriffes in zahllose Zweckgebundenheiten", siehe Die unbegrenzte Auslegung, 1968, 355, Fn. 26. 51 Siehe nur MünchKomm-Medicus, 2. Aufl., § 1004, Rz. 49ff. (52); Palandt-Bassenge, 54. Aufl., § 1004, Rz. 3Iff.
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dung der Immanenzlehre im Binnenbereich der Schranken gar nicht vor. Trotz der danach bestehenden Unvereinbarkeit von Immanenzlehre und zweigliedrigem Tatbestandsaufbau des § 1004 ordnen die Vertreter der Immanenzlehre allerdings häufig in Widerspruch zu dieser, aber in Einklang mit der gesetzlichen, allein einem außentheoretischen Eigentums Verständnis entsprechenden Konzeption des § 1004 gesetzliche Beschränkungen als Duldungspflichten i. S. d. § 1004 Abs. 2 ein, obwohl auf der Grundlage der Immanenzvorstellung bereits das Vorliegen einer Beeinträchtigung des Eigentums i.S.v. § 1004 Abs. 1 verneint werden müßte52. Die Zusammenfassung von Sachherrschaftsmacht und ihren Beschränkungen unter den einen Begriff des Eigentums ist des weiteren in Hinblick darauf ausgeschlossen, daß Beschränkungen eines Rechts - hier des Eigentums - als solche nur erfaßbar sind, wenn sie etwas beschränken, d. h. einen weitergehenden Rechtskreis des Berechtigten von außen einengen. Zutreffend geht E. Wolf davon aus, daß „eine Beschränkung des Eigentumsrechts... nur möglich (ist), wenn der Inhalt des Eigentumsrechts ohne diese Beschränkung nicht beschränkt ist" 5 3 . In konsequenter Fortführung dieser Überlegung ist Kohler als ein Vertreter der Immanenzlehre denn auch der Auffassung, daß es verfehlt sei, von Beschränkungen des Eigentums zu sprechen, da hierdurch der unrichtige Schein erweckt werde, als handele es sich um ein von außen einwirkendes fremdes Element 54 . Logisch lassen sich ein Recht einerseits und seine Beschränkungen andererseits nicht als eine inhaltliche Einheit auffassen 55. Schließlich sei hervorgehoben, daß die hier befürwortete Außentheorie ebensowenig wie die Immanenzlehre - deren Ziel es gerade ist, vor dem Hintergrund der gesetzlicherseits bestehenden Beschränkungen bereits im Begriff des Eigentums auch die aus den Beschränkungen folgende Pflichtengebundenheit des Eigen52 Siehe ζ. B. RGRK-Augustin, 12. Aufl., Vor § 903, Rz. 4 einerseits und § 906, Rz. 89 andererseits; Soergel- J.F. Baur, 12. Aufl., § 903, Rz. 15 ff. und 20 einerseits, § 903, Rz. 45 und § 906, Rz. 6 betreffend die gesetzliche Eigentumsbeschränkung des § 906 andererseits; Palandt-Bassenge, 54. Aufl., Überbl. v. § 903, Rz. 1 einerseits und § 1004, Rz. 31, 32 i.V.m. 34 andererseits; Erman-H. Hagen, 9. Aufl., § 903, Rz. 2 einerseits und § 906, Rz. 5 andererseits. Anders Staudinger-Seiler, 12. Aufl., § 903, Rz. 30 in Zusammenhang mit allgemeinen Ausführungen zu den Wirkungen der Eigentumsbeschränkungen, wonach der Eigentümer im Umfang der Beschränkungen die ihm zustehenden Rechtsbehelfe „mangels Eigentumsverletzung" nicht geltend machen kann. Ebenso AK-BGB-Kohl, § 1004, Rz. 33, der gleichfalls im Umfang der gesetzlichen Beschränkungen das Vorliegen einer Beeinträchtigung verneint und hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit dieser auf der Immanenzlehre beruhenden Auffassung mit dem zweigliedrigen Tatbestandsaufbau des § 1004 kurzerhand davon ausgeht, diese Konzeption sei für den Regelfall nicht vertretbar. 53 E. Wolf, Sachenrecht, 2. Aufl., 111. Siehe auch Liver, GedS Gschnitzer, 1969, 247 ff.
(262).
54 Siehe Kohler, Bürgerl. Recht I I 2, 1919, 120. 55 Liver, GedS Gschnitzer, 1969, 247 ff. (262); E. Wolf, Sachenrecht, 2. Aufl., 111. Siehe auch H. Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, 1970, 54, wonach einer Charakterisierung des Eigentums als eines Rechts mit „beschränktem Inhalt" entgegensteht, daß Regel und Ausnahme nicht gleichzeitig formuliert werden können.
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tümers zum Ausdruck zu bringen und dadurch einen der Rechtswirklichkeit nahestehenden, anschaulichen Eigentumsbegriff zu gewinnen 5 6 - verkennt, daß das Eigentum als ein Recht i m Rahmen der Rechtsordnung verliehen ist und damit auch den durch die Rechtsordnung gesetzten Schranken unterliegt. Ein entsprechender Vorwurf wird allerdings häufig von Vertretern der Immanenzlehre erhoben 5 7 . Dem ist entgegenzuhalten, daß die Befürworter eines i m Sinne der Außentheorie dem Begriffe nach unbeschränkten Eigentums in Vergangenheit und Gegenwart immer zugleich - wenn auch in variierenden Formulierungen - die Beschränkbarkeit des Eigentums i n Hinblick darauf hervorgehoben haben bzw. heben, daß das Eigentum als Herrschaftsrecht, was denn auch in der Formulierung des § 903 Satz 1 Ausdruck gefunden hat, nur innerhalb der Rechtsordnung und damit der durch diese gesetzten Schranken Bestand haben k a n n 5 8 .
56 Meier-Hayoz, FG Oftinger, 1969, 171 ff. (186); Schwab/Prütting, Sachenrecht, 25. Aufl., 126 und 132 f. 57 So hat sich bereits O. v. Gierke in seinem Vortrag über Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, 16 bezogen auf § 848 E I (zu dessen Wortlaut siehe oben unter I., Fn. 12) gegen den „absolutistische(n) Begriff des Eigenthums, wie er in unseren Pandektenlehrbüchern sich spreizt und vom deutschen Entwurf in die legale Form gebracht wird" gewendet und in dieser „ausschließliche(n) Willkürherrschaft" eine „gemeingefährliche Fiktion" gesehen, welche „die Beschränkungen zu Singularitäten" stempelt. Auch heute wird die Immanenzlehre von ihren Vertretern immer noch einer Auffassung gegenübergestellt, welche „die Schrankenlosigkeit des Eigentumsbegriffs verteidigt" (siehe etwa Schwab /Prütting, Sachenrecht, 25. Aufl., 133). Rechtsgeschichtlich ordnen Befürworter der Immanenzlehre das Eigentumsverständnis derselben häufig als deutschrechtliche Eigentumsvorstellung ein und stellen dem ein (ihrer Auffassung nach der Außentheorie entsprechendes) römischrechtliches Eigentumsverständnis gegenüber, das sich durch die Einräumung schrankenloser Herrschaftsbefugnisse ausgezeichnet habe, siehe nur O. v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, 15 f.; ders., Deutsches Privatrecht II, 1905, 359f.; Schreuer, Deutsches Privatrecht, 1921, 140ff.; Lueg, Sozialbindung des Eigentums und Bürgerliches Sachenrecht, 1975, insb. 4ff.; siehe im übrigen die Nachw. bei Kroeschell, FS H. Thieme, 1977, 34 ff. (34 f.). Kritisch zu dieser „Konfrontation eines römisch-rechtlichen und eines deutschrechtlichen Eigentumsbegriffs" unter Hinweis darauf, daß sich aus den antiken Quellen kein römischrechtlicher Eigentumsbegriff entnehmen lasse, der in Hinblick auf die Frage der Bindungsfreiheit in einen deutlichen Gegensatz zu einem deutschrechtlichen Eigentumsbegriff gestellt werden könne, Mayer-Maly, FS Hübner, 1984, 145 ff. (151). Siehe auch Molitor, FS A. Schultze, 1934, 33 ff. (33 i.V.m. Fn. 3) unter Hinweis u.a. auf Siber, Schranken der privaten Rechte, 1926, 26 und Inst. 1.8.2 i.i.: Sed hoc tempo re nullis hominibus, qui sub imperio nostro sunt, licet sine causa legibus cognita et supra modum in servos suos saevire (in der Übersetzung von Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler, Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung, I: Institutionen (1990): Aber in heutiger Zeit ist es keinem, der unter unserer Herrschaft lebt, erlaubt, an seinen Sklaven ohne gesetzlich anerkannten Grund und ohne Maß seinen Zorn auszulassen); F. Schulz, Prinzipien des Römischen Rechts, 102f.; Kübler, AcP 159 (1960), 236ff. (245, Fn. 61). Kroeschell, FS H. Thieme, 1977, 34 ff. wendet sich auch unter dem Gesichtspunkt gegen eine Polarisierung zwischen einem römischrechtlichen und einem deutschrechtlichen Eigentumsbegriff, daß es sich bei der „Lehre vom pflichtgebundenen, konkreten germanischen Eigentum" (a. a. O., 46) i.S. Gierkes und anderer nicht um die Beschreibung eines konkreten Rechtsinstituts, sondern allein um eine „nicht weiter ableitbare rechtspolitische Grundüberzeugung" handele (a. a. O., 46 ff., insb. 60).
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Erscheint danach insoweit - wie auch in der Literatur verschiedentlich betont wird - die Auseinandersetzung zwischen Immanenzlehre und Außentheorie über die ,»richtige" Bestimmung des Eigentumsbegriffs als eine theoretische 59 ohne praktischen W e r t 6 0 und das heißt, ohne Konsequenz für die Rechtsanwendung 61 , so ist allerdings festzuhalten, daß der Entscheidung zwischen Immanenzlehre und Außentheorie - wie aufgezeigt - durchaus dogmatische Bedeutung i m Rahmen der geltenden Konzeption des BGB zukommt und insoweit allein die Außentheorie mit dem i m Gesetz zum Ausdruck gelangenden sachenrechtlichen Eigentumsverständnis in Einklang steht.
58 Peter, Wandlungen, 1949, 99ff. (insb. 101 f.); Jauernig-Jauernig, 7. Aufl., Vor § 903, Anm. 1 und 2; Wieling, Sachenrecht I, 1990, 262. Aus der Pandektenwissenschaft sei vor allem verwiesen auf Windscheid, Pandektenrecht, Bd. I, 7. Aufl., 492: „Das Eigenthum ist als solches schrankenlos; aber es verträgt Beschränkungen.". Windscheid fügt im folgenden hinzu, daß in „die vollständige Definition des Eigenthums die Kategorie des ,an sich' aufzunehmen" sei, a. a. O., 492, Fn. 5. Auf S. 495 a. a. O. heißt es dann zu Beginn seiner Darstellung der gesetzlichen Beschränkungen: „Die rücksichtslose Durchführung der Consequenz des Eigenthumsbegriffes ist ohne erhebliche Uebelstände nicht möglich; kein positives Recht wird umhin können, von dieser Consequenz Dieses oder Jenes abzubrechen, ...". Siehe im übrigen noch Vangerow, Pandekten, Band 1, 3. Aufl., 477, Anm. 1; Puchta, Pandekten, 9. Aufl., 219 und 220; Arndts, Pandekten, 6. Aufl., 193; Baron, Pandekten, 3. Aufl., 204f. Dazu, daß das (viel gescholtene) Eigentumsverständnis der Pandektisten von einem „an sich" unbegrenzten Eigentum nicht auf der Vorstellung eines jeglicher Grenzen enthobenen Herrschaftsrechts beruhte, sondern das Ergebnis einer deduktiven Begriffsbildung in der Gegenüberstellung von Eigentum einerseits und ius in re aliena andererseits war, siehe Peter, Wandlungen, 1949, 111 ff. Auch Kroeschell, FS H. Thieme, 1977, 34 ff. weist darauf hin, daß der Pandektenwissenschaft die gesetzlichen Eigentumsbeschränkungen stets vor Augen standen. Anders als Peter, Wandlungen, 1949, 11 Iff. erklärt Kroeschell den pandektistischen Eigentumsbegriff nicht als Folge einer methodischen Begriffsbildung, sondern als Ausdruck und Vollziehung des bürgerlichen Liberalismus, der sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Rahmen der bürgerlichen Verfassungsbewegung in einem verfassungsmäßigen Schutz des Eigentums niedergeschlagen hat (a. a. O., 34 ff., insb. 41 ff. und 46). 59 Peter, Wandlungen, 1949, 103; Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht, 1975, 86; MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 903, Rz. 16, Fn. 22. Siehe auch schon oben Fn. 25. 60 Olzen, JuS 1984, 328 ff. (329); etwas anders in der Bewertung aber ders., in: J.F. Baur (Hrsg.), Das Eigentum, 1989, 103 ff. (104). 61 So Meier-Hayoz, FG Oftinger, 1969, 171 ff. (186). Jedenfalls die durch das Eigentum vermittelte tatsächliche Rechtsmacht (Wieling, Sachenrecht I, 1990, 262, spricht von einem „faktischen Eigentum") bleibt sicherlich jeweils dieselbe. 12 Boecken
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes
I I I . Zur positiven Seite des Eigentumsinhalts: Insbesondere die Sachnutzungsbefugnis und deren Realisierung durch konkrete Sachnutzung 1. Befugnis zur Sachnutzung als bedeutender Eigentumsinhalt Im Anschluß an die in § 903 Satz 1 enthaltene Beschreibung der Eigentümerbefugnisse wird zwischen einer positiven und einer negativen Seite des Eigentumsinhalts unterschieden62. Während mit der negativen Seite die Ausschließungsbefugnis des Eigentümers erfaßt wird, die mangels Anspruchsqualität des § 903 Satz l 6 3 über besondere gesetzliche Anspruchsgrundlagen und Rechtsbehelfe zu verwirklichen ist 6 4 , ist mit der positiven Seite die Befugnis des Eigentümers angesprochen, mit der Sache nach Belieben verfahren zu können. Dem Eigentümer wird hierdurch nicht nur eine bestimmte Summe verschiedener Einzelbefugnisse eingeräumt 65 . Vielmehr stehen ihm aufgrund des positiven Eigentumsinhalts - darin erweist sich denn auch die Charakterisierung des Eigentums als Grundlage persönlicher Freiheit 66 - alle im Rahmen der Rechtsordnung in Hinblick auf eine Sache nur möglichen, nicht vollständig zu beschreibenden67 Befugnisse zu 68 . Hinsichtlich der mit dem Eigentum eingeräumten umfassenden Herrschaftsmacht an einer Sache69 wird unterschieden zwischen einer rechtlichen und einer tatsächlichen Verfügungsmacht des Eigentümers 70. Kraft der rechtlichen Verfü62 Siehe nur MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 903, Rz. 5 f. Der BGH spricht von der Zuordnung positiver und negativer Befugnisse (JZ 1989, 649 f. (649)); so auch Wieling, Sachenrecht I, 1990, 261 f. und Müller, K., Sachenrecht, 3. Aufl., 106 f., Rz. 284 ff. Andere unterscheiden zwischen einem positiven und negativen Eigentumskern (Erman-H. Hagen, 9. Aufl., § 903, Rz. 1) oder innerer und äußerer Richtung bzw. Rechtsmacht (siehe Schwab/ Prütting, Sachenrecht, 25. Aufl., 125 und Staudinger-Seiler, 12. Aufl., § 903, Rz. 2). Zum Verhältnis zwischen der positiven und der negativen Seite des Eigentums siehe noch unter V. 63 Siehe Staudinger-Seiler, 12. Aufl., § 903, Rz. 6. 64 Staudinger-Seiler, 12. Aufl., § 903, Rz. 12. 65 Siehe Johow, Begr. zu § 85 TE-SachR (Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 640); Motive III, 262; Windscheid- Kipp, Pandektenrecht, Bd. I, 9. Aufl., 857; Olzen, in J.F. Baur (Hrsg.), Das Eigentum, 1979, 103 ff. (110); Wieling, Sachenrecht I, 1990, 261; Schön, Der Nießbrauch an Sachen, 1992, 10 f. 66 Siehe hier nur Jauernig-Jauernig, 7. Aufl., § 903, Anm. 2. Zu der in der positiven Seite des Eigentums zum Ausdruck gelangenden freiheitsgewährenden Funktion des Eigentums siehe noch näher unter IV. in Zusammenhang mit der Abgrenzung zu einem mit § 903 Satz 1 nicht zu vereinbarenden Funktionseigentum. 67 Staudinger-Seiler, 12. Aufl., § 903, Rz. 10. 68 M. Wolf, Sachenrecht, 12. Aufl., 20, Rz. 37 sieht darin „die umfassende Generalerlaubnis für alle mit einer Sache denkbaren Verwendungsmöglichkeiten". 69 Siehe oben unter II. 2., dort auch zur Ablehnung der Lehre vom Eigentum als eines bloßen Ausschließungsrechts, siehe Fn. 39. 70 BGH JZ 1989, 649f. (649); Eichler, Institutionen I, 1954, 147; Staudinger-Seufert, 11. Aufl., § 903, Rz. 11 f.; Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, 1972, 83; RGRK-Au-
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
179
gungsmacht steht dem Eigentümer die Befugnis zu, rechliche Maßnahmen in Bezug auf das Eigentum an der Sache zu treffen, dieses also beispielsweise mit beschränkten dinglichen Rechten Dritter zu belasten, das Eigentum auf Dritte zu übertragen oder auch aufzugeben 71. Die dem Eigentümer mit der tatsächlichen Verfügungsmacht eingeräumten Befugnisse beinhalten insbesondere das Besitzen und Benutzen der Sache72, darüber hinaus aber auch die Möglichkeit zur beliebigen Sachveränderung bis hin zur Sachzerstörung 73. Diese unterschiedlichen Befugnisse, sprich Realisierungsmöglichkeiten tatsächlicher Verfügungsmacht, stehen in ihrer eigentumsinhaltlichen Fundierung gleichrangig nebeneinander. Sie sind qualitativ Ausfluß ein und desselben (Eigentums-)Rechts und unterliegen damit eigentumsinhaltlich keinem „Rangverhältnis" im Sinne einer Differenzierung zwischen „höherwertigen" und „geringerwertigen" Befugnissen. Dies folgt aus § 903 Satz 1, der mit der Einräumung des Verfahrens nach Belieben im Rahmen des Schrankenvorbehalts und der daraus abzuleitenden Eigentümerwahlfreiheit 74 zwischen den verschiedenen Befugnissen eine Abstufung in der „Eigentumsqualität" derselben ausschließt. Auch die häufig anzutreffende Charakterisierung der tatsächlichen Verfügungsmacht dahingehend, daß sich diese vor allem im Besitzen und Benutzen der Sache äußere 75, geht von der Vorstellung der Gleichrangigkeit aus. Ansonsten wäre es kaum möglich, diese unterschiedlichen Befugnisse zum Zwecke der Beschreibung tatsächlicher Verfügungsmacht ohne Einschränkung beispielhaft nebeneinander zu stellen. Über die Gleichrangigkeit der jeweils auf eine Sache bezogen bestehenden Befugnisse zur Realisierung tatsächlicher Verfügungsmacht hinaus folgt aus der Einheitlichkeit des sachenrechtlichen Eigentumsbegriffs 76 bezogen auf verschiedene Sachen, daß die dem Eigentümer eingeräumten Befugnisse im Ausgangspunkt identisch sind 77 . Der Eigentümer kann sachunspezifisch kraft des Eigentums zugustin, 12. Aufl., § 903, Rz. 20; Staudinger-Seiler, 12. Aufl., § 903, Rz. 10; Palandt-Bassenge, 54. Aufl., § 903, Rz. 5; Müller, K , Sachenrecht, 3. Aufl., 106, Rz. 285 f. 71 Siehe nur Staudinger-Seiler, 12. Aufl., § 903, Rz. 10; Soergel-J.F. Baur, 12. Aufl., § 903, Rz. 33; Müller, K., Sachenrecht, 3. Aufl., 106, Rz. 286. 72 So die häufig anzutreffende Beschreibung der tatsächlichen Verfügungsmacht, siehe ζ. B. BGH JZ 1989, 649 f. (649) und aus der Literatur Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 175; RGRK-Augustin, 12. Aufl., § 903, Rz. 20; H.P. Westermann, in: Westermann, Sachenrecht I, 6. Aufl., 169 f. Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (782) stellt ein „statisches Haben" der Sache einerseits und deren Gebrauch andererseits gegenüber. Siehe auch Hedemann, DNotZ 1952, 6 ff. (7), der zwischen einem „ruhigen Haben" und einem „Ausnützen dürfen" des Eigentums unterscheidet. 73 Peter, Wandlungen, 1949, 106; H.P. Westermann, in: Westermann, Sachenrecht I, 6. Aufl., 167; Schwab/Prütting, Sachenrecht, 25. Aufl., 125; Müller, K., Sachenrecht, 3. Aufl., 106, Rz. 285. 74 Zur Eigentümerfreiheit als Entscheidungsfreiheit siehe noch unter IV. 1. 75 Siehe oben im Text und Fn. 72. 76 Siehe oben unter II. 2. 77 Vgl. MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 903, Rz. 15. 1*
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes
nächst einmal jede Sache insbesondere besitzen, nutzen, verbrauchen oder auch verändern, wobei der Umfang der jeweiligen Realisierungsmöglichkeit auf der Grundlage des in § 903 Satz 1 enthaltenen Schrankenvorbehalts je nach Art der Sache und diesbezüglich bestehenden Beschränkungen unterschiedlich weit sein kann 78 . Insoweit läßt sich von einem „egalitären Eigentumsinhalt" sprechen: Unabhängig von der Art der Sache und ohne Ansehen ihres Wertes kann der Eigentümer im Rahmen bestehender Schranken nach Belieben verfahren 79. Stehen die verschiedenen Möglichkeiten zur Realisierung tatsächlicher Verfügungsmacht auch rechtlich gleichrangig nebeneinander, so kommt doch der Befugnis zur Sachnutzung in tatsächlicher Hinsicht eine herausgehobene Bedeutung zu. Nicht der bloße Besitz, das „Haben" einer Sache ist es, der als Ausfluß des Eigentumsrechts in erster Linie für den Eigentümer von Interesse ist - das Eigentum dient keinem Selbstzweck80 - , sondern die Nutzung der Sache zu beliebigen Zwekken, mögen diese wirtschaftlicher oder sonstiger Art sein, wobei der Eigentümer den wirtschaftlichen Nutzungswert der Sache durch Eigennutzung oder durch entgeltliche Gebrauchsüberlassung an Dritte realisieren kann 81 . „Eigentum haben wir" - wie Diederichsen formuliert - „um der darin gespeicherten Gebrauchsmöglichkeit willen" 8 2 und es verwundert deshalb nicht, wenn über eine allgemeine Charakterisierung des Eigentums als Freiheitsverbürgung oder Freiheitsgrundlage hinausgehende konkretere Beschreibungen des Zwecks oder der Funktion des Sacheigentums vor allem auf die damit eingeräumte Gebrauchs-bzw. Nutzungsbefugnis abstellen83. 78 Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (782) weist etwa auf die aus der Einheitlichkeit des Eigentumsbegriffs zu folgernde durchgängige, d. h. bei allen Sachen bestehende Befugnis zum Sachgebrauch hin. Zu dem Verhältnis zwischen dem Eigentum und seinen Beschränkungen siehe oben unter II. 79 MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 903, Rz. 15 formuliert dahin, daß „für das BGB ... das Eigentum an der unmittelbar persönlichen Habe, an Nahrungsmitteln und Kleidung von der gleichen Qualität wie das Eigentum an Grundstücken, Wäldern, Seen und Produktionsmitteln (ist).". 80 Siehe Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 121; Keibel, Eigentumsverletzung, 1984, 37. 81 Siehe Heck, Sachenrecht, 1930, 210; M. Wolf, Sachenrecht, 12. Aufl., 45, Rz. 80. Zum Begriff der Sachnutzung siehe noch unter 2. 82 FS Klingmüller, 1974, 65 ff. (85). Diederichsen lehnt auf der Grundlage dieser im Rahmen einer schadensersatzrechtlichen Betrachtung getroffenen Feststellung sowie der Hinzufügung, daß der Substanzwert einer Sache nichts anderes sei als die zusammengezogenen Nutzungswerte, eine abstrakte Nutzungsentschädigung ab. Zur Abgrenzung zwischen der Problematik einer abstrakten Nutzungsentschädigung und dem hier in Frage stehenden deliktsrechtlichen Eigentumsschutz gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen siehe im Ersten Teil, 1. Kap. unter IV. 83 Siehe ζ. B. Heck, Sachenrecht, 1930, 3: „Die Lebensbedeutung des Eigentums besteht in der Möglichkeit einer vergleichsweise freien Herrschaft und Nutzung der Sachgüter."; Heubel, Entziehende Einwirkungen im Nachbarrecht, 1969, 137: „..., was das Eigentum wertvoll macht, ist die Möglichkeit, die eigene Sache zu benutzen."; Liver, GedS Gschnitzer, 1969, 247 ff. (247): „Das Eigentum ist die Freiheit der Benutzung einer Sache und der Verfü-
1. Kap. : Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
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Unzutreffend ist es allerdings, wenn das Erkennen der Bedeutung des Eigentums als eines Rechts, welches dem Eigentümer auch und vor allem die Befugnis zur Sachnutzung einräumt, als eine neuere Entwicklung dargestellt und ζ. B. davon gesprochen wird, das „alte Eigentum" sei auf ein ,ruhiges Haben" eingestellt gewesen, während heute nicht das Haben, sondern das „Ausnützen dürfen" in erster Linie stehe. Das Eigentum habe sich von einer „statischen" zu einer „dynamischen Größe" entwickelt 84 . Bereits das Reichsgericht hat in einer frühen, auf der Grundgung über sie."; Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (782): „Zum Inhalt des Eigentums gehört danach durchgängig nicht nur ein gewissermaßen statisches Haben der Sache, sondern darüber hinaus auch die Befugnis, mit der Sache in bestimmten Grenzen nach eigener Entscheidung verfahren, insbesondere sie gebrauchen zu können."; AK-BGB- Ott, § 903, Rz. 1: „Das Eigentum weist die Sache dem Eigentümer zu umfassender Nutzung und Verwertung zu (sog. positive Eigentumswirkung) ..."; Olzen, in J.F. Baur (Hrsg.), Das Eigentum, 1989, 103 ff. (112) bezeichnet „Verfügungsmacht und Nutzungsrecht" als wesentliche Eigentumskomponenten; M. Wolf, Sachenrecht, 12. Aufl., 45, Rz. 80. 84 So Hedemann, DNotZ 1952, 6 ff. (7 und 13), der den Beginn dieser „Wandlung" des Eigentums in die Zeit des Ersten Weltkrieges datiert (a. a. O., 13). Die These von dem Erkennen der Nutzungsfunktion des Eigentums als einer neueren Entwicklung wird gerade auch von Autoren vertreten, die sich mit dem Problem eines Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen befassen: So heißt es bei AK-BGB-Joerges, § 823, Rz. 12: „Im Vordergrund des Interesses steht jedoch heute der Schutz von Eigentumsfunktionen, auf die der herkömmliche Eigentumsbegriff nicht zugeschnitten ist.". Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 121 führt aus: „Nach den heutigen, zunehmend wirtschaftlich orientierten Anschauungen steht nicht mehr so sehr im Vordergrund das „Haben" einer Sache, sondern die Ausnutzung der in der Sache liegenden Verwendungsfunktion.". Deneke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, 1987, 66 setzt sich für einen Schutz der Grundstücksnutzung auch gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen unter Bezug auf die Fleetfall-Entscheidung des BGH (BGHZ 55, 153 ff.) mit der hieraus gezogenen Schlußfolgerung ein: „Diese Entwicklung des Deliktsrechts deutet darauf hin, daß man Eigentum im Zivilrecht verstärkt nicht mehr als bloße Verkörperung der Sachsubstanz anzusehen hat, sondern auch die dem Gegenstand innewohnende Funktion berücksichtigen muß.". Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979, beschreibt einen von der vorstehenden These zu unterscheidenden „Funktionswandel des Eigentums" dahingehend, die Sachfunktion von Mobilien sei heute aufgrund wirtschaftsorganisatorischer Veränderungen in dem Sinne in den Vordergrund getreten, daß es nicht mehr wichtig sei, wem eine Sache als Eigentum gehöre, sondern vielmehr, wer sie wirtschaftlich zu nutzen berechtigt ist (a. a. O., 496 f. unter Hinweis auf die mit der Massenproduktion technisch genormter Erzeugnisse entstandene Austauschbarkeit von Sachen und die u.a. daraus resultierende Zunahme von Gebrauchsüberlassungsverträgen). Aber auch diese These eines Funktionswandels des Eigentums überzeugt nicht: Sehr wohl ist auch im Zeitalter der Gebrauchsüberlassung und vor allem dadurch ermöglichter wirtschaftlicher Nutzung fremder Sachen maßgebend, wer ihr Eigentümer ist. Denn dieser überläßt sein Eigentum sicherlich nicht unentgeltlich Dritten zur wirtschaftlichen Nutzung, sondern nutzt durch Gebrauchsüberlassung an Dritte sein Eigentum (auch) selbst und macht sich dadurch den Gebrauchswert der Sache zu eigen (siehe schon oben im Text). Entgegen dem von Marburger konstatierten Funktionswandel ist eine Veränderung höchstens insoweit festzustellen, daß die Zunahme von Gebrauchsüberlassungsverträgen in den verschiedensten Formen es dem Eigentümer leichter ermöglicht, den Gebrauchswert seiner Sache statt durch Eigennutzung im Wege entgeltlicher Überlassung zu realisieren. An der Bedeutung des Eigentums als „Aneignungsgrundlage" hinsichtlich des realisierbaren Nutzungswertes hat sich dadurch gar nichts geändert.
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes
läge des Gemeinen Rechts ergangenen Entscheidung vom 29. 3. 188285 in Zusammenhang mit der Frage der Begründetheit einer actio negatoria wegen von einem Nachbargrundstück ausgehender übermäßiger Lärmeinwirkung auf ein Wohngrundstück bei der Beschreibung des Eigentumszwecks gerade die Nutzungsfunktion des Eigentums hervorgehoben: „ . . . ; das Eigentum wird von den Menschen ausgeübt nicht um der Sache willen, an welcher es zusteht, sondern um des menschlichen Bedürfnisses willen, welches durch die Sache befriedigt wird." 86 . Auch die Entstehungsgeschichte des BGB macht ohne weiteres deutlich, daß die Verfasser des BGB den Wert des Eigentums nicht allein in einem bloßen „Haben" sahen, sondern ihnen gerade auch die mit dem Eigentumsrecht verbundene Nutzungsbefugnis bzw. die Einordnung der Sache als Nutzungsobjekt selbstverständlich vor Augen stand. Dies wird vor allem daran deutlich, daß durchgängig während aller „Stationen" der Gesetzesentstehung in Zusammenhang mit der Beschreibung des positiven Eigentumsinhalts bzw. dem Ringen um eine adäquate Formulierung desselben die mit dem Eigentumsrecht nach Ansicht der Gesetzesverfasser u.a. verbundene Befugnis zur Sachnutzung ausdrücklich hervorgehoben wurde. So hat Johow in seinem Vorentwurf zum Sachenrecht in § 85 TE-SachR das positive Moment des Eigentumsinhalts dahin formuliert, daß der Eigentümer das Recht habe, „die Sache zu besitzen und über dieselbe ... zu verfügen" 87, wobei Johow unter „Verfügen" auch die Befugnis zu tatsächlicher Verfügung verstand 88 und hiermit - wie aus einer Stellungnahme zu den die Befugnisse des Eigentümers einzeln aufzählenden §§ 219 - 221 des bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen von 1863 deutlich wird - unter anderem „zweifellos" auch die Befugnis des Eigentümers erfaßt sah, „Nutzungen von der Sache zu ziehen" 89 . Gleichfalls macht die Beratung der 1. Kommission zu § 85 TE-SachR deutlich, daß kein Zweifel darüber bestand, die Bedeutung des Eigentums gerade auch in der Nutzungsbefugnis zu sehen. So hat sich die 1. Kommission zu den auf § 85 TE-SachR bezogenen Änderungsanträgen 90 in ihren Beschlüssen gegen eine besondere Erwähnung der Rechte des Eigentümers, „die Sache zu besitzen, die Nutzungen derselben zu ziehen" 91 unter dem Gesichtspunkt gewandt, mit der Formulierung „thatsächlich und rechtlich verfügen" 92 würden alle wesentlichen Befugnisse erfaßt, weswegen eine besondere Erwähnung des Rechts zum Besitz und zur Nutzungsziehung überflüssig und darüber hinaus unangemessen sei, da es sich nur um eine unvollständi85 RGZ 6, 217 ff. 86 RGZ 6, 217 ff. (219). 87 Zum Wortlaut von § 85 TE-SachR siehe oben unter I., Fn. 8. 88 Siehe in der Einleitung seiner Begründung zum Dritten Abschnitt über das Eigentum (Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 628). 89 Siehe die Begründung Johows zu § 85 TE-SachR (Schubert, Sachenrecht, Teil 1, 640). 90 Siehe Jakobs/Schubert, Sachenrecht I, 441. 91 So der Antrag zu 1. von v. Weber, siehe Jakobs / Schubert, Sachenrecht I, 441. 92 Zu dem Wortlaut des von der 1. Kommission schließlich beschlossenen § 848 E I siehe oben unter I., Fn. 12.
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
183
ge Spezialisierung handeln könne 93 . Die 2. Kommission hat die Bedeutung der Nutzungsseite des Eigentumsrechts in ihren Beratungen vor allem dadurch zum Ausdruck gebracht, daß sie einen auf § 848 E I 9 4 bezogenen Änderungsantrag, nach welchem die positive Seite des Eigentums allein dahin beschrieben werden sollte, daß der Eigentümer das Recht habe, „die Sache zu besitzen"95 mit der Erwägung ablehnte, eine solche Beschreibung des positiven Eigentumsinhalts sei nicht ausreichend, weil aus diesem Begriff die Befugnisse insbesondere zum Gebrauchen, Benutzen, Verbrauchen und Vernichten nur mittels einer ziemlich schwierigen Deduktion abzuleiten seien96. Schließlich sei noch darauf verwiesen, daß auch im Bürgerlichen Gesetzbuch von Anfang an zum Ausdruck gelangt ist, daß das Eigentumsrecht seit jeher gerade auch unter dem Aspekt der damit vermittelten Nutzungsbefugnis begriffen wurde und es sich insoweit nicht um eine erst in jüngerer Zeit gewonnene, neuere Anschauung handelt. Die nachbarrechtliche Regelung des § 906 ist hierfür in erster Linie als Beleg zu nennen. Die Vorschrift macht als Ausnahmebestimmung zu § 903 Satz l 9 7 bezogen auf die von ihr erfaßten imponderablen Einwirkungen das nach § 903 Satz 1 grundsätzlich gegen jede Einwirkung bestehende Ausschließungsrecht des Eigentümers im Ausgangspunkt von dem Umfang der durch eine Einwirkung hervorgerufenen Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung abhängig 9 8 . Die Anbindung des eigentumsfundierten Verbietungsrechts gegenüber imponderablen Einwirkungen an den Umfang der Nutzungsbeeinträchtigung setzt allerdings voraus, daß die Nutzung des Grundstücks überhaupt zum Grundstückseigentum rechnet 99. Denn ansonsten ließe sich ein grundsätzlich nach § 903 Satz 1 begründetes Ausschließungs- bzw. Verbietungsrecht kaum von dem Umfang der Nutzungsbeeinträchtigung abhängig machen 100 . 93 Jakobs/Schubert, Sachenrecht 1,442. 94 95
Zu dessen Wortlaut siehe unter I., Fn. 12. Siehe den Änderungsantrag zu 4. (Autor unbekannt), Jakobs / Schubert, Sachenrecht I,
443. 9 6 Siehe Mugdan III, 578. 97
Siehe noch im 2. Kap. unter II. 1. b) (1). Zu dem Charakter des § 906 als einer nutzungsschutzbezogenen Relativierungsregelung siehe im 3. Kap. unter II. 1. a). Dazu, daß § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 auf der Grundlage der Außentheorie (siehe oben unter Π.) nicht als eigentumsinhaltsbestimmende Regelung in dem Sinne angesehen werden kann, daß innerhalb der Duldungsgrenzen eine Beeinträchtigung des Eigentums nicht in Betracht kommt, siehe im 3. Kap. unter III. 3. b) (3). 99 Siehe noch nachfolgend unter 3. 100 So auch Zeuner, FS Flume, 1978, Bd. I, 775 ff. (782), der im Anschluß an die Feststellung, wonach zum Inhalt des Eigentums insbesondere auch die Befugnis gehört, die Sache gebrauchen zu können, ausführt, dem entspreche es, „daß auch die Vorschrift des § 906 BGB die rechtliche Möglichkeit einer Eigentumsverletzung in den von ihr behandelten Fällen keineswegs erst begründet, sondern als Folge aus der allgemeinen Regel des § 903 BGB ohne weiteres voraussetzt.". Siehe dazu, daß die Zuordnung der Grundstücksbenutzung zum Eigentumsinhalt auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Trennung zwischen Befugnis und Rechtsausübung in Frage gestellt werden kann, im folgenden unter 3. 98
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes 2. Begriff der Sachnutzung und ihre Abhängigkeit von Umweltbedingungen
Rechnet die Nutzungsbefugnis zum positiven Eigentumsinhalt, so ist der Eigentümer kraft des Eigentums berechtigt, die Sache zu nutzen. Z u m Verständnis des Begriffs der Sachnutzung bedarf es eines kurzen Eingehens auf die in § 100 niedergelegte Legaldefinition. Gemäß dieser Vorschrift sind Sachnutzungen die Früchte einer Sache sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache gewährt 1 0 1 . Sachfrüchte 1 0 2 sind nach § 99 Abs. 1 die Erzeugnisse einer Sache sowie die sonstige Ausbeute, welche aus der Sache ihrer Bestimmung gemäß gewonnen wird (unmittelbare Sachfrüchte) 1 0 3 . Neben den unmittelbaren Sachfrüchten kennt das Gesetz auch mittelbare Sachfrüchte und versteht hierunter Erträge, welche eine Sache vermöge eines Rechtsverhältnisses gewährt (§ 99 Abs. 3). Für den Eigentümer einer Sache handelt es
101
Darüber hinaus kennt das Gesetz auch die Nutzung eines Rechts - Rechtsfrüchte oder Gebrauchsvorteile eines Rechts, siehe § 100. Auch wenn der Eigentümer seine Sache auf der Grundlage des Eigentumsrechts nutzt, handelt es sich um Sachnutzung: Rechtsfrüchte sind gemäß § 99 Abs. 2 nur die Erträge, welche ein Recht seiner Bestimmung gemäß gewährt, d. h. das Recht muß gerade auf die Gewinnung solcher Erträge gerichtet sein (ζ. B. Nießbrauch, siehe Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil, I, 15. Aufl., 819/820; Planck, BGB, I. Bd., 4. Aufl., § 99, Anm. 3). Hierunter fallen die vermittels des Eigentums gewonnenen Früchte nicht (Erman-Michalski, 9. Aufl., § 99, Rz. 8; Larenz AT BGB, 7. Aufl., 302). Von Gebrauchsvorteilen eines Rechts kann nur dann sinnvoll gesprochen werden, wenn ein Recht gebraucht wird, das nicht an einer Sache besteht oder auf den Gebrauch einer Sache bezogen ist, ansonsten handelt es sich immer auch um den Gebrauchs vorteil einer Sache, siehe Staudinger-Coing, 11. Aufl., § 100, Rz. 3. Staudinger-Dilcher, 12. Aufl., § 100, Rz. 6 macht nicht ganz deutlich, daß der rechtsfundierte Gebrauchsvorteil einer Sache immer auch Gebrauchsvorteil eines Rechts ist. 102 Zum Begriff siehe näher Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil, I, 15. Aufl., 818f. Zur Entstehung des bürgerlich-rechtlichen Fruchtbegriffs siehe Schön, Der Nießbrauch an Sachen, 1992, 39 ff. 103 Unter Sacherzeugnissen werden die unter Erhalt der Muttersache (Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil, I, 15. Aufl., 818; Erman-Michalski, 9. Aufl., § 99, Rz. 6) gewonnenen organischen Erzeugnisse einer Sache verstanden, also das, was die Sache organisch hervor bringt (Medicus, AT BGB, 5. Aufl., 441, Rz. 1204; Erman-Michalski, 9. Aufl., § 99, Rz. 4), wobei die Beurteilung, ob es sich um ein organisches Erzeugnis handelt, nicht rein naturwissenschaftlich, sondern nach der Auffassung des Wirtschafts- und Verkehrslebens vorzunehmen ist (Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil, I, 15. Aufl., 818 i.V.m. Fn. 8; Planck, BGB, I. Bd., 4. Aufl., § 99, Anm. 2 a). Erzeugnisse einer Sache sind danach Tier- und Bodenprodukte (MünchKomm-Holch, 3. Aufl., § 99, Rz. 2). Um Nutzung in Form der Ziehung von Sachfrüchten handelt es sich beispielsweise bei dem Anbau von Pflanzen, Bäumen oder auch Feldfrüchten auf einem Grundstück (Planck, BGB, I. Bd., 4. Aufl., § 99, Anm. 2 a; Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil, I, 15. Aufl., 818 i.V.m. Fn. 8). Zu der sonstigen Ausbeute, welche aus einer Sache ihrer Bestimmung gemäß gewonnen wird und als solche Sachfrucht i.S.v. § 99 Abs. 1 ist, gehören anorganische Erzeugnisse wie Steine aus einem Steinbruch, Sand, Lehm oder auch Torf (Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil, I, 15. Aufl., 819; Medicus, AT BGB, 5. Aufl., 441, Rz. 1204; Erman-Michalski, 9. Aufl., § 99, Rz. 5).
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
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sich danach bei der Gegenleistung für die Gebrauchsüberlassung einer Sache an einen Dritten um eine mittelbare Sachfrucht 104. Nutzungen in Form von Vorteilen, die der Gebrauch einer Sache gewährt, sind vor allem bei Sachen bedeutsam, die wegen ihrer natürlichen Beschaffenheit keine unmittelbaren Sachfrüchte hervorbringen können, was bei den meisten beweglichen Sachen der Fall ist 1 0 5 . Darüber hinaus können Gebrauchs vorteile aber auch von Sachen gewonnen werden, die - wie beispielsweise Grundstücke - gleichermaßen zur Fruchtziehung geeignet sind 106 . Gebrauchsvorteile einer Sache sind solche Vorteile, die in der Verwendung einer Sache liegen oder aus ihrer Verwendung resultieren und die regelmäßig durch den Sachbesitz vermittelt werden 107 . Entscheidend ist, daß der Vorteil - der keinen Vermögenswert haben muß 1 0 8 - aus dem Gebrauch der Sache folgt 1 0 9 . Zu den Gebrauchsvorteilen rechnen deshalb solche Vorteile nicht, die lediglich mittels der Sache gewonnen werden, insbesondere durch ihren Verbrauch, ihre Veräußerung oder auch Belastung 110 . Gebrauchsvorteile einer Sache sind danach etwa bei Fahrzeugen aller Art der aus der Nutzung derselben beispielsweise resultierende Vorteil des Fahrens oder Transports 111. Der Gebrauch von elektrisch betriebenen Produktionsmaschinen gewährt den Vorteil der Produktion von Gütern 112 . Die Nutzung eines Wohngrund104 Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil, I, 15. Aufl., 819; Medicus, AT BGB, 5. Aufl., 441, Rz. 1205. los Planck, BGB, I. Bd., 4. Aufl., § 100, Anm. 1; Staudinger-Coing, 11. Aufl., § 100, Rz. 1; Soergel-Mühl, 12. Aufl., § 100, Rz. 1. 106 Planck, BGB, I. Bd., 4. Aufl., § 100, Anm. 1; Soergel-Mühl, 12. Aufl., § 100, Rz. 1. 107 Vgl. die Beschreibungen des Gebrauchsvorteils bei Staudinger-Coing, 11. Aufl., § 100, Rz. 1; Staudinger-Dilcher, 12. Aufl., § 100, Rz. 2; RGRG-Kregel, 12. Aufl., § 100, Rz. 4; Soergel-Mühl, 12. Aufl., § 100, Rz. 3; H. Köhler, BGB AT, 22. Aufl., 104; Erman-Michalski, 9. Aufl., § 100, Rz. 2; MünchKomm-Holch, 3. Aufl., § 100, Rz. 2. Wenn zum Teil unter Verweis auf eine Entscheidung des OLG Hamburg in MDR 1953, 613 f. ohne weitere Erklärung von den im Gebrauch liegenden „natürlichen Vorteilen" gesprochen wird (siehe ζ. B. Erman-Michalski, 9. Aufl., § 100, Rz. 2 oder auch Soergel-Mühl, 12. Aufl., § 100, Rz. 3), so kann das nur heißen, daß alle Vorteile erfaßt sein sollen, welche die Beschaffenheit einer Sache zuläßt, nicht hingegen, daß nur bestimmte, in einem objektivierten Sinne „wesenstypische" Vorteile als Gebrauchsvorteile im Sinne des Gesetzes gelten sollen. io« Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil, I, 15. Aufl., 821 i.V.m. Fn. 21; RGRK-Kregel, 12. Aufl., § 100, Rz. 3; Soergel-Mühl, 12. Aufl., § 100, Rz. 3; MünchKomm- Holch, 3. Aufl., § 100, Rz. 3. 109 RGJW 1915, 324. no RG JW 1915, 324. Siehe auch Planck, BGB, I. Bd., 4. Aufl., § 100, Anm. 1 unter Hinweis darauf, daß der Begriff des Gebrauchs im Sinne von § 100 den des § 92 nicht umfaßt; Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil, I, 15. Aufl., 820 i.V.m. Fn. 20; RGRK-Kregel, 12. Aufl., § 100, Rz. 4. m H. Köhler, BGB AT, 22. Aufl., 104; MünchKomm-Holch, 3. Aufl., § 100, Rz. 2. h 2 Zu Recht lehnt der BGH die Einordnung von maschinell produzierten Gütern als Sachfrüchte i. S. d. § 99 Abs. 1 ab, siehe BGH NJW 1968, 692 ff. (693), hier bezogen auf eine Bäckereimaschinenanlage.
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlichen Nutzungsschutzes
stücks oder einer Wohnung gewährt den Vorteil des Wohnens113. Gebrauchs vorteil eines Grundstücks ist des weiteren beispielsweise die Verwendung desselben allgemein zur Bebauung oder im besonderen etwa zur Aufstellung von Windkraftanlagen oder zur Installation von Sonnenkollektoren zwecks Gewinnung von Windbzw. Sonnenenergie. In Hinblick darauf, daß Gebrauchsvorteile einer Sache keinen Vermögenswert haben müssen, handelt es sich auch bei der Verwendung eines Grundstücks ζ. B. zum Zwecke des Spazierengehens um einen Gebrauchsvorteil desselben114. Das Vorliegen von Sachnutzung i. S. d. § 100 wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Fruchtziehung oder die Realisierung von Gebrauchsvorteilen unter Inanspruchnahme von außerhalb der Sache liegenden Faktoren, sprich Außenoder Umweltbedingungen erfolgt bzw. erfolgen muß. So ist beispielsweise die Bepflanzung eines Grundstücks Sachnutzung in Gestalt von Fruchtziehung, obwohl das Grundstück die Früchte nicht allein (aus sich heraus) hervorbringt, sondern abgesehen von der notwendigen Ein- bzw. Anpflanzung auch bestimmte Umweltbedingungen wie Luft, Wasser und Sonne für die Fruchtziehung erforderlich sind 115 . Die Einordnung des Fahrens oder Transportierens als Gebrauchsvorteil eines Wasser- oder Landfahrzeuges und damit als Sachnutzung i.S.v. § 100 ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Wahrnehmung dieser Gebrauchsvorteile im öffentlichen Raum auf (Schiffahrts-)Straßen stattfindet und fast nur dort stattfinden kann 116 . Ebensowenig kann an der Qualifizierung eines Produktionsvorgangs als Gebrauchsvorteil einer Produktionsmaschine in Hinblick darauf gezweifelt werden, daß für den Betrieb der Maschine die Zufuhr von Energie erforderlich ist 1 1 7 . Schließlich ist auch die Grundstücksverwendung zwecks Energiegewinnung durch Windkraftanlagen oder Sonnenkollektoren Sachnutzung im Sinne der Wahrnehmung von Gebrauchsvorteilen, obwohl diese Sachnutzung die Zufuhr von Windund Sonnenenergie erfordert 118.
113 Planck, BGB, I. Bd., 4. Aufl., § 100, Anm. 1; RGRK-Kregel, 12. Aufl., § 100, Rz. 4; MünchKomm-Holch, 3. Aufl., § 100, Rz. 2. 114 Siehe Planck, BGB, I. Bd., 4. Aufl., § 100, Anm. 1. Siehe auch Heubel, Entziehende Einwirkungen im Nachbarrecht, 1969, 139 f., wonach Gebrauchsvorteil eines Grundstücks auch dessen Nutzung ist, um die Aussicht oder das Sonnenlicht zu genießen. us Siehe Planck, BGB, I. Bd., 4. Aufl., § 99, Anm. 2 a. 116 Davon geht auch der BGH in der Fleetfall-Entscheidung (BGHZ 55, 153 ff.) jedenfalls hinsichtlich des eingeschlossenen Schiffes aus, wenn er insoweit eine Eigentumsverletzung wegen einer Entziehung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs bejaht (a. a. O., 159). Zur Kritik an der Rechtsprechung des BGH hinsichtlich der deliktsrechtlichen Beurteilung von Beeinträchtigungen des sachnutzenden Eigentümers aufgrund von Störungen der Benutzbarkeit öffentlicher Verkehrswege siehe im Zweiten Teil, 2. Kap. unter II. 1. a) (3). Zur Abgrenzung zwischen Beeinträchtigungen eigentumsfundierter Sachnutzung und Beeinträchtigungen der Ausübung des Gemeingebrauchs siehe folgend im 2. Kap. unter II. 3. 117
Siehe auch Taupitz, Energieleiterstörungen, 1981, 121 ff. h 8 Daran zweifelt wohl auch nicht die einen Schutz der Grundstücksnutzung gegen Beeinträchtigungen durch negative Einwirkungen verneinende herrschende Meinung: Nicht das
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumserständnisses
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Letztlich jede Sachnutzung - mag es sich um Fruchtziehung oder die Realisierung von Gebrauchsvorteilen handeln - ist bedingt durch das Vorhandensein bestimmter Umweltvoraussetzungen, j a der Umwelt schlechthin 1 1 9 . Sachnutzung ist deshalb notwendig mit der Existenz von Umwelt- bzw. Umweltbedingungen verbunden, mag die Abhängigkeit der Sachnutzung von Außenweltbedingungen auch je nach Art der Sache und ihrer Nutzung sehr unterschiedlich sein. Gibt es aber ohne das Vorhandensein von Außenwelt keine Sachnutzung - weder tatsächlich noch i m Rechtssinne - , so kann das Vorliegen von Sachnutzung i.S.v. § 100 nicht aus dem Grunde in Frage gestellt werden, weil diese über die Inanspruchnahme von Außenweltfaktoren verwirklicht wird.
3. Konkrete Sachnutzung als Ausübung des Eigentumsrechts Die vom Eigentümer bestimmte konkrete (tatsächliche) Sachnutzung ist Ausübung seines Eigentumsrechts bzw. genauer 1 2 0 der hiermit eingeräumten Befugnis zur Fruchtziehung oder Realisierung von Gebrauchsvorteilen und gehört als solche zu dem durch § 903 Satz 1 verbürgten Eigentumsinhalt. Allgemein ist unter der Ausübung eines Rechts das Verhalten des Berechtigten zu verstehen, welches dem Inhalt seines Rechts entspricht 1 2 1 . In der Ausübung des Vorliegen von (eigentumsfundierter, siehe noch folgend unter 3.) Sachnutzung seitens des beeinträchtigten Eigentümers wird in Frage gestellt, vielmehr wird die Verneinung des Grundstücksschutzes damit begründet, daß es im Falle reiner Nutzungsbeeinträchtigungen durch negative Einwirkungen an der Voraussetzung einer materiellen Einwirkung fehlt (siehe im Zweiten Teil, 1. Kap. unter I. 2. b) (2), II. 3. b) (3) und ΠΙ. 1. c) (3)). Allerdings wird - worauf Heubel, Entziehende Einwirkungen im Nachbarrecht, 1969, 138 f. zu Recht hinweist - in Zusammenhang mit der Frage der Zulässigkeit negativer Einwirkungen die Sachnutzung des beeinträchtigten Eigentümers von der herrschenden Meinung nur selten überhaupt als solche realisiert (ζ. B. von MünchKomm-Medicus, 2. Aufl., § 1004, Rz. 31 und Ostendorf, JuS 1974, 756 ff., (759)) und bleibt im übrigen bei der heute verbreiteten „eigentumsinhaltlichen" Rechtfertigung der Zulässigkeit negativer Einwirkungen (siehe im Zweiten Teil, 1. Kap. unter III. 1. c) (3)) völlig außerhalb der Betrachtung (zur Ablehnung der von Rechtsprechung und herrschender Lehre genannten wesentlichen Gründe für die Zulässigkeit negativer Einwirkungen, u.a. auch der „eigentumsinhaltlichen" Begründung des materiellen Einwirkungsbegriffs, siehe im 2. Kap. unter II. 1. b). 119
Der BGH spricht allgemein von der „Abhängigkeit des Eigentums von den räumlichen Verhältnissen des Umfeldes und ihren Veränderungen", siehe NJW-RR 1990, 1172 ff. (1173), dazu auch noch folgend unter 4. Siehe auch M. Wolf, Sachenrecht, 12. Aufl., 121, Rz. 236 bezogen auf Grundstücke: „Jedes Grundstück ist... auf die Verbindung zur Außen- und Umwelt angewiesen.". Nach MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 95 ist die Gewährleistung öffentlicher Infrastruktur „in vielfacher Hinsicht Vorbedingung für einen sinnvollen Gebrauch des Eigentums". 120 Das Eigentum als solches ist das subjektive Recht, kraft dessen dem Eigentümer einzelne, nicht abschließend festzulegende Befugnisse verliehen sind, so daß zwischen Recht und Einzelbefugnis zu unterscheiden ist, siehe Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil, I, 15. Aufl., 437.
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlicen Nutzungsschutzes
Rechts - bezogen auf das Eigentum das Verfahren nach Belieben 122 , ζ. B. die tatsächliche Sachnutzung - manifestiert sich der Rechtsinhalt123. Dem entsprechend und nur vor diesem Hintergrund sinnvoll wird häufig davon gesprochen, daß das Eigentum als Sachherrschaftsrecht neben der rechtlichen Verfügungsmacht „die sich insbesondere im Besitzen und Benutzen äußernde tatsächliche Herrschaft" einschließt 124 . Mit anderen Worten: Die konkrete Sachnutzung und die darin liegende Ausübung des Eigentumsrechts ist als (eine mögliche) Äußerungsform tatsächlicher Sachherrschaft zu begreifen, also gerade als Verwirklichung der Komponente, welche neben der rechtlichen Verfügungsmacht den Rechtsinhalt des Eigentums ausmacht125. Würde das Eigentumsrecht bzw. der nach § 903 Satz 1 zu bestimmende Eigentumsinhalt nur das „Dürfen" zum Verfahren nach Belieben hier speziell zur Sachnutzung - erfassen unter Ausklammerung der sich als Fruchtziehung oder Wahrnehmung von Gebrauchsvorteilen realisierenden Ausübung der Befugnis zur Sachnutzung126, so könnte nicht davon gesprochen werden, daß sich die tatsächliche Herrschaftsmacht des Eigentümers u.a. in der konkreten Sachnutzung äußert. Letztere wäre ein aliud - mitnichten aber Äußerung bzw. Verwirklichung des Eigentumsrechts 127. Die Einbeziehung der Rechtsausübung in den Eigentumsinhalt, hier das Begreifen tatsächlicher Sachnutzung als Bestandteil des Eigentumsrechts, entspricht al121 A. v. Tuhr, AT BGB, II. 2., 1. Aufl., 545. Siehe auch Lehmann/Hübner, AT BGB, 15. Aufl., 109: „Die Rechtsausübung vollzieht sich zunächst durch Betätigung der im subjektiven Recht gelegenen Rechtsmacht,...". 122 Siehe A. v. Tuhr, AT BGB, II. 2., 1. Aufl., 545. 123 Nach Windscheid, Pandektenrecht, Bd. I, 7. Aufl., 341 bedeutet Rechtsausübung, daß „der Berechtigte den seinem Rechte entsprechenden Zustand kraft seines Rechtes verwirklicht". Siehe auch Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, 1934, 83, wo nach die Ausübung eines Rechts „begrifflich Rechtsinhaltsverwirklichung darstellt". H. Köhler, BGB AT, 22. Aufl., 43 beschreibt die Rechtsausübung als Realisierung des Rechts bzw. der mit dem Recht verliehenen Befugnisse. 124 Siehe BGH JZ 1989, 649 f. (649); RGRK-Augustin, 12. Aufl., § 903, Rz. 20; A. v. Tuhr, AT BGB, II. 2., 1. Aufl., 545: „das Eigentum und die meisten Rechte an fremder Sache ... werden durch tatsächliche Maßregeln (der Begriff wird hier in einem auch die rechtliche Verfügungsmacht mitumfassenden Sinne verwendet (Verf.)) ausgeübt, in denen sich die Herrschaft des Berechtigten über die Sache äußert". 125 Siehe oben unter 1. 126 So die Auffassung von Fraenkel, Tatbestand, 1979, 131 f.. Siehe dazu im Zweiten Teil, 1. Kap. unter III. 2. sowie im Rahmen der kritischen Stellungnahme im Zweiten Teil, 2. Kap. unter II. 2. 127 Diese Konzequenz zieht Fraenkel, Tatbestand, 1979, 131 ff. denn auch, der in jeder Rechtsausübung - auch der des Eigentumsrechts - „immer zugleich auch Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit" sieht, die nicht in das subjektive Recht einbezogen werden könne. Hieraus folgert Fraenkel weiter, daß die dem Eigentümer durch § 903 Satz 1 eingeräumte Rechtsposition nicht „durch eine tatsächliche Hinderung des Rechtsinhabers an der Vornahme der Handlungen" verletzt werden kann. Zur Kritik an der Auffassung Fraenkels siehe im Zweiten Teil, 2. Kap. unter II. 2. Zur Einordnung von Beeinträchtigungen der konkreten Sachnutzung als Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 siehe im 2. Kap. unter I. 2.
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumserständnisses
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lein der Einordnung des Eigentumsrechts als Freiheitsverbürgung in dem Sinne, daß dem Berechtigten hierdurch ein bestimmter Bereich zur eigenverantwortlichen, freien Gestaltung und Persönlichkeitsentfaltung zugewiesen i s t 1 2 8 . Die freiheitsverbürgende Funktion des Eigentums wäre unter Zugrundelegung eines Verständnisses dieses Rechts als eines bloßen „Dürfens" mit der Konsequenz der Ausklammerung seiner Ausübung aus dem Rechtsinhalt allerdings nicht gegeben. Das Eigentumsrecht würde gerade dessen beraubt sein, dessen es vor dem Hintergrund eines Verständnisses als Freiheitsrecht bedarf: einer eigentumsfundierten Realisierung der durch das Eigentum zugewiesenen Befugnisse. Von Freiheitsverbürgung kann nur dort gesprochen werden, wo neben der Befugnis als solchen i m Sinne eines rechtsinhaltlichen Dualismus auch ihre Ausübung - die tatsächliche Gestaltung des Freiheitsraumes - als Bestandteil der zugewiesenen Freiheit begriffen wird129. I m übrigen sei noch auf verschiedene gesetzliche Anhaltspunkte verwiesen, aus denen sich die hier als rechtsinhaltlicher Dualismus bezeichnete Verbindung von Befugnis und Rechtsausübung entnehmen läßt. Nur die Zugehörigkeit der Ausübung des Eigentumsrechts zum Rechtsinhalt als solchen ermöglicht es, das Schikaneverbot des § 226 als privatrechtliche Schranke auch des Eigentumsrechts einzuordnen, wie es der allgemeinen Auffassung entspricht 1 3 0 . 128
Siehe noch näher mit Nachw. unter IV. Zu Recht führt Larenz, SchR II, 12. Aufl., 601, Fn. 4 in Zusammenhang mit seiner Kritik an der Auffassung Fraenkels aus: „Von Freiheit kann keine Rede sein, wenn einer Befugnis keine tatsächliche Ausübungsmöglichkeit entspricht". Fraenkel, Tatbestand, 1979, 132 sieht diesen notwendigen rechtsinhaltlichen Dualismus von Freiheitsrechten - Zusammenfassung von Befugnis und ihrer Ausübung in der Einheit des Rechts - selbst, wie seine Ausführungen betreffend das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit deutlich machen, das seiner Ansicht nach die Ausübung in Form der allgemeinen Handlungsfreiheit notwendig mitumfaßt. Daß dies bei dem Eigentumsrecht, das auch von Fraenkel als Freiheitsrecht begriffen wird (a. a. O., 22), anders sein soll - insoweit wird hier der dort für unabdingbar erachtete rechtsinhaltliche Dualismus gar nicht erst diskutiert (siehe schon im Rahmen der kritischen Stellungnahme im Zweiten Teil, 2. Kap. unter II. 2.) - kann jedenfalls nicht mit der erst in zweiter Linie interessierenden und im übrigen unzutreffenden These begründet werden, im Rahmen von § 823 Abs. 1 ließe sich dann nicht mehr der Schutz des subjektiven Rechts Eigentum von der deliktsrechtlich nicht geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit abgrenzen (so Fraenkel, a. a. O., 132ff.; zur Abgrenzung siehe im 2. Kap. unter I. 3.). 130 MünchKomm-Säcker, 2. Aufl., § 903, Rz. 31; Staudinger-Seiler, 12. Aufl., § 903, Rz. 15; Palandt-Bassenge, 54. Aufl., § 903, Rz. 12. Ein Schikaneverbot ist während der Beratungen des BGB erstmals vom Justizausschuß des Bundesrates (zu der Beratung des BGB im Justizausschuß siehe Jakobs/Schubert, Materialien, 60ff.; zu den Mitgliedern des Ausschusses a. a. O., 110 ff.), an den der revidierte 2. Entwurf des BGB (Ε I I rev.: hierbei handelte es sich um den in der Zeit vom 6.5.-19. 6. 1895 noch einmal revidierten 2. Entwurf der Zweiten Kommission, dessen Schlußredaktion nach erneuter Durchsicht seitens der Redaktionskommission am 21. 10. 1895 von der Gesamtkommission festgestellt wurde, siehe Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966, 48 f.) vom Bundesrat überwiesen worden war, auf Anregung Preußens (das befürchtete, eine Beseitigung des bereits im preußischen ALR bezogen auf das Eigentum enthalten gewesenen Schikaneverbots könne dazu Veranlassung geben, das Privateigentum überhaupt in Frage zu stel129
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlicen Nutzungsschutzes
Nach § 226 ist die Ausübung eines Rechts verboten, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen. Diese Regelung ließe sich aufgrund ihrer Anbindung an die Rechtsausübung nicht als Beschränkung des Eigentumsrechts als solchen verstehen, wollte man die Ausübung des Eigentums nicht als dem Recht selbst zugehörig betrachten. Das gilt i m übrigen unabhängig davon, ob man für die Beschreibung des Verhältnisses zwischen subjektivem Recht (Eigentum) und von der Rechtsordnung gesetzten Schranken der Immanenzlehre oder der Außentheorie f o l g t 1 3 1 . Eine Ausübungsschranke kann nur dann eine dem Recht immanente Begrenzung sein, wenn die Ausübung grundsätzlich als dem Recht zugehörig begriffen wird. Gleiches gilt auf der Grundlage der hier vertreten e n 1 3 2 Außentheorie: Ein Recht kann nur dann als solches durch von außen herantretende Ausübungsschranken begrenzt werden, wenn die Ausübung Bestandteil des Rechts i s t 1 3 3 . M i t der Neufassung des § 903 durch die Einfügung eines Satzes 2 betreffend den Tiereigentümer 1 3 4 hat der Gesetzgeber unter Anknüpfung an die Ausübung der Befugnisse des Tiereigentümers den in Satz 1 enthaltenen allgemeinen Schranlen, siehe die Ausschußberichte der Bundesstaatsvertreter Heller (Bayern), Sieveking (Hamburg) und Schicker (Württ.) bei Jakobs / Schubert, Sachenrecht I, 444 f.) zunächst nur in Hinblick auf das Eigentum beschlossen und als § 887 Abs. 2 in den Entwurf eines BGB von 1896 (E III: Reichstagsvorlage oder auch 3. Entwurf) eingefügt worden (siehe Jakobs/Schubert, Sachenrecht I, 445). Angesichts der Aufnahme eines allgemeinen Schikaneverbots in § 220 a Ε ΙΠ durch die XII. Reichstagskommission, welche den Ε ΠΙ in der Zeit vom 7.2.12. 6. 1896 beriet (zur Beratung des Ε ΠΙ in der XII. Kommission des Reichstages siehe Jakobs/Schubert, Materialien, 64 ff.) wurde dann das in § 887 Abs. 2 E III enthaltene spezielle Schikaneverbot wieder gestrichen (Auskunft über den Inhalt der Beratungen der ΧΠ. Reichstagskommission geben der Ausschußbericht von Heller (Bayern) (Jakobs/Schubert, Sachenrecht I, 445) sowie der Bericht der XII. Kommission vom 12. Juni 1896 für das Plenum des Reichstages, Nr. 440 a (Mugdan III, 994 ff., zu § 887 E III 997)). 131
Siehe oben unter II. 132 Siehe oben unter Π. 2. 133 Siehe zu § 226 auch die Gegenüberstellung von Außentheorie und Immanenzlehre in ihren Begrenzungswirkungen bei Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, 1934, 85. Dessen Darstellung, wonach auf der Grundlage der Außentheorie davon auszugehen sei, daß Ausübungsschranken den „Rechtsinhalt nicht berühren" (a. a. O., 85), steht nicht in Widerspruch zu der Vorstellung, daß auch auf der Grundlage der Außentheorie Ausübungsschranken das Recht als solches begrenzen: Siebert sagt selbst, daß nach der Außentheorie dem Subjekt des Rechts verboten wird, von der ihm allgemein erteilten Gewährung Gebrauch zu machen (a. a. O., 85). Das bedeutet bezogen auf das Eigentum nichts anderes, als daß dem Eigentümer eine bestimmte Befugnis bzw. deren Realisierung ausnahmsweise nicht zusteht, mithin eben doch der Rechtsinhalt und damit das Recht begrenzt wird (so auch die Vertreter der Außentheorie, siehe die Nachw. unter Π. 2., Fn. 58). Allerdings geschieht dies eben durch von außen herantretende Schranken, also Schranken, die dem Recht nicht immanent sind und damit - darin ist dann Sieberts Darstellung der Außentheorie zuzustimmen - den Rechtsinhalt unberührt lassen, weil sie eben im Gegensatz zur Immanenzlehre nicht bereits definitionsgemäß zum Rechtsinhalt gehören. 134 Angefügt durch Artikel 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im Bürgerlichen Recht vom 20. 8. 1990 (BGBl. 19901, 1762).
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumserständnisses
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kenvorbehalt für einen speziellen Bereich (überflüssigerweise) konkretisierend hervorgehoben. Insoweit kann sicherlich nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe mit dieser Ergänzung zum Ausdruck bringen wollen, daß nicht wie allgemein aus Satz 1 zu folgern ist - das Eigentumsrecht des Tiereigentümers, sondern lediglich eine davon rechtlich zu trennende Ausübung durch die Vorschriften zum Schutze der Tiere begrenzt werden sollte. Endlich sei noch die Vorschrift des § 906 genannt, nach welcher das Ausschließungsrecht des Eigentümers (§ 903 Satz 1) im Falle der hier erfaßten Einwirkungen grundsätzlich von dem Umfang der dadurch hervorgerufenen Beeinträchtigung der Grundstücksbenutzung 135, sprich der Ausübung des Grundstückseigentums in Gestalt der Sachnutzung abhängig gemacht wird. Das gemäß § 903 Satz 1 eigentumsfundierte Ausschließungsrecht könnte allerdings kaum von der Beeinträchtigung der Sachnutzung als Rechtsausübung geschweige denn der Beeinträchtigungsintensität abhängig gemacht werden, wenn die Ausübung allgemein und hier in Form der Grundstücksnutzung im besonderen nicht zum Inhalt des Eigentums rechnen würde 136 . 4. Keine eigentumsfundierte Berechtigung an der Ausgestaltung der Umwelt Mit der Einordnung der konkreten Sachnutzung durch den Eigentümer - sei es in Form der Fruchtziehung oder der Wahrnehmung von Gebrauchsvorteilen 137 als Ausübung des Eigentumsrechts und damit Bestandteil desselben138 ist nicht verbunden, daß angesichts der Abhängigkeit jedweder Nutzung von dem Vorhandensein natürlicher oder künstlicher Umweltbedingungen139 der die konkrete Sachnutzung ermöglichende status quo der Umwelt als solcher zum Eigentumsbestandteil wird oder - anders ausgedrückt - das Eigentum als Recht einen Anspruch auf eine bestimmte Ausgestaltung der Umwelt beinhaltet. 135 Zu dem Charakter des § 906 als einer nutzungsschutzbezogenen Relativierungsregelung siehe im 3. Kap. unter II. 1. a). 136 Davon geht auch der BGH aus, wie etwa in der Kupolofen-Entscheidung (BGHZ 92, 143 ff.) deutlich wird, wenn er in Zusammenhang mit der Anwendung des § 906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 als Rechtswidrigkeitsmaßstab im Rahmen von § 823 Abs. 1 (siehe dazu näher im 3. Kap. unter III. 3. b) (3)) formuliert: „..., ob eine Immission das Sacheigentum oder seine Nutzung in einem Maß beeinträchtigt, daß der Eigentümer sie als Eingriff in das Schutzgut grundsätzlich nicht dulden muß,...". 137
Zu dem Begriff der Sachnutzung siehe oben unter 2. Siehe oben unter 3. 139 Dazu schon oben unter 2. Siehe auch BGH NJW-RR 1991, 1172 ff. (1173), der in Zusammenhang mit der Frage, ob die Zugangserschwerung zu einer in einem Straßenbanquett verlegten Versorgungsleitung eine Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 durch Nutzungshinderung darstellt, die „Abhängigkeit des Eigentums von den räumlichen Verhältnissen des Umfeldes und ihren Veränderungen" betont. Siehe zu dieser Entscheidung auch noch folgend im Text. 138
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlicen Nutzungsschutzes
Zwar wird verschiedentlich ein solcher Eindruck gerade in Zusammenhang mit der Diskussion über einen eigentumsgegründeten Schutz gegen Beeinträchtigungen der konkreten Sachnutzung durch entsprechend verfehlte Formulierungen bzw. Fragestellungen erweckt 140 . Hingewiesen sei beispielsweise auf die von Ott mit Blick auf die Frage eines Rechtsschutzes gegen die hier sogenannten reinen Nutzungsbeeinträchtigungen141 unter Bezug auf die Sachbezogenheit des Eigentumsbegriffs (§ 90) geäußerte Kritik an der „naturalistischen Betrachtungsweise" des BGB bei der Bestimmung und Abgrenzung des Eigentumsgegenstandes142. Seiner Auffassung nach versagt dieser Ansatz bei der Entscheidung der Frage, „welche sozialen und ökonomischen Funktionen und Umweltbeziehungen einer Sache zum Zuordnungsbereich des Eigentums gehören und damit Teil des Rechtsguts des Eigentums sein sollen" 143 . Von einem dem entsprechenden Ansatz geht auch M. Wolf aus, wenn er in Zusammenhang mit der Abwehrfähigkeit von die Grundstücksbenutzung beeinträchtigenden negativen Einwirkungen ausführt: „Jedes Grundstück i s t . . . auf die Verbindung zur Außen- und Umwelt angewiesen. Diese Verbindung ist Bestandteil des Grundstückseigentums" 144. Bereits in Zusammenhang mit der Kritik an der Ausblendung von auf Störungen der Benutzbarkeit von Verkehrswegen beruhenden reinen Nutzungsbeeinträchtigungen aus dem Eigentumsschutz durch Gleichsetzung derselben mit einer Hinderung des deliktsrechtlich nicht geschützten Gemeingebrauchs 145 ist ausgeführt worden, daß auch insoweit des öfteren bei der Erörterung dieser Problematik von einem verfehlten Ansatz ausgegangen und die Frage gestellt wird, ob die Hinderung der Straßennutzung eine Eigentumsverletzung darstellt und diese damit deliktsrechtlich geschützt ist 1 4 6 . Dieser Ansatz impliziert bezogen auf den Eigentumsinhalt i.S.v. § 903 Satz 1 nichts anderes als die auch von den vorstehend wiedergegebenen Literaturstimmen aufgeworfene Fragestellung, ob § 903 Satz 1 auch die ungestörte 140
Und sei dies auch nur zu dem Zweck, um von einer solchen Fragestellung aus zur Ablehnung eines deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen zu gelangen, wie etwa in Zusammenhang mit der Frage eines Schutzes gegen reine Nutzungsbeeinträchtigungen, die aus Störungen der Benutzbarkeit von öffentlichen Verkehrswegen resultieren. Siehe dazu bereits im Rahmen der kritischen Stellungnahme im Zweiten Teil, 1. Kap. unter II. l.a) (3). 141 Neben dem Fleet-Fall (BGHZ 55, 153 ff.) nennt Ott den ebenfalls vom BGH entschiedenen Grundstücksräumungsfall (NJW 1977, 2264 ff.). 142 AK-BGB-Ott, § 903, Rz. 23. 143 AK-BGB-Ott, § 903, Rz. 23. 144 Und wird nach Ansicht von M. Wolf über die §§ 903, 1004 „mit geschützt", siehe M. Wolf, Sachenrecht, 12. Aufl., 121, Rz. 236. In Übereinstimmung hiermit stellt Deneke, Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, 1987, 66 in Hinblick auf die Abwehrfähigkeit negativer Einwirkungen die ihrer Auffassung nach maßgebende „ . . . Kernfrage ..., ob die natürlichen Beziehungen eines Grundstücks zu seiner Umwelt dem Eigentumsschutz unterfallen oder nicht." 145 Siehe im Zweiten Teil, 2. Kap. unter II. 1. a) (3). Zur Einordnung dieser Nutzungsbeeinträchtigungen als Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 siehe im 2. Kap. unter II. 3. 146 Siehe im Zweiten Teil, 2. Kap. unter II. 1. a) (3).
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumserständnisses
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Benutzbarkeit von Verkehrswegen und damit eine bestimmte Ausgestaltung der Umwelt erfaßt. Denn nur unter dieser Voraussetzung kann das weitere Problem eines entsprechenden Eigentumsschutzes aufgeworfen werden. Nicht zuletzt leistet der B G H einer solch unzutreffenden Verschiebung der Fragestellung Vorschub, wenn er in Zusammenhang mit der Beurteilung, ob die Zugangserschwerung zu einer in einem Straßenbanquett verlegten Versorgungsleitung unter dem Gesichtspunkt der Nutzungshinderung eine Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 Abs. 1 darstellt, u.a. ausführt, in der bloßen Zugangserschwerung drücke „sich nur die Abhängigkeit des Eigentums von den räumlichen Verhältnissen des Umfeldes und ihren Veränderungen aus, für deren Ausgestaltung das Eigentum jedenfalls in Fällen wie hier keine Berechtigung v e r m i t t e l t " 1 4 7 .
147 Siehe BGH NJW-RR 1990, 1172 ff. (1173). Die damit implizit ausgedrückte Auffassung, daß das Eigentum in bestimmten Fällen eine „Berechtigung" an der Ausgestaltung des Umfeldes begründen und daran anknüpfend ein dem entsprechender deliktsrechtlicher Schutz bestehen kann, hat eine deutliche Parallele in der enteignungsrechtlichen Rechtsprechung des BGH. Mit der Begründung, daß das Grundeigentum nicht nur in seinem Bestand, sondern in allen seinen „Ausstrahlungen" enteignungsrechtlich geschützt werde, sieht der BGH u.a. in der Beeinträchtigung des Zugangs und der Zufahrt von der Straße zum Grundstück (bzw. umgekehrt) einen Eingriff in das Grundeigentum selbst (grundlegend BGHZ 30, 241 ff. (244f.); bestätigt u.a. in BGH NJW 1967, 1752ff. (1753) und NJW 1979, 1043 ff. (1044), hier jeweils mit der den „Ausstrahlungs"-Gedanken besonders deutlich machenden Formulierung: „Zum Eigentum von Grundstücken an öffentlichen Straßen gehört allerdings die Verbindung mit der Straße, ..." (a. a. O.)). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß der BGH in BGHZ 30, 241 ff. den Eingriff in das Grundeigentum selbst zunächst gar nicht mit dem „Ausstrahlungs"-Gedanken begründet hat - dieser kommt erst an späterer Stelle der Entscheidung zum Tragen, um den Einklang mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts zu begründen, das anders als der BGH von einem von dem Grundeigentum zu unterscheidenden selbständigen Anliegerrecht auf Erhaltung des Zugangs von und zur Straße ausgegangen war (siehe BGHZ 30, 241 ff. (244 f.)) - , sondern unter Anknüpfung an die den Vermögenswert des Grundstücks ausmachende Benutzbarkeit desselben. Diese sei davon abhängig, daß der Eigentümer über die Grenze des Grundstücks hinaus auf die Straße gelangen könne: Werde ihm die Zugänglichkeit unmöglich gemacht oder erschwert, dann werde dadurch „die Benutzbarkeit seiner Grundstücke ihrer Art nach beeinträchtigt und-der Kläger damit in seinem Grundeigentum selbst verletzt, das als solches dann Objekt des Eingriffs gewesen ist." (BGHZ 30, 241 ff. (243). In den nachfolgenden bestätigenden Entscheidungen kommt der BGH nur mit einer Akzentverschiebung auf den Eingriff in die Benutzbarkeit des Grundstücks zurück, indem er die seiner Auffassung nach zum Grundstückseigentum gehörende „Verbindung mit der Straße" als „die Benutzbarkeit des Grundstücks derart" bezeichnet, „daß der Eigentümer über die Grenzen seines Grundstücks auf die vorbeiführende öffentliche Straße gelangen kann." (Siehe BGH NJW 1967, 1752ff. (1753); NJW 1979, 1043 ff. (1044)). Die Zugänglichkeit des Grundstücks wird hier also selbst im Sinne des „Ausstrahlungs"-Gedankens als „Benutzbarkeit" begriffen, während in BGHZ 30, 241 ff. die Zugänglichkeit noch als Voraussetzung für die Benutzbarkeit der (hier vom Kläger landwirtschaftlich genutzten) Grundstücke angesehen wurde (das wird besonders deutlich an der Formulierung: „Die Benutzbarkeit der Grundstücke beruht gerade darauf, daß ihr Eigentümer von ihnen aus über die Grenze seiner Grundstücke hinweg auf die Straße gelangen kann.", siehe BGHZ 30, 241 ff. (243)). Siehe im übrigen zur enteignungsrechtlichen „Ausstrahlungs"-Rechtsprechung des BGH und der insoweit parallelen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Einordnung des sogenannten Anliegergebrauchs als Schutzposition i.S.v. Art. 14 GG (dazu noch 13 Boecken
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlicen Nutzungsschutzes
Mit solchen und ähnlichen Formulierungen beziehungsweise Fragestellungen wird allerdings übersehen, daß zwischen eigentumsgegründeter Sachnutzung einerseits und der tatsächlich wie rechtlich außerhalb des Sacheigentums (herstellenden Außen- oder Umwelt andererseits streng zu scheiden ist. Das Eigentumsrecht räumt dem Eigentümer (u.a.) ein Recht zur Sachnutzung ein, d. h., die Sache nach Belieben unter Inanspruchnahme der für die jeweilige Sachnutzung - Fruchtziehung oder Wahrnehmung von Gebrauchsvorteilen - erforderlichen Umweltbedingungen zu verwenden. Hierbei handelt es sich, da Rechtsausübung148, um eigentumsfundierte Sachnutzung. Konkret: Das Fahren mit einem Fahrzeug auf öffentlicher Straße verliert als solches nicht deshalb den Charakter eigentumsgegründeter Sachnutzung in Gestalt der Verwirklichung von Gebrauchsvorteilen, weil diese Form der Sachnutzung unter Inanspruchnahme von Umwelt- bzw. Außenweltbedingungen, nämlich des in Gemeingebrauch 149 stehenden öffentlichen Verkehrsweges, stattfindet 150 . Gleichermaßen stellt die Nutzung eines Grundstücks in Form der Fruchtziehung durch die Züchtung von Pflanzen, den Anbau von Getreide und ähnlichem eigentumsfundierte Sachnutzung dar, auch wenn zur Realisierung dieser Nutzung u.a. die Sonneneinstrahlung als Außenweltbedingung in Anspruch genommen werden muß. Von diesem kraft des Eigentums bestehenden Recht zur (notwendig umweltabhängigen) Sachnutzung ist der Zustand der Außen- bzw. Umwelt als solcher zu unterscheiden. Hieran vermittelt das Eigentum keine „Berechtigung", kann es auch nach dem Gesetz gar nicht, da Eigentum nur an einer bestimmten Sache - dem körperlichen Gegenstand (§ 90) - besteht, und insoweit auf die jeweilige Sache begrenzt ist, über diese also nicht hinausgeht. Die Einbeziehung der konkreten, notwendig umweltabhängigen Sachnutzung in den positiven Eigentumsinhalt mit der Folge eines gegen Sachnutzungshinderungen hervorrufende Einwirkungen bestehenden Ausschließungsrechts 151 mag mittelbar bewirken, daß Veränderungen der Umwelt bzw. des status quo der Umwelt eigentumsrechtlich 152 nicht irrelevant sind 153 . Dies hat seine Ursache allerdings in dem rechtsinhaltlichen Dualismus von
im 2. Kap. unter II. 3., Fn. 409) Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl., 138 ff. und Nüßgens/Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, 1987, 48 ff. 148 Siehe oben unter 3. ι 4 9 Zu dem Begriff des Gemeingebrauchs siehe näher im 2. Kap. unter II. 3. 150 Das ist wohl auch die Auffassung des BGH in der Fleetfall-Entscheidung jedenfalls hinsichtlich des eingesperrten Schiffes, da er insoweit eine deliktsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsverletzung relevante Entziehung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs bejaht (BGHZ 55, 153 ff. (159)). 151 Siehe § 903 Satz 1. Zum Verhältnis zwischen positiver und negativer Seite des Eigentums siehe noch folgend unter V. 152 Beziehungsweise eigentumsschutzrechtlich. 153 Das genau bringt auch H.P. Westermann, in Westermann, Sachenrecht I, 6. Aufl., 167 zum Ausdruck, wenn er die negativen Befugnisse des Eigentümers dahingehend beschreibt, daß dieser u.a. „Störungen und Beeinträchtigungen in der eigenen Nutzung der Sache, die
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
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Befugnis und Rechtsausübung, wonach zum Eigentumsinhalt neben der Befugnis zur Sachnutzung auch die konkrete Sachnutzung rechnet 154 , nicht hingegen in einem eigentumsfundierten Recht auf eine bestimmte Ausgestaltung der Umwelt als solchem. Die vorstehend aufgezeigte differenzierende Sichtweise ist eigentumsrechtlich allein konsequent und wird bestätigt, soweit es um das Ausschließungsrecht des Eigentümers gegen sachbeschädigende oder sachzerstörende Einwirkungen von außen geht: Ein - durch besondere Eigentumsschutzansprüche zu realisierendes - 1 5 5 Verbietungsrecht nach § 903 Satz 1 wird insoweit ohne weiteres bejaht, obwohl auch dies mittelbar zur Folge hat, daß letzten Endes Änderungen des status quo der Außenwelt (nämlich solche die zu Sachsubstanzbeeinträchtigungen führen) verhindert oder jedenfalls sanktioniert werden. Gleichwohl spricht niemand davon, daß dadurch kraft des Eigentums ein Recht auf eine die Möglichkeit zur Sachbeschädigung ausschließende Umwelt eingeräumt oder - in Anlehnung an die problematische Formulierung des B G H 1 5 6 - das Eigentum an einer dementsprechenden Ausgestaltung der Außenwelt eine „Berechtigung" vermitteln würde.
IV. Verfahren nach Belieben statt Funktionseigentum 1. Eigentümerfreiheit als Entscheidungsfreiheit: Die alleinige Kompetenz des Eigentümers zur Festlegung der Sachnutzung nach seinen Interessen In der positiven Seite des Eigentums - dem Verfahren nach Belieben - , welche neben der rechtlichen Verfügungsmacht die sich insbesondere im Besitzen und Benutzen der Sache äußernde tatsächliche Herrschaft einschließt 157 , kommt der freiheitsgewährende Charakter des Eigentums zum Ausdruck 158 . Dem einzelnen wird hiermit innerhalb der durch die Rechtsordnung gesetzten Schranken ein von der sich mittelbar durch Veränderungen des Umfelds ergeben (...)" ausschließen bzw. abwehren kann. 154 Siehe oben unter 3. Entgegen Ott und seiner Kritik an der von ihm sogenannten „naturalistischen Betrachtungsweise" des Eigentums (siehe AK-BGB-Ott, § 903, Rz. 23 und oben im Text) ist nicht die Sachbezogenheit des Eigentums im Sinne seines Verständnisses als Herrschaftsrecht allein an einer Sache die Ursache der Problematik eines nutzungsorientierten Eigentumsschutzes. Diese resultiert vielmehr daraus, daß vom Eigentumsinhalt neben der Befugnis zur Sachnutzung auch die konkrete, notwendig umweltabhängige Sachnutzung erfaßt wird (siehe oben unter 3.). 155 Siehe noch unter V. 156 Siehe oben im Text und Fn. 147. 157 Siehe BGH JZ 1989, 649 f. (649); dazu schon oben unter III. 1. 158 Siehe nur Jauernig-Jauernig, 7. Aufl., § 903, Anm. 2; Sontis, FS Larenz, 1973, 981 ff. (999): Wesensgehalt des Sacheigentums i.S.v. Art. 19 Abs. 2 GG. 13*
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlicen Nutzungsschutzes
Einflußnahme Dritter unabhängiger Bereich zur eigenen Entfaltung gesichert 1 5 9 . Das sachenrechtliche Eigentum erweist sich i n seiner Funktion als Grundlage persönlicher F r e i h e i t 1 6 0 als - wie Peter formuliert - „Manifestation der Privatautonom i e " 1 6 1 und steht als solche in einer Reihe mit den Privatrechtsinstituten der Vertrags- und Testierfreiheit. Der in dem durch § 903 Satz 1 eingeräumten Verfahren nach Belieben zum Ausdruck gelangende Freiheitsgedanke impliziert die Entscheidungskompetenz des Eigentümers hinsichtlich der Sachverwendung bzw. Verfügung über die Sache. Der Eigentümer kann das „Schicksal der S a c h e " 1 6 2 bestimmen, ohne an eine vorgegebene Zweckbestimmung gebunden zu s e i n 1 6 3 . Das Verfahren nach Belieben meint die allein und letztgültig von dem Eigentümer nach seinen Interessen getroffene Entscheidung oder, wie Stammler formuliert: „Eigentum besagt also ein rechtliches Wollen, dem es wesentlich ist, das letzte Wort über ein Rechtsobjekt anzug e b e n " 1 6 4 . Unter Bezugnahme auf Stammler spricht Sontis davon, daß es „diese ,Letztlichkeit'" (ist), die das grundlegende Prinzip bildet, auf dem das Eigentumsinstitut des B G B f u ß t " 1 6 5 .
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Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 171 sieht darin die sittliche Rechtfertigung des Eigentums. Siehe auch Meier-Hayoz, FG Oftinger, 1969, 171 ff. (176), der den tiefsten Sinngehalt des Eigentums darin erblickt, daß es eine Vorbedingung freier Persönlichkeitsentfaltung bildet. 160 Siehe nur BGHZ 6, 270ff. (276); Fraenkel, Tatbestand, 1979, 22 (zur Kritik an der Auffassung Fraenkels, wonach das Eigentum trotz des Verständnisses als Freiheitsrecht nicht die Ausübung der mit ihm eingeräumten Befugnisse umfaßt, siehe im Zweiten Teil, 2. Kap. unter II. 2. und oben unter III. 3., Fn. 129); Larenz, Schuldrecht II, 12. Aufl., 601, Fn. 4; AKBGB-Ott, § 903, Rz. 15; MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 823, Rz. 52; Pfeiffer, Die Bedeutung des privatrechtlichen Immissionsschutzes, 1987, 265ff.; Wieling, Sachenrecht I, 1990, 250; Erman-H. Hagen, 9. Aufl., Vor § 903, Rz. 1. 161 Peter, Wandlungen, 1949, 103. Siehe auch Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 170: Grundpfeiler der Gesellschafts- und Rechtsordnung. 162 So AK-BGB-Ott, § 903, Rz. 2. 163 Schloßmann, JherJb 45 (1903), 289 ff. (329 und 338); Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 171 und 175: Zuteilung an die Rechtsgenossen „zu gesondertem Haben und Nutzen nach ihrer freien Entscheidung" (a. a. O., 171) ohne „vorgegebene Zweckbestimmung" (a. a. O., 175); AK-BGB-Ott, § 903, Rz. 2. 164 Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, 1911, 253. Zur Bedeutung dieser Eigentumsbeschreibung von Stammler für das Verhältnis zwischen dem Eigentum und den beschränkten dinglichen Rechten siehe Schön, Der Nießbrauch an Sachen, 1992, 13. 165 Sontis, FS Larenz, 1973, 981 ff. (998 f.). Siehe auch Peter, Wandlungen, 1949, 103: „Das Wesen des Eigentums besteht in der Freiheit des Eigentümers, so mit seinen Sachen zu verfahren, wie er es für richtig und zweckmäßig hält."; Liver, GedS Gschnitzer, 1969, 247 ff. (255); E. Wolf, Sachenrecht, 2. Aufl., 1979, 91 f.; H.P. Westermann, in Westermann, Sachenrecht I, 6. Aufl., 168; M. Wolf, Sachenrecht, 12. Aufl., 44f., Rz. 83. Schließlich sei noch auf Pleyer, AcP 168 (1968), 407 ff. (409) verwiesen: Dem Eigentümer ist „die Herrschaft über seine Sache zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung, d. h. zur Verfolgung seiner Interessen zugewiesen". Weiter heißt es a. a. O., 411: „Privatnützigkeit und freier Gebrauch sind in einem freiheitlichen marktwirtschaftlichen System für das Eigentum schlechthin unentbehr-
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Bereits in der Entstehungsgeschichte des BGB ist diese „Eigentumsidee" „über diejenigen Güter, die dem Menschen durch seine Arbeit und sein sonstiges Leben besonders eng verbunden sind, soll er allein in letzter Linie bestimmen" 166 - deutlich zum Ausdruck gelangt. Die in dem Vorentwurf zum Sachenrecht und in den Kommissionsentwürfen enthaltenen „Vorläuferregelungen" zu § 903 Satz 1 enthielten zwar nicht wörtlich, aber jedenfalls inhaltlich mit § 903 Satz 1 übereinstimmende Vorschriften, in denen von Anfang an auch die positive Seite der Eigentümerbefugnisse hervorgehoben worden war 1 6 7 . In der Vorschrift des § 848 E I 1 6 8 ist die innerhalb der Schranken rechtlich bindungslose Entscheidungsfreiheit des Eigentümers sprachlich sogar in einem gegenüber dem späteren § 903 stärkeren Maße betont worden, indem es dort bezogen auf den positiven Eigentumsinhalt hieß, daß der Eigentümer einer Sache das Recht hat, „nach Willkür mit der Sache zu verfahren und über dieselbe zu verfügen". Zwar ist die Formulierung „nach Willkür mit der Sache zu verfahren" von der 2. Kommission auf einen entsprechenden Änderungsantrag zu § 848 E I h i n 1 6 9 mit der Begründung geändert worden, in dem Verfahren „nach Willkür" könne auch eine Befreiung des Eigentümers von allen durch die Gebote der Sittlichkeit gegebenen Beschränkungen hinsichtlich des Gebrauchs der Sache gesehen werden und insoweit habe der Ausdruck Anstoß erregt 170 . Inhaltlich hielt allerdings auch die 2. Kommission den positiven Inhalt der Eigentümerbefugnisse durch die Formulierung des § 848 E I am besten für wiedergegeben, da die Worte „nach Willkür" ihrer Auffassung nach richtig verstanden nichts anderes besagten, als „daß die Rechtsordnung, von den durch Gesetz oder Rechte Dritter begründeten Schranken abgesehen, dem Willen des Eigentümers keine Beschränkung auferlege" 171 . Die in § 903 Satz 1 niedergelegte Freiheit des Eigentümers zur Willensherrschaft über die Sache im Sinne subjektiver und verbindlicher Entscheidungskompetenz wirkt sich in Hinblick auf die im vorliegenden Zusammenhang besonders interessierende Sachnutzungsbefugnis dahin aus, daß der Eigentümer im Rahmen lieh". In der Privatnützigkeit des Eigentums, d. h. seiner Zuordnung zu einem Rechtsträger, in dessen Hand es als Grundlage privater Initiative und im eigenverantwortlichen Interesse von Nutzen sein soll, sieht das Bundesverfassungsgericht ein konstituierendes Merkmal auch des durch Art. 14 GG geschützten Eigentums, siehe nur BVerfGE 50, 290ff. (339); 53, 257 ff. (290) und 69, 272 ff. (300). Zu dem verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff des Art. 14 GG, der weitergehend als der sachenrechtliche Begriff des Eigentums auch nichtkörperliche Vermögensgegenstände erfaßt, siehe Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl., 126 ff. Siehe zur Abgrenzung zwischen beiden Eigentumsbegriffen v. Bar, Deliktsrechtliche Eigentumsverletzungen, 1992, 6 und Wilhelm, Sachenrecht, 1993, 71 f., Rz. 140f. 166 Peter, Wandlungen, 1949, 120; Sontis, FS Larenz, 1973, 981 ff. (998): „ . . . Der Eigentümer ist (es), der in letzter Linie den Entscheid in Bezug auf die Sache hat 167 Zu § 85 TE-SachR siehe die Wiedergabe des Wortlauts unter I., Fn. 8. 168 Zu dessen Wortlaut siehe unter I., Fn. 12. 169 5. Änderungsantrag zu § 848 E I (siehe Jakobs/Schubert, Sachenrecht 1,443). 170 Siehe Mugdan III, 578. πι Mugdan III, 578.
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlicen Nutzungsschutzes
des Schrankenvorbehalts „nach eigenem Belieben nutzen darf", d. h., ihm allein obliegt die Bestimmung, zu welchem Zweck die Sache genutzt wird 1 7 2 . Mit anderen Worten: Der Eigentümer hat das Recht zur Widmung 173 .
2. Abgrenzung zum Funktionseigentum a) Zum Begriff des Funktionseigentums am Beispiel verschiedener weltanschaulicher Lehren bzw. Rechtslehren Mit dem Begriff des Funktionseigentums174 ist eine Eigentumsvorstellung verbunden, nach der dem Sachberechtigten nur die Befugnis zusteht, die Sache in einer sozialüblichen oder durch das objektive Recht festgelegten Funktion zu nut172 Das betont der BGH vor allem in Zusammenhang mit der Zweckbestimmung von Grundstücken, siehe BGH NJW 1984, 1242 f. (1242): „Da der Kl. sein Eigentum innerhalb seiner Grenzen grundsätzlich so nutzen darf, wie er es für richtig h ä l t , . . B G H Z 90, 255 ff. (261); BGHZ 111, 63 ff. (71). Siehe auch BAG SAE 1979, 187 ff. (189): Das Gericht bejaht die Abwehrklage des Eigentümers aus § 1004 unter der Voraussetzung, daß „Dritte in die von ihm allein zu bestimmende Art der Nutzung" eingreifen. Aus der Literatur sei verwiesen auf Fraenkel, Tatbestand, 1979, 129: „In aller Regel haben Sachen keine objektiven, sondern immer nur die Funktionen, die ihnen ihr Eigentümer beilegt." und Müller-Graff, JZ 1983, 860 ff. (863): Die Verwendungsfunktion einer Sache wird vom Eigentümer festgelegt. 173
Unter dem Begriff der Widmung wird hier also die Zweckbestimmung einer Sache verstanden. In dieser allgemeinen Bedeutung (siehe Schultzenstein, VerwA 28 (1921), 169 ff. (171) und Schallenberg, Die Widmung, 1955, 54) ist der Begriff der Widmung im bürgerlichen Recht geläufig. So wird ζ. B. im Rahmen von § 97 die Bestimmung einer beweglichen Sache, dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen, häufig auch als Widmung bezeichnet, siehe nur BGH NJW 1969, 2135 f. (2136); BGH NJW-RR 1990, 586ff. (587 f.); Soergel- Mühl, 12. Aufl., § 97, Rz. 25; Jauernig-Jauernig, 7. Aufl., §§ 97, 98, Anm. 1 c; Palandt-Heinrichs, 54. Aufl., § 97, Rz. 6; Schön, Der Nießbrauch an Sachen, 1992, 68ff.; MünchKomm-Holch, 3. Aufl., § 97, Rz. 18. Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil, I, 15. Aufl., 810, Fn. 5 spricht insoweit von „Zweckwidmung". Der Begriff der „Zweckwidmung" findet sich auch bei Ballerstedt, JZ 1951, 486 ff. (489), hier allerdings in Zusammenhang mit der von ihm befürworteten „institutionell ausgebildeten Eigentumslehre", mit welcher er unter Anerkennung einer „Eigentumsgestaltung" durch den Eigentümer die rechtliche Berücksichtigung der sozialen und gemeinwirtschaftlichen Gehalte des jeweiligen Eigentums fordert und als Folge der Güterwidmung durch den Eigentümer zu einem nach Gegenständen qualitativ zu differenzierendem Eigentumsrecht gelangt (siehe insbesondere 490 ff.). Über die Rechtsnatur des bürgerlich-rechtlichen Widmungsbegriffs im Sinne der Zweckbestimmung einer Sache bestehen unterschiedliche Auffassungen: Zum Teil wird von einer Rechtshandlung ausgegangen, für deren Vornahme natürliche Willenfähigkeit ausreicht (so ζ. B. PalandtHeinrichs, 54. Aufl., § 97, Rz. 6 und Erman-Michalski, 9. Aufl., § 97, Rz. 5), nach anderer Ansicht wird in Hinblick auf die rechtlichen Auswirkungen der Widmung Geschäftsfähigkeit verlangt (siehe MünchKomm-Holch, 3. Aufl., § 97, Rz. 18 m.w.N.). Das Reichsgericht geht zu § 97 davon aus, daß die Zweckbestimmung zwar kein Rechtsgeschäft darstellt, gleichwohl jedoch eine Willensäußerung gefordert ist, siehe RG HRR 1934, Nr. 1273. ™ Nach Kroeschell, FS H. Thieme, 1977, 34 ff. (64, Fn. 157) stammt der Begriff von Léon Duguit, der - die folgenden Ausführungen beruhen auf der Darstellung und der Kritik der Lehre Duguits bei Peter, Wandlungen, 1949, insb. 129 ff. - einer auf dem Begriff des sub-
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z e n 1 7 5 . Eine dem Gedanken des Funktionseigentums entsprechende Eigentumsvorstellung ist von verschiedenen weltanschaulichen Lehren bzw. Rechtslehren entwickelt worden. So findet sich ein solches Eigentumsverständnis in der von den Reformatoren Luther, Z w i n g l i und Calvin geprägten und bis heute beeinflußten protestantischen Eigentumslehre 1 7 6 . Nach der i m Kern übereinstimmenden Eigentumslehre dieser Reformatoren kommt alles dem Menschen überantwortete Gut von Gott, der allein „als Eigentümer" anzusehen ist. Eine davon zu unterscheidende „menschliche Eigentumsordnung" wird zwar als notwendig anerkannt, die Güter sind den Menschen allerdings nur als „Lehen" überlassen. Sie sind deshalb letztlich nicht Eigentümer derselben, sondern deren „Verwalter" mit der Aufgabe - dem „ A m t " - , der jeweiligen Funktion des von Gott überlassenen Gutes für die Lebensgemeinschaft
jektiven Rechts aufbauenden individualistischen Rechtsordnung ein „sozialistisches Rechtssystem" in dem Sinne gegenüberstellte, daß alle Menschen aufgrund ihrer gegenseitigen Abhängigkeit innerhalb einer Gesellschaft bestimmte, je nach Stellung unterschiedliche Funktionen zu erfüllen haben, die durch die Rechtsordnung miteinander in Einklang gebracht werden müssen (Peter, a. a. O., 134 ff., insb. 136). Für das Eigentum folgt aus dieser Lehre, daß es nicht mehr als subjektives Recht zu verstehen ist, sondern als „soziale Funktion" und insoweit als Verpflichtung des Eigentümers, seine Güter im gesellschaftlichen Interesse zu verwenden (siehe Peter, a. a. O., 6 und ausführlich 142ff.; zur Kritik an der Lehre Duguits, speziell in Hinblick auf dessen Ablehnung von subjektiven Rechten, siehe 155 ff.). 175 So die Beschreibung von AK-BGB-Ott, § 903, Rz. 13. Siehe auch Block, Die Bedeutung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses, 1969, 155 und Kroeschell, FS H. Thieme, 1977, 34 ff. (63 f.). Ähnlich Pawlowski, AcP 165 (1965), 395 ff. (410): Danach bedeutet Funktionseigentum, „daß der Eigentümer das Recht hat, die Sache, d. h., den durch einen rechtlich anerkannten Zweck bestimmten Teil der Umwelt, (nur) in ihrer gewöhnlichen Funktion zu gebrauchen.". Pawlowski stellt diesem Begriff ein von ihm so bezeichnetes „Substanzeigentum" gegenüber: Darunter versteht er das Recht des Eigentümers, „die Funktion der Sache zu bestimmen, d. h., einen Teil der Umwelt zu dieser oder jener Sache zu machen" (a. a. O., 410), ihr eine von ihm bestimmte Funktion zu geben (a. a. O., 414). Der als Antipode zum Funktionseigentum gewählte Begriff des Substanzeigentums ist als solcher wenig aussagekräftig in Hinblick auf den von Pawlowski beigemessenen Inhalt, ruft seine Verwendung doch eher Vorstellungen über das hervor, was Gegenstand des Eigentums sein kann - nur körperliche Gegenstände oder auch solche immaterieller Natur (so denkt man daran, daß bereits O. v. Gierke von einem „materialistisch" verunstalteten Eigentumsbegriff wegen des Ausschlusses der Immaterialgüterrechte gesprochen hat, siehe Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, 22) - als daß man mit diesem Begriff entsprechend seiner Gegenüberstellung zu dem Begriff des Funktionseigentums eine Aussage über die Entscheidungsfreiheit des Eigentümers in Bezug auf die Zweckbestimmung des Eigentumsgegenstandes erwartet. Siehe im übrigen zu dem Verständnis des Eigentums im Sinne des oben beschriebenen Funktionseigentums, allerdings ohne diesen Begriff zu verwenden, unter anderem Molitor, FS A. Schultze, 1934, 33 ff. (37); Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 175, der den Begriff Gemeineigentum verwendet und darunter „die Verleihung des Eigentums an seinen Träger ... von vorneherein mit einer mehr oder weniger genauen Zweckbestimmung" versteht; Sontis, FS Larenz, 1973, 981 ff. (999); Jauernig, FS Univ. Heidelberg, 1986, 87 ff. (94). 176 Dazu ausführlich Locher, Der Eigentumsbegriff, 1954, 17 ff. zum Eigentumsverständnis der Reformatoren, 141 ff. zu dem „Eigentumsproblem" in der neueren evangelischen Theologie.
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der Christen und für die Volkswirtschaft gerecht zu werden 1 7 7 . M i t dem reformatorischen Eigentumsbegriff verbindet sich danach anstelle eines dem Einzelnen zustehenden Verfügungsrechts die Vorstellung der „Funktion für die Gemeinschaft", die als Auftrag bzw. A m t zu erfüllen i s t 1 7 8 . Charakteristisch für diese Eigentumslehre ist danach der Amtscharakter sowie der Dienst- und Pflichtgedanke 1 7 9 . Geprägt von dem Gedanken eines Funktionseigentums i m obigen Sinne war auch die germanistische Eigentumsdoktrin des 19. Jahrhunderts, deren Vertreter in ausdrücklicher Gegenüberstellung zu einem von ihnen als rein individualistisch verstandenen, ihrer Auffassung nach allein der Verwirklichung subjektiver Eigentümerinteressen dienenden römisch-rechtlichen Eigentumsbegriff von einem „pflichtgebundenen, konkreten germanischen Eigentum" ausgingen 1 8 0 . Auch nach dieser Lehre wurde das Eigentum als ein von Gott dem Menschen überantwortetes Lehen begriffen, über das der Einzelne nicht in freier Willensherrschaft disponieren konnte. Vielmehr wurden Inhalt und Umfang der dem Einzelnen zustehenden Sachherrschaft durch die Vorstellung einer sittlichen Berechtigung bestimmt, aufgrund dessen der Eigentümer lediglich berechtigt und zugleich verpflichtet sein sollte, die Sache „ihrem sittlichen Zwecke gemäß zu gebrauchen" 1 8 1 . Für die Be-
177 Siehe Locher, Der Eigentumsbegriff, 1954, 28, 35 f. und 37 f. sowie zusammenfassend zur Eigentumslehre der Reformatoren 43 ff. Siehe zur protestantischen Eigentumsauffassung auch Kübler, AcP 159 (1960), 236 ff. (241 ff.). ™ Locher, Der Eigentumsbegriff, 1954, 28 und 43.
1 79 So Kübler, AcP 159 (1960), 236 ff. (244), der in dieser reformatorischen Eigentumsvorstellung die ideengeschichtliche Grundlage der in Art. 14 Abs. 2 GG und zuvor in Art. 153 Abs. 3 WRV niedergelegten Sozialbindung des Eigentums sieht (a. a. Ο., 248 f.); ebenso Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 172. Nach Kroeschell, FS H. Thieme, 1977, 34 ff. (64, Fn. 160) übersieht Kübler die germanistischen Wurzeln von Art. 153 Abs. 3 WRV. Zur Begründung verweist Kroeschell auf Gierkes Einfluß bei der Entstehung dieser Verfassungsbestimmung, dessen Eigentumsdenken vor allem in der germanistischen Tradition gewurzelt habe (a. a. O., 64f.); abweichend in der Bewertung Kübler, AcP 159 (1960), 236 ff. (249). Zu dem Gedanken eines Funktionseigentums in der katholischen Eigentumslehre siehe Molitor, FS A. Schultze, 1934, 33 ff. (33 und 43 f. m.Nachw.). Zur Abgrenzung gegenüber der protestantischen Eigentumslehre siehe Locher, Der Eigentumsbegriff, 1954, 121 ff. und insb. 132 ff. sowie Kübler, AcP 159 (1960), 236 ff. (247 f.). 180 Siehe näher Kroeschell, FS H. Thieme, 1977, 34 ff. (46 ff.), der den germanistischen Eigentumsbegriff als nicht mit der rechtshistorischen Quellenforschung übereinstimmende, „nicht weiter ableitbare rechtspolitische Grundüberzeugung" der Deutschrechtler des 19. Jahrhunderts bezeichnet (a. a. O., 60). 181 So C.A. Schmidt, Der principielle Unterschied zwischen dem römischen und dem germanischen Rechte, 1853, 218 und 224. Sodann heißt es bei C.A. Schmidt, a. a. Ο., 225: „ . . . ist das Eigenthum nur das Recht (und die Pflicht), eine Sache ihrem sittlichen Zwecke gemäß zu beherrschen und zu gebrauchen, ihr, wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf, »vorzustehen nach ihrem Rechte'", womit sich das Eigentum nach der Auffassung C.A. Schmidts „nur noch wenig" von dem Rechte desjenigen unterscheidet, der, ohne Eigentümer zu sein, aus irgendeinem anderen Grunde die Herrschaft über eine Sache hat (a. a. O., 225 f.). C.A. Schmidt leitet aus diesem seiner Ansicht nach für das germanische Recht maßgebenden Eigentumsbegriff ab, daß entgegen dem römischen Recht „das Eigenthum an den verschieden-
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumserständnisses
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Schreibung des Eigentums an Grundstücken hat O. v. Gierke die germanistische Eigentumsvorstellung in seiner Kritik am 1. Entwurf des BGB in dem Wiener Vortrag: „Die soziale Aufgabe des Privatrechts" von 1889 auf die Formel gebracht, daß das Grundeigentum „ i n letzter Instanz nichts als ein begrenztes Nutzungsrecht an einem Theile des nationalen Gebietes i s t " 1 8 2 , und es i m Gegensatz zur Konzeption des BGB erforderlich sei, daß das Recht „die Unterschiede der natürlichen oder verkehrsmäßigen Zweckbestimmung" zur Geltung b r i n g e 1 8 3 . Schließlich sei noch hervorgehoben, daß die Vorstellung eines Funktionseigentums nach dem Inkrafttreten des BGB besondere Bedeutung in der an die germanistische Eigentumsdoktrin anknüpfenden nationalsozialistischen Eigentumslehre erlangt h a t 1 8 4 . Insbesondere Wieacker hat dieses „neue" Eigentumsverständnis in seiner 1935 erschienenen Schrift „Wandlungen der Eigentumsverfassung" 185
artigen Sachen also ein Verschiedenes ist" mit Konsequenzen für die „rechte Ausübung der Herrschaft" (a. a. O., 225 f.) und bezeichnet als „Hauptunterschied" den zwischen „Grundstücken und fahrender Habe", bei letzteren wiederum differenziert er zwischen „leblosen Sachen, Thieren ... und Leibeigenen, in sofern das Herrschaftsrecht über diese ... überhaupt unter den Begriff des Eigenthums gebracht werden kann", bei jenen zwischen „Herrschaften, Rittergütern, städtischen Grundstücken und Bauerngütern". Zur Bedeutung der Schrift von C.A. Schmidt für „die Mode gewordene germanistische Auffassung" sowie ihrer wissenschaftlichen Einschätzung siehe Süntzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Dritte Abt., Zweiter Halbb., 1910, Text, 636 und Noten, 275, 12. Siehe auch Kroeschell, FS H. Thieme, 1977, 34 ff. (56). 182 Siehe O. v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, 18. 183 O. v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, 17. 184 Siehe dazu mit ausführlichen Nachw. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 1968, 351 ff. sowie 356 ff. zu den (geringen) Auswirkungen der „neuen Eigentumsauffassung" auf die Rechtsprechung. Der von der nationalsozialistischen Rechtslehre entwickelte Eigentumsbegriff ist nur ein Teilausschnitt einer für notwendig befundenen Neubewertung des subjektiven Rechts überhaupt. Deutlich beispielsweise Wieacker, Wandlungen der Eigentumsverfassung, 1935, 60 i.V.m. Fn. 86, wonach die „herrschende Formel" des subjektiven Rechts, die „weder den möglichen Verpflichtungsgehalt der Rechtsausübung noch das mögliche Recht auf Rechtspflichten noch die Einbettung der Einzelberechtigung in eine Berechtigungsordnung" aufnimmt, „in hohem Maße der Korrektur" bedürfe. Die Grundlage für eine solche Neubewertung hat Siebert mit seiner 1934 erschienenen Schrift ,Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung' geschaffen, mit der er u.a. das Ziel verfolgte, anhand einer näher zu entwickelnden Lehre von der Unzulässigkeit der Rechtsausübung zu zeigen, „daß diese Lehre den Pflicht- und Gemeinschaftsgedanken und die Zurückdrängung des Eigennutzes in dem Inhalt der Rechte zu verwirklichen vermag, womit ein wichtiges Stück nationalsozialistischer Rechtsauffassung zu unmittelbarer Geltung gebracht werden kann". Als Ursprung der von ihm vertretenen Immanenzlehre, mit welcher der Gedanke „der Gemeinschaft und des Gemeinnutzes" im Vergleich mit der Außentheorie „viel unmittelbarer und eindringlicher zur Gestaltung" gebracht werden kann, sieht Siebert insbesondere unter Verweis auf den Eigentumsbegriff die „deutschrechtliche Auffassung", „die Schranken eines Rechts zu dessen Inhalt zu rechnen" entsprechend der „sozialen Funktion" des Rechts (a. a. O., 87 f.). Siebert spricht demgemäß von einer „deutschrechtlich-sozialen Innentheorie" (a. a. O., 88). Zur „Korrektur" des subjektiven Rechts in der nationalsozialistischen Rechtslehre siehe Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 1968, 236 ff. mit zahlr. Literaturangaben. Siehe auch Kroeschell, FS H. Thieme, 1977, 34 ff. (62 f.).
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlicen Nutzungsschutzes
frühzeitig herausgearbeitet, in welcher er nach der „Umwälzung des Jahres 1933" im Rahmen einer „Rechtserneuerungsarbeit im Gebiete des gegenwärtigen Sachenrechtes" auf der Grundlage eines im „nationalsozialistischen Staat" „materiell neuartigen Wertgehalts" des Eigentums den „Versuch zu einer klaren und festen Bestimmung der Denkformen" unternimmt 186 . Ausgangspunkt für die Eigentumsvorstellung Wieackers ist unter Zugrundelegung einer „vorjuristischen deutschen Lebensordnung" 187 zunächst, daß das Eigentum eine von der Rechtsordnung vorgenommene „Zuordnung von Sachgütern an eine Rechtsperson" darstellt 188 . Diese Zuordnung der Sachgüter erfolgt jedoch mit der Maßgabe einer „gerechten Zuweisung", d. h., hierdurch soll das „richtige Verfahren mit den Sachgütern der Volksordnung" sichergestellt werden, auf „daß damit sachgemäß verfahren werde" 189 . Von einem sachgemäßen Verfahren kann nach Wieacker nur gesprochen werden, wenn dieses sowohl den „Ordnungszielen der Volksordnung dient und zugleich der Rechtsperson ihren vom Rechte anerkannten und geforderten Tätigkeitskreis ... schafft" 190 . Dementsprechend wird der Eigentumsbegriff beschrieben als „Zugehörigkeit der Sache zur Person, deren die Person zu sachgerechtem Handeln in der Volksordnung und deren die Sache zur Erfüllung ihrer Funktionen in der Volksordnung bedarf 4191 . In der Forderung nach sachgetreuem Verfahren sieht Wieacker keine Beschränkung des Eigentums, sondern lediglich eine inhaltliche Bestimmung: „Wer mit einer Sache umgeht, steht in einem Dienst" 192 .
185 Dieser Schrift wird nach dem „Ende" der nationalsozialistischen Rechtslehre heute verschiedentlich (positive) Bedeutung in Hinblick darauf beigemessen, daß Wieacker erstmals in aller Klarheit die Erkenntnis ausgesprochen habe, daß Inhalt und Umfang der Befugnisse des Eigentümers nach Art und Bedeutung der Güter abgestuft werden müssen, siehe ζ. B. Rudolph, Die Bindungen des Eigentums, 1960, 8 und im Anschluß hieran Sontis, FS Larenz, 1973, 981 ff. (1000, Fn. 71). Abgesehen davon, daß die Isolierung dieses „Abstufungsgedankens" als eine notwendige Konsequenz der Wieackerschen Eigentumsthesen (siehe nachfolgend im Text) zum Zwecke einer positiven Bewertung schon fragwürdig erscheint, konnte sich Wieacker für diese Erkenntnis auf „Germanisten" stützen, die sich keineswegs undeutlich zur Notwendigkeit eines gegenstandsdifferenzierten (abgestuften) Eigentumsbegriffs geäußert haben. Hingewiesen sei insoweit vor allem auf C A . Schmidt, Der principielle Unterschied zwischen dem römischen und germanischen Rechte, 1853, der als Konsequenz aus seinem Eigentumsbegriff (siehe schon oben, vor allem Fn. 181) abgeleitet hat, daß an verschiedenartigen Sachen ein verschiedenes Eigentum mit je nach Sachart unterschiedlichen Folgen für die ,/echte Ausübung der Herrschaft" besteht (224 f.). Siehe auch die Ausführungen von O. v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, 16: „ . . . ein schädlicher Irrthum, daß das Eigenthum überall sich selbst gleich und von der Natur seines Gegenstandes vollkommen unabhängig sei". 186 Wieacker, Wandlungen der Eigentumsverfassung, 1935, 9.
187 Wieacker, (Fn. 186), 24. 188 Wieacker, (Fn. 186), 24. Zur Abgrenzung dieses Zuordnungsgedankens von der Zuordnungslehre H. Westermanns siehe unter II. 2., insb. Fn. 26. 189 Wieacker, (Fn. 186), 24. 190 Wieacker, (Fn. 186), 24. 191 Wieacker, (Fn. 186), 25.
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumserständnisses b) Unvereinbarkeit
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des sachenrechtlichen Eigentumsverständnisses
mit der Vorstellung eines Funktionseigentums Vor dem Hintergrund des vorstehend anhand verschiedener weltanschaulicher (bzw. Rechts-)Lehren erläuterten Begriffs des Funktionseigentums wird deutlich, daß diese eigentumstheoretische Vorstellung nicht mit der von einem freien Belieben, d. h., einer i m Rahmen des Schrankenvorbehalts allein nach den subjektiven Eigentümerinteressen ausgerichteten Entscheidungskompetenz des Eigentümers hinsichtlich der Zweck-(Nutzungs-)Bestimmung seiner Sache ausgehenden Eigentumskonzeption des B G B 1 9 3 vereinbar i s t 1 9 4 . Bereits Johow hat in der Einleitung
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Wieacker, (Fn. 186), 25. Den Dienst- und Amtscharakter des Eigentums bezeichnet Wieacker als einen wesentlichen und zeitlosen Zug deutscher Eigentumsordnung, a. a. O., 88, Fn. 29. Siehe auch Brunstäd, FG für F. Julius Binder, 1930, 128 f.: „Die Sache bindet den Eigentümer durch ... ihren Wertcharakter in ihrem Gebrauche." und: „Eigentum ist (von Gott, Verf.) anvertrautes Gut, und der Eigentümer ist Haushalter, das ist sein Recht."; Eichler, Wandlungen des Eigentumsbegriffes in der deutschen Rechtsauffassung und Gesetzgebung, 1938, 81 zum Grundeigentum: „Der Bestand des Eigentumsrechtes ist unlösbar an die Verpflichtung geknüpft, den Grund und Boden zum Wohle der Gemeinschaft zu nutzen.". 193
Siehe oben unter 1. ™ Schloßmann, JherJb 45 (1903), 289 ff. (329); Molitor, FS A. Schultze, 1934, 33 ff. (43ff., insb. 45); Wolff-Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl., 175; Liver, GedS Gschnitzer, 1969, 247ff. (254f.); Sontis, FS Larenz, 1973, 981 ff. (999): Eine dem Eigentümer vorgegebene Zweck- oder Funktionsbestimmung würde die Aufhebung des § 903 und damit einen Verstoß gegen Art. 14 GG bedeuten; AK-BGB-Ott, § 903, Rz. 13: Danach verstieße es gegen die verfassungsrechtliche Eigentumsgewährleistung, wollte der Gesetzgeber die Autonomie des Eigentümers im Sinne eines Funktionseigentums ausschließen; Jauernig, FS Univ. Heidelberg, 1986, 87 ff. (91): Eine Objektivierung der Eigentümerinteressen im Sinne eines „wohlverstandenen Eigentümerinteresses" ist mit § 903 unvereinbar, „da dort nicht auf ein »wohlverstandenes', sondern auf das »beliebige' Interesse des konkreten Eigentümers abgehoben wird". In der rechtswissenschaftlichen Nachkriegsliteratur finden sich auch Stimmen, die unter Loslösung von der Einheitlichkeit des Eigentumsbegriffs (siehe oben unter II. 2.) für eine „Ausdifferenzierung" desselben entsprechend dem jeweiligen Nutz- und Verwendungszusammenhang von Sachen eintreten und damit der Vorstellung eines Funktionseigentums jedenfalls insoweit nicht fernstehen, als hiernach die konkrete Sachfunktion zum Maßstab dessen gemacht werden soll, was unter dem jeweiligen (Sach-)Eigentum zu verstehen ist (siehe Schultze-v. Lasaulx, AcP 151 (1950/51), 449 ff. (454) unter Bezugnahme auf Ballerstedt, JZ 1951, 486 ff. (insb. 488 ff.), der sich am Beispiel des Unternehmenseigentums für eine „institutionell ausgebildete Eigentumslehre" ausspricht). Der wesentliche Unterschied zur Lehre vom Funktionseigentum besteht allerdings darin, daß erst aufgrund einer eigenverantwortlichen Entscheidung des Eigentümers die Einordnung in eine bestimmte Eigentumskategorie erfolgt (siehe Ballerstedt, JZ 1951, 486 ff. (490 f.)). Anders allerdings die Vorstellung HJ. Vogels von einem „geläuterten Eigentumsbegriff' hinsichtlich des Eigentums an Grund und Boden, das er zum Zwecke einer Reform des Bodenrechts in ein der Gemeinde zustehendes Verfügungseigentum und ein dem einzelnen vertraglich auf Zeit mit festgelegter Nutzungsart überlassenes Nutzungseigentum aufspalten möchte (NJW 1972, 1544 ff. (1546)). Diese Vorstellung entspricht der Idee des Funktionseigentums, kritisch dazu Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 1982, 135 ff. und Kroeschell, FS H. Thieme, 1977, 34 ff. (66 ff.) unter dem Aspekt einer mit diesem Vorschlag verbundenen Wiederkehr der Trennung zwischen dominium directum und dominium utile, dem geteilten Eigentum (dazu
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Dritter Teil: Konzept eines deliktsrechtlicen Nutzungsschutzes
seiner Begründung zum Vorentwurf des Sachenrechts unter Gegenüberstellung der beiden Grundauffassungen des Eigentums - einerseits das Verständnis desselben als „Fundamentalinstitut des Sachenrechts", das die rechtliche Herrschaft über die Sache in allen ihren Beziehungen darstellt, andererseits eine Rechtsordnung, in welcher allein dem Gemeinwesen die volle Herrschaft über alle Sachen vorbehalten ist und den einzelnen Personen die Sachen nur durch eine auf Zeit erfolgende Zuweisung zur Benutzung dienstbar gemacht werden - eindeutig Stellung bezogen und ausgeführt, im letzteren Falle könne nicht mehr von Eigentum als einer Institution des bürgerlichen Rechts gesprochen werden. Eine solche Rechtsordnung komme deshalb für das Bürgerliche Gesetzbuch nicht in Betracht 195 . Der Gesetzgeber des BGB hat sich denn auch mit der in § 903 Satz 1 erfolgten Einräumung eines Verfahrenkönnens nach Belieben für ein persönlichkeitsbezogenes Eigentum 1 9 6 in dem Sinne entschieden, daß dieses Grundlage zur Verwirklichung personaler Freiheit durch die innerhalb der Rechtsschranken eingeräumte Möglichkeit zur individuellen, nach den subjektiven Eigentümerinteressen bestimmten Sachnutzung ist 1 9 7 , und damit eine gegenstandsbezogene Eigentumskonzeption verworfen, auf deren Grundlage die Befugnisse des Eigentümers hinsichtlich seiner Sachen über eine von dritter Seite objektivierte Sachfunktion definiert werden 198 . Das Eigentum i. S. d. § 903 Satz 1 ist nicht Funktionseigentum, sondern „gegenständliche Basis" 199 für die freie, von Einflußnahmen Dritter unabhängige Entfaltung des Eigentümers 200.
näher Kroeschell, a. a. O., 36 ff. und Strauch, FS Hübner, 1984, 273 ff., jeweils mit ausführlichen Nachweisen). 195 Siehe Schubert, Sachenrecht, Teil I, 129. 196 Den Begriff des „persönlichkeitsbezogenen Eigentums" verwendet Meier-Hayoz, FG Oftinger, 1969, 171 ff. (176) in einem anderen Zusammenhang, und zwar zur Umschreibung des Eigentums im Sinne einer „doppelten Persönlichkeitsbezogenheit", nämlich bezogen auf die Person des Eigentümers sowie des von dem Eigentum an der Sache grundsätzlich ausgeschlossenen Dritten. Aus dieser doppelten Persönlichkeitsbezogenheit ist nach Auffassung von Meier-Hayoz die Forderung abzuleiten, dem Eigentümer einen möglichst ungestörten Genuß seiner Sache zu sichern, wie auch die Pflicht, Dritte vor rücksichtsloser Ausübung der Eigentums macht zu schützen. 197 Siehe oben unter 1. 198 Wenn M. Wolf, UTR 12 (1990), 243 ff. (253) von einer „im Eigentum gegenstandsbezogenen persönlichen Handlungs- und Entfaltungsfreiheit" spricht, so meint er damit nichts anderes als das hier beschriebene „persönlichkeitsbezogene Eigentum", nicht aber ein gegenstandsbezogenes Eigentumsverständnis im Sinne des Funktionseigentums. 199 M. Wolf, UTR 12 (1990), 243 ff. (253). 200
Die in Art. 14 GG niedergelegte verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie beschreibt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung dahingehend, daß ihr die Aufgabe zukomme, „dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihm dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen", siehe BVerfGE 24, 367 ff. (389); 31, 229ff. (239); 50, 290ff. (339); 68, 193ff. (222); 69, 272 ff. (300).
1. Kap.: Grundlinien des sachenrechtlichen Eigentumserständnisses
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V. Zum Verhältnis zwischen positiver und negativer Seite des Eigentums Neben der als positive Seite des Eigentums bezeichneten Befugnis des Eigentümers, mit der Sache nach Belieben zu verfahren, d. h., i m Rahmen des Schrankenvorbehalts nach eigener Entscheidung alle möglichen rechtlichen und tatsächlichen Maßnahmen vornehmen zu k ö n n e n 2 0 1 , wird in der Vorschrift des § 903 Satz 1 darüberhinaus ausdrücklich die Befugnis genannt, daß der Eigentümer auch hier wiederum begrenzt durch die von der Rechtsordnung gesetzten Schranken - andere von jeder Einwirkung ausschließen kann. Diese dem positiven Eigentumsinhalt als negativer Eigentumskern 2 0 2 , (negative) äußere R i c h t u n g 2 0 3 oder auch externe Rechtsmacht 2 0 4 gegenübergestellte Seite des in § 903 Satz 1 niedergelegten Eigentumsinhalts kennzeichnet das Eigentum als absolutes R e c h t 2 0 5 . Sie steht zu der positiven Seite in einem ergänzenden Verhältnis dergestalt, daß die Ausschließungsbefugnis dem Schutz des Verfahrens nach Belieben d i e n t 2 0 6 , wobei diese Schutzfunktion mangels Anspruchsqualität des § 903 Satz l 2 0 7 über i m Gesetz besonders bestimmte Anspruchsnormen (und sonstige Rechtsbehelfe), vor allem die §§ 823, 985 und 1004 verwirklicht w i r d 2 0 8 .
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Siehe nur Staudinger-Seiler, 12. Aufl., § 903, Rz. 10. Zum positiven Eigentumsinhalt, insbesondere zur Nutzungsbefugnis und ihrer Realisierung durch konkrete Sachnutzung siehe oben unter III., zur Eigentümerfreiheit als Entscheidungsfreiheit in Abgrenzung zu einem mit § 903 Satz 1 nicht zu vereinbarendem Funktionseigentum siehe oben unter IV. 2 2 Erman-H. Hagen, 9. Aufl., § 903, Rz. 1. 2 03 Schwab/Prütting, Sachenrecht, 25. Aufl., 125. 2