Das Unrecht der Nötigung (§ 240 StGB) [1 ed.] 9783428452842, 9783428052844


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Das Unrecht der Nötigung (§ 240 StGB) [1 ed.]
 9783428452842, 9783428052844

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ALFRED BERGMANN

Das Unrecht der Nötigung (§ 240 StGB)

Strafrechtliche Abhandlungen· Neue Folge HerausjP;egebeD VOD Dr. Eberbard Schmidbäuser ord. Professor der Rechte

aD

der UDiversitit Hamburg

iD ZusammeDarbeit mit deD StrafrechtsIehrem der deutscheD UDiversitäteD

Band 49

Das Unrecht der Nötigung (§ 2tW StGB)

Von

Dr. Alfred Bergmann

DUNCKER &

HUMBLOT / BERLIN

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Prof. Dr. Winrich Langer, Marburg

Alle Rechte vorbehalten

@ 1983 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 05284 6

Meiner Mutter

Vorwort Die vorliegende Abhandlung ist vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg im Sommersemester 1982 als Dissertation angenommen worden. Die Arbeit wurde von meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Langer, angeregt, der mich zunächst als Studenten, später als seinen Assistenten in meinem strafrechtlichen Denken angeleitet und gefördert hat. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner Herrn Professor Meurer, der nicht nur in der Zeit, in der ich an seinem Lehrstuhl tätig war, den Fortgang der Arbeit durch seinen Rat und durch vielfältige Hilfe unterstützt hat. Ich danke schließlich Herrn Professor Schmidhäuser für seine Bereitschaft, die Arbeit in die Strafrechtlichen Abhandlungen aufzunehmen, sowie für seine zügige und wohlwollende Mithilfe bei der Veröffentlichung. Das Manuskript wurde im Mai 1982 abgeschlossen. Nach diesem Zeitpunkt zugegangenes Schrifttum, so die als Band 45 der Strafrechtlichen Abhandlungen erschienene Dissertation von Rainer Keller, Strafrechtlicher Gewaltbegriff und Staatsgewalt, konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Marburg, im Dezember 1982 Alfred Bergmann

Inhaltsverzeichnis Einleitung

11

Erster Teil Der Begriff des Unrechts I. Unrecht als Sachelement des Verbrechens .........................

14

1. Die Unrechtsbegründung ...................... . ...............

15

2. Der Unrechts ausschluß ........................................

17

II. Der Unrechtstatbestand als Formelement des Verbrechens. . . . . . . .

18

Zweiter Teil Der Unrechtstatbestand der Nötigung I. Das Schutzobjekt der Nötigung ...................................

1. Die Bestimmung des Schutzobjektes in Rechtsprechung und Lite-

ratur .........................................................

a) Die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung als Schutzobjekt der Nötigung. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschränkung des Schutzobjektes auf die rechtlich garantierte Freiheit ................................................... 2. Kritik an den herkömmlichen Bestimmungen des Schutzobjektes

20 20 20 24 25

a) Kritik an der Verwendung des Begriffes "Freiheit" zur Schutzobjektsbestimmung .................................. b) Kritik an den Begründungen der Eigenarten des Schutzobjektes der Nötigung ........................................... c) Kritik an der Beschränkung des Schutzobjektes auf den rechtlich garantierten Bereich ................................... d) Zusammenfassung der Kritik. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .

33 38

3. Das Schutzobjekt der Nötigung in eigener Sicht. . .. . . . . . . . . . . ..

39

a) b) c) d)

Methode der Schutzobjektsbestimmung ................. . ... Teleologische Bestimmung des Schutzobjektes .............. Besondere Eigenschaften des Schutzobjektes ................ Ergebnis der Schutzobjektsbestimmung .....................

26 28

39 40 45 45

6

Inhaltsverzeichnis

11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung ........... . ............. 1. Die Tathandlung: "Nötigen"

..................................

46 46

a) Behandlung des Merkmales "Nötigen" in Rechtsprechung und Lehre .....................................................

46

b) Eigene Auffassung zum Merkmal "Nötigen" ................

48

aal Erforderlichkeit des Merkmales "Nötigen" zur Beschreibung des Deliktsunwertes .............................. bb) Objektive Elemente des "Nötigens" .................... ce) Subjektive Intensität der Nötigungshandlung . . . . . . . . . . . . c) Nötigen durch Unterlassen .................................

48 51 54 61

2. Das Nötigungsmittel "Gewalt" ................................

64

a) Darstellung und Analyse des Gewaltbegriffes in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aal Darstellung des Gewaltbegriffes der Judikatur .. . . . . . . . . bb) Analyse des Gewaltbegriffes der Judikatur .............

65 65 75

b) Der Begriff der Gewalt im Schrifttum ...................... aal Begrenzung des Gewaltbegriffes im älteren Schrifttum. . bb) Ausweitung des Gewaltbegriffes im neueren Schrifttum ce) Reaktionen auf die Ausweitung des Gewaltbegriffes .... a') Bemühungen um einen neuen Gewaltbegriff ... . . . . . b') Rückkehr zum "klassischen" Gewaltbegriff ......... c) Der eigene Gewaltbegriff ..................................

81 81 87 98 98 116 119

aal Kriterien für einen strafrechtlichen Gewaltbegriff ...... bb) Definition und Begründung des eigenen Gewaltbegriffes

119 123

3. Das Nötigungsmittel "Drohung mit einern empfindlichen übel"

127

a) Der Begriff des übels ......................................

127

b) Empfindlichkeit des übels .................................. c) Inaussichtstellen eines übels ....................... . ........

135 140

d) Einfluß des Täters auf den Eintritt des übels ............... e) Drohung durch Unterlassen ................................

142 147

4. Der Nötigungserfolg: "Handlung", "Duldung", "Unterlassung" ..

148

a) Begriffsbestimmung in Rechtsprechung und Schrifttum ..... .

148

b) Kritik und eigene Begriffsbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150

Dritter Teil

Der Unrechtsausschluß bei der Nötigung 1. Die systematische Stellung des § 240 Abs.2 StGB im Verbrechensaufbau ...........................................................

156

Inhaltsverzeichnis

7

1. § 240 StGB als "offener" Tatbestand ................... . ......

156

2. Die Lehre von den gesamttatbewertenden Merkmalen .. . . . . . . . .

158

3. § 240 Abs.2 StGB als Element der tatbestandlichen Unrechts-

begründung ...................................................

161

4. Systematische Zuordnung des § 240 Abs.2 StGB zum Unrechtsausschluß .....................................................

163

5. Eigene Auffassung zum Verhältnis von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit bei der Nötigung ........................

171

11. Die einzelnen Elemente der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2

StGB ............................................................

178

1. Die sog. Mittel-Zweck-Relation

178

2. Der Begriff der Verwerflichkeit

185

3. Die Verfassungsmäßigkeit des § 240 Abs.2 StGB

197

Schlußbetrachtung ........................................... . ......

200

Literaturverzeichnis .................................................

203

Ahkürzungsverzeichnis AcP AE

Archiv für die zivilistische Praxis Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches. Besonderer Teil. Straftaten gegen die Person. 1. Halbband 1970

BayObLG BayObLGSt BB BGBL I BGH BGHSt BGHZ BT-Drucks. BVerfGE

Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen, Neue Folge Betriebsberater Bundesgesetzblatt Teil I Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Drucksache des Bundestages Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

DAR DJZ DRiZ DRZ DStR

Deutsches Autorecht Deutsche Juristenzeitung Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Strafrecht, Neue Folge

E 1962

Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 (mit Begründung) - Bundestagsvorlage - Bonn 1962, Drucksache des Bundestages IV/650, ohne Begründung auch als Drucksache V/32 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch

EGStGB FamRZ

Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

G

Gesetz 1880-1933: Archiv für Strafrecht und Strafprozeß, begr. von Th. Goltdammer 1953 ff.: Goltdammer's Archiv für Strafrecht Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 Der Gerichtssaal

GA

GG GS

HRR

Handwörterbuch der Rechtswissenschaft; hrsg. von Fritz Stier-Somlo und Alexander Elster, Berlin und Leipzig 1927 Höchstrichterliche Entscheidungen; Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen Handbuch des deutschen Strafrechts; hrsg. von Fr. von Holtzendorff. Berlin 1874 Höchstrichterliche Rechtsprechung

JA

Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen

HdR HESt HH

Abkürzungsverzeichnis

9

JMBINRW JR

Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Juristische Rundschau

JuS JW JZ

Juristische Schulung Juristische Wochenschrift J uristenzei tung

KG

Kammergericht

LH LK LM

Lehrheft Leipziger Kommentar Entscheidungen des Bundesgerichtshofes im Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes, hrsg. von Lindenmaier, Möhring u. a. Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht

LZ Materialien

Materialien zur Strafrechtsreform 15 Bände. Bonn 1954-1962 MDR Monatsschrift für Deutsches Recht MSchKrim Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Niederschriften Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission. 14 Bände. Bonn 1956-1960. NJW NStZ

Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Strafrecht

OLGSt

Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht; hrsg. von Max Kohlhaas und Wolfgang Ullrich

PrStGB

Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten

RG RGBL RGRecht RGRspr. RGSt RStGB

Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in "Das Recht", hrsg. von Hans Th. Soergel Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Reichsstrafgesetzbuch

Sächs. Archiv SchlHA SJZ StÄG StGB, St. G. B. StPO

Sächsisches Archiv für Rechtspflege Schleswig-Holsteinische Anzeigen Süddeutsche Juristenzeitung Strafrechtsänderungsgesetz Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung

UZwG

Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10. 3. 1961 (BGBL I, S. 165)

VDB VO VRS

Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Besonderer Teil Verordnung Verkehrsrechts-Sammlung

ZPO ZStW

Zivilprozeßordnung Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

"Die Welt ist zu reich und lebendig, um sich in eine einzige Wahrheit einsperren zu lassen." Gustav Radbruch

Einleitung Der Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) hat von jeher große Beachtung in der Stl'afrechtswissenschaft gefunden. Dennoch gibt es gegenwärtig keine monographische Darstellung des Nötigungsunrechts, die alle Merkmale der geltenden Gesetzesvorschrift umfaßt. Die Abhandlungen, die vor 1953 erschienen sind, beziehen sich auf Nötigungsvorschriften, die nicht nur im Wortlaut, sondern auch inhaltlich vom heutigen Nötigungstatbestand abweichen.! Sie sind daher bereits aus diesem Grunde nur noch für Einzelfragen von Bedeutung. Darüber hinaus sind auch diejenigen älteren Monographien, die ihrem Titel nach eine umfassende Darstellung der damals geltenden Nötigungsvorschrift versprechen, nicht erschöpfend, sondern verzichten auf die Behandlung einzelner Merkmale, insbesondere des Tatbestandselementes "nötigen".2 I Bis zum Jahre 1943 (StGB vom 15.5. 1871, RGBl. S.127) lautete § 240 RStGB: "Wer einen anderen widerrechtlich durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird ... bestraft." Im Jahre 1943 erhielt § 240 Abs. 1 StGB die heutige Fassung (Strafrechtsangleichungs-VO vom 29.5.1943, RGBl. I, S.339). Neu eingefügt wurde § 240 Abs.2 StGB, der zunächst folgenden Wortlaut hatte: "Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Zufügung des angedrohten übels zu dem angestrebten Zweck dem gesunden Volksempfinden widerspricht." Erst im Jahre 1953 wurde Abs. 2 in den heutigen Wortlaut geändert (3. StÄG vom 4.8. 1953, BGBl. I, S. 735). Ausführliche Darstellungen der Geschichte des Nötigungstatbestandes finden sich bei Busse, Nötigung im Straßenverkehr, S. 55 ff.; Hansen, Nötigungsunrecht, S. 27 ff. und Schaffstein, Festschrift für Lange, S. 983 ff. 2 Vgl. Schieren, Das Vergehen der Nötigung im deutschen Reichsstrafrecht (§ 240 StGB), Diss. Heidelberg 1910; Droste, Die Nötigung, Diss. Würzburg 1921; Stein, Das Vergehen der Nötigung nach § 240 des deutschen Reichsstrafgesetzbuches unter Berücksichtigung der Entwürfe zu einem neuen deutschen Strafgesetzbuch, Diss. Würzburg 1921; Herbst, Das Vergehen der Nötigung im deutschen Reichsstrafrecht (§ 240 StGB), Diss. Jena 1922; Schneider, Nötigung

12

Einleitung

Nach 1953 richtet sich das Interesse im strafrechtlichen Schrifttum ausschließlich auf Einzelfragen der Nötigung,3 wobei die Bestimmung des Gewaltbegriffes4 und die Frage der Rechtswidrigkeit der NötigungS im Vordergrund stehen. Auch die 1972 erschienene Abhandlung von Hansen, Die tatbestandliche Erfassung von Nötigungsrecht, die im Titel eine Behandlung sämtlicher unrechtsrelevanter Tatbestandsmerkmale des § 240 StGB verspricht, befaßt sich nur mit einem Teilaspekt des Nötigungstatbestandes, nämlich mit der systematischen und inhaltlichen Bedeutung des § 240 Abs.2 StGB. Betrachtet man diese Teilanalysen der Nötigungsvorschrift näher, so fällt auf, daß immer wieder der Versuch unternommen wird, das Grundproblem jeder Normierung von Nötigungsunrecht - die Abgrenzung von strafbaren und straflosen Zwangshandlungen - anhand einzelner Bestandteile der Nötigungsvorschrift zu lösen. Dieses Vorgehen hat zu dem Ergebnis geführt, daß das Merkmal "Gewalt" zu einem der besonders umstrittenen Begriffe des Strafrechts gehört, die Einordnung des § 240 Abs. 2 StGB der allgemeinen Tatbestandslehre große Schwierigkeiten bereitet und neuerdings die besondere Problematik des § 240 StGB auch auf den Rechtsgutsbegriff Auswirkungen zeigt. und Erpressung in alter und neuer Fassung, Diss. Köln 1947; Hass, Der objektive Tatbestand der Nötigung, Diss. Kiel 1952. Unvollständig sind von Katte, Der § 240 des Strafgesetzbuches, Diss. Erlangen 1897 und Schreiner, Das Vergehen der Nötigung nach unserem Reichsstrafgesetzbuche, Diss. Tübingen 1901. Von vornherein auf die Behandlung von Einzelfragen beschränken sich Hil!, Der subsidiäre Charakter der Nötigung, Diss. Marburg 1895; Goldschmidt, Die Strafbarkeit der widerrechtlichen Nötigung nach dem Reichsstrafgesetzbuch, Breslau 1897; Jaffe, Zur Lehre von den Delikten der Nötigung, Bedrohung und Erpressung (§§ 240, 241, 253 St.G.B.) insbesondere ihrem Verhältnis zu einander, Diss. Berlin 1899; Fraenkel, Die Delikte der Nötigung, Bedrohung und Erpressung in ihrem Verhältnis zueinander, Diss. Greifswald 1901; Stern, Ueber das Verhältnis zwischen Nöthigung und Erpressung, zugleich als Beitrag zur Lehre von der Subsidiarität der Nöthigung, Diss. Berlin 1901; Staaden, Die Nötigung des heutigen Rechts und des Entwurfs, Diss. Freiburg 1912; Wagner, Die Nötigung nach den §§ 279 und 280 des amtlichen Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1927 verglichen mit dem geltenden Recht, Diss. Erlangen 1930. 3 VgI. z. B. Busse, Nötigung im Straßenverkehr, Neuwied/Berlin 1968. 4 Vgl. z. B. Knodel, Der Begriff der Gewalt im Strafrecht, MünchenlBerIin 1962; Hoffmeister, Der Begriff der Gewalt im Straftatbestand der Nötigung, Diss. Hamburg 1972; Calliess, Der Begriff der Gewalt im Systemzusammenhang der Straftatbestände, Tübingen 1974; von Heintschel-Heinegg, Die Gewalt als Nötigungsmittel im Strafrecht, Diss. Regensburg 1975. 5 VgI. z. B. Kressel, Die Rechtswidrigkeit bei Nötigung und Erpressung nach der Neufassung des Nötigungs- und Erpressungstatbestandes im RStGB, Diss. Erlangen 1955; Reents, Die Verwerflichkeitsklausel, Diss. Göttingen 1969. 6 VgI. Arzt, Festschrift für Welzel, S. 823 ff.; Jakobs, Festschrift für Peters, S. 69 ff.

Einleitung

13

Die Folgen für die allgemeine Verbrechenslehre - als Beispiel sei hier nur die Lehre vom .,offenen" Tatbestand angeführt - sind unübersehbar. Das Fehlen einer Gesamtdarstellung der Nötigung ist aus diesem Grunde als schwerwiegender Mangel anzusehen. Denn die Auslegung eines einzelnen Merkmals des Nötigungstatbestandes ist nicht ohne Berücksichtigung des auch durch die übrigen gesetzlichen Merkmale mitbestimmten Nötigungsunrechts möglich. Es besteht daher bei Untersuchungen, die sich auf die Erörterung einzelner Problembereiche beschränken, die Gefahr, bestimmte für richtig gehaltene Ergebnisse dadurch herbeizuführen, daß man das gerade untersuchte Tatbestandsmerkmal in die gewünschte Richtung hin auslegt, ohne danach zu fragen, ob sich dieses Ergebnis nicht vielmehr aus der sachgerechten Bestimmung eines anderen Merkmales ergibt. Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang die Vernachlässigung des gesetzlichen Merkmales "nötigen" im heutigen Schrifttum. Obwohl damit dem Gesetzeswortlaut nach die Tathandlung des § 240 StGB beschrieben ist, wird diesem Merkmal bei der Auslegung des § 240 StGB keinerlei Beachtung geschenkt. Da aber die Tathandlung für die Erfassung des spezifischen Unwerts eines Deliktes von hervorragender Bedeutung ist, sieht man sich gezwungen, einem anderen Tatbestandsmerkmal diese Funktion zuzuschreiben. Hierfür kommen nur die Merkmale "Gewalt" und "Drohung mit einem empfindlichen Übel" in Betracht, die ihrerseits Tätigkeiten umschreiben. Diese Merkmale werden ihres Charakters als Mittel der Nötigungshandlung entkleidet und zu Tathandlungen umfunktioniert. Hierin dürfte eine Ursache für die so oft beklagte "Konturenlosigkeit" der Nötigungsmittel liegen. Darüber hinaus ist das Fehlen einer Gesamtdarstellung des Nötigungsunrechts aufh für die Lösung eines anderen gewichtigen Problems der Nötigungsvorschrift von außerordentlicher Bedeutung. Die Frage, ob § 240 Abs. 2 StGB lediglich einen Hinweis auf die besondere Häufigkeit von rechtfertigenden Situationen darstellt oder bereits als eine Ergänzung des sonst zu weit geratenen Tatbestandes des § 240 Abs.l StGB anzusehen ist, kann erst dann sachgerecht beantwortet werden, wenn alle unrechtsbegründenden Merkmale des § 240 Abs. 1 StGB in ihrer Bedeutung geklärt sind. Im folgenden soll daher eine umfassende Darstellung des Nötigungsunrechts versucht werden. Ausgangspunkt ist dabei ein für alle Straftatbestände geltender Unrechtsbegriff, dessen Tauglichkeit auch für die Bestimmung des Nötigungsunrechts überprüft wird. Daraus ergibt sich für den Gang der Arbeit, daß zunäch::;t die Begriffsbestimmung des Verbrechenselements "Unrecht" zu erfolgen hat, bevor auf der Grundlage dieses Unrechtsbegriffs das in § 240 StGB erfaßte Nötigungsunrecht untersucht werden kann.

Erster Teil

Der Begriff des Unrechts I. Unrecht als Sachelement des Verbrechens Die Bewertung menschlichen Verhaltens als Unrechtl richtet sich nach zwei Maßstäben: Zunächst muß sich das in Betracht kommende Verhalten auf seine sozialethische Wertwidrigkeit bezüglich eines einzelnen Wertes überprüfen lassen. Diese Wertung an den Forderungen der Sozialethik beruht darauf, daß sich das Recht als Gemeinschaftsordnung sinnvoll nur mit den Pflichten befassen kann, die der einzelne als Mitglied dieser Gemeinschaft gegenüber der Gemeinschaft selbst oder gegenüber ihren Mitgliedern zu erfüllen hat. Von den sozialethischen Wertverfehlungen wiederum sind nur diejenigen für das Rechtswidrigkeitsurteil von Belang, die sich von bloß unmoralischem Verhalten durch das Merkmal der Sozialschädlichkeit unterscheiden. 2 Nach der Feststellung der Schädlichkeit des Verhaltens hinsichtlich eines Sozialwertes wird der Blickwinkel ausgedehnt und das Verhalten auf seine Verträglichkeit mit den gesamten der Rechtsordnung zugrunde liegenden Wert- und Zweckvorstellungen untersucht. Diese zweite Wertung an den Forderungen des Rechts kann ergeben, daß ein Verhalten, das durch die Beeinträchtigung eines einzelnen Wertes Unrecht begründet, unter Berücksichtigung des gesamten Wert- und Zweckgefüges gerechtfertigt ist. Letztlich entscheidend ist also die Wertung am Maßstab der Anforderungen des Rechts. Die Gesamtheit der das Rechtswidrigkeitsurteil bildenden Faktoren kann dementsprechend in unrechtsbegründende und unrechtsausschließende gegliedert werden. Angesichts dieser auch aus Gründen der Darstellung und Subsumtion vorgenommenen Einteilung ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß die Bewertung eines Verhaltens als rechtmäßig oder rechts1 Der hier nur kurz skizzierte Unrechtsbegriff beruht auf dem von Schmidhäuser, Allgemeiner Teil 6/1 ff. begründeten und von Langer, Sonderverbre-

chen, S. 274 ff. weiterentwickelten teleologischen Straftatsystem. Dort findet sich neben einer ausführlicheren Darstellung des Unrechtsbegriffs auch die Erörterung der übrigen Verbrechenselemente. Zur Bedeutung teleologischen Denkens in der Strafrechtsanwendung vgl. ansonsten Schmidhäuser, Festschrift für Würtenberger, S. 91 ff. 2 Langer, Sonderverbrechen, S. 286.

I. Unrecht als Sachelement des Verbrechens

15

widrig eine einheitliche bleibt. Das Unrecht ist nicht "zunächst" begründet und dann erst "nachträglich" ausgeschlossen, sondern ein gerechtfertigtes Verhalten ist für das Unrecht ebenso irrelevant wie ein sonst rechtmäßiges.3 1. Die Unrechtsbegründung

Als Element der Straftat hat 'das Unrecht eine materielle und eine formelle Seite: Materiell wird Unrecht durch ein sozialschädliches Verhalten begründet, formell muß dieses Verhalten gesetzlich vertatbestandlicht sein.! Sozialschädliches Verhalten läßt sich im Blick auf den Verletzten als die Verletzung eines Rechtsgutes, im Blick auf den Täter als die Verletzung einer sozialethischen Pflicht beschreiben. 2 Ein Rechtsgut ist ein für die Gemeinschaft besonders wertvolles Gut.3 Die Rechtsgutsverletzung ist von der materiellen Veränderung des Tat- bzw. Angriffsobjektes zu unterscheiden. Denn da das Rechtsgut ein ideeller Sachverhalt ist, kann auch seine Verletzung nur ideeller Natur sein. In der Wirklichkeit erkennbar ist eine Rechtsgutsverletzungaber nur als tatsächliche oder bloß vorgestellte Gefährdung oder Verletzung eines Tatobjektes.4 Die bloße Vorstellung eines Angriffs auf ein Tatobjekt ist 3 Ebenso Dtto, Allg. Strafrechtslehre, S. 67; Samsan, Systematischer Kommentar, vor § 32 Rdn.ll; Schmidhäuser, Allgemeiner Teil 9/2 ff.; Stratenwerth, Allgemeiner Teil, Rdn. 179; Schönke / Schröder / Lenckner, vor §§ 13 ff. Rdn. 16 m. weit. Nachw. Dagegen wird die Tatbestandsmäßigkeit als eigene Wertungsstufe angesehen z. B. von Welzel, Lehrbuch, S. 81 und Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 259. ! Vgl. auch Gallas, Festschrift für Bockelmann, S. 162; Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 185 f.; Langer, Sonderverbrechen, S. 283, 315; Maurach / Zipf, Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 173 ff.; v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch (26. Aufl.), S. 176 f.; Sauer, Allg. Strafrechtslehre, S. 52, 60; Schmidhäuser, Allgemeiner Teil 8/2; Stratenwerth, Festschrift für Schaffstein, S. 179. 2 Langer, Sonderverbrechen, S. 303. Im heutigen Schrifttum wird überwiegend eine .. personale" Unrechtslehre vertreten: Der Unrechtsgehalt wird primär durch den in der subjektiven Auflehnung des Täters gegen die Rechtsnorm bestehenden Handlungsunwert, nur sekundär durch den in der Rechtsgutsverletzung liegenden Erfolgsunwert bestimmt, vgl. Jescheck, Allgemeiner Teil, S.190; Gallas, Festschrift für Bockelmann, S. 161 ff.; Schänke / Schröder / Lenckner, vor §§ 13 ff. Rdn. 54 ff. m. weit. Nachw. Zum Teil wird die Bedeutung des Erfolgsunwertes für das Unrecht ganz bestritten und der Erfolg als bloße Strafbarkeitsbedingung bei einzelnen Delikten angesehen, vgl. Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 143 ff.; Lüderssen ZStW 85, S.292; Horn, Systematischer Kommentar, § 46 Rdn.43. Zur Bedeutung der Unterscheidung von Handlungs- und Erfolgsunwert und zu den einzelnen Positionen der personalen Unrechtslehre Langer, Sonderverbrechen, S.282, 303 ff. 3 Vgl. Maurach / Zipf, Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 277 ff.; Wessels, Allgemeiner Teil, S.2. Näher zum Rechtsgutsbegriff Langer, Sonderverbrechen, S. 287 ff. m. weit. Nachw. 4 Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 186; Langer, Sonderverbrechen, S. 293; Dtto, Allg. Strafrechtslehre, S. 61; Schmidhäuser, Allgemeiner Teil 2/30.

16

1. Teil: Der Begriff des Unrechts

ausreichend, da Gegenstand der unrechtsbegründenden Verletzung das Rechtsgut und nicht das Tatobjekt ist. Dieses ist nur die real erlebte Verkörperung, über die die Rechtsgutsverletzung geschieht. Eine Beeinträchtigung des Rechtsguts liegt aber auch dann vor, wenn der Täter sich irrig einen Angriff auf ein Tatobjekt, in dem für ihn das Rechtsgut verkörpert ist, vorstellt. 5 Der Unrechtsgehalt eines rechtsgutsverletzenden Verhaltens wird maßgeblich von der objektiven und subjektiven Intensität der Verletzung geprägt. Objektiv richtet sich der Unrechtsgrad danach, ob das Tatobjekt verletzt oder nur gefährdet wird und ob besonders gefährliche Tatmittel benutzt werden. Daneben sind von Bedeutung für den Unrechtsgehalt der Wert des verletzten Tatobjekts sowie die Verletzung mehrerer in einem Realobjekt verkörperter Rechtsgüter.6 In subjektiver Hinsicht kann das Verletzungsverhalten danach unterschieden werden, ob der Angriff auf das Tatobjekt beabsichtigt war oder nur bewußt oder sogar unbewußt geschehen ist.7 Nicht jede Rechtsgutsverletzung ist Unrecht, sondern nur eine solche, die auch gegen eine Rechtsnorm verstößt. 8 Rechtsnormen sind vom Gesetzgeber erlassene Rechtsfolgenandrohungen für den Fall der Zuwiderhandlung gegen einen Rechtsnormbefehl (Verbot oder Gebot).9 Es kann zu einer Divergenz zwischen materiellem und formellem Un5 Langer, Sonderverbrechen, S. 296; zur Rechtsgutsbeeinträchtigung bei nur vermeintlichem Angriff auf ein Rechtsgutsobjekt vgl. auch Sax JZ 1976, S. 432 f. 6 Kern ZStW 64, S. 260, 276 ff.; Langer, Sonderverbrechen, S. 298 ff.; Dtto, Gedächtnisschrift für Schröder, S. 64. 7 Die von der h. L. vertretene Schuldtheorie setzt das Verletzungs- bzw. Tatbewußtsein mit dem Rechtsbegriff des Vorsatzes gleich und sieht es als Bestandteil des sog. Handlungsunrechtes an, vgl. dazu Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 192 m. weit. Nachw. Fraglich ist aber, ob der Begriff des Vorsatzes mit dem Verletzungsbewußtsein identisch ist oder ob vorsätzliches Handeln nicht aktuelles Verletzungsund aktuelles Unrechts bewußt sein voraussetzt und somit aus einem Unrechts- und einem Schuldelement besteht. Auf eine Doppelnatur des Vorsatzes wird zwar im neueren Schrifttum zunehmend hingewiesen, dabei aber der Vorsatz als ein vom Unrechtsbewußtsein verschiedenes Schuldmerkmal behandelt, so beispielsweise von Jescheck, Allgemeiner Teil, S.194, 347; Schänke / Schräder / Lenckner, vor §§ 13 ff. Rdn. 120; Lackner § 15 Anm. 5 c; Wessels, Allgemeiner Teil, S. 38 f. m. weit. Nachw. Zu den von der h. L. abweichenden verschiedenen Spielarten der Vorsatztheorie Langer GA 1976, S.208. 8 Näher zur Bedeutung des formellen und des materiellen Moments für die Begründung des Unrechts als Sachelement des Verbrechens Langer, Sonderverbrechen, S. 282 f., 308 ff. mit Nachweis der verschiedenen Ansichten im Schrifttum. 9 Vgl. Baumann, Allgemeiner Teil, S. 24; Langer, Sonderverbrechen, S. 309 ff., der ausführlich auf den Streit um Existenz und Bedeutung der Rechtsnormen eingeht. Maurach / Zipf, Allgemeiner Teil, Teilband 1, S.288 sind dagegen der Ansicht, die Norm spreche keine Sanktion aus.

1. Unrecht als Sachelement des Verbrechens

17

recht kommen, wenn ein als besonders sozialschädlich erlebtes Verhalten nicht oder noch nicht unter Strafe gestellt bzw. ein mit Strafe bedrohtes Verhalten nicht oder nicht mehr als schwerwiegende Wertverletzung empfunden wird. Für das Unrecht als Sachelement des Verbrechens sind aber sowohl das materielle als auch das formelle Unrechtsmoment erforderlich. Die für das formelle Unrechtsmoment wesentliche Rechtsnorm ist insofern einerseits Bewertungsnorm, als sie ein rechtsgutsverletzendes Verhalten als für die Gemeinschaft unerträglich bewertet und somit das Rechtsgut zum Schutzobjekt erhebt. Sie ist andererseits Bestimmungsnorm, als sie dadurch gleichzeitig den Normadressaten zu normgerechtem Verhalten verpflichtet. lo 2. Der Unrechtsausschluß

Ist das Unrecht als rechtsnormwidrige Gemeinschaftswertverletzung aufgrund einer isolierten Betrachtungsweise in Richtung auf einen einzelnen Sozialwert als begründet festgestellt worden, muß nun unter Einbeziehung sämtlicher Umstände der Tatsituation nach einem möglichen Ausschluß des Rechtswidrigkeitsurteils gefragt werden. Diese Unterscheidung in unrechtsbegründende und unrechtsausschließende Merkmale ist sachlich und logisch notwendig und beruht, wie oben ausgeführt,l auf der doppelten Wertung des als Straftat in Betracht kommenden Sachverhalts. Das Unrecht wird ausgeschlossen, wenn das Täterverhalten entweder materiell gerechtfertigt ist, weil die rechtsnormwidrige Rechtsgutsverletzung der Rettung eines wertvolleren Sozialgutes oder der Befolgung einer dringlicheren sozialethischen Pflicht dient2 oder formell durch einen Erlaubnissatz gestattet wird. Neben allgemeinen, alle Normen betreffenden Erlaubnissätzen wie z. B. § 32 StGB (Notwehr) gibt es auch spezielle, auf einzelne Normen beschränkte Erlaubnissätze wie z. B. § 193 StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen). Im Erlaubnisrechtssatz ist die Wertabwägung durch den Gesetzgeber vorweggenommen und der prinzipiellen Nachprüfung bei der Rechtsanwendung ent10 Die Rechtsnorm wird im Schrifttum überwiegend als Bewertungs- und Bestimmungsnorm verstanden, vgl. z. B. Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 189; Langer, Sonderverbrechen, S. 311 f.; Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 76; Blei, Allgemeiner Teil, S. 90. Umstritten ist dabei, ob die Bestimmungsfunktion der Norm nicht erst für die Schuld von Bedeutung ist, so Baumann, Allgemeiner Teil, S. 268; ebenso wohl auch Maurach / Zipf, Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 357; Bockelmann, Allgemeiner Teil, S. 36 f. 1 Erster Teil, 1. 2 Die Güter- bzw. Wertabwägung wird zunehmend als Prinzip der Rechtfertigung anerkannt, vgl. z. B. Noll ZStW 77, S. 1 ff.; Dtto, Allg. Strafrechtslehre, S. 118; Schmidhäuser, Allgemeiner Teil 9/13 ff. und hat nun auch mit § 34 StGB Ausdruck im Gesetz gefunden.

2 Bergmann

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1. Teil: Der Begriff des Unrechts

zogen. Ein Verhalten ist rechtmäßig, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des Erlaubnisrechtssatzes vorliegen. Zusammenfassend kann man das Unrecht als Sachelement des Verbrechens bezeichnen als Schutzobjekts- und Pflichtverletzung, für die keine unrechtsausschließenden Umstände vorhanden sind. 11. Der Unrechtstatbestand als Formelement des Verbrechens Der das einzelne Delikt charakterisierende Unwertgehalt wird im Deliktstatbestand typisierend zum Ausdruck gebracht. Durch den Tatbestand erfolgt die notwendige Auslese des strafbaren aus dem strafwürdigen Verhalten und somit eine Trennung vom straflosen Verhalten. 1 Diese gesetzliche Typisierung des Verbrechens muß gemäß Art. 103 Abs.2 GG hinreichend von dem straflosen Verhalten zu unterscheiden sein. Um diese Unterscheidbarkeit zu erreichen, werden im Straftatbestand in anschaulicher Weise die Sachelemente des Verbrechens Unrecht, Schuld und Strafwürdigkeit2, also das gesamte wertverletzende Verhalten vertypt. Den Unrechtstatbestand eines Verbrechens bilden dabei diejenigen Merkmale eines Strafgesetzes, die die rechtsnormwidrige Rechtsgutsverletzung beschreiben.3 Die Normwidrigkeit ist immer wenigstens stillschweigend mitvertypt, in einigen Tatbeständen aber auch ausdrücklich in den Gesetzeswortlaut aufgenommen, so z. B. bei der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) mit dem Merkmal "rechtswidrig". Der gesetzliche Unrechtstatbestand besteht demnach im wesentlichen aus einer individualisierenden Schilderung einer Rechtsgutsverletzung. Diese Individualisierung erfolgt vorrangig durch Angabe des Schutzobjektes.4 So wird der Totschlag (§ 212 StGB) durch das Schutzobjekt des menschlichen Lebens, der Diebstahl (§ 242 StGB) durch das Schutzobjekt Eigentum charakterisiert. Die Angabe des Schutzobjektes allein reicht jedoch nicht immer zur genauen Individualisierung des Deliktes aus. I Vgl. Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 196 f.; Maurach / Zipf, Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 188; Dtto, Allg. Strafrechtslehre, S. 58 f.; Schmidhäuser, Allgemeiner Teil, 2/10 ff.; Wessels, Allgemeiner Teil, S. 32. 2 Zur Funktion der Strafwürdigkeit im Verbrechensaufbau vgl. Langer, Sonderverbrechen, S. 327 ff., 360 ff.; Schmidhäuser, Allgemeiner Teil 2/10 ff., 12/1 ff. Nach Ansicht von Sax JZ 1976, S. 11 ist die Strafwürdigkeit der Rechtsgutsverletzung Gattungsmerkmal des Unrechtstatbestandes. Nach Auffassung von Dtto, Gedächtnisschrift für Schröder, S. 68 ist sie keine eigenständige Deliktskategorie. 3 So auch Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 196; Schmidhäuser, Allgemeiner Teil 8/3. 4 übereinstimmend die h. M., vgl. z. B. Jescheck, Allgemeiner Teil, S.205; Langer, Sonderverbrechen, S. 349 f.; Schänke / Schräder / Lenckner, vor §§ 13 Rdn.l0.

11. Der Unrechtstatbestand als Formelement des Verbrechens

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So kennzeichnet das Schutzobjekt Eigentum nicht nur das Delikt des Diebstahls, sondern auch der Unterschlagung (§ 246 StGB) und der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) sowie einer Reihe weiterer Delikte. In diesen Fällen wird das deliktische Unrecht des betreffenden Verbrechens vollständig erst durch die Art und Weise des Angriffs auf das Schutzobjekt charakterisiert.5 Zum Unrechtstatbestand eines Deliktes gehören demnach nicht nur die Rechtsgutsverletzungen als solche, sondern alle Merkmale, die die Modalitäten der Verletzungshandlung genauer bestimmen.6 Beim strafgesetzlichen Unrechtstatbestand ist zu beachten, daß er kein Unrecht konstituiert, sondern es lediglich seinem Unwertgehalt nach individualisiert.? Dabei kann die Form nicht weiter gehen als das inhaltlich charakterisierte Unrecht. Der Umfang der gesetzlichen Unrechtscharakterisierung ist nicht vordergründig anhand des geschilderten verbotenen Verhaltens zu ermitteln, sondern aus der vertypten Rechtsgutsverletzung zu gewinnen. Daher ist ein Verhalten, das rein phänomenologisch alle Merkmale des Unrechtstatbestandes erfüllt, nicht unrechtstatbestandsmäßig, wenn ihm der Charakter einer Rechtsgutsverletzung fehlt. 8

5 Die Bedeutung der Art der Rechtsgutsverletzung betonen auch Langer, Sonderverbrechen, S. 350; atto, Allg. Strafrechtslehre, S. 60. Für die h. L. ist dagegen die verbotene Handlung vorrangig, vgl. nur Stratenwerth, Allgemeiner Teil, Rdn. 199; Schänke / Schröder / Lenckner, vor §§ 13 ff. Rdn. 23. 6 Näher zu den verschiedenen Intensitätsstufen tatbestandlichen Unrechts Langer, Sonderverbrechen, S. 350 ff. 7 Mißverständnisse können auch durch die Verwechslung von Tatbestand und Tatbestandsmäßigkeit auftreten. Der Tatbestand ist der Begriff der Charakterisierung eines Verbrechens, die Tatbestandsmäßigkeit dagegen das Verwirklichtsein dieser Charakterisierung in einem Verhalten. Zwar ist Verbrechen nur, was in seiner Form der Charakterisierung in einem Tatbestand entspricht (der Straftatbestand ist somit logische Voraussetzung für das Urteil, ein bestimmtes Verhalten weise die zur Strafbarkeit erforderliche Form auf), Formelement und damit Bestandteil des Verbrechens ist nur die Tatbestandsmäßigkeit; eingehender zu diesen Fragen Langer, Sonderverbrechen, S. 338 ff. 8 Beispielsweise bei der Einwilligung des Verletzten oder bei Handeln mit optimaler Gefahrenminderung; Schmidhäuser, Allgemeiner Teil 8/112 spricht hier von einer "scheinbaren" Rechtsgutsverletzung. Vgl. zu diesem Problemkreis auch Sax JZ 1976, S. 9 ff.

Zweiter Teil

Der Unrechtstathestand der Nötigung Wie oben dargelegt besteht der Unrechtstatbestand aus der individualisierenden Schilderung einer Rechtsgutsverletzung. Die Charakterisierung des spezifischen Deliktsunwerts geschieht dabei vorrangig durch Angabe des Schutzobjektes, in zweiter Linie durch Schilderung der Art und Weise der Schutzobjektsverletzung. Dem soll für die Erfassung des Nötigungsunrechts dadurch Rechnung getragen werden, daß zunächst das in § 240 StGB geschützte Rechtsgut bestimmt wird, ehe die durch § 240 StGB für strafbar erklärte Art der Verletzung dieses Schutzobjektes untersucht wird. I. Das Schutzobjekt der Nötigung 1. Die Bestimmung des Schutzobjektes in Rechtsprechung und Literatur

a) Die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung als Schutzobjekt der Nötigung

Auf den ersten Blick läßt sich dem Wortlaut des § 240 Abs.l StGB entnehmen, daß das Tatopfer davor geschützt werden soll, gegen seinen Willen durch bestimmte Mittel zu einem Verhalten gebracht zu werden. Das abgenötigte Verhalten wird dabei vom Gesetz nur sehr allgemein mit den Begriffen "Handlung, Duldung oder Unterlassung"! umschrieben. Diese rein abstrakte Bezeichnung des erzwungenen Verhaltens legt den Schluß nahe, daß die Vorschrift des § 240 StGB nicht bestimmte Verhaltensweisen des einzelnen Menschen gewährleisten soll, sondern der Schutz durch diese Norm sich vielmehr generell auf das Vermögen des Menschen erstreckt, seine Verhaltensweisen nach seinem eigenen Willen zu gestalten. Daraus wird im gegenwärtigen Schrifttum und in der Rechtsprechung fast einhellig der Schluß gezogen, daß die Freiheit der Willensentschließung (oder Willensbildung) und der Willensbetätigung als das durch ! Die Verwendung des Begriffes "Verhalten" als Oberbegriff für die Begriffe "Handlung, Duldung und Unterlassung" entspricht dem im strafrechtlichen Schrifttum üblichen Sprachgebrauch und ist hier nur vorläufig.

I. Das Schutzobjekt der Nötigung

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§ 240 StGB geschützte Rechtsgut anzusehen ist2 • Nähere Bestimmungen der Begriffe "Freiheit", "Willensentschließung" und "Willensbetätigung" sind dabei sehr selten, obwohl die Begriffe "Freiheit" und "Wille" sowohl im juristischen als auch im außerjuristischen Schrifttum zu den besonders umstrittenen Fragen gehören und keineswegs geklärt sind.3

Eine der wenigen ausführlichen Stellungnahmen zum Schutzobjekt der Nötigung findet sich in der Rechtsprechung des Reichsgerichts.4 Das Reichsgericht bezeichnet die natürliche Macht zur Selbstbeherrschung und Selbstbestimmung des Menschen über sein eigenes Sein und Tun als das in § 240 StGB geschützte Rechtsgut. Die "Macht der Selbstbeherrschung" aber sei, so das Reichsgericht weiter, eine Fähigkeit des inneren geistigen Seins des Menschen und das Wirken dieses Seins sei das Wollen.s Eigentliches Wesen des Wollens sei das Wählen zwischen den bei den Möglichkeiten, den eine Handlung auslösenden Nerv zu reizen oder nicht zu reizen. 6 Zum Begriff "Freiheit" führt das Reichsgericht aus: "Das Wort ,Frei' besagt seiner Sprachbedeutung nach zunächst nur die Verneinung einer Beeinträchtigung (frij = geschont), bezeichnet also einen Zustand der Person, in dem sie die ihr als Mensch eignende und das Wesen der Persönlichkeit ausmachende natürliche Fähigkeit zur Selbstbestimmung unbehindert zur Geltung bringen kann, in ihrem Sein und Tun von außen her keine Behinderung erfährt, 2 Vgl. RGSt 48, S. 346, 347; BGHSt 1, S. 84, 87; Arzt / Weber, Besonderer Teil, LH 1, S. 206 Rdn. 561; Blei, Besonderer Teil, S. 63; Dreher / Tröndle § 240 Rdn. 1; Krey, Besonderer Teil, Bd. 1, S. 102; Lackner § 240 Anm.l; Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 123; Roxin JuS 1964, S. 374; Schäfer, LK (9. Aufl.), § 240 Rdn. 2; Schönke / Schröder / Eser § 240 Rdn.l. Im gleichen Sinne wohl auch Schmidhäuser, Besonderer Teil 4/1, der die "Freiheit des Einzelnen, nicht durch andere in der eigenen Willensbetätigung beschränkt und an der Willensbildung gehindert zu werden" als das Rechtsgut des § 240 StGB ansieht. Die zu Beginn dieses Jahrhunderts in der Literatur vertretene Auffassung, § 240 StGB schütze nur die Willensbetätigungsfreiheit, nicht aber die Freiheit der Willensentschließung (so z. B. v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch (25. Auf!.), S. 520; v. Olshausen § 240 Anm. 3; Wachenfeld, Lehrbuch, S. 340), hat heute keine Anhänger mehr, nachdem das Reichsgericht in RGSt 48, S. 346 ff. dargelegt hat, daß das Nötigungsmittel der Drohung gerade auf die Willensentschließung einwirkt. Im übrigen stimmt die h. M. im älteren Schrifttum mit der heutigen überein, vgl. dazu Schieren, Nötigung, S. 18 ff. m. weit. Nachw. 3 Es sei hier nur für den strafrechtlichen Bereich auf die Problembereiche "Wille und Vorsatz" sowie "Willensfreiheit und Schuldbegriff" hingewiesen. In der Psychologie ist z. B. umstritten, ob das Wollen ein autogenetisches oder ein heterogenetisches, d. h. ein aus Gefühlen oder Vorstellungen ableitbares Phänomen ist, vgl. hierzu Hofstätter, Psychologie, Stichwort "Wille", S. 355 m. weit. Nachw. 4 RGSt 48, S. 346 ff. S RGSt 48, S. 348. 6 RGSt 48, S. 349.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

so daß ihr Betätigungskreis keine anderen Schranken hat, als sie die äußere Natur, die eigne Handlungsfähigkeit und die rechtliche Ordnung der Gesellschaft ohnehin einem jeden setzt.'" Unter einer Willensentschließung versteht das Reichsgericht demnach die Wahltätigkeit beim Wollen, unter einer Willensbetätigung die Ausführung der getroffenen Wahlentscheidung. Bezüglich des Freiheitsbegriffes ist den Ausführungen des Reichsgerichts zu entnehmen, daß es zwar von einem in deterministischen Menschenbild ausgeht, wenn es von der "natürlichen Macht zur Selbstbeherrschung und Selbstbestimmung des Menschen über sein eigenes Sein und Tun" spricht, daß aber der Begriff "Freiheit" in der Wortverbindung "Willensentschließungs- bzw. Willensbetätigungsfreiheit" von ihm nicht im Sinne einer indeterministischen Willensfreiheit als Freiheit von Ursächlichkeit, sondern als Freiheit von Beeinträchtigung verstanden wird. 8 In Anlehnung an die Auffassung des Reichsgerichts bestimmt Knodel das Schutzgut der Nötigung. Er bezeichnet die Freiheit zur Selbstbestimmung als das Rechtsgut des § 240 StGB.9 Dabei schränkt er die Freiheit zur Selbstbestimmung auf die Freiheit des äußeren Verhaltens ein; die Freiheit des Denkens soll seiner Ansicht nach nicht geschützt sein. lo Nach der Feststellung, daß die Willensfreiheit im philosophischen Sinne als Angriffsobjekt ausscheide,ll kommt er zu dem Schluß, daß sich die Freiheit des einzelnen zur Selbstbestimmung zusammensetze aus der Fähigkeit der Willensbildung, der Freiheit der Willensbetätigung und der Freiheit der Willensentschließung,12 Nach seiner Ansicht ist auch die Fähigkeit zur Willensbildung Angriffsobjekt der Nötigung. Diese Fähigkeit sei dem Menschen als solche gegeben, soll jedoch etwa im Schlaf oder bei Bewußtlosigkeit vorübergehend ausgeschlossen sein.13 Von der Auffassung des Reichsgerichts und von der heute herrschenden Lehre weicht Knodel demnach in der Bezeichnung des Rechtsgutes der Nötigung ab. Inhaltlich bedeutet f"eine Definition jedoch keine Abweichung, da die herrschende Meinung Beeinträchtigungen der Fähigkeit zur Willensbildung als Verletzungen der Willensentschließungs, RGSt 48, s. 348; die Hervorhebung findet sich im Original. Im gleichen Sinne wird der Freiheitsbegriff auch von Rosen/eId, VDB Bd. 5, S. 388 f. verstanden. Dort finden sich auch weitere Nachweise zur etymologischen Entwicklung des Wortes "frei", S. 389 Fn. 3. 8 So ausdrücklich auch Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 117; Rosen/eId, VDB Bd. 5, S. 388. 9 Begriff der Gewalt, S. 5. 10 Begriff der Gewalt, S. 9. II Begriff der Gewalt, S. 6 f. 12 Begriff der Gewalt, S. 10. 13 Ebd.

I. Das Schutzobjekt der Nötigung

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freiheit erfaßt. 14 Welche Bezeichnung das Schutzobjekt der Nötigung treffender charakterisiert, soll hier noch dahingestellt bleiben. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß nach überwiegender Auffassung die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung als das in § 240 StGB geschützte Rechtsgut bezeichnet wird. 15 Das so bezeichnete Rechtsgut der Nötigung soll sich von anderen Rechtsgütern durch einige grundlegende Besonderheiten unterscheiden. Im Gegensatz zu absoluten oder zumindest konstanten Rechtsgütern wie etwa Leben oder Eigentum wird das Rechtsgut der persönlichen Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung als "nicht festumrissen und deutlich abgrenzbar" , sondern als "völlig konturenlos" bezeichnet. 16 Hinzu komme, so wird weiter ausgeführt, daß man den Begriff der Freiheit nicht positiv, sondern allein negativ als Abwesenheit von Beschränkungen bestimmen könneY Als weitere Eigenart des Rechtsgutes der Freiheit der Willensbetätigung wird aufgezeigt, daß dieses Rechtsgut niemals umfassend geschützt werde, sondern daß ihm von vornherein bestimmte Grenzen immanent seien, die sich daraus ergeben würden, daß im sozialen Miteinander die Freiheit des einen durch die Freiheit des anderen begrenzt seU8 Der Freiheitsschutz sei begriffsnotwendig relativiert. 19 Daraus folge, daß die erlaubte Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit die Regel, die verbotene hingegen die Ausnahme sei.20 Bei der Prüfung, ob strafbares Unrecht vorliege, habe man daher nicht wie bei anderen Rechtsgütern zu fragen, ob eine 14 Vgl. nur Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 123; Wessels, Besonderer Teil, Bd. 1, S. 60.

15 Näher auf den strafrechtlichen Begriff der persönlichen Freiheit, der die Willensfreiheit, die Willensbildungsfreiheit und die Willensbetätigungsfreiheit umfasse, gehen auch Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 116 ff. ein. Außer einer Systematisierung der Freiheitsdelikte des 18. Abschnitts des StGB im Hinblick auf die jeweils geschützte Freiheitssphäre finden sich dort aber keine über die oben zitierten Aussagen hinausgehenden Ausführungen. 16 Fezer JZ 1974, S. 600 f.; ders. GA 1975, S. 361; ders. JR 1976, S. 95; Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 117; Roxin JuS 1964, S. 374 f. 17 Knodel, Begriff der Gewalt, S. 7; Rosenjeld, VDB Bd. 5, S. 388 f. 18 Busse, Nötigung im Straßenverkehr, S. 58; Eser, Strafrecht III, Nr. 12 A 3, S. 143; Hansen, Nötigungsunrecht, S. 94; Knodel, Begriff der Gewalt, S.7; Roxin JuS 1964, S. 374; ähnlich schon RGSt 48, s. 346, 348. 19 Jakobs, Festschrift für Peters, S. 69; Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 116; Schönke / Schröder / Eser § 240 Rdn. 2 bezeichnet die Freiheit als "intrasoziales" Rechtsgut, das im Gegensatz zu den "transsozialen" , weil nicht erst gesellschaftlich konstituierten Gütern wie Leib oder Leben überhaupt erst im sozialen Kontext Bedeutung erlange und schon deshalb nicht absolut geschützt sein könne, vgl. dazu auch Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 45 ff. 20 Busse, Nötigung im Straßenverkehr, S. 57; Fezer JZ 1974, S. 600; Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 117.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Beeinträchtigung des Rechtsgutes ausnahmsweise erlaubt sei, sondern beim Rechtsgut der Nötigung gehe die Frage primär dahin, ob die Verletzung der Willens entschließungs- bzw. Willensbeeinträchtigungsfreiheit ausnahmsweise verboten sei.2! Aus diesen angeblichen Besonderheiten des durch § 240 StGB geschützten Rechtsgutes werden für die Auslegung des Nötigungstatbestandes und insbesondere für die systematische Einordnung des § 240 Abs.2 StGB weitreichende Konsequenzen gezogen.22

b) Beschränkung des Schutzobjektes auf die rechtlich garantierte Freiheit Im neueren Schrifttum wird mit besonderem Nachdruck darauf hingewiesen, daß nicht jede Freiheit der Willensbetätigung durch § 240 StGB geschützt werde, sondern nur die rechtlich garantierte Freiheit zur Willensentschließung und -betätigung Schutzobjekt bzw. Rechtsgut der Nötigung sei. 23 Begründet wird diese Ansicht in erster Linie mit dem Argument, nicht jede tatsächliche Freiheit zur Verwirklichung eines inhaltlich beliebigen Willens könne geschützt sein. Sonst wäre auch die "tatsächliche Freiheit des Nötigers zur Nötigung an sich" geschützt.24 Da aber bei der Nötigung die Kollision von Freiheitssphären notwendig bedingt und somit nicht mit der zufälligen Konstellation zu vergleichen sei, in der ein Rechtsgut nur um den Preis der Verletzung eines gattungsgleichen Rechtsgutes erhalten werden könne, etwa bei Notwehr gegen eine drohende Körperverletzung durch eine Verletzung des Angreifers, wäre die Freiheit des Nötigers normlogisch nur als prinzipiell rechtswidriges Rechtsgut erfaßbar und daher ein Selbstwiderspruch.25 Um die Antinomie eines rechtswidrigen Rechtsgutes zu vermeiden, könnten nur rechtlich garantierte Verhaltensalternativen als Schutzgegenstand des § 240 StGB angesehen werden. 26 Die faktische Freiheit zu einem bestimmten Verhalten möge man vielleicht 2!

Maurach / Schroeder a. a. O.

Das von der h. L. mit der Eigenart des Rechtsgutes begründete besondere Verhältnis von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit bei der Nötigung wird erst im dritten Teil eingehend erörtert. Hier werden die angeblichen Eigenarten des Rechtsgutes der Nötigung nur soweit einer kritischen überprüfung unterzogen, wie es der allgemeine Rechtsgutsbegriff oder speziell die Bestimmung des Schutzobjektes des § 240 StGB erfordern. 23 Jakobs, Festschrift für Peters, S. 69 ff.; zustimmend Horn, Systematischer Kommentar, § 240 Rdn. 2 f.; Ostendorj NJW 1980, S. 2592; ähnlich schon Hansen, Nötigungsunrecht, S. 94; Roxin ZStW 83, S. 385; Bruck, Verbrechen gegen die Willensfreiheit, S. 2 f. 24 Jakobs, Festschrift für Peters, S. 70; vgl. auch Roxin ZStW 83, S. 385; Horn, Systematischer Kommentar, § 240 Rdn. 2. 25 Jakobs, Festschrift für Peters, S. 69 f. 26 Jakobs, Festschrift für Peters, S. 76. 22

I. Das Schutzobjekt der Nötigung

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als "Gut" ansehen können, "Rechts"- oder "Schutzgut" werde sie erst dann, wenn sie rechtlich garantiert sei.27 Folgende Beispiele werden zur Erläuterung dieser Ansicht angeführt: Drohe der Gläubiger dem säumigen Schuldner eine Zahlungsklage an, so beschränke er ihn nicht in seiner rechtlich garantierten Freiheit; denn seiner Freiheit, bei Fälligkeit nicht zu zahlen, habe er sich schon mit dem Abschluß des Kaufvertrages begeben. 2a Ebensowenig werde ein Räuber, den man zum Verlassen des Hauses zwinge, in seiner rechtlich garantierten Freiheit beschränkt.29 2. Kritik an den herkömmlichen Bestimmungen des Schutzobjektes

Die überkommene Auffassung der herrschenden Meinung, die das Schutzobjekt der Nötigung als die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung bezeichnet, gibt in zweifacher Hinsicht Anlaß zu einer kritischen überprüfung: Zum einen bestehen Bedenken gegen die Verwendung des Begriffes "Freiheit" zur Kennzeichnung des Schutzobjektes, weil fraglich ist, ob dieser gerade im Zusammenhang mit dem Phänomen des menschlichen Willens mit unterschiedlichem Inhalt gebrauchte Begriff zu einer eindeutigen Schutzobjektsbestimmung tauglich ist. Zum anderen ist hinsichtlich der von der überkommenen Auffassung angenommenen Besonderheiten des Schutzobjektes der Nötigung bisher nicht hinreichend nachgewiesen worden, daß die dem Rechtsgut der Nötigung im Gegensatz zu anderen Rechtsgütern angeblich fehlenden Eigenschaften bei den zum Vergleich herangezogenen Rechtsgütern tatsächlich vorhanden sind. Statt des Nachweises dieser Eigenschaften bei anderen Rechtsgütern findet sich nur die bloße Behauptung dieser Merkmale. Ein derartiges Vorgehen erscheint um so fragwürdiger, als aus den behaupteten Besonderheiten des Rechtsgutes der Nötigung weitreichende Konsequenzen für die Auslegung des § 240 StGB gezogen werden.' Die Bestimmung des Schutzobjektes der Nötigung als Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit kann aus diesen Gründen nicht ohne weiteres als richtig übernommen werden. Es ist vielmehr zu untersuchen, ob die Bestimmung des Schutzobjektes nach überkomHorn, Systematischer Kommentar, § 240 Rdn. 2. So Jakobs, Festschrift für Peters, S. 75; ihm folgend Horn, Systematischer Kommentar, § 240 Rdn. 2. Arzt, Festschrift für Welzel, S. 834 ff. will berücksichtigen, ob ein Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten eines anderen besteht; näher zur Ansicht von Arzt im dritten Teil, 11. 1. 29 VgI. Roxin ZStW 83, S. 385. , s. o. im zweiten Teil, I. 1. a) und näher im dritten Teil. 27

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

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mener Auffassung hinsichtlich der soeben geäußerten Bedenken einer kritischen überprüfung standhält. Nach dieser überprüfung der Auffassung der herrschenden Meinung soll die Frage beantwortet werden, wie sich die neuerdings vertretene Einschränkung des Rechtsgutes der Nötigung auf die rechtlich garantierte Freiheit mit dem Rechtsgutsbegriff als allgemeinem Verbrechensmerkmal verträgt und welche Auswirkungen auf das Verhältnis von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit sich daraus ergeben.

a) Kritik an der Verwendung des Begriffes "Freiheit" zur Schutzobjektsbestimmung Der Gebrauch des Begriffes "Freiheit" zur Definition des Schutzobjektes der Nötigung als Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit ist schon deshalb bedenklich, weil unter Freiheit im Zusammenhang mit dem Begriff "Wille" häufig Freiheit von ursächlicher Notwendigkeit verstanden wird. Die überkommene Auffassung meint aber mit Freiheit in diesem Zusammenhang die Abwesenheit von Beeinträchtigungen. 2 Da ein Verständnis des Rechtsgutes der Nötigung als Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung von ursächlicher Notwendigkeit nicht von vornherein abwegig ist (z. B. Herbeiführung eines Verhaltens durch vis absoluta als notwendig verursachtes Verhalten), besteht die Gefahr von Mißverständnissen, wenn nicht der gemeinte Inhalt des Begriffes "Freiheit" jeweils ausdrücklich klargestellt wird. Dieser Befund wirft die Frage auf, ob Freiheit als Verneinung von Beeinträchtigung nicht durch einen in diesem Zusammenhang eindeutigen Begriff ersetzt werden kann. Die Suche nach einem Ersatzbegriff erübrigt sich aber, wenn sich ergeben sollte, daß der mit dem Begriffsmerkmal "Freiheit" im Sinne von Verneinung einer Beeinträchtigung umschriebene Umstand zur Bestimmung des Schutzobjektes der Nötigung entbehrlich ist. Das Begriffsmerkmal "Freiheit" zur Bezeichnung des Rechtsgutes der Nötigung ist überflüssig, wenn die Eigenschaft, von Beeinträchtigungen frei zu sein, allen Rechtsgütern zukommt und deshalb dieser Begriff als Artmerkmal speziell zur Bestimmung des Schutzobjektes der Nötigung unbrauchbar ist. Zur Beantwortung dieser Frage ist noch einmal auf den Begriff des Rechtsgutes und die Funktion des Straftatbestandes hinzuweisen. Unter Rechtsgut wird in der dieser Arbeit zugrundegelegten Verbrechenssystematik ein für die Gemeinschaft besonders wertvoller Zustand verstanden.3 Ein Rechtsgut wird dort zum Schutzobjekt, 2 S. 3 S.

o. im zweiten Teil, I. 1. a), insbesondere Fn. 8. o. Erster Teil, I. 1.

I. Das Schutzobjekt der Nötigung

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wo ihm Schutz durch die Rechtsordnung gewährt wird.4 Im Straftatbestand werden bestimmte als strafwürdig empfundene Rechtsgutsverletzungen für strafbar erklärt und damit Rechtsgüter durch Androhung einer Sanktion vor diesen Beeinträchtigungen geschützt. Aus dieser Funktion des Straftatbestandes und der Kennzeichnung des Rechtsgutes als sozial wertvollem Zustand ergibt sich, daß jeder Straftatbestand die Freiheit des ihm zugrundeliegenden Rechtsgutes vor Beeinträchtigungen schützt. In diesem Sinne ist die Aussage, § 240 StGB schütze die Willensbetätigungs- und Willensentschließungsfreiheit oder § 223 StGB schütze die körperliche Unversehrtheit, zutreffend. Ebenso könnte man sagen, die §§ 211 ff. StGB schützten die "Freiheit" des Lebens vor Beeinträchtigungen oder § 242 StGB schütze die "Freiheit" des Eigentums vor Beeinträchtigungen. Falsch ist es dagegen, das Merkmal "Freiheit" oder das in diesem Zusammenhang gleichbedeutende Merkmal "Unversehrtheit" als Artmerkmal in die Benennung des konkreten Schutzobjektes einzubeziehen, da der damit gemeinte Sachverhalt, nämlich das Freisein oder die Freiheit eines Gegenstandes von Beeinträchtigungen zu schützen, auf jedes Rechtsgut zutrifft und somit schon als Gattungsmerkmal im allgemeineren Begriff des Schutzobjektes enthalten ist. Der Umstand, daß die überkommene Bezeichnung des Schutzobjektes der Nötigung als Willensbetätigungs- und Willensentschließungsfreiheit eine tautologische Umschreibung darstellt, könnte noch hingenommen werden, wenn sie lediglich als sprachliche Ungenauigkeit anzusehen wäre.s Die herrschende Meinung sieht aber gerade die Freiheit als charakteristisches Merkmal des Rechtsgutes der Nötigung an und leitet daraus Eigenschaften ab, die nur dem Schutzobjekt der Nötigung zukommen sollen.6 Stellenweise wird sogar unter Bezug auf die überschrift des 18. Abschnitts des StGB das Rechtsgut allein mit dem Begriff "Freiheit" bezeichnet.' Hierbei wird aber verkannt, daß es Freiheit als solche nicht gibt, sondern nur die Freiheit eines Gegenstandes (oder einer Person) und daher auch nur diese Rechtsgut sein könnte. Freiheit ist schon dem Begriff nach immer das Nichtexistieren einer Beschränkung oder Beeinträchtigung eines Gegenstandes.8 4 Vgl. Langer, Sonderverbrechen, S. 291; da es sich hier um die Ermittlung eines einem Straftatbestand zugrundeliegenden Rechtsgutes handelt, können beide Begriffe synonym gebraucht werden. S Dies ist bei der Bezeichnung des Rechtsgutes der §§ 223 ff. StGB als körperliche Unversehrtheit der Fall. 6 s. o. im zweiten Teil, I. 1. a) und näher im dritten Teil. , Vgl. Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 116; vgl. ferner Arzt / Weber, Besonderer Teil, LH 1, S.204 Rdn.557, wo von "Freiheitsbetätigungen" gesprochen wird, und Horn, Systematischer Kommentar, § 240 Rdn. 3: "Rechtsgut Freiheit".

2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

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Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die überkommene Bezeichnung des Rechtsgutes der Nötigung als Wi11ensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit insofern inhaltsleer ist, als die mit dem Merkmal "Freiheit" gemeinte Eigenschaft der Abwesenheit von Beinträchtigungen nicht als Artmerkmal zur Charakterisierung des Schutzobjektes der Nötigung herangezogen werden kann, weil sie bereits ein Gattungsmerkmal des allgemeineren Begriffs des Rechtsgutes ist.

b) Kritik an den Begründungen der Eigenarten des Schutzobjektes der Nötigung Im Schrifttum wird immer wieder die Sonderstellung des Schutzobjektes der Nötigung hervorgehoben. 9 Das durch § 240 StGB geschützte Rechtsgut wird mit Eigenschaften wie "amorph" ,10 "allein negativ bestimmbar",u "relativiert"12 versehen. Gegenübergestellt werden andere Rechtsgüter, die "fest umrissen" und "deutlich abgrenzbar" ,13 "absolut" oder "konstant"14 sein sollen. Als Beispiele werden die Rechtsgüter Leben und Eigentum,ls aber auch der Personenstand und das Briefgeheimnis l6 genannt. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die genannten Eigenschaften bei den zum Vergleich herangezogenen Rechtsgütern wirklich vorhanden sind. Zunächst soll die Behauptung, andere Rechtsgüter seien fest umrissen und deutlich abgrenzbar, am Beispiel des Rechtsgutes Leben auf ihre Richtigkeit untersucht werden. Wenn Rechtsgütern überhaupt diese dem Schutzobjekt der Nötigung angeblich fehlende Eigenschaft zukommt, dann müßten sich diese Kriterien am ehesten beim Rechtsgut Leben nachweisen lassen. Für eine deutliche Abgrenzbarkeit des Rechtsgutes Leben ist zu verlangen, daß zumindest Anfang und Ende des menschlichen Lebens eindeutig bestimmt werden können. Bei der Auslegung der §§ 211 ff. StGB wird gemeinhin zwischen dem Schutzobjekt des geborenen menschlichen Lebens und dem Schutzgut des ungeborenen menschlichen LeVgl. Ernst Wolf, Allgemeiner Teil, S.98. Nachweise oben im zweiten Teil, I. 1. a). 10 Fezer JR 1976, S. 95. 11 Knodel, Begriff der Gewalt, S. 7. 12 Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband I, S. 116; Knodel, Begriff der Gewalt, S. 7. 13 Roxin JuS 1964, S. 374. 14 Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband I, S. 116 f.; Knodel, Begriff der Gewalt, S. 9. 15 Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband I, S. 116 f.; Roxin JuS 1964, S. 374; Knodel, Begriff der Gewalt, S. 9. 16 Roxin JuS 1964, S. 374. 8

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I. Das Schutzobjekt der Nötigung

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bens unterschieden. Während § 218 StGB das ungeborene Leben schützt, ist Schutzobjekt der übrigen Tötungsdelikte der bereits geborene MenschY Versteht man diese Auffassung in dem Sinne, daß es sich beim geborenen Leben und der Leibesfrucht um verschiedene Rechtsgüter handelt,18 so muß das geborene Leben eindeutig von der Leibesfrucht zu unterscheiden sein, um der Anforderung eines deutlich umrissenen und klar abgrenzbaren Rechtsgutes zu genügen. Übereinstimmend wird in Rechtsprechung und Literatur unter Hinweis auf § 217 StGB der Beginn der Geburt als entscheidende Zäsur zwischen Leibesfrucht und geborenem menschlichen Leben angesehen. 19 Umstritten ist allerdings, welcher Zeitpunkt als der Beginn der Geburt anzusehen ist. Folgende Auffassungen werden oder wurden dazu vertreten: Im älteren Schrifttum findet sich die Ansicht, entscheidend sei der Zeitpunkt, in dem die Plazentaratmung aufhöre und die Möglichkeit der Atmung durch die Lunge beginne.2o Die in Rechtsprechung und Lehre früher herrschende Auffassung stellte auf das Auftreten der sog. Preßwehen ab. 21 Die nunmehr herrschende Meinung nimmt Geburtsbeginn bereits mit dem Einsetzen der sog. Eröffnungswehen an. 22 Ferner wird die Ansicht vertreten, es sei erforderlich, daß das Kind so weit aus dem Mutterleib ausgetreten sei, daß eine Einwirkung auch schon von außen her geschehen könne. 23 Diese Übersicht über die verschiedenen Ansichten zum Beginn der Geburt zeigt, daß die Grenze zwischen geborenem und ungeborenem Leben dem Recht keineswegs exakt vorgegeben ist. Die Abgrenzung bleibt vielmehr der juristischen Wertung überlassen. Aber auch wenn man der Ansicht wäre, daß das menschliche Leben als kontinuierlicher Vorgang von der Entstehung bis zum Tode zu begreifen sei und somit nur als ein Rechtsgut angesehen werden könne, fällt es schwer, den Beginn des menschlichen Lebens eindeutig zu bestimmen. Denn beim Entstehen der Leibesfrucht sind verschiedene Phasen zu beobachten, die als Ansatzpunkte für den Beginn des 17 Vgl. nur Horn, Systematischer Kommentar, § 212 Rdn. 3; Rudolphi, Systematischer Kommentar, § 218 Rdn.2; Schönke / Schröder / Eser, Vorbem. v. §§ 211 ff. Rdn. 12, v. § 218 Rdn. 5. IS SO wohl die h. M., vgl. nur Lüttger JR 1971, S. 133. 19 Vgl. z. B. BGHSt 5, S. 10; Lüttger JR 1971, S. 133. 20 Wachenfeld, Lehrbuch, S. 300 m. weit. Nachw. 21 Vgl. RGSt 26, S. 178, 179; Maurach, Besonderer Teil (5. Aufl. 1969), S. 13; heute noch vertreten von Saerbeck, Beginn und Ende des Lebens, S. 95 und Preisendanz § 218 Anm. II 3. 22 Vgl. Dreher / Tröndle, vor § 211 Rdn. 3; Lüttger JR 1971, S. 135; Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 13; Schönke I Schröder lEser, Vorbem. v. §§ 211 Rdn. 13. 23 So Lange, LK (9. Aufl.), vor § 211 Rdn. 3 m. weit. Nachw.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

menschlichen Lebens in Betracht kommen können: 24 die Vereinigung von Ei- und Samenzelle (sog. Konjugation),25 der Zeitpunkt der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutterschleimhaut (sog. Nidation),26 die Entstehung des Großhirns gegen den 40. Schwangerschaftstag27 oder man kann sich sogar auf den Standpunkt stellen, keine Phase des menschlichen Lebens könne als der eigentliche Beginn angesehen werden, da jede Ei- und jede Samenzelle auch vor der Vereinigung schon ein lebendiger Organismus sei mit der Bestimmung, Leben in Menschenform zu werden, und daher bereits als menschliches Leben bezeichnet werden könnte. 28 Der Beginn des menschlichen Lebens kann also nicht hinreichend sicher bestimmt werden. Vielmehr bedarf es auch in der naturwissenschaftlichen Betrachtung der Konvention. Es hat sich somit erwiesen, daß das Rechtsgut Leben zumindest hinsichtlich seines Beginns nicht deutlich zu begrenzen ist. Ebenso ungewiß ist auch, wann das menschliche Leben endet. Während bis vor kurzer Zeit die Bestimmung des Todeszeitpunktes mit Stillstand von Kreislauf und Atemtätigkeit erfolgte,29 wird nunmehr auf den Zeitpunkt des Gehirntodes angestellt. 3O Aber selbst in diesem Falle ist es außerordentlich schwierig, den Zeitpunkt der Zerstörung des Gehirns exakt festzustellen. 31 Auch die Beendigung des menschlichen Lebens kann also zeitlich nicht genau fixiert werden. 24 Durch die §§ 218, 219 d StGB, die für die Strafbarkeit wegen Schwangerschaftsabbruches auf den Zeitpunkt der Nidation abstellen, ist das Rechtsgut des menschlichen Lebens keineswegs hinsichtlich seines Beginns festgelegt worden. Das Rechtsgut ist der Strafnorm vorgegeben, diese kann nur bestimmen, ab wann Rechtsgutsbeeinträchtigungen strafbar sein sollen. Dies ist in erster Linie eine Frage der Strafwiirdigkeit, wobei bei den §§ 218 ff. StGB vor allem Beweisfragen ausschlaggebend gewesen sein dürfen, vgl. BT-Drucks. VI!3434, S. 15. 25 So Becker FamRZ 1968, S. 412; Strutz MSchKrim 1969, S. 85 f.; Ernst Wolf, Allgemeiner Teil, S. 141 f.; Lang-Hinrichsen JR 1970, S. 369 m. weit. Nachw. 26 Im juristischen Schrifttum h. M., vgl. Lay, LK (9. Aufl.), § 218 Rdn. 15 m. weit. Nachw.; Schänke / Schröder / Eser, vor § 218 ff. Rdn. 26 f.; vgl. auch BVerfGE 39, S. 1,37. 27 Auf dem Gynäkologen-Kongreß 1970 geäußerte Meinung, zit. nach Ernst Wolf, Allgemeiner Teil, S. 142. 28 So Steiger, deutsches panorama Nr. 10/67, zit. nach Frankfurter Rundschau Nr. 197 v. 25. 8. 1979, S. 14. 29 Vgl. hierzu Stratenwerth, Festschrift für Engisch, S. 530 ff.; Geilen, Festschrift für Heinitz, S. 374 ff. 30 Vgl. nur Schänke / Schröder / Eser, vor §§ 211 ff. Rdn. 18 f. und Horn, Systematischer Kommentar, § 212 Rdn. 5 m. weit. Nachw. 31 Dazu Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 13 f. mit Nachweisen auch zum medizinischen Schrifttum.

1. Das Schutzobjekt der Nötigung

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Schließlich ist sogar die Frage, welche Eigenschaften das Neugeborene als Mensch haben muß, umstritten.32 Aufgrund dieser Unsicherheiten hinsichtlich Anfang, Ende und Eigenschaften des menschlichen Lebens erscheint die Auffassung, beim Rechtsgut Leben handele es sich um ein "fest umrissenes, klar abgrenzbares" Rechtsgut, als nicht haltbar. Das Rechtsgut Leben wird außerdem als ein absolutes Rechtsgut bezeichnet. Damit ist eine Absolutheit des Lebensschutzes gemeint: das Leben sei schutzwürdig ohne Rücksicht auf Lebensgefühl und Lebensinteresse des einzelnen, ohne Rücksicht auf die Einschätzung der Gesamtheit hinsichtlich des einzelnen Lebens und es werde schließlich in jeder Entwicklungsphase in gleicher Weise als Rechtsgut anerkannt.33 Aber auch dem Rechtsgut Leben gewährt die Rechtsordnung keinen absoluten Schutz. Denn in bestimmten Situationen ist die Tötung eines Menschen erlaubt, auch wenn dadurch kein anderes Menschenleben gerettet werden kann, so z. B. in Notwehr (§ 32 StGB) auch zur Rettung von Sachwerten34 und bei Anwendung von unmittelbarem Zwang durch Vollzugsbeamte des Bundes (vgl. §§ 10 ff. UZwG des Bundes) oder der Länder (vgl. z. B. §§ 5 ff. des Hess. Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwangs).3S Ein Schwangerschaftsabbruch ist gemäß § 218 a StGB bei bestimmten Indikationen gerechtfertigt.36 Außerdem ist der Normenschutz auch insofern nicht umfassend, als nicht gegenüber allen Gefährdungen des Lebens Schutz durch die Rechtsordnung gewährt wird. Das StGB kennt ebenso wie die meisten ausländischen Rechtsordnungen keinen allgemeinen Tatbestand der Lebensgefährdung.37 Die Lebensgefährdungsdelikte des StGB erfassen nur Teilgebiete der gefährlichen Angriffe auf das Leben: § 221 StGB beispielsweise nur die Gefährdung des Lebens einer wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflosen Person, die §§ 315 ff. StGB nur Lebensgefährdungen im Bahn-, Schiffs-, Luft- und Straßenverkehr und die 32 Vgl. dazu näher BGHSt 10, s. 291, 292; Frank, vor § 211 Anm. I; Gerland, Reichsstrafrecht, S. 470; Schönke / Schröder / Eser, vor §§ 211 Rdn.lO; Ernst Wolf, Allgemeiner Teil, S. 146. 33 Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 12. 34 H. M., vgl. Schönke / Schröder / Lenckner, § 32 Rdn. 39 m. weit. Nachw. 3S Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes v. 10. 3. 1961 (BGBl. I, s. 165); Hess. UZwG v. 11. 11. 1950 (GVBI. S. 247). Zum Handeln von Staatsorganen vgl. ferner BGHSt 26, s. 99, 103 f.; zu weiteren Rechtfertigungsgründen beim Totschlag Schönke / Schröder / Eser, § 212 Rdn. 4. 36 § 218 a StGB wird von der überwiegenden Meinung als Rechtfertigungsgrund verstanden, vgl. Dreher / Tröndle, vor § 218 Rdn.9 m. weit. Nachw. 37 Vgl. dazu Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 52; Simson / Geerds, Straftaten gegen die Person, S. 204 ff.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Strafbarkeit wegen Versuchs eines Tötungsdeliktes nur vorsätzliche Lebensgefährdungen. Das Leben ist daher kein absolutes Rechtsgut, wenn man darunter ein Rechtsgut versteht, dessen Beeinträchtigung in jedem Fall verboten ist. Die Ausführungen zum Rechtsgut Leben gelten in gleicher Weise auch für das Rechtsgut Eigentum. Auch der Eigentumsbegriff ist in seinen Grenzen unklar und fließend und unterliegt in seinem Verständnis geschichtlichem Wande1.38 Gleichgeblieben ist im Laufe der geschichtlichen Entwicklung allenfalls der Kern des Eigentumsbegriffes. Es ist daher terminologisch verfehlt, das Eigentum als ein konstantes Rechtsgut zu bezeichnen.39 Bereits die Untersuchung dieser beiden als weitgehend festgelegt verstandenen Rechtsgüter Leben und Eigentum hat gezeigt, daß bei näherem Hinsehen von "festumrissenen" und "in ihren Grenzen eindeutigen" Rechtsgütern keine Rede sein kann. Diese Feststellung trifft in weitaus größerem Maße auf Rechtsgüter wie Ehre,40 sexuelle Selbstbestimmung41 oder den persönlichen Lebens- und Geheimbereich42 zu. Die Ansicht, es gebe festumrissene, absolut geschützte und konstante Rechtsgüter, ist demnach bislang nicht schlüssig dargelegt worden. Sollte der Nachweis dieser Eigenschaften hinsichtlich eines Rechtsgutes gelingen, was äußerst zweifelhaft ist, so müßte folgerichtig dieses Rechtsgut als Besonderheit angesehen werden. Auch der Versuch von Eser, dem Schutzobjekt der Nötigung dadurch eine besondere Stellung zuzuweisen, daß er es als "intrasoziales" Rechtsgut ausweist, führt letztlich nicht weiter. Eser unterscheidet zwischen "intrasozialen" Rechtsgütern, die erst im "sozialen Kontext und im Spannungsfeld einander widerstreitender Interessen" Bedeutung erlangen, und den "transsozialen", d. h. nicht erst gesellschaftlich konstituierten Rechtsgütern. 43 Er ist der Auffassung, das Schutzobjekt der Nötigung könne schon deshalb nicht absolut, sondern nur relativ gegenüber illegitimen Angriffen geschützt werden, weil es sich bei der Frei38 Vgl. Lampe, Eigentumsschutz, S. 61 f.; Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 304 f.; ferner ist darauf hinzuweisen, daß im verfassungsrechtlichen Schrifttum zu Art. 14 GG der Eigentumsbegriff anders als im Strafrecht verstanden wird, vgl. z. B. BGHZ 6, S. 270, 278 und Maunz in Maunz I Düng I Herzog I Scholz, Art. 14 Rdn. 30 ff. 39 So aber Maurach I Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 117. 40 Der Inhalt des Begriffes Ehre ist äußerst umstritten, vgl. dazu Schänke I Schräder I Lenckner, Vorbem. zu § 185 Rdn. 1. 41 Zum Schutzobjekt der §§ 174 ff. Dreher I TrändIe, vor § 174 Rdn. 3 mit weit. Nachw. 42 Hierzu Schünemann ZStW 90, S. 11 ff. 43 Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 45 ff. und in Schänke I Schräder, Vorbem. v. §§ 234 ff. Rdn. 2.

I.

Das Schutzobjekt der Nötigung

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heit um ein "intrasoziales" Rechtsgut handele.« Es ist Eser zwar zuzu·· geben, daß z. B. die Güter Leben und Leib auch ohne das Vorhandensein einer Gemeinschaft vorstellbar sind und es andererseits auch Güter gibt, die das Vorhandensein einer Gesellschaft voraussetzen, insbesondere Güter der Allgemeinheit wie die Rechtspflege oder die Sicherheit des Straßenverkehrs. "Rechts"güter gibt es aber nur innerhalb einer Gemeinschaft, denn die Gemeinschaftsbezogenheit ist bereits im Begriff des Rechtsgutes angelegt, weil nur für die Gemeinschaft besonders wertvolle Sachverhalte Rechtsgüter sind.45 Demzufolge sind nicht nur die "intrasozialen" , sondern auch die "transsozialen" Rechtsgüter im Sinne Esers in das Sozialgefüge einbezogen und unterliegen einem notwendigen ständigen Interessenausgleich.46 Es kann deshalb keine Besonderheit des Schutzobjektes der Nötigung sein, daß es keinem absoluten, sondern nur einem relativierten Schutz unterliegt. Daß das Schutzobjekt der Nötigung häufiger gegenüber anderen Interessen zurücktreten muß als z. B. das Leben, liegt nicht daran, daß es ein begrifflich vom Rechtsgut Leben verschiedenes Schutzobjekt ist, sondern beruht darauf, daß ihm von der Rechtsgemeinschaft ein geringerer Wert als dem Leben zugemessen wird. Zusammenfassend ergibt sich somit, daß sich die von der herrschenden Meinung behaupteten Eigenarten und Besonderheiten des Schutzobjektes der Nötigung nicht nachweisen lassen. Es ist daher falsch. dem Schutzobjekt der Nötigung unter Berufung auf diese angeblichen Eigenarten eine Sonderstellung unter den Rechtsgütern zuzuweisen. c) Kritik an der Beschränkung des Schutzobjektes auf den rechtlich garantierten Bereich Die Ansicht, die Freiheit zu rechtswidrigem Verhalten könne nicht durch § 240 StGB geschützt sein, daher sei Rechtsgut der Nötigung nur die rechtlich garantierte Freiheit, scheint in ihrer Beschränkung auf rechtmäßiges Verhalten auf den ersten Blick einleuchtend zu sein. Die Plausibilität dieser Feststellung erstreckt sich in Wirklichkeit aber nur auf den ersten Teil dieser Behauptung, nämlich auf die Aussage, § 240 StGB schütze nicht die Freiheit zu rechtswidrigem Verhalten. Widerspruch erweckt dagegen die Folgerung, nur die Freiheit zu rechtmäßi« In Schönke / Schröder, Vorbem. v. §§ 234 ff. Rdn. 2. 45 Vgl. dazu Langer, Sonderverbrechen, S. 289 m. weit. Nachw. 46 Vgl. z. B. BVerfGE 7, S. 198,220: "Da im Zusammenleben in einer großen Gemeinschaft sich notwendig ständig Interessen- und Rechtskollisionen zwischen den einzelnen ergeben, hat im sozialen Bereich ständig ein Ausgleich und eine Abwägung der einzelnen entgegenstehenden Rechte nach dem Grad ihrer Schutzwürdigkeit stattzufinden." Diesen Ausführungen des BVerfG stimmt Eser selbst zu, vgl. Wahrnehmung berechtigter Interessen, S.45, insbesondere Fn. 99. 3 Bergmann

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

gern Verhalten sei demzufolge als Rechtsgut der Nötigung anzusehen. Es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich aus einem so verstandenen Rechtsgutsbegriff für die Auslegung des § 240 StGB und für die allgemeine Verbrechenslehre ergeben. Ein derartiges Rechtsgutsverständnis hat zunächst Auswirkungen auf das Verhältnis von Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluß. Herkömmlicherweise wird die Beziehung der im Unrechtstatbestand beschriebenen unrechtsbegründenden Merkmale zu den unrechtsausschließenden Rechtfertigungsgründen so gesehen, daß die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens der Erörterung des Erlaubnissatzes voranzugehen hat.47 Sachlich ergibt sich diese Prüfungsreihenfolge daraus, daß ein als Straftat in Betracht kommendes menschliches Verhalten an zwei Maßstäben gewertet wird: Zunächst wird ein Ausschnitt aus dem Wertzusammenhang des betreffenden Verhaltens an den Forderungen der Sozialethik gemessen; erst nach der Feststellung der sozialethischen Wertwidrigkeit wird der gesamte Wertzusammenhang am Maßstab des Rechts gewertet.48 Geht man weiter davon aus, daß die unrechtsbegründenden Merkmale des Tatbestandes die Verletzung eines Rechtsgutes beschreiben,49 so ergibt sich daraus, daß ein rechtfertigender Sachverhalt am Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung nichts ändern kann; diese Rechtsgutsverletzung ist dann jedoch rechtmäßig. Schränkt man das Rechtsgut auf die Freiheit zu rechtlich garantiertem Verhalten ein, so ist diese Auffassung mit dem soeben dargestellten Verhältnis von unrechtsbegründender Tatbestandsmäßigkeit und unrechtsausschließendem Erlaubnissatz nicht zu vereinbaren. Denn bei einem nötigenden Verhalten in einer rechtfertigenden Situation, z. B. Gewaltanwendung zur Abwehr einer Körperverletzung, ist bei Zugrundelegung dieser Ansicht durch die Nötigung des Angreifers das Rechtsgut der freien Willensbetätigung nicht beeinträchtigt. Wird nämlich das Verhalten des Nötigers von einem Erlaubnissatz gedeckt, so ist das Verhalten des Nötigungsopfers gerade nicht rechtlich garantiert; seine Freiheit zu rechtlich garantiertem Verhalten ist folglich auch nicht verletzt. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Zur Bekämpfung eines Hausbrandes wird dringend im Nachbarhaus befindliches Löschgerät benötigt. Der Nachbar N weigert sich jedoch, ofT Diese Prüfungsreihenfolge ist unabhängig von dem jeweiligen Begriff des Tatbestandes und dem Aufbau des Deliktes in zwei oder drei Stufen, vgl. z. B. Samson, Systematischer Kommentar, vor § 32 Rdn. 11; Stratenwerth, Allgemeiner Teil, Rdn. 177 f.; Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 258 ff.; Maurach I Zipf, Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 351 ff. m. weit. Nachw. 48 Vgl. bereits oben im ersten Teil, I. sowie Langer, Sonderverbrechen, S. 276 f. 49 s. o. im ersten Teil, 11.; vgl. auch Langer, Sonderverbrechen, S. 349.

I. Das Schutzobjekt der Nötigung

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das Gerät herauszugeben, weil er mit dem Eigentümer des brennenden Hauses verfeindet ist. A nimmt die Löschgeräte dem N mit Gewalt weg. Das Handeln des A gegen den Willen des N ist nach der oben dargestellten Ansicht nicht eine durch § 34 StGB gerechtfertigte Verletzung des Rechtsgutes der freien Willensbetätigung des N, sondern schon keine Verletzung dieses Rechtsgutes, da die Freiheit des N, sich weigernd zu verhalten, nicht rechtlich garantiert ist (vgl. auch § 904 BGB). Dient das gleiche Verhalten dagegen einem anderen Zweck (nimmt etwa A dem N dieselben Sachen mit Gewalt weg, weil er sie zu einem Spaß mit Freunden gebrauchen will), so ist das Rechtsgut der freien Willensbetätigung hingegen als verletzt anzusehen. Es würde also nach dieser Ansicht immer schon an einer Rechtsgutsverletzung fehlen, wenn ein Rechtfertigungsgrund gegeben ist. Damit wird die herkömmliche Unterscheidung zwischen unrechtsbegründenden Umständen (Unrechtstatbestand) und unrechtsausschließenden Merkmalen (Rechtfertigungsgrund) aufgegeben. Für die Nötigung gäbe es demnach keine Unterscheidung zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit.so Die Anhänger dieser Auffassung scheinen aber selbst Bedenken zu haben, ob dieses Verständnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit für die allgemeine Verbrechenslehre tauglich ist. Sie bezeichnen deshalb dieses systematische Ergebnis als eine Besonderheit der Nötigung und des der Nötigungsvorschrift zugrundeliegenden Schutzobjektes. Jakobs führt dazu als Begründung an, die Kollision von tatsächlicher Freiheit sei bei der Nötigung nicht das Ergebnis einer zufälligen Konstellation wie sonst bei rechtfertigenden Situationen, sondern hinreichend und notwendig bedingt: Was dem einen an tatsächlicher Freiheit garantiert werde, müsse dem anderen erst abgeschnitten werden.Sl Soweit diese Aussagen allein aus dem Merkmal "Freiheit" abgeleitet werden, läßt sich dagegen wie oben52 der Einwand erheben, daß das Merkmal "Freiheit" kein Artmerkmal des Schutzobjektes der Nötigung ist. Aber auch die Auffassung, bei der Verwirklichung von tatsächlicher Freiheit komme es immer zu einer Kollision zweier Freiheitsbereiche, kann nicht überzeugen. Bei dieser Feststellung hat Jakobs nur den Schutzbereich des § 240 StGB im Blick. Insofern ist seine Aussage zuso Diese Konsequenz scheint Roxin ZStW 83, S. 385 in Kauf nehmen zu wollen; vgl. dort auch seine Ausführungen zu § 113 StGB, a. a. 0., S. 386. 51 Festschrift für Peters, S. 70, insbesondere auch S. 79; ähnlich Roxin ZStW 83, S. 385 unter Hinweis auf die "Natur der Sache", nämlich die immanenten Schranken der Freiheit, die sich aus den gegenläufigen Freiheitssphären der einzelnen Staatsbürger ergeben sollen. 52 Im zweiten Teil, I. 2. a). 3'

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

treffend, da es in jedem Fall der Nötigung zu einer Kollision von Freiheitsbereichen kommt, nämlich zwischen der Freiheit des Nötigers und des Genötigten. Das einer Strafvorschrift zugrundeliegende Rechtsgut darf aber nicht mit dem Schutzbereich dieses Strafgesetzes gleichgesetzt werden, da durch die Beschränkung der Strafbarkeit auf eine bestimmte Verletzungsart nur ein Ausschnitt aus dem gesamten Rechtsgutsspektrum vom Schutz durch die betreffende Strafrechtsnorm erfaßt wirdY Die ratio legis ist nicht mit dem Rechtsgut identisch, sondern dieses ist ein der Strafnorm vorgelagertes Sozialgut; andernfalls könnte es seine systematische Aufgabe als Maßstab für Inhalt und Abgrenzung der Strafvorschrift und als Gegenstück zu den Rechtfertigungsgründen bei Wertungskollisionen nicht erfüllen.54 Begrenzt man nun nicht wie Jakobs das Rechtsgut der freien Willensbetätigung nur auf den Schutzbereich des § 240 StGB, so erkennt man, daß die Verwirklichung tatsächlicher Freiheit nicht notwendig die Freiheitssphäre eines anderen berühren muß. Es gibt vielmehr eine Vielzahl von Willensbetätigungen, die die anderen Mitglieder der Gesellschaft in keiner Weise tangieren.55 Die Beschränkung des Rechtsgutes auf den rechtlich garantierten Bereich als ein Charakteristikum des Schutzobjektes der Nötigung kann also nicht mit einer prinzipiellen Kollision von Freiheitsbereichen begründet werden. Denn die prinzipielle Kollision von Freiheitssphären bei der Nötigung beruht nicht auf einer Eigenart des geschützten Rechtsgutes, sondern ist durch die spezifische, tatbestandlich beschriebene Art der Verletzung dieses Rechtsgutes bedingt. Der Nachweis, daß sich die Beschränkung des Schutzobjektes auf den rechtlich garantierten Bereich aus der spezifischen Natur dieses Rechtsgutes ergibt, ist daher nicht überzeugend geführt. Vielmehr könnte man mit der gleichen Berechtigung jedes Rechtsgut auf seinen rechtlich garantierten Bereich beschränken. Denn wenn ein Rechtsgut rechtmäßig verletzt wird, so war es in dieser Hinsicht nicht rechtlich garantiert und ihm könnte daher aus diesem Grunde insoweit die Qualität eines "Rechts"gutes abgesprochen werden. Beispielsweise dürften dementsprechend auch der Hausfrieden des Schuldners gegenüber dem Gerichtsvollzieher, die Bewegungsfreiheit des Fahrgastes gegenüber dem Busfahrer zwischen zwei Haltestellen oder die körperliche Integrität des Patienten gegenüber dem operierenden Arzt nicht als "Rechts"güter angesehen werden. Die Frage nach der Tauglichkeit eines derartigen Rechtsgutsbegriffs für 53 Vgl. dazu Langer, Sonderverbrechen, S. 290 f.; Hellm. Mayer DStR 1938, S. 86; Maurach / Zipf, Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 282, 289 f. 54 Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 206. 55 Auch dieser Bereich der persönlichen Freiheit ist durch Art. 2 Abs. 1 GG verfassungs rechtlich gewährleistet, vgl. BVerfGE 6, S. 32, 41; 6, S. 389, 433.

I. Das Schutzobjekt der Nötigung

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die allgemeine Verbrechenslehre ist somit nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Die in der allgemeinen Straftatsystematik dem Rechtsgut zugewiesenen Funktionen kann ein Rechtsgutsbegriff, der das Rechtsgut auf den rechtlich garantierten Bereich beschränkt, nicht erfüllen. Es sind im wesentlichen drei Aufgaben, die sich dem Rechtsgut stellen: Zunächst kommt dem Rechtsgut eine zentrale Bedeutung bei der Erfassung des materiellen Unrechtsgehalts der einzelnen Verhaltensweisen zu.56 Begrenzt man das Rechtsgut auf den rechtlich garantierten Bereich, so geht, wie oben dargelegt,57 die Unterscheidung zwischen Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluß verloren, weil das Rechtsgut für die Unrechtsbegründung wertlos geworden ist. Wesentlich für die Unrechtsbegründung und damit für das Rechtswidrigkeitsurteil ist nicht mehr die Verletzupg eines Rechtsgutes, sondern die Frage, ob das betreffende Gut insoweit rechtlich garantiert ist. Für die rechtliche Garantie werden aber keine inhaltlichen Kriterien angegeben, sondern sie wird formal aus den einzelnen Gesetzesbestimmungen abgeleitet. Der materielle Unrechtsbegriff wird zugunsten eines rein formellen aufgegeben. Ferner ist ein solcher Rechtsgutsbegriff für die Auslegung und Abgrenzung der einzelnen Strafvorschriften ungeeignet58 und kann auch nicht als Forderung an den Gesetzgeber dienen, nur zum Schutze von Rechtsgütern als sozial besonders wertvollen Gütern Strafvorschriften zu erlassen.59 Diese Aufgaben können vielmehr nur von einem Rechtsgutsbegriff erfüllt werden, der dem Rechtsnormbereich vorgelagert ist. Die Auffassung, nur die Freiheit zu rechtlich garantiertem Verhalten könne das in § 240 StGB geschützte Rechtsgut sein, führt also zu einem für die allgemeine Verbrechenslehre untauglichen Rechtsgutsbegriff und ist daher abzulehnen. Die Besonderheit des Schutzobjektes der Nötigung liegt nun darin, daß es eine Vielzahl von rechtfertigenden Situationen für Willensbeeinträchtigungen gibt. Dieser Tatsache, daß der Wille des einzelnen im täglichen Leben häufig erlaubterweise beeinträchtigt wird, wird man aber bei der Auslegung und Anwendung des § 240 StGB nicht dadurch gerecht, daß man das Rechtsgut auf rechtlich garantierte Willensbeein56 Vgl. Langer, Sonderverbrechen, S. 286 f.; Rudolphi, Festschrift für Honig, S. 151; Schmidhäuser, Festschrift für Engisch, S. 442 ff. 57 Im zweiten Teil, I. 2. cl. 58 Vgl. zu dieser Funktion des Rechtsgutes Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 124 f., 207; Dtto, Rechtsgutsbegriff, S. 1; Rudolphi, Festschrift für Honig, S. 151. 59 Auch dies wird als Aufgabe des Rechtsgutes angesehen, vgl. z. B. Geppert ZStW 83, S. 966; Dtto, Allg. Strafrechtslehre, S. 63; Rudolphi, Festschrift für Honig, S. 166.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

trächtigungen beschränkt. Vielmehr kann der Häufigkeit erlaubter Willensbeeinträchtigungen bei der Frage nach der Strafbarkeit von Nötigungen richtigerweise nur an zwei Stellen Rechnung getragen werden: Zum einen könnte die Vielzahl erlaubter Willensbeeinträchtigungen Indiz dafür sein, daß die freie Willensbetätigung des einzelnen nicht mehr als ein besonders wertvolles Gut von der Gemeinschaft anerkannt wird. Dann dürften Willensbeeinträchtigungen wegen ihrer geringen Sozialschädlichkeit nicht mehr vom Gesetzgeber mit Strafe bedroht werden. Das Grundgesetz betont aber gerade den besonderen Wert der freien Entfaltung der Persönlichkeit, deren Schutz in der Verfassung die erste Stelle einnimmt, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Die persönliche Entfaltung wird also von der Rechtsgemeinschaft durchaus als besonders wertvolles Gut erachtet. Ist die Rechtsgutsqualität der freien Willensbetätigung aber anerkannt, so ist die Häufigkeit erlaubter Willensbeeinträchtigungen bei der gesetzlichen Beschreibung der als strafwürdig empfundenen Arten der Willensbeeinträchtigungen zu beachten. Diese sind hinreichend genau von den möglicherweise häufigeren rechtmäßigen Willensbeeinträchtigungen abzugrenzen. Die genaue Abgrenzung ist aber keine Frage der inhaltlichen Bestimmung des geschützten Rechtsgutes, sondern ein Problem der tatbestandlichen Erfassung der spezifischen, als strafwürdig empfundenen Form der Verletzung diese Rechtsgutes. Nicht das Schutzobjekt muß klarer abgegrenzt werden, sondern die Art und Weise des strafbaren Verletzungsverhaltens. Das Vorhaben von Jakobs, der Nötigungsvorschrift dadurch Konturen zu verleihen, daß er das Schutzobjekt auf die Freiheit zu rechtlich garantierten Willensbetätigungen beschränkt, führt nicht nur zu einem für einen materiellen Verbrechensbegriff untauglichen Rechtsgutsbegriff, sondern ist überdies für den mit ihm verfolgten Zweck einer genauen Abgrenzung von strafbaren und straflosen Willensbeeinträchtigungen ungeeignet. Ein derartiger Rechtsgutsbegriff ist daher abzulehnen. d) Zusammenfassung der Kritik Die Kritik an den herkömmlichen Auffassungen zum Schutzobjekt der Nötigung läßt sich wie folgt zusammenfassen: Das Merkmal "Freiheit", verstanden als Freiheit von Beeinträchtigung, trägt bei der Benennung des Schutzobjektes als Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung nichts zur Spezifizierung des Schutzobjektes bei. Das Fehlen der Eigenschaften "festumrissen" , "deutlich abgrenzbar" , "absolut" und "konstant" kann keine Besonderheit des Schutzobjektes

I. Das Schutzobjekt der Nötigung

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der Nötigung sein, da sich der Nachweis, daß diese Eigenschaften bei anderen Rechtsgütern vorhanden sind, nicht führen läßt. Die Begrenzung des Schutzobjektes auf die rechtlich garantierte Freiheit ist für die Abgrenzung von strafbaren und straflosen Willensbeeinträchtigungen ungeeignet und führt zu einem für die allgemeine Verbrechenssystematik untauglichen Rechtsgutsbegriff. 3. Das Schutzobjekt der Nötigung in eigener Sicht

a) Methode der Schutzobjektsbestimmung

Die zuvor festgestellten Unstimmigkeiten und Mängel bei der herkömmlichen Schutzobjektsbestimmung machen eine neue Bestimmung des Schutzobjektes der Nötigung erforderlich. Grundlage der Schutzobjektsbestimmung ist die Gesetzesvorschrift des § 240 StGB. Vom Gesetz wird das der Nötigung zugrundeliegende Rechtsgut aber nicht ausdrücklich benannt, sondern es kann nur mittelbar durch Auslegung der in § 240 StGB anschaulich geschilderten Verletzungshandlung gewonnen werden. Die in einem Straftatbestand geschilderte Verletzungshandlung wiederum kann erst mit Hilfe des geschützten Rechtsgutes hinreichend genau bestimmt werden. l Dieses Dilemma bedingt als Methode zur Schutzobjektsbestimmung . jenen Verständnisprozeß, der unter der Bezeichnung des "hermeneutischen Zirkels" bekannt ist: 2 Die Rechtsgutsbestimmung hat von einem vagen Verständnis der in § 240 StGB geschilderten Rechtsgutsverletzung auszugehen, wie sie sich beim ersten Hinsehen aus dem Gesetzestext ergibt; aus dieser nur ungefähr bestimmten Rechtsgutsverletzung ist das zugrundeliegende Rechtsgut abzuleiten, mit dessen Hilfe die tatbestandlich geschilderte Art der Rechtsgutsverletzung schließlich exakt zu bestimmen ist. Hilfsmittel der Schutzobjektsbestimmung sind die gebräuchlichen juristischen Auslegungsmethoden, also die grammatische, logische, systematische und die teleologische Gesetzesinterpretation.3 Diese Auslegungsmethoden sind aber von verschiedener Bedeutung. Maßgeblich ist die teleologische Auslegung,4 die sich insofern der Logik bedient, als durch teleologische Auslegung gewonnene Ergebnisse unhaltbar sind, 1 Zur Bedeutung des Rechtsgutes für die Auslegung der einzelnen Strafvorschrift vgl. z. B. Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, S. 59. 2 Ausführlicher zu dieser "Methode" Beiti, Allg. Auslegungslehre, S. 219 ff.; Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 250 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 183. 3 Vgl. z. B. Larenz, Methodenlehre, S. 307 ff. m. weit. Nachw. 4 Langer, Falsche Verdächtigung, S. 35; Maurach / Zipf, Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 124 ff. mit weiteren Nachweisen zur Bedeutung der einzelnen Auslegungskriterien; eingehend hierzu auch Schmidhäuser, Allgemeiner Teil, 5/32.

2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

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wenn sie nicht auf logisch fundierten Begründungen beruhen.5 Die grammatische Auslegung der einzelnen Wörter der Gesetzesvorschrift steht - im Rahmen der teleologischen Auslegung - am Anfang der Schutzobjektsbestimmung, da die zunächst nur vage und ungenau erfolgende erste Bestimmung der tatbestandlichen Rechtsgutsverletzung sich in erster Linie auf die isolierte Wortbedeutung der einzelnen Gesetzesmerkmale stützen wird. Aus der historischen Entwicklung der Strafvorschrift und ihrem systematischen Verhältnis zu anderen Delikten können sich Hinweise auf die Sachgerechtigkeit der teleologisch erfolgenden Schutzobjektsbestimmung ergeben.6 b) Teleologische Bestimmung des Schutzobjektes

Bei der Herausarbeitung der in § 240 StGB geschilderten Rechtsgutsverletzung sind wie bei jeder Auslegung einer Strafvorschrift vor allem zwei Gesichtspunkte zu beachten: Einmal sind solche Gutsverletzungen, die zwar häufig oder vielleicht sogar regelmäßig, aber eben nicht notwendig bei einem Delikt auftreten, für die Frage nach dem Schutzobjekt der Strafvorschrift irrelevant;7 zum anderen sind das Rechtsgut und der durch die tatbestandliche Verletzungsart begrenzte Schutzbereich der betreffenden Gesetzesvorschrift zu unterscheiden. Mit der Art und Weise der Verletzung kann das Schutzobjekt nicht gleichgesetzt werden.8 Eine erste Analyse des § 240 StGB zeigt, daß wegen Nötigung bestraft wird, wer einen anderen mit bestimmten Mitteln zu einem Verhalten nötigt. Die Merkmale "mit Gewalt" und "durch Drohung mit einem empfindlichen übel" können für die Schutzobjektsbestimmung zunächst außer Betracht bleiben, da sie lediglich die besondere Art und Weise der Verletzung kennzeichnen. Es bleibt festzuhalten, daß der einzelne durch die Vorschrift des § 240 StGB davor geschützt werden soll, zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt zu werden. Die Begriffe Handlung, Duldung und Unterlassung können vorläufig entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch unter dem Begriff des Verhaltens zusammengefaßt werden. Unter "nötigen" wird man im weitesten Sinne einen Eingriff in den Ablauf menschlichen Verhaltens von seiner Entstehung bis zu seiner Beendigung zu verstehen haben. Damit ergibt sich für den weiteren Weg der Schutzobjektsbestimmung, daß Vgl. Langer, Falsche Verdächtigung, S. 35. Die geringe Bedeutung dieser Kriterien betonen auch Maurach / Zipf, Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 124 f., die sie lediglich als letztrangige Hilfsmittel ansehen. 7 Z. B. Vermögensschäden als Folge von Körperverletzungen, vgl. dazu näher Langer, Falsche Verdächtigung, S. 35. 8 Vgl. auch Langer, Falsche Verdächtigung, S. 36. 5 6

I. Das Schutzobjekt der Nötigung

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danach zu fragen ist, ob jede Art menschlichen Verhaltens durch § 240 StGB geschützt ist und welche Eingriffe in Verhaltensweisen vertatbestandlicht sind. Dadurch müßte der Gegenstand erkennbar werden, dessen Schutz die Vorschrift des § 240 StGB gewährleisten soll. Da die überkommene Auffassung zum Rechtsgut der Nötigung den Schutz des Willens des einzelnen in den Vordergrund der Auslegung des § 240 StGB stellt, soll zunächst untersucht werden, ob mit den im Gesetz gebrauchten Begriffen "Handlung", "Duldung" und "Unterlassung" nur willkürliche, d. h. vom Willen beherrschbare, oder auch nicht von einem Willen getragene Verhaltensweisen9 erfaßt werden. Zumindest das Merkmal "Duldung" weist ja auf eine Form unwillkürlichen, d. h. nicht auf einem Entschluß beruhenden Verhaltens hin. lO Im strafrechtlichen Schrifttum wird aber auch die Ansicht vertreten, sowohl Handeln und Unterlassen als auch Dulden seien Unterarten willkürlichen Verhaltens.u Diese Auffassung wäre aber nur dann zutreffend, wenn eine Nötigung durch Gewaltanwendung in Form der vis absoluta, also durch Ausübung unwiderstehlichen Zwanges, nicht möglich wäre. 12 Denn ein Verhalten ist nicht vom Willen des Sich-Verhaltenden beherrschbar, wenn es von einem anderen mit unwiderstehlicher Gewalt herbeigeführt wird. Die Ansicht, Nötigung durch vis absoluta werde nicht vom Tatbestand des § 240 StGB erfaßt, wurde im älteren Schrifttum vertretenP Von den Anhängern dieser Lehre wurde zwar zugestanden, daß man sowohl mit als auch gegen seinen Willen dulden könne, sie waren aber der Meinung, aus der sprachlichen Fassung des § 240 StGB und einem Vergleich mit der Erpressung (§ 253 StGB) ergebe sich ein Gewaltbegriff, der auf alle drei im Gesetz genannten Verhaltensarten gleichermaßen anwendbar sein müsse, also nur die vis compulsiva, d. h. die den Willen lediglich bedrängende, aber nicht unabwendbar zwingende 9 Ein überblick über die verschiedenen Verhaltens begriffe auch im psychologischen Schrifttum findet sich bei Gössel, Wertungsprobleme, S. 36 ff. Auf Einzelheiten dieser Streitfragen kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, da der Begriff "Verhalten" lediglich der Einfachheit halber als vorläufiger Oberbegriff zu den gesetzlichen Merkmalen "Handlung", "Duldung" und "Unterlassung" verwendet wird. 10 Näher dazu und zu der Frage, wie die Merkmale "Handlung" und "Unterlassung" in der allgemeinen Verbrechenslehre und als Tatbestandsmerkmale des § 240 StGB in Rechtsprechung und Lehre verstanden werden, unten im zweiten Teil, II. 4. a). 11 Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 128; v. Olshausen (11. Auf!.), § 240 Anm. 1. 12 Maurach / Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 128 leugnen diese Konsequenz und beklagen die ihrer Ansicht nach unglückliche Gesetzesfassung, näher dazu im zweiten Teil, II. 4. a). 13 lohn ZStW 1, S. 244; Oppenhoff, § 240 Anm. 1 m. weit. Nachw.

2.

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Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Gewalt umfasse. 14 Diese Auslegung des Merkmales "Gewalt" widerspricht aber einer teleologischen Interpretation des § 240 StGB. Die Herbeiführung eines Verhaltens durch unwiderstehliche Gewalt stellt einen besonders strafwürdigen Angriff auf die Freiheit der Person dar. Es wäre daher unverständlich, wenn zwar die Nötigung mit den Mitteln der Drohung und der vis compulsiva strafbar wäre, nicht aber die Anwendung der vis absoluta von § 240 StGB erfaßt würde. 1S Ein derart der Strafwürdigkeit widersprechendes Verständnis der Nötigungsvorschrift ist auch nicht durch die grammatische oder systematische Auslegung des § 240 StGB geboten, wie dies John angenommen hat. Gewalt kann der Wortbedeutung nach auch als unwiderstehliche Zwangsausübung verstanden werden und zumindest die Duldung kann ein unwillkürliches, d. h. nicht vom Willen getragenes und damit durch vis absoluta bewirktes Verhalten bezeichnen. 16 Und schließlich läßt die Wortstellung des § 240 StGB nicht nur die Auslegung zu, das Merkmal Gewalt müsse sich immer auf alle drei Verhaltensweisen beziehen können, sondern erfordert nur, daß zumindest eine der im Gesetz genannten Verhaltensweisen durch Gewalt herbeigeführt werden kann. Selbst der Hinweis, in § 253 StGB könne Gewalt nur als vis compulsiva verstanden werden, führt - die Richtigkeit dieser Ansicht unterstellt - nicht zum Ausschluß der vis absoluta aus dem Kreis der Nötigungsmittel, da ein gesetzliches Merkmal nicht in allen Strafvorschriften gleichen Inhalts sein muß, sondern sich eine Modifizierung des jeweiligen Begriffes aus der spezifischen Eigenart der betreffenden Vorschrift ergeben kann. Es ist daher mit der im heutigen Schrifttum einhelligen Ansicht davon auszugehen, daß Gewalt im Sinne des § 240 StGB auch vis absoluta sein kannP Da folglich zumindest eine der im Gesetz angesprochenen Verhaltensweisen unwillkürliches, d. h. nicht vom Willen beherrschbares Verhalten sein muß, kann der Begriff Wille allenfalls als Bezugsmoment für die Schutzobjektsbestimmung verwendet werden. Darüber hinaus wäre es wegen der begrifflichen Ungeklärtheit dieses Merkmales aber von Vorteil, wenn man bei der Bezeichnung des Schutzobjektes der Nötigung ganz auf ihn verzichten könnte. Mit der Verwendung des Begriffes Wille zur Bezeichnung des Schutzobjektes der Nötigung wird auf die "natürliche Macht zur Selbstbeherrschung und Selbstbestimmung des Menschen über sein eigenes Sein und Tun" als eine "Fähigkeit des inneren geistigen Seins des Menschen" So John ZStW 1, S. 238 ff. Ebenso Knodel, Begriff der Gewalt, S. 29. 16 Das gibt John ZStW 1, S. 243 selbst zu. 17 Näher zum Stand der Lehrmeinungen beim Gewaltbegriff im zweiten Teil, Ir. 4. 14 IS

I. Das Schutzobjekt der Nötigung

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hingewiesen. 18 Diese "natürliche Fähigkeit" hat das Reichsgericht mit Recht als die das Wesen der menschlichen Persönlichkeit ausmachende Eigenschaft angesehen. 19 Damit ist die Frage aufgeworfen, ob man nicht in übereinstimmung mit dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG die Entfaltung der Persönlichkeit als das Schutzobjekt der Nötigung bezeichnen kann. Das Bundesverfassungsgericht und ein Teil des verfassungsrechtlichen Schrifttums sehen in dem Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit des Art. 2 Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet20 • Diese Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit entspricht dem Schutzbereich des § 240 StGB insoweit, als das abgenötigte Verhalten in § 240 Abs. 1 StGB auch nur allgemein mit den Merkmalen "Handlung", "Duldung" und "Unterlassung" beschrieben ist. Die durch die Beschränkung auf die Nötigungsmittel Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen übel gegebene Einschränkung des Schutzbereiches des § 240 StGB ist dagegen nicht durch den Umfang des Schutzobjektes, sondern durch die Auswahl der strafwürdigen Verletzungsformen bedingt. Trotz der übereinstimmung des Schutzgegenstandes des § 240 StGB mit der allgemeinen Handlungsfreiheit ist aber die Bezeichnung "Entfaltung der Persönlichkeit" für die Kennzeichnung des Schutzobjektes der Nötigung vorzuziehen, weil sie deutlich macht, "daß die Freiheit zum Handeln nicht um ihrer selbst willen geschützt wird, sondern mit dem Ziel, dem Menschen die Entfaltung dessen zu ermöglichen, was in ihm angelegt ist. Die Anknüpfung bei der Persönlichkeit des einzelnen Menschen gibt dem formalen und wertneutralen Begriff des Tun und Lassens einen materialen Gehalt."21 18 So RGSt 48, s. 346, 348. 19 RGSt 48, s. 346, 348.

20 Vgl. BVerfGE 6, S. 32, 36 f.; Düng, in Maunz I Düng I Herzog I Scholz, Art. 2 Rdn. 9; Stein, Staatsrecht, S. 210 ff. m. weit. Nachw. Dagegen beschränkt eine Mindermeinung im verfassungs rechtlichen Schrifttum das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG auf die in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Verfassung selbst begrenzte Gewährleistung der engeren persönlichen Lebenssphäre, vgl. Hesse, Grundzüge, S. 175 m. weit. Nachw. Diese Mindermeinung muß auch für die Bestimmung des Schutzobjektes der Nötigung abgelehnt werden, da damit das Rechtsgut wieder auf den rechtlich garantierten Bereich beschränkt würde. Aus diesem Grunde wird von der Bezugnahme auf Art.2 Abs. 1 GG auch die Schrankentrias nicht erfaßt. 21 Stein, Staatsrecht, S. 213. Genaugenommen ist die "Anlage" bzw. das "Vermögen", die Persönlichkeit durch WiIlensbildung und -betätigung zu entfalten, das Schutzobjekt der Nötigung. Jedoch erscheint diese Umschreibung für die Bezeichnung eines Rechtsgutes zu schwerfällig und wird daher im folgenden durch die verkürzende Wendung "Entfaltung der Persönlichkeit" ersetzt.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Die Bezeichnung des Schutzobjektes der Nötigung als freie "Entfaltung der Persönlichkeit" stimmt auch mit der historischen Entwicklung und der systematischen Stellung des Nötigungsdeliktes überein. Der Nötigungstatbestand in seiner heutigen Form entstand im Zeitalter der deutschen Aufklärung. 22 Zwar wird das crimen vis des römischen und des gemeinen Rechts häufig als Vorläufer des Nötigungstatbestandes heutiger Prägung angesehen,23 doch gilt dieses als ein Delikt gegen die öffentliche Sicherheit und den öffentlichen Frieden.24 Die Entstehung des modernen Nötigungstatbestandes in der Aufklärung ist vor dem Hintergrund der Entwicklung der philosophischen Lehren dieser Zeit zu sehen, die die Freiheit der Person und den Schutz der Persönlichkeit des einzelnen Menschen als eines der obersten Grundrechte ansehen.25 Aus der geschichtlichen Entwicklung des Nötigungstatbestandes lassen sich somit weitere Anhaltspunkte dafür finden, daß als Schutzobjekt der Nötigung die Entfaltung der Persönlichkeit des einzelnen anzusehen ist. Ebenso spricht die systematische Stellung der Nötigung innerhalb des 18. Abschnitts des StGB für diese Schutzobjektsbestimmung. Laut überschrift erfaßt dieses Kapitel des StGB Straftaten gegen die persönliche Freiheit. Formuliert man die Kapitelüberschrift in "Straftaten gegen die Freiheit der Person" um, so wird deutlich, daß sich die Nötigung, verstanden als ein Delikt zum Schutze der freien Entfaltung der Persönlichkeit, an hervorragender Stelle in die Freiheitsdelikte des 18. Abschnitts einordnen läßt. Auch die systematische Stellung des Nötigungsdeliktes stimmt demnach mit der hier erarbeiteten Bestimmung des Schutzobjektes überein. Wenn die Entfaltung der Persönlichkeit als das Schutzobjekt der Nötigung bezeichnet wird, so ist in der Sache damit der gleiche Sachverhalt gemeint wie mit der überkommenen Benennung "Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung" . Denn die Entschließungsfähigkeit ist das wesentliche Merkmal des Menschen als Persönlichkeit und ermöglicht es ihm, sich durch Betätigung seiner Entschlüsse zu entfalten. Angriffe auf die Entschließungs- und Betätigungsfreiheit beeinträchtigen daher auch die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Gegenüber der herkömmlichen Bezeichnung hat die hier vorgenommene Benennung aber den Vorteil, daß es sich um einen im Grundgesetz fixierten Begriff handelt und ferner die mit den Merkmalen 22 Vgl. Maurach I Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 122; Schaffstein, Festschrift für Lange, S. 996. 23 Nachweise bei Schaffstein, Festschrift für Lange, S. 983 ff. 24 So Busse, Nötigung im Straßenverkehr, S. 55; Rein, Kriminalrecht der Römer, S. 734 f.; Mittermaier, in: Feuerbach, Lehrbuch, S. 636 Note I; Schaffstein, Festschrift für Lange, S. 987 ff. 25 So auch Schaffstein, Festschrift für Lange, S. 997.

I. Das Schutzobjekt der Nötigung

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"Freiheit"26 und "Wille" verbundenen Schwierigkeiten vermieden werden können. c) Besondere Eigenschaften des Schutzobjektes

Die besondere Werthaftigkeit der freien Entfaltung der Persönlichkeit wird vom Grundgesetz auch dadurch betont, daß dieses Grundrecht nicht verwirkt werden (vgl. Art.18 GG) und selbst im Wege der Verfassungsänderung nicht aufgehoben werden kann (vgl. Art. 79 Abs.3 GG). Aufgrund des hervorragenden Wertes dieses Rechtsgutes wird im Zusammenhang mit der Auslegung der Freiheitsdelikte des 18. Abschnitts des StGB im Schrifttum die Ansicht vertreten, die Freiheit der Person sei nur in bestimmten Grenzen verzichtbar. Eine Einwilligung in die Verletzung der persönlichen Freiheit sei dann unbeachtlich, wenn sie einer Selbstaufgabe des Einwilligenden als individueller Persönlichkeit gleichkommen und die Menschenwürde des einzelnen schwer beeinträchtigen würde27 • Diese Einschränkungen der Wirksamkeit der Einwilligung beziehen sich, auch wenn dies nicht ausdrücklich festgestellt wird, in erster Linie auf die Freiheit der körperlichen Fortbewegung,28 müssen aber erst recht und in besonderem Maße für die Entschließungs- und Betätigungsfreiheit und damit für die freie Entfaltung der Persönlichkeit gelten. Für den Tatbestand der Nötigung sind diese Beschränkungen der Wirksamkeit der Einwilligung jedoch ohne Bedeutung, da mit dem Merkmal "nötigen" immer schon ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Betroffenen vorausgesetzt wird, so daß sich die Frage nach einer Einwilligung gar nicht erst stellt.29 d) Ergebnis der Schutzobjektsbestimmung

Die herkömmliche Auffassung vom Schutzobjekt der Nötigung als Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung ist abzulehnen, da diese Bezeichnung mit den Merkmalen "Freiheit" und "Wille" zur hinreichend genauen Konkretisierung des geschützten Gutes ungeeignet ist. 26 Wenn man sich darüber klar ist, daß aus dem Merkmal "Freiheit" keine besonderen Folgerungen für das Schutzobjekt der Nötigung hergeleitet werden können (vgl. dazu oben im zweiten Teil, I. 2. a), ist es unschädlich, das Rechtsgut der Nötigung als die "freie Entfaltung der Persönlichkeit des einzelnen" zu bezeichnen. 27 Vgl. Maurach / Zipf, Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 119 f.; Vogler, LK (10. Aufl.), vor § 234 Rdn. 12; Schmidhäuser, Allgemeiner Teil 8/131. 28 Vgl. Schmidhäuser, Allgemeiner Teil 8/13l. 29 Im Ergebnis allgemeine Meinung, vgl. Schmidhäuser, Allgemeiner Teil 8/127.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Als Ergebnis der Schutzobjektsbestimmung ist vielmehr festzuhalten: Das Schutzobjekt der Nötigung stimmt mit dem in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrecht überein. § 240 StGB schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit. 11. Die tatbestandliehe Rechtsgutsverletzung Mit der Bestimmung des in § 240 StGB geschützten Rechtsgutes ist erst einer der beiden den Unrechtsgehalt eines Deliktes prägenden Faktoren erfaßt worden. Mitbestimmend für den Unrechtsunwert ist neben dem geschützten Rechtsgut auch die Art seiner Verletzung. Die gesetzlichen Merkmale der Nötigungsvorschrift sind demzufolge daraufhin zu untersuchen, ob sie die durch § 240 StGB für strafbar erklärte Beeinträchtigung der freien Entfaltung der Persönlichkeit näher konkretisieren. Merkmale, die das Unrecht ausschließen oder die Schuld betreffen, bleiben bei der Bestimmung der Rechtsgutsverletzung außer Betracht. 1. Die Tathandlung: "Nötigen"

An der Fassung der Nötigungsvorschrift fällt auf, daß das einzige Tätigkeitswort im ersten Absatz des § 240 StGB mit der Bezeichnung des Deliktes übereinstimmt. Geht man davon aus, daß der Beschreibung der Tathandlung wesentliche Bedeutung für die Erfassung der spezifischen Verletzungsart zukommt und diese Beschreibung grammatisch in der Regel durch den Gebrauch eines Verbs geschieht, so scheint sich aus der Verwendung des Wortes "Nötigen" wenig für die Konkretisierung der Nötigungshandlung und damit des Nötigungsunrechts zu ergeben.! Denn die Aussage, daß eine Nötigung durch ein "Nötigen" begangen wird, trägt auf den ersten Blick nichts zur Antwort auf die Frage bei, worin spezifisches Nötigungsunrecht begründet liegt. Man könnte daher zu der Annahme verführt werden, das Wort "Nötigen" in § 240 StGB sei als eine rein deklaratorische Wiederholung der Deliktsbezeichnung aufzufassen, die allein aus sprachlichen Gründen in den Gesetzestext aufgenommen worden sei und keine Bedeutung für den Deliktsunwert habe. a) Behandlung des Merkmales "Nötigen" in Rechtsprechung und Lehre

Der Auffassung, daß das Merkmal "Nötigen" als Tatbestandsmerkmal keine eigenständige Bedeutung hat, scheint der größte Teil der gegen1 Hauser, Kriminalistik 1960, S. 175 und v. HeintscheZ-Heinegg, Gewalt als Nötigungsmittel, S. 20 Fn. 3 halten daher die Gesetzesformulierung auch für unglücklich, weil der zu umschreibende Vorgang selbst in die Tatbestandsbeschreibung aufgenommen sei.

11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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wärtigen Strafrechtsliteratur zuzuneigen. Denn in fast allen neueren Lehrbüchern und Kommentaren zum Besonderen Teil des StGB fehlen Angaben zum Merkmal "Nötigen".2 Auch bei der Kommentierung anderer Gesetzesvorschriften, in denen das Merkmal "Nötigen" vorkommt, wird es nicht erläutert.3 Als Tathandlung des § 240 StGB wird vielmehr die Anwendung von Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen übel angesehen.4 Nur wenige Autoren bezeichnen dagegen das "Nötigen" ausdrücklich als Tathandlung des § 240 StGB. Sehr allgemein versteht Blei darunter jede Einflußnahme auf den Willen eines anderen, und zwar auf die Freiheit der Willensbildung oder der Willensbetätigung.s Nach Ansicht von Lackner" setzt "Nötigen" voraus, daß der andere zu einem von ihm nicht gewollten Verhalten gezwungen wird. In der Verursachung von Zwang wird auch von der überwiegenden Ansicht im älteren Schrifttum das Wesen des "Nötigens" gesehen.7 Für SchäferS bedeutet "Nötigen" in eine Notlage versetzen. Eine ähnliche Auffassung wurde schon früher von Niethammer vertreten. Seiner Ansicht nach verursacht der Nötigende eine wirkliche Notlage, die die freie Wahl nimmt und das Opfer dazu drängt, etwas zu tun, zu dulden oder zu unterlassen, was es nicht getan, geduldet oder unterlassen hätte, wenn ihm die freie Wahl geblieben wäre.9 In der Rechtsprechung sind ausdrückliche Äußerungen zum Merkmal "Nötigen" noch seltener als im Schrifttum. Das Bayerische Oberste Landesgericht lO verlangt für den Begriff des Nötigens, daß es dem Täter gerade auf die erzwungene Handlung oder Unterlassung ankommt. 2 Vgl. die Behandlung der Nötigung bei Arzt I Weber, Besonderer Teil, LH 1, S. 203 ff. Rdn. 555; Bockelmann, Besonderer Teil I 2, S. 102 ff.; Dreher I Tröndle, § 240 Rdn. 1 ff.; Maumch I Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 122 ff.; Qtto, Die einzelnen Delikte, S. 90 ff.; Schönke I Schröder lEser, § 240 Rdn. 1 ff.; Wessels, Besonderer Teil, Bd. 1, S. 57 ff. Horn, Systematischer Kommentar, § 240 Rdn. 4 ff. erläutert Nötigungserfolg und Nötigungshandlung zusammen, wobei im Einzelfall nicht deutlich wird, auf welches gesetzliche Merkmal sich die jeweiligen Ausführungen beziehen. Auf das Merkmal "Nötigen" geht er nicht ein. 3 Vgl. nur die Kommentierung im Schönke I Schröder von Lenckner zu den §§ 177 und 178, von Eser zu § 239 b Rdn. 3 und von emmer zu § 343 Rdn. 19 ff. 4 So ausdrücklich nur Welzel, Lehrbuch, S. 325. Diese Auffassung vertreten aber wohl auch die in Fn. 2 Genannten. 5 Besonderer Teil, S. 65. 6

§ 240 Anm. 2.

Vgl. Binding, Besonderer Teil Bd. 1, S. 91; Frank, § 240 Anm. 1; Gerlanci, Reichsstrafrecht, S. 514; Rob. v. Hippel, S. 205; Qppenhoff, § 240 Anm. 1; Ahlwardt, Mittel der Nötigung, S. 20. B Im LK (9. Aufl.), § 240 Rdn. 51. 9 Besonderer Teil, S. 223; vgl. auch schon v. Qlshausen, § 240 Anm. 1. 7

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Im übrigen dürften auch die höchstrichterlichen Ausführungen zum Nötigungstatbestand so zu verstehen sein, daß als Tathandlung des § 240 StGB ebenso wie von der im Schrifttum vorherrschenden Meinung die Gewaltanwendung oder die Drohung angesehen und dazu die Verursachung von Zwang verlangt wird,u

b) Eigene Auffassung zum Merkmal "Nötigen" Bei einer kritischen Auseinandersetzung mit der oben aufgezeigten Behandlung des Merkmales "Nötigen" in Literatur und Rechtsprechung ist zunächst zu überprüfen, ob die von der h. M. zum Ausdruck gebrachte Bedeutungslosigkeit dieses Merkmales sachgerecht ist. Erst wenn sich herausstellt, daß "Nötigen" keine rein deklaratorische Wiederholung der Deliktsbezeichnung ohne eigenständigen Gehalt ist, erhält eine inhaltliche Bestimmung dieses Merkmales bei Würdigung der wenigen Stimmen in Judikatur und Lehre Sinn. aal Erforderlichkeit des Merkmales "Nötigen" zur Beschreibung des Deliktsunwertes Als Argument für den sich wegen der stillschweigenden Vernachlässigung des Merkmales "Nötigen" durch die h. M. aufdrängenden Schluß, dieses Merkmal sei für die Konkretisierung des Deliktsunwertes der Nötigung bedeutungslos, könnte die Tatsache angeführt werden, daß das Gesetz bei Vorliegen aller Merkmale des § 240 StGB von einer Nötigung spricht. Wenn nämlich das Verhältnis der Deliktsbezeichnung "Nötigung" zu den einzelnen Merkmalen des § 240 StGB so zu verstehen ist, daß der Inhalt des Begriffes "Nötigung" durch die nachfolgenden Merkmale des § 240 StGB bestimmt wird, dann ist das Tatbestandsmerkmal "Nötigen" zur Definition dieses Begriffes ungeeignet, weil zur Bestimmung eines Begriffes nicht der Begriff selbst verwendet werden kann. Daraus könnte der Schluß gezogen werden, der Begriff "Nötigung" werde allein durch die anderen Merkmale des § 240 StGB bestimmt, das Tatbestandsmerkmal "Nötigen" sei für die Erfassung des Deliktsunwertes daher nicht erforderlich, sondern beruhe allein auf sprachlichen Erwägungen des Gesetzgebers. Dem ließe sich hinzufügen, daß es im StGB auch sonst Merkmale gibt, die für die Auslegung des betreffenden Deliktes entbehrlich sind, z. B. die Wendung "ohne Mörder zu sein" in § 212 Abs. 1 StGB. Schließlich könnte auch darauf verwiesen werden, daß bei einem Verzicht auf 10

NJW 1963, S. 1261, 1262.

Vgl. z. B. BGHSt 5, s. 245, 246: "Es ist nicht erforderlich, daß die Gewalt mit dem ausdrücklichen Willen angewendet werden müsse, ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen." 11

11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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das Merkmal "Nötigen" bei der Erfassung des Nötigungsunrechts es nicht an der Beschreibung einer Tathandlung fehlen müßte, da auch mit den Merkmalen "Gewalt" und "Drohung" in § 240 Abs. 1 StGB sowie "Anwendung von Gewalt" und "Androhung" in Abs. 2 Tätigkeiten umschrieben werden. Zunächst muß klargestellt werden, daß das Verhältnis der Deliktsbezeichnungen des StGB zu den einzelnen Deliktsmerkmalen nicht so verstanden werden darf, daß die Deliktsbezeichnung in der überschrift der betreffenden Vorschrift immer einen zusammenfassenden Oberbegriff über die einzelnen Tatbestandsmerkmale darstellt. Vielmehr werden häufig nur einzelne markante Merkmale des Deliktes ausgewählt, die das Wesen der betreffenden Straftat kennzeichnen und daher als Kurzformel zur Bezeichnung des gesamten Deliktes verwandt werden können. Als Beispiel seien § 217 StGB, wo die strafbare Tötung eines nichtehelichen Kindes in oder gleich nach der Geburt allein durch die beiden Merkmale "Kind" und "töten" verkürzt als Kindestötung bezeichnet wird, sowie § 182 StGB genannt, wo allein die Tathandlung des "Verführens" zur Bezeichnung des Deliktes verwendet wird, obwohl nur die Verführung eines Mädchens unter sechzehn Jahren strafbar ist. Aus der Tatsache, daß das Merkmal "Nötigen" in § 240 StGB mit der überschrift des Tatbestandes übereinstimmt, kann daher nicht geschlossen werden, daß dieses Merkmal eine nur deklaratorische Wiederholung der Deliktsbezeichnung sei und nichts zur Typisierung des Nötigungsunrechts beitrage. Die Nichtberücksichtigung des Merkmales "Nötigen" durch die h. M. muß ferner dazu führen, daß nunmehr als Tathandlung des § 240 StGB die Anwendung von Gewalt oder die Androhung eines übels behandelt werden. Diese Auslegung entspricht zwar dem Wortlaut des § 240 Abs. 2 StGB, wo bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Tat nicht auf das "Nötigen" mit Gewalt oder durch Drohung, sondern allein auf die Anwendung von Gewalt oder die Androhung des übels abgestellt wird. Der zweite Absatz der Nötigungsvorschrift ist aber im Zusammenhang mit dem ersten Absatz zu lesen, in dem die Formulierung "mit Gewalt oder durch Drohung nötigt" die Gewaltanwendung und die übelsandrohung eindeutig als Mittel der Nötigungshandlung erkennen läßt. In der Verschiebung der Tathandlung des § 240 StGB auf die zunächst als Tatmittel zu verstehenden Merkmale "Gewalt" und "Drohung" dürfte eine Ursache für die häufig beklagte "Auflösung des Gewaltbegriffes"12 zu sehen sein. Denn da Schutzobjekt des § 240 StGB das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist, muß es sich bei der Tathandlung des Nötigungstatbestandes um ein Verhalten handeln, das sich unmittelbar gegen die Entschließungs- und Betätigungsfreiheit des einzelnen Men12 Vgl. z. B. Schäfer, LK (9. Aufl.), § 240 Rdn. 7 ff.; Blei JA 1969, S. 663. 4 Bergmann

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

schen richtet. Gewalt im ursprünglichen Sinne jedoch ist lediglich die zur überwindung eines Widerstandes aufgewandte körperliche KraftentfaltungP Sie ist ihrem Begriff nach als Angriffsmittel nicht auf die Verwendung gegen Menschen beschränkt, sondern Gewalt kann auch gegen Sachen angewandt werden, um einen Widerstand zu brechen, z. B. durch gewaltsames Öffnen einer verschlossenen Tür. 14 Ein derartiger Gewaltbegriff, der sich nicht auf ein Angriffsmittel gegen Menschen beschränkt, kann in § 240 StGB aber nur zur Beschreibung des Angriffsmittels tauglich sein. Wenn die h. M. hingegen in der Gewaltanwendung nicht ein bloßes Tatmittel, sondern eine Tathandlung der Nötigung sieht, muß sie diesen ursprünglichen Gewaltbegriff so ändern, daß er die ihm nun zugedachte Funktion als Beschreibung der Tathandlung erfüllen kann. Nach heute überwiegender Ansicht ist daher Gewalt jede Herbeiführung einer Zwangslage durch ein gegenwärtiges übel, vgl. beispielsweise die Definition von Maurach / Schroeder: "Gewalt ist jeder Einsatz von Mitteln, der darauf gerichtet und geeignet ist, die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit des Opfers auszuschließen."15 Hier wird deutlich, wie weit sich diese Definition vom ursprünglichen Gewaltbegriff entfernt hat, um alle Angriffe gegen das Schutzobjekt der Nötigung erfassen zu können. Damit hat das Merkmal "Gewalt" seine Funktion als Beschreibung des Tatmittels verloren. Denn durch das Erfordernis eines bestimmten Tatmittels wird der Kreis der strafwürdigen Verhaltensweisen eingeengt: Nicht jedes Nötigen ist strafbar, sondern nur das Nötigen mit Gewalt oder durch Drohung. Wird nun die Gewalt nicht als Tatmittel, sondern als Tathandlung verstanden, so wird der Gewaltbegriff mit dem Inhalt versehen, der eigentlich dem Merkmal "Nötigen" zukommt. Der Gewaltbegriff wird zwangsläufig ausgeweitet und erweitert im gleichen Maße, da kein Korrektiv mehr zur Verfügung steht, den Bereich des strafbaren Verhaltens. Eine Berücksichtigung des Merkmales "Nötigen" bei der Erfassung des Nötigungsunrechts könnte dagegen dem Begriff der Gewalt wieder Konturen verleihen. Für die Annahme, daß "Gewalt" und "Drohung" nur Tatmittel sind, während die Tathandlung in erster Linie durch das Merkmal "Nötigen" beschrieben wird, spricht auch der Umstand, daß das Merkmal "Nötigen" außer in § 240 StGB noch in den §§ 105, 106, 108, 121, 177, 178, 139 bund 343 StGB vorkommt. Während in den §§ 105, 106, 177 und 13

Vgl. z. B. RGSt 56,

s. 87,88;

64, S. 113, 115.

14 So ist z. B. in § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB in der Alternative des Ein-

brechens ein Fall der Gewaltanwendung erfaßt, der sich nicht unmittelbar gegen die Entschließungsfreiheit richtet; zur Auslegung dieses Merkmals vgl. Schänke / Schröder / Eser, § 243 Rdn. 10. IS Besonderer Teil, Teilband 1, S. 126; ausführlicher zum Gewaltbegriff unten im zweiten Teil, 11. 2.

11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

51

178 8tGB als Nötigungsmittel sowohl die Gewalt als auch die Drohung in Betracht kommen, wird von § 239 b 8tGB nur die Nötigung durch Drohung erfaßt. Der Tatbestand des § 121 8tGB hingegen ist auf kein bestimmtes Nötigungsmittel beschränkt. In § 343 8tGB sind neben der Gewaltanwendung und der Androhung von Gewalt auch die körperliche Mißhandlung als Unterfall der Gewaltanwendung und die Zufügung seelischer Qualen als Nötigungsmittel aufgeführt. § 108 8tGB schließlich zählt neben der Gewalt und der Drohung mit einem empfindlichen Übel auch den Mißbrauch eines beruflichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses sowie sonstigen wirtschaftlichen Druck als tatbestandliche Mittel der Nötigung auf. Daraus ist zu folgern, daß "Nötigen" nicht nur durch Anwendung von Gewalt oder durch Drohung geschehen kann, sondern Gewalt und Drohung nur zwei von mehreren Nötigungsmitteln sind. Es ist daher auch aus diesem Grunde sachwidrig, die Tathandlung des § 240 8tGB mit der Anwendung der Tatmittel "Gewalt" und "Drohung" gleichzusetzen. Tathandlung ist vielmehr das Nötigen. Zwar ist nur das Nötigen mit Gewalt oder durch Drohung gemäß § 240 8tGB strafbar, jedoch müssen bei der Bestimmung des Deliktsunwertes die Merkmale "Gewalt", "Drohung" und "Nötigen" in ihrer jeweiligen Funktion als Kennzeichnung der Tatmittel bzw. der Tathandlung streng auseinander gehalten werden.

bb) Objektive Elemente des "Nötigens" Im 8chrifttum wird, soweit auf das Merkmal "Nötigen" überhaupt eingegangen wird, darunter entweder das Versetzen in eine Notlage verstanden,16 verbunden mit dem erläuternden Hinweis, daß es sich um eine Notlage für die freie Wahl handeln müsse,11 oder Nötigen wird als Erzwingen, Anwendung von Zwang oder Verursachung einer Zwangslage definiert. 18 Die sprachliche Verwandtschaft des Wortes "Nötigen" mit dem Wort "Not" spricht zunächst für die Auslegung des Begriffes "Nötigen" als Verursachen einer Notlage. 19 Unter teleologischen Gesichtspunkten ist bei der Auslegung aber auch das Rechtsgut des § 240 8tGB zu beachten. Daraus ergibt sich, daß es sich bei der herbeigeführten Notlage um eine Notlage für die freie Entfaltung der Persönlichkeit des einzelnen handeln muß. Für die Bezeichnung einer Notlage für die Entschließungsund Betätigungsfreiheit kann der Ausdruck "Zwangslage" verwendet werden. Nötigen könnte demzufolge als Herbeiführen einer Zwangs16 Schäfer, LK (9. Aufl.), § 240 Rdn. 51. 17 Niethammer, Besonderer Teil, S. 223; v. Olshausen, § 240 Anm. 1. 18 Lackner, § 240 Anm. 2 sowie die unter 11. 1. a) Fn. 7 Genannten. 19 Zur Wortauslegung vgl. auch Hill, Nötigung, S. 2 ff. 4*

2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

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lage für einen anderen Menschen definiert werden. Es fragt sich aber, ob ein derartiges Verständnis des Merkmales "Nötigen" mit der Auslegung der anderen Merkmale des Nötigungstatbestandes, insbesondere mit dem Begriff der Gewalt in Form der vis absoluta vereinbar ist. Nach Ansicht von Ernst Wolf sind Gewalt, die er dem Begriff nach schon auf die vis absoluta beschränkt, und Zwang miteinander unvereinbare Begriffe.20 Zwang definiert er als die Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit eines Menschen durch einen anderen, indem dem anderen ein Entschluß aufgedrängt oder für ihn eine Entschließungsmöglichkeit beseitigt, gemindert oder verhindert werde. Beim Zwang werde die Entschließungsmöglichkeit des Menschen, gegen den Zwang geübt werde, nicht gänzlich ausgeschaltet, bei der Anwendung von Gewalt dagegen jede Entschließungsmöglichkeit aufgehoben. Die Definition des Merkmales "Nötigen" als Verursachung einer Zwangslage hätte bei Zugrundelegung dieser Auffassung zur Folge, daß eine Nötigung mit Gewalt in Form der vis absoluta begrifflich nicht möglich wäre.21 Die Straflosigkeit der schwereren Form der vis absoluta im Vergleich zur vis compulsiva und zur Drohung wäre aber unter Strafwürdigkeitsgesichtspunkten nicht verständlich. 22 Ernst Wolf begründet seine Auffassung, daß Zwang nur dann vorliegen könne, wenn eine oder mehrere Entschließungsmöglichkeiten beseitigt oder verhindert, nicht aber, wenn alle Entschließungsmöglichkeiten aufgehoben würden, allein mit dem Hinweis auf die Verschiedenheit der Begriffe "Gewalt" und "Zwang". Daß diese Begriffe sich gegenseitig ausschließen und folglich Gewalt kein Zwangsmittel sein kann, weist er aber nicht näher nach. Aus der sprachlichen Bedeutung des Wortes Zwang ergibt sich eine derartige Auslegung jedenfalls nicht von vornherein. Nach dem Wörterbuch von Grimm2J ist Grundbedeutung des Wortes "Zwang" "mit der Faust zusammenpressen". Dort wird auch darauf hingewiesen, daß Zwang früher sogar gleichbedeutend mit Gewalt verstanden wurde und eine Gewalt bezeichnete, gegen die man sich nicht wehren kann, die übermächtig ist. Als jetzige Bedeutung des Begriffes "Zwang" wird die unwillig ertragene Vergewaltigung des Willens, der sittlichen und geistigen Unabhängigkeit angegeben. Die Auslegung des Begriffes Zwangslage als jede die EntAllgemeiner Teil, S. 386. Ernst Wolf hält eine Nötigung mit Gewalt auch deshalb für begrifflich unmöglich, weil der Begriff "Gewalt" mit den Begriffen "Handlung" und "Unterlassung" unvereinbar sei; mit Gewalt könne nicht zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt werden, Allgemeiner Teil, S. 386 Fn. 145. 22 Vgl. in diesem Sinne schon oben im zweiten Teil, I. 3. b). 2J Deutsches Wörterbuch, XVI. Band, S. 932 ff. 20 21

11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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schließungsfreiheit des einzelnen Menschen einschränkende Lage24 steht somit der Wortbedeutung der Begriffe "Gewalt" und "Zwang" nicht entgegen. Der Einwand, daß der Begriff "Zwang" zu eng ausgelegt wird, kann auch gegen die Auffassung erhoben werden, die sich aus den Ausführungen in der Großen Strafrechtskommission zu den Begriffen "Nötigen" und "Zwang" bei den Vorschlägen zu einer Neufassung der Nötigungsvorschrift ergibt. Die Große Strafrechtskommission unterschied bei ihrem Vorschlag zur Neufassung des § 240 StGB zwischen dem "Nötigen zu einem Handeln oder Unterlassen" und dem "Zwingen zu einem Erdulden".25 Da die Fassungsvorschläge und Leitsätze der Unterkommissionen nicht veröffentlicht sind und in den Sitzungen der Großen Strafrechtskommission über diese Stelle der Nötigungsvorschrift nicht mehr diskutiert wurde, kann der Grund für die Unterscheidung zwischen Nötigen und Zwingen nur mittelbar der Begründung des Entwurfs 1962 entnommen werden, der auf diese Unterscheidung verzichtete und nur noch das Merkmal "Nötigen" verwendete.26 Dazu heißt es in der Begründung der Bundestagsvorlage zu § 170 E 1962, S. 310: "Der Sprachgebrauch ist, soweit es sich um das Erzwingen eines Verhaltens durch überwältigende Gewalt handelt, nicht genau, da in solchen Fällen die Willens bildung des Überwältigten völlig ausgeschaltet, also kein Willenszwang geübt wird. Der Entwurf beläßt es dabei, daß auch diese Fälle in den Begriff des Nötigens einbezogen werden; eine besondere Erwähnung des Zwanges zum Erdulden, wie sie zunächst in Aussicht genommen war, würde die Fassung des Gesetzes zu schwerfällig machen." Diese Ausführungen können nur so verstanden werden, daß als Zwang im eigentlichen Sinne nur der kompulsiv wirkende Willenszwang angesehen wurde. Man war der Meinung, mit dem Begriff des Nötigens würde dem Sprachgebrauch nach der Ausschluß jeglicher Willensbildung nicht erfaßt, da es sich in diesem Falle nicht um Willens24 Vgl. auch Schäfer, LK (9. Aufl.), § 302 f. (a. F.) Rdn.6 zur Auslegung des Merkmales "Zwangslage" in dieser Vorschrift: Zwangslage als eine die Willensfreiheit einschränkende Lage. 25 Im Fassungsvorschlag lautete der hier interessierende Teil des Nötigungstatbestandes: "Wer einen anderen mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einem Handeln oder Unterlassen nötigt oder zu einem Erdulden zwingt, ... "; vgl. Niederschriften, Bd. 7, S. 329. 26 § 170 des Entwurfes 1962 lautete: ,,(1) Wer einen anderen mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung (§ 11 Abs. 1 Nr. 7) zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen nötigt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren, mit Strafhaft oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Tat ist nur dann rechtswidrig, wenn die Anwendung des Mittels zu dem angestrebten Zweck verwerflich ist. (3) Der Versuch ist strafbar." Vgl. dazu Materialien, Bd. 15, S. 82.

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2. Teil: Der Unrechts tatbestand der Nötigung

zwang handele. Daneben wurde aber noch ein weiterer Begriff des Zwanges gebraucht, denn sonst hätte es begrifflich auch kein "Zwingen" zu einem Erdulden durch unwiderstehliche Gewalt geben können. Es wurde demnach zwischen Willenszwang und sonstigem Zwang unterschieden, wobei in den Begriff des Nötigens nur der Willenszwang einbezogen werden sollte. Diese Unterscheidung durch die Große Strafrechtskommission zwischen Willenszwang (= Nötigen) und sonstigem Zwang kann aber nicht überzeugen und liegt, wie oben dargelegt, auch nicht im Sprachgebrauch begründet. Vielmehr ist unter Zwang jede Einschränkung der freien Selbstbestimmung des einzelnen zu verstehen; vom Begriff des Zwanges wird auch die Anwendung unwiderstehlicher Gewalt erfaßt.27 Als vorläufiges Ergebnis ist somit festzuhalten: Nötigen ist das Verursachen einer Zwangslage für einen anderen Menschen. Eine Zwangslage ist eine die Entschließungs- oder Betätigungsfreiheit des einzelnen einschränkende Lage. Eine solche Beschränkung liegt vor, wenn ein Entschluß aufgedrängt wird oder die Möglichkeit genommen wird, durch Fassen und Ausführen eines Entschlusses einen bestimmten Erfolg herbeizuführen.28 Wann im einzelnen ein Entschluß "aufgedrängt" ist, braucht für die Bestimmung des Nötigungsunrechts nicht generell entschieden zu werden, da sich aus dem Gesetz eine Beschränkung auf die Angriffsmittel Gewalt und Drohung ergibt und bei Anwendung dieser Mittel immer eine Einschränkung der freien Entfaltung der Persönlichkeit vorliegt. ce) Subjektive Intensität der Nötigungshandlung Nach Ansicht des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist für den Begriff des Nötigens erforderlich, daß es dem Täter gerade auf das erzwungene Verhalten ankommt. 29 Die in der Literatur als herrschend bezeichnete Ansicht läßt dagegen im Gegensatz zur Meinung des Bayerischen Obersten Landesgerichts im subjektiven Bereich im Anschluß an BGHSt 5, S. 245, 246 bedingten Vorsatz ausreichen.30 Damit ist die 27 Auch der AE (Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 1. Halbband), dessen § 116 wie folgt lautet: "Wer einen anderen durch Gewalt oder empfindliche Drohung in eine ernste Zwangslage versetzt und dadurch zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung von einigem Gewicht nötigt, ... " (a. a. 0., S. 62), stellt in seiner Begründung ausdrücklich klar, daß die Fälle der vis absoluta unter den Begriff der Zwangslage subsumiert werden können, a. a. 0., S. 65. 28 An einer solchen Zwangslage fehlt es z. B., wenn der Bedrohte die vom Täter ausgesprochene Drohung nicht also solche versteht, weil er der Landessprache des Drohenden nicht mächtig ist. 29 NJW 1963, S. 1261, 1262. 30 Vgl. Lackner, § 240 Anm.5; Maurach, Besonderer Teil (5. Aufl. 1969), S. 119; Schäfer, LK (9. Aufl.), § 240 Rdn. 95; Dreher / Tröndle, § 240 Rdn. 12 sowie fast einhellig das ältere Schrifttum, vgl. nur die entschiedene Zurück-

II. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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Frage nach der subjektiven Intensität der Nötigungshandlung angesprochen, d. h. die Frage, ob schon die unbeabsichtigt-unbewußte, nur die bewußte oder die als sicher vorhergesehene oder sogar nur die beabsichtigte Tatobjektsgefährdung bei der Nötigung strafbar ist. Aus dem Gesetz ergibt sich unmittelbar nur, daß eine unbeabsichtigt-unbewußte Tatobjektsgefährdung nicht ausreicht, § 15 i. V. m. § 240 StGB. Der Bundesgerichtshof hat darüber hinausgehend festgestellt, "daß der bedingte Vorsatz überall da ausreicht, wo nicht durch die Fassung des Gesetzeswortlauts der bestimmte Vorsatz oder gar absichtliches Handeln vorausgesetzt werde. Eine solche Annahme ist nach der Fassung des § 240 StGB nicht gegeben. Sie wird auch nicht durch den Zweck des Gesetzes gefordert. Es ist deshalb im Schrifttum allgemein anerkannt, daß der bedingte Vorsatz zur Nötigung ausreicht."3! Bedingter Vorsatz soll genügen sowohl hinsichtlich der Nötigungsmittel Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen übel als auch bezüglich des Nötigungserfolges und es soll sogar ausreichen, wenn der Täter den psychischen Zwang auf den anderen nur für möglich hält, ihn aber billigend in Kauf nimmt.32 Eine in der Literatur stark vertretene Meinung stimmt dem Bundesgerichtshof hinsichtlich des Erfordernisses des lediglich bedingten Vorsatzes zwar grundsätzlich zu, verlangt jedoch bezüglich des abgenötigten Verhaltens zielgerichtete Absicht.33 Aus den Merkmalen "nötigen zu" in § 240 Abs. 1 und "angestrebter Zweck" in § 240 Abs.2 StGB ergebe sich, daß der Täter das konkrete Opferverhalten bezweckt haben müsse. 34 Das bedeute, daß weder die sichere Voraussicht ohne Bezwecken noch das Inkaufnehmen einer entsprechenden Opferreaktion ausreiche.3s Eine Mindermeinung entnimmt dem Gewaltbegriff das Erfordernis ziel ge richteten HandeIns. So liegt nach Ansicht von Busse Gewalt nur dann vor, "wenn ein Verhalten darauf gerichtet ist, eine nötigungserhebliche Zwangswirkung auszulösen. Insofern ist das Vorliegen der weisung des Vorentwurfes 1909, der § 240 StGB ausdrücklich zum Absichtsdelikt erheben wollte, durch Binding GS 77, S. 51. 3! BGHSt 5, S. 245, 246; Hervorhebung im Original. 32 Vgl. Dreher I Tröndle, § 240 Rdn. 12; Schäfer, LK (9. Aufl.), § 240 Rdn.95. 33 Schönke I Schröder lEser, § 240 Rdn.27; Bockelmann, Besonderer Teil / 2, S. 113; Eser, Strafrecht III, Nr. 12 A 69, S. 153. Nach Ansicht von Niese, Streik und Strafrecht, S. 23 muß das Nötigungsmittel wegen des finalen Gehalts des Nötigens dazu bestimmt sein, den Willen des Genötigten zu beugen. WesseIs, Besonderer Teil, Bd. 1, S. 63 verlangt nur bei Gewalt gegen Sachen zielgerichtetes absichtliches Handeln. Schmidhäuser, Besonderer Teil 4/14, 4/17 sieht die Nötigung als Ziel delikt an. 34 Maurach I Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 132; Welzel, Lehrbuch, S. 326. 3S Horn, Systematischer Kommentar, § 240 Rdn. 7.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Gewalt von einer in dieser Weise finalen, zweckgerichteten Tendenz, also einem subjektiven Element abhängig."36 Busse wendet sich allerdings gegen den Gebrauch des Begriffes "Absicht" in diesem Zusammenhang, weil er ihn für nicht hinreichend geklärt hält. Nach Ansicht von Knodel ist für die Annahme von Gewalt nicht ausreichend, daß der Täter den Eintritt der Zwangslage als notwendige Nebenfolge seines Vorgehens vorhersieht, sondern er muß diesen Erfolg anstreben37 • Es wird allerdings bei Knodel nicht deutlich, ob sich das absichtliche Handeln nur auf das überwinden eines Widerstandes richten oder ob auch das konkrete Opferverhalten (Handlung, Duldung oder Unterlassung) beabsichtigt sein muß.38 Bevor eine eigene Stellungnahme zu der Frage erfolgt, welche subjektive Intensität der Verletzungshandlung für das Vorliegen von Nötigungsunrecht erforderlich ist, sind einige in diesem Zusammenhang unentbehrliche Begriffe vorab zu klären. Im weiteren werden die Begriffe "Zweck", "Absicht", "Motiv" und "Vorsatz" mit folgendem Inhalt gebraucht: Ein Zweck ist das mit einem Entschluß gewählte Handlungsziel. Der Zweck ist somit notwendig subjektiv. Absicht39 ist die Beziehung von Zweck und einer als Mittel zur Erreichung dieses Zieles gewählten Tätigkeit.4o Diese Beziehung liegt vor, wenn es dem Handelnden bei seiner Tätigkeit auf das Bewirken eines bestimmten Erfolges ankommt. Unter Motiv ist das seelische Erleben zu verstehen, das Beweggrund für einen Entschluß des Täters ist. 41 Absicht und Motiv sind insofern 36 Nötigung im Straßenverkehr, S. 108; vgl. auch Haft, Besonderer Teil, S.118. 37 Begriff der Gewalt, s. 85. 38 Diese Unklarheit bemängelt auch Haffke ZStW 84, S. 49 Fn. 54. Er selbst hält das subjektive Korrektiv der Absicht für unbrauchbar (S. 53), weil die Formel "Es muß dem Täter auf die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmales ankommen" beliebig manipulierbar sei, S. 53 Fn. 71. 39 Der Absichtsbegriff ist in der Strafrechtsdogmatik im einzelnen heftig umstritten; die oben angeführte Begriffsbestimmung entspricht der engsten Definition und ist, soweit ersichtlich, als Kern des Absichtsbegriffs einhellige Meinung, vgl. z. B. BGHSt 4, S. 107, 109; 9, S. 142, 146 f.; Engisch, Vorsatz und Fahrlässigkeit, S. 141 ff.; v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch (26. Aufl.), S. 245. Zu sonstigen Bestimmungen des Absichtsbegriffes vgl. Stratenwerth, Allgemeiner Teil, Rdn. 315 ff. sowie Hegler JW 1923, S. 608 mit Nachweis des älteren Schrifttums. Mißverständlich ist allerdings die Ansicht von Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 238, unter Absicht könne auch das Anstreben der "tatbestandsmäßigen Handlung" verstanden werden. Gemeint ist wohl, daß der tatbestandliche "Erfolg" angestrebt werden muß. 40 Zur Absicht bei der Unterlassung vgl. unten im zweiten Teil, 11. 1. cl. 41 So auch Oehler NJW 1966, S. 1633; Hegler JW 1923, S. 608. Für die h. M. unterscheiden sich Motiv und Absicht nur dadurch, daß das Motiv gegenüber der Absicht der engere Begriff ist: Motiv ist nur der entscheidende Beweg-

II. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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ähnlich, als beide auf das Erreichen eines bestimmten Erfolges gerichtet sind.42 Sie unterscheiden sich darin, daß bei der Absicht Handlungsziel der Erfolg selbst ist, während für das Motiv der Wertcharakter des Erfolges entscheidend ist.43 Zur Erreichung eines vom Täter vorgestellten Zieles können mehrere Zwischenerfolge erforderlich sein. Zugleich mit diesem Endziel strebt der Täter dann auch die notwendigen Zwischenerfolge an. Auch diese sind beabsichtigt. Unvermeidliche Nebenfolgen dagegen, die der Täter nicht zu seinem Handlungsziel gemacht hat, sind auch dann nicht beabsichtigt, wenn der Täter weiß, daß diese Nebenfolgen notwendig eintreten werden. Vorsätzlich handelt, wer um die Möglichkeit weiß, daß durch sein Verhalten ein Erfolg herbeigeführt oder nicht abgewendet wird, der das tatbestandliche Unrecht eines Deliktes charakterisiert (sog. Verletzungs- oder Tatbewußtsein), und sich der Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens bewußt ist (sog. Unrechtsbewußtsein).44 Da Vorsatz Wissen ist, Absicht hingegen Wille, sind Absicht und Vorsatz strukturverschieden. grund, der ausschlaggebende, bestimmende Faktor, vgl. BGHSt 4, s. 107, 109; 9, S. 142, 146 f.; 16, S. 1 ff.; 18, S. 246, 252; Welzel NJW 1962, S. 21; Rudolphi, Systematischer Kommentar, § 16 Rdn. 36; Schänke I Schräder I eramer, § 15 Rdn. 85 a. 42 Nach Ansicht von Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 120 f., 227 ff. sind im Strafrecht die Begriffe "Beweggrund", "Motiv", "Zweck" und "Absicht" nicht zu unterscheiden. Ähnlicher Auffassung sind auch Baumann, Allgemeiner Teil, S. 412; Bockelmann JZ 1956, S. 698 f. und Frank, § 59 Anm.VI. 43 So auch Stratenwerth, Allgemeiner Teil, Rdn. 326. 44 Dieser Vorsatzbegriff entspricht in der Einordnung des Unrechtsbewußtseins den sog. Vorsatztheorien, weicht aber von den unter dieser Bezeichnung heute vertretenen Lehren (übersicht bei Langer GA 1976, S. 208) insoweit ab, als einerseits sowohl das Verletzungsbewußtsein als auch das Unrechtsbewußtsein als Vorsatzelemente verstanden werden, andererseits das Unrechtsbewußtsein als Schuldmerkmal, das Verletzungsbewußtsein aber als Unrechtsmerkmal eingeordnet werden. Langer, Sonderverbrechen, S. 351 Fn. 225 gesteht zwar zu, daß die vorsätzliche Deliktsbegehung verletzungsbewußtes Unrecht zwingend voraussetzt; jedoch ist dies seiner Ansicht nach ein bloßer Reflex einer an der Strafwürdigkeit orientierten Interpretation des Verbrechenstatbestandes. Die Vorsätzlichkeit werde dadurch nicht ihrerseits zum Merkmal des Unrechtstatbestandes. Dem ist insoweit zuzustimmen, als die Vorsätzlichkeit nicht insgesamt Element des Unrechtstatbestandes sein kann. Damit ist aber noch nicht entschieden, ob nicht das Verletzungsbewußtsein dadurch zum Merkmal der Vorsätzlichkeit wird. Eine ausführliche Stellungnahme zu anderen Vorsatzbegriffen ist an dieser Stelle nicht möglich und in diesem Zusammenhang auch nicht erforderlich. Hier kommt es nur darauf an, die zu verwendenden Begriffe klarzustellen, damit eine Verständigung über die Frage, welche subjektive Intensität das Nötigungsunrecht verlangt, nicht an dem unterschiedlichen Gebrauch von Begriffen scheitert, von denen diese Frage der Sache nach unabhängig ist.

2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

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Hinsichtlich der subjektiven Intensität der Tatobjektsgefährdung bei der Nötigung geht die Frage dahin, ob es zur Begründung von Nötigungsunrecht ausreicht, wenn der Täter sich die Herbeiführung einer Zwangslage für das Opfer durch sein Verhalten als möglich vorstellt, oder ob zu verlangen ist, daß er sich des sicheren Eintritts einer Zwangssituation bewußt ist oder sie sogar beabsichtigt. Auszugehen ist von der insoweit zutreffenden Feststellung des Bundesgerichtshofes, daß der bedingte Vorsatz, d. h. nach der hier vertretenen Ansicht das Wissen um die Möglichkeit des Eintritts des tatbestandlichen Erfolges, überall da ausreicht, wo nicht durch die Fassung des Gesetzes der bestimmte Vorsatz, d. h. das sichere Wissen um das Eintreten eines bestimmten Erfolges, oder absichtliches Handeln vorausgesetzt werden.45 Der Bundesgerichtshof ist allerdings der Ansicht, daß sich aus der Fassung des § 240 StGB keine Anhaltspunkte für das Erfordernis bestimmten Vorsatzes oder absichtlichen HandeIns ergeben. Diese Auffassung bedarf jedoch einer ergänzenden Überprüfung, weil der Bundesgerichtshof auf die Auslegung einzelner Merkmale des Nötigungstatbestandes, die für eine solche Annahme sprechen, nicht eingegangen ist. Aus dem Begriff des "Nötigens" selbst ergibt sich zunächst nicht, daß damit immer die absichtliche Verursachung einer Zwangslage gemeint ist. Denn es entspricht dem Sprachgebrauch, das Wort "Nötigen" auch dann zu verwenden, wenn es dem Nötigenden nicht auf den Eintritt der Zwangslage ankam, sondern er lediglich Urheber der Zwangslage des Genötigten ist. Insbesondere wird der Begriff "Nötigen" mit dieser Bedeutung gebraucht, wenn Ursache einer Zwangssituation nicht ein anderer Mensch, sondern Naturkräfte sind, z. B. das schlechte Wetter den Urlauber zur Änderung seiner Reisepläne ,nötigt'. Die wörtliche Auslegung des Merkmales "Nötigen" bedingt also nicht das Erfordernis absichtlichen HandeIns, schließt es allerdings auch nicht aus. Gemäß § 240 Abs.l StGB muß "zu" einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt werden. Das bedeutet, daß zwischen dem Nötigungserfolg (dem konkreten Opferverhalten) und der Nötigungshandlung (der Verursachung der Zwangslage) ein Kausalzusammenhang bestehen muß. Über die subjektive Beziehung des Täters zu diesem Kausalverlauf wird damit aber nichts ausgesagt. Das Erfordernis einer Nötigungsabsicht könnte sich aber aus der Verwendung des Begriffes "Zweck" in § 240 Abs.2 8tGB ergeben.46 BGHSt 5, S. 245, 246. Nach Ansicht von Langer, Sonderverbrechen, S. 351 sind absichtliche Schutzobjektsverletzungen immer ausdrücklich durch besondere Merkmale des Unrechtstatbestandes kenntlich gemacht. Dem ist insoweit zuzustimmen, als aus der Deliktsbeschreibung eindeutig hervorgehen muß, daß nur die ab45 46

11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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Gemäß Abs. 2 der Nötigungsvorschrift ist eine Nötigung nur dann rechtswidrig, wenn die Gewaltanwendung oder die Drohung zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Da Gewalt und Drohung, wie sich aus § 240 Abs.l StGB ergibt, Mittel der Tathandlung des Nötigens sind,47 folgt daraus, daß der Täter mit Gewalt oder durch Drohung zur Erreichung eines bestimmten Zweckes nötigen muß. Anders ausgedrückt bedeutet es, daß die Verursachung der Zwangslage des Opfers durch den Nötiger diesem zur Herbeiführung eines bestimmten Zweckes dienen muß. Zweck wurde oben48 als das mit einem Entschluß gewählte Handlungsziel definiert. Daß dieser subjektive Zweckbegriff auch in § 240 Abs. 2 StGB gemeint ist, folgt daraus, daß der Zweck im Gesetz als der Erfolg bezeichnet wird, den der Täter angestrebt haben muß. Welcher Taterfolg mit dem Merkmal "Zweck" in § 240 Abs.2 StGB erfaßt wird, ist in Judikatur und Schrifttum umstritten. Zum einen wird die Auffassung vertreten, Zweck sei das konkrete Opferverhalten, also die Handlung, Duldung oder Unterlassung, zu der das Opfer genötigt werde.49 Zum andern wird unter Zweck im Sinne des § 240 Abs.2 StGB auch ein über das abgenötigte Verhalten des Opfers hinausgehendes Ziel verstanden. so Für die Auslegung des Merkmales "Nötigen" kann dieser Streit dahinstehen: 51 Bei Zugrundelegung der Ansicht, daß unter Zweck die abgenötigte Handlung, Duldung oder Unterlassung zu verstehen sei, ergibt sich für das Merkmal "Nötigen", daß das abgenötigte Verhalten Ziel der Nötigungshandlung, also Ziel der Verursachung der Zwangslage sein muß. Da zwischen der Herbeiführung der Zwangslage und dem Opferverhalten ein Kausalzusammenhang bestehen muß, ist somit bei der Nötigungshandlung die Absicht des Täters erforderlich, durch sein Verhalten eine Zwangslage des Opfers und eine darauf beruhende Handlung, Duldung oder Unterlassung zu bewirken. Es sichtliche Schutzobjektsverletzung strafbar ist. Es ist aber nicht notwendig, daß dies an einem Merkmal des Unrechtstatbestandes erkennbar wird, sondern es reicht aus, wenn sich aus irgendeinem Merkmal der gesetzlichen Deliktsbeschreibung ergibt, daß im Unrechtstatbestand eine absichtliche Schutzobjektsverletzung erforderlich ist. Es kommt daher in diesem Zusammenhang noch nicht darauf an, wie § 240 Abs.2 StGB in den Deliktsaufbau einzuordnen ist. ~ Vgl. bereits oben im zweiten Teil, 11. 1. b) aa). 48 Im zweiten Teil, 11. 1. b) ce). 49 Vgl. Schäfer, LK (9. Aun.), § 240 Rdn.62; Arzt, Festschrift für Welzel, S. 828 ff. m. weit. Nachw. so Vgl. BGHSt 18, s. 389, 392; 17, S. 328, 332; Schänke / Schräder / Eser, § 240 Rdn.24. 51 Eingehend zur Frage, ob bei der Feststellung der Verwerflichkeit gern. § 240 Abs. 2 StGB eine sog. weite oder eine enge Mittel-Zweck-Relation anzulegen ist, im dritten Teil, 11. 1.

2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

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muß dem Nötiger also sowohl auf die Herbeiführung der Zwangslage als auch auf die Verursachung des konkreten Opferverhaltens ankommen. Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man unter Zweck im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB einen über das abgenötigte Verhalten des Opfers hinausgehenden Erfolg versteht. Denn da dieser Erfolg "Zweck" des Nötigens zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung sein muß, die Herbeiführung der Zwangslage für das Opfer und das darauf beruhende Verhalten demnach notwendige Zwischenziele des Nötigers sein müssen, ist auch bei Zugrundelegung dieser Auffassung erforderlich, daß die Herbeiführung der Zwangslage vom Täter beabsichtigt sein muß. Aus dem Merkmal "Zweck" in § 240 Abs.2 StGB ergibt sich somit, daß unter Nötigen nur das absichtliche Verursachen einer Zwangslage zu verstehen ist. Dieses Ergebnis entspricht auch den Anforderungen, die unter Strafwürdigkeitsgesichtspunkten an die Strafbarkeit eines rechtsgutsverletzenden Verhaltens zu stellen sind. Obens2 wurde bereits darauf hingewiesen, daß es eine Vielzahl von Beeinträchtigungen der Entschließungsfreiheit des einzelnen gibt, die von der Gemeinschaft als zulässig angesehen werden. Dennoch ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit ein für die Gemeinschaft besonders wertvolles Gut, wie sich aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ergibt. Dieser Diskrepanz wird in sachgerechter Weise bei der Erfassung der strafwürdigen Beinträchtigungen dieses Rechtsgutes dadurch Rechnung getragen, daß nur besonders gravierende Angriffe auf die Entschließungsfreiheit unter Strafdrohung gestellt werden. Die in subjektiver Hinsicht im Unrecht schwerste Rechtsgutsverletzung ist die absichtliche Schutzobjektsverletzung. Die Beschränkung des Merkmales "Nötigen" auf absichtliches Handeln entspricht dem und hat auch nicht zur Folge, daß in objektiver Hinsicht besonders schwere Beeinträchtigungen der Entschließungsfreiheit, die der Täter nicht beabsichtigt hat, straflos bleiben. Denn bei vielen Deliktsbeschreibungen des Besonderen Teils ist die Einschränkung der Entschließungsmöglichkeiten hinsichtlich eines bestimmten Sachverhaltes Ziel oder notwendige Nebenfolge des Täterverhaltens. So muß z. B. beim Diebstahl gern. § 242 StGB der Täter die Absicht haben, sich eine Sache rechtswidrig zuzueignen. Diese Zueignung durch den Täter bedingt notwendig die Enteignung des Berechtigten, der dadurch hinsichtlich der gestohlenen Sache in seinen Entschließungsmöglichkeiten beeinträchtigt wird. Obwohl durch § 242 StGB nicht die Entschließungsfreiheit des einzelnen, sondern das Eigentum geschützt wird, ist die in der Wegnahme der Sache liegende Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit von der Bestrafung wegen des Eigentumsdelik52

Im zweiten Teil, I. 2. c).

11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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tes gem. § 242 StGB miterfaßt, da diese Verletzung der Entschließungsfreiheit notwendige Folge der Verletzung des Schutzobjektes Eigentum ist. Ähnliches gilt z. B. für die Beeinträchtigung, die jemand durch die Beschädigung oder Zerstörung seines Eigentums oder durch die Verletzung seines Körpers in seinen Entschließungs- und Betätigungsmöglichkeiten erleidet. Hier wird der in der Beeinträchtigung liegende Unwert ebenfalls schon von den Tatbeständen der §§ 303 ff. StGB bzw. 223 ff. StGB voll erfaßt. Auch unter Berücksichtigung dieser systematischen Gesichtspunkte ist daher die Einschränkung des Nötigungsunrechts durch das Erfordernis einer absichtlichen Nötigungshandlung als sachgerecht anzusehen. Zusammenfassend ist für die Auslegung des Merkmales "Nötigen" in § 240 Abs. 1 StGB festzuhalten: Das Tatbestandsmerkmal "Nötigen" beschreibt die Tathandlung des § 240 StGB und bedeutet das absichtliche Bewirken einer Zwangslage für einen anderen Menschen. Unter einer Zwangslage ist eine die Entschließungs- und Betätigungsfreiheit des einzelnen einschränkende Lage zu verstehen. c) Nötigen durch Unterlassen

Nachdem die Tathandlung des § 240 StGB mit dem Merkmal "Nötigen" bestimmt ist, stellt sich die Frage, ob eine Nötigung auch durch Unterlassen begangen werden kann. Gemäß § 13 Abs. 1 StGB ist für die Strafbarkeit eines Unterlassens erforderlich, daß der Täter es unterläßt, einen Erfolg, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, abzuwenden, er für den Nichteintritt des Erfolges rechtlich einzustehen hat und das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. Der Tatbestand der Nötigung setzt den Eintritt zweier Erfolge voraus: zunächst den Eintritt einer Zwangslage für den Genötigten und schließlich ein aus dieser Zwangslage resultierendes Verhalten des Nötigungsopfers. Es ist demzufolge für eine Strafbarkeit gemäß den §§ 240, 13 Abs. 1 StGB zu prüfen, ob ein Fall des Nichtabwendens einer Zwangslage mit der Folge, daß dadurch ein bestimmtes Verhalten eines anderen herbeigeführt wird, schon dann der Herbeiführung der Zwangslage durch ein Tun entspricht, wenn der Unterlassende Garant für die Abwendung von Angriffen auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Genötigten ist. In Literatur und Rechtsprechung wird die Möglichkeit einer strafbaren Nötigung durch Unterlassen in erster Linie als Problem der Auslegung des Merkmales "Gewalt" erörtert. Durchweg wird dabei die Ansicht vertreten, daß Gewalt auch durch Unterlassen geübt werden

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

könne.53 Diese Auffassung wird als unbestritten, ja sogar als unbestreitbar ausgegeben. 54 Mit der Möglichkeit einer Gewaltanwendung durch Unterlassen wird ohne Bedenken auch die Möglichkeit einer Gewaltnötigung durch Unterlassen angenommen, da bei den anderen Merkmalen des Nötigungstatbestandes hinsichtlich einer Begehung durch Unterlassen keine Probleme gesehen werden. Nur beim Nötigungsmittel der Drohung ist umstritten, ob es ein Tun erfordert oder auch durch Unterlassen begangen werden kann. 55 Ganz abgelehnt wird die Möglichkeit einer Nötigung durch Unterlassen ausdrücklich nur von Schmidhäuser, für den es eine Nötigung durch Unterlassen deshalb nicht gibt, weil der für die Strafbarkeit wegen Nötigung erforderliche Zielunwert eine Handlung voraussetze.56 Auch nach der hier entwickelten Ansicht zum Begriff des Nötigens ergeben sich Bedenken gegen die Möglichkeit der Verwirklichung des § 240 StGB durch Unterlassen. Es wurde bereits aufgezeigt, daß nur das absichtliche Bewirken einer Zwangslage als Nötigung strafbar ist. Es ist aber fraglich, ob das Nichtabwenden einer Zwangslage dem absichtlichen Bewirken einer solchen entsprechen kann. In diesem Zusammenhang kommt es auf die im Schrifttum äußerst streitige Frage an, ob Tatbestände, die eine auf die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges gerichtete Absicht erfordern, auch durch Unterlassen begangen werden können. Insbesondere Armin Kaufmann hat darauf hingewiesen, daß es bei der Unterlassung einen echten Verwirklichungswillen als finalen Steuerungsfaktor eines Kausalprozesses nicht gibt. 57 Bei der Unterlassung könne sinnvollerweise nur von einer potentiellen Finalität gesprochen werden. 58 Aus der Tatsache, daß es einen final auf einen Erfolg gerichteten Willen bei Unterlassungen nicht gibt, hat Grünwald den Schluß gezogen, daß es auch eine Absicht im Sinne eines finalen Verwirk53 Vgl. RGSt 13, s. 49, 50; BayObLG NJW 1963, S. 1261 sowie VRS 60, S. 188 f.; OLG Koblenz MDR 1975, S. 243; Blei NJW 1954, S. 584; Eser NJW 1965, S. 379; Schönke / Schröder / Eser, § 240 Rdn. 8 und Rdn.20 v. §§ 234 ff.; Dreher / Tröndle, § 240 Rdn. 4; Knodel, Begriff der Gewalt, S. 114 f.; Bedenken aber bei RGSt 64, s. 113, 116. 54 So Schäfer, LK (9. Aufl.), § 240 Rdn. 42. 55 Vgl. Knodel, Begriff der Gewalt, S. 116 einerseits, Schönke / Schröder / Eser, § 240 Rdn. 35 und Horn, Systematischer Kommentar, § 240 Rdn. 21 andererseits. 56 Besonderer Teil 4/17. 57 UnterlassungsdeIikte, S. 73 ff.; ders., Normentheorie, S. 284; ders., Festschrift für v. Weber, S. 207 ff.; zustimmend Welzel, Lehrbuch, S. 201 sowie Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendung, S. 179 ff. 58 Armin Kaufmann, UnterlassungsdeIikte, S. 66 f.; ebenso Gallas ZStW 67, S.40.

11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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lichungswillens bei Unterlassungen nicht geben könne. 59 Nach Ansicht von Behrendt wird die Unterlassung gerade durch das Fehlen einer realen Zwecktätigkeit charakterisiert. Ein Steuerungsvorgang, durch den eine real ablaufende Kausalreihe bewußt auf ein Ziel hingelenkt werde, sei bei der Unterlassung nicht denkbar.6O Die Auffassung, Absichtsdelikte seien nicht durch Unterlassen begehbar, ist im Schrifttum weitgehend auf Widerspruch gestoßen. So vertritt E. A. Wolff die Ansicht, wer wisse, daß seine Entscheidung, nicht tätig zu werden, einen Erfolg zur Folge habe, verwirkliche durch sein Unterlassen seine Absicht, diesen Erfolg herbeizuführen. 61 Die h. M. im Schrifttum gesteht zwar zu, daß es bei der Unterlassung eine Absicht im Sinne eines Verwirklichungswillens nicht geben könne, hält diesen Absichtsbegriff aber für zu eng, da er von vornherein anhand der Tätigkeitsdelikte entwickelt worden sei. Absicht liege vielmehr auch dann vor, wenn es dem Täter auf einen bestimmten Erfolg ankomme. Dies sei aber auch bei einem Unterlassen denkbar.62 Der hier vertretene Absichtsbegriff entspricht der Meinung im Schrifttum, die die Absicht auf die Tätigkeitsdelikte beschränkt. Absicht setzt ihrem Begriff nach immer das gesteuerte Bewirken eines Erfolges voraus. Steuernd zur Erreichung eines Zieles kann man aber nur tätig werden, nicht aber untätig bleiben. Insofern ist der ausführlichen und stichhaltigen Begründung dieser Auffassung durch Armin Kaufmann, GTÜnwald und Schmidhäuser nichts hinzuzufügen. Auch aus der Verwendung des Begriffes "Zweck" in § 240 Abs.2 StGB ergibt sich, daß unter Nötigungsabsicht nur ein zielgerichteter Verwirklichungswille verstanden werden kann und somit Nötigen durch Unterlassen nicht möglich ist. Um dem zu erwartenden Einwand zu begegnen, auch dieser Zweckbegriff sei zu eng, da er von vornherein auf Tätigkeiten zugeschnitten sei, sei darauf hingewiesen, daß es bei der Frage, ob Absichtsdelikte durch Unterlassen begehbar sind, nicht in erster Linie um die eindeutige Bestimmung des Begriffes Absicht geht, 59 Festschrift für Hellm. Mayer, S. 289 f.; übereinstimmend Schmidhäuser, Allgemeiner Teil, 16/64; Schönke / Schröder / Cramer (18. Aufl.), § 15 Rdn. 94. 60 Unterlassung im Strafrecht, S. 15l. 61 Kausalität von Tun und Unterlassen, S. 47 f.; ähnlich Engisch JZ 1962, S. 190. Nach Ansicht von Maurach / Gössel, Allgemeiner Teil, Teilband 2, S. 159 liegt der notwendige Verwirklichungswille sogar schon darin, daß der Täter sich damit abfindet, daß bei weiterer Nichtaktivität eine Rechtsgutsbeeinträchtigung eintritt. 62 Vgl. Stree GA 1963, S. 6; Schönke / Schröder / Cramer, § 15 Rdn.94; Herzberg, Unterlassung, S. 226 f.; Rudolphi, Systematischer Kommentar, v. § 13 Rdn. 27 f.; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 377; Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 512 f.; Stratenwerth, Allgemeiner Teil, Rdn. 1051; Lampe ZStW 79, S.510.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

sondern um den Nachweis, daß das absichtliche Handeln, bei dem es dem Täter auf das Bewirken eines Erfolges ankommt, der psychischen Einstellung des Unterlassenden, dem es auf das Eintretenlassen eines bestimmten Erfolges ankommt, im Unrechtsunwert gleichwertig ist. Nach dem hier vertretenen Unrechtsbegriff gehören nur die psychischen Beziehungen des Täters zum Unwertsachverhalt in seiner wertfrei gesehenen, tatsächlichen Seite zum Unrechtsunwert, während die Elemente geistiger, d. h. gegen den Wert als solchen gerichteter Verfehlung zur Schuld als dem sozialethisch-wertwidrigen geistigen Verhalten gehören. 63 Bei der Unterlassung umfaßt das Unrecht auf der subjektiven Seite nur das Verletzungsbewußtsein des Unterlassenden, eine Absicht im Sinne eines Bewirkungswillens gibt es in diesem Fall als Unrechtselement nicht. Der Wunsch des Unterlassenden, ein bestimmter Kausalverlauf möge einen bestimmten Erfolg herbeiführen, ist als Motiv für den Entschluß des Täters, nicht zur Abwendung dieses Erfolges tätig zu werden, Ausdruck einer fehlerhaften Einstellung zum verletzten Wert und somit sachgerecht als Gesinnungsmerkmal der Schuld zuzuordnen. Das bedeutet, daß ein Unterlassen dort nicht strafbar ist, wo das Unrecht eines Deliktes Absicht im Sinne zielgerichteten Verhaltens erfordert. Der Wunsch des Unterlassenden, der Taterfolg möge eintreten, ist zwar Ausdruck sozi al ethisch wertwidriger Gesinnung und daher zu mißbilligen, er ist aber keine "unrechtliche" Gesinnung, da sich diese fehlerhafte Einstellung nicht auf ein Unrecht bezieht. Aus der hier entwickelten Auffassung zur subjektiven Intensität der Nötigungshandlung ergibt sich, daß das pflichtwidrige Nichtabwenden einer Zwangslage nicht zur Begründung von Nötigungsunrecht ausreicht. Eine Nötigung durch Unterlassen ist somit nicht unrechtstatbestandsmäßig. 2. Das Nötigungsmittel "Gewalt"

Für den Begriff der Gewalt im Strafrecht gilt heute wie vor über 80 Jahren die Feststellung Fraenkels aus dem Jahre 1901: "Die strafrechtliche Bedeutung der Gewalt ist noch heute eine äußerst problematische. Es ist ein fast aussichtsloser Kampf, der von den Anhängern der verschiedenartigsten Theorien geführt wird, ohne daß eine derselben zum Siege, zur allgemeinen Anerkennung gelangt wäre. Im Gegenteil wurde der Streit, je länger er währte, um so steriler; statt zur Aufklärung trug er zur Verdunkelung bei und zeitigte Produkte, die sich vom Wege des Natürlichen und Verständlichen weit entfernt hatten."! 63 Vgl. Langer, Sonderverbrechen, S. 321; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 138 ff. ! Fraenkel, Die Delikte der Nötigung, Bedrohung und Erpressung in ihrem Verhältnis zueinander, Diss. Greifswald 1901, S.27 m. Nachw. der damals vertretenen Ansichten.

11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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Inzwischen ist das Schrifttum zum strafrechtlichen Gewaltbegriff unübersehbar geworden. Es ist daher im Rahmen dieser Abhandlung auch nicht möglich, zu allen Auffassungen ausführlich Stellung zu nehmen. Allein die verkürzte Darstellung der wichtigsten Ansichten würde eine eigene Monographie erfordern. Andererseits ist es angesichts der Bedeutung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes für die historische Entwicklung des strafrechtlichen Gewaltbegriffes unverzichtbar, die einschlägige Rechtsprechung ausführlich darzustellen sowie ihre Ursachen und Gründe zu analysieren. Die inhaltliche Kritik soll dabei zunächst soweit wie möglich zurückgestellt werden und inzidenter erst bei der Untersuchung der im Schrifttum vertretenen Meinungen erfolgen, soweit diese mit dem von der Rechtsprechung vertretenen Gewaltbegriff identisch sind. Die Erörterung der in der Lehre geäußerten Ansichten beschränkt sich auf die Darstellung und Kritik der wichtigsten Lehrmeinungen. Hinsichtlich der Zuordnung einzelner Autoren zu bestimmten Lehrmeinungen müssen geringfügige Abweichungen von nebensächlicher Bedeutung vernachlässigt werden. Bei der Würdigung der einzelnen Auffassungen wird das Gewicht mehr auf bisher noch nicht so sehr beachtete Gesichtspunkte gelegt, während bereits häufiger vorgetragene Argumente, die für zutreffend gehalten werden, nur kurz angeführt werden. Im übrigen ergibt sich der Standpunkt des Verfassers hinsichtlich nicht oder nur kurz behandelter Ansichten aus der Begründung des eigenen Gewaltbegriffes. a) Darstellung und Analyse des Gewaltbegriffes

in der Rechtsprechung

aal Darstellung des Gewaltbegriffes der Judikatur Schon für die frühe Rechtsprechung des Reichsgerichts ist kennzeichnend, daß zunächst keine allgemeine Definition des Merkmales "Gewalt" vorzufinden ist, sondern die Beurteilung von Einzelfragen und besonderen Fallvarianten der Gewaltanwendung im Vordergrund steht. 2 Ersichtlich geht das Reichsgericht davon aus, daß zumindest über den Begriffskern der Gewalt weitgehend Konsens herrsche, so daß dieser nicht näher darzulegen sei, sondern nur geprüft werden müsse, ob das konkrete Tatgeschehen als Gewalt anzusehen sei. Bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1880 stellt das Reichsgericht klar, daß vom Tatbestand des § 240 StGB auch die Anwendung 2 Die folgende Darstellung orientiert sich an der historischen Entwicklung der höchst richterlichen Rechtsprechung zum Gewaltbegriff. Obwohl damit dem Leser eine weitgehend unübersichtliche "Fallsammlung" zugemutet wird, wurde dieser Weg gewählt, da nur auf diese Weise der Umfang der Verworrenheit der Rechtsprechung zu diesem Merkmal der Nötigung deutlich gemacht werden kann.

5 Bergmann

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

der sog. vis absoluta erfaßt werde. Aus der Aufnahme des Wortes "Duldung" in den Gesetzeswortlaut zieht es den Schluß, daß § 240 StGB auch dann anzuwenden sei, "wenn der andere durch Anwendung von Gewalt physisch außer Stand gesetzt wurde, Widerstand zu leisten."3 Die nächste Frage, die sich für das Reichsgericht bei der Auslegung des Gewaltbegriffes in § 240 StGB ergab, war, ob eine Gewaltanwendung, die sich allein gegen Sachen richtet, für § 240 StGB ausreichend ist. In dem Fall, der dem Reichsgericht zur Entscheidung vorlag, hatte ein Fährmann, der das geforderte Fährgeld von den Besitzern übergesetzter Wagen nicht erlangen konnte, durch einen Knecht einen Sack Hirse von einem der übergesetzten Wagen nehmen lassen, um die verlangte Zahlung zu erzwingen. 4 Nach Ansicht des Reichsgerichts liegt keine Gewaltanwendung im Sinne des § 240 StGB vor, "denn es ist ... davon auszugehen, daß mit dem in § 240 StGB gebrauchten Ausdrucke ,Nötigung eines anderen durch Gewalt' nur die Anwendung von Gewalt gegen Personen bezeichnet ist; dieselbe muß zwar nicht notwendig direkt gegen die Person gerichtet sein, sie muß aber, wenn indirekt angewendet, das wesentliche Kennzeichen der Nötigung, die überwindung oder Verhinderung eines persönlichen Widerstandes, an sich tragen. Eine nur gegen Sachen gerichtete Gewalt kann wohl wegen der mittelbar darin liegenden Bedrohung, nicht aber als Gewalt im Sinne des Gesetzes in Betracht gelangen."s Begründet wird die Auffassung, Gewalt im Sinne des § 240 StGB sei nur die gegen Personen, nicht aber die allein gegen Sachen gerichtete Gewalt, vom Reichsgericht mit der Entstehungsgeschichte des § 240 StGB. Im zweiten Entwurf zum Reichsstrafgesetzbuch sei die Aufnahme des Begriffes "Gewalt gegen einen anderen"6 erfolgt, um das Gesetz mit der Auffassung der meisten deutschen (Partikular-)Strafgesetzbücher in Einklang zu bringen. Von diesen Gesetzen hätten die meisten Vorschriften enthalten, aus denen sich unzweifelhaft ergeben hätte, daß die Gewalt gegen Personen gerichtet sein müsse. Diese Formulierung des Entwurfes sei dann im Reichstag durch den Ausdruck "Nötigung eines anderen durch Gewalt"7 vertauscht worden, ohne daß damit hinsichtlich des Begriffes der Gewalt eine Änderung hätte her3 RGSt 2, s. 184, 186; ausführlich mit der Entstehungsgeschichte begründet in RGSt 4, s. 429, 430 ff.; vgl. ferner RG GA 53, S. 72 und RGSt 67, s. 183, 186. 4 RGSt 3, s. 179 ff. s RGSt 3, s. 179, 180; Hervorhebung im Original. Vgl. zum Begriff "Gewalt gegen Personen" aber auch RGSt 13, s. 49, 50. 6 Der entsprechende Tatbestandsteil des Entwurfes lautete: "Wer gegen einen anderen Gewalt anwendet ... , um ihn zu nötigen ..." 7 Von 1871 bis 1943 hatte § 240 RStGB folgende Fassung: "Wer einen anderen widerrechtlich durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, ..."

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beigeführt werden sollen. Eine ausschließlich gegen eine Sache gerichtete Gewalt könne daher nicht den im Gesetz unter Strafe gestellten Zwangsmitteln beigezählt werden.8 Nach Ansicht des Reichsgerichts ist eine Gewalt nur dann gegen die Person gerichtet, wenn sie von dem zu Nötigenden physisch empfunden wird.9 Eine solche physische Beeinträchtigung der Person nimmt das Reichsgericht auch bei einer Einwirkung auf Sachen an, z. B. beim Ausheben einer Stubentüre und der Fenster sowie Heraustragen der Sachen des Mieters auf die Straße, um diesen zum Auszug zu veranlassen. IO Zur Begründung führt es an, eine Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit liege dann vor, wenn durch die Gewalttätigkeiten gegen Sachen derselbe Erfolg erzielt werde und erzielt werden solle, wie er bei der Gewalttätigkeit unmittelbar gegen die Person hätte erreicht werden können. Im vorliegenden Fall sei die Einwirkung auf die Wohnung von gleicher Wirkung, da deren Integrität in einer Weise verletzt worden sei, daß sie mehr oder weniger aufhöre als solche zu existieren. 1I In einer kurz darauf folgenden Entscheidung wird in einem ähnlich gelagerten Fall12 - die Angeklagten hatten Türen und Fenster ausgehoben, um den Mieter zum Verlassen der Wohnung zu bewegen - darauf abgestellt, daß der fremdenWohnung diejenigen Vorrichtungen entzogen worden seien, "durch welche dieselbe gegen das freie Einströmen der athmosphärischen Luft und gegen die Unbilden der Witterung Schutz gewährt, sie haben bewirkt, daß die winterliche Kälte ungehindert eindringen konnte, und der Körper der Inhaberin der Einwirkung derselben schutzlos preisgegeben, die Wohnung selbst daher für ihren Zweck unbrauchbar gemacht war."13 Gewalt gegen eine Person ist nach der Rechtsprechung ferner gegeben beim Festhalten einer Bergungskette durch ein Schiff, um die Bergung durch ein anderes Boot zu verhindern,14 sowie beim Umlegen der Weiche einer Feldbahn, um den Lokomotivführer zu ärgern und ihn zum Halten und Richtigstellen der Weiche zu zwingen. IS RGSt 3, s. 179,180 f. RGSt 20, s. 354, 356. 10 RGSt 7, s. 269 ff. 11 RGSt 7, s. 269, 272. 12 RGSt 9, s. 58 ff. 13 RGSt 9, s. 58, 59; vgl. auch RGSt 61, s. 156, 157 f. 14 RGSt 15, s. 138 ff. 15 RG JW 1938, S. 1805. Das OLG Danzig LZ 1928, Sp. 922 sieht auch in der Entfernung einer Sicherung aus dem Zähler einer elektrischen Lichtleitung Gewalt gegen eine Person, weil in der Verdunkelung des Aufenthaltsraumes die den Begriff der Gewalt erfüllende Einwirkung auf den Körper des Genötigten liege. Auch das OLG Karlsruhe MDR 1959, S. 233 nimmt bei einer 8

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Abgelehnt wird eine sich physisch auf die Person auswirkende Gewaltanwendung bei folgenden Einwirkungen auf Sachen: beim Verschließen einer Werkstätte und der eigenmächtigen Entfernung von Sachen aus derselben in Abwesenheit des bisherigen Inhabers, weil diese gegen die Sachen geübte Gewalt weder im Zeitpunkt der Tat noch bei der Rückkehr des Abwesenden irgend eine Wirkung auf das körperliche Befinden des Betroffenen habe. 16 Nicht ohne weiteres erkennbar sei eine Einwirkung auf den Körper auch beim Vernageln mehrerer Türen, Verschließen aller Fensterläden und Wegnahme von Kommode, Tisch und Schlafdecke durch den Vermieter, um den Mieter zum Verlassen der Wohnung zu zwingenY Keine Gewalt gegen Personen erkennt das Reichsgericht ferner in der Wegnahme eines Pferdes als Pfand für Lohnansprüche,18 im heimlichen Eingießen von Petroleum in einen Brunnen 19 sowie in dem überraschenden Wegreißen einer Handtasche, auch wenn dabei der wenig haltbare Trageriemen durchgerissen werde.2o Im Zusammenhang mit der "Gewalt gegen Sachen" stehen auch die Fälle des Ein- bzw. Aussperrens von Personen. Das Reichsgericht geht beim Verschließen einer Tür sogar dann von einer Gewaltanwendung aus, wenn noch ein zweiter, unverschlossener Ausgang vorhanden, aber dem "Eingeschlossenen" unbekannt ist. Denn unter den Begriff der Gewalt im Sinne des § 240 StGB, so das Reichsgericht, falle jede unmittelbare oder mittelbare Einwirkung auf den Körper eines anderen, welche geeignet sei und darauf abziele, die freie Willensentschließung desselben zu hindern. 21 Es bedürfe zu einer solchen Einwirkung nicht einmal der Aufwendung physischer Kraft, sie könne auch durch ein Unterlassen, z. B. durch Entziehung der Nahrung oder durch Aufrechterhaltung eines ohne verbrecherischen Vorsatz herbeigeführten Zustandes der Stromsperre eine mittelbare körperliche Einwirkung und somit Gewalt an. Nach Ansicht des OLG Neustadt MDR 1957, S. 309, 310 ist dagegen eine Stromsperre keine Gewaltanwendung, da der Betroffene vor vollendete Tatsachen gestellt und auf ihn nicht körperlich eingewirkt werde. Für das BayObLG NJW 1959, S. 495, 496 liegt in der Absperrung einer Wasserleitung keine Gewaltanwendung, weil die gewaltsame Einwirkung auf Sachen, die mittelbar gegen Personen gerichtet sei, nur dann als Gewalt im Sinne des § 240 StGB anzusehen sei, wenn sie nicht als seelischer, sondern als körperlicher Zwang empfunden werde. Es reiche nicht aus, wenn in der Absicht, auf die Entschließung eines anderen eine Wirkung auszuüben, ein Zustand herbeigeführt werde, der von diesem erst nach seiner Vollendung wahrgenommen werde. 16 RGSt 20, S. 354, 355 f. 17 RG GA 35, S. 63, 64. 18 RG GA 56, S. 222. 19 RG JW 1930, S. 3403. 20 RGSt 46, S. 403, 404. 21 RGSt 13, S. 49, 50.

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Freiheitsentziehung erfolgen. Im Einschließen könne aber sogar die Anwendung physischer Kraft und eine Gewalt an Sachen gefunden werden, die unter den Begriff der Gewalt im Sinne des § 240 StGB falle, auch wenn sie nur indirekt gegen eine Person gerichtet sei und darauf abziele, den Widerstand derselben zu brechen oder auszuschließen. 22 Daß die Opfer im konkreten Fall nicht wirklich eingeschlossen waren, spielt nach Ansicht des Reichsgerichts keine Rolle, da die Gewalt keine unwiderstehliche sein müsse. Es reiche aus, daß der eingetretene Erfolg, nämlich daß die "Eingeschlossenen" durch den Verschluß der einen Tür gehindert wurden, den Raum zu verlassen, im Willen des Täters gelegen habe, mochte dieser Erfolg durch den gleichzeitigen Verschluß des anderen Ausgangs oder durch "die Unbekanntschaft der Eingeschlossenen mit dem letzteren" erreicht werden.23 In einem weiteren Fall des Einschließens begründet das Reichsgericht die Annahme von Gewalt damit, daß der Eingeschlossene zur Beseitigung der Einschließung eine erhöhte Körperkraft aufwenden mußte.24 Der Bundesgerichtshof stimmt der Rechtsprechung des Reichsgerichts für die Fälle des Einschließens ohne eigene Begründung zu und nimmt Gewalt im strafrechtlichen Sinne an. 25 Auch beim Ausschließen einer Person stellt das Reichsgericht auf die eintretende physische Einwirkung auf die ausgesperrte Person ab. Der Ausgesperrte sei seiner Hilfsmittel beraubt, welche ihm der Gebrauch der in der Wohnung befindlichen Sachen als Schutz gegen äußere Einflüsse gewähre, und auch allen Witterungsunbilden ausgesetzt, die ein Aufenthalt ohne eigene Wohnung, eine Obdachlosigkeit, mit sich bringe. 26 Da eine solche physische Einwirkung aber nicht in jedem Fall des Ausschließens notwendig vorzuliegen brauche, müsse sie im Einzelfall tatsächlich festgestellt werden.Z7 In einer Entscheidung zu § 107 StGB (Wählernötigung) hat das Reichsgericht allerdings das Vorliegen von Gewalt beim Aussperren RGSt 13, s. 49, 5l. RGSt 13, s. 49, 51 f. 24 RGSt 27, s. 405, 406; vgl. auch RGSt 67, s. 327, 330 f.; 73, S. 343, 344 f. 25 Vgl. BGHSt 20, s. 194, 195; BGH GA 1965, S. 57, 58; BGH NJW 1972, S. 1571, 1573; vgl. auch BayObLG JZ 1952, S. 237 f.: Einsperren eines Kindes als Nötigung der Mutter. Für § 177 StGB hat der BGH nunmehr entschieden, daß nicht in jeglichem Einschließen bereits eine Gewaltanwendung im Sinne dieser Vorschrift vorliege, sondern es darauf ankomme, ob im Einzelfall eine körperlich wirksame Zwangswirkung für das Opfer eintrete und von diesem als solche empfunden werde, BGH NJW 1981, S. 2204, 2205 f. Nach LG Saarbrücken NStZ 1981, s. 222 soll es wohl darauf ankommen, ob dem eingesperrten Opfer die Zwangswirkung bewußt geworden ist. 26 RG GA 39, S. 215, 216. Z7 Vgl. RG GA 49, S. 281 und RGSt 20, s. 354, 355 f. 22 23

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abgelehnt, weil es darin keine Einwirkung auf die Person des Ausgesperrten sah, sondern allein das Bereiten eines rein sächlichen Hindernisses. Die Ursache der Behinderung liege in einem solchen Fall nur in einem "ausschließlich sachlichen Zustand" und damit völlig außerhalb der Person dessen, der handeln möchte.28 Ähnlich gelagert sind die Fälle des Versperrens eines Weges. Für das Reichsgericht liegt hierin eine Gewaltanwendung im Sinne des § 240 StGB, da das Versperren des Weges von dem Betroffenen als physischer und nicht nur psychischer Zwang empfunden werde. Das Opfer werde durch die Versperrung des Weges an der beabsichtigten Fortbewegung körperlich verhindert. 29 Die neuere Rechtsprechung muß sich häufig mit modernen Versionen des Versperrens von Wegen befassen. Es handelt sich dabei vor allem um die Frage, ob durch Gewalt nötigt, wer als vorausfahrender Autofahrer durch seine Fahrweise das überholtwerden durch den Hintermann verhindert. Der Bundesgerichtshof hat einen derartigen Fall dahingehend entschieden, daß der Täter Gewalt anwende, weil er es dem Betroffenen unmöglich mache, sich körperlich so zu verhalten, wie er es wolle.30 Keine Gewalt wird dagegen nach Ansicht des Reichsgerichts durch die heimliche Beibringung von Betäubungsmitteln angewendet, da in diesem Falle der Leistung eines durch Körperkraft zu überwindenden RG GA 62, S. 131, 132. Vgl. RGSt 45, s. 153, 156 f.; RG DJZ 1923, S. 372; RG HRR 1942, Nr. 193. Das OLG Dresden DRiZ 1932, S. 615 Nr. 752 unterscheidet in einem Fall, in dem der Täter Pfähle auf einem Weg eingeschlagen hatte, um einem anderen die Durchfahrt zu versperren, zwischen der Zwangshandlung und dem aus der Handlung erwachsenen Zustand. Es nimmt Gewalt an, weil die Zwangshandlung selbst auf den Willen des Opfers eingewirkt habe, nicht nur der aus der Zwangshandlung erwachsene Zustand. Denn die Zwangshandlung, so das OLG Dresden, sei mit dem Einrammen der Pfähle nicht beendet gewesen, vielmehr hätte die gewaltsame Einwirkung auf den Weg bis zur Beseitigung der Pfähle fortgedauert. 30 BGHSt 19, s. 263, 265 unter Hinweis darauf, daß dies bereits in einer früheren Entscheidung des gleichen Senats (NJW 1963, S. 1629) anerkannt worden sei. Dort hat der BGH aber nur die zwischen dem vorlegenden OLG Hamm und dem OLG Celle streitige Frage entschieden, ob das absichtliche Verhindern des überholens verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB sei. Die Annahme von Gewalt war zwischen den beiden Gerichten unstreitig, so daß der BGH darauf gar nicht einging. Auch in seinen Ausführungen zu § 240 Abs.2 StGB sprach der BGH durchgängig von Gewaltanwendung oder Androhung eines übels. Er ließ also in dieser Entscheidung noch offen, ob er für diesen Fall auch Gewalt annehmen würde. Auf die genannte Entscheidung des BGH beruft sich aber auch OLG Köln NJW 1963, S. 2383, 2384. Vgl. ferner zum Verhindern des überholens OLG Celle NJW 1959, S. 1597 f.; OLG Hamm VRS 20, S. 50 und VRS 24, S. 374, 376. Zu anderen Fällen des Versperrens vgl. BGH VRS 40, S. 104, 107; BayObLG NJW 1955, S. 1806; OLG Köln NJW 1968, S. 1892 ff.; OLG Koblenz MDR 1975, S.243. 28

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Widerstandes sowie der Absicht, Widerstand zu leisten, bereits vorgebeugt werde und die Körperkraft nicht zur überwindung eines tatsächlich geleisteten oder bestimmt erwarteten und deshalb von vornherein zu unterdrückenden Widerstandes aufgewendet werde.31 Nur wenn das Betäubungsmittel gewaltsam beigebracht werde, könne darin eine Gewaltanwendung im Sinne des Gesetzes liegen.32 Der Bundesgerichtshof ist gleich in seiner ersten Entscheidung zum Gewaltbegriff von dieser Auffassung des Reichsgerichts abgewichen. 33 Unter Hinweis auf RGSt 58, S. 98 ff. und 72, S. 349 ff. behauptet der Bundesgerichtshof, das Reichsgericht habe seine Verneinung darauf gestützt, daß zur Gewalt körperliche Kraftanwendung gehöre.34 Sodann weist der Bundesgerichtshof nach, daß das Reichsgericht aber in anderen Fällen auch dann Gewalt angenommen habe, wenn der Täter keine nennenswerte körperliche Kraft aufgewendet hatte, insbesondere in den Fällen des Einschließens und bei der Abgabe von Schreckschüssen.35 Dort habe das Reichsgericht vielmehr in erster Linie darauf abgestellt, daß der Betroffene die Einwirkung nicht nur als seelischen, sondern als unmittelbaren körperlichen Zwang empfunden habe. Diesem Kriterium stimmt der Bundesgerichtshof zu, wenn er ausführt, entscheidend für das Vorliegen von Gewalt sei, "ob der Täter durch körperliche Handlung die Ursache dafür setzt, daß der wirkliche oder erwartete Widerstand des Angegriffenen durch ein mittelbar auf dessen Körper einwirkendes Mittel gebrochen oder verhindert wird, gleichviel, ob der Täter dazu größere oder nur geringere Körperkraft braucht."36 Daher werde Gewalt auch dadurch geübt, daß der Täter das Opfer durch ein ohne Gewaltanwendung beigebrachtes Betäubungsmittel seiner Widerstandskraft beraube. 31 RGSt 56, S. 87, 88; vgl. auch RGSt 72, S. 350, 351, wo das RG aber durch Analogie gern. § 2 a. F. StGB Gewalt annehmen konnte. 32 RGSt 58, S. 98, 99. 33 BGHSt 1, S. 145 ff.; zustimmend zu § 175 a Nr.l StGB a. F. BGH NJW 1'953, S. 351; vgl. auch BGHSt 14, S. 81 f. 34 Dieser Verweis des BGH ist insofern ungenau, als die grundlegende Entscheidung RGSt 56, S. 87 ff. nicht zitiert wird. Dort und auch in den folgenden Entscheidungen stellt das RG nicht in erster Linie auf das Fehlen einer erheblichen Kraftentfaltung ab, wie der BGH meint, sondern verneint eine Gewaltanwendung, weil der Täter nicht zur überwindung eines zu erwartenden Widerstandes tätig werde, sondern der Entscheidung des Opfers zum Widerstand durch das Beibringen des Betäubungsmittels bereits zuvorkommen wolle. 35 Zu den sog. Schreckschußfällen vgl. RGSt 60, S. 157 ff. und 66, S. 353 ff. 36 BGHSt 1, S. 145, 147. In einem neueren Urteil (NStZ 1981, S. 218) sieht sich der BGH zu dem ausdrücklichen Hinweis veranlaßt, daß trotz Verlagerung des Schwerpunktes auf die beim Opfer eintretende Zwangseinwirkung an dem Erfordernis der Verursachung durch physische Kraftentfaltung festgehalten werden müsse. In der Rechtsprechung des BGH sei lediglich auf den Einsatz erheblicher körperlicher Kraft verzichtet worden.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Aus dem gleichen Grunde wie beim heimlichen Beibringen von Betäubungsmitteln scheitert nach Auffassung des Reichsgerichts die Annahme von Gewalt auch beim unvermuteten Entreißen einer Handtasche. Der Täter wolle nämlich keinen zu erwartenden Widerstand, der nicht einmal ein sehr erheblicher zu sein brauche,37 durch Kraftentfaltung brechen, sondern ohne erhebliche Kraftaufwendung einem Widerstand zuvorkommen. 38 Gewalt liegt nach Ansicht des Reichsgerichts aber nur dann vor, wenn ein als bevorstehend vermuteter Widerstand mittels Kraftentfaltung von vornherein unmöglich gemacht und verhindert werden soll.39 Der Bundesgerichtshof weicht auch bei der Beurteilung dieser Fälle von der Rechtsprechung des Reichsgerichts ab und behandelt das überraschende Wegreißen von Gegenständen als Gewaltanwendung. Während in BGH NJW 1955, S. 1404 f. einer Auseinandersetzung mit der Begründung des Reichsgerichts noch mit der Feststellung aus dem Wege gegangen wird, der in der entgegenstehenden Entscheidung RGSt 46, S. 403 ff. behandelte Fall liege anders, weist der Bundesgerichtshof in BGHSt 18, s. 329 ff. die Argumentation des Reichsgerichts ausdrücklich zurück. Auch das überraschende Zupacken des Tätes wolle einen zu erwartenden Widerstand des Opfers von vornherein ausschalten, nicht aber, wie das Reichsgericht meine, der Entscheidung des Betroffenen darüber zuvorkommen, ob er die Sache widerstandslos herausgeben wolle oder nicht. Wer einen nicht gerade wertlosen Gegenstand in der Hand halte, sei nach den Erfahrungen des täglichen Lebens in aller Regel bereits entschlossen, sich der beliebigen Wegnahme dieses Gegenstandes zu widersetzen.4O Eine neue Entwicklung hinsichtlich der Bestimmung des strafrechtlichen Gewaltbegriffes, insbesondere bezüglich der Notwendigkeit einer körperlichen Einwirkung auf das Opfer, wird durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu den sog. Schreckschußfällen eingeleitet. Nach Ansicht des Reichsgerichts liegt eine körperliche Einwirkung auch bei Abgabe von Schreckschüssen vor, da diese von dem Betroffenen nicht als nur seelischer, sondern als körperlicher Zwang empfunden würden. Denn aus nächster Nähe abgegebene Schreckschüsse, deren tatsächliche Ungefährlichkeit der Betroffene nicht erkennen könne und nach dem Willen des Schützen auch nicht erkennen solle, würden unmittelbar auf seine Sinne (Gesicht, Gehör und Geruch) einwirken, ihn in Verbindung hiermit in einen Zustand starker Nervenerregung versetzen und so sein ganzes körperliches Befinden und damit auch die körperlichen Voraus37 VgI. RG JW 1938, S. 789. 38 RGSt 46, s. 403 f.; vgI. auch RGSt 77, s. 81, 82. 39 RGSt 46, s. 403, 404; vgI. ferner RGSt 67, s. 183, 186. 40 BGHSt 18, s. 329, 330.

H. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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setzungen der Freiheit seiner Willensentschließung oder seiner Willensbetätigung in hohem Maße beeinflussen.41 Der Bundesgerichtshof greift auf diese Argumentation des Reichsgerichts zurück bei der Beurteilung von überholmanövern im Straßenverkehr, insbesondere bei der Entscheidung der Frage, ob der Hintermann, der auf der überholspur der Autobahn unmittelbar an seinen Vordermann heranfährt, um diesen unter ständigem Hupen und Blinken von der überholspur zu verdrängen, durch Gewalt nötigt. Der dergestalt Auffahrende übt nach Ansicht des Bundesgerichtshofes körperlichen Zwang aus, weil er durch sein Verhalten den Vordermann nervös und fahrunsicher mache und dieser in Sorge und Furcht gerate. 42 Auch das Nervensystem, auf dessen Funktionen die Willensausübung mitberuhe, gehöre zum Körper. Zwischen den körperlichen und geistig-seelischen Funktionen bestehe eine Wechselwirkung; bei den Reaktionen, auf denen auch das sichere Verhalten im Straßenverkehr beruhe, ließen sich Eindrücke körperlicher und seelischer Art nicht voneinander trennen. 43 Es könne daher dahinstehen, ob und unter welchen Umständen sich solches Dichtauffahren etwa als Drohung mit einem empfindlichen übel darstellen könne. 44 Die Erkentnis, daß zwischen physischen und psychischen Funktionen eine Wechselwirkung besteht, bestimmt die weitere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Gewaltbegriff. Im sog. Läpple-Urteil45 sieht der Bundesgerichtshof eine Anwendung von Gewalt darin, daß sich Studenten auf den Gleiskörper einer Straßenbahn setzen und stellen, um den Straßenbahnverkehr zu blockieren. 46 Der Bundesgerichtshof führt hierzu zur Begründung aus: 47 "Dieser Bewertung (des Verhaltens als Gewalt)48 steht nicht entgegen, daß die Studenten die Straßenbahn nicht durch unmittelbaren Einsatz körperlicher Kräfte aufhielten, sondern nur mit geringem Kraftaufwand einen psychisch determinierten RGSt 60, S. 157, 158; vgl. auch RGSt 66, S. 353, 355 f. BGHSt 19, S. 263, 266. Vgl. ferner zur "Nötigung im Straßenverkehr" OLG Köln NJW 1953, S. 2383; OLG Stuttgart DAR 1964, S. 275; OLG Karlsruhe NJW 1972, S. 962 und VRS 42, S. 277 f.; OLG Hamm VRS 27, S. 276, 277 und VRS 49, S. 100 f.; KG VRS 35, S. 437; OLG Düsseldorf VRS 52, S. 192, 194; OLG Frankfurt VRS 56, S. 286, 287. 43 BGHSt 19, S. 263, 265. Bezeichnend auch OLG Karlsruhe VRS 57, S.21: "Gewalt erfordert mindestens die Einwirkung durch geistig-seelischen Zwang auf den Genötigten, um seinen Willen zu beugen." 44 BGHSt 19, S. 263, 267. 45 BGHSt 23, S. 46 ff. 46 Zu ähnlichen "Blockadefällen" vgl. AG Bremen JZ 1969, S. 79; BayObLG NJW 1970, S. 1803, 1804; OLG Stuttgart NJW 1969, S. 1543; OLG Celle NJW 1970, S. 206, 207; AG Göttingen DRiZ 1969, S. 89 f. 47 BGHSt 23, S. 46, 54; Hervorhebungen im Original. 48 Einfügung vom Verfasser. 41

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Prozeß in Lauf setzten. Entscheidend ist hierbei, welches Gewicht der von ihnen ausgeübten psychischen Einwirkung zukam. Ob das Anbinden eines Hundes auf den Geleisen, um ein Beispiel der Verteidigung aufzugreifen, ausreichen würde, weil hier einem Weiterfahren nur psychische Hemmungen weit geringeren Gewichts entgegenwirken, kann dahinstehen. Stellt sich ein Mensch der Bahn auf den Schienen entgegen, so liegt darin die Ausübung eines Zwanges, der für den Fahrer sogar unwiderstehlich ist, denn er muß halten, weil er sonst einen Totschlag beginge. Durch den gleichzeitigen massierten Einsatz vieler Personen auf dem Gleiskörper wird die Zwangswirkung noch gesteigert. Es ist nicht einzusehen, daß die weitere Begehungsform des § 240 StGB, nämlich Nötigung durch Drohung mit einem empfindlichen übel, dieser Betrachtung im Wege stünde, weil sie ausschließlich auf psychische Einwirkungen abstellt; das könnte höchstens dazu führen, das geschilderte Verhalten auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar zu beurteilen. "49 Im weiteren wird vom Bundesgerichtshof auch die Bedrohung mit einer aus nächster Nähe vorgehaltenen durchgeladenen und entsicherten Schußwaffe bereits als Gewaltanwendung angesehen. Dadurch werde unmittelbar körperlicher Zwang ausgeübt, weil durch die Einwirkung auf die Sinne des Vergewaltigten dieser in einen Zustand starker seelischer Erregung versetzt werde.so Dies beeinflusse sein ganzes körperliches Befinden und damit auch die Voraussetzungen der Freiheit seiner Willens entschließung oder seiner Willensbetätigung in hohem Maße. Es handele sich nicht nur um eine Bedrohung mit Gewalt, sondern schon um eine gegenwärtige Gewaltanwendung, da das Verhalten des Täters, das eine gewisse körperliche Kraftentfaltung zum Inhalt habe, vom Opfer schon als gegenwärtiges übel sinnlich empfunden werde, während die Gewaltanwendung bei der Drohung erst für die Zukunft befürchtet werde. Oft würden die Vornahme von Gewalt in der Form der vis compulsiva und die Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben ineinander übergehen; in der vis compulsiva könne auch das Element der Drohung enthalten sein.51 Ebenfalls bereits eine Gewaltanwendung liegt nach Ansicht des Bundesgerichtshofes in dem Zufahren mit dem Auto auf einen anderen, da 49 Allein auf die Zwangswirkung wird auch schon in BGHSt 8, s. 102, 103 zu § 80 a. F. StGB bei der Frage abgestellt, ob ein Streik als Gewalt anzusehen sei, während es in BGHSt 6, s. 336, 340 noch darauf ankommen soll, daß zumindest der Massenstreik als körperliche Einwirkung empfunden werden könne. so BGHSt 23, s. 126, 127; vgl. auch schon BGH LM § 250 StGB Nr.4. SI BGHSt 23, s. 126 f.

H. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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dies von dem Betroffenen bereits als gegenwärtiges übel sinnlich empfunden werde.52 Und schließlich ist der Bundesgerichtshof der Auffassung, daß Gewalt auch gegen eine bewußtlose Person geübt werden kann, indem diese an einen anderen Ort verbracht wird, an dem sie, falls sie aufwachen sollte, weniger oder keinen Widerstand leisten könnte.53 bb) Analyse des Gewaltbegriffes der Judikatur Die soeben dargestellte Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes läßt keinen einheitlichen Gewaltbegriff erkennen. Einzelne Kriterien werden in einigen Entscheidungen betont, in anderen dagegen wieder als unbeachtlich angesehen. Insgesamt läßt sich aber die Tendenz feststellen, den Anwendungsbereich des Gewaltbegriffes auszudehnen. Im einzelnen ergibt sich folgendes Bild: Richtlinie der Bestimmung des Begriffes der Gewalt durch das Reichsgericht ist es, eine Abgrenzung zum anderen Nötigungsmittel nach der damaligen Gesetzesfassung, der Drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen, zu gewährleisten. Das maßgebliche Abgrenzungskriterium wird vom Reichsgericht darin gesehen, daß Gewalt Anwendung physisch wirkenden Zwanges, die Drohung dagegen psychisch wirkender Zwang ist. Gewalt ist daher nach Auffassung des Reichsgerichts alles, was der Betroffene als physische Beeinträchtigung empfindet.54 Auf das Element der Kraftentfaltung auf seiten des Täters kommt es nicht so sehr an, es genügt auch eine nur unerhebliche Kraft, z. B. beim Verschließen einer Tür, oder es wird sogar ganz auf dieses Erfordernis verzichtet, z. B. bei der Gewaltanwendung durch Unterlassen.55 Eine Gewalt gegen Sachen fällt demnach nur dann unter den Tatbestand des § 240 StGB, wenn sie gegen die Person gerichtet ist, d. h. wenn sie von dieser physisch empfunden wird oder doch zumindest im Erfolg, nämlich der Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit, der di52 Vgl. BGH VRS 22, S. 435, 437; VRS 4, S. 44; VRS 19, S. 188, 190. Vgl. auch KG VRS 11, S. 198, 199 f. und VRS 44, S. 35; OLG Hamm VRS 27, S. 30, 31; OLG Koblenz VRS 46, S. 31, 33. 53 BGHSt 4, s. 210, 212; 25, S. 237, 238. Das KG JR 1979, S. 162, 163 nimmt Gewalt beim lautstarken Reden zum Zwecke des Abbruchs einer Lehrveranstaltung eines Hochschullehrers an. Ebenso jetzt auch BGH NJW 1982, S. 189 f. Nach Auffassung des BayObLG NJW 1963, S. 1261 kann Gewalt auch durch Unterlassen geübt werden: Das Unterlassen sei dem Tun gleichzustellen, wenn sich der Täter einer Rechtspflicht und einem ausdrücklich gestellten Verlangen zuwider weigere, eine von ihm getroffene, fortwirkende Maßnahme aufzuheben, die sich ihrem Wesen nach als physischer Zwang darstelle. 54 Vgl. RGSt 20, s. 354, 356. 55 Vgl. RGSt 13, s. 49, 51.

2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

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rekt gegen den Körper einer Person gerichteten Gewalt gleichsteht.56 Eine Gewaltanwendung gegen Sachen ist gegeben, wenn die Existenz der Sache als solche beeinträchtigt wird. Keine einheitliche Linie läßt die Rechtsprechung des Reichsgerichts erkennen, wenn es um die Frage geht, ob das Verändern der Umwelt durch Herbeiführung eines Zustandes, der ein bestimmtes Verhalten des Betroffenen verhindert oder erschwert, als Gewaltanwendung angesehen werden kann. Soweit wie möglich wird hierbei ein Bezug zum Körper des Betroffenen hergestellt. Kann eine körperliche Einwirkung jedoch nicht festgestellt werden, so wird entweder Gewalt abgelehnt oder aber überprüft, ob die durch das konkrete Verhalten bewirkte Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit im Erfolg einer direkten Gewaltanwendung gleichgestellt werden kann. In einigen Entscheidungen wird allerdings auch ohne hinreichende Begründung durch bloßen Verweis auf andere Urteile das Vorliegen von Gewalt bejaht. Es scheint fast so, als spiele für die Annahme von Gewalt das Zusammentreffen von Täter und Opfer am Tatort eine entscheidende Rolle, so wenn zwar das Umstellen einer Weiche angesichts des Betroffenen,57 nicht aber das heimliche Vergiften eines Brunnens58 als Gewaltanwendung qualifiziert wird. Ist der Betroffene körperlich am Tatort anwesend, scheint dem Reichsgericht das Vorliegen einer körperlichen Einwirkung und damit die Annahme einer Nötigung durch Gewalt näher zu liegen.59 Es wird aus der Sicht des Betroffenen geurteilt: Fühlt er sich genötigt, weil er das Handeln des Täters im Augenblick der Tat als einen Angriff auf seine Entschließungs- und Betätigungsfreiheit empfindet, oder sieht er sich nur mit einem ihm unerwünschten Zustand konfrontiert, der ihn zwar zur Änderung seiner Pläne nötigt, von dem er aber nicht weiß, wer ihn verursacht hat und welches Ziel damit verfolgt werden soll, so z. B. wenn der Betroffene vor einem verschlossenen Wahl eingang steht.6O Eine weitere Erklärungsmöglichkeit für einige Urteile des Reichsgerichts, die bei der Annahme einer körperlichen Einwirkung sehr weit Vgl. RGSt 7, s. 269, 272. 57 RG JW 1938, S. 1805. 58 RG JW 1930, S. 3403. 59 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein von Knodel, Begriff der Gewalt, S. 57 Fn. 120 mitgeteilter Sachverhalt: In einem Klausurenkurs in Tübingen wurde der Fall gestellt, daß ein Bauer durch Anzünden seines Hofes zum Verkauf gezwungen werden sollte. Nach Mitteilung von Knodel nahmen fast alle Bearbeiter dieser Klausur zwar Gewalt an, lehnten aber trotzdem eine Nötigung ab, weil sie annahmen, § 240 StGB setze ein offenes Handeln des Täters voraus und sei nicht gegeben, wenn der Nötiger die Gewaltanwendung heimlich vornehme, so daß das Opfer nicht wisse, daß es von einem anderen Menschen absichtlich in die Zwangslage versetzt worden sei. 60 Vgl. RG GA 32, S. 131, 132. 56

II. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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gehen, könnte sein, daß bis 1943 das Nötigungsmittel der Drohung auf die Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen beschränkt war. Nach damals h. M. mußte es sich bei der angedrohten Tat im konkreten Fall um ein Verbrechen oder Vergehen handeln, d. h. für das Verhalten des Drohenden durfte z. B. kein Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund eingreifen.61 Das Reichsgericht könnte sich deswegen in einigen Fällen zur Ausdehnung des Gewaltbegriffes veranlaßt gesehen haben, weil es das Verhalten des Täters zwar als strafwürdige Nötigung empfand, sich aber andererseits gehindert sah, es unter das Merkmal "Drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen" zu subsumieren. Es wäre demnach zu untersuchen, ob in den in Frage kommenden Fällen eine Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal "Drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen" insbesondere daran scheitern mußte, daß das angedrohte übel als ein nicht straftatbestandsmäßiges, ein gerechtfertigtes bzw. entschuldigtes Verhalten oder als bloße übertretung im Sinne des § 1 Abs.2 StGB a. F. zu qualifizieren war. Ausdrücklich geht das Reichsgericht auf derartige Erwägungen in keinem Fall ein. Auch der jeweils mitgeteilte Sachverhalt sowie die Entscheidungsgründe geben keine diesbezüglichen Hinweise. Denkbar erscheint eine derartige Verlagerung von der Drohung auf die Gewalt aber vor allem in den Fällen, in denen als angedrohtes übel allenfalls ein Unterlassen in Betracht kommen konnte. Denn in diesen Fällen wäre, sofern die Annahme von Gewalt ausgeschieden wäre, eine Strafbarkeit wegen Nötigung nur gegeben gewesen, wenn das angedrohte Unterlassen sich als ein Verbrechen oder Vergehen dargestellt hätte, wozu insbesondere eine Rechts- bzw. sogar eine Garantenpflicht des Unterlassenden Voraussetzung gewesen wäre.

So ist z. B. in RGSt 45, s. 153 ff. in dem Verhalten der Menschenmenge, die sich auf einem Friedhof eng zusammendrängt auf einen Weg gestellt hatte, um den Durchzug einiger Sargträger zu verhindern, die Androhung zu sehen, auch bei weiterem Voranschreiten der Sargträger nicht zur Seite zu gehen. Es wird damit ein rein passives Verhalten, also ein Unterlassen angedroht, das zwar ein übel für die Betroffenen ist, aber nicht als Verbrechen oder Vergehen nach damaligem Recht strafbar war, es sei denn, es hätte das angedrohte Verhalten als Gewalt und damit als Nötigung angesehen werden können. Für die Strafbarkeit des Verhaltens der Menschenmenge war Voraussetzung, daß es als Gewalt(-nötigung) beurteilt werden konnte. Das Reichsgericht geht dann gleich einen Schritt weiter, indem es im Versperren des Weges nicht nur das Inaussichtstellen von (aktiver oder passiver) Gewalt sieht, sondern es schon als gegenwärtige Anwendung von Gewalt auffaßt. 61 Vgl. RGSt 8, s. 302, 306; Stein, Vergehen der Nötigung, S. 60 ff. ffi. weit. Nachw.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Ähnliches gilt für die Wegnahme von Sachen des Mieters und das Aushängen von Türen und Fenstern, um den Mieter zum Auszug aus der Wohnung zu bewegen. Das damit gleichzeitig angedrohte übel, die Sachen vor Auszug nicht wieder herauszugeben bzw. die Wohnung nicht instand zu setzen, kann nicht als strafbares Unterlassen qualifiziert werden, wenn der Täter sich die Sachen nicht zueignen will. Eine Strafbarkeit dieses Verhaltens ergab sich bei der alten Gesetzesfassung nur durch die Annahme einer Gewaltanwendung. Die bloße Abgabe von Schreckschüssen schließlich war unter der Geltung des RStGB nur eine übertretung. Eine Bestrafung gem. § 240 StGB wegen Nötigung durch Drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen wäre nur dann möglich gewesen, wenn dem Drohenden hätte nachgewiesen werden können, daß er mit den Schreckschüssen ein gezieltes Schießen mit einer Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers habe androhen wollen. Berief sich der Täter dagegen darauf, er habe den Betroffenen allein durch die Abgabe der Schreckschüsse, verbunden mit der Androhung weiterer Schreckschüsse, nötigen wollen, ohne ein gezieltes Schießen in Aussicht zu stellen, so hing seine Bestrafung vom Nachweis des Gegenteils oder der Qualifizierung seines Verhaltens als Gewaltanwendung ab. Hier wird nun ein weiterer Gesichtspunkt erkennbar, der schon das Reichsgericht, aber auch später den Bundesgerichtshof und dessen Untergerichte dazu veranlaßt haben könnte, Verhaltensweisen, die zunächst als Bedrohung erscheinen, als Gewaltanwendung zu behandeln. Denn für die Annahme von Gewalt kann das erkennende Gericht allein auf die objektive Sachlage abstellen. Der erforderliche Vorsatz des Täters ist gegeben, wenn er diese objektive Sachlage zutreffend erkennt, nicht notwendig ist, daß er weiß, daß er Gewalt im strafrechtlichen Sinne verübt. Für die Annahme einer Nötigung durch Drohung muß hingegen ein weiteres subjektives Element nachgewiesen werden. Wenn nicht bekannt ist, was der Täter mit seinem Verhalten, das einem Dritten als Drohung erscheinen mag, beabsichtigt, kann nämlich nicht entschieden werden, ob tatsächlich eine nötigende Drohung vorliegt. So kann beispielsweise ein Schuß in die Luft auch aus bloßem übermut oder aus Freude geschehen, er kann ein verabredetes Zeichen darstellen oder auch der Vogeljagd dienen. Subjektive Tatsachen, insbesondere Absichten des Täters, sind aber im Strafprozeß ungleich schwerer zu beweisen als objektive Geschehnisse. Diesen Beweisschwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, könnte ein - vielleicht auch nur unbewußterGrund gewesen sein, den Gewaltbegriff zu Lasten der Drohung auszuweiten. Abschließend ist aber hinsichtlich der Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Gewaltbegriff noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen,

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Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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daß die soeben als mögliche Motive für die Ausdehnung des Gewaltbegriffs angeführten Erwägungen nur auf Vermutungen beruhen. Weder die in den amtlichen Sammlungen abgedruckten Entscheidungen noch die sonst zugänglichen vollständigen Reichsgerichtsurteile geben in den mitgeteilten Sachverhalten bzw. in den Urteils gründen ausdrückliche Hinweise. Auch bei der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist zu beobachten, daß eine Ausweitung des Gewaltbegriffs gegenüber der Drohung erfolgt ist. Für diese Verschiebung des Anwendungsbereiches der Nötigungsmittel kommen neben den schon oben erwähnten größeren Beweisschwierigkeiten bei der Drohung vor allem zwei weitere Gründe in Betracht: Zum einen sind oder waren bestimmte Qualifizierungen bzw. Abwandlungen der Nötigung nur dann erfüllt, wenn das Verhalten des Täters nicht bloß als Drohung mit einem empfindlichen übel, sondern als Gewaltanwendung oder als Drohung mit Gewalt angesehen werden kann. Insbesondere traf dies auf die Anwendbarkeit des § 251 StGB a. F. (Raub mit Todesfolge) zu. Bis zur Neufassung durch das EGStGB vom 2.3.1974 erforderte der Tatbestand des § 251 StGB a. F., daß ein qualifizierter Erfolg, nämlich eine schwere Körperverletzung oder der Tod des Raubopfers, durch die gegen das Opfer verübte Gewalt verursacht worden war. Es genügte nicht, wenn der eingetretene schwerere Erfolg auf eine Drohung zurückzuführen war. Demzufolge war der Bundesgerichtshof in BGHSt 23, S. 126 ff., wo der Täter das Opfer durch Vorhalten einer durchgeladenen und entsicherten Schußwaffe zur Herausgabe von Geld nötigen wollte und es dabei durch die fahrlässige Abgabe eines Schusses tötete, zur Annahme von Gewalt gezwungen, wenn er auf diesen Fall den qualifizierten Strafrahmen des § 251 StGB a. F. anwenden wollte.62 Zum anderen ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofes und eines Teils des Schrifttums bei der Gewaltanwendung im Gegensatz zum Nötigungsmittel der Drohung, bei deren Ausweitung gegenüber der alten Gesetzesfassung im Jahre 1943 der § 240 Abs.2 StGB neu ins Gesetz aufgenommen wurde, die Rechtswidrigkeit der Tat indiziert, d. h. sie ist nur dann ausgeschlossen, wenn besondere Rechtfertigungsgründe vorliegen und braucht ansonsten nicht besonders nachgewiesen zu werden. 63 Bei der Drohung soll dagegen die Rechtswidrigkeit positiv an62 Die Revision beruhte übrigens auf einer Sachrüge der Staatsanwaltschaft, die die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes statt wegen fahrlässiger Tötung erreichen wollte. 63 Vgl. BGHSt 23, S. 46, 54 f.; Dreher I TröndZe, § 240 Rdn. 8; Lackner, § 240 Anm. 6 a aal. Näher zum Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit bei der Nötigung im dritten Teil.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

hand der Verwerflichkeitsklausel festgestellt werden müssen, was vergleichsweise schwieriger sein dürfte und insbesondere auch für die Frage der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums Bedeutung erlangen kann. Dieser Aspekt dürfte die Entscheidung des Bundesgerichtshofes im sog. Läpple-Fall (BGHSt 23, S. 46 ff.) sowie die Beurteilung der Nötigungen im Straßenverkehr erheblich beeinflußt haben. Vor allem aus den Urteilsgründen im Läpple-Fall geht dies deutlich hervor. Bei der Begründung seiner Ansicht, warum in diesem Fall Gewalt vorgelegen habe, versucht der Bundesgerichtshof seine Argumente durch auffällig häufigen Gebrauch von steigernden und bekräftigenden Vokabeln zu unterstützen. So sind z. B. in den abgedruckten Urteils gründen allein in dem für die Annahme von Gewalt entscheidenden Absatz vier Wörter durch Kursivdruck besonders hervorgehoben. Die nach Ansicht des Bundesgerichtshofes von den Demonstranten angewandte Gewalt wird außerdem dadurch als eine besonders qualifizierte ausgegeben, daß sie als unwiderstehliche bezeichnet wird, obwohl dem Straßenbahnfahrer im konkreten Fall ein Weiterfahren sehr wohl möglich gewesen wäre. Denn die Möglichkeit der Begehung eines Totschlages durch den Fahrer - ob es schließlich so weit gekommen wäre oder die Studenten nicht doch eher ihren Platz geräumt hätten, mag dahingestellt bleiben - bildete zwar ein Hindernis für das Gewissen des Fahrers, aber keines, das ihm ein Handeln physisch unmöglich gemacht hätte. Obwohl der Bundesgerichtshof zuvor die Gewalt bereits als unwiderstehliche bezeichnet hat, behauptet er wenig später, die Zwangswirkung werde durch den massierten Einsatz vieler Personen noch gesteigert. Der Bundesgerichtshof ist demnach der logisch wohl nicht haltbaren Ansicht, eine durch einen Menschen ausgeübte unwiderstehliche Gewalt werde dann noch "unwiderstehlicher", wenn sie von mehreren verübt werde. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofes zum Gewaltbegriff in BGHSt 23, S. 46 ff. können aber nur dann richtig eingeordnet werden, wenn sie im Zusammenhang mit der Frage der Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Demonstranten gesehen werden. Der Bundesgerichtshof hatte die Frage zu beurteilen, ob die Auffassung des Landgerichts Köln zutreffend gewesen sei, das die Angeklagten wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums freigesprochen hatte, indem es annahm, die Angeklagten hätten die erlaubten Grenzen nur um ein Geringes verfehlt.64 Im wesentlichen ging es bei der Frage der Rechtswidrigkeit um eine Abwägung zwischen Demonstrationsrecht und strafbarer Nötigung. Die überaus kräftigen Formulierungen des Bundesgerichtshofes bei den Ausführungen zum Gewaltbegriff dienen ersichtlich bereits dem Nach64 Das Urteil des LG Köln ist abgedruckt in JZ 1969, S. 80 ff.; vgl. dort insbesondere S. 83.

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weis, daß die Angeklagten keinesfalls, wie es das Landgericht Köln angenommen hatte, um ein geringes, sondern im Gegenteil um ein erhebliches Maß die Grenzen des Erlaubten überschritten hatten. In seiner Begründung, warum das Demonstrationsrecht das Verhalten der protestierenden Studenten und Schüler nicht rechtfertigen könne, greift der Bundesgerichtshof immer wieder auf das Vorliegen von Gewalt zurück, so wenn ausgeführt wird, daß das Demonstrationsrecht jedenfalls eine Gewaltanwendung nicht erlaube,65 daß tätliches Verhalten nicht geduldet sei,66 daß Entscheidungen staatlicher Organe frei von gewaltsamer Einwirkung sein müßten67 und die Anerkennung eines derartigen Demonstrationsrechtes auf die Legalisierung eines von militanten Minderheiten geübten Terrors hinausliefe.68 Es ist leicht einzusehen, daß dem Bundesgerichtshof die Begründung der Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Demonstranten und der Vermeidbarkeit ihres Verbots irrturns bei Annahme einer zur Tatbestandsmäßigkeit der Nötigung in gleicher Weise ausreichenden Drohung mit einem empfindlichen übel wesentlich schwerer gefallen wäre. An der Entscheidung BGHSt 23, S. 46 ff. läßt sich somit leicht nachweisen, daß die Ausweitung des Gewaltbegriffes durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes eigentlich nicht auf der inhaltlichen Unbestimmtheit des Gewaltbegriffes beruht, sondern auf den Versuch zurückzuführen ist, allein durch den Gewaltbegriff die bei der Nötigung äußerst diffizile Abgrenzung zwischen strafbarem und straflosem Verhalten zu treffen. Diese Vorgehensweise muß schon deswegen zum Scheitern verurteilt sein, weil dabei die anderen unrechtsbegründenden Merkmale des § 240 StGB inhaltlich im Gewaltbegriff untergebracht werden müssen und der Gewaltbegriff dann zwangsläufig alle Konturen verliert.

b) Der Begriff der Gewalt im Schrifttum aal Begrenzung des Gewaltbegriffes im älteren Schrifttum Der Gewaltbegriff ist im Schrifttum schon immer umstritten gewesen. Nach Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches im Jahre 1871 be65 BGHSt 23, s. 46, 56; diese und die folgenden Hervorhebungen stammen vom Verfasser. 66 BGHSt 23, s. 46, 56. 67 BGHSt 23, s. 46, 57. 68 BGH ebd. Das weitere Argument des BGH, die Annahme eines solchen Demonstrationsrechts sei schon deshalb abwegig, weil es die widersinnige Folge habe, daß die Polizeibeamten beim Wegtragen der die Schienen besetzt haltenden Demonstranten rechtswidrig tätig geworden wären, kann nur mit der besonderen gesellschaftspolitischen Situation zur Zeit der sog. Studentenunruhen erklärt werden, die offensichtlich auch auf die Richter am BGH nicht ohne Wirkung geblieben ist. 6 Bergmann

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

traf der Streit vor allem die Frage, ob Gewalt im Sinne des § 240 StGB nur die vis absoluta oder nur die vis compulsiva sei oder ob darunter sowohl vis absoluta als auch vis compulsiva zu verstehen seien. Für eine Beschränkung des Gewaltbegriffes auf die vis absoluta wurde angeführt, nur so könne eine eindeutige Abgrenzung zum Nötigungsmittel der Drohung gewährleistet werden.69 Die vis compulsiva sei in Wirklichkeit eine Drohung, so handele beispielsweise derjenige, der durch Schläge zu einem bestimmten Verhalten gezwungen werde, nicht aufgrund der verabreichten Prügel, sondern· aus Furcht vor weiteren Schlägen.7° Im Gegensatz dazu stand die Lehre, die Gewalt nur als vis compulsiva verstand.71 Die Anhänger dieser Auffassung waren der Meinung, von einer Nötigung könne nur da die Rede sein, wo der Täter sein Ziel mit Willen des Genötigten erreiche, nicht aber, wenn er es wider den Willen des Opfers durchsetze. Dies ergebe sich zum einen aus dem Rechtsgut der Nötigung, zum anderen daraus, daß sich die Gewalt nur dann auf alle drei im Gesetz genannten Verhaltensweisen beziehen könne, wenn sie auf die vis compulsiva beschränkt bleibe.72 Diese Beschränkungen des Gewaltbegriffes auf die vis compulsiva oder die vis absoluta widersprachen aber schon damals der herrschenden Meinung73 und wurden auch sehr bald aufgegeben. Heute geht die einhellige Meinung dahin, daß Gewalt im Sinne des § 240 StGB sowohl die unabwendbar zwingende Gewalt (vis absoluta) als auch die den Willen bedrängende Gewalt (vis compulsiva) umfaßt. Gegen die Einengung des Gewaltbegriffes auf die vis compulsiva wurde schon oben74 der Einwand erhoben, daß damit die weitaus strafwürdigeren Fälle der Anwendung unwiderstehlichen Zwanges ungeahndet bleiben und eine solche Auslegung des Gewaltbegriffes in § 240 StGB auch nicht durch die Merkmale "Handlung", "Duldung" und 69 Binding, Besonderer Teil, Bd.l, S. 82 f.; Hälschner, Lehrbuch, Bd.2, S. 119 f.; ders. GS 35, S. 8; Kollmann, Erpressung, S. 27 ff.; v. Lilienthal ZStW 7, S. 375; Rosenjeld, HdR Bd.4, S. 325 f.; ders. VDB Bd.5, S. 394; Schütze, Lehrbuch, S. 409 f.; Winkler, Begriff der Gewalt, S. 6, 12, 21 ff., 27; v. Wächter GS 27, S. 162 f.; vgl. auch Walter Kern, Nötigung, S.49 zu Art. 181 StGB der Schweiz. 70 Binding, Normen Bd. 2, S. 1017 Fn. 7; Hälschner, Lehrbuch, Bd. 2, S. 119 f.; V. Lilienthal ZStW 7, S. 375; Winkler, Begriff der Gewalt, S. 9. 71 John ZStW 1, S. 244; Oppenhojj, § 240 Anm. 1, 4 m. weit. Nachw. 72 John ZStW 1, S. 244. 73 Vgl. RGSt 2, s. 184, 186; 2, S. 287, 288; 4, S. 429, 430; Ahlwardt, Mittel der Nötigung, S. 32 ff.; Brock, Verbrechen gegen die Willensfreiheit, S. 55 f., 60 f.; BoHag, Grenzen der strafbaren Nötigung, S. 26; Frank, § 240 Anm. II 1; Jajje, Nötigung, Bedrohung und Erpressung, S. 38; Schieren, Nötigung, S. 26 ff., 31; Schreiner, Nötigung, S. 12 f.; Stern, Nötigung und Erpressung, S. 68. 74 Im zweiten Teil, I. 3. b).

11. Die tatbestandlicl1e Recl1tsgutsverletzung

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"Unterlassung" geboten ist, da die Duldung eine Verhaltensform bezeichnet, die durch vis absoluta herbeigeführt wird. Ferner wurde bereits dargelegt, daß sich das Tatbestandsmerkmal "Gewalt", soweit es als vis absoluta verstanden wird, nicht auf alle drei im Gesetz genannten Verhaltensweisen beziehen muß. Für die Auffassung, den Gewaltbegriff auf die vis absoluta zu beschränken, spricht zunächst, daß damit eine klare Abgrenzung der Merkmale "Gewalt" und "Drohung" gewährleistet wäre und zudem auch die besonders schwerwiegenden Angriffe auf die Entschließungsund Betätigungsfreiheit von diesem Gewaltbegriff erfaßt würden. Dennoch hat sich diese Ansicht in Rechtsprechung und Lehre nie durchsetzen können. Im Schrifttum wurde gegen die Begrenzung der Gewalt auf die via absoluta eingewandt, eine derartige Begriffsbestimmung widerspräche der natürlichen Wortbedeutung des Merkmales "Gewalt". Man würde sich vom alltäglichen Sprachgebrauch zu weit entfernen, wenn man die Verabreichung einer Tracht Prügel nicht als gegenwärtige Gewaltanwendung, sondern nur als Drohung mit weiteren Schlägen auffasse. Gerade die körperliche Mißhandlung sei nach natürlichem Verständnis der "klassische" Fall der Gewaltanwendung?5 Dieses Argument gegen die Beschränkung des Gewaltbegriffes auf die vis absoluta wird auch durch den Sprachgebrauch des Gesetzes gestützt, das in § 343 Abs. 1 StGB die Tathandlung der Aussageerpressung u. a. mit folgenden Merkmalen umschreibt: " ... wer einen anderen ... körperlich mißhandelt oder sonst Gewalt anwendet ..." Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist demnach zumindest bei § 343 StGB die körperliche Mißhandlung ein Unterfall der Anwendung von Gewalt. Der angebliche Nachteil, daß ein Gewaltbegriff, der nur die vis absoluta umfaßt, nicht dem Sprachgebrauch des Alltagslebens entsprechen würde, wäre aber nicht so schwerwiegend, daß er den Vorteil der eindeutigen Abgrenzbarkeit dieses Gewaltbegriffes gegenüber der Drohung aufwiegen würde. Zwar muß die Auslegung des Gesetzes den natürlichen Sprachgebrauch berücksichtigen und darf ihn nicht auf den Kopf stellen,16 doch muß der juristische Begriff nicht genau der natürlichen Auffassung entsprechen.77 Gerade bei der Bestimmung des Ge75 Vgl. Frank, VDB Bd.6, S. 20; Knodel, Begriff der Gewalt, S. 32. Nacl1 Ansicl1t von Hoffmeister, Begriff der Gewalt, S. 79 f. widerspricl1t eine derartige Auslegung nicl1t nur dem normalen Spracl1gebraucl1, sondern würde bei der Allgemeinheit auf "völliges Unverständnis" stoßen. Vgl. ferner hierzu v. Heintschel-Heinegg, Gewalt als Nötigungsmittel, S. 45 f. m. weit. Nacl1w. 76 So aucl1 Geilen JZ 1970, S. 526 Fn. 57. 77 Das gibt aucl1 v. Heintschel-Heinegg, Gewalt als Nötigungsmittel, S. 46

zu.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

waltbegriffes ist der natürliche Sprachgebrauch wenig hilfreich, wird doch im täglichen Leben nicht nur die körperliche Mißhandlung, sondern jede Durchsetzung eines Zieles gegen den Willen eines anderen als Gewalt bezeichnet. Unter den Gewaltbegriff der Alltagssprache fällt auch die Durchsetzung eines Willens durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, so daß dieses "normale" Verständnis des Gewaltbegriffs für die Auslegung des Nötigungsmittels Gewalt in § 240 StGB, die eine Abgrenzung zum Nötigungsmittel Drohung gewährleisten muß, nicht viel hergibt. Des weiteren wird von denjenigen, die eine Beschränkung des Gewaltbegriffs auf die vis absoluta ablehnen, bezweifelt, ob die psychologische Situation des Opfers richtig erfaßt werde, wenn man bei der vis compulsiva nur die Furcht vor der Zufügung weiterer Übel als Ursache für das Nachgeben des Opfers ansehe. 78 Es seien vielmehr Fälle denkbar, wo das Opfer einer in Worten ausgesprochenen Drohung mit Prügel erst nachgebe, wenn diese ihm auch zugefügt würden. Die zugefügten Schmerzen hätten dann sehr wohl einen eigenen Motivationswert; das gelte auch dann, wenn neben den Schmerzen die Furcht vor Fortsetzung der Traktur ursächlich für das Nachgeben sei. Die Gewalt wirke dann zum Teil wie eine Drohung, was aber nichts daran ändere, daß primär Gewalt, nicht nur Drohung vorliege.19 Die zutreffende Feststellung, daß von bereits zugefügten Schmerzen ein selbständiger Motivationseffekt ausgeht, berechtigt allerdings noch nicht zu der Folgerung, damit liege primär Gewalt vor. Daß ein bereits teilweise zugefügtes Übel eine größere Wirkung hat als ein bloß in Aussicht gestelltes, könnte auch lediglich bedeuten, daß darin ein qualifizierter Fall der Drohung zu sehen ist, zwar eine besonders schwere Form der Drohung, aber eben eine Drohung.so Logisch zwingend ist die Annahme von Gewalt für diesen Sachverhalt nicht. sl Eine Zuordnung der Fälle der vis compulsiva zur Gewalt kann auch nicht damit begründet werden, der Übergang von der vis compulsiva zur vis absoluta, z. B. beim "Mürbeprügeln" des Opfers, sei nicht genau feststellbar, könne aber dann dahingestellt bleiben, wenn man beide Fälle unter den Begriff der Gewalt subsumiert.82 78 Knodel, Begriff der Gewalt, S. 32; Geilen JZ 1970, S. 525; vgl. auch Haffke ZStW 84, S. 69. 79 Knodel, Begriff der Gewalt, S. 32 f.; v. Heintschel-Heinegg, Gewalt als Nötigungsmittel, S. 46. 80 Die Qualifizierung würde im Strafmaß durch § 223 StGB erfaßt. 81 So auch Haffke ZStW 84, S. 69 f., der die "Drohung mit Gewalt" nur aus Zweckmäßigkeits gesichtspunkten der Gewalt zuordnet, eine Zuordnung zur Drohung aber auch für begrifflich möglich hält. 82 Knodel, Begriff der Gewalt, S. 33; v. Heintschel-Heinegg, Gewalt als Nötigungsmittel, S. 46 f.; eine Abgrenzung versucht allerdings Busse, Nöti-

11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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Dieses Argument trifft für die Auslegung der Merkmale "Gewalt" und "Drohung mit einem empfindlichen übel" bei der Nötigung nicht zu. Denn bei den zur Diskussion stehenden Fällen geht es ja allein um die Frage, ob in dem betreffenden Verhalten eine bloße Drohung oder bereits eine Gewaltanwendung zu sehen ist. Da aber Gewalt und Drohung als Mittel der Nötigung in § 240 StGB in gleicher Weise den Tatbestand erfüllen, spielt es hier keine Rolle, ob man das konkrete Verhalten lediglich als Drohung mit einem empfindlichen übel oder aber als Gewalt im Sinne des § 240 StGB qualifiziert. 83 Aber auch bei anderen Tatbeständen, die als Mittel der Tat nur Gewalt bzw. nur Drohung mit Gewalt, nicht aber die einfache Drohung vorsehen und daher eine Abgrenzung von Gewalt und Drohung erfordern, kann das Problem der Abgrenzung der streitigen Fälle der vis compulsiva von den eindeutig als Gewalt zu qualifizierenden Fällen der vis absoluta nicht dadurch gelöst werden, daß man eine genaue Abgrenzung dahinstehen läßt und beide Fälle gleichwertig dem Gewaltbegriff subsumiert. Denn damit würde die Strafbarkeit in unzulässiger Weise ausgedehnt, wenn der Fall, daß sich das Opfer unter dem Eindruck einer bereits teilweise verwirklichten Drohung dem Willen des Täters fügt, in Wirklichkeit nur eine Drohung mit einem empfindlichen übel und noch keine Gewalt wäre. Die Frage, ob nur eine Drohung oder schon Gewalt gegeben ist, wenn der Täter mit der Ausführung des angedrohten übels begonnen hat, muß also in jedem Fall entschieden werden und kann nicht aus praktischen Erwägungen dahingestellt bleiben. Das gewichtigste Argument gegen eine Beschränkung des Gewaltbegriffes auf die vis absoluta ist die Untauglichkeit eines derartigen Gewaltbegriffes für die Auslegung anderer Strafvorschriften als des Nötigungstatbestandes des § 240 StGB. Insbesondere in Tatbeständen, in denen das erzwungene Verhalten auf einem Willensentschluß beruht, kann Gewalt nur als ein die vis compulsiva umfassender Begriff verstanden werden, so z. B. bei der Aussageerpressung (§ 343 StGB).84 Ferner wird angeführt, bei einer Beschränkung auf die vis absoluta könnten Straftaten, bei denen als Nötigungsmittel lediglich Gewalt oder Drohung mit Gewalt in Betracht kommen, weder durch körperliche Mißhandlung noch durch Drohung mit einer körperlichen Mißhandlung gung im Straßenverkehr, S. 117 ff.; gegen ihn Hoffmeister, Begriff der Gewalt, S. 77 f. 83 Auch ein Unterschied in der Strafzumessung kann in beiden Fällen berücksichtigt werden: einmal als "leichte" Gewalt, einmal als "schwere" Drohung. 84 Vgl. v. HeintscheZ-Heinegg, Gewalt als Nötigungsmittel, S. 47; ähnliches gilt für die Erpressung (§ 253 StGB), wenn man der Ansicht ist, das abgenötigte Verhalten des Erpreßten müsse den Charakter einer Vermögensverfügung haben, vgl. KnodeZ, Begriff der Gewalt, S. 31; Hoffmeister, Begriff der Gewalt, S. 81.

86

2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

begangen werden. 85 Wollte man in diesen Fällen nicht eine Straflosigkeit des Täters hinnehmen, müßte der Begriff der Gewalt in diesen Tatbeständen folglich anders ausgelegt werden.86 Ein unterschiedlicher Gebrauch desselben Begriffs im Strafgesetzbuch sollte zwar möglichst vermieden werden, muß aber hingenommen werden, wenn anders eine sinnvolle Auslegung des Gesetzes nicht möglich ist. Es kommt letztlich darauf an, ob die systematische Einheitlichkeit hinter anderen wichtigeren Auslegungskriterien zurückstehen muß. Für die Bestimmung des strafrechtlichen Gewaltbegriffes bedeutet dies die Entscheidung darüber, ob zugunsten eines Gewaltbegriffes bei der Nötigung, der eine hinreichend klare Abgrenzung zur Drohung gewährleistet, auf den durchgängigen Gebrauch eines einheitlichen Gewaltbegriffes im gesamten Strafgesetzbuch verzichtet werden soll oder ob die Einheitlichkeit des Gewaltbegriffes in den Vordergrund gestellt werden muß. De lege lata erscheint eine Beschränkung des Gewaltbegriffes bei der Nötigung auf die vis absoluta nicht zweckmäßig. Damit wäre zwar das Merkmal "Gewalt" von dem Merkmal "Drohung mit einem empfindlichen übel" eindeutig abgrenzbar, ansonsten aber bliebe der Gewaltbegriff weiterhin ungeklärt. Denn mit der KlarsteIlung, daß Gewalt im Sinne des § 240 StGB nur der unwiderstehliche Zwang ist, wäre noch nicht die Frage beantwortet, ob und gegebenenfalls welche weiteren Merkmale der Gewaltbegriff aufweisen muß, insbesondere ob eine körperliche Einwirkung auf das Opfer erforderlich ist oder jede unwiderstehliche Zwangswirkung ausreicht. Die Vorteile, die eine Beschränkung des Gewaltbegriffes des § 240 StGB auf die vis absoluta für die Auslegung des Nötigungstatbestandes bringen würde, wären gegenüber den Nachteilen, die daraus für das systematische Verständnis zahlreicher mit der Nötigung eng verwandter Vorschriften folgen würden, relativ gering und können einen derartigen Gewaltbegriff nicht rechtfertigen. De lege ferenda ist allerdings zu überlegen, ob die beiden verschiedenen Arten der Gewalt, die jede Willensbildung bzw. Willensbetätigung ausschließende vis absoluta und die lediglich auf die Entschließung des Opfers einwirkende vis compulsiva, wegen ihrer Strukturverschiedenheit nicht auch im Gesetzeswortlaut durch die Verwendung zweier verschiedener Merkmale kenntlich gemacht werden können. 85 Vgl. v. Heintschel-Heinegg, Gewalt als Nötigungsmittel, S. 47 f.; Hoffmeister, Begriff der Gewalt, S. 80 f.; Knodel, Begriff der Gewalt, S. 31. Dieses

Argument ist insofern ungenau, als eine körperliche Mißhandlung durchaus auch als vis absoluta strafbar sein kann, z. B. wenn das Opfer bewußtlos geschlagen wird. Zutreffend ist allerdings, daß die bloß kompulsiv wirkende Mißhandlung, z. B. ein Verprügeln, nicht tatbestandsmäßig wäre. 86 So Knodel, Begriff der Gewalt, S. 31.

11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

87

Neben dem Begriff der Gewalt, den man dann auf die vi& absoluta beschränken könnte, würde sich als weiteres Merkmal die "Gewalttätigkeit" anbieten, die den Bezug auf die körperliche Mißhandlung auch eindeutiger zum Ausdruck bringt. Durch die dann schon durch die Verwendung unterschiedlicher Merkmale im Gesetz zum Ausdruck gebrachte Möglichkeit, zwischen Gewalt als vis absoluta und vis compulsiva zu differenzieren, wäre ein erster Schritt getan, dem Gewaltbegriff wieder einigermaßen inhaltliche Konturen zu verschaffen. bb) Ausweitung des Gewaltbegriffes im neueren Schrifttum Nachdem das Schrifttum anfangs den "klassischen" Gewaltbegriff des Reichsgerichts - Gewalt als die durch Entfaltung körperlicher Kraft erfolgende Einwirkung auf den Körper eines anderen zur Überwindung eines tatsächlich geleisteten oder bestimmt erwarteten Widerstandes87 - übernommen hatte,SB änderte ein Teil der Lehre diese Definition der Gewalt zunächst dahingehend ab, daß keine erhebliche Kraftaufwendung erforderlich sei, sondern auch eine geringfügige Kraft ausreiche. 89 Später wurde dann von einer sehr starken Meinung im Schrifttum das Kriterium der Kraftentfaltung als für den Gewaltbegriff nicht wesentlich fallengelassen und nur noch auf die körperliche Einwirkung zur Überwindung eines Widerstandes abgestellt. 90 Ausgehend von der Dissertation von Knodel, "Der Begriff der Gewalt im Strafrecht", aus dem Jahre 1962 verzichtete man im Schrifttum in der Folgezeit zunehmend auf das Erfordernis der körperlichen Einwirkung und sah als Gewalt jedes Verhalten an, "das bestimmt und geeignet ist, einen tatsächlich geleisteten oder als bevorstehend erwarteten Widerstand des zu Nötigenden dadurch zu überwinden, daß ihm ohne sein Einverständnis die Willensbildung oder die Willensbetätigung unmöglich gemacht oder durch gegenwärtige Zufügung emp87

Vgl. z. B. RGSt 56, S. 87,88; 64, S. 113, 115.

SB Vgl. Allfeld, Lehrbuch, S. 383; Bollag, Grenzen der strafbaren Nötigung,

S. 26; Gerland, Reichsstrafrecht, S. 512; Rob. v. Hippel, Lehrbuch, S. 205 Anm. 5; Kollmann, Erpressung, S. 27 f.; v. Olshausen, § 240 Anm. 11 4 a; v. Liszt I Schmidt, Lehrbuch (25. Aufl.), S. 521 f.; Rosenfeld, HdR Bd.4, S.235; Schieren, Nötigung, S. 26, 36; Joh. Schmidt, Begriff der Gewalt, S. 4; Wanjeck GA 27, S. 196; vgl. auch Geerds, Tb. für Kriminalisten, Bd. 17, S. 25. 89 Vgl. Diehl, Begriff der Gewalt, S. 17; Heilborn ZStW 18, S. 187; v. LilienthaI ZStW 7, S. 375; Wagner, Nötigung, S. 32 f.; vgl. auch Arzt I Weber, Besonderer Teil, LH 1, S. 211 Rdn. 582. 90 Vgl. Blei, Besonderer Teil, S. 66; ders. NJW 1954, S. 584 ff.; Busse, Nötigung im Straßenverkehr, S. 98 ff.; Diehl, Begriff der Gewalt, S. 19; Dreher I Tröndle, § 240 Rdn. 3 f.; Hottmeister, Begriff der Gewalt, S. 84 ff., 136 f.; Krey, Besonderer Teil, Bd. 1, S. 106; ders. JuS 1974, S. 421; Neuberg JuS 1975, S. 112, 114; Rüping I Kamp JuS 1976, S. 663; Simson I Geerds, Straftaten gegen die Person, S. 257 Fn. 173; Welzel, Lehrbuch, S. 325; Winkler, Begriff der Gewalt, S. 39.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

findlicher übel die Freiheit der Willensentschließung genommen wird" .91 Oder Gewalt wird nunmehr definiert als "jedes Mittel, mit dem auf den Willen oder das Verhalten eines anderen durch ein gegenwärtiges empfindliches übel eine Zwangswirkung ausgeübt wird".92 Von der Drohung soll sich die Gewaltanwendung lediglich noch dadurch unterscheiden, daß jene ein zukünftiges übel in Aussicht stelle, die Gewalt aber bereits ein gegenwärtiges zufüge. 93 Dieser allgemeine Gewaltbegriff sei die Quintessenz einer Entwicklung, die zwar in Einzelergebnissen anfechtbar sein möge, in ihren Grundzügen jedoch unvermeidlich sei, um mit den immer raffinierteren Formen moderner Zwangswirkung Schritt zu halten. 94 Durch den Verzicht auf das Kriterium der Einwirkung auf den Körper des Genötigten fällt nunmehr unter den Begriff der Gewalt auch das Errichten unüberwindlicher Hindernisse in der Umwelt. Knodel nennt folgende Beispiele, in denen seiner Ansicht nach Gewalt anzunehmen sei, da dem Betroffenen die Umsetzung eines gefaßten Entschlusses unmöglich gemacht werde: Um den lahmen A am Weggehen zu hindern, nimmt B ihm seine Krücken weg; B zerschneidet dem Kraftfahrer A die Reifen oder läßt das Benzin ab, damit A nicht wegfahren kann; B, der verhindern will, daß A nach Australien auswandert, entwendet ihm die Fahrkarte; B nimmt dem sterbenden A die Brille weg, damit dieser in der letzten Nacht seines Lebens kein neu es Testament abfassen kann, oder er entfernt zu seIbern Zweck die elektrischen Sicherungen oder schafft sämtliches Schreibgerät weg; nachdem B den A verschiedentlich vergeblich ersucht hat, das Tennisspielen zu unterlassen, gräbt er dessen Platz um.95 Nach Ansicht von Knodel muß in diesen Fällen Nötigung durch Gewalt angenommen werden, da andernfalls die Freiheit der eigenen Lebensgestaltung von Dritten in unerträglicher Weise beschränkt werden könnte, ohne daß irgendwelche Sanktionen der Rechtsordnung zur Verfügung stünden.96 Knodel, Begriff der Gewalt, S. 59. Schönke I Schröder I Eser, vor §§ 234 ff. Rdn. 6. Im wesentlichen ebenso Maurach I Schroeder, Besonderer Teil, Teilband 1, S. 124; Horn, Systematischer Kommentar, § 240 Rdn. 9; Dito, Die einzelnen Delikte, S. 95; ders., JR 1982, S. 116 ff.; Backmann I Müller-Dietz JuS 1975, S. 39; Haft, Besonderer Teil, S. 117; vgl. auch Eb. Schmidt JZ 1969, S. 396; Martin, BGH-Festschrift, S. 220; Langrock JuS 1971, S. 530; Dreher NJW 1970, S. 1157; Schäfer, LK (9. Aufl.), § 240 Rdn. 22 ff.; Tröndle GA 1973, S. 325; Maurach, Festschrift für Heinitz, S. 409 f.; Ostendorf NJW 1980, S. 2593. 93 Schönke / Schröder / Eser, vor §§ 234 ff. Rdn. 6; Knodel, Begriff der Gewalt, S. 57 f., 81 f. 94 Schönke I Schröder I Eser, vor §§ 234 ff. Rdn. 7; vgl. auch Knodel, Begriff der Gewalt, S. 35. 95 Begriff der Gewalt, S. 48. 96 Begriff der Gewalt, S. 49; die Hervorhebung findet sich im Original. 91

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11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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Die Behauptung Knodels, die oben genannten Fälle seien strafwürdig und könnten, wenn sie nicht als Nötigung mit Gewalt erfaßt würden, nicht geahndet werden, ist aber nicht zutreffend: Die Wegnahme der Krücken, um den Lahmen am Weggehen zu hindern, ist eine Freiheitsberaubung gem. § 239 Abs.l StGB und kann mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden;97 das Zerschneiden der Reifen, das Ablassen des Benzins und das Umgraben des Tennisplatzes sind als Sachbeschädigungen gem. § 303 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren strafbar. Zudem läßt Knodel in diesen Fällen die Möglichkeit außer acht, daß diese Einwirkungen eventuell als Gewalt an Sachen unter den Gewaltbegriff des § 240 Abs.l StGB subsumiert werden können, ohne diesen in der von Knodel vorgenommenen Weise erweitern zu müssen. Schließlich soll bei der Wegnahme der verschiedenen Gegenstände in Knodels Beispielfällen der Täter ohne Zu eignungsabsicht handeln, weil er die Sachen zurückgeben wolle, sobald die konkrete Handlung des Opfers, die der Täter verhindern wolle, keinen Sinn mehr habe oder nicht mehr vorgenommen werden könne, z. B. werde die weggenommene Fahrkarte sofort zurückgegeben, nachdem die erwartete Auswanderungssperre ergangen sei, so daß der Betroffene nun aus diesem Grunde nicht mehr nach Australien könne.98 Hier scheint Knodel aber ein Problem der Diebstahlsvorschrift des § 242 StGB, nämlich die Abgrenzung von strafloser Gebrauchsanmaßung und strafbarer Zueignung, mit Hilfe des Gewaltbegriffs und des Nötigungstatbestandes lösen zu wollen. Knodel hätte sich vor der Behauptung, diese Fälle seien nur als Nötigung gem. § 240 StGB strafbar, erst um eine genauere Bestimmung des Zueignungsbegriffes bemühen sollen. Denn in dem Fall, daß dem Sterbenden die Sachen weggenommen werden, damit dieser in der letzten Nacht seines Lebens kein neues Testament abfassen kann, liegt entgegen Knodels Ansicht ein Diebstahl und keine bloße Gebrauchsanmaßung vor. Nach allgemeiner Ansicht setzt sich die Zueignung aus den Komponenten der Enteignung des Berechtigten und der Aneignung der Sache durch den Täter zusammen, wobei die Abgrenzung zum bloßen Gebrauchsdiebstahl das Element der Enteignung betrifft.99 Ein eindeutigerer Fall einer dauernden Enteignung ist aber gar nicht denkbar, als daß eine Sache dem Berechtigten für sein ganzes Leben weggenommen werden soll. 97 Die Strafdrohung der einfachen Freiheitsberaubung ist sogar höher als die der einfachen Nötigung: für diese ist nur ein Strafrahmen bis zu drei Jahren vorgesehen. 98 Begriff der Gewalt, S. 49. 99 Vgl. nur Schönke / Schröder / Eser, § 242 Rdn. 45 ff., insbesondere Rdn. 51 m. weit. Nachw.

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2.

Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Bei dem zweiten Fall, der Wegnahme der Fahrkarte, hängt es von den näheren Umständen ab, ob in der vorübergehenden Entziehung schon eine Zueignung der Sache liegt; dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Fahrkarte nach Rückgabe durch den Täter für den Auswanderungswilligen wirtschaftlich wertlos oder doch zumindest in ihrem Wert beeinträchtigt ist. Bei diesen Einwänden gegen die Begründung der Ausdehnung des Gewaltsbegriffes durch Knodel soll es aber nicht belassen bleiben, denn der Mangel in der Argumentation Knodels, der hier aufgezeigt wurde, betrifft in erster Linie den Umstand, daß die von Knodel gebildeten Beispielsfälle seine Thesen nicht stützen können. Die sich gegen diese Beispiele richtende Kritik ist demnach nur vordergründig, es lassen sich vielmehr auch Sachverhalte denken, wo eine bestimmte Willensbetätigung durch Entzug sachlicher Mittel unmöglich gemacht wird, ohne daß hierfür ein Straftatbestand einschlägig ist - es sei denn, man würde Nötigung durch Gewalt annehmen. Als Beispiel für die weitere Erörterung möge folgender Sachverhalt dienen: Anton möchte verhindern, daß sein Bruder Bruno zum Tanzfest nach Dagobertshausen fährt und ihm die Rosi wegschnappt. Daher versteckt er die Autoschlüssel seines Bruders kurz vor Beginn des Tanzfestes; Bruno kann nicht fahren und bleibt dem Tanzfest fern. Am nächsten Tag legt Anton die Schlüssel leicht sichtbar auf den Schreibtisch seines Bruders. Eine Strafbarkeit des Anton aus anderen Vorschriften als der Nötigung gem. § 240 StGB scheidet offensichtlich aus; insbesondere fehlt es für eine Strafbarkeit wegen Diebstahls der Schlüssel an der gem. § 242 StGB erforderlichen Zueignungsabsicht, weil Anton die Schlüssel nur vorübergehend gebrauchen und den Bruno insoweit nicht enteignen will. Des weiteren müßte dieses Verhalten des Anton (um die These Knodels, der Begriff der Gewalt müsse jeden Fall des Unmöglichmachens einer Willensbetätigung erfassen, stützen zu können) strafwürdig sein. An dieser Stelle sind erneut Bedenken gegen die Argumentationsweise von Knodel bezüglich der Strafwürdigkeit eines Verhaltens anzubringen. Knodel argumentiert wie folgt: Alle Handlungen, die das Rechtsgut der Nötigung, nämlich die Freiheit der eigenen Lebensgestaltung, in unerträglicher Weise beschränken, seien in gleicher Weise wie diejenige Gewalt, die durch körperliche Einwirkung verübt werde, strafwürdig. Dies treffe insbesondere auf das Vereiteln einer Willensbetätigung durch Entzug sachlicher Mittel zu. Daher sei aus Strafwürdigkeitsgesichtspunkten in diesen Fällen Nötigung durch Gewalt anzunehmen.

11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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Knodel ist zuzugestehen, daß diese Verhaltensweisen im Unrechtsund Schuldmaß bedeutende Rechtsgutsverletzungen darstellen. Jedoch, und das verkennt Knodel, entscheidet über die Strafwürdigkeit eines Verhaltens nicht das Gewicht, sondern die Art von Unrecht und Schuld, wobei eine Vielzahl von häufig historisch bedingten Wertabwägungen und Zweckaspekten eine Rolle spielen. loo So wird z. B. auch der zu einem erheblichen Vermögensschaden führende Vertragsbruch (noch) nicht als strafwürdig angesehen, dagegen aber ein in Unrecht und Schuld unbedeutender Diebstahl einer geringwertigen Sache für strafwürdig erachtet. Demzufolge kann das im Entzug von sachlichen Mitteln liegende Unrecht dann nicht als Argument für die Erfassung dieser Fälle als Nötigung durch Gewalt dienen, wenn sich aus der Systematik anderer Gesetzesvorschriften, insbesondere der §§ 242 ff. StGB, ergibt, daß die bloße Gebrauchsanmaßung nicht als strafwürdig anzusehen ist, und die in Frage stehenden Fälle im Unrechtsgehalt über eine "bloße" Gebrauchsanmaßung nicht hinausgehen.

Ein Unterschied könnte darin bestehen, daß es dem Täter bei der "normalen" Gebrauchsanmaßung in erster Linie auf den eigenen Gebrauch der fremden Sache ankommt, der zwar zwangsläufig als Kehrseite der Entziehung den Ausschluß des Eigentümers von der Gebrauchsmöglichkeit bedingt, für den Täter aber ohne Bedeutung ist. Bei den hier als Nötigung durch Gewalt in Betracht kommenden Fällen liegt dem Täter dagegen nicht so sehr an einem eigenen Gebrauch der Sache, sondern es geht ihm in erster Linie darum, dem Eigentümer den Gebrauch der Sache vorzuenthalten. Aus der Sicht des Opfers, also im objektiven Unrechtsmaß, besteht zwischen den genannten Fällen kein Unterschied. Der rechtsgutsverletzende Angriff des nötigenden Täters unterscheidet sich aber im subjektiven Gewicht von der "normalen" Gebrauchsanweisung: Während dem Täter bei der bloßen Gebrauchsanmaßung die Beeinträchtigung der Entfaltungsmöglichkeiten des Eigentümers hinsichtlich der Sache als zwangsläufige Folge zwar bewußt ist, es ihm aber nicht darauf ankommt, ist dies bei den von Knodel als Gewaltnötigung angesehenen Sachverhalten gerade der Fall. In dieser subjektiven Intensität des Angriffs auf das Rechtsgut der freien Entfaltung der Persönlichkeit liegt auch, wie oben dargelegt,l°l das besondere Unrecht des Nötigens. Die fehlende Strafwürdigkeit der "bloßen" Gebrauchsanmaßung steht demnach der Einordnung des Vereitelns einer Willensbetätigung durch Entzug sachlicher Mittel als Gewalt im Sinne des § 240 StGB nicht entgegen. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, daß ein derartiges Verhalten als Nötigung strafbar ist, sondern nur, daß darin materiell eine dem 100 101

Vgl. dazu näher Langer, Sonderverbrechen, S. 335. Im zweiten Teil, 11. 1. b) ce).

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Nötigungsunrecht vergleichbare Einschränkung der freien Entfaltung der Persönlichkeit begründet ist. Ob diese Fälle selbst Nötigungsunrecht darstellen, hängt gerade davon ab, ob sie auch formell als Gewalt in § 240 Abs. 1 StGB vertatbestandlicht sind. Daher muß der Ansicht Knodels, es spiele für die Frage der Freiheitsbeschränkung keine Rolle, ob beispielsweise B dem A das Unterschreiben eines Dokuments dadurch unmöglich macht, daß er ihm die Augen zuhält oder Pfeffer in das Gesicht 'wirft (Einwirkung auf den Körper), oder dadurch, daß er die Brille wegnimmt (Entzug eines Ersatzteiles des Körpers), das Licht zum Verlöschen bringt oder das Schreibgerät entfernt (Entzug sachlicher Mittel oder Werkzeuge),I02 entgegengehalten werden, daß sehr wohl zwischen diesen Fällen ein Unterschied bestehen kann, wenn nämlich einmal Gewalt vorliegt, ein anderes Mal aber nicht. Denn es ist durchaus möglich, daß der Gesetzgeber nur einige wenige von mehreren im Unrechtsmaß gleichwertigen Arten der Verletzung ein und desselben Rechtsgutes vertatbestandlicht. Die Auswahl anhand der Strafwürdigkeit braucht nicht allein am Gesichtspunkt der Gerechtigkeit orientiert zu sein, sondern kann sich auch nach Zweckmäßigkeitskriterien richten (z. B. Beweisschwierigkeiten, Verfolgbarkeit, Abgrenzbarkeit). Daher gibt die Erkenntnis, daß bestimmte Verhaltensweisen im materiellen Unrecht gleichwertig sind, für die Auslegung des Nötigungstatbestandes noch nicht viel her. 103 Im Gegenteil würde eines Ausweitung des Gewaltbegriffes auf alle Fälle des Unmöglichmachens eines bestimmten Willensverhaltens der Wertung des Gesetzgebers widersprechen, wenn durch das Merkmal "Gewalt" nur einige bestimmt geartete Varianten des VereiteIns von Willensbetätigungen erfaßt werden sollten. 104 Und gerade dieser Schluß ist naheliegend, weil der Gesetzgeber nicht auf den schon immer umstrittenen Begriff der Gewalt hätte zurückgreifen müssen, wenn er alle Fälle des Unmöglichmachens einer Willensbildung oder Willensbetätigung hätte erfassen wollen. lOs 102 Begriff der Gewalt, S. 49. 103 Es kann eben nicht von der Gleichheit der Wirkung auf die Gleichheit der Ursache geschlossen werden, wie Knodel meint (vgl. Begriff der Gewalt, S. 61); vgl. zu diesem Schluß auch schon Kollmann, Erpressung, S. 31. 104 Zur "fragmentarischen" Natur des Strafrechts vgl. schon RGSt 64, s. 113, 116 f. bei der Begründung der Ablehnung von Gewaltanwendung im Sinne des § 176 Abs. 1 Ziff.l a. F. StGB durch Hypnose: "Würde man dem Begriffe der Gewalt die von der Staatsanwaltschaft gewünschte Ausdehnung geben, so würde sich der Unterschied zwischen Gewalt und Drohung, der dem Strafgesetzbuch zugrunde liegt, ganz verwischen, und das könnte dazu führen, daß unter dem Begriffe der Gewaltanwendung auch seelische Beeinflussungen der Willensfreiheit allgemein strafbar würden, obwohl das Gesetz nicht allgemein die Freiheit der Willensentschließung oder der Willensbetätigung schützt, vielmehr nur die Beeinflussung durch Gewalt und ganz bestimmte schwere Formen der seelischen Einwirkung unter Strafe stellt." Zustimmend Geilen JZ 1970, S. 529.

Ir. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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Das Argument von Knodel, die von ihm gebildeten Fälle seien im Unrecht mit der Gewalt durch Einwirkung auf den Körper des Genötigten vergleichbar, ist demnach keine hinreichende Begründung für die Ausweitung des Gewaltbegriffes, sondern stellt lediglich fest, daß die von einem derartigen Gewaltbegriff erfaßten Fälle im materiellen Unrechtsmaß dem sonstigen Nötigungsunrecht entsprächenYl6 Seine Ansicht, für den Gewaltbegriff sei die Einwirkung auf den Körper einer Person nicht wesentlich, begründet Knodel ferner damit, die Auffassung der h. M. sei nicht einzusehen, daß eine Drohung mit einem Übel, das in einer Einwirkung auf den Körper bestehe, z. B. Androhung von Prügel, dann zur Gewalt werde, wenn mit der Ausführung des angedrohten Übels begonnen werde, die Drohung mit einem anderen Übel, z. B. der Zerstörung wertvoller Bilder, dagegen mit der Verwirklichung des Zerstörungswerkes nicht zur Gewalt werden solle, sondern weiterhin eine Drohung bliebe, nämlich Drohung mit der Fortsetzung der Übelszufügung. 107 In der Tat ist diese Differenzierung inkonsequent und es entspricht auch nicht dem Sprachgebrauch, bei einer Sachzerstörung keine Gewalt, sondern eine Drohung mit Fortsetzung der Zerstörung anzunehmen. Daraus ergibt sich aber nicht, wie Knodel meint, daß das Merkmal der körperlichen Einwirkung kein Element des Gewaltbegriffes sein kann, sondern zunächst nur, daß es von der h. M. bislang zu eng ausgelegt wurde. Es ist nämlich kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum nicht die Fälle der Sachbeschädigung und Sachzerstörung dem natürlichen Wortverständnis entsprechend unter den Begriff der Gewalt im Sinne des § 240 StGB subsumiert werden könnten, ohne gleichzeitig das Kriterium der körperlichen Einwirkung aufgeben zu müssen. Denn auch Beschädigungen oder Zerstörungen von Sachen sind körperliche Einwirkungen, nämlich Angriffe auf den Körper der Sache. Dies ist eine Auslegung, die sich für den Begriff der Gewalttätigkeit schon lange durchgesetzt hat, vgl. z. B. Lenckner in Schönke / Schröder: "Gewalttätigkeit ist ... ein durch ein aktives Tun erfolgender unmittelbarer Angriff auf Personen oder Sachen in ihrer körperlichen Substanz 105 Einfacher wäre in diesem Fall eine Regelung entsprechend der Fassung des schweizerischen Nötigungstatbestandes gewesen, vgl. Art. 181 StGB der Schweiz: "Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Gefängnis oder mit Buße bestraft." 106 Koffka JR 1964, S. 39 weist nach, daß auch der Satz Knodels "wenn schon das bloße Inaussichtstellen künftiger empfindlicher übel zur überwindung eines widerstrebenden Willens strafbar ist, dann muß erst recht die gegenwärtige Zufügung solcher übel zum seI ben Zweck strafbar sein" (Begriff der Gewalt, S. 54) nicht folgerichtig ist. 107 Begriff der Gewalt, S. 52 f.

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

durch Anwendung physischer Kraft."108 Eine Gleichstellung von Gewalt und Gewalttätigkeit wird übrigens nun auch vom Gesetz ausdrücklich anerkannt, wenn § 131 StGB mit dem Titel "Verherrlichung von Gewalt; Aufstachelung zum Rassenhaß" überschrieben wird, obwohl im Tatbestand nicht das Merkmal "Gewalt", sondern nur der Begriff der Gewalttätigkeit verwendet wird. 109 Zum andern würde auch durch eine derartige Auslegung des Gewaltbegriffes die im Gesetz zum Ausdruck kommende Unterscheidung von Gewalt gegen eine Person (vgl. §§ 249, 252, 255 StGB) und sonstiger Gewalt einen sachlichen Grund haben.1l° Aber es kann nicht nur die positive Begründung des weiten Gewaltbegriffes durch Knodel nicht überzeugen, sondern es sind auch noch weit erheblichere Einwände gegen diesen Gewaltbegriff vorzubringen. Gewalt soll sich von der Drohung mit einem empfindlichen übel allein noch dadurch unterscheiden, daß bei der Gewalt das übel gegenwärtig zugefügt werde, während es bei der Drohung lediglich für den Fall in Aussicht gestellt werde, daß sich der Bedrohte dem Ansinnen des Nötigers nicht fügt. Ob das Kriterium der Gegenwärtigkeit des übels aber zur Abgrenzung von vis compulsiva und Drohung genügen kann, ist sehr zweifelhaft. Denn auch in der Drohung liegt bereits eine gegenwärtige übelszufügung. Droht der Täter beispielsweise einer Mutter damit, ihr Kind zu töten, falls sie sich nicht nach seinem Willen verhalte, so ist bereits das Vorhandensein dieser Drohung für die Mutter ein sehr empfindliches gegenwärtiges übel. Diesen Umstand gesteht auch Eser zu, wenn er anführt, bei den Fällen der vis compulsiva liege eine gegenwärtige übelszuführung immerhin im Zwangseffekt als solchem, der dadurch freilich mit den Zwangsmitteln konfundiert werde. 111 Knodel meint dagegen, der Einwand, auch die Drohung sei bereits ein gegenwärtiges übel, greife nicht durch, da dieses übel bei der Drohung erst sekundäre Folge des vom Nötiger eingesetzten Nötigungsmittels, dem Ankündigen des anderen, zukünftigen übels, nicht aber selbst Nötigungsmittel sei. Der durch die Drohung hervorgerufene seelische Widerstreit bzw. das verursachte Angstgefühl seien deshalb kein "gegenwärtiges übel" im Sinne seines Gewaltbegriffes. 1I2 Die Analyse der tatsächlichen psychologischen Situation des Genötigten durch Knodel ist aber nicht überzeugend. Denn es ist sehr zweifelhaft, ob die durch eine Drohung verursachten körperlichen Auswirkungen ohne Wirkung auf die psychische Entscheidung des Genötigten § 125 Rdn. 6 m. weit. Nachw. Bei allem Vorbehalt wegen der ansonsten verunglückten Fassung des § 131 StGB, vgl. dazu Schönke / Schröder / Lenckner, § 131 Rdn. 8, 21. 110 Vgl. auch BGHSt 16, S. 341, 343. 111 In Schönke / Schröder, vor §§ 234 ff. Rdn. 16 112 Begriff der Gewalt, S. 81 f. lOB

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11. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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bleiben. Gerade bei schweren und akuten Bedrohungen wird eine psychosomatische Wechselwirkung bestehen. l13 Wie unsicher dieses Abgrenzungskriterium ist, zeigt sich schon daran, daß z. B. in den Schreckschußfällen und beim Dichtauffahren auf einen anderen Wagen, um diesen zum Freimachen der Überholspur zu zwingen, das Reichsgericht bzw. der Bundesgerichtshof und dessen Untergerichte in ständiger Rechtsprechung Gewaltanwendung annehmen, weil die Verursachung einer starken seelischen Erregung durch Einwirkungen auf das Nervensystem ein gegenwärtiges Übel sei,1I4 während Knodel in diesen Fällen nur eine Drohung mit einem empfindlichen Übel sehen will, weil die durch die Drohung ausgelöste Furcht, das Hervorrufen des realen Angstgefühls kein gegenwärtiges Übel im Sinne seines Gewaltbegriffes sei. 1l5 Das Argument schließlich, diese Nebenwirkungen der Drohung seien kein Nötigungsmittel, kann eine Subsumtion unter Knodels Gewaltbegriff nicht verhindern, sondern betrifft lediglich den Zurechnungszusammenhang zwischen dem Nötigungsmittel und der herbeigeführten Handlung, Duldung oder Unterlassung des Genötigten. Die Nebenwirkungen einer Bedrohung wären auch nach Knodels Gewaltbegriff als Gewalt anzusehen, der Betroffene wäre aber nicht "mit" dieser Gewalt genötigt worden. Der Nachweis, daß diese Nebenwirkungen nicht zumindest auch Ursache des abgenötigten Verhaltens sind, dürfte aber nicht zu führen sein und eine Beschränkung darauf, daß Gewalt oder Drohung nur dann als Nötigungsmittel gern. § 240 StGB in Betracht gelangen, wenn sie alleine oder hauptsächlich Verursacher des abgenötigten Verhaltens sind, läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Somit wird deutlich, daß nach dem von Knodel begründeten weiten Gewaltbegriff kein Unterschied zur Drohung mit einem empfindlichen Übel mehr besteht, weil auch bei der Drohung mit dem Zwangseffekt ein gegenwärtiges Übel zugefügt wird. Jede Drohung könnte demnach ohne weiteres unter diesen Gewaltbegriff subsumiert werden, wozu die Rechtsprechung auch in zunehmendem Maß bereit ist. Eser ist allerdings der Ansicht, es sei letztlich eine sekundäre Frage, ob man solche Fälle wie die hier angesprochenen, einem entsprechend berichtigten Begriff der Drohung oder aber dem Gewaltbegriff subsumiere.ll6 Vgl. auch Geilen JZ 1970, S. 528 m. w. Nachw. Vgl. Z. B. BGHSt 23, s. 126, 127; 19, S. 163, 166. Zu Recht kritisch zur Praktikabilität der Unterscheidung zwischen gegenwärtigem sinnlich empfundenen übel und erst für die Zukunft befürchtetem übel auch Meurer, Fiktion und Strafurteil, S. 34 Fn. 20. 115 Begriff der Gewalt, S. 139 ff. 116 In Schönke / Schröder, Vorbem. zu §§ 234 ff. Rdn. 16; nach Ansicht von Dreher / Tröndle, § 240 Rdn. 6 muß die Zufügung eines empfindlichen übels nach dem Sinn des Gesetzes, wenn bereits die Drohung damit ausreicht, dann ebenfalls genügen, wenn die Zufügung auf den Willensentschluß nötigend 113

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Dazu ist zunächst zu sagen, daß der Begriff der Drohung gar nicht berichtigt werden müßte, um diese Fälle zu erfassen. Umstritten sind ja die Sachverhalte, in denen der Täter bereits mit der Ausführung des übels begonnen hat und das Opfer zu einem bestimmten Verhalten gezwungen ist, wenn es das übel abwenden will. Es ist nun aber denkmöglich, in dem bereits ausgeführten Teil des übels einerseits die Anwendung von Gewalt in Form der vis compulsiva, andererseits aber auch eine konkludente Drohung damit zu sehen, daß das übel nach dem Willen des Täters so lange andauern so!l, bis das Opfer sich in der gewünschten Weise verhält. Darüber hinaus ist es aber nicht, wie Es er glaubt, lediglich eine sekundäre Frage, ob dieser Sachverhalt dem Gewaltbegriff oder der Drohung subsumiert wird. Zwar sind bei der Nötigung gern. § 240 StGB Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen übel hinsichtlich der Tatbestandserfüllung gleichrangig, so daß es für die Begründung der Strafbarkeit des Täters unerheblich ist, ob man Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen übel annimmt. Jedoch ergibt sich aus anderen Strafvorschriften, daß die Unterscheidung von Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen übel für die Strafbarkeit eines Verhaltens von Bedeutung ist. So ist z. B. in § 105 StGB (Nötigung von Verfassungsorganen) ein Strafmaß von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen, Nötigungsmittel sind bei diesem Delikt nur Gewalt und Drohung mit Gewalt. Das Strafmaß für den Tatbestand der Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans (§ 106 StGB) hingegen, wo als Nötigungsmittel neben der Gewalt auch die Drohung mit einem empfindlichen übel in Betracht kommt, ist erheblich niedriger: Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Aus der Tatsache, daß bei dem schwereren Delikt die Drohung mit einem empfindlichen übel nicht die Strafbarkeit begründen kann, ist zu schließen, daß die Drohung mit Gewalt eine qualifizierte Form der Drohung mit einem empfindlichen übel ist. 117 Demnach kann das Gesetz sinnvoll nur dahin gehend ausgelegt werden, daß Drohung mit Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen übel als etwas Verschiedenes zu behandeln sindYs Ein solcher Unterschied ist aber nicht gegeben, wenn Gewalt als Zufiigung eines gegenwärtigen übels definiert wird. Denn dann wären Drohung mit Gewalt und Drowirkt. Es sei für § 240 StGB daher von untergeordneter Bedeutung, ob man diese Grenzfälle als Gewalt oder nur als empfindliches übel ansehe. 117 Daß die höhere Strafdrohung zumindest auch auf dem Tatmittel "Drohung mit Gewalt" beruht, ergibt sich auch aus der sonstigen Verwendung dieses Begriffes entweder bei qualifizierten Tatbeständen (vgl. §§ 244 Abs. 1 Nr. 1, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder bei anderen schwereren Delikten (vgl. §§ 81, 82, 107, 113 Abs. 1 und 343 StGB). 118 So auch Geilen, Festschrift für Hellm. Mayer, S. 459; Haffke ZStW 84, S.66.

H. Die tatbestandliche Rechtsgutsverletzung

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hung mit der Zufügung eines gegenwärtigen Übels identisch. Und da auch für den Begriff der Gewalt die Zufügung eines empfindlichen Übels verlangt wird,119 bestünde somit auch zwischen Drohung mit Gewalt und der Drohung mit einem empfindlichen Übel kein Unterschied mehr. Eine derartige Gleichsetzung ist aber wie dargelegt, nicht mit der Gesetzessystematik zu vereinbaren, widerspricht außerdem dem Verfassungsgrundsatz der Tatbestandsbestimmtheit aus Art. 103 Abs. 2 GG und ist auch nicht mit dem Schuldgrundsatz in Einklang zu bringen, da dem unterschiedlichen Unwertgehalt von Drohung mit Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen Übel nicht Rechnung getragen wird. Die oben aufgezeigte Konfundierung der Zwangsmittel Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen Übel beruht darauf, daß diese von der h. L. gar nicht als Tatmittel der Nötigung behandelt werden, sondern die Funktion der Tathandlung des § 240 StGB übernehmen müssen. l20 Weil das Merkmal "Nötigen" nicht als vollwertiges Tatbestandsmerkmal erkannt wird, muß sein Begriffsinhalt, die absichtliche Herbeiführung einer Zwangslage, auf andere Tatbestandselemente, insbesondere auf die Merkmale Gewalt und Drohung verlagert werden. Im Prinzip beruht auch diese Auffassung noch auf der unzutreffenden Prämisse Bindings, jeder Zwang sei Nötigung, was nicht Drohung sei, müsse daher Gewalt sein. 121 Richtig gesehen ist dagegen mit der Herbeiführung einer Zwangslage für einen anderen nur das Merkmal "Nötigen" erfüllt, dessen Verwirklichung aber allein für die Begründung einer Strafbarkeit wegen Nötigung gem. § 240 StGB nicht ausreicht. Es muß vielmehr ein Nötigen mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel vorliegen. Die Zwangswirkung selbst sagt demnach noch gar nichts über die Existenz einer Gewaltanwendung aus, sondern nur über die Vornahme einer Nötigungshandlung, die auch durch ein anderes Mittel bewirkt worden sein kann, da Gewalt nur eines von mehreren Nötigungsmitteln ist. Umgekehrt braucht nicht bei jeder Gewaltanwendung eine Zwangswirkung einzutreten. Denn es gibt auch eine Gewalt, die lediglich Selbstzweck ist oder die, vom Täter zwar als Nötigungsmittel eingesetzt, erfolglos bleibt, weil das Opfer sie nicht als Zwangsmittel auffaßt. Die Nötigungsvorschrift, die sich aus der Auffassung der Vertreter des weiten GewaItbegriffes ergibt, lautet: "Wer Gewalt anwendet, wird wegen Nötigung bestraft."I22 Die dabei gegenüber der Fassung des geltenden § 240 StGB unterschlagenen Merkmale werden inhaltlich im Vgl. nur Knodel, Begriff der Gewalt, S. 77 ff. 120 Siehe dazu schon oben im zweiten Teil, H. 1. b). 121 Binding, Besonderer Teil, Bd. 1, S. 83. 122 Vgl. auch Geilen JZ 1970, S. 532; Meurer, Fiktion und Strafurteil, S. 37. 119

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2. Teil: Der Unrechtstatbestand der Nötigung

Gewaltbegriff untergebracht, der damit alle Konturen verliert. Darin liegt keine "Vergeistigung" des ursprünglichen Gewaltbegriffes, die unvermeidlich ist, um mit den immer raffinierteren Formen moderner Zwangswirkung Schritt halten zu können,123 sondern die Schaffung eines Auffangtatbestandes contra legern, der alle für strafwürdig erachteten Fälle der Zwangs anwendung erfassen soll. Daß ein derartiges Vorgehen mit Art. 103 Abs.2 GG nicht zu vereinbaren ist, ist bereits oben angeführt worden. 124 Inwieweit die Anpassung von Gesetzesvorschriften an sich ändernde Lebenssachverhalte im allgemeinen überhaupt Aufgabe der Gesetzesanwendung sein kann, mag dahingestellt bleiben. Für Strafgesetze jedenfalls ist die Grenze jeder Auslegung das Gebot der Tatbestandsbestimmtheit aus Art.10a Abs.2 GG. Eine darüber hinausgehende Änderung ist Sache des Gesetzgebers. Bei der Bestimmung des strafrechtlichen Gewaltbegriffes ist die zulässige Grenze der Auslegung aber dann überschritten, wenn unter Gewalt jedes Mittel subsumiert wird, mit dem durch Zufügung eines gegenwärtigen empfindlichen übels eine Zwangswirkung für einen anderen herbeigeführt wird. cc) Reaktion auf die Ausweitung des Gewaltbegriffes Gegen die "Entmaterialisierung" des Gewaltbegriffes, d. h. gegen die Ausweitung auf jede Zwangswirkung durch Zufügung eines gegenwärtigen übels, hat sich in jüngster Zeit eine beachtliche Gegenströmung im Schrifttum gebildet, die entweder eine volle bzw teilweise Rückkehr zum "klassischen" Gewaltbegriff fordert oder aber neue Begriffsbestimmungen versucht. Im folgenden soll zunächst untersucht werden, inwieweit neuere Bestimmungen des Gewaltbegriffes die bislang bestehenden Probleme zu lösen vermögen, bevor auf die Frage eingegangen wird, ob nicht doch Elemente des "klassischen" Gewaltbegriffes des Reichsgerichts eine hinreichend gen aue Begrenzung des Tatbestandsmerkmales "Gewalt" gewährleisten können. a') Bemühungen um einen neuen Gewaltbegriff (a) Nach Ansicht von Calliess ist Gewalt eine "gegenwärtig soziale Situation, die durch die Herstellung einer primär auf physischer Vermittlung beruhenden aggressiv-interpersonellen Beziehung gekennzeichnet ist.'