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German Pages 275 Year 1997
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 99
Das Vortäuschen einer Straftat (§ 145 d StGB) als abstraktes Gefährdungsdelikt Von
Martin Saal
Duncker & Humblot · Berlin
MARTIN SAAL
Das Vortäuschen einer Straftat (§ 145 d StGB) als abstraktes Gefährdungsdelikt
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser em. ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg
und Dr. Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 99
Das Vortäuschen einer Straftat (§ 145 d StGB) als abstraktes Gefahrdungsdelikt
Von
Martin Saal
Duncker & Humblot * Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Ulrich Berz, Bochum
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Saal, Martin: Das Vortäuschen einer Straftat (§ 145 d StGB) als abstraktes Gefährdungsdelikt / von Martin Saal. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Strafrechtliche Abhandlungen ; N.F., Bd. 99) Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08893-X NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-08893-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @
Meinen Eltern
Vorwort Die Arbeit hat im Wintersemester 1995 / 96 der Abteilung für Rechtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation vorgelegen. Literatur und Rechtsprechung sind bis Herbst 1995 berücksichtigt worden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Ulrich Berz, für die Betreuung der vorliegenden Arbeit sowie die Förderung, die ich als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl über mehrere Jahre hinweg erfahren habe. Nicht zuletzt aufgrund seiner Unterstützung ist mir die Veröffentlichung der Dissertation in der vorliegenden Schriftenreihe ermöglicht worden. Danken möchte ich ferner Herrn Professor Dr. Gerd Geilen für die Erstellung des Zweitgutachtens über die Dissertation.
Gelsenkirchen, im Juli 1996
Martin Saal
Inhaltsverzeichnis Erster Teil
Einleitung A.
Umfang der registrierten Kriminalität
19
B.
Kritische Rechtsprobleme des § 145 d StGB anhand von Beispielen aus der neueren Rechtsprechung
21
Das Ziel der Untersuchung
25
C.
Zweiter Teil
Zur Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB Die Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt A.
B.
Stand der Meinungen
26
I.
Rechtsprechung
26
II.
Schrifttum
27
Kritik und eigener Standpunkt I.
Die Einordnung des § 145 d StGB als Erfolgsdelikt oder schlichtes Tätigkeitsdelikt
29 32
1.
Die amtliche Kenntnisnahme des täuschenden Sachverhalts als „Erfolg" im Sinne einer fehlgeleiteten Ermittlungstätigkeit 33
2.
Die amtliche Kenntnisnahme des täuschenden Sachverhalts als „Erfolg" im Sinne eines bloßen Wahrnehmungserfordernisses 34 a)
b)
Zur Abtrennung der amtlichen Kenntniserlangung von der Schaffung des täuschenden Sachverhalts durch den Täter — Die Bestimmung der Tathandlung des § 145 d StGB
35
Verletzung / Gefährdung des Handlungsobjekts
38
aa)
Die Behörde etc. als Handlungsobjekt i. S. des § 145 d StGB 40
bb)
Das behördliche Arbeitspotential als Handlungsobjekt i. S. des § 145 d StGB
40
10
Inhaltsverzeichnis 3.
Zwischenergebnis
4.
Konsequenzen für die Einordnung als schlichtes Tätigkeitsdelikt . . 42
5. II.
41
a)
Zum Unrechtsgehalt der schlichten Tätigkeitsdelikte
43
b)
Bedeutung für die Auslegung des § 145 d StGB
45
Ergebnis
45
Die Einordnung des § 145 d StGB als unechtes Unternehmensdelikt . . . 46 1.
Zum Begriff des „unechten Unternehmensdelikts" a) b)
46
Der Erfolgsverzicht als kennzeichnendes Kriterium der unechten Unternehmensdelikte
48
Die unechten Unternehmensdelikte als „Delikte mit überschießender Innentendenz"
49
aa)
Untersuchung anhand der herkömmlichen Beispiele unechter Unternehmensdelikte 50 (1) Das »Auffordern" i. S. des § 111 StGB
51
(2) Das „Widerstandleisten" bzw. „Angreifen" i. S. des § 113 StGB
53
(3) Das „Einwirken" i. S. des § 125 I 3. Var. StGB . 53 (4) Das „Verdächtigen" i. S. des § 164 StGB
54
(5) Das „Hilfeleisten" i. S. des § 257 StGB
55
(6) Das „Nachstellen" i. S. des § 292 StGB
56
(7) „Vorteilsgewährung" i. S. des § 333 StGB
56
Ergebnis
58
Zur Einordnung des § 145 d StGB
58
a)
Zur objektiven Tatseite des § 145 d StGB
58
b)
Zur subjektiven Tatseite des § 145 d StGB
59
bb) 2.
3.
aa) bb)
Die sog. subjektive Eignungsthese 60 Die einschränkende Auslegung des subjektiven Tatbestands des § 145 d StGB 61
Ergebnis
62
ΙΠ. Die Einordnung des § 145 d StGB als Gefährdungsdelikt 1. 2.
Unterschiede zwischen konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikten
62 63
Zur Einordnung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt in Form eines (materiellen) Eignungsdelikts
64
a)
Die sog. Eignungsdelikte
64
b)
Zur Einordnung des § 145 d StGB
65
Inhaltsverzeichnis c)
d) 3.
Kritische Stellungnahme
66
aa)
Kritik an dem Erfordernis der objektiven Eignung der Täuschungshandlung zur Herbeiführung unnötiger Ermittlungsarbeit 66
bb)
Generelle Kritik an der Bildung von »JEignungsdelikten im materiellen Sinn" 70
Ergebnis
70
Zur Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte
70
a)
71
Die Vorteile abstrakter Gefährdungsdelikte aa)
b)
Verbesserter Rechtsgüterschutz durch Vorverlagerung der Strafbarkeit
71
bb)
Ausschaltung des Zufallsmoments
72
cc)
Ausschaltung des (konkreten) Gefahrbegriffs
74
dd)
Schaffung eines eindeutigen Handlungsverbots
75
ee)
Ergebnis
76
Die Schwachpunkte abstrakter Gefährdungsdelikte
76
aa)
Vorverlagerung der Strafbarkeitsgrenze aus Tätersicht
76
bb)
Kollision mit dem Schuldprinzip bei erwiesener Ungefährlichkeit der tatbestandlichen Handlung
77
(1) Darstellung des Problems
77
(2) Dogmatische Lösungsmöglichkeiten 79 (a) Reduktion durch widerlegbare Vermutung der konkreten Gefahr 79 (b) Das Erfordernis der Wahrscheinlichkeit einer konkreten Gefahr 80 (c) Straflosigkeit bei Risikoausschluß
81
(d) Das Erfordernis der objektiven bzw. subjektiven Sorgfaltswidrigkeit 82 (e) Tatbestandsausschluß als Folge fehlender Verletzung des Vertrauens der Rechtsgenossen
84
(f) Sicherheit als Rechtsgut
86
(g) Gefährlichkeitsunrecht als primäres Erfolgsunrecht
88
(3) Der eigene Standpunkt - Zur Unterscheidung der abstrakten Gefährdungsdelikte nach dem geschützten Rechtsgut 88 (a) Kategorien der geschützten Rechtsgüter . . . . 89
Inhaltsverzeichnis (aa)
Individualrechtsgüter
90
(bb) Rechtsgüter der Allgemeinheit
93
(b) Zur differenzierten Behandlung abstrakter Gefährdungsdelikte nach dem jeweils geschützten Rechtsgut
95
(aa)
Bestimmbarkeit der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts
95
Strafbarkeit einzelner ungefährlicher Handlungen
96
Ergebnis
97
§ 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt - Vereinbarkeit mit dem Schuldgrundsatz
97
a)
Das geschützte Rechtsgut des § 145 d StGB
97
aa)
Stand der Meinungen
97
(1) Staatliche Strafrechtspflege bzw. Präventivtätigkeit als geschützte Rechtsgüter der Nrn. 1 bzw. Nrn. 2 des § 145 d StGB
97
(2) Schutz der Präventivtätigkeit als eigentliche Aufgabe des § 145 d StGB
98
(3) Das Arbeitspotential der Behörden als einheitliches Rechtsgut des § 145 d StGB
99
(4) § 145 d StGB als Delikt gegen die öffentliche Ordnung
99
(bb) (cc)
bb)
Kritische Stellungnahme
cc)
Der eigene Standpunkt - § 145 d StGB als Delikt mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" 103 (1) Die Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" (a) §§ 153 ff., 331 ff. StGB als Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut"
100
103 104
(b) Die Vorzüge der Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" 106
b)
(2) „Endrechtsgut" (bzw. „Endrechtsgüter") und „Zwischenrechtsgut" des § 145 d StGB
107
(3) Ergebnis
109
Schlußfolgerung für die Vereinbarkeit mit dem Schuldgrundsatz aa)
109
Zur Problematik erwiesener Ungefährlichkeit der tatbestandlichen Handlung 109
Inhaltsverzeichnis
bb)
(1) Konsequenzen aus der Einordnung des § 145 d StGB als Delikt mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut"
109
(2) Der eigene Standpunkt
111
Zur Ausgrenzung von Minimal verstoßen
112
(1) Bestehende gesetzliche Geringfügigkeitsregelungen
113
(a) Regelungen innerhalb des Strafprozeßrechts 113 (b) Regelungen innerhalb der Strafverfolgungsvoraussetzungen
114
(c) Regelungen innerhalb der Strafzumessung . 114 (d) Geringfügigkeit als sachlicher Strafausschließungsgrund
115
(e) Geringfügigkeit als Rechtfertigungsgrund . . 115 (f) Geringfügigkeit als negatives Tatbestandsmerkmal
116
(g) Zwischenergebnis für § 145 d StGB
117
(2) Mögliche Einwände gegen eine Ausdehnung des Geringfügigkeitsprinzips über die gesetzlichen Regelungen hinaus 117 (3) Zur systematischen Einordnung des Geringfügigkeitsprinzips innerhalb der abstrakten Gefährdungsdelikte 119 (a) Zur analogen Anwendbarkeit des § 326 VI StGB als sachlicher Strafausschließungsgrund
120
(b) Das Geringfügigkeitsprinzip als tatbestandliche Auslegungsregel
122
(4) Ergebnis C.
124
Zusammenfassung zum 2. Teil
124
Dritter
Teil
Auslegung des § 145 d StGB unter Berücksichtigung seiner Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt A.
Der objektive Tatbestand I.
Der geschützte Adressatenkreis („Behörde oder zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle")
126 126
14
Inhaltsverzeichnis
II.
1.
Täuschungen gegenüber Behörden, die nicht zur Verfolgung oder Verhinderung von Straftaten berufen sind 128
2.
Das Vortäuschen einer Straftat im Ausland
129
3.
Ergebnis
131
Der Gegenstand der Täuschungshandlung („rechtswidrige Tat")
132
1.
Der Begriff der „rechtswidrigen Tat"
132
2.
Die Täuschung über „rechtswidrige", aber strafrechtlich nicht sanktionierte Taten
135
a)
Zur Unterscheidung nach Fallgruppen
135
b)
Stand der Meinungen
136
c)
Kritik und eigener Standpunkt
137
aa)
Zur Behandlung der 1. Fallgruppe
138
bb)
Zur Behandlung der 2. Fallgruppe
140
cc)
Zur Ausgrenzung von Minimal verstoßen
143
3.
Die Täuschung über Rechtfertigungsgründe
144
4.
Ergebnis
146
ΙΠ. Die Tathandlungen 1.
Das Vortäuschen einer angeblich begangenen rechtswidrigen Tat (§ 145 d I Nr. 1 StGB) a)
147 147
Die Abgrenzung des tatbestandsmäßigen Vortäuschens zum straflosen Aufbauschen einer Straftat 148 aa) bb)
Darstellung der Problematik anhand von Beispielsfällen
148
Stand der Meinungen
149
(1) Das Erfordernis „erheblicher Mehrarbeit"
149
(2) Umwandlung eines Antrags- oder Privatklagedelikts in ein Offizialdelikt
151
(3) Umwandlung eines Vergehens in ein Verbrechen 152 (4) Das Erfordernis „partieller Überschneidung" . . . 152 cc)
Kritik
154
(1) Kritik an dem Erfordernis einer „partiellen Überschneidung" 154 (2) Kritik an der Heranziehung abstrakter Gewichtungen der Straftaten untereinander
157
(3) Kritik an dem Erfordernis „erheblicher Mehrarbeit"
161
Inhaltsverzeichnis
2.
dd)
Der eigene Standpunkt
161
ee)
Ergebnis
164
b)
Die Selbstbezichtigung zur Herbeiführung des Nachweises der eigenen Unschuld
165
c)
Kollisionen mit dem strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzip
166
Die Täuschung über den Beteiligten an einer begangenen rechtswidrigen Tat (§ 145 d II Nr. 1 StGB)
170
a)
171
Zum Erfordernis des Vorliegens einer Straftat aa)
b)
Darstellung der Problematik anhand eines Beispielsfalls
171
bb)
Stand der Meinungen
172
cc)
Kritik und eigener Standpunkt
173
dd)
Ergebnis
179
Die einzelnen Fallgruppen des § 145 d II Nr. 1 StGB
180
aa)
182
Das Abstreiten der Tatbegehung
(1) Das Leugnen der eigenen Tatbegehung als Ausdruck des „nemo tenetur"-Grundsatzes 182
bb)
(2) Mögliche Schlußfolgerungen für das Leugnen der Tatbegehung eines Angehörigen
184
(3) Kritische Stellungnahme zur Anwendung des „nemo tenetur"-Grundsatzes
185
(4) Ergebnis
189
Die Verdachtsablenkung
189
(1) Die sog. „Alibi-Fälle"
190
(a) Darstellung der Problematik anhand eines Beispielsfalls
190
(b) Stand der Meinungen
190
(aa)
Die Mindermeinung im Schrifttum . . 190
(bb) Die Ansätze der herrschenden Meinung zur Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 145 d II Nr. 1 StGB (c) Kritik und eigener Standpunkt (aa)
Kritik an der Argumentation von Stree
191 194 194
Inhaltsverzeichnis (bb)
Kritik an den Ansätzen zur Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 145 d II Nr. 1 StGB 197
(cc)
Vergleich mit dem Vorbringen falscher Beweismittel als Fall strafbarer Falschverdächtigung i. S. des § 164 I StGB
(d) Ergebnis
200 201
(2) Die Berufung auf den „großen Unbekannten" . . . 202
cc)
dd)
(a) Zur Abgrenzung gegenüber den Fällen der Verdachtsumlenkung
202
(b) Stand der Meinungen
202
(c) Kritik und eigener Standpunkt
203
(d) Ergebnis
204
Das Hinlenken des Verdachts auf eine solche Person, die die in Rede stehende Tat nicht begangen haben kann 205 (1) Darstellung der Problematik anhand von Beispielsfällen
205
(2) Stand der Meinungen
206
(a) Keine tatbestandsmäßige Beteiligtentäuschung
206
(b) Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Täuschung
208
(3) Kritik und eigener Standpunkt
210
(4) Ergebnis
214
Das Einräumen der Tatbegehung unter falschen Angaben über die eigene Person
215
(1) Darstellung der Problematik anhand eines Beispielsfalls
215
(2) Stand der Meinungen
216
(3) Kritik und eigener Standpunkt
217
(4) Ergebnis
219
Zur Berücksichtigung des strafrechtlichen Selbst- bzw. Fremdbegünstigungsprinzips im Wege einer fallübergreifenden Lösung . . 219 a)
Stand der Meinungen
221
aa)
Die sog. Strafzumessungslösung
221
bb)
Die sog. Konkurrenzlösung im Wege einer extensiven Auslegung der Subsidiaritätsklausel 222
Inhaltsverzeichnis cc) b)
c)
d) 4. 5.
Die sog. Schuldlösung im Wege einer selbstbegünstigungskonformen Rechtsfortbildung 223
Kritik
226
aa)
Zur Kritik an der sog. Strafzumessungslösung
226
bb)
Zur Kritik an der sog. Konkurrenzlösung
227
cc)
Zur Kritik an der sog. Schuldlösung
229
Der eigene Standpunkt
234
aa)
Zur analogen Anwendung des § 157 StGB
234
bb)
Zur Regelung der straffreien Selbst- bzw. Fremdbegünstigung de lege ferenda
235
Ergebnis
237
Die Täuschung über eine angeblich bevorstehende rechtswidrige Tat (§ 145 d I Nr. 2 StGB)
238
Die Täuschung über den Beteiligten an einer bevorstehenden rechtswidrigen Tat (§ 145 d II Nr. 2 StGB)
239
B.
Der subjektive Tatbestand
240
C.
Rechtswidrigkeit und Schuld
242
D.
Tätige Reue
243
I.
244
Stand der Meinungen 1.
Zur allgemeinen Diskussion über die entsprechende Anwendung von Vorschriften über die tätige Reue a)
Der Standpunkt gegen die Zulässigkeit einer entsprechenden Anwendung von Vorschriften über die tätige Reue . . . 245
b)
Die Befürworter einer entsprechenden Anwendung von Vorschriften über die tätige Reue 246 aa) bb)
2.
II.
2 Saal
244
Die pauschale Bezugnahme auf Vorschriften über die tätige Reue
247
Die entsprechende Anwendung spezieller Vorschriften über die tätige Reue
248
Die entsprechende Anwendung spezieller Vorschriften über die tätige Reue auf § 145 d StGB
249
a)
Die entsprechende Anwendung des § 158 StGB
250
b)
Die entsprechende Anwendung der §§ 83 a I, III, 311 e II Nr. 1, 316 a l l StGB
251
Kritik und eigener Standpunkt
255
18
Inhaltsverzeichnis 1. 2.
E.
Kritik an der entsprechenden Anwendung der §§ 83 a I, III, 311 e II Nr. 1, 316 a II StGB auf § 145 d StGB
256
Kritik an der entsprechenden Anwendung des § 158 StGB auf § 145 d StGB
256
3.
Zur analogen Anwendung der sonstigen Vorschriften über die tätige Reue bei abstrakten Gefährdungsdelikten 260
4.
Zur Schaffung einer Vorschrift über die tätige Reue de lege ferenda
260
III. Ergebnis
261
Zusammenfassung zum 3. Teil
261
Vierter
Teil
Schlußbetrachtung
264
Literaturverzeichnis
266
Sachregister
273
Erster Teil
Einleitung Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit dem Straftatbestand des § 145 d StGB, der das Vortäuschen von Straftaten verbietet und dessen Grundgedanke es ist, eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme des behördlichen Apparats zu verhindern, die durch das Hinlenken behördlicher Ermittlungen oder präventiver Maßnahmen in eine falsche Richtung erfolgt 1.
A. Umfang der registrierten Kriminalität Vom Umfang der gesamten registrierten Kriminalität her ist die Strafvorschrift des § 145 d StGB nur von geringer Relevanz. Zwar weist die Polizeiliche Kriminalstatistik in den zurückliegenden Jahren konstant mehr als zehntausend erfaßte Fälle pro Jahr aus: 1988 = 12498, 1989 = 11473, 1990 = 11095, 1991 = 10480 (alte Bundesländer), 1992 = 12229, 1993 = 13809 (Bund insgesamt)2. Dabei hatte das Delikt allerdings stets nur einen Anteil von 0,2 bis 0,3 % an der Gesamtzahl der erfaßten Fälle3. Betrachtet man demgegenüber die Bedeutung des § 145 d StGB innerhalb der in der Polizeilichen Kriminalstatistik bestehenden Straftatengruppe „Widerstand gegen die Staatsgewalt und Straftaten
1 Vgl. zu dem Grundgedanken der Vorschrift einstweilen BGHSt. 19, 305 (307 f.); Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 1; Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 1; SK-Rudolph^ § 145 d Rdn. 1. Im Rahmen dieser Untersuchung wird allerdings noch intensiver auf das eigentliche geschützte Rechtsgut des § 145 d StGB einzugehen sein. 2
Durchaus beachtenswert ist der Vergleich der Zahlen über die erfaßten Fälle für die Jahre 1992 und 1993. Die Steigerung betrug in diesem Zeitraum immerhin über 10 %. In der Polizeilichen Kriminalstatistik bleibt das Dunkelfeld unberücksichtigt, das allerdings für die Deliktsvortäuschung nach § 145 d StGB nicht sehr hoch sein dürfte, da das Delikt nur gegenüber den staatlichen Stellen begangen werden kann. Vgl. hierzu und umfassend zur Kriminologie der Deliktsvortäuschung Meissner, Vortäuschung, S. 81 ff. 3
2*
Vgl. Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland, Berichtsjahre 1988 bis 1993.
20
1. Teil: Einleitung
gegen die öffentliche Ordnung" 4, ergibt sich folgendes Bild: Mit einem Anteil von rund 15 % gehört das Vortäuschen einer Straftat hier zu den meisterfaßten Einzeldelikten und nimmt daher eine herausragende Stellung ein. Festzustellen ist also, daß § 145 d StGB trotz seines geringen Anteils an der Gesamtkriminalität unter den Straftaten gegen Gemeinschaftswerte von besonderer Bedeutung ist. Dieses Ergebnis bestätigt sich, wenn man die Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes hinzuzieht. Die Zahl der nach § 145 d StGB Verurteilten bzw. Abgeurteilten 5 ist zwar insgesamt nicht besonders hoch: 1987 = 2636 Verurteilte (3747 Abgeurteilte), 1988 = 2676 Verurteilte (3727 Abgeurteilte), 1989 = 2566 Verurteilte (3596 Abgeurteilte), 1990 = 2363 Verurteilte (3236 Abgeurteilte), 1991 = 2037 Verurteilte (2851 Abgeurteilte). Dennoch tritt die Vortäuschung einer Straftat zahlenmäßig häufiger auf als beispielsweise die Falschverdächtigung gem. § 164 StGB 6 und die Strafvereitelung gem. §§ 258, 258 a StGB 7 . Dies ist schon deswegen überraschend, weil § 145 d StGB wegen der Subsidiaritätsklausel hinter §§ 164, 258, 258 a StGB zurücktritt und daher häufig in der Statistik gar nicht erst erscheint. Auch ein Vergleich mit der sehr praxisrelevanten Strafvorschrift des § 153 StGB ergibt, daß das Vortäuschen einer Straftat innerhalb der Straftaten gegen Gemeinschaftswerte keinesfalls von untergeordneter Bedeutung ist. So weist die Strafverfolgungsstatistik für § 153 StGB mit 2570 Verurteilten im Jahr 1991 und 2804 Verurteilten im Jahr 1990 keine wesentlich höhere Zahl auf als für § 145 d StGB.
4
Zu dieser Straftatengruppe gehören im einzelnen §§ 111,113,114, 120,121,123-127,129-134, 136, 138, 140, 144, 145, 145 a, 145 c, 145 d StGB. 5 Verurteilte sind Angeklagte, gegen die nach allgemeinem Strafrecht Freiheitsstrafe, Strafarrest oder Geldstrafe (auch durch einen rechtskräftigen Strafbefehl) verhängt worden ist, oder deren Straftat nach Jugendstrafrecht mit Jugendstrafe, Zuchtmittel oder Erziehungsmaßregel geahndet wurde. Abgeurteilte sind Angeklagte, gegen die Strafbefehle erlassen wurden bzw. Strafverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch Urteil oder Einstellungsbeschluß rechtskräftig abgeschlossen worden sind. Die Zahl der Abgeurteilten setzt sich somit zusammen aus den Verurteilten und aus Personen, gegen die andere Entscheidungen getroffen wurden. Vgl. Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung, 1987-1991, Begriffsbestimmungen, S. 6. 6 Die Strafverfolgungsstatistik weist für § 164 StGB im Jahr 1990 eine Zahl von „nur" 2797 Abgeurteilten bzw. 1564 Verurteilten und im Jahr 1991 eine Zahl von „nur" 2692 Abgeurteilten bzw. 1535 Verurteilten aus. 7
In der Strafverfolgungsstatistik sind fur §§ 258, 258 a StGB und § 257 StGB im Jahr 1990 eine Zahl von 2282 Abgeurteilten bzw. 1473 Verurteilten und im Jahr 1991 eine Zahl von 2019 Abgeurteilten bzw. 1318 Verurteilten ausgewiesen.
Β. Kritische Rechtsprobleme des § 145 d StGB
21
Welchen Anteil die einzelnen Tatbestandsalternativen des § 145 d StGB an der registrierten Kriminalität haben, geht aus den Statistiken nicht hervor. Aus den bisher vorliegenden Untersuchungen zu den Erscheinungsformen der Delinquenz8 ist allerdings ersichtlich, daß der Schwerpunkt der erfaßten Fälle bei der jeweiligen Nr. 1 der beiden Absätze des § 145 d StGB liegt, d.h. beim Vortäuschen einer angeblich begangenen rechtswidrigen Tat (§ 145 I Nr. 1 StGB) sowie bei der Täuschung über den Beteiligten an einer rechtswidrigen Tat (§ 145 d I I Nr. 1 StGB). Demgegenüber sind die durch das 14. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22.4.19769 eingefügten Nrn. 2, die den Anwendungsbereich der Vorschrift auf angeblich bevorstehende Taten der in § 126 I StGB genannten Art ausgedehnt haben, von wesentlich geringerer praktischer Relevanz. Wie noch im einzelnen aufzuzeigen sein wird, liegen auch die Schlüsselprobleme des § 145 d StGB bei den jeweiligen Nrn. 1. Aufgrund dessen werden diese Tatbestandsalternativen auch im Mittelpunkt der Untersuchung stehen.
B. Kritische Rechtsprobleme des § 145 d StGB anhand von Beispielen aus der neueren Rechtsprechung Die erhebliche Bedeutung des § 145 d (Abs. 1 Nr. 1 / Abs. 2 Nr. 1) StGB innerhalb der Straftaten gegen Gemeinschaftswerte zeigt sich nicht nur in dem Umfang der registrierten Kriminalität, sondern auch darin, daß in den letzten Jahren zahlreiche obergerichtliche Entscheidungen zu der Strafvorschrift ergangen sind. In diesen (Revisions-)Entscheidungen hat die Rechtsprechung sich mit einigen aktuellen, aber auch mit vielen seit langem umstrittenen Rechtsproblemen des § 145 d StGB auseinandersetzen müssen10. Dabei sind die Obergerichte häufig von den zu § 145 d StGB vertretenen Rechtsansichten der Instanzgerichte abgewichen. Zur Verdeutlichung seien folgende zwei Fälle gesondert hervorgehoben. 1. Fall (nach OLG Karlsruhe, MDR 1992, 1166): Anläßlich von Ermittlungen wegen des Verdachts einer an ihm begangenen versuchten Tötung gab der (spä-
8
Vgl. nur Geerds, Jura 1985, 617 (622 ff.) m.w.Nachw.
9
BGBl. I, S. 1056.
10 Vgl. etwa OLG Karlsruhe, MDR 1992, 1166; OLG Zweibrücken, NStZ 1991, 530 (= NZV 1991, 238 = DAR 1991, 352); KG JR 1989, 26; BayObLG, NJW 1988, 83; OLG Hamm, NStZ 1987, 558; OLG Celle, JR 1981, 34 (= JZ 1980, 418 = NJW 1980, 2205); BayObLG, JR 1979, 252 (= NJW 1978, 2563).
22
1. Teil: Einleitung
tere) Angeklagte als Zeuge wahrheitswidrig an, eine Schußverletzung an seinem linken Unterarm sei durch den Schuß eines für ihn unsichtbar gebliebenen Unbekannten verursacht worden. In Wirklichkeit hatte er sich die Schußverletzung — möglicherweise versehentlich, als er sich gegen einen für ihn unsichtbaren Schützen zur Wehr setzte, — selbst beigebracht. Diese falsche Angabe hatte zur Folge, daß in dem von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines versuchten Mordes ein Gerichtsmediziner zugezogen wurde, um als Sachverständiger aufgrund des Verletzungsbildes Anhaltspunkte über den Hergang des Geschehens zu gewinnen. Bei wahrheitsgemäßen Angaben des (späteren) Angeklagten wäre dieses Gutachten entbehrlich gewesen. — Zugunsten des Angeklagten ging das Landgericht zwar davon aus, daß von einem unbekannt gebliebenen Schützen mit Verletzungs-, möglicherweise sogar mit Tötungsvorsatz in Richtung auf den Angeklagten geschossen worden war. Da aber die darüber hinausgehende vollendete Körperverletzung jedenfalls nur vorgetäuscht worden war, verurteilte die Strafkammer den Angeklagten wegen einer Straftat nach § 145 d I Nr. 1 StGB. Die Revision des Angeklagten führte dann allerdings zu einem Freispruch vom Vorwurf des Vortäuschens einer Straftat (§ 145 d I Nr. 1 StGB). Dieser Fall führt zu der seit der Entscheidung des OLG Hamm aus dem Jahr 197111 umstrittenen Frage, wie Vortäuschungen zu bewerten sind, in denen ein Wahrheitskern steckt. Die von der Rechtsansicht des Instanzgerichts abweichende Entscheidung des OLG Karlsruhe zeigt, daß die Abgrenzung des tatbestandsmäßigen Vortäuschens einer Straftat i.S.d. § 145 d I Nr. 1 StGB gegenüber dem straflosen bloßen Aufbauschen einer Straftat nach wie vor nicht abschließend geklärt ist. Das OLG Karlsruhe weist insoweit selbst darauf hin, daß „es zweifelhaft ist, ob sich allgemein überhaupt eine scharfe Grenze abstecken läßt, ohne daß sachwidrige Ergebnisse damit verbunden sind" 12 . Vergleichbare Sachverhalte lagen im übrigen zwei anderen Revisionsentscheidungen jüngeren Datums zugrunde 13. Dies zeigt, daß sich solche „Täuschungen mit Wahrheitskern" 14 im Alltag häufig ereignen und daß deshalb das von ihnen aufgeworfene Rechtsproblem von großer praktischer Bedeutung ist.
11
NJW 1971, 1324.
12
Vgl. MDR 1992, 1166 (1167) im Anschluß an Stree, NStZ 1987, 559.
13
Vgl. OLG Hamm, NStZ 1987, 558 und BayObLG, NJW 1988, 83.
14
Vgl. zu dem Begriff Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999.
Β. Kritische Rechtsprobleme des § 145 d StGB
23
Daß auch im Rahmen des § 145 d I I Nr. 1 StGB (sog. „Beteiligtentäuschung") kritische Rechtsprobleme auftreten können, zeigt der folgende 2. Fall (nach OLG Zweibrücken, NStZ 1991, 530): Der Ehemann der Angeklagten trat mit seinem Pkw nach einem Gaststättenbesuch nachts mit einer B Ä K von mindestens 2,02 Promille die Heimfahrt an. Infolge seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit kam er auf der H.-Straße von der Fahrbahn ab und prallte mit seinem Fahrzeug gegen einen Laternenmast; der dadurch verursachte Schaden betrug etwa 2000 DM. Der Ehemann der Angeklagten ließ den ebenfalls beschädigten Pkw an der Unfallstelle zurück und begab sich zu Fuß nach Hause. Die von einer Zeugin benachrichtigten Polizeibeamten suchten noch in der gleichen Nacht den Ehemann der Angeklagten in seiner Wohnung auf und fragten ihn, ob er der Fahrer des Wagens gewesen sei; dabei nannten sie zwar nicht den genauen Ort des Unfallgeschehens, erwähnten aber, daß der Fahrer des Wagens die Unfallstelle unmittelbar nach dem Unfall verlassen habe. Der Ehemann der Angeklagten verneinte die Frage und behauptete, seine neben ihm stehende Ehefrau sei Fahrerin des Wagens gewesen, was diese — ebenfalls wahrheitswidrig — auf Nachfrage bestätigte. Die Angeklagte wurde in zwei Instanzen wegen Vortäuschens einer Straftat (§ 145 d I I Nr. 2 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Revision der Angeklagten führte zum Freispruch durch das OLG Zweibrücken. Zunächst betrifft der Fall die seit langem umstrittene Konstellation, daß der Verdacht — gemeint ist hier der Verdacht einer Trunkenheitsfahrt gem. § 316 StGB 15 — auf eine Person gelenkt wird, die die in Rede stehende Tat nicht begangen haben kann. Denn die Trunkenheitsfahrt war zwar eine rechtswidrige Tat des Ehemannes, wäre die Ehefrau aber an seiner Statt gefahren, wie sie der Wahrheit zuwider behauptet hat, so wäre die Fahrt aufgrund der ersichtlichen Nüchternheit der Angeklagten keine Straftat gewesen. Hier kann man sich — mit der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur 16 — auf den Standpunkt stellen, daß § 145 d StGB in solchen Fallkonstellationen ausscheidet. Dies würde allerdings voraussetzen, daß die von der h.M. vorgegebene Begründung — die Ungeeignetheit solcher Fälle, behördliche Mehrarbeit zu ver-
15
Dieser Tatverdacht ist im vorliegenden Fall zu unterscheiden von dem Verdacht einer Straftat nach § 142 I Nr. 2 StGB. 16 Vgl. einstweilen nur BGHSt. 19, 305 (307); Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 14.
§ 145 d Rdn. 7; Sch / Sch-Stree,
24
1. Teil: Einleitung
Ursachen — auch zutrifft. Gerade das wird aber nach wie vor von einer Gegenauffassung bestritten 17. Des weiteren wirft der Fall erneut die höchst umstrittene Frage auf, inwieweit im Rahmen des § 145 d StGB Selbst- und Fremdbegünstigungshandlungen straflos zu stellen sind. Berücksichtigt man zunächst, daß der Gesetzgeber keine eindeutige normimmanente Regelungsvorgabe geschaffen hat, könnte man auf den ersten Blick versucht sein, jede selbst- bzw. fremdbegünstigende Vortäuschung einer Straftat als strafbar anzusehen. Dagegen bestehen jedoch schwerwiegende strafrechtsdogmatische und kriminalpolitische Bedenken18. Zum einen würde eine solche selbst- und fremdbegünstigungsfeindliche Auslegung des § 145 d StGB die Regelung des § 157 StGB unterlaufen, der entsprechende selbst- bzw. fremdbegünstigende Aussagen des Angeklagten vor Gericht unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich straflos stellt. Zum anderen beinhaltet § 145 d StGB aufgrund seiner § 258 StGB — und damit auch dessen Abs. 5 und Abs. 6 — einschließenden Subsidiaritätsklausel selbst den Hinweis, daß nicht jede selbst- oder fremdbegünstigende Vortäuschung strafbar sein kann. Denn mit Einfügung der Subsidiaritätsklausel hat der Gesetzgeber ein gesetzlich festgeschriebenes Nähe Verhältnis zwischen § 145 d StGB und dem selbst- bzw. fremdbegünstigungsfreundlichen § 258 StGB geschaffen. Ausgehend von der allgemeinen Konkurrenzlehre, nach der es sich bei ausdrücklichgesetzlicher Subsidiarität um Delikte mit gleicher oder ähnlicher Schutzrichtung handelt 19 , liegt es nahe, auch im Rahmen des § 145 d StGB entsprechende Privilegien gelten zu lassen. Inwieweit dies im einzelnen der Fall ist, wird allerdings seit langem in Rechtsprechung und Schrifttum sehr kontrovers beurteilt. Diese in der neueren Rechtsprechung aufgeworfenen Rechtsprobleme verdeutlichen, daß § 145 d StGB eine Strafvorschrift mit einer Fülle von ungeklärten Streitfragen ist. Die Auslegung des § 145 d StGB bedarf daher - nicht zuletzt angesichts der dargelegten praktischen Bedeutung der Strafvorschrift — nach wie vor der Klärung.
17
Vgl. H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 260 m.w.Nachw.
18
Vgl. zum folgenden H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 238.
19
Vgl. hierzu Geppert, Jura 1982, 418 (423).
C. Ziel der Untersuchung
25
C. Ziel der Untersuchung Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, zur Klärung der Strafvorschrift des § 145 d StGB dadurch beizutragen, daß für die einzelnen Rechtsprobleme ein einheitlicher Lösungsweg entwickelt wird. Damit soll im Hinblick auf die dargelegte Bedeutung der Vorschrift innerhalb der Straftaten gegen Gemeinschaftswerte zugleich die praktische Handhabung der Vorschrift erleichtert werden. Ausgangspunkt für die Entwicklung eines solchen Lösungsweges soll dabei ein Gesichtspunkt sein, der bisher bei der Behandlung der kritischen Rechtsprobleme weitgehend vernachlässigt wurde: die Tatbestandsstruktur
des § 145 d
StGB. Die Bedeutung der Tatbestandsstruktur einer Strafvorschrift läßt sich in Kürze wie folgt verdeutlichen: In den Strafvorschriften des Besonderen Teils des StGB ist als Kern der Tatbestand als Träger des Unrechtsgehalts enthalten. Seine Funktion besteht in der abstrakten Umschreibung eines strafrechtlich relevanten Sachverhalts in Gestalt einer menschlichen Handlung oder Unterlassung20. Im einzelnen sind die gesetzlichen Tatbestände allerdings in ihrem spezifischen Unrechts- und Schuldgehalt unterschiedlich ausgestaltet, d.h. es bestehen verschiedene Typen von Tatbeständen. Diese deliktstypische Ausgestaltung von Straftatbeständen ist mit der Frage nach der Tatbestandsstruktur gemeint. Aufgrund der in ihr enthaltenen Aussage über den Unrechts- und Schuldgehalt eines Delikts ist die Tatbestandsstruktur für die Auslegung einer Strafvorschrift von besonderer Bedeutung. Im folgenden ist daher zunächst zu untersuchen, welche Tatbestandsstruktur dem § 145 d StGB zugrunde liegt 21 . Anschließend soll unter Heranziehung des gefundenen Ergebnisses eine Auseinandersetzung mit den — teilweise bereits aufgezeigten — Rechtsproblemen der Strafvorschrift erfolgen 22.
20
Vgl. JeschecK AT, § 26 II; Sch / Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 43.
21
Vgl. 2. Teil.
22
Vgl. 3. Teil.
Zweiter Teil
Zur Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB Die Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt A. Stand der Meinungen I. Rechtsprechung Zieht man die bisherige Rechtsprechung zu § 145 d StGB heran, ist festzustellen, daß in nahezu keiner Entscheidung eine Aussage hinsichtlich der Tatbestandsstruktur der Vorschrift gemacht wird. Allein das OLG Celle hat darauf hingewiesen, daß „es sich um ein Unternehmensdelikt handelt, das das materielle Versuchsstadium der Vollendung gleichstellt (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB)" 1 . Aufgrund dessen vermöge die Richtigstellung einer (— in dem dort behandelten Fall — zwei Tage zuvor gemachten) Aussage nichts mehr an der Vollendung des Delikts nach § 145 d StGB zu ändern2. Unter dem Begriff des „Unternehmensdelikts" werden zwei ähnlich strukturierte, in der konkreten Ausgestaltung jedoch verschiedene Deliktstypen zusammengefaßt, die als „echte" und „unechte" Unternehmensdelikte bezeichnet werden 3. Echte Unternehmensdelikte sind dabei solche, die im Tatbestand unmittelbar das „Unternehmen" eines bestimmten Verhaltens mit Strafe bedrohen und auf die sich deshalb die Definition des Unternehmens in § 11 I Nr. 6 StGB direkt bezieht4. Demgegenüber sind mit den unechten Unternehmensdelikten die Tatbestände gemeint, bei denen der Gesetzgeber die Betäti-
1
OLG Celle, JR 1981, 34 (= JZ 1980, 418 = NJW 1980, 2205) mit Anmerkung Geerds, JR 1981, 35 und Geilen, JK, StGB § 145 d / 2. 2
OLG Celle, JR 1981, 34. Konkret ging es in der Entscheidung um einen Fall der Beteiligtentäuschung nach § 145 d II Nr. 1 StGB. 3
Vgl. allgemein zu den Unternehmensdelikten Schröder, Kern-Festschrift, 457 ff.
4
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 125; JeschecK AT, § 26 II 7.
Α. Stand der Meinungen
27
gung einer bestimmten Tendenz des Täters unter Strafe stellt, ohne daß diese Betätigung einen tatsächlichen Erfolg gehabt zu haben braucht 5. Da § 145 d StGB im Gesetzestext den Begriff des „Unternehmens" nicht verwendet, ist der Hinweis des OLG Celle folglich dahingehend zu verstehen, daß es sich bei der Vorschrift um ein unechtes Unternehmensdelikt handeln soll. Eine nähere Begründung für diese Einordnung findet sich in der Entscheidung allerdings nicht.
I I . Schrifttum Auch in der Literatur wird § 145 d StGB teilweise zu den unechten Unternehmensdelikten gezählt6. Eine Begründung hierfür findet sich ansatzweise allein bei Rudolphi, der darauf hinweist, daß die Tat in beiden Alternativen bereits dann vollendet sei, wenn die Täuschung zur Kenntnis der Behörde oder der zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle gelangt sei7. Aufgrund dessen weise § 145 d StGB »Ähnlichkeit mit einem unechten Unternehmensdelikt" auf 8. Andere Autoren ordnen § 145 d StGB als „abstraktes Gefährdungsdelikt" ein 9 . Dabei beschränken sich die meisten allerdings auf eine kurze Feststellung, ohne irgendeine Begründung nachzuliefern 10. Eine solche findet sich nur bei den Autoren, die mit der Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt zugleich die Einstufung als „schlichtes Tätigkeitsdelikt" verbinden 11. Ausgangspunkt
5
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 125, 133; Maurach / Gössel /Zipf, AT 2, § 40 Rdn. 88; Jakobs, AT, 2 5 / 7 ; LK-Tröndle, 10. Aufl., § 11 Rdn. 78 ff. Herausgearbeitet wurde diese Deliktsgruppe im Anschluß an Schröder, Kern-Festschrift, 457 ff. (464 ff.); vgl. vertiefend die Ausführungen unter Β. II. 6
SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 18; Sch / Sch-Eser, § 11 Rdn. 52; LK -Tröndle, 10. Aufl., § 11 Rdn. 79; Maurach / Gössel /Zipf\ AT 2, § 40 Rdn. 89; Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 133 Fn. 3; ders., Stree- und Wessels-Festschrift, 331 (336). 7
SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 18.
8
SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 18.
9
Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 3; AK-Schild, § 145 d Rdn. 10; Baumann / Weber, AT, S. 135; H J. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 18; Meissner, Vortäuschung, S. 57; Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 51; Brehm, Dogmatik, S. 25; Geppert, JK, StGB § 145 / 4, 6; Volz, Unrecht, S. 89. 10 11
Vgl. Dreher / Tröndle,
§ 145 d Rdn. 3: „Die Tat ist abstraktes Gefahrdungsdelikt."
H.J. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 18; Meissner, Vortäuschung, S. 57; AK-Schild, § 145 d Rdn. 10.
28
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
dieser Begründung ist die in Rechtsprechung und Literatur einhellig vertretene Auffassung zur Vollendung des § 145 d StGB. Vollendet ist die Tat danach, wenn das täuschende Verhalten zur Kenntnis einer Behörde oder einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle gelangt ist, d.h. mit der Vortäuschung als solcher. Ein Erfolgseintritt in der Form, daß durch die Täuschungshandlung tatsächlich ein Irrtum hervorgerufen oder sogar bestimmte Ermittlungen begonnen bzw. intensiviert werden, wird folglich nicht vorausgesetzt12. Aus dieser Aussage zur Vollendung des § 145 d StGB folgern nunmehr einige Autoren, daß § 145 d StGB „schlichtes Tätigkeitsdelikt" sei, d.h. „eine Straftat, für deren Vollendung es nicht auf einen von der Handlung getrennten äußeren Erfolg" ankomme13. Die Ausgestaltung als schlichtes Tätigkeitsdelikt wiederum zeige, daß der Gesetzgeber nicht nur tatsächliche unnötige Ermittlungsarbeit 14, sondern bereits die Gefahr einer solchen verhindern wollte, da diese normalerweise bei jeder Täuschungshandlung bestehe15. Daher stelle § 145 d StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar 16 . Mit dieser Feststellung enden dann die Ausführungen zur Tatbestandsstruktur; weitere Begründungen für die Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt werden nicht gegeben. Krümpelmann schließlich17 vertritt die Ansicht, daß § 145 d StGB „idealtypisch weder ein Unternehmensdelikt noch ein abstraktes Gefährdungsdelikt,
12 Ganz einhellige Auffassung: vgl. nur OLG Hamm, NJW 1971, 1324 (1325); Eser, StR III, S. 187; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 11; Lackner / Kühl, § 145 d Rdn. 4. 13
AK-Schild,
§ 145 d Rdn. 10; HJ. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 18.
14
Grundgedanke der Vorschrift ist ja nach allgemeiner Auffassung, eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme des behördlichen Apparats zu verhindern, die durch Hinlenken behördlicher Ermittlungen oder präventiver Maßnahmen in eine falsche Richtung erfolgt; vgl. Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 1; Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 2 f. 15 Vgl. HJ. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 19; AK-Schild, § 145 d Rdn. 10; ähnlich Geppert, JK, StGB § 145 d / 4,6, der die Vorschrift jedoch nicht ausdrücklich als schlichtes Tätigkeitsdelikt bezeichnet. 16 Vgl. neben den zuvor Genannten auch Meissner, Vortäuschung, S. 57, der allerdings mit dem Hinweis darauf, daß in § 145 d StGB der Unrechtsgehalt maßgeblich durch den Handlungsunwert bestimmt werde, zunächst die Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt und erst danach die als schlichtes Tätigkeitsdelikt befürwortet. 17 Weitere Ansätze zur Bestimmung der Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB finden sich bei Hoyer, Eignungsdelikte, S. 199 („Eignungsdelikt im materiellen Sinn") sowie bei Hirsch, Kaufmann-Festschrift, 545 (562 „Konkretes Gefährlichkeitsdelikt"). Beiden Ansätzen liegt die These zugrunde, daß § 145 d StGB als sog. „Eignungsdelikt" zu verstehen ist. Eine Auseinandersetzung soll daher erst im Zusammenhang mit dieser Deliktskategorie erfolgen, vgl. die Ausführungen unter B. III. 2.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
29
sondern eine Mischform" sei 18 . De lege ferenda tritt Krümpelmann für eine Ausgestaltung als „Erfolgsdelikt" ein: Der Gesetzgeber solle sich von der polizeistrafrechtlichen Tradition des Tatbestands lösen und die Gefährdung des sinnvollen Arbeitseinsatzes durch den Erfolg seiner bewirkten Verschwendung ersetzen (ohne Versuchsstrafandrohung) 19.
B. Kritik und eigener Standpunkt Bereits die überwiegende Zurückhaltung in Rechtsprechung und Literatur zeigt, daß die Frage nach der Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB weitgehend unklar ist. Daran vermögen auch die wenigen angeführten Stellungnahmen nichts zu ändern. Nicht nur, daß die einzelnen Aussagen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, die jeweiligen Begründungen sind auch wenig überzeugend. So wird die häufig anzutreffende Behauptung, § 145 d StGB sei ein schlichtes Tätigkeitsdelikt — und daher kein Erfolgsdelikt —, allein damit begründet, daß die Vollendung der Tat keine Inturnserregung bzw. keinen (unnötigen) Arbeitseinsatz voraussetze. Letzterem mag zuzustimmen sein, allein mit dieser negativen Eingrenzung wird die Frage, ob § 145 d StGB nicht doch einen „Erfolg" verlangt, allerdings keineswegs umfassend behandelt20. Immerhin wird für die Vollendung der Tat einhellig eine amtliche Kenntniserlangung des täuschenden Sachverhalts gefordert 21. Es bedarf folglich einer eingehenden Untersuchung, ob nichts bereits in diesem Erfordernis ein tatbestandlicher „Erfolg" gesehen werden kann. Des weiteren fällt auf, daß sowohl die Einordnung als unechtes Unternehmensdelikt als auch die als abstraktes Gefährdungsdelikt nahezu gleich begründet werden. Beide Ansichten stellen im Ansatz auf die Aussage der h.M. zur Vollendung des § 145 d StGB — bereits die Kenntnisnahme des täuschenden
18
Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1014).
19
ZStW 96 (1984), 999 (1037). In der Sache fordert Krümpelmann damit für die Vollendung der Tat die tatsächliche Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts, so daß er eine Ausgestaltung als Verletzungs(erfolgs)delikt anstrebt. 20
Vgl. die nachfolgenden Ausführungen unter I.
21
Vgl. einstweilen nur SK-Rudolphi
y
§ 145 d Rdn. 11.
30
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
Sachverhalts durch die Behörde genügt — ab 22 . Die daraus gezogenen Schlußfolgerungen sind jedoch unterschiedlich. Dieses auf den ersten Blick widersprüchlich wirkende Ergebnis muß allerdings nicht zwangsläufig bedeuten, daß eine der Aussagen zur Tatbestandsstruktur unzutreffend ist. Vielmehr ist es durchaus denkbar, daß die Einordnung als unechtes Unternehmensdelikt die als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht ausschließt (und umgekehrt) 23. Immerhin weisen beide Deliktskategorien eine wesentliche Gemeinsamkeit auf: die Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes
24
. Eine diese Gemeinsamkeit herausheben-
de Sichtweise könnte es ermöglichen, die Unternehmensdelikte als in subjektiver Hinsicht qualifizierte Gefährdungsdelikte anzusehen25. Schließlich ist daraufhinzuweisen, daß mit der Aussage, § 145 d StGB sei zu den abstrakten Gefährdungsdelikten zu rechnen, die Frage nach der Tatbestandsstruktur keineswegs abschließend beantwortet ist. Auch wenn die Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte noch weiterer Klärung bedarf 26, so ist doch erkennbar geworden, daß man verschiedene Fallgruppen mit differenziert gelagerten Problemen unterscheiden muß 27 . So werden heute neben den klassischen abstrakten Gefährdungsdelikten 28 die sog. „Massenhandlungen"29, die Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" 30 und die „abstrakten Eig-
22 Vgl. einerseits SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 18; andererseits AK-Schild, § 145 d Rdn. 10; H.J. Schneider, E)eliktsvortäuschung, S. 18 f. 23
S. hierzu Ben, Tatbestands Verwirklichung, S. 143 f.
24
Vgl. insoweit nur Ben, Tatbestandsverwirklichung, S. 6 ff.
25
Eine solche Betrachtungsweise klingt an bei Ben, Tatbestandsverwirklichung, S. 143 f.; Sowada, GA 1988, 195 (202); Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 437 ff. 26
Vgl. hierzu die Ausführungen unter 2. Teil. B. III. 3.
27
Auf die Unterscheidung der abstrakten Gefährdungsdelikte nach Fallgruppen wird im folgenden noch näher einzugehen sein. Vgl. hierzu bereits die grundlegenden Ausführungen von Schiinemann, JA 1975,787 (798). Weiterhin sprechen sich für die Bildung von Fallgruppen Roxin, AT, § 11 Rdn. 119 ff.; Jakobs, AT, 6 / 87 f.; Wolter, Zurechnung, S. 319 ff., 328 f.; Sommer, Erfolgsunrecht, S. 259 aus. Dagegen allerdings Bohnert, JuS 1984, 182 (187); H. Schneider, Jura 1988, 460 (468 f.). 28
Hierzu soll insbesondere § 306 StGB zählen, vgl. nur Schünemann, JA 1975, 787 (798).
29
Der klassische Fall dieser Gruppe soll die Trunkenheit im Verkehr (§316 StGB) sein; vgl. Roxin, AT, § 11 Rdn. 125. Für eine gesonderte Behandlung dieser Fallgruppe sprechen sich auch Ant/ Weber, L H 2, Rdn. 53 aus. 30
Insoweit soll es um Deliktstypen wie die Bestechungs- und Aussagedelikte (§§ 331 ff., 153 ff. StGB) gehen, vgl. einstweilen nur Roxin, AT, § 11 Rdn. 126 und grundlegend zur Einordnung der §§ 331 ff. StGB Loos, Welzel-Festschrift, 879 ff. (891 ff.).
Β. Kritik und eigener Standpunkt
31
nungsdelikte" 3 1 als eigenständige Fallgruppen anerkannt. Inwieweit § 145 d StGB einer dieser Fallgruppen zuzuordnen ist, wird von keinem der Autoren beantwortet, die die Vorschrift zu den abstrakten Gefährdungsdelikten zählen32. Angesichts der teilweise sehr unterschiedlichen Behandlung der Fallgruppen, insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit einer teleologischen Reduktion bei nachgewiesener Ungefährlichkeit der tatbestandlichen Handlung 33 , ist eine solche differenzierte Einordnung des § 145 d StGB jedoch zwingend geboten. Mit der wenig aussagekräftigen Behauptung, § 145 d StGB zähle zu den abstrakten Gefährdungsdelikten, wird folglich kaum etwas zur Klärung der Tatbestandsstruktur der Strafvorschrift beigetragen. Letzteres gilt ebenfalls für die Einordnung des § 145 d StGB als „Mischform" zwischen unechtem Unternehmensdelikt und abstraktem Gefährdungsdelikt durch Krümpelmann. Denn welche Schlußfolgerungen aus dieser Einordnung zu ziehen sind, wird nicht dargelegt. Vielmehr zeigt Krümpelmann nur auf, daß die Tatbestandsstruktur des geltenden § 145 d StGB nach seiner Ansicht allein negativ bestimmt werden kann, um dann de lege ferenda für eine Ausgestaltung als (Verletzungs-)Erfolgsdelikt zu plädieren. Angesichts dieser weitgehenden Unklarheit in Rechtsprechung und Schrifttum über die Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB ist im folgenden schrittweise zu untersuchen, inwieweit die Vorschrift in die Kategorien des Erfolgsdelikts, des schlichten Tätigkeitsdelikts, des unechten Unternehmensdelikts oder des (konkreten oder abstrakten) Gefährdungsdelikts paßt.
31 Diese Fallgruppe wurde erstmals von Schröder (JZ 1967, 522 ff.) als „abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt" in die Diskussion eingebracht und als Mischform zwischen den beiden Gruppen von Gefährdungsdelikten angesiedelt. Verdeutlichen läßt sie sich an §§ 186, 308 2. Alt. StGB. 32
Allein H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 269, deutet an, daß § 145 d StGB als „kleines Aussagedelikt" zu den Straftatbeständen mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" gezählt werden könnte. Der Gedanke wird allerdings von Schneider nicht fortgeführt, sondern nur als ein mögliches Argument gegen eine „subjektive Eignungsbetrachtung" im Rahmen des § 145 d II Nr. 1 StGB herangezogen. Im übrigen wendet Schneider sich gegen eine Unterscheidung der abstrakten Gefährdungsdelikte nach Fallgruppen, vgl. Jura 1988, 460 (467). 33
Vgl. zu dieser Problematik einstweilen nur Sch / Sch-Cramer, Vorbem. §§ 306 ff. Rdn. 3a.
32
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB I. Die Einordnung des § 145 d StGB als Erfolgsdelikt oder schlichtes Tätigkeitsdelikt
Von den Wirkungen her, die eine Handlung nach sich ziehen muß, um den Tatbestand einer Strafvorschrift zu verwirklichen, werden die Straftatbestände herkömmlicherweise zunächst nach der Beziehung zwischen Handlung und Handlungsobjekt in Erfolgsdelikte und schlichte Tätigkeitsdelikte unterteilt 34 . Bei den Erfolgsdelikten wird im gesetzlichen Tatbestand der Eintritt eines von der Tathandlung raumzeitlich 35 oder zumindest gedanklich36 abgrenzbaren Erfolgs in der Außenwelt vorausgesetzt, der mit der Tathandlung kausal verknüpft sein muß 37 . Demgegenüber sollen schlichte Tätigkeitsdelikte keinen solchen äußeren Erfolg voraussetzen, vielmehr genüge hier das bloße Tätigwerden als solches für die Erfüllung des Unrechtstatbestands38 oder — mit anderen Worten — die Handlung bilde den tatbestandsmäßigen Schlußpunkt39. Danach wäre § 145 d StGB unzweifelhaft dann ein Erfolgsdelikt, wenn der gesetzliche Tatbestand eine durch das Vortäuschen (= Tathandlung) hervorgerufene Irrtumserregung oder sogar einen dadurch vermittelten unnötigen Arbeitseinsatz verlangen würde. Gerade dies ist jedoch nicht der Fall 40 . Aus
34
Vgl. etwa Jescheck, AT, § 26 II 1 ; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 8 m.w.Nachw.
35
So Jescheck, AT, § 26 II 1 a).
36
So Wessels, AT, § 1 II 2 a); Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 10.
37
Vgl. Baumann / Weber, AT, S. 201; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 8; s. auch Graul, Gefährdungsdelikte, S. 20. Dieser „Erfolgsbegriff' im Sinne der Erfolgsdelikte ist heute allgemein anerkannt. Außerhalb dieser Deliktskategorie vertreten allerdings einige Autoren einen anderen„Erfolgsbegriff', indem sie davon ausgehen, daß jedes vollendete Delikt einen Erfolg habe. Als Erfolg in diesem weiten Sinn wird dabei die „Erfüllung des Tatbestands" bezeichnet (vgl. Maurach / Zipf, AT 1, § 20 Rdn. 27; Baumann / Weber, AT, S. 133). Hiernach haben auch die schlichten Tätigkeitsdelikte einen Erfolg, nämlich die Verwirklichung der tatbestandsmäßigen Handlung. Mit Recht ist dieser weite Erfolgsbegriff als „dogmatisch bedeutungslos" (Jescheck, AT, § 26 II 1) bezeichnet worden, da er nur ein Synonym für die Verwirklichung des objektiven Tatbestands ist. Für die Bedeutung des Erfolgsbegriffs i.w.S. im Rahmen des § 13 StGB plädiert Graul, Gefährdungsdelikte, S. 20 f. 38 Vgl. Sch/Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 130; Lackner / Kühl, Vor § 13 Rdn. 32; Wessels, AT, § 1 II 2 b); Roxin, AT, § 10 Rdn. 103. 39 40
So Maurach/Zipf,
AT 1, § 20 Rdn. 27.
Dies gilt sowohl für § 145 d II StGB („zu täuschen sucht") als auch für § 145 d I StGB („vortäuscht"). Beide Ausdrücke meinen dasselbe; vgl. nur Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 3. Durch den nachträglich eingefügten Begriff „zu täuschen sucht" hat der Gesetzgeber nur klarstellen wollen, daß auch diese Tatbestandsalternative keinen Erfolg im Sinne einer Irrtumserregung erfordert, sondern ebenfalls eine erfolglose Täuschung erfaßt, vgl. HJ. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 52
Β. Kritik und eigener Standpunkt
33
diesem Umstand folgert nun eine Vielzahl von Autoren, daß die Vorschrift kein Erfolgsdelikt, sondern schlichtes Tätigkeitsdelikt sei 41 . Diese Schlußfolgerung erscheint jedoch voreilig, wenn man berücksichtigt, daß § 145 d StGB für die Vollendung der Tat jedenfalls die amtliche Kenntnisnahme des täuschenden Sachverhalts voraussetzt 42. Fraglich ist, ob nicht bereits in diesem Erfordernis ein „Erfolg" gesehen werden kann, so daß § 145 d StGB doch als „Erfolgsdelikt" eingestuft werden müßte.
1. Die amtliche Kenntnisnahme des täuschenden Sachverhalts als „Erfolg" im Sinne einer fehlgeleiteten Ermittlungstätigkeit Erstens ist es denkbar, in der amtlichen Kenntnisnahme einen „Erfolg" im Sinne einer fehlgeleiteten Ermittlungstätigkeit zu sehen. Immerhin zieht die amtliche Kenntnisnahme unabhängig von der Entstehung eines Irrtums die Vornahme verschiedener formeller Diensthandlungen (z.B. die Anhörung oder die Protokollaufnahme) nach sich. Insoweit handelt es sich unzweifelhaft um von der Täuschungshandlung raumzeitlich und gedanklich abtrennbare Ereignisse. Auch der für einen „Erfolg" im Sinne der Erfolgsdelikte geforderte Kausalzusammenhang unterliegt keinen Bedenken. Versteht man also unter der durch § 145 d StGB geschützten Ermittlungstätigkeit auch solche mit der amtlichen Kenntnisnahme einhergehenden Diensthandlungen, wäre die Vorschrift zweifellos ein Erfolgsdelikt. Genau genommen würde es sich wegen der vorliegenden tatsächlichen Schädigung des — so verstandenen — Schutzguts um ein Verletzungs(erfolgs)delikt handeln43.
sowie BT-Drucks. 7 / 2298. Hinzuweisen bleibt darauf, daß mit der Formulierung „zu täuschen sucht" kein zum eigenständigen Delikt erhobener materieller Versuchstatbestand geschaffen werden sollte, so daß auch der untaugliche Versuch strafbar wäre. Gemeint ist nicht der Versuch schlechthin, sondern allein das versuchte Täuschen, vgl. AK-Schild, § 145 d Rdn. 20; Meissner, Vortäuschung, S. 74. 41
Statt aller H.J. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 18.
42
Dieses Erfordernis ist allgemein anerkannt; vgl. SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 11; Sch/SchStree, § 145 d Rdn. 23; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 99 Rdn. 21; Schmidhäuser, BT, 23 / 3; Arzt/Weber, L H 5, Rdn. 412; AK-Schild, § 145 d Rdn. 18; LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 20. 43
Nach Krümpelmann ist die Vorschrift „hinsichtlich der amtlichen Kenntnisnahme von der Täuschung" ein Erfolgsdelikt. Erst vor der Intumserregung würde das Erfolgselement enden und damit die Deliktsstruktur fraglich, vgl. ZStW 96 (1984), 999 (1011). 3 Saal
34
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
Gegen eine solche Betrachtungsweise bestehen allerdings im Hinblick auf die Ausdehnung der durch § 145 d StGB geschützten Arbeitsmaßnahmen erhebliche Bedenken. Auch wenn an dieser Stelle noch keine ausführliche Auseinandersetzung mit dem geschützten Rechtsgut erfolgen soll 44 , kann bereits folgendes festgestellt werden: § 145 d StGB will die Behörden oder zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stellen nicht vor jedem mißliebigen Kontakt schützen 45 . Vielmehr geht es um den täuschungsvermittelten Arbeitseinsatz, d.h. um repressive (Abs. 1. Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1) bzw. präventive (Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2) Maßnahmen der irregeleiteten Behörde oder Stelle 46 . Anderenfalls würde man den Anwendungsbereich des § 145 d StGB uferlos ausdehnen, so daß der mit der amtlichen Kenntnisnahme einhergehende minimale Verlust an Arbeitspotential in keinem Verhältnis mehr zu der angedrohten Strafe stünde. Damit wäre der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, der sich aus dem in Art. 20 I I I GG verankerten Rechtsstaatsprinzip herleiten läßt und unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbots auch das Strafrecht beschränkt 47. Folglich kann § 145 d StGB allein im Hinblick auf die mit einer amtlichen Kenntnisnahme einhergehende Anhörung oder Protokollaufnahme nicht als Erfolgsdelikt angesehen werden.
2. Die amtliche Kenntnisnahme des täuschenden Sachverhalts als „Erfolg" im Sinne eines bloßen Wahrnehmungserfordernisses Denkbar ist es aber auch, bereits in der amtlichen Kenntnisnahme als solcher einen „Erfolg" i.S. der Erfolgsdelikte zu sehen, d.h. § 145 d StGB allein aufgrund des Erfordernisses der Wahrnehmung des täuschenden Sachverhalts durch die Behörde oder die zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle als Erfolgsdelikt zu bezeichnen.
44
Vgl. die Ausführungen unter B. III. 4. a).
45
So Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1011).
46
Vgl. etwa Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 1; LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 1; Bockelmann, BT 3, § 5 I I 1 a; Schmidhäuser, BT, 23 / 2; Preisendanz, § 145 d Anm. 1. 47
Vgl. hierzu Roxin, AT, § 2 Rdn. 29; Sch / Sch-Eser, § 1 Rdn. 21.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
35
a) Zur Abtrennung der amtlichen Kenntniserlangung von der Schaffung
des täuschenden Sachverhalts durch den Täter —
Die Bestimmung der Tathandlung des § 145 d StGB
Voraussetzung für eine solche Einordnung ist zunächst, daß die amtliche Kenntniserlangung nach der vorherrschenden Betrachtungsweise zum „Erfolgsbegriff 4 überhaupt als ein von der Tathandlung raum-zeitlich oder zumindest gedanklich abtrennbares Ereignis betrachtet werden kann 48 . Dies hängt wiederum davon ab, worin genau die Tathandlung des § 145 d StGB besteht, d.h. ob zwischen der Schaffung des täuschenden Sachverhalts durch den Täter und der amtlichen Kenntniserlangung differenziert werden kann. Das Gesetz spricht davon, daß der Täter „ einer Behörde .. vortäuscht" bzw. „eine der in Absatz 1 genannten Stellen .. zu täuschen sucht", es wird also gerade nicht ausdrücklich zwischen der Schaffung des täuschenden Sachverhalts und einer davon abgetrennten amtlichen Kenntniserlangung unterschieden. Vielmehr legt der Gesetzestext durch die Verwendung der Silbe „vortäuschen)" und die entsprechende Bezugnahme auf die Behörde oder Stelle nahe, daß die amtliche Kenntnisnahme kein — weder raum-zeitlich noch gedanklich — von der Schaffung des täuschenden Sachverhalts abtrennbares Ereignis ist, sondern bloß einen unselbständigen Teil einer einheitlichen Täuschungshandlung darstellt. Für eine solche (einheitliche) Betrachtungsweise spricht weiterhin, daß in der Praxis die Schaffung des täuschenden Sachverhalts und die amtliche Kenntniserlangung regelmäßig in einem Akt zusammenfallen. Denn in dem Moment, in dem der Täter eine tatsächliche (unrichtige) Behauptung gegenüber der Behörde aufstellt, gelangt diese auch zur Kenntnis der Behörde. Eine Zäsur kann dann nicht festgestellt werden. Sofern man dieses Verständnis von der Tathandlung des § 145 d StGB zugrunde legt, scheidet eine Einstufung der Vorschrift als Erfolgsdelikt unter dem Gesichtspunkt der amtlichen Kenntnisnahme zwingend aus. Gegen ein solches Verständnis von der Tathandlung des § 145 d StGB bestehen allerdings erhebliche Bedenken. Zum einen ist die fehlende Zäsur zwischen (Verletzungs)Akt und (Verletzungs)Erfolg kein ausreichendes Argument gegen die Einordnung einer Strafvorschrift als Erfolgsdelikt. So bleibt beispielsweise die Körperverletzung auch dann ein Erfolgsdelikt, wenn der Täter ein Messer in das Bein des Opfers sticht oder einen anderen ohrfeigt. Aus der Körperver-
48
3*
Vgl. hierzu Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 9 m.w.Nachw.
36
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
letzung wird also nicht etwa deshalb ein Tätigkeitsdelikt, weil die Handlung „als Tätigkeit" bereits verletzt 49 . Zum anderen erfaßt die Vorschrift des § 145 d StGB durchaus eine Vielzahl solcher Fälle, in denen die Schaffung des täuschenden Sachverhalts durch den Täter und die amtliche Kenntniserlangung raum-zeitlich und gedanklich auseinanderfallen. So ist einhellig anerkannt, daß § 145 d StGB neben der unrichtigen Tatsachenbehauptung auch die Spurenfälschung erfaßt 50, also z.B. den Fall, in dem der Täter irreführende Indizien schafft, die erst später zur Kenntnis der Behörde gelangen sollen. Hierzu folgendes Fallbeispiel: A richtet in der Nacht einen Ort auf einem unbeleuchteten Parkplatz (u.a. mittels eines blutverschmierten Hemdes) so her, daß der Anschein eines Gewaltverbrechens erweckt wird. Er weiß, daß der Parkplatz am nächsten Morgen von einer Polizeistreife routinemäßig kontrolliert wird und hofft, die Polizeibeamten in die Irre führen zu können. Auf diese Weise will er sich für die erst wenige Tage zurückliegende Beschlagnahme seines Führerscheins wegen einer Trunkenheitsfahrt rächen. Tatsächlich finden die Polizeibeamten — Stunden nach dem Verschwinden des A — die Spuren des vermeintlichen Verbrechens und leiten umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen ein 51 . Bei der rechtlichen Würdigung dieses Falles ist zu beachten, daß zwischen der Schaffung des täuschenden Sachverhalts (= Herstellung der irreführenden Indizien auf dem Parkplatz) und der amtlichen Kenntniserlangung ein nicht unerheblicher Zeitraum von mehreren Stunden liegt. Folglich ist die Tat auch noch nicht zu dem Zeitpunkt vollendet, in dem A die irreführenden Spuren schafft, sondern erst in dem Moment, da die Polizeibeamten die auf ein Gewaltverbrechen hindeutenden Indizien entdecken. Die Kenntnisnahme ist mithin ein gegen-
49 So Horn, Konkrete Gefahrdungsdelikte, S. 10. Anderer Auffassung ist insoweit Roxin, AT, § 10 Rdn. 104, der § 223 StGB zu den Tatbeständen zählt, die sich — nach der Ansicht von Roxin — nicht eindeutig den Erfolgs- oder Tätigkeitsdelikten zuordnen lassen. Hiernach ist die Körperverletzung ein schlichtes Tätigkeitsdelikt, wenn sie durch eine Ohrfeige, aber ein Erfolgsdelikt, wenn sie durch einen Steinwurf bewirkt wird. 50
Vgl. LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 6; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 9; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 5; Bockelmann, BT 3, § 5 I I 2; Schmidhäuser, BT, 23 / 4; Arzt/Weber, L H 5, Rdn. 409. 51 Denkbar ist auch der Fall der Herstellung von Merkmalen, die den Spuren eines Verkehrsunfalls gleichen (vgl. Bockelmann, BT 3, § 5 Π 2), oder das Einwerfen von Scheiben und das Durchwühlen von Schreibtischen, um durch Vortäuschung eines Einbruchs eigene Unterschlagungen zu verdecken (vgl. Preisendanz, § 145 d Anm. 3b; LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 7).
Β. Kritik und eigener Standpunkt
37
über der Schaffung des täuschenden Sachverhalts selbständiger, für die Tatbestandserfüllung aber notwendiger Vorgang 52 . Des weiteren sind in diesem Zusammenhang die Fälle zu nennen, in denen der Täter einen Vorfall aufführt, der wie die Begehung einer Straftat aussieht, so daß z.B. Passanten den Vorgang der Polizei berichten 53. Auch hier fallen die Schaffung des täuschenden Sachverhalts (= Aufführung) und die Kenntniserlangung (= Anzeige durch die Passanten) raum-zeitlich (und damit erst recht gedanklich) auseinander. Folglich stellt die amtliche Kenntnisnahme in diesen Fällen ebenfalls einen selbständigen Vorgang bzw. ein äußerlich abtrennbares Ereignis dar. Berücksichtigt man nunmehr, daß die dargelegten Fälle der Deliktsvortäuschung durch Schaffung irreführender Indizien genauso von § 145 d StGB erfaßt werden wie die Fälle der unrichtigen Tatsachenbehauptung und daß dementsprechend auch eine einheitliche Bewertung möglich sein muß 54 , sprechen die besseren Argumente dafür, grundsätzlich zwischen der Schaffung des täuschenden Sachverhalts und der amtlichen Kenntniserlangung zu differenzieren. Dabei gilt für die Fälle der unrichtigen Tatsachenbehauptung, daß wegen der temporalen Gleichzeitigkeit von Handlung und Kenntniserlangung eine raumzeitliche Trennung zwar nicht möglich ist, dies aber nicht über die Möglichkeit einer gedanklichen Trennung hinwegtäuschen kann. Tathandlung i. S. des § 145 d StGB ist danach allein die Schaffung des täuschenden Sachverhalts, so daß dieser der Behörde oder der zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle überhaupt wahrnehmbar gemacht wird 55 . Demgegenüber ist die amtliche Kenntnisnahme ein davon entweder (in den Fällen der Schaffung irreführender Indizien) raum-zeitlich oder aber (in den
52 Vgl. hierzu auch Roxin, AT, § 10 Rdn. 102, der die Beleidigung (§ 185 StGB) und die Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183 a StGB) wegen des Erfordernisses der Kenntnisnahme als Erfolgsdelikte qualifiziert. Ebenso Maurach / Zipf, AT 1, § 20 Rdn. 28. Freilich läßt sich bei diesen Delikten auch eine Verletzungswirkung im Hinblick auf das Handlungsobjekt bejahen; vgl. zu dem Problem der Verletzungs- oder Gefährdungswirkung bei § 145 d StGB die nachfolgenden Ausführungen unter 2. b). 53
Vgl. OLG Braunschweig, NJW 1955, 1935.
54
Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 10, weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, daß die Entscheidung über die Einordnung als Erfolgs- oder Tätigkeitsdelikt „prinzipiell, nicht phänomenologisch getroffen" werde. Es müsse gerade nicht „von Fall zu Fall" untersucht werden, „ob sich ein „Erfolgs-Zustand" von einer (diesen möglicherweise bedingenden) Handlung raumzeitlich abschichten lasse". Eine gedankliche Trennung genüge stets. 55
So zutreffend Schmidhäuser, BT, 23 / 4.
38
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
Fällen der unrichtigen Tatsachenbehauptung) zumindest gedanklich abtrennbares Ereignis, welches auch kausal mit der Tathandlung verknüpft ist. Insoweit kann also von einem „Erfolg" i. S. des § 145 d StGB gesprochen werden 56.
b) Verletzung / Gefährdung des Handlungsobjekts
Nach der vorherrschenden allgemeinen Betrachtungsweise zum Erfolgsbegriff könnte § 145 d StGB daher wegen des Erfordernisses der amtlichen Kenntnisnahme des täuschenden Sachverhalts durchaus als Erfolgsdelikt bezeichnet werden. Dagegen bestehen aber insofern Bedenken, als sich dieses allgemeine Verständnis vom Erfolgsbegriff ausschließlich auf die unproblematischen Fälle der Unterscheidung zu den schlichten Tätigkeitsdelikten bezieht 57,58 . Hat man aber nur diese Fälle der Abgrenzung zu den schlichten Tätigkeitsdelikten im Blick, kommt dem „Erfolgsbegriff 4 kaum noch eine Aussagekraft zu. Denn dann wäre jedes Delikt, das irgendein von der Tathandlung abtrennbares Ereignis voraussetzt, als Erfolgsdelikt zu bezeichnen59. Völlig unberücksichtigt bliebe dabei die Frage, in welche der Kategorien des Erfolgsdelikts die Vorschrift einzustufen ist. Schließlich werden die Erfolgsdelikte herkömmlicherweise in Verletzungs(erfolgs)- und konkrete Gefährdungs-(erfolgs)delikte unterschieden60. Die Beantwortung gerade dieser Frage ist jedoch wegen der jeweils
56
So Arzt / Weber, L H 5, Rdn. 412 und Schmidhäuser, BT, 23 / 3, die die amtliche Kenntnisnahme ausdrücklich als „Erfolg" i.S. des § 145 d StGB bezeichnen. Es wird allerdings nicht deutlich, ob dies als Erfolg i.S. der Erfolgsdelikte verstanden wird. Jedenfalls ordnen Arzt/ Weber und Schmidhäuser § 145 d StGB — im Gegensatz zu anderen Autoren — nicht ausdrücklich den schlichten Tätigkeitsdelikten zu. 57 Vgl. hierzu auch die kritischen Ausführungen von Graul, Gefährdungsdelikte, S. 22, im Hinblick auf die Unterscheidung zu den abstrakten Gefährdungsdelikten. 58 Als typische Beispiele der schlichten Tätigkeitsdelikte sind insoweit die Sittlichkeitsdelikte (§§ 174 ff. StGB), die Unterschlagung (§ 246 StGB) oder der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§113 StGB) zu nennen. In diesen Fällen wird für die Vollendung der Tat kein über die Tathandlung hinausgehender Vorgang gefordert. 59
Danach könnten ebenfalls die Aussagedelikte (§§ 153 ff. StGB) wegen des Erfordernisses der Wahrnehmung der Aussage durch das Gericht (vgl. hierzu nur Sch / Sch-Lenckner, § 153 Rdn. 6) als Erfolgsdelikte eingestuft werden; vgl. vertiefend Graul, Gefährdungsdelikte, S. 22. Ganz allgemein werden die Aussagedelikte jedoch als schlichte Tätigkeitsdelikte angesehen; vgl. etwa Wessels, AT, § 1 I I 2 b); Sch / Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 130; Dreher / Tröndle, Vor § 13 Rdn. 13. 60 Vgl. Lackner / Kühl, Vor § 13 Rdn. 32; Jescheck, AT, § 26 II 2; Maurach / Zipf, AT 1, § 20 Rdn. 29. Nach anderer Auffassung können darüber hinaus auch abstrakte Gefährdungsdelikte Erfolgsdelikte sein; vgl. etwa Jakobs, AT, 6 / 86; Graul, Gefährdungsdelikte, S. 22 f. und S. 109 ff.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
39
unterschiedlichen Anforderungen an die Intensität der Beeinträchtigung des Handlungsobjekts für die Auslegung einer Strafvorschrift von entscheidender Bedeutung. Daher muß mit der Einstufung einer Strafvorschrift als Erfolgsdelikt zugleich eine Aussage darüber möglich sein, ob es sich um ein Verletzungs(erfolgs)- oder um ein (konkretes) Gefährdungs(erfolgs)delikt handelt61. Anderenfalls kann die betreffende Vorschrift eben nicht als Erfolgsdelikt angesehen werden. Mithin ist auch für eine Einordnung des § 145 d StGB als Erfolgsdelikt letztlich die Frage entscheidend, ob die Vorschrift gerade wegen des Erfordernisses der amtlichen Kenntnisnahme einen Verletzungs- oder (konkreten) Gefährdungserfolg hat. Unter Verletzungs(erfolgs)delikten werden solche Erfolgsdelikte verstanden, bei denen das von der Tathandlung abtrennbare Ereignis, der Erfolg, in der Verletzung, d.h. Schädigung eines Handlungsobjekts besteht, während bei den konkreten Gefährdungs(erfolgs)delikten der Erfolg im Eintritt einer konkreten Verletzungsgefahr für das Handlungsobjekt liegt 62 . Daß auch in dem Eintritt einer konkreten Gefahr ein „Erfolg" zu sehen ist, wird heute einhellig anerkannt 63 ' 64 . Dabei versteht man unter einer konkreten Gefahr bzw. unter einem konkreten Gefahrerfolg im Kern einen durch eine Tathandlung verursachten Zustand, der aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose die Verletzung eines Handlungsobjekts als wahrscheinlich nahelegt65.
61 Damit wird deutlich, daß die vorherrschende allgemeine Betrachtungsweise zum Erfolgsbegriff zu kurz greift, indem sie sich „nur" auf die Abgrenzung zu den (schlichten) Tätigkeitsdelikten bezieht; vgl. vertiefend Graul, Gefährdungsdelikte, S. 22 ff. Richtig daher die umfassendere Definition von Roxin, AT, § 10 Rdn. 102: „Unter Erfolgsdelikten versteht man Tatbestände, bei denen der Erfolg in einer von der Täterhandlung räumlich und zeitlich getrennten Verletzungs- oder Gefährdungswirkung besteht." 62 Vgl. Jakobs, AT, 6 / 78; Wessels, AT, § 1 I I 3; Jescheck, AT, § 26 I I 2; Schmidhäuser, AT, 8 / 40; Lackner / Kühl, Vor § 13 Rdn. 32; H. Schneider, Jura 1988, 460 (461). 63
Vgl. etwa Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 55; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 7, 11 ff. sowie Graul, Gefährdungsdelikte, S. 24 mit zahlreichen weiteren Nachweisen in Fn. 32. 64
Demgegenüber gibt es einen Erfolg i. S. einer „abstrakten Gefahr" als Folge einer konkreten Handlung nicht. Die „abstrakte Gefahr" ist nämlich gerade keine Gefahr; vgl. Bohnert, JuS 1984, 182 (183). 65
Vgl. Sch / Sch-Cramer, Vorbem. §§ 306 ff. Rdn.'5; Gallas, Heinitz-Festschrift, 171 (177 ff.).
40
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB aa) Die Behörde etc. als Handlungsobjekt i. S. des § 145 d StGB
Unter dem Begriff des Handlungsobjekts66'67 wird allgemein der konkrete Gegenstand verstanden, an dem sich die tatbestandsmäßige Handlung vollzieht bzw. auf den sie sich bezieht68. Wie bereits ausgeführt, muß die Behörde oder die zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle den täuschenden Sachverhalt wahr- bzw. zur Kenntnis nehmen. Die tatbestandsmäßige Handlung (= Schaffung des täuschenden Sachverhalts) bezieht sich also insoweit auf die Behörde oder Stelle als Adressaten der Täuschungshandlung. Demzufolge liegt es nahe, die Behörde oder Stelle als (körperliches) Tatobjekt anzusehen. Dadurch, daß diese den vom Täter geschaffenen täuschenden Sachverhalt wahr- bzw. zur Kenntnis nimmt, wird die Behörde oder Stelle bzw. der sie vertretende Amtsträger jedoch weder verletzt noch konkret gefährdet. Demzufolge kann die Vorschrift unter diesem Gesichtspunkt weder als Verletzungs(erfolgs)noch als konkretes Gefährdungs(erfolgs)delikt eingestuft werden.
bb) Das behördliche Arbeitspotential als Handlungsobjekt i. S. des § 145 d StGB Als Handlungsobjekt werden allerdings nicht nur körperliche Gegenstände, sondern auch unkörperliche (immaterielle) Gegenstände angesehen, sofern sie durch menschliches Verhalten kausal verletzbar sind 69 . Hierzu werden u.a. die öffentliche Sicherheit (§ 125 StGB) 70 , die Ehre bzw. der Geltungsanspruch
66
Synonym werden die Begriffe Angriffs- oder, Tatobjekt verwendet, vgl. Graul, Gefährdungsdelikte, S. 25 m.w.Nachw. Siehe auch die tabellarische Übersicht bei Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 24. 67 Der Begriff des „Handlungsobjekts" muß streng von dem des „Rechtsguts" unterschieden werden. Während mit dem Handlungsobjekt der konkrete Gegenstand gemeint ist, an dem sich die tatbestandsmäßige Handlung vollzieht, betrifft die Frage nach dem Rechtsgut den Achtungsanspruch des durch eine Strafvorschrift geschützten Wertes; vgl. Jescheck, AT, § 26 II 1 c); Sch/SchLenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 9. 68 Vgl. Jescheck, AT, § 26 I 4; Wessels, AT, § 1 I 2; Maurach / Zipf \ A T 1, § 19 Rdn. 12, 14; Baumann / Weber, AT, S. 140; Schmidhäuser, AT, 2 / 32; Graul, Gefährdungsdelikte S. 25. 69 Vgl. Graul, Gefährdungsdelikte, S. 25 f.; Jescheck, AT, § 26 I 4; Otto, AT, S. 7, 10; Wessels, AT, § 1 I 2; Schmidhäuser, AT, 2 / 32. Anders Maurach / Zipf \ A T 1, § 19 Rdn. 12, 14. 70
S. LK-v. Bubnoff,
10. Aufl., § 125 Rdn. 18.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
41
des Betroffenen (§§ 185 ff. StGB) 71 oder die gerichtliche Wahrheitsfindung (§§ 153 ff. StGB) 72 gezählt. Dementsprechend könnte man daran denken, im Rahmen des § 145 d StGB die behördliche Ermittlungstätigkeit als den „Gegenstand" anzusehen, auf den sich die tatbestandliche Handlung bezieht. Immerhin besteht ja der Grundgedanke der Vorschrift darin, eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme des behördlichen Apparats zu verhindern. Allein durch die amtliche Kenntnisnahme wird das behördliche Ermittlungspotential jedoch noch nicht verletzt, vielmehr bedürfte es hierfür gerade der Einleitung solcher unnötiger Ermittlungsmaßnahmen 73. Ebensowenig erscheint allein aufgrund der amtlichen Kenntniserlangung die Verletzung des behördlichen Arbeitspotentials als wahrscheinlich, da es insoweit ganz entscheidend auf den Inhalt der Täuschungshandlung ankommt. Folglich bewirkt die amtliche Kenntnisnahme als solche auch keinen (konkreten) Gefährdungserfolg 74. Damit hat die amtliche Kenntniserlangung des täuschenden Sachverhalts auch hinsichtlich des behördlichen Arbeitspotentials als Handlungsobjekt keine Verletzungs- oder (konkrete) Gefährdungswirkung.
3. Zwischenergebnis Obwohl die Vorschrift des § 145 d StGB in Form der amtlichen Kenntnisnahme ein von der Tathandlung (= Schaffung des täuschenden Sachverhalts) abtrennbares Ereignis voraussetzt, kann die Norm wegen der fehlenden Verletzung bzw. (konkreten) Gefährdung des betroffenen Handlungsobjekts75 nicht als Erfolgsdelikt eingestuft werden.
71
Vgl. Jescheck, AT, § 26 I 4.
72
So Otto, AT, S. 10.
73
Aus den oben genannten Gründen kann in der amtlichen Anhörung oder Protokollaufnahme noch kein Verletzungserfolg gesehen werden. 74 Vgl. Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 11: „Bedeutungslos ist für die Tatbestandserfüllung, ob die Vortäuschung irgendeinen Erfolg gehabt hat". Ebenso SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 11; AK-Schild, § 145 d Rdn. 18. 75 Gleichgültig, ob man unter Handlungsobjekt die Behörde etc. (als körperliches Angriffsobjekt) oder das behördliche Arbeitspotential (als unkörperliches Angriffsobjekt) versteht.
42
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB 4. Konsequenzen für die Einordnung als schlichtes Tätigkeitsdelikt
Wenn § 145 d StGB nicht als Erfolgsdelikt angesehen werden kann, drängt sich die Schlußfolgerung auf, die Vorschrift zu den schlichten Tätigkeitsdelikten zu zählen76. Hiergegen könnte jedoch nunmehr das zuvor festgestellte Ergebnis sprechen, daß § 145 d StGB in Form der amtlichen Kenntniserlangung ein von der eigentlichen Tathandlung (= Schaffung des täuschenden Sachverhalts) abtrennbares Ereignis verlangt. Für die Einordnung als schlichtes Tätigkeitsdelikt wird allgemein gefordert, daß die „Tatbestandserfüllung mit dem letzten Handlungsakt zusammenfällt, ein davon abtrennbarer Erfolg also nicht eintritt" 77 bzw. — mit anderen Worten — „die Handlung selbst den tatbestandsmäßigen Schlußpunkt bildet" 78 . Allein von diesen Definitionen ausgehend, kann § 145 d StGB nicht als schlichtes Tätigkeitsdelikt eingeordnet werden. Denn nach der hier vertretenen Auffassung liegt die Tathandlung des § 145 d StGB ausschließlich in der Schaffung des täuschenden Sachverhalts, so daß dieser für die Behörde etc. überhaupt erst wahrnehmbar wird. Demgegenüber ist die amtliche Kenntnisnahme ein hiervon abtrennbarer „Erfolg". Zwar hat dieser im Hinblick auf das Handlungsobjekt keine Verletzungs- oder Gefährdungswirkung, dennoch steht fest, daß die Vollendung der Tat nach § 145 d StGB keineswegs mit dem letzten Handlungsakt zusammenfällt. Die Handlung ist demzufolge nicht der tatbestandsmäßige Schlußpunkt, womit ein wichtiger Effekt des schlichten Tätigkeitsdelikts blokkiert wäre. Damit könnte § 145 d StGB weder eindeutig in die Kategorie des Erfolgsdelikts noch in die des schlichten Tätigkeitsdelikts eingeordnet werden 79 . Es fragt sich allerdings, ob dieses Ergebnis nicht dadurch vermieden werden kann, daß man die dargelegten gängigen Definitionen des schlichten Tätigkeits-
76 Diese Schlußfolgerung liegt deshalb so nahe, weil die schlichten Tätigkeitsdelikte stets im Gegensatz zu den Erfolgsdelikten gesehen werden; vgl. etwa Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 8; Jescheck, AT, § 26 I I 1; Lackner / Kühl, Vor § 13 Rdn. 32; Sch / Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 130. 77 So Roxin, AT, § 10 Rdn. 103. Ähnlich Lackner / Kühl, Vor § 13 Rdn. 32: „Bloßes Tätigwerden genügt." 78 79
So Maurach / Zipf, AT 1, § 20 Rdn. 27.
Ein solches Ergebnis wäre nach Roxin, AT, § 10 Rdn. 104, durchaus möglich. Immerhin vertritt Roxin die Ansicht, daß sich nicht alle Tatbestände eindeutig den Erfolgs- oder schlichten Tätigkeitsdelikten zuordnen lassen, sondern daß man bisweilen von Fall zu Fall unterscheiden müsse.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
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delikts im Hinblick auf den Unrechtsgehalt dieser Deliktskategorie hinterfragt bzw. unter Berücksichtigung des Unrechtsgehalts konkretisiert.
a) Zum Unrechtsgehalt der schlichten Tätigkeitsdelikte
Die Frage, ob der Aufbau des Unrechts an der Handlung oder am Erfolg oder schließlich an einer Kombination beider Elemente anknüpft, ist bis heute umstritten 80 . Nach vorherrschender Meinung sind Handlungsunrecht und Erfolgsunrecht grundsätzlich als gleichrangige Komponenten des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs
zu verwenden 81. Nur beide Unrechtsbestandteile zusammen
kennzeichnen also das Unrechtsbild der Tat 82 . Innerhalb dieser herrschenden Ansicht ist allerdings wiederum streitig, inwieweit diese Gleichrangigkeit von Handlungs- und Erfolgsunrecht auch im Rahmen der schlichten Tätigkeitsdelikte Geltung beansprucht. Ausgangspunkt dieses Meinungsstreits ist dabei die Frage, wodurch gerade das Erfolgsunrecht gekennzeichnet ist. Teilweise wird die Auffassung vertreten, allein die Verletzung oder die (konkrete) Gefährdung des geschützten Angriffsobjekts mache das Erfolgsunrecht aus83. Da die schlichten Tätigkeitsdelikte sich gerade dadurch auszeichnen, daß die Handlung des Täters noch keine Verletzungs- oder (konkrete) Gefahrdungswirkung hinsichtlich des Angriffsobjekts aufweist, wird der Unrechtsgehalt nach dieser Auffassung ausschließlich durch das Handlungsunrecht begründet. Ein Nebeneinander von Handlungs- und Erfolgsunrecht scheidet folglich aus.
Nach anderer Ansicht gehört zum Erfolgsunrecht nicht nur die Verletzung oder Gefährdung des geschützten Handlungsobjekts. Das Erfolgsunrecht sei
80
Eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Unrechtsbegriff und seiner Entwicklung kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Vgl. hierzu etwa Maurach / Zipf ; AT 1, § 17. 81
Zur Terminologie vgl. LK-Jescheck, 11. Aufl., Vor § 13 Rdn. 44: „Das Wesen des Verbrechens ist gekennzeichnet durch die Begriffe Handlungsunweit, Erfolgsunwert und Gesinnungsunwert. Während der Gesinnungsunwert der Tat Gegenstand des Schuldurteils ist, wird die Rechtswidrigkeit durch den Handlungs- und Erfolgsunwert bestimmt. Durch die Aufnahme in die Handlungs- und Erfolgsbeschreibung der Strafvorschrift werden Handlungs- und Erfolgsunwert eines bestimmten Verhaltens zum Handlungs- bzw. Erfolgsu/irecAf." 82
Vgl. etwa Sch / Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 52 ff.; Lackner / Kühl y Vor § 13 Rdn. 20; Maurach / Zipf, A T 1, § 17 Rdn. 5; Roxin, AT, § 10 Rdn. 88. 83 Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 112; Jescheck, AT, § 24 ΙΠ 3; LK-Jescheck, 11. Aufl., Vor § 13 Rdn. 44; Wessels, AT, § 1 I 5; Maurach / Zipf \ AT 1, § 17 Rdn. 25.
44
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
vielmehr in dem vom Täter durch seine Handlung geschaffenen „wertwidrigen äußeren Sachverhalt" oder — mit anderen Worten — in dem „wertwidrigen Nicht-sein-sollen" zu sehen84. Auf diesem Weg kann auch bei schlichten Tätigkeitsdelikten ein „Erfolgsunrecht" konstruiert werden, indem nämlich die Handlung des Täters als äußerer Sachverhalt dargestellt wird, den das Recht negativ bewertet. Selbst wenn dies nicht als ein von der Handlung abtrennbarer Außenwelterfolg zu verstehen ist, wäre nach dieser Ansicht auch bei den schlichten Tätigkeitsdelikten ein Nebeneinander von Handlungs- und Erfolgsunrecht zu bejahen85. Die letztgenannte Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen. Sie übersieht, daß jede Handlung des Täters zwangsläufig nach außen in Erscheinung treten muß. Anderenfalls wäre ein Urteil über die Rechtswidrigkeit des Verhaltens überhaupt nicht möglich 86 . Allein deswegen, weil sich die Handlung folglich als äußerer Sachverhalt darstellen muß, kann aber noch nicht von einem über die Handlung hinausgehenden Erfolg gesprochen werden. Es wird also nur ein „Erfolgsunrecht" konstruiert, das mit dem durch das Verhalten des Täters begründete Handlungsunrecht identisch ist 87 . Ein selbständiges Erfolgsunrecht besteht gerade nicht. Letztlich dient eine solche Konstruktion des „Erfolgsunrechts" ausschließlich dazu, die vorherrschende Ansicht zur Gleichrangigkeit von Handlungs- und Erfolgsunrecht konsequent durchzuhalten 88, wohl auch, um die mit dieser Sichtweise grundsätzlich verbundenen Vorteile nicht zu gefährden 89. Die Tatsache, daß das gleichrangige Nebeneinander von Handlungsund Erfolgsunrecht grundsätzlich sicherlich die beste Lösung zur Bestimmung des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs ist 90 , vermag jedoch nicht darüber hinwegzutäuschen, daß im Fall der schlichten Tätigkeitsdelikte etwas anderes gelten muß.
84
Vgl. Sch / Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 57.
85
So Sch / Sch-Lenckner, Voibem. §§ 13 ff. Rdn. 57. Hiernach ist selbst im Fall des „untauglichen Versuchs" ein Erfolgsunwert gegeben. 86
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 112 Fn. 70.
87
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 112 Fn. 70.
88
So Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 112 Fn. 70.
89
Vgl. zu den negativen Konsequenzen einer anderen Bestimmung des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs Maurach /Zipf, AT 1, § 17 Rdn. 1 ff. 90
Vgl. nur Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 112; Sch / Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 52; Jescheck, AT, § 24 I I I 3; Lackner /Kühl, Vor § 13 Rdn. 20; Maurach /Zipf, A T 1, § 17 Rdn. 5; Wessels, AT, § 1 I 5.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
45
Zusammenfassend ist also festzustellen, daß sich der Unrechtsgehalt bei den schlichten Tätigkeitsdelikten allein nach dem Handlungsunrecht bestimmt 91 ,
b) Bedeutung für die Auslegung des § 145 d StGB
Aus diesem Ergebnis, daß die schlichten Tätigkeitsdelikte gerade durch das Fehlen eines Erfolgsunrechts im Sinne einer Verletzungs- oder (konkreten) Gefährdungswirkung gekennzeichnet sind, ergibt sich nunmehr folgende — konkretisierte — Definition der schlichten Tätigkeitsdelikte: Zu den schlichten Tätigkeitsdelikten sind diejenigen Tatbestände zu zählen, in denen sich der Unrechtstatbestand in der Handlung des Täters erschöpft, ohne daß ein Erfolg im Sinne einer Verletzungs- oder Gefährdungswirkung eingetreten sein müßte. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, daß bereits mit Vornahme der tatbestandlichen Handlung die Tat vollendet ist. Betrachtet man nunmehr die Vorschrift des § 145 d StGB unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse, ist festzustellen, daß sie wegen der fehlenden Verletzungs- bzw. (konkreten) Gefährdungswirkung der amtlichen Kenntniserlangung gerade kein „Erfolgsunrecht" voraussetzt. Der Unrechtsgehalt der Tat wird vielmehr ausschließlich durch das in dem Verhalten des Täters (= Schaffung des täuschenden Sachverhalts) begründete Handlungsunrecht gekennzeichnet. Damit erfüllt § 145 d StGB die Voraussetzungen eines schlichten Tätigkeitsdelikts. Die Tatsache, daß die Tat allein durch die Vornahme der Tathandlung noch nicht vollendet ist, erweist sich dabei als unschädlich.
5. Ergebnis § 145 d StGB ist trotz der Tatsache, daß der vom Täter geschaffene täuschende Sachverhalt zur amtlichen Kenntnis gelangen muß, zu den schlichten Tätigkeitsdelikten zu zählen.
91 In diese Richtung Jescheck, AT, § 26 I I 1 b); Roxin, AT, § 10 Rdn. 103. Etwas zurückhaltend Maurach / Zipf, AT 1, § 20 Rdn. 27: „Es zeigt sich hier, daß es die schlichten Tätigkeitsdelikte sind, bei denen der Akt- oder Handlungsunwert besonders deutlich in Erscheinung tritt, ...".
46
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB I I . Die Einordnung des § 145 d StGB als unechtes Unternehmensdelikt
Es fragt sich weiterhin, ob § 145 d StGB in die Kategorie des unechten Unternehmensdelikts eingeordnet werden kann 92 .
1. Zum Begriff des „unechten Unternehmensdelikts" Hierzu muß zunächst der Begriff des „unechten Unternehmensdelikts" geklärt werden. Die Schwierigkeit einer solchen Begriffsbestimmung liegt darin, daß das für die Erkennbarkeit der „echten Unternehmensdelikte" entscheidende Merkmal — im Tatbestand wird unmittelbar das „Unternehmen" mit Strafe bedroht — nicht herangezogen werden kann. Gleichwohl ist man sich einig, daß es Straftatbestände gibt, die dieselbe Deliktsstruktur aufweisen wie die echten Unternehmensdelikte, d.h. deren Tatbestand als formell vollendete Tat auch solche Fälle erfaßt, die bei materieller Betrachtung lediglich als Versuch anzusehen sind 93 . Nach Schröder, der diese Deliktskategorie entwickelt hat, soll dies dann der Fall sein, wenn der Gesetzgeber die Betätigung einer bestimmten Tendenz des Täters unter Strafe stellt, ohne daß diese Betätigung einen tatsächlichen Erfolg gehabt zu haben braucht 94. Im Anschluß hieran werden heute solche Strafvorschriften als unechte Unternehmensdelikte bezeichnet, „bei denen das Gesetz eine objektiv ambivalente Handlung deswegen unter Strafe stellt, weil der Täter mit ihr bestimmte deliktische Absichten verfolgt" 95 oder — mit anderen Worten — „die insofern Versuchsstruktur aufweisen, als sie erfolgsgerichtete Tätigkeit schon als solche mit
92
Vgl. OLG Celle, JR 1981, 34 (35); SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 18. Ohne Begründung zählen daneben auch Sch / Sch-Eser, § 11 Rdn. 52; Maurach / Gössel / Zipf, AT 2, § 40 Rdn. 89; LKTröndle, 11. Aufl., § 11 Rdn. 79; AK-Wassermann, § 11 Rdn. 30 sowie Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 133 Fn. 3; ders.\ Stree- und Wessels-Festschrift, 331 (336) die Vorschrift zu den unechten Unternehmensdelikten. 93 Zum Ganzen grundsätzlich kritisch Alwart, Versuchen, S. 109 ff. Das Rechtsinstitut der „unechten Unternehmensdelikte" insgesamt ablehnend Sowada, G A 1988, 195 ff. Inwieweit diese Ansicht zutreffend ist, braucht hier angesichts des Ergebnisses für § 145 d StGB (vgl. 2.) nicht entschieden zu werden. 94 95
Vgl. Kern-Festschrift, 457 (464).
So Sch / Sch-Eser, § 11 Rdn. 52. Ähnlich Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 132 f. sowie AK-Wassermann, § 11 Rdn. 30.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
47
Strafe bedrohen, ohne daß dieser Erfolg eingetreten sein müßte" 96 . Schließlich werden die unechten Unternehmensdelikte als solche beschrieben, bei denen-die mit „finalen Tätigkeitswörtern" umschriebenen Tathandlungen auf die Erreichung eines bestimmten Erfolgs gerichtet seien, ohne daß dieser Erfolg selbst Merkmal des Tatbestands wäre 97. Verdeutlicht werden diese Definitionen, die zwar verschiedene Formulierungen aufweisen, sich in der Sache gleichwohl nicht unterscheiden, klassischerweise an dem Beispiel der Wilderei gem. § 292 StGB 98 : Das Gesetz erfaßt als strafbare Verhaltensweise neben dem Fangen, Erlegen und Sichzueignen eines Tieres auch das NachstellenHierunter werden alle Handlungen verstanden, die auf Fangen, Erlegen oder Sichzueignen von Wild gerichtet sind ohne Rücksicht darauf, ob der erstrebte Erfolg erreicht wird 1 0 0 . Bei dem Nachstellen handele es sich um ein „finales Tätigkeitswort" bzw. um eine „Tendenzhandlung" im dargelegten Sinn, die keinen tatsächlichen Erfolg haben müsse101. Folglich sei § 292 StGB ein unechtes Unternehmensdelikt. So sehr diese abstrakten Definitionen des unechten Unternehmensdelikts im Hinblick auf das Beispiel des § 292 StGB auf den ersten Blick zu überzeugen vermögen, bedürfen sie dennoch einer eingehenderen Untersuchung, bevor eine Anwendung auf die Vorschrift des § 145 d StGB möglich ist.
96
So Lackner/Kühl
§ 11 Rdn. 19.
97
Auf die Umschreibung mittels finaler Tätigkeitsworte stellen ab: LYL-Tröndle, 10. Aufl., § 11 Rdn. 79; SK-Rudolphi, § 11 Rdn. 27; Burkhardt, JZ 1971, 352 (354); Jakobs, AT, 25 / 7. Danach beschreiben „finale Tätigkeitswörter" ein äußeres Verhalten nach dem vom Täter verfolgten Zweck, während „kausale Tätigkeitswörter" unter Abstellen auf rein objektive Merkmale ein Verbrechen beschreiben sollen, das für einen Erfolg ursächlich ist. 98
Daneben werden als unechte Unternehmensdelikte angesehen §§ 111, 113, 125, 164, 257, 292, 323 c sowie 333 f. StGB, vgl. die Aufzählung bei Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 133 Fn. 3. Im folgenden wird auf die einzelnen Tatbestände noch näher einzugehen sein, vgl. hierzu die Ausführungen unter b). 99 Über das durch § 292 StGB geschützte Rechtsgut besteht keine Einigkeit. Nach einer Ansicht ist es allein das Aneignungsrecht des Jagdausübungsberechtigten (so Sch / Sch-Eser, § 292 Rdn. 1 ; SK-Samson, § 292 Rdn. 1; Welzel, S. 362), nach anderer Ansicht auch die Hege eines gesunden Wildbestandes (so Lackner / Kühl, § 292 Rdn. 1; Dreher / Tröndle, § 292 Rdn. 1; Wessels, BT 2,
§1111). 100 101
Vgl. etwa LK-Schäfer, 10. Aufl., § 292 Rdn. 41; SK -Samson, § 292 Rdn. 14.
Vgl. einerseits nur LK-Tröndle, 10. Aufl., § 11 Rdn. 79: „Finales Tätigkeitswort". Andererseits Schröder, Kern-Festschrift, 457 (464): „Tendenz des Täters".
48
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB a) Der Erfolgsverzicht
als kennzeichnendes Kriterium
der unechten Unternehmensdelikte
Ausgehend von den dargelegten Begriffsbestimmungen könnte man das entscheidende Kriterium für die Einordnung als unechtes Unternehmensdelikt darin sehen, daß auf den Eintritt eines Erfolgs verzichtet wird. Immerhin stellen die gängigen Definitionsversuche diesen Aspekt unechter Unternehmensdelikte besonders in den Vordergrund. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man einige der Begründungen für die Einordnung verschiedener Straftatbestände als unechtes Unternehmensdelikt untersucht. So wird beispielsweise der Grund für die Einordnung des § 113 StGB als unechtes Unternehmensdelikt darin gesehen, daß die Vorschrift „sowohl das erfolglose als auch das erfolgreiche Widerstandleisten bzw.. tätliche Angreifen erfaßt" 102 . Beim aufwieglerischen Landfriedensbruch gem. § 125 I 3.Var. StGB wird darauf abgestellt, daß die Tat mit der ersten aufwieglerischen Handlung vollendet sei, „gleichviel, ob sie Erfolg hat oder erfolglos bleibt" 103 . Als letztes Beispiel sei erneut die Definition des Nachstellens i. S. des § 292 StGB hervorgehoben. Dieses Merkmal soll alle auf Fangen, Erlegen oder Sichzueignen von Wild gerichteten Handlungen erfassen ohne Rücksicht darauf, „ob der erstrebte Erfolg erreicht wird" 1 0 4 . Versteht man nunmehr unter fehlendem Erfolgseintritt das Ausbleiben einer Verletzungs- oder Gefährdungswirkung 105, ließe sich § 145 d StGB unschwer als unechtes Unternehmensdelikt çinstufen. Denn nach den obigen Feststellungen geht von der Schaffung des täuschenden Sachverhalts und der (davon abtrennbaren) amtlichen Kenntnisnahme weder eine Verletzung noch eine (konkrete) Gefährdung aus, und eine Irrtumserregung oder gar eine durch die Täuschung vermittelte Ermittlungstätigkeit werden nicht vorausgesetzt. Genau dieses Verständnis der unechten Unternehmensdelikte scheint den Ausführungen des OLG Celle 106 und von Rudolphi 107 zugrunde zu liegen. Schließlich wird in beiden Fällen das maßgebliche Kriterium für die Einordnung des § 145 d StGB als unechtes Unternehmensdelikt darin gesehen, daß die Tat vollendet ist,
102
Vgl. Sch/Sch-Eser, § 113 Rdn. 2.
103
Vgl. LK-v. Bubnoff,
104
So LK-Schäfer, 10. Aufl., § 292 Rdn. 41.
105
Vgl. hierzu die Ausführungen unter I. 4.
10. Aufl., § 125 Rdn. 33; SK-Rudolphi, § 125 Rdn. 20.
106
S. OLG Celle, JR 1981, 34 (35).
107
Vgl. SK-Rudolphi,
§ 145 d Rdn. 18.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
49
sobald die Täuschung zur Kenntnis der Behörde oder der zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle gelangt ist. Sowohl das OLG Celle als auch Rudolphi stellen also letztlich auf den Verzicht eines Erfolgseintritts im oben gekennzeichneten Sinn ab. Gegen eine solche Betrachtungsweise bestehen jedoch in zweierlei Hinsicht erhebliche Bedenken108. Zum einen läßt sich anhand der abstrakten Gefährdungsdelikte verdeutlichen, daß es auch erfolgsunabhängige Straftaten gibt, die von niemandem zu den unechten Unternehmensdelikten gezählt werden. Hierzu gehören etwa die Aussagedelikte gem. §§153 ff. StGB, die schwere Brandstiftung gem. § 306 StGB oder die Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB. Zum anderen bliebe der für die unechten Unternehmensdelikte geforderte materielle Versuchscharakter unberücksichtigt. Denn für den Versuch ist gerade nicht allein kennzeichnend, daß ein Erfolg ausbleibt, d.h. ein Mangel im objektiven Tatbestand vorliegt, vielmehr kommt es ebenfalls auf das Erfordernis des Tatentschlusses109 (und des unmittelbaren Ansetzens110) an (§ 22 StGB). Mithin kann allein aus dem Verzicht auf einen Erfolgseintritt noch nicht auf das Vorliegen eines unechten Unternehmensdelikts geschlossen werden.
b) Die unechten Unternehmensdelikte als „Delikte mit überschießender Innentendenz"
Fraglich ist, ob nicht gerade aus dem geforderten materiellen Versuchscharakter der unechten Unternehmensdelikte auf das wesentliche Definitionskriterium dieser Deliktskategorie geschlossen werden kann. Kennzeichnend für den Versuch ist ein Mangel im objektiven Unrechtstatbestand bei voller Erfüllung der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen111. Folglich handelt es sich bei dem Versuch um ein Delikt mit inkongruenter Tat-
108
Vgl. zum folgenden Sowada, GA 1988, 195 (199).
109
Der Tatentschluß umfaßt als subjektives Unrechtselement den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz und die sonstigen subjektiven Tatbestandsmerkmale (wie z.B. die besonderen „Absichten" in §§ 242, 249, 253, 259, 263 StGB); vgl. Wessels, AT, § 14 I I 1. 110 111
Vgl. hierzu Berz, Jura 1984, 511 ff.
Vgl. BGH, NStZ 1985, 501; LK -Vogler, Rdn. 1; Wessels, AT, § 14 II. 4 Saal
10. Aufl., Vor § 22 Rdn. 13; Lackner / Kühl, § 22
50
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
bestandsstruktur bzw. — genauer — um ein „Delikt mit überschießender Innentendenz" 112 . Dies legt nunmehr die Schlußfolgerung nahe, daß die unechten Unternehmensdelikte aufgrund ihres materiellen Versuchscharakters ebenfalls das Vorliegen einer „überschießenden Innentendenz" verlangen. Dafür könnte man insbesondere anführen, daß der die überschießende Innentendenz kennzeichnende „Tatentschluß" durchaus in den gängigen Definitionen der unechten Unternehmensdelikte angelegt ist, indem nämlich zum einen der Begriff der „Tendenzbetätigung" verwendet, zum anderen die Umschreibung der Tathandlung als „finales Tätigkeitswort" gefordert wird. Letztlich vermögen diese — im übrigen reichlich vagen 113 — Formulierungen aber keine eindeutige Aussage über das Erfordernis einer „überschießenden Innentendenz" zu geben. Hierzu bedarf es vielmehr einer eingehenden Untersuchung der als unechte Unternehmensdelikte klassifizierten Vorschriften. Erst wenn diese Untersuchung ergibt, daß sämtliche Delikte eine überschießende Innentendenz aufweisen, kann diese Form der inkongruenten Tatbestandsstruktur als ein wesentliches Merkmal der unechten Unternehmensdelikte angesehen werden 114 . Im Anschluß daran kann geprüft werden, ob auch die Vorschrift des § 145 d StGB eine solche inkongruente Tatbestandsstruktur aufweist, so daß sie als unechtes Unternehmensdelikt eingestuft werden müßte.
aa) Untersuchung anhand der herkömmlichen Beispiele unechter Untemehmensdelikte Als Beispiele für ein unechtes Unternehmensdelikt werden herkömmlicherweise § 111 StGB (,Auffordern"), § 113 I StGB („Widerstandleisten" bzw. ,Angreifen"), § 125 I 3. Var. StGB („Einwirken"), § 164 StGB („Verdächtigen"), § 257 StGB („Hilfeleisten"), § 292 StGB („Nachstellen") sowie §§ 333, 334
112
Vgl. Sowada, GA 1988, 195 (199 f.). S. hierzu auch Mitsch, Provokation, S. 54 ff. (59).
1,3
S. Sowada, GA 1988, 195 (200).
114
Freilich gibt es daneben noch andere Delikte mit überschießender Innentendenz, insbesondere die Absichtsdelikte, die Ausdrucksdelikte sowie die sonstigen Tendenzdelikte. Eine umfassende Darstellung findet sich insoweit bei Jescheck, AT, § 30 II; Roxin, AT, § 10 Rdn. 83 ff.; Maurach/Zipf, A T 1, § 20 Rdn. 39. Vgl. dazu, daß diese nicht zwangsläufig denselben Regeln folgen müssen wie die Untemehmensdelikte, Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 135 f. Fn. 14.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
51
StGB („Vorteilsgewährung" bzw. „Bestechung") genannt 115,116 . Im folgenden bedarf es zunächst einer eingehenden Analyse des objektiven und des subjektiven Tatbestands dieser Delikte. Anschließend ist ein Vergleich beider Tatseiten durchzuführen, um gegebenenfalls das Vorliegen einer überschießenden Innentendenz festzustellen.
(1) Das „Auffordern" i. S. des § 111 StGB Der objektive Tatbestand des § 111 I StGB 117 setzt voraus, daß der Täter öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ( § 1 1 Abs. 3 StGB) zu einer rechtswidrigen Tat auffordert. Ein Erfolg in dem Sinne, daß die Tat, zu der der Täter auffordert, begangen wird, braucht nicht einzutreten. Dies ergibt sich bereits im Umkehrschluß aus § 111 I I StGB („Bleibt die Aufforderung ohne Erfolg, so ist die Strafe..."). Des weiteren liegt ein Gegensatz
1,5
Vgl. die Aufzählung bei Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 133 Fn. 3 m.w.Nachw. und Hoyer, Eignungsdelikte, S. 199. 116
Daneben wird teilweise auch die unterlassene Hilfeleistung gem. § 323 c StGB als unechtes Unternehmensdelikt angesehen; vgl. Schröder, Kern-Festschrift, 457 (467); Sch / Sch-Cramer, § 323 c Rdn. 2 a; SK-Rudolphi, § 323 c Rdn. 3; Hoyer, Eignungsdelikte, S. 199; wohl auch Welzel, S. 471. Begründet wird dies damit, daß § 323 c StGB eine „Hilfeleistung" verlange, Hilfe aber die auf Herbeiführung bestimmter Erfolge finale Tätigkeit bezeichne. Gegen diese Konstruktion bestehen allerdings - unabhängig von der Frage nach der überschießenden Innentendenz — schwerwiegende Bedenken. Dies zeigen zum einen die verschiedenen Schlüsse, die aus der Einordnung des § 323 c StGB als unechtes Unternehmensdelikt gezogen werden. So sollen etwa nach einer Meinung alle Tatbestandsmerkmale des § 323 c StGB objektiv vom Standpunkt ex post beurteilt werden, was aber nicht ausschließe, eine unterlassene Hilfe, die sich bei nachträglicher Betrachtung als gefahrlos herausstellt, doch zu bestrafen (vgl. Sch / Sch-Cramer, § 323 c Rdn. 2 a; dagegen SK-Rudolphi, § 323 c Rdn. 3). Würde man dem folgen, hätte dies eine „alle vernünftigen Grenzen überschreitende Ausdehnung" (so Alwart, Versuchen, S. 110 Fn. 41) des § 323 c StGB zur Folge: unterlassene Hilfeleistung auch dann, wenn sich der „Unterlassende" einen „Unglücksfall" bloß einbildet. Zum anderen überzeugt auch die Argumentation nicht, § 323 c StGB enthalte mit dem Ausdruck ,»Hilfe leisten" ein finales, weil auf eine nur subjektive Abwendungsbemühung gerichtetes Tätigkeitswort. Sie verkennt nämlich, daß sich aus dem Merkmal der „Erforderlichkeit" der Hilfe eine den Tatbestand einschränkende Objektivierung ergibt; vgl. Geilen, Jura 1983, 138 (142). Die Einordnung des § 323 c StGB als unechtes Unternehmensdelikt wird daher zu Recht abgelehnt von LK-Spendel, 10. Aufl., § 323 c Rdn. 24; Arzt/Weber, L H 2, Rdn. 375 Fn. 1 („nutzlose dogmatische Überschärfe"); Geilen, Jura 1983, 138 (142); Alwart, Versuchen, S. 110 Fn. 41; Kreuzer, NJW 1967, 278 (281). 117 Die Vorschrift des § 111 StGB bezweckt, besonders gefährliche Formen der Anstiftung bzw. der versuchten Anstiftung unter Strafe zu stellen, die durch §§ 26, 30 StGB deswegen nicht erfaßt werden können, weil dort ein bestimmter Adressat und eine konkrete Ausrichtung auf eine bestimmte Haupttat verlangt werden. Geschützt wird neben dem durch die aufgeforderte Straftat bedrohten Rechtsgut auch der innere Friede der Gemeinschaft; vgl. Sch / Sch-Eser, § 111 Rdn. 1.
4*
52
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
zum Bestimmen i. S. des § 26 StGB ja gerade darin, daß die „Aufforderung" auf einen Erfolg verzichtet 118 . Welche Anforderungen dagegen an den subjektiven Tatbestand zu stellen sind, ist im Hinblick auf die Begehung der angesonnenen Straftat umstritten 119 . Nach einer Ansicht muß der Auffordernde beabsichtigen (zielgerichteter Wille), daß durch sein Verhalten der Entschluß zur Tat gefaßt wird, und zwar muß er hiernach deren Vollendung wollen 120 . Demgegenüber genügt es nach anderer Auffassung bereits, wenn der Täter billigend in Kauf nimmt, daß seine Aufforderung ernst genommen und die Tat begangen wird, d.h. bedingter Vorsatz soll ausreichen 121. Unabhängig davon, welcher Auffassung der Vorzug zu geben ist, muß festgestellt werden, daß beide Ansichten im subjektiven Tatbestand jedenfalls ein „Mehr" gegenüber dem objektiven Tatbestand fordern. Der objektive Tatbestand verlangt schließlich überhaupt keinen Erfolgseintritt in Form einer Begehung der angesonnenen Straftat. Ob nun im subjektiven Tatbestand diesbezüglich zielgerichteter Wille (Absicht) oder aber (nur) bedingter Vorsatz gefordert wird, kann dahingestellt bleiben, weil der „Tatentschluß" sämtliche Vorsatzformen, also auch den bedingten Vorsatz umfaßt 122 . Mithin ist § 111 StGB (nach allen Ansichten) als Delikt mit überschießender Innentendenz einzuordnen.
118
Vgl. Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 93 Rdn. 2.
119
Unstreitig ist demgegenüber, daß der Vorsatz sich auf die Modalitäten der Tatbegehung (öffentlich usw.) erstrecken muß; vgl. etwa Sch / Sch-Eser, § 111 Rdn. 16; LK-v. Bubnoff, 11. Aufl., § 111 Rdn. 30. Diese Frage ist jedoch für die vorliegende Untersuchung ohne Belang. Dies gilt ebenfalls für die — allerdings umstrittene — Frage, ob der Vorsatz die Kenntnis der Strafrechtswidrigkeit der angesonnenen Tat erfordert (so Sch / Sch-Eser, § 111 Rdn. 16) oder ob es genügt, daß der Auffordernde sich des tatsächlichen Inhalts seiner Aufforderung bewußt ist (Dreher / Tröndle, § 1 1 1 Rdn. 8). 120 So Sch/Sch-Eser, § 111 Rdn. 17; A K-Zielinski, § 111 Rdn. 13. Ebenso Arzt /Weber, Rdn. 85: „Der Auffordernde muß die Haupttat wollen." 121
Vgl. Dreher/Tröndle, § 111 Rdn. 8; LK-v. Bubnoff, § 1 1 1 Rdn. 7; Preisendanz, § 111 Anm. 7.
L H 5,
11. Aufl., § 111 Rdn. 30; SK-Horn,
122 Hinzuweisen bleibt darauf, daß die dargelegte Streitfrage für die Einbeziehung oder Ausklammerung des agent provocateur im Rahmen des § 111 StGB ausschlaggebend ist. Nur wenn man verlangt, daß der Täter die Vollendung der Tat will, fällt der agent provocateur nicht unter § 111 StGB (vgl. Sch / Sch-Eser, § 111 Rdn. 17). Anderenfalls ist der agent provocateur abweichend von § 26 StGB einbezogen (vgl. etwa Lackner / Kühl, § 111 Rdn. 6).
53
Β. Kritik und eigener Standpunkt (2) Das „Widerstandleisten" bzw. „Angreifen" i. S. des § 113 StGB
Der objektive Tatbestand des § 113 I StGB 123 setzt voraus, daß der Täter einem Amtsträger usw., der zur Vollstreckung von Gesetzen usw. berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn dabei tätlich angreift. Daß der geleistete Widerstand oder der tätliche Angriff dabei zu einem Erfolg führen, etwa in der Form, daß der Amtsträger usw. an der Vornahme der Diensthandlung gehindert wird, ist keine Voraussetzung des objektiven Tatbestands124. Demgegenüber wird für den subjektiven Tatbestand neben dem Bewußtsein des Täters, daß ihm ein Amtsträger usw. gegenübersteht, der eine Diensthandlung vornimmt, auch einhellig das Bewußtsein gefordert, daß er dieser Handlung durch sein Verhalten ein Hindernis bereitet. Insoweit soll dann bedingter Vorsatz genügen125. Demzufolge verlangt die subjektive Tatseite ein „Mehr" gegenüber dem objektiven Tatbestand. Mithin weist auch § 113 StGB eine inkongruente Tatbestandsstruktur mit überschießender Innentendenz auf.
(3) Das „Einwirken" i. S. des § 125 I 3. Var. StGB Einen aufwieglerischen Landfriedensbruch gem. § 125 I 3. Var. StGB 1 2 6 begeht, wer auf eine Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder zu Bedrohungen von Menschen mit solchen Gewalttätigkeiten zu fördern.
123
Das durch § 113 StGB geschützte Rechtsgut ist streitig. Während nach einer Ansicht der Zweck der Vorschrift allein in dem Schutz staatlicher Vollstreckungshandlungen besteht (vgl. Dreher / Tröndle, § 113 Rdn. 1), dient § 113 StGB nach anderer Auffassung auch dem Schutz der dazu berufenen Organe (vgl. Sch / Sch-Eser, § 113 Rdn. 2). 124
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 133; Lackner/Kühl, § 113 Rdn. 12, 15; Sch / Sch-Eser, § 113 Rdn. 40, 47. 125 S. LK-v. Bubnoff, Horn, § 113 Rdn. 12.
11. Aufl., § 113 Rdn. 42; Dreher / Tröndle,
§ 113 Rdn. 5, 6; SK-Horn, § 113 Rdn. 22; vgl. auch SK-
126 Umstritten ist, ob § 125 StGB neben der öffentlichen Sicherheit auch die jeweils bedrohten Individualrechtsgüter schützt. Dafür z.B. LK-v. Bubnoff, 10. Aufl., § 125 Rdn. 1; dagegen Sch/ Sch-Lenckner, § 125 Rdn. 2 u.a. unter Berufung auf BGH, NJW 1984, 1230 („kein Schutzgesetz i. S. des § 823 I I BGB").
54
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
Im objektiven Tatbestand wird folglich ausschließlich das Einwirken auf eine Menschenmenge vorausgesetzt. Dabei muß das Einwirken nicht erfolgreich sein 127 . Es ist demnach völlig ohne Belang, ob die Bereitschaft der Menge zu Ausschreitungen i. S. des § 125 I 1. u. 2. Alt. StGB tatsächlich gefördert wird, oder daß es zu Gewalttätigkeiten usw. aufgrund der Einwirkung kommt 128 . Aus dem Gesetz ergibt sich dagegen, daß der subjektive Tatbestand mehr verlangt. Das Einwirken muß gerade mit der Absicht, d.h. dem zielgerichteten Willen 1 2 9 , erfolgen, die Bereitschaft der Menschenmenge zum gewalttätigen oder bedrohenden Landfriedensbruch zu stärken oder zu fördern. Dem Täter muß es also auf gewalttätige Aktionen usw. ankommen. Demzufolge stellt sich auch der aufwieglerische Landfriedensbruch als Delikt mit überschießender Innentendenz dar.
(4) Das „Verdächtigen" i. S. des § 164 StGB Der objektive Tatbestand des § 164 I StGB 130 verlangt, daß ein anderer bei einer Behörde usw. einer rechtswidrigen Tat oder der Verletzung einer Dienstpflicht falsch verdächtigt wird 1 3 1 . Ein darüber hinausgehender Erfolg in Form der Einleitung oder Fortführung eines behördlichen Verfahrens wird nicht vorausgesetzt132.
127
Vgl. SK-Rudolphi,
§ 125 Rdn. 20; LK-v. Bubnoff,
128
10. Aufl., § 125 Rdn. 33.
So LK-v. Bubnoff,
10. Aufl., § 125 Rdn. 33; Sch / Sch-Lenckner, § 125 Rdn. 22.
129
Vgl. hierzu SK-Rudolphi,
§ 125 Rdn. 21; LK-v. Bubnoff,
10. Aufl., § 125 Rdn. 37.
130
Die folgenden Ausführungen gelten entsprechend für das „Verdächtigen" i. S. des § 164 II StGB. Der objektive Tatbestand des Abs. 2 unterscheidet sich von dem des Abs. 1 allein in der Tathandlung; vgl. hierzu SK -Rudolphi, § 164 Rdn. 27. Der subjektive Tatbestand setzt sowohl bei Abs. 1 als auch bei Abs. 2 voraus, daß der Täter wider besseren Wissens und mit einer bestimmten Absicht verdächtigt. 131 Die Frage nach dem Schutzzweck des § 164 StGB ist äußerst umstritten. Nach überwiegender Ansicht besitzt die Vorschrift eine Doppelnatur: Sie schützt die innerstaatliche Rechtspflege gegen Irreführung und unbegründeter Inanspruchnahme, dient daneben aber auch dem Schutz des einzelnen, der nicht das Opfer eines ungerechtfertigten behördlichen Untersuchungsverfahrens etc. werden soll; vgl. BGHSt. 5, 66 (68); 9, 240 (242); Geilen, Jura 1984, 251; Sch / Sch-Lenckner, § 164 Rdn. 1,2; Wessels, BT 1, § 16 I 1. Nach einer Gegenmeinung ist demgegenüber das Individualinteresse des einzelnen als bloßer Schutzreflex anzuerkennen; vgl. Langer, Tröndle-Festschrift, 265 (285); SK-Rudolphi, § 164 Rdn. 1, 2. 132
Vgl. etwa Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 99 Rdn. 13.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
55
Da der subjektive Tatbestand aber genau diese Absicht 133 des Täters, ein behördliches Verfahren herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, fordert, ist §164 StGB als Delikt mit überschießender Innentendenz einzustufen.
(5) Das „Hilfeleisten" i. S. des § 257 StGB Den Tatbestand der Begünstigung gem. § 257 StGB 134 erfüllt, wer einem anderen, der eine rechtswidrige Tat begangen hat, in der Absicht Hilfe leistet, ihm die Vorteile der Tat zu sichern. Danach setzt der objektive Tatbestand neben der tauglichen Vortat eines anderen eine Hilfeleistung voraus. Hierunter versteht man jede Handlung (oder auch Unterlassung in Garantenstellung 135), die objektiv geeignet ist, den Vortäter im Hinblick auf die Vorteilssicherung (unmittelbar 136 ) besserzustellen 137 . Ein Erfolg dahingehend, daß der Vortäter tatsächlich bessergestellt wird, braucht allerdings nicht einzutreten 138. Demgegenüber verlangt der subjektive Tatbestand neben dem Tatbestandsvorsatz gerade die Absicht (zielgerichtetes Wollen 139 ), die Vorteile der Tat zu sichern. Dem Täter des § 257 StGB muß es also darauf ankommen, daß seine
133 Bedingter Vorsatz genügt hier nicht, wohl aber genügt dolus directus in beiden Formen, d.h. die Absicht ist nicht nur als zielgerichtetes Handeln zu verstehen, sondern erfaßt auch das sichere Wissen, daß die Anschuldigung zu einem Verfahren gegen den Verdächtigten führen wird; vgl. Sch / Sch-Lenckner, § 164 Rdn. 32. 134
Das geschützte Rechtsgut des § 257 StGB ist noch nicht abschließend geklärt; vgl. Lackner/Kühl, § 257 Rdn. 1. Die Annahme eines kumulativen Schutzes von Allgemein- und Individualinteressen dürfte der Sachlage am ehesten entsprechen: Belange des einzelnen sind betroffen, soweit der Begünstiger durch die nachträgliche Unterstützung der Vortat eine Entziehung der daraus gewonnenen Vorteile zu vereiteln sucht. Um einen Angriff auf die Rechtspflege handelt es sich, weil es deren Aufgabe ist, den durch die Vortat beeinträchtigten gesetzesmäßigen Zustand wiederherzustellen; vgl. Lackner / Kühl, § 257 Rdn. 1 und Wessels, BT 2, § 19 I 1. 135
Vgl. hierzu BGH, NJW 1979, 2621 (2622); Lackner / Kühl, § 257 Rdn. 3.
136
Vgl. Lackner / Kühl, § 257 Rdn. 3 m.w.Nachw.
137
Vgl. BGH, NJW 1971, 526; SK-Samson, § 257 Rdn. 18; Lackner / Kühl, § 257 Rdn. 3; Dreher / Tröndle, § 257 Rdn. 6; LK-Ruß, 10. Aufl., § 257 Rdn. 13 jeweils m.w.Nachw. auch hinsichtlich (früherer) Gegenansichten. 138 Vgl. nur Dreher / Tröndle, § 257 Rdn. 6; Lackner / Kühl, § 257 Rdn. 3. Anders noch BGHSt. 2, 375 (376), allerdings zu § 257 a.F. 139
Vgl. etwa Lackner/Kühl,
§ 257 Rdn. 5; Sch/Sch-Stree,
§ 257 Rdn. 22.
56
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
Hilfeleistung einen Erfolg in Form der Besserstellung des Vortäters hat 140 . Aufgrund dieser inkongruenten Deliktsstruktur ist § 257 StGB ebenfalls ein Delikt mit überschießender Innentendenz.
(6) Das „Nachstellen" i. S. des § 292 StGB Das „klassische" Beispiel der unechten Untemehmensdelikte, das Nachstellen i. S. des § 292 StGB 141 , setzt im objektiven Tatbestand (lediglich) eine Handlung voraus, die auf Fangen, Erlegen oder Sichzueignen von Wild gerichtet ist. Ob diese Tätigkeit einen Erfolg hat oder nicht, ist ohne Belang 142 . Demgegenüber ist wesentliches Begriffsmerkmal des Nachstellens, daß es in „Erfolgsabsicht" betrieben wird. Der Täter, der dem Wild nachstellt, handelt demnach nur dann subjektiv tatbestandsmäßig, wenn er bei der VerÜbung dieser Tat den Willen hat, das Wild zu fangen, zu erlegen oder sich zuzueignen143. Damit erweist sich auch die Jagdwilderei in Form des Nachstellens als Delikt mit überschießender Innentendenz.
(7) „Vorteilsgewährung" i. S. des § 333 StGB Im objektiven Tatbestand verlangt die Vorteilsgewährung gem. § 333 StGB 1 4 4 , 1 4 5 , daß der Täter einem Amtsträger usw. (bei Abs. 2 einem Richter
140 Vgl. Dreher / Tröndle, § 257 Rdn. 9; Lackner / Kühl, § 257 Rdn. 5. Die Vorteilssicherung braucht allerdings nicht Motiv (Endziel) des Täters zu sein; es genügt, daß es ihm auf diesen Erfolg — um seiner selbst willen oder zur Erreichung eines weiteren Ziels - ankommt; vgl. Sch / Sch-Stree, § 257 Rdn. 22. 141 Die folgenden Ausführungen gelten entsprechend für das „Fischen" i. S. des § 293 StGB. Auch insoweit handelt es sich um ein unechtes Unternehmensdelikt; vgl. nur OLG Frankfurt, NJW 1984, 812 und Lackner / Kühl, § 293 Rdn. 3. 142 Vgl. Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 38 Rdn. 15; LK-Schäfer, Rdn. 41; Blei, BT, § 71 I I 1 b); Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 133.
10. Aufl., § 292
143 Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 133; LK-Schäfer, 10. Aufl., § 292 Rdn. 41; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 38 Rdn. 16; Mitsch, Provokation, S. 201; Sch / Sch-Eser, § 292 Rdn. 5. 144
Die folgenden Ausführungen gelten entsprechend für die „Bestechung" gem. § 334 StGB. Der Unterschied zwischen beiden Vorschriften besteht zum einen darin, daß bei § 334 StGB im Gegensatz zu § 333 StGB nicht bloß künftige, sondern auch zurückliegende dienstliche oder richterliche Handlungen in Betracht kommen (vgl. hierzu Sch / Sch-Cr amer, § 334 Rdn. 3). Zum anderen unter-
57
Β. Kritik und eigener Standpunkt
usw.) für eine künftige Ermessenshandlung einen Vorteil anbietet, verspricht oder gewährt. Ohne Bedeutung ist es, ob der Vorteilsempfänger die Handlung, auf die sich der Vorteil bezieht, tatsächlich vornimmt 146 . Welche Anforderungen diesbezüglich an den subjektiven Tatbestand zu stellen sind, wird allerdings unterschiedlich beurteilt. Nach einer Auffassung ist es nicht erforderlich, daß der Täter den anderen zu der Handlung bestimmen will. Zwar sei dies in der Regel der Fall, vorauszusetzen sei ein solches subjektives Erfordernis jedoch nicht 147 . Zur Begründung wird auf die gegenüber § 333 StGB a.F. veränderte Fassung verwiesen 148. Hiernach würde § 333 StGB keine inkongruente Tatbestandsstruktur aufweisen. Ein solches Verständnis vom subjektiven Tatbestand des § 333 StGB verkennt jedoch, daß der Vorteil nach dem Gesetzeswortlaut „als Gegenleistung" für die Vornahme der Diensthandlung usw. gewährt werden muß. Hierin kommt die sog. „ Unrechtsvereinbarungder gemeinsame Unrechtkern aller Bestechungstatbestände, zum Ausdruck, durch die der Amtsträger sich käuflich zeigt oder bereit zeigen soll, indem ein materieller oder immaterieller Vorteil als Gegenleistung für eine bestimmte Diensthandlung vorgesehen oder zu ihr in Beziehung gesetzt wird 1 4 9 . Ist aber erforderlich, daß der Vorteil gerade für eine Handlung gewährt wird, muß es dem Täter darauf ankommen, daß der andere diese Handlung vornimmt 150 . Der Täter muß also beabsichtigen (zielgerichtetes Wollen), daß der
scheidet sich § 334 StGB von § 333 StGB dadurch, daß die Vorteilsgewährung sich bei § 334 StGB auf pflichtwidrige Handlungen bezieht. Soweit § 333 StGB die Vorteilsgewährung für nicht pflichtwidrige Handlungen unter Strafe stellt, ist § 334 StGB ein Qualifikationstatbestand (vgl. LKJescheck, 10. Aufl., § 334 Rdn. 1). Diese Unterschiede sind jedoch für die hier interessierende Frage nach der (In-)Kongruenz der Tatbestandsstruktur ohne Belang. 145
Das durch die Bestechungsdelikte geschützte Rechtsgut ist ebenfalls umstritten. Zum Teil wird die Ansicht vertreten, geschützt sei das Vertrauen der Allgemeinheit in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen (vgl. BGHSt. 15, 88 [96]; LK-Jescheck, 10. Aufl., Vor § 331 Rdn. 17; Sch/Sch Cramer , § 331 Rdn. 5; Schmidhäuser, BT, 24 / 4). Nach anderer Auffassung geht es dagegen um die Funktionsfähigkeit der staatlichen Verwaltung, die ihrerseits nur dann gewährleistet sei, wenn sie objektiv sachlich vonstatten gehe und zugleich vom Vertrauen der Allgemeinheit in die Unkäuflichkeit von Trägern staatlicher Funktionen getragen werde (vgl. Loos, Welzel-Festschrift, 879 [890 f.]; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 78 Rdn. 8; SK-Rudolphi, § 331 Rdn. 4). 146
Vgl. RGSt. 74, 255; LK-Jescheck, 10. Aufl., § 333 Rdn. 10; SK-Rudolphi, Sch / Sch-Cramer, § 333 Rdn. 11. 147
So Dreher / Tröndle,
148
Vgl. Dornseifer,
149
Vgl. hierzu BGHSt. 15, 88 (97); 31, 264 (280); Wessels, BT 1, § 25 I 2.
150
§ 333 Rdn. 10 (bzw. § 334 Rdn. 7); Dornseifer,
§ 333 Rdn. 8;
JZ 1973, 267 (270).
JZ 1973, 267 (270).
Vgl. LK -Jescheck, 10. Aufl., § 333 Rdn. 10; Sch / Sch-Cramer, § 333 Rdn. 13; SK-Rudolphi, § 333 Rdn. 11.
58
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
andere zur Vornahme der Handlung bestimmt wird. Die „Bestimmungsabsicht" 151 ist demnach Bestandteil des subjektiven Tatbestands des § 333 StGB. Mithin ist auch § 333 StGB zu den Delikten mit überschießender Innentendenz zu zählen.
bb) Ergebnis Die bisherigen Untersuchungen zusammenfassend ist festzustellen, daß sich alle der als unechte Untemehmensdelikte eingestuften Straftatbestände zu den Delikten mit überschießender Innentendenz zählen lassen. Hieraus kann nunmehr gefolgert werden, daß die überschießende Innentendenz dieser Delikte Ausdruck des für die unechten Untemehmensdelikte geforderten materiellen Versuchscharakters ist. Strafbar ist der Täter des unechten Unternehmensdelikts nur, wenn er bei der Verwirklichung des objektiven Tatbestands mehr will als die formelle Vollendung. Er muß darüber hinaus den Willen zur Verletzung des tatbestandlich geschützten Rechtsguts haben 152 . Damit entscheidet erst die subjektive Ausgestaltung eines Straftatbestands darüber, ob es sich um ein unechtes Unternehmensdelikt handelt.
2. Zur Einordnung des § 145 d StGB Demzufolge ist die Vorschrift des § 145 d StGB nur unter der Voraussetzung zu den unechten Untemehmensdelikten zu rechnen, daß ein Vergleich zwischen objektiver und subjektiver Tatseite das Vorliegen einer überschießenden Innentendenz ergibt.
a) Zur objektiven Tatseite des § 145 d StGB
Wie bereits festgestellt, verlangt der objektive Tatbestand des § 145 d StGB neben der Schaffung des täuschenden Sachverhalts und der amtlichen Kenntnisnahme keinen darüber hinausgehenden Erfolg. Ein Irrtum der Behörde oder gar
151
Vgl. zum Begriff SK-Rudolphi, § 333 Rdn. 11.
152
Vgl. Mitsch, Provokation, S. 201; Sowada, GA 1988, 195 (200).
Β. Kritik und eigener Standpunkt
59
eine dadurch vermittelte unnötige Ermittlungstätigkeit werden nicht vorausgesetzt. Von der vorherrschenden Meinung in Rechtsprechung 153 und Literatur 154 wird allerdings auf der objektiven Tatseite zusätzlich gefordert, daß der Inhalt der Täuschungshandlung objektiv zur Herbeiführung nutzloser Verfolgungstätigkeit geeignet ist 155 . Zur Begründung wird insoweit angeführt, daß ein Schutz der staatlichen Organe vor Täuschungen nur dann sinnvoll und notwendig sei, wenn die Täuschung überhaupt ein Anlaß sein könne, in irgendeiner Richtung tätig zu werden 156 .
b) Zur subjektiven Tatseite des § 145 d StGB
Der subjektive Tatbestand des § 145 d StGB erfordert eine Täuschungshandlung „wider besseren Wissens". Der Täter muß daher wissen 157 , daß die behauptete rechtswidrige Tat nicht begangen worden ist, ihre Verwirklichung nicht bevorsteht oder die Angabe über die Person eines Tatbeteiligten nicht der Wahrheit entspricht 158 . „Wider besseres Wissen" bezieht sich folglich genau wie bei § 164 StGB auf die Unwahrheit der Umstände, die der Behörde etc. wahrnehmbar gemacht werden 159 .
153
Vgl. etwa OLG Karlsruhe, MDR 1992, 1166 (1167); OLG Zweibrücken, VRS 77, 441.
154
Vgl. z.B. Arzt /Weber, L H 2, Rdn. 412; Eser, StR III, S. 185; Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1011); Lackner /Kühl, § 145 d Rdn. 4; Schmidhäuser, BT, 23 / 3; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 7; Stree, NStZ 1987, 559. 155
Dagegen soll es nicht der objektiven Eignung der Täuschung zur Irrtumserregung bedürfen, da auch „plumpe Lügen" ausreichen würden; vgl. Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1011). 156 Vgl. etwa SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 7. Auf die Frage, ob die Eignung zur Herbeiführung nutzloser Ermittlungstätigkeit tatsächlich als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 145 d StGB anzuerkennen ist, wird noch näher einzugehen sein (vgl. unten III. 2.). Hier soll im Hinblick auf das - eventuelle - Vorliegen einer überschießenden Innentendenz nur interessieren, daß eine solche Forderung überhaupt gestellt wird. 157
Bedingter Vorsatz reicht insoweit also nicht aus; vgl. H.J. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 53 f.; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 21; Schmidhäuser, BT, 23 / 6; Lackner/Kühl, § 145 d Rdn. 9. 158 In den Fällen der Nrn. 2 der beiden Absätze braucht der Täter die bevorstehende Tat nicht unter § 126 I StGB zu subsumieren. Bedeutungskenntnis in bezug auf die Tatumstände genügt; vgl. Lackner/Kühl, § 145 d Rdn. 9; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 21; LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 19. 159
Vgl. Arzt/Weber,
L H 2, Rdn. 413; Schmidhäuser, BT, 23 / 6.
60
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
Weiterhin muß der Täter (zumindest bedingt) vorsätzlich hinsichtlich der übrigen Tatbestandsmerkmale handeln. Im einzelnen setzt dies voraus, daß der Vorsatz sich auf die Behördeneigenschaft etc., auf die Rechtswidrigkeit der vorgetäuschten Tat, auf die Schaffung des täuschenden Sachverhalts und schließlich auf die amtliche Kenntniserlangung bezieht 160 . Aufgrund dieser Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands läßt sich noch keine überschießende Innentendenz bei § 145 d StGB feststellen. Eine solche inkongruente Tatbestandsstruktur würde sich vielmehr erst dann ergeben, wenn auf der subjektiven Tatseite Vorsatz hinsichtlich der Einleitung behördlicher Ermittlungstätigkeit gefordert würde. Denn in diesem Fall enthielte der subjektive Tatbestand des § 145 d StGB ein „Mehr" gegenüber dem objektiven Tatbestand, der ja eine solche Reaktion der Behörde gerade nicht verlangt. Im Gegensatz zu § 164 StGB, der ausdrücklich die Absicht des Täters, ein behördliches Verfahren usw. herbeizuführen, voraussetzt, schweigt § 145 StGB jedoch über die Reaktion der Behörde und entsprechende Vorstellungen des Täters. In Rechtsprechung und Schrifttum lassen sich diesbezüglich verschiedene Meinungen auseinanderhalten.
aa) Die sog. subjektive Eignungsthese Ausgangspunkt einer dieser Meinungen ist die Rechtsprechung des BGH zu den Fällen der Verdachtsablenkung auf erkennbar Unverdächtige bzw. Tote 161 . Der BGH hat insofern darauf verwiesen, daß der Täter in diesen Fällen regelmäßig anstrebe, die Behörde zur Beendigung ihrer Ermittlungen zu bewegen. Der Täter gehe also nicht davon aus, daß sein Verhalten zur Herbeiführung unnötiger Ermittlungsarbeit geeignet sei. Folglich könne man daran denken, neben dem objektiven auch den subjektiven Tatbestand abzulehnen162. Hiervon ausgehend wird heute von der Rechtsprechung und einem Teil des Schrifttums gefordert, daß der Vorsatz des Täters die strafrechtliche Relevanz des Vorgangs mindestens insoweit erfassen müsse, als die Eignung der Täuschung
160 S. Arzt /Weber, L H 2, Rdn. 413; Schmidhäuser, BT, 23 / 6; LK-M//m5, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 19. Vgl. auch OLG Köln, NJW 1953, 1843; OLG Braunschweig, NJW 1955, 1935. 161 Vgl. BGHSt. 19, 305 (307 f.) (= VRS 27, 194 f.). Auf diese Fallgruppe(n) wird im 3. Teil bei der Behandlung der spezifischen Probleme des § 145 d StGB noch näher einzugehen sein. 162
Dem BGH zustimmend Eser, StR III, S. 187.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
61
zur Auslösung unnötiger Ermittlungsmaßnahmen billigend in Kauf genommen werde 163 . Diese subjektive Eignungsthese164 ist allerdings nur die konsequente Fortführung der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht, daß im objektiven Tatbestand die Eignung der Täuschungshandlung zur Herbeiführung unnötiger Ermittlungsarbeit vorauszusetzen sei. Wird nämlich auf der objektiven Tatseite eine bestimmte Voraussetzung für die Strafbarkeit des Täters aufgestellt, muß sich der Vorsatz — als Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestands in Kenntnis aller seiner objektiven Tatumstände165 — auch hierauf beziehen. Mithin führt die subjektive Eignungsthese im Rahmen des § 145 d StGB keineswegs zu einer inkongruenten Tatbestandsstruktur. Es bleibt vielmehr trotz der Forderung nach einer „subjektiven Eignung" bei einer Übereinstimmung von objektivem und subjektivem Tatbestand166.
bb) Die einschränkende Auslegung des subjektiven Tatbestands des § 145 d StGB Neben der subjektiven Eignungsthese findet sich in der Literatur aber auch ein Ansatz zur einschränkenden Auslegung des subjektiven Tatbestands des § 145 d StGB. Danach ist mit dem Vorsatz, daß der täuschende Sachverhalt zur Kenntnis der Behörde gelangt, zugleich regelmäßig der (mindestens bedingte) Vorsatz verbunden, daß die Behörde aufgrund der falschen Information unnötige Ermittlungstätigkeiten einleitet. Allerdings bedürfe dieser Vorsatz keiner Feststellung 167 . Dies bedeutet nicht nur, daß der Täter keine Absicht zur Herbeiführung fehlgeleiteter Ermittlungsarbeit haben muß 168 , sondern darüber hinaus
163
Vgl. OLG Zweibrücken, VRS 77, 441 (442); Lackner / Kühl, § 145 d Rdn. 9; Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1011); AK-Schild, § 145 d Rdn. 19; Geppert, Jura 1980, 204 (210). 164
Vgl. zum Begriff H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 265 ff.
165
Vgl. BGHSt. 19, 298; Wessels, AT, § 7 I 2.
166
Vgl. etwa Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1012). Zur Kritik an der subjektiven Eignungsthese vgl. H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 266 ff. 167 168
Vgl. Arzt /Weber,
L H 2, Rdn. 413.
So ausdrücklich Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 22; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 17; aber auch AK-Schild, § 145 d Rdn. 19. Vgl. insoweit auch OLG Celle, NJW 1964, 2213: „Ein bestimmtes Motiv ist nicht erforderlich". Ebenso OLG Oldenburg, NJW 1952, 1226; OLG Köln, NJW 1953, 1843; Preisendanz, § 145 d Anm. 7.
62
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
auch, daß kein bedingter Vorsatz hinsichtlich der Einleitung eines Verfahrens gegeben sein muß. Da nach dieser einschränkenden Auslegung überhaupt kein Vorsatz hinsichtlich der Einleitung unnötiger Ermittlungsarbeit zu fordern ist, stellt sich § 145 d StGB (auch) hiernach nicht als Delikt mit überschießender Innentendenz dar.
3. Ergebnis Nach allen Auffassungen, die zum Umfang der subjektiven Tatseite des § 145 d StGB vertreten werden, weist die Vorschrift eine kongruente Tatbestandsstruktur auf 169 . Das Vorliegen einer überschießenden Innentendenz kann nicht festgestellt werden. Nach dem zuvor gefundenen Ergebnis ist eine solche inkongruente Deliktsstruktur aber eine wesentliche Voraussetzung unechter Unternehmensdelikte. Demzufolge kann der Straftatbestand des § 145 d StGB entgegen einer beachtlichen Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht zu dieser Deliktskategorie gezählt werden.
ΙΠ. Die Einordnung des § 145 d StGB als Gefährdungsdelikt Da § 145 d StGB nicht zu den unechten Unternehmensdelikten gerechnet werden kann, stellt sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung auch nicht die Frage danach, inwieweit die Unternehmensdelikte als qualifizierte Gefährdungsdelikte einzuordnen sind 170 . Allerdings bedeutet die Feststellung, daß § 145 d StGB keinen auf die Verletzung oder die konkrete Gefährdung gerichteten Vorsatz verlangt, auch nicht, daß die Vorschrift nicht mehr zu den Gefährdungsdelikten gezählt werden kann. Denn bei der Schaffung von Gefährdungstatbeständen hat der Gesetzgeber gerade auf das Erfordernis eines Rechtsgutverletzungswillens verzichtet 171 .
169 So ausdrücklich H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 266; Sommer, Erfolgsunrecht, S. 217 f. 170 Vgl. hierzu die Ansätze bei Berz, Tatbestandsverwiiklichung, S. 143 f.; Sowada, GA 1988, 195 (200). S. ferner auch Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 437 ff. 171
Vgl. etwa Berz> Tatbestandsverwirklichung, S. 114; Weber,
1 (21).
Beiheft zur ZStW 99 (1987),
Β. Kritik und eigener Standpunkt 1. Unterschiede zwischen konkreten und abstrakten Gefahrdungsdelikten Innerhalb der Gruppe der Gefährdungsdelikte unterscheidet man zwischen konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikten. Die konkreten Gefährdungsdelikte sind dadurch gekennzeichnet, daß sie im objektiven Tatbestand die Verursachung einer Gefahr als objektives Tatbestandsmerkmal voraussetzen 172. In der Praxis hat dies zur Folge, daß eine Verurteilung aus einem konkreten Gefährdungsdelikt nur dann möglich ist, wenn das Gericht im Einzelfall den Eintritt einer konkreten Gefahr für das jeweilige Rechtsgut feststellen konnte 173 . Dies zeigt auf, daß die konkreten Gefährdungsdelikte zu den Erfolgsdelikten gezählt werden müssen. Im Gegensatz zu den Verletzungserfolgsdelikten verlangen sie zwar keine reale Werteinbuße am Rechtsgut, wohl aber einen Erfolg in Gestalt der Lebens-, Leibes- oder Sachgefährdung, d.h. den Gefahrerfolg" 4· Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten ist die Rechtslage hingegen anders 175 . Abstrakte Gefährdungsdelikte sind solche, bei denen ein typischerweise gefährliches Verhalten als solches unter Strafe gestellt wird, ohne daß im konkreten Fall ein Gefährdungserfolg eingetreten zu sein braucht 176 . Die Verursachung einer konkreten Gefahrenlage, die das Gericht nachzuweisen hätte, stellt also — im Gegensatz zu den konkreten Gefährdungsdelikten — kein objektives Tatbestandsmerkmal dar. Die Verhütung von konkreten Gefahren und damit auch von Verletzungen ist vielmehr nur Motiv für den Gesetzgeber, der bei der Schaffung abstrakter Gefährdungsdelikte in besonderem Maße eine Ord-
172
Vgl. Arzt/Weber, L H 2, Rdn. 61; Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 11; Dreher/ Tröndle, Vor § 13 Rdn. 13 a; Kaufmann, JZ 1963, 425 (431); H. Schneider, Jura 1988, 460 (461); SK-Horn, Vor § 306 Rdn. 4 ff. Umfassend Ostendorf, JuS 1982, 426 ff. Als Beispiele sind die §§ 90 b, 109 e, 221, 311, 311 a, 311 e, 315, 315 c, 330, 330 a, 353 b StGB zu nennen. 173 Bohnert, JuS 1984, 182 (183), weist darauf hin, daß die konkreten Gefährdungsdelikte als einzige ihr Rechtsgut ausdrücklich im Tatbestand benennen, so daß das geschützte Rechtsgut nicht erst ermittelt werden muß. Zustimmend H. Schneider, Jura 1988, 460 (461 Fn. 7). 174
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 55 f.; Arzt/Weber, L H 2, Rdn. 61; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 11 ff.; Roxin, AT, § 11 Rdn. 114 f. Weiterführend zum Begriff der „konkreten Gefahr" Geppert, NStZ 1985, 264 ff.; Ostendorf, JuS 1982, 426 ff.; SK-Horn, Vor § 306 Rdn. 4 ff. 175
Vgl. die ausführliche Aufzählung abstrakter Gefährdungsdelikte bei Baumann / Weber, AT, S. 135. 176 Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 7; Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 68 f.; Jescheck, AT, § 26 I I 2; Kindhäuser, Gefährdung, S. 225; Maurach / Zipf, AT 1, § 20 Rdn. 31; Roxin, AT, § 11 Rdn. 119; Schröder, JZ 1967, 522; ders., ZStW 81 (1969), 7 (22).
. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB nungsfunktion wahrnimmt, indem er bestimmte Lebensbereiche ganz generell ohne Rücksicht auf den konkreten Einzelfall regelt 177 . Ordnet man nunmehr die Vorschrift des § 145 d StGB in diese Kategorien des Gefährdungsdelikts ein, so ist zunächst festzustellen, daß im objektiven Tatbestand nicht die Herbeiführung einer konkreten Gefahr (für das geschützte Rechtsgut) vorausgesetzt wird. Demnach kann die Vorschrift jedenfalls nicht zu den konkreten Gefährdungsdelikten gezählt werden 178 .
2. Zur Einordnung des § 145 d StGB als abstraktes Gefahrdungsdelikt in Form eines (materiellen) Eignungsdelikts a) Die sog. Eignungsdelikte
Als eine Kombination von abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten wurden früher die Delikte angesehen, die im Tatbestand neben der Erfüllung einer näher umschriebenen Handlung ausdrücklich verlangen, daß diese „geeignet" sein muß, bestimmte weitere Folgen hervorzurufen. Zu dieser Deliktsgruppe zählen etwa §§ 186, 187, 308 I 2. Fall, 311 d, 325, 326 I Nr. 3 StGB oder §§ 8, 51 LebensmittelG 179 . Da bei diesen Vorschriften die generelle Gefährlichkeit des tatbestandlichen Verhaltens im Gegensatz zu den herkömmlichen abstrakten Gefährdungsdelikten eben nicht nur gesetzgeberisches Motiv geblieben ist, sondern die Voraussetzungen der Gefährlichkeit wegen des Tatbestandsmerkmals der „Eignung" im Einzelfall („konkret") festzustellen sind, hat Schröder diese Delikte ausdrücklich als sog. „abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte" bezeichnet180. Heute hat sich allerdings weitgehend die Auffassung durchgesetzt, daß die Eignungsdelikte grundsätzlich zu den abstrakten Gefährdungs-
177
Vgl. Arzt /Weber, L H 2, Rdn. 46 ff.; Bohnert, JuS 1984, 182 (185); Kratzsch, steuerung, S. 115 f., 277 ff., 370 ff.; Schröder, ZStW 81 (1969), 7 (22).
Verhaltens-
178 Ein Ansatz zur Einordnung des § 145 d StGB als konkretes Gefährdungsdelikt findet sich gleichwohl bei Hirsch, Kaufmann-Festschrift, 545 (562): „Konkretes Gefahrlichkeitsdelikt". Ausgangspunkt dieser Meinung ist (im Anschluß an Hoyer, Eignungsdelikte, S. 199) die These, daß sich § 145 d StGB als „Eignungsdelikt" darstellt. Dem ist allerdings zu widersprechen (vgl. die folgenden Ausführungen unter 2.). 179
Vgl. die umfassende Aufzählung der Eignungsdelikte (im formellen Sinn) des StGB bei Hoyer, Eignungsdelikte, S. 18. 180
Vgl. erstmals Schröder, JZ 1967, 522. S. ferner Schröder, ZStW 81 (1969), 1 (22).
Β. Kritik und eigener Standpunkt delikten gerechnet werden müssen181. Dies folgt daraus, daß der entscheidende Unterschied zwischen den abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten nicht darin liegt, ob bei der Beurteilung der Gefährlichkeit der Handlung Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, sondern darin, daß es bei den abstrakten Gefährdungsdelikten nicht auf den Eintritt einer konkreten Gefahr ankommt 182 . Ein solcher konkreter Gefahrerfolg ist aber auch keine Voraussetzung der Eignungsdelikte. Diese lassen vielmehr bereits die Schaffung eines entsprechenden Risikos genügen183. So ist es beispielsweise im Rahmen des § 8 Nr. 1 LebensmittelG unerheblich, ob ein Lebensmittel für die konkrete Person, die es verzehrt, gefährlich ist oder nicht, solange nur die Möglichkeit besteht, daß infolge des Verzehrs generell eine Gesundheitsbeschädigung eintreten kann 184 . Die Eignungsdelikte weichen von den abstrakten Gefährdungsdelikten daher nur insoweit ab, als sie mit dem Merkmal der „Eignung" das Gefahrenmoment zum Bestandteil des Tatbestands machen185. Aufgrund dessen können sie zwar als „besondere Variante der abstrakten Gefährdungsdelikte" 186 bezeichnet, nicht aber zu den konkreten Gefährdungsdelikten gerechnet werden 187 .
b) Zur Einordnung des § 145 d StGB
Fraglich ist, ob § 145 d StGB zu dieser Deliktsgruppe abstrakter Gefährdungsdelikte gerechnet werden kann. Zwar setzt die Vorschrift im gesetzlichen Tat-
181 Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 60; Gallas, Heinitz-Festschrift, 171 (174 f.); Graul, Gefährdungsdelikte, S. 116 f.; Roxin, AT, § 11 Rdn. 127; Sch / Sch-Cramer, Vorbem. §§ 306 ff. Rdn. 3; SK-Horn, Vor § 306 Rdn. 18; Wolter, Zurechnung, S. 324. Teilweise wird allerdings anerkannt, daß es unter den Tatbeständen, die das Merkmal der „Eignung" verwenden, auch solche gibt, die als konkretes Gefährdungsdelikt verstanden werden müssen. Hierzu werden etwa die §§ 130, 166 StGB gerechnet; vgl. Gallas, Heinitz-Festschrift, 171 (182); Roxin, AT, § 11 Rdn. 128. Eine umfassende Darstellung des Streits, ob die §§ 130,166 StGB zu den abstrakten oder konkreten Gefährdungsdelikten gehören, findet sich bei Fischer, GA 1989, 445 ff. 182
Vgl. die Ausführungen oben III. 1.
183
S. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 59 f.; Graul, Gefährdungsdelikte, S. 116 f.; Roxin, AT, § 11 Rdn. 127. 184 Vgl. hierzu Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 59 f.; Gallas, Heinitz-Festschrift, 171 (181); Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 99. 185
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 60.
186
So Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 60.
187
So aber Hirsch, Kaufmann-Festschrift, 545 (558 ff.).
5 Saal
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB bestand nicht ausdrücklich die „Eignung" zur Schädigung voraus, so daß sie jedenfalls nicht zu den sog. „formellen Eignungsdelikten" 188 gezählt werden kann. Wie bereits angesprochen 189, wird jedoch in Rechtsprechung und Literatur überwiegend auf der objektiven Tatseite gefordert, daß der Inhalt der Täuschungshandlung objektiv zur Herbeiführung nutzloser Ermittlungstätigkeit geeignet ist 190 . Daher könnte man die Ansicht vertreten, daß § 145 d StGB ein „Eignungsdelikt im materiellen Sinn" ist 191 .
c) Kritische
Stellungnahme
Gegen eine solche Einordnung des § 145 d StGB erheben sich allerdings schon im Ansatz erhebliche Bedenken. Diese gründen sich zum einen darauf, daß das in Rechtsprechung und Schrifttum aufgestellte Erfordernis der objektiven Eignung der Täuschungshandlung zur Herbeiführung unnötiger Ermittlungsarbeit nicht ohne weiteres zugrunde gelegt werden kann. Es bedarf vielmehr einer eingehenden Untersuchung, ob diese „Eignung" tatsächlich als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 145 d StGB anzuerkennen ist. Zum anderen ist zweifelhaft, ob eine Ausdehnung der Eignungsdelikte über die Delikte hinaus, die das Tatbestandsmerkmal „geeignet" explizit aufweisen, überhaupt zulässig ist. Diesen Fragen soll im folgenden nachgegangen werden.
aa) Kritik an dem Erfordernis der objektiven Eignung der Täuschungshandlung zur Herbeiführung unnötiger Ermittlungsarbeit Neben dem Gesetzeswortlaut läßt auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht erkennen, daß der historische Gesetzgeber eine Auslegung des
188
Vgl. zu dieser Bezeichnung Hoyer, Eignungsdelikte, S. 16.
189
Vgl. oben II. 2. a).
190
Vgl. nur noch Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1011) m.w.Nachw.
191
Ein solcher Ansatz findet sich bei Hoyer, Eignungsdelikte, S. 199. Hirsch, Kaufmann-Festschrift, 545 (562), ordnet § 145 d StGB zunächst ebenfalls als „Eignungsdelikt" ein, um die Vorschrift dann aber — andeutungsweise — einer „Kategorie konkreter Gefährlichkeitsdelikte" zuzurechnen.
Β. Kritik und eigener Standpunkt § 145 d StGB als Eignungsdelikt anstrebte 192. Die gesetzessystematischen Argumente sprechen im Gegenteil eher dafür, daß der Gesetzgeber ein entsprechendes Eignungserfordernis gerade nicht aufstellen wollte. Wenn nämlich in einigen Tatbeständen die „Eignung" zur Schädigung ausdrücklich als gesetzliches Merkmal des Tatbestands aufgeführt ist, läßt dies den Schluß zu, daß der Gesetzgeber innerhalb anderer Strafvorschriften auf ein solches Erfordernis verzichten wollte. Dafür spricht immerhin auch, daß das explizite Aufstellen des Eignungserfordernisses keinesfalls dem Zufall überlassen wurde, sondern Ausdruck gezielter Differenzierungen zwischen den Tatbeständen ist. So hat der Gesetzgeber in demselben Regelungszusammenhang stehende Straftatbestände teils mit, teils ohne das Erfordernis der „Eignung" zur Schädigung ausgestattet (vgl. z.B. § 164 I I StGB einerseits, § 164 I StGB andererseits 193). Das Erfordernis der „Eignung" zur Schädigung wäre daher innerhalb des § 145 d StGB nur dann überzeugend, wenn es sich aufgrund der ratio der Vorschrift als unumgänglich erweist. Um dies beurteilen zu können, sollen zunächst die einschlägigen Fallgruppen betrachtet werden, anhand derer die Forderung nach der Eignung der Täuschungshandlung zur Herbeiführung unnötiger Ermittlungsarbeit aufgestellt wird. In diesem Zusammenhang fällt bereits auf, daß die objektive Eignungsthese in Rechtsprechung und Schrifttum vielfach nicht an einem konkreten Fall festgemacht, sondern schlicht — ohne nähere Konkretisierung — als allgemeine Voraussetzung der objektiven Tatseite aufgestellt wird 1 9 4 . Soweit überhaupt eine Konkretisierung dieser Eignungsthese erfolgt, geschieht dies herkömmlicherweise anhand der Fälle, in denen der Täter eine zwar rechtswidrige, aber entschuldigte, straflose oder nicht mehr verfolgbare Tat vortäuscht. Insoweit soll trotz des eindeutigen Wortlauts, der eben „nur" das Vortäuschen einer „rechtswidrigen Tat" verlangt, der Tatbestand des § 145 d StGB deswegen nicht erfüllt
192 Vgl. zu den einzelnen Nachweisen auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift AK-Schild, § 145 d Rdn. 2. 193 Trotz dieser ausdrücklich unterschiedlichen Regelung in § 164 StGB wird allerdings überwiegend die Auffassung vertreten, das Eignungserfordernis beziehe sich nicht nur auf § 164 I I StGB, sondern auch auf § 164 I StGB; vgl. Dreher / Tröndle, § 164 Rdn. 5; Geilen, Jura 1984, 251 (257); SK-Rudolphi, § 164 Rdn. 14. Dem kann man allerdings aus den gleichen Gründen, wie sie im folgenden für § 145 d StGB dargelegt werden, nicht zustimmen, zumal auch im Fall des § 164 I StGB die Forderung nach diesem Eignungserfordernis ausschließlich auf die — wenig praxis-relevanten — Fälle der Vortäuschung von Entschuldigungsgründen etc. gestützt wird; vgl. Geilen, Jura 1984, 251 (257); SK-Rudolphi, § 164 Rdn. 14. 194 Vgl. etwa OLG Karlsruhe, MDR 1992, 1166 (1167); OLG Zweibrücken, VRS 77, 441; Eser, StR III, S. 185; Lackner /Kühl, § 145 d Rdn. 4; Schmidhäuser, BT, 23 / 3; Stree, NStZ 1987, 559.
5*
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB sein, weil eine derartige Täuschungshandlung überhaupt kein Anlaß für eine behördliche Ermittlungstätigkeit sein könne und daher ein Schutz derselben weder sinnvoll noch notwendig sei 195 . Zu diesem Zweck wird das Erfordernis der „Eignung" der Täuschungshandlung zur Herbeiführung unnötiger Ermittlungsarbeit aufgestellt und speziell für die dargelegten Fälle das Vorliegen einer solchen „Eignung" verneint. Diese Vorgehensweise erscheint jedoch aus mehreren Gründen bedenklich. Zunächst fällt auf, daß die dargelegten Fälle nur wenig praxisrelevant sind. So hat sich auch die Rechtsprechung — soweit ersichtlich — mit keiner dieser Fallgruppen tatsächlich beschäftigen müssen196. Es ist aber fraglich, ob aus solchen wenig praxisrelevanten Fallgruppen die Forderung nach einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal hergeleitet werden kann. Des weiteren ist zweifelhaft, ob in den dargelegten Fällen tatsächlich davon ausgegangen werden kann, daß kein Anlaß für eine behördliche Ermittlungstätigkeit besteht. Zwar soll in diesem Zusammenhang noch keine umfassende Auseinandersetzung mit dem Problem der Täuschung über rechtswidrige, strafrechtlich aber nicht sanktionierte Taten erfolgen 197 , es kann aber bereits festgestellt werden, daß die Ausklammerung diesbezüglicher Täuschungshandlungen gegen den insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut verstößt, der ausschließlich die Täuschung über eine ,»rechtswidrige Tat" voraussetzt. Zudem ist zu berücksichtigen, daß die Behörde oder zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle den Ausführungen des Täters über das Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes usw. nicht unbedingt Glauben schenken wird. Es kann also nicht — zumindest nicht in jedem Fall — ausgeschlossen werden, daß die Behörde trotzdem Ermittlungsmaßnahmen einleitet. Dafür, daß eine solche Möglichkeit besteht, spricht der umfassende Ermittlungsauftrag, der für die Strafverfolgungsbehörden aus § 152 Π StPO i.V.m. § 160 I StPO („Legalitätsprinzip") folgt. Diese Vorschriften besagen, daß
195
Vgl. SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 7; Preisendanz, § 145 d Anm. 3 a) cc); Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1011). 196
In dem Fall des OLG Oldenburg, NJW 1952, 1225, ging es um die Vortäuschung einer Notwehrtat, d.h. einer gerechtfertigten und nicht erst entschuldigten etc. Tat. Entgegen dem OLG Oldenburg kann hier schon aufgrund des Gesetzeswoitlauts („rechtswidrige Tat" als Gegenstand der Täuschungshandlung) der Tatbestand des § 145 d StGB im Hinblick auf die Notwehrtat nicht erfüllt sein. Zu beachten ist allerdings, daß in der Regel die angebliche Tat des Angreifers, gegen die sich ja die Notwehrhandlung gerichtet haben soll, eine rechtswidrige Tat darstellt und die Strafverfolgungsbehörden zur Aufnahme unnötiger Ermittlungen veranlassen kann; vgl. etwa LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 7; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 6. 197
Vgl. hierzu die Ausführungen unter 3. Teil. Α. II. 2.
Β. Kritik und eigener Standpunkt ein Ermittlungsverfahren schon bei „Verdacht einer Straftat" einzuleiten ist 198 . Das gleiche gilt in den Fällen, in denen sich die Täuschungshandlung aufgrund eines abstrusen Inhalts und allgemeinen Zusammenhangs (z.B. Rosenmontag, 1. April!) 1 9 9 zwar durchaus als Scherz erweisen kann, ein Tätigwerden der Behörde aber eben nicht von vornherein auszuschließen ist. Demzufolge erweist sich das objektive Eignungsmerkmal in den einschlägigen diskutierten Fallgruppen schon deshalb als unbrauchbar, weil in diesen Fällen durchaus Anlaß zu Ermittlungen gegeben sein kann. Auch nach der ratio des § 145 d StGB vermag demnach die objektive Eignungsthese nicht zu überzeugen. Hierauf aufbauend stellt sich nunmehr die Frage, inwieweit das objektive Eignungsmerkmal überhaupt eine eigenständige Bedeutung erlangen kann. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber den Gegenstand der Täuschungshandlung i. S. des § 145 d StGB dadurch konkretisiert hat, daß gerade eine „rechtswidrige Tat" vorgetäuscht werden muß. An den Gegenstand der Täuschungshandlung werden also bereits bestimmte Anforderungen gestellt. Wenn der Gesetzgeber aber schon solche konkreten Anforderungen an die Täuschungshandlung stellt, liegt es nahe, daß damit auch bereits eine Aussage darüber getroffen werden sollte, wann die Täuschung die Schädigung des geschützten Rechtsguts nach sich ziehen kann. Nach der gesetzgeberischen Wertung ist dies eben immer dann der Fall, wenn der Täter über eine „rechtswidrige Tat" täuscht. Soweit es um die Ausscheidung solcher Fälle geht, in denen trotz der Täuschung über eine „rechtswidrige Tat" tatsächlich niemals Anlaß zu unnötigen Ermittlungen bestehen kann, bietet sich in Form des „Geringfügigkeitsprinzips" 200 eine Lösungsmöglichkeit an. Mithin ist als Ergebnis festzuhalten, daß die „objektive Eignung" der Täuschungshandlung zur Herbeiführung unnötiger Ermittlungsarbeit kein selbständiges — ungeschriebenes — Tatbestandsmerkmal des § 145 d StGB ist. Schon aus diesem Grund scheidet eine Einordnung der Vorschrift als „Eignungsdelikt im materiellen Sinn" aus.
198
Vgl. hierzu etwa Kleinknecht / Meyer-Goßner,
199
S. zu diesen Beispielsfällen Sommer, Erfolgsunrecht, S. 215 f.
200
S. hierzu die Ausführungen unter III. 4.
160 Rdn. 9.
0
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB bb) Generelle Kritik an der Bildung von „Eignungsdelikten im materiellen Sinn"
Darüber hinaus erheben sich generelle Bedenken dagegen, „Eignungsdelikte im materiellen Sinn" als selbständige Fallgruppe abstrakter Gefährdungsdelikte anzuerkennen. Dies zum einen deswegen, weil der Gesetzgeber durch die Schaffung „formeller Eignungsdelikte" eine Regelung der Fälle getroffen hat, in denen er eine richterliche Feststellung der allgemeinen Gefährlichkeit eines bestimmten tatbestandlichen Verhaltens zulassen wollte. Diese Regelung ist aufgrund der differenzierten Ausgestaltung — gerade bei Straftatbeständen, die in demselben Regelungszusammenhang stehen — so zu verstehen, daß in anderen Fällen abstrakter Gefährdungsdelikte gerade keine richterliche Überprüfung nötig sein soll 201 . Diese gesetzgeberische Wertung würde unterlaufen, sofern man „Eignungsdelikte im rein materiellen Sinn" als Fallgruppe abstrakter Gefährdungsdelikte anerkennt. Zum anderen ist zu bedenken, daß schon hinsichtlich der „Eignungsdelikte im formellen Sinn" kaum Einigkeit über die Auslegung des Begriffs der „Eignung" besteht202. Mit der Ausdehnung des Eignungserfordernisses auf andere Tatbestände würde sich dieser Streit verschärfen, wodurch wiederum die Rechtsklarheit gerade in dem sensiblen Bereich abstrakter Gefährdungsdelikte erheblich beeinträchtigt würde.
d) Ergebnis
Als Ergebnis ist damit festzuhalten, daß § 145 d StGB kein abstraktes Gefährdungsdelikt in Form eines „Eignungsdelikts im materiellen Sinn" darstellt.
3. Zur Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte Damit stellt sich die Frage, inwieweit § 145 d StGB ansonsten in die Kategorie abstrakter Gefährdungsdelikte paßt. Um diese Frage umfassend zu beantworten, sollen im folgenden zunächst die dogmatischen Eigenarten der abstrakten
201 Diese Bedenken äußert selbst Hoyer, Eignungsdelikte, S. 199, der im übrigen von der Existenz der „Eignungsdelikte im materiellen Sinn" ausgeht. 202
Vgl. hierzu die umfassende Darstellung von Hoyer, Eignungsdelikte.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
1
Gefährdungsdelikte, insbesondere ihre Vorteile und Schwachpunkte, herausgearbeitet und in Bezug zu § 145 d StGB gesetzt werden. Dabei wird das Problem der einschränkenden Auslegung bei erwiesener Ungefährlichkeit der tatbestandlichen Handlung von besonderer Bedeutung sein.
a) Die Vorteile
abstrakter
Gefährdungsdelikte
Um die Vorteile abstrakter Gefährdungsdelikte verdeutlichen zu können, ist zunächst auf die Prämisse hinzuweisen, daß das Strafrecht zuvorderst die Aufgabe hat, dem Schutz wichtiger Rechtsgüter zu dienen 203 . Zwar sind auch die abstrakten Gefährdungsdelikte als Ungehorsamsdelikte umschrieben, dennoch steht materiell nicht die Zuwiderhandlung gegen ein bestimmtes Verbot im Vordergrund, sondern die Vermeidung von Rechtsgutverletzungen. Hiervon ausgehend werden zu den Vorteilen abstrakter Gefährdungsdelikte in erster Linie ein verbesserter Rechtsgüterschutz durch Vorverlegung der Strafbarkeit und die weitgehende Ausschaltung des Zufallsmoments gezählt 204 . Daneben können der Ausschluß des konkreten Gefahrbegriffs sowie die Schaffung eines für den Täter eindeutigen und leicht nachvollziehbaren Handlungsverbots als Vorteil der abstrakten Gefährdungsdelikte angesehen werden 205 .
aa) Verbesserter Rechtsgüterschutz durch Vorverlagerung der Strafbarkeit Dadurch, daß die abstrakten Gefährdungsdelikte die Vornahme einer bestimmten Handlung ohne Rücksicht darauf unter Strafe stellen, ob ein Verletzungsoder konkreter Gefährdungserfolg eintritt, verlagern sie die Strafbarkeitsgrenze gegenüber den Verletzungs- und konkreten Gefährdungsdelikten sehr weit nach vorn. Die Strafe wegen vollendeten Delikts tritt bereits in einem Stadium ein, das bei den Verletzungs- oder konkreten Gefährdungsdelikten noch zum Ver-
203
Vgl. insbesondere Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 32 ff.; ferner Cramer , Vollrauschtatbestand, S. 54 f.; Dreher / Tröndle, Vor § 1 Rdn. 1; Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 57; SKRudolphi, Vor § 1 Rdn. 2; Wolter, Zurechnung, S. 24. 204 Vgl. etwa Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 55 ff.; Blei, AT, § 29 I; Baumann / Weber, AT, S. 132; Weber, Beiheft zur ZStW 99 (1987), 1 (22 ff.); Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 278 f.; H. Schneider, Jura 1988, 460 (462). 205 Vgl. insbesondere Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 58, 113; ferner Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 113; Κ Schneider, Jura 1988, 460 (462).
72
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
suchs- oder Vorbereitungsstadium gerechnet wird. Damit wird der präventive Schutz des jeweiligen Rechtsguts erheblich verbessert 206. Auch § 145 d StGB verzichtet auf den Eintritt einer Verletzungs- oder konkreten Gefährdungswirkung. Zwar ist in Form der amtlichen Kenntniserlangung des täuschenden Sachverhalts ein über die eigentliche Tathandlung hinausgehender „Erfolg" erforderlich, trotzdem ist die Strafbarkeitsgrenze erheblich weiter vorverlagert als für den Fall, daß die tatsächliche Einleitung unnötiger Ermittlungsmaßnahmen oder die konkrete Gefahr einer solchen verlangt wird. Praktisch hat dies zur Folge, daß jeder Täter bereits von der Schaffung eines täuschenden Sachverhalts abgehalten werden soll. Auf diese Weise läßt sich unzweifelhaft ein verbesserter Rechtsgüterschutz im Rahmen des § 145 d StGB erreichen. Berücksichtigt man die immer deutlicher zu Tage tretenden personellen und finanziellen Engpässe gerade innerhalb der polizeilichen Ermittlungsarbeit, erscheint ein derart vorverlagerter Rechtsgüterschutz auch sinnvoll.
bb) Ausschaltung des Zufallsmoments Jeder Erfolgseintritt, und zwar gleichgültig, ob in Form einer Verletzung oder konkreten Gefährdung, ist in einem gewissen Umfang vom Zufall abhängig. So ist beispielsweise ein Autofahrer dann nicht nach § 315 c I Nr. 1 a) StGB strafbar, wenn er trotz einer B Ä K von 0,5 Promille und erheblicher Ausfallerscheinungen (z.B. Fahren in Schlangenlinien) im Straßenverkehr sein Fahrzeug führt, dabei allerdings keine (konkrete) Gefahr für eines der aufgeführten Schutzgüter eintritt. Sobald aber zufälligerweise ein Passant die befahrene Straße überquert, der sich nur durch einen waghalsigen Sprung retten kann, soll die Strafbarkeit zu bejahen sein 207 . Da das Zufallsmoment somit über die Strafbarkeit des Täters entscheiden kann, sind vielfach Bedenken im Hinblick auf das — verfassungsrechtlich in den Art. 20 III, 2 I und 1 GG verankerte — Schuldprinzip geltend gemacht worden 208 . Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten sind das Zufallsmoment und folglich auch die damit einhergehenden verfassungsrechtli-
206 Insoweit sind die abstrakten Gefährdungsdelikte nicht nur gegenüber den Verletzungsdelikten, sondern auch gegenüber den konkreten Gefährdungsdelikten vorzugswürdig, vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 60 ff. 207
Vgl. zu dem konkreten Gefährdungsdelikt des § 315 c StGB BGH, N Z V 1995, 325 f.; OLG Frankfurt, NZV 1994, 365 f.; Berz, NZV 1989, 409 ff.; Wessels, BT 1, § 22 II. Insgesamt zur konkreten Gefahr im Verkehrsstrafrecht Berz, NZV 1989, 409 ff. 208
Vgl. Arzt /Weber,
L H 2, Rdn. 61 ff.; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 172 ff.
Β. Kritik und eigener Standpunkt chen Bedenken ausgeschlossen. Dies folgt daraus, daß auf einen zufallsabhängigen Erfolgseintritt (in Form der Verletzung oder konkreten Gefährdung des geschützten Rechtsguts) schlechthin verzichtet wird. Selbstverständlich erweist sich die bessere Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip auch innerhalb des § 145 d StGB als entscheidender Vorteil abstrakter Gefährdungsdelikte. Denn daß das Zufallsmoment auch im Rahmen des § 145 d StGB — bei einer Ausgestaltung als Verletzungs- oder konkretes Gefährdungsdelikt — eine nicht unerhebliche Rolle spielen würde, läßt sich wie folgt verdeutlichen. Ein Täter bliebe beispielsweise straffrei, wenn die von ihm getäuschten Polizeibeamten zufälligerweise derart belastet sind, daß sie der vorgetäuschten Straftat erst zu einem späteren Zeitpunkt nachgehen wollen, die Unwahrheit der vom Täter gemachten Aussagen sich aber noch vor diesem Zeitpunkt herausstellt, so daß es überhaupt keiner Ermittlungen bedurfte 209. Demgegenüber wäre der gleiche Täter selbstverständlich nach § 145 d StGB zu bestrafen, wenn die betroffenen Beamten der Spur sofort nachgehen würden und sich erst nach mühevoller Ermittlung die Unwahrheit der Behauptungen herausstellt. Hervorheben läßt sich die Bedeutung des Zufallsmoments auch an folgendem Beispielsfall: A möchte der ortsansässigen Polizei einen Streich spielen. In einem anonymen Schreiben kündigt er einen Brandanschlag auf das Haus des Polizeipräsidenten an. Durch Zufall gelangt das Schreiben zuerst auf den Schreibtisch des Polizeibeamten P, der wegen einer Disziplinarmaßnahme seit langem Haß auf seinen Vorgesetzten hegt. Um sich endlich rächen zu können, läßt er die Anzeige sofort nach ihrer Lektüre im Papierkorb verschwinden. Maßnahmen zum Schutz des Polizeipräsidenten werden nicht getroffen. Da die Schaffung des täuschenden Sachverhalts in diesem Fall zu keiner unnötigen Ermittlungsarbeit geführt hat, wäre A straflos. Demgegenüber wäre er unzweifelhaft nach § 145 d (I Nr. 2) StGB zu bestrafen, wenn das Schreiben, in dem der Anschlag angekündigt wird, wie erwartet auf den Schreibtisch eines Beamten gelangt, der sofort umfassende Vorbeugungsmaßnahmen einleitet. Um in solchen Fällen nicht den Zufall über die Strafbarkeit des Täters entscheiden zu lassen, ist die Ausgestaltung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt sachgerecht.
209 Da der Versuch des § 145 d StGB nicht unter Strafe gestellt ist, entfiele auch eine Strafbarkeit wegen versuchter Deliktsvortäuschung.
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB cc) Ausschaltung des (konkreten) Gefahrbegriffs Ein weiterer Schwachpunkt konkreter Gefährdungsdelikte liegt darin, daß sich beim Nachweis des Eintritts einer konkreten Gefahrenlage die Auslegung des Begriffs „Gefahr" sehr schwierig gestaltet. Hervorzuheben sind insoweit insbesondere die Probleme, welche Anforderungen überhaupt an das Vorliegen einer konkreten Gefahr zu stellen sind („Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts") und welcher Zeitpunkt für die Gefahrbeurteilung maßgeblich ist („exante"- oder ,,ex-post"-Betrachtung) 210. Damit eng verbunden ist das Problem des erkennenden Gerichts, den Eintritt einer solchen konkreten Gefahr im Einzelfall nachzuweisen. Diese Auslegungs- und Beweisschwierigkeiten stellen sich im Rahmen abstrakter Gefährdungsdelikte nicht, da die Gerichte von dem Nachweis einer konkreten Gefahrenlage gerade befreit sind. Damit entfällt bei den abstrakten Gefährdungsdelikten ein weiterer erheblicher Schwachpunkt konkreter Gefährdungsdelikte 211. Auch im Rahmen des § 145 d StGB erweist sich die Ausschaltung des (konkreten) Gefahrbegriffs als vorteilhaft. Dies allerdings nicht nur wegen der Vermeidung der allgemeinen Schwierigkeiten, die mit der Bestimmung einer konkreten Gefahr verbunden sind. Vielmehr würde sich innerhalb des § 145 d StGB eine besondere, tatbestandsspezifische Problematik stellen, wenn man von dem erkennenden Gericht einen solchen Nachweis verlangt. Dies folgt daraus, daß das Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob im Einzelfall eine (konkrete) Gefahr bestanden hat, die strafprozessualen Vorschriften der §§152 II, 160 StPO zu berücksichtigen hätte. Dabei besagt § 152 I I StPO i. V. m. § 160 I StPO, daß die Strafverfolgungsbehörde zur Verfolgung jedes Verdächtigen verpflichtet ist, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen 212 . § 160 Π StPO legt darüber hinaus fest, daß dieser Ermittlungszwang sich auf alle den Täter be- und entlastenden Umstände zu erstrecken hat 213 . Im Rahmen des § 145 d StGB würde es sich daher anbieten, zur Bestimmung der konkreten Gefahr nicht auf die allgemeinen — kontrovers disku-
210
Eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem konkreten Gefahrerfolg ist hier nicht möglich. Vgl. hierzu weiterführend Arzt/Weber, L H 2, Rdn. 54 ff.; SK -Horn, Vor § 306 Rdn. 5 ff.; Roxin, AT, § 11 Rdn. 115 ff. sowie Geppert, NStZ 1985, 264 ff. Zur konkreten Gefahr im Straßenverkehrsrecht vgl. BGH, N Z V 1995, 325 f.; OLG Frankfurt, NZV 1994, 365 f. sowie Berz, N Z V 1989, 409 ff. 211
Vgl. H. Schneider, Jura 1988, 460 (462).
212
Dazu Kleinknecht / Meyer-Goßner,
213
Vgl. weiterführend Kleinknecht / Meyer-Goßner,
§ 152 Rdn. 2 u. § 160 Rdn. 1. § 160 Rdn. 14.
Β. Kritik und eigener Standpunkt tierten — Kriterien abzustellen, sondern auf den Aussagegehalt der gesetzlichen Regelung in §§ 152 II, 160 StPO zurückzugreifen. Angesichts des umfassenden Ermittlungsauftrags könnte man nunmehr die Auffassung vertreten, daß jede Täuschungshandlung die (konkrete) Gefahr der Vornahme unnötiger Ermittlungsarbeit bedeutet. Dies hätte freilich zur Folge, daß der Voraussetzung einer konkreten Gefahr praktisch keine Bedeutung mehr zukommt. Im Fall einer Täuschungshandlung wäre das Vorliegen einer solchen Gefahr vielmehr bereits indiziert. Aus diesem Grund ließe sich eine solche Ansicht, die aus dem Regelungsgehalt der §§152 II, 160 StPO derart weite Schlußfolgerungen für einen „konkreten Gefahrbegriff 4 i. S. des § 145 d StGB zieht, sicherlich nicht vertreten. Gleichwohl könnten die in den §§ 152 II, 160 StPO getroffenen Aussagen nicht völlig unerheblich für die Beurteilung einer konkreten Gefahr sein. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage wäre dann ein Schwerpunkt der Bestimmung einer konkreten Gefahr i. S. des § 145 d StGB. Damit würde allerdings eine erhebliche Rechtsunsicherheit einhergehen. Diese tatbestandstypische Problematik läßt sich ohne weiteres vermeiden, wenn man die Vorschrift als abstraktes Gefährdungsdelikt einstuft, so daß sich die Frage nach einer konkreten Gefahr überhaupt nicht stellt. Folglich erweist sich die Ausgestaltung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt auch unter dem Gesichtspunkt der Ausschaltung des (konkreten) Gefahrbegriffs als sinnvoll.
dd) Schaffung eines eindeutigen Handlungsverbots Schließlich ist ein Vorteil abstrakter Gefährdungsdelikte darin zu sehen, daß sie in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung einen eindeutigen Normbefehl in Form eines Ge- oder Verbots umschreiben. Dem Täter wird unmißverständlich verdeutlicht, daß bereits die Vornahme der tatbestandlichen Handlung unter Strafe gestellt ist und es daher nicht darauf ankommt, welche Verletzungen oder konkreten Gefährdungen er als Folge seiner Handlung für möglich hält 214 . Bezogen auf die Vorschrift des § 145 d StGB bedeutet dieser Vorzug abstrakter Gefährdungsdelikte, daß eine Verhaltensanordnung in Form eines eindeutigen Lügeverbots geschaffen wird. Der Täter soll überhaupt keine Erwägungen darüber anstellen, ob sein Verhalten unter bestimmten Umständen zu einer Einleitung unnötiger Ermittlungsmaßnahmen führen kann, sondern jede Täuschung gegenüber den Verfolgungsbehörden unterlassen. Dies ist deswegen notwendig,
214
Vgl. hierzu Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 58; H. Schneider, Jura 1988, 460 (462).
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB weil dem Täter in der Regel der erforderliche Sachverstand und das notwendige Wissen über die behördliche Ermittlungstätigkeit fehlen wird, um sicher zu beurteilen, wann tatsächlich mit einem Tätigwerden der Behörde zu rechnen ist. Die Beurteilung dieser Frage ist dem Täter daher insgesamt zu entziehen. Die Ausgestaltung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt ist also auch unter dem Gesichtspunkt der Anordnung eines eindeutigen Lügeverbots sachgerecht.
ee) Ergebnis Zusammenfassend läßt sich demnach feststellen, daß alle Vorteile abstrakter Gefährdungsdelikte auch im Rahmen der Deliktsvortäuschung nach § 145 d StGB zur Geltung kommen.
b) Die Schwachpunkte abstrakter Gefährdungsdelikte
Die abstrakten Gefährdungsdelikte weisen allerdings auch einige Schwachstellen auf.
aa) Vorverlagerung der Strafbarkeitsgrenze aus Tätersicht Zunächst ist festzustellen, daß mit der Vorverlegung des Rechtsgüterschutzes eine Vorverlagerung der Strafbarkeitsgrenze zum Nachteil des Täters einhergeht. Immerhin werden schon im Vorbereich der Verletzung oder konkreten Gefährdung liegende Verhaltensweisen unter Strafe gestellt. Allerdings vermag diese — zwangsläufige — Folge des verbesserten Rechtsgüterschutzes kein stichhaltiges Argument gegen die Zulässigkeit abstrakter Gefährdungsdelikte zu begründen. Schließlich enthalten diese Delikte eine so eindeutige Verhaltensanordnung in Form eines Ge- oder Verbots, daß der potentielle Täter bereits von jeglicher Handlung abgehalten werden soll, die einen Bezug zu dem jeweiligen tatbestandlichen Verhalten hat. Wird der Täter aber schon im Vorfeld deliktischen Verhaltens dermaßen eindeutig vor einem Tätigwerden gewarnt, so muß er sich des einzugehenden Risikos auch bewußt sein. Entscheidet er sich unter Abwägung des jeweiligen Risikos dennoch für die Vornahme der tatbestandlichen Handlung, unterliegt die Strafwürdigkeit seines
Β. Kritik und eigener Standpunkt Verhaltens keinen Bedenken mehr. Daß es überhaupt zu einer Strafe kommen muß, liegt — wie bei allen anderen Straftatbeständen auch — allein im Verantwortungsbereich des Täters. Mithin kann die Vorverlegung der Strafbarkeitsgrenzen nicht als Argument gegen die Zulässigkeit abstrakter Gefährdungsdelikte geltend gemacht werden.
bb) Kollision mit dem Schuldprinzip bei erwiesener Ungefährlichkeit der tatbestandlichen Handlung (1) Darstellung des Problems Erheblich schwerer wiegt dagegen der Nachteil abstrakter Gefährdungsdelikte, der daraus folgt, daß die typische Gefährlichkeit des tatbestandlichen Verhaltens bloßes Motiv des Gesetzgebers geblieben ist, d.h. die Gefahrenbeurteilung durch den Gesetzgeber nach generalisierenden Betrachtungen vorweggenommen wird, so daß kein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Gefährlichkeit der Handlung mehr verbleibt. Dies hat zur Konsequenz, daß der Täter auch dann aus dem abstrakten Gefährdungsdelikt zu bestrafen ist, wenn er die tatbestandliche Handlung nach entsprechenden Vorkehrungen in dem sicheren Wissen vornimmt, daß das geschützte Rechtsgut in keinem Fall verletzt oder konkret gefährdet werden kann und sich diese Gefahrenprognose nachträglich als zutreffend erweist, d.h. eine Verletzung oder konkrete Gefährdung des geschützten Rechtsguts tatsächlich ausbleibt 215 . Zur Verdeutlichung folgender klassischer Beispielsfall (aus dem Bereich der Brandstiftungsdelikte; nach BGHSt. 26, 121 ff.): Der Angeklagte wurde von L „angeheuert", um dessen Hotel in Brand zu setzen. Bei dem Hotel handelte es sich um ein dreistöckiges Gebäude mit Gastwirtschaft, Wohnung und Gästezimmern. Damit bei dem Brand niemand verletzt werde, schloß L das Hotel und fuhr mit seiner Familie in Urlaub. Β und S, die ebenfalls in dem Haus wohnten, veranlaßte er, vorübergehend in ein anderes Haus umzuziehen. Mit dem Angeklagten verabredete L, dieser solle sich vor der Tat durch einen Rundgang vergewissern, daß sich niemand im Gebäude befand. Der Angeklagte setzte das Hotel später in Brand. Da sich zur Tatzeit niemand in dem Hotel aufhielt, wurde niemand verletzt oder gefährdet.
215 Vgl. insoweit BGHSt. 26, 121 ff.; 34, 115 ff.; Bohnert, JuS 1984, 182 (186 f.); Lackner / Kühl, § 306 Rdn. 1; Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 111; Krey, BT 1, Rdn. 759 ff.; H. Schneider, Jura 1988, 460 (468 f.).
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB Obwohl nach den Umständen des Falles eine Verletzung oder konkrete Gefährdung von Menschen 216 ausgeschlossen war, bejahte der BGH die Strafbarkeit des Angeklagten nach § 306 Nr. 2 StGB. Wenn man aber an der Prämisse festhält, daß das Strafrecht dem Rechtsgüterschutz dient 217 , ist diese Entscheidung kaum nachvollziehbar. Denn immerhin wird ein Täter bestraft, dessen Verhalten weder subjektiv noch objektiv gegen das geschützte Rechtsgut — Menschenleben — gerichtet war 218 . Ein Teil der Literatur sieht dementsprechend in der Bestrafung eines solchen Täters einen Verstoß gegen das verfassungsrechtlich (in den Art. 20 III, 2 I und 1 I GG) verankerte Schuldprinzip 2 1 9 . Insoweit werden zwar im Detail voneinander abweichende Konzeptionen vertreten, diese lassen sich aber wie folgt auf eine gemeinsame Ausgangsposition zurückführen: Das strafrechtliche Schuldprinzip besage, daß ein Verhalten nur dann mit Kriminalstrafe sanktionierbar sei, wenn es als strafrechtliches Unrecht eingestuft werden könne. Kriminalstrafwürdiges Unrecht sei aber nur dann gegeben, wenn ein bestimmtes Verhalten Normgeboten zuwiderlaufe und für das betreffende (strafrechtlich geschützte) Rechtsgut ein reales Gefährdungsrisiko bewirke. Soweit in den Fällen absoluter Ungefährlichkeit kein solches Gefährdungsrisiko geschaffen werde, fehle der Tat das spezifische Erfolgsunrecht. Des weiteren wird darauf abgestellt, daß der Tat auch das spezifische Handlungsunrecht fehle, sofern sich der Täter in einer jedes Risiko ausschließenden Weise (z.B. durch SicherungsVorkehrungen) von der Ungefährlichkeit seines Handelns überzeugt habe 220 . Damit gelange man zu dem Ergebnis, daß der Täter weder objektiv noch subjektiv das tatbestandlich geschützte Rechtsgut
216 Der Zweck des § 306 Nr. 2 StGB wird heute zu Recht nicht darin gesehen, Gebäude vor Beschädigung oder Zerstörung zu bewahren. Vielmehr soll die Vorschrift die Gefährdung von Menschen durch das Verursachen von Bränden verhindern; vgl. Dreher / Tröndle, § 306 Rdn. 1; Geppert, Jura 1989, 417 (418); Rudolphi, Maurach-Festschrift, 51 (59); Sch / Sch-Cramer, § 306 Rdn. 1. 217
Vgl. Berz, Tatbestandsverwiiklichung, S. 32 ff.; Brehm, JuS 1976, 22; Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 57; Wolter, Zurechnung, S. 24. 218
Vgl. Brehm, JuS 1976, 22.
219
Vgl. etwa Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 110 ff.; Brehm, Dogmatik, S. 38 ff.; Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 50 ff.; Kaufmann, JZ 1963, 425 (432); Otto, BT, S. 363 f.; Rudolphi, Maurach-Festschrift, 51 (59 f.); Sch / Sch-Cramer, Vorbem. §§ 306 ff. Rdn. 3a; Schmidhäuser, AT, 5 / 86; Schünemann, JA 1975, 787 (797); Wolter, Zurechnung, S. 278 ff. 220
Vgl. insoweit Rudolphi, Maurach-Festschrift, 51 (59); H. Schneider, Jura 1988, 460 (462).
Β. Kritik und eigener Standpunkt angegriffen habe, so daß eine Bestrafung des Täters dem Schuldprinzip widerspreche 221.
(2) Dogmatische Lösungsmöglichkeiten Nur einige Stimmen im Schrifttum lehnen trotz dieser auf das Schuldprinzip begründeten verfassungsrechtlichen Bedenken eine einschränkende Auslegung abstrakter Gefährdungsdelikte ab 222 . Überwiegend werden in der Literatur allerdings verschiedene dogmatische Lösungsansätze vertreten, um die abstrakten Gefährdungsdelikte wieder in Einklang mit dem Schuldgrundsatz zu bringen. Im folgenden sollen diese Ansätze kurz dargestellt werden 223 , um anschließend einen Lösungsweg für die hier interessierende Strafvorschrift des § 145 d StGB zu finden.
(a) Reduktion durch widerlegbare Vermutung der konkreten Gefahr Schröder hat vorgeschlagen, unter bestimmten Umständen den „Gegenbeweis der Ungefährlichkeit" zuzulassen. Die abstrakten Gefährdungsdelikte seien insoweit in zwei Kategorien einzuteilen. Zum einen in solche, die „dem Schutz bestimmter konkretisierter Objekte dienen, bei denen im Einzelfall mit Sicherheit festgestellt werden kann, ob sie tatsächlich in Gefahr gebracht worden sind". Zum anderen in solche, bei denen „das Gefährdungsdelikt sich gegen die Allgemeinheit oder gegen im Zeitpunkt der Tat noch nicht feststehende oder feststellbare Objekte richtet". Bei der ersten Kategorie abstrakter Gefährdungsdelikte könne dann das Gericht den „Gegenbeweis der Ungefährlichkeit" führen 224 . Ob ein Delikt der ersten oder zweiten Kategorie zuzurechnen ist, sei
221 Schiinemann spricht insofern von „schweren Friktionen mit dem Schuldgrundsatz"; vgl. JA 1975, 787 (797). 222
Vgl. Bohnert, JuS 1984, 182 (186 f.); Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 111 ff., 274 ff.; H. Schneider, Jura 1988, 460 (468 f.). 223
Eine umfassende kritische Auseinandersetzung mit allen dogmatischen Lösungsmöglichkeiten kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht erfolgen. Wie noch im folgenden aufzuzeigen sein wird, bedarf es für § 145 d StGB einer solchen Auseinandersetzung auch nicht. Eine sehr umfassende Darstellung der verschiedenen dogmatischen Ansätze findet sich etwa bei Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 101 ff.; Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 60 ff.; Wolter, Zurechnung, S. 276 ff. 224
Schröder, ZStW 81 (1969), 7 (17).
0
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
eine ,frage der Interpretation der einzelnen Tatbestände". Dabei sei als Richtlinie zu berücksichtigen, daß „das Bedürfnis nach einer Zulassung des Gegenbeweises um so größer wird, je präziser sich die vom Gesetz gedachte Gefährdung im Einzelfall bestimmen läßt." Dementsprechend solle beispielsweise im Bereich der Straßenverkehrsdelikte die Verletzung bestimmter Verkehrsregeln ohne Rücksicht darauf bestraft werden, ob im Einzelfall der Nachweis der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geführt werden könne 225 . Gegen diese Konstruktion ist geltend gemacht worden, daß sie dann, wenn der Täter mit dem Nachweis der Ungefährlichkeit seines Handelns belastet wird, gegen den Grundsatz „in dubio pro reo" verstoße. Schließlich müsse dem Täter im Gegensatz zu allen sonstigen im Tatbestand vorausgesetzten Merkmalen das Vorliegen des strafbarkeitsbegründenden Merkmals der Gefahr nicht nachgewiesen werden 226 . Aber auch im umgekehrten Fall, wenn das Gericht im Einzelfall den Gefährlichkeitsnachweis führen müßte, würde diese Konstruktion kaum vorteilhaft sein, da dann die abstrakten Gefährdungsdelikte praktisch zu konkreten Gefährdungsdelikten umfunktioniert würden 227 . Damit wären aber die Intentionen des Gesetzgebers in ihr Gegenteil verkehrt 228 .
(b) Das Erfordernis der Wahrscheinlichkeit einer konkreten Gefahr Cramer vertritt die Ansicht, daß der Tatbestand der abstrakten Gefährdungsdelikte durch das — ungeschriebene — Merkmal der „generellen Eignung" der Tat zur Rechtsgutverletzung zu ergänzen sei, was auf das Erfordernis der „Wahrscheinlichkeit einer konkreten Gefahr" hinauslaufen solle 229 . Die abstrakten Gefährdungsdelikte stellten sich somit als Vorstufe der konkreten Gefährdungsdelikte dar, wie jene Vorstufe zu den Verletzungsdelikten sei-
225
Schröder, ZStW 81 (1969), 7 (17).
226
Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 103 f.; Cramer , Vollrauschtatbestand, S. 58; Kindhäuser, Gefährdung, S. 208; Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 160 f.; Roxin, AT, § 11 Rdn. 120. Einen Verstoß gegen den Grundsatz „in dubio pro reo" ablehnend Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 62 f., der sich jedoch im Ergebnis auch gegen die Auffassung Schröders ausspricht. 227
Vgl. Sch / Sch-Cramer, Vorbem. §§ 306 ff. Rdn. 3a; Schünemann, JA 1975, 787 (797).
22e
Schünemann, JA 1975, 787 (797).
229
Cramer , Vollrauschtatbestand, S. 67 ff.
230
Cramer , Vollrauschtatbestand, S. 68.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
1
Gegen diese Rechtsansicht läßt sich anführen, daß sie keine sichtbare Grenze mehr zu den konkreten Gefährdungsdelikten erkennen läßt. Somit läuft das Erfordernis der „Wahrscheinlichkeit einer konkreten Gefahr" auf eine konkrete Gefahr von minderer und schwer bestimmbarer Intensität hinaus 231 .
(c) Straflosigkeit bei Risikoausschluß Volz sieht den Unrechts- und Schuldgehalt abstrakter Gefährdungsdelikte darin, daß der Täter mit Vornahme der tatbestandlichen Handlung das Risiko einer Verletzung des geschützten Rechtsguts eingeht 232 . In dem Eingehen des Risikos sei eine Pflichtverletzung gegenüber den geschützten Rechtsgütern zu sehen, ohne daß es darauf ankomme, welche Folgen im konkreten Einzelfall eingetreten seien. Allerdings soll eine Strafbarkeit des Täters in den Fällen ausgeschlossen sein, in denen er zwar die tatbestandliche Handlung vornehme, er aber zugleich der Gefahr entgegenwirke und damit nach seiner Überzeugung jedes Risiko für das geschützte Rechtsgut ausschließe. Dann gehe der Täter kein Risiko mehr ein und dem generell gefährlichen Verhalten sei der Unrechtsgehalt genommen233. Die Bedenken gegen diese Auffassungen werden deutlich, wenn man die für dieses Ergebnis gefundenen Begründungen heranzieht. Volz stellt nämlich auf eine Rechtsanalogie zu den Vorschriften ab, die dem Täter bei bestimmten abstrakten Gefährdungsdelikten für gefahrenabwendende Tätigkeit Straffreiheit garantieren, wie §§ 90 a V I a.F. (= § 84 V n.F.), 158, 310 und auch 186 StGB. Den Grundgedanken dieser Vorschriften sieht Volz darin, daß bei nachträglicher Verhinderung des eingegangenen Risikos Straffreiheit eintreten müsse. Hiervon ausgehend argumentiert Volz, daß dann erst recht Straffreiheit angenommen werden müsse, wenn der Täter von vornherein jedes Risiko einer Rechtsgutverletzung ausschließe234.
231 Kaufmann, JZ 1963, 425 (433); Kindhäuser, § 306 Rdn. 17; Roxin, AT, § 11 Rdn. 120.
Gefährdung, S. 246 ff. (249); SK-Horn, Vor
232 Volz, Unrecht, S. 143 ff.; im wesentlichen zustimmend Rudolphi, Maurach-Festschrift, 51 (60), der aber nicht auf die — in der Sache unzulässige - Analogie zu den §§ 158, 186, 310 StGB zurückgreift (vgl. hierzu die folgenden Ausführungen). 233
Volz, Unrecht, S. 162.
234
Volz, Unrecht, S. 164 ff.
6 Saal
82
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
Gegen diese Argumentation ist zum einen anzuführen, daß die genannten Vorschriften die Strafbarkeit nur teilweise obligatorisch ausschließen (§§ 186, 310 StGB), während einige Vorschriften Straffreiheit allein fakultativ vorsehen (§§ 84 V, 158 StGB) 235 . Zum anderen muß berücksichtigt werden, daß es auch solche abstrakte Gefährdungsdelikte gibt, die selbst diese fakultative Strafbefreiung nicht vorsehen 236. Hieraus kann gefolgert werden, daß der Gesetzgeber auch nur bei bestimmten Straftatbeständen die Möglichkeit des Absehens von Strafe eröffnen wollte. Damit ist zugleich erwiesen, daß von einer planwidrigen Gesetzeslücke — als unabdingbarer Voraussetzung einer Analogie — nicht ausgegangen werden kann. Die von Volz herangezogenen Vorschriften haben vielmehr einen Ausnahmecharakter, so daß eine Verallgemeinerung schlicht unzulässig ist 237 .
(d) Das Erfordernis der objektiven bzw. subjektiven Sorgfaltswidrigkeit Einige Autoren versuchen die abstrakten Gefährdungsdelikte mit Hilfe des Kriteriums der objektiven bzw. subjektiven Sorgfaltswidrigkeit begrenzen und damit in Einklang mit dem Schuldgrundsatz bringen zu können. Im einzelnen: Nach Brehm ist die Vornahme der in dem abstrakten Gefährdungsdelikt beschriebenen Handlung zwar immer tatbestandsmäßig, rechtswidrig aber nur, wenn sie auch pflichtwidrig gewesen sei 238 . Pflichtwidrig sei das Verhalten allerdings nur unter der Voraussetzung, daß es „ex ante" geeignet war, das geschützte Rechtsgut zu verletzen 239. Dies sei zwar mit der Vornahme der im Tatbestand umschriebenen Handlung grundsätzlich der Fall, der Täter könne allerdings auch über „Sonderkenntnisse" verfügen, die er sich beispielsweise durch vorangegangene Erkundigungen verschafft habe. Wenn der Täter sich aber auf diese Weise vergewissert habe, daß im. konkreten Fall keine Verletzung geschützter Rechtsgüter möglich ist, handele er im Hinblick auf den im
235 Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 107 Fn. 40; Franzheim, NJW 1979, 2014 (2016); Meyer, Gefahrlichkeitsdelikte, S. 170 Fn. 73. 236
Franzheim,, NJW 1979, 2014 (2016).
237
Im Rahmen dieser Untersuchung wird noch näher auf die Frage einzugehen sein, ob die Vorschriften über die tätige Reue bei abstrakten Gefährdungsdelikten auf § 145 d StGB entsprechend anwendbar sind (vgl. unten 3. Teil. D.). 238
Brehm, Dogmatik, S. 123 ff.
239
Brehm, Dogmatik, S. 126.
83
Β. Kritik und eigener Standpunkt
abstrakten Gefährdungsdelikt enthaltenen Normbefehl nicht (objektiv) sorgfaltswidrig. Eine Bestrafung des Täters sei dann ausgeschlossen240. Gegen die Auffassung Brehms ist einzuwenden, daß sie in den Fällen zu unhaltbaren Ergebnissen gelangt, in denen das Verhalten des Täters zwar objektiv gefährlich, dies aber für den Täter trotz vorheriger Erkundigungen unerkennbar geblieben war. Denn dann kann mangels Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung nicht mehr von einer rechtswidrigen Tat gesprochen werden 241 . Dies wiederum hätte zur Folge, daß dem Inhaber des objektiv durch die Handlung gefährdeten Rechtsguts kein Notwehrrecht gegen den Angriff zustünde, weil dieser — aus den dargelegten Gründen — eben nicht rechtswidrig i. S. des § 32 I I StGB wäre 242 . Des weiteren ist gegen die Ansicht Brehms anzuführen, daß sie denjenigen Täter straflos stellt, der irrig die Herbeiführung einer gefährlichen Situation annimmt, objektiv aber nicht pflichtwidrig gehandelt hat. Immerhin entspricht diese Konstellation denen des untauglichen Versuchs oder des Fehlens eines subjektiven Rechtfertigungselements. In diesen Fällen ist aber grundsätzlich von der Strafbarkeit des Täters auszugehen243. Um diesen Bedenken aus dem Weg zu gehen, will Horn, der ebenfalls die objektive Sorgfaltspflichtverletzung in bezug auf den Eintritt einer Verletzung für maßgeblich hält, die Sorgfaltswidrigkeit auch dann bejahen, wenn der Täter nur irrig annimmt, ein Verletzungsrisiko geschaffen zu haben244. Damit setzt Horn sich allerdings in Widerspruch zu dem Erfordernis einer objektiven Sorgfaltswidrigkeit 245 . Um diese Widersprüche in den dargelegten Irrtumsfällen zu vermeiden, hat Schünemann den Ansatz dahingehend modifiziert, daß es nicht auf die objektive, sondern auf die subjektive S orgfalts Widrigkeit ankommen solle. Eine Strafbarkeit des Täters würde hiernach schon dann zu bejahen sein, wenn er allein die aus seiner Sicht und seinem Vermögen notwendigen Vorkehrungen zur Ver-
240
Vgl. Brehm,, Dogmatik, S. 130 f.; ders., JuS 1976, 22 (24 f.).
241
S. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 108 f.; kritisch auch Wolter,
Zurechnung, S. 287.
242
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 109. Zur Problematik der Rechtswidrigkeit des Angriffs i. S. des § 32 I I StGB vgl. etwa Roxin, AT, § 15 Rdn. 14 ff. 243 Vgl. zu dieser Argumentation Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 109 m.w.Nachw. (insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob bei fehlendem subjektiven Rechtfertigungselement Vollendungs- oder Versuchsstrafe anzunehmen ist).
6*
244
Horn, Konkrete Gefahrdungsdelikte, S. 94 f.; 218 f.
245
Zu dieser Kritik ausführlicher Wolter,
Zurechnung, S. 288.
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB meidung jeglicher Schadensmöglichkeit außer acht läßt, gleichgültig ob die im übrigen getroffenen Vorsichtsmaßnahmen objektiv ausreichend sind 246 . Gegen die Auffassung Schünemanns kann ganz grundsätzlich geltend gemacht werden, daß sie den Intentionen des Gesetzgebers bei der Schaffung abstrakter Gefährdungsdelikte widerspricht 247 . Wie bereits ausgeführt, ist es die Absicht des Gesetzgebers, eindeutige Verhaltensvorschriften in Form von Ge- oder Verboten zu schaffen, deren Geltung von dem Beurteilungsvermögen des potentiellen Täters unabhängig sein soll, da es diesem regelmäßig an der notwendigen Sachkompetenz fehlt, die Folgen seines Handelns sicher genug abzuschätzen 248 . Letztlich soll damit die Geltung der Norm ja gerade von der Fähigkeit des Täters zum (subjektiv) sorgfaltsgemäßen Verhalten unabhängig gemacht werden 249 .
(e) Tatbestandsausschluß als Folge fehlender Verletzung des Vertrauens der Rechtsgenossen Berz lehnt die bisher dargelegten Ansätze mit der Begründung ab, daß diese allein vom Ausbleiben einer Verletzung oder Gefährdung auf die Nichtanwendbarkeit abstrakter Gefährdungsdelikte schließen wollen 250 . Dabei würde übersehen, daß das Unrecht der Tat nicht zwingend aus einem Erfolgsunwert gefolgert werden müsse, sondern — wie die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs zeige — auch der Handlungswert allein die Strafwürdigkeit begründen könne 251 . Die abstrakten Gefährdungsdelikte seien aber gerade als eine Art allgemeine Sorgfaltsregeln einzustufen, deren Verletzung grundsätzlich das Handlungsunrecht begründe 252. Die Vornahme der durch das abstrakte Gefährdungsdelikt inkriminierten Handlung hätte bereits zur Folge, daß „die für das Zusammenleben von Menschen erforderliche Vertrauensbasis" wegen der generellen Schadensneigung dieses Verhaltens erschüttert werde. Dies wiederum würde die für eine Bestrafung geforderte Rechtsgutbeeinträchtigung nach sich
246
Schünemann, JA 1975, 792 (798).
247
Hierzu Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 112 ff.; ders., JuS 1994, 372 (376).
248
Vgl. nur noch Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 113 ff.
249
Vgl. Kratzsch, JuS 1994, 372 (376).
250
S. Berz, Tatbestandsverwiiklichung, S. 112.
251
So Berz, Tatbestandsverwiiklichung, S. 112.
252
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 113 f.
Β. Kritik und eigener Standpunkt ziehen, die Berz in der „Mißachtung der Geltung des geschützten Rechtsguts" bzw. in der „Verletzung des von ihm ausgehenden Geltungs- oder Achtungsanspruchs" sieht 253 . Letztlich versteht Berz damit in der „Verletzung des Vertrauens der übrigen Rechtsgenossen"254 den entscheidenden Grund für die Strafbarkeit aus einem abstrakten Gefährdungsdelikt. Hiervon ausgehend soll ein Ausschluß der Strafbarkeit nur dann möglich sein, wenn der Täter aufgrund bestimmter, nach außen in Erscheinung getretener und somit nachprüfbarer Umstände sicher wisse, daß sein Verhalten nicht zu einer Schädigung führen werde und es zu einer solchen auch tatsächlich nicht komme. In diesem Fall vermeide der Täter durch die Vornahme „vertrauensbildender Maßnahmen" 255 — trotz formellen Verstoßes gegen die Ver- oder Gebotsnorm — die Befürchtung, er werde sich nicht an die dem Rechtsgüterschutz dienenden Regeln halten. Damit vermeide er zugleich die „Verletzung des Vertrauens der übrigen Rechtsgenossen" 256 . Die Vornahme der inkriminierten Handlung sei damit nicht mehr rechtsgutbeeinträchtigend und eine Strafbarkeit des Täters folglich auszuschließen. Sobald der Täter aber handele, ohne sich zuvor vergewissert zu haben, daß es zu keiner Verletzung eines Rechtsguts kommen könne, sei die Tat dagegen strafbar. Dies soll ebenfalls für den Fall gelten, daß der Täter von der Ungefählichkeit seines Handelns ausgeht, es aber dennoch zu einer Verletzung oder konkreten Gefährdung kommt 257 . Diese Auffassung vermeidet sicherlich alle die Ungereimtheiten, die mit der Anknüpfung an eine objektive Sorgfaltswidrigkeit — gerade im Hinblick auf die Irrtumskonstellationen — verbunden sind. Dennoch sind auch gegen den Lösungsansatz von Berz Bedenken erhoben worden 258 . Zum einen wird geltend gemacht, daß Berz das Kriterium der objektiven Gefährlichkeit der Handlung
253
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 114.
254
So ausdrücklich Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 114.
255
So Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 114.
256
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 114.
257 Demnach ist für den Ausschluß der Strafbarkeit nach Berz zweierlei erforderlich: Der Täter muß subjektiv von der Ungefährlichkeit seines Handelns ausgehen und objektiv muß ein Erfolg in Gestalt einer konkreten Gefährdung oder Verletzung ausbleiben. Damit stimmt Berz fast völlig mit der Rechtsprechung des BGH (St. 26, 121 ff.) überein. Danach ist nämlich Voraussetzung für eine Verneinung der abstrakten Gefährdung (i. S. des § 306 Nr. 2 StGB), „daß eine Gefährdung von Menschenleben nach der tatsächlichen Lage absolut ausgeschlossen" war und daß sich der Täter darüber „durch absolut zuverlässige lückenlose Maßnahmen vergewissert" hat; vgl. BGHSt. 26,121 (124 f.). Für eine der Lösung des BGH entsprechende Regelung plädiert de lege ferenda Weber, Beiheft zur ZStW 99 (1987), 1 (34). 258
S. insbesondere Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 71 f.
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB nicht hinreichend berücksichtige, indem er auf die „Verletzung des Vertrauens der Rechtsgenossen" abstelle. Die abstrakten Gefährdungsdelikte dienten nämlich weniger dem Zweck, den Eindruck zu verhindern, der Täter werde sich nicht an die dem Rechtsgüterschutz dienenden Regeln halten, als der Verhinderung tatsächlicher Verletzungen 259. Zum anderen sei der Lösungsansatz von Berz mit nicht unerheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden. So sei die Überprüfung der Frage, inwieweit der Täter tatsächlich „vertrauensbildende Maßnahmen" geschaffen habe, ähnlich schwierig wie der Beweis der Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit der vorgenommenen Handlung 260 . Demnach wäre mit dem von Berz vorgeschlagenem Konzept in praktischer Hinsicht kaum etwas gewonnen. Darüber hinaus sei fraglich, ob das „Vertrauen der Rechtsgenossen" tatsächlich erhalten bleibe, wenn dem Täter nur nicht widerlegt werden könne, daß er solche „vertrauensbildenden Maßnahmen" getroffen habe 261 .
(f) Sicherheit als Rechtsgut Kindhäuser versteht die abstrakten Gefährdungsdelikte als „Verbote, die zur sorglosen Verfügung über Güter notwendigen Sicherheitsbedingungen zu beeinträchtigen" 262 . Nach seiner Ansicht sollen die abstrakten Gefährdungsdelikte — im Gegensatz zu den zuvor genannten Autoren — keine Rechtsgüter schützen, sondern „Sicherheit" gewähren. Sicherheit soll dabei als „die berechtigte Sorglosigkeit bei der Verfügung über Güter" verstanden werden 263 . So bezwecke beispielsweise § 306 Nr. 2 StGB nicht den Schutz von Menschenleben,
259
So Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 71. Freilich vermag dieses Argument die Schlüssigkeit des Lösungswegs von Berz nicht in Frage zu stellen, da die Beeinträchtigung des Vertrauens der Rechtsgenossen nach Berz ja gerade eine Verletzung des (Geltungs- oder Achtungsanspruchs) des Rechtsguts darstellt. Wenig überzeugend ist auch die Kritik, daß Berz die abstrakten Gefährdungsdelikte als allgemeine Sorgfaltsregeln ansehen, aber offensichtlich die subjektive und nicht die objektive Sorgfaltswidrigkeit als entscheidend erachten würde. Insoweit wird übersehen, daß für den Ausschluß der Strafbarkeit nach Berz sowohl die objektive als auch die subjektive Sorgfalt ausschlaggebend sind. 260
So Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 71.
261
Vgl. zu dieser Kritik Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 71. S. dazu, daß nach dem Konzept von Berz für eine Verurteilung aus einem abstrakten Gefährdungsdelikt immerhin die Feststellung erforderlich ist, daß der Täter kein sicheres Wissen von der Ungefährlichkeit seiner Handlung hatte, Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 116. 262
Kindhäuser,
263
Vgl. Kindhäuser,
Gefährdung, S. 280. Gefährdung, S. 282.
Β. Kritik und eigener Standpunkt sondern die Möglichkeit des Wohnens in den fraglichen Räumen ohne Furcht vor einer Gefährdung durch einen Brand 264 . Kindhäuser macht demzufolge die Sicherheit zum alleinigen Schutzgut der abstrakten Gefährdungsdelikte 265. Dies hat nach seiner Ansicht zur Folge, daß in den Fällen erwiesener Ungefährlichkeit der tatbestandlichen Handlung die Strafbarkeit des Täters nur dann entfalle, wenn die Bedingung, derentwegen im konkreten Einzelfall die Verletzung oder konkrete Gefährdung ausgeblieben ist, aus der Perspektive des Opfers nicht aus Zufall eingetreten ist. Dann nämlich könne von einer abstrakten Gefährdung nicht mehr gesprochen werden 266 . Als Argument gegen diesen Lösungsansatz ist angeführt worden, daß Kindhäuser durch die Konstruktion eines neuen Rechtsguts („Sicherheit") nur zusätzliche Probleme aufwerfe. Immerhin sei völlig offen, welche Interessen für die Bestimmung dieses neu geschaffenen Rechtsguts berücksichtigt werden müßten. Mit dieser Unklarheit sei nicht nur eine erhebliche Rechtsunsicherheit, sondern darüber hinaus auch noch die Gefahr einer Ausdehnung der Strafbarkeit verbunden 267 . Zudem sei zu bedenken, daß sich psychische Sachverhalte, zu denen ja das Sicherheitsempfinden des einzelnen gehört, jeglicher Kontrolle entziehen268. Hieraus folge nicht nur eine zusätzliche Rechtsunsicherheit, sondern es gingen auch noch erhebliche praktische Beweisschwierigkeiten damit einher. Ein weiteres schwerwiegendes Argument gegen die Ansicht Kindhäusers ergibt sich daraus, daß letztlich das Sicherheitsempfinden des einzelnen für die Frage nach der Strafbarkeit des Täters ausschlaggebend sein soll. Die subjektive Sorglosigkeit des einzelnen kann aber nicht den mit der Strafe einhergehenden schweren Einschnitt in Grundrechte, d.h. namentlich iû die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG, rechtfertigen 269. Dies wäre nicht mehr mit dem verfassungsrechtlich verankerten Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren.
264
S . Kindhäuser,
Gefährdung, S. 296.
265
S. Kindhäuser, Gefährdung, S. 280, wo die „Sicherheit als Normzweck" der abstrakten Gefährdungsdelikte bezeichnet wird. 266
Vgl. Kindhäuser,
Gefährdung, S. 293.
267
Vgl. Kratzsch, JuS 1994, 372 (376); Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 74 f.; Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 151. 268
S. Kratzsch, JuS 1994, 372 (376).
269
Vgl. hierzu Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 151.
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB (g) Gefährlichkeitsunrecht als primäres Erfolgsunrecht Nach Wolter schließlich gehört zum strafrechtlichen Unrecht auch die Schaffung eines adäquaten und rechtlich mißbilligten (Verletzungs)Risikos und damit die Herbeiführung eines über das Handlungsunrecht hinausgehenden objektiven Gefährlichkeitsunrechts 270. Dieses Gefährlichkeitsunrecht wird von ihm als primäres Erfolgsunrecht bezeichnet271. Im Fall der abstrakten Gefährdungsdelikte mit „Individualcharakter" 272 sieht er dieses primäre Erfolgsunrecht neben der vorsätzlichen Vornahme der tatbestandlichen Handlung in der Schaffung eines zumindest fahrlässigen adäquaten Verletzungsrisikos für das geschützte Rechtsgut273. Indem Wolter dem durch die konkrete Tat bewirkten (Verletzungs)Risiko die strafbarkeitsbegründende Funktion zuspricht, rechnet er dieses Risiko der Erfolgsseite einer Straftat zu. Damit weicht er jedoch von der herkömmlichen Auffassung ab, die den Erfolg einer Straftat als reale Werteinbuße am Rechtsgut oder als konkrete Gefahr eines derartigen Erfolgs ansieht274.
(3) Der eigene Standpunkt Zur Unterscheidung der abstrakten Gefährdungsdelikte nach dem geschützten Rechtsgut Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daß alle Ansätze, die zur Vereinbarkeit abstrakter Gefährdungsdelikte mit dem Schuldprinzip vertreten werden, gewisse Schwachpunkte aufweisen. Ein Grund hierfür ist sicherlich darin zu sehen, daß die meisten dieser dogmatischen Ansätze eine einheitliche Lösung für alle abstrakten Gefährdungsdelikte zu finden suchen. Denkbar ist es aber
270
Vgl. Wolter,
Zurechnung, S. 109 ff.
271
Nach Wolter, Zurechnung, S. 109 ff. tritt im Fall der Verletzungs- und konkreten Gefährdungsdelikte neben das primäre Erfolgsunrecht (= Gefährlichkeitsunrecht) die Risikorealisierung als sekundäres Erfolgsunrecht hinzu. 272 Hervorzuheben ist bereits an dieser Stelle, daß Wolter zu den Autoren gehört, die eine Einteilung der abstrakten Gefährdungsdelikte in bestimmte Fallgruppen mit unterschiedlich gelagerten Problemen befürworten; vgl. Wolter, Zurechnung, S. 319 ff. Die gegen Individualrechtsgüter gerichteten Delikte bezeichnet er als „unechte abstrakte Gefährdungsdelikte". 273 274
Vgl. Wolter,
Zurechnung, S. 296.
Vgl. hierzu Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 76. Kritisch zum Konzept Wolters Kindhäuser, Gefährdung, S. 264 ff.
auch
Β. Kritik und eigener Standpunkt auch, verschiedene Fallgruppen abstrakter Gefährdungsdelikte mit jeweils differenziert gelagerten Lösungswegen zu unterscheiden. Immerhin finden sich auch im Rahmen der bisher dargestellten dogmatischen Ansätze einige Stimmen, die sich für eine derartige Unterscheidung aussprechen 275. Ansatzpunkt für eine solche Differenzierung könnte das Rechtsgut sein, welches durch das jeweilige abstrakte Gefährdungsdelikt geschützt werden soll. Denn soweit sich innerhalb der abstrakten Gefährdungsdelikte verschiedene Kategorien geschützter Rechtsgüter unterscheiden lassen, liegt es nahe, daß sich dann auch Unterschiede hinsichtlich der Frage ergeben, ob bei erwiesener Ungefährlichkeit der tatbestandlichen Handlung die Strafbarkeit des Täters zu bejahen bzw. auszuschließen ist. Im folgenden sind diese Fragen zunächst zu untersuchen. Erst im Anschluß an die Erörterung dieser Fragen kann eine Aussage darüber erfolgen, welche Schlußfolgerungen sich für § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt ergeben.
(a) Kategorien der geschützten Rechtsgüter Rechtsgüter sind Lebensgüter, Sozialwerte und rechtlich anerkannte Interessen des einzelnen oder der Allgemeinheit, denen das Strafrecht wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Gesellschaft Rechtsschutz gewährt 276 . Die Rechtsgüter sind also zunächst in zwei Kategorien zu unterteilen: Individualrechtsgüter und Rechtsgüter der Allgemeinheit (Universalrechtsgüter bzw. überindividuelle Rechtsgüter 277).
275 Vgl. Schünemann, JA 1975, 787 (798); SK-Horn, Vor § 306 Rdn. 17; Wolter, Zurechnung, S. 319 ff. Vgl. auch Jakobs, ZStW 97 (1985), 751 (768 ff.) sowie Volz, Unrecht, S. 191 ff. Ansätze für eine Sonderbehandlung bestimmter Delikte finden sich auch schon bei Schröder, ZStW 81 (1961), 7 (16). 276 Vgl. etwa Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 35; Sch / Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 9. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Rechtsgüterlehre kann und muß im Rahmen dieser Untersuchung nicht erfolgen; vgl. insoweit Maurach / Zipf, AT 1, § 19 Rdn. 4 ff.; Roxin, AT, § 2 Rdn. 9 ff. 277
Beide Ausdrücke sind nur ein Synonym für die Umschreibung der Rechtsgüter der Allgemeinheit; vgl. einerseits Jescheck, AT, § 26 I 3 c) und andererseits Sch / Sch-Cramer, Vorbem. §§ 306 ff. Rdn. 3a.
0
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB (aa) Individualrechtsgüter
Innerhalb der Individualrechtsgüter lassen sich wiederum zwei Untergruppen unterscheiden. Zum einen handelt es sich um solche Rechtsgüter, die an einen bestimmten körperlichen Zustand gebunden sind, wie z.B. das Leben, die körperliche Unversehrtheit eines Menschen. Diese Rechtsgüter sind untrennbar mit einer Person verbunden und ihre Beeinträchtigung läßt sich naturwissenschaftlich eindeutig nachweisen278. Innerhalb der abstrakten Gefährdungsdelikte seien folgende Tatbestände als Beispiele für den Schutz solcher Rechtsgüter hervorgehoben: § 306 StGB schützt — wie bereits erörtert — das Leben und die körperliche Integrität von Menschen vor den von Bränden ausgehenden Gefahren 279 . Das gleiche gilt für § 308 I 2.Alt. StGB als abstraktes (Lebens-)Gefährdungsdelikt, soweit eine Brandübertragung auf die in § 306 StGB genannten Objekte in Rede steht (1. Unterfall) 280 . Schließlich sei der Schutz der körperlichen Integrität (bzw. des menschlichen Lebens) durch die Vorschrift des § 223 a StGB hervorgehoben, die von einigen Autoren ebenfalls als abstraktes Gefährdungsdelikt eingestuft wird, wobei allerdings hinsichtlich der einzelnen Begehungsformen vieles umstritten ist 281 . Zu den Individualrechtsgütern werden aber auch solche Schutzgüter gerechnet, die zwar nicht in einem Menschen oder einer Sache verkörpert, wohl aber aufgrund sozialer Anschauungen oder Zuordnungen faßbar sind, wie z.B. das Eigentum, das Vermögen oder die Ehre einer Person 282. Verdeutlichen läßt sich der Schutz dieser Rechtsgüter im Rahmen abstrakter Gefährdungsdelikte an folgenden Beispielen: Im Rahmen des § 186 StGB ist wegen der bloßen Möglichkeit, daß das Opfer im Ergebnis zu Unrecht in seinem ihm tatsächlich zustehenden Achtungsanspruch verletzt wird, schon das Behaupten usw. ehrenrühriger Tatsachen schlechthin und ohne Rücksicht darauf verboten, ob sie tatsäch-
27 8
Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 30, ordnet diese Rechtsgüter als „konkret-individuelle" Rechtsgüter ein. 279
Vgl. Dreher/Tröndle, § 306 Rdn. 1; Geppert, Jura 1989, 417 (418); Rudolphi, MaurachFestschrift, 51 (59); Sch / Sch-Cramer, § 306 Rdn. 1. 280 S. nur Geppert, Jura 1989, 473 (478); Sch / Sch-Cramer, § 306 Rdn. 1; SK-Horn, § 306 Rdn. 2. 281 282
Hierzu Hoyer, Eignungsdelikte, S. 199 f. m.w.Nachw.
Vgl. Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 30, der diese Individualrechtsgüter als „abstraktindividuelle" Rechtsgüter bezeichnet.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
1
lieh unwahr ist 283 . Auch § 187 StGB dient als abstraktes Gefährdungsdelikt (u.a. 284 ) dem Schutz der Ehre 285 . Daß durch eine Vielzahl abstrakter Gefährdungsdelikte auch das Vermögen (des einzelnen286) geschützt wird, zeigt sich in § 142 StGB 287 , § 257 StGB 288 oder § 265 b StGB 289 . Erheblich schwieriger gestaltet sich die Suche nach einem abstrakten Gefährdungsdelikt, welches dem Eigentumsschutz dient 290 . Jedenfalls der 2. Unterfall des § 308 I 2. Alt. StGB stellt sich als (abstrakter) Sachgefährdungstatbestand und damit als Ei-
283 Vgl. zur Einordnung des § 186 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt Baumann / Weber, AT, S. 135; LK-Herdegen, 10. Aufl., § 186 Rdn. 2, 10; Sch /Sch-Lenckner, § 186 Rdn. 1; anders Kindhäuser, Gefährdung, S. 298 ff. Die „Unwahrheit" der behaupteten Tatsache bzw. deren „Nichterweislichkeit" ist kein Tatbestandsmerkmal des § 186 StGB; vgl. nur Sch / Sch-Lenckner, § 186 Rdn. 10. Letztere ist vielmehr nach h.M. nur eine objektive Strafbarkeitsbedingung (vgl. Sch/ SchLenckner, § 186 Rdn. 10). 284
Neben der Verleumdung (i. e. S.) als Ehrdelikt enthält § 187 StGB in der Alternative der sog. Kreditgefährdung auch ein Vermögensdelikt (vgl. etwa Dreher / Tröndle, § 187 Rdn. 2; LK-Herdegen, 10. Aufl., § 187 Rdn. 3; SK-Rudolphi, § 187 Rdn. 9). 285 Vgl. dazu Baumann / Weber, AT, S. 135; Graul, Gefährdungsdelikte, S. 33 Fn. 71; Sch/SchLenckner, § 187 Rdn. 3 i. V. m. § 186 Rdn. 5. Im Unterschied zu § 186 StGB knüpft die Verleumdung aber nicht an den vermuteten, sondern den tatsächlichen Geltungswert an, weshalb die ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen usw. hier erweislich unwahr sein müssen. 286
Das öffentliche Vermögen wird z.B. durch § 264 StGB geschützt; vgl. nur Sch / Sch-Lenckner, § 264 Rdn. 4 und Wessels, BT 2, § 16 I 1. 287
S. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 9 f.; Sch /Sch-Cramer, mögensgefährdungsdelikt").
§ 142 Rdn. 1 („abstraktes Ver-
288 Nach h.M. ist das Vermögen allerdings nicht das einzige Schutzgut des § 257 StGB (so aber Welzel, S. 393). Die Tatsache, daß der Gesetzgeber bewußt auf eine rechtswidrige Tat als Vortat und nicht — wie in § 259 StGB — auf eine gegen fremdes Vermögen gerichtete Tat abgehoben hat, zeige, daß der Schutz nicht auf Vermögens vorteile beschränkt sei (vgl. Sch / Sch-Stree, § 257 Rdn. 2; s. auch BT-Drucks. 7 / 550, S. 248). 289
S. etwa Lackner /Kühl, § 265 b Rdn. 1; Sch / Sch-Lenckner, § 265 b Rdn. 3; Wessels, BT 2, § 16 III. Darüber hinaus soll die Vorschrift nach h.M. als Rechtsgut der Allgemeinheit auch das Funktionieren des für die Volkswirtschaft besonders wichtigen Kreditwesens schützen (vgl. Lackner / Kühl, § 265 b Rdn. 1 ; LK-Tiedemann, 10. Aufl., § 265 b Rdn. 9; Sch / Sch-Lenckner, § 265 b Rdn. 3; Wessels, BT 2, § 16 III; anders - nur Vermögensschutz - Dreher / Tröndle, § 265 b Rdn. 6; SK-Samson, § 265 b Rdn. 2; hierzu „neigt" auch BGHSt. 31, 131, im Ergebnis aber offen lassend). 290 Vgl. zur begrifflichen Abgrenzung von „Vermögensdelikten" und „Eigentumsdelikten" nur Wessels, BT 2, Einleitung.
92
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
gentumsdelikt dar 291 . Das gleiche gilt für den Straftatbestand des § 297 StGB (Schiffsgefährdung durch Bannware), der den Schiffseigner vor Gefährdung seines Eigentums durch die Schaffung von Beschlagnahme-292 bzw. Einziehungsvoraussetzungen 293 schützen will 2 9 4 . Wichtig ist die Feststellung, daß sich auch bei diesen Rechtsgütern eindeutig nachweisen läßt, inwieweit im einzelnen eine Beeinträchtigung stattgefunden hat. So kann berechnet werden, wie hoch das Vermögen des Betroffenen vor bzw. nach einer Straftat ist. Aber auch die Frage, ob das Eigentum beeinträchtigt wurde oder nicht, läßt sich deswegen eindeutig beantworten, weil z.B. — um wieder auf § 308 I 2. Alt. (2. Unterfall) StGB abzustellen — Beweis darüber geführt werden kann, ob eine Sache beschädigt bzw. zerstört wurde. Dies gilt ebenfalls für § 297 StGB, da die Möglichkeit besteht, anhand der von einer Beschlagnahme (vgl. § 111 c V StPO) bzw. von einer Einziehung (vgl. § 74 e I StGB) ausgehenden Wirkungen den Verlust von Eigentumsrechten zu errechnen. Schwieriger gestaltet sich allerdings die Ermittlung, ob die Ehre eines bestimmten Menschen meßbar beeinträchtigt werden kann. Versteht man nämlich die Ehre im Sinne eines normativen Ehrbegriffs als den wirklichen Geltungswert einer Person bzw. den aus diesen Geltungswert folgenden Geltungsoder Achtungsanspruch einer Person als Angriffsobjekt der §§185 ff. StGB und die „Ehrverletzung" darauf aufbauend in der Zuwiderhandlung gegen diesen Achtungsanspruch 295, so kann von einer meßbaren Substanz- oder Zustandsveränderung nicht gesprochen werden. Daß die Ehre einer bestimmten Person gleichwohl durch eine Tat i. S. der §§ 186, 187 StGB meßbar beeinträchtigt werden kann, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das Angriffsobjekt dieser 296 Vorschriften auch als das — normativ begrenzte (= verdien-
291 Vgl. Geppert, Jura 1989, 473 (478). Geppert weist allerdings darauf hin, daß ein solcher Straftatbestand nicht in das System der strafrechtlichen Eigentumsdelikte passe. Angesichts seiner „doppelten Strafbarkeitsvorverlagerung (Gefahr statt Beschädigung zum einen und abstrakte Gefahr statt konkreter Schadenswahrscheinlichkeit zum anderen)" sei die Vorschrift kriminalpolitisch höchst fragwürdig und de lege ferenda ersatzlos zu streichen. Dafür spricht, daß § 308 I 2. Alt. (2. Unterfall) nach Maßgabe des § 309 StGB sogar noch fahrlässig verwirklicht werden könnte. 292
S. § 111 c V StPO zur Wirkung der Beschlagnahme.
293
S. § 74 e I StGB zur Wirkung der Einziehung.
294
Vgl. Graul, Gefährdungsdelikte, S. 29; Sch / Sch-Eser, § 297 Rdn. 1; SK-Samson, § 297 Rdn. 1. 295
So - allerdings mit einzelnen Unterschieden - die wohl überwiegende Meinung, vgl. Sch / Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 185 ff. Rdn. 1; SK-Rudolphi, Vor § 185 Rdn. 5; Wessels, BT 1, § 10 I 1; Welzel, S. 303 ff. 296
§ 185 StGB bliebe also ausgeklammert.
Β. Kritik und eigener Standpunkt te) — gute Ansehen in den Augen anderer verstanden werden kann. Das Umschlagen der Achtung Dritter in Mißachtung kann nämlich im Sinne einer Zustandsveränderung (= Ansehensminderung) positiv festgestellt werden. Auch im Rahmen der §§ 186, 187 StGB ist daher eine meßbare Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts durchaus möglich. Demnach zeichnen sich die Individualrechtsgüter insgesamt dadurch aus, daß sie entweder aufgrund ihrer Verkörperung oder aber aufgrund ihrer sozialen Zuordnung zu einer Person einen Zustand beschreiben, der jeweils vor bzw. nach dem Angriff Dritter sicher festgestellt werden kann. Es läßt sich also durch einen Vergleich des Zustands vor und nach dem Angriff errechnen, ob eine Einbuße stattgefunden hat. Damit kann bei den Individualrechtsgütern deren Verletzung stets positiv festgestellt werden 297 .
(bb) Rechtsgüter der Allgemeinheit Rechtsgüter der Allgemeinheit sind beispielsweise der Bestand des Staates und seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung 298, die Sicherheit des Geldverkehrs, die Rechtspflege, die Funktionsfähigkeit des Verwaltungsapparats, die Sicherheit des Straßenverkehrs, das Vertrauen in das Funktionieren von Wirtschaftsmechanismen oder die Umweltrechtsgüter 299. Sie benötigen deshalb strafrechtlichen Schutz, weil sie für ein geordnetes Funktionieren der Gesellschaft unerläßlich sind. Damit haben sie zwar keinen unmittelbaren, wohl aber mittelbaren Bezug auch zu den Rechtsgütern des einzelnen. Träger des Rechtsguts sind aber nicht der einzelne oder alle Menschen, sondern die Gemeinschaft als solche, die mehr ist als die bloße Summe ihrer Individuen 300 .
297 „Höchstpersönliche Rechtsgüter" (z.B. Leben, Körperintegrität, persönliche Freiheit, Ehre) werden im übrigen teilweise als eigenständige Untergruppe der Individualrechtsgüter angesehen; vgl. etwa Jescheck., AT, § 26 I 3 c). Auf die Differenzierung zwischen höchstpersönlichen Rechtsgütern und anderen kommt es für die vorliegende Untersuchung allerdings nicht an, da sämtliche Individualrechtsgüter der Feststellung zugänglich sind, ob eine Verletzung vorliegt oder nicht. 298 Auf die sog. Staatsschutzdelikte (§§ 81-109 h StGB) wird im folgenden allerdings nicht näher eingegangen. Vgl. hierzu etwa Sch/Sch-Stree, Vorbem. §§ 80 ff. 299 Für eine Sonderstellung der geschützten Rechtsgüter der Umweltstraftaten plädiert Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 33, der die Umweltrechtsgüter als „konkret-überindividuelle" Rechtsgüter bezeichnet. 300
So Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 31.
. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB Aus dem Bereich der abstrakten Gefährdungsdelikte läßt sich eine Fülle von Straftatbeständen anführen, die dem Schutz solcher (überindividuellen) Rechtsgüter dienen. So schützen §§ 153 ff. StGB die staatliche Rechtspflege 301, § 264 StGB das Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen staatlichen Wirtschaftsförderung 302, § 265 b StGB das für die Volkswirtschaft besonders wichtige Funktionieren des Kreditwesens 303, § 316 StGB die Sicherheit des Straßenverkehrs 304 und §§331 ff. StGB die Funktionsfähigkeit des Verwaltungsapparats 305. Im Gegensatz zu den Individualrechtsgütern läßt sich aber nach einer Straftat, die gegen eines dieser Rechtsgüter gerichtet war, gerade nicht sicher feststellen, ob überhaupt bzw. inwieweit eine Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts tatsächlich erfolgt ist 306 . So kann beispielsweise niemals mit Sicherheit festgestellt werden, inwieweit ein einzelner Subventionsbetrug i. S. des § 264 StGB zu einer Beeinträchtigung der Institution der Subvention als Instrument staatlicher Wirtschaftslenkung geführt hat. Genausowenig kann sicher beurteilt werden, inwiefern eine einzelne Straftat nach § 265 b StGB bereits das Funktionieren des Kreditwesens als überindividuelles Rechtsgut beeinträchtigt. Aber auch die Feststellung, in welchem Ausmaß z.B. eine Bestechung i. S. des § 334 StGB das Funktionieren der Verwaltung beeinträchtigt hat, ist schlicht unmöglich. Das gleiche gilt für die Frage, inwieweit eine einzelne Falschaussage i. S. der §§153 ff. StGB zu einer Beeinträchtigung der staatlichen Rechtspflege geführt hat. Die überindividuellen Rechtsgüter sind also im Gegensatz zu den Individualrechtsgütern insgesamt dadurch gekennzeichnet, daß bei ihnen die Feststellung einer Verletzung praktisch nie möglich ist.
301
Vgl. einstweilen Lackner / Kühl, Vor § 153 Rdn. 1.
302
S. nur Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 119; Sch / Sch-Lenckner, § 264 Rdn. 4.
303
Vgl. Berz, Tatbestandsverwiiklichung, S. 119; Sch / Sch-Lenckner, § 265 b Rdn. 3. Zur Gegenmeinung s. Dreher / Tröndle, § 265 b Rdn. 6. 304
S. etwa Lackner / Kühl, § 316 Rdn. 1.
305
Vgl. einstweilen Loos, Welzel-Festschrift, 879 (890).
306
Vgl. Loos, Welzel-Festschrift, 879 (891 f.); Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 31; Tiedemann, ZStW 87 (1975), 253 (273); Volz, Unrecht, S. 38 ff. u. S. 145 ff. Speziell zu § 264 StGB s. auch LK-Tiedemann, 10. Aufl., § 264 Rdn. 13. Nach Martin (a.a.O.) gilt dies allerdings nicht für die sog. Umweltmedien als „konkret-überindividuelle" Rechtsgüter, da sich der Zustand des Gewässers, der Luft oder des Bodens vor und nach der Tat (zumindest theoretisch) genau ermitteln lasse. Er räumt allerdings selbst ein, daß es fraglich sei, inwieweit diese Umweltmedien tatsächlich das geschützte Rechtsgut der §§ 324 ff. StGB sind.
Β. Kritik und eigener Standpunkt (b) Zur differenzierten Behandlung abstrakter Gefährdungsdelikte nach dem jeweils geschützten Rechtsgut (aa) Bestimmbarkeit der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts Für die Frage, ob der Tatbestand abstrakter Gefährdungsdelikte wegen Ungefährlichkeit der konkreten Handlung einzuschränken ist, hat der dargelegte Unterschied zwischen Individualrechtsgütern und Rechtsgütern der Allgemeinheit insofern Bedeutung, als die abstrakten Gefährdungsdelikte in Fallgruppen mit jeweils differenzierter Behandlung einzuteilen sind: Bei denjenigen abstrakten Gefährdungsdelikten, die individuelle Rechtsgüter schützen, kann wegen der Bestimmbarkeit der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts sicher festgestellt werden, ob die konkrete Handlung gefährlich gewesen ist oder nicht. Damit stellt sich jedenfalls bei diesen Delikten (den sog. „klassischen abstrakten Gefährdungsdelikten" 307) die Frage, ob bei erwiesener Ungefährlichkeit der konkreten Handlung der Tatbestand mit Rücksicht auf das Schuldprinzip einschränkend auszulegen ist. Insoweit kommt es dann darauf an, anhand der dargelegten dogmatischen Lösungsansätze ein sachgerechtes Ergebnis zu finden. Bei denjenigen abstrakten Gefährdungsdelikten allerdings, die ein Rechtsgut der Allgemeinheit schützen, kommt es auf eine Auseinandersetzung mit diesen Lösungsansätzen nicht an. Schließlich läßt sich ja gerade nicht mit Sicherheit beurteilen, ob überhaupt und inwieweit die konkret vorgenommene Handlung gefährlich bzw. ungefährlich gewesen ist. Soweit aber von einer „erwiesenen Ungefährlichkeit" der tatbestandlichen Handlung nicht gesprochen werden kann, stellt sich auch nicht die Frage, ob die Bestrafung aus einem abstrakten Gefährdungsdelikt unter diesem Gesichtspunkt mit dem Schuldgrundsatz zu vereinbaren ist. Anders als bei abstrakten Gefährdungsdelikten gegen Individualrechtsgüter ist somit bei Taten gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit eine Tatbestandseinschränkung wegen Ungefährlichkeit der konkreten Handlung grundsätzlich nicht möglich. Eine Ausnahme ist allerdings in den Fällen sog. „Minimalverstöße" anzuerkennen 308. In diesen Fällen ist eine Bestrafung trotz formeller Erfüllung der Tat ausgeschlossen, wenn es sich nur um ganz geringfügige Rechts-
307 308
Vgl. zu dem Begriff Roxin, AT, § 11 Rdn. 120 m.w.Nachw.
Auf das Problem der Ausgrenzung von Minimal verstoßen wird im Rahmen des § 145 d StGB noch näher einzugehen sein; vgl. die Ausführungen unter 4. b) bb).
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB gutverletzungen handelt 309 . Womit diese Einschränkung der Strafbarkeit im einzelnen begründet wird, braucht hier noch nicht näher dargelegt zu werden. Entscheidend ist, daß die oben dargelegten dogmatischen Lösungsansätze für die Beurteilung dieser Fälle keine Bedeutung haben.
(bb) Strafbarkeit einzelner ungefährlicher Handlungen Mit der Tatsache, daß eine meßbare Beeinträchtigung überindividueller Rechtsgüter schlicht nicht möglich ist, hängt noch ein weiterer Grund dafür zusammen, daß hinsichtlich der abstrakten Gefährdungsdelikte gegen überindividuelle Rechtsgüter die oben dargelegten — auf das Schuldprinzip begründeten — Bedenken grundsätzlich nicht relevant sind. Bei dieser Gruppe abstrakter Gefährdungsdelikte geht es nämlich oftmals gerade darum, auch solche Handlungen zu bestrafen, d i t ß r sich allein gar nicht zu einer Verletzung des geschützten Rechtsguts führen können. Insoweit handelt es sich dann um solche Tatbestände, die ein Rechtsgut der Allgemeinheit schützen, welches erst durch häufiges Auftreten von Verstößen beeinträchtigt werden kann 310 . Der Grund für die Strafbarkeit der einzelnen vorgenommenen Handlung liegt dann darin, daß diese zwar nicht allein, wohl aber im Zusammenwirken mit anderen Handlungen aufgrund des damit entstehenden Kumulationseffekts durchaus zu einer Verletzung des jeweiligen Schutzguts führen kann. So ist es denkbar, daß eine einzelne deliktischen Handlung eines Amtsträgers etc. i. S. der §§ 331 f. StGB zu überhaupt keiner Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung (als Rechtsgut der §§ 331 ff. StGB) führt. Sobald aber mehrere gleichartige Straftaten von Amtsträgern verübt werden, kann es geschehen, daß durch die Summierung dieser Straftaten eine empfindliche Störung des Funktionierens der Verwaltung erfolgt, obwohl die einzelne Handlung für sich gesehen „ungefährlich" war. Das gleiche gilt für die Falschaussage i. S. der §§153 ff. StGB. Eine einzelne Falschaussage kann für sich gesehen durchaus keinerlei Auswirkungen auf die staatliche Rechtspflege (als Rechtsgut der §§153 ff. StGB) haben. Gleichwohl ist eine solche Auswirkung möglich, sobald es zu massenhaften Verstößen kommt. Aber auch der einzelne Kreditbe-
309 Vgl. hierzu einstweilen OLG Hamm, NJW 1980,2537; Sch / Sch-Cramer, Vorbem. §§ 306 ff. Rdn. 3a. 310 Vgl. hierzu grundlegend Loosy Welzel-Festschrift, 879 (891 f.). Weiterhin Sch / Sch-Cr amer, Vorbem. §§ 306 ff. Rdn. 3a; Schittenhelm,, GA 1983, 310 (320); Wolter, Zurechnung, S. 328 f.
Β. Kritik und eigener Standpunkt trug nach § 265 b StGB wird zu keiner Beeinträchtigung des Funktionierens des Kreditwesens (als Rechtsgut des § 265 b StGB) führen, solange er nicht im Zusammenhang mit weiteren entsprechenden Straftaten auftritt.
(cc) Ergebnis Zusammenfassend ist damit festzuhalten, daß anders als bei abstrakten Gefährdungsdelikten gegen Individualrechtsgüter bei Taten gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit eine Tatbestandseinschränkung wegen Ungefährlichkeit der konkreten Handlung grundsätzlich nicht möglich ist. Eine Ausnahme kommt nur zur Ausscheidung von „Minimalverstößen" in Betracht.
4. § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt Vereinbarkeit mit dem Schuldgrundsatz Die Beantwortung der Frage, ob § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt mit dem Schuldgrundsatz in Einklang zu bringen ist, hängt demnach von dem geschützten Rechtsgut der Vorschrift ab 311 . Im folgenden soll daher zunächst das geschützte Rechtsgut des § 145 d StGB untersucht werden.
a) Das geschützte Rechtsgut des § 145 d StGB
aa) Stand der Meinungen (1) Staatliche Strafrechtspflege bzw. Präventivtätigkeit als geschützte Rechtsgüter der Nrn. 1 bzw. Nm. 2 des § 145 d StGB Wie bereits mehrfach angesprochen, wird der Grundgedanke der Vorschrift des § 145 d StGB allgemein darin gesehen, eine ungerechtferigte Inanspruchnahme des behördlichen Apparats zu verhindern, die durch Hinlenken behördli-
311 Zur Auseinandersetzung mit dem geschützten Rechtsgut des § 145 d StGB vor der Neufassung durch das 14. StÄG von 1976 vgl. umfassend Meissner, Vortäuschung, S. 46 ff.
7 Saal
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB eher Ermittlungen oder präventiver Maßnahmen in eine falsche Richtung erfolgt 312 . In Anlehnung an diesen Grundgedanken sieht die ganz überwiegende Meinung das geschützte Rechtsgut der Nrn. 1 in der (inländischen) staatlichen (Straf-)Rechtspflege und der Nrn. 2 in der Präventivtätigkeit der staatlichen Organe 313. Seit der Neufassung der Vorschrift durch das 14. StÄG (vom 22.4. 1976) 314 wird also neben der staatlichen Rechtspflege, die bis dahin als alleiniges Schutzgut galt, ein zweites Schutzgut in Form der staatlichen Präventivorgane anerkannt. Dabei soll der Schutz staatlicher Präventivorgane nicht etwa von untergeordneter Bedeutung sein, sondern dem Schutz der staatlichen Rechtspflege gleichrangig gegenüber stehen 315,316 .
(2) Schutz der Präventivtätigkeit als eigentliche Aufgabe des § 145 d StGB Im Gegensatz zu der überwiegenden Meinung sieht Schroeder in dem Schutz der Rechtspflege (durch die Nrn. 1) und dem Schutz der staatlichen Präventivorgane (durch die Nrn. 2) keine unterschiedlichen Schutzaufgaben. Er gelangt vielmehr zu dem Ergebnis, daß der Schutz der Präventivtätigkeit die eigentliche Aufgabe des § 145 d StGB sei 317 . Begründet wird dieses Ergebnis damit, daß die Verhinderung von Straftaten (die Aufgabe der Präventivorgane) nicht allein dadurch beeinträchtigt werde, daß den Präventivorganen bevorstehende Straftaten vorgetäuscht werden, sondern auch dadurch, daß der Täter begangene Straftaten vortäuscht. Schließlich würde in der Bundesrepublik die Aufklärung begangener Taten fast ausschließlich von der Polizei wahrgenommen, dieser ob-
312 Vgl. etwa BGHSt. 19, 305 (307 f.); Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 1; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 1.
§ 145 d Rdn. 1; Sch/Sch-Stree,
3,3
Vgl. AK-Schild, § 145 d Rdn. 9; Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 2, 3; Krey, BT 1, Rdn. 602; Lackner / Kühl, § 145 d Rdn. 1; LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 1; Laußiütte, MDR 1976, 441 (444); Otto, BT, § 95 I I 1; Preisendanz, § 145 d Anm. 1; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn.l; Schmidhäuser, BT, 23 / 2; Wessels, BT 1, § 16 I I 1. 314
Vgl. hierzu BT-Drucks. 7 / 3030, S. 9 sowie Laufhütte, 1976, 347 (351). 315
Vgl. etwa AK-Schild,
§ 145 d Rdn. 9; SK-Rudolphi,
MDR 1976, 441 (444); Sturm, JZ
§ 145 d Rdn. 1.
316
Teilweise wird mit Blick auf diese unterschiedlichen Schutzaufgaben darauf hingewiesen, daß die Reform 1976 den einheitlichen Charakter des § 145 d StGB als Rechtspflegedelikt zerstört und zersplittert habe; vgl. AK-Schild, § 145 d Rdn. 9. S. auch die Kritik von Geerds, JR 1981, 35 (36 Fn. 15), auf dessen Ansicht allerdings noch näher einzugehen sein wird; vgl. unten (4). 317
Vgl. Maurach /Schroeder
/Maiwald,
BT 2, § 99 Rdn. 3.
Β. Kritik und eigener Standpunkt liege aber zugleich die Aufgabe der Verhinderung von Straftaten 318. Damit richte sich die Vortäuschung begangener Straftaten stets gegen die Verhinderung von Straftaten. Dieses Rechtsgut habe aber, da es unmittelbarer die Verhütung weiterer Straftaten enthalte als die nur generalpräventiv und damit mittelbar wirkende Strafverfolgung, den Vorrang 319 .
(3) Das Arbeitspotential der Behörden als einheitliches Rechtsgut des § 145 d StGB Nach Krümpelmann ist Grundgedanke der Vorschrift des § 145 d StGB ebenfalls die Verhinderung einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme der mit einer Straftat befaßten Behörden 320 . Im Gegensatz zur überwiegenden Meinung lehnt er aber eine Einordnung der Vorschrift (genauer: der Nrn. 1 des § 145 d StGB) allein als „Rechtspflegedelikt" ab. Das Schutzgut des § 145 d StGB sei vielmehr — konkreter — hinsichtlich sämtlicher Tatbestandsalternativen in dem Arbeitspotential der Behörden als einheitliches Rechts gut zu sehen321.
(4) § 145 d StGB als Delikt gegen die öffentliche Ordnung Geerds schließlich vertritt die Ansicht, daß mit Einfügung der Nrn. 2 der einheitliche Charakter eines Strafrechtspflegedelikts zugunsten eines Delikts verloren gegangen sei, das sich nunmehr — zumindest teilweise — gegen die öffentliche Ordnung bzw. speziell gegen den Gemeinschafts-(Rechts)frieden richte 322 . Folglich sieht Geerds als geschützte Rechtsgüter des § 145 d StGB zum einen die Strafrechtspflege (Nrn. 1) und zum anderen den Gemeinschafts(Rechts)f rieden (Nrn. 2) an. Die Nrn. 2, die den Anwendungsbereich der Vorschrift auf angeblich bevorstehende Taten der in § 126 I StGB genannten Art ausdehnen, betrachtet er dabei als Nachfolge Vorschriften des alten „Land-
318 S. Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 99 Rdn. 3. Schroeder verweist insoweit auf die Vorschrift des § 163 StPO.
7*
319
So Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 99 Rdn. 3.
320
Vgl. Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1000).
321
So Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1002 f., 1009).
322
Vgl. Geerds, JR 1981, 35 (36 Fn. 15).
100
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
zwangs" 323 . In Wirklichkeit stelle § 145 d StGB daher ein „Polizeidelikt" dar, welches zu den Delikten gegen die öffentliche Ordnung gehöre.
bb) Kritische Stellungnahme Die Darstellung der im Schrifttum vertretenen Meinungen hat gezeigt, daß zwar über den Grundgedanken des § 145 d StGB — die Verhinderung einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme des behördlichen Apparats — Einigkeit besteht, das eigentliche Schutzgut (bzw. die Schutzgüter) des § 145 d StGB allerdings keineswegs einheitlich beurteilt wird (bzw. werden). Zudem herrscht, soweit von mehreren geschützten Rechtsgütern ausgegangen wird, Streit über deren Wertigkeit. Um aber die mit der Einordnung der Deliktsvortäuschung als abstraktes Gefährdungsdelikt verbundenen Fragen umfassend beantworten zu können, bedarf es einer genauen Bestimmung des durch die Vorschrift geschützten Rechtsguts (bzw. Rechtsgüter). Bevor im folgenden der eigene Standpunkt zu dieser Frage dargestellt wird, sollen zunächst einige Schwachpunkte der im Schrifttum vertretenen Rechtsansichten aufgezeigt werden. Sicherlich ist der h.M. darin zuzustimmen, daß durch die Nrn. 1 des § 145 d StGB die staatliche Strafrechtspflege und durch die Nrn. 2 der Vorschrift die staatliche Präventivtätigkeit geschützt werden sollen. Zweifelhaft ist aber, ob diese Rechtsgutbestimmung auch konkret genug ist, um dem Grundgedanken der Vorschrift hinreichend Rechnung zu tragen. Immerhin ist die staatliche (Straf-)Rechtspflege (als geschütztes Rechtsgut der Nrn. 1) nach überwiegender Auffassung auch das geschützte Rechtsgut anderer Straftatbestände, wie z.B. von § 153 StGB oder § 258 StGB 324 . Gleichwohl liegt diesen Strafvorschriften nicht der Grundgedanke zugrunde, die staatlichen Behörden vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme zu bewahren. Vielmehr sollen §§ 153 ff. StGB das öffentliche Interesse an einer wahrheitsgemäßen Tatsachenfeststellung in gerichtlichen Verfahren 325 und § 258 StGB den staatlichen Strafanspruch 326 schützen. Diese Beispiele verdeutlichen, daß eine Beschränkung des geschützten Rechtsguts allein auf die „Strafrechtspflege" zu eng ist, um den jeweils unter-
323
Geerds, JR 1981, 35 (36 Fn. 15).
324
Vgl. etwa zu § 153 StGB BGHSt. 8, 301 (309); Lackner / Kühl Vor § 153 Rdn. 1; Wessels, BT 1, § 17 I 1. Zu § 258 StGB s. Lackner / Kühl, § 258 Rdn. 1; Wessels, BT 1, § 16 III 1. 325
Vgl. Sch /Sch-Lenckner,
326
S. Sch/Sch-Stree, § 258 Rdn. 1.
Vorbem. §§ 153 ff. Rdn. 2.
101
Β. Kritik und eigener Standpunkt
schiedlichen Grundgedanken der einzelnen Strafvorschriften hinreichend gerecht zu werden. Es bedarf daher einer Konkretisierung des geschützen Rechtsguts, wie sie sich im Fall der §§153 ff. StGB bzw. des § 258 StGB auch durchgesetzt hat 327 . Folglich genügt allein der Begriff der „Strafrechtspflege" nicht, um das geschützte Rechtsgut des § 145 d StGB (I Nr. 1 / I I Nr. 1) zu bestimmen. Ein weiterer Schwachpunkt der h.M. liegt darin, daß sie sich mit der Festlegung auf zwei unterschiedliche Schutzaufgaben des § 145 d StGB zugleich auch darauf festlegt, daß die Vorschrift je nach Tatbestandsalternative ein unterschiedliches
Rechtsgut schützt. Damit wird der Vorschrift ein einheitliches
Rechtsgut abgesprochen. Dieses Ergebnis erscheint jedoch widersprüchlich, wenn man berücksichtigt, daß sämtliche Tatbestandsalternativen des § 145 d StGB darauf abzielen, staatliche Behörden vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme zu schützen. Schließlich sieht ja auch die h.M. hierin den Grundgedanken der Vorschrift. Diesen Nachteil vermeidet Krümpelmann, indem er das behördliche Arbeitspotential als das einheitliche Rechts gut des § 145 d StGB ansieht. Auf diese Weise gelingt es Krümpelmann, dem einheitlichen Grundgedanken der Vorschrift Rechnung zu tragen. Daneben hat seine Rechtsansicht den bedeutenden Vorteil, daß sie das geschützte Rechtsgut — im Gegensatz zur h.M. (für die Nrn. 1) — nicht mit dem allgemeinen Begriff der „Strafrechtspflege" beschreibt, sondern konkret auf einen bestimmten Bestandteil derselben abstellt, der nicht auch von anderen „Rechtspflegedelikten" (wie z.B. §§ 153 ff., 258 StGB) erfaßt wird. Auf der anderen Seite läßt diese Definition des geschützten Rechtsguts, die sich ausschließlich auf das behördliche Arbeitspotential beschränkt, nicht mehr erkennen, daß durch das StÄG von 1976 eine neue Schutzrichtung des § 145 d StGB geschaffen wurde, nämlich der Schutz der Präventivtätigkeit des Staates. Gerade hierin liegt immerhin ein Vorteil der Sichtweise der h.M. Auch Schroeder vermeidet den Schwachpunkt der Sichtweise der h.M., indem er ein einheitliches Rechtsgut des § 145 d StGB konstruiert. Dieses Rechtsgut sieht er aber nicht in dem behördlichen Arbeitspotential, sondern in der Präventivtätigkeit des Staates, der er den Vorrang gegenüber der Strafverfolgung einräumt. Damit umgeht er zwar den Schwachpunkt der Auffassung Krümpelmanns, der die durch die Reform 1976 neu eingefügte Schutzrichtung der Prä-
327
Vgl. Sch/Sch-Lenckner,
Vorbem. §§ 153 ff. Rdn. 2; Sch/Sch-Stree,
§ 258 Rdn. 1.
10
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
ventivtätigkeit bei der Schutzgutbestimmung völlig unberücksichtigt läßt. Der Nachteil der Ansicht Schroeders liegt aber darin, daß er dem Schutz der Strafverfolgungstätigkeit nur noch untergeordnete Bedeutung zugesteht. Damit setzt er sich zum einen über die Tatsache hinweg, daß die Strafverfolgungstätigkeit bis zur Reform 1976 immerhin alleiniges Schutzgut des § 145 d StGB war. An dieser Schutzrichtung wollte der Gesetzgeber durch die Einfügung der jeweiligen Nr. 2 sicherlich nichts ändern, zumal die Gesetzesreform allein der Ergänzung des bis dahin geltenden Rechts diente und auch die Materialien zur Novellierung des § 145 d StGB zwischen der Präventiv- und der Repressivtätigkeit unterschieden 328. Zum anderen wirkt es auch befremdlich, wenn ausgerechnet dem Schutzbereich des § 145 d StGB der Vorrang eingeräumt werden soll, der in der Praxis unmittelbar am wenigsten betroffen ist. Immerhin zielen die meisten registrieren Fälle unmittelbar auf die Kapazität der Strafverfolgung i. S. des § 145 d I Nr. 1 / I I Nr. 1 StGB ab und betreffen die Verhinderung von Straftaten nur mittelbar. Schon allein aufgrund der praktischen Gegebenheiten kann daher dem Schutz der staatlichen Präventivtätigkeit nicht der Vorrang eingeräumt werden. Zudem ist davon auszugehen, daß Strafverfolgungs- und Präventivtätigkeit gleichermaßen in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen: Soweit durch die Vortäuschung einer (begangenen) Straftat i. S. des § 145 d I Nr. 1 / I I Nr. 1 StGB die Strafverfolgungstätigkeit betroffen ist, richtet sich die Tat sicherlich zugleich gegen die Präventivtätigkeit des Staates, da beide Aufgaben in der Praxis fast ausschließlich durch die Polizei wahrgenommen werden. Ist aber durch die Täuschung über eine bevorstehende Straftat (gem. § 126 StGB) i. S. des § 145 d I Nr. 2 / I I Nr. 2 StGB die Präventivtätigkeit des Staates betroffen, wird damit aus dem gleichen Grund auch die Strafverfolgungstätigkeit des Staates berührt. Sofern also die Präventivtätigkeit staatlicher Organe als selbständiges Schutzgut des § 145 d StGB anerkannt wird, muß daneben auch der Schutz der staatlichen Strafrechtspflege als gleichwertiges Schutzgut angesehen werden. Dies entspricht dann wiederum der Sichtweise der h.M. Gegen die Auffassung von Geerds schließlich ist geltend zu machen, daß er als alleiniges Schutzgut der Nrn. 2 des § 145 d StGB den Gemeinschafts(Rechts)frieden ansieht. Damit setzt sich Geerds über die Tatsache hinweg, daß eine Tat i. S. des § 145 d StGB I Nr. 2 / I I Nr. 2 StGB eben auch gegen die
328 Vgl. dazu Laufliütte, MDR 1976, 441 (444); Stree, NJW 1976, 1177 (1181); Sturm, JZ 1976, 347 (351). Vgl. zur Kritik an der Auffassung Schroeders auch Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1009 f.).
Β. Kritik und eigener Standpunkt
10
Strafverfolgungstätigkeit des Staates gerichtet ist. Sofern also ein selbständiges Schutzgut der Nrn. 2 des § 145 d StGB anerkannt wird, muß dieses im Zusammenhang mit der Schutzaufgabe der Nrn. 1 bestimmt werden. Dies ist nicht mehr der Fall, wenn den Nrn. 2 des § 145 d StGB der Charakter eines Delikts gegen die öffentliche Ordnung zugewiesen wird. Folglich ist die Auffassung von Geerds, soweit sie den Gemeinschafts-(Rechts)frieden als alleiniges Schutzgut des § 145 d I Nr. 2 / I I Nr. 2 StGB ansieht, abzulehnen. Im übrigen, d.h. hinsichtlich des geschützten Rechtsguts des § 145 d I Nr. 1 / I I Nr. 1 StGB, entspricht sie der h.M.
cc) Der eigene Standpunkt - § 145 d StGB als Delikt mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" Die kritische Stellungnahme zu den im Schrifttum vertretenen Ansichten hat gezeigt, daß sich sowohl bei der herrschenden Meinung (Strafrechtspflege und Präventivorgane als unterschiedliche Schutzgüter) als auch bei Krümpelmann (behördliches Arbeitspotential als einheitliches Schutzgut) überzeugende Aussagen über das Schutzgut bzw. die Schutzgüter des § 145 d StGB finden. Die anderen Auffassungen sind, soweit sie von dem Konzept der herrschenden Meinung abweichen, abzulehnen. Dennoch weisen beide Rechtsansichten Schwachpunkte auf, weil die herrschende Meinung das behördliche Arbeitspotential nicht als selbständiges Schutzgut betrachtet bzw. Krümpelmann den Rechtsgüterschutz im Ergebnis allein auf das behördliche Arbeitspotential reduziert. Diese Nachteile ließen sich jeweils dann vermeiden, wenn man die Strafrechtspflege und die Präventivorgane (A.M.) und das behördliche Arbeitspotential (Krümpelmann) nicht als sich gegenseitig ausschließende Rechtsgüter, sondern als „Endrechtsgüter" bzw. „Zwischenrechtsgut" derselben Strafvorschrift betrachtet und § 145 d StGB zu den sog. Delikten mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" rechnet.
(1) Die Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" Wie bereits angesprochen, werden neben den sog. „klassischen abstrakten Gefährdungsdelikten" weitere Fallgruppen abstrakter Gefährdungsdelikte an-
10
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
erkannt 329 . Hierzu gehören neben den sog. „abstrakten Eignungsdelikten" und den „Massenhandlungen" — zu denen § 145 d StGB nicht gerechnet werden kann 330 — eben auch die Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut". Zu dieser Deliktsgruppe werden insbesondere die Aussagedelikte gem. §§ 153 ff. StGB sowie die Bestechungsdelikte gem. §§ 331 ff. StGB gezählt 331 . Kennzeichnend für diese Strafvorschriften soll sein, daß sie dem Schutz eines abstrakten Rechtsguts der Allgemeinheit (das „Endrechtsgut") dienen, welches auf einer weniger abstrakten Ebene durch ein anderes Rechtsgut (das „vergeistigte Zwischenrechtsgut") repräsentiert wird 3 3 2 .
(a) §§ 153 ff., 331 ff. StGB als Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" So werden im Bereich der Bestechungsdelikte gem. §§331 ff. StGB das Vertrauen der Bevölkerung in die Reinheit der Amtsführung und im Rahmen der Aussagedelikte gem. §§153 ff. StGB die gerichtliche Wahrheitsfindung als „vergeistigte Zwischenrechtsgüter" konstruiert 333 . Als maßgebliche „Endrechtsgüter" kommen damit für §§ 331 ff. StGB nur die Funktionsfähigkeit des
329 Vgl. Jakobs, AT, 6 / 87 f.; Roxin, AT, § 11 Rdn. 119 ff.; Schünemann, JuS 1975, 787 (798); Sommer, Erfolgsunrecht, S. 259; Wolter, Zurechnung, S. 319 ff. Ansätze für die Bildung von Fallgruppen finden sich bereits bei Brehm, Dogmatik, S. 139 (für Massenhandlungen im Straßenverkehr) sowie Loos, Welzel-Festschrift, 879 (891 f.). Gegen die Bildung solcher Fallgruppen sprechen sich allerdings Bohnert, JuS 1984, 182 (187); Kratzsch, Verhaltenssteuerung, S. 110 ff.; Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 91 ff.; H. Schneider, Jura 1988, 460 (467 f.) aus. 330 Daß § 145 d StGB nicht zu den „abstrakten Eignungsdelikten" gezählt werden kann, ergibt sich aus den Ausführungen zu B. III. 2. Dagegen bedarf es keiner eingehenden Untersuchung darüber, daß die Vorschrift nicht zu den sog. „Massenhandlungen" gehört, als deren klassischer Fall ja die Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) anzunehmen ist; vgl. etwa Roxin, AT, § 11 Rdn. 125; Schünemann, JA 1975, 787 (798). Die eingangs dargelegten Zahlen über den Umfang der registrierten Kriminalität lassen eine Einordnung als ,Massendelikt" nicht zu. 331 S. grundlegend Schünemann, JA 1975, 787 (793 u. 798), der die Fallgruppe benannt hat. Ansätze für die Bildung dieser Fallgruppe finden sich jedoch bereits bei Loos, Welzel-Festschrift, 879 (891 f.). Vgl. ferner (zustimmend) Jakobs, AT, 6 / 88; Roxin, AT, § 11 Rdn. 126; Sommer, Erfolgsunrecht, S. 259; Wolter, Zurechnung, S. 328 f. 332 333
So Jakobs, AT, 6 / 88.
S. grundlegend Schünemann, JA 1975, 787 (793). Zustimmend Jakobs, AT, 6 / 88; Roxin, AT, § 11 Rdn. 126; Wolter, Zurechnung, S. 328.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
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Verwaltungsapparats und für §§153 ff. StGB die staatliche Rechtspflege in Frage 334 . Im Ergebnis entspricht dieses Verständnis der von §§ 153 ff. StGB bzw. §§331 ff. StGB geschützten Rechtsgüter durchaus den gängigen Auffassungen zum Schutzzweck der betroffenen Delikte, wenn auch dort nicht von „Endrechtsgütern" bzw. „vergeistigten Zwischenrechtsgütern" die Rede ist. So ist die staatliche Rechtspflege nach ganz einhelliger Auffassung geschütztes Rechtsgut der Aussagedelikte335, wobei teilweise ausdrücklich eine Konkretisierung innerhalb dieses Rechtsguts auf die Wahrheitsfindung in gerichtlichen (und gewissen anderen) Verfahren befürwortet wird 3 3 6 . Aber auch im Rahmen der Bestechungstatbestände sind die Parallelen deutlich zu erkennen. Immerhin sieht ein großer Teil der Literatur das geschützte Rechtsgut nicht allein in dem Vertrauen der Allgemeinheit in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen337, sondern spricht sich für eine komplexere Rechtsgutbestimmung aus: Letztlich ginge es um die Funktionsfähigkeit der staatlichen Verwaltung, die aber ihrerseits nur dann gewährleistet sei, wenn sie aufgrund eines bestehenden Amtsethos objektiv sachlich vonstatten gehe (= innere Funktionsbedingung) und zugleich vom Vertrauen der Allgemeinheit in die Reinheit der Amtsführung getragen werde (= äußere Funktionsbedingung)338. Diese Schutzgutbestimmung ist schon allein deswegen vorzugswürdig, weil der Schutz des Vertrauens der Bevölkerung in die Reinheit der Amtsführung um seiner selbst willen kaum einen Sinn hat 339 . Die Schutzbedürftigkeit ergibt sich vielmehr erst daraus, daß dieses Vertrauen der Bevölkerung wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren der Verwaltung ist. Folglich muß die Funktionsfähigkeit als das maßgebliche Rechtsgut der §§331 ff. StGB angesehen werden, dessen Schutz aber nur dann gewährleistet ist, wenn zum einen das („äußere") Vertrauen der Bevölkerung in die Reinheit der Amtsführung nicht erschüttert wird. Zum anderen müssen aber
334
Eine ausdrückliche Benennung der „Endrechtsgüter" findet sich insoweit allein bei Jakobs, AT, 6 / 88. 335
Vgl. BGHSt. 8, 301 (309); Blei, BT, § 107 II; Lackner /Kühl, Vor § 153 Rdn. 1; Sch/SchLenckner, Vorbem. §§ 153 ff. Rdn. 2; Schmidhäuser, BT, 23 / 7; Wessels, BT 1, § 17 I 1. 336
So etwa Sch /Sch-Lenckner,
Vorbem. §§ 153 ff. Rdn. 2; Schmidhäuser, BT, 23 / 7.
337
So aber BGHSt. 15, 88, (96); 352 (354); LK-Jescheck, 10. Aufl., Vor § 331 Rdn. 17; Sch/ Sch-Cramer, § 331 Rdn. 5; Schmidhäuser, BT, 24 / 4. 338 Vgl. hierzu insbesondere Loos, Welzel-Festschrift, 879 (890 f); Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 78 Rdn. 8; SK-Rudolphi, § 331 Rdn. 4. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Reinheit der Amtsführung wird insoweit als „äußere Funktionsbedingung" bezeichnet. 339
Vgl. auch Lackner / Kühl, § 331 Rdn. 1.
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2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
auch die Gefahren berücksichtigt werden, die für die Funktionsfähigkeit der Verwaltung davon ausgehen, daß durch die Bestechungsdelikte als schlechte Beispiele das Amtsethos und damit das Funktionieren der Verwaltung „von innen" beeinträchtigt werden. Im übrigen spricht für diese komplexe Rechtsgutbetrachtung entscheidend, daß sie die Existenz der §§ 331, 333 StGB am besten zu erklären vermag. Immerhin entstünde auch bei einer Vorteilsgewährung oder -annahme für eine pflichtgemäße Amtshandlung, würde sie rechtlich geduldet, schnell eine Einstellung des „do ut des" im Verhältnis zwischen Amtsträger und Bürger 340 . Als Schutzgut der Bestechungstatbestände ist damit das Funktionieren der Verwaltung anzusehen, und zwar in ihrer inneren als auch äußeren Funktionsbedingung. Hierauf aufbauend lassen sich die §§331 ff. StGB tatsächlich unschwer als Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" einstufen. Allerdings sollte, um auch der inneren Funktionsbedingung Rechnung zu tragen, nicht nur das Vertrauen der Bevölkerung in die Reinheit der Amtsführung als „vergeistigtes Zwischenrechtsgut" angesehen werden, sondern auch das Amtsethos der Beamtenschaft. Die Bestechungstatbestände würden daher neben dem eigentlichen „Endrechtsgut" (= Funktionsfähigkeit der Verwaltung) zwei selbständige „Zwischenrechtsgüter" aufweisen. Festzuhalten ist damit zunächst, daß mit der Bildung von „End-" bzw. „Zwischenrechtsgütern" im Rahmen der Aussagedelikte und der Bestechungsdelikte keine Rechtsgüter konstruiert werden, die mit dem herkömmlichen Verständnis von den insoweit geschützten Rechtsgüter unvereinbar sind. Vielmehr wird durch die Schaffung eines „vergeistigten Zwischenrechtsguts" jeweils ein Weg zur Konkretisierung der allgemein anerkannten abstrakten Rechtsgüter (Rechtspflege / Funktionsfähigkeit der Verwaltung) aufgezeigt. Dabei stützen sich die „Zwischenrechtsgüter" durchaus auf solche Schutzgedanken der §§153 ff. StGB bzw. §§331 ff. StGB, die im Rahmen dieser Delikte ohnehin anerkannt sind.
(b) Die Vorzüge der Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" Der entscheidende Vorzug der Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" liegt gerade darin, daß mit der Schaffung des „Zwischenrechtsguts" die Konkretisierung des jeweiligen „Endrechtsguts" als abstraktes Rechtsgut der Allgemeinheit einhergeht. Damit wird eine differenziertere Betrachtung innerhalb
340
So Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 78 Rdn. 8.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
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der Delikte möglich, die dem Schutz desselben abstrakten überindividuellen Rechtsguts dienen, wie z.B. innerhalb der sog. Rechtspflegedelikte. Des weiteren schafft die Anerkennung von „vergeistigten Zwischenrechtsgütern" die Möglichkeit, unterschiedliche Schutzaufgaben derselben Strafvorschrift ausdrücklich hervorzuheben, ohne dabei etwaige Gemeinsamkeiten im Rahmen der Schutzgutbestimmung unberücksichtigt zu lassen. So ist es etwa möglich, innerhalb der Bestechungsdelikte den Schutz des Amtsethos der Beamtenschaft sowie den Schutz des Vertrauens der Bevölkerung in die Reinheit der Amtsführung als unterschiedliche Schutzaufgaben der §§331 ff. StGB herauszuarbeiten. Denn dadurch, daß die Funktionsfähigkeit der Verwaltung als geschütztes Endrechtsgut anerkannt wird, bleibt gleichwohl das gemeinsame Ziel aller Bestechungsdelikte erhalten.
(2) „Endrechtsgut" (bzw. „Endrechtsgüter") und „Zwischenrechtsgut" des § 145 d StGB Legt man nunmehr diese Betrachtungsweise von den Delikten mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" im Rahmen der Deliktsvortäuschung nach § 145 d StGB zugrunde, kann die Strafrechtspflege als geschütztes „Endrechtsgut" der Nrn. 1 des § 145 d StGB bzw. die staatliche Präventivtätigkeit als „Endrechtsgut" der Nrn. 2 des § 145 d StGB angesehen werden und das behördliche Arbeitspotential als „vergeistigtes Zwischenrechtsgut" aller Tatbestandsalternativen, welches die Strafrechtspflege bzw. die staatliche Präventivtätigkeit konkret repräsentiert. Ein solches Verständnis des geschützen Rechtsguts bzw. der geschützen Rechtsgüter des § 145 d StGB weist sämtliche Vorzüge auf, die mit der Schaffung der Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" verbunden sind: Zunächst gelingt es dadurch, daß mit dem behördlichen Arbeitspotential ein (vergeistigtes) Zwischenrechtsgut geschaffen wird, das Rechtsgut der Strafrechtspflege für das Delikt des § 145 d (I Nr. 1 / I I Nr. 2) StGB zu konkretisieren. Damit wird eine deutlichere Grenzziehung gegenüber anderen Delikten (z.B. §§ 153, 258 StGB), die ebenfalls als „Rechtspflegedelikte" eingestuft werden, möglich. Ein weiterer entscheidender Vorteil der Einordnung des § 145 d StGB als Delikt mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" liegt darin, daß ausschließlich auf diese Weise weiterhin ein einheitliches Rechtsgut aller Tatbestandsalternativen erhalten bleibt, ohne daß dabei die unterschiedlichen Schutzrichtungen der je-
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2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
weiligen Tatbestandsalternativen nicht mehr erkennbar wären. Letzteres wird dadurch erreicht, daß die Strafrechtspflege bzw. die staatliche Präventivtätigkeit als geschützte „Endrechtsgüter" nach wie vor Bestand haben. Gleichzeitig wird durch die Anerkennung des behördlichen Arbeitspotentials als geschütztes (Zwischen-)Rechtsgut aller Tatbestandsalternativen festgeschrieben, daß § 145 StGB trotz der Erweiterung des Tatbestands um die jeweiligen Nrn. 2 ein einheitliches Angriffsziel behalten hat, nämlich die behördliche Ermittlungstätigkeit, gleichgültig ob sie zur Verfolgung oder zur Verhinderung von Straftaten erfolgt. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Auslegung des § 145 d StGB als Delikt mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" nur konsequent ist, sofern man die Vorschrift als „kleines Aussagedelikt" versteht und damit in die Nähe der eigentlichen Aussagedelikte nach §§153 ff. StGB stellt, die ebenfalls zu den Delikte mit „vergeistigem Zwischenrechtsgut" gerechnet werden. Für eine solches Verständnis von § 145 d StGB spricht immerhin, daß der Tatbestand — jedenfalls in der Regel - wie im Fall der Aussagedelikte durch Äußerungen gegenüber einer staatlichen Stelle verwirklicht wird. Damit ist die Begehungsweise der fraglichen Tatbestände weitgehend identisch, wenn auch der Tatbestand des § 145 d StGB im Gegensatz zu den §§ 153 ff. StGB ebenfalls durch die Schaffung einer falschen Beweislage erfüllt werden kann 341 . Aus dieser Parallele zwischen § 145 d StGB und den §§ 153 ff. StGB wird schließlich sogar die Notwendigkeit hergeleitet, den persönlichen Strafaufhebungsgrund des § 158 StGB analog auf die Vorschrift des § 145 d StGB anzuwenden342. Hiervon ausgehend liegt es tatsächlich nahe, die Deliktsvortäuschung als „kleines Aussagedelikt" zu verstehen und darauf aufbauend als Delikt mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" zu begreifen 343. Zusammenfassend ist damit festzustellen, daß mit der Einordnung des § 145 d StGB als Delikt mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" sämtliche Schwachpunkte vermieden werden, die gegen die bisherigen in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Ansätze zur Bestimmung des geschützten Rechtsguts vorzubringen sind. Darüber hinaus trägt dieses Verständnis von den durch
341 S. ausführlich dazu, daß für das tatbestandliche Verhalten i. S. des § 145 d StGB auch die Schaffung falscher Beweislagen genügt, die Ausführungen unter Β. I. 2. a). 342 Vgl. etwa Berz, Stree- und Wessels-Festschrift, 331 (337); Lackner / Kühl, § 145 d Rdn. 10; LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 20; Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 24. A.A. OLG Celle, JR 1981, 34 (35); SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 18. Auf das Problem der analogen Anwendung des § 158 StGB auf § 145 d StGB wird noch näher einzugehen sein, vgl. unten 3. Teil. D. 343
So im Ansatz H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 269.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
10
§ 145 d StGB geschützten Rechtsgütern den vorhandenen Parallelen zu den Aussagedelikten nach §§153 ff. StGB Rechnung, die ebenfalls als Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" einzustufen sind.
(3) Ergebnis Als bisheriges Ergebnis ist damit festzuhalten, daß § 145 d StGB (innerhalb der Deliktsgruppe der abstrakten Gefährdungsdelikten) zu den Delikten mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" gerechnet werden kann. Als (einheitliches) „Zwischenrechtsgut" aller Tatbestandsalternativen ist insoweit das behördliche Arbeitspotential anzusehen. „Endrechtsgüter" sind hinsichtlich § 145 d I Nr. 1 / I I Nr. 1 StGB die Strafrechtspflege bzw. hinsichtlich § 145 d I Nr. 2 / Π Nr. 2 StGB die Präventivtätigkeit des Staates.
b) Schlußfolgerung fiir die Vereinbarkeit
mit dem Schuldgrundsatz
Zu prüfen ist nunmehr, welche Konsequenzen sich hieraus für die Vereinbarkeit des § 145 d StGB (als abstraktes Gefährdungsdelikt in Form eines Delikts mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut") mit dem Schuldgrundsatz ergeben.
aa) Zur Problematik erwiesener Ungefährlichkeit der tatbestandlichen Handlung (1) Konsequenzen aus der Einordnung des § 145 d StGB als Delikt mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" Denkbar ist zunächst, nach den Schlußfolgerungen zu fragen, die allgemein aus der Einordnung eines Straftatbestands als Delikt mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" gezogen werden. So soll nach Schünemann, der diese Fallgruppe abstrakter Gefährdungsdelikte benannt und als erster hervorgehoben hat 344 , eine Einschränkung der Strafbarkeit wegen Ungefährlichkeit der tatbestandlichen Handlung deswegen nicht in Betracht kommen, weil „bereits die Verlet-
344
Vgl. Schünemann, JA 1975, 787 (793, 798).
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2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
zung des Zwischenrechtsguts strafwürdiges Unrecht darstellt" 345 . Die Konsequenz dieser Ansicht wird deutlich, wenn man die Aussage Schünemanns hinzuzieht, daß die „Verletzung des Zwischenrechtsguts" die „Brücke zu den Verletzungsdelikten i.e.S. (d.h. mit substantiell faßbarem Rechtsgut) schlägt". Damit werden die Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" nur noch hinsichtlich des jeweiligen „Endrechtsguts" als abstraktes Gefährdungsdelikt verstanden. Deren Gefährdung soll — so kann gefolgert werden — stets indiziert sein, wenn das zugrunde liegende „Zwischenrechtsgut" durch die tatbestandliche Handlung verletzt ist. Eine Strafbarkeitseinschränkung unter dem Gesichtspunkt der Ungefährlichkeit der konkreten Handlung ist dementsprechend ausgeschlossen, sobald eine Verletzung des „Zwischenrechtsguts" festgestellt werden kann. Gegen dieses Verständnis von den Delikten mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" erheben sich allerdings schwerwiegende Bedenken. So setzt die Richtigkeit der von Schünemann vertretenen Auffassung voraus, daß es sich bei den „Zwischenrechtsgütern" überhaupt um substantiell faßbare und damit verletzbare Rechtsgüter handelt. Gerade die als Zwischenrechtsgut anerkannte gerichtliche Wahrheitsfindung (§§ 153 ff. StGB) bzw. das Vertrauen der Bevölkerung in die Reinheit der Amtsführung und das Amtsethos der Beamtenschaft (§§ 331 ff. StGB) verdeutlichen aber, daß dies nicht zutrifft. So läßt sich keineswegs feststellen, inwiefern eine einzelne Falschaussage vor Gericht zur Beeinträchtigung der gerichtlichen Wahrheitsfindung in ihrer Funktion als übergreifende Prozeßmaxime, die über das einzelne Verfahren hinausgeht, geführt hat. Genausowenig kann sicher beurteilt werden, ob und inwieweit eine einzelne deliktische Handlung i. S. der §§ 331 ff. StGB das Vertrauen der Bevölkerung in die Reinheit der Amtsführung bzw. das Amtsethos der Beamtenschaft als soziale Anschauung bzw. Einstellung beeinträchtigt. Überhaupt bleibt fraglich, warum Schünemann bei seinem Verständnis von der Verletzbarkeit der Zwischenrechtsgüter noch von „vergeistigten" Zwischenrechtsgütern spricht. Mithin kann mit Hilfe der von Schünemann getroffenen Aussage nicht begründet werden, warum die Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" keine Einschränkung der Strafbarkeit wegen Ungefährlichkeit der konkreten Handlung zulassen sollen. Folglich kann auch aus der entsprechenden Einordnung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt dieser Kategorie noch keine Schlußfolgerung für die Vereinbarkeit mit dem Schuldgrundsatz gezogen werden.
345 Vgl. Schünemann, JA 1975, 787 (793, 798). Zustimmend Roxin, AT, § 11 Rdn. 126; Wolter, Zurechnung, S. 328. Ähnlich Jakobs, AT, 6 / 88.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
11
(2) Der eigene Standpunkt Zur Lösung des Problems der Vereinbarkeit abstrakter Gefährdungsdelikte mit dem Schuldgrundsatz bietet sich vielmehr auch für die Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" — und damit zugleich für § 145 d StGB — der Rückgriff auf die bereits herausgearbeiteten Unterschiede zwischen Straftaten gegen Individualrechtsgüter und Rechtsgüter der Allgemeinheit an. Danach scheidet eine Einschränkung der Strafbarkeit bei Taten gegen überindividuelle Rechtsgüter deswegen aus, weil bei diesen die Feststellung einer Verletzung praktisch nicht möglich ist, und es zur Vermeidung von Summations- und Kumulationseffekten oftmals gerade um die Bestrafung einzelner Handlungen geht, die für sich allein gar nicht zu einer Verletzung führen können. Innerhalb der Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" ist die Richtigkeit dieser Aussage bereits anhand der §§ 153 ff., 331 ff. StGB verdeutlicht worden 346 . Daß für die Strafvorschrift des § 145 d StGB entsprechendes gilt, soll im folgenden dargelegt werden. Zunächst ist festzustellen, daß die Vorschrift ebenfalls ausschließlich dem Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit dient, wenn — wie oben dargelegt — die Strafrechtspflege bzw. die staatliche Präventivtätigkeit als „Endrechtsgüter" und das behördliche Arbeitspotential als „Zwischenrechtsgut" anerkannt werden. Weiterhin steht fest, daß eine einzelne Deliktsvortäuschung das behördliche Arbeitspotential — und damit auch die Strafrechtspflege bzw. die staatliche Präventivtätigkeit — nicht wirklich beeinträchtigen kann. Berücksichtigt man nämlich die gesamte Tätigkeit staatlicher Behörden auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bzw. der staatlichen Präventivtätigkeit, so stellt sich das vorhandene Potential als nahezu unüberschaubares „Arbeitsvermögen" dar. Sicherlich kann auch hier nicht von einer unerschöpflichen Kapazität gesprochen werden, die einzelne Täuschungshandlung vermag jedenfalls für sich gesehen dieses vorhandene Potential in seiner Gesamtheit nicht nennenswert zu beeinträchtigen. Vielmehr kann die einzelne Täuschungshandlung i. S. des § 145 d StGB erst im Zusammentreffen mit vielen anderen Deliktsvortäuschungen aufgrund des damit einhergehenden Summations- und Kumulationseffekts eine Gefahr für die geschützten Rechtsgüter bedeuten. Um diese Gefahr zu vermeiden, erweist sich dann aber die Bestrafung jeder einzelnen Deliktsvortäuschung als zwingend notwendig. Ein Ausschluß der Strafbarkeit der einzelnen Handlung kommt damit aus präventiven Gründen nicht in Betracht.
346
Vgl. die Ausführungen unter 3. b) bb) (3).
1
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
Als (Zwischen-)Ergebnis ist damit festzuhalten, daß sich im Fall des § 145 d StGB (als abstraktes Gefährdungsdelikt mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut") das Problem erwiesener Ungefährlichkeit der tatbestandlichen Handlung grundsätzlich nicht stellt. Folglich kommt es auf eine Auseinandersetzung mit den einzelnen dogmatischen Lösungsansätzen, die allgemein zur Vereinbarkeit abstrakter Gefährdungsdelikte mit dem Schuldgrundsatz vertreten werden, nicht an. § 145 d StGB steht daher als abstraktes Gefährdungsdelikt im Einklang mit dem Schuldgrundsatz.
bb) Zur Ausgrenzung von Minimalverstößen Diese Tatsache bedeutet allerdings keineswegs, daß sich eine Tatbestandseinschränkung wegen Ungefährlichkeit der konkreten Handlung nicht aus einem anderen Grund als erforderlich erweist. Wie bereits mehrfach angedeutet, stellt sich das Problem einer solchen Tatbestandseinschränkung bei den gegen überindividuelle Rechtsgüter gerichteten Gefährdungsdelikten eben nur grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme gilt für die Ausscheidung sog. Minimalverstöße 347 . Gerade für die Gruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte in Form der sog. Delikte mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" wird die Ausgrenzung von Minimalverstößen als notwendiger Ausgleich dafür angesehen, daß im übrigen eine Tatbestandseinschränkung wegen erwiesener Ungefährlichkeit der konkreten Handlung nicht in Betracht kommt 348 . So werden etwa Bagatellzuwendungen bzw. irrelevante Ungenauigkeiten aus dem strafbaren Bereich der Bestechungsdelikte nach §§ 331 ff. StGB bzw. der Aussagedelikte nach §§ 153 ff. StGB ausgeklammert 349 . Berücksichtigt man nur, daß auch innerhalb des § 145 d StGB als „kleines Aussagedelikt" irrelevante Ungenauigkeiten als Gegenstand der Täuschungshandlung denkbar sind, muß hier ebenfalls eine Ausscheidung von Minimalverstößen möglich sein. Fraglich ist allerdings, auf welchem Weg eine solche Ausgrenzung überhaupt möglich sein soll. Anknüpfungspunkt für die Ausscheidung
347 Vgl. Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 95; Roxin, AT, § 11 Rdn. 126; Sch / Sch-Cramer, Vorbem. §§ 306 ff. Rdn. 3a; Schünemann, JA 1975, 787 (798); Wolter, Zurechnung, S. 329. 348 Vgl. Roxin, AT, § 11 Rdn. 126; Schünemann, JA 1975, 787 (798); Wolter, S. 329.
Zurechnung,
349 Vgl. Roxin, AT, § 11 Rdn. 126; Sch /Sch-Cramer, Vorbem. §§ 306 ff. Rdn. 3a; Schünemann, JA 1975, 787 (798); Wolter, Zurechnung, S. 329; vgl. auch Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 149.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
11
von Minimalverstößen kann allein das sog. „Geringfügigkeits-" oder „Bagatellprinzip" sein 350 . Dieses Prinzip basiert auf dem Gedanken, daß Rechtsgüterschutz — als primäre Aufgabe des Strafrechts — erst von einer bestimmten Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung an beginnen kann 351 . Dem Geringfügigkeits- oder Bagatellprinzip kommt damit die Aufgabe zu, aus dem gesamten Bereich der strafrechtlichen Verbotsmaterie die Fälle auszuschließen, die sich mangels erheblicher Rechtsgutbeeinträchtigung als nicht strafwürdig erweisen 352 . Damit ist aber noch nicht geklärt, auf welche Weise die Ausscheidung von Minimalverstößen unter dem Gesichtspunkt des Geringfügigkeitsprinzips zu erfolgen hat. Um die verschiedenen Möglichkeiten aufzuzeigen, sollen im folgenden zunächst die bestehenden gesetzlichen Geringfügigkeitsregelungen aufgezeigt werden.
(1) Bestehende gesetzliche Geringfügigkeitsregelungen (a) Regelungen innerhalb des Strafprozeßrechts Im Prozeßrecht findet das Geringfügigkeitsprinzip insbesondere Ausdruck in den §§ 153, 153 a StPO, die eine Einstellung des Verfahrens, das ein Vergehen zum Gegenstand hat, „wegen Geringfügigkeit" zulassen. Maßgeblich für die „Geringfügigkeit" ist insoweit eine „geringe" Schuld des Täters 353 (§ 153 StPO) bzw. keine entgegenstehende „Schwere der Schuld" 354 (§ 153 a StPO). Daneben erlaubt § 154 StPO zusätzlich die Einstellung des Verfahrens wegen „unwesentlicher Nebenstrafen" 355. Für den Bereich des Jugendstrafrechts finden sich entsprechende Regelungen in den §§ 45, 47 JGG. Aus dem Bereich des Nebenstrafrechts ist § 31 a I BtMG zu nennen.
350
S. hierzu umfassend Kunz, Bagatellprinzip sowie Krümpelmann, Bagatelldelikte.
351
Vgl. Kunz, Bagatellprinzip, S. 31 f.; Maurach /Zipf, AT 1, § 13 Rdn. 18; Roxin, AT, § 10 Rdn. 40 f. 352
S. nur Kunz, Bagatellprinzip, S. 31; Ostendorf\
353
Vgl. hierzu Kleinknecht / Meyer-Goßner,
GA 1982, 333 (334).
§ 153 Rdn. 3 f.
354
Während in § 153 StPO darauf abgestellt wird, daß die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kommen bei § 153 a StPO auch gewichtigere Fälle in Betracht; jedoch darf es sich allenfalls um eine Schuld im mittleren Bereich handeln (vgl. Kleinknecht / Meyer-Goßner, § 153 a Rdn. 7). 355
8 Saal
S. dazu Kleinknecht / Meyer-Goßner,
§ 154 Rdn. 7.
1
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB (b) Regelungen innerhalb der Strafverfolgungsvoraussetzungen Im Rahmen der Strafverfolgungsvoraussetzungen spiegelt sich das Geringfü-
gigkeitsprinzip in allen Antragsdelikten (z.B. §§ 123 II, 289 III, 303 c StGB) wider, die das Offizialprinzip eingrenzen. Dies deswegen, weil die Strafverfolgung von der Entscheidung des Verletzten abhängig gemacht wird 3 5 6 , und dieser regelmäßig dann keinen Strafantrag stellen wird, wenn es sich um eine geringfügige Rechtsgutverletzung handelt. Besonders deutlich wird das Geringfügigkeitsprinzip im Rahmen der Strafverfolgungsvoraussetzungen, wenn man die Vorschrift des § 248 a StGB heranzieht. Dadurch, daß der Gesetzgeber in den Fällen des Diebstahls und der Unterschlagung „geringwertiger Sachen"357 eine Strafverfolgung nur bei Antrag des Verletzten bzw. besonderem öffentlichen Interesse zuläßt, schränkt er letztlich das geschützte Rechtsgut dieser Tatbestände ein. Die wesentliche Bedeutung des § 248 a StGB zeigt sich im übrigen darin, daß zahlreiche andere Vermögensdelikte auf sie Bezug nehmen (vgl. §§ 263 IV, 265 a III, 266 III, 257 IV, 259 I I StGB).
(c) Regelungen innerhalb der Strafzumessung Auch im Rahmen der Strafzumessung hat das Geringfügigkeitsprinzip mehrere ausdrückliche Regelungen gefunden. Bereits in der für die Strafzumessung grundlegenden Vorschrift des § 46 I I StGB ist dies der Fall, wenn das Gesetz eine Berücksichtigung der „verschuldeten Auswirkungen der Tat" verlangt. Denn immerhin ist hierfür u.a. die Größe der Rechtsverletzung, d.h. die Höhe des angerichteten Schadens von entscheidendem Gewicht 358 . Daneben enthält § 243 I I StGB eine Strafzumessungsregelung dahin, daß eine Straferhöhung aufgrund eines besonders schweren Falls des Diebstahls gem. § 243 I StGB bei „geringwertigen Sachen" ausgeschlossen ist. Weiterhin ordnen einige Tatbestän-
356 Zu beachten ist, daß in bestimmten Fällen (z.B. § 303 c StGB) trotz fehlenden Strafantrags des Verletzten eine Strafverfolgung doch möglich ist, wenn die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. 357 Die ungefähre Grenze für das Vorliegen einer „geringwertigen Sache" wird bei 50 D M gesehen; vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1987, 1958; Dreher / Tröndle, § 248 a Rdn. 5; Sch / Sch-Eser, § 248 a Rdn. 10. 358
Vgl. etwa Sch/Sch-Stree,
§ 46 Rdn. 19.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
115
de geringfügige Rechtsgutverletzungen auf der Strafzumessungsebene als „minder schwere Fälle" ein, wie z.B. §§ 213, 239 II, 249 II, 250 I I StGB.
(d) Geringfügigkeit als sachlicher Strafausschließungsgrund Seit der Einfügung des § 326 V I (V a.F.) StGB im Rahmen der Umweltschutzdelikte hat das Geringfügigkeitsprinzip auch eine Ausformung als sachlicher Strafausschließungsgrund gefunden 359. Nach dieser Vorschrift ist eine Tat i. S. des § 326 I StGB (umweltgefährdende Abfallbeseitigung) dann nicht strafbar, wenn schädliche Einwirkungen auf die Umwelt etc. wegen „der geringen Menge" der Abfälle offensichtlich ausgeschlossen sind.
(e) Geringfügigkeit als Rechtfertigungsgrund Aber auch auf der Ebene der Rechtswidrigkeit als allgemeines Verbrechensmerkmal kann die Frage nach der Geringfügigkeit der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts von Bedeutung sein. So ist im Rahmen der Interessenabwägung beim rechtfertigenden Notstand gem. § 34 StGB zu beachten, daß sich möglicherweise sogar ein geringwertiges Rechtsgut auf Kosten eines höherwertigen behaupten darf, sofern letzteres nur „geringfügig" beeinträchtigt wird, ersterem aber schwere Einbußen drohen 360 . Darüber hinaus kann sich das Geringfügigkeitsprinzip bei der Erteilung einer (mutmaßlichen) Einwilligung auswirken 361 . Hervorzuheben ist schließlich, daß auch innerhalb der Prüfung der
359 § 326 StGB wurde neugefaßt durch das 31. StÄG v. 27.6.1994 (BGBl. I, S. 1440). S. dazu, daß § 326 V I StGB als sachlicher Strafausschließungsgrund einzustufen ist, z.B. Ostendorf\ GA 1982, 333 (337); Sch / Sch-Lenckner, § 326 Rdn. 17. A.A. SK-Horn, § 326 Rdn. 28 („objektive Straflosigkeitsbedingung") und LK -Steindorf, 10. Aufl., § 326 Rdn. 67 („Straffreierklärung sui generis"). 360 361
Vgl. etwa Sch / Sch-Lenckner, § 34 Rdn. 26.
So etwa in folgendem Beispielsfall (nach Wessels, AT, § 9 I 3): Der Botenjunge Β zahlt nicht den ihm von A übergebenen neuen Geldschein, den er gern behalten möchte, bei der Post ein, sondern erledigt den ihm erteilten Auftrag mit einem verschmutzten Geldschein aus seinem eigenen Bestand. Wegen des geringen Interesses des A an der Frage, mit welchem Schein Β bezahlt, kann von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgegangen werden (vgl. auch Wessels, AT, a.a.O.: „Prinzip des mangelnden Interesses"). 8*
1
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
Verwerflichkeit i. S. der §§ 240 II, 253 I I StGB 362 das Geringfügigkeitsprinzip Berücksichtigung finden soll 363 .
(f) Geringfügigkeit als negatives Tatbestandsmerkmal Zuletzt ist festzustellen, daß das Geringfügigkeitsprinzip auch innerhalb des gesetzlichen Tatbestands verschiedener Strafvorschriften eine ausdrückliche Regelung gefunden hat. Beispielhaft seien hier zum einen die Verkehrsdelikte gem. §§ 315, 315 a, 315 b, 315 c StGB hervorgehoben, die für die Strafbarkeit des Täters fordern, daß „Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet" werden. Daraus kann im Umkehrschluß (deshalb negatives Tatbestandsmerkmal) gefolgert werden, daß die Gefährdung von fremden Sachen dann nicht tatbestandsmäßig ist, wenn es sich um eine Sache von unbedeutendem, also „geringfügigem" Wert handelt 364 . Zum anderen kann auf die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174-184 c StGB) hingewiesen werden, wo in der maßgeblichen Begriffsbestimmung des § 184 c Nr. 1 StGB für das Vorliegen einer sexuellen Handlung darauf abgestellt wird, ob diese „im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit" ist. Daraus kann wiederum im Umkehrschluß gefolgert werden, daß unerhebliche sexuelle Handlungen, wie z.B. Taktlosigkeiten oder Geschmacklosigkeiten, aus dem Tatbestand der einschlägigen Vorschriften ausscheiden365. Schließlich sei erneut auf den Tatbestand des § 240 StGB verwiesen, der nur dann erfüllt ist, wenn ein „empfindliches" Übel angedroht wird.
362 Vgl. dazu, daß die Abs. 2 der §§ 240, 253 StGB als Rechtfertigungsregel zu verstehen sind, Lackner / Kühl, § 240 Rdn. 25, § 253 Rdn. 10; Roxin, JuS 1964, 373 (376). 363 Vgl. grundlegend Roxin, JuS 1964, 373 (376), der insoweit von einem „sozialen Ordnungsprinzip" spricht. 364
Bei der Beurteilung, ob es sich um einen unbedeutenden Sachwert handelt, dürfte heute von einem Wert i. H. v. 1500 D M ausgegangen werden; vgl. Sch / Sch-Cramer, Vorbem. §§ 306 ff. Rdn. 15. 365 Vgl. hierzu Sch / Sch-Lenckner, § 184 c Rdn. 15 b. Freilich ist der Aussagewert dieser,»Erheblichkeitsklausel" im einzelnen sehr umstritten; s. Sch / Sch-Lenckner, § 184 c Rdn. 14 ff.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
11
(g) Zwischenergebnis für § 145 d StGB Aus den bisherigen Ausführungen ist deutlich geworden, daß das Geringfügigkeitsprinzip sowohl im Strafprozeßrecht als auch auf allen Ebenen des Verbrechensaufbaus eine bestimmte Ausformung gefunden hat. Soweit es aber die Vorschrift des § 145 d StGB angeht, liegt keine ausdrückliche Regelung über den Geringfügigkeitsaspekt vor. Allein die strafjprozessualen Bestimmungen der §§ 153, 153 a StPO finden insoweit Anwendung, weil eine Tat i. S. des § 145 d StGB ein Vergehen darstellt. Es erscheint allerdings kaum sinnvoll, Minimalverstöße z.B. in Form von offensichtlich unbedeutenden Ungenauigkeiten erst über den strafprozessualen Weg der Einstellung des Verfahrens von der Strafbarkeit auszunehmen. Angesichts der Tatsache, daß die Vorschrift gerade dem Schutz des behördlichen Arbeitspotentials dient, wäre es nahezu paradox, zur Ausscheidung von Minimalverstößen erst die relativ arbeitsintensive Form der Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153 a StPO zu wählen. Um aber die Ausscheidung von Minimalverstößen aus dem tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 145 d StGB auf einem anderen Weg zu ermöglichen, müßte das Geringfügigkeitsprinzip als allgemeine strafrechtliche Auslegungsregel anzuerkennen sein. Dies setzt allerdings voraus, daß sich gegen eine solche Ausdehnung des Geringfügigkeitsprinzips keine unwiderlegbaren Einwände ergeben. Nur sofern dies der Fall ist, kann danach gefragt werden, auf welcher Ebene des Verbrechensaufbaus — und damit des § 145 d StGB — eine solche allgemeine Auslegungsregel anzusiedeln wäre.
(2) Mögliche Einwände gegen eine Ausdehnung des Geringfügigkeitsprinzips über die gesetzlichen Regelungen hinaus Ein erster Einwand gegen eine Ausdehnung des Geringfügigkeitsprinzips als allgemeine Auslegungsregel besteht sicherlich darin, daß die strafprozessualen Vorschriften der §§ 153, 153 a StPO als bereits ausreichende Regelung des Geringfügigkeitsprinzips angesehen werden könnten. Immerhin können diese Vorschriften jedenfalls für alle Vergehen Anwendung finden. Dieser Einwand vermag für § 145 d StGB schon aus den bereits ausgeführten Gründen — Vermeidung des justiziellen Verfahrensgangs — nicht zu überzeugen. Aber auch im übrigen ist dieser Einwand schon in sich unschlüssig366. Schließlich betreffen
366
So Ostendorf,
GA 1982, 333 (342).
1
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
die Vorschriften der §§ 153, 153 a StPO die Geringfügigkeit der „Schuld", wohingegen mit einer allgemeinen Auslegungsregel in erster Linie eine Bestrafung wegen der Geringfügigkeit der jeweiligen „Rechtsgutbeeinträchtigung" ausgeschlossen werden soll. Aufgrund dieses Unterschiedes kann das Bestehen der strafprozessualen Einstellungsvorschriften nicht der Anerkennung des Geringfügigkeitsprinzips als allgemeinem Rechtsgedanken entgegenstehen. Ein anderer — schwerwiegenderer - Einwand hiergegen ist allerdings in der dargelegten umfangreichen Einzelregelung des Geringfügigkeitsprinzips zu sehen. Gerade aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber einige Fälle des Geringfügigkeitsprinzips ausdrücklich geregelt hat, könnte man im Umkehrschluß folgern, daß im übrigen der Geringfügigkeitsaspekt keine Geltung haben soll. Immerhin würden die bestehenden gesetzlichen Regelungen durch die Anerkennung eines generellen Rechtsgedankens nahezu überflüssig. Letztlich vermag aber auch dieser Einwand nicht zu überzeugen. Immerhin haben Rechtsprechung und Schrifttum über die bestehenden gesetzlichen Regelungen hinaus schon weitere Fälle einer Ausdehnung des Geringfügigkeitsprinzips vorgegeben, ohne daß diese mit Hinweis auf den angeblich abschließenden Charakter der ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen als unzulässig angesehen wurden. So ist einhellige Auffassung, daß eine „körperliche Mißhandlung" i. S. des § 223 I StGB nur dann vorliegt, wenn „das körperliche Wohlbefinden durch eine üble, unangemessene Behandlung mehr als unerheblich beeinträchtigt wird" 3 6 7 . Des weiteren wird eine Sachbeschädigung i. S. des § 303 I StGB erst dann angenommen, wenn „durch die Handlung die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit der Sache nicht nur geringfügig beeinträchtigt wird" 3 6 8 . Als letztes Beispiel für diese Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur sei auf den Tatbestand des § 142 StGB verwiesen. Insoweit ist allgemein anerkannt, daß von einem „Verkehrsunfall" dann nicht mehr gesprochen werden kann, wenn wegen der Geringfügigkeit des Schadens mit der Geltendmachung von Ersatzansprüchen vernünftigerweise nicht zu rechnen ist. Ein solcher geringfügiger Schaden wird heute etwa bis 40 D M anzunehmen sein 369 . Die dargelegten Fälle zeigen, daß die vorhandenen gesetzlichen Regelungen des Geringfügigkeitsprinzips keinesfalls als abschließende Sonderregelung zu verstehen sind. Vielmehr sind sie
367
S. etwa BGHSt. 25, 277; Lackner / Kühl § 223 Rdn. 4; Sch / Sch-Eser, § 223 Rdn. 3.
368
Vgl. Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 36 Rdn. 13.
369 So Dreher / Tröndle, § 142 Rdn. 11; Sch / Sch-Cramer, § 142 Rdn. 8. Demgegenüber zieht die überwiegende Rechtsprechung die untere Grenze noch immer zwischen 10 und 30 D M (vgl. etwa BayObLG, VRS 18, 197).
Β. Kritik und eigener Standpunkt
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gerade aufgrund der Tatsache, daß sie auf allen Ebenen des Verbrechenssystems Niederschlag gefunden haben, als Ausdruck eines allgemeinen Auslegungsprinzips zu begreifen 370. Zuletzt ist es denkbar, die Ausdehnung des Geringfügigkeitsprinzips mit dem Hinweis auf das bestehende Gesetzgebungsmonopol für unzulässig zu erklären. Immerhin werden durch die Ausweitung des Geringfügigkeitsaspekts die vom Gesetzgeber geschaffenen Verhaltensanordnungen wieder eingeschränkt. Dem ist auf der einen Seite zuzugeben, daß eine solche Relativierung der Verhaltensanordnungen insbesondere im Bereich der abstrakten Gefährdungsdelikte, zu deren Vorteilen gerade die Schaffung einer eindeutigen Verhaltensanweisung gezählt wird 3 7 1 , sinnwidrig erscheint. Auf der anderen Seite muß aber auch berücksichtigt werden, daß das erkennende Gericht bei der Anwendung eines abstrakten Gefährdungsdelikts — genau wie bei anderen Strafvorschriften — den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (als Bestandteil des in Art. 20 III, 2 I und 1 I GG verankerten Rechtsstaatsprinzips) zu beachten hat. Schließlich verpflichtet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht nur den Gesetzgeber, sondern alle staatliche Gewalt und damit auch die Rechtsprechung. Bedenkt man nunmehr, daß das Geringfügigkeitsprinzip wegen der Ausgrenzung von Minimalverstößen letztlich der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dient 372 , läßt dies nur folgende Schlußfolgerung zu: Die Entscheidung eines Gerichts kann nicht allein deswegen gegen das Gesetzgebungsmonopol verstoßen, weil das Gericht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Ausprägung des Geringfügigkeitsprinzips zugrunde gelegt hat. Damit sind alle denkbaren Einwände gegen eine Ausdehnung des Geringfügigkeitsprinzips als allgemeine Auslegungsregel widerlegt worden.
(3) Zur systematischen Einordnung des Geringfügigkeitsprinzips innerhalb der abstrakten Gefährdungsdelikte Zu klären bleibt nunmehr, auf welcher Stufe des Verbrechensaufbaus das Geringfügigkeitsprinzip als allgemeine Auslegungsregel einzuordnen ist. Innerhalb der abstrakten Gefährdungsdelikte — zu denen § 145 d StGB gehört —
370
Vgl. Ostendorf,
371
Vgl. hierzu die Ausführungen unter III. 3. a).
372
S. Kunz, Bagatellprinzip, S. 188 f.; Ostendorf,
GA 1982, 333 (340).
GA 1982, 333 (342).
10
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
drängt sich zum einen eine analoge Anwendung der Regelung des § 326 VI StGB auf: Wenn der Gesetzgeber für das abstrakte Gefährdungsdelikt des § 326 StGB eine ausdrückliche Regelung des Geringfügigkeitsprinzips geschaffen hat, liegt es nahe, diese Regelung auf andere abstrakte Gefährdungsdelikte entsprechend anzuwenden. Dies hätte zur Folge, daß das Geringfügigkeitsprinzip über eine analoge Anwendung des § 326 V I StGB als sachlicher Strafausschließungsgrund für alle abstrakten Gefährdungsdelikte — und damit auch für § 145 d StGB — gelten würde. Zum anderen besteht aber auch die Möglichkeit, das Geringfügigkeitsprinzip als notwendige Korrektur der Verhaltensanweisungen abstrakter Gefährdungsdelikte anzusehen und damit auf der Tatbestandsebene anzusiedeln. Diesen zwei Möglichkeiten soll im folgenden nachgegangen werden 373 .
(a) Zur analogen Anwendbarkeit des § 326 VI StGB als sachlicher Strafausschließungsgrund In § 326 V I StGB eine für alle abstrakten Gefährdungsdelikte geltende Regelung des Geringfügigkeitsprinzips zu sehen, erscheint schon deshalb sehr zweifelhaft, weil die Vorschrift als „insgesamt mißglückt" angesehen wird 3 7 4 . So wird bereits einhellig kritisiert, daß die Vorschrift in ihren Anwendungsmöglichkeiten sehr beschränkt ist, indem sie nur auf die „geringe Menge der Abfälle" abstellt und damit auf den größeren Teil der Tatbestandsalternativen des § 326 StGB gar nicht erst anwendbar ist. Die Ungefährlichkeit könne aber gerade auch auf andere gleichwertige Gründe zurückzuführen sein, wie z.B. den Ort der Abfallbeseitigung 375 . Schließlich wird auch bemängelt, daß das Kriterium der „geringen Menge der Abfälle" zu ungenau sei, da es tatsächlich nicht
373
Demgegenüber kommt eine Einordnung als allgemeine Prozeßmaxime schon deswegen nicht in Betracht, weil dadurch die bereits bestehenden Vorschriften der §§ 153, 153 a StPO unterlaufen würden. Auch eine Einordnung als allgemeine Strafzumessungsregelung scheidet mit Blick auf die schon vorhandenen Richtlinien des § 46 StGB aus. Schließlich kann das Geringfügigkeitsprinzip wegen des abschließenden Charakters der allgemein anerkannten Rechtfertigungsgründe nicht als selbständiger Rechtfertigungsgrund angesehen werden. 374
So ausdrücklich Triffterer, Umweltstrafrecht, S. 214; Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 107. Kritisch auch Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 10 f.; Laufhütte /Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 912 (960); Sch /Sch-Cramer, Vorbem. §§ 324 ff. Rdn. 10; Schittenhelm, GA 1983, 310 (318 f.). 375
S. zu dieser Kritik Berz, Tatbestandsverwiiklichung, S. 11; Sch / Sch-Lenckner, § 326 Rdn. 17; Schittenhelm, GA 1983, 310 (319); Triffterer, Umweltstrafrecht, S. 215.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
11
um die Menge des Abfalls, sondern ausschließlich um die Menge der im Abfall enthaltenen Schadstoffe gehe 376 . So könne es keinen Unterschied machen, wenn ein Behälter, der einen geringen Rest eines selbstentzündlichen Stoffes enthalte, als Teil einer größeren, ansonsten aber ungefährlichen Schrottmenge oder als einzelner „Abfall" beseitigt werde 377 . Aber auch im übrigen herrscht Unklarheit über die Vorschrift des § 326 V I StGB. So ist insbesondere umstritten, welche Schlußfolgerungen aus dem Bestehen der Vorschrift für die Auslegung anderer abstrakter Gefährdungsdelikte zu ziehen sind. Teilweise wird der Vorschrift, soweit sie nicht für überflüssig gehalten wird 3 7 8 , entnommen, daß sie einer Reduktion abstrakter Gefährdungsdelikte bei erwiesener Ungefährlichkeit der Handlung eine Absage erteilt habe 379 . Es wird aber auch die Ansicht vertreten, daß § 326 V I StGB die Notwendigkeit einer solchen Einschränkung bestätigt habe 380 . Einer solchen Aussagekraft des § 326 V I StGB im Hinblick auf allgemeine Fragen abstrakter Gefährdungsdelikte dürfte aber schon entscheidend entgegenstehen, daß sich die Regelung im Bereich der Umweltschutzdelikte befindet, also in einem engen Sonderbereich des StGB und nicht etwa in einem Kernbereich (z.B. §§ 306 ff. StGB) 381 . Darüber hinaus ist zu beachten, daß § 326 V I StGB noch nicht einmal im Bereich der Umweltschutzdelikte durchgängig gilt 3 8 2 . So ist die Vorschrift etwa nicht entsprechend auf den Fall des § 325 StGB anzuwenden, obgleich diese Vorschrift ebenfalls zu den abstrakten Gefährdungsdelikten gerechnet wird 3 8 3 . Es ist daher davon auszugehen, daß die Vorschrift des § 326 V I StGB nur einen klar abgegrenzten Teilbereich innerhalb des § 326 StGB regelt. Die Vorschrift ist damit keinesfalls verallgemeinerungsfähig, und zwar erst recht nicht hinsichtlich abstrakter Gefährdungstatbestände außerhalb des Umweltstrafrechts. Im Ergebnis dürfte die Vorschrift da-
376
Vgl. Schittenhelm, GA 1983, 310 (319).
377
S. Schittenhelm,, G A 1983, 310 (319).
378
Vgl. Triffterer,
379
Vgl. Lackner / Kühl, § 326 Rdn. 12; Laufhütte / Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 912 (960).
Umweltstrafrecht, S. 215.
380
Vgl. Maurach /Schroeder
381
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 10.
/Maiwald,
BT 2, § 50 Rdn. 49.
382
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 10.
383
Vgl. hierzu nur Sch / Sch-Stree, § 325 Rdn. 1.
1
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
her für die allgemeinen Fragen abstrakter Gefährdungsdelikte weder eine Absage noch eine Bestätigung bedeuten384. Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß über die Vorschrift des § 326 V I StGB nicht nur hinsichtlich ihres eigenen Anwendungsbereichs innerhalb des § 326 StGB Unklarheit besteht, sondern auch hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Auslegung anderer abstrakter Gefährdungsdelikte. Angesichts der insoweit vorgetragenen Bedenken kann die Vorschrift nicht als Grundlage eines allgemeinen Geringfügigkeitsprinzips angesehen und damit auch nicht entsprechend auf andere abstrakte Gefährdungsdelikte angewendet werden.
(b) Das Geringfügigkeitsprinzip als tatbestandliche Auslegungsregel Damit ist deutlich geworden, daß das Geringfügigkeitsprinzip als allgemeine Auslegungsregelung allein auf der Ebene des Tatbestands anzusiedeln ist 385 . Geringfügige Rechtsgutverletzugen sind also nicht tatbestandsmäßig und damit aus dem Bereich strafbaren Verhaltens auszuklammern. Fraglich ist allerdings nunmehr, wie dieser Tatbestandsausschluß rechtlich einzuordnen ist. Zum einen könnte es sich hierbei um einen Anwendungsfall der „Lehre von der sozialen Adäquanz", zum anderen um einen Unterfall teleologischer Reduktion handeln. Grundgedanke der Lehre von der sozialen Adäquanz ist, daß Handlungen, die sich „innerhalb der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen" 386 , die also sozialadäquat sind, niemals einem Tatbestand unterfallen, selbst wenn man sie nach dem Gesetzeswortlaut darunter fassen könnte. Begründet wird dies damit, daß der „Tatbestand Vertypung strafrechtlichen Unrechts" sei und daher niemals sozialadäquate Handlungen umfassen könne 387 . So soll beispielsweise die Hingabe eines kleinen Neujahrsgeschenks an den Briefträger wegen ihrer allgemeinen Billigung nicht unter den Tatbestand des § 331 StGB fallen 388 .
384
So Schittenhelm, GA 1983, 310 (319); Martin, Umweltbeeinträchtigungen, S. 106 Fn. 320.
385
So auch die grundlegende Entscheidung des OLG Hamm, NJW 1980, 2537; ferner Maurach/Zipf AT 1, § 13 Rdn. 18; Ostendorf.\ GA 1982, 333 (343); Roxin., AT, § 10 Rdn. 40. 386
So Welzel, S. 55 f., der diese Lehre entwickelt hat.
387
Der „Lehre von der Sozialadäquanz" als Fall der Tatbestandsausschließung folgen z.B. Jescheck,, AT, § 25 IV; Maurach / Zipf,\ AT 1, § 17 Rdn. 14 ff.; Dreher / Tröndle, Vor § 32 Rdn. 12. 388
Vgl. nur Welzel, S. 56; Jescheck., AT, § 25 IV.
Β. Kritik und eigener Standpunkt
1
Hiervon ausgehend könnte man nunmehr das Geringfiigigkeitsprinzip als einen Anwendungsfall der Lehre von der sozialen Adäquanz ansehen, indem man geringfügige Rechtsgutbeeinträchtigungen als noch allgemein toleriertes Verhalten ansieht 389 . Dagegen erheben sich allerdings mehrere Einwände. Zum einen bleibt die Entscheidung über die Straflosigkeit des Täters danach dem bloßen Rechtsgefühl überlassen. Hiermit geht wiederum die Gefahr einher, daß allgemein verbreitete Mißbräuche mit der Zeit für tatbestandslos erklärt werden 390 . Zum anderen gelingt es bei Zugrundelegung der Lehre von der Sozialadäquanz nicht, das geschützte Rechtsgut der jeweiligen Strafvorschrift hinreichend zu berücksichtigen. Kennzeichend für das Geringfügigkeitsprinzip ist aber doch gerade die Frage danach, inwieweit das geschützte Rechtsgut mehr als nur geringfügig beeinträchtigt ist. Der eigentliche Grund für den Ausschluß der Geringfügigkeitsfälle liegt also darin, daß das jeweils geschützte Rechtsgut durch die Handlung nicht verletzt wird und deswegen die Tat nicht gegen das aufgestellte Verbot verstößt. So scheidet beispielsweise das Neujahrsgeschenk an den Briefträger deshalb aus dem Tatbestand des § 331 StGB aus, weil dieses kleine Geschenk weder das Amtsethos der Beamtenschaft noch das Vertrauen der Bevölkerung in die Reinheit der Amtsführung und damit auch nicht die Funktionsfähigkeit der Verwaltung gefährden kann, die durch §§331 ff. StGB geschützt werden. Mithin muß sich die Lösung der Frage, auf welche Weise das Geringfügigkeitsprinzip den Tatbestand einer Strafvorschrift einzuschränken vermag, am geschützten Rechtsgut orientieren. Dies vermag die Lehre von der Sozialadäquanz nicht zu leisten 391 . Für eine rechtsgutorientierte Lösung bietet sich nunmehr die teleologische Auslegungsmethode an 392 . Diese Auslegungsmethode richtet sich strikt nach dem geschützten Rechtsgut aus und trägt damit letztlich auch wieder der eigentlichen Aufgabe des Strafrechts — dem Schutz von Rechtsgütern — Rechnung. Der Vorzug einer solchen, streng am Rechtsgut ausgerichteten Auslegung be-
389 Das OLG Hamm (NJW 1980, 2537) hat die Rückführbarkeit des Geringfügigkeitsprinzips auf die Lehre von der Sozialadäquanz ausdrücklich dahinstehen lassen. 390
So Roxin,, AT, § 10 Rdn. 41; kritisch auch Ostendorf,\
GA 1982, 333 (344).
391
Hinzuweisen bleibt darauf, daß die Lehre von der Sozialadäquanz teilweise bereits für überflüssig und als ein Unterfall der teleologischen Auslegung angesehen wird; vgl. Sch / Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 70. 392 Eine solche Lösung befürworten Maurach / Zipf\ AT 1, § 13 Rdn. 18; Ostendorf, G A 1982, 333 (344 f.); Roxin, AT, § 10 Rdn. 41; Sch / Sch-Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 70 a.
1
2. Teil: Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB
steht im übrigen darin, daß deutlich gemacht werden kann, warum einige Geringfügigkeiten durchaus unter den Tatbestand einer Strafvorschrift fallen können^ So etwa bei dem Diebstahl geringfügiger Gegenstände, denn auch in diesem Fall werden Eigentum und Gewahrsam als geschützte Rechtsgüter bereits verletzt 393 .
(4) Ergebnis Mithin kann die Ausscheidung von Minimalverstößen grundsätzlich — und damit auch innerhalb der abstrakten Gefährdungsdelikte — allein über das Geringfügigkeitsprinzip als Unterfall der teleologischen Reduktion eines Straftatbestands erfolgen. Für die Ausgrenzung solcher Verstöße aus dem Anwendungsbereich des § 145 d StGB bedeutet dies, daß keine allgemeine Aussage darüber getroffen werden kann, wann das tatbestandliche Verhalten aufgrund etwaiger geringfügiger Auswirkungen auf die geschützten Rechtsgüter von der Strafbarkeit auszuschließen ist. Es bedarf vielmehr einer am Einzelfall ausgerichteten Untersuchung, die jeweils die teleologischen Gesichtspunkte berücksichtigt. Dies kann erst im Rahmen der Auseinandersetzung mit den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 145 d StGB erfolgen.
C. Zusammenfassung zum 2. Teil Die Untersuchungen zur Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Vorschrift zwar zu den schlichten Tätigkeitsdelikten, nicht aber zu den unechten Unternehmensdelikten gezählt werden kann. § 145 d StGB ist ferner innerhalb der Gefährdungsdelikte zu den abstrakten Gefährdungsdelikten mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut" zu rechnen. Das „vergeistigte Zwischenrechtsgut" ist das behördliche Arbeitspotential als einheitliches Rechtsgut aller Tatbestandsalternativen, während die Strafrechtspflege das „Endrechtsgut" der jeweiligen Nr. 1 bzw. die Präventivtätigkeit staatlicher Organe das „Endrechtsgut" der jeweiligen Nr. 2 der Vorschrift darstellen. Ein tatbestandsmäßiges Verhalten ist hiervon ausgehend zu bejahen, sofern nur das gemeinsame „Zwischenrechtsgut" des behördlichen Arbeitspoten-
393 Demgegenüber kommt es bei anderen Rechtsgütern auf eine gewisse Intensität der Beeinträchtigung an; vgl. hierzu Roxin, AT, § 10 Rdn. 41.
C. Zusammenfassung zum 2. Teil
125
tials durch eine Täuschungshandlung i. S. des § 145 d StGB angegriffen wird. Eine Strafbarkeitseinschränkung wegen erwiesener Ungefährlichkeit der konkreten Handlung ist dabei grundsätzlich ausgeschlossen, weil das behördliche Arbeitspotential genauso wie die Strafrechtspflege bzw. die staatliche Präventivtätigkeit überindividuelle Rechtsgüter darstellen, welche durch eine einzelne Handlung überhaupt nicht meßbar beeinträchtigt werden können. Hinzu kommt, daß es im Rahmen des § 145 d StGB zur Vermeidung von Kumulations- und Summationseffekten gerade darum geht, auch solche Handlungen zu bestrafen, die für sich allein gesehen gar nicht zu einer Verletzung führen können. Eine Ausnahme gilt mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur in den Fällen sog. Minimalverstöße. Die Ausscheidung dieser Fälle erfolgt allein über die Grundsätze des Geringfügigkeitsprinzips als Unterfall der teleologischen Auslegung eines Straftatbestands.
Dritter
Teil
Auslegung des § 145 d StGB unter Berücksichtigung seiner Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt Im folgenden ist nunmehr zu untersuchen, inwieweit die Einordnung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt (in Form eines Delikts mit „vergeistigtem Zwischenrechtsgut") eine sachgerechte und einheitliche Lösung der einzelnen Tatbestandsprobleme ermöglicht. Der Gang der Untersuchung richtet sich dabei nach dem allgemeinen Aufbau der Straftat.
A. Der objektive Tatbestand I. Der geschützte Adressatenkreis („Behörde oder zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle") Adressat der Täuschungshandlung ist — für alle Tathandlungen des § 145 d StGB 1 - eine Behörde oder eine zur Entgegennahme von Anzeigen zuständige Stelle. Unter einer „Behörde" wird dabei zunächst ein ständiges, in das Gefüge der staatlichen Verwaltung eingeordnetes Organ verstanden, welches berufen ist, mit einer gewissen Selbständigkeit unter öffentlicher Autorität für die Erreichung von Staatszwecken tätig zu sein und zugleich eine vom Wechsel und Wegfall von Personen unabhängige organisatorische Einheit bildet 2 . Zu den „zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stellen" sind gem. § 158 StPO vor allem die Dienststellen der Staatsanwaltschaft und der Polizei zu rechnen. Soweit es um die Bestimmung des geschützten Adressatenkreises geht, hat die Tatsache, daß die Vorschrift als abstraktes Gefährdungsdelikt einzuordnen ist, grundsätzlich keine Bedeutung. Dies folgt daraus, daß mit der Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt zwar ein absolutes Lügeverbot gegenüber „Behörden oder zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stellen" normiert wird,
1
Vgl. dazu AK-Schild,
2
Vgl. AK-Schild,
§ 145 d Rdn. 12; Dreher / Tröndle,
§ 145 d Rdn. 13; SK-Rudolphi,
§ 145 d Rdn. 4.
§ 145 d Rdn. 3.
Α. Der objektive Tatbestand
127
damit aber noch keine Aussage über die tatsächliche Zugehörigkeit zu diesem Adressatenkreis möglich ist. So kann beispielsweise aus der Einstufung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt weder im positiven noch im negativen Sinn eine Schlußfolgerung für die (strittige) Frage gezogen werden, ob selbst parlamentarische Untersuchungsausschüsse zu den geschützten Adressaten zu zählen sind3 oder nicht4. Von Bedeutung wird die Einordnung als abstraktes Gefahrdungsdelikt erst, wenn man die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zum geschützten Adressatenkreis rechnet, weil dann feststeht, daß ihnen gegenüber grundsätzlich jede Form der Täuschung über das Vorliegen von Straftaten strafbar ist 5 . Aber auch für die strittige Frage, ob behördeninterne Täuschungen vom Tatbestand des § 145 d StGB erfaßt werden 6, spielt die Tatbestandsstruktur der Vorschrift keine Rolle. Die Beantwortung dieser Frage hängt vielmehr allein davon ab, ob man zum Schutz des behördlichen Arbeitspotentials auf die Täuschung eines einzelnen Beamten abstellt (dann würden behördeninterne Täuschungen erfaßt) 7 oder ob sich die Täuschungshandlung gegen die ganze Behörde richten muß (dann muß das Wissen des einzelnen Behördenvertreters als das Wissen der gesamten Behörden angenommen werden mit der Folge, daß behördeninterne Täuschungen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausscheiden)8. Entscheidend ist demnach, ob das behördliche Arbeitspotential nur vor Angriffen Dritter oder auch vor organinternen Fehlentscheidungen geschützt werden soll. Ausschlaggebend für eine Streitentscheidung im erstgenannten Sinn dürfte die Erwägung sein, daß mit einer Ausdehnung des § 145 d StGB eine strafrechtlichen Kontrolle der Effizienz behördeninternen Verhaltens einhergehen würde, der Gesetzgeber aber eine solche Kontrolle ausdrücklich — und wohl auch abschließend — den Regelungen der §§ 258 a, 344 StGB zugewiesen hat. Der Tatbestandsstruktur
3 So Lackner/Kühl, § 145 d Rdn. 2; LK-Willms, § 145 d Rdn. 4; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 4. 4
Ablehnend Dreher / Tröndle,
10. Aufl., § 145 d Rdn. 4; Sch/Sch-Stree,
§ 145 d Rdn. 4.
5
Letztendlich ist diese Streitfrage allerdings wenig bedeutsam, da mit der Vortäuschung einer Straftat gegenüber einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß der Sachverhalt regelmäßig auch zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangen und der Täter sich diesen Erfolg ebenfalls vorgestellt haben wird; vgl. LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 4. 6 Aufgeworfen wurde diese Streitfrage durch die sog. „Celler Aktion". Die überwiegende Meinung geht davon aus, daß behördeninterne Täuschungen den Tatbestand des § 145 d StGB nicht erfüllen; vgl. etwa Kühne, JuS 1987, 188 (190 f.). A.A. Velten, StV 1987, 544 (550). 7
So Velten, StV 1987, 544 (550).
8
Vgl. beispielsweise Kühne, JuS 1987, 188 (190).
128
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
des § 145 d StGB kommt jedenfalls bei diesen Erwägungen keine Bedeutung zu. Ausnahmsweise kann die Tatsache, daß § 145 d StGB zu den abstrakten Gefährdungsdelikten zählt, aber dennoch für einige Fragen im Zusammenhang mit dem geschützten Adressatenkreis von Bedeutung werden.
1. Täuschungen gegenüber Behörden, die nicht zur Verfolgung oder Verhinderung von Straftaten berufen sind Dies soll zunächst anhand der Frage verdeutlicht werden, ob sich auch derjenige nach § 145 d StGB strafbar machen kann, der die Begehung einer Straftat gegenüber einer Behörde vortäuscht, die selbst nicht zur Verfolgung bzw. Verhinderung von Straftaten berufen ist (Beispiel9: Vortäuschen eines Überfalls gegenüber der für die Erteilung eines Waffenscheins zuständigen Behörde). Sicherlich sind solche Fälle wenig praxisrelevant, da der Täter zur Glaubhaftmachung des Geschehens regelmäßig zuvor Anzeige bei der Polizei erheben wird. Im Schrifttum finden sich gleichwohl verschiedene Rechtsansichten zur Behandlung solcher Fälle. Zunächst wird die Meinung vertreten, die konkret angegangene Behörde müsse in jedem Fall dazu berufen 10 bzw. sogar verpflichtet 11 sein, die Verdächtigung an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Begründet wird dies damit, daß nur in diesem Fall die Gefahr einer unnötigen Inanspruchnahme staatlicher Ermittlungstätigkeit bestehe12. Nach der gegenteiligen Ansicht ist eine solche Einschränkung abzulehnen, da die Strafbarkeit des Täters nicht von dem mehr oder weniger zufälligen Vorhandensein einer besonderen Weisung zur Weitergabe von Anzeigen an das zuständige Strafverfolgungsorgan etc. abhängig sein dürfe 13. Die Auslegung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt spricht aus folgendem Grund für die letztgenannte Ansicht: In der Praxis wird jede staatliche Behörde — auch ohne ausdrückliche Anweisung — das zuständige Strafverfolgungsorgan etc. über ihr mitgeteilte strafrechtlich relevante Sachverhalte unterrichten. Jedenfalls kann die Möglichkeit einer solchen Mitteilung an die
9 10
S. hierzu LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 1; SK-Rudolphi,
§ 145 d Rdn. 3.
Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 5.
11
So AK-Schild,
12
Vgl. SK-Rudolphi,
13
So LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 5.
§ 145 d Rdn. 13; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 3.
§ 145 d Rdn. 3.
Α. Der objektive Tatbestand
129
zuständige Behörde, die dann gegebenenfalls unnötige Ermittlungsmaßnahmen einleiten wird, nicht schlechterdings ausgeschlossen werden. Insoweit ist auch zu bedenken, daß der Täter nach Schilderung des täuschenden Sachverhalts keinen Einfluß mehr auf das weitere behördliche Tätigwerden hat. Mit der Auslegung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt soll aber gerade jede Möglichkeit der Verschwendung behördlicher Ermittlungstätigkeit als Folge einer Deliktsvortäuschung ausgeschlossen werden. Mithin ist bereits die Täuschung gegenüber einer Behörde, die selbst nicht zur Verfolgung oder Verhinderung von Straftaten berufen ist, als tatbestandsmäßig anzusehen. Das Erfordernis einer ausdrücklichen Weisung oder sogar Verpflichtung der Behörde zur Weitergabe von Mitteilungen würde § 145 d StGB demgegenüber in die Nähe eines konkreten Gefährdungsdelikts rücken.
2. Das Vortäuschen einer Straftat im Ausland Durchaus praxisrelevanter sind demgegenüber die Fälle, in denen ein deutscher Täter eine Straftat im Ausland vortäuscht. In Rechtsprechung und Literatur wird einhellig die Ansicht vertreten, daß derjenige, der gegenüber einer ausländischen Behörde eine Straftat vortäuscht, nicht nach § 145 d StGB strafbar ist 14 . Dies soll selbst für den Fall gelten, daß die ausländische Behörde, bei der der deutsche Täter eine Straftat vorgetäuscht hat, deutsche Behörden in die Ermittlungen einschaltet15. Der dargelegten Ansicht ist zunächst zuzugeben, daß der Straftatbestand des § 145 d StGB jedenfalls dann nicht eingreift, wenn der deutsche Täter einer ausländischen Behörde gegenüber eine Strafai vortäuscht und die daraufhin eingeleiteten (unnötigen) Ermittlungsmaßnahmen ausschließlich von dieser ausländischen Behörde ausgehen. Zwar gilt das deutsche Strafrecht gem. § 7 I I Nr. 1 StGB auch für Taten, die im Ausland begangen worden sind, wenn die Tat
14 BGH, NStZ 1984, 360 (361); OLG Düsseldorf, JR 1983, 75; AK-Schild, § 145 d Rdn. 13; Bottke, JR 1983, 76; LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 4; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 4; SKRudolphi, § 145 d Rdn. 3. 15
Vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1982, 1546; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 4; s. auch AK-Schild, § 145 d Rdn. 13 (a.E.) sowie SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 21, die dem nur hinsichtlich der jeweiligen Nr. 1 des § 145 d StGB zustimmen wollen. 9 Saal
130
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
am Tatort mit Strafe bedroht ist 16 und der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war; ergibt sich jedoch aus der Auslegung des betreffenden Straftatbestands, daß er nur Rechtsgüter schützen will, die dem inländischen Schutzbereich angehören, findet er auf Taten, die nicht in diesen eigenen Schutzbereich eingreifen, selbst dann keine Anwendung, wenn im übrigen ein Anknüpfungspunkt i. S. der §§ 3 ff. StGB gegeben ist 17 . § 145 d StGB dient dem Schutz des behördlichen Arbeitspotentials im Hinblick auf eine funktionierende Strafrechtspflege bzw. staatliche Präventivtätigkeit. Damit schützt die Vorschrift ausschließlich Rechtsgüter der Allgemeinheit. In einem solchen Fall gilt der Grundsatz, daß die Vorschrift auf den innerstaatlichen Bereich zu beschränken ist. Das deutsche Strafrecht ist schließlich nicht dazu berufen, ausländische Staatseinrichtungen und deren Interessen zu schützen18. Zweifelhaft ist allerdings, ob dem Ausschluß der Strafbarkeit nach § 145 d StGB auch in den Fällen zuzustimmen ist, in denen die getäuschte ausländische Behörde nicht allein tätig wird, sondern deutsche Behörden einschaltet. Dann kann bereits nicht mehr davon gesprochen werden, daß ausschließlich ausländische Interessen betroffen sind. Ausschlaggebend für die Behandlung dieser Fälle dürfte allerdings der Gesichtspunkt sein, daß § 145 d StGB aufgrund seiner Tatbestandsstuktur (abstraktes Gefährdungsdelikt) jede Form der Täuschung verbietet, die zur Kenntnis inländischer Behörden bzw. zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stellen gelangt. Dementsprechend sind zwar nicht alle Täuschungshandlungen gegenüber ausländischen Behörden tatbestandsmäßig, wohl aber solche, in denen der vorgetäuschte Sachverhalt dadurch zur Kenntnis inländischer Behörden etc. gelangt, daß diese von der ausländischen Behörde eingeschaltet werden. Insoweit handelt es sich dann um einen Fall mittelbarer Täterschaft, in dem die ausländische Behörde als Werkzeug fungiert, das aufgrund der fehlenden Kenntnis von der Unwahrheit des vor-
16
Vgl. insoweit beispielsweise Art. 188 des niederländischen Strafgesetzbuchs („Wetboek van Strafrecht") als einen dem § 145 d StGB entsprechenden Straftatbestand. 17 Vgl. hierzu BGHSt. 21, 277 (280); OLG Karlsruhe, NJW 1985, 2905; Bottke, JR 1983, 76; Sch / Sch-Eser, Vorbem. §§ 3-7 Rdn. 13. 18 Vgl. BGHSt. 21, 277 (280); BGH, NStZ 1984, 360 (361); OLG Düsseldorf, JR 1983, 75; Bottke, JR 1983, 76.
Α. Der objektive Tatbestand
131
getäuschten Sachverhalts nicht tatbestandsmäßig handelt19. Selbstverständlich kommt es für die Strafbarkeit des Täters nach § 145 d StGB dann auch darauf an, daß er hinsichtlich der Kenntniserlangung des täuschenden Sachverhalts durch die deutsche Behörde etc. zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hat. Der Täter muß also in jedem Fall damit gerechnet haben, daß die ausländische Behörde sich mit den entsprechenden deutschen Dienststellen in Verbindung setzen wird. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, ob der Täter auch mit der Einleitung unnötiger Ermittlungsmaßnahmen durch die deutsche Behörde rechnet. Mit der Einordnung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt soll eine derartige Gefahrenbeurteilung aus Sicht des Täters wegen ihrer Irrtumsanfälligkeit gerade ausgeschlossen werden. Festzuhalten ist damit, daß der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht darin zugestimmt werden kann, daß Täuschungen gegenüber einer ausländischen Behörde selbst dann nicht tatbestandsmäßig sind, wenn die ausländische Behörde deutsche Behörden in die Ermittlungen einschaltet20.
3. Ergebnis In bestimmten Ausnahmefällen ist die Einordnung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt bereits für Fragen in Zusammenhang mit dem geschützten Adressatenkreis von Bedeutung. So zählen auch solche Behörden zu den tauglichen Adressaten einer Täuschungshandlung, die selbst nicht zur Strafverfolgung bzw. -Verhinderung berufen sind. Des weiteren steht fest, daß ausländische Behörden zwar nicht zum geschützten Adressatenkreis gehören, eine tatbestandsmäßige Täuschungshandlung gleichwohl anzunehmen ist, sobald eine getäuschte ausländische Behörde deutsche Behörden in die Ermittlungen einschaltet.
19 Für die vorliegende Untersuchung kann dahingestellt bleiben, ob sich der Strafbarkeitsmangel des Werkzeugs erst aus einem Mangel im subjektiven Tatbestand ergibt (kein Täuschungsvorsatz bzw. jedenfalls kein Handeln „wider besseren Wissens") oder schon aus dem Fehlen eines objektiv tatbestandsmäßigen Handelns. Immerhin enthält jede Täuschungshandlung — als ein auf die Herbeiführung eines Irrtums gerichtetes Verhalten — eine finale Komponente. Das Fehlen des „Täuschungsvorsatzes" kann daher durchaus bereits im objektiven Tatbestand Berücksichtigung finden. 20 Für die jeweilige Nr. 2 des § 145 d StGB wird dies immerhin anerkannt von AK-Schild, § 145 d Rdn. 13 und SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 21.
*
132
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
I I . Der Gegenstand der Täuschungshandlung („rechtswidrige Tat") Gegenstand der Täuschungshandlung ist — und zwar wiederum für alle Tatbestandsalternativen des § 145 d StGB — eine „rechtswidrige Tat". Fraglich ist, wie dieser Begriff, der erst mit Entstehung des EGStGB Einzug in das StGB gefunden hat und den bis dahin in § 145 d StGB verwendeten Begriff der „Straftat" ersetzte 21, im einzelnen auszulegen ist 22 .
1. Der Begriff der „rechtswidrigen Tat" Ausgangspunkt für die Auslegung des Begriffs muß zunächst die Regelung des § 11 Nr. 5 StGB sein. Danach ist eine „rechtswidrige Tat" im Sinne des StGB nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht. Aus dieser gesetzlichen Regelung ist zunächst unzweifelhaft zu folgern, daß dort, wo das StGB den Begriff der ,»rechtswidrigen Tat" verwendet, ausschließlich s traf rechtswidrige y nicht aber außerstrafrechtliche rechtswidrige Handlungen (zivilrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Natur) gemeint sind. Dies ist für § 145 d StGB 23 schon deshalb von besonderer Bedeutung, weil damit feststeht, daß die Vortäuschung nichtstrafrechtlicher Rechtsverletzungen oder Ordnungsverstöße (z.B. unerlaubte Handlungen, Disziplinarvergehen, Ordnungswidrigkeiten) keinesfalls tatbestandsmäßig sein kann 24 . Fraglich ist nunmehr, inwieweit der Begriff darüber hinaus einen Teilausschnitt der umfassenderen vollstrafbaren (d.h. tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften) Tat kennzeichnet. Die Regelung des § 11 Nr. 5 StGB
21
Vgl. hierzu Achenbach, MDR 1975, 19 (20).
22
Auf die spezielle Problematik, ob im Rahmen des § 145 d I I Nr. 1 StGB die „rechtswidrige Tat" wirklich begangen sein muß oder ob insoweit die irrige Annahme des Täters genügt, soll an dieser Stelle noch nicht eingegangen werden. Vgl. hierzu die Ausführungen unter III. 2. a). 23 24
Das gilt ebenfalls für § 164 StGB.
Vgl. OLG Frankfurt, NJW 1975, 1895 (1896); Sch / Sch-Eser, § 11 Rdn. 41, § 145 d Rdn. 7; Krey, BT 1, Rdn. 604. Einigkeit besteht heute auch darüber, daß eine Änderung der Rechtslage nach einer Täuschungshandlung unerheblich ist. Wird also nach der Täuschung aus einer Straftat eine Ordnungswidrigkeit, bleibt die Strafbarkeit des Täters nach § 145 d StGB hiervon unberührt. Abzustellen ist also allein auf den Zeitpunkt der Tatbegehung und nicht etwa der gerichtlichen Entscheidung; vgl. AK-Schild, § 145 d Rdn. 15; Dreher/Tröndle, § 145 d Rdn. 5; Sch/ Sch-Stree, § 145 d Rdn. 20; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 6; a.A. noch OLG Düsseldorf, NJW 1969, 1679 (1680).
Α. Der objektive Tatbestand
133
enthält insofern nur noch die positive Aussage, daß für die ,»rechtswidrige Tat" jedenfalls eine (strafltatbestandsmäßige Handlung zu fordern ist. Mindestvoraussetzung für eine Täuschungshandlung i. S. des § 145 d StGB ist damit, daß der vom Täter vorgetäuschte Sachverhalt — seine Richtigkeit unterstellt — den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Nach dem Wortlaut des § 11 Nr. 5 StGB bleibt allerdings offen, ob für die Annahme einer „rechtswidrigen Tat" zudem ein rechtswidriges bzw. sogar schuldhaftes Verhalten erforderlich ist. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift läßt keinen eindeutigen Schluß darauf zu, inwieweit der Begriff neben der Tatbestandsmäßigkeit auch die Rechtswidrigkeit oder Schuld der Tat voraussetzt. Dies folgt daraus, daß der Gesetzgeber mit einer gesetzlichen Begriffsfixierung in § 11 Nr. 5 StGB eine gleichzeitige gesetzliche Festlegung auf die umstrittenen allgemeinen Begriffe der Verbrechenslehre (Handlung, Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld) und damit eine Stellungnahme zugunsten einer bestimmten Verbrechenslehre vermeiden wollte. Aus diesem Grund wurde immerhin auch die in § I I I Nr. 2 E 1962 vorgesehene Definition der „rechtswidrigen Tat" als „rechtswidrige Handlung, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, auch wenn sie nicht schuldhaft begangen ist" nicht übernommen 25. Diese gesetzgeberische Zurückhaltung offenbart, daß allein § 11 Nr. 5 StGB keine Aussage darüber entnommen werden kann, inwiefern der Begriff der „rechtswidrigen Tat" tatsächlich einen Teilausschnitt der vollstrafbaren Tat darstellt. Dementsprechend wird auch überwiegend angenommen, § 11 Nr. 5 StGB enthalte keine gesetzliche Definition des Begriffs der ,»rechtswidrigen Tat", sondern eben nur die Klarstellung, daß keinesfalls außerstrafrechtliche Taten gemeint seien26. Teilweise wird allerdings die Auffassung vertreten, entsprechende Schlußfolgerungen seien anhand einer Gesamtbetrachtung der Vorschriften möglich, in denen der Begriff der „rechtswidrigen Tat" verwendet werde 27. Insoweit wird insbesondere auf die Regelung des entschuldigenden Notstands in § 35 StGB verwiesen. Für den entschuldigenden Notstand bestünde nur dann ein Bedürfnis, wenn die zu entschuldigende Tat nicht nur tatbestandsmäßig, sondern mangels
25
Vgl. hierzu LK -Tröndle, 10. Aufl., § 11 Rdn. 64 m.w.Nachw. Der StGB-E 1962 hatte zudem den Begriff der „Straftat" als „eine rechtswidrige und schuldhafte Handlung, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht" definiert (§ 11 I Nr. 1 E StGB). Der Begriff der „Tat" sollte hingegen im technischen Sinne nur so gebraucht werden, daß darunter allein die tatbestandsmäßige Handlung fallt ohne Rücksicht auf Rechtswidrigkeit und Schuld. 26 So ausdrücklich SK-Samson, § 11 Rdn. 22 sowie LK-Tröndle, 10. Aufl., § 11 Rdn. 63; ähnlich Sch / Sch-Eser, § 11 Rdn. 40 („Formalabgrenzung"). 27
Vgl. L K-Tröndle,
10. Aufl., § 11 Rdn. 66; Sch / Sch-Eser, § 11 Rdn. 42.
134
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
Eingreifens eines Rechtfertigungsgrundes auch rechtswidrig sei. Aus der Verwendung des Begriffs der „rechtswidrigen Tat" in § 35 StGB sei daher zu folgern, daß jedenfalls eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige, nicht aber schuldhafte Tat vorausgesetzt werde. Da eine entsprechende Auslegung auch in anderen Vorschriften (z.B. § 12 StGB oder §§ 63 ff. StGB) zwingend geboten sei, könne insgesamt ein solches Verständnis vom Begriff der „rechtswidrigen Tat" zugrunde gelegt werden 28. Hiervon ausgehend wäre demnach für § 145 d StGB zu fordern, daß die Täuschungshandlung des Täters eine tatbestandsmäßigrechtswidrige, nicht aber notwendig schuldhafte Tat zum Gegenstand hat. Es erheben sich allerdings Bedenken dagegen, die für § 35 StGB oder §§63 ff. StGB sicherlich zutreffende Auslegung des Begriffs der,»rechtswidrigen Tat" auch im Rahmen aller anderen Vorschriften, die diesen Begriff verwenden, ohne weiteres zugrunde zu legen. Eine solche Vorgehensweise würde nämlich voraussetzen, daß die zu § 35 StGB usw. gefundenen Erkenntnisse mit Sinn und Zweck der übrigen Vorschriften übereinstimmen. Ein solcher Nachweis wird jedoch von keinem der Autoren, die eine Übertragbarkeit des zu § 35 StGB usw. gefundenen Ergebnis befürworten, erbracht. Es wird vielmehr unterstellt, daß „nach dem Zweck der sich auf eine rechtswidrige Tat beziehenden Normen" eine entsprechende Auslegung geboten sei 29 . Eine solche pauschale Behauptung ist schlicht unzulässig. Es bedarf statt dessen einer auf den Einzelfall abgestimmten Untersuchung, inwieweit die Verwendung des Begriffs der „rechtswidrigen Tat" nach Sinn und Zweck einer Vorschrift einen Teilausschnitt der vollstrafbaren Tat kennzeichnet. Folglich kommt es auch für die Auslegung des Begriffs der „rechtswidrigen Tat" i. S. des § 145 d StGB entscheidend darauf an, der ratio der Vorschrift — die Vermeidung unnötiger Ermittlungstätigkeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung bzw. -Verhinderung — Rechnung zu tragen. Dabei ist die Einordnung der Vorschrift als abstraktes Gefährdungsdelikt wegen der damit verbundenen Aussage, jede Möglichkeit eines täuschungsbedingten Fehleinsatzes zu verhindern, stets zu berücksichtigen. Vorzunehmen ist die Untersuchung anhand der Fälle, in denen der Täter über das Vorhandensein von außerhalb der Tatbestandsmäßigkeit liegenden Voraussetzungen täuscht. Insoweit soll wiederum zwischen der Täuschung über Recht-
28 So Achenbach, MDR 1975,19 (20); LK-Tröndle, 10. Aufl., § 11 Rdn. 66; Sch / Sch-Eser, § 11 Rdn. 42 m.w.Nachw. 29
So Sch / Sch-Eser, § 11 Rdn. 42.
Α. Der objektive Tatbestand
135
fertigungsgründe und der Täuschung über sonstige Voraussetzungen einer strafrechtlichen Sanktion unterschieden werden.
2. Die Täuschung über „rechtswidrige", aber strafrechtlich nicht sanktionierte Taten a) Zur Unterscheidung nach Fallgruppen
Eine Täuschung über außerhalb von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit liegenden Sanktionsvoraussetzungen kommt in zwei verschiedenen Konstellationen in Betracht. Zunächst ist es denkbar, daß der Täter einen Sachverhalt frei erfindet, der auf die Begehung einer zwar tatbestandsmäßig-rechtswidrigen, strafrechtlich aber nicht sanktionierten Tat hindeutet (1. Fallgruppe). Hierzu zwei Beispielsfälle: 1. Beispielsfall: Die E behauptet in einem an die Staatsanwaltschaft gerichteten Schreiben bewußt wahrheitswidrig, sie habe ihrem vor Monaten aus der Justizvollzugsanstalt entflohenen Ehemann mehrere Wochen Unterschlupf gewährt, bis dieser endlich ins Ausland fliehen konnte. — Die E täuscht eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige und sogar schuldhafte Tat vor, der Hinweis, sie sei die Ehefrau des Entflohenen, weist jedoch gleichzeitig auf das Vorliegen des persönlichen Strafausschließungsgrundes gem. § 258 V I StGB hin 30 . 2. Beispielsfall: Ζ bezichtigt sich selbst, vor sieben Jahren dem kriminellen Industriellen I zur Flucht ins Ausland geholfen zu haben. — Im Hinblick auf die von Ζ vorgegebene Verjährung der Tat (§ 78 I I I Nr. 4 StGB) steht der Verfolgung der (angeblichen) tatbestandsmäßig-rechtswidrigen und schuldhaften Tat ein Hindernis entgegen. Denkbar ist es aber auch, daß der Täter eine Tat anzeigt, die tatsächlich tatbestandsmäßig und rechtswidrig begangen wurde, dabei aber das Vorliegen eines Strafausschließungsgrundes usw. wissentlich verschweigt (2. Fallgruppe). Verdeutlichen läßt sich diese Fallgruppe anhand einer nur geringen Abwandlung der dargelegten Beispielsfälle. So etwa, wenn sich die Ehefrau des entflohenen
30
Eine tatbestandsmäßige Strafvereitelungshandlung wäre nur dann abzulehnen, wenn man die Ansicht vertritt, die bloße Verzögerung der Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs sei aus dem Anwendungsbereich des § 258 StGB auszuklammern (so SK-Samson, § 258 Rdn. 25 ff.). Nach ganz überwiegender Meinung genügt es dagegen, wenn die Bestrafung oder Verhängung einer Maßnahme nur für geraume Zeit (mehr als eine Woche) verzögert wird (vgl. nur KG, NStZ 1988, 178).
136
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
Straftäters bewußt wahrheitswidrig als entfernte Freundin bezeichnet und damit die Umstände verschweigt, aus denen sich der persönliche Strafausschließungsgrund ergibt (1. Beispielsfall).
Eine vergleichbare Situation ergibt sich, wenn Ζ
den angezeigten Sachverhalt so darstellt, als ob die Fluchthilfe erst vor wenigen Monaten stattgefunden habe (2. Beispielsfall).
b) Stand der Meinungen
Soweit diese Fälle im Schrifttum diskutiert werden, wird — hinsichtlich der 1. Fallgruppe — einhellig die Ansicht vertreten, daß der Tatbestand des § 145 d StGB grundsätzlich nicht erfüllt sei, sofern der Täter eine zwar tatbestandsmäßig-rechtswidrige, aber entschuldigte, straflose oder nicht mehr verfolgbare Tat vortäusche 31. Eine Ausnahme soll allerdings dann gelten, wenn allein aufgrund der tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Tat Maßregeln der Besserung und Sicherung nach den §§ 61 ff. StGB in Betracht kommen 32 . In den oben dargelegten Beispielsfällen wäre damit durchweg keine Strafbarkeit nach § 145 d StGB gegeben. Begründet wird dieses Ergebnis damit, daß die Täuschungshandlung in den dargelegten Fällen kein Anlaß für die Behörden etc. sein könne, in irgendeiner Weise tätig zu werden. Schließlich ergebe sich aus den Schilderungen des Täters, daß Verfolgungsmaßnahmen wegen des bestehenden Strafausschließungsgrundes etc. gerade nicht erforderlich seien. Die Täuschung sei daher nicht zur Herbeiführung unnötiger Ermittlungsarbeit geeignet33. Allerdings wird diese Auslegung auf die jeweiligen Nrn. 1 des § 145 d StGB beschränkt, also auf die Täuschung über bereits begangene Straftaten. Für den Fall der Täuschung über eine bevorstehende rechtswidrige Tat (i. S. des § 126 I StGB) bzw. über den Beteiligten an einer solchen Tat nach § 145 d I Nr. 2 / I I Nr. 2 StGB wird demgegenüber die Ansicht vertreten, es komme ausschließlich auf die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit der vorgetäuschten (bevorstehenden) Tat, nicht aber auf das Vorliegen sonstiger Sanktionsvor-
31 Vgl. AK-Schild, § 145 d Rdn. 15; LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 7; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 99 Rdn. 16; Otto, BT, § 95 II 2 a); Preisendanz, § 145 d Anm. 3 a); SKRudolphi, § 145 d Rdn. 7; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 7. 32
S. LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 7; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 7; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 7. Insoweit zustimmend Krey, BT 1, Rdn. 604, der im übrigen aber der dargelegten Auffassung eher zweifelnd gegenüberzustehen scheint (Jedenfalls dann unerheblich"). 33
Zur Kritik an dieser „Eignungsthese" vgl. bereits die Ausführungen oben 2. Teil. B. III. 2.
137
Α. Der objektive Tatbestand
aussetzungen an 34 . Die jeweiligen Nrn. 2 des § 145 d StGB dienten schließlich dem Schutz der staatlichen Präventivorgane vor unnötiger Inanspruchnahme, Präventivmaßnahmen seien aber beispielsweise auch dann angezeigt, wenn vorgetäuscht wird, ein Geisteskranker werde ein Bombenattentat i. S. des § 311 StGB ausführen 35. Soweit es um das Verschweigen von Strafausschließungsgründen etc. geht (2. Fallgruppe), wird ebenfalls einhellig die Auffassung vertreten, der Täter könne nicht nach § 145 d StGB bestraft werden 36. Zwar wird ausdrücklich eingeräumt, daß „in diesem Fall die Gefahr einer unnötigen Inanspruchnahme der Organe der Strafverfolgung begründet würde" 37 , der eindeutige Gesetzeswortlaut stünde einer Ausdehnung des § 145 d StGB allerdings entgegen38. Letzteres wird damit begründet, daß der Gesetzeswortlaut die Vortäuschung des Tatgeschehens selbst voraussetze, im Fall des bloßen Verschweigens von Strafausschließungsgründen etc. das Vorhandensein einer tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Tat aber außer Frage stehe. Der Täter könne also überhaupt nicht über eine „rechtswidrige Tat" täuschen39. Diese Begründung zeigt auf, daß der Begriff der „rechtswidrigen Tat" stillschweigend als tatbestandsmäßig-rechtswidrige, nicht aber notwendig schuldhafte Tat verstanden wird.
c) Kritik
und eigener Standpunkt
Ob der im Schrifttum einhellig vertretenen Meinung zugestimmt werden kann, erscheint auf den ersten Blick schon deshalb zweifelhaft, weil bei der Behandlung der beiden Fallgruppen dem Gesetzeswortlaut offensichtlich ein unterschiedlicher Stellenwert zugewiesen wird. Soweit es um die Fälle des Verschweigens von Strafausschließungsgründen usw. geht (2. Fallgruppe), wird die fehlende Tatbestandsmäßigkeit entsprechender Täuschungshandlungen gerade
34 Vgl. AK-Schild, § 145 d Rdn. 15; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 99 Rdn. 16; Sch/ Sch-Stree, § 145 d Rdn. 17. 35
S. zu diesem Beispiel AK-Schild,
36
Vgl. AK-Schild, d Rdn. 7. 37
So LK-Willms,
38
Vgl. LK-Willms,
39
Vgl. LK-Willms, Rdn. 15.
§ 145 d Rdn. 15; Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 17.
§ 145 d Rdn. 17; LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 7; SK-Rudolphi, § 145 10. Aufl., § 145 d Rdn. 7. 10. Aufl., § 145 d Rdn. 7; SK-Rudolphi,
§ 145 d Rdn. 7.
10. Aufl., § 145 d Rdn. 7; SK-Rudolphi,
§ 145 d Rdn. 7 i.V.m. § 164
138
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
damit begründet, daß aufgrund der tatsächlich vorhandenen tatbestandsmäßigrechtswidrigen Tat nicht mehr von einer vorgetäuschten „rechtswidrigen Tat" gesprochen werden könne. Hiervon ausgehend wäre es nur konsequent, in dem umgekehrten Fall, in dem der Täter zwar eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige Tat vortäuscht, dabei aber zugleich auf das Vorhandensein eines Strafausschließungsgrundes usw. hinweist (1. Fallgruppe), von einer tatbestandsmäßigen Täuschungshandlung auszugehen. Wie oben ausgeführt, wird dieses Ergebnis aber vermieden, um einer — angeblich — am Schutzzweck des § 145 d StGB ausgerichteten Auslegung den Vorrang einzuräumen. Das Vortäuschen einer entschuldigten, straflosen oder nicht mehr verfolgbaren Tat sei eben nicht geeignet, unnötige Verfolgungsmaßnahmen hervorzurufen. Damit setzt man sich hinsichtlich dieser Fallgruppe über den „klaren" 40 bzw. „eindeutigen" 41 Gesetzeswortlaut hinweg. Letztlich handelt es sich insoweit aber um eine zugunsten des Täters vorgenommene und damit im Ergebnis unbedenkliche Berichtigung des Gesetzes Wortlauts. Aus diesem Grund kann es auch nicht als unlösbarer Widerspruch angesehen werden, wenn sich die Behandlung der anderen Fallgruppe (das Verschweigen von Strafausschließungsgründen usw.) streng am Gesetzeswortlaut orientiert. Insoweit würde eine berichtigende Auslegung des Wortlauts — ausgehend von der oben dargelegten Definition des Begriffs der „rechtswidrigen Tat" — immerhin zuungunsten des Täters erfolgen.
aa) Zur Behandlung der 1. Fallgruppe Es fragt sich aber statt dessen, ob die Behauptung, der vorgetäuschte Sachverhalt könne wegen des Hinweises auf die Existenz eines Strafausschließungsgrundes usw. (1. Fallgruppe) kein Anlaß für unnötige Ermittlungen sein, tatsächlich zutrifft. Wenn schon mit Blick auf den Schutzzweck des § 145 d StGB eine „berichtigende Auslegung" des Gesetzeswortlauts zugunsten des Täters vorgenommen werden soll, muß auch feststehen, daß damit ausschließlich solche Fälle ausgeklammert werden, die das geschützte Rechtsgut wirklich nicht beeinträchtigen können. Im folgenden soll dargelegt werden, daß gerade dies in den Fällen, in denen der Täter eine entschuldigte, straflose oder nicht mehr verfolgbare Tat vortäuscht, keineswegs unmöglich erscheint.
40 So SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 7 hinsichtlich der anderen Fallgruppe (Verschweigen von Strafausschließungsgründen, Verfolgungshindernissen usw.). 41
So LK-Willms,
10. Aufl., § 145 d Rdn. 7 hinsichtlich der anderen Fallgruppe.
Α. Der objektive Tatbestand
139
Ausgangspunkt ist dabei die Tatsache, daß Staatsanwaltschaft bzw. Polizei, die im Regelfall Adressat der Täuschungshandlungen sein werden, nach den Vorschriften der §§ 152 II, 160 I StPO bzw. § 163 I StPO zur Erforschung des Sachverhalts verpflichtet sind, sobald nur der Verdacht einer Straftat besteht42. Voraussetzung für das Tätigwerden der Strafverfolgungsorgane ist also nicht etwa das tatsächliche Vorliegen einer strafbaren Handlung. Vielmehr genügt es, wenn ein Anfangsverdacht es nach kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheinen läßt, daß eine verfolgbare Tat vorliegt 43 . Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlungen regelmäßig auch schuldhaft verwirklicht werden und ebenfalls straf- bzw. verfolgbar sind. Das Gegenteil stellt allein die Ausnahme dar. Aufgrund dieses Regel- / Ausnahmeverhältnisses besteht bei tatbestandsmäßigen und sogar rechtswidrigen Taten im Normalfall stets einfacher Tatverdacht i. S. der §§ 152 II, 160 I, 163 I StPO. Die Strafverfolgungsorgane bleiben also selbst dann zur Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet, wenn beispielsweise das Eingreifen eines Entschuldigungs- oder Strafaufhebungsgrundes vorgegeben wird. Behauptet also der Täter einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Tat etwa, er sei entschuldigt oder strafbefreiend vom Versuch einer Straftat zurückgetreten, so muß und wird die Staatsanwaltschaft bzw. die Polizei dem nicht ohne weiteres Glauben schenken und die Ermittlungen abbrechen bzw. gar nicht erst aufnehmen. Die Strafverfolgungsorgane werden vielmehr in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüfen, ob die Voraussetzungen des vorgegebenen Entschuldigungs- oder Strafaufhebungsgrundes etc. wirklich vorliegen. Die Annahme, die Staatsanwaltschaft oder Polizei würde sich allein auf die Behauptungen anderer, insbesondere des Täters verlassen, liefe den gesetzlichen Vorgaben der §§152 II, 160 I, 163 I StPO zuwider. So würde sich die Staatsanwaltschaft sicherlich — um auf die oben geschilderten Beispielsfälle zurückzukommen — gezwungen sehen, in dem Fall, in welchem die Ehefrau über die Fluchthilfe zugunsten ihres Ehemannes täuscht (7. Beispielsfall), zumindest die Identität der Ehefrau zweifelsfrei zu ermitteln. Auf die bloße Behauptung der E wird sie sich jedenfalls nicht verlassen. Genauso werden die Strafverfolgungsbehörden (im 2. Beispielsfall) die Aussage des Ζ zum Anlaß nehmen, zu überprüfen, ob die geschilderte Strafvereitelungshand-
42
Vgl. im einzelnen Kleinknecht / Meyer-Goßner, § 160 Rdn. 4 i. V. m. § 152 Rdn. 4. Für die Staatsanwaltschaft folgt der Verfolgungs- und Ermittlungszwang direkt aus §§ 152 II, 160 I StPO. Für den sog. ersten Zugriff setzt § 163 I StPO die Polizei der Staatsanwaltschaft gleich. 43
S. Kleinknecht / Meyer-Goßner,
§ 152 Rdn. 4.
140
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
lung nicht doch zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, der eine Verjährung (noch) ausschließt. Damit würde es in den dargelegten Beispielsfällen aufgrund der Täuschungshandlung des Täters durchaus zur Einleitung unnötiger Ermittlungsmaßnahmen kommen. Um dies zu vermeiden, muß das Vortäuschen einer tatbestandsmäßigen und sogar rechtswidrigen Tat grundsätzlich auch dann bestraft werden, wenn der Täter zugleich einen Strafausschließungsgrund etc. vorgibt. Selbst wenn die Einleitung unnötiger Ermittlungsmaßnahmen im Einzelfall unterbleiben sollte, änderte sich nichts an der Strafbarkeit des Täuschenden nach § 145 d (I Nr. 1) StGB. Schließlich verlangt die Vorschrift gerade keinen Erfolgseintritt in Form unnötiger Ermittlungstätigkeit, sondern läßt als schlichtes Tätigkeits- und abstraktes Gefährdungsdelikt bereits die Vornahme der tatbestandlichen Handlung für die Deliktsvollendung genügen.
bb) Zur Behandlung der 2. Fallgruppe Aber auch die Stellungnahme der herrschenden Meinung zu den Fällen, in denen der Täter das Vorliegen eines Strafausschließungsgrundes oder Verfolgungshindernisses etc. verschweigt (2. Fallgruppe) vermag mit Blick auf den Schutzzweck des § 145 d StGB und seinen Charakter als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht zu überzeugen. Wie oben ausgeführt, wird zur Begründung für die Straflosigkeit des Täters in diesen Fällen darauf abgestellt, daß eine „tatbestandsmäßig-rechtswidrige Tat" immerhin vorliege und eine Bestrafung des Täters daher gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut verstieße. Diese Argumentation steht aber in Widerspruch zu dem zuvor gefundenen Ergebnis, daß für die Auslegung des Begriffs der „rechtswidrigen Tat" wegen der fehlenden Aussagekraft des § 11 Nr. 5 StGB allein der Schutzzweck des jeweiligen Straftatbestands entscheidend sein kann. Soweit die Schutzrichtung des § 145 d StGB betroffen ist, erkennt aber selbst die herrschende Meinung an, daß das Verschweigen von Strafausschließungsgründen etc. „die Gefahr einer unnötigen Inanspruchnahme der Organe der Strafverfolgung" begründe 44. Diese Aussage ist zum einen deswegen zutreffend, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Strafverfolgungsorgane die Umstände, aus denen sich das Vorliegen eines Strafausschließungs-
44
Vgl. LK-Willms,
10. Aufl., § 145 d Rdn. 7 a.E.
Α. Der objektive Tatbestand
141
grundes etc ergibt, überhaupt nicht entdecken (z.B. weil diese Umstände allein dem Täter bekannt sind) und daher ein Ermittlungsverfahren durchführen, obwohl die geschilderte (tatbestandsmäßige) Handlung aus materiell- oder verfahrensrechtlichen Gründen keine strafrechtlichen Folgen haben kann. Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Strafverfolgungsorgane — sollten sie im Rahmen ihrer Ermittlungen auf das Vorhandensein eines Strafausschließungsgrundes etc. stoßen — bei vollständiger Schilderung des Sachverhalts schneller zu diesem Ergebnis gelangt wären. Sicherlich würden die Strafverfolgungsbehörden den Schilderungen über das Vorliegen z.B. eines Schuldausschließungs- oder Strafaufhebungsgrundes nicht ohne weiteres Glauben schenken, sondern entsprechende Angaben in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüfen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, daß das Verschweigen der betreffenden Umstände das Ermittlungsergebnis verzögern kann. Diese Verzögerung geht dann mit einer Verschwendung des vorhandenen Ermittlungspotentials einher. So kann — um erneut auf die oben dargelegten Beispielsfälle zurückzukommen — nicht damit gerechnet werden, daß die Strafverfolgungsorgane (im 1. Beispielsfall) die Ermittlungen von Anfang an darauf richten, ob zugunsten der F der persönliche Strafausschließungsgrund des § 258 V I StGB eingreift. Schließlich hat die F den Umstand, daß sie mit dem entflohenen Sträfling verheiratet ist, verheimlicht und entsprechende Erkenntnisse lassen sich auch nicht zwangsläufig im Rahmen der Feststellung der Personalien der F gewinnen. Vielmehr muß davon ausgegangen werden, daß sich die den persönlichen Strafausschließungsgrund begründenden Umstände erst im Laufe des Ermittlungsverfahrens ergeben (z.B. aus den Akten über das Strafverfahren gegen den Ehemann), nachdem bereits eine Vielzahl unnötiger Ermittlungen angestellt wurden. Diese Verschwendung des behördlichen Arbeitspotentials hätte sich vermeiden lassen, wenn F von Anfang an auf ihre Angehörigeneigenschaft hingewiesen hätte, weil die Strafverfolgungsorgane ihre Ermittlungen dann mit Sicherheit zunächst auf die Überprüfung dieser Behauptungen beschränkt hätten. Noch deutlicher wird die Gefahr einer unnötigen Inanspruchnahme der Strafverfolgungsorgane (im 2. Beispielsfall) beim Verschweigen der für einen Verjährungseintritt maßgeblichen Umstände. Hätte X im Rahmen seiner Selbstbezichtigung von vornherein auf den Zeitpunkt seiner Fluchthilfe hingewiesen, hätten die Strafverfolgungsorgane allein nach Überprüfung dieser Angaben feststellen können, daß die Strafvereitelungshandlung keine strafrechtlichen Folgen mehr haben kann. Verschweigt X aber diese Umstände, ist damit zu rechnen, daß die Behörden — soweit ihnen nicht der Zufall zur Hilfe kommt — erst nach langwierigen Ermittlungen zu dieser Erkenntnis gelangen.
142
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
Sollte das Verschweigen des Strafausschließungsgrundes etc. im Einzelfall dennoch keine Verzögerung zur Folge haben (z.B. weil die Strafverfolgungsorgane bereits zu Beginn ihrer Ermittlungen durch Zufall Kenntnis von den einen Strafausschließungsgrund etc. begründenden Umständen erlangen), vermag dies wegen der Einordnung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt nichts an der Strafbarkeit der Täuschungshandlung zu ändern. Ein entscheidendes Motiv für die Schaffung abstrakter Gefährdungsdelikte ist schließlich die Ausschaltung des Zufallsmoments. Der Schutzweck des § 145 d StGB sowie seine Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt sprechen demzufolge gegen die herrschende Meinung, die das Verschweigen von Strafausschließungsgründen etc. als straflos ansieht. Eine Widersprüchlichkeit der herrschenden Meinung tritt im übrigen zutage, wenn man sich die strafrechtliche Bewertung der einschlägigen Fälle im Rahmen des insoweit vergleichbaren § 164 I StGB vor Augen führt. Obwohl § 164 I StGB ebenfalls eine „rechtswidrige Tat" als Gegenstand der (Verdächtigungs-)Handlung voraussetzt und für eine unterschiedliche Auslegung gegenüber § 145 d StGB kein Grund ersichtlich ist, vertritt die herrschende Meinung im Rahmen des § 164 I StGB den Standpunkt, daß das Verschweigen von oberhalb der Rechtswidrigkeitsebene liegenden Strafbarkeitsvoraussetzungen stets tatbestandsmäßig sei 45 . Insoweit wörtlich 46 : „Die objektiv-teleologische Interpretation muß § 164 Abs 1 auf Fälle erstrecken, in welchen der Täter einen anderen mit wahren Angaben einer den Unrechtstatbestand eines Strafgesetzes verwirklichenden Handlung verdächtigt, aber dabei Umstände verschweigt, aus welchen sich ohne weiteres und eindeutig ergäbe, daß die tatbestandsmäßige Handlung aus materiell- oder verfahrensrechtlichen Gründen keine strafrechtlichen Folgen haben kann". Diese Ausführungen zeigen, daß die herrschende Meinung im Rahmen des § 164 I StGB mit Recht an den Schutzzweck der Vorschrift 47 anknüpft und darauf aufbauend die Tatbestandsmäßigkeit der einschlägigen Fälle
45 Vgl. etwa Geilen, Jura 1984, 300 (301); LK-Herdegen, 10. Aufl., § 164 Rdn. 15; Sch/Sch Lenckner, § 164 Rdn. 10. Anderer Ansicht ist insoweit allerdings SK-Rudolphi, § 164 Rdn. 15, der auf den „klaren Wortlaut des Gesetzes" verweist, der verlange, daß ein anderer wider besseres Wissen einer rechtswidrigen Tat verdächtigt werde. Trotz dieser Gegenposition gelangt Rudolphi praktisch zum gleichen Ergebnis wie die herrschende Meinung, indem er zur Erfassung der einschlägigen Fälle auf § 164 II StGB zurückgreift (vgl. SK-Rudolphi, § 164 Rdn. 15; dagegen allerdings Geilen, Jura 1984, 300 [301]). 46 47
S. LK-Herdegen,
10. Aufl., § 164 Rdn. 15.
Insoweit geht es um den — unstreitigen — Schutz der inländischen staatlichen Strafrechtspflege gegen ungerechtfertigte Inanspruchnahme und Irreführung (vgl. hierzu statt aller Lackner / Kühl, § 164 Rdn. 1).
Α. Der objektive Tatbestand
143
bejaht. Es wäre nur konsequent, die gleiche Vorgehens weise bei § 145 d StGB zugrunde zu legen.
cc) Zur Ausgrenzung von Minimalverstößen Auch wenn die Täuschung über Strafausschließungsgründe (in beiden Fallgruppen) grundsätzlich eine tatbestandsmäßige Deliktsvortäuschung i. S. des § 145 d StGB darstellt, sind doch in diesem Zusammenhang Fälle denkbar, in denen der Umfang der durch die Täuschung (möglicherweise) verursachten fehlgeleiteten Ermittlungstätigkeit nur sehr gering ist. Deutlich wird die Problematik bei der Betrachtung des 1. Beispielsfalls, in welchem die E eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige Strafvereitelungshandlung zugunsten ihres Ehemannes vortäuscht, dabei aber zugleich auf ihre Angehörigeneigenschaft hinweist. Hier werden sich die Strafverfolgungsorgane zwar zu einer jeden Zweifel beseitigenden Identitätsermittlung veranlaßt sehen, der hierzu erforderliche Arbeitsaufwand ist jedoch denkbar gering. Der oben aufgestellte Grundsatz, daß alle Täuschungen über Strafausschließungsgründe etc. tatbestandsmäßig sind, kann in einem solchen Fall keine Geltung haben, wenn man nicht jeden noch so geringen Fehleinsatz behördlicher Ermittlungstätigkeit unter Strafe stellen und so die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschreiten will. Zwar bezweckt § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt einen möglichst umfassenden Schutz des behördlichen Arbeitspotentials (und damit der staatlichen Strafrechtspflege bzw. Präventivtätigkeit), die ratio der Vorschrift verlangt gleichwohl nicht die Erfassung solcher Verhaltensweisen, die selbst bei häufigem Auftreten keinesfalls eine Gefährdungswirkung erlangen können. Aufgrund teleologischer Erwägungen ist es daher geboten, solche Fälle der Täuschung über oberhalb der Rechtswidrigkeitsebene liegende Strafbarkeitsvoraussetzungen straffrei zu stellen, in denen mangels Erheblichkeit der möglicherweise beeinträchtigten Ermittlungstätigkeit nur von einem sog. Minimalverstoß gesprochen werden kann. Um eine solche Freistellung zu erreichen, bietet sich nunmehr erstmals die Anwendung des Geringfügigkeitsprinzip an. Schließlich ist das Geringfügigkeitsprinzip nach hier vertretener Ansicht 48 als Unterfall teleologischer Auslegung zu verstehen und dient gerade der tatbestandlichen Ausgrenzung strafrechtlich nicht relevanter
48 Vgl. die umfassenden Ausführungen zum Geringfügigkeitsprinzips oben 2. Teil. B. III. 4. b) bb).
144
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
Verhaltensweisen. Der sicherlich entscheidende Vorteil dieser Konstruktion liegt darin, daß trotz der Straffreistellung einzelner Täuschungshandlungen die Verhaltensanordnung in Form eines eindeutigen Lügeverbots gegenüber den Strafverfolgungsorganen bestehen bleibt.
3. Die Täuschung über Rechtfertigungsgründe Zu fragen ist schließlich, wie die Fälle zu bewerten sind, in denen der Täter über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes täuscht. Entsprechend der Täuschung über Strafausschließungsgründe etc. kann auch diese Täuschung zunächst dadurch geschehen, daß der Täter eine tatbestandsmäßige Tat vortäuscht, dabei aber zugleich das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes behauptet. Beispielsfall: A behauptet gegenüber den Beamten einer Polizeidienststelle bewußt wahrheitswidrig, er sei für den Tod eines Mannes verantwortlich, dessen Leiche vor einigen Tagen von der Polizei gefunden wurde. Er habe den Mann im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung in Notwehr mit einem Messer erstochen. Denkbar ist aber auch der Fall, daß der Täter eine tatsächlich geschehene tatbestandsmäßige Handlung schildert, dabei allerdings die einen anerkannten Rechtfertigungsgrund begründenden Umstände bewußt verschweigt. Beispielsfall: A schildert der Polizei wahrheitsgemäß, daß er tags zuvor bei einem Spaziergang im Stadtpark beobachten mußte, wie ein ihm unbekannter Mann zwei andere Personen mit einem Messer lebensgefährlich verletzt habe. Dabei verschweigt A, daß die beiden verletzten Personen zuvor versucht hatten, den anderen Passanten hinterrücks niederzustechen und anschließend auszurauben. Diesen Angriff konnte der Passant — für A erkennbar — nur noch dadurch abwehren, daß er selbst zum Messer griff. Soweit diese Fallgruppen in der Literatur behandelt werden, wird überwiegend die Ansicht vertreten, die Täuschung über einen Rechtfertigungsgrund sei nicht tatbestandsmäßig. An einem tauglichen Gegenstand der Vortäuschung fehle es insbesondere, wenn mit der Vortäuschung einer tatbestandsmäßigen Tat zu-
Α. Der objektive Tatbestand
145
gleich ein Rechtfertigungsgrund angegeben werde 49. Dieser herrschenden Ansicht kann allerdings nicht zugestimmt werden. Daß in dem zuletzt geschilderten Beispielsfall des Verschweigens von Rechtfertigungsgründen die Gefahr der Fehllenkung behördlicher Ermittlungstätigkeit besteht, ist zweifellos unter den gleichen Gesichtspunkten anzunehmen wie in den Fällen des Verschweigens von Strafausschließungsgründen etc. Auch insoweit kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, daß die Strafverfolgungsorgane bei Kenntnis der für einen Rechtfertigungsgrund maßgeblichen Umstände schneller zu dem Ergebnis gelangen, daß die geschilderte Tat keine strafrechtlichen Folgen haben kann. Die zeitliche Verzögerung bewirkt dann die Verschwendung des behördlichen Ermittlungspotentials. Aber auch in dem erstgenannten Beispielsfall läßt sich die Möglichkeit der Einleitung unnötiger Ermittlungsmaßnahmen nicht deswegen verneinen, weil der Täter mit seiner Schilderung von der tatbestandsmäßigen Tat zugleich die Darstellung eines Rechtfertigungsgrundes verknüpft. Hier gilt schließlich — vergleichbar mit den Fällen der Täuschung über Strafausschließungsgründe etc. — ebenfalls der Grundsatz, daß die Strafverfolgungsorgane gem. §§152 II, 160 I, 163 I StPO zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet sind, sobald nur der Verdacht einer Straftat besteht. Berücksichtigt man, daß tatbestandsmäßige Handlungen in der Regel auch rechtswidrig sind 50 , ist schon aufgrund dieses Regel- / Ausnahmeverhältnisses im Normalfall von einfachem Tatverdacht im Sinne der genannten strafprozessualen Vorschriften auszugehen. Da die Strafverfolgungsorgane bloßen Behauptungen (insbesondere des Täters selbst) über das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen ohnehin kaum Glauben schenken werden, besteht in diesen Fällen die Gefahr einer Fehllenkung der Ermittlungstätigkeit 51 . Unter Zugrundelegung des Schutzzwecks des § 145 d StGB und seiner Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt läßt sich also feststellen, daß auch die
49 Vgl. etwa Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 5; Lackner / Kühl, § 145 d Rdn. 4; Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 7; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 6. Sämtliche Autoren weisen allerdings daraufhin, daß die Behauptung, einen anderen in Notwehr getötet zu haben, deswegen tatbestandsmäßig sein kann, weil zugleich eine rechtswidrige Tat des angeblichen Angreifers vorgetäuscht wird. Demgegenüber halten das OLG Oldenburg, NJW 1952, 1226 sowie Schmidhäuser, BT, 23 / 4 die Täuschung über eine angeblich gerechtfertigte Tat grundsätzlich für tatbestandsmäßig. 50 Vgl. statt aller Dreher / Tröndle, Vor § 13 Rdn. 8. Eine Ausnahme gilt hinsichtlich der sog. offenen Tatbestände (§§ 240, 253 StGB). 51
So auch H.J. Schneider, Deliktsvoitäuschung, S. 38 f.; Schmidhäuser, BT, 23 / 4.
10 Saal
146
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
Täuschung über Rechtfertigungsgründe grundsätzlich 52 als tatbestandsmäßig anzusehen ist. Dieses Ergebnis hat zur Folge, daß als Gegenstand der Täuschungshandlung allein das Vortäuschen einer solchen Handlung genügt, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Inwieweit die Täuschungshandlung daneben auch auf das Vorliegen einer rechtswidrigen, d.h. nicht durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckten Tat hinweist, ist demnach unerheblich 53. Nun könnte man die Ansicht vertreten, daß diese Auslegung des Gegenstands der Täuschungshandlung mit dem Gesetzeswortlaut des § 145 d StGB, der immerhin ausdrücklich das Vortäuschen einer,»rechtswidrigen Tat" verlangt, nicht mehr zu vereinbaren ist. Da die Auslegung zudem zuungunsten des Täters erfolgt, wäre dann eine nach Art. 103 I I GG unzulässige Analogie anzunehmen. Dieser Einwand vermag allerdings deswegen nicht zu überzeugen, weil der Begriff der „rechtswidrigen Tat" gerade keine grundsätzliche Aussage über einen Teilausschnitt der umfassenderen vollstrafbaren Tat („Straftat") enthält. Wie oben festgestellt, legt der Begriff verbindlich nur fest, daß außerstrafrechtliche Rechtsverletzungen oder Ordnungsverstöße nicht erfaßt sind 54 . Inwieweit darüber hinaus, nicht nur eine (straf)tatbestandsmäßige, sondern auch eine rechtswidrige oder schuldhaft begangene Tat gemeint ist, muß für jede Vorschrift einzeln — unter Zugrundelegung ihrer Schutzrichtung — beurteilt werden. Für § 145 d StGB ergibt diese Beurteilung, daß bereits das Vortäuschen einer straftatbestandsmäßigen Tat erfaßt werden muß 55 .
4. Ergebnis Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 145 d StGB und seiner Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt ist der Begriff der ,»rechtswidrigen Tat" so auszulegen, daß — entgegen der überwiegenden Meinung — für alle Tatbestandsalternativen der Vorschrift die Täuschung über eine straftatbestandsmäßige Tat genügt. Für die Strafbarkeit des Täuschenden kommt es grundsätzlich nicht darauf an, daß der vorgetäuschte Sachverhalt auch den Anschein einer rechtswidrigen, schuldhaften und verfolgbaren Tat erweckt. Aus den gleichen Gründen macht sich auch derjenige nach § 145 d StGB strafbar, der wider bes-
52
Ausnahmen unter dem Gesichtspunkt des Geringfügigkeitsprinzips sind auch hier denkbar.
53
Ebenso Schmidhäuser, BT, 23 / 4.
54
S. SK-Rudolphi,
55
So auch Schmidhäuser, BT, 23 / 4.
§ 11 Rdn. 22.
Α. Der objektive Tatbestand
147
seres Wissen das Vorliegen eines Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs-, Entschuldigungs- bzw. Strafaufhebungsgrundes oder eines Strafverfolgungshindernisses verschweigt. Ausnahmen gelten mit Blick auf das Bagatellprinzip in den Fällen, in denen die behördlichen Feststellungen über das Eingreifen eines Strafbarkeitshindernisses ohne nennenswerten Aufwand erfolgen können und daher unter teleologischen Gesichtspunkten eine Bestrafung des Täters nicht angezeigt ist.
III. Die Tathandlungen Im folgenden sollen nunmehr die einzelnen Tathandlungen des § 145 d StGB unter Berücksichtigung seiner Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt untersucht werden. Wie eingangs erwähnt, soll dabei der Schwerpunkt — nicht zuletzt wegen der praktischen Bedeutung — auf der jeweiligen Nr. 1 der Absätze des § 145 d StGB liegen.
1. Das Vortäuschen einer angeblich begangenen rechtswidrigen Tat (§ 145 d I Nr. 1 StGB) Innerhalb der Tatbestandsalternative des § 145 d I Nr. 1 StGB stellt sich die Abgrenzung des tatbestandsmäßigen Vortäuschens zum straflosen Aufbauschen einer Straftat als das zentrale Problem dar. Daneben ist nach wie vor streitig, ob § 145 d I Nr. 1 StGB in den Fällen der Selbstbezichtigung zur Herbeiführung des Nachweises der eigenen Unschuld eingreift. Schließlich stellt sich die Frage, ob bereits im Rahmen dieser Tatbestandsalternative Kollisionen mit dem strafrechtlichen Selbst- oder Fremdbegünstigungsprinzip auftreten können 56 .
56 Von wesentlich größerer - auch praktischer — Bedeutung ist dieses Problem freilich innerhalb der Beteiligtentäuschung nach § 145 d I I Nr. 1 StGB; vgl. dazu die Ausführungen unter III. 2. c).
10*
148
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB a) Die Abgrenzung des tatbestandsmäßigen Vortäuschens zum straflosen Aufbauschen einer Straftat
aa) Darstellung der Problematik anhand von Beispielsfällen Zur Veranschaulichung der Problematik sei zunächst erneut auf den eingangs geschilderten Beispielsfall des OLG Karlsruhe hingewiesen, in dem der potentielle Täter (des § 145 d I Nr. 1 StGB) anläßlich eines tatsächlich gegebenen57 Totschlags- bzw. Mordversuchs eine vorsätzliche vollendete (gefährliche) Körperverletzung vortäuscht 58. Des weiteren soll auf folgenden Fall aus der neueren Rechtsprechung der Oberlandesgerichte eingegangen werden (nach OLG Hamm, NStZ 1987, 558 59 ): Der PKW des (nach § 145 d I Nr. 1 StGB) Angeklagten wurde von unbekannten Tätern aufgebrochen, wobei das Autoradio teilweise aus der Halterung gerissen und beschädigt wurde. Der Angeklagte entfernte das Radio aus dem Auto, erstattete bei der Polizei Anzeige wegen Diebstahls und meldete das Radio bei der Versicherung als gestohlen. Die Manipulation wurde allerdings von einer Nachbarin aufgedeckt, die den Angeklagten beim Entfernen des Radios beobachtet hatte. Der Angeklagte wurde in zwei Instanzen60 wegen versuchten Betruges zum Nachteil der Versicherung sowie wegen Vortäuschens einer Straftat (§ 145 d I Nr. 1 StGB) verurteilt. Soweit sich die anschließende Revision gegen die Verurteilung wegen Vortäuschens einer Straftat richtete, hatte sie vor dem OLG Hamm Erfolg. Ähnlich gelagert war der Fall, den das BayObLG durch Beschluß v. 3.9. 198761 entschieden hat. Dort hatte der nach § 145 d I Nr. 1 StGB Angeklagte dem Diebstahl einiger Gegenstände aus seinem Auto die Entwendung von Lautsprechern hinzugefügt, die tatsächlich nicht gestohlen, wohl aber beschädigt worden waren. Der Täter hatte also den Umfang .der gestohlenen Gegenstände
57 Im folgenden soll zur Vereinfachung des Sachverhalts vom tatsächlichen Vorliegen eines Totschlags- bzw. Mordversuchs ausgegangen werden. In der Entscheidung des OLG Karlsruhe (MDR 1992, 1166) wird allerdings darauf hingewiesen, daß die Vorinstanz (LG) lediglich zugunsten des Angeklagten davon ausgeht, daß von einem unbekannt gebliebenen Schützen in Richtung des Angeklagten mit Verletzungs-, möglicherweise sogar Tötungswillen geschossen wurde. 58
S. 1. Teil. B.
59
= MDR 1988, 159.
60
Verwiesen sei insoweit nur auf das Urteil der kleinen Strafkammer des LG Dortmund vom 19.6.1986 - Ns 19 Js 13 / 86 14 (VIII) Κ 64 / 86 - als Berufungsgericht. 61
Abgedruckt in NJW 1988, 83.
Α. Der objektive Tatbestand
149
übertrieben dargestellt. Entgegen der Vorinstanz sprach das BayObLG den Täter vom Vorwurf des Vortäuschens einer Straftat frei.
bb) Stand der Meinungen Die dargelegten Beispielsfälle zeigen auf, daß es bei dem Problem der Abgrenzung des tatbestandsmäßigen Vortäuschens zum straflosen Aufbauschen einer Straftat um solche Vortäuschungen geht, in denen ein Wahrheitskern 62 steckt. Eine rechtswidrige Tat ist also tatsächlich begangen worden, der Täter dichtet aber der wirklich begangenen Tat wider besseres Wissen wahrheitswidrige Teilaspekte hinzu. In Rechtsprechung und Schrifttum besteht nun Einigkeit darüber, daß der Tatbestand des § 145 d StGB dann nicht erfüllt sein soll, wenn die falsche Darstellung des strafrechtlich relevanten Geschehens lediglich eine Übertreibung oder Vergröberung der tatsächlich begangenen Straftat darstellt (= strafloses Aufbauschen einer Straftat) 63. Wann aber die Grenze zwischen bloßer Übertreibung oder Vergröberung der Tatumstände und tatbestandlicher Vortäuschung überschritten ist, wird unterschiedlich beurteilt.
(1) Das Erfordernis „erheblicher Mehrarbeit" In der Rechtsprechung wird zur Abgrenzung tatbestandlicher Täuschungen und strafloser Übertreibungen darauf abgestellt, „ob die Ermittlungsbehörden mit den nach der erweiterten Sachdarstellung erforderlichen
Maßnahmen in
einem erheblichen Umfang mehr belastet werden, als sie dies bei richtiger Schilderung des Sachverhaltes wären" 64,65 . Diese Formulierung wirft die Frage
62
Der Begriff der „Täuschung mit Wahrheitskern" wurde von Krümpelmann (ZStW 96, 999) geprägt. 63 Vgl. OLG Celle NdsRpfl 1957, 16; OLG Hamm, NJW 1971, 1324 (1325); NJW 1982, 60; NStZ 1987, 558; OLG Karlsruhe, MDR 1992, 1166 (1167); BayObLG, NJW 1988, 83; AK-Schild, § 145 d Rdn. 17; Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 5; Geppert, JK, StGB § 145 d / 5, 6; Lackner / Kühl, § 145 d Rdn. 4; Preisendanz, § 145 d Anm. 3 a) dd); Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 9; SKRudolphi, § 145 d Rdn. 9a. 64 So ausdrücklich OLG Hamm, NStZ 1987, 558 (559). Ebenso OLG Karlsrahe, MDR 1992,1166 (1167), das allerdings als Indizien für die „erhebliche Mehrarbeit" auch jene Präzisierungen anzuerkennen bereit ist, die von Stree und Krümpelmann vorgeschlagen werden. Soweit in anderen Entscheidungen darauf abgestellt wird, „ob die begangene Tat gegenüber der vorgetäuschten nicht ins Gewicht fällt und dadurch das Geschehen aufgrund der Täuschung ein völlig anderes Gepräge er-
150
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
auf, was im einzelnen mit den Begriffen „erforderliche Maßnahmen" und „erheblichen Umfang" gemeint ist. Die Rechtsprechung weist insoweit hinsichtlich der Verwendung des Begriffs „erforderliche Maßnahmen" darauf hin, daß es für die Abgrenzung nicht auf die mehr oder weniger große Intensität, mit der polizeiliche Ermittlungen bei dieser oder jener angezeigten Straftat üblicherweise geführt werden, ankomme, sondern auf die Ermittlungsarbeiten, die unter normativen Gesichtspunkten tatsächlich zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich seien66. Hinsichtlich des Erfordernisses einer „erheblichen Mehrarbeit" wird lediglich ausgeführt, daß diese Voraussetzung nicht erfüllt sei, sofern die Ermittlungen ohne die erweiterte Sachdarstellung „im wesentlichen in gleicher Weise" erfolgt wären 67. Der weitere Aussagegehalt der Begriffe bleibt ungeklärt. In der Rechtsprechung und auch im Schrifttum findet sich statt dessen ein mehr oder weniger umfangreicher Fallkatalog darüber, wann eine Täuschung mit Wahrheitskern den Tatbestand des § 145 d (I Nr. 1) StGB (noch) nicht erfüllt: So soll ein tatbestandsmäßiges Vortäuschen abzulehnen sein, wenn — lediglich eine wirklich begangene Tat in eine qualifizierte Begehungsform umgefälscht (z.B. Vortäuschung, ein Raub sei als schwerer verübt worden) 68 , — ein Diebstahl als Raub oder räuberischer Diebstahl dargestellt 69, — zu einem Raub eine Körperverletzung hinzugedichtet70 oder
hält" (so BayObLG, NJW 1988, 83) bzw. „ob der Täter die wirklich begangene Tat in ihrem äußeren und inneren Unrechtsgehalt völlig verändert" (so OLG Hamm, NJW 1971, 1324 [1325]; NJW 1982, 60), sind damit keine Unterschiede in der Sache gemeint. Auch nach diesen Entscheidungen ist letztlich das Kriterium erheblicher oder weniger erheblicher Mehrarbeit maßgeblich; vgl. Geppert, JK, StGB § 145 d / 6. 65
Aus dem Schrifttum zustimmend Bockelmann, BT 3, § 5 II 2; Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 5; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 99 Rdn. 15; Preisendanz, § 145 d Anm. 3 a) dd). 66
S. OLG Hamm, NStZ 1987, 558 (559).
67
So OLG Hamm, NStZ 1987, 558 (559).
68
Vgl. OLG Celle, NdsRpfl 1957, 16; OLG Hamm, NJW 1971, 1324 (1325); NStZ 1987, 558; Bockelmann, BT 3, § 5 I I 2; Lackner / Kühl, § 145 d Rdn. 4; SK -Rudolphi, § 145 d Rdn. 9a. 69
Vgl. BGH, 4 StR 406 / 73 v. 30.8.1973; zustimmend Dreher / Tröndle, Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 6. 70
§ 145 d Rdn. 5; LK-
OLG Hamm, NJW 1971, 1324 (1325); Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 5. Umgekehrt soll ein tatbestandliches Vortäuschen vorliegen, wenn eine tatsächlich begangene Körperverletzung durch die fälschliche Anzeige der Wegnahme von Geld als Raub dargestellt wird; vgl. OLG Hamm, NJW 1971, 1324 (1325).
Α. Der objektive Tatbestand
151
— anläßlich eines tatsächlich begangenen Diebstahls eine Sachbeschädigung behauptet wird 71 . Hinsichtlich der oben dargestellten Beispielsfälle haben die Obergerichte entschieden, daß — die Anzeige einer tatsächlich nicht begangenen vorsätzlichen Körperverletzung anläßlich eines Totschlags- bzw. Mordversuchs (Fall des OLG Karlsruhe) den Tatbestand des § 145 d (I Nr. 1) StGB nicht erfüllt 72 , — die Anzeige eines Versuchs als vollendete Tat (Fall des OLG Hamm) nicht tatbestandsmäßig ist 73 und schließlich — Übertreibungen hinsichtlich des Umfangs der gestohlenen Gegenstände (Fall des BayObLG) lediglich ein strafloses Aufbauschen darstellen 74.
(2) Umwandlung eines Antrags- oder Privatklagedelikts in ein Offizialdelikt Auch Stree geht davon aus, daß Täuschungen mit Wahrheitskern nur dann eine tatbestandsmäßige Täuschungshandlung darstellen, wenn sie zu einer „erheblichen Mehrbelastung" der Verfolgungsbehörden führen 75. Im Gegensatz zum Standpunkt der Rechtsprechung will er allerdings das Hervorrufen dieser Mehrbelastung — nicht grundsätzlich, wohl aber indiziell — davon abhängig machen, ob der Täter ein Antrags- oder Privatklagedelikt als Offizialdelikt hinstellt 76 . Hinsichtlich der geschilderten Beispielsfälle aus der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hat diese Modifizierung allerdings kein abweichendes Ergebnis zur Folge, weil die insoweit tatsächlich begangenen Straftaten bereits ein Offizialdelikt darstellten (so im Fall des OLG Karlsruhe) bzw. nicht in Offizialdelikte umgewandelt wurden (so im Fall des OLG Hamm und des BayObLG).
71
OLG Celle, NdsRpfl 1957, 16; zustimmend OLG Hamm, NJW 1987, 558.
72
OLG Karlsruhe, MDR 1992, 1166 (1167).
73
Vgl. OLG Hamm, NStZ 1987, 558 (559); Lackner / Kühl § 145 d Rdn. 4; Otto, BT, § 95 II 2 a). 74 Vgl. BayObLG, NJW 1988, 83; OLG Hamm, NJW 1982, 60; NJW 1971,1324 (1325); Bockelmann, BT 3, § 5 II 2; Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 5; Otto, BT, § 95 I I 2 a). 75 76
Vgl. Stree, NStZ 1987, 559.
Vgl. Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 9; Stree, NStZ 1987, 559 (560); hinsichtlich dieser Indizwirkung zustimmend OLG Karlsruhe, MDR 1992, 1166 (1167).
152
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB (3) Umwandlung eines Vergehens in ein Verbrechen
Krümpelmann sieht dagegen den Tatbestand des § 145 d I Nr. 1 StGB nur dann als erfüllt an, wenn der Täter ein Vergehen (§ 12 I I StGB) in ein Verbrechen (§ 12 I StGB) umfälscht oder eine Tat vortäuscht, die einen anderen Ermittlungsgegenstand hat als die wirklich begangene Tat 77 . Letzteres soll solange nicht der Fall sein, wie der Vortäuschende in seine Lüge wahre Angaben einfügt, die einen begründeten Verdacht der wirklich begangenen Tat stiften 78 . Sobald aber die Anzeige gegenüber den Strafverfolgungsorganen wirkliche Tatstrukturen überhaupt nicht mehr preisgibt, sondern sich nur noch auf die Täuschung beschränkt, sollen verschiedene Ermittlungsgegenstände vorliegen 79 . So beispielsweise, wenn ein wirklich begangenes Verkehrsdelikt durch die Angabe verschleiert wird, der Wagen sei gestohlen worden. Die Polizei hätte dann hinsichtlich des Diebstahls zu ermitteln, ohne von der wirklichen Straftat unterrichtet zu sein 80 . Auch wenn man diese Betrachtungsweise in den geschilderten Beispielsfällen zugrunde legt, scheidet im Fall des OLG Karlsruhe ein tatbestandliches Vortäuschen aus, weil der wirklich begangene Totschlags- bzw. Mordversuch bereits ein Verbrechen darstellt und der Täter durch das Vortäuschen einer vollendeten Körperverletzung keinen anderen Ermittlungsgegenstand schafft. Der Tatbestand des § 145 d I N r l . StGB ist hiernach ebenfalls nicht erfüllt, wenn der Täter einen Versuch als vollendete Tat schildert (Fall des OLG Hamm) bzw. den Umfang der Diebesbeute übertrieben darstellt (Fall des BayObLG).
(4) Das Erfordernis einer „partiellen Überschneidung" Rudolphi schließlich vertritt folgende differenzierende Lösung 81 : Zu betrachten seien zunächst jene Fälle, in denen das tatsächliche deliktische Geschehen und das vom Täter vorgetäuschte deliktische Geschehen weder miteinander identisch sind noch sich auch nur partiell überschneiden. Insoweit würden alle von den Strafverfolgungsorganen eingeleiteten Ermittlungsmaßnahmen der Auf-
77
Vgl. Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1025, 1034); ders., JuS 1985, 763 (766 f.).
78
So Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1034 f., 1038).
79
Vgl. Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1034); ders., JuS 1985, 763 (766).
80
Krümpelmann, JuS 1985, 763 (766).
81
Vgl. zum folgenden SK-Rudolphi,
§ 145 d Rdn. 9 b, c.
Α. Der objektive Tatbestand
153
klärung des vorgetäuschten deliktischen Geschehens dienen und daher fehlgehen. Daher greife § 145 d (I Nr. 1) StGB in diesen Fällen seiner ratio gemäß ein 82 . Sobald aber das tatsächliche und das vom Täter vorgetäuschte deliktische Geschehen sich nur partiell überschneide, sei eine andere rechtliche Beurteilung geboten. Enthalte nämlich das den Gegenstand der Anzeige bildende Geschehen trotz aller Täuschungen eine rechtswidrige Tat, seien die Strafverfolgungsbehörden (gem. §§ 152 II, 160 I , 163 I StPO) ohnehin zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Von einer Fehlleitung staatlicher Ermittlungstätigkeit könne daher nicht gesprochen werden 83. Im Fall des OLG Karlsruhe war das tatsächlich verwirklichte Delikt (der versuchte Totschlag bzw. Mord) durch dieselbe Handlung begangen worden wie das vom Täter vorgetäuschte Delikt (die vollendete Körperverletzung), nämlich durch den abgegebenen Schuß. Folglich waren das wirkliche und das vorgetäuschte deliktische Geschehen zwar nicht hinsichtlich des eingetretenen Erfolgs, wohl aber hinsichtlich der Tathandlung identisch. Dementsprechend scheidet nach der von Rudolphi vertretenen Auffassung eine Strafbarkeit nach § 145 d I Nr. 1 StGB aus. Gleiches gilt in den Fällen des OLG Hamm bzw. des BayObLG, wo eine versuchte Tat als vollendet dargestellt bzw. der durch dieselbe Handlung verursachte Schaden übertrieben wird.
82 Rudolphi verweist insoweit (genau wie Krümpelmann, JuS 1985, 763 [766]) auf den Fall, in dem der Täter nach einem Verkehrsdelikt (z.B. einer alkoholbedingten Trunkenheitsfahrt) den Vorfall durch die Anzeige zu verschleiern sucht, sein Wagen sei gestohlen worden (vgl. SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 9b). Diese Parallele zeigt auf, daß Rudolphi seinen Standpunkt dem von Krümpelmann („anderer Ermittlungsgegenstand") angeglichen hat. In der Vorauflage (vgl. SK-Rudolphi, 3. Aufl., § 145 d Rdn. 8, 9) hatte Rudolphi noch darauf abgestellt, ob es sich um verschiedene Taten im prozessualen Sinn handelt. Danach sollte eine Strafbarkeit wegen Vortäuschens einer Straftat stets ausscheiden, wenn das angezeigte historische Geschehen (= prozessualer „Tat"-Begriff nach §§ 155, 264 StPO) tatsächlich irgendeine rechtswidrige Tat enthalte, die den Anknüpfungspunkt für Strafverfolgungstätigkeit bilden könne. Die Schwelle der Strafbarkeit sollte erst dann überschritten sein, wenn das wirklich begangene und das vorgetäuschte Delikt nicht mehr eine Tat im prozessualen Sinn darstellten. Diesen Standpunkt hat Rudolphi zwischenzeitlich ausdrücklich aufgegeben (vgl. SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 9b a.E.). Die Orientierung am prozessualen Tatbegriff war besonders von Krümpelmann angegriffen worden; vgl. ZStW 96 (1984), 999 (1026 ff.) sowie JuS 1985, 763 (765 f.). 83 SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 9c; zustimmend Geppert, JK, StGB § 145 d / 6. Ebenfalls zustimmend (allerdings mit Blick auf die Voraufl.) AK-Schild, § 145 d Rdn. 17; Krey, BT 1, Rdn. 605 (Fn. 101).
154
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB cc) Kritik
Die Tatsache, daß alle dargelegten Auffassungen in den oben geschilderten Beispielsfällen zur Verneinung einer tatbestandsmäßigen Täuschungshandlung gelangen, offenbart, daß die verschiedenen Ansichten im Ergebnis regelmäßig übereinstimmen. Im wesentlichen wird daher auch nicht über die Frage der Strafbarkeit oder Straflosigkeit gestritten, sondern über die Begründung für das jeweilige Ergebnis. Die folgende kritische Auseinandersetzung mit den einzelnen Rechtsansichten wird sich daher auch im wesentlichen auf die jeweiligen Begründungsansätze beschränken.
(1) Kritik an dem Erfordernis einer „partiellen Überschneidung" Zur Verdeutlichung der Kritik an der Auffassung Rudolphis soll allerdings zunächst ein Beispielsfall
konstruiert werden, der aufzeigt, daß ausnahmsweise
auch unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden können: Die junge Angestellte A muß eines Abends nach Dienstschluß verschiedene sexuell anstößige Äußerungen ihres Vorgesetzten über sich ergehen lassen. Aus Wut über den Vorfall gibt die A am nächsten Tag gegenüber der Polizei vor, ihr Vorgesetzter habe sie vergewaltigt. Unter Zugrundelegung der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist zu fragen, ob durch die Behauptung der A, sie sei vergewaltigt worden, der Umfang der erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen in einem erheblichen Umfang gegenüber dem Fall gesteigert wird, daß die A — der Wahrheit entsprechend — lediglich eine Beleidigung anzeigt. Diese Frage kann angesichts der umfassenden Untersuchungen, die für eine Anklageerhebung wegen Vergewaltigung notwendig sind (z.B. besonders zeitintensive Aufnahme von Zeugenaussagen84, Feststellung der Gewaltanwendung85, Überprüfung der finalen Verknüpfung zwischen Gewaltanwendung und Erzwingung des Beischlafs 86), nur bejaht werden 87. Die A wäre demnach strafbar gem. § 145 d I Nr. 1 StGB. Aber auch nach den von Stree und Krümpelmann vertretenen Literatur-
84
Vgl. hierzu Michaelis-Arntzen,
85
Vgl. im einzelnen zum Gewaltbegriff i. S. des § 177 StGB Sch / Sch-Lenckner, § 177 Rdn. 4.
86
S. hierzu BGH, NJW 1984, 1632; Sch / Sch-Lenckner, § 177 Rdn. 4a.
87
Vergewaltigung, S. 43 ff.
Vgl. hierzu OLG Hamm, NStZ 1987, 558 (559); zustimmend OLG Karlsruhe, MDR 1992, 1166 (1167).
Α. Der objektive Tatbestand
155
ansichten unterliegt die Strafbarkeit der A trotz des vorhandenen Wahrheitskerns keinen Bedenken: Zum einen hat die A ein Privatklagedelikt (vgl. § 374 I Nr. 2 StPO) als Offizialdelikt hingestellt, zum anderen hat sie aus einem Vergehen (vgl. § 185 StGB i. V. m. § 12 I I StGB) ein Verbrechen (vgl. § 177 StGB i. V. m. § 12 I StGB) gemacht. Allein Rudolphi müßte in dem dargelegten Beispielsfall Straflosigkeit annehmen, weil das wirkliche deliktische Geschehen (Beleidigung i. S. des § 185 StGB 88 ) sich mit dem von der Täterin vorgetäuschten deliktischen Geschehen (Vergewaltigung i. S. des § 177 StGB) jedenfalls partiell überschneidet. Die Tatsache, daß man mit der von Rudolphi vertretenen Auffassung zur Straflosigkeit gelangt, ist zugleich das entscheidende Argument gegen diese Ansicht. Dies folgt daraus, daß die Annahme von Straflosigkeit in einem derart gelagerten Fall nicht mehr mit dem Schutzgedanken des § 145 d (I Nr. 1) StGB zu vereinbaren ist 89 . Der Zweck der Vorschrift besteht schließlich darin, eine Verschwendung des behördlichen Arbeitspotentials durch eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme der Strafverfolgungsorgane zu verhindern. Eine solche Verschwendung kann aber für den Fall, daß eine Beleidigung als Vergewaltigung dargestellt wird, nicht bezweifelt werden. Die zur Aufklärung des Verbrechens einer Vergewaltigung durchzuführenden Ermittlungsmaßnahmen sind nun einmal mit Blick sowohl auf die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen (z.B. medizinische Untersuchungen, Aufnahme der Zeugenaussagen) als auch die rechtliche Bewertung (z.B. Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen90, Feststellung der Gewaltanwendung und der finalen Verknüpfung zwischen Gewaltanwendung und Erzwingung des Beischlafs) wesentlich umfangreicher als die mit einer Beleidigung einhergehenden Untersuchungen. Rudolphi erkennt die Gefahr eines erheblichen Mehraufwandes auch an, will aber aus zwei Gründen gleichwohl am Ergebnis der Straflosigkeit festhalten. Zum einen führe ein anderes Ergebnis „zu kaum überwindbaren Abgrenzungsschwierigkeiten", zum anderen dürfe nicht verkannt werden, daß „die von den Strafverfolgungsorganen getroffenen Maßnahmen allein ihrem Umfang, nicht aber ihrem Grunde nach unnötig waren" 91 . Diese Einwände vermögen jedoch
88
Vgl. ausführlich zur sog. „Sexualbeleidigung" Sch / Sch-Lenckner, § 185 Rdn. 4.
89
Vgl. hierzu OLG Hamm, NStZ 1987, 558 (559); OLG Karlsruhe, MDR 1992, 1166 (1167); Stree, NStZ 1987, 559 (560); Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1021). 90 Vgl. umfassend zu den besonderen Erschwerungen für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Aussagepersonen bei Vergewaltigungsdelikte Michaelis-Arntzen, Vergewaltigung, S. 43 ff. 91
So wörtlich SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 9c.
156
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
nicht zu überzeugen. Die Tatsache, daß eine Abgrenzung zwischen tatbestandsmäßiger Täuschungshandlung und straflosem Aufbauschen ohne Rückgriff auf das JCriterium einer „partiellen Überschneidung" mit Schwierigkeiten verbunden ist, ändert nichts an der Notwendigkeit einer solchen Grenzziehung. Schließlich kann es nicht angehen, Fälle offenkundiger Verschwendung behördlicher Ermittlungskapazitäten allein deswegen straflos zu stellen, weil sich das Auffinden eines geeigneten Abgrenzungskriteriums als schwierig erweist. Selbst wenn sich tatsächlich kein taugliches Abgrenzungskriterium finden lassen sollte, ist es besser mit einem Katalog tatbestandlicher bzw. tatbestandsloser Täuschungshandlungen (mit Wahrheitskern) zu arbeiten, als auf eine Unterscheidung fast völlig zu verzichten. Was den Hinweis Rudolphis betrifft, die zusätzlichen Ermittlungsmaßnahmen seien zwar nicht in ihrem Ausmaß, wohl aber „dem Grunde nach berechtigt" gewesen, ist festzustellen, daß weder der Gesetzeswortlaut noch der Schutzzweck des § 145 d StGB eine solche Differenzierung zulassen. Die Vorschrift stellt ausdrücklich alle Täuschungen über die Begehung einer rechtswidrigen Tat unter Strafe, ohne danach zu unterscheiden, ob die durch die Täuschungshandlung (möglicherweise 92) hervorgerufenen Ermittlungsmaßnahmen insgesamt oder „nur" in ihrem Ausmaß sinnlos sind. Zudem kann es mit Blick auf einen effektiven Rechtsgüterschutz keinen Unterschied machen, warum aufgrund der Täuschungshandlung des Täters unnötige Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet wurden. Entscheidend ist doch allein, daß es überhaupt zu einer solchen Verschwendung behördlichen Ermittlungspotentials gekommen ist. Die von Rudolphi vorgeschlagene Differenzierung nach der zumindest „partiellen Überschneidung" von tatsächlichem und vorgetäuschtem deliktischen Geschehen vermag noch aus einem weiteren Grund nicht zu überzeugen. Rudolphi verkennt bei seiner Unterscheidung, daß das Verändern einer wirklich begangenen Tat durchaus mehr unnötige Ermittlungsarbeit hervorrufen kann als das vollständige Vortäuschen einer selbständigen Tat 93 . So wird etwa die Verfälschung einer leichten Körperverletzung in einen Raub wesentlich intensivere Ermittlungen nach sich ziehen als das vollständige Erfinden einer leichten Körperverletzung. Genauso wird — um auf das oben geschilderte Beispiel zurückzukommen — die Darstellung einer Beleidigung als Vergewaltigung umfangreichere Mehrarbeiten auslösen als das Vortäuschen einer Beleidigung selbst. Es
92 Auf den tatsächlichen Eintritt eines entsprechenden Erfolges kommt es angesichts der Tatbestandsstruktur der Vorschrift — schlichtes Tätigkeits- und abstraktes Gefährdungsdelikt — nicht an. 93
S. Stree, NStZ 1987, 559 (560).
Α. Der objektive Tatbestand
157
ist aber nicht einzusehen, warum ausgerechnet die Fälle strafbar sein sollen, in denen die Gefahr erheblicher täuschungsbedingter Mehrarbeit geringer ist als in den Fällen, die straflos gestellt werden. Die Auffassung Rudolphis ist damit nicht zuletzt aufgrund interner Widersprüche insgesamt abzulehnen.
(2) Kritik an der Heranziehung abstrakter Gewichtungen der Straftaten untereinander Den Auffassungen von Stree und Krümpelmann wird zunächst entgegen gehalten, daß sie sich allein an abstrakten Gewichtungen der Straftaten untereinander und nicht am geschützten Rechtsgut des § 145 d StGB orientieren 94. Zudem könne ein Vergehen einen ebenso großen Ermittlungsaufwand verursachen wie ein Verbrechen 95. Aber auch die Frage, ob aus einem Antrags- oder Privatklagedelikt ein Offizialdelikt gemacht werde, sei als Abgrenzungskriterium nicht geeignet, weil der den Sachverhalt verfälschende Täter immer auch Strafantrag hinsichtlich des tatsächlichen Delikts stellen werde und eine eventuelle Verweisung auf den Privatklageweg stets vorherige Ermittlungen dahingehend verlange, ob nicht z.B. ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehe (vgl. § 376 StPO) 96 . Aus diesen Gründen sei auch bereits die fälschliche Schilderung eines Antrags- oder Privatklagedelikts tatbestandlich relevant. Diese vor allem in der Rechtsprechung geäußerte Kritik an den Auffassungen von Stree und Krümpelmann geht in mancher Hinsicht sicherlich fehl. Dies gilt insbesondere für den Vorwurf, die jeweiligen Abgrenzungskriterien seien nicht am geschützten Rechtsgut des § 145 d StGB orientiert. Dabei wird übersehen, daß die jeweils verwendeten abstrakten Gewichtungen (Vergehen / Verbrechen bzw. Antrags- oder Privatklagedelikt / Offizialdelikt) als Indiz für eine unterschiedlich intensive Ermittlungstätigkeit angesehen werden und eine Abgrenzung anhand dieser Kriterien damit durchaus dem Schutzgedanken der Vorschrift Rechnung trägt 97 . So soll nach der Ansicht Krümpelmanns die Darstellung eines Vergehens als Verbrechen ein verläßliches Indiz gerade dafür sein, daß eine tatbestandlich relevante Verschwendung behördlichen Arbeitspotentials zu erwarten sei, während bei einer Täuschung unterhalb der Ver-
94
Vgl. zu dieser Kritik OLG Hamm, NStZ 1987, 558 (559).
95
So OLG Hamm, NStZ 1987, 558 (559).
96
OLG Hamm, NStZ 1987, 558 (559).
97
Vgl. hierzu Stree, NStZ 1987, 559 (560).
158
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
brechensgrenze der Umfang fehlgeleiteter Ermittlungstätigkeit so gering sein soll, daß eine Bestrafung aus § 145 d StGB (noch) nicht geboten sei 98 . In gleicher Weise orientiert sich Stree an dem durch § 145 d StGB geschützten Rechtsgut, wenn er erst die durch das Hinstellen eines Antrags- oder Privatklagedelikts als Offizialdelikt hervorgerufene Mehrarbeit als tatbestandlich relevant ansieht99. Zutreffend ist die Kritik an der Ansicht Krümpelmanns allerdings insoweit, als die Umgestaltung eines Vergehens in ein Verbrechen nicht zwangsläufig zu einer nennenswerten Mehrarbeit führen muß. Verdeutlichen läßt sich dies an folgenden Beispielen 100 : Sofern der Täter die Dauer einer über sechstägigen Freiheitsberaubung nur um wenige Stunden übertreibt, wird dies sicherlich keine Auswirkungen auf den Umfang oder die Intensität der Verfolgungsmaßnahmen haben, obwohl aus einem Vergehen bereits ein Verbrechen (vgl. § 239 I I StGB) gemacht wurde. Gleiches gilt etwa für den Fall, daß anläßlich einer tatsächlich erfolgten Erpressung die Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben aufgebauscht und damit ein Verbrechen nach § 255 StGB vorgetäuscht wird. Aber auch die Darstellung einer Tötung auf Verlangen (Vergehen) als Totschlag (Verbrechen) wird den Strafverfolgungsorganen keine nennenswerte Mehrarbeit gegenüber einer wahrheitsgemäßen Sachverhaltsschilderung bereiten. Die Ansicht Krümpelmanns vermag demnach insoweit nicht zu überzeugen, als sie den Übergang von einem Vergehen zu einem Verbrechen als ein Kriterium strafbaren Vortäuschens ansieht. Das verbleibende Abgrenzungskriterium — die Schaffung eines selbständigen Ermittlungsgegenstands — gewährleistet allein keinen effektiven Rechtsschutz mehr, weil es nicht zur Erfassung der Fälle geeignet ist, in denen der Täter ein tatsächliches deliktisches Geschehen derart entstellt, daß die Einleitung umfangreicher unnötiger Ermittlungsmaßnahmen fast zwangsläufig ausgelöst wird (z.B. die Darstellung einer Sexualbeleidigung als Vergewaltigung). Insofern entspricht die Kritik dann der an der Auffassung Rudolphs 1 0 1 .
98
Vgl. im einzelnen Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1023 ff.).
99
S. im einzelnen Stree, NStZ 1987, 559 (560).
100
Vgl. Stree, NStZ 1987, 559 (560).
101
S. oben (1).
Α. Der objektive Tatbestand
159
Fraglich bleibt, inwiefern auch die Kritik an dem von Stree vorgeschlagenen Abgrenzungskriterium zutreffend ist. Soweit behauptet wird, auch die fälschliche Schilderung als Antragsdelikt könne wegen des regelmäßig zu erwartenden Strafantrags von Seiten des Verletzten zu erheblicher Mehrarbeit führen, hält Stree dem entgegen, daß die Täuschungshandlung nicht unbedingt von der Person des Verletzten ausgehen müsse. Täuschender könne vielmehr auch ein Dritter sein, der dann keinen Strafantrag hinsichtlich des tatsächlich verwirklichten Delikts stellen könne, womit wiederum eine Beschränkung der erforderlichen Ermittlungstätigkeit einhergehe 102. Daß auch ein Privatklagedelikt behördliche Ermittlungen auslösen kann, weil die Verfolgungsbehörden immerhin das Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung überprüfen müssen, erkennt Stree an. Er verweist insoweit allerdings darauf, daß die mit der Überprüfung des öffentlichen Interesses verbundenen Ermittlungen wesentlich weniger Arbeit erfordern würden als die Ermittlungen im Fall eines Offizialdelikts 103 . Im Vergleich zu den bei einem Offizialdelikt erforderlichen Maßnahmen könne daher nicht von einer erheblichen Mehrarbeit gesprochen werden. Diese Argumentation Strees, mit der er sich gegen die von der Rechtsprechung vorgebrachte Kritik an seinem Abgrenzungskriterium wendet, mag sicherlich in einer Vielzahl der Fälle, in denen ein Antrags- oder Privatklagedelikt als Offizialdelikt hingestellt wird, zutreffen. Dies kann jedoch zum einen nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Hinstellen eines deliktischen Geschehens als Antrags- oder Privatklagedelikt im Einzelfall doch unnötige Ermittlungsarbeiten auslösen kann, die in ihrem Umfang mehr als nur eine unerhebliche Mehrarbeit darstellen. Dies räumt Stree immerhin selbst ein, wenn er ausdrücklich darauf hinweist, daß das von ihm vorgeschlagene Abgrenzungskriterium allein indizielle Bedeutung haben kann 104 . Zum anderen ist zu bedenken, daß die von Stree vertretene Ansicht in den Fällen nicht zur Abgrenzung tatbestandlicher Täuschungen und strafloser Übertreibungen geeignet ist, in denen das tatsächlich verwirklichte Delikt bereits ein Offizialdelikt darstellt. So etwa, wenn ein Raub der Wahrheit zuwider durch die Schilderung, der Täter habe eine Schußwaffe bei sich getragen, zu einem schweren Raub (§ 250 I Nr. 1 StGB) gemacht wird. Es ist allerdings einhellige Auffassung, daß ein solcher
102
Vgl. Stree, NStZ 1987, 559 (560).
103
Stree, NStZ 1987, 559 (560).
104
Vgl. Stree, NStZ 1987, 559 (560).
160
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
Fall aus dem Tatbestand des § 145 d ( I Nr. 1) StGB auszuklammern ist 1 0 5 . Dieses Ergebnis läßt sich allein mit dem von Stree vertretenen Abgrenzungskriterium aber nicht erzielen 106 . Zweifelhaft bleibt schließlich auch die Behandlung der Fälle, in denen der Täter aus einem Antragsdelikt zwar kein Offizialdelikt im Sinne einer uneingeschränkt verfolgbaren Straftat macht, das Antragsdelikt aber der Wahrheit zuwider als Ermächtigungsdelikt hinstellt 107 . So etwa, wenn der Täter vortäuscht, die Beleidigung eines einzelnen Kommunalpolitikers sei tatsächlich gegen den Stadtrat als solchen gerichtet gewesen 108 . Gem. § 194 IV StGB ist dann zur Strafverfolgung die Ermächtigung der (vermeintlich) betroffenen Körperschaft (im Beispiel der Stadtrat) erforderlich. Nach der von Stree vertretenen Ansicht zur Täuschung über ein Antragsdelikt wäre es nur konsequent, mit Blick auf die erforderliche Ermächtigung durch die betroffene Körperschaft — jedenfalls indiziell — das Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Täuschungshandlung abzulehnen. Dem stünden allerdings insofern Bedenken entgegen, als bei den Ermächtigungsdelikten die Initiative regelmäßig bei den Strafverfolgungsbehörden liegt und nicht — wie bei den Antragsdelikten — beim Verletzten. Dies folgt daraus, daß die Strafverfolgungsbehörden die Ermächtigung von Amts wegen einzuholen haben und die Ermächtigung ferner nicht den positiven Willen zur Strafverfolgung zum Ausdruck bringen muß, sondern nur, daß der Wille des Staatsorgans der Strafverfolgung nicht entgegensteht109. Angesichts dieser rechtlichen Situation kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Strafverfolgungsorgane bereits umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen einleiten, bevor die Ermächtigung, deren Erteilung sich im übrigen als sehr langwierig erweisen kann, tatsächlich vorliegt. In diesem Fall ist aber eine Bestrafung des Täters aus § 145 d I Nr. 1 StGB geboten.
105 Vgl. nur OLG Hamm, NJW 1971, 1324 (1325) für die Rechtsprechung und Lackner / Kühl § 145 d Rdn. 4 für das Schrifttum. 106 Freilich befürwortet auch Stree in den Fällen der Vorspiegelung, eine Tat sei in qualifizierter Form begangen worden, Straflosigkeit (vgl. Sch / SchStree, § 145 d Rdn. 9). Dies wird allerdings nur mit der pauschalen Behauptung zu begründen versucht, es handele sich um „das Aufbauschen einer begangenen Tat". 107 Die Ermächtigungsdelikte, zu denen §§ 90, 90 b, 97, 194 IV, 353 a, 353 b StGB zählen, stellen neben den Antragsdelikten eine weitere Einschränkung des Offizialprinzips dar. Die Notwendigkeit einer Ermächtigung zur Strafverfolgung stellt es in das Ermessen der zuständigen politischen Organe, ob bei Straftaten von politischer Bedeutung die Strafverfolgung überhaupt stattfinden oder besser unterbleiben soll. 108
Vgl. hierzu Sch / Sch-Lenckner, § 194 Rdn. 17-19.
109
Vgl. Sch /Sch-Stree,
§ 77 e Rdn. 2.
Α. Der objektive Tatbestand
161
Zusammenfassend ist damit festzustellen, daß sich auch die von Stree vertretene Ansicht in vielen Fällen als nicht geeignet erweist, eine eindeutige Grenze zwischen tatbestandsmäßiger Täuschungshandlung und straflosem Aufbauschen zu ziehen.
(3) Kritik an dem Erfordernis „erheblicher Mehrarbeit" Während sich Stree und Krümpelmann noch um eine Präzisierung des auch nach ihrer Auffassung entscheidenden Begriffs der „erheblichen Mehrarbeit" bemühen, fehlen solche Präzisierungsversuche in der Rechtsprechung (und dem der Rechtsprechung folgenden Schrifttum) völlig. Die für die Rechtsprechung maßgebliche Frage, ob „die Ermittlungsbehörden mit den nach der erweiterten Sachdarstellung erforderlichen Maßnahmen in einem erheblichen Umfang mehr belastet werden", wird für jeden zu entscheidenden Fall einzeln beantwortet, ohne daß dabei ein Bemühen um eine nachvollziehbare Definition der verschiedenen Begriffe erkennbar ist. Letztlich erweisen sich die von der Rechtsprechung verwendeten Begriffe damit als konturenlos. Anstelle eines scharf umrissenen Abgrenzungskriteriums wird denn auch mehr und mehr ein offener Fallkatalog verwendet. Die Konturenlosigkeit der von der Rechtsprechung verwendeten Begriffe ruft aber im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 I I GG) Bedenken hervor 110 .
dd) Der eigene Standpunkt Die bisherige kritische Auseinandersetzung mit den einzelnen Rechtsansichten hat bereits gezeigt, daß jeder Begründungsansatz nicht unerhebliche Schwächen aufweist. Dabei liegt der wesentliche Schwachpunkt sicherlich darin, daß es keiner Auffassung gelingt, ein Abgrenzungskriterium vorzuweisen, das nicht nur eine indizielle, sondern eine grundsätzliche Aussage darüber zu treffen vermag, wann ein tatbestandsmäßiges Vortäuschen oder aber ein strafloses Aufbauschen vorliegt. Dieser Schwachpunkt wird immerhin auch in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, wenn dort davon die Rede ist, daß „es zweifelhaft ist, ob
1,0
11 Saal
Vgl. Geppert, JK, StGB § 145 d / 4 im Anschluß an Stree, NStZ 1987, 559 f.
162
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
sich allgemein überhaupt eine scharf umrissene Grenze abstecken läßt, ohne daß damit sachwidrige Ergebnisse verbunden sind" 111 . Nach dem hier vertretenen Standpunkt sind die Schwierigkeiten der bisher in Rechtsprechung und Literatur vorgeschlagenen Lösungswege darauf zurückzuführen, daß die Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB ausnahmslos keine Berücksichtigung findet 112 . Dies hat seinen Grund sicherlich darin, daß die Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB bei der Behandlung der einzelnen Tatbestandsprobleme ohnehin entweder keine oder aber eine völlig untergeordnete Rolle spielt. Dieses Außerachtlassen ist allerdings schlicht unzulässig, weil die Tatbestandsstruktur einer Strafvorschrift stets Auswirkungen auf die Frage nach der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens hat. Damit kommt es auch im Rahmen der Abgrenzung zwischen tatbestandsmäßiger Täuschungshandlung und straflosem Übertreiben darauf an, daß § 145 d StGB abstraktes Gefährdungsdelikt ist. Versteht man § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt, so ist grundsätzlich jede Form der Verfälschung der Realität gegenüber den Ermittlungsbehörden als „Täuschung über eine rechtswidrige Tat" anzusehen, und zwar unabhängig davon, ob durch die Täuschung im Einzelfall tatsächlich die Gefahr behördlicher Mehrarbeit hervorgerufen wird. Dieses absolute Lügeverbot gegenüber Behörden oder zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stellen ist Ausdruck der für ein abstraktes Gefährdungsdelikt kennzeichnenden eindeutigen Verhaltensanordnung in Form eines bestimmten Ge- oder Verbots. Hiervon ausgehend muß bei der Behandlung der Frage nach der Abgrenzung von strafbarer Täuschungshandlung und straflosem Aufbauschen zunächst festgestellt werden, daß eine Täuschung grundsätzlich auch dann tatbestandsmäßig ist, wenn sie einen Wahrheitskern enthält. Schließlich stellt jede Veränderung eines tatsächlichen deliktischen Geschehens eine Verfälschung der Realität und damit eine „Täuschung über die Begehung einer rechtswidrigen Tat" dar. Diese Feststellung muß deswegen am Anfang der Auseinandersetzung mit der dargelegten Problematik stehen, weil anderenfalls die mit dem Regelungstypus des abstrakten Gefährdungsdelikts verbundene eindeutige Verhaltensanordnung eines Lügeverbots unterlaufen würde. Letzteres ist denn auch den verschiedenen
1,1
Vgl. OLG Karlsruhe, MDR 1992, 1166 (1167) im Anschluß an Stree, NStZ 1987, 559 (560). S. auch Hassemer, JuS 1988, 233; Ostendorf,\ JZ 1989, 573 (578). 112 Selbst diejenigen, die § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt einstufen (vgl. etwa Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 3; AK-Schild, § 145 d Rdn. 10), ziehen hieraus für die oben angesprochene Abgrenzung keinerlei Schlußfolgerungen.
Α. Der objektive Tatbestand
163
Literaturansichten entgegenzuhalten, die das Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Täuschungshandlung unter dem Gesichtspunkt einer „erheblichen behördlichen Mehrarbeit" davon abhängig machen wollen, ob der Täter ein Vergehen als Verbrechen bzw. ein Antrags- oder Privatklagedelikt als Offizialdelikt hinstellt. Damit wird das eindeutige umfassende Lügeverbot gegenüber den Ermittlungsbehörden zugunsten einer neuen Verhaltensanordnung aufgegeben, die besagt, daß falsche Sachverhaltsschilderungen jedenfalls so lange zulässig sind, wie weder ein Vergehen als Verbrechen noch ein Antrags- oder Privatklagedelikt als Offizialdelikt dargestellt werden. Die Folge einer solchen Modifizierung des Lügeverbots wäre dann, daß sich auch potentielle Täter auf ein berechenbares Strafbarkeitsrisiko bei der Irreführung von Strafverfolgungsorganen einrichten könnten. Um einer solchen Entwicklung, die mit der Tatbestandsstruktur eines abstrakten Gefährdungsdelikts nicht mehr zu vereinbaren ist, entgegenzuwirken, müssen die in der Literatur vorgeschlagenen Präzisierungsversuche zur Bestimmung eines tatbestandsmäßigen Vortäuschens strikt abgelehnt werden. Im übrigen ist zu bedenken, daß mit dem Aufstellen der dargelegten Abgrenzungskriterien eine bestimmte Erfolgsbetrachtung vorgenommen wird: Sobald der Täter ein Vergehen als Verbrechen bzw. ein Antrags- oder Privatklagedelikt als Offizialdelikt hinstellt, soll dies einen tatbestandlichen Erfolg im Sinne einer „erheblichen behördlichen Mehrarbeit" hervorrufen. Eine solche Erfolgsbetrachtung ist aber ebenfalls nicht mehr mit der Tatbestandsstruktur eines abstrakten Gefährdungsdelikts in Einklang zu bringen. Mit der Schaffung abstrakter Gefährdungstatbestände bringt der Gesetzgeber gerade zum Ausdruck, daß jedwede Erfolgsbetrachtung allein ihm selbst beim Aufstellen der Strafbestimmung zukommen soll. Soweit § 145 d StGB betroffen ist, hat der Gesetzgeber aber einen Erfolg im Sinne der von Stree oder Krümpelmann vorgeschlagenen Abgrenzungskriterien nicht vorgesehen. Die Tatsache, daß grundsätzlich jede Verfälschung der Realität gegenüber den Ermittlungsorganen als „Vortäuschen einer Straftat" anzusehen ist, bedeutet allerdings nicht, daß damit auch tatsächlich alle die Fälle bestraft werden müßten, die von Rechtsprechung und Literatur — trotz unterschiedlicher Begründungen — im Ergebnis als bloßes Aufbauschen straffrei gestellt werden. Wie oben festgestellt, bietet sich bei abstrakten Gefährdungsdelikten das Geringfügigkeitsprinzip (als Unterfall teleologischer Auslegung) zur Straffreistellung solcher Fälle an, die selbst bei häufigem Auftreten zu keiner Gefährdung des geschützten Rechtsguts führen können. Von letzterem ist für den Fall des § 145 d I Nr. 1 StGB beispielsweise dann auszugehen, wenn der Täuschende lediglich den Umfang der Diebesbeute fälschlicherweise vergrößert, anstelle
1*
164
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
eines tatsächlich begangenen strafbaren Versuchs eine vollendete Straftat anzeigt oder eine wirklich begangene Tat in eine qualifizierte Begehungsform umfälscht. In diesen Fällen wird entweder überhaupt kein Mehraufwand an behördlicher Ermittlungstätigkeit nötig sein oder aber der Umfang eventueller Mehrarbeit wird derart gering sein, daß selbst bei massenhaftem Auftreten keine spürbare Beeinträchtigung des behördlichen Arbeitspotentials zu befürchten ist. Diese Beispiele zeigen bereits auf, daß für die Beurteilung, ob eine Täuschung mit Wahrheitskern unter dem Gesichtspunkt des Geringfügigkeitsprinzips aus dem Tatbestand des § 145 d (I Nr. 1) StGB auszuklammern ist, auf den in Rechtsprechung und Literatur bereits herausgearbeiteten Katalog der Fälle des „straflosen Aufbauschens" zurückgegriffen werden kann 113 . Trotz des unterschiedlichen Begründungsansatzes — grundsätzliche Tatbestandsmäßigkeit jeder Täuschungshandlung — werden damit für die Frage der Strafbarkeit bzw. Straflosigkeit des Täuschenden die gleichen Ergebnisse erzielt wie in Rechtsprechung und Schrifttum. Sicherlich ist einzuräumen, daß mit der hier vertretenen Ansicht ebenfalls kein scharf umrissenes Abgrenzungskriterium für die Fälle des tatbestandsmäßigen Vortäuschens bzw. des straflosen Aufbauschens geschaffen wird. Ein solches Abgrenzungskriterium ist allerdings auch nicht mit der Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt zu vereinbaren. Zuzugeben ist des weiteren, daß mit der Heranziehung des Geringfügigkeitsprinzips zwecks Ausschluß bestimmter Minimalverstöße ein Rückgriff auf den bisher in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Katalog der Fälle des bloßen Aufbauschens einhergeht. Die entscheidenden Vorteile des hier vertretenen Begründungsansatzes liegen aber darin, daß zum einen die in der Rechtsprechung verwendeten konturlosen Begriffe „erforderliche Maßnahmen" bzw. „erhebliche Mehrarbeit" vermieden werden und zum anderen die Einordnung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt Berücksichtigung findet.
ee) Ergebnis Zusammenfassend ist demnach festzustellen, daß die Täuschung über eine rechtswidrige Tat wegen der Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB grundsätzlich auch dann tatbestandsmäßig ist, wenn sie einen Wahrheitskern enthält. Ein
113 Letztlich weist der in der Rechtsprechung verwendete Begriff der „erheblichen Mehrarbeit" darauf hin, daß das „Geringfügigkeitsprinzip" der Sache nach bereits anerkannt wird.
165
Α. Der objektive Tatbestand
Ausschluß auf der Tatbestandsebene kommt allein unter dem Gesichtspunkt des Geringfügigkeitsprinzips in Betracht. Insoweit kann auf den in Rechtsprechung und Literatur erarbeiteten Katalog der Fälle des bloßen Aufbauschens zurückgegriffen werden.
b) Die Selbstbezichtigung zur Herbeiführung
des Nachweises
der eigenen Unschuld
Es ist einhellige Ansicht, daß ein tatbestandsmäßiges Vortäuschen i. S. des § 145 d I Nr. 1 StGB auch durch eine falsche Selbstanzeige erfolgen kann 114 . Nach wie vor ungeklärt sind allerdings die Fälle, in denen es einem zu Unrecht in Verdacht Geratenen bei einer Selbstbezichtigung nur um den Nachweis der eigenen Unschuld in dem angestrebten Verfahren geht. Während die ganz überwiegende Meinung die Tatbestandsmäßigkeit einer solchen Selbstbezichtigung pauschal mit der Begründung ablehnt, der Täter täusche nicht 115, wird in der Literatur auch die gegenteilige Ansicht mit dem Hinweis vertreten, daß das Strafverfahrensrecht kein „bloßes Reinigungsverfahren" kenne 116 . Wie im folgenden aufzuzeigen sein wird, kann keiner dieser Ansichten uneingeschränkt zugestimmt werden. Richtigerweise ist zwischen zwei Fallkonstellationen zu differenzieren: Zum einen geht es um die Beurteilung der Fälle, in denen der zu Unrecht in Verdacht Geratene wahrheitsgemäß die gegen ihn vorliegenden Verdachtsmomente gegenüber den Strafverfolgungsorganen vorbringt. In einem solchen Fall ist wegen der Richtigkeit der gemachten Angaben ein Vortäuschen bereits begrifflich ausgeschlossen. Insoweit muß also mit der ganz herrschenden Meinung von der Straflosigkeit desjenigen, der sich selbst anzeigt, ausgegangen werden. Zum anderen ist aber auch der Fall denkbar, daß der Betroffene sich nicht auf die wahrheitsgemäße Schilderung der gegen ihn vorhandenen Verdachtsmomente beschränkt. Er kann vielmehr dazu übergehen, über die richtigen Angaben hinaus, weitere frei erfundene zu machen, oder aber sogar ein Geständnis abzu-
1,4
Vgl. Dreher/Tröndle, § 145 d Rdn. 5; Schmidhäuser, BT, 23 / 5; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 10; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 10. 115
So AK-Schild, § 145 d Rdn. 16; Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 5; LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 7; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 10; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 10; Schmidhäuser, BT, 23 / 5; Welzel, S. 524. 116
Vgl. Bockelmann, BT 3, § 5 I I 3; HJ. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 77.
166
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
legen. Ein solches Vorgehen kann der Betroffene deshalb für ratsam halten, weil sich die Strafverfolgungsbehörden vielfach erst durch solche Angaben (insbesondere ein Geständnis) zur Einleitung des angestrebten Ermittlungsverfahrens veranlaßt sehen werden, an dessen Ende dann der gewünschte Nachweis der eigenen Unschuld steht. Bei der Beurteilung dieser Fallkonstellation ist zunächst festzustellen, daß eine Verfälschung der Realität gegenüber den Strafverfolgungsorganen unzweifelhaft gegeben ist, d.h. der Täter täuscht. Geht die angegangene Behörde den Hinweisen des Selbstanzeigers nunmehr in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nach, so erfolgen diese Überprüfungen jedenfalls auch im Hinblick auf die unwahren Angaben. Die Nachforschungen sind insoweit aber unnötig und wären bei wahrheitsgemäßer Schilderung der bestehenden Verdachtsmomente auch nicht angestellt worden. Damit würde es zu einer Fehllenkung behördlicher Ermittlungstätigkeit kommen, so daß nach dem Schutzzweck des § 145 d StGB eine Bestrafung geboten ist. Aber selbst wenn es im Einzelfall zu keinem Fehleinsatz kommen sollte (z.B. weil dieselben Ermittlungen auch ohne das Geständnis des Betroffenen erfolgt wären), ist dies aufgrund der Tatbestandsstruktur der Vorschrift ohne Belang. Aus der Einordnung des § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt ergibt sich, daß eine Verfälschung der Realität auch dann als tatbestandsmäßige Täuschungshandlung anzusehen ist, wenn sie im konkreten Einzelfall keine Gefahr behördlicher Mehrarbeit hervorgerufen hat. Als Ergebnis ist also festzuhalten, daß eine Selbstbezichtigung zwecks Herbeiführung des Nachweises der eigenen Unschuld nur dann nicht tatbestandsmäßig ist, solange der Betroffene die gegen ihn vorliegenden Verdachtsmomente wahrheitsgemäß schildert. Sobald er aber den tatsächlichen Verdachtsmomenten unwahre Angaben oder ein Geständnis hinzufügt, ist der Tatbestand des § 145 d (I Nr. 1) StGB erfüllt.
c) Kollisionen mit dem strafrechtlichen
Selbstbegünstigungsprinzip
Bereits im Rahmen des § 145 d I Nr. 1 StGB kann sich die Frage stellen, ob der Tatbestand der Deliktsvortäuschung im Hinblick auf das strafrechtliche
Α. Der objektive Tatbestand
167
Selbst- bzw. Fremdbegiinstigungsprinzip einschränkend auszulegen ist 117 . Zur Veranschaulichung diene folgender Beispielsfall:
A ist bei einer Bank als Geldbote angestellt. Da er sich in finan-
ziellen Schwierigkeiten befindet, behält er eine nicht unbedeutende Summe Geld für sich. Um die veruntreuende Unterschlagung (§ 246 I 2. Alt. StGB) zu verdecken, behauptet er (u.a. gegenüber Polizeibeamten), er sei Opfer eines Raubüberfalls geworden. Die daraufhin eingeleiteten umfangreichen Ermittlungen ergeben allerdings keine Anhaltspunkte für einen Raubüberfall, so daß A schon bald selbst in Verdacht gerät. Schließlich gesteht A seine Tat, beruft sich aber darauf, daß er sich nur vor eigener Bestrafung schützen wollte. In Rechtsprechung und Literatur wird überwiegend die Ansicht vertreten, daß sich derjenige, der zur Verdeckung seiner Straftat in Selbstbegünstigungsabsicht die Straftat eines anderen vortäuscht, nach § 145 d I Nr. 1 StGB strafbar macht 118 . Im Beispielsfall war es demnach ohne Bedeutung, daß A einen Verdacht von sich ablenken wollte. Zur Begründung für dieses Ergebnis wird allgemein darauf verwiesen, daß der Gesetzgeber für die Strafvorschrift des § 145 d StGB gerade kein Selbstbegünstigungsprivileg vorgesehen habe 119 . Während das Fehlen eines ausdrücklichen Selbstbegünstigungsprivilegs im Rahmen der Beteiligtentäuschung (§ 145 d I I Nr. 1 StGB) noch zum Anlaß genommen wird, selbstbegünstigende Täuschungshandlungen durch rechtsgutorientierte Privilegierungstendenzen aus dem Tatbestand auszuklammern 120, sind solche Tendenzen innerhalb des § 145 d I Nr. 1 StGB nicht erkennbar. Im Rahmen dieser Tatbestandsalternative bleibt es also nach überwiegender Meinung dabei, daß die Selbstbegünstigungsabsicht des Täuschenden keine Beachtung findet.
117 Die Frage, inwieweit Fremdbegünstigungshandlungen straffrei zu stellen sind, ist im Rahmen des § 145 d I Nr. 1 StGB nur von geringer Bedeutung. Überhaupt liegt der Schwerpunkt der Kollision des strafrechtlichen Selbst- und Fremdbegünstigungsprinzips mit dem Anwendungsbereich des § 145 d StGB bei dessen Abs. 1 Nr. 2. 118 Vgl. OLG Oldenburg, MDR 1949, 308; KG, VRS 10, 453 (457); Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 5; Otto, BT, § 95 I I 3; Maurach / Schroeder /Maiwald, BT 2, § 99 Rdn. 20; HJ. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 101 f.; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 17; Ulsenheimer, GA 1972, 1 (20). 119
S. OLG Oldenburg, MDR 1949, 208; KG, VRS 10, 453 (457); Ulsenheimer, GA 1972, 1 (20).
120
Umfassend hierzu die folgenden Ausführungen unter 2. b).
168
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
Nur eine Mindermeinung vertritt einen abweichenden Standpunkt121. Danach soll § 145 d I Nr. 1 StGB nicht verwirklicht sein, weil die zum Zweck der Selbstbegünstigung erfolgte Täuschung „vom Unrechtsgehalt der begangenen Tat mit abgegolten" sei 122 . Gegen diese Rechtsansicht ist allerdings anzuführen, daß sie die Verschiedenheit der durch die tatsächlich begangene Straftat (im oben dargestellten Beispielsfall § 246 I 2. Alt. StGB) und durch § 145 d StGB geschützten Rechtsgüter unberücksichtigt läßt. § 145 d (I Nr. 1) StGB will die Strafverfolgungsorgane vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme schützen, die durch die Fehllenkung behördlicher Ermittlungstätigkeit erfolgt. Zu einer solchen Fehllenkung und Verschwendung behördlicher Ermittlungsarbeit kommt es aber, wenn die Behörden wegen einer Straftat (im Beispiçlsfall wegen einer Tat nach § 249 StGB) ermitteln, die tatsächlich nicht verübt worden ist. Soweit die Mindermeinung darauf abstellt, daß die Behörden wegen der tatsächlich begangenen Straftat ohnehin Ermittlungen eingeleitet hätten 123 , ist dem die Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB entgegenzuhalten. Mit der Einordnung der Vorschrift als abstraktes Gefährdungsdelikt ist grundsätzlich jede Form der Verfälschung der Realität gegenüber den Behörden als tatbestandliche Täuschungshandlung anzusehen. Danach genügt es bereits für das „Vortäuschen einer Straftat", wenn eine tatsächlich verwirklichte Straftat zu einer anderen Straftat desselben Täters verfälscht wird 1 2 4 . Dann aber muß die fälschliche Schilderung einer fremden Straftat zur Verdeckung eigenen deliktischen Handelns erst recht tatbestandsmäßig sein. Immerhin werden die Behörden insoweit sogar auf die Spur eines (vermeintlichen) Täters gesetzt, der mit
121 Vgl. Arzt/Weber, L H 5, Rdn. 416 im Anschluß an BGHSt. 6, 251 (255). In dem Fall, der der Entscheidung des BGH zugrunde lag, hatte der Täter in versicherungsbetrügerischer Absicht sein Warenlager in Brand gesetzt und Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Der BGH hat zwar eine Strafbarkeit nach der damaligen 1. Alt. des § 145 d StGB (heute § 145 d I Nr. 1 StGB) abgelehnt, den Täter aber aus § 145 d 2. Alt StGB (heute § 145 d I I Nr. 1 StGB) bestraft. Gegen eine Bestrafung aus § 145 d I I Nr. 1 StGB wendet Arzt (in Arzt /Weber, a.a.O.) ein, daß dem Täter damit eine Geständnispflicht auferlegt werde. Die Anzeige gegen Unbekannt sei eine ebenso notwendige Konsequenz des Leugnens, wie im Beispiel der Trunkenheit bei Fahrer und Beifahrer die Beschuldigung des Beifahrers Konsequenz des Leugnens des Fahrers sei (vgl. dazu einstweilen Fahrenhorst, JuS 1987, 707 [709] sowie die Ausführungen unter 2. b)). 122
So Arzt /Weber,
L H 5, Rdn. 416.
123
So Arzt / Weber, L H 5, Rdn. 416 unter Berufung auf BGHSt. 6, 251 (255). Die Tatsache, daß Arzt insoweit den Begriff des „Umfrisierens" der tatsächlich verwirklichten Straftat verwendet, zeigt, daß er die angesprochene Problematik letztlich in die Nähe der Fälle des „bloßen Aufbauschens" rücken will. 124
kern".
Vgl. die obigen Ausführungen zur Tatbestandsmäßigkeit von „Täuschungen mit Wahrheits-
Α. Der objektive Tatbestand
169
dem Täter der wirklich begangenen Tat nicht identisch ist. In einem solchen Fall wird der Umfang unnötiger behördlicher Ermittlungstätigkeit noch größer sein. Aber selbst soweit dies im Einzelfall nicht geschehen sollte, z.B. weil die Strafverfolgungsbehörden durch Zufall auf die richtige Spur gelenkt werden, ist dies deswegen unbeachtlich, weil die Bestrafung aus einem abstrakten Gefährdungsdelikt davon unabhängig ist, ob im Einzelfall eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut hervorgerufen wurde. Mithin ist die dargelegte Mindermeinung abzulehnen. Als Ergebnis ist damit zunächst festzuhalten, daß die Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB die vorherrschende Meinung stützt, nach der auch derjenige den Tatbestand des § 145 d I Nr. 1 StGB erfüllt, der zur Verdeckung eigenen deliktischen Handelns die Straftat eines anderen vortäuscht. Die Tatbestandsmäßigkeit entsprechender Täuschungshandlungen bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, daß die jeweiligen Selbstbegünstigungshandlungen auch tatsächlich strafbar sind 125 . Immerhin gibt es im StGB mehrere Beispiele dafür, daß auf Selbstbegünstigung hinauslaufende Bestrebungen des Täters straflos bleiben können, obwohl sie — für sich gesehen — den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllen. So wird gem. § 258 V StGB - trotz Tatbestandsmäßigkeit126 - nicht wegen Strafvereitelung bestraft, wer durch die Vereitelungshandlung verhindern wollte, daß er selbst bestraft wird 1 2 7 . Entsprechendes gilt gem. § 258 V I StGB für die Strafvereitelung zugunsten eines Angehörigen ( § 1 1 Nr. 1 StGB). Im Bereich abstrakter Gefährdungsdelikte enthält § 157 StGB (sog. Aussagenotstand 128 ) eine Privilegierung von Selbst- bzw. Fremdbegünstigungsaktivitäten. Ob und inwieweit nunmehr auch im Rahmen des § 145 d I Nr. 1 StGB Selbst-
125 Insoweit ist der dargestellten h.M. (vgl. nur Ulsenheimer, GA 1972, 1 [20]) zu widersprechen, die die Tatbestandsmäßigkeit selbstbegünstigender Täuschungshandlungen mit Strafbarkeit gleichsetzt. 126 Nach h.M. enthält § 258 V StGB einen persönlichen Strafausschließungsgrund; vgl. Fahrenhorst, JuS 1987, 707; Rudolphi, JuS 1979, 859 (862 f.); Wessels, BT 1, § 16 III 4. Nach Dreher / Tröndle, § 258 Rdn. 13 handelt es sich um einen Schuldausschließungsgrund. Für die hier interessierende Frage ist dieser Unterschied belanglos, da der Tatbestand des § 258 StGB jedenfalls verwirklicht ist. 127
§ 258 V StGB erfaßt allerdings nicht die Fälle „reiner Selbstbegünstigungshandlungen", in denen der Täter sich selbst der strafrechtlichen Verfolgung oder der Vollstreckung einer Strafe oder Maßnahme entzieht. Insoweit handelt der Täter schon nicht tatbestandsmäßig, da er nicht zugunsten eines anderen tätig geworden ist; vgl. Fahrenhorst, JuS 1987, 707; Sch/Sch-Stree, § 258 Rdn. 33. 128
Zur verbrechenssystematischen Einordnung sowie zum Verhältnis zu § 35 I StGB vgl. Sch / Sch-Lenckner, § 157 Rdn. 1; SK-Rudolphi, § 157 Rdn. 1; Bergmann, Milderung, S. 81 ff. S. auch die Ausführungen unter III. 3. c).
170
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
(oder auch Fremd-)begünstigungshandlungen straflos gestellt werden können, kann allerdings nicht unabhängig von der Beteiligtentäuschung nach § 145 d I I Nr. 1 StGB beantwortet werden. Immerhin liegt bei dieser Tatbestandsalternative — auch in der Praxis 129 — der Schwerpunkt der Fälle, in denen der Täuschende einen Verdacht von sich oder einem Angehörigen abwenden will. Aufgrund dessen sollen im folgenden zunächst die einzelnen Rechtsprobleme des § 145 d I I Nr. 1 StGB behandelt werden, die ohnehin im wesentlichen auf der Frage nach der Anerkennung eines Selbst- bzw. Fremdbegünstigungsprivilegs beruhen 130. Im Anschluß daran sollen für beide Tatbestandsalternativen gemeinsam die Möglichkeiten einer fallübergreifenden Straffreistellung von Selbst- bzw. Fremdbegünstigungshandlungen erörtert werden 131 .
2. Die Täuschung über den Beteiligten an einer begangenen rechtswidrigen Tat (§ 145 d I I Nr. 1 StGB) Die Tathandlung des § 145 d I I Nr. 1 StGB ist die (erfolgreiche oder versuchte) Täuschung über die Person eines an einer rechtswidrigen Tat Beteiligten. Dabei besteht über den Begriff des „Beteiligten" noch Einigkeit. Gemeint sind Täter und Teilnehmer an einer Straftat i. S. der §§ 25 ff. StGB, aber auch Nebentäter 132. Täuschungen über Zeugen einer Straftat sind beispielsweise nicht nach § 145 d I I Nr. 1 StGB strafbar, auch wenn entsprechende Falschaussagen durchaus zu einer umfangreichen Fehllenkung behördlicher Ermittlungstätigkeit führen können. Der Schutzzweck und auch die Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB finden hier in dem Wortlaut der Vorschrift ihre Grenzen. Gleichwohl sind im Rahmen der Beteiligtentäuschung mehrere Rechtsprobleme angesiedelt, bei deren Lösung sowohl der Schutzzweck als auch die Tatbestandsstruktur der Vorschrift von ausschlaggebender Bedeutung sind.
129
Vgl. etwa BayObLG, JR 1979, 252 (= NJW 1978, 2563); OLG Celle, JR 1981, 34 (= NJW 1980, 2205); OLG Zweibrücken, NStZ 1991, 530 (= NZV 1991, 238 = OLGSt. 2, StGB § 145 d Nr. 1). 130
Dazu die Ausführungen unter 2.
131
S. insoweit die Ausführungen unter 3.
132
Vgl. OLG Hamm, NJW 1963, 2138 (2139); Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 7; H.J. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 45 ff. mit Nachweisen auf frühere Gegenmeinungen.
Α. Der objektive Tatbestand a) Zum Erfordernis
171
des Vorliegens einer Straftat
Im Rahmen der Tatbestandsalternative des § 145 d I I Nr. 1 StGB ist zunächst fraglich, ob als Ansatzpunkt nur eine wirklich begangene „rechtswidrige Tat" in Betracht kommt oder ob bereits eine vermeintlich begangene Tat genügt.
aa) Darstellung der Problematik anhand eines Beispielsfalls Verdeutlichen läßt sich die Problematik anhand des folgenden Beispielsfalls, der einer Entscheidung des OLG Hamm zugrunde lag 133 . Der Vater des späteren Angeklagten geriet nach dem Besuch eines Schützenfestes auf der Heimfahrt in einen Straßengraben. Der Angeklagte fuhr den Wagen zum elterlichen Hof, wo er noch in der gleichen Nacht von zwei Polizeibeamten wegen des Vorfalls vernommen wurde. Die Polizeibeamten hatten zwischenzeitlich Kenntnis von dem Unfall erhalten und vermuteten, daß dieser auf Trunkenheit zurückzuführen war. Da der Sohn irrig annahm, sein Vater sei wegen Alkoholgenusses fahruntüchtig gewesen, gab er trotz eigener Fahruntüchtigkeit sich selbst als Fahrer und Unfall verursacher aus. Auf diese Weise wollte er verhindern, daß von seinem Vater eine Blutprobe entnommen wurde. Infolgedessen veranlaßten die Polizeibeamten eine Blutprobeentnahme bei dem späteren Angeklagten. Diese ergab eine absolute Fahruntüchtigkeit zur Unfallzeit. Erst als gegen den Sohn Anklage wegen Trunkenheit im Straßenverkehr erhoben worden war, widerrief dieser seine Angaben und benannte wahrheitsgemäß seinen Vater als Fahrer. Zu diesem Zeitpunkt war es für eine Blutprobe bei dem Vater allerdings zu spät 134 . Kennzeichnend für diesen Fall ist die Tatsache, daß die Tat, über deren Beteiligten der Sohn zu täuschen suchte (im Beispielsfall eine Straftat gem. § 316 StGB), tatsächlich nicht verwirklicht worden ist. Der Täter geht vielmehr nur irrig von ihrer Begehung aus. Ob in einer solchen Fallkonstellation eine Bestrafung des Täters aus § 145 d I I Nr. 1 StGB zu erfolgen hat, ist in Rechtsprechung und Literatur nach wie vor sehr umstritten.
133 134
Vgl. OLG Hamm, NJW 1963, 2138 f.
In der ersten Instanz war der angeklagte Sohn wegen Vortäuschens einer Straftat zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die dagegen gerichtete Revision hat das OLG Hamm (NJW 1963, 2138 f.) für unbegründet gehalten.
172
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB bb) Stand der Meinungen
N$ch einer Ansicht sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 145 d I I Nr. 1 StGB nur dann erfüllt, wenn die rechtswidrige Tat, über deren Beteiligten der Täter zu täuschen sucht, tatsächlich begangen worden ist 135 . Hiernach muß eine Bestrafung des Sohnes gem. § 145 d I I Nr. 1 StGB im Beispielsfall ausscheiden. Eine andere Ansicht verlangt zwar nicht das Vorliegen einer wirklich begangenen Straftat, wohl aber das Bestehen eines bereits vor der Täuschungshandlung entstandenen Verdachts einer rechtswidrigen Tat bei den Ermittlungsbehörden, den der Täter dann auf eine nicht beteiligte Person zu lenken versucht 136 . In dem dargelegten Beispielsfall hatten die Polizeibeamten noch in der gleichen Nacht das Haus des Vaters des Angeklagten aufgesucht, um diesen im Hinblick auf den Unfall zu vernehmen. Allein angesichts der Tatumstände (nächtliche Heimfahrt nach dem Besuch eines Schützenfests, späterer Unfall) mußten die Polizeibeamten bereits zu diesem Zeitpunkt von der Möglichkeit einer Trunkenheitsfahrt ausgehen. Damit bestand bei den Strafverfolgungsorganen bereits vor der Täuschungshandlung der Verdacht einer Straftat nach §316 StGB. Mit der dargelegten Ansicht wäre der Sohn demnach wegen der Täuschung über den Beteiligten an dieser Tat aus § 145 d I I Nr. 1 StGB zu bestrafen. Einem anderen Teil des Schrifttums geht auch der letztgenannte Ansatz noch nicht weit genug. Hiernach soll es bereits ausreichen, wenn der Täter das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat nur irrig angenommen hat. Selbst der Verdacht einer Straftat bei den Ermittlungsbehörden sei nicht zu fordern. Innerhalb dieser Meinung ist aber wiederum streitig, ob der Täter jedenfalls von tatsächlichen Umständen ausgehen muß, die objektiv die Möglichkeit einer rechtswidrigen Tat ergeben (= Irrtum über tatsächliche Umstände)137 oder ob bereits die irrige Annahme einer rechtswidrigen Tat aufgrund einer rechtlichen Fehlbeurtei-
135
Vgl. OLG Hamburg, MDR 1949, 309; OLG Frankfurt, NJW 1975, 1895 (1896); KG, JR 1989, 26; Arzt /Weber, L H 2, Rdn. 411; Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 7; Krey, BT 1, Rdn. 607; Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1027 ff.); Otto, BT, § 96 II 2 b) bb); Schmidhäuser, BT, 23 / 5; Welzel, S. 523. 136
So OLG Hamm, NJW 1963, 2138; AK-Schild, § 145 d Rdn. 21; LK-Willms, d Rdn. 10; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 12. 137
10. Aufl., § 145
So Lackner / Kühl, § 145 d Rdn. 7; Monier, NJW 1964, 310; H.J. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 91.
Α. Der objektive Tatbestand
173
lung (= Irrtum über die Rechtslage) genügt 138 . Im dargelegten Beispielsfall irrte der Sohn ausschließlich über tatsächliche Umstände, nämlich die Frage der Fahr(un)tüchtigkeit seines Vaters. Folglich wäre nach beiden Rechtsansichten ein Fall des § 145 d I I Nr. 1 StGB anzunehmen. Bei einer nur geringen Abwandlung des Beispielsfalls gelangt man allerdings zu abweichenden Ergebnissen. Zu unterstellen ist dafür folgender Sachverhalt: Der Sohn kennt zwar die genaue Alkoholmenge, die sein Vater zu sich genommen hatte und noch nicht zum Eintritt von Fahruntüchtigkeit führen konnte, geht aber gleichzeitig davon aus, jede Fahrt unter noch so geringem Alkoholeinfluß sei strafbar. Dann liegt kein Irrtum über tatsächliche Umstände mehr vor, sondern ein Fall rechtlicher Fehlbeurteilung eines strafrechtlich irrelevanten Sachverhalts. Soweit man einen solchen Irrtum nicht genügen läßt, scheidet eine Bestrafung des Täters aus § 145 d I I Nr. 1 StGB aus. Nur die gegenteilige Meinung gelangt dann noch zur Strafbarkeit des Täuschenden aus dieser Tatbestandsalternative des § 145 d StGB.
cc) Kritik und eigener Standpunkt Am Anfang einer kritischen Auseinandersetzung mit den dargelegten Meinungen muß die Frage stehen, ob nicht doch die tatsächliche Begehung einer rechtswidrigen Tat zu fordern ist. Sollte dies der Fall sein, erübrigt sich eine Entscheidung zwischen den anderen Rechtsansichten. Soweit das Vorliegen einer tatsächlich verwirklichten Straftat verlangt wird, beruft man sich in erster Linie auf den Gesetzes Wortlaut des § 145 d I I Nr. 1 StGB. Dieser stellt im Gegensatz zu § 145 d I Nr. 1 StGB gerade nicht auf das Vortäuschen einer rechtswidrigen Tat ab, sondern auf die Täuschung über den Beteiligten an einer rechtswidrigen Tat. Aus der in § 145 d I Nr. 1 StGB getroffenen Regelung wird daher im Umkehrschluß gefolgert, daß unter einer Täuschungshandlung i. S. des § 145 d I I Nr. 1 StGB nur eine auf den Tatbeteiligten gerichtete Irreführung gemeint sein könne mit der Folge, daß die betreffende Straftat jedenfalls objektiv vorliegen müsse139. Des weiteren wird angeführt, daß eine Anwendung des § 145 d I I Nr. 1 StGB überhaupt nicht notwendig sei, wenn die Täuschung sich zugleich auf eine nur vermeintlich rechts-
138
So Maurach/Schroeder/Maiwald, Stree, Lackner-Festschrift, 527 (536 ff.). 139
BT 2, § 99 Rdn. 29; Sch /Sch-Stree,
S. zu diesem Wortlautargument Krey, BT 1, Rdn. 607.
§ 145 d Rdn. 13;
174
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
widrige Tat erstrecke. Immerhin sei § 145 d I Nr. 1 StGB in einem derartigen Fall anwendbar, so daß keine Strafbarkeitslücke entstünde140. Gegen das Wortlautargument ist bereits mehrfach angeführt worden, es würde die Tatsache unberücksichtigt lassen, daß § 145 d StGB nicht auf objektive Gegebenheiten abstelle, sondern ausschließlich auf die aus der Sicht des Täters zu beurteilende Tathandlung 141 . Insbesondere für § 145 d I I Nr. 1 StGB zeige dies die Formulierung „zu täuschen sucht" 142 . Über einen Tatbeteiligten sucht aber auch zu täuschen, wer in der irrtümlichen Annahme, es sei eine rechtswidrige Tat verwirklicht worden, wider besseres Wissen einen Unbeteiligten der Mitwirkung an dieser Tat bezichtigt 143 . Das Wortlautargument wird also durch die subjektive Tatbestandsformulierung des § 145 d StGB entkräftet. Aber auch der Hinweis auf das Eingreifen des § 145 d / Nr. 1 StGB vermag nicht zu überzeugen. Der Grund dafür liegt darin, daß durchaus mehrere Fälle denkbar sind, in denen der Täter zwar über den Beteiligten an einer vermeintlich rechtswidrigen Tat, nicht aber über das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat als solcher zu täuschen sucht. So ist § 145 d I Nr. 1 StGB beispielsweise dann nicht anwendbar, wenn der Täter bei der Polizei bewußt wahrheitswidrig einen unbeteiligten Dritten als angeblichen Täter einer Straftat darstellt, von deren Vorliegen er selbst allerdings fest überzeugt ist. Hier täuscht der Anzeigende nicht wider besseres Wissen die Begehung einer rechtswidrigen Tat i. S. des § 145 d I Nr. 1 StGB vor. Mithin erlangt die bewußt wahrheitswidrige Täuschung über den Tatbeteiligten durchaus eigenständige Bedeutung144. Ähnlich gelagert ist die Täuschungshandlung in dem oben geschilderten Beispielsfall: Da der Sohn von der Fahruntüchtigkeit seines Vaters überzeugt war, ging er vom Vorliegen einer tatsächlich verwirklichten Straftat nach § 316 StGB aus. Mit der Behauptung, er selbst sei (fahruntüchtiger) Fahrer des Wagens gewesen, täuschte er demnach nicht wider besseres Wissen über die Begehung einer rechtswidrigen Tat. Seine bewußt wahrheitswidrige Täuschung bezog sich allein auf den Täter der vermeintlichen Trunkenheitsfahrt. Das Argument, soweit die Täuschung über einen Tatbeteiligten sich zugleich auf eine nur vermeintlich rechtswidrige Tat er-
140
Vgl. zu dem Hinweis auf das Eingreifen des Abs. 1 Nr. 1 Dreher / Tröndle,
§ 145 d Rdn. 7.
141
So erstmals OLG Hamm, NJW 1963, 2138 (2139). Zustimmend H.J. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 89 f.; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 13; Stree, Lackner-Festschrift, 527 (537). 142
Zu Recht wird insoweit darauf verwiesen, daß § 145 d StGB als schlichtes Tätigkeitsdelikt einzustufen ist; vgl. BGH, NJW 1963, 2138 (2139); H.J. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 89. 143
Vgl. Stree, Lackner-Festschrift, 527 (537).
144
So Stree, Lackner-Festschrift, 527 (537).
175
Α. Der objektive Tatbestand
strecke, sei ohnehin § 145 d I Nr. 1 StGB anwendbar, geht demnach fehl. Zugleich ist festzustellen, daß in den dargelegten Fällen die Gefahr der Fehllenkung behördlicher Ermittlungstätigkeit nicht geringer ist als in den Fällen einer wirklich begangenen Straftat. So macht es — im geschilderten Beispielsfall — für die Ermittlungstätigkeit der Verfolgungsorgane hinsichtlich der Strafbarkeit des Sohnes nach § 316 StGB keinen Unterschied, ob der Vater tatsächlich fahruntüchtig war oder nicht. Der Umfang fehlgeleiteter Ermittlungsarbeit bleibt also unabhängig vom Vorliegen einer wirklich begangenen Straftat gleich. Es entstehen demnach durchaus erhebliche Strafbarkeitslücken, wenn man für § 145 d I I Nr. 1 StGB an das Vorliegen einer wirklich begangenen rechtswidrigen Tat anknüpft. Ein weiteres Argument gegen das Erfordernis einer wirklich begangenen Straftat wird darin gesehen, daß damit derjenige besser gestellt wird, dem es gelingt, durch die Täuschung die Feststellung der rechtswidrigen Tat zu verhindern 145. Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo" ist in diesem Fall vom Fehlen einer tatsächlichen Straftat auszugehen und damit eine Bestrafung aus § 145 d I I Nr. 1 StGB ausgeschlossen. Demgegenüber müßte derjenige, dem ein entsprechender Täuschungserfolg nicht gelingt, so daß das Vorliegen einer Straftat noch festgestellt werden kann, bestraft werden. So müßte im eingangs geschilderten Beispielsfall selbst dann zugunsten des Sohnes von der Fahrtüchtigkeit seines Vaters ausgegangen werden, wenn dieser tatsächlich fahnmtüchtig war, dies aber aufgrund der Täuschungshandlung des Sohnes nicht mehr festgestellt werden kann. Der Sohn wäre also allein deswegen nicht zu bestrafen, weil er mit seiner Täuschungshandlung Erfolg hatte. Dagegen wäre eine Bestrafung aus § 145 d I I Nr. 1 StGB möglich, sofern die Täuschung keinen Erfolg hat, und die Polizeibeamten noch rechtzeitig eine Blutprobe bei dem Vater veranlassen. Dieses Ergebnis widerspricht aber dem Schutzzweck des § 145 d StGB, der die Fehllenkung behördlicher Ermittlungstätigkeit gerade verhindern und nicht etwa unterstützen will. Den zuletzt dargelegten Argumenten gegen das Erfordernis einer wirklich begangenen Straftat ist gemeinsam, daß sie den Schutzzweck der Vorschrift herausstellen. Sowohl das Entstehen von Strafbarkeitslücken als auch die Straffreistellung erfolgreicher Täuschungshandlungen können mit der Schutzrichtung des § 145 d StGB nicht vereinbart werden. Aber auch die Tatbestandsstruktur eines abstrakten Gefährdungsdelikts schließt eine wirklich begangene Straftat als Anknüpfungspunkt des § 145 d I I Nr. 1 StGB aus. Verdeutlichen läßt sich dies erneut unter Zugrundelegung des geschilderten Beispielsfalls: Unterstellt, der
145
Vgl. OLG Hamm, NJW 1963, 2138 (2139); Sch/Sch-Stree,
§ 145 d Rdn. 13.
176
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
Vater des späteren Angeklagten hätte tatsächlich so viel Alkohol zu sich genommen, daß er im Zeitpunkt der Heimfahrt eine Blutalkoholkonzentration (BÄK) von 1,1 Promille aufwies und dementsprechend absolut fahruntüchtig war 146 . Dann hätte sein Sohn wegen des Vorliegens einer wirklich begangenen Straftat nach § 316 StGB unzweifelhaft über den Beteiligten an einer Straftat getäuscht und wäre gem. § 145 d I I Nr. 1 StGB strafbar. Sobald aber der Vater etwas weniger Alkohol zu sich genommen hat und „nur" eine B Ä K von 1,05 Promille erreicht, liegt keine wirklich begangene Straftat mehr vor und der Sohn wäre nicht mehr aus § 145 d Π Nr. 1 StGB zu bestrafen. Damit würde man zu einer unterschiedlichen strafrechtlichen Bewertung gelangen, die ausschließlich davon abhängt, ob der Vater ein oder zwei Gläser Bier etc. mehr getrunken hat oder nicht. Der Sohn, der sich nunmehr selbst als Fahrer und Unfallverursacher bezeichnet, kennt diese Umstände aber nicht und er kann sie auch in keiner Weise beeinflussen. Hat der Täter aber keinen Einfluß auf die Umstände, aus denen sich seine Strafbarkeit ergibt, so wird für seine Bestrafung allein der Zufall verantwortlich. Mithin würde man mit dem Erfordernis einer wirklich begangenen Straftat die Frage nach der Strafbarkeit des Täuschenden dem Zufall überlassen. Für die abstrakten Gefährdungsdelikte, zu denen § 145 d StGB gehört, ist aber gerade kennzeichnend, daß sie wegen des Verzichts auf den Eintritt eines tatbestandlichen Erfolgs das Zufallsmoment ausschließen147. Mithin ist es nicht mit der Tatbestandsstruktur der Vorschrift zu vereinbaren, wenn man die Bestrafung aus § 145 d I I Nr. 1 StGB vom zufälligen Vorliegen einer wirklich begangenen Straftat abhängig macht. Als Zwischenergebnis ist also festzuhalten, daß das Vorliegen einer wirklich begangenen Straftat jedenfalls nicht tatbestandliche Voraussetzung des § 145 d I I Nr. 1 StGB sein kann. Fraglich ist nunmehr, ob dann nicht wenigstens das Bestehen eines bereits vor der Täuschungshandlung entstandenen Verdachts einer Straftat bei den Verfolgungsbehörden zu fordern ist 148 . Dies wäre nur dann der Fall, wenn ohne das Bestehen eines solchen Verdachts die Möglichkeit der Einleitung (unnötiger) behördlicher Ermittlungsmaßnahmen von vornherein auszuschließen wäre. Genau dies wird von den Vertretern der dargelegten Ansicht angenommen, indem sie darauf abstellen, daß erst bei einem beste-
146
Vgl. dazu, daß nach der neueren Rechtsprechung bei einer BÄK von mindestens 1,1 Promille absolute Fahruntüchtigkeit gegeben ist, BGHSt. 37, 89 ff. 147
Vgl. Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 62 ff.
148
So etwa SK-Rudolphi,
§ 145 d Rdn. 12.
Α. Der objektive Tatbestand
177
henden Tatverdacht die behördliche Ermittlungstätigkeit einzusetzen pflege 149 . Dieser Argumentation kann allerdings nicht zugestimmt werden. Sicherlich ist mit der Einleitung (unnötiger) behördlicher Ermittlungstätigkeit zu rechnen, wenn ein bereits bestehender Tatverdacht dazu ausgenutzt wird, die Spur auf einen Unbeteiligten zu lenken. Gleiches gilt aber auch in den Fällen, in denen zum Zeitpunkt der Täuschungshandlung zwar noch kein Tatverdacht besteht, der Täter diesen aber durch die Bezichtigung eines Unbeteiligten erregt. Auch dann wird sich das betroffene Strafverfolgungsorgan dazu veranlaßt sehen, den Hinweisen nachzugehen. Die eingeleiteten Ermittlungsmaßnahmen sind jedoch unnötig, weil überhaupt keine Straftat — weder des fälschlicherweise Bezichtigten noch eines anderen — vorliegt. Mit Rücksicht auf die Schutzrichtung des § 145 d StGB müssen also auch die Fälle erfaßt werden, in denen nur der Täter eine bestimmte Person einer rechtswidrigen Tat verdächtigt und mit seiner Anzeige nunmehr einen anderen in Verdacht zu bringen sucht, der mit der Sache nichts zu tun hat 150 . Die Forderung nach dem Vorliegen des Verdachts einer Straftat darf also keinesfalls so weit gehen, daß dieser Verdacht bereits vor der Täuschungshandlung bestanden haben muß. Fraglich bleibt, ob dann wenigstens zu fordern ist, daß der Verdacht einer rechtswidrigen Tat durch die Angaben erregt wird, mit denen der Täter über einen Tatbeteiligten zu täuschen sucht. Damit würde man immerhin noch das Ergebnis vermeiden, daß für § 145 d I I Nr. 1 StGB bereits die irrige Annahme einer rechtswidrigen Tat durch den Täuschenden genügt. Gegen eine solche Forderung spricht allerdings wiederum die Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB als schlichtes Tätigkeits- und abstraktes Gefährdungsdelikt. Kennzeichnend für diesen Deliktstypus ist das Verbot eines bestimmten generell gefährlichen Verhaltens ohne Rücksicht auf den Eintritt eines tatbestandlichen Erfolgs 151 . Dementsprechend setzt die Deliktsvortäuschung nach § 145 d StGB außer der behördlichen Kenntnisnahme des täuschenden Sachverhalts keinen tatbestandlichen Erfolg voraus. Mit der Forderung einer Verdachtserregung als Folge der Täuschungshandlung würde man aber den Eintritt eines von der Tathandlung abtrennbaren äußeren (Täuschungs-)Erfolgs verlangen. Der Tatbestand
149
Vgl. ausdrücklich AK-Schild, § 145 d Rdn. 21; LK-Willms, SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 12.
10. Aufl., § 145 d Rdn. 10. Ferner
150 So auch Stree, Lackner-Festschrift, 527 (540). Erneut sei darauf verwiesen, daß eine Bestrafung aus § 145 d I Nr. 1 StGB nicht möglich ist, weil der Täter selbst vom Vorliegen einer rechtswidrigen Tat ausgeht und damit nicht wider besseres Wissen handelt. 151
12 Saal
Vgl. nur Berz, Tatbestandsverwirklichung, S. 64.
178
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
des § 145 d I I Nr. 1 StGB wäre demnach nicht schon mit der Kenntniserlangung des täuschenden Sachverhalts durch die Behörden vollendet, sondern erst mit dem tatsächlichen Hervorrufen des Verdachts einer rechtswidrigen Tat. Nicht nur, daß dieses Ergebnis der Tatbestandsstruktur der Vorschrift entgegensteht, es widerspricht auch der Auslegung des § 145 d I Nr. 1 StGB. Für die Anwendbarkeit dieser Tatbestandsalternative ist schließlich nach einhelliger Auffassung unerheblich, ob der Täter durch seine Täuschungshandlung wirklich den Verdacht einer rechtswidrigen Tat erregt hat. Gegenüber dem Vortäuschen einer rechtswidrigen Tat sind bei der Täuschung über einen Tatbeteiligten aber keine strengeren Voraussetzungen angebracht 152. Mithin ist auch das Vorliegen des Verdachts einer Straftat keine Voraussetzung der Beteiligtentäuschung gem. § 145 d I I Nr. 1 StGB, und zwar unabhängig davon, ob der Verdacht bereits vor der Täuschungshandlung bestanden hat oder erst durch diese erregt werden soll. Vielmehr genügen unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Vorschrift und ihrer Einordnung als abstraktes Gefährdungsdelikt auch solche Beteiligtentäuschungen, bei denen der Täuschende vom Vorliegen einer rechtswidrigen Tat nur irrig ausgeht. Damit bleibt nur noch die Frage offen, ob auch die irrige Annahme einer rechtswidrigen Tat aufgrund einer rechtlicher Fehlbeurteilung durch den Täter ausreicht. Dem wird entgegengehalten, daß der Tatbestand der Beteiligtentäuschung damit vollends „ins Subjektive" verlagert würde, obwohl die Gesetzesvorschrift insoweit auch ein objektives Moment aufweise („den Beteiligten an einer rechtswidrigen Tat") 1 5 3 . Um diesem objektiven Moment der Gesetzesfassung Rechnung zu tragen, müßten neben der vom Täter angenommenen Straftat von ihm Umstände wahrgenommen werden, die seine Annahme vom Vorliegen einer Straftat rechtfertigen können. Allein die irrige Annahme einer Straftat reiche also nicht aus, vielmehr müßte sich aus den vom Täter wahrgenommenen Umständen auch objektiv die Möglichkeit einer Straftat ergeben 154. Demnach genügt für § 145 d Π Nr. 1 StGB nur dann die irrige Annahme einer rechtswidrigen Tat, wenn die Fehlbeurteilung auf einen Irrtum über tatsächliche Umstände zurückzuführen ist. Die irrige Annahme einer rechtswidrigen Tat aufgrund einer rechtlichen Fehlbewertung wäre dagegen aus dem Tatbestand auszuklammern. Aber auch gegen diese Einschränkung der Beteiligtentäuschung erheben sich Bedenken. Der vorhandenen objektiven Gesetzesfassung des § 145 d I I Nr. 1
152
Vgl. Stree, Uckner-Festschrift, 527 (540).
153
So Horner, NJW 1964, 310.
154
Morner, NJW 1964, 310.
Α. Der objektive Tatbestand
179
StGB wird schon dadurch Rechnung getragen, daß der Täter objektiv einen Unbeteiligten als Täter einer rechtswidrigen Tat hinstellen muß. Entscheidend ist jedoch die Tatsache, daß eine rechtliche Fehlbeurteilung durch den Täter nicht zwingend die Gefahr ungerechtfertigter Inanspruchnahme der Strafverfolgungsorgane ausschließt. Die Verfolgungsbehörden können durchaus auch dann mit dem Ablenken auf einen Unbeteiligten auf eine falsche Spur gebracht werden, wenn der Täuschende einer rechtlichen Fehlbeurteilung eines bestimmten Geschehens unterliegt 155 . Verdeutlichen läßt sich dies anhand der bereits dargelegten Abwandlung des geschilderten Beispielsfalls: Wenn der Sohn die tatsächliche Menge des vom Vater zu sich genommenen Alkohols kennt, dabei aber nicht weiß, daß diese Alkoholmenge noch nicht zur Begründung absoluter Fahruntüchtigkeit i. S. des § 316 StGB ausreicht, liegt ein Fall rechtlicher Fehlbeurteilung vor. Der Sohn hat zwar den richtigen Überblick über das tatsächliche Geschehen, aus den objektiv wahrgenommenen Umständen ergibt sich aber gerade nicht die Möglichkeit einer rechtswidrigen Tat. Gleichwohl werden die Polizeibeamten sich zur Ermittlung gegen den unbeteiligten Sohn veranlaßt sehen, weil sie im Gegensatz zu diesem die Sachlage nicht richtig überblicken können. Für die Einleitung unnötiger Ermittlungsmaßnahmen spielt es demnach keine Rolle, daß die Beamten bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände das Fehlen einer rechtswidrigen Tat erkannt hätten. Dementsprechend ist es auch unerheblich, ob der Bezichtigung eines Nichtbeteiligten ein Irrtum des Täuschenden über tatsächliche oder rechtliche Umstände zugrunde liegt. Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Vorschrift müssen beide Fälle erfaßt werden.
dd) Ergebnis Als Ergebnis steht damit fest, daß die Beteiligtentäuschung nach § 145 d I I Nr. 1 StGB weder das Vorliegen einer wirklich begangenen Straftat noch eines entsprechenden Verdachts bei den Verfolgungsbehörden voraussetzt. Ausreichend ist vielmehr bereits die irrige Annahme einer rechtswidrigen Tat durch den Täuschenden. Dabei ist es unerheblich, ob die irrige Annahme auf einen Irrtum über tatsächliche Umstände oder auf die rechtliche Fehlbeurteilung eines strafrechtlich irrelevanten Sachverhalts zurückzuführen ist.
155
1*
Vgl. Stree, Lackner-Festschrift, 527 (539).
180
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB b) Die einzelnen Fallgruppen des § 145 d II Nr. 1 StGB
Im Rahmen des § 145 d I I Nr. 1 StGB sind zwei Fälle zu unterscheiden. Entweder sucht der Täter durch die Täuschung über den Beteiligten an einer rechtswidrigen Tat den Verdacht von einem anderen abzulenken, oder aber er sucht den Verdacht von sich abzulenken, weil er selbst Täter der rechtswidrigen Tat ist 156 . Damit ist auch bereits das entscheidende Problem der Beteiligtentäuschung vorgezeichnet. Soweit der Täter den Verdacht von sich selbst abzulenken versucht, kommt eine Straffreistellung unter dem Gesichtspunkt des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprivilegs in Betracht. Geht es dem Täuschenden dagegen um die Ablenkung des Verdachts von einem anderen, ist soweit es sich bei der begünstigten Person um einen Angehörigen ( § 1 1 1 Nr. 1 StGB) handelt — ein Absehen von Strafe unter dem Gesichtspunkt des Angehörigenprivilegs denkbar. Der Gesetzgeber hat aber im Rahmen des § 145 d StGB — und damit auch für die Beteiligtentäuschung — keine ausdrückliche normimmanente Regelung über die Straffreistellung von Selbst- bzw. Fremdbegünstigungshandlungen geschaffen. Aus der Tatsache, daß sich solche Regelungen im Bereich der Aussagedelikte (vgl. § 157 StGB) und der Strafvereitelung (vgl. § 258 V, V I StGB) finden lassen, könnte man im Umkehrschluß folgern, daß § 145 d StGB auch die Fälle der Selbst- bzw. Angehörigenbegünstigung unter Strafe stellt. Wie bereits eingangs erwähnt 157 , würde die Vorschrift des § 145 d StGB dann aber in eine Spannungslage gerade zu den Aussagedelikten geraten. In §157 StGB hat der Gesetzgeber immerhin eine Strafmilderung bzw. sogar ein Absehen von Strafe vorgesehen, wenn eine Falschaussage zugunsten der eigenen Person oder eines Angehörigen erfolgt. Diese Regelung würde unterlaufen, wenn entsprechende Selbst- oder Angehörigenbegünstigungshandlungen dann doch über § 145 d StGB strafrechtlich erfaßt würden. Des weiteren bringt auch die in § 145 d StGB enthaltene Subsidiaritätsklausel mit ihrem Verweis auf (u.a.) § 258 V, V I StGB zum Ausdruck, daß nicht jede selbst- oder angehörigenbegünstigende Beteiligtentäuschung strafbar sein kann. Denn mit der Schaffung dieser Subsidiaritätsklausel hat der Gesetzgeber ein bestimmtes Näheverhältnis zwischen § 145 d StGB und der selbst- bzw. fremdbegünstigungsfreundlichen Vorschrift des § 258 StGB hergestellt, das die Berücksichtigung entsprechender Begünstigungstendenzen ebenfalls innerhalb der Deliktsvor-
156
Vgl. zu dieser Unterscheidung nach Fallgruppen nur Krey
157
Vgl. 1. Teil. B.
t
BT 1, Rdn. 606.
Α. Der objektive Tatbestand
181
täuschung nahelegt. Die Notwendigkeit einer selbst- und angehörigenbegünstigungsfreundlichen Auslegung des § 145 d StGB (hier insbesondere der Beteiligtentäuschung) wird denn auch allgemein anerkannt 158. Fraglich und umstritten ist allerdings, auf welchem Weg die Privilegierung der Selbst- bzw. Angehörigenbegünstigungsabsicht zu erfolgen hat. Die Rechtsprechung und der größte Teil der Literatur haben insoweit keinen generellen Lösungsansatz entwickelt, sondern verschiedene Fallgruppen der Beteiligtentäuschung herausgearbeitet, in denen die Selbst- oder Angehörigenbegünstigungsabsicht zur Straflosigkeit der Täuschungshandlung führen soll. Dies sind zunächst die Fälle des Abstreitens der Tatbegehung, in denen der Täter den Verdacht dadurch auf eine andere (tatsächlich unbeteiligte Person) lenkt, daß er gegenüber den Strafverfolgungsbehörden die eigene oder fremde Tatbegehung leugnet 159 . Des weiteren handelt es sich um die Fälle der Verdachtsablenkung, in denen der Täter sich bei seiner Täuschung darauf beschränkt, den Verdacht von sich oder einem anderen abzuwenden, ohne die Ermittlungsbehörden dabei auf eine bestimmte falsche Spur zu lenken. Letzteres geschieht im wesentlichen durch das Verschaffen eines falschen Alibis (sog. „Alibi-Fälle") 1 6 0 oder durch die Berufung auf den „großen Unbekannten" 161 . Hiermit vergleichbar ist das Hinlenken des Verdachts auf solche Personen, die die in Rede stehende Straftat in eigener Person nicht begangen haben können 162 . In der neueren Rechtsprechung wird schließlich der Fall des Einräumens der Tatbegehung unter falschen Angaben über die eigene Person behandelt163. Die Begründungen, die für die Straflosigkeit solcher selbst- oder fremdbegünstigender Täuschungshandlungen gegeben werden, sind für jeden Fall unterschiedlich. In den Fällen des Abstreitens der Tatbegehung sollen strafprozessuale Grundsätze ausschlaggebend sein, in den Fällen der Verdachtsablenkung wird dagegen auf rechtsgutorientierte Gefährlichkeitserwägungen bzw. Beschränkungen des geschützen Rechtsguts zurückgegriffen.
158
Vgl. BGHSt. 19, 305 (307): „...; insbesondere ist die Straffreiheit der Selbstbegünstigung und der Begünstigung Angehöriger nur in einem engen Bereich aufgehoben worden." S. ferner Arzt / Weber, L H 5, Rdn. 415 ff.; Eser, StR III, S. 186. 159
Vgl. hierzu LK-Willms,
10. Aufl., § 145 d Rdn. 12. Ausführlich unter aa).
160
BayObLG, JR 1985, 294; Ostendorf,
161
Vgl. Fahrenhorst,
162
BGHSt. 19, 305 (307); Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 14. Ausführlich unter bb) (3).
163
Vgl. KG, JR 1989, 26. Ausführlich unter bb) (4).
JZ 1987, 335 (339). Ausführlich unter bb) (1).
JuS 1987, 707 (709). Ausführlich unter bb) (2).
182
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
Im folgenden soll unter Berücksichtigung der Schutzrichtung und insbesondere der Tatbestandsstruktur des § 145 d I I Nr. 1 StGB zunächst untersucht werden, ob die Fälle des Abstreitens der Tatbegehung bzw. der Verdachtsablenkung tatsächlich mit den in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Begründungsansätzen straflos gestellt werden können. Soweit dies nicht möglich sein sollte, ist anschließend zu prüfen, ob dem Selbst- bzw. Angehörigenbegünstigungsprinzip nicht auf andere Weise im Rahmen des geltenden § 145 d StGB Rechnung getragen werden kann.
aa) Das Abstreiten der Tatbegehung (1) Das Leugnen der eigenen Tatbegehung als Ausdruck des „nemo tenetur"-Grundsatzes In Rechtsprechung und Schrifttum besteht Einigkeit darüber, daß derjenige, der die eigene Tatbegehung gegenüber den Strafverfolgungsorganen leugnet, nicht nach § 145 d I I Nr. 1 StGB zu bestrafen ist 164 . Begründet wird dieses Ergebnis damit, daß Leugnen eine gem. § 136 I 2 StPO legitime und damit straflose Verteidigungsstrategie sei 165 . Ausgangspunkt dieser Begründung ist damit der aus Art. 2 I, 20 I I I GG, Art. 6 I I MRK herzuleitende Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare" 166. Aus diesem Grundsatz, daß niemand an seiner eigenen Überführung mitwirken muß 167 , wird u.a. gefolgert, daß der Beschuldigte im Strafverfahren keiner Wahrheitspflicht unterliege und ihm daher aus dem bloßen Leugnen der Tatbeteiligung kein Nachteil erwachsen dürfe 168 . Daher sei bei schlichtem Leugnen der eigenen Tatbegehung der Tatbestand der Beteiligtentäuschung nicht verwirklicht. Häufig wird auch argumen-
164 Vgl. OLG Celle, NJW 1964, 733 f.; Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 7; Fahrenhorst, JuS 1987, 707 (709); Krey, BT 1, Rdn. 612; LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 11 f.; Otto, BT, § 95 II 2 b); ders. y JK, StGB § 145 d / 3; Schmidhäuser, BT 23 / 5; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 15. 165
So AK-Schild, § 145 d Rdn. 23; Arzt /Weber, L H 5, Rdn. 417; Krey, BT 1, Rdn. 612; LKWillms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 11 f.; Otto, JK, StGB § 145 d / 3; H.J. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 78 ff. 166 Vgl. dazu, daß dem Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare" Verfassungsrang zukommt, BVerfG, NJW 1981, 1431. 167
Vgl. hierzu etwa BGHSt. 14, 358 (364); 40, 66 (71); Kleinknecht / Meyer-Goßner, Rdn. 7. 168 OLG Hamm, VRS 32, 441 (442); LK-Willms, 612; Otto, JK, StGB § 145 d / 3.
§ 136
10. Aufl., § 145 d Rdn. 11; Krey, BT 1, Rdn.
Α. Der objektive Tatbestand
183
tiert, daß es auf eine Pflicht zur Selbstbezichtigung hinausliefe, sofern man das Leugnen der eigenen Tatbeteiligung als tatbestandsmäßig ansehen würde 169 . Dieser Argumentation liegt dann zwangsläufig die Annahme zugrunde, daß das Schweigen über die eigene Tatbeteiligung (als einzige Alternative zum Leugnen) von den Strafverfolgungsorganen nur als Eingeständnis der Schuld gewertet werden kann 170 . Hierauf aufbauend soll das Leugnen der eigenen Tatbeteiligung selbst dann nicht unter § 145 d I I Nr. 1 StGB fallen, wenn dadurch eine bestimmte andere Person zwangsläufig in Verdacht gerät 171 , weil nach der Sachlage überhaupt nur zwei Personen als Täter in Betracht kommen (sog. „Zwei-Personen-Fälle") 1 7 2 . So z.B., wenn von zwei Insassen eines Unfallautos der eine wahrheitswidrig bestreitet, im fraglichen Zeitpunkt der Fahrer des Wagens gewesen zu sein. Auch in einem solchen Fall — so wird argumentiert — käme bloßes Schweigen einer Selbstbezichtigung gleich 173 . Schließlich wird die Ansicht vertreten, daß der Tatbestand des § 145 d I I Nr. 1 StGB selbst dann nicht erfüllt sei, wenn in den sog. „Zwei-Personen-Fällen" der Täter wahrheitswidrig die andere Person ausdrücklich der Täterschaft bezichtige. Insoweit werde nur ausdrücklich ausgesprochen, was ohnehin die logische Folge des zulässigen Abstreitens eigener Tatbegehung sei 174 . Erst wenn
169
So Eser, StR III, S. 186; SK-Rudolphi,
§ 145 d Rdn. 15; H.J. Schneider, Deliktsvortäuschung,
S. 78. 170
So ausdrücklich H.J. Schneider, Deliktsvortäuschung, S. 86.
171
Wird eine bestimmte andere Person einer Straftat verdächtigt, ist vorrangig § 164 I StGB zu prüfen. Die im folgenden darzulegenden Grundsätze gelten insoweit entsprechend; vgl. etwa jüngst OLG Düsseldorf, JZ 1992, 978 (= NJW 1992, 119 = NZV 1992, 37) sowie SK-Rudolphi, § 164 Rdn. 9. 172
OLG Celle, NJW 1964, 733 (734); Eser, StR III, S. 186; Fahrenhorst, JuS 1987, 707 (709); LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 12; Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 15; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 15; ders., JuS 1979, 859 (863). Dagegen Bockelmann, BT 3, § 5 I I I 2 b); H. Schneider, N Z V 1992, 471 (472 f.). 173 174
Vgl. Fahrenhorst,
JuS 1987, 707 (709).
Vgl. OLG Celle, NJW 1964, 733 (734); Fahrenhorst, JuS 1987, 707 (709); LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 12; Rudolphi, JuS 1979, 859 (863); Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 15. S. dazu, daß die Argumentation für § 164 StGB identisch ist, OLG Düsseldorf, JZ 1992, 978. A.A. (zu § 145 d StGB) OLG Hamm, VRS 32, 441 (442); (zu § 164 StGB) OLG Hamm, NJW 1965, 62. Das OLG Hamm weist insoweit darauf hin, daß bereits in der positiven Beschuldigung eines Dritten ein gegenüber dem Leugnen unzulässiges „Mehr" liege (VRS 32,441 [442]). Richtigerweise erfüllt bereits das Leugnen der Tatbegehung den Tatbestand des § 145 d I I Nr. 1 StGB, vgl. die folgenden Ausführungen unter (3). S. auch die kritische Anmerkung von H. Schneider, NZV 1992, 471 ff. zu OLG Düsseldorf JZ 1992, 978.
184
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
zusätzliche Maßnahmen zur Umlenkung des Verdachts auf den anderen getroffen würden (z.B. durch gefälschte Beweise), sei die Grenze von der tatbestandslosen Selbstbegünstigung zu der von § 145 d I I Nr. 1 StGB erfaßten Beteiligtentäuschung überschritten 175.
(2) Mögliche Schlußfolgerungen für das Leugnen der Tatbegehung eines Angehörigen Mit der dargelegten Argumentation, die sich auf den strafprozessualen Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare" stützt, läßt sich auf den ersten Blick allein das Abstreiten eigener Tatbegehung straflos stellen. Damit bliebe die Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit des Leugnens der Tatbeteiligung eines Angehörigen unbeantwortet. Denkbar ist aber, die zur Straffreistellung des Leugnens eigener Tatbeteiligung angestellten Überlegungen auf die Angehörigenbegünstigung auszudehnen176. Immerhin wird sich derjenige, der die Tatbegehung eines Angehörigen abstreitet, in einer ähnlichen besonderen Konfliktlage befinden, wie derjenige, der die eigene Tatbegehung leugnet: Der Täter will sich selbst, der unbeteiligte Angehörige seinen beteiligten Angehörigen vor Strafe bewahren. Daß grundsätzlich eine Privilegierung von Angehörigenbegünstigungshandlungen möglich ist, zeigen beispielsweise die Regelungen in §§ 157, 258 V I StGB. Bedenken gegen eine Ausdehnung der Straffreiheit auf die Angehörigenbegünstigung ergeben sich allerdings im Hinblick auf die Existenz des § 52 StPO. In dieser Vorschrift wird allein ein Zeugnisverweigerungrecht des Angehörigen garantiert, d.h. dieser darf nach ausdrücklicher 177 Erklärung die ganze Aussage oder einen Teil oder aber die Beantwortung einzelner Fragen verweigern 178 . Demgegenüber gestattet die Vorschrift dem Zeugen nicht, zugunsten
175 Vgl. Fahrenhorst, JuS 1987, 707 (709); LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 12. Für § 164 StGB vgl. OLG Düsseldorf, JZ 1992, 978 (979). Im Rahmen des § 164 I StGB kann die Schaffung einer solchen falschen Beweissituation durch einen einverständlichen Platzwechsel erfolgen; vgl. Kuhlen, JuS 1990, 396 (398). 176 Dies befürwortet ausdrücklich LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 17 i.V.m. Rdn. 11. Angesprochen wird dieser Gedanke auch von Kühl, JR 1985, 296 (297) und Otto, JK, StGB § 145 d / 3, die eine Ausdehung auf Angehörige im Ergebnis allerdings ablehnen. 177 Vgl. dazu, daß der Zeuge nicht einfach wesentliche Tatsachen verschweigen darf, BGHSt. 2, 90; 7, 127. 178
Hierzu Kleinknecht / Meyer-Goßner,
§ 52 Rdn. 15.
Α. Der objektive Tatbestand
185
des Angehörigen zu lügen, indem er aktiv die Tatbegehung bestreitet. Dieser Vorgabe des Gesetzgebers würde es zuwiderlaufen, wenn man dem Angehörigen über eine entsprechende Anwendung des „nemo tenetur"-Grundsatzes doch ein Recht zur aktiven Begünstigung einräumt. Eine abschließende Stellungnahme zur Ausdehnung des Grundsatzes „nemo tenetur" auf Angehörige braucht allerdings nicht zu erfolgen, wenn sich herausstellen sollte, daß bereits die Ausklammerung der Selbstbegünstigung aus dem Tatbestand des § 145 d I I Nr. 1 StGB nicht zu überzeugen vermag.
(3) Kritische Stellungnahme zur Anwendung des „nemo tenetur4'-Grundsatzes Setzt man sich mit der dargestellten herrschenden Meinung kritisch auseinander, muß zunächst festgestellt werden, daß das Leugnen der eigenen Tatbegehung bzw. der Tatbegehung eines Angehörigen vom Gesetzes Wortlaut des § 145 d I I Nr. 1 StGB eindeutig erfaßt wird. Auch der leugnende Täter sucht über seine Tatbeteiligung zu täuschen, ebenso der unbeteiligte Angehörige, der die Tatbeteiligung eines Angehörigen abstreitet. Daß das Abstreiten der Tatbegehung damit an sich den Tatbestand der Beteiligtentäuschung erfüllt, räumen die Vertreter der dargelegten Ansicht mit Blick auf den Gesetzes Wortlaut auch teilweise ein 179 . Aber auch unter Zugrundelegung der Schutzrichtung und der Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB ist es geboten, das Leugnen der Tatbegehung als tatbestandsmäßige Beteiligtentäuschung anzusehen. Als abstraktes Gefährdungsdelikt erfaßt § 145 d I I Nr. 1 StGB jede Verfälschung der Realität gegenüber den Strafverfolgungsorganen, soweit der Beteiligte an einer rechtswidrigen Tat betroffen ist. Das Leugnen der eigenen Tatbegehung bzw. der eines Angehörigen stellt eine solche Realitätsverfälschung dar, so daß unabhängig vom Eintritt einer bestimmten Fehllenkung der Ermittlungstätigkeit der Tatbestand der Beteiligtentäuschung erfüllt ist. Daß mit dem Abstreiten der Tatbegehung aber auch durchaus die tatsächliche Verschwendung behördlichen Ermittlungspotentials einhergehen kann, beweist der Fall, daß die Strafverfolgungsorgane dem Leugnen des Täters Glauben schenken und daraufhin die Ermittlungsmaßnahmen in einer anderen Richtung fortführen. Da es sich dann um unnötige Ermittlungsmaßnahmen handeln würde, wäre der Schutzzweck des
179 Vgl. etwa Arzt/Weber, Stellungnahmen von Tröndle
L H 5, Rdn. 417; LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 11. S. auch die und Baldus, Niederschriften Bd. 13, S. 193.
186
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
§ 145 d I I Nr. 1 StGB betroffen 180. Ferner ist zu bedenken, daß sich in jedem Fall das Gericht - als durch § 145 d StGB geschützte Behörde (§ 11 I Nr. 7 StGB) 181 — im Rahmen der Beweiswürdigung mit dem Abstreiten der Tatbegehung auseinandersetzen muß 182 . Das Gericht wird das Leugnen des Täters bei entgegenstehender übriger Beweislage zwar als bloße Schutzbehauptung werten, dennoch bedarf dies der näheren Begründung. Sicherlich wird sich der erforderliche Begründungsaufwand nicht als besonders umfangreich darstellen, gleichwohl handelt es sich um eine behördliche Mehrarbeit, die ohne die Realitätsverfälschung durch den Täter vermieden worden wäre. Das selbstbegünstigende Leugnen der Tatbegehung berührt also auch unter dem Gesichtspunkt richterlicher Beweiswürdigung das tatbestandlich geschützte Rechtsgut. Der Tatbestandsmäßigkeit des Abstreitens der Tatbegehung kann damit allein der Grundsatz „nemo tenetur" entgegenstehen. Sofern dieser Grundsatz, dem über Art. 2 I, 20 ΙΠ GG, Art. 6 I I M R K Verfassungsrang zukommt 183 , das Leugnen der Tatbegehung zuläßt, müßte § 145 d I I Nr. 1 StGB um die dargelegten Fälle teleologisch reduziert werden 184 . Gegen einen solchen Aussagegehalt des „nemo tenetur"-Grundsatzes sind allerdings verschiedene Argumente vorzubringen 185 . Zuvorderst ist festzustellen, daß der strafprozessuale Grundsatz, nicht zur eigenen Überführung mitwirken zu müssen, ausschließlich ein Recht zu passiver Selbstbegünstigung gibt 186 . Der Beschuldigte soll beispielsweise nicht dazu gezwungen werden dürfen, durch eine Sprechprobe zur eigenen Überführung beizutragen 187. Es wird also ein rein passives Verhalten — das Verweigern der Stimmprobe — für zulässig erachtet. Beim Abstreiten der Tatbegehung handelt es sich aber um ein aktives Verhalten, weil der Täter beispielsweise mit den Worten „Ich habe keine Straftat begangen" eine unwahre
180
Vgl. H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 241.
181
Vgl. AK-Schild,
§ 145 d Rdn. 13; LK-Willms,
10. Aufl., § 145 d Rdn. 4.
182
Vgl. dazu, daß das Gericht auch die Äußerungen des Angeklagten zu würdigen hat, Kleinknecht / Meyer-Goßner, § 261 Rdn. 6. 183
BVerfGE 56, 37 ff. (= NJW 1981, 1431 ff.); BGHSt. 40, 66 (71); Otto, JK, StGB § 145 d / 3.
184
Darauf, daß es sich um einen Fall teleologischer Reduktion handelt, weist H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 243, hin. Entgegen Otto, JK, StGB § 145 d / 3 soll es sich dagegen methodologisch nicht um einen Fall von Auslegung handeln. 185
Vgl. umfassend H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 243 ff.
186
So ausdrücklich H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 244 m.w.Nachw. Ferner Geppert, JK, StGB § 164 / 3 und Mitsch, JZ 1992, 979 (im Rahmen der gleichgelagerten Problematik bei § 164 StGB). 187
BGHSt. 34, 39 (45); Kleinknecht / Meyer-Goßner,
§ 81 b Rdn. 9.
. Der bjektive Tatbestand
187
Behauptung tatsächlich aussprechen muß. Diese aktive Begünstigungshandlung wird von dem „nemo tenetur"-Grundsatz nicht mehr erfaßt 188. Etwas anderes müßte allerdings dann gelten, wenn die Behauptung zutrifft, das alternative (und zweifellos zulässige) Schweigen über die Tatbegehung sei beweisrechtlich als Schuldeingeständnis zu werten und käme damit einer Selbstbezichtigung gleich 189 . Dann müßte man, um den „nemo tenetur"-Grundsatz nicht zu unterlaufen, ausnahmsweise auch eine aktive Begünstigungshandlung — das Leugnen der Tatbegehung — als nicht tatbestandsmäßig einstufen. § 145 d I I Nr. 1 StGB wäre folglich entsprechend teleologisch zu reduzieren. Ob das Schweigen des Beschuldigten tatsächlich als Eingeständnis der Tatbegehung gewertet werden kann, bedarf jedoch erst der Untersuchung. In Rechtsprechung und Literatur werden verschiedene Formen des Schweigens unterschieden, an die zum Teil unterschiedliche beweisrechtliche Folgen geknüpft werden 190 . Einigkeit besteht darüber, daß das Schweigen des Beschuldigten (und auch des insoweit gleich zu behandelnden angehörigen Zeugen 191 ) der Β e weis Würdigung insgesamt entzogen ist, sofern der Beschuldigte (oder angehörige Zeuge) jede Aussage verweigert oder sich auf das Bestreiten der Täterschaft beschränkt (sog. totales Schweigen)192. Aus dem Schweigen dürfen also keine für den fraglichen Täter nachteiligen Schlüsse gezogen werden 193 . Zur Begründung wird zum einen angefühlt, daß anderenfalls die Einlassungsfreiheit des Beschuldigten aufgehoben würde 194 , zum anderen wird darauf verwiesen, daß es einen Erfahrungssatz des Inhalts „Nur der Schuldige schweigt" nicht gebe und dem Schweigen daher kein gesicherter und gerichtlich feststellbarer Erklärungsinhalt zukomme 195 .
188
So auch Geppert, JK, StGB § 1 6 4 / 3 und Mitsch, JZ 1992, 979 (allerdings für § 164 StGB).
189
So Eser, StR III, S. 186; SK-Rudolphi, S. 78 ff.
§ 145 d Rdn. 15; HJ. Schneider, Deliktsvortäuschung,
190 Vgl. insbesondere die Darstellung bei H. Schneider, Ferner Kleinknecht / Meyer-Goßner, § 261 Rdn. 16 ff. 191
Selbstbegünstigungsprinzip, S. 245 ff.
Dazu BGHSt. 22, 213.
192
BGHSt. 25, 365 (368); 32, 140 (144); 34, 324 (326); 38, 302 (305); BayObLG, VRS 59, 348; OLG Koblenz, VRS 73, 72; OLG Stuttgart, NStZ 1986, 182; Kleinknecht / Meyer-Goßner, § 261 Rdn. 16. 193 Es können aber auch keine Entlastungsumstände unterstellt werden, für die das Beweisergebnis keinen Anhalt gibt; vgl. OLG Koblenz, VRS 70, 18 (20); Kleinknecht / Meyer-Goßner, § 261 Rdn. 16. 194
Dazu BGHSt. 25, 365 (368); 32, 140 (144).
195
Vgl. H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 246 m.w.Nachw.
188
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
Die Alternative zum schlichten Leugnen der Tatbegehung kann ausschließlich ein solches totales Schweigen des Beschuldigten (bzw. des angehörigen Zeugen) sein 196 . Denn sobald der von den Strafverfolgungsorganen Vernommene nicht nur zum Tatvorwurf schweigt, sondern darüber hinaus Aussagen macht, die seine eigene Person oder den Angehörigen entlasten, geht seine Verteidigungsstrategie über das — angeblich nicht tatbestandsmäßige — Abstreiten der Tatbegehung hinaus. Mithin kann das Schweigen über die Tatbegehung nicht zum Nachteil des Beschuldigten (bzw. des Angehörigen) gewertet werden. Demnach steht dem Beschuldigten (bzw. dem angehörigen Zeugen) in Form des totalen Schweigens durchaus ein alternatives Verteidigungsmittel zur Verfügung. Der „nemo tenetur"-Grundsatz wird folglich nicht unterlaufen, wenn man dem Schutzzweck und der Tatbestandsstruktur des § 145 d StGB entsprechend das Abstreiten der Tatbegehung als tatbestandliche Beteiligtentäuschung ansieht. Hinzuweisen bleibt darauf, daß die bisher behandelten Fälle des schlichten Leugnens der Tatbegehung in der Praxis ohnehin kaum vorkommen dürften 197 . Der Täter, der einen Verdacht von sich (oder seinem Angehörigen) abzuwenden sucht, wird dafür eine Verteidigungsstrategie wählen, die auch Erfolg verspricht. Letzteres ist im Fall des schlichten Leugnens aber keinesfalls gewährleistet, weil die Strafverfolgungsorgane dies im Rahmen ihrer Ermittlungen unter Umständen schnell widerlegen können. Erfolgversprechender ist das Abstreiten der Tatbegehung erst in Zusammenhang mit weiteren entlastenden Angaben, die eingehendere Untersuchungen durch die Verfolgungsbehörden erforderlich machen bzw. überhaupt nicht zu widerlegen sind. Dem Täuschenden muß es also darum gehen, nähere Erklärungen abzugeben, warum er (oder sein Angehöriger) nicht als Täter der fraglichen Straftat in Betracht kommen. Dieses sog. motivierte Leugnen 198 wird den Verdacht dann immer in eine andere Richtung lenken und die Gefahr unnötiger Ermittlungsarbeit begründen, womit der Tatbestand des § 145 d I I Nr. 1 StGB unzweifelhaft verwirklicht wäre.
196
So bereits H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 247.
197
Vgl. die Beiträge von Lackner und Gallas in Niederschriften, Bd. 13, S. 195 f.
198
Vgl. zu dem Begriff Lackner und Gallas, Niederschriften, Bd. 13, S. 195 f.
. Der bjektive Tatbestand
189
(4) Ergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, daß selbst die (in der Praxis seltenen) Fälle des schlichten Leugnens der eigenen Tatbegehung bzw. der Tatbeteiligung eines Angehörigen den Tatbestand des § 145 d Π Nr. 1 StGB verwirklichen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Heranziehung des „nemo tenetur"-Grundsatzes bzw. beweisrechtlicher Erwägungen hinsichtlich des alternativen Schweigens über die Tatbegehung.
bb) Die Verdachtsablenkung Erheblich praxisrelevanter als das bloße Abstreiten der Tatbegehung sind die Fälle der sog. Verdachtsablenkung, in denen der Täuschende sich selbst oder seinen Angehörigen dadurch vor Strafe zu schützen sucht, daß er die Tatbeteiligung zwar durch konkrete falsche Angaben in Abrede stellt, die Ermittlungsbehörden dabei allerdings nicht auf eine falsche Spur lenkt. Letzteres ist zugleich der entscheidende Unterschied zu den klassischen Fällen der Beteiligtentäuschung nach § 145 d I I Nr. 1 StGB. Dies sind die Fälle der sog. Verdachtswmlenkung, in denen der Täter eine unbeteiligte andere Person der Tat bezichtigt und damit eine bestimmte falsche Fährte legt 199 . Während eine solche Verdachtswmlenkung ungeachtet aller Selbstbegünstigungsabsichten usw. als tatbestandsmäßige Beteiligtentäuschung angesehen wird 2 0 0 , soll für die Fälle der bloßen VerdachtsaWenkung anderes gelten.
199 Wird eine bestimmte, lebende und erkennbare Person bezichtigt, erfüllt dies zugleich den Tatbestand des § 164 StGB; vgl. Sch / Sch-Lenckner, § 164 Rdn. 22. § 145 d II Nr. 1 StGB tritt dann aufgrund der Subsidiaritätsklausel hinter § 164 StGB zurück. Selbständige Bedeutung erlangt § 145 d II Nr. 1 StGB, wenn ein Toter oder eine fingierte Person als Täter bezeichnet werden. Insoweit genügen dann konkrete Angaben, die auf einen anderen als den wahren Täter deuten, mag auch dessen Person nicht genau bezeichnet sein; s. Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 14. 200 Vgl. etwa AK-Schild, § 145 d Rdn. 22; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 14; Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 14.
190
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB (1) Die sog. „Alibi-Fälle"
Von besonderer Bedeutung sind insoweit die sog. „Alibi-Fälle", in denen die eigene Tatbegehung bzw. die eines Angehörigen durch das Verschaffen eines falschen Alibis verdeckt werden soll.
(a) Darstellung der Problematik anhand eines Beispielsfalls Zur Veranschaulichung soll zunächst folgender Beispielsfall dienen (nach BayObLG, JR 1985, 294 ff.): E hatte am 7.8.1982 bis in die frühen Morgenstunden gewildert und ein Reh erlegt. In den folgenden Tagen war seine Verlobte, die spätere Angeklagte, von Polizeibeamten befragt worden, wo sich E am 7.8.1982 aufgehalten habe. Obwohl sie wußte, worum es ging, gab die Verlobte wahrheitswidrig an, E hätte sich zu der fraglichen Tatzeit in der gemeinsamen Wohnung befunden. Eine Verurteilung der Angeklagten wegen des Vergehens der Strafvereitelung scheidet aus, weil zu ihren Gunsten der Strafausschließungsgrund des § 258 V I StGB eingreift. Da sie mit ihren Angaben keinen „anderen" der Jagdwilderei falsch verdächtigte, ist auch eine Bestrafung aus § 164 I StGB nicht möglich. Eine Bestrafung kommt daher nur unter dem Gesichtspunkt des Vortäuschens einer Straftat gem. § 145 d I I Nr. 1 StGB in Betracht. Dies setzt voraus, daß die Verdachtsablenkung durch ein falsches Alibi überhaupt vom Tatbestand der Beteiligtentäuschung erfaßt wird. Eine Bestrafung hängt mithin davon ab, ob zur Tatbeteiligtentäuschung i. S. des § 145 d I I Nr. 1 StGB bereits das Ablenken von der richtigen Spur ausreicht oder ob die Strafverfolgungsorgane vom Täuschenden zusätzlich auf eine falsche Spur geführt werden müssen.
(b) Stand der Meinungen (aa) Die Mindermeinung im Schrifttum Nach einer sicherlich noch als Mindermeinung zu bezeichnenden Auffassung ist der Tatbestand des § 145 d I I Nr. 1 StGB bereits dann erfüllt, wenn der Täuschende den Verdacht vom richtigen Täter ablenkt. Dies könne insbesondere
Α. Der objektive Tatbestand
191
durch falsche Angaben über seinen Aufenthalt zur Tatzeit, also durch ein falsches Alibi geschehen201. Zur Begründung wird angeführt, daß sich die Strafverfolgungsorgane aufgrund der unwahren Behauptungen des Täuschenden zur Einleitung unnötiger Ermittlungsmaßnahmen gezwungen sehen werden. Immerhin müßten die Ermittlungsbehörden in jedem Fall die Angaben über das Alibi überprüfen (z.B. durch die Befragung weiterer Zeugen), obgleich diese Überprüfung nach der tatsächlichen Sachlage nicht geboten sei 202 . Des weiteren sei es denkbar, daß sich das Alibi nicht widerlegen lasse und die Verfolgungsorgane deshalb die Ermittlungsarbeiten wieder von vorn beginnen müßten, wozu sie nach dem Legalitätsprinzip (§§ 152 II, 160 I, 163 I StPO) auch verpflichtet seien 203 . Die dann getroffenen Ermittlungsmaßnahmen würden sich genauso wie die Überprüfung des Alibis als objektiv sinnlos darstellen. Werden die Behörden aber zu nutzloser Mehrarbeit veranlaßt, sei das tatbestandlich geschützte Rechtsgut des § 145 d StGB betroffen. Folglich müsse der Tatbestand der Beteiligtentäuschung bereits das Abbringen von der richtigen Spur erfassen.
(bb) Die Ansätze der herrschenden Meinung zur Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 145 d II Nr. 1 StGB Die ganz überwiegende Meinung lehnt diesen Standpunkt allerdings ab 204 . Zwar wird durchweg eingeräumt, daß der Hinweis auf die Möglichkeit überflüssiger Mehrarbeit zutreffend sei 205 , dennoch verlange der Tatbestand des Beteiligtentäuschung, daß der Täuschende die Behörden auf eine falsche Fährte lenke. Erst dann sei der durch die weitere Aufklärungsarbeit bedingte Mehraufwand als tatbestandsmäßig i. S. des § 145 d I I Nr. 1 StGB anzusehen. Ge-
201 Arzt / Weber, L H 5, Rdn. 417; Dreher / Tröndle, § 145 d Rdn. 7; Kühl, JR 1985, 296 (298 f.); LK-Willms, 10. Aufl., § 145 d Rdn. 16; Otto, BT, § 95 II 2 b) aa); ders., JK, StGB § 145 d / 3; H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 255 ff. 202
Vgl. H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 252.
203
Kühl, JR 1985, 296 (298); ähnlich Otto, JK, StGB § 145 d / 3.
204
BayObLG, JR 1985, 294 (295 f.); FamRZ, 1986, 1155; AK-Schild, § 145 d Rdn. 22; Krey, BT 1, Rdn. 606; Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1023); Lackner / Kühl, § 145 d Rdn. 7; Maurach / Schroeder /Maiwald, BT 2, § 99 Rdn. 28; SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 14; ders., JuS 1979, 859 (863); Sch / Sch-Stree, § 145 d Rdn. 14; ders., Lackner-Festschrift, 527 (528 ff.). 205
So ausdrücklich BayObLG, JR 1985, 294 (295); Stree, Lackner-Festschrift, 527 (529 f.).
192
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
stützt wird dieses Ergebnis im wesentlichen auf eine Beschränkung des der Vorschrift zugrunde liegenden Anwendungsbereichs. Ausgangspunkt dieser Einschränkung ist zunächst die Feststellung, daß die Straffreiheit der Selbstbegünstigung und der Begünstigung Angehöriger durch § 145 d StGB nur in einem engen Bereich aufgehoben werden sollte. Die Vorschrift enthalte daher keine allgemeine Strafandrohung gegen denjenigen, der die Ermittlungen der Verfolgungsorgane in irgendeiner Weise erschwert oder verhindert 206 . Vielmehr müßten die Strafverfolgungsbehörden durch die Irreführung des Täters unmittelbar auf eine falsche Fährte gelenkt werden 207 . Gemeint ist damit, daß die Täuschung unmittelbar zu bestimmten Fehlermittlungen der Verfolgungsorgane führen muß. Genau diese Voraussetzung soll die wahrheitswidrige Behauptung, der Täter sei zur Tatzeit nicht am Tatort gewesen, nicht erfüllen. Da die Behörden durch das falsche Alibi nicht direkt auf eine bestimmte falsche Spur gelenkt würden, stelle sich die Verursachung behördlicher Mehrarbeit allein als mittelbare Folge der Täuschungshandlung dar. Bloß mittelbar veranlaßte Mehrarbeit solle vom Tatbestand des § 145 d I I Nr. 1 StGB aber gerade nicht geschützt werden. Namentlich die Rechtsprechung schlägt diesen Weg einer Einschränkung des § 145 d I I Nr. 1 StGB ein, um Selbst- und Angehörigenbegünstigungshandlungen straffrei stellen zu können 208 . Um eine Beschränkung des Anwendungsbereichs bemüht sich auch Krümpelmann 209 , der dafür allerdings nicht auf das Kriterium der „Unmittelbarkeit" zurückgreift. Nach seiner Ansicht ist vielmehr zwischen der strafrechtlich irrelevanten Verursachung faktischer Mehrarbeit und dem strafbaren Hervorrufen normativ erwartbarer Mehrarbeit zu differenzieren 210. Danach soll der Tatbestand des § 145 d StGB nur dann verwirklicht sein, wenn die gegenüber den Verfolgungsorganen gemachten Falschangaben dazu geeignet sind, die Ermittlungstätigkeit über das pflichtgemäß gebotene Maß hinaus zu steigern. Nicht jede beliebige faktische Mehrarbeit und deren Verursachung sollen also erfaßt werden.
206
Insoweit beruft man sich auf BGHSt. 19, 305 (307); vgl. nur BayObLG, JR 1985, 294 (296).
207
Vgl. zu dem Erfordernis „unmittelbar" veranlaßter Mehrarbeit BayObLG, JR 1985, 294 (295 f.); Eser y StR III, S. 186; Krey, BT 1, Rdn. 606; Sch/Sch-Stree, § 145 d Rdn. 14; ders. y LacknerFestschrift, 527 (533); SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 14; Wessels, BT 1, § 16 I I 2. 208
BayObLG, JR 1985, 294 (295 f.).
209
S. Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1023 ff.). In erster Linie geht es Krümpelmann bei dieser Einschränkung um den Fall des § 145 d I Nr. 1 StGB. 210
Krümpelmann, ZStW 96 (1984), 999 (1028 ff.).
Α. Der objektive Tatbestand
193
Übertragen auf die sog. „Alibi-Fälle" speziell im Rahmen des § 145 d I I Nr. 1 StGB kann die Ansicht Krümpelmanns so verstanden werden, daß eine pflichtgemäß gebotene und normativ erwartbare Mehrarbeit solange nicht gegeben ist, wie der Täter den Verdacht nicht auf eine falsche Spur lenkt 211 . Soweit bereits durch das Ablenken von der richtigen Spur behördliche Mehrarbeit hervorgerufen wird, kann diese mit dem Hinweis, daß die Behörden ohnehin Ermittlungen anstellen müßten, als rein faktischer Mehraufwand eingestuft werden. Krümpelmann bezeichnet die Einleitung solcher falscher Schritte ausdrücklich als reine „Zufallsergebnisse", weil sich die objektive Ermittlungslage ohne das Hinlenken auf eine falsche Spur angeblich nicht verändern würde 212 . Das Ablenken von dem richtigen Täter sei daher insgesamt nicht geeignet, einen normativ relevanten verfehlten Arbeitseinsatz zu bewirken. Diese Ansätze zur Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 145 d StGB versucht Stree 213 durch weitere Argumente zu stützen. Seine Argumentation beruht zum einen auf einen Vergleich der Verdachtsablenkungsfälle mit solchen Fällen der Beeinträchtigung behördlicher Ermittlungsarbeit, die zweifellos außerhalb der Beteiligtentäuschung liegen. So weist Stree darauf hin, daß das Verwischen der Spuren am Tatort (z.B. das Verschwindenlassen eines am Tatort zurückgelassenen Tatwerkzeugs, das auf einen bestimmten Tatbeteiligten hindeutet) oder das Verbergen der Tatbeute die Nachforschungen der Verfolgungsorgane mindestens genauso beeinträchtigen können wie die Verdachtsablenkung durch ein falsches Alibi. Obwohl den Behörden durch solche Handlungen, wie das Beseitigen von Beweisstücken, erhebliche Mehrarbeit entstehen kann, würden diese Fälle gleichwohl nicht unter den Tatbestand der Beteiligtentäuschung gefaßt 214. Daraus folgert Stree nunmehr, daß die Fälle der Verdachtsablenkung durch ein falsches Alibi gemessen an der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts ebenfalls nicht unter § 145 d I I Nr. 1 StGB fallen dürften 215 . Daß diese Vorschrift das Hinlenken der Verfolgungsorgane auf eine bestimmte falsche Spur zwingend voraussetze, will Stree zum anderen anhand eines
211
In diesem Sinne werden die Ausführungen Krümpelmanns verstanden von Kühl, JR 1985,296 (298); Otto, JK, StGB § 145 d / 3; H. Schneider, Selbstbegünstigungsprinzip, S. 254 f. 212
Krümpelmann,, ZStW 96 (1984), 999 (1028).
213
Vgl. Stree, Uckner-Festschrift, 527 (528-533).
214 Stree begründet dies zutreffend mit dem Fehlen einer Täuschungshandlung, weil ein solches Verhalten nicht auf Irreführung der Verfolgungsbehörden angelegt sei. 215
Stree,
13 Saal
Lackner-Festschrift, 5 2 7 (531).
194
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
Vergleichs mit § 145 d I Nr. 1 StGB belegen. Als Vortäuschen einer rechtswidrigen Tat würden nach einhelliger Ansicht nur solche Verhaltensweisen in Betracht kommen, die die Verfolgungsorgane unmittelbar auf ein Geschehen hinlenken, welches den Anschein einer rechtswidrigen Tat erweckt. So sei der Tatbestand des § 145 d I Nr. 1 StGB beispielsweise dann nicht verwirklicht, wenn der Täter wahrheitswidrig behauptet, das Opfer eines Tötungsdelikts habe sich zur mutmaßlichen Tatzeit noch gar nicht am Tatort, sondern an einem anderen Ort befunden 216. In diesem Fall bestünde zwar durchaus die Gefahr unnötiger Ermittlungsmaßnahmen, weil die Behörden ihre Ermittlungen auf eine andere Tatzeit ausdehnen könnten, der Täter täusche allerdings keine rechtswidrige Tat vor. Wenn aber die Tatbestandsalternative des § 145 d I Nr. 1 StGB das unmittelbare Hinlenken auf eine falsche Spur erfordere, müsse dies angesichts des identischen Unrechtsgehalts auch für § 145 d I I Nr. 1 StGB gelten, wobei Stree den identischen Unrechtsgehalt mit der unterschiedslosen Strafandrohung sowie einer angeblich reinen Ergänzungsfunktion der Beteiligtentäuschung begründet 217.
(c) Kritik und eigener Standpunkt (aa) Kritik an der Argumentation von Stree Setzt man sich zunächst mit den von Stree vorgetragenen Argumenten auseinander, so ist bereits fraglich, ob die von ihm angeführten Fälle der Beseitigung von Beweismitteln usw. tatsächlich aus dem Tatbestand des § 145 d I I Nr. 1 StGB ausgeklammert werden können. Schließlich räumt Stree selbst ein, daß hierdurch die Gefahr unnötiger Ermittlungsarbeit begründet wird, so daß nach dem Schutzzweck der Vorschrift eine Einbeziehung dieser Fälle durchaus sinnvoll erscheint. Einer solchen Einbeziehung könnte allerdings der Gesetzeswortlaut entgegenstehen, worauf sich denn auch Stree beruft, indem er einem derartigen Verhalten die Täuschungskomponente abspricht, weil es nicht auf die Irreführung der Verfolgungsbehörden gerichtet sei 218 . Letzteres kann jedoch nicht überzeugen, wenn man berücksichtigt, daß eine Täuschungshandlung nicht nur durch unrichtige Tatsachenbehauptungen, sondern auch durch das Herstellen
216
Stree, Lackner-Festschrift, 527 (532).
2.7
Stree, Lackner-Festschrift, 527 (532).
2.8
Stree,, Lackner-Festschrift, 527 (531).
Α. Der objektive Tatbestand
195
irreführender Indizien erfolgen kann 219 . So wäre der Tatbestand der Beteiligtentäuschung zweifellos dann erfüllt, wenn der Täter, um den Verdacht eines Tötungsverbrechens von einem nahen Angehörigen abzulenken, das Tatwerkzeug in der eigenen Wohnung versteckt, damit es dort bei einer bevorstehenden polizeilichen Untersuchung gefunden wird. Dem Verhalten des Täters kommt dann durchaus ein auf Irreführung der Verfolgungsorgane angelegter Erklärungswert zu, und zwar in der Form, daß durch das Schaffen einer falschen Beweislage der Tatverdacht auf eine andere Person umgelenkt werden soll. Versteckt der Täter das Tatwerkzeug nicht bei sich, sondern beschränkt sich statt dessen auf seine Vernichtung, handelt es sich zwar nicht mehr um eine Verdachtsumlenkung, das Verhalten ist aber — nunmehr in Form der Beseitigung bzw. Veränderung einer Beweislage — nach wie vor auf Irreführung der Verfolgungsbehörden gerichtet. Die Behörden sollen von der Beweislage Kenntnis erlangen und ihre Ermittlungen danach ausrichten. Das Vorliegen einer Täuschungshandlung kann also nicht in Abrede gestellt werden 220 . Damit steht der Gesetzeswortlaut der Tatbestandsmäßigkeit von Handlungen, die auf das Vernichten oder Verfälschen von Beweismitteln gerichtet sind, nicht entgegen. Entscheidend ist vielmehr wiederum, ob bereits das Ablenken von der richtigen Spur genügt oder ob der Verdacht darüber hinaus in eine bestimmte andere Richtung gelenkt werden muß. Der von Stree angestellte Vergleich der Verdachtsablenkung durch ein falsches Alibi mit den Fällen der Beseitigung von Beweisstücken gibt demnach keine Antwort auf die zu untersuchende Ausgangsfrage, sondern wirft sie anhand eines anderen Beispiels erneut auf. Aber auch der Vergleich mit dem Anwendungsbereich des § 145 d I Nr. 1 StGB vermag nicht zu überzeugen. Die Tatsache, daß innerhalb dieser Tatbestandsalternative das Ablenken von der richtigen Spur nicht genügt, folgt zwingend aus dem Gesetzeswortlaut, der mit der Formulierung „... eine rechtswidrige Tat begangen worden sei ..." ausdrücklich verlangt, daß der Anschein einer rechtswidrigen Tat erweckt wird. Eine am Schutzzweck orientierte Aus-
219
Arzt /Weber, L H 5, Rdn. 409; Bockelmann , BT3, § 5 II 2; Sch/Sch-Stree, SK-Rudolphi, § 145 d Rdn. 5. 220
§ 145 d Rdn. 9;
Anders ist es sicherlich in den Fällen des Verbergens der Tatbeute, die auf die Spur des Täters lenken könnten. Hier handelt es sich um eine rein tatsächliche Begünstigungshandlung (vgl. § 257 StGB), der überhaupt kein Erklärungswert im Sinne einer Täuschungshandlung zukommt. Die Tatsache, daß solche Handlungen mangels Täuschungskomponente nicht unter den Tatbestand des § 145 d I I Nr. 1 StGB fallen, hat jedoch keine Aussagekraft für die Fälle der Verdachtsablenkung durch das Verschaffen eines falschen Alibis. Letztere beinhalten eine Täuschungskomponente, so daß der tatbestandliche Anwendungsbereich prinzipiell eröffnet ist. 1*
196
3. Teil: Auslegung des § 145 d StGB
legung und auch die Bedeutung der Tatbestandsstruktur einer Strafvorschrift finden hier ihre Grenzen. Im Rahmen des § 145 d I I Nr. 1 StGB steht der Gesetzeswortlaut einer Ausdehnung auf die Fälle der Verdachtsablenkung aber nicht entgegen, weil auch derjenige „über den Beteiligten an einer rechtswidrigen Tat" zu täuschen sucht, der mit einer Täuschungshandlung einen Tatbeteiligten von dessen Mitwirkung an einer Tat entlastet und auf diese Weise von ihm ablenkt. Die damit von Wortlaut und Schutzrichtung gedeckte Einbeziehung der Verdachtsablenkung in den Tatbestand der Beteiligtentäuschung begründet auch nicht zwangsläufig einen gegenüber § 145 d I Nr. 1 StGB veränderten Unrechtsgehalt. Immerhin bleibt für die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit allein ausschlaggebend, daß die Gefahr behördlicher Mehrarbeit hervorgerufen wird. Der Umstand, daß die unrichtigen Angaben (auch) einem Tatbeteiligten zugute kommen, findet daneben keine Berücksichtigung 221. In diesem Zusammenhang ist an der Argumentation Strees auch zu kritisieren, daß seine Forderung nach einem identischen Unrechtsgehalt so weit geht, daß die Täuschung über einen Tatbeteiligten sich immer zugleich als das Vortäuschen einer rechtswidrigen Tat darstellen muß 222 . Damit würde man dem § 145 d I I Nr. 1 StGB aber nahezu jede eigenständige Bedeutung absprechen. Übrig blieben im wesentlichen nur noch die Fälle, in denen der Täuschende irrtümlich vom Vorliegen einer rechtswidrigen Tat ausgeht und nunmehr bewußt wahrheitswidrig einen anderen der vermeintlichen Tat bezichtigt 223 . Eine solche Reduzierung des tatbestandlichen Anwendungsbereichs kann aber (auch vom Gesetzgeber) kaum gewollt sein, zumal in Rechtsprechung und Literatur nach wie vor die Ansicht vertreten wird, die Beteiligtentäuschung setze das Vorliegen einer wirklich begangenen Straftat voraus 224 . Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, daß die von Stree vorgebrachten Argumente für die Notwendigkeit einer Beschränkung des § 145 d I I Nr. 1 StGB auf die Fälle der Verdachtsumlenkung insgesamt nicht zu überzeugen vermögen. Damit steht allerdings noch nicht fest, daß den in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Ansätzen zur Beschränkung des § 145 d Π Nr. 1 StGB jegliche Grundlage entzogen ist. Immerhin liegen diesen Ansätzen eigene spezifisch am Rechtsgut orientierte Begründungen zugrunde. Mithin bedarf es
221
So aber Stree, Lackner-Festschrift, 527 (532).
222
So ausdrücklich Stree, Lackner-Festschrift, 527 (532).
223
Vgl. dazu, daß nach dem hier vertretenen Standpunkt für § 145 d I I Nr. 1 StGB bereits die irrige Annahme einer rechtswidrigen Tat durch den Täter genügt, oben a). 224
S. statt aller OLG Frankfurt, NJW 1975, 1895 (1896).
Α. Der objektive Tatbestand
197
einer eigenständigen Auseinandersetzung mit den dargelegten Kriterien der „unmittelbaren" bzw. „normativ" erheblichen Mehrarbeit.
(bb) Kritik an den Ansätzen zur Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 145 d II Nr. 1 StGB Wie bereits mehrfach angesprochen, finden weder das namentlich von der Rechtsprechung geforderte Kriterium „unmittelbar" verursachter Mehrarbeit noch das von Krümpelmann aufgestellte Erfordernis „normativ" erheblicher Mehrarbeit im Gesetzeswortlaut eine Stütze. Eine derartige Einschränkung des tatbestandlichen Anwendungsbereichs kann daher ausschließlich aufgrund teleologischer Erwägungen gerechtfertigt sein. Nach dem hier vertretenen Standpunkt besteht der Schutzzweck des § 145 d StGB — und zwar aller Tatbestandsalternativen — darin, jede Form der Beeinträchtigung des behördlichen Arbeitspotentials durch ungerechtfertigte Inanspruchnahme der staatlichen Organe zu verhindern. Damit soll das Funktionieren der Strafrechtspflege bzw. der staatlichen Präventivtätigkeit gewährleistet werden. Hiervon ausgehend können teleologische Erwägungen schlechterdings keine geeignete Grundlage für eine Beschränkung des § 145 d I I Nr. 1 StGB auf die Fälle der Verdachtsumlenkung sein. Schließlich steht außer Frage, daß die Ablenkung der Verfolgungsorgane von der richtigen Spur unnötige Ermittlungsmaßnahmen zur Folge hat, weil die Behörden ihre Ermittlungen mit Blick auf das Legalitätsprinzip (§§ 152 II, 160 I, 163 I StPO) neu beginnen bzw. unter Berücksichtigung der Angaben des Täuschenden überprüfen müssen. Insoweit kann der im Schrifttum vertretenen Mindermeinung uneingeschränkt zugestimmt werden 225 . Dementsprechend macht die Unterscheidung zwischen „unmittelbar" bzw. „mittelbar" verursachter Mehrarbeit keinen Sinn. Die hinter diesen Begriffen stehenden Fälle der Verdachtsumlenkung bzw. Verdachts